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REFORMA I ONSCESCHICHTE

TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.

Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte

herausgegeben von

D. Walter Friedensburg.

XVII. Jahrgang. 1921.

Leipzig Verlag von M. Heinsius Nachfolger 1921.

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llann .

Inhaltstibersicht.

A. V. Müller, Rom, Der Augustiner-Observantismus und die Kritik und Psychologie Luthers . . . . . . 1—34 G. Loesche, Hofrat, Professor D. Dr. in Königssee, Die

Seite

reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Inner-

österreichs IIE IV . . . . . . . . . 85—62; 121—154 O. Clemen, Professor D. Dr. in Zwickau, Der Prozeß des Johannes Pollicarius . . . . . . . . . 608—174

: P. Kalkoff, Professor D. Dr. in Breslau, Kardinal

Schiner, Ein Mitarbeiter Aleanders auf dem Wormser Reichstage . . . . . . ......-. 81—120

Mitteilungen: Aus Zeitschriften S. 75—80. Neu- erscheinungen S. 155—160.

Von der preuflischen Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation S. 1*— 6*.

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OCT 31 1922 .

E BE : T GEMMAE

ARCHIV FUR REFORMATIONSGESCHICHTE.

u TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.

Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte herausgegeben von

. D. Walter Friedensburg. Nr. 69/70. XVIII. Jahrgang. Heft 1/2. Der Augustiner-Observantismus und die Kritik

und Psychologie Luthers von Alphons Victor Müller.

& Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Innerösterreichs III. von Georg Loesche.

Eine noch unveröffentlichte Vorarbeit Luthers zu seiner Schrift: „Daß diese Worte Christi ‘das ist mein Leib’ noch fest stehen“ von Georg Buchwald.

Der Prozeß des Johannes Pollicarius von Otto Clemen,

Mitteilungen Aus Zeitschriften.

Von der preuBischen Kommission zur Erforschung der Reformation und Gegenreformation.

. Leipzig Verlag von M, Heinsius Nachfolger 1921.

| Ausgegeben im Mai 1921. Preis für Subskribenten 10,— M., einzeln bezogen 11,— M.

Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig.

Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte

(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) Herausgegeben vom

Verein für Reformationsgeschichte

Band L Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen. 8°, [XII, 316 S.] A 9,—; geb. A 11,25

Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus, Humanismfis und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°.

[XXXH, 343 S. ‘A 1350; geb. A 15,55 7

Band Ill. Leonid Arbusow, Die Einführung der Reformation in Liv-, Est- und Kurland. - Im Druck. Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entscheidungsjahre der ‘Reformation. (1517—1523.) [XVI, 602 S] A 40,—

Soeben erschien:

Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte

38. Jahrgang (Nr. 133):

Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. Von Lic. Karl Bauer,

Privatdozent an der Westfälischen Wilhelmsuniversitat zu Münster i. W.

Preis 6 Mark.

Die Preise verstehen sich einschließlich Teuerungszuschlag des Verlegers —————

Der Augustiner-Observantismus und die Kritik und Psychologie Luthers.

Von Alphons Victor Müller.

Dem Observantenstreit im Augustinereremitenórden zur Zeit Luthers wird seit einigen Jahren von den Forschern eine gewisse Bedeutung beigelegt für die Beurteilung der Psychologie und des Charakters von Luther. Leider ist sich aber die Lutherforschung bis heute nicht klar genug geworden über Ziele und Eigentümlichkeiten dieser Obser- vanzbewegung, um gewisse Kritiken Luthers richtig verstehen zu können. Luther macht zwar abschätzige Bemerkungen über die übertriebene Bedeutung, die die Observanten gewissen AuBerlichkeiten beilegen und tadelt eine solche Richtung mit fast denselben Worten, die Tauler längst vor ihm gegen die Observanten seiner Zeit gebraucht hat, wie ich in meinem Luther und Tauler (Bern 1917, S. 130) gezeigt habe. Luther macht aber auch den Observanten seiner Zeit und seines Ordens den Vorwurf „Schismatiker“ zu sein, d. h. zu ver- suchen sich dem schuldigen Ordensgehorsam durch „Privilegien“ und ,Ezemptionen* zu entziehen. Bisher haben die Forscher gerade dieser Eigentümlichkeit in der Augustinerobservanzbewegung fast keine Aufmerk- samkeit geschenkt und diese Vorwürfe Luthers kurz auf den Streit zwischen den „sieben Konventen“ und Staupitz bezogen, was erstens nicht zutrifft und zweitens . Luther in den Verdacht bringen mußte weiter nichts als ein = Parteigünger von Staupitz zu sein, der pro domo et Domino - gesprochen habe. a Die drei Hauptstellen gegen die Unbotmäßigkeit der '"'Observanten lauten: Quaecumque ergo, quantacumque, qua- liacumque quis fecerit opera, si oboedientiam alibi Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. t, H

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debitam relinquit, huie dieitur hie: Non intelligit opera Domini sed sentit opera sua inflata sensu carnis suae. Tales hodie esse timendum est omnes observantes et exemptos sive privilegiatos. Qui quid noceant Ecclesiae nondum apparuit, lieet faetum sit. Apparebit autem tempore suo. Quaerimus autem cur sic eximi (sie!) sibi et dispensari (sic!) in oboedientia velint? Dicunt propter vitam regularem. Sed praeest lux angeli Sathanae. Quia eum oboedientia sit simplieiter indispensabilis et non eximibilis, quam magnam quaeso causam esse necesse esf ut dispensetur indispensabile? (WA. III, 155) . . . Sie etiam omnibus superbis contingit et pertinacibus, superstitiosis et inoboedi- entibus atque ut timeo Observantibus nostris, qui sub specie regularis vitae incurruntinoboedientiam et rebellionem ... (WA. IV, 83) Similiter et Super- stitiosi et Schismatici abiciunt per singularitatem suum praelatum in quo Christus eis praeficitur, quorum Aodie est major numerus . . . (WA. III 17.)

Wie aus dem „hodie“ in der ersten und dritten Stelle zu ersehen ist und ebenso aus dem Indikativ-Praesens der Zeitform, schildert Luther Zustände, die, als er diese Worte sprach, noch andauerten. Um diese Anspielungen Luthers besser zu begreifen, müssen wir in ganz kurzen Zügen Ent- stehung und Entwicklung des Observantismus im Augustiner- eremitenorden schildern.

Als gegen Ende des vierzebnten Jahrhunderts der Augustinereremitenorden von der genauen Befolgung seiner Regel und seiner Konstitutionen abgewichen war, suchten die Ordensgeneräle die Eiferer für eine genaue Befolgung der alten Vorschriften in einzelnen Konventen zu sammeln, und damit die Insassen dieser reformierten Klöster ganz un- behindert und unvermischt mit den nicht reformierten Elementen ihrem Ideale dienen könnten, entzogen die Ordens- generäle diese Klöster der Jurisdiktion der gewöhnlichen Provinzoberen und unterstellten sie direkt sich selbst oder, wenn sie zahlreich waren, einem Vikar, der nicht vom Provinzial sondern von ihnen direkt abbing. Auf diese Weise entstanden im Augustinerorden die „Kongregationen“ der ,Observanten“, denen die „Provinzen“ der

3 3 „Konventualen“ gegenüberstanden. Um die Hälfte des XV. Jahrhunderts herum finden wir in Italien bereits mehrere dieser Kongregationen, nämlich diejenigen von Lecceto (Toscana), S. Giovanni in Carbonaria (Neapel), S. Maria del Popolo in Rom, später nach dem Hauptkloster in Perugia benannt, Monte Ortona (Venezien), diejenige von Genua, und endlich die bedeutendste von allen, diejenige der Lombardei, die sich über einen großen Teil von Nord- und auch von Mittelitalien erstreckte. Bei Beginn des XVI. Jahrhunderts zählte sie weit über 1000 Mitglieder und hatte bei der hohen Geistlichkeit wie beim Adel einen derartigen Einfluß, daß sie, wie wir sehen werden, sogar den päpstlichen Befehlen trotzen konnte, bis sie zurückgenommen worden waren. Als einzige Auslandskongregation figuriert gegen Ende des XV. Jahrhunderts nur diejenige „des Andreas Proles in Deutschland“, wie sie noch lange nach Proles’ Tod auch in offiziellen Aktenstücken der Kurie genannt wurde.

Um die Mitte des XV. Jahrhunderts war der Versuch gemacht worden die damals schon bestehenden italienischen kongregrationen zu vereinigen unter einem gemeinsamen Generalvikar wie unter einem gemeinsamen Generalkapitel. Doeh es fanden nur zwei Generalkapitel 1446 und 1449 statt, dann ging diese Union wieder auseinander. Es wurde nun beschlossen, daß in Zukunft jede Kongregation unter einem eigenen Generalvikar selbstherrlich sein sollte. Damit hatte die Entwieklung begonnen, die uns hier interessiert. Jede Kongregation suchte jetzt ein Orden im Orden zu werden und ließ sich dureh Fürsprache seiner Gönner von der Kurie Privilegien auf Privilegien und Exemptionen auf Exemptionen erteilen. Ja, auf Grund kurialer Erlasse tauschten sogar die Kongregationen diese Privilegien unter sich aus, so daß bald die Autorität des Ordensgenerals „de facto“ fast ganz ausgeschaltet war. So sehen wir z. B. Eugen IV. der Kongregation von lliceto (Leeeeto bei Siena in Toscana) folgende Privilegien erteilen: Dem Generalvikar der Kongregation wird durchaus über alle Klöster und Brüder seiner Kongregation dieselbe Gewalt erteilt, die der General über Klöster und Brüder des ganzen Ordens hat. Damit war doch indirekt gesagt,

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daß sich innerhalb der Kongregation die Gewalt des Generalsunddes Generalvikars gleich waren, daß der General nicht mit seinen Befehlen denjenigen des Generalvikars zuwiderlaufen durfte. Ja, dem Generalvikar wurden sogar Befugnisse erteilt, die der General anscheinend nicht hatte, denn der Generalvikar konnte gemeinsam mit den Visitatoren von Statuten und Ordinationen dispensieren, selbst wenn sie kraftApostolischer Autorität bestätigt worden waren. Auch direkt wurde die Gewalt des Generals stark eingeschränkt. So wurde dem General die Befugnis entzogen, irgend jemand in die Kon- gregation zu versetzen oder irgend ein Mitglied der Kon- gregation nach auswärts zu versetzen. Selbst wenn Mitglieder der Kongregation sich außerhalb derselben vergangen hatten, durfte sie der General nicht strafen. Ohne schriftliche Erlaubnis des Generalvikars durfte der General kein Mitglied der Kongregation zu irgend einem Amt in der Ordensleitung berufen. Ein Kongregationsmitglied, das sich ohne schriftliche Erlaubnis des Generalvikars durch den General aus der Kongregation herausnehmen ließ, ver- fiel der Exkommunikation! Auf Grund derselben Privilegien wurde die Autorität der Generalkapitel über die Kongrega- tion zum großen Teil abgelehnt. Als ferner der General Aegidius 1512 in Viterbo das Generalkapitel abhalten wollte, mußte er, der doch gerade zu dieser Kongregation von Ilieeto gehörte, vom Generalvikar derselben die schrift- liche Erlaubnishierzuerbitten. Diese Privilegien durfte die Kongregation ohne Erlaubnis des Generals an andere Kongregationen mitteilen. So sehen wir denn auch 1487, 1493, 1510 die Kongregation von lliceto mit den Lombarden Gemeinschaft eingehen. 1506 hatte Lliceto gleich den Lombarden, die schon früher dieses Privileg besessen hatten, einen eigenen Generalprokurator an der Kurie ernannt, so daß der General über das Treiben an der Kurie dieser Kongregationen keine Kontrolle mehr hatte. (Ambr. Landucci: Sacra llieetana Silva . . . Siena 1653. S. 50f.)

Bald erstreckte sich die Autorität des Ordensgenerals nur noch auf die Konventualen, die zwar die Mehrheit des Ordens ausmachten aber weit weniger angesehen

5 und einflußreich waren. Um die Observanten zu fördern, hatten die Päpste die Autorität des Generals durch ihre Privilegienkonzessinonen geschädigt. Später suchten sie diesen Irrtum dadurch wieder gut zu machen, daß sie unter sroßem Druck auf die Wähler eifrige Anhänger der Observanz zu Ordensgenerülen zu machen suchten. So wurde unter Sixtus IV. den Generalswählern unter Strafe der Ex- kommunikation am 2. Mai 1482 befohlen, den bisherigen Generalim ÀAmítzubestátigen und ja keinen neuen zu wáhlen, und damit der Erfolg um so sicherer eintrete, erhielt der General die Vollmacht nach Bedürfnis das Wählerkollegium zu seinen Gunsten zu „ergänzen“.

Als so unter páüpstliehem Druck 1497 in Rom ein energischer General, Mariano von Genazzano gewählt wurde, der die Einheit des Ordens und seine Autorität wieder herstellen wollte, da war die Kriegserklärung der Ordensleitung an die Observanten unausbleiblich. Die im Juniheft der Analecta Augustiniana 1919 nun veröffentlichten Akten dieses Generalkapitels sind eine Kampfansage an die Kongregationen und werden auf Jahrzehnte hinaus das Programm bilden, das die Generäle zu verwirklichen suchen werden. Diese hochwichtigen Akten zeigen uns diejenigen Privilegien, die am meisten bei der Ordensleitung anstieBen und auf Grund derer die Kongregationen sich selbstherrlich gemacht hatten.

Zuerst befiehlt das Kapitel, daß der General des Ordens, der gegenwärtige wie der zukünftige, volle Autorität haben muß gemäß der Verfassung des Ordens und gemäß der ProfeBformel über alle Ordensbriider wie über alle Klöster, mögen sie nun der Observanz oder den Konventualen angehören, und mögen die Observanten innerhalb oder außerhalb Italiens sein (sic)! . . . Damit wird ausdrücklich gefordert, daß der General nicht nur Jurisdiktion über den Generalvikar der Kongregationen hat, sondern auch und zwar unmittelbar über alle Brüder und Klöster, so daß er ihnen direkt, ohne sich an den Generalvikar zu wenden, befehlen kann. Wir werden bald sehen wie Stanpitz sich durch die Bulle des päpstlichen Legaten an dieser Forderung vorbeidrücken wollte.

Zweitens schärft das Generalkapitel die Vorschrift der Konstitutionen ein, wonach die Provinzangehörigen ihrem Provinzoberen immer nur zu gehorchen haben unter Wah- rung der Rechte des Generals und erklärt, daß wer dem General nicht gehorcht als ein Sohn der Verderbnis und als faules Glied am Ordenskörper auszustoßen ist, möge er nun Konventuale oder Observant sein, in Italien oder außerhalb! ... Diese Forderung geht gegen die Aufstellung der meisten Kongregationen wonach der Kongregationsvikar in seiner Kongregation dieselbe Gewalt hat wie der General im ganzen Orden, was alsdann wie aus diesem Kapitelbefehl hervorgeht so ausgelegt wurde, daß wenn der Generalvikar einen Befehl erteilt hatte, der General ihn nicht widerrufen konnte.

Drittens betont das Kapitel, daß der General seine Autorität unmittelbar vom Papste erhält, während dagegen die Provinziale und Kongregationsvikare ibre Autorität durch den General erhalten. . . . Das ist wiederum ein Protest gegen die Behauptung der Observanten, ihre Vikare amtierten „Auctoritate Apostolica".

Viertens gebraucht das Generalkapitel sehr scharfe Ausdrücke gegen diejenigen, die neue Konstitutionen und ein neues Ordinarium einführen. Einige so heißt es sind durch Unwissenheit derartig verblendet oder mehr noch von Herrschsucht derartig entflammt, daß sie das hl. Kleid Augustins zu spalten und zu teilen suchen (Schismatiker!), dadurch daß sie sich nicht gescheut haben, sowohl im Ordinarium wie in den Konstitutionen Widersprachvolles zusammenzuflicken. In geradezu unverschämter Weise (nefarium et impudentissimum) hätten sie ohne irgend eine Ordenserlaubnis die Konstitutionen geändert und zwar so geändert, daß sie sich der ei- gzeutlichen Ordenskonstitutionen nicht mehr bedienen. ,Wir befehlen daher allen Provinzialen, allen Generalvikaren aller beliebigen Kongregationen, allen Lokal- prioren und einzelnen Brüdern, daß sie unter Strafe der Rebellion alle Konstitutionstexte, die nicht wörtlich vom alten Konstitutionstext abgeschrieben sind, sofort ins Feuer werfen, damit sie ewig untergehen“... Das

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,riehtete sich gegen alle Observanten! Diesem Befehl zum Trotz führte (siehe unten S. 9) Staupitz neue Konstitationen und ein neues Ordinarium ein.

Fünftens werden die von Sixtus IV den Observanten gestatteten Anderungen am Ordinarium „reverenter“ zurück- genommen. Das Ordinarium enthielt die Zeremonieen und den Cantus des Ordens. l

Sechstens wird befohlen, daß sich kein Kongrega- tionsvikar als Generalvikar titulieren darf. Sie sollen sich einfach unter Angabe ihrer Kongregation z. B. so nennen: Vikar der Kongregation von Lecceto, Vikar der Lombardi- dischen Kongregation usw. . . . Die Observanten und namentlich die Lombarden nannten sogar ihre Kongregations- kapitel: Generalkapitel.

Siebentens werden diese Kongregationsvikare ver- pflichtet, den Generalkapiteln des Ordens beizuwohnen . . . Wenn sie das aber getan hätten, würden sie damit die Ver- bindlichkeit der Bestimmungen, die auf diesen Versamm- lungen getroffen wurden, auch für ihre Kongregationen aner- kannt haben. Daher haben, wie aus den wenigen Akten, die erhalten sind, hervorgeht, die Kongregationsvikare um diese Zeit die Generalkapitel gemieden.

Achtens wird, um die Autorität des Generals zu stär- ken befohlen, daß es dem General zusteht, den Präsidenten der Kongregationskapitel zu ernennen, wenn er nicht selbst prüsidiert . . . Wir werden unten sehen, wie die Lombar- den auf Grund der Privilegiengemeinschaft mit Leeceto auch diese Forderung abgelehnt haben.

Neuntens müssen die Kongregationskapitel dem Gene- ral zur Bestätigung eingeschickt werden ... Auch diese For- derung mußte später zum großen Teil fallen gelassen werden.

Zehntens dürfen ohne Erlaubnis des Generals keine Veräußerungen von beweglichen und unbeweglichen Gütern vorgenommen werden.

Elftens: Ohne Erlaubnis des Generals dürfen die Observanten keine Klöster der Konventualen sich angliedern, keinen Bruder aus einer Provinz in die Kongregation auf- nehmen und auch keinen Bruder aus der eigenen Kongre- gation ausstoßen.

Zwölftens wird endlich bestimmt, daß in Rom nur ein einziger allgemeiner Ordensprokurator die Geschäfte an. der Kurie besorgen darf. Keine Kongregation darf sich einen eigenen Prokurator halten. Wer ohne Erlaubnis des allgemeinen Ordensprokurators etwas an der Kurie zu erreichen sucht, kann mit Kerkerstrafe bis zu einem Jahre bestraft werden. Die Observanten sollen in Rom in S. Maria del Popolo, die Konventualen in S. Ago- stino oder anderswo absteigen ... Wir werden bald auf den diesbezüglichen Versuch von Staupitz einen anderen Proeurator an der Kurie zu halten, zu reden kommen.

Alle diese Aufstellungen des Generalkapitels von 1497 bedeuteten natürlich eine Stärkung der Ordenszentralgewalt, muBten aber bei den Kongregationen auf starken Widerstand stoßen. Unter dem 26. Mai bestätigte Alexander Vl. den „gewählten“ Ordensgeneral Mariano von Genazzano und ordnete an, daß alle Kongregationen, auch diejenige des Andreas Proles, die genannten Vor- schriften des Kapitels zu befolgen hätten. Die Lombardische Kongregation nahm diesen Befehl nicht ohne weiteres hin. Ihr Generalvikar Lucchino von Bergamo schickte Bartholo- mäus von Palazzolo, den einflußreichen jBeichtvater ‘der Gebieterin von Mailand und anderer Fürstlichkeiten sowie Augustin von Bergamo nach Rom, damit sie durch die Für- sprache von Kardinälen und Fürsten das päpstliche Schreiben rückgängig machen könnten. Die anderen Kongregationen werden nicht müßig abseits gestanden haben, da es sich im Sinne der Observanten um Sein oder Nichtsein handelte. So konnte der Erfolg nicht ausbleiben. Durch ein neues Schreiben von 26. Januar 1498 nahm Alexander VI. sein erstes Schreiben zurück, da er keine Beunruhigung unter den Observanten hervorrufen wollte.

Trotz dieser Niederlage betrachtete die Ordensleitung, wie aus den päpstlichen Akten der folgenden Jahre hervor- geht, die Forderungen des Kapitels von Rom als Programm und suchte nicht nur an ihrer Hand den verlorenen Boden wie- derzugewinnen, sondern auch jede weitere Absplitte- rungvonderZentralemitallerEnergiefernzu- halten. So entstand der Konflikt mit der deutschen Kongregation.

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Im Jahre 1503 war Staupitz in der Leitung der „Kon- gregation des Andreas Proles“ dem Proles gefolgt und ent- wickelte sofort eine Tätigkeit, die vom General nicht gern gesehen sein konnte. Während wir nämlich von seinem Vorgänger wissen (Comp. ex reg. Ms. lat Monac. Aug. 123. Kolde: Z.1.Kgsch.Il. S.467f.), daß er seine Wahl zum Vikar 1497 durch den General Mariano von Genazzano und 1500 durch dessen Nachfolger Gratianus Fulgineo bestätigen ließ, wissen wir von Staupitz nicht, daß er um die Bestätigung seiner Wahl nachgesucht hätte. Es ist auch nicht wahrscheinlich, daß er es getan hat, weil er ein Jahr später in seine Konstitutionen den Passus aufnehmen ließ (Kap. 32). daß der Vikar sofort nach seiner Proklama- mation ipso facto auctoritate Apostolica als bestätigt gilt. Auf Grund welcher Privilegienkommu- nikation die deutsche Observanz vom bisherigen Brauche abwich, ist noch nicht klargestellt. Dem General konnte das aber keine Freude machen. Alsdann gab Staupitz gegen Punkt vier und fünf des oben erwähnten Ordensprogrammes einen neuen Konstitutionstext und ein neues Ordinarium heraus. Wenn auch der Text der neuen Konstitutionen sehr vorsichtig abgefaßt ist, so tritt er doch aus äußeren und inneren Gründen der Autorität des Gene- rals zu nahe, wenn auch nur in indirekter Weise, so daß profane Augen kaum etwas merken werden. Aber bezüglich der Punkte eins, zwei und drei des sogenannten Ordens- programmes erfüllen die Staupitzkonstitutionen weder die Anordnungen des Generalkapitels von 1497 noch diejenigen, die Leo X, wie wir sehen werden, bald aufstellen wird. Er- sehen wir doch aus dem Schreiben des Nürnberger Magi- strats an Staupitz vom 19. September 1511, dab die deut- schen Observanten dem General nur gehorchen wollten, wenn er ,zZiemlichs*" gebiete und was der geistlichen Zuchtund Observanz „fürträglich“ sei. Sie wel- gern sich, dem General zu gehorchen, es sei denn, dab er gemäß den Privilegien unter Achtung der Ob- zervanz befehle...

Noch unangenehmer mußte es in Rom empfunden wer- den, daß Staupitz 1505 (nicht 1506) seinen Vertrauensmann

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Besler nach Italien schickte, um über eine „Union“ mit der lombardischen Kongregation zu verhandeln, die nach Besler nur den Zweck haben sollte, eine Privilegienkommu- nikation mit den Lombarden zu veranlassen und zu erreichen, daß der lombardische Prokurator in Rom die Geschäfte der deutschen Kongregation an der Kurie gleichfalls vertreten sollte. In Wirkliehkeit war aber die Sache nicht so harm- los, wie sie Besler nachträglich schildern möchte, denn da die lombardische Kongregation dem h. Stuhl un mittelbar unterstellt war, handelte es sich darum, die deutsche Kon- gregation gleichfalls vollständig und faktisch vom General unabhängig zu machen. Daß Stau- pitz gerade diese Unabhängigkeit durchsetzen wollte, geht aus dem bald zu zitierenden päpstlichen Schreiben mit Deut- lichkeit hervor. Die Lombarden nahmen in Vercelli im April 1505 den deutschen Vorschlag an. Schon am 1 2.M ai hatte die Ordensleitung in Rom, noch bevor der Papst diese Union gebilligt hatte, Wind von der Sache bekommen. Wie sehr man darüber aufgebracht war, geht aus der Notiz hervor (Generalregest: bei Böhmer 8.51, Anm. 4), daß der inter- emistische Leiter des Ordens und spätere General Augustinus von Interamna (Terni) am 12, Mai, als er das Generalkapite! für den ersten Sonntag im September nach Interamna(?) ausschrieb es fand jedenfalls in Perugia statt zugleich öffentlich der deutschen Kongregation das Erscheinen auf demselben verbot, offenbar weil man sie als „schismatisch“ betrachtete. Erst am 21. Juni wurde das päpstliche Bestätigungsschreiben für die Union ausgestellt und am 15. März 1506 beauftragte Julius II. die Erzbischöfe von Mainz, Magdeburg und Salzburg mit der Exekution dieser Bulle (Milensius bei Böhmer: Luthers Romfahrt S. 20).

Wie der Orden über diesen Schritt von Staupitz geur- teilt hat, ist auch aus verschiedenen anderen Zeugnissen zu ersehen. Die bis zum Jahre 1550 ergänzte Ordenschronik des Ordensgenerals Seripandus, die sich gewöhnlich als Anhängsel zu seinen Konstitutionen findet, schreibt zum Jahre 1505: Hoc anno Congregatio Alemaniae, quae etiam Andreae Proles dicta est, oceulte, inscioque Generali Bullam obtinuit qua immediate subesset Summo Pontifiei, eoque colore

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ab uniome ordinis separata est, quae quidem separatio pessimum in ecclessia fructum fecit, ut circa annum Domini 1517 videbitur. Zu dem letzgenannten Jahre heißt es alsdann: Annus nostro ordini gravissimus ac pestilentissi- mus, quo Martini Lutheri haeresiarchae omnium qui fuere: quique futuri sunt scelestissimi infandum nomen ex Andreae Proles sive Alemaniae Congregatione audiri coeptum est, qua in re illa dumtaxat utimur consolatione, quod ea Congregatio longe priusquam hoe monstrum pareret ab UnioneOrdinis subreptiis se Bullis segregaverat exemeraíque.

Diese Behauptungen und Entschuldigungen des Seri- paudus sind etwas übertrieben und treffen auch das Ziel nicht, weil sich gerade Luther gegen dieses „Schisma“ seiner Kongregation, längst bevor ersich von der Kirche trennte, ganz ent- schieden ausgesprochen hat.

Die „schismatischen“ Bestrebungen von Staupitz bleiben aber Tatsache. Das geht zuerst hervor aus den Absichten, die er bei der Union mit den Lombarden verfolgte, wie aus dem Breve Julius Il. vom 26. März 1506 erhellt. Die Ordensleitung hatte sich nämlich nicht mit dem Verbot die deutschen Observanten zum Generalkapitel zuzulassen be- gnügt, sondern war auch beim Papst wegen dieses Privilegs vorstellig geworden. Aus der Antwort des Papstes, die nur zehn Tage später als die vorhin erwähnte Exekutions- bulle erfolgte, geht nun hervor, welchen Gebrauch Staupitz von dieser Privilegienkommunikation machte. Der Papst schreibt dem Ordensgeneral: Cum autem sicut Nobis nuper exponi fecisti Congregatio praedicta Lombardiae Sedi Apostolicae immediate subsit et dicti loannes Viearius Generalis et alii Provinciales Vicarii, Visi- tatores et Diffinitores dicti Ordinis qui literas praedictas absque licentia seu scientia Protectoris aut Prioris seu Procuratoris Generalis dicti Ordinis impetrarunt, praetextu confirmationis, extensionis et concessionis huiusmodi se a Superioritate tua et pro tempore existentis Prioris Gene- ralis praefati Ordinis (exemptos?) et Sedi

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praedictae immediate sesubiectos praeten- dant, quod si foret in grave dispendium dicti Ordinis tam de Observantia quam Conventualium Fratrum dicti Ordinis etiam in Alemania existentium cederet, cum ipsi se a dieto Priore Generali totius Ordinis exemptos et Sedi praedietae subiectos praetendentes, reliquos Fratres favore Principum saecularium, et alias multipliciter molestarent pro parte tua Nobis fuit humiliter supplicatum, ut in praemissis oportune providere paterna diligentia curaremus... Der Papst erklärt alsdann, daß die deutschen Observanten nicht „eximiert“ worden sind von der „obedientia“, „superioritas“ und „subiectio“ gegenüber dem General und seinen Nach- folgern (siehe oben Luthers Vorwurf S. 2). Man beachte, wie der Papst hier bezüglich dieser Unterordnung unter den General nieht nur vom Generalvikar spricht. Hoehn (S. 135.) glaubt, daß Sigfridus Caleiator, der Provinzial der Provinz „Rhein und Schwaben“, der Ende 1505 oder An- fang 1506 nach Rom gegangen war, um die Interessen seiner Provinz gegen Staupitz und seine Leute zu verteidigen, ein Mitverdienst an der Erlangung dieses Breve gehabt hat. Der Hinweis im Text auf die Stänkereien der Obsvervanten gegen die Konventualen in Deutschland bestätigt diese Auf- fassung. Auch war Caleiator der richtige Mann, um die Praktiken des Staupitz und seiner Observanten zu schildern, wie sie sich durch Vermittlung des Adels in den Besitz der Klöster der Konventualen setzten.

Hat Staupitz sich dieser päpstlichen Entscheidung ge- fügt? Es ist nicht wahrscheinlich, daß er seine vom Ehr- geiz eingegebenen Unabhängigkeitsbestrebungen aufgab, um so weniger als er die Lombarden auf seiner Seite hatte. die ihm gezeigt hatten, wie man päpstliche Entscheidungen rückgängig macht. Der offizielle Geschichtsschreiber der lombardischen Kongregation Calvi erzählt nämlich, daß die Verbindung (sie!) zwischen der deutschen und seiner Kongre- gation ungefähr sechs Jahre lang Wirkungen her- vorgebracht hat, also ungefähr bis -1510/11. Merken wir uns vorläufig dieses Datum, weil es ziemlich genau den Zeitpunkt angibt zu dem die deutsche Kongregation sich

13 13 wieder unter das ,Joch* des Generals begeben hat. Qui si trattò e conchiuse (Vercelli 1505) "unione della Congre- gazione Sassonica d’ Andrea Proleá con la nostra di Lom- bardia benche solo per sei anni in circa se ne vedessero gl'effetti, stante la distanza, de’ climi e diversità di genii. (Calvi: Memorie etc. Mailand 1669 S. 182.)

Daß Staupitz bei seinen ehrgeizigen Plänen verharrte und auf Umwegen das wieder zu erreichen suchte, was der Papst zurückgenommen hatte, zeigt sein ganzes weiteres Verhalten. Kolde (S. 232) möchte, ohne eine Quelle zur Verfügung zu haben, annehmen, daß Staupitz 1507 nach Rom gekommen sei und der Wahl des Agidius von Viterbo auf dem Generalkapitel von Neapel am 23. Mai beigewohnt habe. Wie gesagt, beruft sich Kolde hierfür auf keine Quelle. Aber Besler, der Vertrauensmann und Vertreter von Staupitz in Rom, der damals in der Ewigen Stadt weilte und zwar bis zum Jahre 1509, schließt einen Besuch von Staupitz in Rom in diesem Jahre indirekt dadurch aus, dab er uns berichtet, Staupitz sei im Januar 1507 in Bologna, (wo gerade damals die Kurie war) gewesen und habe ihn dorthin kommen lassen um ihm Aufträge zugeben. Ware Staupitz nach Neapel gegangen, hatte Besler, der sonst über jedes Zusammentreffen mit ihm getreu berichtet, dieser Begegnung Erwähnung getan, und Staupitz wäre nicht nach Neapel gegangen ohne auf der Hin- oder Rückreise Rom zu berühren. Auch hätte er in diesem Falle Besler nicht nach Bologna kommen zu lassen brauchen, und endlich pflegten die Kongregationsvi- kare geradeindiesenJahren diesen General- kapiteln nicht beizuwohneao. (Siehe oben S. 7) Staupitz hatte auch ein zu böses Gewissen, um sich bei der Ordensleitung blieken zu lassen; trug er sich doch mit Plänen, die ihre Dilligung nieht finden konnten. Möglich wäre es schon gewesen, dab Staupitz, wenn er sich länger in Italien aufgehalten hätte, dem sogenannten General- kapitel der Lombarden beigewohnt hätte, aber so kurz nach der „Union“ konnte er unmöglich eine von der lombardischen verschiedene Marschroute einschlagen, und die führte nicht nach Neapel aufs Kapitel.

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Hatte sich Staupitz bisher direkt an die Kurie und an die Observanten gewandt, um sich vom General unabhängig zu machen, so versuchte er jetzt sein Glück auf anderem Wege. Er unterhandelte mit dem im August 1507 nach Deutschland als Legaten geschickten Kardinal Carvajal und schlug ihm eine neue Union seiner Kongregation mit den Konventualen der Provinz Sachsen vor. Jedes Mittel war ihm recht, wenn es ihn zu seinem Ziel führte. Er versuchte nämlich durch die von ihm beeinflußte Unions- urkunde, wie wir sehen werden, sich seine Machtstellung neuerdings garantieren zu lassen, ahnte aber in seinem blin- den Ehrgeiz nicht, daß er gerade damit sowohl den General wie seine Observanten herausfordern mußte.

Einige Historiker haben sich bemüht, auch bei dieser Gelegenheit den Reformeifer von Staupitz zu preisen. Man muß aber über Observanzfragan nicht gut unterrichtet sein, um in dem Staupitzschen Projekt keine Gefahr für die Observanz zu erblicken. Die Aggregation von 23 bez. 25 neuen Konventen, d. h. die Vereinigung von fast eben- sovielen Nichtobservanten mit den Observanten entsprach nicht dem Prinzip, aus dem sich die Observanten in Kon- gregationen abgesondert hatten. Wenn man ferner ge- pau zusieht, waren in dem Unionsdokument vom 15. De- zember 1507 keine ernsten Garantien fiir das Weiterbe- stehen der intakten Observanz gegeben. Es wurde darin wohl angeordnet, daß keine plötzliche (sic!) Vermischung von Brüdern aus der Kongregation mit denen aus der Pro- vinz stattfinden sollte, aber damit war abgesehen davon, daß „plötzlich“ hier ziemlichzusammenschrumpfen konnte die Vermischung im Prinzip bereits zugegeben, und wurde zudem noch besonders dadurch nahe gerückt, daß in demselben Satze indirekt zugestanden wurde, daß in der Provinz Sachsen genügend reformierte Konvente existierten, mit denen natürlich eine Vermischung keine Gefahr für die Observanz verbunden sein konnte, wenigstens im Sinne des Hintermannes dieses Dokumentes. Ebenso gewolltzwei- deutig ist der Satz über den Observantismus des Unions- leiters. Manche Forscher haben auf Grund einer flüchtigen Betrachtung des Textes geglaubt, daß dieser Leiter immer

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der Kongregation zu entnehmen sei, obne zu bedenken, daß die Sachsen doch niemals einer solchen Bedingung zu- gestimmt hätten! Das steht aber auch durchaus nicht im Text, der nur bestimmt, daß der Unionsleiter in der „regu- lären Observanz genährt sein müsse“ und nicht in „irgend einer Weise die Observanz geringgeschätzt haben dürfe“. Die Observanz der Kongregation wird aber unmittelbar darauf die peer herve Observanz“ genannt, während es später auch von den Sachsen heißt, daß sie in Zu- kunft ungestört in der „regulären Observanz* leben sollen. Am meisten mußten aber die Observanten sich da- durch abgestoßen fühlen, daß ihr Generalvikar ihnen durch das neue Unionsdekret eine neue Verfassung aufhalste, die ihm persönlich das Heft in die Hand gab. Da nämlich die Sachsen je zwei und die Observanten je zwei Diffini- toren bei der ständigen Regierung der Union stellen sollten, hätte der Unionsleiter dadurch, daß er von einer Gruppe zar anderen pendelte, stets die Entscheidung in seiner Hand gehabt, was Staupitz ja bezweckte. Daß sich in der Kongregation ein Widerstand gegen dieses Pro- jekt regte, ist begreiflich.

Noch mehr mußte sich die Ordensleitung in Rom gegen- dieses Projekt auflehnen, und es ist geradezu unbegreiflich daß neuere Forscher sich zu der Behauptung versteigen konnten, Staupitz habe mit dem General die Einzelheiten dieser Union durchgesprochen! Das Dokument erwähnt nämlich nicht ein einziges Mal irgendwie die Zustimmung des Generals, die doch als diejenige eines Hauptbeteiligten notwendig gewesen wäre. Wie konnte man ohne diese Zu- stimmung eine dem General zweifellos unmittelbar unterstellte Provinz, wie die Saxonia, mit einer privilegierten Kongregation vereinigen, besonders wenn dadurch, wie wir sehen werden, die Jurisdiktion des Generals empfindlich leiden mußte? Allerdings schreibt das Dokument mit niehtswürdiger Zweideutigkeit vor, daß sich der General- vikar unter keinem Vorwand der Obödienz des Generals entziehen, sondern ihn als Haupt des ganzen Ordens „ehren“ und „pflegen“, ibm die Kontributionen zahlen und ihm "wenn er Erlaubtes (!) befehle ehrerbistigst gehorchen

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solle. Welch eine raffinierte Frechheit! Man beachte, daß hier an dieser Stelle und auch sonstwo nirgends im Doku- ment auch nur mit einem Wort die Rede ist von der Ge- horsamspflicht und Untergebenheit aller anderen Unionsmitglieder, sondern nur von derjenigen des Unionsleiters, wahrend von den Unionsmitgliedern anderswo nur gefordert wird, daß sie „sub obedienta“ des Unions- leiters leben sollen. Damit wird indirekt die oben S. 5 von der Ordensleitung verworfene These aufgestellt, wonach der General nicht unmittelbarer Oberer der einzelnen Brüder ist und ihnen daher nur durch die Vermitt- lung des Unionsleiters befehlen kann, und zwar auch dann nur, wenn er Erlaubtes be- fiehlt. Welch eine Zweidentigkeit! Das kann nämlich heißen, daß der Unionleiter zu gehorchen gehalten ist, wenn der General nichts gegen die Gebote Gottes oder der Kirche befiehlt, aber es kann auch heißen, daß der General nichts gegen die Observanz der Konstitutionen und Privilegien der Union befehlen darf, und jedenfalls bleibt dem subjektiven Gewissen des Unionleiters die Befolgung der Befehle über- lassen (siehe oben S. 6).

Mißfallen mußte es ferner der Ordensleitung, daß ohne ihre Zustimmung die Bestätigung des Provinzials der Saxonia ihr durch dieses Dokument entzogen wurde, denn in Zukunft sollte der Provinzial dieser Provinz durch seine Wahl kraft apostolischer Autorität bestätigt sein und wohl auch sein Amt ausüben kraft derselben Autorität, da vom (General überhaupt keine Rede ist. Mißfallen mußte es end- lich auch der Ordensleitung, daß die Konstitutionen der Kongregation nun auch in der Provinz Saxonia ein- geführt werden sollten. Alle diese Anordnungen der Unions-

urkunde verstoßen nämlich gegen die obenerwähnten Punkte 1—4 des Ordensprogrammes! Bezeichnend ist es

auch für Staupitz, daß er durch den päpstlichen Legaten in diesem Dokument seiner Kongregation alle dureh Julius II. verliehenen Privilegien der Lombarden (exemptiones, immunitates,libertates etc.)nochmals „bestätigen“ läßt, ohne jedoch des oben besprochenen Widerrufes Er- wähnung zu tun. Der Text des Dokumentes ist offenbar

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von Staupitz oder von einem seiner Vertrauten stark beein- flußt worden, wenn er nicht in den interessierten Partieen von ihnen direkt hergestellt worden ist. So klingt beson- ders der Satz tiber die Konstitutionen, dort wo er von der „sinceritas Regulae“ redet und sagt, daß man das alles bei Seite lassen solle, was der Orden mehr duldet als be- fiehlt (dimissis eis quae potius Ordo tolerando patitur quam fieri iubeat) stark an die Einleitung zu den Staupitzkonstitutionen an. Daß jedoch der für dieses Schrift- stück verantwortliche Legat ein Haar in dieser ihm von Staupitz eingebroekten Suppe gefunden hat und sich durch vier Worte davor bewahrt hat, sie ganz auslöffeln zu müssen, ist bisher nicht beachtet worden. Er vollzieht nämlich die Aggregation nur: sine praeiudicio dieti Genera- lis! Durch diese Klausel wird auch ein vorheriger Konsens des Generals, den gewisse Forscher angenommen haben, ausgeschlossen.

Staupitz hat fast drei Jahre lang diese Urkunde, wenn man Hoehn (S. 141) glauben darf, nicht veröffentlicht. Er wollte offenbar den Boden für sie in der Kongregation, in Sachsen und eventuell auch in Rom beim General vorbe- reiten. Trotz seiner Nichtveréffentlichung konnte ein solches Dokument nieht geheim gehalten werden. Wie Bóhmer unter Berufung auf die Nürnberger Ratserlasse (S. 55) mit- teilt, wußte man schon 1508 in Nürnberg, daß eine Ver- fassungsänderung in der Kongregation bevorstehe, und der Rat entzog darauf den Augustinern das Trinkwasser und gewährte es ihnen auf Widerruf nur unter der Bedingung wieder, dab sie sich mit der Erlaubnis des Staupitz in Rom um den Bestand der Freiheiten ihres Klosters bemühten, Wir wissen zwar nichts über einen etwaigen Widerstand der Sachsen, aber der sächsische Provinzial konnte einer solchen Union, die für ihn einer Amtsabtretung an Staupitz gleiehkam, nieht zustimmen. Mit vollem Recht haben Kolde und Böhmer angenommen, daß der in der Urkunde erwähnte ciumütige Konsens der Sachsen von Staupitz nur vor- zegeben worden ist, denn man kann nieht gut annehmen, dab eine ganze Provinz, von der vorber zugegeben wird. daß manche ihrer Konvente noch reformbedürftig seien

Archiv für Reformationsgeschichte XVIII 1. o

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und zur Reform eventuell gezwungen werden könnten, ein- mütig den Wunsch nach einer solchen Union ausgesprochen habe, die im Grunde zur Abschaffung ihres Provinzialates und ihrer Selbständigkeit führen mußte. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß der durch die Unionsurkunde bloDge- stellte Provinzial, dem die Sache nicht verborgen bleiben konnte, nach Rom berichtete, um sich zu rechtfertigen. Stau- pitzens Plan war wiederum vereitelt worden!

Bevor wir nun die weitere Haltung von Staupitz schil- dern, müssen wir eine Untersuchung über gewisse Quellen anstellen, die die modernen Forscher bisher gutgläubig über- nommen und benutzt haben, ohne irgendwie ein Bedenken zu äußern. Ich meine damit die Regesten aus den Generalregistern des Augustinerordens. Diese Regesten (siehe Böhmer S. 25 ff.) sind in zweifacher Form auf uns gekommen. Die einen sind Fragmente des „Manual- registers“ des Agidius von Viterbo aus den Jahren 1508 bis 1509, 1512—1513 und befinden sich heute noch im General- archiv des Ordens, die anderen dagegen sind uns nur durch zwei späte Abschriften, von denen die eine, verschiedene Jahre umfassend, in München liegt und die andere, die Jahre 1510—1513 betreffend, heute in Berlin auf der Staats- bibliothek sich befindet, überliefert worden.

Über die Paläographie dieses vorgeblichen Manualregisters, die Hände oder die Hand, den Ductus und Charakter der einzelnen Eintragungen im Vergleich zu den vorhergehenden und folgenden, sagt uns sogar Böhmer weiter nichts, obschon dieses zur kritischen Würdigung dieser Quelle sehr not- wendig gewesen wäre. Wenn wir es nämlich mit Eintra- gungen zu tun hätten, die sofort, von Fallzu Fall, und an der Hand der Urdokumente, so lange diese noch nicht abgeschickt waren, sorgfältig ausgezogen und eingetragen worden wären, dann hätten wir eine Quelle ersten Ranges vor uns. Anders würde die Sache sich verhalten, wenn diese Eintragungen erst nach geraumer Zeit, auf Grund von flüchtigen Notizen und nicht auf Grund der bereits abgesandten Urdokumente, haufenweise, hintereinander eingetragen worden wären. Was ist nun in Wirklichkeit geschehen? Keinem Forscher

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ist es bisher in den Sinn gekommen, dieser Frage nach- zugehen.

Zuerst habe ich meine Bedenken bezüglich der Jahres- daten dieser Regesten.

Unter dem 5. Juli 1508 (Böhmer S. 27) wird dem Provinzial der Kölner Provinz aufgetragen, den Observanten, die den Kölner Konvent angenommen hatten, zu befehlen, unter Androhung der „excommunicatiolatae sententiae“, ihn innerhalb zebn Tagen zu verlassen. Nun ist aber das Schreiben des Kölner Rates an Staupitz, in dem dieser gebeten wird, den Kölner Konvent zu übernehmen und zu reformieren, vom 27. Januar 1509 und nicht 1508, und wir wissen aus einer anderen Quelle, daß Staupitz den Konvent nach Pfingsten 1509 persönlich übernommen hat (vgl. Kolde S. 236). Die von Kolde angerufenen Urkunden dürften über die Jahres- zahl keinen Zweifel lassen. Ferner: Die Regesten melden unter demselben Jahre 1508 (Böhmer S. 27) am 28. Oktober: Bruder Siegfried von Speier wird als Provinzial der Rhein- ischen Provinz bestätigt unter der Bedingung, daß er die Provinz reformiert und die Akten des (Provinzial)-Kapitels einschickt. Nun wissen wir aber durch Höhn (Chrono- logia Provinciae Rheno Suevicae Würzburg 1774 S. 140.) daß Sigfridus Caleiator von Speyer auf dem Provinzial- Kapitel von Hagenau wiedergewählt worden ist, das aber nicht 1508 sondern 1509 stattgefunden hat. Drittens: Zum 25. Mai 1509 bemerkt unser Regest (Böhmer S. 29): Hor- tamur Fratres Congregationis Alemaniae ad pacem et chari- tatem mandamusque ut dum Vicarius et Romae nihil innovetur. Böhmer S. 29, Anm. 1 bemerkt dazu: Also beabsichtigte Staupitz wohl schon im Friihjahr 1509 nach Rom zu gehen. Wenn Staupitz erst nach Rom hätte reisen wollen, dann hätte es doch, streng genommen, heißen müssen: dum erit Romae. Dagegen verlangt der strenge Wortlaut dum est Romae, daß Staupitz bereits an diesem 25. Mai sich in Rom befand. Das war aber ganz genau 1510 der Fall Er wurde nämlich 1510 Anfang Mai, wie wir unten sehen werden, erwartet und war am 26. Juni noch immer in der Nähe von Rom in Soriano bei Viterbo. Wäre Stau- pitz bei der Abfertigung dieses Schreibens in Deutschland

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gewesen und das war 1509 der Fall dann wäre das Schriftstück auch an ihn als den Oberen gerichtet worden, während seine vollständige Außerachtlassung dafür spricht, daß er nicht dort war. Wenn ferner im Monat Mai 1509 der Gerneral ein Schreiben dieser Art nach Deutschland zu befördern gehabt hätte, würde er sich der beiden Vertrauens- leute von Staupitz bedient haben, die aber bereits am 9. Mai die ewige Stadt verlassen haben (siehe weiter unten S. 21). Auffällig ist es auch, daß der Befehl an Staupitz vom 30. Juli 1509, seine Leute aus den Provinzen zurück- zurufen, und der Befehl an die Provinziale vom Rhein und von Bayern, sie nicht aufzunehmen oder richtiger gesagt, nieht zurückzubehalten, von Calciator,. wie Höhn S. 140 be- richtet, bereits dureh Dekret 1508 ausgeführt worden war.

Zweitens bestehen Bedenken bezüglich der sachlichen Genauigkeit bei den Eintragungen. So heißt es unter dem 35. Juni 1509: Confirmamus (sie!) in Vicarium Congrega- tionis Alemaniae et Provincialem Rheni (sic!) Magi- strum Johannem Staupitz. Lassen wir vorläufig bei Seite, dab Staupitz, wie wir sehen werden, am 26. Juni, aber nieht 1509 sondern 1510 zum Generalvikar der Kongregation und Provinzial von Sachsen „dezerniert” worden ist, und achten wir jetzt nur auf die Textungenauigkeiten. Wie konnte Staupitz 1509 vom General als Vikar seiner Kon- gregation ,konfirmiert^ werden, da doch diese Vikare kraft Apostolischer Autorität durch die Proklamation ihrer Wahl konfirmiert waren, wie aus den Staupitzkonstitutionen klar hervorgeht. Noch weniger konnte Staupitz 1509 zum Provinzial von Rhein und Schwaben „konfirmiert“ werden, da er nachweislich niemals zu diesem Provinzialat gewählt oder auch nur ernannt worden ist, da Calciator von 1503—1514 ununterbrochen Provinzial geblieben ist. (Höhn S. 137) Unter dem 29. Januar 1513 wird dann Staupitz sogar als ,Vikar“ von Rhein uud Schwaben be- zeichnet! Ebenso wird von Staupitz unter dem 14. Juni 1510 behauptet: Magister Johannes Staupitz Vicarius iterum (sic!) creatur tam Congregationis tam Saxonum, wihrend wir doch aus der erhaltenen Bestallungsurkunde wissen, daB er am 26. Juni nicht zum Vikar, sondern zum

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zum Provinzial der Sachsen bestimmt worden ist und zwar nicht „iterum“ sondern zum ersten Mal (siehe weiter unten S. 23). Das möge genügen, um zu zeigen, daß bei den Eintragungen der Inhalt der Urkunden sehr flüchtig be- achtet worden ist. | Welche Schritte Staupitz unternommen hat, nachdem sein Unionsplan sowohl dureh den Widerstand eines Teiles der Observanz als auch dureh denjenigen des Generals und der Sachsen ins Stocken gekommen war, entzieht sich eine Zeit lang unserer Nachforschung. Anfang 1510 trifft einer seiner Vertanensleute, der Mtinchener Prior Georg Mayr, in Rom ein. Uber seine Mission schweigt sich Besler, der uns die Nachricht gibt, vollstindig aus. Vielleicht sollte Mayr zuerst versuchen, die Lombarden, die ja die Interessen der deutschen Kongregation jetzt an der Kurie zu vertreten hatten, für Stauqitz Plan zu gewinnen. Aller Voraussicht nach mußten jedoch die Lombarden gegen eine solche Ver- mischung von Observanten mit Konventualen eingenommen sein. Hat natürlich alsdann Mayr die Politik bereits einge- leitet, die wir Staupitz im nächsten Jahre treiben sehen ? Hat Mayr versucht, wieder mit dem General anzubändeln? Wenn der General wirklich was ich allerdings, wie gesagt, aus versehiedenen Gründen nicht an- nehmen kann bereits im Mai 1509 mit dem Hinweis auf die Reise von Staupitz, die deutschen Observanten zum . Frieden ermahnt hätte, dann würde ich mit Sicherheit an- nehmen, daß Mayr beim General einen Fühler ausgestreckt habe. So können wir nur mit Sicherheit feststellen, daß nicht nur Mayr, sondern auch Besler am 5. Mai 1509 aus Rom abgereißt ist (Vita Bésleri a. a. O.) so daß die deutsche Kongregation keinen Vertreter mehr bei den Lombarden hatte. Bedeutete das schon den Bruch mit den Lombarden oder bereitete es ihn nur vor? Sicher wissen wir auch, daß Staupitz Anfang Mai 1510 in Rom eintraf. Das äußerst wichtige Regest über diese Ankunft ist aber bis jetzt, was eine darin erwähnte Einzelheit betrifft, von der Forschung nicht gebührend beachtet worden. Unter dem 1, Mai 1510 heißt es in der Berliner Abschrift aus dem sogenannten Manualregister: Germanicae Congregationis Vica-

32 22 rius Romam se confert Congregationis colla Reli- gionis jugo subieeturus. Sehr deutlich wird also mit diesen Worten gesagt, daß Staupitz seine Kongregation wieder, soweit es an ihm lag, der Ordenszentralleitung unterstellte Das Schisma, von dem wir oben gesprochen haben, hätte damit aufhören sollen. Auf welche Privilegien und Exemptionen Staupitz verziehtet hat, wissen wir leider nicht genau, aber auf Grund des eingangs erwähnten Ordens- programmes und der weiter unten noch näher anzuführenden Dokumente können wir sie folgendermaßen charakterisieren: Anerkennung des Generals und seiner vollen Konstitutions- gewalt über den Vikar und die einzelnen Kongregationsmit- glieder wie sie oben S. 5 gefordert wurde, wie sie Leo X in dem weiter unten zu erwähnenden Schreiben fordern wird (siehe S. 31), und wie sie der General in den Regesten von den Renitenten fordern wird, nämlich vollen Gehorsam gegenüber dem Orden und seinem Leiter. Ferner: Anerkennung der Generalkapitel und Verpflichtung der Kongregation, sich darauf vertreten zu lassen und deren Befehlen nachzukommen, endlich Verzieht auf einen beson- deren Ordensprokurator in Rom. Wenigstens diese Zu- geständnisse wird Staupitz gemacht haben.

Für die Ordenszentralleitung war das ein großer Erfolg und ihn muß man vor Augen haben, wenn man begreifen will, warum der General dafür im Rahmen seines Programmes Staupitz große Gegenzugeständnisse machte und sie mit seiner ganzen Autorität gegen die Observanten durchdriicken wollte.

Warum Staupitz wieder unter das „Joch“ des Ordens- generals kroch, ist nicht schwer za begreifen. Für nichts hat er dieses Opfer nicht gebracht. Durch die Memminger Unionsurkunde hatte Staupitz nieht nur den Widerstand eines Teiles der Observanz, der Sachsen und des Generals hervor- gerufen, sondern sich auch stark blamiert. Um sich zu retten, verschacherte er wieder die Unabhängigkeit seiner Kongregation an den General unter der Bedingung, daß der General ihn dazu mache wozu die Unionsbulle ihn vergeblich zu machen gesucht hatte, nämlich zum Provinzial vcn Sachsen.

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Das Bestallungsschreiben ist uns noch zum größten Teil erhalten. Es ist datiert aus Soriano bei Viterbo vom 26. Juni 1510 (Höhn S. 154). Auf die einleitenden Freund- liehkeitsfloskeln ist kein großer Wert zu legen. Staupitz wird darin gerühmt, daß er um „Alles“ (Was?) zu ordnen und zu schlichten den unbequemen Weg nach Rom nicht ge- scheut habe und dort eine sehr große Bereitwilligkeit gezeigt habe, alles zu tun, was zum Frieden und zur Ruhe aller führen könne, Damit er diese Aufgabe um so leichter lösen könne, ernennt ihn der General zum Provinzial von Sachsen und zwar in folgender Form:... per has litteras nostras te Provincialem Saxoniae et Vicarium Con- gregationis Alemaniae decernimus, declarantes te potiri utraque auetoritate ac potestate sicut hactenus tam Pro- vincialis praedictae Provinciae quam Vicarius praedictae Congregationis potiti sunt ..... mandantes omnibus tam Provinciae quam Congregationis eiusdem Patribus ac Fratribus sub poena rebellionis ac privationis activae et passivae vocis in perpetuum ut (cie) iis omnibus quae tibi ad pacem quietem salutem et religionis honorem pertinere videbuntur, tan quam personae nostrae oboediant ... Man beachte, wie hier der General Staupitz nicht zum Vikar „ernennt“, sondern nur „bestimmt“, daß er Provinzial von Sachsen und Vikar sei. Durch diese juristische Feinheit maßt sich der General nicht das Recht an den Vikar ernennen zu können. Er bestimmt nur, daß Staupitz Provinzial und Vikar sein soll; woher er Vikar ist, bleibt dahingestellt. Man vergleiche mit dieser feinen juristischen Schattierung die klotzige Aus- drucksweise der Regesten, die den General Staupitz bald zum Vikar „kreieren“ lassen, bald ihn als Vikar „be- stätigen“ lassen, beides Ausdrücke, die einer Heraus- forderung der Observanten gleichgekommen wären, weil sie direkt gegen Kap. 32 ihrer Konstitutionen verstoßen, wonach die Wahl des Generalvikars ihnen zusteht und keiner anderen Konfirmation bedarf. Man beachte ferner, daß Staupitz „durch diesesSchreiben“ zum Provinzial und Vikar bestimmt wird. Wenn er es vorher schon gewesen wäre, würde das hier in irgend einer Weise zum Ausdruck gekommen sein. Wir können daher

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auch aus diesem Grunde die oben erwähnten Regesten fallen lassen. Wenn ferner Staupitz zu derselben Zeit auch noch Provinzial oder gar Vikar von Rhein und Sehwaben gewesen wäre, dann hätte doch der General hier dieser Eigenschaft irgendwie gleichfalls Erwähnung getan, weil sie sonst dadurch hätte verfallen können. Bezüglich der Voll- machten, die Staupitz durch die Bestallungsurkunde des Generals gewährt werden, kann ich nicht umhin der Meinung Ausdruck zu geben, daß eine gewollte Zweideutig- keit in ihrer Formulierung herrscht. Anscheinend werden nur die Vollmachten des Provinzials (in der Provinz?) und die Vollmachten des Vikars (in der Kongregation?) und zwar immer nur die bisherigen Vollmachten in der Person von Staupitz vereinigt ohne vermischt zu werden. So könnte man den betreffenden Passus der Urkunde auslegen, wenn der darauffolgende Satz nicht wäre, in dem Staupitz soweit Ruhe, Frieden, Heil und Ehre des Ordens in Frage kommen, die Vollmachten des Generals übertragen werden oder doch wenigstens sowohl von den Vikarianern wie von den Provinzlern verlangt wird, daß sie ihm wie dem General in Person gehorchen müssen: tamquam personae nostrae- Angesichts einer solchen Formel war nun doch der Verdacht am Platze, dab Staupitz auf Grund dieser Vollmacht Ver- setzungen aus dem Vikariat in die Provinz und aus der Provinz ins Vikariat, hätte vornehmen können, was gegen die Privilegien der Observanten verstieß (siehe S. 4). Be- sonders mußte die vom General gebrauchte Formel bei den Observanten anstoßen, weil sie, wenn auch nur indirekt. aber dennoch ziemlich deutlich dartut, daß der General un- mittelbarer Oberer aller Brüder, der Provinzler wie der Vikarianer ist und daß die Provinzoberen, mögen sie nun Provinziale oder Kongregationsvikare sein, ihre Gewalt vom General und nieht direkt vom Papste haben. Welch eine Tragikomódie, dab derselbe Staupitz, der aus Ehrgeiz dieses Prinzip jahre- . lang bekämpft hatte, nun wiederum aus Ehrgeiz sieh zum Instrument des Generals hergibt, um es gerade dort durch- zuführen, wo er es bekämpft hatte! Noch in der Memminger

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Unionsurkunde hatte Staupitz dieses Prinzip, wie wir S. 15/16 gesehen haben, wegzudeuten gesucht!

Dieses berüchtigte Dokument wird übrigens in der Be- stallungsurkunde des Generals mit keinem Wort erwähnt. Im Gegensatz zu ihm behält der General die fünf süd- deutschen Konvente, um die sich die Kongregation und die rheinsehwübische Provinz stritten, und die das Memminger Instrument in die neue Organisation einbezogen hatte, vor- läufig sich selbst vor. |

Wann Staupitz Jtalien verlassen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Am 30. September muß er aber wieder in Deutsch- land gewesen sein, denn unter diesem Datam des Jahres 1510 veröffentlichte er von Wittenberg aus (naeh Höhn a. a. O. S. 141) die Unionsbulle von Memmingen und wie ich ais selbstverstindlich annehme, die Bestallungsurkunde des Generals,

Zweck und Tragweite der Veröffentlichung des Memminger Dokumentes sind leider von den Forschern bis- her stark verkannt worden. Man hat die Sache so dar- stellen wollen, als hätte sich Staupitz damit auf das ganze Dokument berufen wollen, um eine Union mit den Sachsen nach dem Wortlaut dieser Memminger Ur- kunde herzustellen. Das ist aber schon aus Rechtsgründen ausgeschlossen gewesen! Wir haben oben gezeigt, daß eine solehe Union der Ordensleitung widerstreben mußte und daß diese Union in dem genannten Dokument nur vorze- nommen wurde unter Wahrung der Rechte des Generals. Wir haben ferner gezeigt, daß Staupitz aus der Hand der Ordensleitung eine ganz andere Art Union mit den Sachsen ange- nommen hat als sie die Memminger Urkunde vorsah. In ihren Hauptbestimmungen widersprechen sich nämlich die beiden Unionsprojekte. Durch die Annahme eines „wider- sprechenden“ Projektes verzichtete aber Staupitz. gemäß dea Bestimmungen über die Privilegien rechtlich auf den Unionsteil der Memminger Urkunde, so daß er sich nicht mehr darauf berufen konnte.

Trotzdem war es angebracht, das Memminger Privileg zu veröffentlichen. Bei solchen Urkunden kann nämlich der

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eine Teil ungültig werden unbeschadet der anderen Teile So war es auch hier der Fall. Durch den Verzicht auf den Unionsteil verlor der erste Teil der Urkunde, der eine neue Aufzählung und neue Bestätigung aller Privi- legien der Kongregation enthielt, keineswegs seine Gültigkeit. Staupitz konnte also sehr gut, wahrscheinlich gedrängt durch die Observanz, dieses Memminger Privileg zugleich mit der Bestallungsurkunde des Generals veröffentlichen, weil alsdann für keinen Rechtskenner eine Konfusion zu befürchten war. Nur wäre es jetzt ein großer Fehler, wenn man Luther und seine Freundegegen Windmühlen,dasheißtgegen den UnionsteilderMemminger Urkunde statt gzegendasBestallungssehreiben des Generals und die Preisgabe verschiedener Kongre- g£ationsprivilegien dureh Staupitz kämpfen ließe. Die Opposition in Observantenkreisen gegen das Memminger Unionsprojekt hatte zwar bestanden, war aber nun, nachdem dieses aufgegeben worden war und einem anderen Platz gemacht hatte, abgelöst worden durch die neue Opposition gegen das neue vom General gebilligte Projekt des Staupitz und den damit verbundenen Privilegien- verzicht. DaB es sich um dieses neue Projekt handelt, geht auch daraus hervor, daß, wie wir aus den Akten des Streites erkennen können, der General auf Seiten von Staupitz gegen die Renitenten stand. Für die Memminger Union hätte aber der General niemals eintreten kónnen, wie wir oben gezeigt haben.

Sieben Konvente der Observanz, darunter auch der Erfurter und der Nürnberger erhoben sich gegen diese An- ordnung des Generals. Innerhalb von zehn Tagen nach Zustellung des Dokumentes mußten die Apellanten, da der ,iudex a quo^, nümlieh der General nicht zu erreichen war, ihre ,apellatio extra iudicialis“ Öffentlich bekanntgeben oder die Reise nach Rom antreten. Martin Luther war einer der beiden Abgesandten. Bevor jedoch Luther die Romreise antrat, begab er sich nach Halle zusammen mit dem Magister Nathin, um vom dortigen Domprobst Adolf von Anhalt eine Empfehlung an den Erzbisehof von Magdeburg zu erhalten. War doeh der Magdeburger Erzbischof nieht nur

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durch die Memminger Urkunde zum Exekutor aller ihrer einzelnen Teile, also auch der darin enthaltenen Bestätigung der Kongregationsprivilegien bestellt worden, sondern auch durch Papst Julius I. (siehe oben S. 10) zum Exekutor der Bulle, die der Kongregationdie Privilegien der Lombarden gewährte, er-- nannt worden. Die sieben Konvente sahen also offenbar in der Anordnung des Generals einen Eingriff in die Privi- legien ihrer Kongregation. Jedenfalls noch im Oktober wird Luther alsdann nach Rom aufgebrochen sein, wo die lombardische Kongregation ihm gegen Staupitz und den General beigestanden haben wird. Aus einem Regest des ,Manualregisters^ vom 1). Januar 1511 wissen wir, dab diese Apellation „verboten“ wurde. Es heißt nämlich darin, daß: Appellare ex legibus Germani prohibentur. Böhmer (S. 57) hat das auf die Klausel „appellatione post- posita^ in der Memminger Urkunde beziehen wollen. Eine solehe Klausel hätte aber erstens nicht jede, sondern höchstens eine „appellatio frivola“ unmöglich gemacht, und zweitens handelte es sich in unserem Falle nicht um eine Appellation gegen die Memminger Urkunde, sondern gegen die Generalsurkunde und den damit zusammen- hängenden Privilegienverzicht durch Staupitz. Aus welchem Grunde wurde aber die Appellation „verboten“? Welche „leges“ haben dabei die „Germani“ außer Acht gelassen? Da wenigstens für die „sieben Konvente“ die Union mit den Lombarden noch andauerte, wird sich Luther nicht an den allgemeinen Ordensprokurator, sondern an den speziellen Prokurator der Lombarden gewandt haben, und der wird die Angelegenheit auf Grund ihrer gemeinsamen Privilegien zu denen auch (siehe Höhn S. 139) das direkte Rekurs- recht an den Papst gehörte, dem sie ja auch unmittelbar unterstanden, betrieben haben. Nach den allgemeinen Vorschriften hätten dagegen die Deutschen zuerst die Apell- ationserlaubnis beim „judex a quo“ d. h. beim General nachsuchen müssen und dann hätten sie an den ,judex ad quem“ aber „gradatim“ ohne Überspringung einer Instanz, herantreten müssen. In unserem Falle wäre das aber noch nicht der Papst gewesen sondern der Kardinalprotektor des

28 28 Ordens! Sollte sich also, wie man mit ziemlicher Sicherheit annehmen kann, der lombardische Prokurator direkt auf Grund der Privilegien an den Papst gewandt haben, obschon Julius ll wie wir oben S. 12 gesehen haben erklürt hatte, daß die deutsche Kongregation dem General so untertan sein müsse als sei die Mitteilung der lombar- dischen Privilegien dureh ihn niemals er- folgt, dann hatte der General Grund genug gehabt, Ein- spruch gegen die Apellation zn erheben. Daß es wirklich der General gewesen ist, der Einspruch gegen die Appellation erhoben hat, geht auch aus dem Umstand her- vor, daß der Nürnberger Magistrat, wie wir bald sehen werden, sich an den General wenden wird mit der Bitte, den Appellanten den Rechtsweg nicht zu ver- sperren. Nur drei Jahre später erleben wir einen ähn- lichen Fall. Im Jahre 1514 befiehlt ein Kommissar des Generals dem Generalvikar der Kongregation von lliceto (Leeeeto) das Kloster von Viterbo zu räumen. Der General- vikar erklärt diesen Befehl für null und nichtig und appelliert direkt an den Papst. Der Magistrat von Viterbo schreibt daraufhin einen sehr ernsten Brief an den Ordensgeneral Aegidius zu Gunsten dieser Appellation. (Landucci A, Sacra Ilicetana Silva, Siena 1653. S. 61)

Luther kehrte im Frühjahr 1511 nach Deutschland zu- riick. Sehr wahrseheinlieh wird der General in seinen Gesprächen mit ihm denselben Standpunkt vertreten haben, den er zu derselben Zeit als Luther noeh in Rom war, nämlich Januar 1511 (Berl. Regestabschrft.) nach Deutschland durch den Abgesandten des Staupitz übermitteln lied, näm- lich, daß die deutsche Angelegenheit zwar in Liebe aber unter Achtung des vollen Gehorsams zu erledigen sei. Das nennt man suaviter in modo sed fortiter in re. Auf Luther muß das großen Eindruck gemacht haben. Er kehrte aus Rom als ein anderer zurück.

Es hatte sich in ihm eine Anderung insofern vollzogen, als er sich von nun an, wie das auch bei einem Skrupulanten leicht begreiflich ist, auf die Seite der Autoritát stellte, weil dadurch sein infolge des bitteren Streites geängstigtes Gewissen

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auch eine äußere Sicherheit einen äußeren Halt erhielt und da die oberste Autorität im Orden für Staupitz war, so entschied auch er sich für Staupitz. Die sieben Konvente, die ihn nach Rom geschickt hatten, verharrten in ihrer Opposition und schickten bereits im April 1511 eine neue Gesandschaft nach Rom, wie aus einem Schreiben des Nürnberger Magistrates vom 2. April dieses Jahres hervorgeht. (Vgl. Böhmer S. 166.) Die neuen Abgesandten sollten sich zuerst an den General wenden und (wenn er es gestatte) mitihm die Angelegenheit diskutieren. Jedenfalls sollte der General den Apellanten nicht den Rechtsweg ver- sperren. Aus diesem Briefe ist ersichtlich, woran die erste Gesandschaft mit ihrem Appell gescheitert ist, nämlich am Widerstand des Generals. Die zweite Gesandtschait konnte keinen besseren Erfolg als die erste haben, weil der General, wie wir aus der Berliner Regestabschrift ersehen, bereits am 11. Januar, als Luther noch in Rom war, ent- schlossen war den „vollen Gehorsam“ (integra oboedientia) durchzusetzen. Er bestand auch noch im März auf diesem Standpunkt und wandte sich an den Kaiser, damit dieser die Renitenten dazu bringe, dem Orden und seinem Leiter zu gehorchen. Die zweite Gesandt- schaft hat also noch weniger erreichen können als die erste, weil es dem General darauf ankam, die Absplitterung vom Ordenszentrum energisch zu bekämpfen. Im Hochsommer 1511 fand in Jena eine nene Versammlung zwischen den streitenden Parteien statt, über deren Verlauf wir einigermaßen durch einen Brief des Nürnberger Magistrats vom 19. September unterrichtet sind. Die sieben Konvente bebielten sich vor, die Vorschläge von Jena ihren einzelnen Kommunitäten zu unterbreiten und innerhalb zweier Monate eine Antwort darauf zu geben. Die Vorschläge waren schriftlich gegeben worden, ibr Inhalt jedoch ist uns aus der Antwort des genannten Magistrats an Staupitz nur an- nühernd bekannt. Erstens will der Nürnberger Magistrat dab ,in keinerlei Weise* der Nürnberger Konvent einem Provinzial von Sachsen unterstellt werde. Danach müssen verschiedene Weisen einer Unterstellung

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unter den Provinzial von Sachsen zur Sprache gekommen sein. Was die Nürnberger dann weiter vorbringen, geht gegen die vom General befohlene Union. So wird auf Grund der Privilegien gegen die Unterstellung von Observanten unter Obere, die der Observanz nicht an- gehören, protestiert, was nämlich geschehen wäre durch Versetzungen aus der Kongregation in die Provinz. (Siehe oben S. 24.) Zweitens protestieren die Nürnberger ebenso energisch gegen die Befehlsgewaltdes Generals (siehe oben S. 9). In hom war man entschlossen nicht nachzugeben, und der General soll sogar am 1. Oktober Staupitz beauftragt haben, die Widerspenstigen zu exkommunizieren. (Vgl. Böhmer S. 166.) Nun scheint aber Staupitz nachgegeben zu haben. Der Vorschlag des Generals, durch ein Observantenkapitel die Frage lösen zu lassen, wurde angenommen unter der Bedin- gung, daß dieses Kapitel gemäß den Privi- legien derKongregation tagen würde, zu denen wahrscheinlich auch der Anspruch gehörte, daß dieses Kapitel vom General nicht gutgeheißen zu werden brauchte. Dieses Kapitel fand im Mai 1512 in Köln statt, nachdem Staupitz durch Johann von Mecheln mit dem General über die Lösung unterhandelt hatte. Wir wissen nichts näheres über die Beschlüsse dieses Kapitels, aber angesichts der Folgen, die es gehabt hat, stehen folgende Punkte für uns fest: Staupitz muß auf alle seine Unions- projekte verzichtet haben, denn von ihnen ist nicht mehr die Rede. Er wurde daher zum Vikar wiedergewählt. Er muß aber auch die Zugeständnisse an den General teilweise zurückgenommen haben, wie wir aus einer bald zu zitierenden Äußerung des Generals Gabriel Venetus sehen werden Meiner Ansicht nach gab Staupitz klein bei und kehrte zum „status quo ante“ zurück, d.h. zur Lage der Kongregation, wie er sie vor seinen Unionsprojekten vorgefunden hatte. Wenn nämlich die Kongregation unter dem „Joch“ des Generals geblieben wäre, hätte Gabriel Venetus nicht am 25. August 1518 an den Provinzial von Sachsen schreiben kónnen: Cum vero is de Congregatione illa sit, quae ab

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oboedientia nostra se exemptam putat. Damals also behauptete die Kongregation noch vom Generai exempt zu sein!!! Staupitz wird 1512 vor dem Kólner Kapitel den General überzeugt haben, dab sie beide nachgeben und sich mit der Hoffnung einer Besserung in der Zukunft begnügen muften . . |

Was Luther nach seiner Rückkehr aus Rom im Früh- Jahr 1511 während dieser Wirren gemacht hat, wissen wir leider nicht. Er wurde nach Wittenberg versetzt und seine Erfurter nahmen ihm noch im Herbst 1512, also noch mehr als ein Jahr später, seine Stellung im Observantenstreit so übel, dab sie ihm wie bekannt Schikanen bei seiner Doktorpromotion in Wittenberg zu machen suchten und sich bei der Feier nicht vertreten ließen. Das dürfte auch ein Beweis dafür sein, daß sie über den Ausgang des Streites nicht ganz zufrieden gewesen sind. Luthers Stellung zu den Observanten hat seitdem keine Änderung mehr erfahren. Auf die kleinen Heiligen ist er niemals mehr gut zu sprechen gewesen.

Gegenüber den anderen Kongregationen hatte die Ordensleitung keinen leichteren Stand. Beständig suchten jedoch die Generäle durch Inanspruchnahme der Hilfe des Papstes die Wiederspenstigen zu zähmen. So erwirkte Aegidius von Viterbo am 10. Juni 1513 ein Schreiben Leo X., in dem dieser dem General apostolische Vollmacht über den ganzen Orden und auch über die Kongre- gationen erteilt. Die Bestimmungen des General- kapitels von Neapel, auf dem Agidius gewählt wurde, sollen, wie auch seine eigenen Erlasse, im ganzen Orden befolgt werden, auch von der Kongregation des AndreasProles, der Spanischen, derjenigen von Lecceto, derjenigen der Lombardei, von Monte Ortona, von Perugia Genua und Carbonaria. Der ganze Orden müsse ihm plene, simplieiter, in omnibus et per omnia untertan sein. Das ist nun doch ein anderer Gehorsam, ale ihn das Memminger Instrument vorsah und eine offene und klare Verurteilung des „licita praeeipienti“. Ferner gewährte Leo X. unter dem 10. Juni 1515 dem General, daß alle „Impetrationes“ gegen die Rechte und Kon-

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stitutionen des Ordens ohne Zustimmung des Generals null und nichtig seien.

Trotzdem gaben die Kongregationen den Kampf nicht für verloren. Am 30. Januar 1551 suchte Julius IIL wieder energisch einzugreifen und verordnete: Der Eremitenorden umfaßt Konventuale und Observanten, die alle dem General zum Gehorsam verpflichtet sind. Die Konstitutionen des Gesamtordens, die in Rom 1543 und in Recanati 1547 gut- geheißen wurden, sind allein und ausschließlich von allen im ganzen Orden als Konstitutionen zu be- betrachten. Die Beschlüsse der Observantenkapitel dürfen nicht als Konstitutionen bezeichnet werden, sondern nur noch als Definitionen. Die Definitionen der Observanten, die Wahl ihrer Vikare, die Akten ihrer Kongregationskapitel haben nur insofern Gültigkeit, als sie vom General gutgeheißen sind. Diese Gutheißung muß innerhalb eines Monates nachgesucht werden und der General muß sie nach Eintreffen des Gesuches innerhalb von zehn Tagen erteilen oder verweigern. Im Weigerungsfalle hat er die Gründe anzugeben. Den Abgewiesenen steht das Rekurs- recht an den Papst oder an den Kardinalprotektor zu. So- lange der General einem Kongregationsvikar die Bestätigung nicht erteilt hat, kann der Vorgänger weiter amtieren. Unter Strafe des Bannes darf sich kein Kongregationsvikar kurz General nennen, sondern nur Vikar der Kongregation so und so. Keine Kongregation darf ihre Kapitel General- kapitel nennen. Die Pflicht, auf den Geueralkapiteln zu erscheinen, gilt auch für die observanten Kongregationen .. . Hierob erhoben die Lombarden sie stehen immer an de: Spitze der Unabhängigkeitsbewegung derartigen Wider- stand, daß bereits am 27. Februar desselben Jahres die Vertreter des Generals, der damals Seripandus war, eine Vergleichsurkunde unterzeichneten, in der sie den Lombarden eine Reihe Konzessionen machen mußten.

Für die Charakteristik der Observaptenbewegung im Augustiner-Orden, nümiieh für ihre Exemptions- und Privi- legiensucht gegenüber dem General, genügen die vorge- brachten Dokumente und Tatsachen, Es erübrigt uns nur noch an der Hand dieser Charakteristik den Charakter und

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die Haltung Luthers in diesen Kämpfen näher zu würdigen. Über Staupitz wollen wir kein Wort weiter verlieren. Sein ehrgeiziger aber schwacher Charakter ist uns genügend durch seine Bestrebungen geschildert worden. Hätte er gegen Ende seines Lebens nicht einen Helfer und rück- sichtslosen Machtmenschen wie Kardinal Lang gefunden, er wäre niemals Benediktinerabt von S. Peter in Salzburg ge- worden. Es ist aber bezeichnend für Staupitz, daß er sich zu einer solchen „Wahl“ hergegeben hat!

Anders liegt die Sache bei Luther. Während Staupitz seinen Ehrgeiz zu befriedigen suchte, sehen wir Luther aus diesem Kampfe mit einer verstärkten Hochachtung vor der Autorität hervorgehen. Manche seiner Mitbrüder mögen bei diesem Streit ihre Achtung vor der geistlichen Obrigkeit verloren haben. Bei ihm jedoch ging sie erneut und gestärkt hervor, und das ist für mich der beste Beweis für die bona fides und die Ehrlichkeit, mit denen er diesen Kampf geführt hat. Wenn wir jetzt noch einmal uns die eingangs an- geführten Stellen Luthers über die Observanten ansehen, werden wir sie in einem ganz neuen Lichte betrachten können. Vergessen wir dabei nicht, daß sie gefallen sind, zwar zwei oder drei Jahre nach dem heftigen Streit, aber dennoch zu einer Zeit, als die Bestrebungen, gegen die sie sich richten und vor denen sie warnen sollen, in Deutsch. land noeh existierten, wenn sie auch dort nicht voll zum Durchbruch kommen konnten, wie in Italien. Luther hätte pflichtwidrig gehandelt, wenn er seine Zuhörer nicht nachdrücklichst gewarnt hätte.

In der ersten Stelle tadelt Luther die „Observanten“, „Exempten“ oder „Privilegierten“, die sich vom schuldigen Gehorsam „eximieren“ und „dis- pensieren lassen wollen unter dem trügerischen Vorgeben, dadurch das Ordensleben zu fördern. Luther findet, daß solche Bestrebungen der Kirche höchst schädlich sind, denn er ist der Meinung, daß man von diesem Gehorsam überhauptnicht dispensiert werden könne. An derzweiten Stelle spricht Luther direkt von „unseren“ Observanten, die unter dem Scheine des Ordenslebeng in ihrem Hochmut, in ihrer Diekkópfigkeit und in ihrem Afterkult in Ungehorsam

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII, 1. 3

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und Rebellion verfallen. Auch der dritte Satz klagt über jene dem Afterkult ergebenen „Schismatiker“, die aus Absonderungsbestrebungen ihrem Prälaten den Gehorsam aufkündigen, deren Zahl heute groß ist.

Alle drei Stellen Luthers, besonders aber die erste und die dritte, treten ein für den General und die Zen- tralordensleitung. Sie können nicht auf Staupitz be- zogen werden, weil die „sieben Konvente“ sich nicht von ihm ,eximieren^ und von seinem Gehorsam „dis- pensieren“ lassen wollten. Besonders der Ausdruck „Schismatiker“ zeigt, daß es sich um Bestrebungen gegen die Ordenseinheit, also gegen den General handelt, die Luther hier bekämpft. Staupitz und seine Bestrebungen, wie wir sie kennen gelernt haben, werden gerade durch diese Stellen verurteilt. Mit weit größerem Rechte hätte daher Cochlaeus sagen müssen, dab Luther zu seinem General statt zu „seinem Staupitz“ abgefallen sei. Wer unseren Ausführungen gefolgt ist, kennt jetztin- und außerhalblItaliensim Augustiner- orden die Exemptions- und Privilegiensucht sowie die Be- strebungen, sich vom General unabhängig zu machen.

Luthers Stellung zur Observanz während der Zeit der Psalmenvorlesung läßt sich kurz so zeichnen, daß Luther für die „Reguläre Observanz“ gegen die „Exempte und Privilegierte Observanz“ war. Er war für eine genaue Befolgung der Regel und der Kon- stitutionen und gerade darum war er gegen die Absonderungs- bestrebungen gegenüber der Ordensleitung. Er will von einer Trennung von der Zentralleitung des Ordens aus Observanz- gründen nichts wissen und verurteilt entschieden solche Be- strebungen. Der Versuch gewisser Historiker, auf Grund des Observantenstreites Luther als einen lauen Befolger seiner Ordensgesetze und als einen halben Rebell zu schildern, um alsdann hieraus das Werden des „Haeresiarchen“ psycho- logisch zu erklären, wird durch das Studium der Quellen „ad absurdum" geführt; denn aus ihnen geht hervor, daß der zukünftige „Rebell“ in diesem Streite ein entschie- dener Verfechter der Autorität des Generals und der „Regulären Observanz“ gewesen ist.

Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Innerösterreichs. -

Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche.

Fortsetzung?) Inner-Osterreich. 21. Februar 1578.

E. A. Doleschall, Die Kirchenordnung Inneröster- reichs im 16. Jahrhundert. Jahrbuch 5, 164—183.

J. Loserth, Die steirische Religionspazifikation 1572—78. 1896. S. 65—77. Dazu: Derselbe, Die Refor- mation und Gegenreformation in den innerösterr. Ländern 1898. $.279f. Ed. Böhl, S. 330 (s. ob. S. 211).

Doleschall gibt einen Teil einer durch die Erzherzogin Maria Dorothea?) in das Archiv des Generalkonvents der evang. Kirche A. C. in Ungarn nach Budapest gekommenen Handsehrift, die einen Auszug aus steirischen Religions- schriften von 1578 enthält. Loserth druckt den Anfang der KO ab und gibt ihr den geschichtlichen Rahmen.

Im Folgenden ist die ganze KO aus dem Original im Landesarchiv zu Graz Fase: 519 zum erstenmal ganz ver- öffentlicht; Loserth benutzte den jüngeren Codex A 56b, der in der Rechtschreibung von jenem abweicht.

Auf die Vorrede folgt der erste Teil tiber die Wahr- heitsnorm der christlichen Lehre mit Ablehnung von Flacius und einer eingehenden Darlegung der Lehre von der Erbsünde; darauf eine Erinnerung, daß man rechten Unterschied zwischen dem Notwendigen und dem nicht Notwendigen halten soll. Der zweite Teil handelt von den Agenden, der dritte vom Kirchen- ministerium und der Kirchenregierung.

1) Vgl. Jahrg. 17 S. 209ff., 277 ff. ?) Über sie Jahrbuch 25, 41f.

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Die KO. ist durchaus keine ursprüngliche, bodenständige Schöpfung, sondern aus verschiedenen zusammengesetzt; sie bezieht sich auf Augsburg, Graz, Jena, Klagenfurt, Laibach, Marburg, Nürnberg, Pfalz, Steyr, Straßburg i. E., Thüringen, Wittenberg, Württemberg.

Sie gibt sich in der damals beliebten Form!) eines „Berichtes“ von Vertretern des Kirchen- und Schulministeriums von Steiermark und Kärnten an die Verordneten Inner- Osterzeichs. Er wurde genehmigt. Krain’) erklärte sich diesen Abmachungen auszuschließen.

Vorredt.

Nachdem der Augsburgischen confession verwandte herrn vnd landleüth der lande Steir, Khrain und Khernten sambt der fürstlichen grafschaft Görtz, so beneben anderen in dem ausschuß dieses 1578' jares zu Pruekh an der Muhr von dem durchleüchthigisten hochgebornen fürsten und herrn, herrn Carolo erzherzogen zu Oesterreich ete., iren gnedigisten herrn und Landsfürsten versamblet, naeh verrichten anderen den gemainen nuz belangenden geschefften, auch der paeifikation halben, welcher sich J. F. Dt. hiebevor in der religion mit woler- melten stenden genedigist verglichen, wider aufs neue vom J. F. Dt. genedigist antwort und genugsame versicherung bekhommen, das sie nemblieh mógen prediger und lehrer halten, so in darzu erlangten und bestellten khirehen und schuelen der Augsburgischen confession gemäß lehren und den wahren gottesdienst sambt allem, was zur aufbauung evangeliseher kirchen notwendig und nutzlich ist, friedlich und ordentlieh ohn jedmanns schaden verriehten, doch mit den condition, das sie nirgends kainer rotten, ketzerei oder secten, ermelter confession zu wider, noch einigen ergerlichen gezenk und spaltung, nach einiger solchen unruege raum geben, sondern ein guete ordnung, wolstehende und frid- liche gleichformigkheit in lehren und aller notwendigen ver- waltung des evangelischen predig- und lehrambts allenthalben anrichten und halten, so haben wolermelte herrn und land- leute uns, welcher namen zu end dieses schreibens unter- zeichnet, gnediglich auferlegt, daß wir dem vertrauen nach, so ire gnaden und herrn in uns gesetzt, die gleichformig-

1) Z, B. Luther, Erl. A. XXX, 773, Köstlin, M. Luther 18835 3, 646. Anm. zu S, 150. Loesche, Mathesius 1, 264.

2) Vgl. dazu: Erzherzog Karl zu Österreich an die Landstände von Krain; betr. Kirchenordnung in den windischen Landen. Kopie 28. Wien 6. Sept, 1564. Stadtarchiv Regensburg. Eccl. I. XXIII. 19.

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khait, so wir aus irem bevelch im predig- und lehrampt hieher und auch hinfort und allezeit zu halten verpflichtet, beschreiben geben, und was zu soleher bestendigen gleich- formigkait und gueter ordnung in kirchen und schuelen vor dieser zeit Doctor Chyträus!) darzu in Steyr erfordert und andern geraten und wie noch rathsam und diesen landen bequem und dienstlich achteten, in ermelten schreiben ein- brächten, das dann ihre gnaden mit guetem, zeitigem rath und nachdenkhen erwiegen und mit gemeiner verwilligung einer solchen kirchen- und schuelordnung sich vergleichen und dieselbige in druckh verfertigen möchten, damit der unterthenigiste gehorsam, welchen sie allezeit beidt in andern und auch in dieser sachen der F. Dt. als ihren genedigisten und von gott selbs verordneten herrn und landsfürsten zu erzeigen sich bevlissen und hinfurt allezeit in rechter gottes- furcht bevlejssen wollen, soviel desto mer erschine und J. F. Dt. so oft es von nótten, ihrer lehre, khirchen- und schuelwesens halben, gehorsambste antwort geben, auch so etwa unbilliche verleumbdung und unbegründet angeben, irer selbs oder der lehrer halben forbracht oder ausgebreitt wurden, sie sich dagegen desto leichter verantworten und gebürlicherweise schützen, desgleichen die noch anzunemen

-sein wolten, in schuel- und kirchenümptern desto besser

verpflichten und auf sie alle und alle kirchen und schuelen, denen sie fürgestellt, desto vleißiger aufsehen, und beyde, lehrer und zuhörer desto bequemer sich darnach richten khönten und also der lauf des hl. evangeli mit mehrer frucht befördert, auch weiter und auf die lieben nachkömbling gebracht und also auch in diesen lendern dem herrn Christo durch desselbigen gnadenreichen geist und segen, so er ver- heißen, und diß werkh allen menschen und sonderlich dem lehr- und regierampt befollen, ein ewige kirch versamblet, gepflanzet und biß zu seiner herrlichen zukhunft erhalten werden möchte. Hierauf und diesem christlichen und wol- gemainten bewelch gehorsamblich nachzukhomen, haben wir, ermelte lerer, welcher namen unterzeichnet, sambt den zuge- ordneten herrn beysitzern uns nach anruffang gottes mit einem freundlichen und christlichen gespräch, darin wir auch ermeltes Chyträi und anderer bedenkhen gar wol er- wogen, vleBiig und in rechter foreht gottes unterredt und endlich befunden, das bisheer ein gottselige ainigkait fttr- nemblieh in lehr und dann auch in anderer der lehrampts verwaltung bei allen der Ausburgischen Confession zugethanen kirehen und schuelen in diesen lündern, so vil immer in dieser schwachhait und manicherlei beschwärlichait und

1) RGG. 1, 1816,

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gefahr, so diesen zarten kaum aufgehenden unsers herrn Christi würtsgärtlein zugestanden, möglich gewesen, gehalten ist, und sollen in Gott bochen Daukh allezeit dafür sagen, daß er sein werk in disen vom erzfeind der Christen hoch- bedrangten landen so wunderbarlich angefangen und geför- dert, da wol an etlichen orten im reich, ob man schon ge- lerte leut genueg und leichlich bekhommen und des obste- henden stadt zu ersetzen hat, kaum eine solehe einigkheit zu erhalten gewesen.

Damit aber auch, wolermelter vnsrer genedigen herrn bevälch nach, solehe gleichformige lehre und ordnung bayde in kirehen und schuehlen mit der zeit schriftlich verfasset und durch den druckh zu vorgemeltem nutz aufgebracht werden möchte, haben wir auß unserem und anderer guetbedunkhen, gleich als ein modelle solcher gemainen kirehen- und schaell- ordnung entworfen. Welches wir hiemit ihren gnaden und herren gehorsamblieh und naeh ihrem hochen christlichen bedenkhen zu erwegen, zu endern, zu vermehren oder zu khürzen oder gar einzustellen übergeben, der gewissen zu- versicht, dab ihre gnaden an unserem gehorsamb und treu- herziger wolmainung ein gnedigs gefallen haben und auch anders nicht von uns erfordern werden, denn was wir in warer furcht und liebe Gottes fürnemen oder verwilligen khönnen, wollen uns hiemit in iren gnedigen schutz mit demüttiger erpietung alles christlichen gehorsambs befohlen haben. |

Ende der vorred.

Kirchenordnung.

Nachdem ein christliche wohlgestellte kirchenordnung fürnemblich in drey stugh verfasset kan werden, also das das erste die lehrpunkte, das ander die agenden, wie es gemainghlich genent wirdt, nemblich die form und weise, die sacrament zu raichen und desgleichen sachen in der kirchen zu verrichten, das dritte die bestallung des ministerii sampt aller zugehörenden billigs zucht und ordnung begreiffe, so thuen der lehre halben wir theologen und eolloquenten diesen gehorsamen bericht, wie folget:

Das erste thail der kirehenordnung.

De norma veritatis, das ist von der regel oder richt- schnur, vom grunde und gewissen probierstain, alle lehre zu richten, die reine lehre zu erhalten und sich für falsche lehre zu hüetten notwendig.

Die ware christliche lehre gesundt und ganz allent- halben unverfelschet zu erhalten und sieh fur allen irthumben,

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teuscherei und verfüerungen zu hüetten, ist fur allen dingen von nötten, das man die rechte, gewisse, genuegsame, un- widerlegliche normam veritatis, das ist, den grundt und regel der warheit, die gewise richtschnuer und unbetruglichen pruefstain woll lerne erkhennen und allezeit zur handt und in stettiger Uebung habe, damit und darnach man alle predig, glauben und lehre, baidt in schuelen und kirchen recht urteln und richten, die gesunde lehre behalten und die falsche verwerfen khönne, denn solches gott nicht allein von den predigern, sondern auch von der obrigkheit und regenten, ja von einem jegkhlichen menschen haben will, nach dem gebot Christi Matthäi VII: Hüetet euch fur den falschen propheten und |. Joh. IV: Glaubt nicht einem jegkh- lichen geist, sondern probiert die Geister, ob sie aub Gott seien!) vnd gotes. So wir oder ein engel vom Himel euch anders predigen wurden, dann wir euch schon gepredigt haben, der sei verfluecht.?) Demnach ist die einige gewise unuberwintliche norma veritatis und unbetruegliche richtschnur und prüfstein, unbeweglicher pfeiler und grundfest der war- heit das heilige Wort Gottes, nemblich die gewissen und mit göttlichen unwidersprechlichen zeugnissen bestettigte schriffte der Propheten und- Apostel, welche in ein buech vom heilligen geiste durch ermelte Propheten und Apostel zusammengebracht und in zwey theill unterschieden, also das das erste so der Propheten schriffte begreifet, das Neue Testament und das gantze buch, so baide testament zusammen- fasset, mit dem griechischen namen, so bey jederman in gebrauch khommen ist, die Bibel genennt wierdt.

Antithesis.

Hiewider ist, das die Papisten die Menschensatzung, so sie der kirchen zueschreiben, ebenso hoch und höber wollen gehalten haben als gottes wortt und heissen die heilige schrifft ein ketzerbuch.

Erinnerung der sprachen halben.

Daß man nun dieser richtschnur desto besser gebrauchen müge, soll man verschaffen, das die hebraische und grie- chische sprachen vleißig in den größeren schuelen gelehrt und zum wenigsten den furnemen hirtten und lehrern, bei welchen man sich etwa raths und verstands erholet, wol bekhant seien: denn das alte testament ist anfengkhlich mit hebraischer und das neue mit griechischer sprache gepredigt

1) 1. Joh. 4, 1. ?) Galat. 1, 8.

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und beschrieben. Darauß das heilige wort gottes den leutten, so nicht hebraisch und griechisch verstehen, muß treulich verdolmetschet werden, welches unmüglich, denen ermelte zwo sprachen nicht wol bekhant seint.

Matthaeus hat sein evangelium auch erstlich mit hebra- ischer sprache geschrieben, wie dann auch zu unseren zeiten dasselbig evangelium Munsterus!) hat ausgehen lassen; aber weill Munsterus selbs bekennet, er habs zurissen bey den juden funden und an vill orten erstatten?) müssen, so ist dem griechischen, welches mit genugsamen zeugnissen befestiget, besser zu vertrauen.

Erinnerung der Dolmetschung halben.

Wiewoll alle Dolmetschung und der ursprunkhlichen sprache inn der rechten meinung zutreffen solte, jedoch mueß man der alten kirchen Dolmetschung, ob sie gleich nicht allenthalben mit den ursprunklichen texten stimmen, nicht verwerffen, sondern damit zufrieden sein, daß sie fast alles also verdolmetschet haben, daß es nicht ist wider die Artikel des glaubens, so auf} den klaren und jedermann verstendlichen spruchen der Schrift gestellet sein.

Darumb man die griechische und alte lateinische Dol- metschung, weil von den beiden uralten kirchen kein andere vorhanden, gern annemen, auch in offentlichen lectionen und von man lateinisch das Wort Gottes verlehren?) mus, furlesen und brauchen soll, damit die kirch etwab gewisses habe, doch das erlaubt sey aus den originalsprachen den rechten eigentlichen sinn, wo es not ist zu erklehren.

Der neuen lateinischen Dolmetschung sonderlich dar berumpten als Erasmi*) des neuen testaments, Vatabli?) des alten, mag ein jekhlicher fur sich gebrauchen, das er durch vergleichung und zusammenhaltung der dolmetschung den sinn des göttlichen worts desto besser verstehen müge.

1) Sebastian Münster, 1489—1552, Franziskaner, dann reformiert, seit 1529 das Hebräische an der Universität Basel lehrend, Reuchlin fast ebenbürtig, ließ 1535 eine Ausgabe der hebräischen Bibel mit vollständiger Übersetzung erscheinen. RGG. 4, 562.

?) ergänzen.

3) erklären bei Loserth.

4) 1516 Ausgabe des griechischen Urtextes, „trotz der Flüchtig- keit und unsoliden Grundlage seine größte Tat“, mit Annotationen und später angeschlossenen Paraphrasen. RGG. 2, 425.

5) Franc. Vatablus (Watebled), aus der Pikardie, gest. 1547; 1530 Prof. der hebr. Sprache am Collège de France. Biblia Vatabli. Paris 1545. RES®. 20, 431.

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Inn deutscher sprache ist khein besseren denn des D. Martini Lutheri, welche so eigentlich den sinn des gotlichen worts gibt, das man schier kheiner außlegung daruber bedarit und darumb in der Augspurgischen confession verwanten kirchen billich khein andere inn deutscher sprache furgelesen und gebrauchet werden soll.

Was aber in Windischer?) und andern frembden sprachen gedolmetschet, sagt man, das auß Luthers gedolmetschet worden, welchs auch das Rathsamste gewesen ist. Die gewiße Versicherung, das ainer nicht durch mancherlay dolmetschung oder auch unbequehme anziehung des Original- textes irre gemacht werde, ist die analogia fidei,’) so auch corpus doctrinae auf Lateinisch genandt wird, das ist die Summa der Christlichen lehre, ordenlich aub den klaren und jederman verstendlichen spruchen zusammengefueget, wo derselbigen zuwider irgents etwaß verdolmetscht oder an- gezogen wurde, das wehre zu verwerifen.

Antithesis, dasist gegenlehr.

Wieder obgemelte meinung ist, daß das Tridentinische concilium khein andere Dolmetschung als die alte lateinische ja auch den originaltext selbs nicht gelten lassen will?) dann wo er mit der alten lateinischen Dolmetschung zutrifft, und hierin suchen sie nichts andres denn etliche grobe irthumb als von heiligen anruffen‘) und dergleichen zu besehutzen.

Erinnerung von dem underscheidt der bueeher, so in der Bibel begriffen.

Man soll auch merkhen, das die Bibel zwaierley bucher hat, etliche und die meisten, welche in allen stiickhen und wortten ohn alles bedenkhen angenommen, ettlich aber, welche aus den gemelten sollen verlehret werden und in etlichen wenig worten einer solchen außlegung bedurffen, das die lehre so in vorigen gegeben ist, nicht verdunkhelt werde. Als dan sonderlich im Neuen Testament S. Jacobi brief ist, in welchem etliche wortte des Pauli lehr zum Römern wider- werttig lauten?, vm diesen underschaidt der Bucher in heiliger schrifft werden nützlich gelesen die Vorreden Lutheri’),

1) Primus Trubers slovenische Übersetzung des N, T. 1. Teil war 1557 erschienen, Th. Elze, Jahrbuch 14, 121; 15, 15f.

?) Über deren Entwicklung RGG. 4, 2137 (5, 1031).

*) Sessio 4. Pastor, Geschichte d. Püpste 5 (1909), 546.

4) Uber sie im Tridentinum sessio 25.

5) Über die ganze Frage: RGG. 3, 1022.

6) Sie wurden später fortgelassen.

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so er fur einen jekhlichen buch gethan und mit der alten lehrer zeugnus bewiesen hat.

Antithesis, gegenlehre.

Wiederobgemelte lehre ist des Tridentinischen coneiliiums meinung!) das die buecher, welche bey den alten bedenkhens gewesen, nicht aus den ersten erkhleren lasset, sondern denselbigen in allem gleichwirdig gehalten will haben, damit sie anders nichts suchen, dann etlich grobe irthumb zu vertheidigen, das sie doch nicht hilffet.

Von dem corpore doctrinae, das ist, furbilde der rainen lehre.

Weil oben gemelt ist, das ein corpus doetrinae gemacht sey, das ist, wie's Paulus Rom. VI?) deutschet?), ein furbildt der lehre, welches die haubtstuckh der christlichen lehre auf hellen, unleugbaren zeugnussen der heiligen schrifft fein ordentlich zusammen verfasset furtregt, dadurch man sich durch hülffe gottes hueten khan, das unzeittige anziehung der schrifft und ungeschickhte dolmetschung einen nicht verfuehren, ists nun an dem, das solche furbilde der reinen lehre namhafftig gemacht werden: so haben wir nun von den alten gottseligen lehrern die drey symbola: Apostolicum‘), Nieenum?) und Athanasii®), dazu aueh nicht unbillig gesetzt wirdt der Hymnus Te Deum laudamus, welchen Ambrosius und Augustinus sollen gemacht haben’); in diesen symbolis wirdt die ewige gottliche maiestet in der allerheiligisten drey- einigkeit sampt den wohltaten, so uns von ihr erzeigt werden, khürzlieh bekent und gerühmet, darnach haben wir von unser kirehen den kleinen Catechismum Lutheri und zu desselbigen weiterer Erkhlerung seine zween grofPen?) Zwar für die einfeltigen ist khein besser buch geschrieben denn der kleine katechismus Lutheri, welehen man billieh in alien kirchen behalten soll. Darauf soll billieh gesetzt werden ,

1) Sessio IV.

?) V. 17.

3) wohl statt: deutet, oder ,Paulus Rom. VI“ ist als Zitatform gemeint, ,wie es die Stelle P. R. VI* usw.

4) Näheres RGG. 1, 599.

8) Ebd. 4, 767.

6) Ebd. 1, 749.

7) Vgl. Buchberger, Kirchl, Handlexikon 2, 2314,

$) Über Luthers Katechismen: RGG. 3, 985. Luthers Werke, Weimar. Ausgabe 30a, 426—665. „seine zween großen“ ist eine selt- same Entgleisung.

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die Augspurgische confession sampt derselbigen apologia’), welche also genanndt ist, weil sie von den stenden des Romischen Reichs, welche ihre kirchen hatten von dem bapstumb reformieren lassen, auf dem reichstag zu Augspurg anno 1530 kayser Carolo Quinto in beysein aller Stende des Reichs miindlich und schriftlich, deutsch und lateinisch, furbraeht worden ist, welche symbolum und bekhantnus keine pforten der hellen?) umbstoßen khönnen und dergleichen nicht von der Apostelzeit an noch so volkhomen erfurkhommen, drumb man sich billich darauff berueffet. Und haben diesen Lande Theologen solche exemplaria, wie sie zu Augsburg übergeben seint, darauf guet achtung zu geben ist, sintemall im nachtrug offtmals gefehlet wirdt.

Weil aber der satan mit den sacramentierern wolt schaden thuen und furgeben, als lehreten dieselbigen der Augsburgischen Confession nicht zuwider, und gegen die Papisten etliche artikhel mit ernst auf dem concilio zu Mantua?) sollten vertedigt werden, wurden die schmalkal- dischen artikhel*) anno 1537 gestellet, darauff man sich auch billig berueffet. Da nun Lutherus von dieser welt abgeschieden war, meinte der Teuffel, er wollte die Augsburgsche confession gar vertulgen, brachte das Interim?) herfur, machte viel Gezenkh und rotten, welche doch etlich nicht wolten den namen haben, daß sie der Augsburgschen confession entgegen wahren; darumb die Theologen und kirchen, denen die wahrheit mehr denn aller menschen gunst oder ungunst, ja mehr dann alles guet und ehre angelegen war, sich dawider satzten, und rathen die Theologen, daß man in diesen landen under die Schriften der richtschnur sunderlich das bueblein der Duringischen Theologen, anno 15599) auß- gangen, setze, weill darin die corruptelen, so etliche listigk- lich eingefuert hatten, kürzlich und aus gewissem grunde der heiligen schrifft widerlegt werden, welches buchlein bierumb von den kirchen, so der Augsburgischen confession auffrichtig zugethan sein, hochgeruhmet und werdt gehalten wirdt.

Das buch Philippi Melanchthonis loci communes’), das ist hauptstuckh der christlichen lehre genanndt, ist ein sehr

t) RGG. 1, 587.

2) Ev. Matth. 16, 18,

*) Am 2. Juni 1536 auf den 28. Mai 1637 einberufen; Köstlin l. c. 2, 870.

4) RGG. 5, 339.

») Ebd. 3, 573.

© Das Weimarer Konfutationsbuch, von Flacius und Genossen.

7) Seit 1520/21, bzw. 1535; RGG. 4, 250f,

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edler schatz und soll vleißig von denen, so die heilige schrift lernen und andern etwo erkhleren wollen, gelesen werden, aber weils za funfmahlen ausgangen und in dem Artikhel von freien willen im letzten nachdrukh nicht on ursach angefochten worden, kans nicht ad normam veritatis gerechnet werden. Er ist uns ja ein lieber praeceptor und hat sich nach Luthero keiner so woll umb die Christenhait verdienet, aber doch muessen wir Christum höher halten und menschliche schwacheit auch an dem lieben preceptor seligen erkhennen, wie man alle patres nach der Norma veritatis urteilen muß. Und bricht Ihnen doch damit an Ihren ehren nichts ab. In der ersten edition des gemelten buchs Philippi ist vom selbigen artickhel nichts unsers wissens unrecht gelehret; darauß möcht man auch die folgenden editiones corrigieren, denn so solche warnung stadt hat, ist es fürwar ein nutzlich und notwendig buch zu lesen dem, der ein gueter Theologus zu werden wünschet. Das ist also von der norma veritatis gesagt, und khan niemandt mit warheit sagen, das die evangelischen ein vil- feltige und weitleuffige normam veritatis haben. Denn wie vor zeiten die Ketzer Arius’) und andere machten, daß aus der schrifit symbola wider sie, die warheit zu beschützen, gemacht worden, und doch Ihr einiger grundt die hl. schrifft blieben ist, also auch zu unsern zeiten haben die Papisten und secten ursach geben, das bekenntnuf und confutationes errorum gemacht sein, darin man aub der hl. schrifft alle irthumb widerlegt; und bleibt doch die hl. schrifft der einige Pfeiler und grundfest der warheit in der kirchen gottes und ist die einige norma veritatis.

Antithesis, das ist gegenlehre.

Auß obgemelten buchern der Richtschnur lassen unb die Papisten nichts mehr dann die symbola und die bibel; sie lassen auch die Bibel nicht in anderer als nur in der alten Lateinischen Dolmetschung,? auch in den Original- sprachen nicht anders, dann wofern sie sich mit ermelter Dolmetschung reimet, gelten; darzu lassen sie der schrifft khein andern verstandt denn der kirchen, welche sie an Römischen Bapst und Cardinal binden?), gefallen, als zum Exempel Matthai XVI‘): Du bist Petrus vnd auf diesen fels wil ich meine kirchen bauen. Das legen sie allso auf,

1) RGG. 1, 679. 7| S. oben S. 41. RGG. 5, 1810. 3) Ebd. 1, 1170.

^) V. 18.

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das damit der Römische Bapst zum haupt der oristenheit soll bestelt sein. Weill solche meinung dem Bapst und seinem anhang gefelt, muß Ihnen alle andern außlegung ein verdampte ketzerei sein, ob man schon auf gewissem grunde die Außlegung der falscheit uberzeuget und die rechte auflegung anzeiget, wollen sie doch recht behalten, also gehen sie fast allenthalben mit der hl. gottlichen schrifft umb, daß sie entweder mue unaußgelegt und unverstanden bleiben oder auff ire verkherte meinung gezwungen werden, welehs zwar nichts anders ist denn das liecht scheuhen, damit Ihre bösen werkh nicht offenbar werden. Summa sie geben nicht zue, das die hl. schrifft sey norma veritatis, darnach man alle lehre richten und allen streit, so sich über der religion erhebet, schlichten soll, sondern sprechen, die Bibel sey materia litis, ein Zankhbuch, sey dunkhel, hab zweifelrede, da es nur an einem gueten ausleger stehe. Dagegen geben sie khein ander normam veritatis, denn die kirche, welche sie an Rom binden, nennen dieselbige den Pfeiler und grundtfest der warheit und wenn man sölche Lhermeinung grundlich erwiget, fueren sie die leutt nirgent anders hin denn ad scrinium pectoris pontificii, zum schrein des Bapstischen herzens, darin alle rechte sollen verborgen ligen; was der redet, das muß vom Himmel geredt sein, was er mit seinen Cardinälen, Jesuitern, Mönchen und Pfaffen auf coneiliis und sonst beschleust und recht oder unrecht heiBet, das muß also sein und bleiben, doch auch nicht lenger dans Ihm gefellet. Heist das nicht ein greuliche Tyranney in der kirchen geübet under dem Prächtigen namen und schein der kirchen? Darumb, wer seelig werden will, muß sich vor dieser gottlosen rotten als von der grundtsuppen aller lügen, verfuerung und gottlichs namens . lesterung absondern, wie Paulus II Timothei II?) rathet, da er spricht: Discedat ab iniquitate omnis, qui nominat nomen Christi, es weiehe von der ungerechtigkheit ein jegkhlicher, der den Namen Christi nennet, und Apocalypsis XVIII?): Exite de illa populus meus, ut ne participes sitis delictorum eius et de plagis eius non aceipiatis usque ad coelum et recordatus est Deus iniquitatum eius. Gehet auß von Ihr mein Volekh, dab ir nieht teilhaftig werdet Ihrer sünden, auf daß ihr nicht empfahet etwas von ihren Plagen, denn

1) Über die Ungeschichtlichkeit des Ausspruches RGG. 4, 1410, Neueste Auslegung von A. Harnack in den Abhandlungen der Preuß. Akademie der Wissenschaften 1919.

2) V. 19. Seltsam, den lateinischen Wortlaut zu benutzen.

s

) V. 4.

46 : 46

Ihre sunde reichen bif an den himel und Gott gedenkht an Ihren freuel.

Mit diesen wortten wirdt allen christen bey verlust ihrer seelen seligkheit gebotten, das sie sich von dem Anti- christischen Reich absondern; wer khan aber ein besser khennzaichen haben, daran der Antichristische greuel müge bekhannt werden, als dif ist, das er das wort Christi nicht gelten lest, sondern dasselbig und alles dem gutdunkhen seines gottlosen herzens unterwirfft und spricht: Wens gleich Christo so gefelt, so will iehs doch anders haben, wie im Tridentischen!) und Costnitzer concilio?) die wortt vom Nachtmall des herrn klar außweisen. So böse hats noeh khein khetzer nie gemacht; denn die haben doch gemeinigkhlich als noch die schrifft für die normam veritatis gerühmet, ob sie Ihrer schon mißbraucht haben; aber der bapst will nieht allein die coneilila sondern auch die. heilige schrifft unter einer gewalt haben und heist bei Ihm kurzumb: Sic volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas?), welchs woll die christen in weltlichen sachen wie alle Truebsal und verfolgung geduldig leiden, aber in Religions- glaubens- und gewissens- sachen gantz und garnicht vertragen sollen, sie wollten dann nicht mehr Christen und gottes diener sein.

Von den hauptstuckhen der Christlichen lehre kurze erinnerung. Nachdem wir nun unsere normam veritatis an- gezeigt, achten wirs nicht für notwendig oder rathsam, von allen artickheln der Christlichen lehre eine ausfuehrlich bekhantnuß alhie zu beschreiben und der kirchenordnung einverleiben, obschon solehs etliche hin und wider gethan haben. Sondern das achten wir genugsam und fürs aller- rathsambste, das bücher in Norma veritatis genandt zu- sammengefasset und Treulich nachgedruckth werden, darauf man sich jederzeit zu referieren habe und darumb auch bey einer jegklichen kirchen neben der Agenden ein besonders exemplar niderleg und dem predicanten als in einer Biblio- theken zu verwahren und bei der kirchen zu lassen als einem getreuen depositario gebueret beföhle; dieß ist vill rath- samer, das man also bey einerlay form und wortten der bekhentnus bleibe, denn das ein jegkhliche kirche Ihr eigen bekhentnus habe, wenn schon die meinung tibereintrifft, denn es ist baldt in soleher verentrung geschehen, das etwa ein dunkhele rede, ungewönlich wortt unbekhante form etwas verdaeht macht oder in zweiffel setzt, darumb in den meisten sachsischen, preußischen und andern wollbestelten kirchen

1) Communio sub una, sessio 21, doch vgl. sessio 22, RGG. 3, 1056. *) Sessio 13. RGG. l. c. 23) Juvenal, Satir. 6, 223.

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nieht gestattet worden, neue confessiones zu schreiben, sondern nur die alte, nemblich die Augsburgische sambt den Schmal- khaldischen zu widerhollen, mit vermeldung und manhaffiger!) verdammung deren Ihrtumb und verfuerung, so unterdes der Teuffl erweckhet hat, die einfeltigen zu betrueben; so haben auch vor zeiten die vetter nieht neue symbola gemacht, sondern die alten immer widerholet und die Irthumb - da- wider entstanden verfluchet.

Diesem exempel naeh gebuerts sich auch in dieser Landtkirehen, die alte confession als normam veritatis zu be- halten und was teuscherey und Verfelsehung daran und darwider der Satan versuecht hat, austruckhlich zu vermelden und die einfeltigen warnen, das sie das zill nicht verruckhen und dureh verkherte rede die bekhantnus nicht verdunkhelen noch aufschrauben und in zweiffel setzen lassen. Diß ist auch gottes gebott als I. Joh. 11?): Brüder, ich schreib euch nieht ein neue gebott, sondern das alte.

Von den irthumben so der reinen Augsburgischen con- fession als veritatis normae zuwider sind und von corruptelen, damit der teuffel ermelte confession zu verfelschen unter- standen. Was dann nun belangt die Irthumb, so der Teufel der reinen Augsburgischen confession zuwider erweckhet hat, als Serveti) Arianismum, Swenkfeldii*) enthusiasmum, Antino- morum?) vaesaniam, der widerteuffer?) und sacramentierer?) lesterung, Osianders?) und Stankhers?) widerwertige verkberung des ampts und wolthat Christi und andere dergleichen Teuscherey und Teufelische verfuerung. Item die coruptelen, das ist die verkherte vergifte reden, damit der Teufel die Augsburgisehe confession hat unterstanden zu verdunkheln und zu verfelschen, alsdann ist das leidige Interim!?) gewesen, welehs darnaeh hat die ergerlichen gezenkhe von gueten werkhen und mitteldingen, von freien willen, von der genade und rechtfertigung fiir Gott erweckhet und die einfeltigen irre gemacht und die kirche jemerlich zurissen und betruebet, da doch unterdeß der guetige heylandt Jesus Christi (sie!) durch dreue werkhzeuge gesteuert und das zurissen wider

1) Loserth: nambhaftigen, wohl richtiger. ?) V. 7.

8) RGG. 5, 610.

4) Ebd. 5, 510.

5) Ebd. 1, 501.

*) Ebd. 5, 2016.

?) Ebd. 5, 217.

*) Ebd. 4,1069.

?) Ebd, 5, 888.

10) S. oben 8, 48, 5.

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geheilet. Solche irthumb und verfelschung all miteinander werden kurz und griindlich widerleget in den Duringschen buch, dessen oben!) sub norma veritatis gedacht wirdt, darumb nicht von nöten ist, das hier ein besondere refutatio solcher irthumben ausfuerlich geschrieben werde, ist genueg, das wir, dieser Landschafften Theologen und kirchen, unb erkMeren, das wir solcher irthumben unß nicht theilbafftig gemacht noch machen wöllen, sondern dieselbige verwerffen und verdammen mit der waren kirchen. So aber jemandt weiter davon lesen will, ist sehr nutzlich, das er die 6 predige doctoris Jacobi Andreae?), so von solchen irthumben gepredigt und geschrieben, vleißig lese, und in methodis Simonis Pauli?) werden aus gewissen grundt alle dermassen irthumb widerleget, da auch dieselbigen sampt ihrem ursprung entdeckht und offenbar bekhant gemacht werden.

Doetor Jacobs predige sein auch darzue nutze, das man den irthumb erkhenne der Calvinisten, welche in Sachsen wolten einschleichen und gaben nicht zu Realem communicationem Idiomatum, damit sie der menscheit Christi die Maiestet, derer sie durch persönliche Vereinigung mit der gottlichen Natur teilhaftig werden, entziehen wollten, dar- gegen man sich auch für Schwenkfelds*) alzu hoch fliegenden geist hüeten soll, welcher nach der Eutyehianer?) irthumb, so auß beiden Naturen ein machten, die exequation beyder Naturen in Christo hat erstreiten wóllen. Wie aber vor zeiten die heilige christliche Kirche nicht allein die Nesto- rianer®), welche die Naturen christi als zwo Personen von einander zogen, sondern auch die Eutychianer, welche die- selbigen zwo Naturen also vermischten, das nur eine daraub wardt, verdammet, also geburet auch jetzt der waren kirchen gottes eben als woll der Schwenkhfeldischen exe- quation, als der Zwinglianer und Calvinisten spaltung und trennung der Naturen in Christo zu verwerfen und zu ver- dammen; denn wie die Zwinglianer Nestorium also die Schwenkhfeldianer weckhen und fueren Eutychem gleich als auß der hellen wider in die kirchen und schuelen, auf die Kanzel und Cathedram. Von diesem irthumb soll man mit vleiß lesen der Wirtembergischen?) und Braunschweigischen?)

1) S. oben S. 43, 6.

2) RGG 1, 471,

8) RE s. v.

4) RGG 5, 510.

5) RGG 2. 69.

6) Ehd. 4, 730.

7) 1551. RGG 5, 2131.

8) corpus doctrinae Julium 1576, RGG 1, 1832.

49 49 offentlich außgangene bekhantnuD, item Komnitii buch von beiden Naturen!) in Christo. Hie ist genug, das solche irthomb berueret und namhaftig gemacht werden, damit offentlich bekhant werde, das diser Lande evangelische kirchen der Augsburgischen confession inne behalten und solche irthumbe und verfelschung offentlich mit der waren kirchen gottes verwerffen und verdammen.

Von Mathiae Flacii?) und etlicher mehr irthumb von der erbsünde.

M. Matthias Flacius Illyrieuus, da er als ein hochgelerter scharfsinniger eyfriger man wider Victorini) Synergiam ge- stritten, des gueten willens, daß er den erbschaden nicht verkhleinern, der genade gottes und verdienst Christi nichts entziehen, den knechtischen zum guet erstorbenen willen des menschens nicht als frey hat rühmen und sich dardurch sicher machen und aller hoffnung der seeligkheit berauben lassen wöllen, ist er zu weit auf die ander seiten hinauß gefallen und mit aller macht erstreiten wöllen, der mensch oder des menschen Natur und Substanz oder sein fehle und vernunft sei selbs die erbsünde, und weil er sonst vil guets geschrieben, auch in einer gueten sach wider Victorinum stundt, da er in diesen irthumb heraus fiel, kriegt er baldt ein großen anhang von trefflichen umb die kirch wol ver- dienten mennern, darüber im das Herz wuchs, das er sich nicht hat der treuherzigen warnung und vermanung, von Nicolao Gallo’) und anderen vielen geschehen, weißen lassen wollen, sondern hat gern jedermann in seinen irthumb gezogen, wie er dann mit wunderbarlichen listen viele zu sich gelockhet, verdechtig gemacht und wenn sie der sachen noch ungewiß, etwaß an Ihn besonders geschrieben oder sunst etwa von der sach in utramque partem disputieret hatten, wo er nur ‘etwas, das ein schein eins beifals hatte, kont erwischen, bracht ers flugs durch den druckh unter die Leute, darumb viel gueter herziger Theologen als Simon Musaeus®), Jere- mias Homberger?) uud andere mehr ursaeh gehabt, offentlich von Ihrer Unschuld oder wie sie betrogen und verfüert, zu protestieren. Er aber ist in seinem irthumb, wie leider zu

1) de duabus naturis in Christo 1570, RGG 1, 1662. ?) RGG 2, 905, 3) Strigel, RGG 5, 962. 4) RGG 2, 1195. 5) RGG 4, 577, 6) S. u. Archiv für Reformationsgeachichte. XVIII. 1. 4

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besorgen, gestorben; wiewoll Mathias Ritther!) an etliche geschrieben, er habe sich den abent zuvor etwas bessers vernemen lassen, das eins widerruefs zu hoffen gewesen, wo er nicht mit dem Todt übereilet werden.

Ob aber nun woll viell hoch erlauchte menner als

Johannes Wigandus?), Tilemannus Hesshusius?, Jacobus Andreas?) (sic), diesen Manicheischen®) irthumb gewaltig aus gewissem grundte der heiligen schrifft widerlegt haben, und man an derselbigen schrifften genug hat, jedoch weill etliche unruige wilde geister auch in disen Landen®) mit solcher seiten die einfeltigen irre gemacht und etliche ver- fueret, aufrichtig Lehrer verdechtig gemacht und in Gefahr leibs und lebens gebracht und zarten kirchen jemerlich betruebet, so sollen alhie die furnembsten gründe gesetzt werden, durch welche solche ketzerei auf der kirchen gottes verstoßen wirdt und damit niemandts sich bekhlagen künne, die sache sey ime zu hoch, er köns nicht verstebn, so sollen die grunde nur in unserm hl. catechismo gezeiget werden. Den ersten findestu inn den zehen geboten, da gott spricht zum menschen: Du solst nicht andere gotter haben, nicht begeren. Ich bin ein eyferiger gott, der die sünde der Vatter heimsucht an den khindern. Hir hörestu ja von gott selbs den unterscheidt der sünde und des menschen, denn den menschen nennet er mit seinem Naturliehen leib und seele, da er spricht: Nicht andere gotter haben, nieht begeren, item die sunde der Väter an den khindern. Denn ob hie jemandt wolt furwenden, der herr redete nicht von der Erbsünde, sondern nur von den wurkhlichen, wird er nicht bestehen, denn wir wissen, das das gesetze aller meist die erbsunde strafet, die von den Vätern in die khinder fortgepflanzt wirdt sampt dem Todt und ver- damnis, wie Paulus bezeiget Róm. V?) und David Ps. 519), 149), 5619), So uns dann unsere norma veritatis ganz bleiben soll, nemblich der liebe catechismus, muessen wir fürwar diesen Irthumb verwerfen und verdammen und die beschreibung der erbsünde also lassen wir sie in der Augspurgischen Konfession und Schmalkaldischen artikeln gesetzt ist.

1) In Frankfurt; Ed. Böhl, l c. S, 387. ?) RGG 5, 2029.

3) Ebd. 3, 1.

4) S. ob. S. 48, 2.

5 RGG 4, 121.

*) Vgl. Ed. Böhl, 1. ce. 8. 96f.

?) V. 12. 8) V. 7.

?) V. 3. 19) 68, 24,

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Nun ist ie die erbsünde nicht nur?) ein schult frembder sunden, sondern ist fürnemblieh die bóse art, neygung, be- gierde, sucht und lust zusündigen, weliche der her rueret und aufweckt, wie das wasser das feuer im kalck auf- wekhet, da er sprieht, nieht begeren, welehs uns Paulus aueh also ausleget Röm. 7. So spricht auch Christus Johan 16 ?): Der heilige geist wirdt die welt straffen umb die sünde, das sie nieht glauben an mieh, da ia die welt heisset alle menschen und der angeborne unglaube die sünde. Solehs wirdt auch bestetiget auß den wortten Christi Joh. 39): Also hat gott die welt geliebet, das ist alle menschen. Wer wolt aber so verkheret sein, das er den 5 Psalmen‘) entgegenspreche, gott wehre ein liebhaber der sunde und bofheit. Den an- dern grundt zeuget und das bekhantnus unsers christlichen glaubens Symbolum Apostolicum genandt; denn im ersten artickhel bekhennen wir, dab unß Gott geschaffen habe und den leib mit allen geliedern, die sehle mit all ihren natür- lichen krefften, vernunft, sinnen, willen gemacht und gegeben habe, auch erhalte auf vätterlicher guete, dafur wir ihm danekhen und solcher gaben und gelieder zu seinem wol- gefelligen dienst gebrauchen. Nun ist aber offentwar, daß Gott die sünde nieht geschaffen oder gemacht und gegeben noch dagegen ein vatterliche liebe hat. Denn er hat sie ie verbotten Gen. 25, zurnet druber Gen. 3, hat khein gefallen daran Ps. 5, und wie solt iemandt für die sünde als ein guet geschenekhe des schöpffers dankhen oder wie soll einer mit der stinde Gott dienen und gefallen khónnen? Weil den Gott den menschen mit allen natürlichen beyd inner- liehen und eusserlichen Krefften geschaffen und aber die sünde nieht geschaffen hat, so mueß ie folgen, das der mensch oder sein natürlich vernunft nicht selb die sünde sey.

Wir wissen au8 dem 3. Capitel Geneseos, das die sünde durchs teuffels verfuerung ins menschen seele und substanz erweckht und angezündet ist. Solt nun die sunde nichts anders dann der mensch oder des menschen seel, vernunft und sinne selbert sein, so müßte der teuffel den menschen geschaffen und ihm die vernünftige seele und natürliche sinne gegeben haben; wehr aber das nicht ein schrecklich ding, das wir den teuffel für unsern schöpffer solten erkhennen und da wir zuvor gesagt, ich glaube, das mich gott geschaffen, solten wir nun sprechen, ich glaub, das mich der teuffel geschaffen, mir leib und seel, augen und ohren mit allen

*) Cod. A 56 b, b hat statt nur: mehr.

?) V. 8. 3) V. 16. *) In einer anderen Hdschrft: fünften Psalm; V. 5. S) V. 17.

4*

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geliedern, vernunfft und alle sinne gegeben hatt und noch erhelt!) Jesus, Jesus, Jesus! Der grausamen lesterung wolte das sein! Das durffen die ehlenden verblendeten laut sprechen, der teufel hab Adams und Euen substanz und naturlich wesen in ein ander wesen verwandelt, als wean einer auf einem menschen einen affen machete, der darnach andere affen durch naturliche geburt zeugete. Pfui der schande! soll einer so grob anlauffen, Gott erkhent ie noch den Adam für sein geschöpff, da er in suechet und spricht: Adam, wo bista? er findet ie auch denselbigen Adam, den er geschaffen hatte und zeucht ihn unter den buschen her- fur zu seinem richterstuell; so saget ie unser artickhel anstat eins ieglichen auch sündhafftigen menschens: Ich glaub, das mich Gott geschaffen hat sampt allen ereaturen?), das ist, wie er andere ereaturen geschaffen hat, also auch mich und hat doch die sünde nicht geschaffen, sondern die ist vom teufel und meineidigen willen der ersten menschen und ist darnach durch die zwei menschen khommen in die welt, das ist in alle andere menschen, so naturlieh von ihnen gezeuget werden, Róm. 5?) darauf) offenbar, daß der teuffel weder dureh verwandelung der wesentlichen gestalt noch auf einige andere weise ein neue substanz im mensehen gemacht hat, sondern hat ihn am geist gethótet, des waren güttlichen liechts und lebens beraubet und was an ihn über- blieben von Gott zu sich gewendet, ihm anhengig und dienst- bar gemacht mit Ketten der finsternus*), die niemandts dann Gott auflösen khan, an sich gebunden, das er sein mancipium und jumentum, leibeigen knecht und esell worden, zuthuen mit herzlicher lust nach all seinem (des teuffels) willen und gefallen. Solcher geistlicher todt sampt allem jamer, zeitlichen todt und hellischer ewiger verdamnis ist aus dem gerechten urtl Gottes erfolget über den meineydigen ab- gefallenen menschen, welchs Genes. 2 und Genes. 3 be- schrieben ist.

Ob aber woll dureh einen menschen in die andern die sünde fortgepflanzet wirdt, so ist doch derselbig mensch nieht der anderen menschen schöpffer, der sie mache. Es ist vil ein anders Vatter, dann schöpffer. Adam hat Seth gezeuget, aber Gott hat den Seth geschaffen und gemacht auf Adams samen in muetter leibe, Also ists umb alle menschen. So hat demnach Seth allein von Adam die sünde, aber sein leib und seel hat er nicht allein von ihm,

1) Worte aus Luthers Katechismus. 2) Luthers Katechismus.

5 V. 12,

4) 9. Petr. 2, 4.

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sonder von der schöpffung Gottes, ohn welche Adams same nieht wer zum persönlichen menschen worden. So soll einer doch schier greiffen, das ein großer undterscheidt zwischen des menschen substanz und der sünden ist.

Es wehre ie erschröckhlich zugedencken, das Gott ein wesentliche gestalt, so des teuffels werkh solte sein, fort- pflanzete, noch viel erschröckhlicher, das man halten soll, er liese den teufel mit der fortpflanzung des menschen seines gefallens walten; wie wolte sich das mit Jobs be- khentnus am X capitel mit Dauides ps. 119 item 139 reimen? Ic dem andern artickhel unsers christlichen glaubens bekhennen wir’), das Jesus Christus warer Gott vom vatter in ewigkheit geborn auch warer menseh von Maria der Jungfrauen geboren sey. Waß heist aber ein mensch? Aller ding wie Cain, Saul, Judas, Arins und wir alle, auß- genommen die sünde, denn Christus ist volkhommener mensch worden ohn sünde, Heb. 4?), Phil. 2 darauss unwiderleglich folget, das substantia hominis quantumvis corrupti non sit peecatum, das die substanz des menschen, ob er schon gar verderbet ist, nieht selbs die sünde sey.

Es seint gar klare zeugnis vorhanden, das christus kein sunde gehabt noch gethan 2. Cor. 5°) Jes. 534) Johan. 8°) und aber gleichwol warer mensch worden sey, unß armen stindern in allem gleich, ohn das er nicht sunder ist oder sunde in sich hat. So khan ie warlich ein iegklicher hierau8 schliessen, das sunde und mensche nicht ein Ding sey. Waß sich doch die‘), welche sagen, der Sohn Gottes hab ein ander fleisch und bluet an sich genommen, das nemblich dem ersten fleisch, so Adam vor dem Fall gehabt, gleich sey; sagt doch der Heillig geist Heb. 2°): Er hab den samen Abrahams angenommen; ist dann Abraham nicht Adams bluet und fleich? Lutherus in Genes. 38°) sagt, auf Judae lenden sei khommen die natur, die christus hab an sich genommen: aber er habe sie von stünden gereiniget und die sünde nicht angenommen. Lieber, wer ist doch der gewest, den christus der sohn Gottes mit seinem bluet erlöst hat auf des teufels gewalt, auf das er sein (des herrn christi) eygen sey und unter ihm in seinem reich lebe und ihm diene in ewiger gerechtigkheit, unschuldt und seeligkheit, gleich wie er ist aufferstanden, lebt und regiert in ewigkheit, das ist gewis-

1) in Lutbers Katechismus,

?) V. 15. 3 V. 21. 4) V. 9. 5) V. 46. ?) se. merken müssen.

?) V. 16.

*) Weimar. Ausg. 44, 311.

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lich war?!) Ist die sünde erlöst auß des teuffels gewalt, ist dann der teuffel nicht mehr derjenige, der zur sünden reitzet, ist die sünde des herren christi also eigen worden, das sie unter ihm lebe und ihm diene in ewiger gerechtig- kheit, unschult und seeligkheit, Jesus, was will darauß werden? Khan die sünde Gott dienen, under christi reich leben, unschuldig und seelig sein in ewigkheit? Es soll sich doch einer entsetzen vor solcher blindheit, 2. Corinth. 4. Ich meine, der teuffel beweise sich als ein Gott diser welt, der die hertzen derer, so ihrem freien willen nachgehen, blenden khan. Ich meine, Gott sey ein ernster richter über die, so halstarrig sein und sich nicht weisen lassen wollen. Johannes 1 Epist. 1 sagt, das bluet Jesu christi seines: sohnes macht uns rein von allen unsern sünden. Der engel Gabriel sagt Matth. 1:?) Er wirdt sein volekh seelig machen von ihren sünden. Lieber, waß ist das gesagt? wirdt er den menschen ausfegen, das er nicht mehr mensche sey und menschliche substanz habe? Das sei ferne! Er will das silber reinigen Mal. 3?), nicht gar zu nichte machen. Im 3. artickhel*) bekennen wir, der heillig geist hab uns durehs wortt erleuchtet, mit seinen gaben. geheiliget und erhalten. Sollt er woll die sünde erleuchten, mit seinen gaben heiligen und erhalten? O heilliger geist, öffne doch die augen der verblendeten, die in solcher finsternis sitzen, handele nieht mit uns naeh unserer undankhbarkeit verdienst, sondern naeh deiner grossen barmherzigkheit, óffne uns die augen des herzens, das doch auch die verfüereten sehen, wie gar in grobe irthumb sie sich versenkhen. Der heillige geist samblet ihm ein kirche und gemeinschaft der heilligen, samblet er ihm dan ein hauffen sünde? seint vill sünde ein gemeinschaft der heilligen? bekhombt sünde vergebung der sünde? wirdt sünde auferstehen vom todt und ewigs leben haben? wer hat gemeinet, das der teuffel auch hoche leutte also verblenden solte? darumb last uns in furcht und zittern. für Gott wandelen, dann er ists, der in unĝ wirckhen mues beyd das wollen und das volbringen?); ohn ihn khönnen wir nichts guets thun. Job sagt cap. 19°): ich weiß, das mein erlöser lebet und er wirdt mich hernach auß der erden aufferweckhen, und werde darnach mit diser meiner haut umbgeben werden und werde in meinem fleische Gott sehen ; denselbigen werde ich mir sehen und meine augen werden

1) Aus Luthers Katechismus. ?) V. 21. 3) V. 8.

t) Luthers Katechismus.

5) Philipp. 2, 15.

6) V. 25.

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in schauen und khein frembder. Wer disen spruch vleissig erwiget, der sollt in verstehen, das sünde vill einanders sey, denn des menschen substanz oder wesen, nemblich leib und seel; denn der glaubig mensch, wie Job ist gewesen, wirdt ganz aufferstehen, ohn alle sünde. Wie khann dann die sünde sein substanz sein? denn das einer sagen wolt, Gott würde dem menschen, den er will seelig machen, ein neuen leib und seel machen, das ist nichts, weil hie Job’) sagt, das er eben in dem fleische, so er ietzt hab, Gott sehen werde, und wir glauben ein aufferstehung des fleisches, das wir ietzunder am halse tragen.

Den dritten grundt zeigt uns das heillig gebet Vatter unser. Seint sie sünde, die also Gott anreden, so mues gott ein vatter der sünden sein. Wolte einer sagen, weil sie wider geboren seint, so seint sie nicht sünde, so weisen wir denselbigen leib und seele, welche sie vor der wider- geburt gehabt; und der da spricht, vatter unser, der spricht auch, vergib und unser schuldt und David ps. 51: tilg ab meine missethat. Er bitt aber ie nicht, das er ihm sein Substanz vertilge, das er nicht mehr ein mensch sey. Also sagt er, erlóse unf vom übel, das ist freilich auch von der erbsünde, welche das allergroste übell und alles andern übels ein ursprunckh und quel ist. Soll nun die sünde von und abgesondert und wir dieselbigen menschen ohn sünde werden und bleiben, so muß ie sünde nicht des menschen Substanz sein. Solchs folget auch auß der absolution, Item auß der tauff und abentmall des herren; denn ie die sünde nicht loßgesprochen wirdt, sondern der mensch von den sünden. So wirdt ie die sünde nicht getauffet noch mit dem leib und bluet unsers herrn christi gespeiset, das sie khrefitig sey und ewig lebe, sondern der mensch waschet seine sünde ab durch die tauffe, und tröst sein gewissen mit vergebung der sünden, sterkht sich am inwendigen menschen mit des herren christi leib und bluet. Auß dem allen erscheint khlerer als der mittag, das die menschliche substanz nieht selbst sei die erbsünde. So unß dann nun unser Norma veritatis ganz bleiben soll, nemblich der liebe Catechismus, müssen wir fürwar diesen irthumb verwerffen und verdammen und die beschreibung der erbsünde also lassen, wie sie in der Augsburgischen Confession und Schmalkhaldischen artiekheln gesetzt wird?)

1) 19, 26, nach dem Grundtext vielmehr: „Und ledig meines Fleisches werde ich Gott schauen.“

2) Von hier an eine andere Hand. (Schluß folgt.)

—— zum —— -

Eine noch unveröffentlichte Vorarbeit

Luthers zu seiner Schrift: „Dass diese

Worte Christi ‚das ist mein Leib‘ noch fest stehn.“

Von &. Buchwald.

Die Lutherhandschrift, von der im Folgenden die Rede sein soll, ist Eigentum der Stadt Baden-Baden, wo sie seit 1895 in den Stadtgeschichtlichen Sammlungen aufbewahrt wird.

Vorbesitzer war der am 13. Dez. 1893 zu Baden-Baden verstorbene Musikdirektor a. D. Franz Pechatscheck') aus dessen Nachlaß die Handschrift im Jahre 1895 in den Besitz der Stadt gelangte. Die früheren Schicksale des Dokuments kennen wir leider nicht; es ist namentlich auch unbekannt, wann und auf welchem Wege es in den Besitz des Pechatscheck gekommen ist.

Nach ihrer Uebergabe an die Stadtgeschichtlichen Sammlungen wurde die Lutherhandschrift der Autographen- sammlung einverleibt, deren Neuordnung Ende 1919 durch den Konservator Dr. O. Schmitz zur genaueren Prüfung des wertvollen Stückes Anlaß gab.

Ende Januar 1525 erschien der zweite Teil der Schrift Luthers „Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament“?), in der er ausführlich Sinn und Bedeutung der Schriftstellen, die vom Abendmahl handeln, erläutert.

1) Franz Willibald Schmidt, gen. Pechatscheck, geb. in Wien am 1. April 1820, hatte sich anfangs der 70er Jahre in Baden-Baden niedergelassen, wo er bis zu seinem Tode als Tonkünstler tätig war. *) Weim, Ausg. 18, 44.

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Dabei wird Luther der Wunsch gekommen sein, auch die Meinungen der. Alten über das Abendmahl festzustellen. In demselben Briefe (vom 2. Februar 1525), in dem er Nikolaus Hausmann von der Vollendung seiner Streitschrift berichtet, schreibt er: Negotium dedimus aliquibus nostrum eruditis, ut non modo, quid Tertullianus, sed omnes veteres de Sacramento isto senserint, colligendi, ut obstruatur os loquentium iniqua!. Noch besonders aber wurde Luther veranlaßt, sich mit den Aussagen der Väter über das Abend- mahl zu beschäftigen, durch Ökolampads Mitte September 1525 erschienene Schrift De genuina verborum domini Hoc est corpus meum iuxta vetustissimos authores expositione liber?). Okolampad behandelt hier die Aussagen von Augustin, Cyprian, Ambrosius, Chrysostomus, Basilius, Tertullian, Origenes, Ignatius, lrenáus, Cyrill Hilarius, Gratian, Hieronymus.

Darauf geht Luther in seiner im April 1527 im Druck vollendeten Streitschrift: Daß diese Worte Christi „Das ist. mein Leib“ noch fest stehen?) ein. „Am letzten wollen wir aueh der veter sprüch ein oder zween handeln, zu besehen, wie sie D. Ecolampad handelt?),“ Er beschäftigt sich insbesondere mit Augustin, Tertullian, Irenäus, Hilarius und Cyprian.

In der hier zum ersten Male mitgeteilten Niederschrift Luthers haben wir dessen Vorarbeit für Weim. Ausg. 229, 21 bis S. 237, 7 vor uns. Luther setzt sich mit Ökolampads. Aussagen über Irenáus?) auseinander.

Die drei Stellen aus Irenäus sind folgende:

l. Lib. IV. 29. 4. (Gr. IV. 32) suis discipulis dans consilium, primitias Deo offerre ex suis creaturis, non quasi indigenti, sed ut ipsi nec infruetuosi, nec ingrati sint, eum qui ex ereatura est panis, accepit, et gratias egit, dicens: Hoe est meum corpus. Et calicem similiter, qui est ex ea

!) Enders 5, 115.

?) Vgl. Weim. Ausg. 19, 447.

3) Weim, Ausg. 23, 38 ff.

^) A. a. O, S. 209, 28,

5) De gennina expositione Bl. Giij s ff,

°) Zitiert nach der Ausgabe von Harvey (Cantabr. 1857).

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creatura, quae est secundum nos, suum sanguinem confessus est, et novi Testamenti novam docuit oblationem, quam Ecclesia ab Apostolis accipiens, in univero mundo offert Deo ei qui alimenta nobis praestat primitias suorum munerum.

2. Lib. IV. 31. 3. (Gr. IV. 34): Quomodo autem constabit eis, eum panem, in quo gratiae actae sint, corpus esse Domini sui, et calicem sanguinis eius, si non ipsum fabricatoris mundi Filium dieant id est, Verbum eius, per quod lignum fructificat, et effluunt fontes, et terra dat primum quidem foenum, post deinde spieam, deinde plenum triticum in spica? Quomodo autem rursus dicunt carnem in corruptionem devenire et non percipere vitam, quae a eorpore Domini et sanguine alitur? Quemadmodum enim qui est a terra panis, pereipiens invoeationem Dei, iam non communis panis est, sed Eucharistia ex duabus rebus consistens, terrena et coelesti: sic et corpora nostra percipientia Eucharistiam iam non sunt corruptibilia, spem resurrectionis habentia.

3. Lib. V. 2. 1 (Gr. V. 2): Et quoniam membra eius sumus, et per creaturam nutrimur; creaturam autem ipse nobis praestat, solem suum oriri faeiens et pluens, quem admodum vult, eum calicem, qui est creatura, suum sanguinem, qui effusus est, ex quo auget nostrum sauguinem; et eum panem, qui est a creatura, suum corpus confirmavit, ex quo nostra auget corpora. Quando ergo et mixtus calix et factus panis pereipit Verbum Dei, et fit Eucharistia sanguinis et corporis Christi, ex quibus augetur et consistit carnis nostrae substantia; quomodo carnem negant capacem esse donationis Dei, quae est vita aeterna, quae sanguine et corpore Christi nutritur et membrum eius est?

Zum Teil hat Luther diese Vorarbeit wörtlich in seine Schrift übernommen. Nur den ersten Spruch hat er unver- wertet gelassen, da das, was er darüber sagt, sich vornehm- lieh gegen die Papisten richtet.

Noch sei bemerkt, daß das Papier, das Luther benutzt hat, 31,4 em lang und 21 em breit ist und als Wasser- zeichen die Sehlange hat.

Unsere Handschrift bietet eine Ergänzung zu der dankens- werten Zusammenstellung der Originalhandsehriften Luthers in ,Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation veröffentlicht vou den Mitarbeitern der Weimarer Luther- ausgabe. Weimar 1917“. S. 256 ff.

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Drey spruche stehen ym Irengo, welche vom Sacrament / lauten, (... schlecht von sich macht bose gedancken / kriegen )

Der Erst Lib 4 cap 32, laut also

Vnser Herr (gab) da er seinen iungern radgab, das sie von seinen creaturn / solten erstlinge Gott opffern (nicht als durfft ers sondern auff das/sie nicht vn- fruchtbar noch vndanekbar weren) Nam er das brod / welchs eine creatur ist, vnd danck vnd sprach, das ist mein leib / Desselbigen gleichen den kelch, welcher auch ist eine creatur vnsers dinges [vnsers dinges über (fur vns)/bekandte er das sein blut sey/ vnd lerete [lerete über (hat)] damit eine [damit über eine] new opffer ym newen testa / ment (damit gelert), Welchs die Christenheit von den Aposteln angenomen / hat, vnd opfert ynn der gantzen welt, Gott, der vns neeret, die erstlin / ge yhrer gaben,

Dieser spruch (get) laut auffs erst, als sey die messe ein papisten opffer [papisten über opffer], (vnd» das lassen / wir gleuben wer do wil. Wir gleubens nieht, vnd halten das lreneus/ meynung sey, das brod vnd wein (das Chr» welche Christus ynn sein / fleisch vnd blut segenet, werde Gott also geopffert Nicht das ers bedurff /odder wir damit vergebung der sunden erlangen solten, wie die Papisten / yhre messe opffern, denn Ireneus streit an dem selbigen ort hart,/das gott nichts gebiete odder fodder von vns, als bedurffe ers, sondern / vmb vnser willen, das wir sollen vns danckbar vnd fruchtbar beweisen / wie seine eigen [eigen am Rande zugefügt] wort auch ynn diesem spruch da stehen Nicht als/durfft ers, Sondern das sie nicht vndanekbar noeh vn/fruchtbar seyen, weil denn seine eigen wort stehen, mussen / wir den sprach aueh naeh den selbigen seinen worten vnd nieht naeh / vnsern gedanekn richten, Das opffern bey yhm nichts anders sein / kan denn (lere? Gott dancken durch das sacrament brods vnd weins / welchs doch Christus leib vnd blut ist, Denn er spricht, man opffere / odder daneke damit dem Gott der vns neeret, das ist, brod vnd wein / ist vnser speise von gott geben drumb opffert man es ym sacrament / zu(m) dancken unserm Gott der vns neeret, Wenn die Papisten auff / die weise das opffer liessen bleiben, das es nur zu dancken, (vnd als ein) / geschehe, so hette es nicht hadder, Aber nu machen sie ein solch werck / draus damit sie gott versunen vnd den hymel verdienen vnd andern / erwerben / |

Item zum andern laut er, als sey das sacrament eitel brod vnd wein / weil er spricht, Christus habe die Jungern

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gelert von den creaturn / opffern vnd das brod vnd der kelch seyen Creaturn / Aber hie / ist aber mal seinen eigen worten zu folgen, da er spricht, das Christus / habe das brod, welchs eine Creatur ist (vnd) nach dem er gedanckt hat / dasselbige brod, seinen leib genennet, vnd den selbigen kelch sein blut / bekennet / Denn da stehen aber mal seine wort durr vnd klerlich / [Seite 2] Calicem similiter sanguinem suum confessus est, Et (Pane) Gratias egit / dicens, hoc est meum corpus, Denn wir leucken nicht, das brod vnd / wein ym sacrament [ym sacrament am Rande zugefügt] Creatur sind, aber gleichwol der leib vnd blut Christi, wie Ireneus / hie auch sagt Diesen spruch wird niemand anders mugen deuten / vnd ist der schwermer- geister glosen nichts, Denn er ist zu klar, /

Der ander spruch lib 4 cap. 34

Wie wollen sie wissen, das, das brod, daruber man danck, yhres herrn leib sey / vnd der kelch sein blut wenn sie nicht bekennen (den son des schepffers) / das er sey der son des schepffers der wellt? Diser spruch ist seer / starck vnd fest, Das ym sacrament Christus leib vnd blut ' sey Denn / er spricht Wenn (sie) die ketzer [die ketzer am Rande für (sie)| Christum nicht lassen Gotts son (seyn) vnd vnsern / herrn sein, so kennen sie viel weniger gleuben, das (g» das brod vnd / kelch sein leib vnd blut sey, also sey solehs von Christo geordent / vnd von den ketzern gehalten vnd sie doch [sie über doch| Christum nicht lassen herrn noeh / Gotts son sein /

Item Gleich wie das brod [corr aus bros] von der erden, wenn es (empfehet bẹ vberkomt / das nennen (d) von Gott. so ists nicht mehr (ge) schlicht brod, sondern / sacrament (vnd be) welches |welches über (vnd beð] steht ynn zweyen dingen, einem yrdischen vnd einem / hymlisschen Also auch wenn vnser leibe das sacrament empfahen / sind sie (al) alsdenn nicht mehr verweselich weil sie die hoffnung / der aufferstehung haben, / Hie spricht er, wenn Got das yr/ dissche brod nennet odder namen gibt, ists nicht mehr schlecht brod,/ wo nennet ers aber? Da er spricht, Das ist mein leib, da nennet / ers seinen leib(t? / Item das Sacrament bestehet ynn zwey dingen / yrdisschem vnd hymlisschen, / Oecolampadius (sp) deutet das also / Die zwey ding sind brod vnd wort, Aber man heisst nicht verbum /res Ireneus spricht aber, duabus rebus constat Eucharistia, Vnd/ Eucharistia constans illis duabus rebus [constans bis rebus am Rande zugefügt] fit vocatione dei [dei oben nach vocatione] ./. verbo, vt verbum sit efficiens Eucha / ristiam constantem duabus rebus celesti & terrena. Der spruch /

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steht auch gewaltig Item (ym) am [am über (ym)] selbigen ort, spricht Ireneus / Wie sagen sie, das, das fleisch musse vergehen, vnd muge das leben / nicht bekomen, So es doch vom leibe vnd blut des HErn gespeyset wird. /Da sihestu das ym sacrament Christus leib vnd blut ist, weil vnser / fleisch vom leib vnd blut Christi geneert wird, Das ist noch mehr / gesagt, denn das wir leiblich Christus leib vnd blut ym sacrament essen / vnd trincken Die ketzer hielten, das alleine die seele selig wurde/der leib müste vergehen, daraufit sagt Ireneus, wie solt der leib nicht / auch selig werden, geneusst er doch hie auft erden einer ewigen lebendigen / speise, das ist des leibs vnd bluts Christi? /

[Seite 3] Der dritte spruch Lib. 5. cap 5.

Gleich wie er auch den kelch (welcher ein creatur ist, (se) bekennet, das/sein leib ist, durch welchen er unser leibe (mehret) stercket [stercket über (mehret)], Wenn nu / der eingeschencke kelch, vnd das gemachte brod (das) gotts wort [wort gotts} (so) bekomet/so wirds das sacrament des leibs vnd bluts Christi Durch welche / vnsers leibs natur (wechst) zu nympt vnd erhalten wird Wie thuren / sie denn leucken, das der leib nicht solte (der gottlichen gaben gotts) / fehig sein der gaben Gotts, welche ist das ewige leben, so er doch vom/leibe vnd blut (das her) Christi gemeeret wird vnd sein gelied ist /

Hie sagt er ia auch durre eraus, Das vnser leib ge- mestet wird, durch / den leib vnd blut Christi, ym sacrament empfangen, Welehs doch gar/ein vngehorte rede ist Zu vnsern Zeiten, Ja auch Zu Augustins Zeiten / welcher spricht, Es sey eine speyse nicht fur den bauch, sondern fur / die seele, Aber Gott hatt wollen Ireneum vnd seins gleichen so / grob (wollen) dauon reden lassen, auff das die zukünfitigw ketzer musten / greiffen, wie die veter habens gewis gehalten, Das Christus leib/ vnd blut leiblich wurde genomen ym sacrament, Denn freylich / der leib vnd blut Christi nicht verdawet wird ym bauch noch / den leib mestet, Aber gleich wol sprieht Ireneus, das das brod / welchs eine Creatur ist vnd durehs wort gotts Christus leib wird / vnser narung sey vnd [vnser narung sey vad am Rande zugefügt] So [So über (So)] wird der leib damit gespeyset, nicht allein mit dem brod natur / lich, sondern auch mit dem leibe Christi geistlich, also, das (der) vuser /leib solle unsterblich sein vnd werden, vmb des vusterblichen leibs / Christi willen, den er Zu sich nympt vnd sampt dem brod isset, / Das ist Ireneus meynunge, das geben seine wort gewaltiglich /

Hierumb konnen vnd sollen vos die wort Ireneus nicht yrren, da er/den keleh vnd brod Creatur nennet, (Abe)

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Denn er unterscheidet / brod vnd kelch, wenn sie on Gotts wort sind, vnd wenn Gotts wort dazu kompt, On Gotts wort (spricht er) [(spricht er) am Rande zugefügt] ists schlecht brod, Aber durch gotts/ wort, wirds Christus leib, Er gibt Gotts wort die allmechtickeit / (wie billich) denn Gen primo (da) alle ding von yhn selbs nichts / waren, Als aber Gotts wort dazu kam vnd sprach, Es sey liecht 2c. / da war es 80 bald liecht, wie das wort laut, Also hie auch, ehe / denn Gotts wort (dazu k) da ist, so ists schlecht brod, Aber wenn / das wort (da) Gotts dazu kompt vnd spricht, das ist mein leib, so ists / also bald sein leib, denn solch wort ist nicht vnser wort, das wir /sprechen, sondern Gotts wort, vnd Gott sprichts durch vns, Denn / wir habens nicht erdacht noch erfunden, sondern ist vns von yhm befolhen /

Der ProzeB des Johannes Pollicarius. Von Otto Clemen.

Zu den zahlreichen Korrespondenten des Zwickauer Rektors Christian Daum!) gehört Jakob Thomasius, der Vater des Christian Th., 1650 Konrektor, 1670 Rektor der Nikolai- schule in Leipzig, daneben Universitätsprofessor ?). 53 Original- briefe von ihm an Daum befinden sich in des letzteren Briefsammlung auf der Zwickauer Ratsschulbibliothek; dazu kommen Daums Antworten in dessen Konzeptbüchern. Die in flüssigem und durchsichtigem, nur manchmal etwas künst- lichem Latein abgefaßten Briefe gewähren eine anziehende Lektüre, und es macht Spaß, zu verfolgen. wie die beiden yelehrten sich mit grammatisch-lexikalischen und literar- historischen Fragen bombardieren und sich gegenseitig auf allerlei in Vergangenheit und Gegenwart aufmerksam machen, was den anderen interessieren könnte, mitunter freilich scheinbar nur zu dem Zwecke, dem anderen mit den eigenen ausgebreiteten Kenntnissen zu imponieren. So weist z. D. Thomasius einmal (10. Juni 1653) den Zwickauer Rektor auf einen „Johannes Pollicarius Cygneus“ hin, „cuius extat historia de vita Lutheri“, und fragt jenen, ob dieser Polli- carius das ist ja die Latinisierung von „Daum“ ein Verwandter von ihm wäre. Daum beeilt sich, zu antworten (29. Juni 1653): „Pollicarius ille Cygneus, pastor Weißen- felsensis", habe nicht nur eine vita Lutheri verfaßt, sondern habe sieh auch in deutscher Sprache gegen den Naumburger

1) Vgl.sein von R. Beck gezeichnetes Lebensbild in den Mit- teilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend, Heft 3, Zwickau 1891, S. 1 ff.

*) Vel. Beck, M. Christian Daums Beziehungen zur Leipziger gelehrten Welt während der sechziger Jahre des 17. Jahrh., 2. Teil, Zwickauer Gymnasialprogramm 1894, S. 1f.

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Bischof Julius von Pflug schriftstellerisch betätigt, er sei aber nur weitliufig mit ihm verwandt: ,fuit vel propatrui mei vel abpatrui filius“ 4),

Zu den beiden Briefstellen macht sich ein kleiner Kom- mentar nötig. Daß Pollicarius eine Lutherbiographie ver- faßt habe, ist ein Irrtum beider Gelehrten. P. hat nur unter dem Titel „Historia de vita et actis reverendissimi viri D. Mart. Lutheri^ Melanchthons bekannte Vorrede zu dem „Tom. Il omnium operum M. Lutheri“ herausgegeben und Carmina quaedam de beneficiis, quae Deus per Lutherum orbi terrarum contulit. Item disticha aliquot de actis Lutheri“ beigefügt. Das Werkchen erschien erstmalig 1548 bei Ger- vasius Stürmer in Erfurt? Voraus geht eine Widmung an Fürst Georg von Anhalt vom 20. Okt. 1547. Das Auftreten des Polliearius gegen Pflug, auf das Daum Bezug nimmt, fällt ins Jahr 1557. Zuerst erschien von ihm folgende Schrift: Antwort / Auff das vergiffte büch / des Bischoffs Naumburg, welchs erst / lich blind, hernachmals aber vnder seinem na-/ men, Erffurd im offentlichen truck ist auf / gangen, wider vnsere Lehr vnd / Kirchen. / Durch / Johannem Pollicarium, Pre- / diger zi Weissenfelß. / ... Getruckt Straßburg / durch Samuel Emmel. /M.D.LVIL®)/ Von Pflugs Schrift, die Pollicarius auf den Plan rief, besitzt die Zwickauer Ratsschulbibliothek folgenden Druck: Christ- liche er- /innerung vn ermanung Herrn Julij, Bisch- / offen zur Naumburgk: / an sein Volck*). / Als dann in Mainz „unter dem Namen Martini Venatorii^ eine Verteidigung jenes Hirtenbriefs erschien, erließ Pollicarius folgende Entgegnung: Von der Kirchen / Wider die zwey Bücher, des Bischoffs / zur Naumburg, -vñ Martini Venatorij, / Mentz vnd Erffurd im Truck außgangen, / wider vnsere Lehr vnnd / Kirchen, 2c. / Andere Antwort. / Magistri Johannis Pollicarij, Predigers /

1) Beck, Daums Beziehungen S. 14.

2) Ex, Zw. RSB. 11, 9. 44,. Vgl. Karl Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae, Berlin 1879, S. 604 Nr. 130; Christof Schubart, Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis, Weimar 1917, S. 22f, 132.

5, Zw. RSB. 8, 6. 6,.

t) Zw. RSB. 9. 6. 5,.

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Weissenfelß, im Churfürstenthumb /Sachssen. /... Gedruckt Straßburg, bey Samuel Emmel, im Jar / M.D.LVII!). / Zum Schluß Abdruck eines Abschnitts aus Luthers „Wider Hans Worst“ 1541, der 1543ff, unter dem Titel „Von der alten, rechten Kirchen, was, wo u. wer sie sei u. warbei man sie erkennen soll“ u. „Von der neuen, falschen Kirchen ...“ erschienen ist?).

Unter den Druckschriften des Pollicarius ist noch manches interessante Stück. Ein Zeugnis von ungewöhnlicher Ver- trautheit mit den altklassischen Autoren ist seine Ausgabe der Declamatio des Zacharias Lilius von Vicenza?) de fuga- eitate, miseria ef inconstantia vitae et omnium rerum hu- manarum mit zwei Anhängen: Eiusdem generis aliquot sapientum apophthegmata et Zrıyoduuera Graeca una cum interpretatione Latina, erschienen 1553 bei Georg Hantzsch in Leipzig*). Voraus geht ein Widmungsschreiben an den kursächsischen Kanzler Hieronymus Kiesewetter vom 3. Juni 1553. Pollicarius bittet darin den Kanzler, einstweilen mit dieser Schrift verlieb zu nehmen, bis er ein großes auf fünf Bände berechnetes Geschichtswerk, an dem er seit fünf Jahren arbeite, vollendet habe. Noch erstaunlicher ist der SammelfleiB und die Vertrautheit mit der Bibel und den Vätern, die Pollicarius in folgender 1560 gleichfalls bei Hantzsch erschienenen Schrift offenbart: ENCHIRI DION. / Von den vor-/ nemesten Stücken vnd Ar- /tickeln Christ- licher Lahr, grund / vnd beweis, aus heiliger Sehrifft, / vnd den alten bewerten Patri-/ bus vnd Concilien,... Der Verfasser hat sie dem Rate seiner Vaterstadt gewidmet; das sehr schón gebundene Dedikationsexemplar verwahrt die Ratssehulbibliothek?). Polliearius hat auch ein Gesangbuchs- lied gedichtet: Ein naw andechtigs Lied vom ende der Welt

1) Zw. RSB. 8. 6. 6,.

2) Vgl. W. A. 51, 166, wo aber die Bezugnahme auf ones Ver- öffentlichang des Pollisrins fehlt.

3?) Vgl. über ihn Hurter, Nomenclator literarius theologiae catholicae t. II, Oeniponte 1906, col. 1061sq. Hier wird von diesem Regularkanoniker nur angeführt: Breviarium orbis, Florenz 1493.

*) Zw. RSB. 6, 10. 49, 17. 9. 35,.

5 1. 7. 1.

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII 1. 5

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vnd Jüngsten tage, Vnd wie die Gotlosen sollen doran ge- strafft werden,...in dem er über die sittlichen Schäden der Zeit klagt und immer wieder mit dem Refrain schließt: Wenn will ein end draus werden?!) Wir können uns jedoch hier nicht weiter mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit?) befassen sein Erstlingswerk wird unten noch zu erwähnen sein —, sondern müssen zu der Korrespondenz Thomasius- Daum zurückkehren. | Ogleich Daum für den Sohn seines Urgroßonkels kein sonderliches Interesse bekundet hatte, behielt Thomasius den "Weißenfelser Pastor weiter im Auge und übersandte zunächst am 4. Oktober 1653 dem Zwickauer Freunde einiges Quellen- material über seinen Ahnen. Darunter befand sich eine Beichte, die Pollicarius am 26. Juli 1569 abgelegt hat und die uns unten noch beschäftigen wird. Am 17. Dez. 1653 trug Thomasius dazu noch nach, daß diese confessio, die er aus einer Handschrift abgeschrieben hätte, im zweiten Teile der „Trostsprüche“ des Nikolaus Selnecker gedruckt stände, „sed dempto Pollicarii nomine“. Die Abschrift und die übrigen Notizen von der Hand des Thomasius sind jetzt in der Daumschen Briefsammlung nicht zu finden, jedoch ist der Verlust nicht weiter schmerzlich, da außer dem Abdruck

1) Wackernagel, Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes, Frankfurt a. M. 1855, Nr. 743. Das Lied des Pollicarius ist abgedruckt bei Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied 3, Leipzig 1870, Nr. 1257.

?) Vgl. Rolermund, Fortsetzung und Ergänzungen zu Jóchers Allgemeinem Gelehrtenlexikon 10, Bremen 1819, Sp. 532 und Gódeke, Grundrifü 22, 190f. 98. Der libellus megl dixacoovyns a pastore Leucopetraeo scriptus, den Melanchthon am 6, April 1552 nach Nürn- berg schickt (CR 7, 977), ist des Pollicarius „Antwort auf das Buch Osiandri von der Rechtfertigung des Menschen“, erschienen bei Veit Creutzer in Wittenberg (Bibliothek K. F. Knaake Abt. 3 = Oswald Weigel, Leipzig, Auktionskatalog N. F. 6 Nr. 858; W. Möller, Andreas Osiander, Elberfeld 1870, S. 491). Über Übersetzungen Brenzscher Schriften von P. vgl. P. Flemming in der Zeitschrift des Vereins f. Kirchengesch. der Provinz Schsen 16, 11 Anm. Eine Schulpredigt des Job. Mathesius („Von der schule Elise, des großen Propheten Gottes, II, Regum III....*; Zw. RSB. 20. 7. 11) hat P. 1560 bei Georg Hantzsch in Weißenfels erscheinen lassen (Georg Loesche, Johannes Mathesius 2, Gotha 1895, S. 395 Nr. XIV 1).

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bei Selnecker noch ein zweiter Abdruck der confessio vor- liegt und ein späteres Schreiben in der Daumschen Brief- sammlung ftir die tibrigen verloren gegangenen Notizen reich- lich Ersatz bietet, Thomasius suchte nämlich auch noch später Daum bei dessen genealögischen Studien gefällig zu sein und bat Christian Weise, den nachmaligen Zwickauer Rektor und bekannten Pädagogen und Dramatiker, als dieser Professor für Politik, Eloquenz und Poesie am Weißenfelser Gymnasium Augusteum geworden war’), nach dem einstigen dortigen Superintendenten archivalische Nachforschungen an- zustellen. Weise, der nicht wußte, daß Thomasius diese Anfrage Daum zuliebe an ihn gerichtet hatte, antwortete zunächst kurz, vertiefte sich aber dann in die Akten und teilte das wichtigste daraus Daum unterm 3. Aug. 1676 mit. Dieses Stück, die Hauptquelle für die interessanteste Episode aus dem Leben des Pollicarius, da er vielleicht gar nicht so schlimme sittlicheVerfehlungen mit unverhältnismäßigschwerer und langer Kerkerhaft büßen mußte, ist im Anhang abgedruckt. Ehe wir jedoch auf diese mit dem Jahre 1569 einsetzende Episode eingehen, müssen wir einfügen, was sich über die vorausgehenden Lebensschicksale des Pollicarius ermitteln läßt.

Er wird 1524 geboren sein?) Im Winter 1542 wurde er in Leipzig, am 21. Jan. 1545 in Wittenberg immatrikuliert: am 1. Sept. 1545 wurde er hier magister artium. Zwischen seiner Leipziger und Wittenberger Studentenzeit war er an der Schule in Rochlitz tätig. Wir besitzen nämlich eine 1544 bei Joh. Oporinus in Basel erschienene Schrift von ihm: De recta et ordinata voeum compositione libri III. Joannis Polliearii Cygnaei opera in studiosorum gratiam collecti nuneque primum in lucem editi?) Das an den Zwickauer Bürgermeister Oswald Lasan gerichtete Widmungsschreiben ist datiert: Rochlicii ex schola nostra 1544 in ipsis feriis Johannis Baptistae, hoc est VIII idus Junij (24. Juni). Der Verfasser bezeichnet sich darin als Schüler des Petrus Pla- teanus und des Joachim Camerarius; er wird also auf dem

1) Vgl. über Weise ADB 41, 523 ff.

?) In der bei Flemming a. a. O, zitierten Vorrede von 1584 schreibt er: „Meins Alters im 60,“

3) Zw. RSB. 4. 10, 18,.

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Zwiekauer Gymnasium, das unter dem Rektorate des Plateanus seine höchste Blüte erreichte !) für die Leipziger Universität vorgebildet worden sein. Gleich nach seiner Magisterpromotion richtete er an Antonius Musa, Superintendenten in Merseburg, ein Gesuch um Anstellung in dessen Ephorie; Musa gab das Gesuch unterm 20. Sept. 1545 an Fürst Georg von Anhalt, den neugeweihten Bischof, weiter °); am 20. Dez. wurde er von diesem für das Diakonat in Laucha (Ephorie Freiburg an der Unstrut) ordiniert?). Von hier siedelte er bald als Diakonus nach Weißenfels über. Schon am Schlusse des oben erwähnten Widmungsschreibens an Fürst Georg vom 20. Okt. 1547 nennt er sich „apud Weisenfelsenses verbi Dei minister“. Desgleichen erscheint er in einer mir un- bekannt gebliebenen Druckschrift mit Vorrede vom 16. Jan. 1548 (,Etzliche Bußpredigten Brentii verdeutschet^) als „Prediger zu Weißenfels“ *). Hiermit ist schwer zu vereinigen, daß er - unterm 6. Mai 1548 eine Vorladung vor das Merseburger Konsistorium erhielt, „weil er das Pastorat von Querfurt aufgegeben habe und das Diakonat von Weißenfels, über das er vorher so oft wegen der vielen Arbeit und des ge- ringen Einkommens Klage geführt hatte, wiederzubekommen wünsche“. 5)

Auch über der weiteren geistlichen Laufbahn des Polli- carius liegt ein Schleier. Nach dem Weißenfelser Chronisten Heydenreich®) wurde er am 24. März 1561 vom Kurfürst

1) Herzog, Gesch. des Zwickauer Gymnasiums, Zwickau 1869, 8.8.17. 76f. E. Fabian, M. Petrus Plateanus, Zwickauer Gymnasial- programm 1878, S. 8ff,

2) O, Clemen, Archiv für Reformationsgesch. 9, 49. Musa schreibt ausdrücklich: „Est doctus et bonus, sed in ministerio Euangelico hactenus non est versatus, quare nihil gravaretur diaconi vices interim subire.“ Schon hieraus folgt, daß er nicht schon 1540 Pfarrer zu St. Afra in Meißen gewesen sein kann, wie Kreyßig, Album der evangelisch-lutherischen Geistlichen im Königreiche Sachsen?, Crim- mitschau 1898, S, 3 meint.

3) Flemming a. a. O. S. 10.

4) Flemming S. 11 Anm.

5) Ebd.

* G. H. Heydenreich, Kirchen- und Schulchronik der Stadt und Ephorie Weißenfels seit 1539, Weißenfels 1810, S. 167,

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August zum Superintendenten von Weißenfels und Freiburg bestellt, Dem widerspricht, daß er sich schon im Titel der oben erwähnten, wohl im März 1552 erschienen „Antwort auf das Buch Osiandri^ Pfarrer und Superintendent zu Weißenfels nennt. Dagegen stimmt zu Heydenreichs Angabe ein Brief des Pollicarius vom 2. Juli 1555, adressiert: „Jacobo Wigando, Pastori ac Superintendenti WeiDenfelsensi*, in dem er diesem einen Verwandten für das Pfarramt in Weischiitz (Ephorie Freiburg) empfiehlt!) Auffällig ist nun aber wieder an dem Briefe, daß er datiert ist: „Fryburgi ...“ War Polliearius vertretungsweise oder sonst vorübergehend dort tätig? In Veröffentlichungen von 1554 (Historia von der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, Vor- rede vom 19. Nov. 1553)?), 1556 (Trostspiegel der armen Sünder, Vorrede vom 12. April 1556)°), den Streitschriften gegen Pflug von 1557 und der Ausgabe von Mathesius’ Sehulpredigt von 1560 (s. o. nennt er sieh einfach, wie sehon 1548, darum freilich vom Merseburger Konsistorium zur Rede gestellt, „Prediger zu Weißenfels“.

Sicher war er Superintendent, als er wegen ürgerlichen Lebenswandels abgesetzt und am 23. Sept. 1568 auf das Weißenfelser Schloß abgeführt wurde. Wir folgen nun den Nachrichten, die wir Christian Weise verdanken. Als er sich weigerte, Angaben tiber den Verkehr mit einer Dirne, die er aus Furcht vor der Tortur getan hatte, zu wieder- holen, befahl Kurfürst August unterm 4. Mai 1569. dem Hauptmann, ihn einmauern zu lassen, bis er verhungere. Weise meint, das Gebot sei nicht ernst gemeint*), sondern darauf berechnet gewesen, Pollicarius zu erschreeken und das Schuldbekenntnis, das man von ihm hören wollte, aus ihm herauszupressen; der Hauptmann habe die Nebeninstruktion erhalten, den Polliearius, wenn er die Aussage verweigere, in einem unterirdischen Gefüngnis bei Wasser und Brot fest-

) Enders, Beiträge zur bayerischen Kirchengesch, 3, 146f.

?) Zw. RSB. 12. 6. 19,.

3) Zw. RSB. 36. 3. 1.4.

^) Bei der Grausamkeit, die ,Vater August“ gegen Peucer, Cracow, ferner gegen Wilddiebe betätigt hat, wäre ihm dies aber doch zuzutranen!

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zuhalten. Dieser Fall trat ein, und Pollicarius wurde in eine finstere, feuchte Höhle, neun Ellen unter dem Erdboden, geworfen. Am 26. Juli wurde er vorübergehend daraus be- freit, beiehtete in einer Stube des Schlosses den beiden Diakonen Augustin Jonas!) und Georg Lysthenius?) und empfing darauf die Absolution und das heilige Abendmahl. Aber erst 1570 wurde ihm eine etwas mildere Behandlung zu teil, und erst am 22. Sept. 1573 verfügte der Kurfürst, daf er in ein helles Gemach überführt wurde, wo er lesen und meditieren konnte. Seine volle Freiheit erlangte er erst 1578 wieder. i

Die confessio des Pollicarius vom 26. Juli 1569 ist außer bei Selnecker *) abgedruckt in der „Fortgesetzten Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen“ 1728, S. 506 —21. Lysthenius hat diesen Bericht als „Beichtvater der Frau Äbtissin in Weißenfels“ für dieselbe aufgesetzt. Es ist das eben die Schwester des Kurfürsten August Sidonia, die mit Herzog Erich U. von Braunschweig-Calenberg vermählt ge- wesen war, auf deren Fürsprache Weise die Milderung in dem Verfahren gegen Pollicarius zurückführt. Die beiden Diakonen trafen den Unglücklichen in einem ganz elenden Zustand: „Da wir denn beyde einen anderen Pollicarium an Form und Gestalt mit aufgelaufenem Leibe, als ob er wasser- süchtig wäre, auf der rechten Seite ineinandergewachsen und gekrümmet, darzu verdorret und gar vermattet gefunden .. .“ Und Pollicarius selbst schilderte seine Lage: , und obwohl dieser mein armer, niehtiger, ausgehungerter, verdorreter, krummer

1) Vgl. über ihn Flemming 8. 20. Er wurde 1574 Superintendent von Weißenfels (Pollicarius Nachfolger?), starb aber schon 1575,

2) Vgl. über ihn ADB. 18, 778; Kreifig S. 122. Er wurde 1572 Superintendent in Liebenwerda, 1573 Hofprediger in Dresden, 1587 Superintendent in Weißenfels und starb 1596.

3) Christliche, / Vnd / Sehr Schóne / Trostsprüche, vor engstige, / betrübte, vnd verfolgte Christen: / .. . In Leypzig, bey Johan. Beyer. 1593 / 2. Teil S. 185—201: „Confessio cuiusdam. captivi pastoris ex carcere ad absolutionem et communionem accedentis et multis lacrymis effusis ita loquentis." Herausgeber der ,Trostsprüche" ist Nikolaus Selneckers Sohn Georg, Superintendent in Delitzsch. In der Vorrede erwähnt dieser, daß sein Vater den 2. Teil als Flüchtling „in seinem dazumal miihseligen Zustande Anno 90 im Kloster Berga vor Magde- burg colligiert^ habe.

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und vermatteter Leib ... unter die Erden gesteckt, den giftigen Würmern, Schlangen und Kröten zur Speise an einer Ketten vorgelegt wurde, denn, lieben Brüder, ich hange mit meinem Bein an einer Eisenfessel, da setzen mir die giftigen Würmer sehr zu, muß mich immer mit ihnen schlagen ...“ Aber fleischlicher Sünden bekannte er sich nicht schuldig, sondern beklagte nur den „verdammten schrecklichen Saufteufel“, der ihn „dazu bracht“ hätte.

Ruft schon diese confessio unser Mitgefühl wach, so erst recht noch ein zweites Aktenstiick, das uns im Wortlaut bekannt geworden ist’). Es ist ein Gnadengesuch, das der gleichnamige Sohn des Johannes Pollicarius für seinen Vater, bald nachdem dieser jene Beichte abgelegt hatte, an die Kurfürstin Anna gerichtet hat. Der Bittsteller trägt hier zunächst über seine Personalien folgendes vor: Er habe sich vor ungefähr vier Jahren von seinem Vater getrennt und sich erstlich nach Rostock auf die Universität zum Studio be- geben, hernachmals sei er nach Kopenhagen gezogen und, nachdem er dort auch eine Zeit lang studiert, habe er einem Rufe auf die dänische Insel Fehmarn Folge geleistet und allda Schule und Kirche gedient. Vor kurzem sei nun sein jüngerer Bruder zu ihm gekommen mit der Botschaft, daß ihr Vater „in einem thurm vormauert, an eine ketten ge- schlossen und den dag nicht sehen kan, ihm auch nicht mehr des dages den auf einmal ein wenig trucken brod und eine kandel wassers tzur speise und tranck gereichet wurde“. Er sei sofort nach Weißenfels abgereist und habe dort die Lage seines Vaters noch schlimmer gefunden, als sie ihm gemeldet worden sei. Er habe gar nicht zu ihm vordringen, kein Wort mit ihm reden können; an dem alten Manne sei nicht mehr als Haut und Bein zu sehn, tags und nachts müsse er sich mit Schlangen, Kröten und Ratten herum- schlagen, „wie mich die leute berichtet, die ihnen gesehen, da er seine confessionem oder bekentnus gedan.“ Der Bitt- steller fleht nun um Gnade für den alten Vater und schließt ein rührendes Zeugnis opferwilliger Kindesliebe mit dem Erbieten: „so will ich selbest zu erledigung meines

1) Th. Distel, ZKG. 11, 167 ff.

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armen vaters, da er es verwirket haben sollte, mein leben lassen und, so er keine gnade erlangen mag, mich an seine stadt, darmit er entlediget, stellen."

Der Bittsteller ist sicher identisch mit dem in Weises Briefe erwähnten ältern Sohne Johannes, von dem es dort heibt: in eausa parentis fuit oceupatissimus, zugleich auch mit dem ebenda begegnenden angeblieh dritten namenlosen Sohne, der ecclesiastes in Dania gewesen sein soll. Daß Johannes Polliearius iunior Geistlicher in Guhrau in Schlesien gewesen sei ist dagegen wohl eine Verwechslung Weises mit einem aus Sehlesien stammenden Magister Daumius, von dem Thomasius am 10. Juni 1653 an Daum schreibt, daf er ihn vor zwölf Jahren in Wittenberg kennen gelernt habe.

Ganz dunkel sind die Lebensausgänge des einstigen Weißenfelser Superintendenten. Einer Nachricht zufolge erhielt er nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis aus Kommiseration und zur Pönitenz die Pfarre Mark werben }),

Aus der Vorrede an den Rat zu Regensburg von 1584 zu einer mir nicht vorliegenden Drucksehrift von ihm von 1586 („Zwo erschreckliche Historien erklärt durch Brentium und hirnach verdeudschet“) scheint sich zu ergeben, daß er 1584 als exul in Regensburg weilte?). Vielleicht ist er 1588 über Rostock nach Kurland gereist, dort Hofprediger der Herzogin- witwe Anna geworden und in diesem Amte in hohem Alter gestorben ?).

Polliearium WeiBenfelsensem quod attinet, equidem memini Thomasium ex me quaerere, num aliqua mihi de

viro essent cognita. Sed nesciens talia quaeri in gratiam elarissimi viri et tum respondi brevius et in posterum ne

1) Tob. Schmidt, Chronica Cygnea, Zwickau 1656, S. 484.

? Flemming S. 11 Anm.

3) Davidis Chytraei epistolae, Hanoviae 1614, S. 824 (vgl. Joachim Feller, Cygni quasimodogeniti, Lipsiae 1686, Fol. C 2a): Chytráus an Jeremias Homberger aus Graz, damals in Regensburg (wo P. 1584 als exul weilte!), Rostock 22, Sept. 1588: ,Misi in Cur- Jandiam Joh. Pollicarium senem, qui casu ad nos venit, cum ante - 90 annos Weisenfelsae in Misnia Superintendens fuisset.“ Nach Theodor Kallmeyer, Die evangelischen Kirchen und Prediger Kur- lands, 2. Ausg. v. G. Otto, Riga 1910, S. 576 wurde hier M. Joh. Poli, aus Weißenfels, der seit 1567 in Rostock studiert hatte, Hofprediger

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quidem fui solicitus, ut accuratiora cognoscerem. Nune, quae ex archivo Praefecturae nostrae excerpere potul, hie habe. D. 23. Sept. 1568 in custodiam areis Weißenfelsensis (quae nune plane aliam induit faciem) missus est. Postea et pla- cide et rigide, fallor? et per torturam de eriminibus fuit examinatus. Cum autem [fateretur quidem se cum tribus ancillis, quo tempore fuisset viduus, imo post repetitas nup- tias, rem habuisse, quarum una pulchrae Lenae s. Magda- lenae, ut arbitror, nomine fuerat celebris, neque tamen, quod ob metum torturae affirmaverat, confirmare vellet, se cum Lena, quamdiu habuisset maritum, consuevisse, d. 4. Maji 1569 rescripsit Elector ut muro undique clauderetur, donee fame periret. Monitus interim Praefectus est, talia saltem esse seripta in terrorem, ut promptiorem ederet confessionem: quod si tamen perseveraret negare, mitteret eum in carcerem subterraneum, ibidemque tenui pane et aqua sustentaret. Ita coniectus in speluneam novem ulnas profundam cum tenebris, eum tentationibus Diabolieis, imo cum lacertis et serpentibus est conflictatus. Extractus inde d. 26. Julii eiusdem anni, antequam in conclavi areis sacram indipis- ceretur synaxin, confessionem edidit plane singularem, euius copiam a Thomasio tibi faetam suspicor. Sed remissus est in custodiam, donee 1570 mansuetiori carceri traderetur, ubi tamen lucis usura nondum frui potuit. D. 22. Sept. 1575 Electori demum placuit, ut in lucido conclavi detineretur, ubi lectionibus et meditationibus indulgere sine impedimento posset. Quo anno fuerit liberatus, in actis non invenio: eolligo tamen ex circumstantiis infra exponendis faetum 1578. Liberos ex priori matrimonio habuit plures. In aetis nominantur Johannes et Philippus. Johannes postea Magister factus funetionem Eeclesiastieam Gurae in Silesia impetravit ac in eausa Parentis fuit occupatissimus. Aliquis etiam dieitur Praedicans s. Ecclesiastes in Dania, euius nomen non additur. Filiam habuisse inde constat, quod Pastor Karsdorfensis eiusdem gener audit. Altera uxor Agnes Mackenrodia Franekenhusensis, ut auguror, paulo ante captivitatem ei nupsit. Primum enim in vincula coniectus ad Electorem seribit Pollicarius gravidam prima vice esse uxorem. Sororem ea habuit Pauli Müldneri Civis Weissenfelsensis uxorem, qui

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der Herzoginwitwe Anna und war als solcher am 5, u. 6. Nov. 1590 nebst mehreren anderen kurländischen Pastoren als geistlicher Richter in einem Injurienprozeß auf dem Mitauer Schlosse tätig. Steht die Identifizierung des Hofpredigers mit dem Rostocker Studenten quelien- mäßig fest, dann wäre Joh, Pollicarius jun. gemeint, und der Vater würe wohl nur zum Besuche des Sohnes 1588 von Rostoek nach Kur- land gereist,

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eum Pollicario gravissimas ac atrocissimas habuit contro- versias. Ipsa Agnes maritum e custodia dimissum sequi noluit eumque in finem e Consistorio Lipsiensi 1578 saepius admonita tandem e civitate fuit eiecta. Johannes privignus novercae objicit scelera turpissima, consuescere ipsam cum juvenibus, et esse Sartorem, cui quasi maritalem benevo- Jentiam concederet, unde factum, ut 1579 in exilium missa poenas malitiae dederit. Pollicarius senior in libertatem redaetus dieitur in popina quadam Martisburgensi ad cantum fidieinis ancillas in choream protraxisse, ne quid addam amplius. Sed quantum conjicio, fabulae a Muldenero, pessi- maque et perfida uxore traxerunt originem. Si enim vel maxime proclivis ad libidinem fuisset animus, certe senem tot malis et miseriis fractum tam subito rediisse ad castra eupidinis vix est probabile. Alii referunt eum, in dieendi suavitate incomparabilem, in Churlandia denuo ad eathedram Ecclesiasticam fuisse promotum. At sieut de loco certi nihil habeo, sie, quousque talia eredi debeant, non video ..

Iam scripseram literas, ubi amicus antiquitatum Weissen- felsensium callentissimus refert Polliearium ad perpetuos carceres destinatum intercessione Sidoniae fuisse liberatum. Fuit ea Augusti Electoris soror ac Erico juniori Duci Brunsvic. nupía; quod decem annis maritum aetate superaret!), ab eodem contempta in coenobio Weissenfelsensi vixit. Sed ista iam d. 5. Jan. 1575 diem obiit, ut exinde brevior in- carcerationis terminus videatur ponendus. Antea enim augu- rabar pene completum fuisse decennium. Sane Acta tempo- ribus bellieis nimium mutilata dubium non solvunt. Forte etiam Sidonia 1573 impetravit molliorem custodiam.

1) Sidonia geb. 8. März 1518, Erich 10. Aug. 1528.

Mitteilungen.

Aus Zeitschriften’). (Schluß von Heft 68).

Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrichs II von der Pfalz (1544—1556) gibt A. Hasenclever in ZGOberrh. NF. 35,3 S. 278—312. Im ersten verfolgt er an der Hand der gedruckten Auszüge aus den Ordensprotokollen Friedrichs Stellung als Ritter des Goldenen Vließes und zeigt, daß der Pfälzer sich nicht zu einem willen- losen Werkzeug der den Orden beherrschenden kaiserlichen Politik herabgewürdigt, dafür aber auch als Vließritter keine bedeutsame Rolle gespielt hat. Der zweite Beitrag betrifft Friedrichs Verhalten in dem zwischen der kurpfälzischen Regierung und dem kaiserlichen Kabinett schwebenden, unerledigt gebliebenen Streitfall um die sog. Kirchengüter von Deventer, der zur antikaiserlichen Richtung der kurpfälzischen Politik wesentlich beigetragen hat. Zum Schluß stellt H. auf Grund des von Bossert in dieser Zeitschr. veröffentlichten Melanchthonbriefes (Bd. XVII S.70) fest, daß der Sekretär und Biograph Friedrichs, Hubertus Leodius, seinen Herrn überlebt hat.

In den Monatsh. f. Rhein. KG, 14. Jahrg. S. 126—137 veröflent- licht Th. Wotschke („Ein Freund Paul Ebers“) aus der Gothaer Staatsbibliothek Briefe des Kölner Professors der hebr. Sprache Johann Isaak an Paul Eber literarischen Inhalts von 1558, 1562 und 1565 nebst einem Trostbriefe Ebers an Adolf von Strahlen in Köln von 1563 (Schluß soll folgen).

Den Originaldruck der Tabula über 1. Joh. 2 von Johannes Mathesius (Loesche I, 639) weist O, Clemen in einem Sammelband der Zwickauer Ratsschulbibliothek nach (Nürnberg 1563). Gleichzeitig führt er die ebendort befindlichen sonstigen Druckschriften des M. auf. Mitt. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen 58 Heft 1/2 (1919) S. 105 f.

Über Balthasar Merklin aus Waldkirch, Propst dort und Reichs- vizekanzler unter Karl V., in seiner politischen Wirksamkeit handelt auf Grund der gedruckten Literatur Ad. Hasenclever in ZGOberrh. NF. 34 S. 485—502 und 35 S. 36—80. Der Schwerpunkt der amtlichen

1) Die Schriftleitung ersucht die Herren Verfasser hóflichst um Zusendung einschlägiger Zeitschriftenaufsätze zur Anzeige an dieser Stelle.

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Tätigkeit Merklins liegt in seiner wichtigen Mission nach Deutsch- land 1528, der Hasenclever im einzelnen nachgeht. Damit enden die ausführlicheren Nachrichten über M., der anscheinend kurz vor seinem Tode (+ 28. Mai 1531) vom Kaiser in Ungnaden entlassen worden ist. Das Schlußurteil H.'s über M. ist doch wohl, obschon er auch der Schwächen dieses gedenkt, zu günstig gehalten.

Einen Neudruck der nur in wenigen Abzügen des Originaldrucks (von 1528) noch vorhandenen Streitschrift Th. Murners „Des alten christlichen Bären Testament“ veranstaltet mit ausführlicher Einleitung M. Scherrer im Anz. f. Schweiz. G. Jahrg. 50 (NF. Bd. 17) S, 6—88,

P. Althaus, Der Verfasser und die ursprüngliche Gestalt des Liedes , Aus meines Herzens Grunde" (des angeblichen Lieblingsliedes Gustav Adolfs) weist als Verfasser den ,frommen Hauptmann" Georg Niege (Nigidius) zu Allendorf (1525—1588) nach und bespricht die auf der Berliner Staatsbibliothek befindliche hsl. Hinterlassenschaft Nieges an geistlichen Liedern. Theol. Festschrift für G. N. Bonwetsch (1918) S. 80—103.

Eine sorgfältige ,Oekolampad-Bibliographie, Verzeichnis der im 16. Jahrhundert verfaßten Oekolampad-Drucke“ veröffentlicht E. Staehelin in Basler Zeitschrift für Gesch. u, A. Bd. 17, 1 (SA., 119 S).

In einer Abhardlung über die Anfänge der Hildesheimer Stifts- fehde würdigt Elsa Varnové auch die Chronik des Luthergegners Johann Oldecop und stellt fest, daß die von O. erst 1561 begonnenen Aufzeiehnungen nicht nur ungenaue Zeitangaben, sondern auch un- richtige Wiedergabe der Tatsachen und falsche Begründung der Er- eignisse enthalten: ZHV. Niedersachsen Jahrg. 84 (1919) S, 169—240 (bes. 224 ff.).

Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten Theologen der polnischen Reformation, stellt bis zum Jahre 1562, wo er nach dem Bruch mit der reformatorischen Kirche eine eigene Ge- meinde, die ecclesia minor, bildete, Th. Wotsohke in Z. f. Brüder- gesch. 14. Jahrg. S. 1—32 dar unter Beigabe von fünf Stücken seines Briefwechsels (aus dem Herrnhuter Archiv).

Auf Grund von Briefen des Weimarer Ges. À., die anhangsweise mitgeteilt werden, schildert P. Vetter den gelehrten Pfarrer von Oelsnitz und dramatischen Dichter Paul Rebhuhn in den wirtsehaft- lichen Nöten, in die ihn die Übernahme der Pfarre gestürzt hatte: NASG, 41 S, 43—78.

P. Kalkoff, Wimpfelings letzte lutherfreundliche Kundgebung, würdigt die Stellung des Elsässischen Humanisten im beginnenden Glaubensstreit unter besonderer Rücksicht auf die anonym erschienene und damals nicht gedruckte Streitschrift „Apologia Christi pro Luthero": ZGOberrh. NF. 35,1 S. 1—35.

Landschaftliches. Im Jahrgang 22 (1918) 8. 3—41 der NF. der Bll. f. Württemberg. KG, beendigt Pf, Rentschler die Gesch. der „Einführung der Reformation in der Herrschaft Limpurg“.

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In den Franziskan. Studien VII, 9 S. 156—165 beschreibt und veröffentlicht A. Schaefer die Aufzeichnungen des Franziskaner- observanten Joh. Ulrich von Kaisersberg über seine Verhandlungen mit Konrad Sam vor dem Ulmaer Rat am 5. August 1527 aus einer Hs. der Stuttgarter Landesbibliothek.

Das Freiburger Diözesanarchiv gibt auch in den Bänden 19 und 20 der Neuen Folge (46. und 47. Bd. der ganzen Reihe) über- wiegend „Beiträge zur Reformationsgeschichte Badens“, meist aus den Akten geschöpft, leider jedoch nicht unbefangen, sondern von einseitig katholischem Standpunkt aus dargestellt. So vor allem Bd. 19 S. 1—80 P. Albert, Die reformatorische Bewegung zu Freiburg, wo ein der katholischen Sache abgünstiger Bericht eines Augenzeugen kurzweg als „in allen Stücken unzutreffend* bezeichnet wird, während was Bürgermeister und Rat an König Ferdinand offensichtlich dessen Wünschen angepaßt über ihre kirchliche Haltung schreiben, „um so wahrer“ ist. Daß die Reformation in F. durch Ferdinand nur mittels brutaler Gewalt unterdrückt werden konnte, liegt j& ohnehin durchaus zu Tage. Die weiteren Beiträge sind: H. Lauer, Die Glaubensneuerung in der Baar (S. 71—119); K. Gröber, Die Refor- mation in Konstanz von ihrem Anfang bis zum Tode Hugos von Hohenlandenberg 1517—1532 (S. 120—322); Jos. Sauer, Reformation und Kunst im Bereich des heutigen Baden (S. 328—506). Bd. 20: K. Fr. Lederle, Zur Geschichte der Reformation urd Gegenreformation in der Markgrafschaft Baden-Baden vom Tode Phiiiberts bis zum Ende der kirchlichen Bewegangen (S. 1—45); E. Fleig, Die Aufhebung des Klosters Herrenalb (S. 46—112); H. Lauer, Die theologische Bildung des Klerus der Diózese Konstanz in der Zeit der Glaubensneuerung (S. 118—164). Vgl. auch Fr. Hefele, Die kirchengeschichtliche Lite- ratur Badens 1914—1918 (S. 184—199).

Die Mäagel und Einseitigkeiten des Aufsatzes von K. Rieder zur Reformationsgesch. des Dominikanerinnenklosters in Pforzheim (im Freiburger Diözesanarchiv, s. diese Zeitschr. Bd. 16 S, 112) ergänzt und berichtigt G. Bossert in ZGOberrh. NF. 34 S. 465—484.

Seine Beiträge „Zur Geschichte der Gegenreformation im Bistum Konstanz“ (vgl. diese Ztsch. Bd. 16 S. 112£.) bringt K. Schellhaß in 2 weiteren Abschnitten (ZGOberrh. NF, 34 S. 145—171 u. 278—299) zu Ende; in der Buchausgabe wird sich jedoch noch ein Schlußkapitel anschließen, die beiden Abschnitte behandeln im wesentlichen die Schicksale des Abtes Oechsli im Jahre 1581.

Einen Brief des Peter van Ceulen an Beza über die von Rom aus wie durch die Umtriebe der Sektierer gefährdete Lage der Kölner Gemeinde vom 3. März 1570 veröffentlicht Th. Wotschke aus der Gothaer Staatsbibliothek in Monatsbl. f. Rhein. KG. 14. Jahrg. 8. 41—43.

Aus der Feder eines jungen, im Weltkriege gefallenen Doktoranden H. Kessel veröffentlicht das Düsseldorfer Jahrbuch 1918/19 (Beiträge z. G. des Niederrheins Bd, 30) S. 1—160 den Abriß einer Geschichte

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der Reformation und Gegenreformation im Herzogt. Cleve 1517—1609, vermebrt um eine nach den einzelnen Amter und Ge- meinden geordnete statistische Ubersicht der Verbreitung der Kon- fessionen im Herzogt. Cleve von 1609.

Im Jahrb. d. V. f. die ev. KG. Westfalens 22 (1920) S. 27—30 stellt Th, Wotschke die 17 Westfalen zusammen, die zwischen 1573 und 1631 in Wittenberg ordiniert worden sind, mit Vorgeschichte und Angabe ihrer Pfarre.

Am gleichen Orte Jahrg. 20 S, 92—129 gibt Kl. Lóffler eine kurze ,Reformationsgeschishte der Stadt Münster“. Hauptsächlich durch die Wirksamkeit Bernhard Rothmanns wurde Münster zu Anfang der 30er Jahre für das Evangelium gewonnen und durch den Vertrag mit dem Bischof vom 14. Februar 1533 rechtlich als evangelische Stadt anerkannt. Dann hat bekanntlich die Errichtung des Wieder- täuferreichs in M. und die Einnahme der Stadt im Jahre 1535 die Herstellung des Katholizismus eingeleitet.

Aus einem Aktenstiicke im Ephoralarchive zu Grimma macht G. Müller Mitteilungen über die von Sehling nur zum Teil berück- sichtigten Kirehenordnungen für Colditz von 1529 und 1534 ein- schlieBlich der Kirchenordnungen für das Gebiet des Amtes Colditz: NASG. 41 S. 296—303.

Eine Geschichte der Reformation in der Stadt Northeim von H, Bartels ist in den Forschungen zur Geschichte Niedersachsens (98 S., 1918) erschienen.

Die ,Gestaltung der Reformation in Ostfriesland" stellt H. Reimers im 20. Heft der Abhandlungen und Vortráge zur Geschichte Ostfrieslands dar (VIII, 64 S.).

Nur wenige Daten, die Th. Wotschke zusammenstellt, geben über die Reformation in der Stadt Nakel Auskunft. Ihre Einführung um 1522 wurde dem Inhaber der Starostei, Christoph Danaborz ver- dankt, der aber schon 1528 starb. Aber erst 1597 wich der letzte evangelische Prediger in Nakel der Verfolgung. Auch in der Um- gebung Nakels entstanden evangelische Gemeinden, die hernach eben- falls der Gegenreformation erlagen. Histor. Monatsbll. f. die Prov. Posen XX, 6 (Febr./Márz 1920) S. 81—84.

Ausland, In Zwingliana 1918 Nr. 1 [Bd. III Nr. 11] 5. 829—337 beendigt W. Köhler seinen Aufsatz über Martin Seger aus Maienfeld, einen eifrigen Mitarbeiter am Werke Zwingli's (mit 3 Beilagen aus dem Züricher St. A.) und teilt E. Gagliardi den neu aufgefundenen ausführlichen Auszug eines Zuhürers aus der Predigt mit, die Zwingli am 12. Marz 1525 unter dem Eindruck der Schlacht von Pavia gegen den Fremdendienst hielt (S. 387—347). Die folgende Doppel-Nr. (1918 Nr. 2 und 1919 Nr. 1 Bd. III Nr. 12/13) gilt als Gedenknummer auf Neujahr 1919 (S. 357—460) und setzt sich aus folgenden Beiträgen zusammen: S. 357—370 O. Farner, Zwingli und sein Werk; S. 371—384 A. Eckhof (Leiden) Zwingli in Holland;

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S. 885—395 K. Gauss, Die Beziehungen Zs zu den Pfarren des Baselbiets; 8. 396—404 M. v. K., Zur Vorgeschichte der Berner Reformation; S. 404—413 E. Bernoulli, 2 vierstimmige Sätze von 7.s Kappeler-Lied („Herr, nun selbst den Wagen halt“); 8..414—417 W. Köhler, Z. Student in Paris? (hält ein Studium Z.s in Paris für mindestens wahrscheinlich); S. 418—435 Joh. Ficker, Z.'s Bildnis (mit 2 Abbild.). Am Schluß gedenken G. Anrich der Zwinglifeier in Straßburg 1819 (S. 435—437). Th. Häring des Reformationsfestes der Sehweizer im Tübinger Predigerinstitut 31. Dez. 1818 und 1. Jan. 1819 (S. 487—441) und Helen Wild des Züricher Reformationsjubiläums von 1819 (S. 441—460).

W. Köhler, Ulrich Zwingli (Rede bei der Zwinglisäkularfeier der Universität Zürich, 3. Januar 1919) feiert Zw. als denjenigen, bei dem die Verbindung Christentum und Antike den Gipfelpunkt ihres Wertes erreicht. Internat. Monatschr. XIII (1919) Sp. 362—386,

In Beitrr. z. vaterl. Gesch. hersg. vom histor.-antiquar. V. des Kantons Schaffhausen Heft 9 S. 78—99 schildert H. Werner nach den Akten des dortigen Staatsarchivs den Versuch des vom Kaiser und Papst unterstützten Propstes im Kloster Sölden (bei Freiburg i. B.), Heinrich von Jestetten, i. J. 1555, die vor 2 Jahrzehnten von Schaff- hausen säkularisierte Abtei Allerheiligen wieder aufzurichten, einen Versuch, den die Stadt mit Hilfe der evangelischen Eidgenossenschaft abschlug.

Am gleichen Orte Heft 9 S. 1—62 gibt J. Wipf ein anschauliches, aus den Quellen geschöpftes Bild des Reformators von Schaffhausen Sebastian Hofmeister, ehemaligen Franziskaners, der von 1522 bis 1525 mit großen Erfolg in seiner Vaterstadt wirkte, dann einer Reak- tion erliegend von hier verbannt wurde und hernach 1528 bis an seinen Tod als Pfarrer in Zofingen wesentlich beitrug, diese Stadt für die Reformation zu gewinnen.

Die Reformation im baslerisch-bischöflichen Lanfen schildert auf Grund der Akten des Staats- und bischöflichen Archivs K. Gauss im Basler Jahrbuch 1917 S. 37—95. Erst nachdem Laufen mit Basel in ein Burgrecht getreten war und sich dadurch der Gewalt des Bischofs entzogen hatte (1525), konnte die Reformation zum Siege gelangen; um das Jahr 1536 kam sie zum Abschluß,

Das Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. Deel 15 (1919) enthält folgende Beiträge zur Niederländischen Refor- mationsgeschichte: S, 49—60 J.C. Overvoorde, Uit de eerste jaren van de Luthersche gemeente te Leiden; S. 115—193 M. van Rhijn, Wilhelmus Sagarus (Nachtrag dazu S. 239); S. 124—189 Johanna M. Sernée, Bijdrage tot de kennis der finantiéele administratiön van de geestelijke stichtingen in Delfland na 1572; S, 133—149 G. A, Hulsebos, De handelingen van de erste classicale bijeenkomst van de Classis Over-Veluwe gehouden te Harderwijk 15 Juli 1599; S. 234—238 J. S. van Veen, De Geldersche kerkelijke Rekenkamer.

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Im NA Veneto NS. a. 17 Tomo 34 p. 1 S. 13—32 bespricht A. Serena an der Hand einer bei den Augustinern in Rom auf- gefundenen anschaulichen Relation des Ordensgenerals der Augustiner Gabriel Veneto eine Augustinersynode in Treviso von 1526, in der besonders MaGregeln gegen das Eindringen des Luthertums in den Orden getroffen wurden.

Uber 2 wichtige Veröffentlichungen der Norwegischen Theologie zum Reformationsjubelfest von 19171) referiert eingehend H. Stocks in ZKG. NF. I, 2 S. 407—410.

1) (0. Kolsrud, Utkast til en norsk Kirkeordinants ... for- fattend 1604, und A. Brandrud und O. Kolsrud, To og tredive prae- dikener holdt i Aarene 1578—1586 av M. Jens Nilssøn.

Druck von C, Schulze & Oo., ts, m, b, Ha Grüfenhainiehen,

Von der preussischen Kommission zur Erforschung der Reformation und Gegenreformation.

l. Instruktion für die Mitarbeiter an der prosopographischen Abteilung.

1. Die Literatur von 1500 bis 1585 ist biographisch erschöpfend durchzuarbeiten. In erster Linie ist die gedruckte Literatur aufzu- arbeiten. Das handschriftliche Material wird aushilfsweise und nach Bedarf herangezogen, namentlich das mit der Bewegung der Wieder“ täufer sich befassende Quellenmaterial. Der Leiter der Abteilung gibt die Literatur an, die durchgearbeitet werden soll. Er führt ein Ver- zeichnis über die verarbeitete Literatur.

2. Es wird eine Kartothek angelegt, die alle Namen enthält, die sich in der verarbeiteten gedruckten und ungedruckten Literatur finden. Die Kartothek befindet sich beim Leiter der Abteilung und wird von ihm fortlaufend ergänzt und geordnet.

3. Die Mitarbeiter ziehen aus der ihnen zugewiesenen Literatur alle Namen aus und verzeichnen sie auf den ihnen übergebenen Zetteln, Jeder Name erhält einen eigenen Zettel. Das Gleiche gilt von den Varianten (z. B. Mayr, Mair, Maier, Meyer, Meier u. à), den Über- setzungen in die gelehrten Sprachen, den Spitznamen, Kosenamen, Decknamen, Pseudonymen, den Namensbezeichnungen nach dem Ort (z.B. Dr. Islebius) usw. Auch für die Bezeichnung mit Sigeln (z. B. P. M.) ist ein besonderes Blatt anzulegen. Bei jeder Namensform wird auf die Hauptform verwiesen. Beispiel: Dr. Gratianus s. Zwingli, Huld- reich; Dr. Philippus s. Melanchthon, Philipp; Crasitius s. Mornhinweg. Ist die Identifizierung fraglich, so muß das durch ein in Klammern gesetztes Fragezeichen kenntlich gemacht werden. Da in den Quellen oft bloß der Vorname angegeben ist, so muß die Identifizierung mit sroßer Vorsicht vorgenommen und lieber zu häufig als zu selten das Fragezeichen verwendet werden.

Es sind Leitblätter anzulegen, die an erster Stelle die gebräuch- lichste Namensform enthalten, der dann alle übrigen Namensformen

2*

folgen. Die MS-Zettel tragen als Stichwort die gebrauchlichste Namens- form. Oft wird erst im Laufe der Arbeit sich ergeben, welches die gebriiuchlichste Form ist. In solchen Fällen kann erst der Leiter der Abteilung, dem alle Unterlagen zur Verfügung stehen, das Stichwort endgültig feststellen. Der Mitarbeiter darf auf keinen Fall das einmal gewählte Stichwort stillschweigend ändern. Meint er, es ändern zu müssen, so hat er den Leiter der Abteilung zu benachrichtigen. In vielen Fällen wird er sofort oder bald das richtige Stichwort wissen. Die Melanchthon betreffenden biographischen Notizen werden natürlich nicht unter das Stichwort Schwarzerd, sondern Melanchthon gebracht,

4. Einrichtung der MS-Zettel. Auf jedem Blatt, das eine bio- graphische Notiz enthält, ist über dem Doppelstrich in der linken Spalte der Familienname mit dem Vornamen, bzw. den Vornamen ver- zeichnet, mit dem Herkunftsort und Datum der Quelle, bei Briefen, wenn möglich, mit dem Aufenthaltsort des Empfängers in Klammern. Kann der Aufenthaltsort des Empfängers nicht sicher ermittelt werden, so ist der vermutete Aufenthaltsort mit einem Fragezeichen zu ver- sehen. Ist die Vermutung zu unsicher, so unterbleibt eine Angabe. In der rechten Spalte über dem Doppelstrich wird der Fundort der Quelle angegeben, entweder bibliographisch genau oder abgekürzt (vgl. Ziffer 9).

Beispiel: n Ambr. Blarer an Konrad Hubert (Konstanz) Tr. Schieß, Briefwechsel der Brüder Ambr. u. Th. Blaurer, Bd. 2, 180 Konstanz l 1543 Apr. 16 die Verweise Text

Unter dem Doppelstrich rechts sind die biographischen Notizen einzutragen, links die Verweise (vgl. Schema). Es genügt, auf der linken Spalte unter dem Doppelstrich den Namen mit Rufnamen zu vermerken, Der Benutzer des Blattes weiß, daß er das Blatt auf- zasuchen hat, das den gleichen Orts- and Datumsvermerk trägt. Falls auf ein anderes Blatt verwiesen werden soll, so ist neben dem Namen, auf den verwiesen wird, der entsprechende Orts- und Datumsvermerk anzugeben. Da die Blätter nicht paginiert werden können, müssen die Orts- und Datumsangaben an die Stelle der Seitenangaben treten. Werden die Verweise sorgfältig vorgenommen, so ist ein Irrtum aus- geschlossen, Jedes Blatt, auf das verwiesen wird, kann mühelos ge- funden werden. Beispiel: Auf dem Blatt Bullinger, Heinrich Zürich 1543 März 25 wird verwiesen auf Coccius, Sebastian. Es ist also auf- zusuchen das Blatt Coccius, Sebastian Zürich 1543 März 25. Auf dem Blatt Bullinger, Heinrich Zürich 1543 Febr. 27 wird verwiesen auf

3%

Blarer, Ambrosius Konstanz 1543 Febr. 24. Es ist also aufzusuchen das Blatt Blarer, Ambrosius, Konstanz 1543 Febr. 24.

Wenn ein Exzerpt sich über mehrere Blätter erstreckt, ist auf jedem neuen Blatt in der linken Spalte über dem Doppelstrich das Stichwort samt Orts- und Datumsangabe zu wiederholen. Diese Blatter sind auch rechts oben mit arabischen Ziffern fortlaufend zu paginieren. Das Datum ist nach den Kalendertagen anzugeben, doch ist der Heiligenname mit aufzunehmen, wenn er, was sehr oft der Fall sein wird, in der Quelle enthalten ist.

5. Behandlung des Textes. Aus den Quellen ist alles anfzunehmen, was unmittelbare biographische Bedeutung besitzt. Alle Angaben über Herkunft, Verwandtschaft, Familie, Erziehung, Unterricht, äußere Er- scheinung, Krankheiten, Reisen, Frau, Kinder, Freunde, Gegner u.dgl.m. sind sorgfältig zu registrieren. Besonders ist zu achten auf die Bücher, die der Betreffende gelesen hat oder in seiner Bibliothek besitzt, die er selbst unter der Feder hat oder herausgegeben hat, auf die Gut- achten, an denen er beteiligt gewesen ist u.& Es muß auf Grund der MS-Blätter möglich sein, die „Bibliothek“ des Betreffenden fest- zustellen. Auch Notizen über nicht beförderte oder nicht angekommene Briefe sind aufzunehmen. |

Ebenfalls sind die Urteile zu notieren, die der Betreffende über sich selbst und andere Personen fällt, auch die Urteile über Schriften, die erschienen sind oder deren Erscheinen erwartet wird. Doch nur solehe Urteile sind aufzunehmen, die sich auf die reformatorische und gegenreformatorische Bewegung beziehen oder den Charakter, das Können und Wissen dieser und jener Person zum Gegenstand haben, Auch Verleumdungen und die Urteile über Verleumdungen müssen auf- geführt werden. Sich wiederholende, banale, selbstverständliche Urteile über führende Persönlichkeiten (z. B. Martin Luther ist ein Gottes- mann, ein Werkzeug des Satans) sind nur einmal zu notieren. Die individuellen und charakteristischen Urteile müssen vollständig ver- zeichnet werden, auch wenn sie sich wiederholen. Es ist zugleich darauf zu achten, ob die Urteile sich gleich bleiben oder schwanken.

Inhaltsangaben über Schriften, Gutachten, Vorschláge usw. werden nicht verlangt. Es muß aber zu erkennen sein, welche Stellung dieser und jener zu den dogmatischen und kirchenpolitischen Fragen der Zeit eingenommen hat, an welchen Reformen und Gegenreformen er sich beteiligt hat (z. B. Säuberung der Kirchen von Nebenaltären, Heiligenbildern usw., Schulreformen u. dgl) Es muß darum auch notiert werden, in welche ‚Streitigkeiten er verwickelt worden ist. Das Streitthema ist kurz anzugeben und mit den charakteristischen Worten der Quelle hinzuzufügen, wie dazu Stellung genommen wurde. Für alles weitere wird auf die Quelle verwiesen. |

Berichte über das Sterben dieser oder jener Person sind nicht ausführlich abzuschreiben. Liegt ein längerer Sterbebericht vor, so

genügt es, auf ihn hinzuweisen, Jedoch sind alle Personen, die zu-

l*

gegen waren, unter dem jeweiligen Stichwort aufzuftihren. Beispiel: Die Berichte über L. Hetzers Hinrichtung in Konstanz. Hier wäre für die Einzelheiten auf die Quellen hinzuweisen, dagegen vollständig anzugeben, wer bei der Vorbereitung des Verurteilten auf den Tod und bei der Hinrichtung zugegen war und wie die Anwesenden über Hetzers Haltung in den letzten Stunden seines Lebens urteilten.

6. Die Exzerpte müssen möglichst knapp gehalten werden. Seitenlange Auszüge müssen Ausnahmen bleiben. Wenn die wört- liche Zitierung zu ausführlich sein würde, muß ein zuverlässiges Regest gegeben werden.

Die MS-Blätter dürfen nur einseitig beschrieben werden. Die Schrift muß leicht leserlich sein. Die Namen müssen so sorgfältig eeschrieben sein, daß ein Irrtum ausgeschlossen ist.

7. Angaben über Büchertitel, über bekannte oder anonyme Ver- fasser von Schriften, kurz bibliographische Angaben, die sich im Schrifttum des 16, Jahrhunderts finden, sind auf einem besonderen Zettel zu notieren und mit den prosopographischen MS-Blättern dem Leiter der biographischen Abteilung einzusenden, der sie an den Leiter der bibliographischen Abteilung weiter gibt.

8. Die MS-Blätter sind monatlich alphabetisch geordnet an den Leiter der biographischen Abteilung zu schicken. Falls in einem Monat keine versendungswerte Ausbeute gewonnen worden ist, muß dies dem Leiter der biographischen Abteilung gemeldet werden,

9. Auf besonderen Kartons, die den Mitarbeitern übergeben werden, sind die durchgearbeiteten Quellen bibliographisch genau zu ver- zeichnen. Falls auf den MS-Blättern eine Quelle abgekürzt angeführt wird, muß sie in der gleichen Abkürzung auf einem Karton ver- zeichnet werden, mit einem Verweis auf die bibliographisch vollständig angegebene Quelle. Auch diese Kartons werden an den Leiter der biographischen Abteilung geschickt. Der Mitarbeiter kann für seinen eigenen Gebrauch ein Exemplar dieser Kartons zurückbehalten.

0. Scheel.

Il. Instruktion für die Arbeiten der bibliographischen Abteilung,

im wesentlichen aus den „Instruktionen für die alphabetischen Kataloge der Preuß. Bibliotheken“ (Berlin 1909) übernommen.

I. Für das Schrifttum der Reformation und Gegenreformation.

Die Beschreibung der Schriften der Reformation und Gegen- reformation hat 5 Teile zu umfassen:

a) die bibliograpbische Notiz mit dem Namen des Verfassers, dem Sachtitel, Druckort, Drucker und Herausgeber (Verleger), Datum und Format;

b) die Kollation mit Angabe über Blattzahl, Signaturen und Ausschmückung;

` €) die textliche Beschreibung mit genauer Wiedergabe des Titel- blattes und der Schlußschrift, mit Kennzeichnung von Widmungen, Vorreden und sonstigen Beigaben, mit kurzem Schlagwort des Inhaltes, wenn dieser aus dem Titel nicht erschlossen werden kann;

.. 4) bibliographische oder literarische Belege;

e) den Fundort mit Angaben über besondere Merkmale (hand-

schriftliche Einträge, Einbünde usw.). Beispiel:

Leo X.: Bulla contra errores Martini Lutheri et sequacium. Rom, Jacobus Mazochius [1520]. 4°,

12 Bl, das letzte leer. Sign. aij—ciij. ^ Eine Titeleinfassung. Zwei Holzschnitte. l

Bulla contra erro2e8 || Martini Qutheri || 2 fequacium. || Holz- schnitt: Päpstliches Wappen. Einfassung: Unten Urne mit zwei Füll- hörnern.

Bl. ajj@ vor dem Textbeginn: Rundbildnis Papst Leos X. Bl. 11» 21: (| Impreffum Rome per Jacobum Mazochium || De Mandato. D. N. Pape. ||

Vgl. Zeitschrift für Bücherfreunde N.F. 9.2 (1918) S. 206 N. 1 mit Abb. des Titelblattes.

München, Staatsbibl. (4. Hom 487, 6 mit amtl. Ausfertigung durch Girolamo Ghinueci, Bischof von Ascoli, und Notar Pantaleo).

Z. S.

6*

II. Für die Briefe der Reformatoren und ihrer Gegner.

. Das Verzeichnis nimmt auf: a) die Namen von Absender und Empfinger, Ort und Datum, b) den Textanfang [ohne die Formeln], c) die Belege, wo gedruckt oder verwertet, d) den Fundort.

Beispiel: Luther Martin an den Hofprediger Wolfgang Stein in Weimar. Wittenberg, 10. September 152-4 Beginnt: Primum veniam péto pro nostra...

Abgedr. v. Flemming in: Theol. Studien und Kritiken 86 (1913) S. 288 N. 1. l

Jena, Univ. Bibl. (Rörer).

III. Für die Literatur über Reformation und Gegenreformation.

Die Literaturbibliographie bringt Verfasser, Titel, Erscheinungsort, Verlag oder Druckerei, Jahr, Seitenzahl und Format, bei Zeitschriften- aufsätzen Verfasser, Titel und Hinweis mit „In:“ auf die Zeitschrift samt Angabe des Jahrgangs und der Seitenzahl.

Beispiele: a) Keller Ludwig: Die Reformation und die älteren Reform- parteien. Leipzig, S. Hirzel, 1885. X, 516 S. 8°. b) Barge Herm.: Luther und Karlstadt in Wittenberg, In: Historische Zeitschrift 99 (1907) S. 256—324.

K. Schottenloher.

KROHN FÜR. REPORMATIONSGESCHICHT,

herausgegeben von

D. Walter. Friedensburg.

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Nr. 71/72. XVIII: Jahrgang. Heft 3/4.

Kardinal Schiner, ein Mitarbeiter Aleanders auf dem Wormser Reichstage

E von Paul Kalkoff.

Die reformatorischen Kirchenordnungen . Ober- und Innerósterreichs IV.

von Georg Loesche.

Mitteilungen

Neuerscheinungen.

$

Leipzig |. Verlag von M. Heinsius Nachfolger 1921.

Er RE EEE a Er ES eh a Ee OR rte T EMI Y Ausgegeben im Oktober 1921,

„Preis für Subskribenten 10,— M., einzeln bezogen'tt— M.

Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig.

Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte

(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) Herausgegeben vom

Verein für Reformationsgeschichte

Soeben erschien: Band III.

Die Einführung der Reformation in Liv-, Est- und Kurland,

Im Auftrag der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde. zu Riga l

bearbeitet. von Dr. Leonid Arbusow. gr. 8°. XIX, 851 Seiten. Preis 70 Mark.

Früher sind erschienen:

Band I. Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen. 8°, [XII, 316 SJ A 9,—.

Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfiinge des Erasmus, Humanismus und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°. [XXXII, 343 S] A 13,50.

Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entscheidungsjahre der Reformation. (1517— 1523.) gr. 8°. [XVI, 602 S.] | A 40,—.

Kardinal Schiner, ein Mitarbeiter

Aleanders auf dem Wormser Reichstage. Von Paul Kalkoff,

Zu den bedeutenderen Räten Karls V., den Männern von militärisch-diplomatischem Rufe, die sich auf dem Reichs- tage von 1521 den Nuntien bei ihrem Kampfe gegen Luther zur Verfügung stellten, gehört auch ein in der europäischen Geschichte vielgenannter Abenteurer, der Bischof von Sitten, Kardinal Matthäus Schiner'). Er nimmt eine hervorragende Stelle ein in der langen Reihe der kriegerischen Prälaten oder Bandenführer im geistlichen Gewande, die von unseren kampflustigen Bischöfen in der Zeit des Investiturstreites und der Kreuzzüge über die furchtbaren Söldnerhänptlinge des vierzehnten Jahrhunderts, den „baskischen Erzpriester“ und den Kardinal Albornoz hinabreicht bis zu dem tollen Christian von Halberstadt und dem Werbeoffizier Ludwig XIV, dem Bischof Bernhard von Münster. Er zeichnet sich unter ihnen aus durch die Vereinigung diplomatischer Talente mit volkstümlicher Derbheit und urwüchsiger Leidenschaftlichkeit. Man geht wohl zu weit, wenn man ihn als „einen der ge- waltigsten Schweizer, die je gelebt haben“ ?), feiert, oder als „einen der größten Männer, die die Schweiz hervorgebracht

Abkürzungen: ADB. = Allgem. Deutsche Biographie. DRA. == Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Gotha 1896. BDB. = Kalkoff, Briefe, Depeschen u. Berichte über Luther. Halle 1898, DA. = Derselbe, Depeschen des Nuntius Aleander. Halle 1897. Agh. = Ders., Aleander gegen Luther, Leipzig 1908. WE. = Ders., Die Entstehung des Wormser Edikts. Leipzig 1913.

1) Diese Schreibung seines Namens (statt Schinner) verdient den Vorzug; sie erklärt sich aus seinem Wappenzeichen, den drei Schienen, und er schrieb sich auch selbst so.

2) H., Escher in der heute noch recht brauchbaren Übersicht seines Lebens in der ADB. 33, 735.

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 6

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hat^! Seine unermüdliche Tatkraft, seine Gewandtheit in Behandlung der Menschen aller Stände, seine kriegerische Unerschrockenheit in den schwierigsten Lagen seines wechsel- vollen Lebens sicherten ihm einen gewissen Einfluß auf den Gang der großen Politik; doch war er immer nur ein Werk- zeug erst in der Hand Julius IL, dann Maximilians I. und Karl V.; seine „Herrschsucht“ war schwerlich auf höhere Ziele gerichtet, als auf die Mehrung seines Besitzes an Land und Leuten, an Geld und Gut. Wenn Escher ibm die Absicht zu- traut, die Weltmachtstellung der Schweizer durch Befestigung ihrer Herrschaft über Oberitalien zu stützen, so übersieht er, daß Schiner bei seinen kriegerischen Agitationen sich meist in den Dienst jener beiden Mächte und sehr oft in den

.. 1) L. v. Pastor, Gesch. der Päpste III, 647f. Die Literaturangaben S. 701 Anm. und bei Joh. Dierauer, Gesch. der Schweizerischen Eid- genossenschaft. Gotha 1913. II, 456, Anm. 67 sowie in der Arbeit von Alb. Büchi über „Kard. Sch. u. die Reformbewegung“ in der Ztschr. f. Schweiz. Kirchengeschichte, hrsg. von A. Büchi und I. P. Kirsch. X. Jahrg. Stans 1916. S. 1—24. Letzteres eine nach Tendenz und Technik gleich bedenkliche Leistung, die es bedauern läßt, daß der Vf. sich die Herausgabe des Briefwechsels Sch.’s und seine Biographie zur Aufgabe gemacht hat, beides in nicht weniger als vier Bänden. Abgesehen von dem mit größter Unbefangenheit unternommenen Ver- ‘such der kirchlichen Idealisierung Schiners gibt er folgende Proben seiner Geschichtskenntnisse: er verzeichnet die Schlacht von Bicocca (S. 29) als Ergebnis der zähen Ausdauer Sehiners und verlegt sie in das Jahr 1521, wührend sie am 27. April 1522 ohne jede Mitwirkung Schiners bei diesem Feldzuge geschlagen wurde (H. Baumgarten, Gesch, Karls V, II, 1, 35f. 61£). Dagegen war Sch. an der Uberrumpelung Mailands am 29. Nov. 1521 beteiligt. Die „Bannbulle* gegen Luther verlegt er auf den 15. Januar 1520, wührend doch erst am 15, Juni die Verdammung seiner Lehre erfolgte und diese Bulle durch die Begleitschreiben vom 8. und 17. Juli ihm mitgeteilt wurde, die jedoch durchaus nicht speziell an den Kardinal Sch., sondern an alle Bischöfe gerichtet waren, denen Aleander begegnen würde. Daß dieser schon 1591 Kardinal gewesen wäre, trifft ebensowenig zu, wie daß dieser hochmütige Italiener ,Deutschland wohlgesinnt" gewesen sei (S. 12f). Der S. 14 mehrfach zitierte „Ungenannte“ ist von mir schon in den BDB. S. 71£. als der Nuntius Raffael de’ Medici nachgewiesen worden. Nach S. 17 erscheint Luther am 16. April vor dem Reichstage; ob Sch. zugegen war, wissen wir nicht; ehr möchte ich das Gegenteil vermuten, Ga er nicht mehr als Reichsfürst betrachtet wurde und Aleander sonst seine guten Dienste auch bei dieser Gelegenheit hervorheben würde;

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schärfsten Gegensatz zur eidgenössischen Zentralgewalt stellte. Auch widerspricht die rohe Gewalttätigkeit, die skrupellose Verschlagenheit, die zynische Selbstsucht, die seine Schritte kennzeichnen, einer solchen Bewertung seiner Persönlichkeit. Richtig ist es, daß er auch nicht für die weltliche Macht der Kirche sich aufopfern wollte, und vollends verfehlt ist es, ihn zu einem von reformatorischen Ideen erfüllten Kirchen- fürsten, einem Musterbischof zu stempeln, der „von inniger Liebe zur Kirche und ihrem Oberhaupt, dem Papste, durch- drungen“ gewesen sei. Es wird sich zeigen, dab er auch dem Papste mit trotzigem Groll und kirchenfeindlichen De- monstrationen begegnen konnte; „seine Strenge in geistlichen

die Stelle aus dem Bericht Contarinis vom 25. April bezieht sich auf dessen an diesem Tage abgehaltene Antrittsaudienz, bei der Sch. als kaiserlicher Rat nicht fehlen durfte (DRA. II, 876, 10, BDB. S. 18.). Daß das Billet Gattinaras (S. 17. Anm. 6) über die dringliche Bearbei- tung des Wormser Edikts (DRA. II, 638) fälschlich auf ihn bezogen worden ist, während es an den Erzbischof von Salzburg gerichtet war, habe ich schon im AgL. S. 126, Anm. 2 gezeigt. Derselbe ist bei der von Spengler geschilderten Szene im Fürstenrate (S. 514, 45) gemeint, in dem Sch. nichts zu suchen hatte (S.16). Die S. 18 erwähnten Drohungen der Deutschen waren gegen Aleander gerichtet und von Sch. nur durch seine Leute in Erfahrung gebracht worden, wie der Vf. mit leichter Mühe hätte festhalten können, wenn er statt des ihm rätselhaften italienischen Textes bei Balan S. 104 meine DA. S. 81 und für die Stelle aus der Depesche Medicis („man solle nicht dulden, daß Luther seine Bücher einpacke[!]^ statt „auf die Bahn bringe, verbreite“) die Übersetzung in den BDB. S. 28 benutzt hätte. Zu Aleander verweist er S. 20 Anm. auf zwei völlig veraltete Arbeiten, darunter einen wertlosen Artikel von Gaß in der ADB., in die dieser Italiener über- haupt nicht hätte aufgenommen werden sollen. Das Schlimmste aber ist, daß der Aufsatz A. Büchi’s im wesentlichen nur eine verwässerte Wiedergabe der in ihrer Art tüchtigen Arbeit Jollers über „Kardinal Sch. als katholischen Kirchenfürsten“ ist, einer „historischen Skizze“ in den „Blättern aus der Walliser Geschichte“ (Sitten 1895. I, 49— 62. 65—69). Auch hier waltet die Tendenz vor, den Bischof von der „An- schuldigung“ zu retten, daß er nicht nur die „Reformbetrebungen Luthers und Zwinglis begünstigt habe, sondern bei längerem Leben wahrscheinlich zum Protestantismus übergetreten wäre“; aber hier ist wenigstens die ältere Literatur sorgfältig benutzt und die lokale Über- lieferung fleißig gesammelt worden, während Büchi seine Selbständig- keit fast nur in den oben angeführten und weiter zu rügenden Fehlern und Mißverständnissen bekundet.

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Dingen und sein untadelhafter Wandel“') erklärt sich zur Gentige aus seiner beschränkten Bildung und seiner Lust am Herrschen und Gewinnen: der Bischof und Kardinal war sich wohl bewußt, was die Kirche ihm leisten konnte, und seine bäuerliche Erziehung, seine kriegsmäßige Lebensweise schützte ihn vor der gewöhnlichen Schwäche genußsüchtiger, schwelgerischer Priester”). Eine gute Begabung befähigte ihn trotz einer nur dürftigen schulmäßigen Ausbildung, sich der für sein Handwerk unentbehrlichen Sprachenkenntnis zu bemächtigen, auch das landläufige Latein zu schreiben, und eine wilde Beredsamkeit ließ ihn die Gemüter seiner Reisläufer beherrschen, wie der Wind die Wogen, zumal wenn er mit päpstlichem Gold und reicher Beute winken konnte wenn beides ausblieb, mußte auch er oft erfahren, wie wandelbar die Gunst seiner Landsleute war. Den Venetianern scheute er sich nicht, von der Nationalkrankheit der Schweizer zu reden, die durch Geld schnell zu heilen sei®), und einen päpstlichen Zahlmeister, der sich mit dem Solde verspätet hatte, drohte er, er hätte ihn hängen lassen, wenn er nicht zufällig Bischof wäre‘). Um zu zeigen, was es mit dem kirchlichen Reformeifer dieses Condottiere auf sich hat oder gar mit einer ihm gelegentlich angedichteten Hinneigung zu Luthers Lehre, genügt es, auf seine Tätigkeit in Worms zu verweisen. Indessen müssen, um seine da- malige politische Rolle zu verstehen, die Hauptpunkte seines

1) v. Pastor III, 647. „Er sah seine Lebensaufgabe darin, die kriegerische Kraft seines Volkes für die Verteidigung des heiligen Stuhles zu gewinnen“, so lange dieser zahlte und nicht mit Frank- reich verbündet war.

2) Zu Joller, S. 59. Eine treffende Charakteristik liegt daher in dem einen Worte, mit dem A. Burer am 17. November 1519 aus Basel meldet, der Kardinal sei beritten bei ihrem Bürgermeister erschienen, „miles ad militem divertens“. Horawitz-Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhenanus S. 192, Es ist ein weit verbreiteter Unfug, jeden, der eine Lateinschule durchlaufen hat oder, was bei Schiner nicht einmal der Fall ist, ein paar Jahre eine Universität besucht hat, „humanistisch gebildet“ zu nennen, wie es Büchi in einem Artikel des kirchlichen Handlexikons (hreg. v. M. Buchberger, München 1912. II, 1963) tut.

3) Dierauer II, 459 Anm. 75.

4) So geschehen dem Dr. iur. utr. Michael Claudi, Bischof von Monopoli. Eubel, Hierarchia catholica III, 265. 295.

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Lebensganges und dessen entscheidender Wendepunkt kurz gesehildert werden.

Der Aufstieg Schiners ist durch zwei politische Faktoren in der Geschichte seiner Heimat bedingt: einmal durch den Gegensatz zwischen den Bauerngemeinden des oberen Wallis und den mehr im untern Rhönetal gebietenden Herren- geschlechtern, die sich beide den in der Mitte des Landes belegenen Bischofssitz streitig machten. Schon im Anfang des 15. Jahrhunderts war es zu einem Zusammenstoß mit dem Hause Raron gekommen, das zugleich die Landeshaupt- mannschaft und das Bistum an sich gerissen hatte. Schiners ganzes Öffentliches Leben ist beherrscht von dem Kampfe gegen die Herren auf der Flüe (Supersaxo), die von 1457—82 den bischöflichen Stuhl innehatten und deren von Jörg auf der Flüe, dem Todfeinde Schiners, geführte Partei!) nach seinem Tode einen ihrer Anhänger einzusetzen versuchte, der dann aber 1529 dem Erwählten ihrer Gegner, Adrian von Riedmatten, der als Begleiter Schiners in Worms war?), weichen mußte. Diese Kämpfe spielten sich in heftigen Volks- erhebungen ab, als deren Sinnbild, ähnlich wie in Deutsch- land der Bundschuh, eine phantastisch geschnitzte Keule, die Mazza, galt?). Schon unter dem Bichof Walter auf der Flüe war 1475 ein enger Bund zwischen den oberen Zehnten des Wallis und den Urkantonen zu Stande gekommen, deren Einfluß nun so weit reichte, daß sie ihren als diplomatischen Unterhändler erprobten Landsmann, den Propst Jobst von Sillenen, als Bischof von Sitten durchsetzen konnten. Unter dessen Regierung machte sich nun die zweite politische Verwicklung geltend, die Schiners Lebensgang dauernd beherrschen sollte: der Zug Karls VIIL nach Neapel und die zunächst auf die Eroberung Mailands gerichtete Politik

1) Es ist daher zum mindesten sehr mißverständlich, wenn v. Pastor von diesem Gegner Schiners als von „dem kühnen Demagogen, dem Hochverräter, dem Aufrührer gegen geistliche und weltliche Ge- walt“ redet (III, 701. Anm.) Heute noch ist in Sitten das Haus des Landeshauptmanns Georg Supersaxo mit einem schön getäfelten Saale von 1505 erhalten. Bei der Vertreibung Sch.’s setzte er seinen eigenen Sohn als Administrator ein.

*) DRA. II, 990: als Domkustos und Hofmeister. 3) Dieraner S. 9. Anm. 9.

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Ludwigs XII. führte zu einer jähen Umwälzung auch im Bistum Sitten: die kriegslustigen und beutegierigen Bauern der obern Zehnten, die schon 1482 einen freilich erfolglosen Zug ins Mailändische gewagt hatten!), waren über den Wett- bewerb Frankreichs erbittert, verjagten 1496 den Bischof Jodocus, weil er Karl VIII. unterstützt hatte, und erhoben den aus einer Bauernfamilie des Oberwallis stammenden Niko- laus Schiner. Wir erfahren aus einer an Papst Alexander VI. gerichteten Beschwerde Ludwigs XIL, daß dieser Usurpator an der Vertreibung seines Schützlings beteiligt gewesen sei; der König wünscht, daß der Papst ihn absetze und den von Frankreich empfohlenen Dechanten Peter von Hertenstein ernenne?). Dies geschah jedoch nicht, sondern die Gegner Frankreichs befestigen ihre Stellung im Bistum noch, indem schon 1499 der betagte Nikolaus zu Gunsten seines riistigen Neffen Matthäus abdankte, den er bald nach seiner eigenen Erhebung zum Dechanten der Marienkirche auf dem Schloß Valeria in Sitten gemacht hatte. Selbstverständlich waren es nicht die Tugenden des „einfachen Dorfpfarrers“, die die Aufmerksamkeit des Bischofs auf diesen gelenkt hatten, so- daß er „in der geistlichen Laufbahn“ so erfreulich „empor- rückte“ 3), sondern seine Rührigkeit im Dienste der volks- tümlichen Politik, durch deren Überlieferungen auch seiner ersten kriegerischen Aktion als Bischof die Wege gewiesen waren: im Jahre 1500 erneuerte er den Bund seines Bistums mit den Eidgenossen und führte die erste Hilfs- truppe nach der Lombardei, um die Herrschaft der Sforza gegen Frankreich zu stützen, und im Bellenzer Kriege (1503) legte er seine erste Probe als Diplomat ab‘). Infolge des Zusammenbruchs der Sforza sah er sich dann zur Anlehnung an die kaiserliche Politik genötigt,und so erschien er 1507

1) Dierauer S. 3351.

2) Schreiben vom 7. Dez. 1498. Eubel II, 257.

3) Diese naive Auffassung Eschers (a. a. O. S. 7291.) klingt noch bei Dierauer S. 456 nach.

4) Ildephons Fuchs, Die mailändischen Feldzüge der Schweizer. St. Gallen 1812. II, 17ff. Durch die Fülle charakterischer Züge und Mitteilungen aus den ersten Quellen heute noch beachtenswert. Die- rauer II, 456.

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auf’ dem Reichstage zu Konstanz als Führer einer eid- genössischen Gesandtschaft, die besonders zu einer engeren Verbindung zwischen Maximilian 1. und Zürich führte. Hin- fort war gerade Zürich immer der dankbarste Boden für die antifranzösische Werbetätigkeit Schiners!), während sein bisheriger Mitarbeiter, der Freiherr Jórg auf der Flüe, sich schon damals von Frankreich gewinnen lieb und sieh so mit dem Bischof tödlich verfeindete.

Dieser trat jetzt in das Getriebe der großen euro- päischen Politik ein und war im Rahmen der gewaltigen Er- eignisse, die auf den Abschluß der Liga von Cambrai folgten, als Mitarbeiter bald der päpstlichen, bald der kaiserlichen Unternehmungen, als Unterhändler bei den Eidgenossen und Werbegeneral tätig. Er durfte bald von Rom im Purpur der Kardinalswürde und mit den Vollmachten eines Legaten zu seinen Landsleuten zurückkehren ??); Julius II. löste sein Stift ferner aus dem Verband der französischen Metropoliten von Tarentaise, was Leo X. bestätigte, und verlieh ihm aus den ein- gezogenen Pfründen der schismatischen Kardinäle der „Winkel- synode“ von Pisa die Einkünfte der Augustinerpropstei St. Maria von Cressenzago im Mailänder Sprengel sowie die Admini- © stration des Bistums Novara, das ihm 2—3000 Gulden Ein- kommen sicherte). In der Heimat siegte sein Einfluß über den Georgs auf der Flüe, der vertrieben und dem „heiligen Vater vom Wallis“, wie er spottete, zu Gefallen in Freiburg eingekerkert wurde: seine Flucht kostete den franzésich gesinnten Schultheißen das Leben. Und wenn auch zwei der von Schiner geleiteten Züge der Schweizer, der „Chiasser“ Zug und die Unternehmung von 1511 kläglich scheiterten, so er- reichte er doch den Höhepunkt seines Glücks, als er, soeben schimpflich aus seiner Heimat vertrieben und flüchtig, am päpst- lichen Hofe erschien, um nun als Legat des heiligen Stuhles und diplomatischer Führer des „Pavier Zuges“ die Eroberung von

1) H. Ulmann, Kaiser Maximilian I. Stuttgart 1891. II. 323f.

2) Schon 1508 in petto kreiert, doch erst 1511 promulgiert. Eubel III, 13. v. Pastor III, 619. 677: Kardinal-Priester vom Titel S. Pudentiana, nicht wie in älteren Werken oft zu lesen ist „Potentiana“.

3) Eubel III, 278. Sein Sekretär Dr. Sander erhielt 1515 ein

Benediktinerkloster bei Bergamo als Kommende, Hergenróther, Regesta Leonis X. Nr. 15324,

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Mailand (1512) vorzubereiten?). Die Sforza sorgten jedoch dafür, daß er die Regierungsgewalt nicht dauernd an sich reißen konnte, und entschädigten ihn mit der Grafschaft Vigevano, deren reiche Einkünfte er durch Erpressungen und Unterschlagungen zu ergänzen verstand, die, wie Escher ur- teilt, „das Maß des Gewöhnlichen nicht allzusehr überschritten zu haben scheinen“.

Als Vertreter des kaiserlichen Gesandten im Konklave konnte er eine gewichtige Stimme für die Wahl Leos X. in die Wagschale werfen, ohne jedoch selbst Aussicht auf die Tiara zu haben. Der Sieg der Schweizer bei Novara (1513) befestigte seine Stellung noch mehr, so daß er sich heraus- nehmen durfte, dem Neugewählten bei der Aussöhnung mit den abgesetzten Kardinälen der französischen Partei trotzige Opposition zu machen”); kein Wunder: hatte er sich doch an ihren Spolien bereichert. Immerhin war der herrische Kriegsmann so unentbehrlich, dab Georg auf der Flüe, der als sein Ankläger in Rom erschienen war, in die Engelsburg wandern mußte. Es ist nun ein beachtenswertes Zeugnis für den staatsmännischen Blick und die unermüdliche Tat- kraft Schiners, daß er den seit der Thronbesteigung Franz I. immer deutlicher hervortretenden Anschlägen der Franzosen auf die Rückeroberung der Lombardei mit allen Kräften entgegenarbeitete. Hierin liegt vielleicht das größte Verdienst seiner politischen Tätigkeit, die rastlos auf die Vereinigung der Kräfte des Kaisers und des Papstes, der Spanier und Schweizer gerichtet war, um den Stoß zu parieren. Nur schade, daß er die Frucht dieser Bemühungen in seiner allzu eigenmächtigen, hitzigen und brutalen Art aufs Spiel setzte, als er die in Mailand lagernden Schweizer zu dem schlecht vorbereiteten Angriff auf das französische Lager bei Marig- nano (13./14. Sept. 1515) verleitete. Schon hatte die Eid- genossenschaft am 8. September ihren Frieden mit Frankreich gemacht, der, vom Heere verworfen, doch die Zwietracht der Führer zur Folge hatte. Unter solchen Umständen war es doch ein unerhörter Frevel, wenn der Kardinal es unter-

1) Dierauer S. 453. 469. 476, v. Pastor IIl. 700. 718. 718.

Ulmann S. 458, 2) v, Pastor IV, 1, 16. 2, 769. 1, 30, 38.

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nahm, die Truppen ohne ihren freien Entschluß und ohne alle Vorbereitung in einen Entscheidungskampf zu verwickeln:. indem er den Hauptmann der herzoglichen Garde an- stiftete, auf eigene Faust anzugreifen, und ihm persönlich mit den päpstlichen Truppen folgte, versetzte er das Haupt-. heer in die Zwangslage, aus landsmannschaftlichen Rück- sichten in das Scharmiitzel einzugreifen 1).

- Die furehtbare Niederlage der Schweizer hatte zaxleieh den Sturz Schiners zur wohlverdienten Folge: die Schweiz schloß mit Frankreich Frieden, und als auch der Papst sich in Bologna vor dem Sieger beugte, mußte er sich auch ver- pflichten, Schiners Feind aus der Haft zu entlassen; hinfort war dieser aus seiner engeren Heimat hoffnungslos verbannt, bei den Eidgenossen höchst mißliebig und seiner mailän- dischen Güter wie des Bistums Novara beraubt. Auch von der Kurie verleugnet, fand er eine Zufluchtstätte bei der Regierung in Innsbruck und war fortan nichts weiter als ein von des Kaisers Gnade abhängiger Agent.

Als solcher machte er sich zunächst nützlich, indem er als Gesandter in London an einer antifranzösischen Verbin- dung zwischen dem Kaiser und England arbeitete?); aber als- dann der Kriegszug Maximilians im Jahre 1516, den Schiner durch Anwerbung einer stattlichen Schweizertruppe mit eng- lischem?) Gelde unterstützt hatte, statt der Eroberung Mai- lands nur Zwietracht und Meuterei und endlich einen kläg- lichen Mißerfolg brachte*), da war seine Rolle in der großen Politik bis auf weiteres ausgespielt.

1) Dierauer S. 512f., wo nur das Urteil über die frivole Handlungs- weise Schiners viel zu milde gehalten ist. Von dem Geschicht- schreiber der Päpste wird die ruchlose Tat des Kirchenfürsten mit der wohlklingenden Wendung übergangen, daß er „die Schweizer zur Schlacht angefeuert habe“. v. Pastor IV, 1, 81f. 97f.

2 DRA. I, 8f. 11ff. über diese Verhandlungen, die Maximilian und „sein vertrauter Rat“, der Kardinal Sch. in den Niederlanden fort-- setzten. Sch.s Korrespondenz mit Wolsey bei Brewer, Letters and Papers II, III.

$) v. Pastor IV. 1, 110. Ulmann II, 565. 667. 678. A. Walther, Die Anfänge Karls V. Leipzig 1911. S. 178f,

t) Dierauer S. 523. Ulmann II, 667. 678. Dabei läßt sich nicht leugnen, daß er bei seiner Werbetätigkeit für die Sache des Kaisers-

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Er machte daher jetzt noch einen verzweifelten Versuch, sich in seinem Bistum wieder einzudrängen. Schon hatte dort der offene Kampf begonnen, indem Jörg auf der Flüe an der Spitze der französischen Partei gegen die Brüder des Bischofs aufgetreten war und ihnen das Schloß Martinach entrissen hatte. So würde der Kardinal im Herbst 1517 aus seinem Bistum vertrieben. Gleichzeitig machten seine Gegner ihre Klagen bei der Kurie wieder anhängig, während Schiner die Fürsprache des Kaisers anrief: am 23. August 1518 wurde im Konsistorium ein Schreiben verlesen, in dem Maximilian das heilige Kollegium ersuchte!), seinem Mitglied in dessen Streitsache mit den Wallisern beizustehen, und am 4. Sep- tember forderte er den Papst auf, den Bischof gegen seine. rebellischen Untertanen zu schiitzen und ihm wieder zum Genuß seiner Einkünfte zu verhelfen?), aber alles vergebens.

So blieb ihm als einziger Rückhalt nur sein Verhältnis zur kaiserlichen Regierung, das auch über den Tod Maxi- milians hinaus fortdauerte; denn der aus burgundisch-nieder- ländischen Staatsmännern und alten kaiserlichen Räten gebildete Ausschuß zur Betreibung der Wahl Karls I. sicherte sich alsbald die Mitwirkung Schiners, der nun unter der be- sondern Leitung des bedeutendsten unter jenen Diplomaten, des Herrn von Zevenberghen, die Aufgabe erhielt, die Schweizer für die habsburgische Kandidatur zu gewinnen oder sie wenigstens von einer Unterstützung Frankreichs abzu-

in der Schweiz mit Umsicht und Weitblick verfuhr. So empfahl er am 2. Nov. 1517 von Zürich aus einige Schweizer Studenten ihrem Landsmanne Joachim von Watt, damals noch Professor in Wien, damit sie nicht nach Paris gehen möchten: ,,quotquot enim eo vadunt, perduntur Caesari“. Mitteilg. d. hist. Vereins von St. Gallen (Va- dianische Briefsammlung I) XXIV, 200f.

1) Bei Eubel III, 13. Note 7 dahin mißverstanden, als ob LeoX. dem Kaiser die Sache des Kardinals empfohlen hätte: aber das konnte der Papst bei seiner damaligen Abhängigkeit von Frankreich gar nicht wagen.

2) Kalkoff, Forschungen zu Luthers röm. Prozeß. Rom 1905. S. 126. Im Zusammenhang mit diesen Streitigkeiten ließ Schiner eine genaue Aufstellung der Rechte und Einkünfte des Bistums wie seiner Privatgüter im Wallis anfertigen, die D. Imesch in der Ztschr. f, Schweiz. Kirchengesch. X. Jahrg. S. 162—168, abgedruckt hat.

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halten!). Er sollte seinen Landsleuten zu Gemüte führen, daß Franz I. sie bei dieser Gelegenheit zu unterjochen gedenke, wie es in einer Instruktion der Statthalterin Margarete heißt?). An diese hat Schiner auch unmittelbar Bericht erstattet, indem er seinen auch in Worms erschienenen Begleiter, den Grafen Matthäus von Beccaria, mit mündlichen und schriftlichen Mel- dungen an sie abordnete?); diese empfahl ihn dann wieder dem Könige als „personnage trés-expert“ und „sehr begierig, ihm zu dienen und die Franzosen zurückzuweisen“. Während die deutschen Kommissare es wohl für ausreichend hielten, sich der Hilfe des Schwäbischen Bundes zu versichern, drang Schiner darauf, daß man die Schweizer durch hohe Pensionen gewinnen solle: „der Weise sagt, daß ein Strick aus drei Schnuren schwerer zu zerreißen ist, als ein einfacher*)*. Dazu konnte sich nun freilich die spanisch-habsburgische Regierung, die ihr Geld zur Befriedigung der Wahlfürsten nötiger brauchte, nicht entschließen; immerhin wurde das nächste Ziel erreicht: die Eidgenossen erklärten, daß sie keinen Nichtdeutschen als Kaiser dulden würden, ohne freilich Karl als den ihnen etwa genehmen Bewerber zu nennen. Denn, wie Zevenberghen ganz richtig beobachtete, wünschten sie im Grunde ebenso wie der Papst den Machtzuwachs, den

1) Vgl. die fleißige Arbeit von Joller, Kard. Sch.s Beziehungen zur Wahl Karls V. in den Blättern aus der Walliser Geschichte I, 128—142, in der die ältere Literatur besonders bei Le Glay, Négocia- tions dipl.entrela France et l'Autriche. Paris1845 und in den State Papers erschöpfend benutzt worden ist. Leider wird sie entwertet durch die Tendenz, Sch.'s Persönlichkeit zu idealisieren und die Bedeutung seiner Mission zu übertreiben; er habe es verstanden, die Eidgenossen ,für Kaiser und Reich zu begeistern“,

*) DRA. I, 114. 181 Anm. 4, 182. 185, Für gewöhnlich berichtete Sch. an Zevenberghen. S. 234. 240, 548.

3) DRA. I, 185. Anm. 1. 278ff. II, 960.

4) DRA. I. 360. 278, Anm. 1. 474, In der Denkschrift Schiners- vom l. Febr. 1519 heiót es, die schon sehr geschwundene Neigung der Schweizer für Habsburg sei ,aere et pensionibus^ aufzufrischen. F. J. Mone, Anzeiger f. Kunde der Deutschen Vorzeit, Karlsruhe 1836. V, 18. Joller S. 135. In der sehr verdienstlichen Arbeit von W. Gisi, Der Anteil der Eidgenossen au der europäischen Politik während der Jahre 1517—1521, Archiv. f. Schweiz. Gesch. Zürich 1871. XVII., tritt Sch. wie es den Tatsachen entspricht, durchaus hinter Zevenberghen zurück (vgl. z.B. S. 98ff.).

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Frankreich oder Spanien durch die Kaiserwiirde gewinnen mußten, zu verhindern; und da Frankreich, falls Franz I. nicht gewählt würde, entschlossen war, mit dem Papste für die Wahl eines Dritten einzutreten, so wollten sich auch die Schweizer nicht dazu hergeben, durch Stellung einer Truppen- macht einen Druck auf die Kurfürsten auszuüben, um die Erhebung des Spaniers zu sichern‘). Für diese bedenklichen Anschläge auf die Unabhängigkeit der Wahlberechtigten waren die Kommissare somit auf die Hilfe des Schwäbischen Bundes und, als dieser versagte, auf den allzeit käuflichen Banden- führer Sickingen angewiesen, der ihnen in der Tat in wirk- samster Weise half, „die Freiheit der Wahl zu schützen“ °).

Auch ein anderer Versuch, eine Beeinflussung der Kur- fürsten mit Hilfe des Papstes herbeizuführen, bei dem Schiner eine Hauptrolle spielen sollte, scheiterte an der geheimen Abneigung der Kurie gegen die Wahl des Beherrschers von Neapel. Schon im Februar 1519 richtete König Karl I. das Ersuchen an den Papst, den Kardinal Schiner zum Legaten a latere zu ernennen, um seine Wahl zu fördern; er hoffte, daß auch Heinrich VIH. diesen Plan unterstützen werde, und auch die Statthalterin war (6. März) sehr davon einge- nommen): der Papst sollte den Kardinal durch eine Bulle bevollmächtigen, die Kurfürsten an ihre Pflicht zu mahnen, genau nach den Vorschriften der Goldenen Bulle zu wählen bei Strafe des Bannes, des Verlustes ihres Wahlrechtes und der Ungültigkeit der Wahl; so könne man den Umtrieben der Franzosen begegnen, denn Schiner würde schon diese Fakultäten zugunsten Karls zu gebrauchen wissen. Aber abgesehen davon, daß Leo X. vielmehr daran dachte, die Bestimmungen der Goldenen Bulle außer Kraft zu setzen, um die Wahl eines Dritten, des Kurfürsten von Sachsen, durch eine Minderheit zu ermöglichen‘), durfte er schon aus

1) Am 16. März weist Karl seine Gesandten an, nach dem Rate Schiners über die Stellung von 10—12000 Schweizern zu verhandeln, um die Freiheit der Wahl gegen die Franzosen zu schützen, und zugleich ein Bündnis vorzubereiten. DRA. I, 481.

2) DRA. I. 702, AgL. S. 78f.

3 DRA. I, 179. Anm. 1. 226. 340. 360. 392. Joller a. a, O. S. 141.

4) ZKG. XXV, 414.

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Rücksicht auf den ihm verbtindeten König von Frankreich nicht daran denken, dessen geschworenen Gegner derartig auszuzeichnen. Man hörte denn auch bald aus Rom, dab der Papst den Kardinal nicht nach Frankfurt entsenden werde, da er neutral zu bleiben wünsche !).

Immerhin war die spanische Regierung mit den von Schiner geleisteten Diensten so zufrieden oder wenigstens von seiner Unentbehrlichkeit so überzeugt, daß Karl I. ihm zweimal die Summe von 1000 Gulden anweisen lied und ihm Ende Mai durch Zevenberghen eine Urkunde übermittelte, in der ihm bis zur Verleihung einer größeren Pfriinde ein Jahrgeld von 2000 Gulden verbürgt wurde?) Der Kaiser lóste dann sein Wort ein, als das Bistum Catania mit einem taxmäßigen Einkommen von 3—4000 Gulden dureh den Tod seines Inhabers erledigt wurde; wenn der Papst am 1. No- vember 1520 Schiner als Administrator bestätigte, so ist auch darin ein Zeichen seiner grundsátzlieh schon kurz vorher beschlossenen Lösung von der französischen Vormundschaft zu erblicken ë). :

Als Diener Karls V. wurde er nun bald nach dessen Landung im Sommer 1520 an den Hof beschieden, wo er Anfang September eintraf, um nun zunächst bei höfischen Anlässen den Glanz der kaiserlichen Umgebung zu erhöhen:

1) DRA. I, 482 (3. März) 510. Wenn Karl am 31. Mai an Mar- garete schreibt, der Papst werde Sch. zur Wahl delegieren, so war dies nur eine Finte, um die Stimmung seines Anhangs zu heben.

*) Die Statthalterin hatte ihm schon beizeiten zugesagt, man werde ihn so bezahlen, daß er zufrieden sein werde. DRA. I, 279 Anm. 1. 226. 360. 481. 735. Dankschreiben Karls vom 18. Juli bei Joller S. 131.

3) Es ist eine schiefe Auffassung, wenn Escher 8.734 erzählt, „der Papst habe Sch. als einen der einflußreichsten Räte des Kaisers ge- würdigt, indem er ihn am 1. Nov. 1521 (so!) zum Bischof von Catania ernannte“. Aber über die Bistümer des Königreichs beider Sizilien verfügte die spanische Krone unbedingt. Seit seinem Sturz und dem Verlust seiner mailändischen Pfründen und Güter scheint der Kardinal nicht immer zahlungsfähig gewesen zu sein, denn am 5. Nov. 1520 bittet er von Köln aus, einen Züricher Bürger, von dem er ein Haus gekauft hatte, das dieser wegen Ausbleibens der restlicheu Zahlungen zurücknehmen wollte, zu vertrüsten, A.P. v. Segesser, Eidgenössische Abschiede S. 1263,

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$0 erschien er schon beim Einzug in Antwerpen wie be- sonders bei dem in Aachen am 22. Oktober mit zwei andern „roten Hütlein“, den Kardinälen M. Lang und W. von Croy, oder bei der Leichenfeier des letzteren und bei der Unter- zeichnung des Wormser Edikts im Dome zu Worms, wo er . am 27. Januar bei der Eröffnung des Reichstages auf be- sonderen Wunsch des Kaisers die Messe vom heiligen Geist singen mufte?) Uber seine Teilnahme an den Beratungen über Luthers Angelegenheit mag vorläufig nur bemerkt werden, dab er regelmäßiges Mitglied des Redaktionsausschusses war, der über Aleanders Entwürfe zu befinden hatte; auch in dieser Stellung fungierte er aber nur als kaiserlicher Rat, da diese Körperschaft nicht von den Reichsständen, sondern vom burgundischen Kabinett gebildet wurde. Aber so eifrig der Kardinal sich den Nuntien zur Bekämpfung der deut- schen Ketzerei zur Verfügung stellte, weit mehr lag ihm der von Karl V. geplante „Romzug“ am Herzen und die schon in der Proposition vom 27. Januar angekündigte Rücker- oberung Mailands. Der „Kardinal von Bellis“, wie Hermann von dem Busche den alten Werbegeneral in „Dr. Martin Luthers Passion“ mit treffendem Spott bezeichnete”), brannte darauf, „nur zwei Monate Sold für ein Schweizer Heer zu erhalten, um Mailand zurückzugewinnen und alle Franzosen aus Italien zu verjagen“: so berichtete der englische Ge- sandte am 9. Februar’). So vermutete man auch gewib nicht mit Unrecht, daß Schiner den Prediger beeinflußt hatte, der bei der Leichenfeier des Kardinals von Croy am 22. Fe-

1) DRA. IL, 73. Anm. 5. 94. 157. 800, BDB. S. 31. ADS, 249. Ferner erscheint er beim Einzug Erzherzog Ferdinands in Worms am 3. April. DRA. II, 888. Ende Sept. 1520 übermittelt er von Antwerpen aus den Eidgenossen unbedeutende Mitteilungen des Kaisers betr. das Ausbleiben ihrer Gesandtschaft bei der Krönung und die Verhandlungen seines obersten Kommissarsin Deutschland, M. v. Zevenberghen, Segesser, Abschiede S. 1263,

2) AD. S. 168. Anm. 2.

8) DRA. II, 792, 23f. 794, 6f BDB. 8. 74, Anm, 75. Die gleich- zeitig auftauchende Nachricht, daß bei der Abreise des Kaisers Ferdi- nand als Statthalter im Reiche bleiben sollte mit Schiner als Beirat, wird nur von einem Italiener berichtet und hat nur geringe Bedeu- tung. DRA. II, 801, 1.

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bruar die leidenschaftliche Aufforderung zum Kriegszug nach Italien an den Kaiser richtete. Wenn dann der Sekretär Schiners, Dr. Michael Sander, den Redner getadelt hatte, so war es nur geschehen, weil dieser zugleich den Papst wegen seiner Freundschaft mit Frankreich angegriffen und eine kon- ziliare Entscheidung in Luthers Sache gefordert hatte. Sander, ein früherer päpstlicher Zeremonienmeister, beschwerte sich nun sofort bei seinem Herrn, den er in der Umgebung des Kaisers wußte, über die Drohungen, die ihm diese Äußerung von einigen Deutschen eingetragen hatte’): vermutlich wußte er schon, daß sich im Geheimen ein völliges Einvernehmen zwischen Kaiser und Papst auch in den italienischen Fragen vorbereitete ?).

Die Haltung der Schweizer mußte nun bei der sich so deutlich ankündigenden Auseinandersetzung mit Frankreich eine große Rolle spielen, und so war die kaiserliche Re- sierung beizeiten darauf bedacht, sich auch die Mitwirkung der Reichsstände bei der Beschiekung der Eidgenossen zu sichern. Da diese ablehnten, ging die Gesandtschaft aus- schließlich im Auftrage des Kaisers ab, geführt von Zeven- berghen; indessen erlangte sie von der Tagsatzung in Zürich nur einen sehr unbefriedigenden Bescheid, und schon Ende April erneuerten die Eidgenossen ihren Bund mit Frankreich’). Daf man den Kardinal nicht mitgeschickt hatte, erklärt sich daraus, daß man, solange die Stellungnahme der Schweizer: noch nicht entschieden war, sie nicht durch das Auftreten- eines so ausgesprochenen Feindes der Franzosen stutzig machen wollte. Zugleich aber stieg die Mitwirkung des er-. fahrenen Kriegsmannes für Kaiser und Papst, die sich in denselben Tagen zum Bündnis gegen Frankreich vereinigten (8. Mai), im Werte.

Der Kaiser hatte daher in der Instruktion vom 4. April. nieht unterlassen, die Sehweizer zu bitten, gegen Schiners Feinde im Wallis einzuschreiten, die schon in der Acht seien“), und schon am 17. März hatte er auch ein dringen-.

1) BDB. S. 13. 28 ff.

?) ZKG. XXXII, 61 f.

*) DRA, II, 362, Baumgarten, Gesch. Karls V. II, 1, 30. 4) DRA, II, 380.

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-des Fürsehreiben an den Papst gerichtet!) Denn in Sehiners Prozess wegen seiner Vertreibung aus dem Bistum Sitten und der Vorenthaltung seiner Einkünfte hatte zwar die Rota zu seinen Gunsten entschieden, aber solange der französische Einfluß an der Kurie maßgebend war, konnte dem Urteil keine weitere Folge gegeben werden. Nun ersuchte zwar ‚der Kaiser den Papst dringend, die Wiedereinsetzung des Bischofs zu bewirken und mit allen pflichtschuldigen Mitteln - „dafür einzutreten, daß dem widerrechtlich beraubten Reichs- fürsten Genugtuung widerfahre; doch fehlte auch ihm die Macht, in dem tatsächlich jedem Einflusse des Reiches ent- rückten Gebiet seinem Schützling wirksam beizustehen.

Nur durch die Verdrängung der Franzosen aus Ober- italien und die dann zu erwartende Schwächung ihres Ein- ‘flusses in der Schweiz konnte der Bischof von Sitten hoffen, auch in seiner Heimat wieder das Heft in die Hand zu bekommen. Kein Wunder, daß er sich mit dem größten Eifer für den von Spanien und Lec X. geplanten Kriegszug einsetzte. Er begleitete den Kaiser noch nach den Nieder- landen, reiste dann aber am 29. Juni eiligst von Brüssel nach Zürich?), um im Verein mit den dortigen Vertretern der

1) Karl V. an Leo X.: Cum magnis revmi cardinalis Seda- nensis erga Nos meritis tantum moveremur, saepe per literas et per oratorem Nostrum illius causam Sanctitati Vestrae commendavimus. Accessit postea ratio imperii, in qua cum non tantum de Sedunensi quam de existimatione Nostra ageretur, Sanctitatem Vestram obsecravi- mus, ut, cum causa iudicibus cognoscenda data esset hique sententias protulissent, Sedunensem pro aequitate in integrum restitui vellet. De Sanctitatis Vestrae in hominem voluntate, cum, qua ille in Eam ob- servantia sit, non ignoremus, ne tantillum quidem dubitamus; si quid autem est, quod obsit, quamquam nihil Sanctitati Vestrae ad conser- vandam auctoritatem suam obstare debet, obsecramus, ut apposito studio Nostro, qui pro dignitatis Nostrae existimatione cardinali, principi imperii iniuriose dispoliato, accurrimus, id faciat, quod a Sanctitate Vestra debetur et ab omnibus, qui bene sentiunt, expectatur. Male enim agetur, si qui erunt, qui sibi, quaecunque libuerint, licere putent, Der Gesandte ist instruiert.

Ex civitate imperiali Vormaciae XVII. Martii MDXXI.

Carolus. El rey. G. Argillensis. Original, Arch. Vatic., Arm. II, c. 1, Nr. 23.

2) Marino Sanuto, Diarii XXXI, col 47; nach den Lettere di

principi I, fol. 94a am 30, Juni.

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Kurie die Aufstellung eines Söldnerheeres zu betreiben. Es kam ibm dabei sehr zu statten, daß Zürich dem Bündnis . mit Frankreich nicht beigetreten war und nun 2000 Mann bewilligte, jedoch nur zur Verteidigung des Kirchenstaates. Es war das Meisterstück des alten Werbeoffiziers, daß er nun bald ein ansehnliches Heer zusammenbrachte, und bei seiner skrupellosen Verschlagenheit war es ihm dann auch ein Leichtes, die Hauptleute zur Teilnahme an der gegen Mailand gerichteten Offensive zu verleiten, obwohl eidge- nössische Gesandte sich die größte Mühe gaben zu verhüten, daß Schweizer mit Schweizern handgemein würden!)

Die beiden Legaten, Mediei und Schiner, unter deren Augen am 19. November Mailand erstürmt wurde, mußten bald darauf zur Papstwahl nach Rom eilen. Im Konklave hat der erfahrene Staatsmann eine nicht unerhebliche Rolle ge- spielt, da er einmal der Vertrauensmann des kaiserlichen Gesandten war und als solcher dahin arbeitete, die Wahl eines französisch gesinnten Papstes zu verhüten; zugleich war er der Korrespondent des ehrgeizigen englischen Ministers, der sich Hoffnungen auf die Tiara gemacht hatte; endlich erbielt er selbst in mehreren Wahlgängen eine ansehnliche Zahl von Stimmen; doch hätte die französische Partei seine Erhebung nicht zugelassen?). Wenn nun der Kardinal Kajetan in einem bisher noch nicht verwerteten Bericht über seinen entscheidenden Anteil an der Wahl Hadrians VI. erzählt, daß er sich mit diesem Vorschlag zuerst an einen führenden Kar- dinal der kaiserlichen Partei gewendet, von diesem aber eine ausweichende Antwort erhalten habe3), so gewinnt es den Anschein, als ob Schiner denn nur dieser kann gemeint sein sich selbst als Papabile gefühlt und deshalb den neuen Mitbewerber habe fernhalten wollen. Aber ernste Aussichten hat er keinesfalls gehabt‘), da das Geplänkel bei

*) v. Pastor IV, 1, 386 ff. Baumgarten II, 1, 35. 61.

?) v. Pastor IV, 2, 3.5.7 Anm. 6, 14 Anm.1. 15 Anm. 5.

?) Vgl. meine Untersuchungen „Zur Geschichte Hadrians VI.“ im Hist. Jahrbuch 1918, S. 37.

‘) Gegen Escher S 734 und Joller S. 55; auch ist es irrig, daß der neue Papst ihm und zwei anderen Kardinälen die interimistische Verwaltung des Kirchenstaates übertragen hätte. Selbstverständlich

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4, 7

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den vorbereitenden Abstimmungen fiir die wirklichen Ab- sichten der Wahler wenig zu bedeuten hat. Jedenfalls aber hat er sich bei seinen Verdiensten um die Sicherung des Kirchenstaates gegen die Franzosen und seiner Stellung zum Kaiser mit der Absicht getragen, sich unter dem neuen Papste eine hervorragende Stellung an der Kurie und einen gewichtigen Anteil an der Leitung der päpstlichen Politik zu sichern. Denn die Denkschrift vom 1. März 1522, in der er nach der Auffassung katholischer Forscher ein „Re- formprogramm“ „im Sinne Hadrians VI.“ entworfen haben soll?), ist nur darauf berechnet, die päpstliche Regierung nach der verschwenderischen Wirtschaft Leos X. wieder leistungs- fähig zu machen: sie handelt also allenfalls von einer Reform einiger Behörden der Kurie, nicht aber von einer Besserung der Kirche und ist weit davon entfernt, auch nur die von den deutschen Reichsständen gerügten Mißbräuche in Recht- sprechung und Pfründenvergebung gründlich in Betracht zu ziehen. Das überschwengliche Lob, das dem Verfasser gleich- wohl von A. Büchi?) wegen der „großen Einsicht und des festen Willens zu einschneidenden Maßnahmen“ gespendet wird, gipfelt in der Feststellung, daß er „nicht in das rein kirchliche Gebiet des Glaubens und der Sittenlehre eingreife“, das allerdings „dem ausgesprochenen Diplomaten“ sehr fern lag. Dabei wird völlig verschwiegen, daß die erste Hälfte des Schriftstückes nur der augenblicklichen politischen Lage gewidmet ist mit der dreisten Zumutung an den neuen Papst, sich von vornherein, an Händen und Füßen gebunden, der kaiserlichen Mächtegruppe auszuliefern. Hadrian VI. soll ein Bündnis mit dem Kaiser und mit den Königen von England und Portugal schließen, in das der Herzog von Mailand aufzunehmen ist. Er soll in dieser Richtung festgelegt werden durch ein englisches Darlehen von 200000 Dukaten, wodurch die Verschuldung des heiligen Stuhles erleichtert und den dringenden Bedürfnissen d. h. vor allem der

ist auch Büchi (Kirchl. Handlexicon II, 1963) der Meinung, daß Schiner „als Nachfolger Leos X. ernstlich in Frage gekommen sei", 1) y. Pastor IV, 2, 61f. 66 f. 72. 82; abgedruckt S. 722—724. 2) Sonderabdruck S, 21 f.

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Bezahlung der Schweizer Söldner?!) genügt werden sollte. Die doppelte Summe könne mit gutem Recht durch Be- steurung der getauften Juden (der Marranos?), der Rebellen, d. h. der französischen Partei in der Romagna und Emilia, und der Spekulanten erzielt werden. Der Papst soll nicht nur den König von Frankreich auffordern, auf alle Er- oberungspläne in Italien zu verzichten, sondern auch den Vasallen der Kirche den Anschluß an Frankreich und die Bekämpfung der mit der Kirche verbündeten Mächte wie des Bischofs von Sitten verbieten. Vor allem suchte er den Papst von dem Gedanken an einen baldigen Friedens- schluß abzubringen, indem er ihn darauf aufmerksam machte, daß ein solcher Friedensschluß die Gefahr in sich berge, von den Feinden hintergangen und so geschädigt zu werden, daß ein noch heftigerer Krieg unvermeidlich werde. Darauf seien die Umtriebe der Franzosen und Venetianer bei der Türkei gerichtet, die sie mit Geld unterstützten, um durch ihre Angriffe die Westmächte zu einem solchen tiberstürzten Frieden zu nötigen. Bevor aber die Franzosen völlig aus Italien vertrieben seien, könne weder dieses Land noch das übrige Europa zu einem dauernden Friedenszustand gelangen. Seit dem Einbruch Karl VIII. in Italien seien mehr als 200 000 Menschen im Kampfe gefallen; so lange also Frank- reich bei Kräften bleibe, könne man auch den Türken nicht mit Erfolg entgegentreten. So viel Wahres nun auch diese Sätze enthielten, so waren die übrigen Ratschläge um so bedenklicher.

Denn Schiner suchte den Papst ferner bei der Gewalt- politik festzuhalten, die Alexander VI. und Leo X. zur Ver- groSerung des Kirchenstaates und zur Mehrung ihrer Haus- macht verfolgt hatten?) und die vor allem zu dem ruchlosen

1) Leo X. schuldete der Schweiz noch 36000 Dukaten und Hadrian hatte die größte Mühe, wenigstens das Geld für Zürich aufzubringen. v. Pastor IV, 2, 101,

2) Vgl. über diese meine Anfänge der Gegenreformation in den Niederlanden. Halle 1903. I. 41ff,

3) Dies spricht sich auch in dem Absatze aus, in dem er den Papst dringend beschwört, nicht zu dulden, daß die Kardinäle irgend eine der Besitzungen, die unter Leo X. oder seinen Vorgängern ge.

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und aufreibenden Kampfe um das Herzogtum Urbino und zur Vertreibung des kriegerischen Rovere Francesco Maria geführt hatte. Die bedrohten Dynasten hatten sich ge- wöhnlich dea Franzosen in die Arme geworfen oder auf eigene Faust die Ruhe des Kirchenstaates gestört. Schiner suchte nun den Papst mit Argwohn und Furcht vor diesen bewafineten Umtrieben zu erfüllen, indem er ihm vorstellte, wie diese „Tyrannen“, die Urbino und wie die Baglioni Perugia zu unterdrücken bestrebt seien, auch Bologna durch Zurückführung der Bentivogli der päpstlichen Herrschaft entfremden würden. Abgesehen von dem Wichtigsten, daß Hadrian VI. sich keineswegs sofort der kaiserlichen Partei anschloß, sondern ehrliche Versuche machte, mit Frankreich zum Frieden zu kommen, daß er ferner die Türkengefahr sofort und mit allen erreichbaren Mitteln zu bekämpfen sich anschickte, kann man auch an diesem Nebenpunkte sehen, wie hoch er die politische Weisheit Schiners einschitzte: er hat die großen Vasallen der Kirche, die Herzöge von Ferrara und Urbino, durch größte Milde und weitgehende Zugeständisse versöhnt und so auch den kleinen Fried- brechern wie den Bentivogli für den Augenblick die Lust zu ferneren Streichen benommen oder sie wie die Baglioni durch Wiederaufnahme beschwichtigt 1),

Und so war er erst recht nicht gesonnen, sich diesem Mentor zu fügen in dem für die persönliche Geltung des Papstes bedenklichsten Punkte, der zugleich die frevelhafte Selbstsucht und rohe Machtgier des alten Ränkeschmieds enthüllt. Unter dem gleisnerischen Ratschlag, daß Hadrian VL, wenn er in Wahrheit der Herr sein wolle, sich keinen

wonnen wurden, verloren gehen ließen oder dem Kirchenstaate ert- fremdeten. Er müsse vielmehr alle Sorge darauf richten, diesen Be- stand zu verteidigen, wobei dann freilich Kriegsmänner wie Schiner und seine Schweizer unentbehrlich waren. Eine ähnliche Absicht ver- birgt sich hinter dem Rate, daß der Papst keinesfalls auf die Vor- schläge eingehen möchte, die die Kardinäle ihm wegen der Besatzungen der festen Plätze des Kirchenstaates machen könnten.

1) v. Pastor IV, 2, 110ff, 196. Uber das Auftreten der italienischen Verbannten in Worms vgl. BDB. S. 13ff. 74f. Die Baglioni stießen dort am kaiserlichen Hof auf Mißtrauen (S. 29), wie es ihnen auch Schiner hier entgegenbringt.

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Kardinal als leitenden Staatsmann wie Giulio de’ Medici im Amte des Vizekanzlers an die Seite setzen dürfe er müsse vielmehr alle gleichmäßig lieben und nur dem Verdienst größeren Einfluß gestatten’) —, suchte er zunächst dem noch in Spanien weilenden Oberhaupte der Kirche die bisher einflußreichsten Staatsmänner der Kurie zu ver- düchtigen. Denn die Erläuterung zu diesem Satze sollte der mit der Denkschrift entsandte Vertrauensmann mündlich geben, weil es zu gefährlich sei, dies alles schriftlich zu melden. Sodann suchte er der Möglichkeit zu begegnen, daß Hadrian VI. schon in Spanien die wichtigsten Posten besetzte, indem er ihm riet, erst nach seiner Ankunft in Rom erprobte Männer in diese Ämter zu berufen: die wür- digsten und unbestechlichsten Anwärter würden ihm dort der Kardinal von Sitten und der Landsmann Hadrians, Wilhelm van Enkevoirt, namhait machen, mit dem sich also Schiner schon verbündet hatte, da das Freundschaftsver- hältnis der beiden Niederländer allgemein bekannt war?) Auch sorgte Schiner dafür, daß zwei der einflußreichsten Stellen, die des Geheimsekretärs und des Subdatars, doch womöglich schon von Spanien aus mit von ihm genannten Personen besetzt werden möchten. Seine eigentliche Ab- sicht aber liegt in dem Vorschlage, der Papst möge, wenn er nicht sehr bald in Rom einzutreffen gedenke, einen Le- gaten ernennen und dies keinesfalls dem Kollegium der Kardinäle überlassen: es ist unverkennbar, daß er selbst zunächst bis zur Ankunft des Papstes die Herrschaft über den Kirchenstaat in die Hand zu bekommen suchte, und dann würde der gelehrte Herr schwerlich im Stande ge- wesen sein, den neuen Vitelleschi®) wieder abzuschütteln.

7) Diese schöne Wendung wird von Pastor und von Büchi ge- hörig unterstrichen, die Tendenz des Ratschlags aber übersehen.

?) Auch Aleander hat daher sofort nach der Wahl Hadrians den Skriptor Enkevoirt umschmeichelt. ZKG. XXVIII, 226ff,

*) Die Charakteristik des Kardinals Giov. Vitelleschi, des Bischofs von Recanati, der, 1434—40 als Vertreter des abwesenden Eugen IV, in Rom bestellt, dort seine Gewaltherrschaft aufrichtete, kann im wesentlichen auf den deutschen Condottiere übertragen werden: „ehr- geizig, verschlagen, habsüchtig, grausam, dabei aber entschlossen und tapfer“, v. Pastor I, 240ff.

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Auch die Reformvorschlige des ungebetenen Beraters haben ihre bedenkliche Kehrseite. Einige von ihnen waren ja zweifellos vernünftig und schon so oft und von so vielen Seiten erörtert worden, daß Hadrian VI. wahrlich nicht von Schiner dazu inspiriert zu werden brauchte!) Dab die Herabsetzung der Zahl der Beamten und Hofleute, die er dem Papste empfahl, auch die Kardinäle zur Vereinfachung ihrer Hofhaltung bestimmen würde, war eine Täuschung, die nur um so auffälliger wird, je gründlicher Hadrian VI. aus eigenstem Antriebe in dieser Richtung vorging. Dab die Auditoren des päpstlichen Schatzes und die Kammer- kleriker, also die Beamten der mit umfassender Gerichts- barkeit ausgestatteten höchsten Finanzbehörde sowie die Abbreviatoren als die wichtigsten Kanzleibeamten ihre Stellen nicht mehr dureh Kauf erlangen sollten, sondern daß diese an kenntnisreiche Personen unentgeltlich vergeben werden müßten, damit das Recht nicht käuflich sei, war eine For- derung, die längst auch von den deutschen Reichsständen erhoben worden war, die aber daran scheitern mußte, dab auch diese Amter nur deshalb vermehrt worden waren, um päpstliche Anleihen zu fundieren, d. h. den Geldgebern ihr Kapital nebst Zinsen durch die Erträgnisse dieser Behörden sicher zu stellen?). Dasselbe galt von Ämtern der Pöni- tentiarie und der Rota, die aus demselben Grunde nicht so leicht auf die tatsächlich nötige Zahl der Beamten zu be- schränken waren. Und wenn Schiner vorschlug, ihnen einen festen Gehalt anzuweisen, ihnen und den ,Seriptores aposto- liei?)" die Einhaltung der Taxen zur Pflicht zu machen und die Annahme der üblichen Geschenke (der „propina“) über den Betrag von zwei Dukaten hinaus zu verbieten *),

1) Wie v. Pastor S. 66f bei zwei der von Schiner berührten Beamtenklassen annimmt.

? Zu diesen hier nur andeutungsweise zu behandelnden Ver- hältnissen vgl. die gründlichen archivalischen „Forschungen“ von W. v. Hofmann, „zur Gesch. der kurialen Behörden“ (Bibl. des Preuß. Hist, Instituts XII) Rom 1914.

8) Mit diesem Ausdruck können die Scriptores literarum aposto- licarum ebenso gut wie die Secretarii apostolici gemeint sein.

4) Über diesen Brauch vgl. v. Hofmann I, 29.

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s0 klingt das sehr verständig und war ebenfalls schon oft gefordert worden; aber die Inhaber dieser Ämter, diese Vakabilisten, die ansehnliche Summen hergegeben hatten, um sie durch derartige Sporteln verzinst zu bekommen, empfanden ein solches Vorgehen als Raub, was auch Schiner dadurch anerkannte, daß er vorschlug, die Gehälter aus den Einkünften der großen Abteien zu decken, die er also den betreffenden Kongregationen einfach wegnehmen wollte.

Noch radikaler wollte er mit denjenigen Ämtern ver- fahren, die nur dem Geldbedürfnis der letzten Päpste ihre Entstehung verdankten: so waren die von Leo X. 1514 ge- schaffenen 612 „portionarii Ripae“, „überhaupt keine Be- amten mehr, sondern nur Rentenempfänger“, die einen An- leihebedarf von 281000 Dukaten gedeckt hatten, und zwar in kleineren Anteilen, da auch die kleinen Kapitalisten heran- gezogen werden sollten!) Der Ertrag des Flußzolles und der Markttaxen mußte daraufhin stark vermehrt werden, was natürlich eine drückende Steigerung der Preise der notwendigsten Lebensmittel zur Folge hatte. Wenn Schiner nun riet, diese auf die Hälfte herabzusetzen, da die dann zu erwartende Steigerung der Einfuhr den Ausfall decken werde, und die Abgabe nieht mehr verpachtet, sondern durch festbesoldete Beamte erhoben wissen wollte, so war diese schöne „Reform“ eben nur möglich, wenn man die ver- kauften Amter einfach aufhob, was er denn auch ohne viel Federlesens auch für die von Leo X. stark vermehrten Stellen. der Cubieularii und Seutiteri sowie der Milites S. Petri?) vorschlug. Gerade an dem letzteren Falle erhellt deutlich, daß diese Maßregel nichts Anderes bedeutete, als einen Staatsbankerott: denn diese 400 Petersritter hatten auf Grund einer Bulle vom 29. Juli 1520 für ihren Titel je 1000 Dukaten gezahlt, d. h. sie hatten eine auf be- stimmte Einkünfte der Kurie angewiesene Leibrente erworben °),

1) v. Hofmann I, 160f, wo auch über die drei folgenden ,Ehren- chargen“ nühere Angaben gemacht werden.

2) Hier ist bei v. Pastor IV, 2, 724, Zeile 30 zwischen militum scutiferorum ein Komma zu setzen.

3) Vgl. über diese Gründung Leos X. ZKG. XXXV, 168f und die dort angegebene Literatur.

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die ihnen nach Schiners Plan kurzweg entzogen werden solite. Die Inhaber der beiden anderen Hofümter hatten bei der 1515 erfolgten Neuordnung nicht weniger als 200 000 Gulden aufgebracht !).

„Einschneidend“ war also wenigstens die letztere Maßregel gewiß, und estraf auch zu, daß die Vezinsung dieser Anleihen fast die gesamten Einkünfte des ,, Patrimoniums Petri“ verschlang ?), die Sehiner gern für die von ihm vorgeschlagene kriegerische Aktion freigemacht hätte; aber völlig unerfindlieh ist es, wie man in diesem wunderlichen Komplex militärischer, politischer, finanzieller, administrativer und höchst persönlicher Vorsehlüge einen kirchlichen Reformplan erblicken kann. Gewib war Schiner bei der Ankunft Hadrians VI. in Rom eine Persönlichkeit, die wegen ihrer jüngsten kriegerischen Verdienste und ihres Verhältnisses zum Kaiser Beachtung fordern konnte; doch darf man dem Umstande, daß der Papst ihn allein weiter im Vatikan wohnen ließ, während die bisherigen „Palastkardinäle“ sich zurückziehen mußten ?), keine besondere Bedeutung beilegen, da Sehiner der einzige war, der in Rom keine eigene Wohnung hatte, Bei der grundversehiedenen Natur beider Münner war eine Ver- trauensstellung Schiners, wie sie Hadrian VI. nur jenem Enkevoirt einräumte, von vornherein ausgeschlossen; schon die Fragen der auswärtigen Politik würden sich bald als Hindernis für die selbstsüchtigen Pläne des alten Kriegs- mannes erwiesen haben, der sehon einen Monat nach dem Einzug des Papstes einer Seuche erlag (1. Oktober 1522).

1) Kalkoff, Miltitziade, Leipzig 1911. S. 60f. Ztschr. f. G. d. Ober- rheins XXXII, 308 Anm.

?) Nach v, Hofmann I, 288f war die Zahl der käuflichen Ämter von 1518 bis 1521 von 936 auf 2232, das darin angelegte Kapital auf 21/|, Millionen und die Rente auf rund 300000 Dukaten gestiegen; diese konnte aus kirchenstaatlichen Einnahmen nur zu einem Drittel gedeckt werden.

3) Pastor IV, 2, 66. Abgesehen von dem Inhalt der Denkschrift kann man auch deshalb, weil sie nur dem Papste bekannt geworden ist, kaum sagen, daß schon „Schiners Name ein Reformprogramm bedeutete",

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Auf Grund dieser Übersicht seines Lebensganges er- hellt nun schon zur Genüge, was von der angeblichen Be- günstigung Luthers und seiner Lehre zu halten ist, einer Auffassung, die in einem älteren Werke in der Formel zu Tage tritt, er sei „ein Freund von Erasmus, Luther und Zwingli^ gewesen‘). Da wir nun unwiderleglich feststellen können, daß er zur Zeit des Wormser Reichstags zu den schärfsten Gegnern der ketzerischen Bewegung gehört und auf die grausame und restlose Ausrottung der Lutheraner im engsten Einvernehmen mit den Vertretern des Papstes hingearbeitet hat, so könnte es allerdings scheinen, als ob die früheren lutherfreundlichen Auslassungen des Kardinals auf einen „Gesinnungswechsel“ schließen ließen. Wenn sein künftiger Biograph sich die größte Mühe gibt, ihn von diesem Makel zu reinigen?), so heißt das eigentlich, offene Türen einrennen. Freilich erschwert er sich diese schöne Aufgabe, indem er den Beziehungen Schiners zu Zwingli und einigen gelegentlichen Äußerungen über Luther eine ebenso übertriebene Bedeutung beilegt wie seinen Reformbestrebungen die ihn zeitweilig sogar als einen „Bewunderer Luthers“ hätten erscheinen lassen. Man kann ihm dabei zugeben, dab der Umsehwung in Sehiners Haltung nieht in erster Linie auf bloße „Geldverlegenheiten“ zurückzuführen ist?).

1) E. F. v. Mülinen, Helvetia sacra. Bern 1858. I, 27. Bet A. Horawitz u. K. Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Leipzig 1886. S. 275, Anm. 3, erscheint er 1521 als „früherer Gönner Capitos“.

2) Büchi, S. 11, 18. 23.

3) Ein arger Verstoß ist dem Biographen Schiners (S. 11, Anm. 3.) nachzuweisen, wenn er aus einem Briefe Martin Butzers an Beatus Rhenanus, der sich mit der Schilderung der Lage auf dem Wormser Reichstage in der Zeit kurz vor dem Schlusse beschäftigt dieser, wie ein Brief an Zwingli, sind auf den 22. und 23. Mai anzusetzen; vel. WE. S. 261, Anm. 1 eine Äußerung über die Todeskrankheit des bisher leitenden Staatsmannes anführt, die auch in den Depeschen Aleanders ihrer politischen Wichtigkeit entsprechend, wiederholt er- wähnt wird; am 26. Mai berichtet der Nuntius (DA. S. 256), daß jener‘ bereits seit sechs oder sieben Tagen von den Ärzten aufgegeben worden sei, was genau zu der Äußerung Butzers paßt (Horawitz-Hartfelder,. S. 275), daß er dem Tode nahe sein solle. Butzer macht dann die völlig zutreffende Bemerkung, daß Wilhelm von Croy schon wegen.

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Immerhin wurde er durch die Zuwendungen Karls I. und die Verleihung des Bistums Catania aus einer sehr driickenden Lage befreit, und schon seit dem Frühjahr 1519 sind daher keine Kaberingen kirchlichen Mißvergnügens mehr über- liefert. Der entscheidende Umstand aber, der den Schlüssel zum Verständnis seines bisherigen Verhaltens bietet, ist seine Rehabilitierung an der Kurie, die angesichts der unerbitt- lichen Feindschaft Frankreichs erst möglich war, als Leo X. seinen Übertritt ins kaiserliche Lager vorbereitete. Sie fand ihren Ausdruck in der Bestätigung jener Bistumsverleihung; die Hauptsache aber für Schiner war, daß sich ihm nun wieder eine glänzende Aussicht im Dienste der vereinigten Mächte, des Kaisers und des Papstes, eröffnete.

Somit erklären sich jene viel erörterten Äußerungen als Zeichen der Mißstimmung über seine Zurücksetzung durch Leo X., über die Begünstigung seiner Feinde im heimatlichen Bistum. Der rohe Söldnerführer reiht sich also einfach der ‘Gruppe der mißvergnügten Kirchenfürsten an, die wie Albrecht von Mainz oder Matthäus Lang oder Eberhard von der Marck die kirchlichen Schwierigkeiten in Deutschland benutzten, um dem Papste ihre Unentbehrlichkeit fühlbar zu machen und die Erfüllung ihrer selbstsüchtigen Wünsche zu erpressen.

Schon das Verhältnis Schiners zu Zwingli läßt sich ohne die Annahme einer Hinneigung des Kardinals zu den reformatorischen Ideen des Züricher Leutpriesters erklären. Zu einem Briefwechsel ist es zwischen beiden nie gekommen ?); wohl aber hat Schiner mit Hilfe seiner vom Papste be- soldeten Freunde am Großmünster darauf hingewirkt, dem einflußreichen Politiker diese Stelle zu verschaffen, und ist mit ihm dann bei ihrer gemeinsamen antifranzösischen Richtung Hand in Hand gegangen. Das für Kaiser und

seiner auch von dem venetianischen Botschafter bezeugten Habgier (BDB.S 24, 69) mit den römischen Machthabern in Luthers Sache Hand in Hand ge- gangen sei. Die Herausgeber haben nun das „Dominus de Schiuer“, die Uber- setzung seines Titels , Seigneur de Chiévres*, verlesen und „Schiner“ ge- druckt; doch mußte Büchi, von allem andern abgesehen, auch von der robusten Gesundheit seines alten Wallisers, wissen, daß dieser nicht dem Herrenstande angehörte und also niemals „Dominus de“ genaant wird. . 1) Büchi, a. a. 0., S. 3.

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Papst gleich günstige Ergebnis ihrer vereinten Bemühungen, das besonders in der Haltung Zürichs beim Ausbruch des Krieges von 1521 zu Tage trat, mußte den Kirchenfürsten bestimmen, die damals schon sehr entschieden reformatorische Richtung Zwinglis zu übersehen.

Dessen unwillige Äußerungen über den Piacenzer Zug (1521) dürften ihm kaum zu Gehör gekommen sein; und selbst die Kurie würde gegen ein opportunistisches Ver- halten zu dem Züricher Prediger nichts einzuwenden gehabt haben, da Hadrian VI. noch im April 1523 diesen durch ein Schreiben zur Unterstützung seines Nuntius in der Bündnisfrage aufforderte und ihm Belohnung dafür in Aus- sicht stellte). Man braucht deshalb aber nicht von „warmer Zuneigung Schiners zu seinem Freunde Zwingli“, zu reden mit dem er „eines Sinnes“ gewesen sei, oder von „freund- schaftlichen Beziehungen, die in ungeteilter Herzlichkeit bis zur Verurteilung Luthers auf dem Reichstage in Worms (Mai 1520) fortgedauert“ hätten?). Die ausgetauschten Höf- lichkeiten brauchen keineswegs „im Sinne reformatorischer Neigungen“ des Kardinals gedeutet zu werden, ebensowenig wie dessen abfällige Äußerungen über das Papsttum „die Deutung eines Abfalls vom Dogma und kirchlicher Lehre“ erlorderlich machen.

Zwingli berichtet nämlich i. J. 1525°), er habe schon vor acht Jahren in Gegenwart Schiners nachgewiesen, daß die Einrichtung des Papsttums sich aus der Schrift nicht begründen lasse; dieser habe dann wiederholt geäußert, er werde, wenn ihm Gott wieder zur Macht verhelfe („zum Bret“), dafür sorgen, daß „der Übermut und die Falschheit, die der römische Bischof brauche, an den Tag komme und gebessert werde“. Aber Zwingli gibt gleichzeitig einen

1) v. Pastor IV, 2, 101.

*) Büchi, S. 8f. Abgesehen davon, daß der Reichstag i. J. 1521 stattfand, wurde Luther auch nicht von den Reichsstünden „verurteilt“; das hatte der Papst sich vorbehalten und auch schon ausgeführt; der Reichstag aber hat die Ausführung des Urteils wenigstens in der von Aleander und Karl V. gewünschten Form beharrlich abgelehnt.

*) Huldreich Zwinglis sämtl. Werke. Hrsg. von Egli, Finsler und Köhler. Leipzig 1915, IV, 50. Büchi, S. 4,

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Wink, wie derartige Außerungen eines Schiner zu erklären seien: er sei damals bei Papst und Kardinälen in Ungnade gewesen! Und genau so steht es mit dem zweiten Bericht, den wir Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte!) ver- danken; wieder geht die Anregung von Zwingli aus, der seinen Bischof bestürmt, die Predigt des reinen Gotteswortes zu gestatten und die Kirche von den vielen groben Miß- bräuchen und Superstitionen befreien zu helfen; er beteuert, daß er sich verpflichtet fühle, im Notfalle der Wahrheit die Ehre zu geben und den Trug zu bekämpfen. Es war die Ankündigung, daß er dem Beispiel Luthers folgen werde, wenn ihm in der Schweiz durch ähnliche Vorkommnisse wie die Ablaßpredigt Tetzels Anlaß dazu gegeben werden sollte. Sehiner stimmte nun auch in diesem Falle ein: er werde, wenn ihn Gott wieder in sein Bistum Wallis zurückführe, dort die Irrtümer abstellen und das Wort Gottes fördern helfen,

Wieder ist es nun ein recht überflüssiges Bemühen, die Glaubwürdigkeit Bullingers zu erschüttern, der seine Chronik erst sehr viel später abgefaßt habe, oder die zweite Er- zählung als eine bloße „Paraphrase“ der ersten hinzustellen, die Zwingli in einer tendenziösen Streitschrift verwerte, in der er sich mit der angeblichen Zustimmung zweier Bischöfe zu decken suche. Auch dessen bedarf es nicht, um Schiner vor dem Verdacht zu schützen, als ob er ein „Gesinnungs- genosse* Zwinglis gewesen sei. Denn wieder gibt der zeit- genössische Bericht den für den ultramontanen Historiker allerdings nicht ganz angenehmen Fingerzeig, daß damals. schon niemand an eine „völlige Übereinstimmung“ des Kardinals mit dem werdenden Reformator geglaubt habe: „Es waren schöne Worte, aber sonst nichts dahinter“. Biichi selbst verweist schließlich auf die Warnung, die Beatus Rhenanus am 6. Dezember 1518 an Zwingli richtete: Schiner scheine ihm nicht zuverlässig zu sein, da er (in Luthers. Sache) es doch wohl mit der Gegenpartei halte, wenn nicht etwa das Unglück seinen Sinn geändert haben sollte?). Und (0003) Hrsg. von Hottinger uud Vögeli, Frauenfeld 1838. I, 10.

2) Horawitz-Hartfelder a. a. O., S. 123. Büchi nennt S. 6, Anm. 1 den 8. Dez. als Tag des hl. Nikolaus! Man kann auch nicht einfach

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schließlich trifft er wenigstens annähernd das richtige, wenn er sich damit tröstet, daß Schiners Äußerung auch auf „eine bloß kirchliche Reformnotwendigkeit“ bezogen oder als „Verurteilung der päpstlichen Politik“ aufgefaßt werden könne.

Im Ärger über die franzosenfreundliche Haltung Leos X., die ihn zur Armut, Verbannung und Untätigkeit verurteilte, konnte es Schiner leicht fertig bringen, Zwingli den Druck einer antirömischen Spottschrift zu empfehlen‘), und mehr hat es auch mit der angeblichen „Bewunderung“ nicht auf sich, die Schiner anfänglich dem Auftreten Luthers gezollt haben soll. Wenn Luthers Anhänger gelegentliche Äußer- ungen hochgestellter Personen, die in jener Anfangszeit die Entwicklung der Dinge natürlich nicht ahnten, zu Luthers Gunsten zu verwerten suchten, so will dies für die kirch- liche Haltung solcher Machthaber wenig besagen. Besonders Erasmus und Capito haben in dieser Hinsicht wiederholt mit kluger Berechnung auf die öffentliche Meinung einzu- wirken gesucht. So kann Capito an Luther am 18. Februar .1519 berichten, daß mehrere Schweizer Prälaten, darunter der Kardinal, ihm eine Zufluebtstátte und pekuniäre Unter- stützung in Aussicht gestellt hätten, falls der Bann gegen

übersetzen: „da er ein Komödiant sein dürfte“, sondern mit der „comoedia“, die der Kardinal stillschweigend begünstige, sind die Um- triebe der Gegner Luthers, insbesondere der von den Dominikanern betriebene römische Prozeß gemeint.

1) A. a. O., S. 142 (März 1519), Büchi S. 8. Ob eine Schrift Huttens in Frage kommt, ist sehr zweifelhaft; der Inhalt war „gegen den Papst und die geldgierigen Kardinäle“ gerichtet, also der rein politischen Opposition Schiners angemessen. Praktisch völlig be- deutungslos war der angebliche Liebesdienst, den Schiner Luthern er- wiesen haben soll, indem er bei dem Bischof von Basel ein Druck- verbot gegen die Schrift des St. Gallener Augustiners Peter Käs er- wirkt habe (Büchi S. 8f). Aber einmal richtete sich die an sich un- bedeutende Polemik auch gegen Schiners politischen Freund Zwingli, und dann war es von vornherein ausgeschlossen, daß sich ein Drucker dazu hergegeben hätte, „diesen Narrenspossen“ (frascas, italienisch frasche) gegen Luther seine Presse zur Verfügung zu stellen“, wie der Franziskaner Conr. Pellican in Basel am 16. März 1520 Luthern versicherte. Th. Kolde, Analecta Lutherana, Gotha 1883, S. 13, wo die Beziehung der Briefstelle nicht festgestellt ist. °

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ihn vollstreckt werden sollte’), Aber gerade der landflüchtige Bischof von Sitten verfügte damals weder über Geld noch über ein sicheres Heim, so daß es sich auch in diesem Falle nur um eine Äußerung seiner antipäpstlichen Stimmung handelt. Und deshalb darf man auch dem von dem Baseler Verleger Froben berichteten Worte Schiners keine tiefere Bedeutung beilegen, der bei Überreichung der ersten Schrift Luthers gesagt habe: „Luther, tu vere es luter“; oder vor den Leipziger Tagen: „Eck mag disputieren, so viel er will; Luther schreibt die Wahrheit“?). Es folgt daraus nicht einmal, daß Schiner Luthers Schriften wirklich gelesen hatte. Und vollends das Zeugnis des braven Spalatin, der von Augsburg aus im August 1518 die Rechtfertigungsschrift Luthers zu den Ablaßthesen an Schiner übersandte und diesen Luther gegenüber dann „als warmen Anhänger des deutschen Reformators“ bezeichnete?®), ist für die Gesinnung des Kardinals völlig belanglos. Abgesehen davon, daß man von weitergehenden reformatorischen Absichten Luthers da- mals noch nichts wußte, handelt es sich hier nur um einen klug berechneten Schritt des Kurfürsten von Sachsen, der eifrig darauf bedacht war, für seinen Schützling gerade in der Umgebung des Kaisers, von der die gegen Luther und ihn selbst gerichtete Denunziation vom 5. August ausgegangen war, hochgestellte Fürsprecher zu werben, die dem Kardinal Lang in diesem Falle die Wage halten könnten ?).

Er hat sich daher auch nicht erst durch die Verdammungs- bulle vom 15. Juni 1520 oder die durch den Nuntius Aleander auch ihm übermittelte päpstliche Aufforderung da- von abbringen lassen, „Luthers Vorgehen zu bewundern, ja, seine Person zu unterstützen“; wenn er auch von theo-

1) Enders: Luthers Briefwechsel I, 424, 3. Es ist eine arge Übertreibung Büchis, wenn er von dieser Gruppe als von „begeisterten Anhängern Luthers“ spricht. S. 10,

2) Enders l, 421, 38ff.

3) ,tui mirum in modum studioso". Enders I, 232, 35ff. Mit dem Urteil des Herausgebers über Schiner, daß er „den Humanisten zugetan und anfangs auch der Reformation scheinbar nicht abgeneigt“ gewesen sei.

4) Kalkoff, Forschungen zu Luthers rómischem Prozeß. S.126. 148f.

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logisehen Dingen blutwenig verstand, so hatte er doch da- mals schon begreifen müssen, daß Luthers Angriffe auf das Papsttum die weltliehe und geistliche Macht der gesamten Hierarchie erschüttern mußten. Luthers heftiger Gegner Johann Fabri, der damals Generalvikar des Bischofs von Konstanz war und bei seinem Aufenthalt in Rom i. J. 1522 von Schiner lebhaft begünstigt wurde, berichtet!), daß dieser Luthers Lehre getadelt habe wegen der Verwerfung der Autorität der Konzilien und aller kirchlichen Überlieferung: so käme man durch Ablehnung der Beschlüsse des Konzils von Nizäa in. die Gefahr arianischer Irrlehren und, wenn er nun gar nichts weiter gelten lasse als das Neue Testament und das apostolische Glaubensbekenntnis (novum testamentum et essentia in divinis), so müßten alle äußeren Einrichtungen der Papstkirche dahinsinken. Es war also wirklich nicht nötig, daß der „Appell des Papstes“ ihm erst „die Augen öffnete“, und es ist ohne viel Umschweife „mit völliger Sicherheit festzustellen“ daß Schiner ganz von selbst den „Bruch mit Rom“ vermieden haben würde?)

Besonders deutlich geht das aus seinen Äußerungen gegenüber dem Nuntius Medici hervor: er sprach am 4. Fe- bruar 1521 vor diesem und anderen italienischen Großen seine Befürchtung aus, dad nach der Abreise des Kaisers diese Bestien, die Deutschen, dem Papste den Gehorsam kündigen und über die Priester herfallen würden; er sprach damit die infame Verdächtigung nach, die Aleander im ersten Entwurf des Wormser Edikts, über den Schiner gerade in jenen Tagen im Redaktionsausschuß zu beraten hatte, gegen Luther erhob: daß er die Laien allerorten zur Ermordung

1) Die Stelle ist wiedergegeben bei Büchi S. 11, Anm. 4. Die theologische Formulierung ist das Werk Fabris.

2) Büchi (S. 13) verwickelt sich dabei in den Widerspruch, daB. er gleichzeitig betont, daß dabei „für den aus seinem Bistum ver- triebenen, seiner Einkünfte beraubten, auf die Gnade und Pension der Fürsten und das Wohlwollen des Papstes angewiesenen Kardinal weit mehr auf dem Spiele stand* als für arme Teufel wie Luther und Zwingli, und doch behauptet, daß die religiösen Motive für Schiner ausschlaggebend gewesen seien. Nach ultramontanem Rezept wird. dabei die von Luther angestiftete „Revolution“ mit der Erhebung der Walliser gegen ihren ehrgeizigen Bischof auf eine Stufa gestellt.

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der Priester aufreize, in deren Blute sie ihre Hände waschen sollten‘). Er benutzte nun zwar diese Gelegenheit, um seinem alten Groll gegen die Kurie Luft zu machen, indem er auf die Erbitterung der deutschen Fürsten hinwies, die sich über das Treiben der Ablaßkrämer beschwerten, die mit Hilfe der mönchischen Prediger alles Geld zusammen- gerafft hätten. Er tadelte auch die Eingriffe des römischen Hofes in die Pfründenbesetzung und die Schwächung der bischöflichen Gewalt. durch die zahllosen Privilegien der Bettelorden, besonders ihre Exemtion von der Gerichtsbar- keit des Ordinarius: wenn der Bischof einen Priester fest- nehme, um an ihm Gerechtigkeit zu üben, so wüßten ihn die Mönche alsbald seiner Hand zu entziehen offenbar eine Erfahrung, die dem gewalttätigen Manne von seinen Kämpfen mit der heimatlichen Gegenpartei in schmerzlicher Erinnerung geblieben war. Doch lieb er dem Nuntius keinen Zweifel daran, daB ihm selbst dieses Gebaren der Deutschen sehr mibfale und dab er die Verzógerung in der Fertigstellung des Verfolgungsgesetzes lebhaft bedaure. Auch was er nach Luthers Abreise von Worms dem neuen venetianischen Gesandten Contarini über Luther mit- teilte, läßt darauf schließen, daß von irgend welcher Vor- liebe für seine Person oder von Verständnis für seine Lehre bei diesem alten Kriegsknecht nie die Rede gewesen sein kann?). Er erklärte, daß Luther sich als sehr unklug, un- mäßig und unwissend erwiesen habe; er lehre außer andern Torheiten, daß die Konzilien irren könnten, das jeder Laie das Sakrament des Altars vollziehen könne, daß die Ehe auflósbar und Hurerei keine Sünde sei sowie daß alles nach

1) BDB. S. 38f, Theologische Studien und Kritiken 1917, S. 953—959. Im Dezember-Entwurf heißt es, daß Luther das Volk in deutschen und lateinischen Schriften ,ad rebellionem et odium Suae Sanctitatis et sacerdotum provocaret, quos ut armis omnibus impeterent et manus in istorum sanguine lavarent laicos omnes ubicunque incitavit . . . WE. S. 52—58, 302, 2—7.

?) DRA, II, 880. AD. S. 172, Anm. BDB. S. 19, 57. WE. S. 257, Anm. 4 (zu der Depesche Contarinis vom 27. April). Zu der De- hauptung über Luthers Fatalismus s. WE S, 253if, zu den andern Äußerungen vgl. S. 202f, 205f und die deutsche Fassung des Wormser Vdikts DRA. II, 646f.

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dem Gesetz der Notwendigkeit vor sich gehe. Diese Kennt- nisse verdankte er seiner Mitarbeit an dem kaiserlichen Edikt und seinem Verkehr mit Aleander, der, soweit diese Angaben nicht schon in den früheren Fassungen vorkamen, sie in dem von Karl V. am 8. Mai genehmigten Entwurf unter- brachte. Dieselbe ebenso rohe als oberflächliche Beurteilung der Lehre Luthers spricht sich denn auch in dem Schreiben an Herzog Georg von Sachsen aus, das Schiner am 29. August 1522 in Rom diktiert und eigenhändig unterzeichnet hat. Indem er den Adressaten an ein Gespräch erinnert, das er mit ihm auf dem Wormser Reichstage über Luthers Lehre geführt habe, beginnt er sogleich mit jenem berüchtigten Ausdruck des Wormser Edikts, daß Luther alle längst ver- dammten Ketzereien „in eine stinkende Pfiitze“ vereinigt habe!) Nur daß Schiner den Mund dabei recht voll nimmt: „Lutheri haeresiarchae impurissima doctrina omnium damnatarum, reiectarum et superatarum haeresum infernali sentina ac impudentissima suscitatrice, cui a Christi ad eaelos ascensu truculentior, scelestior et execrabilior haetenus vixit nemo...“ Wenn er erst von den Kümmer- nissen der Verbannung erlöst und wieder in den Besitz seines verlorenen Bistums gelangt sei, werde er alles daran- setzen, um die ,spurcitia haeresis Lutheranae“ ausrotten zu helfen?) *

Man braucht also den Kardinal wahrlich nicht gegen den Verdacht eines „Gesinnungswechsels* zu verteidigen oder Zeugnisse für „seine unverdächtig katholische Gesinnung“

1) ,quamplurimorum haereticorum damnatissimas haereses in unam sentinam congesserit^ Joh. Cochläus, Commentaria de vita et scriptis Lutheri. Moguntiae 1549. p. 331, 33sq. WE. S. 60. "Theol. Stud, u. Krit. 1917, S. 268.

?) Fel. Ge8: Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs v. S., Leipzig 1905, I, 347, Der Herausgeber hat weitere „rein phrasen- hafte Ergüsse über Luthers Schändlichkeiten“ durch Punkte angedeutet; Büchi aber hat an dem Mitgeteilten solches Wohlgefallen, daß er meint: „Leider sind die kräftigsten Stellen einfach aus- gelassen“ (S. 19, Anm, 2), Daß Schiner selbst der Verfasser ist, geht auch daraus hervor, daß ein Schreiben seines Sekretärs Sander an Beatus Rhenanus (Horawitz-Hartfelder S, 145) in elegantem Latein gehalten ist.

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII, 3/4. 8

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zu häufen, zumal jene Äußerungen aus der Zeit seines ärgsten Mißgeschicks schwerlich über den Kreis seiner erasmiseh gerichteten Landsleute hinausgedrungen waren). Ohne sich über die religiösen Fragen viel Kopfzerbrechens zu machen, trat er unbedenklich und rticksichtslos für die Aufrechterhaltung der päpstlichen Macht ein, sobald ihm durch die Annäherung der Kurie an den Kaiser sich wieder Aussicht auf gebührende Berücksichtigung seiner Leistungen eröffnete.

Er ist in Worms als Mitglied des kaiserlichen Redaktions- ausschusses, der gelegentlich in seiner Wohnung tagte, nicht

1) Auf ein sonderbares Zeugnis für Schiners Glaubenstreue be- ruft sich Büchi, wenn er S. 23, Anm. 1 ein Schreiben des General- schatzmeisters der Niederlande (trésorier général des finances; des „Pfenningmeisters‘“ der Statthalterin, den A. Dürer in Antwerpen porträtierte; K, Lange und F. Fubse, Dürers schriftl. Nachlaß. Halle 1893, S. 124, 7) Jean Marnix, seigneur de Thoulouse, an Schiner mit- teilt, in dem jener in vielen diplomatischen Geschäften und so auch in dem Wahlfeldzug von 1519 gebrauchte und nach Deutschland ent- sandte Beamte (vgl. DRA. I) am 28. Dezember 1519 versichert, daß sein Kollege Jean d'Ostin, genannt Hesdin, über die Verdienste des Kardinals unterrichtet sei. Dieser Hesdin war ebenfalls Rat der burgundischen Regierung und führte den Titel eines maitre d’hötel des Königs Karl I.; er wurde 1522 als ,maréchal des logis“ des Kaisers bestellt mit der Verpflichtung, diesem in den Krieg zu folgen, Auch er wird in den diplomatischen Korrespondenzen bei Le Glay, Lanz, Brewer sehr oft erwähnt, ganz besonders aber bei Sendungen an den englischen Hof, mit dem ja auch Schiner in engen Beziehungen stand, und in kriegerischen Angelegenheiten, da er u. a. für die nieder- ländische Artillerie zu sorgen (Brewer, Letters und Papers III, 957, 1007f) und darüber mit Wolsey zu verhandeln hatte. Diese beiden Männer hatten also schwerlich eine genauere Vorstellung von dem Stande der lutherischen Angelegenheit und erblickten in Schiner eine hervorragende diplomatisch-militärische Kraft, deren religiöse Ge- sinnung ihnen außer Frage gestanden hat. Keinesfalls hatten sie schon Ende 1519 Kunde von kirchlicher Unzuverlässigkeit deutscher Fürsten, von der auch in der Tat, den einzigen Friedrich von Sachsen ausgenommen, noch nicht die Rede sein konnte. Nun schreibt Marnix: Hesdin habe von ihm erfahren, wie Schiner sich eifrig bemüht habe, während geistliche und weltliche Fürsten sich schwierig gezeigt hätten (adversis principibus); nichtsdestoweniger habe Schiner sich wie ein Fels in seiner „fides catholica“ gezeigt (in f. c. petram firmari), Auf diesen Umstand (super quo; von den Personen spricht Marnix als von.

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besonders hervorgetreten!), wozu auch kein Anlaß vorlag, da diese von Aleander ausgewählten Vertrauensmünner eigent- lieh nur die Aufgabe hatten, die Entwürfe des Nuntius móg- lichst unverändert zur Vorlegung an die Reichsstände zu empfehlen. Aber er hat sich dem Vertreter des Papstes dureh Erteilung von Auskunft und Warnungen nach Kräften gefällig gezeigt und höchst wahrscheinlich ihm auch als Übersetzer gedient, als Aleander unmittelbar nach der Kró- nung in Aachen zwischen dem 23. und 26. Oktober mit seinem Vorentwurf zu dem nachmaligen am 29. Dezember von dem Gesamtstaatsrate gutgeheiBenen Edikt an das kaiser- liche Kabinett herantrat. Der Nuntius hatte damals noch keine Verbindungen mit den deutschen Räten angeknüpft, die ihm die Übertragung der späteren Entwürfe besorgten und sieh dabei der hochdeutschen Kanzleisprache bedienten.

der „Excellentia‘“ Hesdins und der ,,Paternitas Rev.“ des Kardinals) werde Hesdin bei der Katholischen und.Kaiserlichen Majestüt sich berufen (bildlich gesprochen: ,fundamentum suum est factura), in der festen Hoffnung, den Kaiser dahin zu bringen, daß es dem Kardinal niemals gereuen solle, „fidem catholicam conservasse‘“. Da es nun nach dem ganzen Sachverhalt und der Stellung der beteiligten Personen vóllig ausgeschlossen ist, daß es sich am ein Urteil über die religiöse Über- zeugung handeln könnte, so bleibt nur die Erklärung übrig, daß hier ein Wortspiel vorliegt mit dem Titel des Königs von Spanien, des „rex catholicus‘, dessen Wahl Schiner trotz des Widerstrebens vieler Fürsten hatte durchsetzen helfen, wofür er nun bemüht war, die schon zugesagte Belohnung dureh die Fürsprache einflufreicher Finanz- und Hofbeamter sich baldigst zu sichern (Hesdin als Korrespondent Schiners auch bei Le Glay, Négociations II, 158—165).

Büchi legt auch einer gesinnungstüchtigen Äußerung Schiners vom 24. Juni 1517 (3. 22, Ànm. 1) eine allzu idealistische Bedeutung bei: wenn dieser da erklärt, daß er allen, die ein Schisma erregen oder die Kirche stürzen wollen, entgegentreten werde, so bezieht sich dies auf die von Leo X, aus gewinnsüchtigen Absichten stark über- triebene Kardinalsversehwórung dieses Frühjahrs, die mit „antikirch- lichen Strömungen“ oder auch nur einer politischen Intrige, wie das Pisanum von 1511 war, nichts gemein hatte.

1) Vgl. die Nachweisungen im WE. und DA. nach dem Personen- verzeichnis. Daß „die Freunde Luthers“ ihn nicht „insbesondere für die scharfe Fassung des Mandats verantwortlich machten", geht auch daraus hervor, daß die von Büchi S, 18 mißverstandenen Mitteilungen Aleanders über die Drohungen der Deutschen schon vom 8. Februar stammen, als noch niemand Näheres von einem Mandat wuBte.

Sr

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Die Übersetzung des Aachener Entwurfs ist jedoch in der schweizerischen Mundart gehalten!) und die ungelenke Hand- habung der Sprache?) erinnert an das grobschlächtige Latein in dem Briefe Schiners an Herzog Georg. Überdies ist da- bei Papier mit schweizerischem Wasserzeichen verwandt worden; da nun der Sekretär Schiners, Dr. Michael Sander, aus dem Wormser Sprengel stammte), so dürfte als Ver- fasser dieser Übersetzung in erster Linie der Kardinal selbst in Betracht kommen.

Für sein lebhaftes Interesse an der Bekämpfung der gefährlichen Sekte zeugt dann auch der Umstand, daß er sich eine Abschrift der kaiserlichen Erklärung vom 19. April 1521 verschafft hatte*) und daß er das kaiserliche Seque- strationsmandat vom 10. März dem Vertreter des Papstes in der Schweiz tibersandte®). Und obwohl seine Beziehungen

1) Vgl. meine Nachweisungen in WE. S. 106, Anm. 2.

?) J. Kühn in ZKG, XXXV, 389, Anm. 3 und meine Bemerkung ARG, XIII, 257, Anm. 1. |

3) Wie Büchi S. 15, Anm. 5, leider ohne Quellenangabe mitteilt. Sander erwies sich noch naeh dem Tode seines Brotherrn als leiden- Schaftlicher Gegner der Reformation, der er als Domherr in Konstanz (1523) nach Kräften zu wehren suchte. Auch dem Erasmus suchte er (1524) in Rom Widerpart zu halten. Förstemann und Günther, Briefe an Erasmus v. Rotterdam (Beiheft z. Zentralbl. f, Bibliotheks- wesen 27. 1904) S. 93f, 84, 415f. Über seine Lebensumstünde vgl. BDB. S, 75f.

4) Ein Hinweis auf diese Vorlage (‚ex archetypo cardinalis Sedu- nensis,“ DRA. II, 594, 26) ist von Büchi dahin mißverstanden worden, daß eine „deutsche Übersetzung davon in der Druckerei des Kar- dinals Schiner („ex archetypis“) hergestellt wurde.“ Allerdings sei „ihm von einer solchen Druckerei sonst nichts bekannt“, und, wie wir ihm versichern können, andern auch nicht. Trotzdem ist er mit der weitern Folgerung bei der Hand, daß Sch. „auch an der Ab- fassung des Originals mehr beteiligt gewesen sein dürfte, als bisher -angenommen war.“ Bisher aber wurde nur „angenommen“, daß dieses Schriftstück die erste völlig selbständige Kundgebung des jungen Herrschers gewesen sei. Allenfalls könnte dabei an den Einfluß des von Aleander inspirierten Beichtvaters Glapion gedacht werden; keines- falls aber stand Sch. dem Monarchen nahe genug, um an der Ent- stehung dieser Urkunde beteiligt gewesen zu sein.

5) Büchi S. 17, Anm. 6 nimmt mit dem Herausgeber der ,,Akten- sammlung zur Schweiz. Reformationsgeschichte* J. Strickler, irrtüm- licherweise an, daß es sich um das Wormser Edikt handelte; aber

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zu den literarischen Kreisen nur sehr oberflächliche waren, bemühte er sich nun auch, Luthers Gegner heranzuziehen und zu fördern. Am wenigsten Glück hatte er dabei mit Erasmus, der ihn zwar im März 1521 wie andere einfluß- reiche Staatsmänner am kaiserlichen Hofe mit einer Zuschrift bedacht hatte, um sich gegen die Verdächtigungen Aleanders zu decken. Dann hatte er dem Kardinal in Brüssel seine Aufwartung gemacht und dabei von seinen Bemühungen um die Erläuterung der neutestamentlichen Schriften gesprochen: er unterlieS nicht, der von Schiner empfangenen Auf- munterung zu gedenken, als er im Herbst das Evangelium seines Namenspatrons mit Paraphrase dem kaiserlichen Hofe übersandte!) | Aber er war viel zu klug, um auf die auch von Schiner unterstützte Einladung zur Übersiedelung nach Rom einzugehen ?). |

Dieser hat dann dem bald naeh dem Tode Leos X. in Rom angelangten Generalvikar von Konstanz Johann Fabri?) seine Gunst angedeihen lassen und seine dort erst vollendete und am 14. August 1522 aus der Presse gekommene Streit-

dieses war bei dem eiligen Aufbruche des Hofes Ende Mai auch in der in Worms gedruckten deutschen Fassung noch nicht für den Ver- sand fertig und die für den Italiener W. de Falconibus wichtigere lateinische Fassung wurde erst in Lówen gedruckt. Vgl. zur Ge- schiehte des Sequestrationsmandats WE. Kap. VI.

!) Die Nachweise in den Anfángen der Gegenreformation in den Niederlanden I, 88. II, 55f., 98.

2) Büchi S. 19. Die Tätigkeit Schiners beschränkte sich in diesem Falle darauf, daß er, wie Fabri am 7. April 1522 an Beatus Rhenanus schrieb, den Konstanzer Generalvikar beauftragte, in seinem Namen auf Erasmus in diesem Sinne einzuwirken, dem er auf die von Fabri geäußerten Bedenken seinen Schutz zusagte. Horawitz-Hartfelder S. 304f. Die Bedeutung einiger schmeichelhaften Äußerungen des Eras- mus bei Widmung der Paraphrase des illl u. a. wird von Joller S. 50 stark übertrieben.

3) Über dessen Auftreten in Rom vgl. den von mir im ARG. III, 711i abgedruckten Bericht des Jakob Ziegler an Erasmus vom 16. Febr. 1522, dessen bezüglicher Abschnitt S. 78, wie Schottenloher a. a, O. V, 81f gezeigt hat, auf Fabri bezogen werden muß; in einem ebenda mitgeteilten Aufsatze gibt Ziegler nähere satirisch gefärbte Be- . obachtungen über die Entstehung der oben erwähnten Schrift und die Arbeitsweise Fabris.

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schrift, das „Opus adversus nova quaedam dogmata M. Lutheri“ : schon am 29, August mit jenem Schreiben an Herzog Georg von Sachsen übersandt. Es fehlt dabei neben dem tiberschweng- lichen Lobe dieser Leistung wiederum nicht an wüsten Sehimpfereien über Luthers ketzerische Lehre, die als , eine - hóllisehe Brutstätte der schmutzigsten und verrticktesten Irr- tümer“ bezeichnet wird. Der Kardinal wird alle Kraft darauf verwenden, diese jetzt in Deutschland wiitende Pest zu bekämpfen, wozu das Werk Fabris besonders geeignet sel. Der Zweck der Empfehlung ist ebenso durchsichtig, wie das Anerbieten Schiners, die etwaigen Anliegen des Herzogs bei dem neuen Papste zu vertreten, bei dem er alles durchzusetzen hoffe dürfe: eine etwas voreilige Be- hauptung, da der Papst erst am Tage vorher in Ostia ge- landet war und am 29. August erst seinen Einzug in die ewige Stadt hielt».

Bei dieser Roheit, die sieh in den Worten des alten Kriegsmannes über Luther kundgibt und den abfälligen Äußerungen, die er in Worms vor dem venetianischen Bot- schafter über Luthers Unmäßigkeit und seine frivole Be- urteilung des Geschlechtslebens getan hatte, ist nun die Ver- mutung nicht von der Hand zu weisen, daß „der berühmte Bisehof^ (,apud magni nominis hominem ex episcoporum numero“), an dessen Tafel Jakob Ziegler das Urteil über Luther hörte, daß er „ein Hurer und Säufer“ sei’), eben unser Kardinal von Sitten war. Bei demselben Gastmahle hatte sich auch ein erbitterter Gegner des Erasmus, der Spanier Jakob Lopez Zufiga (Stuniea) eingefunden, der dann eine scharfe Kritik der literarischen Tätigkeit des Rotterdamers zu Besten gab.?).

Jedenfalls geht auch aus diesen spärlichen Zeugnissen über die Berührung Schiners mit der Gelehrtenwelt hervor, daß er bisher zu Unrecht als ein Gönner des Humanismus

1) v, Pastor IV, 2, 46ff. Da Schiner bei Erwähnung des Papstes berichtet, daß dieser „schon die italienische Küste erreicht habe und in vier bis sieben Tagen in Rom erwartet werde“, so muß der größte Teil des Schreibens einige Tage früher entstanden sein. F. Geß, a. a. O. S. 347, 21f, 348.

2) ARG. III, 70f.

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aufgeführt worden ist und daß er bei seiner dürftigen Bildung und seinen rein materiellen Interessen den wissenschaftlichen Bestrebungen seiner Zeit ebenso gleichgültig gegenüberstand, wie er sich in seinen kirchlichen „Reformplänen“ oberfläch- lich und eigennützig und der religiösen Bewegung gegen- über schlechthin feindselig erwies. Dieses Bild wird auch nicht wesentlich gemildert durch den Hinweis auf seine Rührigkeit in Wahrnehmung seiner bischöflichen Pflichten durch Visitationen, Kirchenbauten und Verwaltungsmaßregeln *). Abgesehen davon, daß einige überschwengliche Äußerungen der Urkunden über das Wesen der Kirche und die Herr- lichkeit der Mutter Gottes ihrem Wortlaut nach das Werk des beteiligten Kanzlers oder Generalvikars sind, daß die korrekte Umschreibung des Ablasses in den bezüglichen Briefen den überlieferten Formeln entspricht, hatten die Visitationen doch auch den deutlich erkennbaren Zweck, durch Geltendmachung der geistlichen Disziplinargewalt auch die fiskalischen Interessen zu fördern?). Seine Bautätigkeit wie einige kostspielige Schenkungen entsprechen dem Zuge des Renaissancefürsten, durch prunkvolle Denkmäler und Stiftungen seines Namens Gedächtnis zu sichern. Es ist be- zeichnend, daß man dabei keine Einrichtung zu karitativen Zwecken nachzuweisen vermag; und der erbauliche Charakter seiner im Dome von Sitten gehaltenen Predigten wird denn doch durch ein Werk wie die Elogia des Italieners Paolo Giovio (Jovius) nicht elaubwürdig genug bezeugt). Wenn er sich um die Wiederpringung entfremdeten Kirchengutes bemüht, also den Herzog von Mailand bestimmt, die „dem Hochstift Novara widerrechtlich entzogene Herrschaft Vespo- late zuriickzustellen“*), so handelte er eben nur in nackter Habgier zur Mehrung des ihm zugefallenen Beuteanteils. Auch läßt sich leicht übersehen, daß ihm selbst für eine derartige Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten bei seinem

1) Vgl. die von Joller gesammelten Zeugnisse, Blätter aus d. Walliser Gesch. I, 511f, |

2) Vgl. die hohen Bußen, die er auf Gotteslästerung, zu frühe Öffnung der Wirtshäuser u, dgl. setzte. Joller S. 60.

3) Joller S. 59.

*) Joller S. 61.

3

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unsteten Leben als Heerführer und politischer Unterbändler nur wenig Zeit übrig bleiben konnte.

So darf denn sowohl die ältere Legende von dem lutherfreundlichen, humanistisch angeregten Oberhirten, wie die neuere von dem zwar reformeifrigen, aber theologisch wohlgerüsteten und allzeit loyalen Kirchenfürsten, dem wegen seiner vorbildlichen Tugenden und seiner staatsmännischen Größe die Tiara angeboten wurde, als beseitigt gelten. Es bleibt bei dem Bilde des tatkräftigen und wagemutigen Kriegers, des verschlagenen und schlagfertigen Politikers, des herrschsüchtigen, rücksichtslosen Parteimannes. Auch Schiner war ein Bauernsohn wie Luther und deshalb frei von den Lastern der höheren Stände, aber weder durch tiefere Geistesbildung noch durch edlere Ziele in der Be- tätigung seiner rohen Selbstsucht und seiner urwüchsigen Begabung gezügelt oder gemildert.

Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Innerösterreichs.

Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche. Schluß!).

Erinnerung vonderkirchenordnung, dasman

rechten unterscheidt halte zwischen dem das

notwendig und dem das nicht notwendig, sondern frey ist.

Also haben wir theologen dieser landschaften, welche,. wie obgemeldet, zu diesem werckh ordentlich erfordert seindt, uns von unser und unser mitbrieder wegen der lehr halben erklehret, darauß unser aller lehr, gleichförmigkeit genug- sam erscheinet, darby wir auch durch gottes hülf biß inn. unsere endte zuverharren gedenckhen, wenn schon nümer nichts davon beschrieben würde; den diß ist die einigkeit, die da nottwendig und durch auß ganz in alen stückhen muß für und für gesucht und erhalten werden; wenn hierin auch das aler geringste pünctlin verruckht würde, so wehr- es schon umb die wahre einigkheit geschehen, darumb ein. aufrichtig lehrer und bekenner des Evangelions Christi sich hierin garab nieht muß bereden lassen, daß er in etwab weichen oder nach geben wollt, und wo man die reine lehre und wahre einigheit deb Geistes in der khürchen erhaltten will, da sol man sehen, daß einer mitt dem andern allso. stimme, und, wehr nicht gleich mit zu stymmet, abgesetzt werde; dahin auch eigentlich beharret, daß Paulus sagt, ein wenig saurteig verseuret den ganzen teig Gal. 5°). Diese einigkeit hatt auch Augustinus?) vor zeiten allein von den lehrern erfordert in allen khürchen, in ceremonien aber und. eusserlicher verwaltung hatt er uf eine gleichförmigkheit alb ein nottwendige sache gar nicht gedrungen, sonder einer jeglichen khürchen ihre weiße frey gelassen, ja auch für eine zierde gerechnet, wens schon mancherly weißs ge- haltten werdt, nur daß verhuettet würde, ales, waß dem.

1) Vel. Bd. 17 S. 209—230, 277—800, Bd. 18, 35—55. 2) V. 9,

3) (In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas.)

122 42

wahren glauben und gottseligkeit entgegen wehr, dahin er dan den spruch psal. 45!) zeucht: tota pulchritudo filiae regis, seu ut nostra habet translatio: omnis gloria filiae regis ab intus in fimbriis aureis circumamicta varietatibus, welchs uff deutsch also lautet: def kinigs dochter ist ganz herlich innwendig, sie ist mit gülden stückhen bekleidtet, man fieret sie in gestickhten kleidern zum keinige, daß ist nach der außlegung Augustini?), so viel, die nottwendige einigkeit der christlichen kürchen stehet aler Ding im glauben und lehre, nemblich in der Norma veritatis, grundtfest und pfeiler der Wahrheit, davon wir anfencklich meldung gethan; in cere- monien aber und eusserlicher ordnung haltts ein jegkliche kürche nach gelegenheit deß ortts, der zeit, der leutt und anderer umbstende, wenn nur die Lehre und glaube der- massen ist, dab man dardurch die leutt zum künige, dem heren Christo, füere, so liegt nichts daran, daß in einer kürchen diefe und in der anderen ein andere weiße sey Ja, wie es woll stehet, wenn die brautt am gebrüm ihres rokhs und den eussersten enden der aub wendigen bekhleidung gollt, sammett, seidten und mancherley farrben hatt, daß sie in gulden stiickhen und gestückhten mit berrlin und edlin gesteinen gezieret kleidern daher zum brüedigam gefüertt wiirtt, Also gibts ein zierde der algemeinen christlichen kürchen, welche def) herren Christi brautt ist, wenn allent- halben ein glaube, ein wortt oder Lehre, ein tauffe?), ein geist ist, dardureh sie allein zu Christo ihrem breudtigam und nieht beneben hin gefuert würdt und aber nach gelegenheitt der maneherley lande und volckher mancherley weiße im eusser- lichen wandel und verwaltung der kürchenempter ist, wenn nur die brautt zum rechten brüedigam gefiert württ, dab dan allein dureh gesunde lehre und glauben geschieht, so stehetts alent- halben woll und ist die eusserliche ungleichformigkeit mehr ein zierde dan ein übelstandt; wo man aber auff die eusserliche gleiehfürmigkeit dringt und der innerlichen nicht achtet, wie die papisten thun, da stehet die sach gar übel, wan sehon die eusserliche weiße in ihrer gleichförmigkeit ein prächtigen schein hatt und hoch gerühmet würdt; den da würdt die brautt nieht dem rechten brüedtigam, sondern seinem feindt, dem teuffel, zugefüeret; wehr wollt deß lachen, dan der teuffel selbert alein? Dieße lehre hatt Augustinus von Am- brosio*) seinem seelhirtten gelernet und derselbige, wie auch andere hatts von den vatern, so für im gewesen sein, wie dan Eusebius?) Socrates?) und Sozomenos’) viel schreiben,

1) 45, 14f. 2) Migne, Patr. lat. 36, 512, *) Ephes. 4, 5, 4) RGG. 1, 426. 6) Ebd. 2, 695. 6) Ebd. 5, 732. ^ Ebd. 5, 772.

43 123

da etliche geister nicht auD gottseligem euffer uff ein gleich- förmigkeit in mitel dingen, alb uff ein nottwendigkheit sehr drungen, großen streitt und lerme hin und wider in der khürchen erregten, dab gottförchtige, friedt liebende, ver- nünftige bisehoffe und lehrer die saehe zum friede also bracht, das sie nur gerathen, uff den glauben und gesunde lehr aehtung zu geben und dan einer jegklichen khurchen ihre weibe nach dem einer jegklichen Gelegenheit erfordert frey liessen und ziehen Ireneum!) und Polyearpum?) an, welche solche christliche weißheit und bescheidenheit in dem kürchenregiment gebrauchet haben; daher deb Irenaei meinung berümpt worden: jeiunii disonantia (!) fidei conso- nantiam minime rumpit, welches von allerley ceremonien und eusserlicher kürchenzucht gleichsialß verstanden wiirdt, und zwahr dieße lehre haben die väter auß gottes wortt gelernet, wie dan Polyearpus sein lehre von Johanne dem apostel und evangelisten zu Epheso gelernet und härnach . den Irenaeum gelehret hat; den Paulus sagt von der nott- wendigen gleichförmigkeit, so in glauben und gesunder lehr stehet, Philiper 3°) also: wievill nu unser volkhomme seindt, die laßet uns albo gesünet sein, und solt ir sonst etwaß halten, dab lasset euch gott offenbaren, doch so ferne, dab wir naeh einer regel, darein wir khommen seindt, wandelen und gleich gesünet seyen und zun Ephes. 4: Seyt vleißig zu halten die einigkeit im geist dureh das band des friedes; ein leyb und ein geist, wie ihr auch beruffen seidt uf einerley hofinug euers beruffs, ein her, ein glaube, ein tauffe, ein gott und vatter unser aler, der da ist über euch ale und durch euch ale und in euch alen. Item in 2. Timotheo 1 5): halt an dem fürbülde der heilsamen wortte, die du von mir gehört hast vom glauben und von der liebe in Christo Jesu; diesen guten beylag bewahre dureh den heiligen geist, der in uns wonnet; item 2. Timotheo 3°): bleibe in dem, daß du gelehrnet hast und dir vertraut ist. 1. Thimothe 6°): leh gebiete dir für gott, der ale dinge lebendig machet und für Jesu Christo, der under Pontio Pilato bezeuget hat ein gutt bekenntnus, daß du haltest diß gebott ohn flecken un- vertadelich biß auf die erscheinung unsers heren Jesu Christus. Timothee, Bewahre, das dir verthrawet ist und meide die ungeistlichen, loen geschwetze. 1. Timotheo 5”): ich bezeuge für Gott und dem herrn Jesu Christo und den außerwelten engeln, daß du solches haltest ohn eigen gutt dunkhel. 1. Thimotheo 15): dif gebott befellhe ich dir, mein son Timothee, nach den vorigen weißsagung über dir,

1) Ebd. 8, 670.

2) Ebd. 4, 1662. *) V. I5. 5 V.13. 5) V. M.

6) V, 18. ?) V. 21. 8) V. 18.

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das!) du in denselbigen eine guete riterschaft übest und habest den glauben und guet gewissen, in der ander Timotb. 4: so bezeuge ich nun fur gott und den herrn Jesu Christo, der da zukunftig ist zu richten die lebendigen und die todten mit seiner erscheinung und mit seinem reich, predige das wort, haldt an, es sey zu rechter zeit oder zur unzeit. Gal. 1%): So auch iemandt evangelium prediget anderst dan das ir empfangen habt, der sey verflucht! Joan. in epist. 2°): Wer übertritt und bleibet nicht in der lehr Christi, der hat keinen Gott. Wer in der lehr Christi bleibet, der hat beide den vatter und den sohn; so iemandt zu euch khomet und bringt dise lehr nicht, den nemet nicht zuhause und grüesset in auch nit, den wer in grüesset, der macht sich theilhaftig seiner losen werke. Auß disen und dergleichen sprichen lernen wir die nottwendige gleichformig- keit des glaubens und lehre oder bekenntnus, davon auch der herr Christus sagt: Luc. am 10.*) Unum est necessarium, eins ist vonnótten. Von ceremonien aber und euserlicher weise, sagt Paulus zum Colloss. am 2.5): So lasset nun niemand euch gewissen machen über speise oder dranck oder über bestimbten feiertag oder neumonden oder sabbather, welches ist der schatten von dem, das zukunftig war, aber der eörper selbst ist in Christo. Lasset euch niemand das zill verrucken, der nach eigner wall einher gehet in demuet und geistlichkeit der engel; so ir den nun abgestorben seit mit Christo den satzungen der welt, waß lasset ir euch den fangen mit satzungen, als lebeten ir noch in der welt, die do sagen, du sollt das nicht angreifen, du soll das nicht kosten, du soll das nicht anruren, welchs sich doch alles under handen verzeret und ist menschen gebott und lehre, welche haben einen schein der weißheit durch selb erwölte geistlichkeit und demuet und dadurch, das sie des leibes nicht verschonen und dem fleisch nicht seine ehre thun zu seiner notturft. In der 1. Timoth. 4: Der geist aber saget deutlich, das in den letzten zeiten werden etliche von dem glauben abtretten und anhangen den verfurischen geistern und lehren der teuffel, durch die so in gleisnerei lugenreder seint und brandtmall in ihren gewissen haben und verbieten, ehlich zu werden und zu meiden die speise, die gott ge- schaffen hatt. Der ungestlichen®) und altvätterischen fablen entschlage dich. Auf disen und dergleichen sprüchen lernen wir, das Paulus nicht allein die Menschen satzung verwirfiet, die gottes wort entgegen sein, sondern auch, wenn iemandt auf die, so etwa ohn sünde einem andern zur liebe móchten

1) Von hier an wieder eine andere Hand. $) V.9. *)V.9, 5 V. 41. 5) V. 16. ^| ungeistlichen,

45 125

gehalten werden, als auf notwendige sachen drunge, woll ers ganz und gar nicht gestatten, weil solch nötigen der christlichen Freiheit zu wider und under dem schein der eusserlichen ordnung und gleichformigkeit nichts anders dan verdunckelung und vertilgung des reinen evangelii und waren seeligmachenden glaubens gesuecht wird. Darumb sagt er auch zum Gal. am 2. eapitel!); Es werd auch Titus nit ge- zwungen sich zu beschneiden, ob er woll ein Grieche war; denn da etliche falsche brüeder sich mit eindrungen und neben eingschlichen waren zu verkundtschaften unsere frei- heit, die wir haben in Christo Jesu, das sie unß gefangen nemen, wichen wir denselbigen nicht eine stunde underthan zu sein, auf das die wahrheit des evangelii bei euch be- stünde. Da aber Petrus gen Antiochiam kam, widerstund ich ihm underaugen, denn es war klage über ihn komen. Den zuvor, ehe etliche von Jacobo kamen, er mit den heiden. Da sie aber kamen, entzog er sich und sondert sich, darumb das er die von der beschneidung fürchte, und heuchelten mit ihm die andern juden, also das auch Barnabas verfueret werdt mit ihnen zu heuchlen; aber da ich sahe, das sie nicht richtig wandleten nach der wahrheit des evan- gelii, sprach ich zu Petro fur allen offentlich: so du, der du ein jude bist, heidenisch lebest und nicht judisch, warumb zwingest du dan die heiden, judisch zu leben?

Ob aber woll der liebe apostel da so ernst gewesen ist, weils die nott des evangelions wahrheit zu verteidigen forderte, hat er doch anderswo, damit er die schwachen nicht ergere, beide, beschneidung und andere weise, willig gehalten, damit also auf beiden seitten die christliche frei- heit in diesen sachen bestünde, denn hierin weder zur rechten noch zur linken ein zwang oder nottwendigkeit ge- sucht werden soll; wolle iemandt sagen, es were solch eusser- liche weise also und nicht anderst zu halten, notwendig zur seeligkeit, der stritte wider den glauben, welchs unzeittige gesetzprediger das evangelium zu verdunkelen zur apostel- zeit understanden. Act. a. 15, Gal. 4, Phil. 3. Wolle aber hergegen iemandt sagen, es were zur seeligkeit notwendig, solche dinge allezeit bei iedermann an allem ort, es driege sich zu, wal} da woll, zu meiden, der süchte?) die liebe an, welehe mit den schwachen gedult hat und ohn verletzung des gewissens ihnen vill zu liebe freiwillig helt; und zwar dise seind eben so hardt wider den glauben als die andern, weil sie sündt machen, da keine sünde ist, wollen die ge- wissen verstricken in sachen, über welche kein gewissen zu nennen ist, wen nur der glauben und glaubens lehre ge-

1) V. 3. 2) Am Rand: sichte = sehe.

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sundt und die liebe des nechsten knecht bleibet; diesen un- zeittigen gebrauch der freiheit straffet Paulus mit wortten und thatten villmall; als Act. ap. 16 lest er Timotbeum be- schneiden, damit er die juden, so noch schwach im glauben waren, nicht ergerte. Act. ap. 18!) et 21?) bezalet er sein gelübte, lest sein haubt bescheren nach der juden gebrauch. In der 1.Cor.9®): Den wiewoll ich frei bin von iederman, spricht er, hab ich doch mich selbs jedermann zum knecht gemacht, auf das ich ihrer vill gewünne. Den juden bin ich worden als ein jude, auf das ich die juden gewunne; deren die under dem gesetz sind, bin ich worden als under dem gesetz, auf das ich die, so under dem gesetz sind, gewinne; denen die ohn gesetz sindt, bin ich als ohne gesetz worden; (so ich doch nit ohn gesetz bin für gott, sondern bin in dem gesetze Christi), auf das ich die, so ohne gesetz sindt, gewinne. Ich bin ieder- - mann allerlei worden, auf das ich allenthalben ia etliche seelig mache; solchs aber thue ich umb des evangelii willen, auf das ich sein teilhaftig werde. Eben diesen rath gibt er auch allen anderen Christen, als in derselbig epistel am 8. capitel*) spricht er, die speise fordert?) unß nicht for Gott; essen wir, so werden wir darumb nicht besser sein; essen wir nicht, so werden wir darumb nichts weniger sein; sehet aber zue, das dise eure freybeit nicht geradt zu einem an- sto der schwachen; wen ir aber also sündiget an den brüedern und schlegt ihr schwages®) gewissen, so sündiget ir an Christo. Darumb, so die speise meinen brueder ergert, wolte ich nimmer mehr fleisch essen, auf das ich meinen brueder nieht ergere. Und in der 1. Corinth. 10°) spricht er: ich hab es zwar alles macht, aber es frommet nicht alles; ich hab es alles macht, aber es bessert nicht alles; niemandts sueche, waß sein ist, sonder ein iegklicher, wab des andern ist. lr esset nun oder drinket oder was ir thuet, 80 thuet es alles zu Gottes ehre; seit nicht ergerlieh weder den jud noeh den griechen noch der gemeine gottes, gleich wie ich auch iedermann in allerlei mich gefellig mache, und sueche nicht, waß mir, sondern waß vielen frommet, das sie selig werden; seit meine nachfolger, gleich wie ich Christi; und denen, so sich unzeittiger freiheit gebrauchen, das sie irgendts einer kirchen gemeinen brauch und weise sich wegern zu halten, wöllen sonderlinge werden, richten zank und unrube an ohn alle ursachen, antworttet er nichts mehr den diß, in der 1. Corinth. 11°): Ist aber iemandt under euch, der lust zu zanken that, der wisse, das wir solche weise nicht haben, die gemeine gottes auch nicht. Zum

1) V. 18. 2) V. 26. ?) V. 19. 4) V. 8. 5) fördert. 6) schwaches. ?) V. 28. 8) V, 16.

4T 127

Röm. 14 et 15: Redet er vill von disen sachen, wie man darin der christlichen freiheit recht gebrauchen und nicht ein fleislichen mutwillen zu betruebnus der schwachglaubigen under dem schönen mandel der christlichen freiheit treiben soll. Den schwachen im glauben, spricht er, nemet auf und verwirret die gewissen nicht; einer glaubet, der möge allerlei essen, welcher aber schwach ist, der isset kraut; welcher isset, der verachte den nicht, der da nicht isset, und welcher nicht isset, der richte den nicht, der da isset, den Gott hat in aufgenommen. Wer bistu, das du ein frembden knecht richtest; einer helt einen tag für den andern, der ander aber helt alle tag geleich, ein iegklicher sey in seiner meinung gewiß; welcher auf die tage helt, der tutß dem herren und weleher nicht drauf helt, der thuets auch dem herren; welcher isset, der isset dem herren, den er danket Got, welcher nit isset, der isset dem herren nicht und danket Gott; den unser keiner lebet ihm selber. Du aber, waß richtestu deinen Brueder oder du ander, was verachtestu deinen brueder? wir werden alle fur den richterstul Christi gestelt werden. Darumb lasset unß nicht mer einer den andern richten, sondern das richtet vill mehr, daß niemandt seinen brueder einen anstoß oder ergernus darstelle. Ich weiß und bins gewiß in dem herren Jesu, das nichts gemein ist an im selbs, ohn der es rechnet für gemein, demselbigen ists ge- mein; so aber dein brueder über deiner speise betrüebt wirdt, so wandelst du schon nicht naeh der liebe; lieber, verderbe den nieht mit deiner speise, umb welches willen Christus gestorben ist. Darumb schaffet, das eur schatz nicht verlestert werde, denn das reich Gottes ist nicht essen und drinken, sonder gerechtigkeit und Friede in dem heiligen geiste; wer darinnen Christo diener, der ist Gott gefellig und den menschen werdt, darumb lasset unß dem nach- streben das zum friede dienet und wab zur besserung unter- einander dienet. Lieber, verstere nicht umb der speise willen Gottes werk, es ist zwar alles rein, aber es ist nicht guet dem, der es isset mit einem anstoß seines gewissens; es ist vill besser, du essest kein fleiß (!) und drinkest kein wein oder daß, daran sich dein brueder stosset oder ergert oder schwach wird. Hastu den glauben, so hab in bei dir selbs for Got. Seelig ist, der im selbst kein gewissen macht in dem, das er annimmet; wer aber dartiber zweifelet und isset doch, der ist verdambt, den es get nicht auß den glauben; was aber nicht auf} dem glauben gehet, das ist sünde; wir aber, die wir stark sind, sollen der schwachen gebrechlichkeit tragen, und nicht gefallen an unß selber haben; es stelle sich aber ein iegklicher under und also, das

128 48

er seinem nechsten gefalle zum guetten zur besserung, den -auch Christus [nicht] an ihm selber gefallen hatte. Darumb nemmet euch undereinander auf gleich, wie auch Christus hat aufgenommen zu Gottes lobe.

Diese lehre und exempel des apostels Pauli sindt alle zeit hoch in der kirehen Gottes gehalten, darauß Polycarpus, Irenaeus, Ambrosius, Augustinus, Lutherus in gleichen fellen .gueten radt beide für schwache und starke gegeben haben und wie sie die unvernünftigen gesetztreiber auf verange- zogenen spruchen gestraft haben, also haben sie nicht we- niger die frechen verächter aller schwachen und die so aub der christelichen freiheit ein fleischlichen ergerlichen mut- willen gemacht haben, hierauß ires gottlosen frevels über- wiesen. Lutherus hat zu unser zeit nicht allein der papisten notzwang, da sie auf menschen satzung als weren sie zur seeligkeit vonnótten gedrungen, ernstlich gestraffet, und in dem die ware seeligmachende gerechtigkeit und christliche freiheit erörtert und offenbaret, er hat aber auch nieht we- niger ernst gebraucht gegen die bildstürmer und kirchen- wuester, als Carlstat!) und seinesgleichen, da er gesehen hat, das sie von einem ehrgeitzigen, frechen, frevelen, zän- ekisehen, unrubigen, aufrurischen geist getrieben wurden, de- nen kein kirchrecht reformiert ware, sie wer den wie ein verwuesteter stadel oder scheuren zugerichtet, und frevelich iederman urteillen, dem teuffel gaben?) die noch ein khor- rock oder etliche ander ceremonien dulteten, ob schon solehf mittel dinge?) sind, die außer dem fall der ergernuf weder geben noch nemen, und, do Carlstat die elevation des ca- eraments für sieh selbs wolte für ein gotlof werk und todt- sünde aufschreien, ließ er sie ihm zu drutze bleiben noch ein zeitlang*), damit auch in solchem fall unser christlichen freiheit nichts benommen und Carlstat sampt seinen schwarm nieht zum neuen pabst wurde, sünde zu machen, da kein sünde ist, und solche grosse ergernuß zugeben; es hat der framme Lutherus wie auch Pomeranus?) Vitus Dietrich) gar fein sauberlich und weißlich gefaren in der reformation und abgetan der pübstischen greuel; waß mittel ding gewe- sen, hat er nicht abgetan umb der sehwaehen willen, und damit will gewunnen wurd, hat er vill dings, das man auch entraden kan, ein guette zeit bleiben lassen. Solchs exem- pell sollen woll wahrnemen, die auch zu dieser zeit an di- sen und anderen ortten, da man noch das pabstumb umb sich hat und nicht allenthalben lange zeit die evangelische lehre und freiheit geprediget und gnugsam erkläret hat, die

1) RGG 3, 942. 2) überantworteten. 3) RGG 1, 148. +) Sehling s. v. Elevation. 5 RGG 1, 1420. 6) S. ob. S. 228, 8.

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kirchen geschefft anzuordenen beruffen werden. Was nun Paulus da in einem fall, nemblich von speise, fasten gesagt, kan man auf alle dergleichen fille ziehen: als, wer den chorrock, liechte, westerhembt'), handtauflegen und derglei- chen ceremonien nicht braucht, der verachte den nicht, der sie brauchet, und hergegen, wer sie brauchet, der richte die nicht, so sie nicht gebrauchen, ein iegklicher sehe, das er das reich Gottes durch waren glauben in sich habe und der waren gerechtigkeit, die fur Gott gilt, nemblich der verge- bung der sünden durch Christum sich tröste und sein herz zufriden stelle, ware freidt im heiligen geist, dessen tempel er worden ist, habe und diene dem herren au diesem wa- ren glauben auch in eusserlichen kirchengebreuchen und ceremonien, kein unruhe anstifte, dem schwachen kein anstob setze, niemandts ergernuß gebe, gern iedermans knecht sey durch die liebe, das viele bekeret und christo gewunnen werden. Was aber die formen und ordenung belangt, die sacrament zu reichen, den catechismum zu lehren und zu examenieren, das wort zu predigen und mit singen und lesen zu treiben, das es reichlich under unß wohne, ist nicht vonnöten, das ein einige weise und masse allen kirchen al- lenthalben furgeschriben werden; denn das seint mancher- lei farbe von außwendigen gebreme an den guldenstück ?), darin Christo dem könig seine braudt fur aller menschen augen zugefuert wird, welcher braut herligkeit und schöne nur inwendig und allein dem breutigam und ir selbst bekant ist, nemblich der glaube, welcher ware gerechtigkeit und dardurch friede und freude dem herzen bringt im heilligen geiste; zu der außwendigen zierde ist genag, das man die regeln sanct Pauli helt, die er hiezu gibt, in Cer 1.Corinth. 14°): Lasset es alles geschehen zur besserung; trachtet darnach, das ir die gemeine bessert, auf das ihr alles reichlich habt. Item: Got ist nicht ein Gott der unornung, sondern des frie- des, wie in allen gemeinen der heiligen; darumb, lieben brueder, lasset alles ehrlich und ordentlich zu gehen.

Wo dann einer in ein gemeine kombt, do begere er ihm nicht ein sonders zue machen; klügele, maistere, tadtle nichts unberuffen, richte oder verachte nicht freuelich*), mach kein gezenke noch unruhue über unnötigen sachen, gebe kein ergernuß, sondern suche den friede und jage in nach?) angesehen das Gott ist ein Gott des friedes; halte sich gern an die ornung und weise, die er da findet, wie des Ambrosii rath, welchen er Augustino und seiner muetter gab: wen ich zu Rom bin, sagt er, so faste ich mit inen am sabbath, wen

1) Taufkleid. 2) Psalm 45, 10. S. ob. S. 122. 3) V. 33, 40. +) freventlich. 6) Ps. 34, 15, 1. Petr. 3, 11.

Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII 3/4. 9

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ich zu Meilandt bin, so faste ich nicht am Sabbath; so thuet ihr auch, zu welcher kirchen ir kombt, derselbigen sitten, weise und gewonheit haltet, wen ihr anders nicht geergert wolt werden oder anderen ergernusse geben. Diß haben die Theologen etwaß weitleuffiger wollen vermelden und erinnern, damit in disem notwendigen und ganz christlichen furnemen wohlbetrachtet werde, waß rechte einigkeit und gleich- formigkeit sey, welche das rechte merkzeichen der waren christlichen kirchen ist, und das ia nicht in solchem für- nemen der papisten lesterung mehr den sich gebueret betrachtet werde, welche nur mit irem eusserlichem meß- halten und unnutzen larven grosse einigkeit furgeben und wen mans beim lieht besuehet!, haben sie weder under sich selbs noch mit Gott und seiner waren kirchen frid und einigkeit,

Dagegen haben die herrn und landleut, so in disen dreuen?) landen derreinen A. K. zugethan sein, Gott hoch zu danken, das ein wahre christliche einigkeit, die Gott allein in der lehre und glauben von seiner kirchen fordert, bei inen und in ibren kirchen durchauß ist, obschon in eusserlichen ceremonien nicht allenthalben so genau alles. tibereintreffen kan, da man doch in keiner form noch weise etwaß dem forbild der lehr Christi zu wider findet.

Es ist solche erinnerung nicht vergebens, den wen man gleichformigkeit anzurichten furnimbt, muß man wol acht nemen, warin die notwendige gleichformigkeit stehe, das. man nicht etwo durch ein schein einer gleichformigkeit die hochste ungleicheit und uneinigkeit anrichte, wie oftmals, da man an eusserlichen unnötigen Dingen angefangen hat, geschehen ist. Damit wir aber doch auch in disen Dingen, sovil immer müglich, ein gleicheit haben möchten, haben wir gegeneinander die Agenden, derer wir uns bisher ge- braucht, gehalten, und wab hierin on ergernuß ein theil dem andern zu lieb hat annemen und ablegen®) können, freund- lich und auf christlicher liebe getan, doch mit der be- dingung, das wir unsern gnedigen herren solch unser christ- lichs bedenken underwerfen und I. Gn. bedenken darüber hören, das dann, wo es ihren gnaden gefelt, ein gemeiner schluß darüber ausgesprochen möcht werden. Weß (sich nun die theologen)*) nun in Agenden vergliechen, folget iez. im andern theile dieser kirchenordnung.

1) statt besiehet. 2) dreien. 3) statt: ablehnen. *) Das eingeklammerte ist durchgestrichen, und es sind die Worte ‚wir uns nu“ darübergeschrieben.

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Das Andertheil der Kirchenordenung, darin von der Agenden gehandelt.

Die Agenda begreift farnemblich 6 stuckhe.

1. Daß erste sein die zusamenkunft am feiertag und in der wochen, Gottes wort zu hören und seinen heillig namen anzuruffen und zu ehren.

2. Daß ander ist der catechismus.

3. Das dritte die beichte und absolutio.

4. Daß vierde die aufteilung der sacrament, nemb- lich der heilligen tauffe und des abentmals unsers herrn Christi.

5. Daß fünfte das einsegen der ehleut.

6. Daß sechste die begrebnus der tothen.

Vergleichung in ersten und 2.

Die feiertage sampt den sambstag werden am abent des vorgeenden tags angefangen mit dem abentgebet und lobgesang, welche man gemeinklich vesper") nendt.

Ordnung der vesper am feierabend in stetten, da latinische schuelen sein?)

1. Veni sancte®), oder deus in adiutorium‘). Deutsch oder latinisch.

2. Ein psalmen Davids latinisch mit vorgehender Anti- phon), wo es geschehen kan.

3. Ein deutscher psalm aus D. Luthers sangbuch ô).

4. Der hymnus?) deutsch oder lateinisch, nach der zeit.

5. Darauf liset man ein stuck auß der bibel fur mit der summarien Viti Dieterichs°).

6. Darauf singet man das magnificat deutsch?) oder latinisch.

1) S ob. 17, 227,1.

2) Über die damals in Innerösterreich in Betracht kommenden Schulen vgl. Loserth, die protestantischen Schulen der Steiermark im 16 Jahrhundert, 1916. Dazu F. Bischoff, Beiträge zur Geschichte der Musikpflege in Steiermark In ,,Mitteil. d. Historischen-Vereins für Steiermark“ 37 (1859), 108. „In protestantischen Schulen und Kirchen wurde Choral und volkstiimliches Kirchenlied gepflegt. Laut ordo lectionum in schola Runensi um 1567 fand hier täglich außer Samstag um 12 Uhr exercitium musices statt; dasselbe findet sich auch in den Schulplänen der Protestanten. Mit den Protestanten kamen gewiß auch protestantische Gesangbücher nach Steiermark, die während der Gegenreformation wohl zum größten Teil verbrannten.“

3) Julian S. 1212. Simrock S. 200.

4) Psalm 76, 2. Herold 5. 122. 5) 8. ob. 17, 227, 2.

9) Seit 1524. 2) S. ob. 17, 227, 3. 5) S. ob. 17, 228,8.

9) S. ob. 17, 227, 4.

9%

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7. Darauf liset oder singet der diener des worts die eolleetam nach der zeit, deutsch.

8. Darauf singet man, Erhalt unß herr bey deinem wort’), oder das gewöhnliche benediecamus?) teusch oder latinisch. Man mag auch wol singen das nunc dimittis?) Lue. 2 deutsch oder latinisch.

9. Darnach spricht der Diener des worts den segen über das volk auß Num. 6: der Herr segne.

Nota 1: Hie ist zu merken, das der diener des worts möcht fur dem altar stehen, wenn er die lection und das gebät verrichtet. Zu Gratz aber thuet ers auf der canzel, weil die kirche nicht bequehmlich gebauet, das furm altar möcht verrichtet werden. Man könt aber woll beyde, den altar und auch die canzl, ins obertheill verruckhen, dann khöntz nutzlieh und zierlieh furm altar verrichtet werden.

Nota 2: Weiter isí zumerken, das ob schon in dorfen und mirkten, da keine oder gar kleine und etwa nur teutsche schuelen seint, gleichwoll vesper halten kan, also, das nur ein psalm und das magnificat teutsch gesungen und mit der eolleeten, vatter unser und segen beschlossen werde.

Nota 3: Zum dritten wehr rathsam, das das stuck auf der bibel zu Gritz von einem stipendiaten‘), so E. E. L.?) daselbs helt, gelesen wurde, weil sie sie sieh doch sonst mit predigen üben, damit sie keck werden und woll und verständlich aussprechen lerneten das gebet. Sägen könt gleichwoll vom diener des worts furm altar geschehen. Zum lesen hat man zu Klagenfurt ein besonderen stuhl unter der eanzel, könt zu Gritz auch nutzlich geschehen.

Nota 4: Wo nieht latinische und große schuelen noch viel leut seint, die lateinisch verstehen, da soll man alles teutsch singen.

Vergleichung in der ordenung gesenge, gebät, lection in den zusammenkönften am Sontag und Feiertagen.

Am Sontag kombt die gemeine Gottes dreymall zu- samen, nemblich in der fruepredig, mittags und abentpredig.

In der fruepredig wird dise ordenung gehalten.

1. Kom heilliger Geist®), oder ein ander gesang umb ware bekerung und erleuchtung des herzens zu bitten, denn niemandt kan sich zu Christo bekeren, ihn ein herren nennen?) noch Gott dienen, loben ohn durch den heilligen Geist, den man hierumb aufs demütigste anzurufen schuldig ist.

1) 8.06.17,228,5. ?) 8.0b.17,227,5. 3) Luc.2,29. Julian 8.822. 4) Loserth a. a. O., S. 491. 5) Eine ehrsame Landschaft. €) Mützell 1, 12, Fischer 2, 6. Julian S. 631. ?) 1. Cor. 12, 3.

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2. Hierauf spricht der diener des worts die gemeine beicht dem ganzen volck fur und darauf die absolution mit ernster warnung der unbußfertigen. Denn, weil wir als arme siinder an dem suntag zusamenkommen und aber des unbueßfertigen sünders gebätt Gott nicht angenemb ist, so sollen wir fürs aller erste unsere sünde bekennen und unb davon absolvieren lassen, das darnach unser gebät lob und Gottesdienst Gott angenemb sey. Und dessen haben wir ein fein exempel Jes. 6, und ist der waren kirchen gebrauch von anfang her gewesen, wirdt auch zu Nurnberg’) auß Luthers anordnung und in andern wolbestelten kirchen also gehalten.

3. Hierauf singt der chor mit dem volke ein kurzen lobgesang, als den 117. psalm, oder der engel gesang Luc. 2.

4. Darauf folget die lection auß dem alten testament oder epistel nach alter gewonheit, oder mit ein ander. und mag diß ein diener des worts thun, oder zu Gratz ein stipendiat, wie vorgemeldet. Man möcht auch ein geschickten meßner darzubrauchen, wo einer vorhanden.

5. Hierauf soll der diener des worts die hochzeiten und wa sonst furfelt verkündigen und das gemeine gebät forderen. Ein collecte nach der zeit und das vatter unser betten.

6. Nach disem singt der chor figurate?) und die ganze gemein schlecht?) ein lobgesang, thuet auch der organiste das sein zu Gottes lob, und vor der predig singt man: nun bitten wir den heilligen geist‘).

7. Darauf folget die predig, in welcher das verordenet evangelium außgelegt wird.

8. Wenn die predig ein ende hatt, spricht man das gebät für alle stende und not sampt dem vatter unser.

9. Darauf singt die gemeine den glauben?) oder ein danck psalm.

10. Wenn dann communicanten da sein, wirdts gehalten wie an seinem ort folget.

Nota. Die prediger zu Clagenfort und Laubach) sprechen ein gebät aub der wirttenbergischen Agenden?) fur das predigampt, das mögen sie gleich nach der absolution sprechen, welche droben mit der zall 2 verzeichnet oder mögens nach der epistel lesen.

1) Nürnberger Kirchenordnung 1538f, 1536, 1540, 1543, 1556, 1564, 1591f. Exemplare auf den Universitäts-Bibliotheken in Erlangen, Jena, Leipzig. 2) S. ob. 17, 224, 6. 3) schlicht.

+) Mützell 1, 13. Fischer 2, 99. Julian S. 821.

5) S. ob. 17, 223, 2. 6) Laibach.

?) Württembergische Kirchengeschichte 1893 S. 387 ff.

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Nota. Die Clagenfurdischen wolten gern beide lection halten, erstlich der epistel, darnach der bibel nach Viti Dieterichs ordenung’). Wenn sies nun an der zeit haben, können sies thun. Seint doch auch von alters her zwo lection vor der predig furm altar gelesen worden, eine der epistel und die andere des evangelii latinisch. So mag nun anstat des latinischen evangelii die teutsche lection des alten testaments genommen werden.

Nota 3. Wo zweer oder mehr prediger sein, da soll billich der, so nicht die fruepredigt thuet, die gepet furm altar verrichten. Und zur lection, wo nicht stipendiaten, so allgemachsam zum predigampt angefueret werden, seint, da kont der schuelenhelfer einer die lection auf der untern canzel lesen. Denn die praeceptores in den schuelen sollen ie zum theil auch mit der zeit zum predigampt sich bereitten. An vilen ortten wünschete ihm ein praeceptor solche ubung.

Nota 4. Die verkündigung der hochzeitter, welche mit der zall 5 verzeichnet”), wöllen die Kharntischen lieber zu endt der predig thuen, das mögen sie nun woll nach irer gelegenheit anstellen. In der Grützer kirchen, weil so groß volk zusammen kömet, und wen die predig auf) ist, die hoffleut hinauseilen, schicket sich’s besser vor der predig, wie auch von alters her gebräuchlich, und in den grossen stetten Nurnberg?), Augsburg^), der jungen Píalz?) und in vill mehr ortten gehalten wird. Es ist auch dem prediger bequehmer, weil er sich fast) müde predigt und ihm das verlesen der zetteln beschwerlich, wie auch zwar’) den zuhörern, die auch etwaß müde worden und nu nicht gern so lange ver- kündigung anhören.

Von der Mittagspredig am Sontag.

Die Mittagspredig am sontag ist furnemblich des cate- chismi halben angestelt, es komme dann ein groß fest, als ostern, pfingsten, da hat man besondere lectiones außzulegen, wie an seinem ort soll gemeldet werden. Mit dem catechismus halt mans also.

1. Zum ersten singt man ein stuck aub dem catechismo.

9. Liset der Diener des worts die sex haubtstuck der - christlichen lehre mit D. Luthers worten und nach der form und ordenung, die er selbs gestelt und gewisen in seinem catechismo. -

3. Legt derselbige prediger ein stück des catechismi auß. Die predig soll nicht lenger als ein halbe stund weren.

T) S. ob. 17, 298, 1. 2) S. ob. S. 133. 3) S. ob. S, 133, 1. 4) 1555, Exemplare in Erlangen und Jena, = 5) 1554. 1556, 1557. Exemplare ebd. 1559 beginnt die jüngere Linie. 6) sehr. 7 in Wahrheit.

5b 135

4. Sagen zwen schueler ein stuck auß dem kleinen catechismo Lutheri mit der außlegung.

5. Werden darnach die andern kinder und junge leut alle verhöret.

6. Wenn nun die verhórung ganz vollendet, soll man fur die kinder das gebät, so im gedruckten agendabuch zu Gritz furgeschrieben, sampt dem vater unser sprechen.

7. Singt man darauf ein kurzen lobgesang.

8. Sprieht der Diener darauf den gewünlichen segen Num. 6.

Nota 1. In Khrain und Khärnten‘) haben sie auch des Brentii?) kleinen catechismum ?), den mugen sie woll behalten, doch das sie furnemblich des Lutheri catechismum vleissig treiben und dem volck einbilden.

Nota 2. Dieselbigen meinen auch, es schick sich bei ihnen am besten, das sie die sechs stucke nach der predig dem volk furlesen und sein es bib her also gewonet. Dad miigen sie woll thuen, bringt kein sonderliche ungleicheit.

Nota 3. Zu Gritz könt man woll nach dem ersten gesang lassen die sechs hauptstück der christlichen lehre ein stipendiaten lesen, der sich nun algemachsam zum predigen bereittet, wie auch vor zeitten*) in der kirchen die anfahenden erstlich lectores wurden. Anders wo könt auch ein schul- maister, so mit der zeit ein prediger zu werden gedechte, solche lection verrichten. Darauf singe man: Nun bitten wir’), und gienge dann der catechista auf die canzel und lese nur das stuck, so er predigen und außlegen woll.

Nota 4. Es ist fein, das man die catechumenos in classes theilet. Also haben wir zu Gritz vier classes gemacht. In die erste setzen wir die kleinen, so am wenigsten künnen; die sollen nur den text der sechs stück blob ohn die außlegung aufsagen. In die ander classem setzen wir die, welche den text nun woll gelernet und fertig können. Die sollen nu des Luthers außlegung auß seinem kleinen catechismo aufsagen. In die dritte classem ordenen wir die, welche nu auch die gemelde außlegung können, die sollen hinfort die Haustaffel lernen und aufsagen, wie die zu ende des catechismi Lutheri gesetzt ist. Der vierde hauf seint die, welche die obgemelten stucke alle können und sollen nu etliche haubtstuck der christlichen lehre vleissiger lernen, betraehten und aufsagen. Solehe fragstuck hatJoachimus Mör- lin ®) bey den catechismum drucken lassen und könt hieher auch

1) „und Khärnten“ ist durchgestrichen. 2) RGG 1, 1339. 8) 1527/28; ebd. 3, 986, 996. 4) RGG 1, 987.

6) Von Luther. Mützell 1,13. Julian 5. 821.

6) RGG 4, 447. Enchiridion Catecheticum 1544,

136 06

des Brentii catechismus dienen. Man möcht sie auch spruche und psalmen lassen auß der schrift aufsagen. Diese ordenung ist sehr nutzlich. Denn so sieht man, wie die kinder zunemen, und thun die nieht woll, die die kleinen kindlein oder andere einfeltig leut als bald die auflegung mit dem text anfahen zu lernen; denn sie lernen gemeingklich keins volkommen und reeht, und sonderlich ist vill daran gelegen, das sie die blossen wort des Textes recht lernen nachsprechen. Denn, wen sies in der jugend nicht recht lernen, so sagen sies fur und fur unreeht auf. Drumb haben wir an Strafburg exempel genommen und die catechumenos also in classes getheilet. Nota 5. Damit die kinder alle möchten verhóret werden, wehre guet, das zu Gratz die stipendiaten, so man zue predigern machen will an andern orten aber die deutschen schuhl- meister, hülfen verhéren, kónt man sie in die classes theilen, wie zu Strabburg!) die studenten, so von almusen gehalten, solehe hulf erzeigen. Darauf vill nutz beyd den kindern und den studenten kompt. Denn die kinder werden alle ver- hóret, das sonst in so kurzer zeit nicht woll müglich, so gewonen die studenten, wie sie sich zum ampt schieken sollen. Nota 6. Guet wers, das der pastor seine gewisse zeit hette, da er die jhenigen kinder, so von wegen ihres ver- standts, den sie auf dem catechismo gelernet, nu zum nacht- mall des herren sollen gelassen werden, fur den altar lief fur sich stellen, und dem volck, wie sie zugenommen und drumb zur gemeinschaft solchesgeheymnus solten aufgenommen werden, erklerete und darzu das gepet über sie forderte. Dadureh wurden die kinder gelocket, vleissig zu lernen, kónnten auch in der beicht leichtlicher verhóret werden, auch wurde verhuettet, das nicht die kinder oder andere, so noch zu junek und ungeschickt, sich zu diesem hochwirdigen geheymnus eindrungen. In allen soll man vorsichtig und ordentlieh handeln. Dif hat man bej der ersten kirchen die confirmatio?) genennet, das sovil heist als bestettigung, weil ein solcher catechumenus verhöret und zu der gemein- schaft des hochwirdigen sacraments bestettiget werd. Denn ehe dureh solche offentliche verhórung fur der gemeine bezeuget ward, das er die stiicke des catechismi verstunde, ward er nicht zu disem hohen geheimnus zugelassen. Disen brauch sampt dem ganzen catechismo haben die bäpste fallen lassen und dargegen ein unnutze salbung und schmirens angerichtet, das sie Gott bessern; wie haben sie so übel gehandelt. Wir aber, weil wir die kirche gern also reformiret sehen, wie sie zur apostel zeit gewesen und viell iare blieben,

1) S. unten S. 151. ?) RGG 3, 1642,

57 137

sollen solchen gueten gebrauch wider an die handt nemen, wie dann an vielen orten geschehen.

Von der Abentpredig oder Vesper am Sontag.

Die Vesper am sontag wird gehalten wie am feierabent,. allein, das die predig anstadt der leetion kompt. In der predig soll die lection auß der epistel außgelegt werden.

1. Nota von feiertagen.

An feyertagen, so in der wochen gefallen, sollen nur zwo zusamenkonft gehalten werden, eine zur fruepredig, da mans helt wie am sontag. Die ander nach mittage; da sol nur ein psalm auf dem catechismo gesungen, darauf die kinder im catechismo verhóret werden, wie am sontag. Soll aber kein predig nach mittag gehalten werden. Von hohen festen folget hernach an seinem orte.

Nota 2. Diß seint aber die feste der heilligen, so man mit der evangelischen kirehen feiret.

Der tig s. Stephani protomartyris’). s. Johannis evan- gelistae?). conversionis Pauli?) Matthiae apostoli*) Phi- lippi und Jacobi?) Joannis Baptistae. Petri und Pauli. Jacobi apostoli). Bartholomai*) Matthaei evangelistae °).. . Michaelis archangeli?) oder das fest der heilligen und keuschen. engel. Simonisund Judae !?^). Thomae apostoli !!). s. Andreae'?).

Der hohen festen, so in evangelischen Kirchen zu halten, seint zwolf, wie folget:

1. Natalis Domini, der heilige christtag, mit beiden nachvolgenden tagen.

2. Das fest circumcisionis oder der beschneidung Christi, so man nent den neuen jarstag;

3. Das Fest Epiphaniae, das man nennet der heiligen drei könig tag.

2. Das fest purificationis Mariae +°), da Christus zu Jeru- salem in tempel dem herrn vorgestellet ward.

5. Das fest annunciatiationis Mariae**) von der empfenknis- unsers herrn Christi.

6. Der tag coenae Domini, den man heist antlab +°) tag.

7. Der tag passionis Domini von den leiden unsers herrn Christi, den man nennet chorfreitag.

8. Der heillig Ostertag von der auferstehung unsers herrn Christi mit den zweien folgenden tagen.

1) 26. Dez. 2) 27. Dez. 3) 25. Jan. *) 24. Febr. 5) 1. Mai. $) 25. Juli. 7) 24. Aug. 8) 21. Sept.. ?) 29. Sept. 19) 28. Okt. 11) 21. Dez. 12) 30. Nov..

13) 2. Febr. ^j 25, Mürz. 15) Ablaß; Dienstag vor Ostern.

138 58

3. Das fest ascensionis oder der himelfahrt Christi;

10. Der heilige Pfingstag mit den zweien nach- folgenden tagen;

11. Das fest trinitatis von der heilligen Dreifaltigkeit;

12. Das fest visitationis Mariae!), do Maria zu Elisa- beth gieng Lucae.

Auf diese tage helf man den eatechismum nicht, sondern die geordneten lectiones legt man in predigten au.

Nota 2. Bäpstischen Festen.

Wo in den stetten noch die papisten ihre kirchen haben, ist die sorge, wenn wir nicht predigen, das das volk zum bäpstischen greueln lauffe, weil sie ohn das feiren müssen; wie nu dem unrat zu wehren sey, werden unsere genedige herrn sampt un8 ein christlichs nachgedenken fürnehmen.

Zue Grätz haben wir bißher auf dieselbigen tage unsere gemein an vorgehenden sontag fur solchen abgöttischen festen und greueln gewarnet, und, damit sie nicht ursach hetten, anselbigen festen zun papisten zulauffen, haben wir an selbigen tagen ein predig vorher verkündiget und sie darzu zu kommen ernstlich vermanet. In derselbigen predig haben wir die babstischen abgötterei und greuel auß Gottes wort gestraffet und dann etwaß guets unser zuhórer gelehret. Und zwar, wenn wir zu Grätz allentag predigten, dürften wir un solcher tag halben nicht fast?) bekummern, weil wir ohn das zusammen kemen. Sonst hats ein ansehen, als hielten wir dieselbigen feste mit den papisten, daran sich unser brueder in Kharnten ergern möchten.

Nota 3. Wo nicht schuelen sein, welche zur vesper dienen können, da ist man billig mit dem examen des <satechismi zufriden.

Von den zusamenkunften in der wochen.

Vor dem sterben?) zu Gratz hat man zwehn tage zur predig in der wochen gehabt, den erichtag*) und den frei- tag. Aber im werenden sterben haben wir alle tag ge- predigt, und stünde sehr woll, das die weise fur und fur gehalten wurde, weil der f. Hof und landthauß, auch vill stadtlicher®) leut, da seint und allen tag frembd volk hin- kompt. Wenn dann allen tag gepredigt wurde, gieng einer heut der ander morgen drein, nach dems im gelegen, wehre

1) 2, Juli. 2) sehr.

8) 1564/65, 1572f., 1577. R. Peinlich, Geschichte der Pest in Steiermark 2, 485,

4) S. ob. 17, 298, 4. 5) aus der Stadt.

59 139

das gepet allen tag fiir die ganze gemeine. Stunde auch woll bey einer so woll bestellten grossen schuele, wie dann gemeingklich, wo solche berimpte schulen sein und andere treflich leut, allen tag gepredigt!) wird, als zu Jena in Duringen, Wittemberg in Sachsen, Marburg?) in Hessen.

Den erichtag hat man dise ordenung gehalten.

1. Erstlich singt man das vatter unser?) oder kom heiliger Geist‘).

2. Darnach ein teutschen psalmen?).

3. Zum dritten: nu bitten wir den heilligen Geist®).

4. Darauf folget die predige.

5. Naeh der predig ein dankpsalm und

6. Darauf den segen Num. 6.

Am freittage singt man vor der predig wie am erichtag aber nach der predig die litaniam?) aus Luthers sangbuch, also das zwen schueler vorsingen und die ganze kirch antwort. Wenn die litania auf ist, liset der diener des worts ein collect furm altar oder auf der canzel, und darauf das vatter unser sampt den segen Num. 6.

Diß wirdt in Kharnten und Khrain gleichfals gehalten, allein das sie nach ihrer gelegenheit den mitwochen haben, da wir den erichtag zur ersten wochen predig. Wenn aber in der Grätzischen kirchen solte allentag gepredigt werden, solte man ausser dem freitag nur das einige gebät, nun bitten wir den heilligen Geist fur der predig singen und nach der predig den 117. psalmen oder sonst ein Dank psalm, der nur ein gesetz®) hat. So wurde niemandt zulange auf- gehalten. Es kónte sich also auch, wer da woll, allen tag . speisen lassen mit dem abentmal des herren; das off sonst als im winkel und ohn beysein der gemeine Gottes fast?) heimlieh geschicht von den hoff leuten und adel, ist ein bóse gewonheit. Könte auch die kinder tauffe also allen tag für der gemeine gereichet werden, wehre ehrlieh und besserlich.

Von den zusamenkunften am werktagen zur vesper.

Wo schuelen sein, soll billich allen tag ein vesper von zweien lobpsalmen und darzwisehen ein collect sampt dem vatter unser gelesen werden, das der segen alles beschlosse. Es könte zu Gretz durch die schuele solchs gar woll geschehen,

1) Vgl. dazu Sehling 1, s. v.: Predigt in der Woche und Wochen- predigt. 2) K. O. 1566, 1574, Exemplare in Erlangen, Jena, Leipzig. 3) Mützell 1,19. Julian S. 1205. *) S. ob. S. 132, 6. 5) S. ob. S. LE 6. 9) S. ob. S. 135, 6. ?) S. ob. 17, 223, 1. 5) Strophe. ) sehr.

140 60

wies dann vor den sterben geschehen ist, und wehre solchs auch ein ehre der heilligen tauffe, weil umb dieselbige stunde die meisten kinder zur tauffe gebracht werden. Am mitt- wochen zur vesper soll man auch den catechismum mit den kindern halten, wie dann ein weile zu Grätz geschehen, das die kinder allein zur kirchen kemen. Und als denn könt man auch ein singe schul under ihnen anrichten, wie an etlichen orten geschieht, da sonst kein bequehme zeit zu ist. Das hat die meinung: Wenn man singt in kirchen, singen die meisten nit mit, weil sies nicht können; vill singen gar vill wort unrecht, und werden dem lieben Luthero mit der zeit seine worte gefelscht, wie am „nu bitten wir“ und in mehr psalmen zusehen, das auß der bösen gewonheit durch die setzer hernach unrechte wort in den druck gebracht werden, Solchen unrath furzukommen und die kirch mit gueten lieblichen gesängen zuerfullen und zu zieren, sollen nicht allein die schueler in der schuele, sondern auch die andern einfaltigen zu weilen in der kirchen, wie zum cate- chismo allein versamblet werden, und da soll ihnen einer ein gesetzlein nach dem andern furlesen und vorsingen, bif so lange, das sies wol könten. Es seint woll unter un, die erfaren haben, waf guets inen solche übung gebracht habe.

Daß 3. stuck der agenden, welches begreift die vergleichung von der besonderen beicht und absolutio.

Wer da begeret zum abentmall zu gehen, der soll sich dem (capellenmaister oder meßner zeitlich anzeigen und sein namen aufschreiben lassen. Der capellenmeister oder meßner soll solche verzeichnuß dem pastori zustellen, das man die zall und namen wisse. Wer sich nun also an hat schreiben lassen, soll sich!)) den feierabent in die vesper verfuegen, und sollen nach der vesper alle solche verzeichnete (gegen den altar?)) stehen, da soll diener des worts ein kurze ver- manung zu ihnen auß einem buch lesen, das sie wissen, was inen zubedenken zur wirdigen niessung des abentmals und rechtschaffener beichte. Dise vermanung ist darumb in einer gewissen algemeinen form an einen ort wie am andern zu lesen furgeschrieben, das durch stettig furlesen die einfeltigen und ein iegklicher mit der zeit von wort zu wort außwendig lerne. Darauß kompt vill mehr nutzes, denn wenn alle

1) Die eingeklammerte Stelle ist durchgestrichen. Darüber steht ,,kiirchendiener anzaygen und“; am Rande ist vermerkt: DiS stück mag noch bleiben, das die anzeigung den dienern des worts geschehe und so dem pastori zu wissen ward. ?) Das einge- klammerte ist durchgestrichen, Darüber steht ‚vor der canzel‘“.

61 141

beichtage ein neue predig oder vermanung gemacht wird. Denn der einfeltigen ist allweg am meisten und muessen aufs aller einfeltigst immer mit einerlei worten unterricht werden. Darumb auch Paulus zu Philippern am 4’) spricht, es sey ihnen guet, das er inen immer einerlei zuschreibe, und diß ist auch Latheri rat in der vorrede des catechismi: weill dann der heillige Geist die herzen erleuchtet durchs gehörte wort, ist ie offantwar, wen die leut das wort also ins herz fassen, daß sie desto ehr erleuchtet werden. Darumb scheme sich kein prediger, solche vermanung immer füzulesen, habe auch kein verstendiger daran verdruß, sondern ihm selbs und den einfeltigen zu guet höre ers gerne und merke vleissig drauf; denn esist hie nicht darumb zuthun, das der prediger sein konst beweise oder der zuhörer durch mancherlei erlustiget werde, sondern das die einfeltigen aufs beste mügen unterrichtet werden. Seint doch sonst predig genug, da beid prediger und zuhörer solchen ihren lust mit frucht büssen können. Auf solche vermanung weiset der, so die vermanung gelesen hat die confitenten zun beichtstull, da soll nun ein ieglicher nach seiner gelegenheit freundlich und wies das hirtenampt erfordert verhört, gefragt und unterricht werden. Die forme der beicht, so Lutherus gestelt, soll ein ieder wissen und brauchen, auch nach desselbigen kurzen frag- stucken examiniert werden. Sonderlich aber soll er auch außgeforscht werden, ob er die gethone vermanung fur dem altar gehört und verstanden und die furnembsten stucke darauß behalten hab und vermelden könne. Waß auch weitter ein beichtkind zu erinnern, wird ein vernunftiger beichtvatter zuthuen wissen. So nun die buse recht erkleret wird, soll er in nach der anweisung Lutheri in seinem catechismo von sünden absolvieren und entbinden. So aber das beichtkind nicht geschickt mit rechtem verstande oder an der buse mangel erscheinet, soll er in auf einander zeit wider heissen kommen, und so er in sünden halsterrig befunden, ihm des bindeschlüssels kraft erkleren, ihn warnen und zur furcht Gottes aufmunteren. Es soll aber ein iegklicher beichtvatter dem pastori anzeigen und namhaftig machen, wie viel und welche er abgeschafet, damit er sie auß der verzeichnus sondere und also eigentlich und leichtlich bekant werde, wievill iederzeit zuspeisen seien. Hierauß kömbt auch dise frucht, das der pastor kan merken, wie sich ein iegliches seiner befohlenen schäflein halte und das seine darzu “thuen. Hierumb soll auch einer bestelt werden, der auf die abgeschaften achtung gebe, das sie nicht zu der anderen beichtvatter einem gehen, wie die lent dan in der thorheit listig sein und meinen,

1) 8, 1.

142 62

sie haben Gott betrogen, wenn sie seinen diener, ia vill mehr sich selbs, betrogen haben.

Das 4, stück der Agenden, welchs begreift die ver- gleichung in der außteilung der zweien sacrament. Und erstlich von der tauffe.

In der tauffe ist kein andere ungleicheit zwischen den evangelischen kirchen in disen dreien landschaften, dann nur in der ordenung, wie eins vor oder nachgesetzt. Denn wah wir etwa mitten in der handlung haben, das haben die in Khärnten und Khrain im ersten oder andern stuck, wie in folgender furbildung zu sehen.

Der steirischen taufordenung’), wenn das kind genand ist von gefattern, folget

1. Vermanung zur andacht und gebat.

2. Das erste gebät.

3. Das ander gebät.

4. Das evangelium Mare. 10 von den kindlein anzuhören.

5. Nach solchem exempel Christi und auf seinen befehl und zusage, das vatter unser zusprechen mit auflegung des taufers hand.

6. Wunsch, das Gott des kindes eingank und auSgang behuette.

7. Verpflichtung des kindts zur absagung den teufel und zum glauben an den waren Gott und die frage, ob es darauf wolle getauft sein, da als die guattern von des kinds wegen antwort geben.

8. Die Aufgiessung des wassers im namen des vatters ete.

9. Der wunsch, das Gott das getaufte kindt stercken wolle zum ewigen leben.

10. Vermanung zur danksagung fur die empfangene tauffe. 11. Die form der danksagung.

12. Vermanung an die eltern, gevattern etc.

13. Der segen Num. 6.

Der Kharntischen und Khrainischen taufordenung.

. Evangelium Marei 10 und daraub . vermanung.

Gebät.

Gebät.

Vatter unser.

. vermanung zum gevattern.

o ou Or

1) Vgl. Jahrbuch 25, 166,

63 143.

7. verpfliehtung wie in Steyr.

8. Die aufgiessung wie in Steyr.

9. wunsch, das wie in Steyr.

10. form der danksagung.

11. Vermanung zum gevattern und eltern. 12. Der segen.

Diese kleine ungleicheit kompt daher, das der steyrischen taufordenung, so im druck vorhanden, auß anweisung und nach dem taufbuchlen Lutheri und Viti Dieterichs') gestellet ist, der Khürnter aber und der Khrüner taufordenung ist auf der Wirttenbergischen agenden?) Daß aber die wort und weise fast übereinstimmen, ist kein ander ursach, dann das die Wirtenbergische agenda aus des Luthers und Viti Dieterichs genommen und nach des landts gelegenheit gelenket ist. Wie woll nun geratten hat mügen werden, das die eltere, nemblieh die nach Viti und Lutheri anweisung von steirischen gebrauchet wird, den furzog hett haben mugen, iedoch seint andere ursachen, die uns beweget haben, einen igkliehen theill sein ordenung zu lassen. Denn einmahl ists und in ewigkeit war, das beyde ordenung guet und so woll gestelt, das niemandt verbessern kan. furs ander so bezeugen die Kharnter und Khrainer, das die Wirttembergiseh ordenung bey ihnen nun von etlichen pharn her eingewurtzelet sey; dagegen kónnen die Steirischen auch zeugen, das die ihrige, so sie von Luthero und Vito haben, auch von villen jaren zu Gritz und sonst in Steirmarckht gebraucht sey worden. Was kan man dann in disen fall bessers rathen, dann das man ein iegklich theill bei seyner ordenung, die an sich selbs guet ist, bleiben lasse? Was ist fur ursache, das die braut Christi ihres eussersten kleides gebreme?) müsse menschen zugefallen mit einer farbe schmucken, so sie doch die freiheit hat, das sie mancherlei farbe daran brauche, wann sie nur inwendig am glauben und des herzen heilig- keit schön und herlich bleibe. Last uns Gott für die grossen wolthat daneken, daß er unb gesunde lehr und glauben geben hat, und nicht der christlichen freyheit in eusserlichen seremonien und weisen etwas abbrechen. So ist nun unser rath, das man beide taufordenung in die agenden drueke; kans mit der Zeit ohn ergernus in eine gebracht werden, ists so vill desto besser; wo nieht, bringts der waren einigkeit so gar keinen schaden, das wir wolten gewunschet haben, das allenthalben solche einigkeit funden wurde.

Nota 1. Wir zu Gritz brauchen in der tauffe das auf- legen der hende, das die Khernter und Khrainer nicht

1) S. ob, 17,998, 1. 8) S. ob, 18, 133,7. 3) S. ob. 122, 129, 2..

144 64.

brauchen; solches soll nicht für ein ungleicheit gerechnet werden; denn wir brauehens nicht als ein nottwendig stuck, sondern als ein frei mittel Ding, das mag gebraucht oder nicht gebraucht werden ohn sünde. Wir habens also funden im taufbuchlein Lutheri und Viti Dieterichs, denen wir ge- folget, aber niemandt daran verbunden haben wöllen.

Nota 2. Weill vill unehliche Kinder zur tauffe kommen, soll man den vatter soleher kinder erfordern. So man in nicht haben kan, soll der pastor von der kirchen wegen das Kindt annemen, die so es bringen aussehaffen, für sich von der kirehen wegen gottfurchtige leut zu zeugen und gevattern bestellen und das kindt getauft ihnen wider zu hauf schicken. Dem Magistrat aber solche muetter in ver- warung zunehmen vermanen, das das übel gestraffet; und sollen solehe personen zu den sacramenten nicht gelassen werden, sie haben dann óffentliche busse gethan und bitten, unsere genedige herrn wollen doch etwaß ernstlichs in diser sach furnemen; dann es lasset sich ansehen, als wöllen diese sündn, so bib in himel hinauf schreien, diese lender in srundt erseuffen.

Nota 3. Es ist auch ein elender iamer, das der ‘teuflische hoffart so groß ist, das ihnen die hófischen und dem adel verwandt, wen sie schon nicht so hohes standts sein, gleich woll nur in heussern wollen getauft haben; die sollen treulich vermanet sein, das sie die gemeine Gottes nicht verschmehen, sondern in die offentlichen Gottesheuser ihre kinder tragen lassen. Wenn aber eins krankheit oder anderer unvermeidlicher nott halben nicht kan, so ists entschuldiget.

Nota 4. Der gevattern halben ist auch guet, aufsehen zu haben, das sie nieht frembder lehre und religion an- hengig sein.

Nota 5. Es soll sieh auch daran niemandt ergern, das etliche das köpflein des kindts nur entblóssen und be- gieBen, wies zu Gratz geschieht, weils lang also gebraucht, etliche aber das kindt ganz bloß begieBen oder in wasser hineintauchen, wie von alters her in Sachsen noch gebreuchlich und auch Luthero am besten gefelt'. Aber hieran ist niemandt verbunden. Den die menge des wassers thuet nicht darzu, sondern das wort und der geist Gottes.

Nota 6. Wenn ein Judt oder Turekh oder heydt zu -taufen fur keme, kan man sieh einer form vergleichen. Jst die summa darvon, das mit ihm gehalten werde wie mit den Kinden, allein, das er selbs fur sieh antworte, drumb er zuvor muf unterrichtet werden.

1) Vgl. RGG 5, 1107.

65 . 145

Nota 7. In der jaehtauf!) halts einer wie der ander wie dann die ordenung im truck aufweiset.

Vergleichung in reichung des abentmals unsers herren Jesu Christi.

In austheilung des abentmals des Herren halten wir aller ding eine weise und einerley wortte, wie folget. Nach der predig und lobgesang tretten die communicanten zum altar; daselbs wirdt zum ersten ein vermanung furgelesen auD der getruckten agenden.

2. Folget auf die vermanung die gemeine beicht.

3. Darauf ein gebit.

4. Die absolutio, so sonderlich auf die eommunieanten gerichtet ist, wie woll auch sonst niemandt außgeschlossen ist derer, die recht bueßfertig sein.

5. Das vatter unser umb wirdigen gebrauch und niessung des sacraments.

6. Die wortte der einsatzung Matth. 26, Marci 14, Lucae 22, 1. Corinth 2.

7. Nach disen wortten heisset man die, so sich angezeigt und zugelassen sein, herzutretten. Indes singt die kirch: Jesaia dem propheten?). Jes. 6. Jesus Christus unser hei- landt?). Got sey gelobet*). O sacrum convivium 5). Sanc- tus). Wo schuelen sein, Mugen auch die musici figurate’) singen, wens gelegen ist.

8. Der prister, so den leib, item der, so das bluet reichet, hat sein furgeschriebene wortte, die den glaubigen tröstlich sein und den sacramentierern entgegen.

9. Auf soleh communion folget die danksagung und der segen Num. 6.

Nota 1. Die Khernter und Khrainer haben bibher zwischen der beicht und absolution kein. gebät gebraucht, wollens aber nun thun, weils kurtz ist. Hergegen haben sie ein gebät umb wirdige niessung des abentmals nach der absolution. Das haben die Steirer gern angenommen. Die Kharnter und Khrainer haben ein brauch, das sie das vatter unser, die worte der einsatzung, die danksagung und den segen singen. Die Steirer aber habens bißher gelesen: wab ist dran gelegen? weils einerley worte sein, mag ich nieht singent also woll baten als lesent?

Nota 2. Die Kharnter und Khrainer singen post ora- tionem commemoratam.

1) Über die Jähtaufe vgl. RGG 5, 1108. 2) S. ob. 17, 295, 9. *) von Luther, Mützell 1, 22. Julian S. 598. 4) Mützell 1, 24. Fischer 1, 165. Julian S, 441, 5) Antiphon zur 2. Vesper des Fron-

leichnamsfestes (im Brevier). 6) S. ob, 17, 224, ?) S. ob, 17, 224, 6, Archiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4. 10

146 66

Nota 3. Von communion der kranken. In besuechung und trost der kranken seint wir gleichformig, wie die ge- drucketen agenden, denen bisher gefolget, außweisen. Nur das wird tröstlicher geachtet in der steirischen, das die ver- manung, gebät, danksagung sampt dem segen auf die kranke person in numero singulari gerichtet wird. Ist hie nicht schwer, ein volkommene gleicheit zu treffen.

Nota 4. Die Steirischen zu Gratz sonderlich haben bibher zugesehen, das der capellenmeister, welchen sie da funden, kertzen darzu angezundet hat; waß wir funden, haben wir weder gelobet noch gescholten in solchen dingen, die unb weder geben noch nemen, ausser dem fal der ergernuß. Do aber die brueder in den andern landen gerathen, das mans abgehen lasse, weil bei ihnen solehe ceremonien nieht sein, lassen wirs auch gut sein, doch das mit willen unser herren und ohn ergernüs mit der zeit abgepredigt werde und von sich selbs falle. Welche forsichtigkeit in allen unnotwendigen und doch unschedlichen ceremonien zugebrauchen ist.

Das 5. stück der agenden, welchs ist von dem einsegen der ehleut.

In disem stuck seint wir gar einig, denn das werk weisets auß, das die wirttenbergisch ordenung, welcher die in Kharnten und Khrain fast in allem folgen, auf Viti Dieterichs genommen und zu des wirttenbergischen volcks bequehmlichkeit gelenket ist.

Erstlich werden die ehleut drey sontag nacheinander verkündiget und das gemein gebät fur sie begeret. Wenn niemandts einredet und sie zur kirchen kommen, geschicht das einsegnen wie der truck außweiset, den wir bey handen haben. Erstlieh wird bey der verwilligung gefragt.

2. wirdt in Gottes wort furgehalten von der einsatzung, Gens. 27); von der kraft und bestendigkeit dieses bundts, Matth. 192); von der pflicht gegen einander, Ephes. 5°); von den kreutz beyden auferlegt, Gens. 39; von dem trost under dem kreuz, Proverb. 18°).

3. Redt man die ehleut an, das sie mit zeichen, hand und mund sich verloben und solehs der priester bestattige in der heilligen dreyfaltigkeit namen und gibt sie Gott in seinen schutz, das sie niemandt dann derselbige zu scheiden habe, weil sie er allein zusamen gefuegt hat.

4. Darauf folget das gebát für den ehstand.

5. Der 128. psalm®), welchen man singen oder lesen mag. Zu Gritz, weil die hochzeiten am abent gemeinlich zusamen- geben werden, pflegt man den psalm vorher zu singen.

)1,92 9 V.6 à 5V.92f *59292,16f 5) V. 22. 6) Von Luther, Mützell 1,81. Julian 8. 1291.

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6. Der segen schleust die handlung wie alle andere,

Nota 1. In der wirttenbergischen ordenung ist ange- merkt, daß der priester fast alles zu der ktirchen*) von den ehleuten redet, biß er sie umb ihren willen der pflicht halben fraget. Aber in Luthers und Viti, welche von alters her in der kirchen gewesen, wirdt alles zu brautt und breuttigam geredt fur der gemeine, die zu zeugen darüber genommen wird. Solchs ist fur bequehmer geachtet; doch wöllen wir auch hie kein nottwendigs machen auf dem, das ein frey ding ist und keinem kein ergernus bringen kann.

Nota 2. Das straffet man billich, das nicht allein die herren und landtleuet, sondern auch die hofdiener, wenn sie schon nicht so hoch geadelt, nicht wöllen sich aufbieten, noch öffentlich in der kirchen zusamen geben lassen. Man soll ihnen ihres adels halben auch etwaß besonders machen. Solten sie nicht des gebäts mehr achten und der gemeine Gottes sich nicht schemen! Ist doch Christus’ reich nicht von diser welt, das er mueste ein anders machen mit einem edelman, als mit einem beuren. Es wehr bald ein hoher christlicher furst zu nennen und wer mit genugsamen zeug- nussen zu beweisen, das er nicht hat etwab in solchem fall sonders wöllen haben, sondern mit fleiß gebetten, man soll gleicher Agenden und weise mit ihm gebrauchen und ihm solchs fur ein grosse ehre gerechnet.

Nota 3. Die, so sich verloben wöllen, sollen auch vorher vom pastore gefordert und außgefragt werden, ob sie den eatechismum können, zum sacrament sich halten, christlich leben. Denn weil sie nun sollen hauß halten, kinder und gesinde regieren, gebüert ihnen gottforchtigkeit und die wege zu wissen, darauf ehleut gottseligklich wandelen sollen, psalm 128.

Nota 4. In solehem examine möcht auch gestrafet werden, wann ein junger gesell ein alts weib gelts halben nimpt und sonst etwa nicht gesuecht wird, was furnemblich zu bedenken. Item das zweierlei glaubens leut einander umb guets willen begeren. Aber diß kan doch nicht so enge gespannet werden. Man lest’s bey christlicher wolgemeinter erinnerung bleiben. Das übrig behielt man einsiegklichen gewissen, ia auch der obrigkeit, dem kirchenrath, so einer bestelt, und Gottes gericht. Denn wir haben nichts weiter mit solchen sachen zu schaffen, denn das wir den gewissen durch Gottes genade raten.

Nota 5. Die Herrn und Lantleut möchten zu wenigsten doch das gemein gebät für ihren furgenommen heyrat in der

1) d, h. zur Gemeinde, 10*

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gemeine Gottes fordern, dann die aufkundung ist nicht allein darzu erfunden, das hinderung furkommen, sondern furnemblich, das Gott angeruffen werde umb hülfe und segen, dessen fürwar iederman vonnöten, und ie Gott woll werdt ist, das man ihn umb seine gaben bitte; so gefelt ihm auch, das einer nicht sonderlichs fur sich sueche, sondern sein heilige kirche und gemeine großachte und bei gemeiner weise bleibe. |

Das 6. stück der Agenden, welchsistvon der begrebnuß.

In der weise die leichen zu bestatten ist gar kein un- gleicheit, dann das zu Gratz an des ersten und andern leuttens die verkindigung in offenen predigen zuvor geschicht, da man den verstorbenen nennet und die leut zu beleidt!) vermanet, leichpredig verkündet, und wenn man die weise allen tag zu predigen behält mag das desto leichter geschehen. Das aber nieht so, wie zu Clagenfort geleuttet wird, geschicht auf mangel der glocken, denn in stift zu Gritz nur ein kleines glöcklein ist, das man nicht weit hóret. Wenn aber der prediger mit den sehuelern die leich holt und zum stift sich nahet, so leuttet man, bib sie herzugetragen wird. In dem die leieh auf dem hause getragen wird, singt man: mitten wir im leben”); Auß tiefer not?) So ein leiehpredig begeret, setzt man die leich in die kireh. Nach der predig singt man: mit fridt und freud*) und tregt in des die leich nach dem gottesacker. So das lied ein ende hat, hebt man ein anders an als: Ich ruef zu dir herr Jesu Christ). Beym grabe, wenn man die leichte (sic!) hinein legt, singt man: Nun last uns den leib begraben), bib auf die letzten zwei gesetze’). Da liset der diener des worts ein collectam und das vatter unser. Darauf singt man die letzten zwei gesetze: Nu lassen wir ihn hie schlaffen. Hierauf spricht der prediger den segen. Dann get man zu hause. Die freundschaft pflegt auch einen zu bestellen, der den leutten danket der ehr- lichen volge. Welchs keinen prediger soll aufgelegt werden, wie wir in unserm gedruckten agendt buchlein weittern bericht thun. Wenn kein leiehpredig begeret, liset man auf den gottesacker die -érmanung, so im agend büchlein vor dem gebät geschrieben stehet.

Nota 1. Zu Gritz haben die ietzigen predicanten und die zu nechst vor denen gewesen ein solehe weise funden, das man etwa 2, 4, 6, 8, 16 arme knaben aus der leutschuel begeret, dieselbige in schwarz kutten gekleidet und iegklichen

1) Beileid. 2) Mützell 1,38. Fischer 2,928, Julian S. 1405. 3) Mützell 1,32. Fischer 1, 59. Julian S. 96. 4) Miitzell 1, 8. Fischer 2,91. Julian S. 760, 6) Miitzell 1, 87. 9) von Weiße

(RGG. 5,1879) 1531. Mützell, 1,164. Julian 8.822. ?) Strophen.

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ein brennend fackel in die hende geben, das sie der leich zu beiden seiten giengen. Solche weise haben die predicanten woll nicht gern gesehen; doch weil das wort rein gelehret wird und sie kein ergernus darauß haben noch zur zeit folgen sehen, auch woll durch unzeittigs abthun der schwachen ergernuß besorgen müssen, haben sies also bißher gehen lassen, als den Chorrock und andere mittel-dinge, die weder geben noch nehmen und das so viel desto mehr, weil die kutten seint in stift gesamblet und die armen jungen auch etwa arme veriagte!) prädicanten und andere, so umb hülfe angesuecht, darin seint gekleidet wurden, die sonst bloß und nacket hatten gehen und erfrieren müssen. Denn woll etwa ein jar mit 50 gulden?) nicht hatte soviel tuchs als gefallen könt erzeuget werden. Weil aber die sach in diser zu- samenkunft so weit disputieret, das den Grätzern solchs umb gleichformigkeit willen, weils die ander lande nicht in brauch haben, abgehen zulassen gebüeren wolle, seint sie auch nicht darwider, allein das bescheidentlich und mit bewilligung der obrigkeit darin gehandelt und nicht plötzlich, sondern allgemachsam und mehr mit predigen und vermanen, dan mit zwang und gebieten solche ceremonien abgethan werde: das ist aber der Grätzer bitt, das ihre g. H.?) auf andere wege genedigklich bedacht sein wöllen, dadurch der abgang an kleidung ersetzt und die armen jungen gleich- woll bedecket werden mögen.

Das 3.theilder Kirchenordenung. Welchs begreift die bestallung des heiligen ministerii und waß zu der kirchenregierung

gehöret.

Das dritte theil der kirchenordenung begreift fürnemblich achte stück in sich. Daß erste ist die bestallung des heilligen predigampts. Daß ander ein wolgeordente schuele. Das dritte bestallung eins kirchenrats. Daß vierde die visitation oder besuechung und aufsicht auf kirchen und schuelen, das fünfte notwendiger und nutzlicher synoden anstellung. Daß sechste die kirchenzucht, so in offeutlichem und besonders ernstlichem gebrauch des himmelischen schliissel*) stehet; daß sibende von einkommen und almusen, davon kirchen und schuelen unterhalten werden; das achte einer recht- schaffenen bibliotheken anrichtunge und notwendigen büchern.

Waß nun dise stuck belangt, können wir kein bessern

rat geben, dann doctor Chytraeus E. E. L. in Steier®) gehen 1) Erst stand: verachte; das ist durchgestrichen und veriagte

darüber geschrieben. ?) S. ob. 17, 281. 3) gnüdigen Herren. $) Matth. 16,19. 5) d. bh. Steiermark.

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hat, welche unsere genedige und gepietund herren, wo es ihren genaden gefellig, möchten offentlich verlesen lassen, das dann, was einem lande zu guet gerathen worden, auch den andern nach dem sichs schicken wolt, zum besten gereichen möchte.

Von visitation und synodis.

Von visitationibus und synodis ist das nnsers bedunkens fast!) nützlich, wo nicht notwendig, das ein iegklichs lant sein generalpastor in der hauptstat oder wo es am bequehmbsten ist habe, und dan ein iegklichs land in, etlich viertel oder theile unterseheiden und einen iegklichen viertel sein special aufseher, so etwa viertelsprediger genand, furgesetzt sei. Was dann der special in seiner aufsicht befünde, könt er dem general und derselbig, wo es not sein würde, den herren inspectoribus und verordenten zu wissen machen, das dann gebürlich einsehen geschehe. Es könte ein iegklicher special zu bestimbten zeitten etwa einmall oder zweimall in seinen viertel sampt einem politico, so ihm von der obrigkeit ordentlich zugeben, visitieren und aui- merken, vermüg der instruction, so man ihm geben müeste, und könten dann einmal im jar oder, wo es vonnöten, mehr- mall die speciales mit dem general ein synodum halten; dem die herren inspectores und verordente selbs oder die so I. G. auf ihres ordens mittel an ihre stadt ordenten praesidieren; darin man von allerhand sachen zu aufnemen der kirchen gottes ratschlagen und handelen könte. Weil aber A. K.?) zugetone herrn und lantleute in diesen vier landen einer christlichen bruederlichen coniunction und zu- samenhaltung in religion sachen sich verwilligt, wehr solche coniunction zuerhalten und derselbigen nutzlich zugebrauchen gar rathsam, das auf ein bestimbte zeit eines jeden landts hauptpastor oder general, mit einem seiner brüeder von ihren oberherrn, nemblich den herren inspectoribus und verordenten, gesand und die generales allesampt ihnen zu- geordenten an ein ort zusammen komen, da ihnen auch die herrn inspectores und verordnete oder von ihnen gesandte könten beywonen; da möchte dan ein iegklicher bericht thun, waß sich in den kirchen seins kreises zugetragen und waß sonst notwendig geacht worden und könt viel guets außgericht werden und damit solch guet nicht durch aemu- lation und eiffer verhindert würde, könte man umbwechslen, das man ein jhar in der, das ander jar in iener lantschaft hauptstad zusamenkehme und nichts ohn vorwissen und

1) sehr. 2) Augsb. Konfession.

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befelch der herrn verordneten und inspectoren fürgenommen wurde. Dise bede special- und general-synodi könten auch an stadt eines kirchenraths ein zeitlang gehalten werden.

Von der schulen‘).

Von den schulen ist erstlich bedacht, das vonnöten, das ein einige grammatica in allen gebraucht werde, und ist darzu erwehlet die zu Straßburg?) in schwange gehet, beyde latinisch und griechisch. Darnach ist auch bedacht, das die schuelen sollen den kirchen unterworfen sein, das der rector dem ordentlichen aufsehen des pastors eben so woll untergeben sey, als ein prediger und die subinspectores, so den herrn inspectoribus und verordneten?), so fern diselbigen treulich ihrer instruction nachgehen fur augen habe und gutem rate villich und gern nachkomme, wie dann noch zur zeit, gott lob, kein beschwerung ist. Wie aber nicht allein alle schuler, sondern auch die praeceptores und oeconomus dem rectori gehorchen, also wird er auch gern den hern subinspectoribus, als denen, so in gemessenen bevelch an der herren verordneten und inspectorn stadt sein, dem gemeinem schulwesen zum pesten folgen.

Wie aber der rector sambt seinen collegis und oeconomo also beyd subinspectores und pastores sampt allen, so der kirchen und schuelen furgesetzt sein, erkennen for ihre von Gott verordnete obrigkeit E. E. L. Verordnete und inspectores, denen sie ieder zeit geburliehen gehorsamb in aller demueth zuerzeigen schuldig und willig sein.

De legibus scholae. Erinnerung.

Waß die leges scholae anlangt, hat Chytraeus die not- wendigsten gesetzt, welche die Khärnter und Khrainer auch schon als vil ihnen bequehm vorhin in ihren schuelen haben und naeh gelegenheit ihrer schuelen mehr herauß oder sonsten her zuwelen urpietig*) sein, doch als auf bewilligung und beveleh ihrer genedigen und gepietunden herrn E. E. L. Khärnten und Khrain verordneten. Die landtschule zu Gritz hat nu drei jar etliche leges im brauch und nicht ohne frucht gehabt. Wird aber für rathsam angesehen, das die subin- spectores und wer mehr darzu gehiret oder ordentlieh er- lordert wirdt, vermog ihrer instruction, alle leges beyde, die,

1) Siehe Loserth, a. a. O. ?) Loserth a. a. O. S. 30 Anm. Der Einfluß Straßburgs auf die ev. Kirche in den habsburgischen Ländern war sehr groß. S. ob. S. 136. 3) sc. unterworfen sind. *) erbótig.

152 72 so in gebrauch schon sein und auch die, so noch nicht gebraucht worden, gegeneinander vergleichen und das ganz schulwesen also mit geburlichen notwendigen legibus fassen und umbwicklen, das merklicher nutz darauß könne verhoffet werden, Wenn dann das ganz schulwesen ordentlich be- schriben sein wird, das sies dann den herrn verordneten und inspectoribus zu examinieren übergeben und wens dann I. G. auch wurde gefallen, das diselbigen dann in ihrem beisein und namen fur der ganzen schuel liessen iren secre- tarium promulgieren, dann hetten die leges ire volkomene autoritet.

Beschluß.

Diß ist also unser gehorsambe antwort von der ganzen kirchenordnung, als vil wir unß in disem gesprechn haben erinnern und darnach zusamen schreiben können, und wehr woll gut gewesen, das etliche artickel ausfürlicher hetten ercleret können werden; aber weil unb nicht gebüret, unser g. H. zulange aufzuhalten, und nur ietzt ein andeuttung ge- geben hat sollen werden, wie ein iegklichs stück solcher kirehenordnung unsers bedunkens gestelt werden möcht, und hernach etwa, so es unsere gn. und gepietunde herrn für rathsam achten wurden, alles aufs klarlichste außgefüret werden soll, dann die stück, so im andern und drittenteil nur kurtzlich beruehret, mussen werden von wort zu wort außgefueret werden, habens wir bei disen anzeigungen und erinnerungen bleiben lassen. Und wie im anfang also auch hie zum beschluß wollen wir alles dem christlichen hohen bedenken unser gn. und gepietunden herren und derselbigen g. u. h. un auch selbs gehorsambist underworfen haben, mit demutigster erbietung zu weiterer erclerung, wo es von- nöten sein wolt.

Der almechtige Gott, der da ist ein Gott des friedes und aller gueten ordenung, wölle sein werk in disen und anderen landen genediglich befordern und ihm beyde reg[ierjlenden und underthonen, lehrer und zuhörer ganz vatter- lich zu sehutzen und mit seinen heilligen geist zu regieren getreulieh allezeit befolhen sein lassen durch Jesum Christum seinen einigen sohn und unsern allergenedigsten herren und heiland, weleher ist hochgelobet von ewigkeit zu ewigkeit. amen amen.

Absolutum et theologorum ad hoe opus vocatorum subscriptione usque ad Dominorum declaratam censuram et approbationem perspieue declaratam et nostram olim recognitionem comprobatam vigesima prima mensis Fe- bruarii, anno millesimo quingentesimo septuagesimo octavo in oppido Brugg ad Murreham.

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Es folgen 6 aufgedruckte Siegel.

Jeremias Homberger!) D. E. E. L. in Steier dieser zeit pastor zu Gratz subscripsi manu propria.

M. Bernhardinus Stainer?) E. E. L. des erzherzogtumbs Karnden provisionirter am evangelio diener und der gemaine zue Clagenfurt pfarrar manu sua subscripsit.

Christophorus Freius?). Magister und E. E. L. in Stair prediger.

Philippus Marbachius*) L. E. E. L. in Steier bestelter schulrector zu Gritz.

M. Jacob Prantl®), E. E. L. in Kürnthen prediger zu Klagenfurt, manu sua propria.

M. Andreas Laborator9). E, E. L. in Karndten bestelter- schuelrector zu Clagenfurt, weil ich der zeit kein manu pro- pria pedtschaft gehabt, hab ich herrn M. Bernhardi Stainer erbetten, daß er an meiner statt gefertigt.

Bedencken der ordenung halben in die sontäg und feiertage früpredig.

l. Erstlich soll man den heiligen Geist mit einem gar kurzen gesang umb hilf anruefen.

2. Darauf soll ein diener des worts die offene beicht sambt der absolution in sehr kurzer form, wie sie gestelt auf der canzel, sprechen; folget darauf ein kurzer psalm: allein Gott in der höhe‘). Dann lieset der diener auf der eanzel die epistel oder so man will sonst ein stück auf der bibel nach der ordenung der bücher. Wen er solches gethan,

3. verkündet er, waß zuverkündigen ist, al neue ehe- leut, feste und deßgleichen und fordert das gebet fur die aufgezeichnete kranke und noturftige personen.

4. Darauf singt man wider in figuris®) oder simpliciter, und nach anruefen des heiligen geistes folget die verlesung des evangelii und predig daruber, daß nach der predig alß bald das gebät gesprochen und ohn lengern aufhalt zur administration coenae domini gesehritten und damit wie biBher gehalten werde.

1) Loserth l. c. s. v. ?) Ebd. 3) Frey, Loserth s. v. 3) Loserth s. v. 5) ebd. °) ebd, ?) S. ob. 17, 291, 12.. 8) S. ob. 117, 224, 6.

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Ursach zn solehen ordenung bewegent seint diese.

1. Erstlich ists der uralten kirchen ordenung gemehs, wie daß confitemini!) ausweisen.

2. Furß ander ists ie billich, das man mit bekantnus -der sünde und absolution den gottesdienst zu verrichten an- fange, den die sünder will Gott nicht erhören, sie demütigen sich den und bitten fur allen dingen umb vergebung.

3. Furß dritte wirds also im wolbestelten kirchen der A. K. gehalten, al in der Neuburgischen Pfalz?, zu Ulm), Norimbergae*) und andern vill orten zu sehen.

4. Zum vierten ists gemhes der kirchen ordenung, so mit rath ern Chytraei gestellet°),

5. Zum funften wird das volk desto zeitlicher zur kirchen zu kommen dadurch gelocket und beweget.

6. Zum sechsten ists ein grosse beforderung, das der prediger nach gehabter predig desto schleuniger daf) gepát verriehten, niehts dureh mudigkeit oder eylem vergesse, die leutte nicht mit verdrieß aufhalte.

Letzlich seint woll mehr ursach und nutz, so nicht hie vermelt werden mögen, und ist leichtlich anzurichten, wen mans nur ein mahl auf der eanzl vermeldet dab sich ein jeder darnach richten möge. Es möcht auch privatim etwa versucht werden, das man sehe, wie es ein gestaldt haben und abgehn wolte.

1) Ps. 118. 2) S. ob. S. 184, 5, 3) Wiirttemb. K. G. a. a, O. S. 319. 713. 4) S. ob. S. 1833, 1. 5) Sie ist bisher nicht auf- findbar; vgl. ob. 18, 37.

Nachtrag.

Soeben erschien: Paul Graff, Geschichte der Auflósung der -alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutsch- lands bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus. 1921. ‚Siehe S. 64f.

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Mitteilungen.

Neuerscheinungen.

Alfred Götzes „Frühneuhochdeutsches Glossar“ ent- sprach schon bei seinem ersten Erscheinen im Jahre 1912 einem fühl- baren Bedürfnis, indem es zumal dem Anfänger ein Eindringen in den reichen hochdeutschen Wortschatz von Ende des 15. bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts sei es überhaupt erst ermöglichte, sei es wenigstens ungemein erleichterte. Daß der Verf. aber inzwischen die Hände nicht in den Schoß gelegt hat, zeigt die nunmehr vorliegende zweite Auflage, die auf nochmaliger sorgfältigster Durcharbeitung des gesamten Stoffes beruht und so zahlreiche Ergänzungen gegenüber der ersten Ausgabe zeigt, daß deren Umfang sich fast verdoppelt hat. Möge das Studium unserer älteren originalen Literatur Luthers und seiner Zeitgenossen sowie der nächstfolgenden Geschlechter aus der Neubearbeitung entsprechenden Nutzen schöpfen! Bonn, A. Marcus u. E. Weber 1920. (Kleine Texte usw. hrsg. von H. Lietzmann 101.) XI, 240 S. M. 15, geb. M. 20.

Eine sehr willkommene chronologische Übersicht der gesamten Vorlesungstütigkeit Luthers in Wittenberg gibt mit bedeut- samer Einführung |H. von Schubert in SB. Heidelb. Ak. d. W., phil.- hist. Kl. 1920 Nr. 9. Dazu treten Konjekturen und Emendationen K. Meissingers zur Veróffentlichung der Galaterbrief-Vorlesung 1516/1517 durch v. Schubert (s. „Archiv“ Bd. XVI S. 125f,). Heidel- berg, Winter 1920. 47 S. M. 4,30.

Die Abhandlung von Lic. theol Hedwig Thomas, einer Schülerin F. Loofs, ,Zur Würdigung der Psalmenvorlesung Luthers von 1513—1515“ ist ein wichtiger Beitrag zur zeitlichen Feststellung des Reformationserlebnisses Luthers. Verfasserin zeigt durch eindringende Untersuchung und Vergleichung, daß in der Aus- legung der Psalmen bei Luther zwei Gruppen zu unterscheiden sind: in der einen steht er noch vor dem neuen Verständnis von Römer 1, 17, während die andere diese Erkenntnis schon vorträgt. Nun stellt sich aber auch heraus, daß Luthers Einleitungs- und Schlußbemerkungen zur ersten Kollegstunde auf den neuen Standpunkt gestellt sind. Folglich war Luther schon bei Eröffnung der Psalmenvorlesung zur neuen Erkenntnis vorgedrungen; er hat letztere während der Vor- arbeiten für die Vorlesung gewonnen. So bleibt nur die Frage, wann

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Luther die Vorlesung eröffnet habe, worüber völlig Sicheres vorerst noch nicht festzustellen ist. Verfasserin nimmt den Juli 1513 an, doch ist dies nur der terminus a quo, Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1920. X, 518. gr. 4. M. 7.

Zwei wertvolle Beiträge zu Luthers Frühentwicklung bietet die Festgabe zum 70. Geburtstag Julius Kaftans, 30. Septb. 1918 (Tübingen, Mohr): O. Scheel handelt (S. 298—318) über „Taulers Mystik und Luthers reformatorische Entdeckung“ (Betonung des Neuen, das Luther über den ganz im Gottesgedanken des Katho- lizismus stehenden Tauler und die Mystik hinaus darstellte); ebendort S. 150—169 beschäftigt sich Em. Hirsch, Initium theologiae Lutheri, mit dem Wesen der entscheidenden Entdeckung Luthers über Römer 1, 17. In der gleichen Festschrift S. 170—914 unter. sucht F. Kaltenbusch den Begriff des Deus absconditus bei. Luther; ferner bespricht S. 87—102 E. Förster „Fragen zu Luthers Kirchenbegriff aus der Gedankenwelt seines Alters“, an der Hand der späteren Schriften L.s die Entwicklung seines Kirchenbegriffs. Endlich verfolgt S. 260—272 O. Ritschl das Wort „dogmaticus“ in der Geschichte des Sprachgebrauchs bis zum Aufkommen des Aus- drucks theologia dogmatica, wobei u. a. gezeigt wird, daß von den Reformatoren allein Melanchthon das Wort dogmaticus braucht.

In einem Festvortrag ,Luther und der 10. Dezember 1520* behandelt H. Bóhmer in vielfach neuem Lichte die Fragen: was ist am 10. Dezember 1520 eigentlich geschehen? was hat Luther zu dieser so vielumstrittenen Tat veranlaßt? was haben die Zeitgenossen zu ihr gesagt? und worin besteht die geschichtliche Bedeutung jenes Ereig- nisses? U. a. zeigt Verf. daß die Verbrennung der Bannbulle eigent- lieh eine ,programmwidrige Improvisation" war und die Bedeutung des Akts wesentlich auf der Verbrennung des kanonischen Rechts be- ruhte. Überhaupt egt Böhmer dem „Feuergericht vor dem Elstertore“ eine hohe Bedeutung bei als einem Flammenzeichen, das unmittelbar auf die Phantasie und das Gefühl der Massen wirkte und aus dem auch die Ungelehrten ohne weiteres die Botschaft herauslasen: , Vogt, deine Uhr ist abgelaufen! Der Vortrag ist aufgenommen in die würdig ausgestattete, mit zahlreichen Abbildungen geschmückte Ver- öffentlichung „Wittenbergs Feier der Tat Dr. Martin Luthers 10. Dezember 1520“. Wittenberg, Kommissionsverlag M. Senf 1921. 878 £.

Richard Wolffs „Studien zu Luthers Weltanschauung“ sind Ernst Tröltsch gewidmet und von dessen Geist befruchtet. Sie nehmen die These des Meisters wieder auf, wonach die Neuzeit erst mit der Ablösung der christlich-supernaturalen Weltordnung durch die natürlich-diesseitige im Zeitalter der Aufklärung beginne und Luther daher restlos ins Mittelalter gehöre. Daß diese Auffassung durck Wolff glaubwürdiger gemacht werde, kann Verf. nicht finden. Es ist ja nicht schwer, aus Luthers Aussprüchen solche herauszuheben, die

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den Zusammenhang mit der Vergangenheit besonders stark betonen; nur übersieht oder unterschätzt man neben den Worten die befreiende, in die Zukunft weisende und bis heute fortwirkende Tat des Re- formators. So ist auch die Anschauung grundfalsch, als ob im Zeit- alter der sog. Aufklärung die christlich-supernaturale Weltanschauung alsbald und für immer zum alten Eisen getan worden sei. Richtig ist im Grunde nur, daß gewisse Kreise erlesener Geister sie verließen and daß das konfessionelle Element aufhörte in der europäischen Politik ausschlaggebend zu sein. Historische Bibl. 43, München, Oldenbourg 1920. 65 S, M. 10,

Wie verfehlt alle Versuche sind, zwischen Luther und der Gegen- wart einen trennenden Strich zu ziehen, zeigt aufs neue die prüchtige, gedankenreiche Skizze von Max Lenz über ,Luthers Tat in Worms", Diese Tat bedeutet die nicht von L. ausgehende, sondern ihm abgenótigte Auflehnung gegen die höchste Staatsgewalt. Daß Luther, obschon er den Zusammenhang seines Evangeliums mit den nationalen Hoffnungen und Notwendigkeiten damals lüngst begriffen hatte, die antirömische Stimmung, die die ganze deutsche Nation be- herrschte, nieht benutzt, sich nicht zum Führer der Nation gegen Rom gemacht hat, billigt der Verf, indem er zeigt, wie unter den gegebenen Verhältnissen auch das Luthertum eine nationale Monarchie in Deutschland im Sinne der Nachbarstaaten zu errichten nicht ver- mocht hätte. Trotzdem sind die Staatsgedanken der Reformation (beim Luthertum wie beim Calvinismus) politisch von ungleich höherer Kraft gewesen, als die in Trient neu zusammengefaßte, nun ganz hispanisierte Lehre der römischen Kirche. Ferner aber hat auf der Grundlage des Protestantismus der nationale Genius Deutschlands, der im Mittelalter in allen seinen Schöpfungen von fremden Kulturelementen abhängig gewesen war, in neuerer Zeit, besonders auf dem Gebiete des geistigen Lebens, sich zu Hervorbringungen erhoben, die alles hinter sich ließen, was frühere Jahrhunderte hervorgebracht hatten. Und noch immer sind, Lenz zufolge, die Grundformen der Weltordnung, so wie Luther sie gesehen und im Geiste gestaltet hat, nach allen Wandlungen, allen Katastrophen, auch allen Triumphen des mensch- lichen Geistes und seiner sittlichen wie intellektuellen Krüfte unver- loren und unerschüttert. Schr. des Vereins f. Ref.-Gesch. Nr. 134. Leipzig, in Komm. bei M. Heinsius Nachf, 1921, 45 S. M.5.

Indem Joh. Luther, Martin Luthers Auslegung des 90. Psalms schildert, wie es kam, daß die Wittenberger Theologen der Kónigin Dorothea von Dünemark bei ihrem Besuche in Wittenberg 1548 Luthers Auslegung des 90, Psalms, bereichert um eine Vorrede Georg Majors, als literarisches Festgeschenk darbrachten, gibt uns der Vert. zugleich ein Bild von den Beziehungen, die sich, besonders seit der Thronbesteigung des an den Fortschritten des Evangeliums innigsten Anteil nehmenden Kónigs Christians III, zwischen Dünemark und Wittenberg herausgebildet hatten, Reiche Literaturangaben be-

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gleiten den Text. Das schön ausgestattete, mit Wiedergabe des Titelblattes der angezeigten Schrift ausgestattete Schriftchen bildet Heft 2 der „Bibliographien und Studien, herausg. von Martin Bres- lauer.“ Berlin, M. Breslauer 1920. 50 S. 4°, M. 60.

Die Wirkung der Geisteswelt Zwinglis hat unter seinem poli- tischen Schicksal gelitten. Indem mit Zwinglis Tode Zürich die politische Initiativkraft zur Fortführung seines Werkes verlor, rückte Genf unter Calvin vor und eroberte sich eine Welt mit der Macht des Gedankens und der Kraft des Schwertes. Auf der anderen Seite hielt und verfestigte sich das Luthertum. So drohte zwischen Luther und Calvin Zwingli hindurchzufallen. Daß gleichwohl des letzteren Geistes- art Gegenwartswert besitzt, daß Zwingli neben Luther am Brückenbau unserer Kultur mitzuwirken berufen ist, unternimmt Walther Köhler in seiner Schrift „Die Geisteswelt Ulrich Zwinglis. Christen- tam und Antike“ (= Brücken, Bd. 3. Gotha, F. A. Perthes 1920. 153 S. M. 6) zu zeigen, in der er knapp, aber lichtvoll, aus ein- gehendster Kenntnis das Wesen und die Eigenart der religiösen Per- sönlichkeit des Schweizers vor uns erstehen läßt. Die organische, im Innersten der Persönlichkeit vollzogene Verknüpfung von Christentum und Antike, wie sie für Zwingli wesenhaft ist, der Hauch antiker Sophrosyne über dem christlichen Glauben schließt der Verfasser kann nicht nur, sondern muß Brücke für unsere Zeit sein.

Die Beziehungen Calvins zu Frankfurta.M. haben nicht dazu geführt, die Stadt für seine Lehre zu gewinnen, und in ihr seinemreformierten Gesamtprotestantismus ein Ausfallstor nach Deutsch- land zu eröffnen; nicht einmal in den Fremdengemeinden hat Calvin sein Ziel erreicht. Doch bleibt darum die Untersuchung, die K, Bauer jenen Beziehungen widmet, nicht ergebnislos, sondern liefert wertvolle Beiträge sowohl zur Reformationsgeschichte Frankfurts wie zu dem Verhältnis zwischen den evangelischen Kirchen besonders in den fünt- ziger Jahren und endlich für Calvins Bestrebungen und Charakter. Schr. VRG. 133. Leipzig, Kom.-Verl. Heinsias 1920, 76 S. M. 6.

Von H. Dechents Kirchengescbichte von Frankfurt a. M. seit der Reformation (deren erster, 1913 erschienener Band im „Archiv“ XI S. 239 angezeigt wurde) ist der zweite und Schlußband erschienen, der, mit gleicher Liebe und Sorgsamkeit wie sein Vorgänger bearbeitet, den Zeitraum von 1618 bis zur Gegenwart behandelt. Leipzig und Frankfurt a. M., Keßelring 1921. VIII, 588 S., mit 54 Illustrationen, M. 36.—.

Das Corpus Catholicorum, Werke katholischer Schriftsteller im Zeit- alter der Glaubensspaltung (vgl. „Archiv“ XVI S. 253ff.) eróffnet Dr. Johann Ecks Defensio routra amarulentas D. AndreaeBoden- stein Carolostatini Invectiones von1518, hrsg. vonJ os. Greving, dem eigentlichen Schöpfer des Unternehmens, der die Ausgabe des Hefts jedoch nicht mehr erlebt hat (+ 6. Mai 1919). Doch bot ihm dieses Gelegenheit, die von ihm mit großer Umsicht ausgearbeiteten

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Grundsätze für die Herausgabe des C. C. zu erproben und zu bewáhren. Die ausführlich eingeleitete Ausgabe selbst zeigt auf jeder Seite die Hand des sachkundigen und sorgsamen Forschers. Münster, . Aschendorff 1919. S. 1*—75*, 1—96. M. 9.

Mit Eck beschäftigt sich auch Heft 2 des C. C., das Joh. Metzler S. I. bearbeitet hat. Er vereinigt darin Ecks Epistola de ratione studiorum suorum von 1538 (Darstellung des eigenen Studienganges) und die Schrift des Kollegen Ecks und Ingolstádter Professors Erasmus Wolph, ,de obitu Joan. Eckii adversus ealumniam Viti Theodorici*. Diese Schrift richtet sich gegen die Angaben, die der Nürnberger Professor Veit Dietrich über Ecks Aus- gang gemacht hatte. Herausgeber verbreitet sich weitlüuftig über diese , Verleumdungen“, ohne des Satzes eingedenk zu sein: peccatur intra muros et extra! Es herrschte in jenen Zeiten scharfer kon- fessioneller Kämpfe auf beiden Seiten die Überzeugung, daß beim Tode des Gegners irgendwie zutage treten müsse, daß seine Sache nicht die der Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht die Sache Gottes sei. Ge- fällige Zwischenträger fanden sich wohl immer und ihre Erfindungen und Entstellungen wurden auf der Gegenseite nur allzu gern geglaubt, Münster, Aschendorff 1921. 106 S. M. 19. Über den Stand der- Arbeiten zur Herausgabe des C. C. gibt Auskunft der Jahresbericht der Gesellschaft für 1920. Münster, Aschendorff 1991. 12 S. (mit Liste der erschienenen, in Arbeit befindlichen und in Aussicht ge- nommenen Schriften).

Die BuBlehre Ecks behandelt systematisch ein Schüler Grevings, H, Schauerte. Er gibt im Hauptteile, von Eck ausgehend, eine Dar- legung der sehr verwickelten katholischen Buflehre des endenden Mittelalters, der er die abweichenden Lehren Luthers und der Seinen gegenüberstellt. In den ersten Abschnitten wird eine Ana- lyse der einschlügigen Schriften Ecks gegeben und dessen Arbeits- weise (Art der Quellenbenutzung, Polemik usw.) geschildert. Am Schluß untersucht Verf. Ecks Stellung zu den Mißständen im Buß- wesen und den Erfolg, den seine Ausstellungen an diesem gehabt haben. Greving, Reformationsgeschichtl. Studien und Texte, Heft 38/39. Münster, Ascliendorff 1919. XX, 250 S, M. 11,90.

lagebuchaufzeichnungen des Regensburger Weih- bischofs Dr. Peter Krafft von 1500—1530", erhalten in einem Druckexemplar des lateinischen Almanachs von Joh. Stóffler und Jakob Pflaum von 1499 anf der Münchener Universitütsbibliothek, veróffent- licht mit überaus reichen Erläuterungen K. Schottenloher. Die Eintragungen des der beginnenden Reformation feindlichen „Pladen- weihers“ lassen diesen auf seinen Amtsreisen durch das gesamte Bis- tum Regensburg und bis nach Böhmen hinein verfolgen und geben außerdem mancherlei schätzbare Notizen und Betrachtungen zur Zeit-- geschichte. Greving, Reformationsgeschichtl. Studien und Texte, . Heft 37, Münster, Aschendorff 1920, VII, 71 S. M. 6.

160 - 80

Von O. Braunsberger, Petrus Canisius, (vgl. „Archiv“ Bd. XVII, S. 70) ist die 2./3. Auflage erschienen, wesentlich ein "Wiederabdruck der ersten. Nur ist ein Abschnitt über das innere Leben des C, hinzugekommen, wodurch der erbauliche Charakter des

Werkes nur noch verstärkt wird. Freiburg, Herder 1921. XII, 334 S. M, 20, geb. M. 26 und Zusehlüge. (Bildet einen Teil von K. Kempf,

.S. J., Jesuiten. Lebensbilder großer Gottesstreiter.)

Johannes Janssens Briefe, hrsg. von L. Frhr. v. Pastor. 2 Bünde. Freiburg, Herder 1920. Mit einem Bildnis J.s. XV, 411 S. mund XXXV, 336 S. M. 30, geb. M. 36 (dazu Zuschläge). In den Briefen, die in 812 Nr. von 1847 bis 1891 reichen, suchen wir zu- nächst nach Angaben über die Entstehung der „Deutschen Geschichte“. Wir finden das genaue Datum des entscheidenden Entschlusses zu ihrer Abfassung (8. September 1857) und zahlreiche Nachrichten über -das Fortschreiten des Werks und die steigende Anerkennung, die es in katholischen Kreisen erfuhr. Wichtiger noch ist die durch die Briefe uns vermittelte Kenntnis der Umwelt, in der Janssen lebte und -emporkam. Im übrigen bestätigen die Briefe, was die „Deutsche Ge- schichte“ auf jeder Seite lehrt, daß ihr Verfasser zwar ein sehr ge- -schickter Kompilator, aber nichts weniger als ein Gelehrter war. Be- zeichnenderweise hat J. zu keinem Fachgenossen engere und dauerndere Beziehungen unterhalten als zu dem berüchtigten Onno Klopp. Für J.s historische Methode sei z. B. auf II, 293 vom Jahre 1890 ver- wiesen, wo er mit heißem Bemühen einen Jesuiten ausfindig zu machen sucht, der sich mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigt und für das Los der geknechteten Bauern ein Herz gehabt habe, Von befremdlicher Einseitigkeit und Kurzsichtigkeit, selbst für einen J., ist -der Ausspruch II, 246 (1888), die wirklich begabten Dichter seien doch fast sämtlich Katholiken und der Schmutz sei nirgends auf katho- lischer Seite! Goethe scheint freilich nicht zu den „begabten“ Dichtern gerechnet zu werden; wettert Janssen doch II, 216 (1877) gegen die „Goethefreudigkeit“ katholischer Kreise. So bleibt auch nach dieser Veröffentlichung des opus epistolarum J.s noch immer im Werte, was Max Lenz schon vor längerer Zeit über die Persönlichkeit Janssens und sein Geschichtswerk ausgeführt hat (Histor. Zeitschr. N. F. 14, S. 281—284 ; Preuß. Jahrbch, 71, 3, 540—547).

Druck von C, Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen,

ARUHTT

hl DRIATIONSBESCHICHT f

TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.

Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte

herausgegeben von

D. Walter Friedensburg.

XIX. Jahrgang. 1922.

oQo—

Leipzig Verlag von M. Heinsius Nachfolger Eger & Sievers. 1922.

Inhaltsübersicht.

J. Haubßleiter, D. Geh. Kons.-Rat, Das Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A. 402 und seine Lösung 1—21;

Th. Wotschke, D. Dr., Pfarrer in Eutzsch, Georg Weigel, Hin Beitrag zur mn. Altpreußens und Lithauens .

K. A. MeiBinger, Lic. theol. in Frankfurt Die Lund d: sammlung des Brettener Melanchthonhauses

E. Kórner, Lic. theol., Domprediger a. D., Leipzig, Dietrich von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser Reichs- tage 1521 ; ee er re

G. Bossert, D., Pfarrer a. D. in Meitioart, Briefe aus dem 16, Jahrhundert .

W. Kohler, D., Univ.-Prof. in Zürich, Brenta anil ändere Böformatoria

K.Schornbaum, D. Dr. Pana in Alfeld bal Bosak Die brandenbursisch. -nürnbergische Norma doctrinae 1573, I a ae ak RE GH A s

K. Bauer, Lic. theol., Universitätsprofessor in Münster, Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a, M., I

Mitteilungen: G.Stuhlfauth, Zum Passional Christi und Antichristi S. 154f, K.Schornbaum, Zum Briefwechsel Veit Dietrichs S, 155f. Neuer- scheinungen S. 72 75, 156—158. Aus Zeit- schriften S. 75—80, 159—160, 252—256.

Seite

81—105

. 22—47

48—71

106—137

138—148

149—153

161—193

194—251

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ARCHIV FÜR. REPORMATIONSGESCHICHTR

Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte herausgegeben von

D. Walter Friedensburg. Nr. 73. XIX. Jahrgang. Heft 1.

4

E

Das Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 und seine Lósung

von J. Haußleiter.

Georg Weigel. Ein Beitrag zur Reformations- geschichte Altpreußens und Lithauens

von Th. Wotschke.

Die Urkundensammlung des Brettener Melanchthon- hauses

von Karl August Meißinger.

. Mitteilungen Neuerscheinungen, Aus Zeitschriften.

Leipzig 1922 Verlag von M. Heinsius Nachfolger Eger & Sievers.

——————————————————smဠAusgegeben im April 1922,

Kommissionsverlag von M. Heinsius Nachfolger in Leipzig. -

Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte

(früher Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation) Herausgegeben -vom

Verein für Reformationsgescichte

Soeben erschien: Band III.

Die Einführung der Reformation

in Liv-, Est- und Kurland.

Im en der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde zu Riga Ä

bearbeitet von

Dr. Leonid . Arbusow. gr. 8°. XIX, 851 Seiten. u Preis 70 Mark.

AN STEER

Früher sind erschienen:

Band I. Theodor Wotschke, Geschichte der Reformation in Polen. 8°, [XIL 316 SJ AI.

Band II. Paul Mestwerdt, Die Anfänge des Erasmus, Humanismus und „Devotio Moderna“. Mit einer Lebensskizze von C. H. Becker, herausgegeben von Hans von Schubert. 8°. [XXXII, 343 8] A 13,50

Band IV. Paul Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation* Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entseheidungsjahre der Reformation. (1517— 1523)

gr. 8°, [XVI, 602 S.] "P A 40,—:

tha. us

Das Rätsel der Gothaer Luther- Handschrift A 402 und seine Lösung.

Ein Beitrag zur Tischredenforschung. Von J. HauBleiter.

l.

Die grobe Sammelhandsehrift der Landesbibliothek in Gotha: Farrago litterarum ad amieos et colloquiorum in mensa Reverendi Patris Domini Martini Lutheri ete, die etwa 150 Briefe Luthers, 33 Melanchthons, 3 Bugenhagens und eine sehr große Anzahl von Tischreden Luthers enthält, und deren Inhalt sachlich naeh 93 Titeln geordnet ist (1 De Deo et operibus eius bis 93 Litterae commendatieiae et testimonia), hat wiederholt die Aufmerksamkeit der Luther- und Melanchthon- forscher auf sich gezogen (so nennt z. B. Bretschneider im Corp. Ref. I, S. XCVI sie einen 'eodex ob antiquitatem fide dignissimus); man hat sich aber damit begnügt, ibr einzelne Stücke zu entnehmen, ohne doch dem Rätsel ihrer Entstehung nachzusinnen und dasselbe, so gut es geht, der Lósung náher zu bringen. Der hochverdiente Herausgeber der Tischreden Luthers in der Weimarer kritischen Gesamtausgabe, Professor D. Dr. Ernst Kroker, hat fiir die sechs Bände der Ausgabe (1912 1921) mit bewundernswertem Fleiß und Scharf- sinn mehr als dreißig Handschriften geprüft. Er mußte aber seine Arbeit, sollte sie nicht ins Uferlose sich ausdehnen, (die Zahl der mitgeteilten Tischreden beläuft sich auf 7075), auf die Veröffentlichung der Urschriften beschränken, d. h. der Handschriften, in denen uns die Nachschriften der einzelnen Tischgenossen Luthers ohne Beimisehung fremden Gutes in

. Ihrer ursprünglichen chronologischen Reihenfolge erhalten

sind; von den späteren Sammelhandschriften mußte er im

z groben und ganzen absehen. Von unserer Handschrift urteilte

er so (V, S. XXVIII): „Die Texte von Farr. sind gut; im

Archiv für Reformationsgeschichte XIX. 1. 1

2 | 2

übrigen hat Farr. für die Tischredenforschung nur geringen Wert, da es die einzelnen Reden unter Rubriken ordnet, und zwar scheint es die älteste Handschrift zu sein, die das ge- tan hat, denn auf dem vorderen Einbanddeckel von Farr. steht: M. B. 1551. Ob das der Sammler oder nur der Eigen- tümer der Handschrift gewesen ist, das läßt sich nicht nach- weisen, ebensowenig, wer dieser M. B. gewesen ist. Da er aber seine Tischredensammlung schon 1551 hat binden lassen, so scheint der Sammler von Farr. als erster auf den Ge- danken gekommen zu sein, Luthers Tischreden nach Rubriken zu ordnen, denn Lauterbachs Umarbeitung seiner Sammlung fällt erst in die Jahre 1551—1560. Die Rubriken selbst sind in Farr. andere als in Lauterbachs Sammlung B.“ Immerhin hat Kroker in einzelnen Abteilungen der Ausgabe Varianten von Farr. mitgeteilt, so namentlich im 11. und 12. Ab- schnitt, der Kaspar Heydenreichs Nachschriften aus den Jahren 1542 und 1543 und die dem Hieronymus Besold zu- geschriebenen Tischreden aus dem Jahre 1544 enthält; für Heydenreich steht unter den Parallelhandschriften Farr. mit 120 Stücken voran.

Das Rätsel der Buchstaben M. B. reizt den Forscher um so mehr, als die Handschrift ohne Frage sehr wertvolles Gut enthält. So stehen z. B. auf den Blättern 444b bis 451b 7 Briefe Luthers an Johann Staupitz aus den Jahren 1518—1522, die uns sonst nur aus späteren Drucken bekannt sind. Chronologisch geordnet sind es in der Aus- gabe des Briefwechsels Luthers von Enders die Nummern 90, 121, 154, 223, 388, 398, 549; für Nr, 121 liegt eine Abschrift im Cod. Jen. B. 24, für 549 im Cod. Goth. 451 vor. Enders hat Farr. nicht verglichen; für die kritische Gesamt- ausgabe muß die Vergleichung nachgeholt werden. Auf Bl. 411—411b steht eine Formula promotionis in doctoratu, qua Luth(erus) uti volebat, sed impeditas adversa valetudine. In Köstlin-Kaweraus Leben Luthers (5. Aufl, II 282) wird sie in deutscher Übersetzung aus unserer Handschrift mit- geteilt mit der Bemerkung, sie verbinde mit den herkömm- lichen feierlichen Ausdrücken des Reformators großartigen

Stil. Sie lautet: „Kraft apostolischer, göttlicher und ferner kraft kaiserlicher und staatlicher Vollmacht welche beide

-

göttlich sind, die eine himmlisch, die andere irdisch be- rufe, verkündige, erkläre ich Dich zum Doktor der heiligen Theologie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Das ist Dir gesagt, damit Du eingedenk seiest, wer, welcher Art, wie groß der ist, welcher Dich berufen hat, und ferner, gegen welche, welcherlei und wie große Leute Du berufen bist, auf daß Du seiest Führer, Bote, Gesandter Gottes gegen die Widersacher dessen, der Dich sendet, gleichwie ich gesandt bin. So stärke Dich denn der Herr und sei stark. Fürchte Dich nicht, der Herr ist mit Dir, Amen“), Wir kennen diese Formel auch noch aus einem der vielen Handschriftenbände des unermüdlich nach- schreibenden und sammelnden Wittenberger Diakonus Georg Rörer (Bos. q. 24p Bl. 256b in der Jenaer Universitäts- bibliothek). Dort steht bei der Überschrift der Zusatz: qua uti volebat promoturus C(asparum) C(rucigerum) ete. in doctoratum (vgl. Tisehreden IV, S. XVI?) Es handelte sich also um die am 17. Juni 1533 in Gegenwart des Kurfürsten Johann Friedrich in feierlichster Form erfolgte Promotion Crucigers, Bugenhagens und des Hamburger Superintendenten Aepinus zu Doktoren der Theologie; es war die erste Pro- motion unter den neuen Statuten der theologischen Fakultät, überhaupt die erste seit 1525. Promotor war der Dekan Justus Jonas. Daß Luther selbst die Promotion vollziehen wclite und nur durch Unwohlsein daran verhindert wurde, erfahren wir lediglich aus dem mitgeteilten Schriftstück.

1) (fol. 411) Autoritate apostolica et divina, deinde imperiali et politica, utraque divina, altera caelesti, altera terrena voco te vocatumque pronuntio, pronuntiatum declaro doctorem sacrae theologiae in nomine patris etc, Haec dicuntur tibj, ut memor sis, quis, qualis, quantus sit, qui te vocavit. Deinde contra quos, quales et quantos voceris, ut sis dux, nuntius, legatus Dei contra adver - (411b) sarios illius, qui te mittit, sicut ego missus sum. l

Confirmet ergo te dominus et robustus esto. Noli timere, dominus tecum. Amen.

?) Ein dritter Zeuge ist nach Band V, S. 293 Anm, 3 die Münchener Handschrift Clm, 937, 174. Auf Nr. 5658 (Responsio D. M. in tentationibus cuiusdam Doctoris Jacobi Schenck) folgt dort: Formula, qua uti voluit in promotione Doctorum Crucigeri et Pomerani. Die Handschrift entstammt nach Bd. IT, S. IX ff. dem Wellerschen Kreis. Sie ist ums Jahr 1550 von einem jungen süchsischen Geistlichen, Georg Steinert oder Steinhart, geschrieben und 1564 von ihm dem Chemnitzer Superintendenten M. Johann Tettelbach geschenkt worden.

1*

4 4

Was mich veranlafte, der Handschrift ein eingehendes Studium zu widmen, ist die in ihr auf Bl. 262b— 264b ent- haltene Niederschrift der Koburger Trostsprüche Luthers, über die ich zweimal in der Neuen Kirchlichen Zeitschrift 1917 S. 149—187 und 1918 S. 430—457 gehandelt habe. Professor Paul Flemming in Pforta hatte mich freundlicher Weise auf diese Niederschrift aufmerksam gemacht. Die Vergleichung mit der ersten Ausgabe der Sprüche durch Matthias Flaeius (1550) und mit ihrer Verwertung in Aurifabers handschrift- lichem, dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich ge- widmeten Trostheft (1549) übertraf meine Erwartungen. Farr. bietet den reinsten Text dar, der, da er keinerlei Zusätze aufweist, als ursprünglich gelten darf. Wie ist der Sammler von Farr. in den Besitz dieses reinen Textes ge- kommen? Man darf annehmen, daß alle Kunde von den Koburger Trostsprüchen auf Luthers damaligen Famulus, den Nürnberger Veit Dietrich, zurückgeht.. Man wird um so mehr auf diese Spur gewiesen, als das nächste Stück in unserer Handschrift fol. 264b —267, Luthers gewaltige Trost- rede an den schwer angefochtenen M. Johannes Bernhardi Feldkirch (vom 1. Febr. 1534 Tischreden UI, S. 503—508 Nr. 3669 —) ebenfalls durch Veit Dietrich zur Kenntnis der Tischreden-Sammler gekommen ist (vgl meinen Nachweis in der Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung 1917, Nr. 21, Sp. 485—487) Die Frage taucht auf, welche Beziehung zwischen dem rätsel- haften M. B. und Veit Dietrich bestanden hat.

| Il.

Wir miissen eine Beschreibung der Handschrift voraus- schicken, bevor wir auf den Inhalt näher eingehen. Die Angaben in den „Beiträgen zur älteren Litteratur oder Merk- würdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha, herausgegeben von Fr. Jacobs und F. A. Ukert, dritter Band, Leipzig 1838“, S. 304 und 305 genügen nicht. Der starke Folioband ist fest in zwei mit Schweinsleder überzogene Holztafeln gebunden, mit reich verzierten Rändern. Die größere Hälfte der vorderen Decke nimmt eiue Tafel ein, deren obere Leiste die Buchstaben M. B. enthält, während die untere Leiste die Jahreszahl 1551 trägt. In die Innen- seite der Deckel sind zwei Bildnisse eingeklebt, vorn ein

5 5

Bild Luthers mit dem Malerzeichen A. S. Sin A geschlungen, hinten ein Bild des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, „anno captivitatis quarto, Anno Christi 1551“. Unter dem Bilde stehen 4 Disticha Paul Ebers, die unter anderem be- sagen, daß „Lucae (d.h.des Lukas Cranach) docta manus“ diese Züge abgebildet hat, Der Band enthält jetzt 474, von alter Hand gezählte Blätter, denen 8 ungezählte Blätter voraus- gehen. Das erste Blatt enthält oben einen Katalog-Vermerk „Catal. MSS. p 111“ und dann in roter Farbe von der Hand des Schreibers die fünf Zeilen:

FARRAGO LRARVM AD AMICOS ET COL: || loqui- orum in mensa R. P. Domini Martini Lutheri || Sacrae Theo- logiae Doctoris ete. | PESTIS ERAM VIVYS, MORIENS ERO MORS TVA | PAPA | Dann folgen, von gleicher Hand mit schwarzer Tinte geschrieben, drei Zeilen: DE OBITV EIVSDEM DISTICHON || Magniloquus subiit coelestia tecta Lutherus | Anno quo paulus papa rebellis obit. | uber

spätere Eintragungen von zwei andern Händen vgl. Jacobs- Ukert S. 304 Anm.

Die Rückseite des ersten Blattes ist leer. Auf dem zweiten Blatt steht ein INDEX LOCORVM (rote Überschrift). Es handelt sich um 93 Rubriken, die in 3 Spalten geschrieben sind; die dritte Spalte (Nr. 63—93) befindet sich auf der Rückseite. Die Zahlen (sowohl die Ordnungszahl, wie die Angabe der Blattzahl) sind mit roter Farbe, der Inhalt mit sehwarzer Tinte geschrieben, also: 2 De Deo et operibus eius folio 7, 2. De maiestate Dei inscrutabili fo: 2, 3 De Christo fo: 4, 4 De communicatione idiomatum fo: 6 usw. Am umfangreichsten sind folgende 3 Abteilungen: 22 Expositio aliquot locorum scripturae fo: 28 (bis fol. 55); der vorgesehene Raum reichte aber nicht aus, so daß noch 3 ungezählte Blätter eingeklebt sind; die Rückseite von fol. 55 quater ist leer. Daneben erscheint noch als besondere Abteilung: 23 In epistolam ad Titum scholia fo: 56 (—60). Diese Scholien sind unverwertet und ungedruckt. Sie hängen zusammen mit der Vorlesung über den Titusbrief im Nov. und Dez. 1527, die unter dem Titel: Annotationes Lutheri in epistolam Pauli ad Titum nach einer Nachschrift Rörers im 25. Bande der W. A. S. 6—69 (1902) veröffentlicht ist, sind aber von ihr zu unterscheiden. Die Bezeichnung der zweiten umfangreichen

6 3 6

Abteilung lautet: 60 Consolationes pro tentatis, infirmis, et quibus defuncti amici fo: 247 (bis 288); am Schluß von fol. 288b stehen die Worte: plura fo: 480. Da die Hand- schrift jetzt nur 474 Blätter zählt, ergibt sich aus dieser Bemerkung, daß mindestens 6 oder 8 Blätter am Schluß verloren gegangen sind; denn am Schluß der Abteilung 75: De militibus et rusticis heißt es (fol. 376b): plura infra fo: 482. In der 60. Abteilung befinden sich Luthers Koburger Trost- sprüche, fol. 262b— 264b, und die im Jahre 1547 erschienenen Loci consolatorii philosophici und theologici Melanchthons, fol. 279—281. Im Corp. Ref. VI 483—488 sind diese Loci abgedruckt, und Varianten unserer Handschrift sind angegeben. Die eigentiimliche Fassung des 9. theologischen Trostgrandes Interea etiam gratias (nicht: gratiam) agamus usw. ist von Bretschneider vermerkt; hinzuzufügen ist die Mitteilung, daß die Fassung mit der deutschen Übersetzung der Loei über- einstimmt, die Veit Dietrich noch im Jahre 1547 veröffent- licht hat, Eine dritte, sehr umfassende Abteilung ist den Ehefragen gewidmet: 68 De matrimonio fo: 305(—320b) und 69 De easibus matrimonii fo: 321(—344); für diese Abteilung war noch mehr Raum vorgesehen: Bl. 344b und die gezählten Blätter 345, 346, 347, 349, 350, 351 und ein ungezähltes Blatt sind leer; die Zahl 348 ist bei der Zählung versehent- lich übergangen.

Das dritte Blatt der Handschrift bringt unter der Über- schrift Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri ein lateinisches und ein deutsches Akrostichon auf die Namen Martinus Lutheras. Am Schlusse des deutschen Akrostichons (Martinus heist ein streitbar man, Am Bapst man solchs wol sehen kan usw.) steht auf Blatt 3b Z. 5 als Unterschrift: Erasmus Alberus Lutheri theodidactus'). Dann folgen sechs deutsche Reimpaare „Von S. Cristoff“, die wohl auch dem Alberus angehören:

1) Alber rechnete es für seine „höchste Ehre, wenn er als D. Martini Schüler von Gott gelehrt verachtet wird“. (Widder die Carlst., Bl. s 4; Aj? vgl. Emil Körner, Erasmus Alber 1910, S. 13). Erasmus hatte für ihn die Bezeichnung gebraucht: e schola Lutheri Feodiðaxtos; Alber verwandelte das hóhnende Wort in eineu Ehrentitel (ebenda S. 22.)

„Von S. Cristoff ist kein geschicht,

Sondern ein fein christlich gedicht.

Das Bilt bedeut ein Christen Mann,

Der sich uf Gott verlaßen kan.

Durchs mehr(— Meer) soltu vorstan

Dadurch mus man in himmel gahn’).

Der Baum in seiner rechten hand, das ist

Das liebe Wort von Jehsu Christ,

Daran der Christen glaub sich helt

Vnd vberwindet damit die welt. 1 Joh. 5.

Des helff vns Gott durch seinen Sohn,

‚Dis sey die Summa kurtz darvon.“

Das sind in Verse gebrachte Gedanken Luthers?), die er in einer Predigt am Christophstag (25. Juli) 1529 vorgetragen hat. Aurifaber hat einen Predigtauszug in seine Tischreden- Sammlung aufgenommen (Förstemann-Bindseil 4, 314 [53, 6]; W. A. VI, Nr. 6990); eine handschriftliche Vorlage dieses Auszugs ist nicht nachzuweisen,

Die folgenden fünf Blätter der Handschrift waren ur- sprünglich leer gelassen und sind dann hernach, als der Band schon gebunden war, mit Nachträgen A—G zu ver- schiedenen Loci (A: Deus alit per media. Vide de illo loco fo: 1; B: De Christo fo: 4 usw.) ausgefüllt worden. Wir sehen in die Entstehungsgeschichte des Bandes hinein. Es sind zwei Personen zu unterscheiden: der Sammler und der Schreiber, und zwei Zeiten der Niederschrift die erste Zeit für die große Masse der ursprünglichen Stücke vor dem Einbinden des Bandes und eine spätere Zeit für die Er- günzungsstüeke, die in den schon gebundenen Band eingetragen wurden. Auch die Verschiedenheit der Tinte und des Ductus der gleichen Sehreiberhand sprieht für die Unterscheidung zweier Zeiten. Die Schrift ist gut leserlich; nur einzelne

1) „Von S. Christoffeln, der mit dem kind Christo durchs vn- gestümme Meer geht, bedeut, das ein Christen durch viel trübsal in Gottes Reich kumpt, Act, 14^ in der Vorrede zu den Fabeln des Erasmus Alberus (nach der Ausgabe von 1550) in den „Neudrucken deutscher Litteraturwerke des 16. und 17, Jahrh.“ Nr. 101—107, heraus- - gegeben von W. Braune. 1892, S. 3.

*) Vgl die Predigt vom 25. Juli 1529 in der W. A, 29, S. 497—506.

i

8 8 Buchstaben (z. B.r und e) ähneln einander sehr. In der Tischrede Nr. 5394 (V, S. 124) Farr. f. 360 ist ein Satz verschieden gelesen worden: „Darumb lasse man einen jungen gesellen eheliche Freude haben; kompt er zum regiment, so wirt jn der kutzel wol vorgehen.“ So las Kroker in Übereinstimmung mit Aurifaber. In der Handschrift steht aber: „ehrliche Freude“. Der Schreiber hat sich bei seiner Arbeit manchmal wenig gedacht; er läßt fol. 173b einen Brief Luthers an Nikolaus Hausmann (Enders III 320, Nr. 501) mit den Worten beginnen: „Hie vir nunctius tuus nullicolas quaestiones tuo nomine mihi proposuit“; statt nullicolas muß es heißen: mi Nicolaé (so im Original des Briefes). Noch auf dem letzten Blatt f. 474b ändert er den Ausdruck Saulina poenitentia, quae non diu durat in „paulina sententia" (vergl. Nr. 5519—V, S. 211). Dagegen war der Sammler ein gelehrter Mann, der in den Erinnerungen der Lutherzeit lebte, und der den reichen Vorrat von Briefen und Tisch- reden Luthers, den er gesammelt hatte, zu bequemer Be- nutzung in 93 Abteilungen gebracht hatte. Aus der Bevor- zugung der von der heiligen Schrift, vom Trost bei An- fechtungen und von der Behandlung schwieriger Ehefälle handelnden Abschnitte darf man wohl einen Schluß auf den Beruf des Sammlers ziehen; er wird im geistlichen Amte gestanden haben. Als der Band eingebunden wurde, blieb bei vielen Abteilungen ein größerer oder kleinerer Raum (einmal von 7 Blättern) für Ergänzungsstücke frei. Aber häufig reichte, als diese Stücke nachgetragen wurden, der freigelassene Raum nicht aus. Nun wurden zunächst die 5 vorderen Blätter, dann der ganze Schluß des Bandes von fol. 457 an (Überschrift: De fide et ineredulitate et spe, de eodem supra fo: 18 usw.) mit Ergänzungsstücken gefüllt. An fünf Stellen sind in den gebundenen Band ungezählte Ergänzungsblätter eingeschaltet worden: nach Bl. 55 (Nr 22 Expositio aliquot locorum scripturae) 3 Blätter, nach Blatt 360 (Nr. 71 De magistratibus) 2 Blätter und ebenso viele nach Bl. 383 (Nr. 76 De bello), nach Bl. 412 (Nr. 83 De linguis) und naeh Bl. 423 (Nr. 85 Artes liberales. Die Zählung der Blätter hatte natürlich nur den beim Binden des Buches vorhandenen Bestand berücksichtigen können. Kennzeichnend

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für das Interesse des Sammlers ist der Umstand, dab sämt- liche Ergänzungsstücke sich innerhalb der Lutherzeit halten und auf die Ereignisse der Jahre 1546—1551 nicht ein- gehen. Auch bei den ursprünglichen Stücken der ersten Niederschrift war der Raum der Lutherzeit nur ein paarmal überschritten worden. Das war der Fall bei der Aufnahme der Loci consolatorii Melanchthons aus dem Jahre 1547 fol. 279—281, zweier Briefe Melanchthons an Johannes Mathesius: fol 337b 338 die brumae (1547), vgl. Corp. Ref. VI 745, Nr. 4089 und fol.443 b vom 24. August 1547 = Corp. Ref. VI 643, Nr. 3982, ferner einer Entscheidung Bugenhagens „sampt anderu vorordenten“ in einer Ehesache fol. 338—339 vom 23. April 1547 (vgl den Auszug bei Lie. O. Vogt, Bugenhagens Briefwechsel 1888, S. 393, Nr. 194) und end- lich eines Briefes Melanehthons an Andreas Huetel(= Hugel), pastor Brandenburgensis fol. 239 vom 12. Januar 1548, vgl. Corp. Ref. VI 779, Nr. 4122. Ein späterer Termin kommt in der ganzen Handschrift nicht vor. Ganz anders spielt das Gegenwartsinteresse herein in die in mancher Beziehung vergleichbare große Sammlung des Naumburger Ratsherrn Valentin Bavarus oder Bayer, deren zweiter Band am 14. Januar 1549 begonnen wurde (Goth. B. 15 und 16: Rhapsodiae et dieta quaedam ex ore Doctoris Martini Lutheri in familiaribus colloquiis annotata etc.; vgl. Tischreden I, S. XVII und XXXIX); namentlieh im zweiten Baud tritt in einer Reihe von Stücken die ungeheure Aufregung der Interimszeit deutlich zutage (vgl. Jacobs - Ukert a. a. O. S. 300—304). In Farr. herrscht der Friede der Erinnerung | an Luther. IM.

Unter den fremden Benutzern der Handschrift Farr., die wir nachweisen können, nimmt die erste Stelle Johannes Aurifaber ein, der zur Herstellung seines im Juli 1566 zu Eisleben erschienenen Tischredenbandes starke Anleihen bei unserer Handschrift gemacht hat. Mit dieser überaus wichtigen Feststellung rückt die Handschrift für die Tischredenforschung in den Rang der Quellenschriften ein. Der Beweis läßt sich . bei genauer Vergleichung des Aurifaberbandes (in der vier- bändigen Ausgabe von Förstemann-Bindseil, 1844—1848=FB.)

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mit Farr. so deutlich führen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen bleibt. Wertvollste Hilfe bei der Vergleichung leistet der 20. Abschnitt der Krokerschen Ausgabe: Tischreden aus Johannes Aurifabers Sammlung FB. (= VI, S. 1—369).

Kroker vereinigt in dieser Abteilung alle die von Aurifaber dargebotenen Tischreden, für welche eine handschriftliche Yorlage bisher nicht nachgewiesen werden konnte; ihre Zahl ist noch beträchtlich genug (Nr. 6508—7075 = 568 Stücke.) Davon sind abzuziehen die zahlreichen Reden, die Aurifaber selbst als Famulus und Begleiter Luthers während seines letzten Aufenthaltes in Eisleben aufgezeichnet hat; schon Nr. 6508 gehört, wie Kroker anmerkt, in diese Klasse; ferner Nr. 6516, 6526, 6527 usw. Bei einer anderen Reihe von Reden konnte jetzt erst festgestellt werden, daß die Quellen- belege schon an früherer Stelle begegnen. Das gilt z. B. von Nr. 6529. „Es ist Nr. 1265 in.“, bemerkt Kroker, d. h, eine der Nachschriften Schlaginhaufens; die Feststellung war dadurch erschwert, daß Aurifaber mit Weglassung der ersten Sätze nur ein Stück der Rede wiedergibt. Eine dritte Reihe bilden die Entlehnungen aus Farr., zu denen wir uns nun wenden,

Im Tischredenband VI, S. 345 lesen wir: FB. 4, 538 (66,57) = Nr. 2831 + X. Die aus der Sammlung des Konrad Cordatus entnommene Tischrede Nr. 2831 (III, S. 10) lautet: Studium iuris est sordidum et quaestuosum, ae ultimus finis eius est pecunia; neque enim propter delectationem aut cognitionem rerum in iure student. Lauterbachs Sammlung (Bindseil 1, 290) bietet als Verbindung zwischen Nr. 3690 und Nr. 2809 nur die Worte: Nam Juris ‚studium est sordidum, tantum captat quaestum. Aurifaber aber gibt folgenden umfassenden Text (FB. 4, 538 66, 57): Um Genusses willen studiret man gemeiniglich Jura. Doct. M.L. sagte: „Studium Juris, im Rechten studiru, wäre ein sordidum, unfläthig und garstig Ding, da man nur GenieB, Geld und Gut mit suchte, daß man reich würde.“ Da spraeh Peter Weller, der bey ihm im Hause war und zu Tisch ging: ,,Er hatte den Sinn nicht, und thate es nicht.““ Da rief D. M. L. überlaut, und sprach zu seinem Famulo: „Wolf, gehe und laß die große Glocke lauten, und bring Wasser her, dab man ihn kühle.^ Da er aber drauf bestand, und es theur verjahete; fragte ihn der Doctor: „Ob er allein von wegen des Erkenntniß der Händel, und daß er móge wissen, was Recht ist, oder Lust halben in Jure

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studirte? So wäre er unsinnig; sondern die endliche Ursach darum ihr zu Juristen werdet und Jura studiret, ist das Geld, daß ihr reich werdet.“

Kroker bemerkt in einer Anmerkung (S. 10 A. 13): Aurifaber hat den ursprünglichen Text vollständiger, aber auf wen geht seine Vorlage zurück? Die Handschrift Farr. gibt die Antwort; sie enthält in ihrem 71. Abschnitt: De magistratibus auf fol. 357b das gesuchte Stück X und die Vorlage für Aurifaber:

Luth: dixit (rot) studium luris esse sordidum et questuosum Tune P[etrus Wjeller dixit hune animum non habere, Exclamavit Luth: Wolff, gehe, las die groBe glocke leuten vnd bring wafer hehr, das man jn kule. Is vero eum perseveraret. affirmando, quaesivit Luth: , an propter rerum cognitionem et delectationem in iure studuerit, tune esset plane insensatus, sed ultimum finem iurium esse peeuniam.

Daß Aurifabers Übersetzung eine Bearbeitung dieser Vorlage ist, steht außer Frage. Aber es wäre immerhin noch denkbar, daß er sie nicht aus Farr. geschöpft hat, sondern daß er sowohl wie Farr. von einer uns unbekannten, verloren gegangenen Sammlung abhängen. Wir müssen daher unsre Untersuchung erweitern und auf die Frage ein- stellen, ob nicht Aurifaber sich abhängig von der Sach- ordnung der Handschrift Farr. zeigt und zusammenhängende Reihen von Tischreden übernommen hat. Erst dann wirkt die Beweisführung zwingend.

Der 34. Abschnitt Aurifabers „Tischreden Luthers von Ceremonien" (FB. 3, 329—332, sechs Stücke) lockt zur Vergleichung mit dem 48. Abschnitt von Farr.: De Ceremoniis fol. 169—170 (neun Stücke) Aurifaber folgt (mit Weg- lassungen) genau dem Gang unsrer Handsehrift; der deut- lichste Beweis liegt in der Aufnahme zweier Lutherbriefe, die ja gar nieht zu „Tischreden“ gehören. Doch sehen wir näher zu.

Das 1. Stüek (Ceremoniae ... sunt ex se licitae ac liberae W. A. I, Nr. 800) übergeht Aurifaber, weil er es schon in dem Abschnitt „von guten Werken“ FB.2, 226 (14, 46) gebracht hatte.

Das 2. Stück lautet: Paterfamilias dicit familiae suae : Estote studiosi voluntatis meae, sunst esset, trineket, kleidet euch, ut vultis. Sie Deus non eurat, quomodo edamus et

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vestiamur. Das Stück ist uns auch, wie Kroker VI, S. 241 angibt, in Veit Dietrichs Nachschriften erhalten (W. A. I, Nr. 59). Aber Aurifabers Übersetzung (Nr. 1) folgt nieht dem Texte Dietrichs, sondern unsrer Handschrift. (Beweis: Weglassen von Quemadmodum an der Spitze; ,kleidet euch, wie ihr wollt“ gegen Dietrichs „wie ihrs habt“; „was wir essen uud wie wir uns kleiden* gegen Dietrich: quomodo vestiamus auf edamus). Aus freien Stücken fügt dann Auri- faber hinzu. „Er (Gott) läßt uns alles frey, Ceremomien und was Mittelding, Adiaphora, sind, allein daß man nicht daran schmiere, als wären sie noth oder nütz zur Seligkeit.“

Das 3. Stück ist der kurze Satz: Oseulum manuum optima eeremonia, deponit suspitionem veneni. Der Satz findet sich in Johannes Schlaginhaufens Nachschriften vom 30. August 1532 (W. A. II, Nr. 1785); er wird von Auri- faber übergangen. |

. Von nun an bleibt die Reihenfolge der Texte die gleiche.

Der Handschrift viertes Stück: Licetne vesci carnibus feria sexta? ist Aurifabers zweites Stück: Ob man auch Fleisch am Freytage und andern verbotenen Zeiten essen möge. In VI, S. 341 wird das Stück als Nr. 6866 gezählt, ohne daß eine handschriftliche Vorlage angegeben wire; Farrago bietet sie dar. Der Text lautet:

Licetne vesci carnibus feria sexta? Licet et probo (rot). Quia Christus inquit: quod intrat os, non coinquinat (Matth. 15, 11). Item: omnia munda mundis (Tit.1, 15). Contra (rot): Potestas ecelesiastica prohibuit esum carnium feria sexta. Ergo haec traditio est observanda. R(espondit): Humana traditio servanda est in ecclesia propter | finem politicum et non est assuenda opinio iustificationis,

Aurifaber gibt eine genane Ubersetzung, die nur am Schluß in eine erweiternde Umschreibung ausläuft. Aber in der Handschrift ist ein Votum Melanchthons hinzugefügt, das Aurifaber natürlich übergeht. Es lautet: R(espondit) Phil. Mel. (cot): Libertas constituta est in evangelio, nulla humana autoritate potest mutari. Evangelium docet nos, non esse pro necessariis rebus habendas traditiones extra casum scandali. Ergo autoritas episcoporum non potest efficere, ut hae traditiones sint necessariae.

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Es folgt als fünftes, bei Aurifaber als drittes Stück das Bruchstück eines lateinischen Briefes Luthers an Nikolaus Hausmann vom 17. November 1524 (= Enders, Briefwechsel Luthers, V 52f. Z. 21—37). Aurifaber gibt der Übersetzung, die genau den in Farrago mitgeteilten Abschnitt umfaßt, die Überschrift: „An M. Nicolaum Hausmann Bericht und Bedenken D. M. Luthers von Ceremonien.^ Am Schluß läßt er die Worte weg: „post Martini 1524.“

Auch das niichste, sechste, bei Aurifaber vierte Stück ist ein Brief Luthers ,an die Kirchendiener zu Nordhausen“ = Ad verbi ministros Northusiae; vgl. Enders XV 298f. (1543 ?). Text und Übersetzung stimmen im Schlufisatz (gegen die Rezension bei Enders) überein. ,,Derselbige unser Herr Christus erhalte und vollführe das Werk, wie ers in Euch angefangen hat, bis an jenen Tag unser Hoffnung und Er- lósung! Amen.“ Qui sieut coepit in vobis opus suum, ita servet et perfieiat usque in illum diem spei nostrae Christus. Amen. Im Enders'sehen Text fehlt Christus.

In VI, S. 241 und 242 sind die beiden Lutherbriefe als Nr. 6867 und 6868 aufgeführt ohne Angabe einer hand- schriftlichen Vorlage. Dagegen steht bei den folgenden Nummern die Angabe FB. 3, 331 (34, 5) = X + Nr. 882 + 430 d.h. die Nummer ist aus drei Stücken zusammen- gesetzt, von denen das erste keine bekannte Vorlage in den ,Urschriften* hat, während das zweite (Nr. 882) in V. Dietrichs und Medlers Sammlung, das dritte (Nr. 430) in V. Dietrichs Naehsehriften steht. Aber die drei Stücke folgen in Farrago unmittelbar hintereinander als Nr. 7, 8 und 9; damit ist die bisher vermißte Vorlage für den Umfang des (fünften) Aurifaber-Stückes gefunden, das die drei kleinen Texte ver- einigt. Die Vorlage lautet:

(f.169b) „Festum (rot) Ioannis sol man bleiben lassen, est enim initium novi testa: (menti) Denn es heist: lex et prophetae usque ad Ioannem (Matth. 11, 13). So sol mans auch halten propter illa cantica, welche wir noch haben in papatu gele-(f.170) sen, aber nicht vorstanden. Tune (rot) quidam: Canticum Zachariae, ist fein. Dioctor): Ja, er ist fein, denn die praefation zeigt es wol an, die Lucas macht, da er spricht: repletus spiritu sancto (Luk. 1, 67).“

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Damit verbindet nun Aurifaber das in der Handschrift getrennt stehende achte Stück „Nos pastores debemus vigi- lare, das also ceremonien gemacht und gehalten werden, das das volek nicht so gar wilde, noch zu gar heiligk werde“. Das Stück findet sich zuerst in V. Dietrichs und Medlers Sammlung (Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre) Nr. 882 (Bd. I, S. 440).

Die Handschrift fährt mit neuem Absatz fort: „Wer ein ceremonien anrichten wil, sie sey so geringe, als sie wolle, der muß das schwerdt zu beiden henden fassen“ usw. Die Worte hat Luther nach V. Dietrichs Nachschriften Nr, 430 (I, S. 185) Weihnachten 1532 gesprochen. Daß aber nicht Veit Dietrichs Text, sondern unsre Handschrift die Vorlage für Aurifaber war, beweisen die Varianten, Dietrich hat, „anfechten“ (wohl richtiger als „anrichten“) und „zu beyden seytten“ ; Aurifaber aber folgt dem Text unserer Handschrift Das zeigt sich noch am Schlußsatz des Abschnitts: „Es ist unmüglich, dab ein Gläubiger so viel Bücher könnte schreiben als Erasmus, und nicht ein einigen Vers und Zeilichen von Christo mit untersprengen und mischen“ Impossibile est. qaod credens homo tot libros possit scribere ut Erasmus et ne unum versum inserere de Christo. Dietrich dagegen schreibt, „nit ein zeyl de Christo setzen“.

Mit diesem neunten Stück schließt in der Handschrift der ganze Abschnitt. Die Hälfte von fol. 170, dann die Rückseite und fol. 171 sind leer. Aurifaber hat den Abschnitt in der Urausgabe auch hier geschlossen; erst in der Frank- furter Folioausgabe mit der Vorrede vom 1. Juli 1568 ist ein weiteres, in der Urausgabe 1566 im Anhang (Bl. 622) nachgetragenes Stück hierher gesetzt worden (ebenso in dem Abdruck der Frankfurter Ausgabe bei Walch 22, 1511 nnd FB.3, 332): Omnis spiritus laudat Dominum, ergo omni lin- gua et sermone est laudandus (Ps. 150, 6’. Die Vorlage des Stücks ist in der Sammlung von Konrad Cordatus nachgewiesen = Nr.2388 b (II, S. 443). Es ist die Rede von dem Gebot des Kaisers, in allen Ländern die Messe nur in lateinischer Sprache zu celebrieren. EinParalleltext mit eigentümlichen Wendungen (z. B. dem Zusatz: et in Britannia etiam rustici coguntur ' latine orare) findet sich in Dietrichs uud Medlers Sammlung

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Nr. 969 (I, S. 491), und eben diesen Text bietet auch Farrago in dem Abschnitt De linguis (immer ist liguis geschrieben) fol. 412 bis. '

Was den Text der besprochenen Stücke betrifft, so ist der Zusammenklang unsrer Handschrift mit den Varianten Rórers hervorzuheben. Das gilt mit Bezug auf die Tisch- reden I, Nr. 59 und 430 betreffs des Rórerbandes Ror. Bos. q. 24e, in bezug auf I, Nr, 882 und 969 betreffs des Bandes Ror. Bos. q. 24f.

Ein noch viel umfangreicherer Beleg für die Abhäng- igkeit Aurifabers von Farr. kann dem in unsrer Handschriit ja mit besonderer Liebe ausgebauten 69, Abschnitt: De casibus matrimonii entnommen werden. Aurifaber hat in seinem 43. Kapitel , Tischreden Luthers vom Ehestand* nieht weniger als 184 Stücke gesammelt; eine ziemliche Anzahl davon entstammt unsrer Handschrift fol. 334—344, wie die Texte und besonders die Aufeinanderfolge der Stücke beweisen. Es folgt auf Nr. 108 (FB.4, 101) ,Ob der Aussatz die Ehe scheide“ Nr. 109 Luthers Bedenken, da einer eine Magd geschwängert ; beides steht auf fol. 334. Uber den Ehefall eines gewissen Ezold, der eine Witwe heiratete, die uxor avunculi gewesen war, findet sich in der Handschrift eine Reihe von Gutachten von Brenz, Amsdorf, Melanchthon, Luther und Jonas (vgl. Zeitschr. für Kirchengeschichte VI 1884 S. 425 Nr. 5). Aurifaber übernimmt in Nr. 110 natürlich nur das Urteil Luthers in einem Brief an Spalatin (vgl. Enders VIL 232, Nr. 1602). Mit welcher Flüchtigkeit er mitunter arbeitete, zeigt der Schluß des Briefes, dessen Datum 4 eal: Mart: 1530 (= 26. Februar) er in „den dritten Martii 1530“ verwandelt. Die nächste Nr. 111, das Urteil des Wittenberger Consistoriums in einem Ehefall, ist von Auri- faber anderer Quelle entnommen. Aber die sieben Stücke Nr. 112—118, die bei Aurifaber die Überschriften tragen: Nr. 112: Von heimlichen Verlöbnissen und von der Eltern Gewalt, Nr. 113: Von Graden in Ehesachen, Nr. 114: Von Vormünden-Gewalt in der Ehestiftung, Nr. 115: Frage (betr. der Trauung heimlich Verlobter), Nr. 116: Vom Weglaufen, Nr, 117: Von einem seltsamen Fall (za Frankfurt an der Oder) und Luthers Bedenken drauf, Nr. 118: Des Papstes

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Entschuldigung, warum er den Ehestand verbiete, finden sich in gleicher Aufeinanderfolge auf Blatt 342—344; dazu kommt noch Bl, 341 für die zweite Hälfte von Nr. 118 in Betracht. Nur übergeht Aurifaber wiederholt kleinere Stücke, wie er an Stücken auf Bl. 340 vorübergegangen war, die er aus anderer Vorlage schon früher gebracht hatte (Causae divortii = IV, Nr. 4499, in FB. Nr. 93; zwei Casus = IV, Nr. 4068, in FB. Nr. 82 (Schluß) und 83 usw.)

Vergleicht man hierzu in der W. A. den 6. Band der Tischreden S, 267—269, so ist für Nr. 6915, 6916 und 6917, die Aurifabers Stücken 108, 109, 110 entsprechen, nunmehr die vermißte Vorlage nachgewiesen. Und wenn auf S. 269 zu Nr. 115, das aus zwei Stücken besteht, bemerkt ist, es entspreche dieser Tischrede Nr. 5566 (aus Heydenreichs Nachschriften) + X, so ist die unbekannte Größe nun gefunden; denn die Worte auf fol 343b: Haec dicebat interrogatus, an pastor posset bona conscientia duos copulare, qui contra parentum voluntatem contraxissent matrimonium ef iuris- periti (= tamen) confirmassent usw., bildeten die Vorlage für Aurifabers Übersetzung. Zugleich wird die Lesart der Ur- ausgabe ,D as sagte er“ gegen die Anderung ,D a sagte er“ bestätigt. Bemerkenswert und für die spätere Unter- suchung von grofer Bedeutung ist der Umstand, dab nicht nur das Äquivalent für die Hälfte von Nr. 115, sondern die von Kroker angenommenen Áquivalente für die Nr. 112 —117 überhaupt sämtlich in Kaspar Heydenreichs Nachschriften aus den Jahren 1542 und 1543 sich finden (Nr. 5541, 5542, 5561, 5566, 5569, 5578; vgl. VI, S. 269).

Mit „des Papstes Entschuldigung, warum er den Ehe- stand verbiete“ (Nr, 118, 1. Hälfte) war Aurifaber in fol. 344 an den Schluß des Farr.-Abschnittes gelangt; fol. 344b und noch sechs Blatter sind leer. Die Handsehrift gefiel ihm aber so gut, daß er nun rückwärts blütterte und in den Nr. 119—124 eine Reihe von Lutherbriefen über Ehefragen der an solchen ja so reichen Vorlage entnahm. So ist Nr. 119, ,Luthers Bedenken vom Scheiden ums Weglaufens willen an einen Kirchendiener zu N.“, der auf fol. 326 stehende, ins Deutsche übersetzte Brief an den minister eeclesiae Simon Wolferinus in Eisleben (vom 19. September

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1544; vgl. Enders XVI, 85). Nochmals wird rückwärts geblättert, und es folgen zwei übersetzte Briefe an Nikolaus Hausmann, der eine f, 324b— 325 (= Nr. 120) vom 26. Oktober 1530 (Enders VIII, 293f), der andere f. 325—325 b (= Nr. 121) vom 10. Mai 1531 (Enders IX, 9). Im Rückwärtsblättern fortfahrend, bietet Aurifaber aus fol. 321—321b als Nr. 122 eine Zitation Luthers dar. „Ich, Martinus Luther, der heiligen Schrift Doktor, zu Wittenberg Prediger, füge Dir B. H. zu N. zu. wissen, daß die tugendsame Frau A. verlassene Witwe N. zu N., bei mir gewest und klagende angezeigt“ usw. In der Handschrift sind natürlich die unterdrückten Namen ausgeschrieben; es handelt sich um die Zitation des Brosius Heinrich in Dittersdorfvom 29. April 1531 (EndersIX, 4). Mit dieser Zitation verbindet Aurifaber aus anderer Quelle „eine andere Zitation“ Nr. 123 (vom 22. Juni 1538 an Hans Schwalb; Enders Xl, 375) Aber noch einmal kehrt er dann zu Farr. zurück. Dem Abschnitt de matrimonio ent- nimmt er aus fol, 314b—315 als Nr. 124 Luthers „Bedenken von gemeiner Weiber Häuser an D. Hieroymum Weller“. Der Brief vom 3. September 1540 (Enders XIII, 174) schließt mit den Worten: „Summa: contra Deum nihil possumus nec faeere nec permittere nec tollerare. Fiat iustitia et pereat mundus,“ Aurifaber übersetzt dies geflügelte Wort: „Man lasse gehen, was recht ist, sollte gleich die Welt darüber zu scheitern gehen.“

Im 6. Band der Tisehreden der W. A. entsprechen den Nummern 119—124 die Nummern 6919— 6924, Die Luther- briefe sind natürlich richtig nachgewiesen; aber die Auswahl gerade dieser Briefe und ihre Aufnahme in Aurifabers Tischreden-Sammlung ist erst jetzt erklärt. Aurifaber ging beharrlich in den Spuren der Handschrift Farr. Das zeigt sich auch noch bei Nr. 6926 (Nr. 131 bei Aurifaber; FB. 4, 115). Aurifaber leitet den Fall mit den Worten ein: „Da D. M. L. gefragt ward von etlichen Predigern um einen Fall im Ehestande, sprach er usw.“ Dazu wird. VI, S. 274 mit Recht bemerkt: „Trotz dieser Worte haben wir keine Tischrede, sondern einen Brief oder ein Gutachten vor uns.“ Die lateinische Vorlage steht Farr. fol. 316b. Es ist. ein Brief der Theologi Wittebergenses vom 11. Febr. 1542

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ad ministros ecelesiae Nordthausianae in bezug auf den Ehefall des Jakob Lewer oder Liwer. Der Brief stammt übrigens aus der Feder Melanchthons (= Corp. Ref. IV 776, Nr. 2447); er ist das Begleitschreiben zu einem ausführ- licheren Gutachten (Enders XIV 178, Nr. 3101), das, weil auch für den Rat in Nordhausen bestimmt, deutsch abgefaßt ist. Auch dieses wird von Farr. mitgeteilt, aber nicht schon fol. 316b, sondern erst fol. 339b—340. Dem Schluß des Gutachtens sind die Worte beigefügt: Wite: ex manu Phil. Mel,

Wir haben in die Arbeitsweise Aurifabers einige Ein- blicke getan. Was wir wahrnehmen, veranlaßt uns, nament- lich die Einführungsformeln der einzelnen Tischreden mit allem Bedacht zu prüfen. Es sei noch ein Beispiel angeführt. Luther hat, um die schlimmen Früchte des erzwungenen Coelibats zu kennzeichnen, öfters auf eine dem Bischof Ulrich von Augsburg zugeschriebene Epistel de continentia clericorum hingewiesen und sogar eine Wittenberger Aus- gabe aus dem Jahre 1520 mit einer Vorrede versehen (vgl. meinen Nachweis in den „Beiträgen zur bayrischen Kirchengeschichte“ von Kolde, VI. Band, 1900, S, 121—126). Auf diese Epistel nimmt das 182. Stück der Tischreden vom Ehestand Bezug (FB. 4, 151; W. A. Nr. 6941). Aurifaber führt es mit den Worten ein: „Doktor M. L. sagte einmal in einer Predigt, dab ers gelesen hätte, daß S. Ulrich schrieb und klagte usw.^ Was er aber aus der Epistel mitteilt und weiter dureh ein Beispiel ,zu unserer Zeit im österreichischen Nonnenkloster Neuburg“ bekräftigt, ent- stammt mit nichten einer Predigt, sondern ist die Übersetzung eines Stückes des großen Kommentars zur Genesis. Die lateinische Vorlage steht in der Auslegung von Gen. 4,1 (W. A, 42, S. 178, Z. 1—22). Wenn in der W. A., in der Anmerkung zu S. 178 es zweimal heißt: „Aus den Tisch- reden*, so ist diese Quellenangabe irreführend. Wie sollte in den im Jahre 1544 erschienenen ersten Band des Genesis- Kommentars eine erst 1566 veröffentlichte angebliche Tisch- rede gedrungen sein?- Umgekehrt hat vielmehr Aurifaber ein Stück der Vorlesung in eine „Tischrede“ verwandelt und mit dem Exzerpt einen anderen Ausspruch Luthers ver- bunden. Der letzte Absatz von Nr. 182 beginnt: „Und sprach

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D. Luther, als er ein junger Knabe gewesen wäre, da hätte man die Hochzeit und den Ehestand für sündlich und un- ehrlich Wesen gehalten usw.“ Dieser Absatz stammt aus einem anderen Zusammenhang.

IV.

Die Feststellung, daß Aurifaber die Handschrift Farrago als Quellenschrift für seinen Tischredenband benutzt hat, erleichtert die Frage nach der Person des Sammlers. Wir müssen ihn unter den Tischgenossen Luthers suchen; er gehört zu denen, die sich selber am Tisch des Reformators Aufzeichnungen gemacht haben. Woher sollte er sonst sein Sondergut haben?

Es bleibt Aufgabe der Forschung, alle Stücke in Farr. festzustellen, die keine andere Tischreden-Handschrift, auch Rörer nicht, darbietet. Und ferner ist zu untersuchen, mit welchen von diesen Stücken Aurifaber seine Ausgabe be- reichert hat. Es ist merkwürdig, daß das erste Ergänzungs- blatt A der Handschrift mit einem solchen Stücke beginnt. Die allererste Rede, die Farr. mitteilt, ist Sondergut. Sie lautet:

Deus alit per media. Vide de illo loco fo: 1. „Gott kondt vns wol an (= ohne) alle vnsere arbeit vnd an alle mittel ernehren, aber er wil die handt aufithun, das man sehen sol, er sey ein reicher Herr vnd ist doch alles mirabile opus Dei, das wir mussen sagen, wir habens alles von jm, quia videmus quaedam flumina gignere pisces, do man keine hat eingesetzt. Also jn dem bechlein, das durch meinen garten fleust, sein feine hechtlein, schmirlen, vnd wenn man sie jn ein ander wasser setzt, so werden große hechte daraus.“

Aurifaber teilt die Rede als Nr. 80 in dem Abschnitt „von Gottes Werken“ mit (FB. 1, 123 [2,80] = W. A. Nr. 6538) unter Übersetzung der lateinischen Worte und verbindet damit ein Stück der Tisehrede Nr. 1153 (I, S. 570), das er dann bei der Wiedergabe dieser ganzen Rede unter Nr. 103 (FB. 1, 141) wiederholt. |

Aber nicht nur die Sonderstücke verraten den Tisch- genossen Lathers, sondern .auch die originalen Fassungen, die hie und da solche Reden in Farr. haben, die auch in anderen Tischredensammlungen begegnen. Ein hervorragendes Beispiel ist Nr. 5386 (V, S. 120) aus der Mathesischen Sammlung eine Rede, die Kroker Kaspar Heydenreichs

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Nachschriften zuschreibt und in den April 1542 versetzt, Luther schildert, wie sinnlich und fleischlich sich die Türken das Leben nach der Auferstehung vorstellen. „Adieeit Doktor Pommer: So werden sie (die Männer) unter inen (den Weibern) rum gehen wie ein han vnter den hennen!“ Farr. f. 129b bietet aber den Text: Adiecit aliquando D. Pomer, cum hoe idem recitasset: So werden sie usw. .Das ist eine richtigere Fassung; denn, wie Kroker anmerkt, Bugenhagen kehrte erst Ende Mai 1542 aus Dünemark zurück (Enders XIV 168, Anm. 6); das aliquando bei Farr. betont also richtig, daß Bugenhagens drastische Äußerung bei einer anderen Gelegenheit gefallen ist. Diese richtigere Fassung ist aber gewiß ursprünglich; die andere ist dureh Abkürzung des Textes entstanden.

Um eine Textverkürzung handelt es sich auch bei einer anderen der Heydenreich'sehen Nachschriften aus dem Sommer 1542: Cieero et Aristoteles (V, S. 155, Nr. 5440). In Farr, f. 422b lautet die Überschrift: De philosophia, und der ganze Abschnitt hat folgenden eigentümlichen Zusatz, [ 423: „Varro vnd Cicero sein die besten. Varro macht triplices Deos, poeticos, philosophieos et naturales. Cicero vorsteht wol, quod sit tantum unus Deus. Quid autem sit ille Deus, non videt. Ich glaub auch, quod minus in iuditio vapulabunt. Denn das Cieero so hart solt verdampt sein als Caiphas, halt ich nicht.“ Ein Stück dieses Zusatzes findet sich in Nr. 5972 (aus Ro. Bos. o. 1706).

Daß der Sammler von Farr. auch im Jahr 1543 in Wittenberg war, ergibt sich aus der Fassung, in der bei ibm (fol. 327 b) Luthers Erzáhlung von einem skandalósen Erfurter Ehefall begegnet, wie jemand unwissenderweise eine Frau nahm, die zugleich beides, seine Tochter und seine Schwester war. Der Fall wird öfters in den Tischreden erwähnt, Eine Darstellung, die fast wörtlich mit dem Farr.-Text über- einstimmt (III, S. 501, Nr. 3665 A) schließt mit der Bemerkung: Hoe nostro saeculo eontigit Erphurdiae. In Farr. folgt noch der Satz: Lutherus recitavit pro contione 1543. Diese Mit- teilung trifft vollkommen zu. Am 16. Okt. 1543 hat Luther in der Genesis-Vorlesung (W. A. Bd. 44, S. 222 f) bei der Auslegung von Gen. 36, 20—30 den Fall erzählt und seel-

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sorgerliche Bemerkungen angeknüpft; ich habe das aus der Greifswalder Handschrift Mser. theol. Quart 36 nachgewiesen (Theol. Literaturblatt 1918 Nr. 7, Sp. 105—109 und Archiv für Ref.-Gesch. XVII 1920, S. 81—91). Der Sammler von Farr. war wohl Hörer der Genesis-Vorlesung Luthers.

Es liegt die Frage nahe, ob nicht der Sammler, wenn er ein Tischgenosse Luthers war,irgendwiein den Sonderstücken, die er bietet, persönlich mit seinem Ich hervortritt, ähnlich wie Antonius Lauterbach, in dessen Tagebuch vom Jahre 1538 oft Stellen begegnen, wie: Dixit ad me, Mihique indixit et ceteris diaconis, Illo die interrogavi Lutherum (III, S. 530, 17, 572, 12; 583, 21—Nr. 3685, 3729, 3740). Wir nehmen aber wahr, daf in Farr. beim Umsehreiben der einzelnen Stücke in die Fächer der Sachordnung solche Ich-Stellen meist absicht- lich getilgt sind. Das ist z. B. der Fall bei Nr. 5459 (V, S. 165). Da heißt es in Heydenreichs Nachschriften: „Cum interrogarem: ob auch ein obrikeit macht hette, einen prediger zu fragen | de adulteris, wenn er pro contione hart därauf gescholten hett“ und auf Luthers verneinende Antwort noch einmal: Deinde quaerebam. Der Sammler von Farr. war anwesend; denn er hat am Schluß den originalen Zusatz, den Aurifaber (FB. 4, 168 [44, 18]) von ihm übernommen hat: „Darumb lassen wir keine elandestina coniugia zu, quia est unius vox, quae nihil potest probare." Statt dab aber der Fragende genannt wäre, lautet die Einführung in Farr. einfach: „Quaeritur, ob auch ein oberkeit usw.“ und noch einmal: Item quaeritur.

Ebenso lehrreich ist folgendes Beispiel. In Nr. 5504 (V, S. 198— Winter 1542 auf 1543) lesen wir: Cum legeremus in mensa Antonii Margarithae, ludaei baptizati, (er war damals Professor des Hebräischen in Wien, wie Kroker anmerkt) libellum de variis ritibus et ceremoniis Iudeorum, inquit Doctor ete. Aurifaber macht daraus (FB. 3, 392 [37, 83]: „Anno 1542 lase M. Mathesius und die anderen Tisehgesellen usw.“ Aber Mathesius war schon im April 1542 als Diakonus nach Joachimsthal zuriick- gekehrt. In Farr. f. 458 ist der ganze einleitende Satz absichtlich weggelassen.

(Schluß im nächsten Heft).

Georg Weigel. Kin Beitrag zur Reformationsgeschichte

Altpreussens und Lithauens. Von D. Dr. Th. Wotschke.

Dem Thorner Professor Hartknoch verdanken wir eine eingehende Kirchengeschichte Altpreußens. Vor mehr denn 200 Jahren geschrieben, ist sie noch heute, auf das Ganze gesehen, nicht überholt. Gründlich unterrichtet sie auf 1100 Seiten über alle kirchlichen Ereignisse bis zum Jahre 1680- Aber mit keinem Worte erwähnt sie jenen unruhigen Theo- logen, der 1562/63 die kirchlichen Wirren in Königsberg noch mehrte, zum Osianderschen Hader einen Sakraments- streit fügte, dann in Wilna und Lithauen überhaupt ver- bängnisvoll wirkte und schließlich fast in die römische Kirche zurücktrat, Georg Weigel aus Nürnberg. Auch andere Kirchen- geschichten wissen nichts von ihm. Nur Löscher „Historia motuum“ kennt seinen Namen, bringt seine kurze Confession und einen Streitbrief seiner Feder wider Epplin, aber näheres weiß auch dieser,Historiker über ihn nicht zu berichten. Aufer den beiden genannten Urkunden ist ihm von Weigel nichts bekannt; über die Zeit seines Auftretens hat er nur eine Vermutung, und diese Vermutung ist falsch. Es wird des- halb die geschichtliche Forschung fördern, nähere Nachrichten über diesen fast ganz unbekannten Theologen zu bringen-

Justus Jonas, der Jüngere, der unglückliche Sohn des treuen Freundes Luthers, schreibt in Beantwortung einest herzoglichen Briefes vom 14. Januar 1561 an den Hohen- zoller in Königsberg‘): „Es ist hier in Wittenberg ein frommer, gottesfürchtiger, eingezogener, stiller, ganz gelehrter Gesell mit Namen Magister Georg Weigel, ein Nürnberger, seines Alters ungefähr ein- oder zweiunddreifig Jahre, eine feine,

1) Vergl. J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten mit Herzog Albrecht von Preußen S. 388.

23 23 lange, ansehnliche, sittige Person, welcher drei Jahre von dem Rate zu Nürnberg allhier im Studium der Theologie verlegt ist, zuvor aber etliche Jahre allhier seinen Studien mit Fleiß obgelegen. Ich habe ihn etliche Male hier in der Schloßkirche, wenn die verordneten Prádikanfen verhindert gewesen, predigen hören, habe seiner zuvor ganz und gar keine Kunde gehabt, aus seinen Predigten aber gespürt, daB er nicht allein die Bücher, woraus der mehrere Teil derjenigen, die sich für Theologen ausgeben, ihre Kunst schöpfen, sondern auch andere Schriften mit Fleiß gelesen und ein nicht gemeines Judizium habe. Ich habe ihn des- halb zu mir gebeten und nach der Lange von den Artikeln, darüber man itzo streitig ist, konferiert und befunden, dab er dieselbigen Kontroverse allesamt aus dem Fundament versteht, so daß zu wünschen wäre, daß unter denjenigen, welchen die Herde Gottes zu weiden befohlen ist, viele seines Gleichen sein möchten. So hat er auf der Kanzel gar eine gute Art zu reden; damit aber E. F. D. eine kleine Anzeige habe, daß der Bericht, den ich von ihm tue, wahr- haftig sei, tiberschicke ich E. F. D. hierneben ein Büchlein welches er gemacht und allhier vor einem Jahr im Druck hat ausgehen lassen. Ich sähe darum gern, dab dieser Mann in E. F. D. Dienst käme, weil ich keinen noch gehört habe, der über die Kontrovers Osianders so’ recht judiziert hätte als er. Er ist in Wahrheit ein großer Theologus. So stimmt sein Judizium mit allen recht verständigen Leuten darin überein, daß er meint, es habe der mehre Teil den Ösiander ex praeiudicio verdammt.“

Der hier so warm Empfohlene war 1529 in Nürnberg geboren, hatte die Schule seiner Vaterstadt besucht, dann das Straßburger Gymnasium vier Jahre; am 29. Juni 1542 hatte er sich schon in Heidelberg einschreiben lassen. Seit dem 21. April 1548 bis Frühjahr 1550 sehen wir ihn in Tübingen, dann ein Jahr in Wien, 18 Monate in Ingolstadt. Wohl in Wien hatte er mit Thomas Pegáus!) Freundschaft

1) Veit Nuber, der von Wittenberg nach Österreich gegangen, am 6. Angust 1563 in Steyr eingetroflen war, meldet unter dem 20. August Paul Eber: ,M. Thomas Pegaeus, qui tibi autor fuit, hue

24 24 geschlossen, vielleicht in der Folgezeit auch unter ihm an der Schule zu Steyr in Österreich unterrichtet. Am 14. Sep- tember 1558 hatte er die Leucorea bezogen und war am 1. Mai 1560 in die Artistenfakultät aufgenommen worden. 1559 hatte er in Wittenberg erscheinen lassen: „Explicatio dilucida epistolae Judae“ und „Historia de quodam episcopo . a muribus consumpto“, Melanchthon und Peucer waren vor anderen seine verehrten Lehrer; mit Justus Jonas, dem Lehrer der Rechtswissenschaft, stand er in enger Verbindung. Dessen warme Empfehlung, die Vorliebe des Hohenzollern in Königs- berg für seine süddeutschen Landsleute, vor allem die Aussicht und Hoffnung, in Weigel einen gelehrten Richter in dem Osianderschen Streite zu erhalten, der vielleicht seinen ver- ehrten und geliebten, seit 1550 in der theologischen Welt so verketzerten , Vater in Christo^ wieder zu Ehren brichte, bestimmte den Herzog Albreeht, ihn in seinen Dienst zu nehmen. Fast umgehend, am 25. März 1561, ließ er ihm schreiben:*) „Nachdem wir in unserem Fürstentum guter, christlicher, geschickter Pfarrherren und Seelsorger wohl benotdurft und derselben gern etliche in diesen Landen haben wollten, ihr aber uns euerer Lehre, Geschicklichkeit, eueres Lebens und Wandels halben gerühmt seid worden, so hätten wir wohl gnädige Neigung, daß wir euch unter uns in einem Predigtamt wissen möchten, und wollen euch

mittendi concionatorem aliquem ante meum adventum, a senatu dimissi- onem petiit propter multiplices persecutiones, quas patitur ob detestan- dam ingratitudinem civium strenue doctrinam evangelii et omnes bonos artes contemnentium, Utinam et ego aut huc venissem nunquam aut bona conscientia statim abire liceret“. Am 31. Juli 1565 schrieb Eber an Pegäus: „Quod ad litteras tuas attinet, peto mihi decepto veniam dari. In posterum ero fautior incidens in alienos, cum quibus non modicum salis absumpsi, ne temere externae speciei et sono credam. Tuam amicitiam ut semper magnifeci, ita in posterum quoque officiis, quibus potero, tueri studebo.^ Am 29. Juni 1568, da der Steyrer Rektor ihn um einc ı Lehrer fiir seine Schule gebeten hatte, meldet ihm Eber, daß er ihm Daniel Möller sende, der vier Jahre in Witten- berg studiert und jetzt im Sommer den Magistergrad erworben habe. Zugleich tröstet er ihn über den Ehebruch seiner Frau.

!) Dieser Brief ist wie sämtliche anderen Urkunden dem Staats- archiv in Königsberg entnommen.

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darauf hiermit gnädigst vociert haben. Begehren mit Gnaden, dab ihr euch ins Förderlichste allhero zu uns in einen Pfarrerdienst begeben wollet. Bei euerer Ankunft sind wir bereit, uns mit euch des Unterhalts halben mit Gnaden zu vergleichen. Im Falle euch hierin etwas Hinderliches vor- fiele, so wollet solches gegenwärtigem Johann Funck anzeigen. Ihm haben wir Befehl gegeben, deshalb allenthalben mit euch zu reden.“

Im April verhandelte Funck, der nach Wittenberg gekommen war, um den Theologen sein Glaubensbekenntnis vorzulegen, mit seinem Landsmann Weigel und bestimmte ihn, dem Rufe des Herzogs Folge zu leisten. Da er ein Nürnberger Stipendium genossen hatte und deshalb dieser Stadt verpflichtet war, versprach Funck, der nach Nürnberg reisen wollte, ihm dort Entlassung zu erwirken, Während er nun nach Leipzig?) und Süddeutschland aufbrach ?, zog Weigel nach Königsberg. Am 2. Juni 1561 wurde er hier als „reverendus vir pietate et eruditione praestans“ ins Album der Albertina eingetragen. Eine Ordination in Witten- berg mußte ihm nach Ansicht des Herzogs größerere Geltung und Autorität verleihen, deshalb ging er zugleich als herzog- licher Bote an Johann Major und Justus Jonas auf Anord- nung Albrechts noch einmal nach der Elbstadt zurück. Am

’) Am 31. Mai 1561 schrieb Pfeffinger aus Leipzig dem Herzog Albrecht über Funcks Konfession.

.?) Nach seiner Rückkehr nach Königsberg schrieb Funck am 15. Juli 1561 an Paul Eber. Vergl. Codex Gothanus chart 123 Bl. 354. „Volui tibi ad rescribendum ansam praebere, donec ipse ad nos in Prussiam nostram, ut aliquoties T. H. percupere coram intellexi, bonis avibus venias. Quod ut commodius citiusque fieret, dedi operam, ut ab ill. duce Alberto per literas vocarere, efficique simul, ut ad electorem itidem darentur literae, quibus ut D. T. huc venire atque ad unum mensem nobiscum esse liceat familiariter petit. Quas autem ob causas petitio ista fiat, potest D. T. ex ill. principis mei literis, quas hisce meis adiunctas habes, una cum transsumpto aut descripto earum, quae sunt ad principem electorem, intelligere. Novi. deus, quam hilari vultu animoque serenot pius princeps literas vestras acceperit, legerit, relegerit, quam avide etiam, quid inter nos sit actum, me referente ac declarante audierit. Saepius in haec verba erupit: »Wolt got, das ich mein leben volend mit solchen leuten vnd mit solchen Disputationen möchte hinbringen“,

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24. Juni traf er hier ein, händigte Major das für ihn empfangene Geld und Schreiben ein, ließ sofort auch in der Schwenckschen Offizin seinen Trauergesang auf Melanchthons Heimgang drucken, den er auf der Reise niedergeschrieben oder vollendet hatte. Da er am 30. Juni an den Herzog schrieb’), konnte er seinem Briefe ein Exemplar seines Epicedium bei- legen?). Als er seinen Freunden seine Berufung nach Preußen angezeigt hatte, hatte er sie um Gratulationen und Geleitgedichte gebeten. Er wollte sie drucken lassen, mit nach Königsberg neh- men und dort ausstreuen, um den Anschein eines allseitig geschitz- ten und hochverehrten Mannes zu erwecken. Bis sie eintrafen, wartete er mit der Einholung der Ordination und seiner Abreise.

Am 19.September(1561)starb in Wittenberg ein78 jähriger Pfarrer Michael Faust. Der Universitätsschrift, in der der Rektor die Studenten zur Teilnahme an dem Begräbnisse aufforderte, gab Weigel wie sein Landsmann Georg Mauri- tius, Jakob Alutarius aus Herborn, Georg Aperbach aus Erfurt und Joh. Reymanu aus Löwenberg etliche Verse bei.®) Etliche Tage später veröffentlichte er die inzwischen ein- gegangenen Geleitsgedichte seiner Freunde.*) Einen Lobpreis auf die Leucorea fügte er ihnen bei. Am 5. Oktober ordinierte ihn Paul Eber.

) Vgl. Beilage I, Am 4. Juli 1561 schreibt Paul Eber dem Herzog: „Cum voluptate audivi ex M. Weigelio et deo gratias ago, quod terribilis illa expeditio Johannis Basilii, magni ducis Moscorum, impedita sit“. Im weiteren empfiehlt er den herzoglichen Alumnus Christian Farnhed, der länger als ein Jahr bei ihm gewohnt habe.

*) Epicedion in honorem et memoriam obitus reverendi et incom- parabilis viri d. Philippi Melanthonis, patris et praeceptoris nostri summe colendi, scriptum a. M. Georgio Weigelio Noribergensi. Wite- hergae excudebat Laurentius Schwenk, 1561.

3) Epitaphium scriptum venerando et optimo seni D. Michaeli : Fausto pie Wittebergae mortuo 19. Septembris 1561, cum esset egressus annum aetatis 78., a. M, Georgio Weigelio Noribergensi.

4) ,Hoonéuntine scripta rev. viro d. Georgio Weigelio Noribergensi, liberalium artium magistro, vocato ad ministerium verbi divini ab ill. Borussiae principe Alberto Seniore, Witeberga discedenti, Witebergae excudebaut haeredes Georgii Rhaw 1561“ in 49, drei Bogen, Dreizehn Freunde, darunter Justus Jomas und Thomas Pegüus aus Landeshut, . Rektor in Steyr, bringen ihre Wünsche dar, zum Schlu8 ,ad Wite- bergensem academiam M, Georgius Weigelius.“

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Weigel war Philippist und trat als soleher in dem gut lutherischen Königsberg sofort mit aller Schärfe auf. Schon seine ersten Predigten erregten Anstoß, die, welche er am 21. Dezember 1561 in der Schloßkirche in Gegenwart der Herzogin, der Hofräte, des Präsidenten Johann Aurifaber hielt, fachte fast einen Aufruhr an. Er leugnete die Ubi- quität Christi, seine Realpräsenz im Abendmahle; nur geist- lieber Weise werde der Leib des Herrn genossen!) Fast einmiitig erklürten sich die Theologen wider ihn. Ihr Wort- führer wurde Epplin, der ältere Hofprediger. Von Anfang an bestand zwischen diesem und Weigel ein gespanntes Ver- hältnis. Justus Jonas hatte seinen jungen Freund schon in Wittenberg gegen diesen älteren Theologen eingenommen °). Als Epplin jetzt auf der Kanzel sich wider Weigel und seine Predigt vom vierten Adventssonnfage wandte, schrieb er ihm einen Brief?) der recht bezeichnend ist für die Weise, in der er seinen Kampf führte: ,Ich kann mich nicht genugsam wundern der großen unverschümten Leichtfertigkeit, damit du die allergelehrtesten und heiligsten Leute unserer Zeit ganz liederlich bei dem gemeinen Volke angiebst und mit unerhörten Schmähworten beschwerst. Es pflegen sonst, die auf andere Lügen dichten, Diebe zu sein, du hast heute auf deine Präzeptores gut und bóslich gesprochen (o du unver- schämtes Maul, das allein Schmach und Schande ausspeien f vermag), daß sie mit diesen Worten, ihre Hände seien voli Blut, die Worte des Abendmahls ,das ist mein Leib‘ aus- legen. Ich habe niemals anderen, die dir grobe, unver- schimte Leichtfertigkeit zugemessen, glauben wollen; nun aber muß ichs glauben, daß du ein hoffärtiger, überaus unver-

* Mathias Wanckel schreibt unter dem 12. März 1562 aus Kemberg an Eber: „Calvini dogma de coena domini etiam in Borussiam sparsum esse ex corde doleo et certe nescio, qua conscientia vestras sententias et formulas loquendi de coena sacrosanctissimae ecclesiae laboranti non committatis“.

2) Am 13, April 1559 in einem Briefe aus Leipzig hatte er gemeint auch den Herzog vor Epplin „und seinen Narrenbüchern“ warnen zu müssen.

3) Lóscher, Histeria motuum II, 218 ff. Im Einzelnen unterrichten über den Streit zwischen Weigel und Epplin zwei Aktenstücke vom 10. März und 11, April 1562 im Königsberger Staatsarchive,

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schämter, heilloser, unwissender Mensch seist... Ich will es mit Gott bezeugen, daß ich heute nichts denn eine eselische und cyklopische Unwissenheit gehört habe. Wahrhaftig ich habe einen Esel gesehen auf der Kanzel in einer leinenen Haut verkleidet.“ Und so geht es fort, jeder Satz eine schwere Kränkung und Beleidigung. Ein Glaubensbekenntnis, das Weigel weiter herausgab und in dem er mit aller Ent- sckiedenheit die symbolische Deutung des Abendmahls ver- trat’), begegnete natürlich dem schroffsten Widerspruch. Bald stritt man nicht nur in Königsberg wider ihn und suchte dem 73jährigen Herzoge seine Entlassung abzu- drängen. Wie im Osianderschen Streite die Kunde von allen Vorgängen in Königsberg sofort nach Wilna flog?) wie Osianders Gegner am königlichen Hofe wider ihn und seine Anhänger Stimmung maehten?) so denunzierte man jetzt beim polnischen Herrscher Sigismund August auch Weigel als einen Unruhstifter. Der König sah sich bewogen, an den Herzog zu schreiben und ibn eindringlich vor dem Zwietrachtprediger zu warnen. Als Albrecht antwortete, daß

1) „Panis est corpus Christi non proprie vel realiter, sed impro- prie, figurate vel sacramentaliter. Manducare corpus Christi et bibere sanguinem eius est in Christo manere et Christum manentem in se habere". Löscher II, 217.

2) Vgl. Pohibels Brief aus Wilna vom 4. Okt. 1551. Möller; Andreas Osiander S. 459. Schon am 29. Sept. hatte er aus Wilna dem Herzog geschrieben: „Man hat hier auch der prädicanten zu Konig- sperg, e. f. g. auch. hyn vnd her gedacht, der eyne besser dan der : ander. Sprechen, der hertzog sambt der hertzogin haben eyn sonder- liche lere, das frewlein auch besonder, das: hoffgesindt vnd dy rethe dergleychen. In den steten geht es auch seltzam zu... Es were besser gewesen, das dy predicanten den predigtstuel eyn zeytlangk, damit es vnder dy gemeyne nicht kommen were, gemyden, bis sy sich vereyniget vnd verglichen hetten. In Summa es begeben sich mancherlei worthe vnd rede, welche ich jtzo jn der feder mus rowen vnd bleiben lassen, jedoch bleibt solchs e. f. g. zu gelegener zeit vnverhalten."

3) Krakau, den 22, Marz 1553 schreibt Pohibel dem Herzog: „Ich kann e. f. d. nit bergen, das in kortzen tagen der her marien- borgische woywoda durch eignen pothen an meinen hern [den kónig- lichen Vorschneider Gabriel Tarlo] geschrieben vnd jm angezeigt, wie das eyn seltzam tumult vnd zwyspalt zu Konigsperg des predicanten halben d. Morlens erhoben, alzo, wo dem nicht vorgekommen, eya

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er unruhige Geister in seinem Herzogtum nicht dulde, gab er am 1. Mai seiner Freude darüber Ausdruck, unterlieB aber nicht, von neuem zu warnen).

Den Hofmeister der Königin, Erhard von Kunheim, hatte der Herzog im Verdachte, den König wider Weigel ein- genommen zu haben. Aber dieser Bruder des Schwieger- sohnes unseres Luther war wohl unschuldig. „Die ganze Stadt allhier ist des Redens voll gewesen, und man hat sich mit Briefen umhergetragen, so von E. F. D. Hof anher geschrieben auch von denen, so E. F. D. nicht wenig ver- trauet“, schreibt er Wilna, den 3. Mai 1562 zu seiner Recht- fertigung. Um sich noch mündlich zu verteidigen, kam er im Juni nach Königsberg’).

gros blutvorgyssen hyraus entstanden were. Jdoch hinge es noch an der wage usw., mit andern vil mehr vmstendigen worthen, wie dan seyner gnaden eigen hantschreiben mitbringt, meynem herrn zu erkennen geben vnd ferner gebeten, das meyn her bey der kön. majt treulich sollieitiren wolde, damit jre majt eyn eigen potschafft an e. f. g. ab- fertigen thete, damit e. f. g. vermanet, von solchem vornehmen der zwyspültigen lehren abzustehen etc. Were sonst zu besorgen, eyn schrecklichers hyraus zu erfolgen. Sind sonst auch zwei briefe bey meynes herrn briffe gewest an die kón. majt, eyner von dem herrn bischoff von Ermelant, der ander von gedachtem herrn woywoden, ln dem vnd víf solch schreiben hat mich meyn herr gefragt, was er jo dem fall thun solde, ob er solchs jrer majt anzeigen solde oder nicht, weyl er sonst von nymandt schreiben hette. in dem alzo ge- schlossen, das sich mein her mit worthen vnd dergleichen nix kegen ire majt einlassen solde“. Im weiteren bittet er den Herzog um einen genauen Bericht, ,damit, ob hernachmals sich ethwas an tag geben würde, dem mit der warheit desto bas vorzukommen“. Vgl. schließ- lieh auch Pohibels Brief vom 24. April 1553: ,Was den d. Morlein belangt, hat man alhir vil seltzamer redenn vnd sonderlich an dem, das etzlich vill frawen vnd junkfrawen gleich eyner procession jns schlos zu Konigsperg gangen vnd e. f. g. durch dy fraw Venedigeryn eine supplication zustellen wollen, welche e. f. g, nicht angenommen, sonder sie sembtlich in jre behausunge abzugehen befelich geben, das alzo mit eynem gesange eynes psalmes gescheen. Wirt aber wenig hyvon am hofe gedacht, aufgenommen dy aus Preußen hier ankommen, dy haben vil geschwetz, mehr andern leuten zu gefallen, denn der warheit enlich“.

1) Vgl. Wotschke, Abraham Kulvensis. Urkunden zur Refor- mationsgeschichte Lithauens. Altpr. Monatsschrift XLII S. 237 f.

?) Über diesen Kunheim vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte aus der Interimszeit. Jahrbuch für Kirchengeschichte der Provinz

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Der altersschwache Herzog und die wenigen Reformierten in seiner Umgebung, Friedrich von Kanitz!), Friedrich von Aulack?) und Schwerin, konnten Weigel gegen den allge- meinen Unwillen nicht schiitzen. Er ging deshalb, als ihm in Königsberg die Kanzel verboten wurde, nach Lithauen, um dort Unterstützung zu suchen, auch die Gunst des Fürsten Radziwill für sich zu gewinnen. Die deutsche lutherische Gemeinde in Wilna, welche erst im November 1560 in M. Simon Wanrab einen Pfarrer, Anfang 1562 in einem Königsberger Kaplan einen zweiten Prediger erhalten hatte, lehnte ihn ab, aber bei den lithauischen reformierten Pastoren fand er freundliche Aufnahme. Mit den Zürichern und Genfern waren sie im vergangenen Jahre in Verbindung getreten, erst am 23. Januar war einer unter ihnen, Martin Czechowicz, von einer Gesandtschaftsreise nach Genf?) heimgekehrt, jetzt dachten sie durch den Wittenberger Magister auch Beziehungen zu den Pbilippisten anzuknüpfen. Durch sie fand er Ein- gang am Hofe des Fürsten Radziwill, Hier lernte er den theologisierenden Arzt Blandrata kennen, der im nächsten Jahre nach Siebenbürgen ging, vor allem aber den Geheim- schreiber Johann Maezinski, einst Pellikans Hausgenosse in Zürich, in Wittenberg Melanchthons Schüler. Er wurde ihm

Sachsen 1913 S. 5 ff. Kunheim folgte der Königin Katharina Herbst 1566 nach Österreich. Linz, den 23. April 1571 empfiehlt die Königin Volmar von Kunheim aus Preußen dem Kurfürst August von Sachsen. Vor fünf Jahren sei ihr dieser Kunheim als Edelknabe zugesandt, jetzt möge ihn der Kurfürst in seine Dienste nehmen.

1) Dieser Kanitz war neben dem Abenteuerer Skalich und dem Radziwillschen Sekretär Maczinski der Testamentsvollstrecker Lisma-- ninos. Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino, Zeitschrift der Hist. Gesellschaft Posens 1903 S. 323 ff. Über die heimliche Ehe, die er in Königsberg geschlossen, vgl. Wotschke, Wittenberger Berichte S. 7. In Breslau war der reformierte Crato sein Freund. Auf dessen Empfehlung suchte er 1561 den kalvinisch gerichteten Birkenhan in Preußen zu versorgen. Gillet I 241.

2) Über Aulack vgl. Wotschke, Herzog Albrecht und Graf Raphael von Lissa, Altpr. Monatsschrift XLVI S. 484 ff. und 489. | 8) Das Schreiben vom 9. Oktober 1561, das er von Calvins Hand mitbrachte, bewahrt noch heute das Archiv der reformierten Gemeinde Wilnas als kostbare Reliquie. Die Monumenta reformationis Polonicae et Lithuanicae bieten es im Gleichdruck an erster Stelle,

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ein Freund und schrieb für sein großes polnisch-lateinisches Lexikon, das jetzt nach jahrelangen Bemühungen endlich in Königsberg gedruckt werden sollte, aber erst 1564 wirk- lich erschien!), ein empfehlendes Gedicht an den Leser Fürst Radziwill wandte ihm seine volle Gunst zu und war geneigt, ihn in seine Dienste zu nehmen als Erzieher seines ältesten Sohnes, des 13jührigen Nikolaus Christoph ?), dem Vergerio 1556 die treftliche Kinderlehre „Lac spirituale" des evangelischen Spaniers Juan de Valdes gewidmet hatte °), ihn mit diesem auch nach dem Auslande, nach Deutschland, der Schweiz und Italien zu senden. Wilna, den 26. Juni (1562) schrieb er davon dem Herzoge und bat, Weigel aus seinen Diensten zu entlassen ^*).

Albrecht hatte unterdessen alles versucht, den durch Weigel erregten Sakramentsstreit zu dämpfen, dabei unter dem Einfluß Johann Aurifabers auf Wege gesonnen, über- haupt zwischen Lutheranern und Heformierten einen Aus- gleich zu schaffen. Seine Theologen mußten ihm im Mai Gutachten ausarbeiten?). Obwohl mit Ausnahme Aurifabers sie alle kein Vertrauen zu einer Unionsaktion hatten, hielt der zähe Herzog doch an ihr fest. Im Juli mußte der aus Lithauen heimgekehrte Weigel eine Reise nach Süd-

1) „Lexicon Latino-Polonicum ex optimis latinae linguae scripto- ribus concinnatum“.

?) Er war am 2. August 1549 geboren.

3) Vgl. Wotschke, Eustachius Trepka. Zeitschrift der Hist. Gesellschaft der Prov. Posen 1903. Wie dem siebenjährigen Knaben die lac spirituale widmete Vergerio dem 16 jährigen Jüngling, als er bei ihm (1565) in Tübingen weilte, seine Risposta in quartro libri divisa ad una invettiva di fra Ippolito Chizzuola. Unter dem 31. März dieses Jahres hatte ihm Lorenz Tuppius in Straßburg schon zuge- schrieben: Adversus synodi Tridentinae restitutionem opposita grava- mina. Vom 15. März d. J. ist datiert Sturms epistola de refutatione Tridentini coneilii an Radziwill den Vater.

*) Albrechts Antwortschreiben vom 12. August 1562 bei Wotschke, Culvensis S. 241.

5) Vom 19. Mai 1562 sind die Gutachten Funcks, Epplins, Auri- fabers, Vogels datiert, vom 22. Mai das Jagenteuffels, vom 6. Oktober das des Sickius. Unter dem 21. Oktober warnt Funck den Herzog vor der kaivinischen Abendmahlslehre. Vgl, auch Hase, Herzog Albrecht und seine Hofprediger S. 280.

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deutschland antreten, um mit den Heidelberger und Württem- berger Theologen zu verhandeln. Im August sehen wir ihn in der Neckarstadt, wo er Olevian und Ursin sein Bekenntnis vorlegte. Natürlich fand es deren Zustimmung). Dem Herzog schrieben sie, daß es biblisch wohl begriindetsei. Weigel riihmten sie als einen gelehrten und beherzten Mann?). Dafür begegnete es in Stuttgart, wohin Weigel sich nun wandte, um so ent- schiedenerem Widerspruch. Brenz und Andreä wiesen es mit vollem Nachdruck ab. Da Weigel bei ihm verharrte, wurde der unüberbrückbare Gegensatz offenbar. Vergerio in Tübingen, zu dem er im Auftrage des Herzogs im Dezember kam?) hielt mit seiner Meinung vorsichtig zurück. Er wollte nirgends anstoßen. Im Januar ging Weigel auf eine Forderung Brenz’ zu neuen Verhandlungen nach Stuttgart), aber der Zwiespalt wurde durch diese weitere Aussprache nicht geringer. Selbst Vergerio, der in seinem Schreiben an den Herzog vom 23. Januar 1563 der gastfreundlichen Aufnahme gedenkt, die auch Weigel riihmen müsse, sieht sich jetztveranlaßthinzuzufügen: , Reliqua in homine nonlaudo*.

Manchen Bekannten aus seiner Studienzeit 1548—1550 hatte Weigel in Tübingen wieder getroffen, zu den hier seit dem 14. August 15€0 studierenden Lithauern®) Beziehungen angeknüpit. Für seine Abendmahlslebre konnte er letztere indessen nicht gewinnen. Ihr Präzeptor Georg Zablocki, seit seinem Studium an der Leucorea 1540 ein überzeugter Lutheraner?), der für seinen Glauben in der Heimat 1544 auch gelitten hatte, wies ihn ab. Anfang Februar wollte Weigel heimreisen. Sehon hatte er am 3. zwei Wagenpferde

1) Vgl. Ursins Brief an Crato. Neue Heidelberger Jahrbücher XIV, S. 60 und Gillet, Crato von Krafftheim I S. 264.

2) Vgl. Olivians Schreiben an Calvin vom 3. April 1563 O. C. XIX Nr. 3925, |

8) Vgl. Vergerios Brief an den Herzog Christoph vom 10.Januar 1563 Schott und Kausler, Vergerios Briefwechsel S. 369.

4) Am 11. Nov. 1562 hat der Pole Valentin Maslovius (die Tübinger Matrikel liest Marlenius), seit dem 16. Sept. 1561 in Wittenberg, die Tübinger Hochschule bezogen, am 25, Januar 1563 der Preuße Joh. Hermann, Ihr Tübinger Studium hängt wohl mit Weigels Reisezusammen.

5 Vgl. Wotschke, Culvensis S. 212.

*) „Homo non indoctus et eximie Brentianus“ nennt ihn Bullinger in seinem Brief vom 31. Mai 1563 an Beza. O. C. XX Nr, 3959.

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gekauft, schon schrieb am 6. auch Vergerio den Brief, den er ihm fiir den Herzog mitgeben wollte, da scheint das Ausbleiben der Briefe des Brenz und Andreae fiir den Herzog ihn zu weiterem Bleiben bestimmt zu haben. Ja am 20. Februar ging er, von Vergerio an Bullinger empfohlen, noch nach Zürich"). Natürlich war er hier wie in Heidelberg den Theologen hoehwillkommen?). Diese stimmten ihm zu, Bullinger entließ ihn mit einem warmen Brief an den Herzog und seine Räte. Die hohen Worte, mit denen er nach seiner Rückkehr in Tübingen die in Zürich gefundene Aufnahme rühmte, bestimmten auch drei der jungen lithauischen Barone mit ihrem Lehrer Zablocki, Bullinger aufzusuchen. Vergebens suchte der Züricher Theologe sie für seine Abendmahlslehre zu gewinnen. So gewandt vertrat Zablocki ihm gegenüber den lutherischen Standpunkt, daß Bullinger meinte seine Genfer Freunde, die er mit seinen Schülern gleichfalls auf- suchen wollte, vor ihm warnen zu müssen. „Prudentes este“ 8). Im März, fünf Monate bevor der ihm im vergangenen Jahre zugedachte Schüler Nikolaus Christoph Radziwill, der spätere Jerusalemfahrer, naeh Stuttgart kam‘), trat Weigel die Heimreise nach Königsberg an.

Noch ein Brief des Herzogs Albrecht, der im März in Tübingen eintraf, empfahl Weigel dem Vergerio, aber andere Schreiben aus Preußen meldeten, daß Weigel angesichts des allgemeinen Widerspruches schwerlich in Königsberg werde bleiben kónnen?) Albrecht selbst wurde durch einen Brief

1) Wotschke, Briefwechsel der Schweizer mit den Polen S. 166.

2) Bullinger in seinem Tagebuch unter 1563: D. Georgius Weigelius, concionator principis Prusseni, venit huc mense Februario Stutgardia, ubi contulerat cum Brentio. Contulit et mecum de coena et consensit, Tulit a me literas ad principem eiusque consiliarios“. Vergl. auch seinen Brief an Calvin vom 20. April 1563. O: OC. XIX Nr. 3937. |

$) In den Briefen vom 31. Mai 1563, O. C. XX Nr. 8959 und 3960 *) Am 3. Aug. 1563 traf Radziwill in Stuttgart ein, am 9. August schrieb Herzog Christoph für ihn nach Straßburg. Von dort imAugust 1564 durch die Pest vertrieben, kam er nach Tübingen und studierte hier bis zum August 1566. Am 4. Sept. 1566 sehen wir ihn bei Bullinger.

5) Vel. Vergerios Schreiben an Herzog Christoph vom 31. März 1563, Schott und Kaulser S. 381.

Arohiv für Reformationsgeschichte. XVIII. 3/4, 3

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Herzog Christophs von Württemberg bedenklich2): So vertröstete er Weigel, als dieser Bericht erstattete, auf späteren Bescheid, gab solehen aber nicht, obwohl Weigel darum anhielt, Dafür forderten die Räte in Abwesenheit des Herzogs, als dieser im Juli in Kauen beim Könige weilte, von ihm Amts- niederlegung, und der Burggraf ließ ihm „fein spöttisch Dienst und Tisch absagen“?). Obwohl ihm eine „ehrliche Heirat“ in Königsberg angetragen war, verließ er jetzt Preußen und ging nach Lithauen. Hier hoffte er als Prediger Versorgung zu finden, hier hatte er durch die lithauischen Studenten in Tübingen neue Freunde gewonnen. Auf Grund der Briefe die er überbrachte, und der Berichte, die er erstattete, mag Wilna, den 26. September (1563) der Marschall Eustachius Wollowiez, seinen Neffen von der süddeutschen Hochschule abgerufen haben. Am 17. November bittet Weigel den Herzog um Entschuldigung, daß er ohne formelle Entlassung nach Wilna gezogen sei?)

Radziwills jüngere Söhne Georg, Stanislaus und Albert waren erst acht, sieben und ein Jahr alt, sie brauchten zur Zeit noch keinen Gelehrten zum Erzieher. Erst Herbst 1566 wurde für sie ein des Lateinischen, Deutschen und Polnischen kundiger Student gesucht‘), der die jungen Fürsten. nach

E Vgl. Vergerios Brief vom 8. Sept. 1563 a. a. O. S. 394.

?) ,Audimus, quod princeps suos theologos et nobiles in potestate non habeat" schrieb Ursin.

*) Vgl. Wotschke, Culvensis S. 242 ff.

*) Der Wilnaer Stadtvogt Augustin Rotundus schreibt Grodno, den 5. Angust 1567 an Hosius: ,De palatini Vilnensis filio ex Italia reverso constans hic fama est, ipse enim eum nondum vidi, catholi- cum esse factum. Quin et quae d. Mielieezki, palatini Podoliae filio, nupsit, eiusdem d. palatini Vilnensis maxima nata filia catholica esse facta dicitur in mariti catholici ex Lutheirano facti gratiam. Tres quo- que reliquae natu minores in domo insignis matronae d. Voinicensis educantur et eandem, quam domina Voinicensis profitetur, catholicam doctrinam profitentur.“ Am folgenden 13, September melet eraus Wilna: , Filii palatini Nesuesi sub praeceptoribus et paedagogis haereticis educan- tur, sed spes est eos quoque ad eatholicam ecclesiam redituros fratris sororumque exemplo." Doch hat Nikolaus Mielecki (T 5. Februar 1585) erst .viel später seinen evangelischen Glauben abgeschworen, Wohl hatte ihn schon 1569 Skarga zu bekehren gesucht, aber erst mehrere

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Leipzig begleiten konnte.) Seit Wintersemester 1570 sehen wir sie dann dort, wo der bekannte Arzt Simon Simonius aus Lucca ihre Studien leitete?) Der Fürst hatte für Weigel kein Amt, vielleicht trug dieser aueh nach dem, was er in Zürich über Blandrata und dessen Gönner Radziwill gehört hatte, Bedenken in seine Dienste zu treten. Tatsächlich hatten ja die Tritheisten den größten Einfluß auf Radziwill gewonnen, und nur der Tod bewahrte ihn davon, entschiedener Antitrinitarier zu werden.

Da nahm ein anderer lithauischer Magnat Weigel in seine Dienste, Johann Chodkiewicz, der Hauptmann von Samogitien. Schon als Kind war dieser im Elternhause evangelisch erzogen worden, als Student hatte er 1547 in Königsberg, seit 1549 in Leipzig evangelisches Gemeinde- leben kennen gelernt, vorübergehend auch in Wittenberg dessen Matrikel seinen Namen allerdings nicht bietet, zu- sammen mit Stanislaus Warschewicki, dem Sohne des

Jahre später gelang es Benedikt Herbst. Seine Gattin Elisabeth Radziwill, die große Bibelkennerin, die sich den Antitrinitariern angeschlossen hatte, kehrte 1593 in den Schoß-der römischen Kirche zurück.

1) Am 29. Oktober 1566 bat Damian Nicossowius, den jungen Radziwill nach Deutschland begleiten zu dürfen, Er erhült den Bescheid: „t. D. wollen zufrieden sein, daß er mit des Radziwills Sohne hinausziehe und seine studia prosequire, doch daß er mit des Rektors Vorwissen &bscheide und ihrer fürstl. Durchlaucht oder nachkommender Herr- schaft hernach vor anderen Herren diene, sich auch deshalb obligiere* Seine Verpflichtung bei Wotschkes Vergerios zweite Reise S, 317. Am 7. Juli 1567 stellte auch Matthäus Motzarus, der den 6. März 1567 noch um ein Stipendium gebeten hatte und gleichfalls mit jungen Lithauern nach Deutschland gehen wollte, einen Revers aus, nach drei Jahren nach Preußen zurückzukehren, doch vgl. Beilage III.

*) 1572 kehrten die Brüder nach Lithauen zurück und wurden hier von Skarga, damals Rektor des Wilnaer Jesuitenkollegiums, für den Katholizismus gewonnen, nachdem ihr ältester Bruder schon 1567 in Italien übergetreten war. Georg wurde 1581 nach Rückkehr von einer Reise naeh Italien Bischof von Wilna, dann Kardinal und Bischof von Krakau (} 21. Jan 1600 in Rom), Stanislaus richtete den Meg- gottesdienst in Olika wieder auf. Albrecht starb am 13. Juli 1592 als Marschall von Lithauen, zwei Monate nachdem er die Braut des Königs von Österreich nach Kr geleitet hatte. Skarga macht den Arianer Cikowskifür seinen Tod, der ob potionem quandam alchimisticam erfolgte verantwortlich.

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Warschauer Kastellans Johann Warschewicki, dem späteren Jesuiten!) auch zu Melanchthons Füßen gesessen’). Sein Vater, der Kastellan von Troki Hieronymus Chodkiewicz, war ein Gönner des Staphylus und hatte diesem gelegentlich seiner lithanischen Reise April 1549 manche Förderung erwiesen. 1556 empfahl ihm der Herzog Albrecht einen Prädikanten Matthias Virowitta, der in Königsberg studiert hatte und in Samogitien ein geistliches Amt suchte. Auch Gregor Chodkiewiez, das andere Haupt dieser hervorragenden lithau- ischen Magnatenfamilie, der Wilnaer Kastellan und Oberfeldherr (+ 1572), war ein Freund der Reformation, die er in seiner Jugend am Hofe Herzog Albrechts kennen und lieben gelernt hatte. Seinen Söhnen Andreas (geb. 1549) und Alexander (geb. 1550) gab er in Johann Mylius aus Liebenroda in Thüringen, dem namhaften Dichter der lateinischen Renaissance- poesie, dem Übersetzer von Luthers kleinem Katechismus ins Lateinische und Griechische und späteren Professor der hebräischen Sprache in Jena (f 3. Juli 1575), einen evange- lischen Erzieher. An den Königsberger Hof schickte er sie, daß sie dort unter den Edelknaben des Erbherzogs „Zucht und alle Tugend“ lernten, später aber auch an den kaiser-

1) Geb. 1527. In Rom trat er 1567 zusammen mit Aquaviva in den Jesuitenorden ein, später arbeitete er in Rom, dann leitete er viele Jahre das Wilnaer und Lubliner Collegium und diente sechs Jahre der Königin Katharina von Schweden, der Jagellonin, als Beichtvater. Er starb am 3, Oktober 1591 in Krakau. Seine Übersetzung des Heliodor, welche 1555 in Antwerpen erschienen ist, ist datiert „Ex Warschewicze paterno rure 12. Cal. Aug. 1551“.

2) Rostowski schreibt von Chodkiewicz in seiner Geschichte Lithauens: „Huic Varschevickius non modo notus erat, sed praecipua etiam familiaritate conitinctus ex eo iam tempore, quo ambo iuvenes olim Vitembergae famoso literarum et haeresis suae magistro Philippo Melanchthone usi essent." Der Neulateiner Johann Mylius sagt in seiner Elegie ad magnificum d, Joannem Chodeiewitium, Samogitiae praesidem:

,Ut Linus Herculeum mollivit pectus in arte,

Posset ut humano commodus esse gregi, Sie te Pierio madefecit fonte Melanchthon

Cui similem nondum Teutonis ora tulit, Illius e labris suxisti dogmata certa,

Regula quae vitae sancta fuere tibi“.

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lichen Hof nach Wien. Hier ging ihnen verloren, was sie an evangelischer Erkenntnis besaßen.

Eine Hauptaufgabe Weigels war, dem in Lithauen um sich greifenden Antitrinitarismus entgegenzuwirken. Selbst sein Freund Maczynski war zu ihm übergegangen ). Leider fließen die Nachrichten sehr spärlich, daß wir von Weigels Arbeit in den nächsten Jahren, von seinem Leben überhaupt fast nichts wissen. Hat er den Führernder lithauischen Antitri- nitarier, einem Gonesius, Czechowicz, Maczyuski, Budny, Kryszkowski sich entgegen geworfen, dem Superintendenten Simon Zasius, dem Prediger Wedrogowski zur Seite gestanden? Hat er Bezas dogmatisches Sendschreiben vom 19. März 1565 das sehnsüchtig erwartet im Laufe des Sommers in Lithauen endlich eintraf?), wider die Gegner ausgespielt? Hat er mit Lismanino verhandelt, den wir 1564 und 1565 von Königs- berg nach Lithauen reisen, Herbst 1565 gerade auch bei dem Marschall Georg Chodkiewicz sehen®). Hat Weigel 1564 die Ehe seines Herrn mit Christiane, der Tochter des treu evangelischen Krakauer Wojewoden Martin Zborowski, der

1) Wilna, den 13, Sept. 1567 schreibt Rotundus an Hosius: „Credo R. D. V. multo melius nobis scire, quam variis et horrendis sectis conspirent in Polonia haeretici, quae etiam ipsis haereticis non pro- bantur, uti ex hoc literarum cuiusdam J. Maczynski, prioris palatini Vilnensis scriba, qui ante sacramentarius fuit, nanc et trinitarius et anabaptista esse factus dicitur, exemplo ad Pazum episcopum, si dis placet, Kijoviensem scriptarum cognoscet. Vidi ego es legi Grodnae typis excusos Polonicos libellos, quibus magis blasphemum in dei filium Jesum Christam dici aat cogitari nihil potest ac ne dictum quidem aut cogi- tatum unquam ab ullis haereticis existimo, de quibus fortasse Maczynski in his litteris innuit. Tollitur enim in illis omnis omnium magistra- tuum autoritas, probatur libertas christiana, et rerum omnium com- munio instituitur, ordinum in eeclesia atque adeo in republica omne diserimen tollitur, ne ullum sit inter regem et populum, principes et subiectos, nobiles et plebeios“. Das Herrnhuter Archiv besitzt ein Schreiben Maezynskis vom 28, Febr. 1558 aus Wilna an den Pfarrer J ohann in Stawischin, in dem er sich günstig über die bOhmischen Brüder ausspricht.

? Am 25. Mai 1565 befand es sich noch in den Händen des Radziwillschen Reisemarschalls Balthasar Lehwald in Tübingen. Am 28. April 1550 hatte dieser Radziwillsche- Beamte einst die Leucorea bezogen,

*) Vgl. Wotschke, Francesco Lismanino. Zeitsch. d. hist. Gesell- schaft d. Prov. Posen 1903 S, 307.

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jugendlichen Witwe oder nachgelassenen Braut des aben- teuernden Melanchthon- und Laskifreundes Jakob Heraklid Basilikus*) eingesegnet, getauft sein Sóhnlein Johann Karl, den späteren Kriegsmann und gewaltigen Feldherrn, dessen Siege über die Schweden bei Dorpat, Weißenstein und Kirch- holm ganz Europa aufmerken ließen?

Der Kampf gegen die Antitrinitarier führte ihn mit dem großen reformierten Kämpfer Lithauens Andreas Volan zu- sammen, der 1531 in Neustadt bei Pinne (Provinz Posen) geboren war, 1544—1546 die Universität Frankfurt besucht hatte, darauf seinem Verwandten Hieronymus Quilecki nach Lithauen gefolgt war, seit dem 5. Oktober 1550 noch etwa drei Jahre in Königsberg studiert hatte und schließlich in Radziwills Dienste getreten war, nach dessen Tode 1565 auf seinem LandguteBijuciszki bei Wilna lebte, soweit er nicht durch diplomatische Geschäfte in Anspruch genommen war. Vor allem aber trat Weigel Nikolaus Paz näher, der seit 1555 Bischof von Kijew war.?) Er gewann ihn, den einzigen Bischof in Polen, der wirklich den Übertritt zur evangelischen Kirche vollzog,?) für die Reformation‘) und bestimmte ihn, gegen die Tritheisten das altkirchliche Dogma in einer neuen Schrift zu verteidigen. Vom 22. Juli 1566 vom General- konvent in Brest ist sie, die orthodoxa fidei confessio de una eademque dei patris, filii et spiritus sancti divinitate ac tribus personis, datiert. Ihr Verfasser gab ihr einen Brief?) Volans . vom 1. April 1565 über die drei Personen in Gott und die eine göttliche Essenz bei, Weigel eine empfehlende Beurteilung, ein Epigramm an den Leser und fromme Verse. An- fang Oktober 1566 sandte ihn Chodkiewiez von Kauen nach Königsberg, um dort durch die Daubmannsche Druckerei

1) Vgl. Wotschke, Joh. Laski und der Abenteurer Heraklid Basilikus. Archiv XVII S. 57.

2) 1583—1585, wo er starb, war erKastellan von Smolensk.

*) Die Bischöfe von Kamieniecz, Leslau und Samogitien sympathi- sierten wohl mit der Reformation, mochten aber das Opfer eines Über- tritts nicht bringen.

4) Janociana II, 201: „Pacius Georgii Wiceli occulti Zwingliani inter Poloniae ac Lithuaniae proceres annis superioribus versati maxime artibus irretitus uxorem dueit,“

5) „Datum in praediolo meo Bintiscano.“

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das Schriftchen zu veröffentlichen. Ein Empfehlungsschreiben des Chodkiewicz an den Herzog, bei dem dessen Schwager Petrus Zborowski im vergangenen August unter den polnischen Kommissaren erschienen war, förderte ihn, im November konnte er die Rückreise antreten.')

In den folgenden Jahren mag Weigel vielfach mit Friedrich Holsten aus Bunzlau zusammen gelebt haben. Dieser hatte 1565 das Präzeptoramt bei dem in Leipzig studierenden Konstantin Chodkiewicz?) angenommen und war seinem Schüler nach Lithauen grfolgt. Erst 1569 kehrte er von dort nach Wittenberg zurück, um in den Jahren 1572 1579 als Lehrer in den Brüdergemeinden zu Koschminek und Lissa noch einmal dem sarmatischen Osten zu dienen.?)

Mit steigendem Befremden sah Chodkiewicz auf die seit 1563schnell wachsende kirchliche Zerrüttung seines Landes. Zu den griechischen und römischen Katholiken waren Lutheraner und Reformierte getreten, ferner Tritheisten, welche die altkirchliche Trinitätslehre festhalten wollten ohne deren angeblichen Sabellianismus, Dystheisten, welche die Persönlich- keit des heiligen Geistes leugneten, Unitarier, Anabap- tisten. Welche Spaltung zeigte allein seine nächste Ver- wandtschaft! Von seinen Schwagern waren Johann v.Kurzbach‘) und Johann Zborowski gute Lutheraner, Peter Zborowski damals noch ein Gönner und Schutzfreund des Stancaro,”) der eine eigene Sekte gegründet hatte und gerade 1565 mit besonderem Nachdruck für sie warb, Andreas Zborowski seit seinem Wiener Aufenthalte, Sommer 1560,°) strenger Katholik, Samuel, der am 26. Mai 1584 in Krakau das Blutgeriist

1) Vergl. Wotschke, Kulvensis 8. 250,

?) Dieser Sohn des Georg Cb., des lithauischen Vorschneiders und Hauptmanns von Bielsk, studierte seit 1562 in Leipzig. 1563 hat ihm L. Camerarius seine Praecepta vitae gewidmet,

3) Vergl. Wotschke, Graf Andreas von Lissa, S. 31.

4) Gatte der Anna Zborowska.

5) Vergl. Wotschke, Francesco Stancaro, S. 48. Peter Zborowski und seinem Bruder Samuel widmete später der reformierte Super- intendent Paul Gilowski seine Katechismusauslegung.

6) Wintersemester 1557—1558 sehen wir ihn mit seinen Brüdern Samuel, Martin und Petrus in Frankfurt, seit dem 20. Januar 1561 in Wittenberg. Als er 1574 seine Hochzeit feierte, war König Heinrich sein Gast,

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besteigen mußte, und Christoph Zborowski!) reformiert, doch bewarb sich letzterer 1567 um die Hand der griechisch- katholischen Schwester des Wojewoden Bogdan von der Moldau; seine Schwägerin Elisabeth heiratete allerdings erst September 1574 den bekannten Andreas Dudith, der sich viele Jahre zu den Unitariern gehalten hat. Unter dieser kirchlichen Zerrissenheit, die zugleich seine nächsten Ver- wandten spaltete, litt Chodkiewicz. Auf dem Reichstage zu Lublin, der am 8. Mai 1566 angehoben und auf den ihn Weigel begleitet hatte, hörte er mit tiefstem Unwillen be- sonders von dem Ansturm der Baptisten?) Alle staatliche und gesellschaftliche Ordnung schien ihm durch sie gefährdet. Gelegentlich seiner Rückkehr aus Lublin blieb er eine Nacht in Stoklisehki?) südöstlich von Kauen und genoß hier die Gastfreundschaft des gelehrten Wilnaer Stadtvogts Augustin Rotundus, den die Pest aus Lithauens Hauptstadt vertrieben hatte. Einst (seit April 1539) hatte dieser in Wittenberg zu Luthers und Melanchthons Füßen gesessen, längst aber den Weg zur alten Kirche zurückgefunden und sich wieder als deren eifriger Sohn gezeigt. In dem theologischen Ge- spräche, das sich beim Abendessen entspann, setzten er und zwei anwesende Mönche, namhafte Wilnaer Kanzelredner, Weigel hart zu. Auf Chodkiewiez machten ihre Einwendungen gegen die Reformation einen gewissen Eindruck, beim Auf- bruch suchte er einen der Mönche zum Feldprediger für sein livländisches Heer zu gewinnen. Als er im Mai 1567 nach Wilona zurückkehrte und hier bei einem Gastmahl etliche neuerungssüchtige reformierte Prediger hart anfuhr, äußerte er zu dem gleichfalls anwesenden Stadtvogt halb scherzend und halb wahr: „Hätte ich aus Stoklischki einen der Mönchs- prediger erhalten, ich wäre wohl heute schon Papist.“ Noch unsicherer wurde er in seiner evangelischen Überzeugung, 3) Seit dem 18. Dezember 1565 in Heidelberg; der Vater Martin Zborowski war am 25, Februar d, J. gestorben.

2) Vergl. Wotschke, Christoph Thretius, S. 51f.

3) Unfern Stoklischki hatte das Evangelium in Rykonty, dem Be- sitze der Talwosz eine Stätte. Der lutherische Kastellan von Samo- gitien Nikolaus Talwosz (+ 1600) schickte seinen Sohn Adam, den

späteren Hauptmann von Dünaburg (F 1628) zum Studium nach Deutschland. Am 21. Juni 1579 ließ er sich in Königsberg einschreiben.

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als jetzt auf des Rotundus Betreiben‘) auch Hosius Mahn- schreiben an ihn richtete, ihm seine Konfession sandte und die katholische Kirche als den alleinigen Glaubenshort pries?).

Weigel war nicht der Mann, seinem schwankenden Herrn eine feste Stiitze zu sein. Schriften des Bischofs Lindanus und des Cölner Karthäusermönches Surius, die ihm Rotundus aus Wilna sandte, machten ihn selbst unsicher und schwankend. Schon am 28. Januar 1568 konnte er aus Wenden nördlich von Riga, wohin er den Truppen des Hauptmanns von Samogitien gefolgt war®), schreiben‘): „Libertas Lutherana pessumdabit Germaniam. Omnia sacra sunt prophanata et ad rudis plebeculae nutum atque volun- tatem ditorta, ut omnibus omnia liceant. Jam non amplius sustineo calvianus dici, etsi nec ante per omnia illi sectae addictus fui, tamen paulo melius de ea sensi qam nune, ubi video omnia plane sacra et humana violari et convelli. In hune finem semper collimarunt aliqui Gastoldiei Vilnenses religionis alio- . quin eontemptores*5). Die Bitte um Übersendung weiterer Schriften, die Weigel am Schlusse des Briefes an Rotundus richtete, fand natürlich beidem eifrigen Werber fiir die alte Kirche willige Aufnahme. Bald erreichte der Wilnaer Vogt bei Chod- kiewiez seinZiel. Seine letzten Bedenken überwand der Nuntius Francesco Commendone®), der Anfang Dezember 1571 wieder nach Polen kam. Um ihn für das evangelisehe Bekenntnis zurückzugewinnen, veranstaltete man eine Disputation über die Autorität der heiligen Schrift, an der außer Chodkiewiez

1) Vgl. das Schreiben des Rotundus aus Grodno vom 3, August 1567 an Hosius, E. S. Cyprian, Tabularium ecclesiae Romanae S. 444ff.

*) Opera Hosii II, S. 242 findet sich die Antwort des Haupt- manns von Samogitien auf das erste Schreiben des Kardinals, das am 29. Juni 1567 in seine Hinde gekommen war, S. 243 das zweite Schreiben vom 30. Oktober 1567 aus Heilsberg.

3) Anfang 1568 belagerte Chodkiewicz vergeblich die Burg Ula, welche die Moskowiter unfern Polozk erbaut hatten. -

*) Vgl. E. S. Cyprian, Tabularium eeclesiae Romanae 578 ff.

5) Leider vermag ich nicht zu sagen, worauf Weigel hier anspielt, Der lithauische Kanzler Albert Gastold hat einst 1536ff, Abraham Culvensis unterstützt, ihm die Mittel zum Studium in Wittenberg und Italien gewährt. Aber von einem Anschluß dieser Familie an die Reformation ist nichts bekannt. Doch vergl. Corp. Refor. X, 7.

6) Vgl. Gratian, de vita Commendoni S. 326 ff.

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sein Schwager Andreas Zborowski, dazu die evangelischen Wojewoden von Sendomir, Hohensalza, Brest, und viele andere teilnahmen. Der spanische Jesuit Franziskus Toletus’), der mit Commendone nach Polen gekommen war, verfocht die katholische. Lehre, der bekannte Jakob Niemojewski, der so oft mit römischen Theologen die Klinge gekreuzt, unterstützt von Stanislaus Drojewski?) die evangelische. Beide Parteien schrieben sich den Sieg zu?) Jedenfalls konnte die Dispu- tation Chodkiewiez Entschluß nicht rückgängig machen. Fortan bekundete er regen Konvertiteneifer. Bei der Krönung König Heinrichs arbeitete er z. B. mit allem Nachdruck im Sinne des Hosius, um den von der Warschauer Konfoederation geforderten Eid des Königs auf die pacta conventa, der

1) Toletus starb als Kardinal in Rom am 14. Sept. 1596.

*) Auch Drohojowski genannt. Dieser treu evangelische Kastellan von Przemysl, hatte am 20, Okt. 1542 die Leucorea bezogen, war dann nach Italien, 1547 nach Zürich und Straßburg gegangen. Mit Flacius, der ihn um Material für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten bat, stand er in Verbindung (vgl. seinen Brief vom 6. Juni 1556 bei Wotschke, Francesco Stancaro S. 33). Zur Drucklegung der polnischen Bibel- übersetzung stellte er Geld zur Verfügung, auf seinem Erbgute Drohojow und in Jacmierza (beide Orte liegen bei Sanok in Galizien) führte er die Reformation ein, Einige Jahre war er ein Gönner und Schutzherr Stancaros. Er starb bald nach 1580. Der Matthias Stanislaus Drohojowski, der seit dem 21. Sept. 1607 in Heidelberg studierte, in demselben Jahre mit seinem Bruder Johann, den wir seit dem 16. Okt. 1611 in Leyden sehen, auch die Marburger Hochschule bezog, der Stanislaus Dr., der mit seinem Bruder Andreas seit April 1617 in Herborn studierte, hier 1619 eine Disputation de prudentia et iustitia veröffentlichte, waren wohl seine Enkel, die Söhne des um die evan- gelische Kirche verdienten Kastellans von Sanok Johann Drohojowski, Der letztgenannte Stanislaus Dr. hat 1645 das Thorner Bekenntnis unterschrieben. Sein 1624 geborener Sohn Stanislaus studierte seit dem 5. Juli 1644 in Leyden, sein Sohn Andreas seit 1651 in Frankfurt Das Thorner Gymnasium besuchten seit 1648 die Brüder Christoph und Wladislaus Dr., ersterer ist der spätere Przemysler Bannerträger, der manche Synode, 1682 die zu Radzienezyn im Lubliner Lande, geleitet hat.

3) Nähere Nachrichten über dies Religionsgespräch gibt ein Brief des Gratian an den zum Katholizismus übergetretenen Nikolaus Tomicki den Sohn des Gnesener Kastellans Johann Tomicki, aus Warschau vom 2. April 1572. Als Trumpf gegen Niemojewski, der sich des Sieges rühmte, veröffentlichte die Gegenseite den Brief polnisch und lateinisch am 18. August 1580. Vgl. Scriptores rerum Polonicaram VII, 225.

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Religionsfreiheit verbürgte, zu verhindern oder abzuschwächen!). Von den Gotteshäusern, in denen Chodkiewiez den römischen MeBgottesdienst wieder aufrichtete, seien die Kirchen in Martynow (in Wolhynien unfern Luzk) und Hnezna (unfern Wolkowischki), in der 1588 Chodkiewiez’ Gattin ihre letzte Ruhestätte fand, genannt?) Chodkiewiez selbst starb schon 1578°). Von evangelischer Seite sind ihm noch 1574 von Nikolaus Rej, dem polnischen Hutten, und 1577 von Bernhard Gorecki Schriften zugeeignet worden.

Trotz langen Schwankens blieb Weigel schließlich doch der Reformation treu. Dem Beispiele seines Herrn folgte ernicht- „Munera, dum vivo, tua, Leucoris alma, tenebo, Quaque decet memori mente fideque colam“, hatte er 1561 gelobt. In der Tat brannte die Liebe zur Reformationsstadt in seinem Herzen. Nach des Chodkiewicz Übertritt kehrte er nach Wittenberg zurück. Hier sehen wir ihn 1573. Jn das Studentenalbum*) des Claudius Textor aus Savoyen, der am 15. April 1564 sich an der Leucorea hatte einschreiben lassen, trägt er Matth. 5,10, dazu lateinische und griechische Verse über diesen Spruch ein. Es ist das

letzte, was ich über ihn ermitteln konnte. I. Georg Weigel an Hérzog Albrecht.

Gnadf, fridt vnd alle heilsame wolfart dureh Christum neben erpietung meiner alzeytt schuldigen, vnderthenigen. willigen vnd gehorsamen dienste vnd demütigem gebett zu gott beuor. Gnedigster fürst vnd herr. Ich bin den 24. Juni, an S. Johannis des täufers tag, gott lob frisch vnd 1) Am 12. Dezember 1573 hatte Hosius deshalb an ihn geschrieben. Hosii opera II, 374ff.

*) Das Gotteshaus in Szklow am Dniepr, eine der östlichsten reformierten Kirchen im Reformationsjahrhundert hat sein zweiter Sohn Alexander, der Wojewode von Troki, katholisiert.

?) Februar 1578 gewann er noch den Rigaer Arzt Zacharias Slopius. den Bruder des Kottbuser Stadtschreibers Hieronymus Slopius für seine Dienste. Cichocki schreibt in den colloquia Osiecensia von Chod- kiewicz: „Vir sine controversia magnus, quem vulgus terrorem impro- borum hominum vocare consueverat, omnes fere haereses antea perva- satus tandem levitatem inconstantiamque fluctuantium dogmatum detestatus toto animo catholicam amplexus est religionem, in qua tuenda adeo profecit, ut palam solidis rationibus assertores istos novi

evangelii impietatis convinceret,“ ^) Im Besitze der Lutherhalle in Wittenberg.

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gesundt gen Witeberg ankhomen vnd hab e. f. d. brieff eim jedlichen jn sonderheytt vnd D. Maiori brieff vnd die 100 fl. selbs treulich vnd fleiBig nach e. f. d. gnedigem beuelch über- antwortet, welche alle zu jrer zeytt sich gegen e. f. d. vnder- theniglich bedanekhen werden, insonderheit D. Maior, welcher mir sagt, jch khäme jm darumb gantz gelegener zeytt, weyll er morgen, daß ist den andern tag meiner ankhunft, seiner tochter, welche er eim jungen magistro," so nun jura studiret, verheirat, hochzeytt zu halten gedacht were. Herr D. Jonas war nit anheim, sonder wie jch von seim gemahel vnd letzlich von jme selbs verstanden, jn churfiirstlichen von Sachsen geschefften, welcher e. f. d. brieff mit hoher freude gelesen vnd sich meiner ankhunft zu e. f. d. mit mir tröstlich . erfreuet vnd wie sein brauch e. f. d. gnedigen willen, lust vnd lieb zum wort gottes mit merern worten exaggerirt vnd confirmirt hat, also daß jch, weiß gott, je lenger je mer von hertzen beger, einer solehen theologischen fiirstlichen per- sonen, welche incorruptam evangelii vocem et ipsius ministros lieb vnd werdt helt, ernert vnd promouiert, jn vnderthenik- heitt neher zu sein. Vnd khan auff e. f. d. mit grundt vnd warheit der spruch Esaiae 49. wol gezogen werden: „erunt reges nutritii tui et reginae nutrices tuae.“ Also khan vnd will dan der fromme gott solche christlichen frommen regenten mit frolichem mundt anreden psalmo 81.: „ego dixi, dii estis et filii excelsi omnes“.

Hiemit, gnediger fürst vnd herr, schickh jeh e. f. d. zwey exemplaria der gehaltenen gedechtnus Philippi, darin die zwen verb stehen. Mich rewet es offt, daß jch von e. f. d. khein anleitung brieflein an meine herren von Nürn- berg (wie mir wol zu thun gebürt hett, aber auf vergessen vnderlassen) vndertheniglich begert vnd versucht habe, so hetten sie desto mer vrsach gehabt, mich maiori humanitate ét liberalitate von jnen zu lassen. Pitte hiemit den trewen lieben gott, er wölle e. f. d., derselben christlich lieb gemahl vnd junge herschafft jn langwiriger gesundtheit vnd glück- seligem regiment gnediglich erhalten vnd von allem übell leibs vnd seel bewaren. Amen. Thue mich derselben e. f. d. jn vndertheniekheit ganz vnd gar ergeben. Datum Witeberg, den 30. Junii anno Christi 1561. E. f. d. vndertheniger vnd gehorsamer Georgius Vueigelius.

II. Georg Weigel an Martin Faber.

Pereupio abs te cognoscere, humanissime mi d. M. Martine, quam feliciter Noribergam veneris et qua etiam nune valetudine quove successu fruaris, Gratulor tibi, si conditionem te dignam et tranquillam consecutus es. Ei dvaxoveig rag Aiyıöiw, quod omnino spero, amplissimam

1) M, Joh. Purgold aus Eisenach,

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habes occasionem contrahendi amicitiam cum Nentuuichio, viro optimo fratre mihi carissimo, tuo favore et benevolentia dignissimo. Hune ipsum, ne quid amicitiae nostrae desit, in meum locum interea statuo, qui sua morum suavitate et conditione facile efficiet, ut ipsius nomine et me arctius sis complexurus. Sic officiosus est, ut gaudeat sibi dari occasio- nem de quoque bene merendi, tam fidelis, ut prọximi magis salutem quam suam curet, adeo candidus et apertus, ut dissi- mulare pariteracsimularenesciatet, ut paucis dicam, sravagıorog, wokvwpeihg avijo qíAog ovvetdg te xoi eUvovc, ut Herodoti voce utar. Hune et meo et me ipsius nomine amabis, sumus enim idem corpus. Hie omnia adhuc salva sunt. Ad 8. Augusti diem designati sunt magistri numero 33”), in quibus et nostri Gronus?) et Helmus?) erant. M. Schoppius 28. die Augusti suas celebravit nuptias satis solemniter, ad quas nos Noribergenses ferme omnes convenimus. Die Augusti 14. obiit Elisabetha, filia D. Maioris natu media. Disputatio inter M. Vietorinum et lllyrieum interrupta est morte filioli prineipis Saxoniae Janfrideriei natu maioris. Doctor Maior paulo ante mortem filiae aegrotare coepit et huc usque gra- viter decubuit, nune melius habet, pro quo deum oramus, ne suam navieulam omnibus his gubernatoribus destituat; sed eam ipsam regat et doceat et subinde alios aliis nau- cleros subiungat. Rumuseulus hie est regem Galliae expediisse legatos ad caesarem de ablegandis nostris ad se theologis, ut cum ipsius conferant. Ita enim homines flagrare purioris, si quae praeter usitatam sit, doctrinae studio, ut si diutius recuset, periculum sit de tumultis. Plura alias. Bene vale. Vuittebergae raptim 1560 die Septembris 27. *)

III. Matthäus Motzarus an den Kanzler Hans von Kreitzen.

Quamquam, magnifice domine, nullis a me studiis laces- situs, multis tamen officiis a Tua M. D. sum eumulatus, pro quibus tantum me Taae M. D. debere intelligo, ut nuHis officiis, nulla opera, labore industriaque mea posse videar satisfacere. Quae quoniam ex aequo reponere non possum, referet M. D. Tuae hie, qui pietatis officia multo eum foenore Solet remetiri. Sie etiam per sexennium Alberti olim prin- eipis beneficiis usus sum, euius etiam munificentia ad culmen et fastigaum eruditionis in celebri hac academia Regiomontana

1) Vgl. Kóstlin, die Baccalaurei und Magistri der Wittenberger philos. Fakultät 1548—1560 S. 23.

? Melchior Gruen, seit Februar 1555 in Wittenberg, später Pro- fessor der Logik in Wittenberg.

3) Melchior Helm, seit August 1557 in Wittenberg.

4) Dieser Brief ist entnommen dem Codex Gothanus chart. A. 123, Bl, 277.

46 46 aspiravi'), et ubi doctrinae mediocris quandam cognitionem mihi comparaveram, alio me consensu eiusdem principis obligans me ad reversionem chirographo contuli,“ut Tua M. D. haud dubie habet in recenti memoria, praesertim cum per Tuam M. D. cum ill. principe de impetranda venia egi. Quoniam autem ultra terminum in chirographo?) expressum in peregrina vel exterranea natione moror, videtur et fides apud me naufragium fecisse et fructus ingenii mei non in obsequia suae celsitudinis sed aliunde divertisse, ideo non immerito macula ingratitudinis, quae mihi^ semper invisa detestataque est, videor nune notandus... Paucis attigi in literis meis ad ill. principem, quibus rationibus adductus peracta peregrinatione in regno Poloniae moror, nimirum quod mihi cuiusdam gymnasii curam eontra propriam volun- tatem a quodam magnate regio commissa est, quam iam deponere vellem, si ill. principis literae, quales in literis?) ad suam eelsitudinem expressi, advolabunt. Quam obrem Tuam M. D. submisse rogo, ut cum sua celsitudine hoc in meo negotio ita agat, quo ef sim apud suam celsitudinem excusatus, quod diutius iusto in peregrina natione ultra

1) Motzarus stammte aus Lyck, hat in Königsberg studiert und 1566 eine Rede de excubiis angelorum dem Herzog Albrecht gewidmet. Ende 1571 gewann ihn der Radziwillsche Hauptmann in Klezk, Hieronymus Makowiecki, der Frühjahr 1563 mit dem jungen Nikolaus Christoph Radziwill nach Straüburg gezogen war, damals von dem be. kannten Unitarier Simon Budny gebeten war, Bullingers Ansicht über das zwischen der griechischen und römischen Kirche strittige „filioque“ einzuholen, der September 1568 von Tübingen über Stuttgart nach Lithauen zurückging, zum Leiter der Schule in Klezk (zwischen dem Eisenbahnknotenpunkt Baranowitschi und Sluzk). Innerhalb der von den unitarischen Predigern Thomas Falkonius und Simon Budny ge- leiteten Gemeinde hat er als lutherischer Lehrer gewirkt. Doch nur kurze Zeit. Die noch 1572 aus Leipzig zurückkehrenden Albrecht und Stanislaus Radziwill richteten wohl schon im nüchsten Jahre den Katholizismus in Klezk wieder auf.

2) Vgl. oben S. 35.

3) An den Herzog Albrecht Friedrich hatte Motzarus an dem- selben Tage geschrieben: ,Post longam iactationem fati, ubi me for- tuna tandem ex variis periculis emersisset, in optatum portum detulisset, duxi mihi in Polonia paululum respirandum. Et interea dum in aula regis Polonorum versor, opinione fortasse alicuius in me eruditionis quidam de proceribus Hieronimus Makovietius apud regem effecit, ut me suo gymnasio Klecensi praeficeret, quod, ne voluntati regiae videar cessisse, nefas mihi detractare iüdicavi concessique verum tantum in annum docendi munus, quod iam iuvante deo die natalitii Christi conficiam deponamque. Verum ne contra propriam voluntatem petiti- onibus eiusdem dni Hieronimi Makovietii, capitanei Klecensis, viri sane.

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terminum in chyrographo datum maneo, etsimul hae literae, ut sim nimirum functione hae scholastica vacuus, mihi a sua celsitudine elargiantur, sine quibus deserere conditionem sine magna molestia et commotione eius, qui mihi eam iniunxit, non possum.

Significavi etiam suae celsitudini brevibus, qualis esset rei publieae Polonorum status et quod ex tribus die epipha- niarum fieri deberet electio unaque ex his aut fratrem caesaris aut prineipem nostrum Prussiae aut ducis Moscorum filium proceres dominii in regnum substituere vellent. Exposui simul suae celsitudini meum consilium, quo pacto sua

r

celsitudo prae ceteris potiri regno Poloniae poterit, quod proeul.

dubio ex literis meis ad suam celsitudinem haud obscure M. D. T. perspiciet. Si autem M. D. T. rationes consilii mei non omnino displieuerint, pergratissimum mihi T. M. D. fecerit, si prineipis nostri animum M. D. T. eo inflectat, ut huic consilio assentiat. Ego cum his proceribus, quos in literis meis ad

suam celsitudinem memini, ita caufissime iuvante deo rem

agam loco, tempore oceasioneque idonea, ut nulla inde suspitio nascatur, hanc suae celsitudinis voluntatem fuisse. Siill. princeps consilio acquievit, rogo T. M. D., ut quoque efficiat, ut sua celsitudo, saltem duo equi sunt mihi, alios duos, vestimenta, pecunias suppeditet, solomodo ut in aula horum procerum

regni in quibus cardo totius regni versatur ef cum quibus.

etiam mihi res erit, non inferior in omnibus ceteris eorum aulieis appaream. Hae vero impensae, si res ex voto ceciderit, quanto cum foenore revertantur, iuvante deo eventus ipse ostendet. Sed hae in re maturandum est, ut habeam spatium, quo in procerum animos insinuem, ut mihi rationes suarum sententiarum communicent, et hac naeta occasione eonveniente loco et tempore ad amplifieandas prineipis nostri laudes nec eonsilium nee studium meum deerit.

Tua M. D. non gravetur mihi perseribere, qualis sit status reipublieae Prussiacae post ademptum nobis prineipem Albertum seniorem. Incerti enim rumores de ea apud nos vagantur, quare id certissimum existimabo, quiequid ex M.D. T. cognovero. Interim me meaque omnis generis obsequia M. D. Tua sibi commendata habeat. Datae ex Klecko 12. Novem- bris anno 1572. M. D. T. famulus obsequentissimus Matthaeus Motzarus.

eruditi, succumbam et in sequentem annum onus et molestias gym-

nasii sustineam, submisse T.'Celsitudinem obsecro, ut huic rei Tua.

Celsitudo clementer occurat.^ Der Herzog möchte: ihn als seinen Untertanen und Stipendiaten heimrufen und bei Makowiecki seine Entlassung erwirken. Aus Dank würde er bei der bevorstehenden Königswahl die Stimmen der polnischen Großen auf ihn lenken.

Die Urkundensammlung des Brettener Melanchthonhauses. Von Lic. Dr. Karl August Meißinger.

Das Melanchthonhaus zu Bretten besitzt eine Sammlung von Urkunden aus der Reformationszeit, von der im Folgen- den Nachricht gegeben werden soll.

Den Grundstock der Sammlung, der dann durch Ge- schenke von Sr.K.H. dem Großherzog Friedrich I. von Baden und von Herrn Studienrat Wörner in Bretten vermehrt wurde, bilden die aus dem Nachlaß Nikolaus Müllers in den Besitz des Hauses übergegangenen Urkunden. Das weitaus wertvollste Stück, die bisher einzige studentische Nachschrift aus der ersten Vorlesung Luthers über den Galaterbrief, hat Hans v. Schubert veröffentlicht (Luthers Vorlesung über den Galaterbrief 1516/17. Zum ersten Male herausgegeben von Hans von Schubert. Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Stiftung Karl Lanz, Philo- sophisch-historische Klasse, 5. Abhandlung, Heidelberg 1918. Dazu: Hans von Schubert und Karl Meißinger, Zu Luthers Vorlesungstätigkeit. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften usw. wie oben, 9. Abhandlung, Heidelberg 1920.)

Den Rest der Sammlung machen Briefe und andere Urkunden aus der Reformationszeit aus. Diese habe ich im Auftrage des Vorstandes des Melanchthonvereins einer vor- làufigen Bearbeitung unterworfen.

Naeh welchen Gesichtspunkten Nikolaus Müller bei Erwerbung der einzelnen Stücke verfahren ist, kann aus der Sammlung kaum vermutet werden, Äußerungen von ihm selbst scheinen darüber nicht vorzuliegen. Auf den ersten Blick kónnte man denken, es sei dem Reformationsforscher um nichts als ein Magazin von Handschriftenproben zu tun

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gewesen; denn außer den Originalen finden sich Facsimilia und Photographien. Diese sind, ebenso wie die schon ander- weitig veröffentlichten Stücke, von der Bearbeitung aus- geschlossen worden. Bei den letzteren wurden lediglich Textvergleichungen vorgenommen. Hier sind die Ergebnisse:

Nr. 18. Joh. Bugenhagen an Conrad Cordatus, Witten-

berg, 25. II. 1530. Druck bei O. Vogt, Dr. Johannes Bugen- hagens Briefwechsel, S. 91ff, Nr. 36.

Vogt

Original nobis S. 91, Z. 5 vobis Turcam » 6 Turcos Saxonas 15 Saxones Einbeke 16 Eimbeck fuit hue ad fuit ad . illie S. 92 , 8 illis eiectionem 14 enectionem optima 19 operam propter „21 apud ` Lubecae 24 Lubeck praedicatur » 26 praedicans canuntur 27 canens von S. 93, 2 vom sehe darzu » 2 sieh darein irascetur 8 noscet Vrsalium 13 Vasalium papisticos 16 papisticas

Nr. 19. Schluß eines Briefes von Phil. Melanehthon an Bürgermeister und Rat von Nürnberg, Wittenberg, 25. XII. 1543. Druck Corp. Ref, V, 257.

7.29 des Druckes ist vor „Vater“ „Gott“ einzusetzen.

Nr. 57. Joh. Matthesius an Joachim Camerarius, Joachimstal 25.X11.1556. Druck bei Lösche, Joh. Matthesius Ba. U, S. 324, Nr. 127.

a. a. O. Z. 16: cum vere etiam et veritati et Cliniae ex animo benevele. Original: cum vere sciam et veritati et Cliniae te ex usw.

Bei näherem Zusehen findet sich, daß immerhin ein bestimmtes Interesse bei einer Reihe dieser Schriftstücke vorwaltet. Ein Blick auf das unten abgedruckte alphabetische Register lehrt zunächst, daß Joachim Camerarius und Georg Major als Absender oder Empfänger je mit einer längeren Reihe vertreten sind. Ferner findet man in dem Register Namen wie Hieronymus Baumgartner, Caspar

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 1. 4

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Cruciger, Paul Eber, Moritz Helling, Jacob Lechner, Caspar Peucer, Michael Röting, Esrom Riidinger, Georg Sabinus, Johann Stigel. Mit einem Wort ist es also der Kreis der Melanchthonianer, der in unserer Sammlung ausgiebig za Worte kommt, Der Prae- ceptor Germaniae steht im Hintergrund, und insofern ist die Sammlung gerade im Melanchthonhaus an ihrem rechten Ort. Von Nikolaus Müllers ausgebreiteten Melanchthonstudien her, die sich z. B. in den reichen Anmerkungen zu seiner Veröffentlichung „Melanchthons letzte Lebenstage, Heimgang und Bestattung“ (Leipzig 1910) kundgeben, ist die Bevor- zugung dieses Kreises von Reformationsmännern zu verstehen.

Im Ganzen bleibt der Eindruck einer gewissen wahl- losen Buntheit. Müller scheint die Antiquariatskataloge nach Reformationsurkunden durchgesehen und alles, was von einigem Interesse sein konnte, an sich gezogen zu haben. Auch darin liegt noch ein Verdienst, denn im Handel ver- zettelt sich dieses Material immer mehr.

Der größte Teil der Urkunden ist zwischen 1530 und 1560 entstanden. Älter sind von den 71 Nummern 8 (1508—1529), jünger 10, eine ist undatierbar. Von den Stücken nach 1560 fallen 9 in den Zeitraum bis 1596. Ganz außerhalb des Rahmens der übrigen Sammlung steht das zehnte, ein Schreiben von Martin Rasch(?) aus Ham- burg 1685, der als Nachrichtenagent eines baltischen(?) Herrn einen Bericht über ihm zu Ohren gekommene politische Nenigkeiten liefert.

Ebenso fremd sind dem Stoffkreis der anderen Urkunden die Stücke Nr. 11 (eine Finanzverfügung Franz I. von Frank- reich) und 10 (Mahnung des Kaisers Ferdinand I. an Georg von Bitsch, betr. rückständige Steuerbeträge).

Am meisten sticht der Name Luthers hervor, aber hier erwartet den Freund des Reformators eine Enttäuschung. Das Stück Nr. 14 scheint ein Stammbucheintrag zu sein, Für die Echtheit möchte ich mich nach gründlicher Ver- gleichung mit dem von mir gleichfalls untersuchten und nach Zweifeln für echt erkannten Bucheintrag, den die Frauk- furter Stadtbibliothek verwahrt, zwar einsetzen. Allein auch’ so ist das Blättchen ohne jede Bedeutung. Das Stück 43

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ist kein Autograph, sondern ein von Schreiberhand, ein- schließlich der Namen, geschriebenes Visitationsgutachten Luthers, Bugenhagens und Melanchthons über einen Gegen- stand von sehr geringem Belang. Die Urkunde Nr. 65 ist zwar ein echtes und ansehnliehes Autograph, aber auch nur für die Finanzgeschichte des Wittenberger Augustinerkonvents von Bedeutung, Endlich das Stück Nr. 65a ist eine völlig obskure Zusanimenstellung von Daten zu Luthers Leben. bis 1525, Müller vermutet Abschrift eines Originals von der Hand des Hieronymus Schurff. Irgendeine in diirfte dem Blatt nicht zukommen.

Überhaupt dürfen weltbewegende Enthüllungen von der Durchforschunng dieser Urkunden nicht erwartet werden. Hingegen bieten sie eine Fülle interessanter Einzelheiten, und für Spezialforschungen mag sich manches Wichtige ergeben. Sich hierüber zu äußern, geht über den Zweck der gegenwärtigen Anzeige hinaus, Nur einige Züge sollen aus der Masse ausgewählt werden. |

Camerarius (dessen künftiger Monograph an den Brettener Urkunden nicht vorbeigehen wird) ist z. B. nach Stück 32a und b in seiner Nürnberger Zeit englischer Agent für einen Schulmeister nach unseren Begriffen ein wenig sonderbar; übrigens wissen wir von dem großen Straßburger Pädagogen Johann Sturm das Gleiche. Noch interessanter ist, daß das „Stipendium“, dessentwegen unser Humanist der englischen Krone diese Dienste leistet, in dem genannten Doppelstück eine so große Rolle spielt, daß alles übrige, freilich sehr geschickt, nur um diesen Hauptpunkt - herumkomponiert scheint, Den gleichen Eindruck, daß nämlich der gefeierte Humanist, der Sprößling einer hoch- angesehenen Bambergischen Familie, damals in Geldverlegen- heit ist, gewinnen wir aus dem undatierten, aber gleichfalls nach Nürnberg gerichteten Schreiben des Basler Humanisten Johann Sichard. Diesem hat sich Camerarius als Uber- getzer seiner exegetischen Arbeiten angeboten und sogar auf Nennung seines Namens auf dem Titel verzichten wollen. Der Hauptpunkt ist auch hier wieder das Honorar des Verlegers wohl eine der frühesten Erwähnungen dieser damals noch neuen und von Vielen als bedenklich empfundenen

4*

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Einrichtung. Bekanntlich hat Luther großen Wert darauf gelegt, daß er nie einen Heller für seine Schriften von seinen durch ihn zu reichen Leuten gewordenen Druckern bekommen habe, darin gewiß ein Mann nach dem Herzen Schopenhauers,

Eine höchst interessante Persönlichkeit ist der zum Protestantismus übergetretene Bischof und päpstliche Nuntius Paul Vergerius, der in dem Stück Nr. 28, einem Briefe von Georg Sabinus an den Brandenburgischen Rat Thomas Matthias, als Württembergischer Gesandter nach Nord- ostdeutschland auftaucht. Die Reise könnte mit der in der Allgemeinen Deutschen Biographie Bd. 39, S. 619, Z. 6ff. erwähnten identisch sein.

Aus der Frühzeit der Religionsveränderung in Straßburg stammt ein kurzes undatiertes Schreiben des Caspar Hedio an Wolfgang Capito. Hedio schickt durch den berühmten Basler Drucker Proben seinem Freund einen Brief von einem Dritten, der an C. als Pfarrer von Jung-St. Peter adressiert ist. Hedio kennt Capito nur als Probst von st. Thomas, Stimmt die Adresse, so scherzt er, dann hast du demnach zwei Pfarren und kannst nach dem Gebot des Evangeliums dem eine geben, der keine hat. Das Stück, über dem es wie Frühlingshauch jener lebendigen Anfangs- jahre liegt, ist bestimmt auf Ostern 1524 zu datieren. Da- mals hatte die Gemeinde von Jung-St. Peter auf ziemlich gewalttätige Weise es eben durchgesetzt, den Probst von St. Thomas zu ihrem Pfarrer zu bekommen.

Auch für Stadt- und Kulturgeschichte wird sich aus unserer Sammlung manches ergeben, so für Nürnberg, wo z. B. nach einem Briefe Majors von 1535 bei Immo- bilienverkäufen eine Steuer zu entrichten ist (Nr. 20, 3), und wo bei der Pest von 1533 Meldepflicht für jeden Sterbe- fall besteht (Camerarius, Nr. 32a, 8). Für die Witten- berger Stadtgeschichte ist z. B. der Brief Paul Ebers von 1552 von Interesse. Eber klagt über schwere Ein- quartierung (41, 2ff.). Es handelt.sich um die heimlichen Truppenansammlungen, die im Zusammenhang mit der Belagerung Magdeburgs dem Abfall des Kurfürsten Moritz vom Kaiser vorangingen. Eber erhofit Besserung von der

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Rückkehr des damals abwesenden Melanchthon ein kleines aber sehr deutliches Zeichen für das hohe An- sehen des Mannes.

Ein gewisser Michael Römer (Romanus), der soeben eine Pfarre erhalten hat und die Welt in rosenroter Schminke sieht, rühmt 1550 die Einrichtung der Wittenberger Univer- sitätsprüfungen und Abgangszeugnisse (Nr. 48).

Sehr interessant ist eine Wittenberger‘ Pfarrgehalts- quittang des Georg Major von 1544 (Nr. 5), wo die einzelnen Bezüge genau aufgezählt sind: Präbendenzins, Präsenz, Kapitelgeld, Wein- und Biergeld, Backgeld, Salz- geld, Obedienz, sowie Weizen und Korn in natura, alles als Stiftsherr des Altenburger Stifts.

Einen Einblick in die Verhältnisse des Gothaer Kirchenkastens, deren Verworrenheit nicht zu den Ausnahmen gehört haben dürfte, erhalten wir aus einem Bericht des Justus Menius an seine Regierung (1547, Nr. 25). Von unzulänglichen Pfarr- und Schulgehältern, von Beitreibung außenstehender Gefälle usw. ist des öfteren die Rede. Ein Kenner dieser Finanzverhältnisse wird aus unseren Urkunden vieles lernen.

Zu allgemeinerer Bedeutung erhebt sich weniges. Zu nennen wäre etwa die sehr ausführliche Instruktion des Kurfürsten August von Sachsen an seine Räte beim Reichs- tag zu Augsburg (1559). Dieses Schriftstück, weitaus das umfänglichste der Sammlung (Nr. 61) gibt einen sehr deut- lichen Begriff von den verwickelten Verhandlungen, die nach dem mißlungenen Frankfurter Rezeß sich zwischen den protestantischen Ständen hin- und herschleppten, und über- haupt von der heillosen Diplomatie, die sich der Glaubens- fragen bemächtigt hatte.

Im folgenden sollen nun zwei dieser wichtigeren Ur- kunden abgedruckt werden. Die erste ist eine Visitations- vollmacht des Landgrafen Philipp d. Großm. v. Hessen für den hessischen Reformator Adam Kraft und seine Mitarbeiter Jost v. Weiters und Kraft Ruwe vom 27. Februar 1528.

Walter Sohm in seinem trefflichen Buch „Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte 1526—1555“

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erwähnt S. 52, Anm. 4 einen Visitationsbefehl, der mit dem unseren vielleieht identiseh ist. In diesem Fall würde sich die von ihm angenommene Chronologie der Visitation in der Oberen und Niederen Grafschaft Katzenelnbogen um ein ganzes Jahr zurückdatieren.

Die Urkunde ist von einer Kanzleihand geschrieben und von Philipp eigenhändig gezeichnet. Das fehlende Siegel und die Aufschrift waren vermutlich auf dem in Verlust geratenen zweiten Blatt des Bogens.

Wir vonn gotts gnaden Philips Lantgraue zu Hessen Graue zu Caczenelnpogenn etc. fugen hie mit vnnserm vffnenn brieff menglich

zu wiessenn, das wir gegenwärtigs denn Hochgelertenn wirdigenn vnnsern Capplan kamer diener lieben andechtigenn vnnd getreuwen Meyster adam Crafft vonn

fuldaw Jostenn vonn Wyther vnnd crafft

Ruwen vss gefertiget vnnd Inen beuolen

habenn Inn vnnsernn Obernn vnnd nydern kaezenelnpogenn graueschafften dye geystlichen zw visitiernn, dye pfarhern allenthalben ,

dar ynn zw examiniern In massenn Jungst

vor wyler zyt In vnnserm [sic] furstenthumen auch bescheen, dye vngeschicktenn vngelerten predigern zw eniseczenn, andere Cristliche Euangelisehe Lerer an der vndochtige entseczt[e] stadt zw ordiniern, die selbigenn zw refor- miern, vnnd vonn vnnsernt wegenn, hie

vor gegebnen beuelch vss zurichtenn, zw

vor sehenn vnnd zw volnfuren, wye sie des vonn vnnss bescheydt entpfangenn habenn Darumb wir hie mit allenn vnnd Jedenn pfarhern, pharuerwaltern Capellan vnnd geystlichenn guter besiczern, Auch allen vnsern amptleutenn Rentmeystern kellern rentsehrieb[ern] Schultheissen landtknechten vnnd beuelhabern, darz|w] allenn Burgemeystern Rathen, vnnd andern de[n] vnnsern die mit duessem' vnnserm brieff

ersucht vnnd angelangt werdenn, ernstlich

(Rückseite) gepietenn beuelhen vnnd wollenn das yr sampt vnnd besunder vff der gedachten vnnser abgefirtigtenn

furnemen, begernn vnnd an synnen diess mals glieh als ob wyr selbs zu gegenn weren,

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zuthun gleuben vnnd ir anbrengenn stadt geben, vnnd Inen zw solicher vonn vnnserntí wegenn vss- riehtung verseung vnnd volfurungk wie sie

euch das anzeygenn werdenn, roitlich furderlich bestendig vnnd beuolenn, sie[sie| auch yhenen sampt denn Ihenen so sie mit sich bringenn vand

haben werdenn, zimlich fueter vnnd Maell entrichten vnnd beczalen, vnnd euch In dem

allem gehorsamlich haltet vnnd erzeyget Des

woll [sic] wir vnns also zw Euch samptlieh vnnd , Jedenn In besunderheyt verlaessenn, vnnd nach gepurnis eynis yedenn Mans wirdenn vnnd

Wesenn gunstliglieh zw beschulden vnnd In gnaden zw Erkennenn. geneygt seyn, Es beschicht hir

an vnnser gnedich ernste zuuerlesich befelch

vnnd meynung zw vrkundt vnther vnnserm

hir vff gedruckten Secret Gebenn In vnser

stadt Cassell am donnerstag Nach Dionisij

Anno ete. xxvii]

Philips L. z. H. ete. sseripsit.

Von hohem persónliehem Interesse ist die folgende Ur- kunde, ein Brief Johann Friedrichs d. GroBm. aus der Zeit seiner trauervollen „custodia“. Einige seiner Anhänger haben sich mit einem Zauberkünstler eingelassen, der sich anheischich gemacht hat, durch seine Künste die Erledigung des Kur- fürsten aus der Haft zu bewirken. Der Kurfürst hat es abgelehnt auf solche dunklen Machenschaften einzugehen und den Mittlern heftige Vorwürfe gemacht, gegen die jene sich verteidigt haben. Auf dieses Schreiben antwortet Johann Friedrich:

Vonn gots gnadenn Johans Fridrich Hertzog zu Sachsen der Eldter Landgraue zu Duringen vnd Marggraue zu Meissen ete.

Liben rethe vnd getreuenn, Wir haben euer an vns gethanes schreibenn, dorinnen Ir auf jungste vnser euch gegebene antwurtt des furgebrachten kunstlers Rattschlag halbenn, euere endschuldigung furgewand habet, empfangen, vnd seines inhalts gelesen, Das wir nun den-

selbigen radschlag mit Gott vnd gewissen vor gutt vnnd Christlich nitt erachten konnen, Sundern denselbigen vor abgottisch haltten; des habet Ir vnsere vnd aus Gottes wortt ergrundete vrsachen, aus derselbigen vnser antwurtt ver- standen, Des gemuts sein wir auch noch. ^ Vnd konnen

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es abermals nitt anders dan darfur achten; haben aber .euer Personen; als die Ir es mitt vns vndterthenniglich vnd treulich meynett, vnd vns vnser beschwerunge gerne end- ledigett seghett; In diszem handel whol endschuldigen, Euch auch mitt solchem anziehen das es abgotterey vnd schwer- merey sey, nitt gemayntt, Sundern den meyster des wergks. Dann sol vnser sachen zu seinem guten bescheid vnd erledigung, wie wir zu Gott dem Almechtigen verhoffen, gereichen, So wirdett es sein Almechtikeitt, die wir darumb bitten, vnd gebeten, aber doch nichtt vf Creuter vnd derselbigen wirckung gesetzt sein wil, ver- leihen vnd schickenn, vnd dartzu der Key. Maiestet hertz (Bl.Ib) [n der handen es stehett, miltern, Vnd ob Ir whol anzaigett das er Justus Menius bemeltten Rattschlag mitt vor gutt angesehen, So zweiueln wir doch nitt, so er der

Person

vnd seines Rattschlags genugsam vnd grundlieh berichtett, vnd

vermergktt was der heilige man Doctor Luther von solchen vnd

dergleichen furgeben, gehalttenn, er als ain Theologus wurde sieh In solehe weltt hendel zurathenn nitt habenn bereden lassen, Sundern vil mher mitt Gott vnd seinem whortt, vnd was sein ambtt ist, bekommern, Sich auch In denen sachenn selbst wissen zubescheiden, Das man Gotte, vnd nitt Creaturn oder Creutern solle vertrauenn, vnd desselbigen hulf suchen vnd bitten. Es wurden auch alle erfarne vnd gelerte Medici wan sie gleich von Gottes wortt nichts wusten. solchen Fantaseyen | keinen Glauben geben, vnd ist kein lherer der Ertzney der auch authenticus where, der den sachen aynigen beifal geben wirdett. Setzen demnach vnser vertrauen vi Gott, vnd kein menschliche vernunfit, Dem wollen wir vermittelst seiner Gotlichen gnaden, wie Dauid sagtt stillhaltten. Der wirdett die seinen wie Petrus sagtt tzu | seiner zeitt, aus der Trubsahl, darmitt vnser Herrgott, vnns weiter nichtt, dan wir ertragen konnen, wissen zuerretten. vnd der ain gnedigs ende entweder hie In zeitlichem; oder Ihenem ewigen leben, mitt ewiger herlikeit, machen. vnd das(Bl.Ila) gebett viler Frommen Christen. vnd guethertzigen. so neben euch vor vns treulich betten, gnedigist erhorenn, Vnd haben euch solchs hinwider

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gnediger maynunge nitt wollen bergen, Datum Augs- burgk den 26den Julii 1550 Jo: Fridrich: der elder etc. m: prop: sst: Vnseren ambtleuten zu Wartburgk Creuzburgk vnd Gerstungen Rethen vnd liben getreuen Eberhardtenn von der Thann vnd Georgen vonn Harstall

Worum es sich gehandelt hat, ist nicht auszumachen. Auch das neueste und ausfiihrlichste Werk über Johann Friedrich, G. Menz, Johann Friedrich d. Großm., 3 Bde. 1904 ff. (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens I, 1—3) meldet nichts von dieser mysteriösen Geschichte, die wahr- scheinlich immer in Dunkel gehüllt bleiben wird. Was dem Stück seinen Wert gibt, sind vor allem die Äußerungen der echten und klaren Frömmigkeit des schwergeprüften Herrn.

Katalog. Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung 3 65 Major, Georg, Brief an Hieron. Baum- gartner L, Wittenberg, 26. März 1529. 4 66 Ders., Brief an Justus Jonas d. A., Witten- berg, 17. März 1542. 5 67 Ders., Quittung an Heinr. Forster, Witten- berg, 23. Nov. 1544. 6 68 Ders., Brief an Hieron. Baumgartner I, Magdeburg, 1. Dez. (1546). 7 69 Ders., Einzeichnung in einem Stammbuch, 1. Nov. 1571. 10 164 Ferdinand 1., Deutscher Kaiser, Brief an Georg, Grafen zu Bitsch, Prag, 8. Aug. 1562. 11 166 Franz I, König von Frankreich, Erlaß, Fontainebleau, 11. Dez. 1529. 14 181 Luther, Martin, Einzeichnung in einem (Stamm-)Buch, 1544. 15 181 Cruciger, Caspar L, griechische und latei-

nische Verse,

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Lfd. Nr. Inv. Nr.

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Beschreibung

- Chemnitz, Martin, Brief an Jakob Joveus(?)

Hameln, 18. Aug. 1575.

Chytraeus, David, Brief an Johann Lorbeer, Rostock, 22. Okt. 1582.

Bugenhagen, Joh. L, Brief an Konrad Cordatus, Wittenberg, 25. Febr. 1530.

Melanchthon, Phil, I, Schluß eines Briefes - an Biirgermeister und Rat zu Niirn- berg, Wittenberg, 25. Dez. 1543.

Maior, Georg, Brief an Hieron. Baum- gartner I., Magdeburg, 16. April 1535.

Ders., Brief an denselben, Magdeburg, 4. Sept. 1534.

Crueiger, Caspar I., Schluß eines Briefes an Veit Dietrich, Worms, 27.Nov.1540.

Ders., Schluß einer exegetischen Ausführung, am Ende ps. 46, hebräisch, arabisch und griechisch.

Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, Fürsten zu Henneberg, (Gotha), 18. Aug. 1552.

Ders., Brief (an Gregor Brück?), Gotha, 26. Jan. 1547.

Ders., Brief an Johann Friedrich d. M. und Johann Wilhelm, Herzöge v. Sachsen,

" (Gotha), 23. Nov. 1548.

Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog v. Preußen), Königsberg (1553?).

Ders., Brief an Thomas Matthias, Frank- furt a. O., 18. April (1557 ?).

Philipp d. Großmütige, Landgraf v. Hessen,, Visitationsvollmacht für Adam Crafft, Jost v. Wyther (= Weiter) und Crafft Ruwe, Cassel 1528.

Cornarius, Janus, Brief an Joachim Camerarius I. (Zwickau), 1.März 1552

59

Lfd. Nr. Inv. Nr. 31 315 32a u. b 316 33 318 34 319 35 320 36 321 37 322 38 323 39 324 40 362 | 41 327 42 377 43 328 44 329 45 330

Beschreibung

Camerarius, Joachim I, Brief an Matthias Garbitius Illyrieus (Leipzig), 30. März (1555).

Ders., Konzept zweier Briefe, a) an einen englischen Wiirdentriger, b) an Thomas Cromwell, Nürnberg, 6. Sept. (1533).

Fabrieius, Georg, Brief an Joachim Camerarius I., Beichlingen, 5. Juli 1544.

Gerbel, Nicolaus, Brief an Joachim Came- rarius I., Straßburg i. E., 16. Aug. 1541.

" Myeonius, Friedrich, Brief an Johann,

Kurfürsten v. Sachsen, Gotha 1530. Micyllus, Jakob, Brief an Joachim Came- rarius L, Heidelberg, 30. Nov. 1536. Praetorius, Abdias, Brief an Joachim Camerarius I, Frankfurt a. O., 11. April 1559.

Siehard, Johann, Brief an denselben. Basel.

Stigel, Johann, Brief an Johann Friedrich: früheren Kurfürsten von Sachsen. Jena, 22. (?) Okt. 1549.

Ders, Billet an einen ernestinischen ' Fürsten. | Eber, Paul, Brief an Joachim Camerarius L.,

Wittenberg, 8. Marz 1552.

Ders, Widmung auf einem Titelblatt, an Johann Meier (naeh 1563).

Luther, Martin, Bugenhagen, Johann und Melanchthon, Philipp, Brief an Johann Friedrich, Kurfürsten v. Sachsen, Wittenberg, 22. Juli 1539.

Museulus, Wolfgang, Brief an Wolfgang Ampelander, Basel, 7. Jan. 1551.

Sturm, Jakob, Brief an Ludwig d. J., Grafen zu Oettingen(?, Straßburg i. E, 7. Marz 1547.

60

Lfd. Nr. 46

56

57

59

60

Inv. Nr. 331

332

364

365

60

Beschreibung .

Schurff, Hieron und Melanchthon, Philipp, Brief an Bürgermeister und (Rat in Neustadt a. O. Jena, 31. Dez. 1527.

Riidinger, Esrom, Brief an Joachim Came- rarius I. Zwickau, 23. Mai (1557.)

Romanus, Michael, Brief an Bartholomäus Wolfhart, Wittenberg, 4. Okt. (1550.)

Starschedel, Dietr. v, Brief an Johann v. Taubenheim, 28. Sept. 1531.

Lechner, Jakob, Brief an Moritz Helling, Wittenberg, 12. März 1558. Abschr. Hieron. Baumgartners.

Tetelbach, Johann, Brief ohne Adresse, Chemnitz, 1. Nov. (1554?).

Osius, Hieronymus, Brief an Nikolaus Gallus, Ohne Datum.

Fischer, Christoph, Brief an Joh. Flemmer Celle, 12. Mai 1590.

Forster, Johann, Brief an Bürgermeister und Rat zu Kitzingen. Schleusingen, 20. Juni 1546.

Hedio, Kaspar, Brief an Wolfgang Fabricius Capito. (1524).

Lotich, Peter IL, Brief an Erasmus Neu- stetter. Heidelberg, 23. Juli 1557. Mathesius, Johann, Brief an Joachim Came-

rarius I., Joachimsthal, 25. Dez. 1556. .

Friedrich ILL, der Weise, Kurfürst v. Sachsen, Brief an Philipp, Grafen zu Solms. Torgau, 20. Dez. 1508.

Johann d. Beständige v. Sachsen, Brief an Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg. Zwickau, 16. Mai 1518.

Johann Friedrich d. Großmütige, Kurfürst von Sachsen, Brief an Eberhard v. d. Thann und Georg v. Harstall. Augsburg, 26. Juli 1550.

61 61 Lfd. Nr. Inv. Nr. Beschreibung

61 368 August, Kurfürst v. Sachsen, Brief an Lud- wig, Grafen v. Eberstein und die andern kursächsischen Räte in Augs- burg. Dresden, 15. Febr. 1559.

62 370 Wolfgang, Fürst v. Anhalt, Brief an Johann Friedrich d. M. und Johann Wilhelm, Herzöge v. Sachsen. 9. Jan. 1552.

63 374 Georg Ernst, Graf v. Henneberg, Aus- führungen über die Zweinaturenlehre.

64 378—390 Maior, Georg II. aus Nürnberg, Stammbuch-

| blätter.

65 185 Luther, Martin, als Prior des Wittenberger Augustinerkonventes, Schuldschein an Henning Göde, Wittenberg, 14. Aug. 1515.

65a 186 Ders.(?) Autobiographische Daten, s. o. S. 51.

66 Heshusius, Tilemann, Brief (an Johann Wilhelm, Herzog v. Sachsen) (1572?)

67 -— Rasch (?), Martin, Brief an einen baltischen

Herrn, = Dezember 1685.

68 Borcholt(en?), ^ Heinrich, Stammbuch - 1586—1588.

69 Schnürlin, Johann, Stammbuch 1588 f.

70 (Wittenberger?) Stammbuchblatt 1558.

71 1596(?)

Alphabetisches Register. * bedeutet Absender oder Empfänger von Briefen oder sonstige Urheber von Urkunden.

(Mag.) Aegoceros, Joh., Hauslehrer bei Dr. Georg von

Commerstad 37 *(Albrecht, Herzog v. Preußen), Brief von Sabinus,

Georg (1553?) 27 Altenburg, Zusammenkunft des Fürsten Wolfgang v. An-

halt mit den Herzögen Johann Friedrich d. M.

und Johann Wilhelm v. Sachsen 62 * Ampelander, Wolfgang, Brief v. u Wolfgang1551 44 Mag. Aquila, Caspar 94.

62 | 68

Arnsnest(a), ev. Pfarrei 1539 43

* August, Kurf. v. Sachsen, Instruktion an Ludwig Grafen v. Eberstein u. Gen. 1559 61

Balthasar N., zum Kreise des Joachim Camerarius gehörig 31,6

Behem, Andreas, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,7 Beneekendorf, Joh. v. Helmstädter Stammbuch-

eintrag 1588 68g * Baumgartner, Hieron. Brief v. Major, Georg 1529 3 * ^ "^ ; , 1534 21 ii » | » » . 1535 20 Eo RS . », (1546) 6 3 T 50,5 * Bitsch, Georg Graf zu, Mahnbrief des Kaisers Ferdinand J. an, 1562 10 * Borcholt(en?), Heinrich, Jenenser und Helmstädter | Stammbueh 1586 —1588 68 Brandmüller, ( ) wohl in Basel um 1551 44,3

Dr. Brendel, Zacharias, Jenenser Stammbucheintrag 1586 68 Í Bueretius s. Rindfleisch

Bude(n?), Joh., ev. Pfarrer in Arnsnesta 1539 43 (Buel), Eucherius, Wittenberger Stammbucheintrag 64,10 * Bugenhagen u.*Gen, amtl. Schreiben an Kurf. Johann .

Friedrich d. Großm. v. Saehseu 1539 43 * Bugenhagen, Joh., Brief an Cordatus, Conrad 1530 18 Bulemann ( ) wohl in Basel, um 1551 44,3 Bulgarien, Fürstentum, abhängig von dem Woiwoden | v. Podolien 1533 32 b, 8 * Camerarius, Joachim, Briefentwurf an Cromwell, Thomas (1533) | 32b * Camerarius, Joachim, Briefentwurf an einen eng- lischen Würdenträger (1533) - 32a * Camerarius, Joachim, Brief an Garbitius Illyricus, | Matthias 1555 31 * " " , von Cornarius, Janus 1552 30 i - 2 » , Eber, Paul 1552 41 * " " | Fabricius, Georg 1544 33 T Gerbel, Nikolaus 1541 34

» »

* i Mathesius, Joh. 1556 57

» 4 »

63 63

+ Camerarius, Joachim, Brief von Micyllus, Jac. 1536 36

y » » , » ‘Praetorius, Abdias 1559 37 s » » »., » Rüdinger, Esrom 1557 47 * M 3 » y Sichbard, Joh. . 38 » | 50,6

5 " als politiseher Agent der engl. Krone 1533 32a, 4; 32b, 4

5 " Übersiedelung von Tübingen nach Leipzig 1541 34,3 | h s in Worms 1540 22,2 * Capito, Wolfg., Brief von Hedio, rosie (1524) 55 Chemnitz, Pest in, 1554 (?) 51,3 * Chemnitz, Martin, Brief an Joveus (?), Jac. 1575 16 Christoph, Herzog von Württemberg, Kirchenpolitik 1559 61,12 * Chytraeus, David, Brief an Lorbeer, Joh. 1582 17

Clarner, Paul, Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,5 Cóler, Hieron., Wittenberger Stammbucheintrag 1560 64,6 Dr. Comat (Georg v. ?), Söhne des 37,2 * Cordatus, Conrad, Brief von Bugenhagen, Joh. 1530 18 Corfinius, Friedr., Helmstädter Stammbucheintrag 1588 68m * Cornarius, Janus, Brief an Camerarius, Joachim 1552 30

Dr. Crakau, Kursächsischer Rat 1559 61,1 * Cromwell, Thomas, Briefentwurf des Joachim Camerarius an, (1533) 32b N 32 a, 3 * Crueiger, Caspar I, Brief an Dietrich, Veit 1540 22 = 5 " Stammbucbeintrag (?) 1544 15 7 "E a‘ exegetische Ausführung 23 Dachae (?) filius 47,3 * Dietrich, Veit, Brief von Cruciger, Caspar 1540 22 Dozue, (), Kanzleiverwandter des Königs Franz I v. Frankreich 1529 11 * Eber, Paul, Brief an Camerarius, Joachim 1552 41 Dedikation an Johann Meier aus Nürn- berg, nach 1563 | 42 * Eberstein, Graf Ludwig v., kursächsischer Rat, u. Gen., Instruktion von Kurf. August 1559 61

Eckhard, Georg 51,7

64 64

Eilenmair, Wolfg., Wittenberger Stammbucheintrag 1562 64,12 Faber, Joachim, aus Magdeburg, Helmstädter Stamm-

bucheintrag 1592 69c * Fabricius, Georg, Brief an Camerarius, Joachim 1544 33 » " geistliche Oden 33,1 n n (?) j 51,2

* Ferdinand I. Deutscher Kaiser, Mahnbrief an Georg Grafen zu Bitsch 10 i Balkanpolitik 1533 | 32b, 8 * Fischer, Christoph, Brief an Flemmer, Johann 1590 51 Biographisches 51,7

"n Flacius Illyrieus, Matthias, Streit mit Justus Menius 50,7 + Flemmer, Johann, Pfarrer zu Hennefeld, Brief von Fischer, Christoph 1590 51 * Forster, Heinrich, Schösser des Stifts Altenburg, Quittung von Maior, Georg 1544 5

* Johann, Brief an Bürgermeister und Rat

von Kitzingen 1546 54 *FranzI., Konig von Frankreich, eine Finanzverfiigung1529 11 Freder, Johann II. 17,2

Friekelshausen im Hennebergischen, ev. Pfarrei 1559 48

* Friedrich d. Weise, Kurf. v. Sachsen, Brief an Philipp Grafen zu Solms 1508 58

Friedrich, Herzog zu Braunschweig u. Lüneburg, Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Joachim

Karl) 681 Frobenius, Johann 55 * Gallus, Nikolaus, Brief von Osius, Hieron. 52

* Garbitius, Matthias, Brief von Camerarius, Joachim 1555 31 * Gerbel, Nikolaus, Brief an Camerarius, Joachim L, 1541 34

Gochsheim, Schulze von 59 Goldstein, Kilian 4, 3; 6, 4 * Göde, Henning, Schuldversehreibung v.Mart.Luther1515 65 Gotha, Kirchenkasten der Pfarrei 25 Groß-Germersleben, protest. Pfarrei 1558 69e Gugel, (Christoph ?), zum Kreise des Joachim

Camerarius in Nürnberg gehörig 38,7 Halie, Georg 31,1

Hameln, Superintentur 1575 . 16

65 65

*Harstall, Georg v. Brief von Johann Friedrich d.

Großm. v. Sachsen 1550 60 ‚Hartung, Nikolaus, Pastor zu Groß-Germersleben, Helm- städter Stammbucheintrag 1588 | 69e * Hedio, Caspar, Brief an Capito, Wolfgang (1524) 55 * Helling, Moritz, Brief von Lechner, Jae. 1558 50 Helmstädter u. Jenenser Stamffnbuch des Heinrich Borcholt(en ?) 68 * Henneberg, Georg Ernst Fürst zu, Br. v. Menius, Justus 1552 24

* Henneberg, Georg Ernst Graf zu, Glaubensbekenntnis 63 Henneberg, Veit Ulrich Truchsess v., Jenenser Stamm-

bucheintrag | 68i

T. ou Wilh. IV., Graf zu, Brief v. Johann d. Bestánd. v. Saehsen 59.

* Heshusius, Thilemann, Brief (an Herzog Johann Wilhelm v. Sachsen) 1572 | 66 Hofmann, (Christoph?) 47,3 Honorieus, Georg, Helmstádter Stammbucheintrag 1588 69b Jena, Lateinschule 1549 39

Jenenser u. Helmstädter Stammbuch des Heinrich Borcholten 68 Joachim Karl, Herzog zu Braunsehweig und Lüneburg, Helmstädter (?) Stammbucheintrag 1588 (s. Friedrich) 68k * Johann d. Bestündige, Kurf. v. Sachsen, Brief an Wilhelm IV., Grafen zu Henneberg 1518 59 * Johann d. Beständige, Brief von Myconius, Friedrich, 1530 35 * Johann Friedrich d. Grofmütige, Kurf. v. Sachsen, Brief an Eberhard v. d. Thann u. Georg v.

Harstall 1550 E 60

* Johann Friedrieh d. Grofmütige, Brief von Johann Stigel 1549 39

» » » » „Ratschlag zur

Befreiung des, aus kaiserlicher Haft 60

* Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Wolfgang, Fürsten v. Anhalt 1552 62 * Johann Friedrich d. Mittlere, Brief von Menius, Justus 1548 66 " " M " Kirchenpolitik 1559 61,5

* (Johann Wilhelm, Herzog v. Sachsen), Brief von Hes- husius, Thilemann (1572?) 66

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX, 1. 5

66 66

* Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von

Menius, Justus 1548 26 * Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen, Brief von

Wolfgang, Fiirsten v. Anhalt 1552 62 * Jonas, Justus d. A., Brief von Maior, Georg 1542

» » Biographisches 6,3

V jaseus (?), Jacob, Superintendent in Hameln 1575,

Brief von Chemnitz, Martin 16 lrenaeus, (Christoph?) 52,2 Karl V., Balkanpolitik 1533 32b, 8 Katzenelnbogen, Obere und Niedere Grafschaft, Kirchen-

visitation 1528 29 Keyser, Hans, ehemaliger krsthsisolior Hofkoch 35 * Kitzingen, Biirgermeister u. Rat v., Brief von Forster,

Joh., 1546 | 54 * Kraft, Adam u. Gen., Visitationsvollmacht von Philipp d.

Großm. v. Hessen 1528 29 Kreß v. Kressenstein, Christoph, Ratsherr in Nürn-

berg 1535 20, 2; 21,2 Kuepacher, Kanzleiverwandter des Kaisers Ferdinand L,

1562 10 * Lechner, Jakob, Brief an Helling, Moritz 1558 50

- », Ubersiedelung nach Nürnberg

1558 50, 4, 5 Leipold, Johann, aus Kitzingen, Stud. theol. 1546 54

Leutzdorfer, Konrad, Prokurator d. Stifts Altenburg 1544 5 Lickfett, Johann, aus Marienau in Preußen, Helm-

städter Stammbucheintrag 1588 69d Livland, Einfall der Russen 1555 31,6 * Lorbeer, Johann, Abt des Klosters Riddagshausen,

Brief von Chytraeus, David 1582 17 *Lotich, Peter IL, Brief an Neustetter, Erasmus,

gen. Sturmer 1557 56 Ludwig XIL, König v. Frankreich, als Schuldner des

Prinzen von Orenge 11 * Luther, Martin, u. Gen, amtl. Schreiben an Johann

Friedr. d. Großm. 1539 43 * Luther, Martin(?), Autobiographische Daten 65a T xx , .Sehuldverschreibung an Henning Göde

1515 65

* Stammbucheintrag 1544 14

2

67 67

* Luther, Martin, brieflicher Scherz mit Conrad Cordatus 61 Mai, Michael, Pedell in Wittenberg, Stammbucheintrag

1561 64,9 * Maior, Georg, Brief an Baumgartner, Hieron. 1529 3 $e » » » » »" 1534 21 = » | » » 9 1535 20 E » 4 4 » (1546) 6 MET - Quittung an Forster, Heinrich 1544 5 5 2 " Brief an Jonas, Justus 1542 4 » geplante Übersiedelung nach Nürn- berg 1546 63 = » (zum Majoristischen Streit) 503 » , . Pfarrgehalt in Wittenberg 1544 5 " », Stammbucheintrag 1571 7 S 5 IL, Stammbuch 1560—1562 64 Johann 211 ý , A Lemniea Carmina 52,9 Marienau in Preußen 69d

* Matthesius, Joh., Brief an Camerarius, Joachim 1556 57 * Matthias, Thomas, Brief von Sabinus, Georg (1557?) 28

Meienburg, Michael 51,7

Meier, Johann, aus Nürnberg, Widmung v. Eber, Paul 42 5 " ^ a Schluß eines Briefes an

Bürgermeister u. Rat v. Nürnberg 1543 19

* Melanehthon, Phil. L, u. Gen., amtl. Schreiben an Joh. Friedr. d. Großm. 1539 43 í m » » Abwesenheit von Witten-

berg, Marz 1552 41,3 j " Reise naeh Zerbst (1546) 6,1 " » Il, (1596?) 71

Memmius, Conrad, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 &8a *Menius, Justus, Brief an Georg Ernst, Fürsten zu

Henneberg 1552 24 5 » Brief an (Gregor Brück?) 25 " " » » an Joh. Friedr. d. M. v. Sachsen 26 » Streit mit Flacius Illyrieus, Matthias 50,2 " beteiligt bei einem „Ratschlag“ zur Béfscinis des Kurfürsten Joh. Friedrich d. GroBm. aus kaiserlicher Haft 1552 60,4

68 68 Meurer (Wolfgang?) 33,2 Michel N., in Neustadt a, O. gefangen 46

+ Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36 Monthaborn (?) Christoph, engliseher Gesandter in

Deutsehland 1533 32a, 5; 32b, 3 * Musculus, Wolfgang, Brief an Ampelander, Woli- gang 1551 44 * Micyllus, Jacob, Brief an Camerarius, Joachim 1536 36 * Ablehnung eines Rufes an die Univ. "Tübingen 1536 36 . *Myconius, Friedrich, Brief an Joh. d. Bestándig. 1530 35 " Amtstitigkeit in Gotha 25,1 Minds v. Frundeck, Heinr. Albrecht, Helmstädter Stammbucheintrag 1588 . 68h Nachtenhofer, Lorenz 55 * Neustetter, Erasmus, gen. Sturmer, Brief von Lotich, Peter II. 1557 56 * Nürnberg, Bürgermeister u. Rat v., Brief v. Melanchthon, Phil. I. 1543 19 Nürnberg, Meldepflicht von Todesfällen beim Rat, ge- legentlich der Pest 1533 32a, 8 P Pest in, 1533 32a, 5f. " Steuer bei Immobilienverkäufen 1533 20,3 Orenge, Fürst von, als Gläubiger des Königs Ludwig XII. von Frankreieh 11 Osiander, ( ), Diener des Joachim Camerarius (?) 32a, 1 * Osius, Hieron., Brief an Gallus, Nicolaus 52 * Oettingen (?), Ludwig d. J. Graf von, Brief von Sturm, Jacob 1547 45 Petkum, Joh. v., aus Hamburg, Helmstädter Stammbuch- eintrag 1589 69a Peucer, Kaspar 47, 2; 50, 6 Pfarrgehalt des Georg Maior in Wittenberg 1544 5 Pforzheim, Fürstentag 1559 61,7 * Philipp d. GroBm., Landgraf v. Hessen, Visitations- vollmaeht für Adam Kraft u. Gen. 1528 29 Plankwald, Jobst, in Antwerpen 32a, 9

Podolien, Woiwode von, Machinationen mit dem Türken 1533 32b, 8

69 69

* Praetorius, Abdias, Brief an Camerarius, Joachim 1559 37 + Rasch (?), Martin, in Hamburg, Brief an einen

baltischen(?) Herrn 1685 67 Mag. Reudenius, Ambrosius, Prof. in Jena (Amts-

antritt 1572) 66 Reichardt, Valentin, Witwe des Gothaer Pfarrers 26

Rheinstein u. Blankenburg, Ernst Graf v., Helmstädter Stammbucheintrag 1588 68e

- 7 Martin Graf v., desgl. 68b Biddasshansen b. Braunsehweig, Kloster 17 i " Katalog der Aebte 17,4 Riga, Belagorüng dureh die Russen 1555 31,6 Rindfleisch (Bucretius), Daniel, Helmstüdter Stamm- bucheintrag 1589 68n Rolinger, Johann, Mag. Physicus | 51,7 * Romanus, Michael, ev. Pfarrer in Frickelshausen, Brief an Wolfhart, Barthol, 1550 48 Rosa, Johann, Mag., Prof. in Jena, Tod des, 1572 *66 Röting (Michael L?) 50,6 » ( », IL?) 50,6

5 " Stammbucheintrag Wittenberg 1560 64,1 * Rüdinger, Esrom, Brief an Camerarius, Joachim L, 1557 47

i » Stammbucheintrag (?) 15

» 50,6

er Kraft, hessischer Visitator 1528 29 ^ Sabinus, Georg, Brief (an Albrecht, Herzog v.

Preußen) 1553 27

- an Matthias, Thomas (1557?) 28 Schaller: Hieron., Wittenberger Seammindcheintear 1561 64,11 Schauenburg, Adolf Graf zu, ete., Wittenberger Stamm-

bucheintrag 1560 64,4 Scheggius (Jacob ?), zum Kreise des Joachim Camerarius gehörig 31,6

Schellhammer, Joh., Wittenberger Stammbucheintrag1560 64,2 Schmalkaldischer Krieg, Anfangsbewegungen der kaiser- lichen Truppen 45,4 Schnerrer, Joh., Wittenberger Stammbucheintragum 1560 64,13 Sehnürlin, Joh., aus Preußen, Helmstädter Stammbuch 1588 ff. : 69

70 70

* Scurff, Hieron. u. Melanchthon, Phil., Brief an Bürger-

meister u. Rat von Neustadt a. O. 1527 46 Schweden, Bündnispolitik 1533 32b, 6f. Schwanter Adam, aus Zellheim, +1558 als Student in

Wittenberg 70 Scotus( ), Professor an der Universität Frankfurt 1559 37,1 Seld, Georg Sigismund 10 *Sichard, Joh., Br. an Camerarius, Joachim 38

s" » Kommentar zu Genesis u. Exodus 38,2 Stibarus, (Daniel?) 38,1 Dr. Simon, ( ) 17,3 Dr. Sitzinger, kurpfilzischer Kanzler 1559 61,11 * Solms, Philipp Graf zu, Brief von Kurf. Friedrich d.

Weison 1508 58 * Starschedel, Dietrich v. Brief an Johann v. Tauben-

hain 1531 49 *Stigel, Joh., Brief an einen ernestinischen Fürsten 40 A r » » Johann Friedrich d. Großm. 1549 39 Straßburg, Akademie, leidet 1541 unter der Pest 34,4

; Verhandlungen mit dem Kaiser 1547 (Schmal-

kald. Krieg) 45,3 Strigel, Victorinus, Mag., Lehrer an der Jenenser Latein-

schule 1549 39,1 * Sturm, Jacob, Brief an Ludwig d. J., Grafen von

Oettingen (?) 1547 45

» Joh., eine Ausgabe der Reden des, 1541 B 34,2 Sturmer s. N Pu Sulzer, (Simon) 44.3 Sygler ( ) (Jüdischer?) Getreidehändler in Dresden 49,2 * Taubenhain, Joh. v., Brief von Starschedel, Dietrich v.,

1531 49 * Tetelbach, Joh., Brief ohne Adr. (1554?) 51 *v. d. Thann, Eberhard, Brief von Johann Friedrich

d. GroBm. 1550 60 Thannhausen, Jacob v., Jenenser Stammbucheintrag 1586 68d

5 Sigismund v., desgl. 68e Thurn, Franz Graf v., Kaiserl Gesandter nach Kur-

sachsen 1559 61,1f.

Türken, Baugelder und Nothilfe zum Krieg wider die, 1562 10

7i 741

Vaughan, Stephan, englischer Gesandter in Deutsch-

land 1533 32a, 5; 32b, 3 Vergerius, Paulus, als Wiirttembergischer Gesandter naeh Preußen 1557 28 Weiters, Jost v., hessischer Visitator 1528 29 Wigand (Joh.?) 592,2 Windruvius, Peter, Mag. 17,5 Wittenberg, Universität, Bestehen akademischer Prüfungen 1550 48,4 j lästige Einquartierung 1552 41,2

* Wolfgang, Fürst von Anhalt, Brief an Johann Friedrich d. M. und Johann Wilhelm von Sachsen 1552 62 * Wolfhart, Barthol., Superintendent in Schleusingen,

Brief von Michael Romanus (1550) 48 Worms, Religionsgespräch 1540 22 Zirler, ( ) 56 Zwingli, Ulrich, Enkel des Reformators 44,1

Jeder Urkunde ist bei der Bearbeitung eine hand- schriftliche Inhaltsangabe beigefügt worden, nach der die Verwaltung des Melanchtonhauses bei Anfragen von auswärts jeweils vorläufige Auskunft geben kann.

Notwendige Ergänzungen zu vorstehendem Verzeichnis wird eines der folgenden Hefte bringen.

Mitteilungen.

Neuerscheinungen.

Mit gewandter Hand entwirft. K. P. Hasse ein für weitere Kreise bestimmtes farbenreiches Bild vom deutschen Humanismus (,Die deutsche Renaissance I. Teil: Ihre Begriindung durch den Humanismus“). Das Buch hat vor L. Geigers Darstellung besonders den Vorzug strafferer Zusammenfassung und größerer Abrundung voraus. Der Standpunkt des Verf. ist jedoch allzu einseitig vom humanistischen Ideal bestimmt, so wenn er Luther als einen kultur- feindlichen Barbaren zeichnet und dem (tief unter Nikolaus von Kues gestellten) Melanchthon, dem er es nicht verzeiht unter die Theologen gegangen zu sein, jegliche Orginalität des Geistes schlechthin abspricht, Ein 2. Band soll die ,Ausgestaltung der Renaissance durch Denker, Forscher und Künstler“ behandeln. Meerane i. S., E. R. Herzog 439 S. Mk, 20.—.

Herausgeber (O. Clemen) und Verleger (O. Harrassowitz) der 1907 bis 1911 in 4 Bänden erschienenen Sammlung „Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation“ haben sich entschlossen, die Sammlung fortzusetzen als , Flugschriften aus der Refor- mationszeit“, also in weiterem Rahmen. Es sollen auch Flugschriften aus den vorbereitenden humanistischen Fehden, ebenso aus der Zeit vom Bauernkriege bis zu Luthers Tode und dem Schmalkaldischen Kriege Aufnahme finden, Die ersten vier unter Mitarbeit von A. Goetze von O. Clemen mit gewohnter Sorgfalt besorgten, mit Einleitung und knappen Erläuterungen versehenen Lieferungen enthalten zwei anonyme lutherische Augsburger Schriften von 1521 (Weller, Rep. typogr. 1996 und 1997) den Ludus Sylvani Hessi (A. Corvinus) in defectionem G. Wicelii ad Papistas von 1534 und ein anonymes Wittenberger Epitaphium des ehrwürdigen . . M. Lutheri von 1546. Die Ausstattung ist vortrefflich; die Facsimile-Reproduk- tionen auf imitiertem alten Büttenpapier geben die Originale einschließ- lich der bildlichen Zutaten in denkbar treuester Art wieder und bieten eine Grundlage für mannigfache Untersuchungen der Texte. Leipzig Harrassowitz 1921.

Erfreulicher Weise kann bereits die dritte Auflage des 1. Bandes von O. Scheel, Martin Luther angezeigt werden. Verf. hat den Text sorgsam durchgesehen, ohne Grund zu wesentlichen

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Anderungen zu finden; die Anmerkungen dagegen sind um 15 Seiten angewachsen infolge der Auseinandersetzung des Verf. mit der neuesten Literatur, insbesondere mit Benary, zur Geschichte der Stadt und Universität Erfurt (S. 805—807) und A. V. Müller, Luthers Werdegang u. a. (S. 392 ff.) Tübingen, Mohr 1921 VIII, 340 $., M. 60.

In „Der große Wormser Reichstag von 1521" herausgegeben zur 400jührigen Gedächtnisfeier im Auftrage des Frei- herr]. Paares Heyl zu Herrnsheim, bewegt sich P. Kalkoff auf seinem eigensten Gebiet. Er wendet sich hier an den größeren Kreis der Gebildeten, denen er zuerst die geschichtliche Bedeutung des Reichstags im allgemeinen verständlich macht, um dann dessen Verlauf, soweit es sich um die lutherische Frage handelt, in gedrungener, fesselnder Darstellung zu schildern. Den ganzen Hergang rückt Verf. unter den Gesichtspunkt des Kampfes zwischen der romanischen Staatskunst, die in Karl V. und den Päpstlichen verkörpert erscheint, und dem deutschen Geist; erringt jene durch den Erlaß des ver- fassungswidrigen Wormser Edikts zunächst einen Scheinerfolg, so ist der wahre Sieger nichts desto weniger der durch Luther befruchtete - deutsche Geist. Darmstadt, Joh. Waitz, 109 S. M. 25.

Em.Hirsch ,Die Theologie des Andreas Osiander und ihre geschichtlichen Voraussetzungen“, hellt zunächst an der Hand der frühesten Schriften des O. dessen Werde- und Bildungsgang „um reformierten Theologen auf, wobei sich Beeinflußung durch Reuch- lin, besonders aber durch Luther herausstellt. Weiter wird unter- sucht, in welchen Punkten und unter welchen Einflüssen O's. Theologie später Umbildungen erfahren hat; wobei Verf. nachweist, daß mittels gewisser entlegener Studien und absonderlicher Liebhabereien des O. einige Ideen des Picus von Mirandula und aus der Kabbala, im besonderen dem Sohar, bei ihm Eingang gefunden haben und nun zusammen mit den Reuchlinischen Spekulationen über das Wort eine Art Weltanschauungshintergrund für das reformatorische Evangelium bilden. Von dieser Grundlage aus werden endlich die Probleme des Ösiandrischen Streits aufs neue gewürdigt (Rechtfertigungslehre, Frömmigkeit, Gottesbegriff) und die theologiegeschichtliche Bedeutung des Streits entwickelt. Als Beigaben folgen eine Untersuchung über die mißglückte Berufung nach Tübingen (1591) und bibliographische Nachträge, endlich Abdrücke der Vorrede O’s zu Copernicus’ de revolutionibus (1543), eines antiosiandrischen Chorals und Mörlins erster Kintrachtsformel. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, VIII. 296 S. 1919 M. 15.

Das Ein- und Durchdringen des Evangeliums in der kleinen fränkischen Stadt Windsheim, wiees Joh. Bergdolt in „Die freie Reichsstadt W. im Zeitalter der Ref.(1520—1570)* schildert, zeigt zwar wesentlich den gleichen Verlauf wie in zahlreichen anderen Gemein- wesen; gleichwohl folgt man der Darstellung des Verf., die auf breiter archivalischer Grundlage in das Leben und Treiben des ober-

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deutschen Biirgertums jener großen Tage einführt, mit lebhafter Anteil- nahme. Auch fehlen nicht die eigentümlichen Züge, besonders in der Teilnahme hervorragender Persönlichkeiten wie Jakob Appels und des ehemaligen markgräflichen Kanzlers Georg Vogler. Ferner fallen von hier aus Streiflichter auf die Politik der Stadt Nürnberg, des Hauptes der fränkischen Städte, mit der Windsheim das engste Einvernehmen unterhielt. Unter den neun archivalischen Beilagen ragt Nr. 1, der Windsheimer Ratschlag von 1524, hervor. Quellen u. Forsch. z. bayr. KG. herausgeg. von H. Jordan V. Leipzig, A. Deichert XIII, 305 S.

In dem Helden seines Buches „Wolf Dietrich von Maxlrain und die Reformation in der Herrschaft Hohen- waldeck" entwirft W. Knappe ein ansprechendes Lebens- und Charakterbild eines mannhaften, ausdauernden Bekenners evangelischen Glaubens, der freilich vergebens gegen ein unentrinnbares Schicksal stritt, indem er zusehen mußte, wie das Bayern der Herzöge Albrechts V- und WilhelmsV. mit übermächtiger Gewalt die Gegenreformation in Hohenwaldeck;durehführte. Verf. hat sich bemüht, überall den größeren Zusammenhang, in erster Linie mit der bayerischen Politik, aufzu- suchen und somit im Rahmen der Geschichte Wolf Dietrichs und seiner Herrschaft ein Zeitbild aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu geben. Die Arbeit beruht auf den einschlägigen Akten der bayerischen Archive. Quellen u. Forsch. z. bayer. KG. herausgeg. von H. Jordan IV., Leipzig, Deichert 1920 V., 151 S., Mk. 12.—.

Ein Werk deutschen Fleißes und deutschen Idealismns ist die Einführung der ReformationinLiv-, Est-und Kurland“ des baltischen Historikers Leonid Arbusow d. J., ein Werl: dessen Vollendung dem VRG. zu danken ist (über die Entstehungs- geschiche und die zu Grunde liegenden Materialien s. das Vorwort): Nicht eigentlich aus Deutschland eingeführt, aber durch das dort gegebene Beispiel in dem kerndeutschen baltischen Bürgertum ent- facht, ist die baltische Ref. hernach in das Fahrwasser der Witten: berger gelenkt und endlich unter deren Einfluß ausgebaut worden. Verf. verfolgt die Entwicklung im einzelnen bis etwa 1533. In der breiten und anschaulichen Ausmalung des Einzelverlaufs verliert er doch die größeren Zusammenhänge nicht aus dem Auge. Sehr lesenswert ist auch die ausf. Einleitung: Livland am Ausgang des Mittelalters. Quellen und Forsch. zur RG. herausgeg. vom VRG. III. Leipzig, Heinsius 1921 XIX. 851 S., Mk. 70.—.

A. L. Veit, Kirche und Kirchenreform in der Erzdiözese Mainz im Zeitalter der Glaubensspaltung und der beginnenden tridentinischen Reformation 1517—1618 (= Erl. u. Erg. zu Janssen G. d. d. V. X. 3), Herder, Freiburg i. Br. 1920 XIII, 98 S., Mk. 25.— und Zuschläge —, beruht großenteils auf den bisher noch unbenutzten Mainzer Akten des Kreis- und des Bischöflichen Ordinats- archivs in Würzburg; auch wird ein sehr inhaltreicher Bericht des Nuntius Frangipani über Verhandlungen mit Erzbischof Woltgang

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von Dalberg von 1575 aus dem Vat. Archiv verwertet. Verf. betrachtet getrennt die Stellung der Erzbischöfe, der Geistlichkeit und des Volkes, Leider wird die Verdienstlichkeit seiner Arbeit durch eine das Maß der Zulässigen bei wissenschaftlichen Schriften überschreitende konfessionelle Einseitigkeit und Gehässigkeit gegen alles, was mit dem Protestantismus zusammenhängt, beeinträchtigt.

H. Preuss, Dürer, Michelangelo, Rembrandt, 9. Aufl. Leipzig, Deichert 1921, 58 S., kl. (= Lebensideale der Menschheit L). In den drei genannten Künstlern erblickt Preuss drei bestimmte Typen menschlichen Geisteslebens überhaupt, insbesondere des religiösen. In Dürer kommen die Eigentümlichkeiten des deutschen Volkes am reinsten zur Darstellung: Tiefe des Geistes, sonniger Humor, Freiheit des Gedankens, Ehrung des Alltags, innige Frömmig- keit. Noch mehr bedeutet es, daß Dürer künstlerisch vom Mittelalter zur Reformation kam, vom Stil der Unruhe der Sündenerkenntnis zum Stil der Ruhe des reformatorischen Hochgefiihls. Daß D. sich der Reformation Luthers anschloß, war selbstverstándlich; er hatte sie in seinem neuen, schon 1517 erschienenen Christusideal, das aus dem Jesus der zärtlich schwachen Minne und dem Christus der blutenden . Anklage den Jesus Christus des Glaubens, männlich und stark und erbarmend, den „lieben Herrn Christus“ Luthers, machte, gleichsam vorausverkündigt. Neben dem Protestantismus steht bei Dürer jedoch die Renaissance, beide feiern in seinem letzten Werk eine programm- mäßige Synthese; die vier Apostel sind ebenso lutherisch wie antikisch. Bei Michelangelo verfolgt Preuss, wie, ohne daß er sich von der katholischen Kirche förmlich löste, das Schwergewicht seiner Frömmigkeit sich nach der evangelischen Seite des katholischen Um- kreises verlegt; seine Dichtungen und letzten plastischen Werke künden ein geläutertes Christentum. In Rembrandt endlich erkennt der Verf. einen der frühesten Vertreter des modernen Spiritualismus (,Individualspiritualismus^). R. steht auf der Linie, die sich vom Objektiven, geschichlich Gegebenen loslóst und den Menschen ganz auf Sich selbst stellt.

L. Raitz v. Frentz S. J., Der ehrwürdige Kardinal Rob. Bellarmin, in der Sammlung „Jesuiten, Bilder großer Gottes- streiter^ zum 300, Todestag B's (+ 17. Sept. 1621) erschienen, ist ein Erbauungsbuch für Katholiken. XIV, 230 S., Freiburg in Br. Herder 1921 Mk. 24.—, geb. Mk. 30.— mit Zuschlag.

Aus Zeitschriften.

Allgemeines. Q. Wehrung, heformatorischer Glaube und deutscher Jdealismus (Studien z. sysemat. Theol, Festgabe f. Th. v. Häring S. 187—225) zeigt gegen Tröltsch und Anhang, welche

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gewaltige Arbeit die Reformation für die Heraufführung der Neuzeit geleistet hat und wie sie noch heute als kraftspendende Macht neben dem deutschen Idealismus steht (vgl. G. v, Below in HZ. 125 S.355—857).

C. Fabricius, Vom Luthertum zum Sozialismus versucht die Verbindungslinie zu ziehen, die diese beiden Erscheinungen der Geschichte durch die Jahrhunderte hindurch mit einander ver- bindet. Dem Verf. ist der Sozialist, der sich mit der gesamten Menschheit zu vereinigen trachtet, um in ihrem Schoße von über- mäßiger Arbeit auszuruhen, der weltliche Erbe des Lutheraners, der sich nach vergeblichen Mühen um Werkgerechtigkeit der für alle Menschen bestimmten göttlichen Gnade in die Arme wirft. Harnack- Ehrung S. 434—450.

Den Ursprung, die Vorbereitungen und die ersten Kundgebungen der Reformation (bis 1523) stellt unter besonderer Berück- sichtigung des Anteils Frankreichs (Lefévre) und der Niederlande N. Weiß im Bull. de la Soc. de l'hist. du prot. francais 66 (1918) S. 178—232 dar. Derselbe erörtert ebendort S, 97—125 unter dem Titel „L’ origine et les étapes historiques des droits de l’ homme et des peple“ den Einfluß der Reformation auf die individuelle und kollektive Freiheit.

Aus den Ergebnissen der bibliographischen Aufnahmen der „Kommission zur Erforschung der G. d. Ref. und Gegenref.“ beginnt K. Schottenloher im ZblBw. 38 „Beiträge zur Bücher- kunde der Reformationszeit“ mitzuteilen. Er verbreitet sich über Joh. Lobmeyer von Würzburg und seine Druckwerke (1518—1525), den Landshuter Drucker Joh. Weissenburger (1513—36), den Rechtsgelehrten Leopold Dick als Publizisten (a. a. O. S. 20—338); ferner über Stephan Agricola als Übersetzer des Schwäbischen „Syngrammas“, eine versteckte Abendmahlschrift Michael Kellers von 1525, die Evangeliensummmarien Pseudo-Luthers und ihren Heraus- geber Kaspar Bruschius (1544) und über Nik. Gallus den jüngeren (a, a. O. 67—78).

Aus seltenen reformationsgeschichtlichen Druck- schriften (der Dresdner Landes- und der Zwickauer Ratsschulbibl.) teilt in ZKG. 39 (NF II) S. 88—92 O. Clemen mit 1. einen bisher unbemerkt gebliebenen Brief des Justus Jonas von 1553 an den als Professor der griechischen Sprache in Jena 1560 verstorbenen Johann Langer, Sohn des gleichnamigen ersten Koburger Superintendenten; 2. ein judicium von Melanchthon und ein Gedicht von Erasmus Alber (aus einer Schrift von Joh. Winnigstedt, Pfarrer zu Quedlinburg „wider die Kirchendiebe“ von 1560) und 3. zwei Flugschriften Amsdorfs („Quod Italia sit barbara terra“ etc, und „Der Bapst, Bischoff und Cardinel die rechten Ketzer“ eto.).

Als Subjekt der Rede in der Augustana stellt F, Katten- busch, gestützt auf die Anfangsorte „ecclesiae magno consensu apud nos doent" „ecclesiae apud nos“ fest: ThStK. 93 (1920/21) S, 115. f.

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O. Clemen untersucht in ZHV. Niedersachsen 86, 1/2 S. 24— 31 ein Neujahr 1546 erschienenes anonymes Schmähgedicht auf den gefangenen Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig, besonders dessen Abhängigkeit von Luthers bekanntem Brief vom 19. Dez. 1545 und der ,Wahrhaftigen Contrafaktur Hz. H.’s“ von 1541 (Schade, Satiren I 80 ff).

Vom Mennonistischen Lexikon herausgeg. von Chr. Hege und Chr. Neff (vgl. diese Zeitschr. XVI. S. 123) sind 1921 die Lieferungen 9 und 10 (Dachser Duchoborzen) erschienen S. 384—480. Besondere Beachtung verdient der sorgfältig gearbeitete Artikel Hans Denk (S. 401—415) von Neff; vgl. ferner: Deutche Theologie, Deutsches Reich, Adam, Franz und Siegmund von Dietrich- stein, die Mártyrer Dirks und Hans Donner, Dreieinigkeit.

Luther. Über die Lutherforschung des letzten Jahrzehnts erstattet Preserved Smith in der Harvard theological Review XIV, 2 (April 1921) S. 108—135 einen gedrängten, sehr reiehhaltigen kritischen Bericht. Neben deutschen sind ameri- kanische, englische, französische, holländische, italienische usw. Erscheinungen herangezogen. Dem Verf. des Berichts selbst dankt die rfgschtl. Forschung außer anderen Beiträgen insbesondere dieHervor- ziehung von jetzt in Philadelphia befindlichen Reformatorenbriefen (Harvard th. R. 12; vgl. HZ. 120, 2 S. 370).

In Weiterführung seiner früheren Versuche, das Bestehen einer schola Augustiniana im Mittelalter zu erweisen, deren Lehren dann in Luther neues Leben erhalten hätten, sucht V. A. Müller zu zeigen, daß der sel. Simon Fidati aus Cascia (+1348), Mitglied des Augustinerordens, Luther in entscheidender Weise beeinflußt habe: Una fonte ignota del sistema di Lutero (Il beato Fidati da Cascia e la sua teologia) = Bilychnis 1921 Nr. 2.— (54 S.).

Die ThStK. geben das Heft 3/4 (1920/21) des Jahrg. 93 als drittes Lutherheft (Lutherana III) heraus. Den größten Raum nimmt ein: Der Gottesgedanke in Luthers Rómerbriefvorlesung von Fr. W. Schmidt (3. 117—245); ferner untersucht O. Albrecht S. 249—277 Mathias und Andreas Wanckels Sammlungen Lutherscher Buch- und Bibeleinzeiehnungen (auf Grund von V. E. Loeschers Umschuld. Nachrichten 1712) unter Abdruck von zwei bisher unbe- kannten Stücken, die Matthias W. aufbewahrt hat. Sodann setzt sich A. V. Müller mit E. Hirsch über Luthers Eintritt ins Kloster (vgl. Lutherana I und II) auseinander (S. 278—285); den Schlu8 machen zwei Mitteilungen von O. Clemen: ,ein Zeugnis für die frühen (bis 1520 zurückgehenden) Beziehungen zwischen Holland und Witten- berg" (S. 286—293) und ,Luther und die Rüge der Sorbonne gegen Cajetan“ (S.294—304) auf Grund eines von Cl. aufgefundenen Witten- berger Druckes von 1534, dessen im Wortlaut mitgeteiltes Nachwort er Luther zuschreibt.

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Aus den Veröffentlichungen der Wittenberger Luthergesell- schaft führen wir an den Beitrag des Ephorus der Lutherhalle J. Jordan Zur Geschichte des Lutherhauses nach 1564 I, Die Lutherwohnstube (Jahrbuch der LG. II/III, 1920/21 S. 109—135); das von G. Buch wald zusammengestellte , Lutherkalendarium für 1521“ (Mitteil. der LG. 1921, III S. 9—15); P. Althaus, Luther auf der Kanzel, Beobachtungen über die Form seiner Predigt (ebenda S. 17—24); G. Loesche, von Luthers Biographen [bis zu Joh. Mathesius] (ebenda S. 56— —63). Dazu kommen die Flugschriften 2 (= J. Jordan, Luther und der Bann in seinen und seiner Zeitgenossen Aussagen); 3 (= H. Boehmer, L. und der 10. Dez. 1520, SA. aus Lutherjahrbueh II/III, 48 S.; vgl. diese Zeitschr. XVIII S. 56); 4 (—J. Jordan, L. und der Rtg. zu Worms nach seinen eigenen Zeugnissen, 62 S).

Uber Luthers Kirchenbegriff im Hinblick auf die gegen- wärtige kirchliche Krisis setzen sich E, Foerster und E. Troeltsch in ZThK. 28 (NF I) S. 108—123 auseinander.

Luthers Ringen um das Gesamtverständnis des 3. Artikels behandelt J. Meyer in NkZ. 31 S, 359—376.

Den Charakter des kleinen Katechismus Luthers bestimmt W. Bornemann dahin, daß L. in diesem Buche undogmatisches praktisches Christentum biete, und zwar nicht zufällig, sondern bewußt absichtlich, einen richtigen Instinkt mit genialer Intuition verbindend: Harnack-Ehrung S. 268—288 Ebendort S. 281—291 untersucht A, Köster die Frage nach der Spannung zwischen der Ethik Luthers und der des synoptischen Jesus. Endlich handelt a. a. O. S. 292—307 H. Mulert von dem Kirchenbegriff der lutherischen Reformation auf Grund des Artikels 7 der AC. (ecclesia est congregatio sanctorum, in qua evangelium recte docetur).

Luthers Stellung zur Frage der Pfarrbesoldung untersucht H. Steinlein in Nkirchl. Z., Aug. 1921 S. 433—450. L. betrachtete eine ausreichende Pfarrbesoldung als nicht unbillige Lebensbedingung für Kirche und Evangelium.

In den „Kirchenmusikalischen Blättern“ Jahrgang 2 (1921) Nr. 8 (,Lutherheft") bis 12 widmet H. Steinlein eine eingehende beachtenswerte Untersuchung der Frage: Ist das Lied „Ein feste Burg" schon1521 entstanden?, die er verneint, um, hauptsächlich auf das Schrifttum Luthers gegründet, als Entstehungszeit die Mitte des J. 1528 wahrscheinlich zu machen.

Joh. Ficker, Hebräische Handpsalter Luthers (SB Heidelb. AkdW. philos.-histor. Kl. 1919, Abh, 5, 31 S.) legt die Rolle dar, die in Luthers Besitz der „Danziger“ und der „Frank- furter“ Psalter, besonders bei der Bibelübersetzung, senie haben. Mit zwei Tafeln.

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Persönliches. Einige Bemerkungen zu den von Lemmens („Aus ungedruckten Franziskanerbriefen“) verwerteten Briefen Augustins von Alfeld, des bekannten Luthergegners, macht Fr. Loofs in ZVKG. Prov. Sachsen 18 S. 21—26.

M. Wehrmann stellt in den Monatsbl der Ges. f. Pom. G. u. A. Nov. 1918 S. 41—43 die Nachrichten über den Aufenthalt des Herzogs Barnims XL in Wittenberg (1518—1520) kritisch zusammen und würdigt kurz die Wirkungen dieses Aufenthalts für die spätere kirchliche Haltung Barnims.

Den Reformator von Pyritz in Pommern Faustinus Blenno /1487—1561) schildert Haß im Pyritzer Kreisblatt vom 30. und 81. Oktober 1517.

G. Bossert, Brenz und die Ritterschaft (BIL. f. Württ. KG. NF. 95 S. 70—74) zieht aus einem Pasquill von 1523 (Ein Gespräch eines Fuchs und Wolf... auf dem Steigerwald, bei Schade, Satiren und Pasquillen S. 60—72) beachtenswerte Schlüsse auf die Parteiungen in der Reichsritterschaft und Brenz (Predigers in Hall seit 1522) Stellung dazu.

Drei Untersuchungen G. Geisenhofs über Antonius Corvinus behandeln die Frage des Universitätsstudiums des C., die genaue Zeit seiner Geburt und seinen Beinamen Zythogallus: ZGes. Nieders. KG. 1921 S. 26—140.

Das Jahrb. der philos. Fak. der Univ. Halle-Wittenberg für 1920, Abt. I, S. 45—47 gibt Auszug aus der Dissertation von Curt Wulkau über das kirchliche Ideal des Johann Eberlin von Günzburg nach dessen Predigten und Schriften.

In einer Abhandlung über „Erasmus und die Clevischen Kirchenordnungen von 1532/33“ geht J. Hashagen den äußeren Beziehungen des E. zur Clevischen Kirchenreform und seinem direkten wie indirekten Einfluß auf die Kirchenordnnngen nach, Die Unter- suchungen des Verf. rücken letztere in den breiteren Rahmen der Geschichte des allgemeinen vorjesuitischen Reform- oder KompromiB- Katholizismus. Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 181—220.

Ein von ihm in der Wolfenbütteler Bibliothek handschriftlich in einer oberdeutschen Bearbeitung aufgefundenes, zweifellos ursprünglich niederdeutsch abgefaßtes Lied des 16. Jahrhunderts, das angeblich von Herzog Ernst dem Bekenner von Braunschweig-Lüneburg herrührt und sicherlich seiner Auffassung der Reformation entspricht, veröffentlicht P. Zimmermann in der überlieferten Form und in niederdeutscher Übersetzung im Braunschweiger Magazin 1921 Nr. 5,6 S. 25—29,

Im 4. seiner „Beiträge zur Geschichte Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz“ untersucht A. Hasenclever das Zustande- kommen der Vermählung des Pfalzgrafen mit Dorothea von Dänemark, der Nichte des Kaisers (1535), unter dem Gesichtspunkt der habs

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burgischen Politik und bespricht die Folgen dieser Verbindung fiir das Verhältnis zwischen Friedrich und Karl. ZG. Oberrh. NF. 36 S. 259—294.

Der Versuch L. Theobalds, das bekannte Wort Frunds. bergs auf dem Wormser Rtg. als unhistorisch nachzuweisen, kann auch wenn andererseits sich dessen Geschiehtlichkeit nicht einwandfrei erweisen läßt, als gelungen nicht gelten, BBK. 27,4 S, 187—151.

In Harnack-Ehrung $.308—316 untersucht H. Becker ,Zur Charakteristik Herzogs Georgs von Sachsen als kirchlicher Sehriftsteller^ die Abhandlung , Widder Luthers Trostung ann die Christen zu Hall vber er Georgen yhres Predigers todt,“ die einzige der unter Georgs Namen gehenden Schriften, von der der Orginal- entwurf von Georgs Hand vorliegt

Einige Notitzen über den Nürnberger Exdominikaner Gallus Korn gibt O. Clemen in BBK. 27,4 S. 166—168.

Simon Lemnius als Lyriker behandelt G, Ellinger in Festgabe Fr. v. Bezold dargebracht S. 221—233. Eine wilde unge- bändigte Natur mit heißen Trieben und leidenschaftlichem Begehren verkörpert Lemnius den Grundzug der neulateinischen Dichtung, der Individualität wieder zu ihren Rechte verholfen zu haben, in unge- wöhnlicher Stärke, freilich auch in abstoßender Weise.

Auf Melanchthons Reise zum Wormser Kolloquium von 1557 bezieht sich L. Kraft „Phil. Mel. in hessischem Reisegeleit“ in Beitr. z. hess. KG, = A. f. Hess. G. u. A, NF. Erg. Bd, VII, 3 8.445 f.

Carla Weidemann behandelt in ZD. Philol. 48 S. 235 —9268 Stephan Roth als Korrektor unter dem besonderen Gesichtspunkte zu zeigen, wie R. in dieser Tätigkeit der Verbreitung der Luther- sprache gedient habe,

Aus der Gothaer Bibl. druckt in den Mitteil. d. Vereinigung f. Gothaische G. u. A. 1921 S. 1—90 R. Ehwald den Bericht des Hans von Sternberg, eines der Hauptträger reformatorischer Be- strebungen in Franken, über seine Palästinafahrt (1514) und Rechnungen und Dokumente über die Reise der Beauftragten Xurf. Johanns von Sachsen nach Valladolid zu Ks. Karl V (1527) mit Erläuterungen ab.

Das Andenken des volkstümlichen, lutherischen Predigers Gregor Strigenitz, geb. 1548 in Meißen, T ebendort 1603, Predigers dort und in Wolkenstein, Weimar, Jena, Orlamünde, Verfassers von mehr als 50 weit veroreiteten Predigtbánden, erneuert F, Blanekmeister in Mitt. VG. Stadt Meissen X. 3, S. 263—279.

In den Mansfelder BU. 33 S. 88—94 stellt P. Flemming die dürftigen Nachrichten über Dr. Val. Vigelius, den Nachfolger des C, Güttel als Superindendent in Eisleben (1542—1546) zusammen und gibt Listen der Rektoren dort 1525—1516 uud Notizen zu Lehrern nach 1546,

(Schluß folgt im nächsten Heft.)

Druck von C, Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen,

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nu TOR RAFORUATONSGESTICHT.

Im Auftrag des. Vereins für «2 herausgegeben von l

D. Walter Friedensburg.

Nf. T4 XIX. Jahrgang. Heft 2

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Das ‚Rätsel der Gothaer Luther-Handschrift A 402 | | und seine Lösung H *

von J. HattBleiter.

Dietrich von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser Reichstage 1521

von E, Körner.

Briefe aus den 16. Jahrhundert ^ von G. Bossert

Brentiana- und andere Reformatoria von W. Kohler.

Mitteilungen

G. Stuhlfauth, Zum Passional Christi und Antichristi, ,K. Schornbaum, Zum Briefwechsel Veit Dietrichs, Neuerschei- nungen. Zeitschriftenschau.

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Leipzig 1922 Verlag von M. Heinsius Nachfolger Eger. & Sievers.

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der Entscheidungsjahre. der -Reformation. (1517—1523.) - l

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burg vor und nach der Reformation bis zum Anfang

des 16. Jahrhunderts. 2 Teile in 1 Bde. [XVI, 208 und:

301 S. mit 1 Plai] °° ^ i ~A 150,— `

Das Ritsel der Gothaer Luther- Handschrift A 402 und seine Lösung.

Ein Beitrag zur Tischredenforschung. Von J Haufleiter. (Schluß).

Unter diesen Umständen erregt ein Sonderstück von Farrago, in dem das Ego des Tischgesellen begegnet, be- sondere Aufmerksamkeit. Ich teile zunächst das Stück mit; es lautet auf fol. 99, das lauter Ergänzungsstücke enthält, also:

„In libris (rot) regum steht vil seltzams dings. Videntur esse libri simplices secundum carnem, aber in spiritu sindt sie gros. Es hat der liebe David vil mußen leiden, der Saul hat jn wol XXX gantzer jar geplagt, aber ipse eredidit ad se regnum pertinere, darauff ist er constanter blieben. Ich hett in die bruch (— in die Hosen) geschießen vnd wer davon gelauffen und hette gesagt: Herr, du leugest, sal (= soll) ich konig sein vnd sal also gemartert werden? Es wirt aueh den Saul sehr confirmirt haben ille successus. Aber David steht wie eine maur, ist daneben ein from man, wil die hand nieht an den konig legen und hets doch wol konnen thun, quia habuit verbum. Wenn sie verbum hatten, so schlugen sie drein. Dem folgte Munster (= Miinzer), sah, das David, Mose, Abraham vnd andere drein schlugen. Ja, es ist ein ander ding factum, aliud persona. Das erste isí verbum, das macht personam. persona macht das faetum, Darumb' gings jm auch also. O es ist ein gros ding, quando persona habet verbum, darauff thut sie alles.

Tum alius (rot): David hatte Jonathan lieb, es muß ge- wis ein frommer man gewest sein. A, espondit (rot): Ja freilich wars ein from man, non sine fide etiam. Videbat regnum ad Davidem pertinere. Darumb bat er jn, er wolt in vnd die seinen nicht ausrotten. Fecit etiam miracula Jonathan, do

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 2. 6

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er mit seinem waffentreger vber den bergk steigk vnd schlug jr allein vil philister, dixit apud se: Der Gott, der mit vilen vberwindt, kan auch durch mich allein vberwinden.

Tum ego (rot): Attamen misere periit. A, espondit (rot): Ja, so mus der fromme oft in ecclesia des bösen entgelten, wart doch Gottes sohn nicht vorschonet. Hoc maxime miror in historia Davidis, quomodo potuerit esse tam crudelis, quod Saulis reliquias adeo prorsus iusserit extirpare“ (vgl. dazu 2. Sam. 21, 5—9). |

Merkwürdig ist die Einreihung des Stückes in den 31. Abschnitt: De sanctis patribus post apostolos. Der Ab- schnitt beginnt f. 97 mit dem Hinweis auf doctores et patres wie Augustinus, Hieronymus, Hilarius, Ambrosius, Bonaventura und geht auf fol. 98b bis zu Johannes Huß vorwärts. Aber die sechs Stücke auf fol. 99 haben weder mit der Überschrift des Abschnitts eine Berührung noch unter sich einen Zu- sammenhang. Das erste Stück ist der kurze Satz: „Brevi- tatem et perspieuitatem kann ich nicht also zusammenbringen sieut Philippus et Amsdorffius“ (= Nr. 3173b). Dann folgt unser Stück; die letzten Stücke handeln vom Undank der Israeliten gegen Moses (= Nr. 6063 in.), vom Zeichen des Jonas in seiner Anwendung auf Christus (Nr. 3705), von Esau und Ismael (Nr. 5692) und von dem Schmerz Adams nach dem Fall (Nr. 5475). Man kann annehmen, daß der Schreiber auf eigene Faust diese Gruppe hier eingereiht hat, da in der Vorlage, die er abschrieb, ihre Verteilung auf bestimmte Abschnitte nicht angegeben war. So erklärt es sich dann auch, daß die Worte „Tum ego“ stehen geblieben sind. Der richtige Ort für das Davidstück wäre im 72. Abschnitt -De regibus Israel fol. 361 gewesen, wo mehrfach von David gehandelt wird. Am Schluß von fol. 99b stehen die Worte: Plura fo: 469. In der Tat wird dort der Abschnitt von „den heiligen Vätern“ (wie Bernhard, Gerson, Bonaventura usw.) in richtiger Weise fortgesetzt (fol. 469—470b).

Das Sonderstück von David, das in keiner andern Hand- schrift, auch in keiner der Sammlungen Lauterbachs be- gegnet, hat Aurifaber aus Farr. übernommen; wir haben die Vorlage für Nr. 7003 (FB. 4, 427—60, 28) gefunden. Nun verblüfft hier zunächst die Wiedergabe des. Satzes: Tum ego:

3 83

Attamen (Jonathan) misere periit mit den Worten: ,,Darauf sagte M. Antonius Lauterbach: Er ist aber gleichwohl jämmer- lich umkommen.“ Nun kann aber keine Rede davon sein, daß Lauterbach, dessen Sammlungen nach ganz anderer Sach- ordnung eingeteilt sind, hinter Farr. steht; aber auch eine nachlässige Herübernahme des Ego-Stückes aus einer dritten Sammlung ist ausgeschlossen!) Wir können eben keine andere Niederschrift des Stückes nachweisen. Hier redet also wirklich der Sammler von Farr. Aurifabers Text er- klärt sich aus der Flüchtigkeit seiner Arbeitsweise, Weil die meisten Ego-Stücke in den Zwischenreden auf Lauter- bach zurückgehen, nahm er es ohne weiteres auch von diesem Stück an?) Aurifaber las ja mitunter so flüchtig, daß er dem Melanchthon (in Nr. 4016 aus Lauterbachs Tage- buch auf 1538) eine höhnische Äußerung über die kirchliche Trauung von Eheleuten mit Gebet zuschrieb; er hatte in seiner Vorlage, in der als Urheber jenes Wortes D. Pist. d. h. Doctor Pistoris (Kanzler Georgs des Bärtigen von 1525/39) genannt war, das Wort Pist. als Phil. gelesen und so den Melanchthon mit einer Äußerung belastet, die jeder auf- merksame Leser nur mit Kopfschütteln betrachten kann (vgl. FB. 4, 53—43, 33).

1) Bei genauer Durchsicht der Handschrift fanden sich noch folgende Ego-Stellen in Farr., von denen indes keine Sondereigentum der Handschrift ist:

fol. 202, vgl. Nr. 868 (I, S.433, Z. 6, Anm. 10): Dixi ego et Forstenius; Z. 11, Anm. 18: Ad haec ego Anto,nius adieci.

fol. 207, vgl. Nr. 2724b (II, S. 617 Z. 3): Deinde dixit ad me Antonium. An beiden Stellen wird also ausdrücklich Antonius Lauterbach als Gewährsmann bezeichnet. Zwei andere Stellen gehen auf Veit Dietrich zurück: fol. 222b, vgl. Nr. 45 (I, S. 16 Z. 1): Ibi cum dicerem, und fol 293, vgl. Nr. 3222b (III, S, 293 Z. 27): Ita vidi saepissime D. L, deambulando. Endlich findet sich in einer in den Dezember 1537 fallenden Tischrede (aus A. Lauterbachs uud H. Wellers Nachschriften) der Satz: Postea nobis dixit fol, 199b ; vgl. Nr. 3650b (III, S. 482 Z. 32), Aurifaber hat den Satz über- nommen: ,Darnach sagte er, D. Luther, uns“ (ebenda S, 483 Z. 13£.), Die Wendung: Ibi cum diceremus (I, S. 75 Z. 4) ist auch in Farr, f. 115 stehen geblieben.

2) Das ist auch andern Sammlern begegnet. Von der eben an- geführten Außerung Veit Dietrichs Nr. 45 (I, S, 16 Z. 1): Ibi cum dicerem, heißt es in der Sammlung Khummer: Ibi cum diceret Antonius.

6*

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Aurifaber reiht das Sonderstiick von David in seinen 60. Abschnitt ein „von Patriarchen und Propheten“ und bringt es als 28. (letztes) Stück.. Auch sonst hat er für dieses Kapitel unsere Handschrift reichlich benutzt. Die Stücke Nr. 19—23 (FB. 4, 422—424) haben in bunter Reihe die Überschriften: 19) Von Hiob und David, 20) Von Adam, 21) Von Jakob, 22) Von Hagar, Abrahams Kebsweib, 23) David ein Rhetor. Die Vorlage für diese fünf Stücke in der gleichen Reihenfolge findet sich Farr. fol. 463—464. Die Stücke 21) und 23) stehen überhaupt in keiner andern Tischredensammlung (vgl. W. A. VI, S. 317, Nr. 7000 u. 7001). Dem Hiob-Stück Nr. 19 geht in Farr. und ebenso in Heyden- reichs Nachschriften (V, S. 243, Nr. 5564) ein größeres Hiob- Stück voraus, daß Aurifaber übergeht. Das Adam-Stiick (Nr. 20) schließt bei Aurifaber ebenso wie in Farr.; bei Heydenreich ist ein Ausspruch über die Genesis hinzugefügt, den Farr. auf fol. 465 nachträgt (V, S. 200, Nr. 5505). Das Stück von Hagar (Nr. 22) zerfällt in zwei Teile; für den ersten Teil findet sich in der Münchener Handschrift Clm. 943, 118 eine entfernte Parallele (V, S. 327, Nr. 5714); aber Aurifabers Wortlaut stimmt mit Farr. fol. 464, wo auch die Vorlage für die zweite Hälfte des Stückes steht. So ist kein Zweifel darüber möglich, daß Aurifaber wirklich aus der Handschrift Farr. geschöpft hat.

V.

Es mub der Versuch gemaeht werden, unter den uns bekannten Tischgenossen Luthers den Sammler von Farr. herauszufinden, Der Versuch ist aussichtsreich, da Aurifaber in der Vorrede seiner Tisehreden-Ausgabe unter seinen Quellen alle Tischgenossen nennt, deren Bücher ,, Colloquiorum er benutzt hat; es ist nicht anzunehmen, daß er den Sammler von Farr. übergangen hat, dessen handschriftlichem Bande er so zahlreiche Stücke entnommen hatte. Die Reihenfolge, in der vielleicht der Stürkegrad der Benutzung sich aus- drückt, ist folgende: M. Antonius Lauterbach, M. Veit Dietrich, M. Hieronymus Besold, auch M. Johann Schlagin- hauffen und M. Johannes Mathesius, item M. Georg Rórers Bücher, auch M. Johann Stolsii und M..Jacobi Webers ge-

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schriebene Collectanea Colloquiorum, endlich Aurifabers eigene Aufzeichnungen (W. A. VI, XV; FB. 4, XXII). Die Auswahl ist nicht groß; man könnte vielleicht noch den von Mathesius in seiner Beschreibung der Tischgesell- schaft genannten M. Kaspar Heydenreich hinzufügen (Historien von Luthers Anfang usw., die 12. Predigt, Ausgabe von G. Loesche, 2. Aufl, 1906, S. 275). Heydenreich war, wie Kroker annimmt, in den Jahren 1542 und 1543 (bis 24. Oktober) Tischgenosse im schwarzen Kloster, und die Reden aus dieser Zeit treten in Farr. besonders hervor. Nun findet sich aber fol. 269b—270b ein Trostbrief Luthers ad Casparum Heidenreich (vom 24. April 1545; Enders XVI 209, Nr, 3505); wer so innerhalb der Sammlung eingeführt wird, scheidet als Sammler aus, Lauterbach und Veit Dietrich werden in Farr. öfters erwähnt (z. B. fol. 200b = Nr. 3143b Lutherus ait Antonio, vor den Worten W. A. III, S. 188 Z. 6—14; fol. 190 = Nr. 3464m: Antonius Lauterbach dixit Luthero; fol. 24 = Nr. 750 (vgl. Nr. 373): Magister Vitus interrogavit dialectice usw.). Überdies liegen ihre und des Mathesius Sammlungen in besonderen Handschriften vor. Auch Schlaginhauffen und Rörer werden genannt (z. B. fol. 259 Luthjerus ad Schlaginhauffen: Esto bono animo etc, = Nr. 1288 in.; fol 47 Magister Georgius Rorer orabat ete. = Nr. 3591). So füllt alles Gewicht auf den von Aurifaber an dritter Stelle aufgeführten M. Hierony- mus Besold; indem wir ihn nennen, haben wir zugleich die Lösung des Rätsels auf dem Buchdeckel in der Hand. Die Buchstaben M.B. scheinen nichts anderes bedeuten zu sollen als Magister Besold. Man kónnte zwar an dem Fehlen des Vornamens Anstoß nehmen, der damals noch fast wichtiger war als der Familienname. Aber Besold redet in seinen Briefen doch nicht nur von M. Georgius (Rörer) oder M. Hieronymus (Schreiber), sondern gelegent- lich auch von M. Agricola, M. Floeeus, M. Vogel, M. Auri- faber, M. Reischacher usw. (Archiv f. Ref, Gesch 13. Jahr- gang, S. 89, 93, 112, 117, 120, 165, 170 und 185), Vielleicht kommen die in den Buchdeckel eingeprügten Buchstaben M.B. überhaupt lediglich auf Rechnung des Nürnberger Buchbinders.

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Wir sind über diesen treuen Schüler der beiden Reformatoren, namentlich durch seine 33 Briefe an Veit Dietrich während der Jahre 1541—1546 (meist aus dem sog. Manuser. Thomasianum veröffentlicht von O. Albrecht und P. Flemming im 13. Jahrgang des Archivs für Ref. Gesch. 1916 S. 811f, S. 161ff.) und durch die zahlreichen (37) Briefe Melanchthons an ihn (im Corp. Ref.) sehr genau unterrichtet. Eines Kürschners Sohn aus Nürnberg, bezog er etwa 17jährig im Sommer 1537 die Universität Witten- berg (Album I S. 166); zu seinen Nürnberger Lehrern hatte Joachim Camerarius gehört. Am 26. März 1542 erlangte er durch Rórers Vermittlung Zulassung zu Luthers Tisch und blieb nun Tischgenosse im schwarzen Kloster bis zum 23. Januar 1546, d, h. bis zu Luthers letzter Reise nach Eisleben. In Wittenberg hatte er am 31. Januar 1544 die Magister- würde erworben und war auch am 18. Oktober 1545 in das Kollegium der Artistenfakultät aufgenommen worden (Köstlin, Bace. und Mag. III, 15. 22). Nach Luthers Tod siedelte er in Melanchthons Haus über, kehrte aber nach Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges am 2. November 1546 nach Nürnberg zurück. Dort war er gleichzeitig im Schul- und Kirchendienst tätig; mit der Zeit nahm er eine Art Super- intendentenstellung ein. Am 30. Januar 1548 heiratete er Osianders Tochter Katharina. Ihre Mutter war schon 1537 gestorben; den Trosfbrief, den damals Melanchthon an Osiander gerichtet hatte (10. August 1537; vgl. Corp. Ref. UI 405—407, Nr. 1602) nahm Besold in seine große Sammlung auf (Farr. fol. 278b—279). Ganz besonders verdient machte er sich nach Veit Dietrichs Tod durch Vollendung der Ausgabe von Luthers Genesisvorlesung, deren letzte Teile er selber gehört und nachgeschrieben . hatte; Teil II, III und IV erschienen in den Jahren 1550, 1552 und 1554. Im Jahre 1551 stellte er aus seinen reichen Sammlungen, den eigenen und denen der Genossen, den großen Band Farrago zusammen. |

Sein Briefwechsel ist noch nicht vollständig gesammelt. In der reichen handschriftlichen Sammlung der Camerarii der Münchener Dtaatsbibliothek befinden sich neun Besold- Briefe (sieben an seinen Lehrer Camerarius aus den

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Jahren 1554—1558, einer an dessen Sohn Joachim 1558, einer an Johannes Heß 1551). Wir erfahren aus diesen Briefen, daß der Pfalzgraf Wolfgang, Herzog von Zweibrücken und Neuburg, ihn 1557 zur Feststellung der Zweibrückener Kirchenordnung und 1558 zur Kirchenvisitation in Zwei- brücken heranzog. Zu letzterem Dienst entschlob sieh der bescheidene Mann (,tenuitatis meae mihi conscius“) nur auf Zureden des Zweibriickener Kanzlers Sitzinger. Julius Ney in seiner Schrift über den Pfalzgrafen Wolfgang (Verein für Ref. Gesch., 1911, Schrift 106/107) erkannte in dem Nürnberger Pezold nieht unsern Besold (vgl. S. 115 Anm. 47). Während er sich früher Besold oder Besolt schrieb, erscheint in den Briefen der Jahre 1557 und 1558 nur die Schreibung Hiero. Pesolt, Ende Juni 1562 wurde er Prediger an S. Lorenz, starb aber bereits Anfang November 1562 an der Pest (Archiv Bd. 13, S. 81—86).

Unter den Tischreden Aurifabers, für die bisher noch keine Vorlage nachgewiesen werden konnte, befindet sich eine, in der Aurifaber ausdrücklich Besold erwähnt. Es ist Nr. 6586 (VI, S. 58 = FB. 1,285). Die Rede lautet: „Von dem Abgott Moloch redete Anno 1540 D. Luther (wie es M. Hieronymus Besold seliger fleißig hat aufgeschrieben), daß die hl. Schrift des Molochs oft gedächte, und daß Lyra und der Jüden Commentarii sagten, daß es wäre ein Abgott gewesen aus Kupfer und Messing gemacht wie ein Mensch, das die Hände hätte fur sich gehalten, darin hätte man glühende Kohlen gethan. Wenu nu das messinge Bilde gar heiß wär worden, so sei ein Vater hinzu gangen, hab dem Abgott geopfert und sein eigen Kind genommen, es in die glühenden Hände des Abgotts gelegt; da ist denn das Kind also zuschmolzen. Indeß haben sie mit Glocken und Zimbeln geklängelt und geläutet und mit Hörnern geblasen, daß die Aeltern des Kindes Geschrei nicht hóreten. Dawider schrien nu alle Propheten, sonderlich Jeremias. Und schreiben die Propheten, daß Ahab (!) hab seinen Sohn also geopfert (vgl. 2. Kön. 16, 3). Im 106. Psalm steht auch davon, Dieses ist Alles aus der Meinung geschehen und herkommen, daß sie gedacht haben: Ei, soll ich unserm Herrn Gott Opfern, so will ich ihm etwas Köstliches opfern, was soll

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ich ihm ein Kalb nes Ich will ihm meinen eigen Sohn opfern !

Es hat doch den Wert einer Probe aufs Exempel, wenn sich herausstellt, daß die Hauptvorlage für diesen Abschnitt in einem Sonderstück von Farr. zu finden ist. Das. Stück lautet auf fol. 53:

„Traducere per ignem heist wie Achas thet (2. Kön. 16, 3), der ein gnedigen Gott wolt haben, es were Gott lieb oder leid, opfferte seine kinder. Lira schreibt, das sie haben ein bild gegoBen vnd das vol kolen gethan vnd die kolen an- gezundet, wanjn nhu das bild gar ist erhitzet gewest vnd gluend, haben sie das kind dem Molach jn die arm gelegt vnd also laßen braten. O das war ein heiliger Gottesdinst! Damit aber die eltern vagitum puerorum nicht mochten horen, ut flecterentur ad misericordiam, hatte man zimbeln, damit richten sie einen klangk an, ne posset exaudiri. Das hieß denjn dem Molach geopffert.“

Mit diesem Stiick verband Aurifaber Ausfiihrungen, die in dem ja auch von dem „fleißigen“ Besold herausgegebenen tomus quartus der Genesisvorlesung (zu 1. Mose 42, 38 vgl W. A. Bd. 44, S. 522 Z. 3— —16) zu lesen waren. Dort findet sich aufer dem Hinweis auf Lyra und König Ahas die breite Schilderung des ohrenbetäubenden Lärmens (sacerdotes crepitacula, tintinabula et tympana pulsabant, ne parentes pueri morientis clamorem exaudirent) und die Anführung von Psalm 106, 37L, sowie des Propheten Jeremias.

Das von Aurifaber willkürlieh genannte Jahr 1540 muß preisgegeben werden. Da Luther im Oktober 1543 (vgl. Heft 1 S. 20) beim 36. Kapitel der Genesis stand, fällt die bei Kapitel 42 gegebene Ausführung über den Molochdienst in den Lauf des Jahres 1544.

VI.

Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung wird dureh mancherlei Beobachtungen bestätigt, die wir an dem Inhalt von Farr. machen können. Es ist lehrreich, einzelne Sach- abteilungen mit der gleichen Überschrift bei Aurifaber und Besold zu vergleichen, um die ganz andere Orientierung des

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Stoffes und die verschiedene Auswahl der Stücke zu erkennen. Es soll im folgenden Aurifabers 62. Kapitel „Tischreden von Kriegen“ (FB. 4, 437—447) mit Besolds 76. Abschnitt De bello (fol. 377—383 ter) verglichen werden.

Aurifabers elf Stücke haben einen sehr bunten Inhalt. Er läßt Luther davon reden, daß man durch Verräterei viel in Kriegen ausrichte (Nr. 1), dab Geschütze ein grausames Instrument und Teufelswerk seien (Nr. 2) Dann ist die Rede vom Krieg um Mailand und dem Vorzug der deutschen Kriegsknechte vor den spanischen (Nr. 3), weiterhin daß der Krieg Gottes größte Strafe sei (Nr. 4 Bellum omnium poenarum est maxima Nr. 6268) Er wird mit einem goldenen Hamen vergliehen, mit dem man beim Fischen nieht viel gewinnt (Nr. 5), die varia arma populorum werden aufgezählt (Nr. 6 Nr. 3752). Die nächsten AuBerungen (Nr. 7 und 8) fallen in die Zeit des Frankfurter Konvents 1539; wir sollen wider den Krieg bitten; causam habemus iustissimam, sed proh dolor!. ingrati et mali (sumus), ita ut Deus visitet pios cum impiis (Nr. 4482). Von Julius Cäsars Schlachten und vom Unterschied zwischen Simsons und Cäsars Mut handeln Nr. 9 und 10. Den Schluß (Nr. 11) bilden Mitteilungen aus einem langen, in vortrefflicher Niederschrift erhaltenen Gespräch Luthers und Melanchthons. über die bedrohlichen Tagesereignisse, das am 11. April 1542 bei dem Abschiedsessen gehalten wurde, das Mathesius in Crucigers Haus gab (Nr. 5428). Die Stoffe, die Aurifaber hier vereinigt hat, entnahm er zumeist Lauterbachs Tage- büchern. Auch hier nehmen wir wahr, wie er gern bei einer Quelle verweilte und mehrere Stücke aus ihr schöpfte.

Im Unterschied von Aurifabers planlos zusammen- gewürfelter Karte zeigt Besolds Abschnitt vom Krieg eine durchaus einheitliche Konzeption. Es ist nur von zwei Dingen die Rede, vom Türkenkrieg und von der Wurzener Fehde d. b. von dem drohenden Zusammenstoß des Kur- fürsten Johann Friedrich mit dem jungen Herzog Moritz um. des Städtchens Wurzen willen, das der Kurfürst besetzt hatte, weil der Bischof von Meißen sich weigerte, die für den Türkenkrieg ausgeschriebene Steuer an den Kurfürsten abzuliefern; da Hoheitsrechte über Wurzen standen im

‘90 10 Streit. Diese beiden Dinge standen im Frühjahr 1542 im Vordergrund des Interesses und bildeten gerade in der Zeit, als Besold seit dem 26. März Luthers Tischginger wurde, des Tagesgespräch. Die starken Eindrücke jener Wochen spiegeln sich in den sechs Stücken ab, die Besold in dem Kriegskapitel vereinigt hat.

Besold hatte erfahren, daß Luther einem Edelmann, der wider die Türken zog, auf dessen Bitte einen Ratschlag aus heiliger Schrift mitgegeben hatte, den dann jener im Wamms unter dem Harnische mit sich führte. „Ein krieger sol sich Gott befehlen vnd die zwey große heiligthumb jns hertz faBen, Das erste den glauben, credo, das ander das Vatervnser. Hiemit ist er gnug gerust geistlich, er sterbe oder bleib lebendig“. Besold verschaffte sich eine Abschrift des Briefes vom 14. August 1541 „An Georg Waise, Kammerdiener“ und teilt sie als erstes Stück fol. 377—377b mit. Der Abdruck bei Enders (XIV 50, Nr. 3036) erwähnt diese älteste Niederschrift nicht; sie muß für die Ausgabe der Briefe in der kritischen Gesamtausgabe verglichen werden.

Zum Anführer des Reichsheeres wider die Türken war Kurfürst Joachim II. von Brandenburg ernannt worden. Schon vor zehn Jahren, als er noch Kurprinz war, war er zum Hauptmann des niedersächsischen Kreises „wider den leidigen Tyrannen, den Türken“ bestellt und hatte damals (am 3. August 1532) einen Geleitbrief Luthers empfangen (Enders IX 216, Nr. 2021). Jetzt ersuchte er die Refor- matoren um ihre Fürbitte und Gebet für den Feldzug. Luther antwortete am 17. Mai 1542 (Enders XIV 265, Nr. 3147). Beide Lutherbriefe, den vom Jahr 1532 „an den jungen Marggrafen Joachim“ und den von 1542 „An Marggraff Joachim, Churfurst^ teilt Besold als 2. und 3. Stück mit (fol. 377b—378b und fol. 379—380). Es sind die ältesten Niederschriften, die wir kennen, und darum ist ihre Ver- gleichung notwendig. &

Das nächste Stück (fol. 380— 381b) beginnt: „Anno 1542, 11. aprilis. Philippus (rot): Ey, Her Doctor, es ist ein bose wetter itzund vnd ein vnfletige lufft. Luther (rot): Ja, denn es scheidet sich itz erstlich winter vnd sommer. Philipjpus (rot): Es wirt aber nicht gut wetter sein fur arme landts-

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knecht, die itz zu felde liegen. Luther (rot Wer kann dafur, warumb fahen vnsere fursten ein solch spil an?“ Es folgen Abschnitte des langen Gesprächs, die vortrefflich die Stimmung in Wittenberg während der drohenden Wurzener Fehde wiedergeben (Nr. 5428; V, S. 133 2.9 —135 Z. 22 und S. 138 Z. 14—34). Im übrigen bringt es die Sachordnung in Farr. mit sich, daß das Gespräch in sieben Abschnitte zerlegt ist, die auf das 76., 51., 41., wieder 76., 32., 82. und 37. Kapitel verteilt sind.

Nur in diesem Stück trifft Besold mit Aurifaber zu- sammen, der ja hier auch nur ein Fragment des Gesprächs mitteilt. Im nächsten (Nr. 5) greift er noch einmal auf den Türkenkrieg zurück und bringt eine Äußerung Luthers (Ende Mirz 1532), in der er angesiehts der ungeheuren Ubermacht, mit der die Türken zu Felde ziehen wollten, auf Gott hin- weist, der, wie er einst das zahllose Heer der Athiopier (Kuschiten) auf das Gebet des jüdischen Königs Asa (914— 874) niederschlug (2. Chron. 14, 10ff.) und das Heer der Assyrer vernichtete (Jes. 37; vgl. 2. Könige 19, 35), so auch mit diesen stolzen Gesellen streiten und ihren Hochmut .dämpfen werde. Das Stück entspricht der Tischrede Nr. 2548b aus der Sammlung des Konrad Cordatus; es ist von Aurifaber im 75. Abschnitt „vom Türken“ in eine aus vielen kleinen Stücken zusammengesetzte Ausführung hineingearbeitet worden (FB. 4, 651—75, 1).

Das letzte Stiick des Abschnittes De bello ein Nach- tragsstück bildet einen Glanzpunkt der Handschrift Farr. (fol. 381 b—383 ter); um es ganz aufzunehmen, wurden nach Bl. 383 zwei ungezählte Blätter eingeschaltet. Weiteren Kreisen ist der Inhalt dieses Stückes erst durch die großen Gesamtausgaben bekannt geworden. Es erschien 1558 im 8. Band der Jenaer Ausgabe (VIII, 40) und 1559 im 12. Band der Wittenberger Ausgabe (XII, 225). Keine der zahlreichen Brief- oder Tischreden-Handschriften Luthers enthält das Stück. Es läßt sich aber der erwünschte Nachweis führen, daß und wie gerade Besold frühzeitig zur Kenntnis dieses Stückes gekommen ist.

Das Stück trägt f, 381b die Überschrift: „D. Marti: Luth: mißive an Churf. vnd Hertzog Moritz zu Sachßen, des fürge-

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nohmen krigs vor Wurtzen.“ Es ist Luthers offenes und strenges, zugleich auch derbes und kiihnes Mahnwort (vom 7. April 1542) an die beiden Fürsten, Frieden zu halten (Enders XIV 227—232, Nr. 3125). „Selig seindt die frid- fertigen, denn sie sollen Gottes kinder heißen, Mathei am 5. (V 9). Ane zweiffel widervmb wirts heißen: Vermaledeyet sein die friedheßer, denn sie mußen des Teuffels kinder heißen“ Z. 35—38. (Die späteren Drucke haben das Wort „friedhesser“ in „Friedbrecher“ geändert.) Durch das ver- mittelnde Eingreifen des Landgrafen Philipps von Hessen wurde das Mahnschreiben überflüssig; es wurde weder an die Fürsten gesandt noch veröffentlicht. Nur Philipp bekam es zu lesen, und dem Kanzler Brück überschickte es Luther am 8. April, nachdem es schon zur Hälfte gedruckt war. Im Marburger Staatsarchiv und im Dresdener Archiv finden sich die handschriftlichen Zeugnisse. Ein dritter selbständiger Zeuge ist die Abschrift in Farr. Wie hat Besold Einblick in das geheime Schriftstück gewonnen?

Am 10. April gab Besold seinem Nürnberger Gönner Veit Dietrich in einem höchst interessanten, die ganze Auf- regung in Wittenberg wiederspiegelnden Brief genauen Be- richt über die Entstehung der Fehde, des subitus tumultus: „Mein Herr“, sagt Luther, „ist zu hais vor der Stirn“. Aber schon konnte der Schluß des Briefes melden, daß der Ver- mittlungsversuch des Landgrafen von Erfolg begleitet sei (Enders XIV 246—249, Nr. 3134’) und Tischreden V, S. 142 bis 144, Nr. 5428a). Höchst bedeutungsvoll sind nun die Schluß- worte des Briefs Z. 100—102: „Seriptum Lutheri ad Maurieium non potui nancisci, celatur enim: sed rogo, ut petas a D. Crucigero aut M. Georgio (d. h. Rórer) tum describam et

1) Z, 91—94: Sed commode intervenit Landgravius. Is scripsit ad nostros (an Luther und Melanchthon, 8. April Enders Nr. 3127 —) et pollicitus est se daturum operam, ut bona gratia hoc dissidium componeretur, id qnod Dei benignitate effecit, sed quibus conditionibns, sane nescio. Der letzte Satz setzt den zuversichtlichen Brief des Landgrafen an Luther vom 9. April voraus (— Nr. 3130), den dieser am 10, April beantwortete (— Nr. 3131). Am gleichen Tag wird auch Besold nach Nürnberg geschrieben haben. So kann also der Termin des Briefes (Nr. 3184) statt ,Mitte April 1542" auf den 10. April fest- gelegt werden,

13 93

mittam tibi^ Die Fürsprache Dietrichs bei Crueiger oder Rörer war nicht nötig; denn schon am nächsten Tag, am 11. April, konnte Besold an Dietrich schreiben: „M. Georgii singularem erga me amorem non possum satis praedicare, qui me complectitur non secus ac filium . . . Dedit mihi deseribendum hoe seriptum Lutheri* (Beitráge zur bayerischen Kirchengeschichte, 18. Bd., 1912, S. 46)!) So rasch be- kam also Besold das der Offentlichkeit entzogene kostbare Dokument in die Hand, und so schnell ist es in Nürnberg bekannt geworden. Wir verstehen, daB Besold, als er Luthers Äußerungen „vom Krieg“ zusammenstellte und sich dabei der aufregenden Wochen am Beginn der Tischgenossenschaft mit Luther erinnerte, mit keinem besseren Stück den Ab- schnitt schließen konnte als mit einer Abschrift des gewaltigen Mahnschreibens.

Stimmt das Ergebnis, daß M. Besold der Sammler von Farr. gewesen ist, zusammen mit dem früher schon be- gründeten Postulat, der Sammler müsse in den Jahren 1542 . und 1543 ein Tischgenosse Luthers gewesen sein, so erklärt sich nun auch die so nahe und enge Beziehung, in der Farr. zu dem Inhalt des 11. und 12. Abschnittes der Weimarer Tisehredenausgabe, d. h. zu Kaspar Heydenreichs Nach- schriften aus den Jahren 1542 und 1543 (V, S. 115—274, Nr. 5379—5603) und zu Besolds Nachschriften aus dem Jahre 1544 (V, S. 297—314, Nr. 5659—5674) steht. Kroker gibt an, daß Farr. von den Heydenreich’schen Stücken 120, von den Besold'sehen sechs darbietet (V, S. XXVII und XXXII); nach meiner Feststellung steigt die erste Zahl auf 139. Aber diese Scheidung der Heydenreich’schen und Besold’schen Stücke, bei der Besold viel zu kurz kommt, kann nicht auf- recht erhalten werden. Kroker hat seine Schlußfolgerungen aufgebaut auf einer von ihm entdeckten und genau heraus-

1) Das im Archiv f. Ref, Gesch. (18. Jahrgang, 1916, S. 91, Anm. 1) vorgetragene Bedenken gegen das überlieferte Datum des ,11. Aprils* erledigt sich auf diese Weise. Die heftige Aufregung, die in Witten- berg seit dem 4. April wegen des Ausbruchs der Wurzener Fehde herrschte, war im Brief vom 10. April zum Ausdruck gekommen. Sie brauchte in dem Brief vom 11. April nicht mehr nachzuzittern hatte doch dieser Brief die gewichtige Beilage des Schreibens Luthers.

94 14 gegebenen Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, die „Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung“ enthält (Math. L., Leipzig 1903); sie ist von einem Joachimsthaler Schüler des Mathesius, M. Johann Krüginger, geschrieben, In dieser Handschrift folgen zwei Abschnitte auf einander, die hier in Betracht kommen: der Abschnitt S, 177—260 der Handschrift mit der Überschrift: Haee sequentia communi- cavit mecum D. Matthesius, praeceptor meus, anno 1547. mense Septembri: Colloquia habita in mensa D. M. L. anno MD. XLII (a. a. O. S. 249) und ein weiterer Abschnitt der Handschrift S. 260—970 mit der Überschrift: Colloquia anni MD. XLIIII (S. 335). Es sind hier also nur Jahre, keine Namen genannt. Mit diesem Befund kombiniert nun aber: Kroker eine Angabe des Mathesius selbst am Eingang der ` 12. Predigt von Luthers Historien (vgl. oben S. 85), wo unter den naeh ihm an Luthers Tisch schreibenden Männern in den vierziger Jahren, die ihm ihre Nachschriften zur Ab- schrift anvertraut haben, an erster Stelle M. Kaspar Heyden- reich, an zweiter M. Hieronymus Besold angeführt werden. Wann Heydenreich (Mag. seit 15. September 1541), den nur Mathesius als Tischgenossen Lnthers nennt, während er von Aurifaber nicht erwähnt wird, an Luthers Tisch gekommen ist, wissen wir nicht; wohl aber steht fest, daB er am 24. Oktober 1543 als Hofprediger der Herzogin Katharina von Sachsen, der Witwe Heinrichs des Frommen, nach Frei- berg berufen worden ist. Da er also für 1544 ausscheidet, schreibt ihm Kroker den großen Abschnitt der Reden von 1542 und 1543 zu, so daß dann für Besold nur der kleine Abschnitt von 1544 übrig bleibt (V, S. XXII— XXIV, S. XXXII).

Indes ein grofer Teil der von Kroker dem Heydenreich zugeschriebenen Tischreden wird auf Rechnung Besolds zu setzen sein, Das gilt, wie es scheint, schon von den ersten 19 Stiicken Nr. 5379 Nr. 5397, die alle (mit Ausnahme von Nr. 5387) in Farr. sich finden und dort meist in besserem Text tiberliefert sind, obwohl der Schreiber sich manche Flüchtigkeit zu schulden kommen ließ. Kroker druckt die Stücke nach der Mathesischen Handschrift ab, gibt aber Varianten von Farr. an. Unter diesen Stücken befindet sich die schon besprochene Nr. 5386 (vgl. Heft 1

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S. 20) mit der eigentümlichen zeitlichen Näherbestimmung einer Äußerung Bugenhagens; hier merkt Kroker mit Recht an, daß Farr. wohl den ursprünglichen Text besser über- liefert habe. Ganz besonders lehrreich ist Nr.-5389, wenn man das Stück mit einer Stelle in dem Brief vergleicht, den Besold am 11. April 1542 an Veit Dietrich in Nürnberg geschrieben hat. Es heißt in dem Brief: Ferdinandum appellabat (Lutherus) calamitatem et pestem Germaniae, et recitabat vaticinium Erasmi de utroque Ferdinando et Carolo, qui dixerat: Isti duo pulli dabunt magnum malum Germaniae. Item patris Maximiliani, qui intuens genesin Ferdinandi optaverat eum suffocatum periisse in primo lavacro. Et addebat (Lutherus): Profecto paternae voces sunt prophetieae (vgl den Text in den Beiträgen zur bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 18, 1912, S. 46 Z. 4ff.). Genau den gleichen Inhalt hat Nr. 5389, bis in den wört- lichen Ausdruck hinein (Farr. fol. 375b bietet nur statt. genesin den Ausdruck genealogiam). Selbst die irrige Angabe findet sich in beiden Stellen, als sei Maxi- milian I. der Vater von Karl V. und Ferdinand I. gewesen. Das Gewicht dieser Übereinstimmung ist so groß, daß: Krokers Bedenken (V, S. XXIII) es müßten sich, wenn Besold alle diese Reden nachgeschrieben haben sollte, noch viel mehr Übereinstimmungen mit dem Inhalt der Briefe finden, das sei aber die einzige in ihrer Art, doch nicht. dagegen aufkommen kann. Die nachgeschriebenen Reden bilden doch nur einen bescheidenen Bruchteil der Tisch- gespräche; es ist recht gut denkbar, daß Besold in den. Briefen an Dietrich sofort aktuelle Äußerungen Luthers. mitgeteilt hat, die er in sein Tischredenheft nicht auf- nahm. Diese aus den flüchtigen Tischnotizen hergestellten Hefte hatten es doch in erster Reihe auf solche Aussprüche- Luthers abgesehen, von denen man sich dauernde Belehrung versprach. Auch diese konnte man nicht sämtlich fest- halten. Das beweist die reiche Nachlese, die gerade Besold in der Vorrede zum vierten Teil der Ausgabe der Genesis- Vorlesung beireffs der Äußerungen Luthers über die Genesis, über das Evangelium Johannis, über Paulus usw. gibt Äußerungen, deren Gesamtinhalt in keiner

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Tisehredenhandsehrift begegnet (vgl. W. A. Bd. 44 S. XXXIIf)?)

Was übrigens die Übereinstimmungen zwischen Besolds Briefen und den fraglichen Tischreden, insonderheit mit Farr., betrifft, so sind sie bei näherem Zusehen doch zabl- reicher, als bisher angenommen wurde. In dem erwähnten Brief Besolds vom 11. April 1542 geht der Prophezeiung des Erasmus über Ferdinand und Karl der Satz voraus, daß Luther das Gebet der Kirche für den einzigen Schutz Deutschlands halte (vgl. a. a. O. S. 46: Unico illo praesidio sustentari res Germaniae propemodum labentis ait, Oratione Ecelesiae) In den Tischreden finden wir ergänzende Aus- führungen über die Macht des anhaltenden Gebets überhaupt im Anschlu8 an Math. 7, 7; auf Nr. 5389 folgt Nr. 5392 (Farr. fol. 295b): „Oratio hat bisher ecclesiam erhalten, darumb mus es noch gebetet sein. Darumb sagt Christus: suchet, bittet, klopfet an! usw.*. Die Türkengefahr, die

1) Zu einem Stück dieser Mitteilungen haben wir eine hand- schriftliche Parallele. Wir lesen Bd. 44 S. XXXII und XXXIII: „Nee du- bito reverendum virum D. Justum Jonam pleraque adhuc memoria tenere, qui huie sermoni interfuit eique occasionem dedit. Forte enim ex Salinis Saxonieis Vitebergam expaciatus erat ad D. Lutherum et reliquos praeceptores invisendos, cumque eos audivisset in schola de variis rebus erudite et pie disserentes, narrabat in prandio se ex D. Philippo audivisse, totam scripturam nihil aliud esse quam certamen serpentis et seminis, Ad illud subiecit Lutherus: Glaabt jr auch, das Joannes ein Commentarius sey vber die gantzen Bibel? Paulus auch. Es ist kein wort, Joannes wolt gern Christum Deum machen. Sacra Scriptura magis urget Filium quam Patrem. Quia tota scriptura est propter Filium. Ideo plura sunt testimonia, etiam (im Druck falsch enim) in Veteri Testamento, de Filio quam de Patre. Den gleichen Wortlaut der AuBerung Luthers gibt die Tischrede Nr. 5585 (V, S. 262): wieder, die der Münchener Handschrift Clm. 987, 50 entnommen ist und dort als eine Nachschrift des Glauchau'schen Pfarrers Bartholo- mäus Wagner bezeichnet wird. Daß die Rede ins Frühjahr 1543 gehórt, wird durch den Brief Besolds an Veit Dietrich vom 25. April 1543 bestätigt, der diesen Besuch des Jonas erwähnt (,D. Jonas ex Salinis nuper huc venit“ Kawerau, Briefwechsel des Justus Jonas, II, 1885, S. 101). Noch andere Auborungen Luthers zu Jonas, z. B. über die Nähe des jüngsten Tages, werden in dem Briefe mitgeteilt. Man sieht, daß die Wirklichkeit überall reicher war, als die bruchstück- weise Überlieferung der Tischreden erkennen läßt.

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ganze Zeitlage tiberhaupt erweckte in Luther den Gedanken an die Nähe des jüngsten Tages. „D. Doctor quotidie exoptat adventum ultimi iudicii“ schreibt Besold an Dietrich am 25. Juli 1542 (Beiträge zur bayer. Kirchengesch., 18. Bd., 1912, S. 83). Wir kennen das Gebet, das Luther um diese Zeit sprach. Es ist nur von wenigen Zeugen überliefert. In Nr. 5777 (V, S. 349) ist es aus einer Münchener Handschrift (Clm. 939, 210b) mitgeteilt; außer- dem bietet es Rörer dar (Ror. Bos. q. 24p, 256b), der dritte (nicht erwähnte) Zeuge ist Farr. fol. 432: „Oratio. Hilff, lieber himmelischer Vater, das der selige tag deiner heiligen zukunfft bald komme, das wir aus der argen welt, des teuffels reich, erloset vnd von der greulichen plage, die wir auswendig vnd inwendig, beide von bösen leuten vnd vnserm gewißen leiden mußen, frey werden . . . durch Jesum Christum vnsern Herren, Amen“. (Der Zusatz am Schluß des Gebeis wie bei Rörer).

Za diesen Beispielen, die sich noch vermehren lassen, treten nun die vielen Zeugen eines besseren Textes, den Farr. vor Math. L. darbietet, und der besonders in den Stellen, wo Nürnberg in Frage kommt, laut für die Urheberschaft Besolds spricht.

In Nr. 5396 (Bd. V, S. 126) wird in einem Gespräch über die Juden ein „Morituus Doctor“ redend eingeführt. So Matth. L. 505 (S. 256). Man wußte mit dem Wort nichts anzufangen; Math. N. korrigierte Morituus in Martinus, cod. Rhed. ließ die Worte ganz aus. Farr. fol. 403b (nicht 413b) bietet die richtige Lesart: Tum Mauritius: Djomine Doctor usw. Es ist der Wittenberger Buchhändler und Ratsherr Moritz Golz aus Belzig demeint (vgl. über ihn Enders XV 64, Anm. 10 und Archiv f. Ref. Gesch. 1916 S. 171 Anm. 4), der in Luthers Haus verkehrte; seiner Gattin Christine widmete Erasmus Alber den Druck einer am zweiten Epiphanien- tag 1546 gehaltenen Predigt über die Hochzeit zu Kana (Emil Körner, E. Alber, 1910, S. 92).

Im Jahr 1542 wütete die Pest in Deutschland. Schon im Dezember 1541 hatte Besold an Dietrich geschrieben: Philippus in lectione locorum communium dicebat grassari nune in Germania pestem (Beitrüge zur bayer. Kireheng. 18,

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1912, S. 41), In Nr. 5503 (V, S. 195) steht ein langes Gespräch am Tische Luthers über die Pest, den Pestpsalm 91 und den Aberglauben, der mit dem Johannesevangelium als Schutzmittel gegen den Donnerschlag getrieben werde, Das Gespäch beginnt Farr. fol. 392b: „Cum quidam diceret duos praedieatores Nurmbergae peste absumptos esse, quaesitum est, an etiam ecclesiastes, qui tantum conductus est ad praedieandum, posset hominibus egrotis denegare suam operam tempore pestis? Njespondit: Bey leibe neyn usw“. Nur Farr, bietet die richtige Lesart Nurmbergae und ebenso Aurifaber (FB. 2, 441— 32, 155) ,Nürnberg"; Aurifaber hat das ganze Stück, wie die übereinstimmenden Varianten beweisen, aus Farr. entlehnt. Die anderen Texteszeugen (Math. L., Math. N. und Obenander) geben statt „Nürnberg“ den Namen „Naumburg“. Das ist eine Eintragung aus dem Schluß des Gespräches (V, S. 196, Z. 25), wo es heißt: Tum quidam dicebat in oppido quodam non procul a Naunburg parochum esse mortuum peste, item ludimagistrum; hier hat auch Farr. „Numburgk“. Die spätere Überlieferung hat zwischen dem Anfang und dem Schluß des Gesprächs Gleich- fórmigkeit hergestellt Was für Naumburg nicht nach- gewiesen werden kann, der Tod zweier Prediger im Jahre 1542, das trifft für Nürnberg zu. Am 2. Januar 1542 starb der Diakonus bei S. Laurenzen Leonhard Krügel (Karl Chr. Hirsch und Andr. Würfel, Diptycha ecclesiae Laurentianae, 1756, S. 84), und ebenso war 1542 das Todesjahr des Predigers bei St. Egidien, Sebastian Virnsehild (Diptychaecel. Egydianae, 1757, S. 41). Der letztere war wohl nur praedicator. Daher die Frage am Anfang des Gesprüches. Der quidam, der die Nachricht aus Nürnberg mitteilte, wird Besold selber gewesen sein. Daß er an Luthers Tisch auch Fragen zu stellen sieh erlaubte, ergibt sich aus einem Gespräch über Osiander, das er am 8. August 1544 an Dietrich berichtete (Jam denuo quaesivi usw. Archiv f. Ref. Gesch, 1916, S. 164). So steht nichts im Wege, auch die früher besprochene, in Farr. stehen gebliebene Ego-Stelle auf Besold zurückzuführen.

Auch in einer andern Tischrede des Winters 1542 auf 1543 (Nr. 5538 V, S. 222f.) nennt Farr. allein die „Nürnberger“. Es.ist eine Erinnerung an Papst Hadrian VI.

19 99

(1522—1523), der, in Utrecht geboren, später Professor an der Universität Löwen, Karls V. Lehrer gewesen war. „So machen Farr. 360 bis die Nurmberger in gratiam Caesaris einen bogen; auf der einen seiten stundt: Vtrich plantavit, quia fuit patria Hadriani; auff der andern seiten: Löwen rigavit, quia ibi studuit Hadrianus; oben auff: Caesar dedit inerementum, quia ipse fecerat eum papam; da kam ein boser bube vnd schreib vnden in den bogen: Hie Deus nihil fecit.^ Die Handschriften Math. L. und Math. N. haben nur den Buchstaben N., Aurifaber (4, 171— 44, 21): ,Utrieh*. Das gleiche, in Anlehnung an 1. Kov. 3, 6 gebildete Witz- wort begegnet in Nr. 3689 (aus Lauterbaehs Tagebuch vom 8. Januar 1538); dort ist der ganze Zusammenhang anders. Es ist also nur eine scheinbare Parallele.

In Farr. fol. 272—272b steht unter der Überschrift Ad civem Nurmbergensem ein Trostbrief Luthers vom 22. April 1532 an Thomas Zink, dessen Sohn Johannes, ein Schiiler Veit Dietrichs, in Wittenberg gestorben war (vgl. Enders IX 180, Nr. 1998). Der Vater lebte damals in „Hoffheim“ (bei Königsberg in Franken), wie der von Dietrich geschriebene Cod. Solger. © 351 f. 87 angibt. Wenn er aber in Farr.als „Nürnberger Bürger“ bezeichnet wird, so spricht sich eine besondere Kunde Besolds aus!) Veit Dietrich hat ergreifende Aufzeichnungen über die letzten Stunden seines Schülers hinterlassen (vgl. Tischreden Bd. I, S. 103f., Nr. 249).

Den erwünschten Bestätigungen, daß Farr, wirklich auf Besold zurückgeht, können wir noch eine weitere hinzu- fügen. Auf dem dritten Blatt der Handschrift stehen, wie Heft 1 S. 6f. angegeben, deutsche Verse des Erasmus Alber

1) Diese Kunde setzt sich fort in der von dem sorgfältigen und: zuverlässigen Generalsuperintendenten Johann Christfried Sagittarius veranstalteten Altenburger Ansgabe der deutschen Schriften Luthers. Der Brief steht im 5. Band (1662) S. 961 mit der Überschrift „Trost- schrift D. M. L. an einen guten Freund zu Nürnberg, dem sein Sohn zeitlich mit Tod abgangen 1532“. Diese Überschrift ist von der Leipziger Ausgabe (22. Band, 1734, S. 516) und von Walch (10. Band, S. 2366) übernommen worden. ‚In der Wittenberger und Jenaer Aus- gabe der Werke Luthers fehlen die Worte „zu Nürnberg“ (Witten- berger Ausgabe 9. Band, 1557, S. 474 und Jenaer Ausgabe 5. Band, 1557, S. 560 [spätere Drucke S. 486)).

7*

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auf Martinus Lutherus und auf S. Christoph. Alber und Besold haben sich an Luthers Tisch kennen gelernt. Im Herbst 1542 aus Brandenburg vertrieben, hatte Alber in Wittenberg Zuflucht gefunden und war dort noch während der ersten Monate des Jahres 1543. Er erzählt selber von dieser Zeit, daß er „täglich Luthers lieber Gast gewesen sei“ (Beiträge zu Luthers Tischreden, von Emil Körner Archiv f. Ref. Gesch. XI, 1914, S. 135). Als Besold im Sommer 1543 eine Erholungsreise an den Rhein machte, war ihm, wie er am 13. September von Frankfurt aus an V. Dietrich schrieb, „comes iucundissimus Erasmus Alberus“ (Archiv XIII, 1916, S. 113). Der geprüfte, oft verjagte ältere Dichter und sein junger Freund werden auf der gemeinsamen Reise häufig von Wittenberg und Luther gesprochen haben. Da mögen die akrostichischen lateinischen und deutschen Verse entstanden sein, mit denen Besold den Anfang des Farr.-Bandes schmücken ließ. Jedenfalls sind sie zu Lebzeiten Luthers niedergeschrieben, da sein Wirken als noch fortdauernd geschildert wird (Verbum cum doceat studio fervente Lutherus?).

1) 3. Blatt der Handschrift (nicht gezählt) vor Blatt A: Interpretatio nominis et cognominis D. Martini Lutheri.

MARTINVS. Maxima pars mundi Christum nescivit Jhesum. Audita in templis non sunt nisi somnia vana. Romulidae Christi sponsae caput esse volebant, Tantum erat his studium, miseram seducere plebem, Iustitiam et fidei in Christum obscurare libido, Nemo operum et fideji quae sint discrimina, novit, Venter erat summus Doctor populi atque Magister, Spurcus et hoc docuit, voluit quod quisquis agaso.

LVTHERVS.

Luce sua Christus nune totum illuminat orbem, Verbum eum doceat studio fervente Lutherus. Tantum illi studium, ad Christum perducere plebem, Hactenus in tenebris iacuit quae et mortis in umbra, Exardet furiis necquiequam perdita Roma,

Roma videns hominem peccati praecipitari

Vindice, quem pater omnipotens dedit ipse, Luthero, Sancta Dei totum qui dogmata spargit in orbem.

21 101

Als Besold im Jahre 1554 die Vorrede zum vierten Band -der Genesis-Vorlesung Luthers schrieb, verband er mit der Mitteilung einiger Kernspriiche des Reformators das offene Bekenntnis, wie sehr die Erinnerung an Luthers öffentlich und privatim gehörtes Lehrwort ihn stütze und aufrecht erhalte. Man könnte die Worte, die-er damals schrieb, als Motto über den großen Sammelband setzen, den er aus Luthers Tischreden und Briefen zusammengestellt hatte, und in dem das Gedächtnis an die ersten an Luthers Tisch verbrachten Jahre (1542 und 1543) so stark auf- leuchtet. Die Sätze lauten: „Ego quidem in his furoribus diaboli, quibus in ecclesiam et respublicas liberas et bene constitutas horribiliter saevit, nulla re magis acquiesco, quam recordatione eorum, quae ex Luthero publice et privatim audivi, quibus me utcunque sustento et cum aerumnas communes facilius tolero, tum vero accuratius et maiore diligentia hactenus cavere studui- corruptelas doctrinae ab ipso traditae“ (W. A. Bd. 44, 1915, p. XXXIII). Wir haben den Farrago-Band als das viel benützte Ver- mächtnis eines treuen und dankbaren Lutherschülers anzusehen und zu würdigen.

MARTINVS.

Martinus heift ein ftreitbar man,

Wm Bapft man fo[dj8 wol fehen fan,

Rom ijf darumb vorbittert febr,

Z put, ob fie toll bnd toricht wer,

sn Leuzidlandt allenthalben flucht,

Mit ein ort left fie pubefudt,

Vn wil ausjagen Bhejum Chrift,

So febr Gathan vorbittert ift. LVTHERVS.

Lob ehr pnd dant fey Gott dem Herrn,

Wie Hilft er doch fo Hherplid gern.

Trew ijt er, drumb feit pnvorzagt,

Hat er vng bod) Hulff gugefagt.

(Rüdfeite des dritten Blattes)

Gr fteht bey feiner Chriftenheit,

Reid ift er von barmbergigteit

Bnd wil ons lagen nimmermehr,

So gebt dem Herren allein die ehr.

Erasmus Alberus, Lutheri

theodidactus.

102 m 22

VII.

Es bleibt ein Restbestand von Tischreden übrig, die uns nur durch Aurifaber überliefert sind. Er verfügte über einen Reichtum von Quellen, von denen viele für uns ver- siegt sind. Der Satz in der Vorrede seiner Tischreden- Ausgabe, daß er „viele Jahre her einen großen Haufen geschriebener Bücher Colloquiorum Lutheri bei sich gehabt habe“ (FB. 4, XXII), enthält keine übertriebene Behauptung. Wie bei Lauterbach und Veit Dietrich, so hat er auch bei Hieronymus Besold nicht nur aus der auch uns be- kannten Hauptquelle geschöpft, d. h. aus der Handschrift Farrago, die jetzt am Schluß defekt ist, sondern er hat auch Nebenquellen benützen können, die namentlich den umfassenden Anhang speisten, der in der Urausgabe des Jahres 1566 sich findet.

Der Anhang trägt jetzt die Überschrift: „Einige Tisch- reden, so in unten angezeigte Abschnitte gehören“ (FB. 4, 709) und umfaßt jetzt nur 19 Stücke. Er war aber anfänglich viel umfassender; die Nebenquellen lieferten eine große Anzahl von neuen Stücken, die nicht mehr in die betrefien- den Abschnitte der Hauptsammlung eingereiht werden konnten. Ihre Zahl beträgt in der Eislebener Urausgabe vom Jahre 1566 (Bl. 614—626) und ebenso im zweiten Teil der Frankfurter Nachdruck-Oktavausgabe vom Jahre 1567 (FB. 4, XXV) nicht weniger als 75 (Bl. 720b—747b, ver- druckt in 774); die Überschrift heißt; „Andere Tischreden D. Martin Luthers, die zum teil in die obgesetzte Locos gehören, von allerley Sachen, aus etlichen geschriebenen Büchern zusammen getragen“ (Urausgabe Bl. 614). Erst die Frankfurter Folioausgabe des Jahres 1568 mit be- sonderer Vorrede Aurifabers hat die meisten dieser Nachtragsstiicke bei den betreffenden Loci untergebracht und den Anhang auf 19 Stücke beschränkt (Bl. 447—449). Die Walch’sche Ausgabe der Werke Luthers und FB. sind dann bei dieser Anordnung stehen geblieben. Man muß aber diesen Sachverhalt beim Studium von FB. im Auge behalten. Es soll dies an einem lehrreichen Beispiel nach- gewiesen werden.

23 103

Der 24. Abschnitt der Tischreden „vom Teufel und seinen Werken“ ist von Aurifaber mit besonderer Vorliebe ausgebaut worden; er bringt nicht weniger als 138 Stücke (FB. 3, 4—96), darunter eine Reihe von ausführlichen Er- zählungen (z. B. Nr. 79—84 Etliche Historien, von D. M. Luthern erzühlet FB. 3, 57—62). Für diesen Abschnitt konnte er aus Besolds Sammlung Farrago wenig entlehnen; der betreffende Abschnitt fol. 234—241 ‘De Sathana et eius illusionibus’ enthält nur 41 meist ganz kurze Aussprüche: darunter ist keiner von den von Aurifaber bevorzugten Schwänken. Aber vorübergegangen ist er an Farrago doch nicht.

Die Vorlage von Nr. 130 „Vom Wallfische, dem Teufel“ (FB. 3, 89) steht Farr. fol. 465 und lautet: „Iob hat 2 cap.; (Kap. 40 und 41) vom Behemoth, vom walfisch; niemandt ist fur jm sicher. Was wiltu mit dem Leviathan machen, meinstu, er werde dir zu fuße fallen vnd dich anbeten? (Vgl. Kap. 40, V. 22 und 23). Sunt figurae diaboli. Der walfisch fragt nach keinem schiff, Behemoth auch nicht, er fragt nach keiner kunst, weisheit, princeps mundi omnia habet pro stipulis, er fragt nichts darnach. Aber ein Ding sal jn sturtzen, das ist verbum et fides. Semen mulieris, der mus es thun.“

Die W. A. bringt Aurifabers in keiner der verglichenen Handschriften nachweisbaren Text unter Nr. 6829 (VI, S. 216f.). Aber nun ist die Vorlage gefunden; es ist kein Zweifel, dab Aurifaber das Stück, das ja Wort für Wort der Vorlage entspricht, aus Besolds Sammlung entlehnt hat.

Nun liest man aber mit Überraschung beim folgenden Stück Nr. 131 (FB. 3, 89) = Nr. 6830 die Überschrift: „Von Poltergeistern, aus M. Hieronymi Besoldi Colleetaneis“. Und die folgende Nr. 132 = Nr. 6831 ist überschrieben: „Von des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Dieterichs geschriebenen. Collectaneis“ (FB. 3, 90). Es ist beispiellos, daß Aurifaber in der Überschrift eines Stückes seine Quelle angibt; was veranlaßt ihn in diesem Fall zu dem seltsamen Vorgehen? Und ferner wenn erst bei Nr. 131 Besold’sche Herkunft hervorgehoben wird, wie steht es dann mit Nr, 130? Das Stück ist ja zweifellos der Handschrift Farr. entnommen; aber ist diese dann wirklich der codex Besoldi?

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Das Rätsel löst sich sofort, wenn man wahrnimmt, daß Nr. 131 ein aus dem Tischreden-Anhang erst später hier- her versetztes Nachtragsstück ist, und daß von da an bis zum Schluß des Abschnittes, also von Nr. 131—138 lauter Anhangsstücke stehen (FB. 3, 89—96 = Urausgabe 1566 Bl. 617b —620; dagegen Nr. 130 in der Urausgabe Bl. 3 07!) Aurifaber hatte den Abschnitt vom Teufel und seinen Werken mit der Herübernahme des Behemoth-Stückes aus Besolds Farrago geschlossen. Als er aber die Stücke des Anhangs sammelte, freute es ihn, noch einige Teufelsstücke nach- tragen zu können. Er gab die Quelle an, um die gerade bei diesen Stücken manchem doch wohl zweifelhafte Glaub- würdigkeit zu vermehren. Es war aber weder bei Besold noch bei V. Dietrich die sonst von ihm benützte Haupt- quelle; denn sonst stünden die Stücke wohl nicht im Anhang, sondern schon im 24. Tischreden-Abschnitt. „Besoldi Collectanea“ sind also etwas anderes als der Farrago-Band; es sind die chronologisch geordnetn, für uns verlorenen Urschriften oder doch ein Teil von ihnen die reichen Quellbäche, die den Sammelband gespeist haben. |

Wir haben schon früher gesehen, daß in Farr. nicht alles stand, was Besold gesammelt hatte (vgl. S. 95). Und ähnlich ist das Verhältnis der „geschriebenen Collectanea“ Dietrichs zu seiner Hauptsammlung zu beurteilen. Diet- richs „Collectanea“ scheinen die Quelle für sämtliche Stücke von Nr. 131—138 gewesen zu sein. Darauf deutet die programmatische Fassung der Überschrift: „Tisch- reden D. Martini Luthers, von des Teufels Gespenst und Betrug, aus M. Veit Ditterichs geschriebenen Collectaneis“ hin, wie sie sich in der Urausgabe Bl. 618 und auch noch in der Frankfurter Oktavausgabe „ander Teil“, Bl. 729b findet. Hatte Dietrich außer den chronologisch geordneten Heften auch solche mit Sachordnung, also etwa ein besonderes Heft mit Teufelsgeschichten? Die W. A. gibt für die meisten der genannten Stücke keine Vorlage an und zählt sie als Nr. 6831—6835 (VI, S. 218—222). Für Nr. 133 wird auf Nr. 1338, für Nr. 137 auf Nr. 491 med,, für Nr. 138 auf Nr. 5743 verwiesen. Die zweite Ver- weisung führt direkt auf V. Dietrichs Nachschriften zurück.

25 105.

Ubrigens scheinen Besolds und Dietrichs Collectaneen,. wie Aurifaber sie benützte, eng mit einander verbunden gewesen zu sein. Das geht aus FB. 3, 264 (27, 154) hervor (in der Urausgabe Bl. 362b). Dort ist im Zusammenhang mit der Frage, ob der Papst über ein Coneilium sei, von Äußerungen Luthers zu Joh. 3, 19 und 12, 35 die Rede.

„Solches hat Doctor Martinus einmal zu M. Hieronymus. Besolde von Nürmberg gesaget“. Es fehlt der Quellenbeleg für diese Rede.

Wenn es dann in unmittelbarem Anschluß weiter heißt: „Doctor Martinus hat auch auf ein andere Zeit zu dem Herrn M. Veit Dieterich gesagt“ und dann eine freie Äußerung des Kanonisten Panormitanus mitgeteilt wird (= W. A. Bd. I, S. 303, Nr. 645), so fragt man sich wieder, warum gerade hier die beiden Namen genannt sind, und man nimmt wahr, daß wieder zuerst Besold und dann Veit. Dietrich angeführt wird.

Völlig vereinzelt eht da, was die Münchener Hand- schrift Clm 943, 144b de Besolto Nurmbergensi mitteilt (vgl. V, S. 333, Nr. 5730). Im Gespräch mit Besold fällt eine scharfe Aaberg Luthers gegen Bucer (1544). Auf welchen Tischgesellen Luthers die Mitteilung dieses ab- fälligen Urteils, dem viele andere zur Seite stehen, zurück- geht, läßt sich bis jetzt nicht ermitteln.

Es ist mir der Auftrag erteilt worden, den reichen. Ertrag des codex Besoldi (es sind u. a. c. 120 neue Tisch- reden mitzuteilen) in einem Band der Weimarer Aus- gabe der Lutherforschung zugänglich zu machen. Mit der Ausführung dieses Auftrags beschäftigt, spreche ich der Verwaltung der Landesbibliothek Gotha, insbesondere Herrn Staatsrat Prof. Dr. H. A. Krüger, für die Übersendung der Handschrift nach Greifswald, wo sie im feuerfesten Schrank der Universitätsbibliothek aufbewahrt wird, sowie dem Direktor unserer Bibliothek, Herrn Prof. D. Dr. Johannes Luther für mancherlei Beihilfe ergebensten Dank aus, den: ich auch auf die Verwaltung der Münchener Staatsbibliothek. für Übersendung der Besold-Briefe erstrecke.

Dietrich von Starschedel, ein Zeuge vom Wormser Reichstage 1521.

Von E. Körner. I,

Als „ein gutes, altes Geschlecht“ rühmt einmal Kur- fürst August die Starsehedel!). Von ihnen ist als erster Petrus Starcedele nachweisbar; er überließ 1311 dem Kloster Langendorf bei Weißenfels eine Hufe. Im 15. Jahr- hundert nennen sie sich Torschedel, auch Dorstedel?). Ihr Stammsitz soll Starsiedel, unweit Lützen, im Merseburger Domkantoreisprengel gewesen sein‘), Daneben besaßen sie bis in das 15. Jahrhundert hinein Dommsen, nordwestlich von Hohenmölsen. Noch in dessen erster Hälfte finden sie sich zu Mutzschen. Vordem gehörte die ziemlich umfäng- liche Herrschaft einem Zweige der Leisniger Burggrafen, der sich auch nach ihm benannte‘). Als ihr Eigentümer erscheint 1445 unter den Starschedel Heinrich (L) in dem Vertrage zwischen Friedrich dem sanftmütigen und Wilhelm III. Er ist der Begründer der Mutzschener Linie.

Sein Sohn Heinrich (IL), gestorben 1495, erwarb Cannewitz. In der Geschichte wird er zum ersten Male 1475 erwähnt, gelegentlich des Turnieres auf dem Markte gu Amberg bei der glänzenden Hochzeit Philipps von

1) Cl. v. Hausen, Vasallen-Geschlechter der Markgrafen zu Meißen, Berlin 1892, S. 474 ff.

2) Noch in Zuschriften an und Briefen von Johann Friedrich findet sich neben Dorschedel auch Storschedel. Ihr Wappen nach Kneschke, S. 603: Schild rot, Silber und Schwarz, schräg rechts geteilt, ohne Bild. Vgl. auch König, Adelshistorie, 1727, I, S. 941—953. Wenig zuverlässig die Nachrichten in Dreßn. Gelehrten Anzeigen 1758, S. 528 ff.

3) NASG. XXXII, S. 233, |

*) Lorenz, Die Stadt Grimma, Leipzig 1856, S. 1074,

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der Pfalz mit Margarethe, der Tochter Ludwigs des Reichen von Niederbayern: er nahm da am Gesellen- stechen an Aschermittwoch teil). Im Jahre darnach begleitete er Herzog Albrecht auf dessen Fahrt in das Gelobte Land. Mit 69 anderen ward er in der Kirche des Heiligen Grabes zum Ritter geschlagen?). Seine Beziehungen zum Hofe werden es gewesen sein, die ihn 1478 zum „Amtmanne auf dem Schneeberge“ werden ließen; noch 1482 wird er als solcher bezeichnet. Er war es, der die Wasserkunst herrichtete. Hier vermehrte er seinen Reich- tum*), mit dem er oft den sächsischen Fürsten beistehen mußte. Schon bei der Erwerbung Sagans durch Ernst und Albrecht (1472) ist er unter den Bürgen für die Kaufsumme von 40000 Gulden‘). An Kurfürst Ernst hatte er 1000 Gulden zum Meißner Sehlofbaue zu schicken’), Herzog Georg einmal nicht weniger als 8000 Gulden zu leihen®). Lieber als derartige Steuern war ihm die Ver- größerung seines Grundbesitzes‘).. Dieser ward bald ein recht ausgedehnter; selbst Graupen erwarb er?) Infolge der Erbteilung 1485 fiel blos Mutzschen zum Weimarischen Teile, alles andere zum Meißner. Heinrich half als Herzog Georgs Rat als dessen Bevollmächtigter den Oschatzer . Vertrag schließen (1490)?) In diesem Jahre stiftete er in Erinnerung an die glückliche Rückkehr von seiner Pilger- fahrt „das Klösterlein Servorum Mariae virginis zu Mutzschen +°).

1) NASG., XXVIII, S. 161.

?) Beschreibung der Mergenthalischen Familie. 1745, S. 7.

8) NASG., V, S. 173.

*) Ebenda, XVIIII, S. 14.

5) Ebenda V, S. 288.

6) Hauptstaatsarchiv zu Dresden, Cop. 1500, 134.

7) Kneschke, S. 603.

°) Archiv für Sächs. Gesch. (fortan: Archiv) V, S. 344,

?) Hausen, S. 474,

10) Mencken, Scriptores rerum Germanic. Vol. II, p. 1585; „vngeferlich 1496“. So noch NASG. I, S. 85. Am genauesten Großmann, Die Visitationsacten der Diöces Grimma. Leizig 1873, S. 141 ff. Nach ihm Bau- und Kunstdenkmäler im KS. Bd. 19 und 20, 5. 180f. Auch Hasse, Gesch. der Klöster in der Mark Meißen und Oberlausitz, Gotha 1888, S. 199,

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Als sich die Zahl seiner Insassen merklich steigerte, vermehrten seine Einkünfte als Patrone Heinrichs drei Söhne‘). Es wird von ihnen besonders Heinrich (III) dazu bewogen haben, der Zeitzer Dompropst und Meißner Domherr war (f 1530)?. Er stand Herzog Georg nahe und hielt, wie sein älterer Bruder Dietrich (L), gestorben 1523, fest an der mittelalterlichen Kirche?). Daß dessen Witwe Walburg das Schloß Kriebstein an Herzog Georg abtrat, wird ihr Schwager vermittelt haben; die drei Brüder hatten es 1510 gekauft‘).

Ihr Sohn Dietrich (IL) wandte sich bald aus Uber- zeugung der Reformation zu. Er hatte außer dem Haupt- gebäude des Mutzschener Schlosses das Rittergut und die Vorwerke, zu denen Wermsdorf gehörte, geerbt, während sein Bruder Ernst den Turmbau des Schlosses und außer den Mutzschener Teichen das Rittergut Cannewitz überkam. Es war ein stattlicher Besitz, den sie erhielten. Über seine einzelnen Stücke unterrichtet ihre Belehnung 1523 und 1533. Bei der ersten werden der Reihe nach aufgezählt außer Schloß und Städtlein Mutzschen mit aller freieigenen Jagd die Dörfer Böhlitz, Roda, Mahlis, Freigut und Dorf Cannewitz, Wagelwitz, Nerchau, Fremdiswalde®), Nennewitz, das wüste Dorf Naundorf, Wüstung Wermsdorf mit Sitz und Gehölz, Lóbsehütz, und das Raiche, Storkau, Wetheritz, Gottwitz, Merschwitz und Poschwitz, ein besessener Mann zu Leipnitz und ein besessener Mann zu Gottwitz, der Kretzschmar zu Gesewitz, die Pfarre zu Mutzschen, Wermsdorf, Nerchau und Fremdiswalde, außerdem Bäche und schließlich „Hundekorn, wie es vom Burggrafen zu Leisnig herrührt“. Ein Jahrzehnt darnach werden noch 18 Teiche, sowie zehn Halter zu Mutzchen und Gottwitz genannt‘), Es ist ver-

1) Dreßnische Gelehrte Anzeigen 1758, S. 523ff.

?) Ursinus, Gesch. der Domkirche zu Meißen. Dresden 1782, S. 155. NASG. XXVI, S. 33f. Über Jnnocenz von Starschedel s. ebenda XXIIII, S. 92,

3) Beitr. z. Sachs. Kirchengesch. XV, S. 35.

4) Hausen, S. 475.

5) Lorenz, S. 1075.

NASG, XXXVII, S. 147.

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stindlich, wenn in Erinnerung an diese zahlreichen Liegenschaften sich die Nachkommen „Dinasten“ nennen ').

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Dietrichs Geburtsjahr wird vor 1500 zu setzen sein. Den ersten Unterricht hat er bei den Mutzschener Serviten genossen, die sich vorteilhaft vor anderen auszeichneten. So, wie er ,von ihnen geleitet worden war, war er in der Jugend auf der papistischen Lehre gestanden*?) Die geistliche Laufbahn jedoch zu beschreiten, die neben dem Waffenhandwerke bisher als standesgemäß gegolten hatte, dazu war er als ältester Sohn wohl nie bestimmt, noch hat er selbst es kaum je beabsichtigt. Daß er aber für das juristische Studium, das jetzt beliebt ward, eine Universitit besucht hätte, dafür findet sich kein Anhalt; wenigstens wird sein Name in den Alben Wittenbergs und Leipzigs nieht angeführt. Wann er mit dem kurfürstlichen Hofe in Beziehung kam, auch dafür finden sich keinerlei Spuren. Unter den sog. Einrossern des Kurprinzen wird seiner nie gedacht; sie waren dessen Altersgenossen entnommen, und Starschedel ist kaum unter sie zu rechnen. Früh regte sich in Johann Friedrich das Interesse für Jagd und Turnier. Mutzschens große Waldungen stießen an die landesherrliehen, und daß Starschedel gern pürschte, dadurch wohl mit ward er prinzlieher Begleiter auf Jagdausflügen. So kann er bald an solehen teilgenommen haben, vielleicht auch an dem eifrig betriebenen Stechen und Rennen am Hofe.

Zum ersten Male tritt er 1519 im öffentlichen Leben hervor. Lehensstreitigkeiten hatten einen offenen Kampf Heinrichs von Lüneburg und des Bischofs Johann von Hildesheim gegen Erich von Braunschweig und den Bischof von Minden veranlaßt. Für diese ergriff Herzog Georg Partei und schickte ihnen „viel schöne und stolze Reiter“. Am Peter-Pauls-Tage, an dem zu Frankfurt KarlV. zum Kaiser gekrönt ward, kam es zur blutigen Schlacht auf der Soltauer Heide. Die Meißnischen Ritter

1) BKD. XIX, S. 34 (Grabmal). 2) Joh. Schuwardt, Regententaffel. Leipzig 1583, S. 159.

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zogen den Tod der Schande der Flucht vor. Die meisten von ihnen fielen, die tiberlebenden gerieten in Gefangen- schaft. Unter ihnen waren z B. Moritz und Wolf von Pflugk, Albrecht von Heynitz, Heinrich von Bünau. Als trotz dem Ausgange des Streites keine Einigung zu erreichen war, suchten die Kurfürsten von Sachsen, Branden-. burg und Mainz eine Vermittlung; die Entscheidung sollte Herzog Johann von Sachsen und Herzog Heinrich von Mecklenburg treffen. Da baten sächsische Adlige, unter ihnen Dietrich von Starschedel, um Auslösung ihrer Standesgenossen *).

Daß er bei der Nähe Leipzigs die Disputation zwischen Luther und Eck (1519) nicht unbeachtet ließ, ist zweifel- los. Der Eindruck des Wittenbergers wird ihn bewogen haben, alles aufzubieten, dem Wormser Reichstage beiwohnen zu dürfen. Die Reise dahin war für ihn von: entscheidender Bedeutung. |

In welcher Eigenschaft, läßt sich nicht bestimmen. Zum prinzlichen Hofstaate wird er nicht gehört haben. Denn schon am 23. Februar verließ mit seinem Vater Johann der Prinz Worms, der sich damals noch als Schwager Karls V. betrachten konnte?); Starschedel jedoch blieb hier zurück. Amtliche Befugnisse werden ihn festgehalten haben. Gewib hatte auch ihn die allgemeine Spannung ergriffen, mit der Luthers Ankunft entgegengesehen ward. Sollte er nicht unter den Tausenden gewesen sein, die seiner in den Strafen harrten, wenn nieht gar unter denen vom Sächsischen Hofe, die ihm entgegenritten? Noch ,in seinem Alter“ spraeh er mit sonderlieher Freude und christlichem Frohlocken seines Herzens von den Aktis des Reiehstages, den er in frisehem Gedächtnisse allezeit hatte, Denn es war ihm ernst ge- wesen, soleher Handlung von Anfang bis Ende eigentlich wahrzunehmen. „Ich ließ andere Frühstück essen, erzählt er, und ging beizeiten in die Kirche so nennt er den

1) Weimar, Reg. C 690, Bl. 18; vgl. Rechtmeier, Braunschweig- Lüneb. Choronica. Braunschweig 1722, S, 866ff., Havemann, Gesch. der Lande Braunschweig und Lüneburg, Bd. II, Göttingen 1855, S. 21i.

2) P. Kalkoff, Erasmus, Luther und Friedrich der Weise. Leipzig 1919, S. 17. : l

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großen Saal in welcher der Mönch vor allen Ständen: des Römischen Reiches die Lehre göttlichen Wortes steif bekannt hat.“ Sehr anschaulich schildert Starschedel, „wie: erstlich der Kaiser samt den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Reiches in ihren bereiteten Sesseln gesessen, als Luther unter dem Volke gar allein in seinem Ordenskleide, das er noch antrug, daher kam, ihnen entgegentrat, und Eccius als päpstlicher Orator durch eine scharfe Rede ihn ansehnaubte. Ich aber hatte ein Mitleiden mit ihm und besorgte, er würde sich vor falscher Gewalt entsetzen.- Als er aber anfing, un- erschrocken, doch fein seltsam zureden, einem jeden Poten- taten seinen gehörigen Titel zu geben, verwunderte ich mich. und gedachte: Das möchte mir noch wohl ein Mönchlein sein. Ich behielt mir aus allen Reden, die da mit großem Ernste von beiden Teilen geschahen, diesen herrlichen Spruch als ein teuer köstliches Kleinod, daß D. Luther sagte zu des. Papstes Legaten (als er vermerkte, daß man an seiner Ver- antwortung nicht Genüge hatte): ‚Das Evangelium, so ich unserem Deutschen, meinem lieben Vaterlande, gepredigt habe, daß ist nicht mein, sondern meines Herren Jesu Christi,. und ich lasse das S. Petern verantworten, der da spricht Actor. 10: Von diesem Jesu zeugen alle Profeten, daß in seinem Namen Vergebung der Sünden erlangen alle, die an ihn glauben’“’), Davon hat er, fügt der Nacherzähler bei, noch mit D. Luther selbst am Kurfürstlichen Hofe gesprochen..

Starschedel wird dem 2. Erscheinen Luthers am Donners- tage, dem 18. April beigewohnt haben. Sein Bericht vom Wormser Tage weicht allerdings von dem anderer ab. Es. will jedoch dabei beachtet sein, daß er nicht unmittelbar uns überliefert ist. Wenn er die Stätte der Verhandlung eine Kirche nennt, so im Hinblicke auf die Wichtigkeit der Stunde, die sie für ihn selbst behielt. Das Benehmen des Trierer Eck zeichnet er richtig; es erregte bei vielen Anstoß.. Frische Begeisterung für Luther wird Starschedel alles haben : aufbieten lassen, in den bischöflichen Palast zu gelangen. Mit Luther zu sprechen, war ihm dadurch erleichtert, daß: diesem im Johanniterhause Herberge angewiesen worden war, wo auch die kurfiirstlichen Räte und Edelleute Wohnung:

1) Schuwardt, S. 160.

112 39 aufgeschlagen hatten. Es fiel daher Starschedel nicht schwer, einen Augenblick zu erspähen, wo er vor den von ihm be- wunderten Glaubenshelden treten konnte. Sollte er nicht bald Johann Friedrich über sein Erlebnis berichtet haben? Denn dieser machte kein Hehl aus seiner freundlichen Stellung zu dem Wittenberger. Sie war so bekannt, daß Aleander nach Rom meldete, der Neffe des Kurfürsten wäre noch viel ketzerischer als der Oheim, wie alle Welt wüßte). Des Kurprinzen und Starschedels Wendung zum Evangelium ließen beide sich einander anschließen. Ein Verhältnis ent- spann sich zwischen ihnen, das fast für ihr ganzes ze andauerte. II.

Landtage, welehe die Stände vollzählig vereinten, fanden im Ernestinischen Sachsen selten statt. Es waren nicht allein die Kosten, welche die kurfürstlichen Kassen belasteten, die sie nicht häufig abhalten ließen, mehr noch die Abneigung des Hofes gegen sie überhaupt. Der Landes- fürst berief sie nach eigenem Ermessen und,.da er sich von ihren Beratungen wenig versprach, schrieb er sie nur bei dringlichem Anlasse aus. Die Auswahl der zu ladenden Persönlichkeiten traf er nach reiflicher Erwägung. Es handelte sich zumeist um Steuervorlagen, zumal um „gute Ordnung“

„das fürstliche Wesen“ zu bringen. Für sie meinte er, etwas von einem engeren Kreise zu erreichen, als von der Gesamtheit der vier Stände?).

Die Starschedel müssen das Vertrauen genossen haben, daB sie es nicht mit den Widerwilligen hielten. Sie befinden sich fast regelmäßig unter den Entbotenen. Heinrich (ID. war 1495 unter den Räten auf dem Tage zu Altenburg und Heinrich (IIL) 1498 auf dem zu Naumburg unter der Ritterschaft. Die Brüder stellen sich 1511 auf dem Land- tage zu Jena und dem Ausschußtage zu Fahner ein. Einer .von ihnen vertritt Meißen 1515 zu Naumburg, und unter den Grimmaern sind die Mutzschener 1518 nach Jena erfordert‘).

1) Kalkoff, S. 106.

?) S. A. H. Burkhardt, Ernestinische Landtagsakten, Jena 1902, S. III f£, XXXIXff. Auch Mentz, Joh. Friedrich der Großmütige.

Jena 1908, III, S. 197 1t. 5) Ebenda S. 10; 30; 84; 115; 126.

33 113

Es kann daher nicht überraschen, daß bald auch Dietrich an solehen Tagungen teilnimmt. Er war unter der Ritter- schaft Sonntag Kantate 1523 zu Altenburg, mit seinem Bruder Ernst Dezember 1530 wieder in Altenburg und im Januar 1531 in Zwickau, wo er mit anderen das Amt Grimma vertrat, Hier war er unter den von gemeiner Landschaft zum Aus- schuß Vorgeschlagenen, die mit weitgehenden Vollmachten ausgerüstet wurden. So kam er zu dem wichtigen Ausschuß- tage zu Torgau, März 1521, und ward an erster Stelle zum ersten Einnehmer der Anlagegelder im Kreise Torgau be- stimmt. Den letzten Ausschußtag hatte Kurfürst Johann für Mai 1532 nach Torgau ausgeschrieben und endlich auf 1. September verschoben; er erlebte ihn nicht: er starb am 16. August’).

Im Besitze der Kurwürde hat sein Nachfolger blos 1533 zu Jena und 1542 zu Weimar wirkliche Landtage veran- staltet. Er war kein Freund von ihnen und hat sogar den Ausschuß selten zu Rate gezogen. Als er ihn im Oktober 1532 in Torgau um sich sammelte, tat er es wohl unter dem Zwange der finanziellen Mißstände. Sie besonders waren es ja, welche ihn die Landschaft nicht gänzlich unbeachtet sein ließen.

Für ihre Regelung wirkte auch jetzt, wie schon früher Starschedel eifrig mit. Er mag dafür vor anderen Geschick besessen haben. Gern übertrug man ihm deshalb die Ein- nahme von Steuern. Neben der des Zehnten Pfennigs hatte er die der wenig beliebten Tranksteuer des Adels?). Mit welcher Gewissenhaftigkeit er solche Aufgaben erfüllte, be-- zeugt er mit seinen musterhaften Listen über die Türken- steuer. Wennschon sie in der Hauptsache von seinem Schösser, Hans Schütz, geführt wurden, so tat er es - doch unter Starschedels Aufsicht, der sich um alles be- kümmerte. Aus den 21 Dörfern und der Wüstung Naun- dorf seiner Pflegschaft konnte er 1542 an Lätare 90fl.

1) Ebenda, S. 200; 214; 230; 263f. Vgl. Köstlin-Kawerau, M. Luther, Bd, I. S. 413ff, 2) Weimar, Reg. Qg., pag. 752, C 545 ff. Archiv für Reformationsgeschichte. XIX. 2. 8

114 34

19 Grosehen und an Martini 90 fl. 19 Groschen 7 Pfennige, abliefern !).

Seine Umsicht und Sorgfalt ward von der Landschaft geschätzt. Er war ein Mann allgemeinen Vertrauens. Als während der Wurzener Fehde sich Johann Friedrich in Grimma aufhielt und der hessische Marschall Hermann von Hundelshausen in Philipps Auftrage zwischen den Parteien eine Vermittlung anstrebte, empfahl dieser dem Herzog Moritz neben Mügeln das Haus Starschedels als Verhandlungsort für die beiderseitigen Rate. Kaum wird es bloß die günstige Lage Mutzschens, sicherlich vielmehr Starschedels Persönlichkeit gewesen sein, die eine versöhnende Einwirkung erwarten ließ. Die Zusammenkunft bei ihm ward durch des Landgrafen Eingreifen unnötig’).

Im Schmalkaldischen Kriege griff die Ernestinische Seite den Gedanken der Herzogin Elisabeth von Rochlitz und des Fürsten Georg von Anhalt auf, daß je vier von den beiden Landschaften in Beratung treten möchten. Auf Bitten der Seinen verhinderte sie Johann Friedrich nicht, hoffte wohl sogar von ihr einigen Erfolg. Die Vor- schläge dafür entwarf Hans von Ponikau, ließ sich selbst, wie auch Brück, jedoch nicht dazu abordnen. Außer dem Kanzler Jobst von Hain wurden voran Starschedel neben Wolf von.Schönberg und Georg von der Planitz geschickt. Die Albertiner waren zu der Unterredung bereit, wenn vom 28. März,bis drei Tage nach beendeter Aussprache Waffenstillstand zugesichert würde. Von ihnen kamen nach Mittweida außer Ludwig Fachs noch Kaspar von Schön- berg,Gottschalg von Haugzwitz und Wolf Koller. Starschedel scheint recht entschieden gesprochen zu haben. Er drang auf ,,Verhiitung weiteren Verderbens des Landes und auf Wiederaufrichtung des Friedens.“ Seine Befiirchtungen

1) Weimar, Reg. Pp, Nr. 6184. Als Orte werden verzeichnet: Roda, Góttwitz, Merschwitz, Gastewitz, Poischwitz, Serka, Löbschütz, Fremdiswalde, Wermsdorf, Döbern, Grauschwitz, Ablaß, Leipen, Prösitz, Schmorditz, Grottewitz, Golpern, Nerchau, Cannewitz, Wachelwitz und Wüstung Naundorf.

?) Archiv IV, S. 76. E. Brandenburg, Moritz von Sachsen, I, S. 203 ff.

35 | 115

suchten noch die Herzoglichen schriftlich zu widerlegen. Er aber wich nicht von seiner Auffassung der Lage zurück). Ob er nicht merkte, daß die Ernestiner nur Zeit hatten gewinnen wollen für einen Abzug Moritzens und Ferdi- nands nach Eger zur Vereinigung mit dem Kaiser?

Von den Rechten, die er als zur Landschaft gehörig besaß, machte er bei sich bietender Gelegenheit Gebrauch. Am 25. März 1528 hatte Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg in Torgau Zuflucht gesucht, wo Kurfürst Johann für ihren Empfang alles vorbereitet hatte. Welches Aufsehen bei Katholiken und Protestanten der Vorfall erregte, ist bekannt. Mit Hans von der Planitz und Christoph Groß verteidigte Starschedel Elisabeth, wie aus einem Schreiben an Kurfürst Johann erhellt, das er als erster unterzeichnet hat, wohl, weil er es veranlaßt hatte?).

Wenn er als Verordneter des Landes Meißen Vorschläge für Verteilung von Wittenberger Stipendien zu machen hatte, so bewährte er sicherlich das ihm geschenkte Vertrauen. Als geeignete Empfänger empfahl er 1544 Hans Zosche in Böhlen (Amt Colditz) und den Sohn Bernhards von Hirschfeld?)

IV. Daß man Starschedel offenbar gern bei wichtigen _ Anlässen heranzog, geschah wohl auch in Rücksicht auf seine amtliche Stellung. Möglich, daß er durch sie zur Übernahme von Aufträgen verpflichtet war. Er war kur- fürstlicher Rat; seit wann, ist nicht genau bestimmbar: er scheint es bald geworden zu sein. Die Obliegenheiten eines solchen waren mannigiache*) Als sich 1529 Kurfürst Johann zum Reichstage nach Speyer begab, ließ er den Kurprinzen zur Regierung des Landes zurück. So ungern dieser den religiösen Verhandlungen fern blieb, so fleißig widmete er sich der überkommenen Tätigkeit. Durch den

*) Weimar, Reg. J, pag. 405, Q 13. Vgl.: von Langenn, Moritz von Sachsen I, S. 337ff, Brandenburg, I, S. 528ff., Mentz, I, S. 94f. 2) Weimar, keg C 38, Bl. 14. . 3) Ebenda, Reg. O 444, *) Mentz, III, S. 124ff; 144f,

8%

116 36

Einblick in die Regierungsgeschäfte fühlte er sich bewogen, Vorschläge für ihre Erledigung zu machen, wie er sie fiir die erregte Zeit nötig errachtete. Für Weimar und für Torgau als den Residenzen empfahl er gesonderte Kammern; für jede von ihnen hatte er schon je acht geeignete Männer als Räte ausersehen, unter ihnen für Torgau Starschedel'). Obwohl er sich für sein Amt stets dienstbereit halten mußte, empfing er doch eine nur geringe Entschädigung. Über sie um Auskunft angegangen, gibt er 100 fl: als sein „Ratgeld“ an; von Hofkleidung und Naturalien, wie sie außerdem andere bezogen, erwähnt er nichts?).

Auf sie hat ihn vielleicht seine Stellung als Hof- marschall verzichten lassen. Er trat in sie ein auf Grund einer neuen Hofordnung 1533 und begleitete sie bis 1547 5). Mit ihr hatte er eine selten umfängliche Tätigkeit über- nommen. Alles und jedes unterstand ihm, was irgend den Hof betraf und am Hofe vorging. Nicht bloß, daß er die Aufsicht über das gesamte Hofpersonal bis herab zum ge- ringsten Dienstboten üben sollte, er sollte auch ein scharfes Auge haben auf das „Frauenzimmer“, für Küche und Keller bedacht sein, auf Tischgebet und Tischzucht halten, um Be- wachung, Beleuchtung und Heizung des Schlosses besorgt sein, Klagen des Hofgesindes entgegennehmen und Streitig- keiten schlichten, das Rechnungswesen prüfen, das Jahr- zehnte hindurch auf Landtagen viele Ursache zu Beschwerden und Ratschlägen gab‘).

Es war ihm also das gesamte Hofwesen überlassen. Nun werden aber bis 1547 außer ihm noch Kaspar und Nickel von Minkwitz, Asmus Spiegel und Heinrich von Schönberg?) als Hofmarschälle genannt. Ihres Bei- standes wird Starschedel dringend bedurft haben, seiidem

1) Mentz, I, S. 68; 126. |

2) Weimar, Reg. L, pag. 79—90, A 5. Soviel auch D. Bleick- hardt und Hindringer, D. Benedickt Pauli 80 und D. Kilian Goldstein sogar bloß 60fl.

3) Burkhardt, S. XXXVIII und XL; Mentz III, S. 137; 181f.

4) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (70 Paragraphen, dazu 17 ungezählte); Reg. 403, VV Nr. 2. Vgl. Mentz III, S. 187f.

5) Mentz, III, 5. 138a.

37 117 er und Asmus Spiegel Erzieher der Prinzen geworden waren. Wie väterlich Johann Friedrich für die gelehrte und die sittliche Bildung seiner Söhne sorgte, dafür liefern seine Briefe aus der Gefangenschaft schöne Beweise. Daß er sie zur Gottesfurcht, zu regelmäßigem Kirchenbesuche und täglicher Bibellesung anhält, versäumt er nicht. Eine gute Handschrift verlangt er. Immer wieder ermahnt er zu fleißigem Betriebe der alten Sprachen, da er selbst die ihm mangelnde Kenntnis des Lateinischen empfand. Das Deutsche sollen sie darum nicht vernachlässigen. Ihren Eifer lohnt er mit Erholungsstunden !).

Daher soll Starschedel mit den Prinzen „ein bar stunden Ins feldt einen Hasen zu hetzen spatzieren reiten“. Um so unwilliger ist der Vater, wenn er erfährt, daß diese nicht „wollten sich furstlich, Zuchtig vnd ehrlich, wie Fursten wol anstehet vnd gebuhret, halten“ und ihren Kavalieren und Lehrern nicht „unweyerlich vnd unwidersetzt folgen.“ Als er gar berichtet wird, daß sie „falsch vnd vnrecht gespiellet, ob sie auch solchs vileicht möcht scherz weise gethan haben“, rügt er ernstlich. Leichtfertiger Worte und Fluchens, auch unbestündiger Reden und seltsamer Geberden sollen sie sich enthalten; des Weins tiber Tische zum Nachtrank nicht mehr zu sieh nehmen, als des Leibes Notdurft erfordert; unmäßiges Saufen meiden. Mit Brück sollen Starschedel und Spiegel streng darauf achten, daß seine väterliche Vermahnung befolgt wird. Sie suchen ihn zu beschwichtigen, da sie versichern können, daß sie „keine sonderliche nschicklichkeit vermerkt oder befunden haben“ 2). Trotz- dem gelangte bald eine eingehende Instruktion an sie, welche bis ins einzelnste „das fürstliche Leben“ der Prinzen regeln sollte’), |

Solche unangenehme Zwischenfälle steigerten für Star- schedel die schon umfängliche Mühewaltung seines Amtes. Als er sich von ihm infolge des Ausganges des Schmalkal-

1) Chr. G. Neudecker, Die handschriftliche Gesch. Ratzebergers, Jena 1850, S. 275. Beck, Joh. Friedrich der Mittlere, Weimar 1858, I, 8. 7, Mentz, III, S. 259.

*) Neudecker, S. 279, Beck, II, 177 f.

*) Mentz, IIT, S. 257 ff.

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dischen Krieges zurückgezogen hatte, berichtet er, daß er 160 Gulden Besoldung empfangen hätte !). Der Betrag war nicht das einzige, was ihm zufloß. Für seinen Nachfolger unterbreitete Johann Friedrich der Mittlere Vor- schlige. Die Geldsumme setzte der alte Herr niedriger, die

Naturalbezüge höher an. Außer 200 Gulden an barem . Gelde sollten dem Hofmarschall geliefert werden, 225 Scheffel Korn, 150 Scheffel Gerste, 6!/, Scheffel Erbsen, für 12 Gulden Hopfen, 7 Schock „Michels Hühner“, 13 Kapaunen, 6 Gänse, 6 Schock Eier, 6 Stein Unschlitt, 2 wöchentlich „Dienst“ Fische, ,der jeder 16 Pf. wiirdigk“, 2 Zentner Karpfen, 6 Eimer Rotwein; die Schäferei Zossen, von der 80 Fuder Heu, Hafer für 5 Pferde u. a. zu liefern waren. Da Wolf Goldacker, der zum Hofmarschall ausersehen war, kein Rindvieh halten könnte, sollte er mit jährlich 40 Gulden entschädigt werden; zudem behielt er die Nutznießung seines Gartens zu Weida. Schweine, Hühner und Gänse hatte er auf seine Kosten zu halten. Für Sommer und Winter be- kam er je eine gewöhnliche Hofkleidung, Holz zur Feuerung nach Bedarf?). Starschedel wird kaum geringer bedacht gewesen sein, als sein Nachfolger.

Daß er bei seiner andauernden Anwesenheit am Hofe häufig als Zeuge erscheint, bedarf nicht der Erwähnung und des Nachweises. |

V.

Seinen Neigungen würde es entsprochen haben, wenn er bald zu den Kirchenvisitationen herangezogen worden wäre. Der Gedanke an sie hatte nur allmählig zur Geltung gelangen können. Staatlicberseits war er zuerst von Johann Friedrich vertreten worden (1524)°).

1) Weimar, Reg. K, pag. 407, VV Nr. 3 (Instruktion für Weißenbach. |

2) Ebenda, Reg. K, pag. 448, WW Nr. 4 (Instruktion für Goldacker). l

3) CAH. Burkhardt, @esch. der sächs. Kirchen- und Schul- visitationen, Leizig 1879, S. 3f. Sehling, Ev. KOO. I, 8, 33. Mentz, Bd. III, 230ff.

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Von Alteren!) selbst noch von Burkhardt?) wird Star- schedel neben Anark von Wildenfels, sowie Spalatin und Anton Musa genannt, um die Verhältnisse in Alten- burg, „das mit Mönchen und Nonnen tiberschtittet war“, zu untersuchen. Da er zu dem amtsschriftsässigen Adel ge- hörte, wird er auch unter denen bezeichnet worden sein, welche der Altenburger Amtmann zur Teilnahme an der Visitation bescheiden sollte. Unter den vier jedoch, welche schließlich für Altenburg gewählt und im September nach Torgau berufen wurden, war Starschedel nicht*). Es ist nicht ersichtlich, warum es unterblieb. An seiner Stelle war Ewald von Brandenstein tätig. Die Gruppe der Visitatoren, welche den Teil MeiBens . bereiste, zu dem das Amt Colditz mit dem Grimmaer Kreise gehörte, hatte wiederholt Ursache zu scharfen Eingriffen. Um so anerkennenswerter ist ihr Befund in Mutzschen‘). Dem Pirnaischen Mönche entlockte es die Klage: „Alldo rast besamt dem voleke die Martinische Seckte“; und er über- treibt nicht. Der Pfarrer Adam Burkhoven, ein Kur- hesse, aug der Zahl der Serviten, wird zensiert als „in seiner lahr richtig, auch seines wandels vnd lebens vom lehnherrn vod Pfarrkindern gelobt.“ Der Diakonus, der nicht namentlich angeführt wird, wohl ChristofStrobel, später Herzog Heinrichs Hofprediger, ist „vor andern der lahr halber geschickt.“ Er ist auch „ein ordensmann servorum Mariae“. Der Fremdiswalder Parochus, Jakobus Klappe, wird Sogar gertihmt als ,wohlgelehrt, seines lebens und wandels ganz richtig befunden“; er starb als Superintendent zu Großenhain (1553). Mutzschener Patronat war Wermsdorf ehedem dem Kloster inkorporiert. Aus ihm war dahin ge- kommen Valentin Zeppler. Zwar gilt er nur „der lahr

1) Seckendorf, Hist. Lutheranismi. Leipzig 1694 II, pag. 101. E. von Braun, Die Stadt Altenburg in den Jahren 1525—1826. Altenburg 1876, S. 11ff. Richtig bei Lobe, Gesch. der Kirchen und Schulen in H. Altenburg, Altenburg 1884, Bd. I, S. 391f.

3) Burkhardt, S. 27; 43f.

8) Weimar, Reg. K, fol. 2 II, Bl. 30b; Ji, 204.

*) Nach Großmann, S. 141 hatte es „j sloß vnd xl. einwoner“ in den 9 eingepfarrten Dórfern 49 Pferdner und 30 Gürtner.

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zimlich bericht“, jedoch „seines wandels richtig“. Es muĝ ihm aber angedroht werden, „wo er nicht fleißiger studieren würde“, sollte er der Pfarre auf nächste Ostern entsetzt werden. Zu diesen drei Fratres ist noch Cyriakus Heidler zu nehmen; er war im nahen Altenhain. . Freilich wird er beschuldigt, daß er „sich oft des trinkens vleissige“, aber „in der christlichen lahr ist er zimlich bericht^!), Daß diese alle unter vielen ihrer Umgebung hervorragen, läßt nur günstig das Klösterlein beurteilen, was sicherlich seinem Schutzherren mit zuzuschreiben ist.

Er war hier bei der Untersuchung der Zustände (Mai und Juni 1529) nicht tätig. Daß aber auf sie Starschedels wegen Nachsicht geübt worden wäre, läßt sich nicht arg- wöhnen. Sehr genau forschen die Visitatoren nach den Bestandteilen des Einkommens. Für den Pfarrer betrug es bare 114 fl. 5 Groschen 5 Pfennige ohne die Haushaltung. Sie bestand aus Wohnung im Kloster und vorigem Pfarr- gebäude, sowie. in einem Garten, der so groß ist, daß er Grasweide für fünf Kühe abgibt. Daher wird es nicht als Mangel empfunden, daß „Artfeld und Wiesenwuchs vererbt ist.“ Holz wird ihm soviel geliefert, als „zum Gebäude und Feuer- werk bedürltig^ ist. Weil der Pfarrer für Feld und Wiese 48 fl. 19 Groschen 6 Pfennige an Zinsen hatte, fiel es ihm nicht schwer, davon 36 fl. an Geld und je seehs Scheffel Korn und Hafer dem Diakonus zu reichen; außerdem bezog dieser 31 fl, hatte eigenes Haus, Garten und Grasweide für eine Kuh, dazu auch Holz zum Feuerwerk. Pfarrer und Diakonus wurden ihre Pflichten eingescharft. Ein Sebul- meister ist vorhanden, vermißt wird aber in dem kleinen Mutzschen eine gelehrte Schule. Starschedel erbietet sich, eine solche einzurichten.

Obwohl von seinen Vorfahren und ihm alles Kirchen- vermögen stammt, wird ihm nicht verschwiegen, dab man die Urkunden über Güter, Einkommen, Gerechtigkeiten usw. „zu Pfarre, Frühmessen oder auch zum Kloster gehörig ver- misse“. Es wird ihm darum aufgegeben, „ein klares, voll- ständiges Verzeichnis und Erbregister aufs förderlichste zu

1) Großmann, S. 142f.; 104.

41 121

fertigen und zu machen“, dazu ein genaues „Verzeichnis und Inventarium des Vorrats und Kirchengerätes von Stück zu Stück“. Was darin anzuführen ist, wird bis ins einzelste vermerkt. Erst wenn Starschedel genugsam die verlangten Nachweise beigebracht hat, „soll dann weiter, was bequem und gut sein wird, vorgenommen werden^?) Ob dabei an eine Mägdleinschule gedacht wird? In der ganzen Diözese hatte nur Grimma und Eilenburg eine solche. Bei der Forderung ließ man es nicht etwa bewenden. Am 12. März 1534 erschien Starschedel in Grimma vor den Visitatoren Mutzschens. mit den verlangten Nachweisen und erhielt daraufhin nach- her die Verpflichtung für die Pfarrbesoldung seines Patronates ?). Auch an der Visitation 1532 war Starschedel nicht beteiligt. Seine Stelung am Hofe wird ihm dazu keine Zeit gelassen haben. Hingegen befand er sich unter denen, die 1541 vom Kurfürsten nach Zeitz entsandt wurden, um Nikolaus von Amsdorf für Julius Pflugk zum Naumburger Bischofe zu wählen. So wenig angenehm der Auftrag für ihn war, wegen seiner Verschwägerung mit. Pflugks, ward er doch aus evangeliseher Überzeugung von ihm übernommen. Der vom Kurfürsten erkorene war ihm verwandt und befreundet; in Zschepa bei Wurzen hatte er seine Heimat und wird mit Starschedel häufigen Verkehr gepflogen haben ?). Auf Widerstand war man gefaßt. Star- schedel wird nachgerühmt, daß er das befestigte Schloß. eingenommen habe. l Einen Beweis seiner Klugheit und Tatkraft hatte Star- schedel bei der Visitation des Domstiftes, des Amtes und der Stadt Wurzen zu liefern (Mai 1542). Für sie hatte Johann Friedrich im Oschatzer Vertrage freie Hand bekommen. Mit ihr waren ex nobilitate außer ihm Asmus Spiegel und von den Theologen Georg Spalatin und der Superintendent Schreier von Grimma betraut. Für ihr allgemeines Ansehen spricht es, daß sie berufen wurden, in diesem Gebiete Wandel zu schaffen. Die

1) Ebenda, S. 143 ff.

*) Weimar, Reg. Di, 6, Bl. 181.

*) Seckendorff, Vol. III, XCVI, 9, pag. 390; Hortleder, lib. V, eap. 12. E. Zergiebel, Chronik von Zeitz. Zeitz 1896, I, S. 211 ff,

122 4g

Schwierigkeit der Aufgabe hatte damit bisher zögern lassen. Wurzen war der letzte Stützpunkt der Meißner Bischöfe und stand unter ernestinischem und albertinischem Schutze. Hatte schon Herzog Georg den Vertrag von 1485 für sich ausgebeutet, so war auch Moritz sehr dazu geneigt und Bischof Johann VIII. dem Kurfürsten feindlich gesinnt: ihm war der Ausbruch des Streites zwischen den Vettern nur recht gewesen. Das von ihm gewünschte Ende hatte dieser nicht genommen. Mit voller Befugnis konnte jetzt Johann Friedrich in Wurzen eingreifen.

Am 11. Mai trafen die Visitatoren ein. Gegen die Domherren übten sie Schonung, benahmen sie jedoch jed- weden Einflusses. Ein gänzlich Neues mußten sie in der Stadt begründen. Der Dürftigkeit hier entsprach die auf den Dörfern. Sie bedingte, daß fast kleinlich erscheinende Vorschriften gegeben wurden, die aber nur von im alltäg- lichen Leben erfahrenen Männern gemacht werden konnten. Einen Erfolg suchten die Gegner in ‘einer Weise zu vereiteln, mit welcher sie sich selbst genugsam kenn- zeichneten D. |

Sie erreichten damit bloß, daß im August und Sep- tember 1546 von Brück verfaßte scharfe Erklärungen gegen „den papistischen Bischoff zu Meissen und sehlenmorder“ ergingen, Nochmals ward Starschedel und Spiegel ange- wiesen, „seine Teuffelslehre, greul und unchristliche Ceremonien zu dempffen, niederzulegen, auch gänzlich auszurotten“. Die anwesenden Kapitelsherren und Vikare sollten sie „ver- warnen, von. ihnen hören, ob sie bei dem gottlich wort bleiben und daselbig bekennen und soviel an ihnen... mher Gott dan den Menschen gehorchen“ wollten. Be- rufungen auf den Bischof sollten sie abschlagen. Seiner ,praetiek und teufflischen List“ sollte fiir immer ein Ziel gesetzt werden. Es geschah im Einvernehmen mit der Ritterschaft im Amte Wurzen, und am Egidientage 1546 wurde. Starschedel und der Hauptmann von Wittenberg ‚damit beauftragt?).

1) Burkhardt, S. 208ff., 288. 2) Weimar, Reg. J, pag. 264, Nr.4A. Reg. J, pag. 265, Nr. 45.

43 193

VI.

Sein Wohlwollen gegen Geistliche uud Lehrer genossen reichlich die seines Patronates. Nicht nur, daß er darauf hielt, daß ihre Einkünfte nicht geschmälert oder ihnen gar entzogen würden, wo er es angebracht fand, erstrebte er auch ihre Aufbesserung. Die besondere Begabung seiner Pfarrer verstand er anzuregen und zu benutzen. Wenn er erfuhr, daß ihre Gefälle ihnen verkiimmert und sie mit übeler Nachrede belästigt- wurden, pflegte er zu sagen: „O, wie wird sie der Teufel einmal darum kratzen, die ihre Prediger jetzund so gering achten. Heute oder morgen, wenn ihr letztes Stündlein kommt, da wird sich’s finden, was sie sich selbst damit gestiftet haben.“

Wozu er aber andere ermahnte, darin ging er selber ihnen voran, Legte er den Eingepfarrten eine Zulage zum Pfarrgehalte auf, so war er der erste, der von seinem Gelde und Getreide etwas gewisses vermidmete und ohne Verzug jähr- lich entrichtete. Daß er von seinen Feldern den Zehnten eben- so gab, wie seine Untersassen, war ihm etwas selbstverständ- liches. Daran lieB er sich nicht einmal genügen; selten ließ er es an einer Zugabe fehlen, und, wenn Miswachs einfiel, sprach er: „Es muĝ darum an Eurer Besoldung nichts abgehen. Ich will einen Nachschuß tun vom Boden.“

Jahrzehnte hindurch prüfte er alle halben Jahre den Zustand der Kirchen und Pfarrgebäude, sowie der Schulen. Schößer, Richter und Kirchenväter mußten ihn dabei be- gleiten. Nicht das geringste entging seinen scharfen Blicken. Kaum, daß eine Schindel ausgefallen war, so befahl er ihre alsbaldige Ergänzung. Die Kirchenväter mußten dabei hören: „Ei, wenn Ihr Eure Seelsorger recht lieb hättet, so würdet Ihr auch Achtung haben, daß sie im trocknen sitzen möchten!“ |

Um Zwistigkeiten vorzubeugen, merkte er darauf, daß die Pfarrgrundstücke gehörig verraint und vermalt würden. Keine Beschwerde scheute er deshalb, ritt selber auf alle Winkel, führte die Gemeindeältesten an Teichen, Hölzern, Wiesen und Brachen herum, beschied dazu an jede Stelle die Leute, welche Güter dabei oder daneben hatten, schlichtete Meinungsverschiedenheiten, richtete Zeichen und Merkmale

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an Rainsteinen, Bäumen und Gräben auf, damit ein jedes das seine in Ruhe und Frieden ohne Verletzung brauchen möchte. Auch den Grenznachbarn seiner Gemeinden prägte er ein, daß sie ja nichts den Kirehengütern entziehen oder abzwacken dürften; denn es käme ihnen und ihren Erben doch nicht zu gute; sie hätten es hoch vor Gotte zu ver- antworten, wo sie seinen lieben Dienern etwas raubten,

Sein Verhalten und Reden bei solchen Besichtigungen lassen schon vermuten, daß ihnen Beeinflussungen des Ge- meindelebens entsprochen haben werden. Er war ein Feind der bäuerlichen Prozeßsucht. Ihr trat er zeitigst entgegen. Täglich gab er nach Tisch eine Stunde lang seinen Unter- tanen Audienz und beschied sie gütlich). Wo Lust vor- handen war nach gerichtlicher Entscheidung, lud er den damit behafteten vor sich u: .“samühte sich um Beilegung des Handels. Gelang es ihm nicht, so befahl er dem Schößer: „Laß mir diesen in das Studierstüblein führen.“ Im Schloß- turme hatte er nämlich einen besonderen Raum für Zänker. In diesen .wurden sie eingesetzt, damit sie sich besinnen und gutem Rate folgen lernten. „Denn,“ erklärte er, „es ist viel besser, ich bringe sie durch solches Mittel zu Verstande, als daß ich sollte zugeben, daß sie nach ihrem störrischen Sinne das ihre verhadern.“ So verhinderte er von vorn- herein, daß der Rechtsweg beschritten wurde, er meinte, die Leute gewöhnten sich sonst ans Zanken, wenn man ihnen nicht einredet, und verderben darüber. „Kann ich einem sagen, wie er sein Recht ohne Unkosten finde, und, wo er nicht will, so gebührt mir, den Ernst zu gebrauchen und solehe mutmaßliche Lust zum Zanken zu strafen.“

Seine Friedensliebe wird es gewesen sein, die ihn nicht erst warten ließ, bis er gedrängt wurde, Mutzschen Stadt- rechte zu verleihen. Er tat es freiwillig 1544. Wußte er sich jedoch im Rechte, so verzichtete er nicht auf dieses, wenn er den Gegner nicht anders überzeugen konnte. Als er wegen einiger neuerbauter Häuser in Gastewitz mit dem Amte Grimma in Irrung geriet, wich er dieser nicht aus”).

1) Peccenstein, Theatrum Sax. Jehna 1608, S, 87. ?) Dresden, Cop. 288, fol. 175b.

45 125

VII.

Diese Nachrichten über Starschedel überliefert Schuwardt in seiner ,Regententafel^, dessen Vater 24 Jahre Pfarrer und Prediger zu Mutzschen war!). So oft er Starschedels gedenkt, verrüt er, daf er es aus inniger Verehrung tut. Es hatte schon auf den Knaben einen tiefen Eindruck gemacht, daß der Patron alle Predigten mit Fleiß hörte und durch keinen Frost, Schnee, Regen oder Schlaf sich davon zurück- halten ließ. Noch vor Beginn des Gottesdienstes fand er sich ein, und wie er als erster in die Kirche kam, so ver- ließ er sie als letzter. Seitdem er durch Luther die reine evangelische Lehre erkannt hatte, war er beflissen, beim rechten Glauben zu bleiben. Alle Sophisterei und falsche Lehre war ibm zuwider. Immer nach voller Gewißheit strebend, holte er sich. bei se” em Geistlichen Rat, wenn er sich über etwas unklar war. -

Ausgeprügt war seine ,Abseheu gegen des Papstes Tand und Irrtum“. Welche Stellung er daher gegen das Interim einzunehmen hätte, darüber war er sofort nicht im geringsten Zweifel. Wie mag er sich gefreut haben, als sein einstiger Pfarrer Klappe als Superintendent zu Großen- hain gegen die Einführung des Leipziger Interims heftigen Widerstand leistete, und daß es der Superintendent Wolf in Colditz tapfer ablehnte, dafür fand er in Mutzschen Beifall. Als Moritz seinen Räten befahl, außer den Geistlichen auch „andere Leute“ Mai 1549 nach Grimma zu laden, rechnete er offenbar mit starkem Widerstande; denn er bedachte alle mit Strafe, welche das Interim nicht annähmen. Nicht bloß Superintendenten und Pfarrer sollten erscheinen, auch Fürst Georg von Anhalt, Melanchthon und Camerarius fanden sich ein. Zwar nahmen die Theologen den Agenden-

1) Nach Knauth, Altzellaer Chronik, III, S. 182 verließ Schuwardt Roßwein 1539, wo er Schulmeister gewesen war. Als Zeit seiner Mutzschener Amtsdauer gibt Kreysig 1537—1574 an und läßt die seiner Vorgängers Burkhoven ungewiß; er kennt auch nicht den 2. Diakonus in Mutzschen. Dieser war Schuwardt sen.; daher wird er vom Sohne Prediger genannt, rückte später ins Pfarramt auf. Nicht zutreffend können auch die Angaben der Kirchengalerie, Eph. Grimma sein, nach denen er 1529 Diakonus, 1553 Pfarrer in Possen- dorf, und 1557—1574 Pfarrer in Mutzschen war.

126 46 entwurf Georgs an, jedoch nur unter der Bedingung, daß mit Publizierung und Druck der neuen Ordnung gezögert _ und zunächst bloß etliche Artikel aus ihr den Pfarrern be- kanntgegeben würden. Aber gerade im Grimmaer Kreise war der Unwille gegen das Interim so heftig, zumal unter dem Adel, daß in diesem nicht einmal der sog. Auszug zur Einführung gelangte). Starschedel war das Interim gleich von vornherein darum verdächtig, weil er von ihm Streitig- keiten befürchtete; und wenn irgendwelche, so waren ihm solche um das Glaubensbekenntnis besonders verhaßt. Junge Leute ermahnte er deshalb oft, sich vor diesen zu hüten und ,dureh keine schéne Deutelung von der gegründeten Wahr- heit sich abführen zu lassen",

Am besten fand er sie von Luther zum Ausdrueke gebracht. Alle und jede Bücher von ihm, grofe und kleine, seit dessen Auftreten, hatte er nacheinander erworben. Sie las er fleißig und ließ sie später von seinen Geistlichen und anderen sich vorlesen. Am höchsten schätzte er des Refor- mators Kommentar zum Galaterbriefe. So war er mit dessen Auslegung vertraut, daß er sie auswendig konnte. Um nötigen Falles die Stellen zu finden, die er für die wichtigsten hielt, hatte er sie unterstrichen nnd sonst sich merklich ge- macht. Viele von ihnen hatte er in sein Gebetbuch einge- tragen, das er sich eigens zusammengestellt hatte und auf seinen Reisen stets mit sich führte. Aus den Lehrschriften Luthers hatte er sich einen Auszug gefertigt, in dem er so ziemlich alle Aussprüche desselben über die Rechtfertigung aus dem Glauben bei einander hatte. Über dieses. Lehrsttick besprach er sich am häufigsten mit seinen Geistlichen.

Die einzigen waren sie nicht, die ihm hierüber Rede stehen mußten. Hatte er Gäste um sich, so wär er mit ihnen bald in einem christlichen Gespräche. Mit „Gelehrten vom Adel“ solche zu führen, liebte er sehr. War er bei seiner regelmäßigen Bibellesung auf einen Spruch gestoßen, über dessen Auffassung er sich nicht völlig klar war, so wußte

1) Sehling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen, Leipzig 1899, S. 109, Westphal, Fürst Georg zu Anhalt, Leipzig 1907, S, 70. A. Chalybäus, Die Durchführung des Leipziger Interims Chemnitz 1905 (Diss.), S. 67, NASG. XV, 8. 229.

47 127

er „ihn anf die Bahn zu bringen“. Es entwickelten sich: dann förmliche Disputationen, zu denen er aus seiner statt- lichen Bibliothek Schriften herbeiholen ließ, nicht zuletzt die Bibel, und er ruhte nieht eher, als bis ,die grtindliche Wahr- heit erkundet war. Das war seine liebsíe Kurzweil und. beste Übung“ ?).

VIII.

Der kirchlichen Bewegung und seinem eigenen Gebiete- konnte er in ausgedehntem Maße seine ganze Aufmerksam- keit schenken, seitdem er die kurfürstlichen Ámter nieder-- gelegt hatte. Schwere Kämpfe wird es ihm verursacht. haben, sich von Johann Friedrich zu trennen, dem er Jahrzehnte hindurch nahe gestanden und dessen Vertrauen er reichlich genossen hatte. Seiner Pflichten war er allerdings- nicht entbunden worden. Wohl möglich, deshalb, oder viel- mehr darum hatte er sie nicht freiwillig niedergelegt, weil er die Hoffnung hegte, daß des gefangenen Kurfürsten Ge- schick noch eine günstige Wendung nehmen könnte. Ab- wartend folgte er den Ereignissen und bezog noch, wie andere Räte, seine Besoldung?) Die Behandlung, die von Karl V. seinem Herrn und dem Landgrafen Philipp wider- fuhr, verdunkelte von Woche zu Woche die Aussicht auf eine Verbesserung ihrer und damit ihrer Anhänger Sache.

Nun war Starschedel mit Erbhuldigung und Lehnspflicht infolge der Ereignisse an die Ernestiner gewiesen. Würde er sie Moritz nicht leisten, so hätte er zu gewürtigen gehabt, daß dieser, wie König Ferdinand die Güter in’ den ihm zugefallenen Gebieten, auch Mutzschen mit Beschlag belegen würde. Ein Ersatz für den ihm von Moritz drohenden Verlust durch die Ernestiner war ausgeschlossen. So war es die Existenzfrage für ihn und seine Familie, daß Starschedel Ende Juli 1547 sich auf dem Leipziger Landtage einstellte.. Ein geringer Trost wird es ihm gewesen sein, daß er die alten Freunde, wie Asmus Spiegel, Hans von Weißenbach, Heinrich von der Planitz u. a. zu Genossen hatte’).

1) Schuwardt, S. 1591. 2) Neudecker, S. 151. 3) von Langenn, II, S. 351ff.; Archiv VIII, S. 172.

128 48

Wie empfand Johann Friedrich den Abfall seiner bisher Treuesten? Er mußte sich bitter getäuscht fühlen, daß er sich auch von seiner nächsten Umgebung verlassen. sah um äußerer Vorteile willen. Auf den Brief, in welchem‘ . der im Unglück Standhafte von seinen Söhnen über das Zurückweichen seiner Räte Kunde empfing, antwortete er: „Wir müssen solche Untreue Gott befehlen, dessen Gericht sie nieht entlaufen werden“).

IX.

Daß Starschedel seitdem Öffentlich hervorgetreten wäre, dafür liegen keinerlei Belege vor. Nur bei besonderen An- lässen schwieg er nicht, jedoch auch da, mehr von anderen, wie es scheint, dazu bewogen, als freiwillig handelnd. Er lebte fortan Haus und Gemeinde, von denen er bisher zu- meist hatte fern sein müssen. Für die Kinder. bemühte er sich um tüchtige Lehrer, aber auch er selbst unterrichtete und prüfte sie. Dazu war er sicherlich befähigt. Denn wie hätte er die Studien der Prinzen beaufsichtigen können, wenn er selbst dafür die nötigen Kenntnisse nicht besessen hätte? Mit Vorliebe unterwies er seine Kinder im evangelischen Glauben. Vielmals sprach er ihnen Luthers Kleinen Katechismus vor. In seinem Alter „hatte er große, tröst- liche Freude“ an den schönen Reimen, darein der Spruch von dem Nutz des Leidens Christi durch D. Erasmus Alber gefaßt ist. Diesen Reim mußten ihm die Kinder alle Tage vor Tische erzählen, welche also lauten:

Das Lemblein Gottes Jesus Christ Für vnser Sünd gestorben ist. Er trug die straff an vnser statt Von wegen vnser missethat: Ein jeder Christ das eben merck Vnd frey verwerff all ander werck, Die sich setzen an Christus statt Wider des ewigen Vaters rath. Bisweilen pflegte er hinzuzufügen: „Da liegt alles. Wenn das meine Kinder behalten, wo es gleich zur Verfälschung

1) Beck, I, S. 21,

49 129 des göttlichen Wortes wiederum käme (davor Gott behiite), so würde Gott sie und alle, so es von Herzen glauben, durch seinen heiligen Geist wohl vor allem Irrtum ‘bewahren und erhalten“),

Vermählt war Starschedel in erster Ehe mit Ursula Pflugk aus Lampertswalde, in zweiter mit Sara von Haugwitz?) Drei Töchter?) waren an Schleinitze verheiratet, Anna (geb. 1546, gest. 1595) nach Seerhausen +), Katharina nach Hof, Margarethe nach Jahnishausen- Sein ältester Sohn Heinrich starb vor dem Vater. Dieser hatte für ihn Markkleeberg erworben, das bis 1620 in den Händen der Starschedel blieb. Von den Markkleebergern studierten einige in Leipzig. Haubold (+ 1581) hatte Merzdorf inne, das seine Nachkommen bis 1730 besaßen). Als er, wie damals manche andere, gern Ankäufe in Nord- böhmen gemacht hätte (1585), hatte er an Kurfürst August einen Fürsprecher, damit er von Kaiser Rudolf, „wie in der Krone Böhmen gebräuchlich, zu einem Böhmen ange- nommen würde*5) Innocenz (geb. 22. Juli 1543, gest. lo. Aug. 1605), „ein trefflich ansehnlicher Mann“?), war kurfürstlicher Landrat und Obersteuereinnehmer, auch Hof- marschall. Er hatte außer Borna bei Oschatz noch Mölbis im Leipziger Kreise, das sein gleichnamiger Sohn bis 1650 zu eigen hatte. Dem jüngsten Sohne Georg, dem Gelehr- samkeit nachgerühmt wird, wird Stein und Wolfersdorf zu- geschrieben: über den Besitz von diesem läßt sich zuver- lässiges nicht ermitteln; mit jenem wird Steinigtwolms- dorf gemeint sein. Gleich 1586 ward er mit ihm von Christian I. belehnt. Dabei verblieb ihm noch soviel an Geld, daß er seinem Schwiegervater 20000 Gulden

1) Schuwardt, S. 159f; vgl des Verfassers Erasmus Alber, Leipzig 1910, S. 159.

*) Dreßn., g. Anzeiger, S. 527.

*) Ebenda, S. 554.

*) Über ihr Grabmal Bau- und Kunstd. i. K. S. Heft 27/98, S. 114ff.

°) Hausen, S. 475.

9) NASG, XXII, S. 295.

*) Peceenstein, S. 37.

Arehiv für Reformationsgeschichte. XIX 2. 9

130 t. 50

zum Ankaufe der böhmischen Herrschaft Hainspach borgen konnte),

Den Söhnen ward dieser reiche Grundbesitz dadurch ermöglicht, daß sie Mutzschen mit dessen ganzem Zubehöre unter sich teilten und nach und nach an Kurfürst August veräußerten, der es mit anderen Liegenschaften 1585 zu dem Amte Mutzschen vereinte?) Erst ihre Nachkommen traten durch verwandtschaftliche Beziehungen wieder mit den Ernestinern in nähere Verbindung. Dagegen verknüpften bald solehe Heinrich mit Dresden. Hier genoß er so hohes Ansehen, daß er 1558 dahin während August’s Abwesenheit zum Kurfürstentage in die Regierung berufen ward’).

Wie stand nun zu diesem der Vater? Moritzens Politik hatte er nie gebilligt. Der einflußreiche Adel hatte im Herzogtum ausgeprägt romanisierende Neigungen und ward in ihnen durch Christofs von Garlowitz . Pläne bestärkt, die dem Interim zugute kamen. Dieser wird es vor anderen gewesen sein, der Starschedel abstieD- mit seiner verschlagenen Art erweckte er bei Starschedel nur berechtigten Argwohn. Jedoch waren die vielfachen Verschwügerungen und sein zerstreuter Grundbesitz wie für seine Standesgenossen, so auch für ihn nieht von solehem irennenden Einflusse, daß sie ihm nicht von jeher Beziehungen zu beiden sächsischen Höfen wünschenswert gemacht hätten. Bezeugt wird es von dem wohl einzigen Briefe, der sich von Starschedels Hand erhalten hat. Er ist an den Sekretär Moritzens, Joachim Faust, gerichtet. In der Anschrift nennt er ihn seinen „freundlichen, lieben Schwager“. Der Brief*) lautet:

Dem erbarn und vesten Her Jochem Fausten f. g. Herezog Moriczen zu Sachßen etc. Secretarir meinem freuntlichenn liben Schwagern zu Handenn. In Dreßdenn.

Erbarer und namhafter Her Schwager Faust, wo es euch allenthalben glüeglichen Zustunde sampt al dem eurn libenn vorwanttenn, erfure ich gerne, meiner Perschen halben danke ich got, der schaffs auch weyter nach seine gothlichem

1) W. von Boetticher, Gesch. des Oberlaus. Adels und s. Güter 1635— 1835, Bd. II, S. 914.

2) Lorenz, S, 1075f. 3) Hausen, S. 474.

4) Dresden. Loc. 966ff. Etzliches Herzog Moritzen zu Sachsen. Altes gemeines Landhandels 1517— 1576, IT, S. 281.

51 131 gefallenn und ferleye geduld Jnn in aller widerwertigkeyt efe. Was aber meine Sache belangende alhy mit meinem glaubiger darinnen Jr mir willig gedenet und freunthlich erezeyget, mir zu furderungk und wy dy fortragen und hingelett, hab ich meinem Vetter Josten geschrieben, for eczlichen wochenn, euch dasselbe zu berichten, hoff sey Jm auch nachkomenn, bedank mich euer gunstigen furderungk.

Auch weyter wil ich euch nicht bergenn, gunstiger Her Schwager, eines Hendlers von Kraca dener, alhy bey mir gewest, Jm durchreyten ken Nurmberk, schreybt mir sein Her, mein gar gut freundt, under andern, wy Er forder gute Zebel bekomen, mittell gattungk, desgleychen geringer, ecgliche Zimmer’), mich zu erkunden, ob m. g. Hern von solcher gathungk ieziger Zeyt was willens zu keuffen, bitt ganz freundthlichen mit, dasselbe bey f. g. Herezog Moriczen ete. erforen, desgleychen vonn großen schenen Zal Perln aber sunst Klenodia und mir solchs zu wissen thuen, Ich Jm antwort schribe, wolde alhier an mich schieken, dis dan f. g. besichtigen mochten, das Erbithe ich mich als ein dankbarer zu vordenenn ete. Sunst sagt derselbe dener, wy Er den nechsten markt zu Lublyn geweßen, seint vil thurkische Kaufleute daselbst mit vil waren ahnkomen, alb Sehamlot muh?) eyer und dem meysten teyl Ingwere, sey dy sage allentthalben, der thurk mit dem Persier so vil Zuthuen gewunnen, denn Er Jm ein son Erschlagen, er dysen Sumer unser forgessen sol, geb got diese zeytungk mit wohrheyt verfolge Amen. Dormithe Jn dy bewahrungk gotis befolnn, des sey unser trost mit bit Eur libe hausfraw von meine wegen zu grüssen. dat. Freyberk uff 24 merezo A? 1545.

Bit mit ersten antwort.

D: Starezedell. E. w. G.

Zu diesem Briefe bewog Starschedel offenbar eine Streit- sache. Da sie bis in die Herzogliche Kanzlei gelangte, wird die Geldangelegenheit, um die es sich handelte, keine geringe gewesen sein. Für ihre ihm günstige Erledigung stattet Starschedel seinen Dank ab und möchte sich durch eine Aufmerksamkeit Moritz erkenntlich erweisen. Mehr als dieses wird er nicht bezweckt haben wollen, Vermitt- lungen wie die, zu welcher er sich erbot, wird er oft am kurfürstlichen Hofe übernommen haben. Aus seiner „Freund-

al l Zimmer = 20 Paar zusammen gebundene Zobelfelle.

2) unleserlich.

9%

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schaft“ mit dem Krakauer Händler darf schwerlich auf Eigennutz bei ihm geschlossen werden’). Wahrscheinlich hatte er, gleich vielen seiner Zeit, eine Vorliebe für kostbare Seltenheiten, und für sie entbehrte er nicht der Mittel. |

Den völligen Bruch zwischen Weimar und Dresden sah er wohl kommen. Daß er seines alten Herren je vergessen hätte?), ist schwerlich anzunehmen; ganz unwahrscheinlich aber, daß er in die Spuren eines Carlowitz getreten wäre. Aber wie hart mag er es empfunden haben, daß er seinem Kur- fürsten im September 1552 bei dessen Rückkehr aus der Ge- fangenschaft nichtinmitten der alten Gefährten begrüßen konnte?

Noch einma! war er für die Ernestiner tätig und wird: für sie nur zum guten geredet haben: es war für ihn wohl die letzte Gelegenbeit, ihnen seine dankbare Gesinnung zu bezeugen. Denn zu -den „teuflischen Räten“, vor denen Johann Friedrich im Testament seines Vaters gewarnt worden war, gehörte er nicht. Bei der Achtung, die er ge- noß, war er unter denen, die zum Abschlusse des wichtigen Naumburger Vertrages 1554 zugezogen wurden. Unter dessen Unterzeichnern steht sein Name an zehnter Stelle ê). Am Tage vor seinem Tode (2. März 1554) unterschrieb ihn noch Johann Friedrich. Seine Mahnung an die Söhne, unter sich Zwietracht und Uneinigkeit zu vermeiden, haben diese nicht erfüllt: wer wird darüber betrübter gewesen sein, als ihr einstiger, fürsorglicher Tutor?

Daß er mit Kurfürst Augustin ein erträglicheres Ver- hältnis kam, als mit Moritz, erleichterte ihm die kirchliche Wandlung. Aber wenn jener am 24. Juli 1557 von den 24 Stellen für den Adel an der Meißener Landesschule eine den Mutzschener Starschedel verlieh‘), so war dieses zunächst als eine ausgleichende Gewährung für die klösterliche Stiftung der Familie gedacht und zugleich als ein huldvolles Zeichen der Anerkennung für sie: ob sie mehr dem Sohne, als dem Vater galt, muß dahingestellt bleiben.

1) Dresden, Loc. 9664, Bd. II, S. 281.

7) Weimar, Reg. L.

3) Weichselfelder, Johann Friedrich, Frankfurt 1754, S. 901 fi; Mentz III, 328 ff.

4) NASG., VIII, S. 142.

53 133

Ganz in Schweigen hiillte sich Starschedel nicht. Zu teilnehmender Verfolgung der Ereignisse bewog ihn schon das Amt seines Sohnes Innocenz. Fand er es geboten, 50 griff er auch in sie ein. Wie vermochte er denn Zurück- haltung zu üben, wenn er andere mit Unrecht leiden sah? So „suppliziert“ er mit Hans von Scholemberg und Christof von Haugwitz 1554 für Gefangene beim Rate zu Borna!)

Aus Thalheim stammte seine zweite Frau. Sie wird ihn beredet haben, an einer gemeinsamen Fürbitte bei Kur- first August für Johann VII. von Haugwitz sich zu beteiligen. Bekannt war er ja gewiß mit den Vorverhand- lungen für dessen Wahl zum Meißner Bischofe. Daß er ohne Erfolg für ihn sich verwandte, ist begreiflich. Denn wenn der Bischof sich bei Ferdinand darüber beschwert hatte, daß seine „Jugend und Unerfahrenheit“ er war damals 31 Jahre alt vom Kurfürsten zu einem ihm lästigen Ver- trage mißbraucht worden wäre, und wenn er diese Anklage gerade zur Zeit der Verhandlungen zum Augsburger Religions- frieden erhob, so mußte er damit Augusts Unwillen er- regen”), So fällt denn der Bescheid an die Fürsprecher ziemlich ungnädig aus. Es wird ihnen eröffnet: „Wir haben Bedenken, daß wir uns für uns selbst oder unsere Räte mit dem Bischof in Schriften oder sonst einlassen, denn ihm selbst ohne das wohl bewußt, wessen er sich gegen uns wohl- bedächtig verpflichtet, wie ihm denn alles sein gertihmtes enges Gewissen bezeugen kann“),

Nachgetragen hat jedoch Kurfürst August die Ein- mischung in die heikle Sache Starschedel nicht. Ein Lob spendet er ihm und seiner ganzen Familie, wenn er Pfalzgraf Wolfgang bittet, den Sohn von Innocenz Starschedel als Edelknaben anzunehmen und zu erhalten. Er begründete es damit: „Denn er eines guten, alten Geschlechtes und Her- kommens und Namens ist, sein Vater auch unser ältester Rat und Diener gewesen“. So am 16. Februar 1562*).

1) Dresden, Cop. 265, Bl. 224f,

2) Machatscheck, Gesch. des Hochstiftes Meißen, Dresden 1884, S. 774.

*) NASG., VI, S. 198f,

^) Dresden, Cop. 313, fol. 4f.; auch Hausen, S. 174,

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X.

Dietrich von Starschedel lebte damals nicht mehr. 1561 ist er gestorben. Weder in der Kirche zu Mutzschen, noch in seinem Schlosse hat sich eine Erinnerung an ihn erhalten. Aber er verdient des Gedächtnisses, nicht bloß als ein sächsischer Zeuge des Wormser Reichstages, auch um seiner ganzen Persönlichkeit willen. Er ist vor vielen seines Standes eine liebenswürdige Erscheinung. Peccenstein hebt seine Gott- seligkeit, Demut und Sanftmut hervor; der Kanzler David Peifer nennt ihn fortem virum, Marschalli munere ita per- funetum, ut omnes intelligerent, neque ei fidem deeße neque industriam!). Gewib, seine evangelische Stellung ist nicht nur eine äußerliche, er ist ein evangelischer Bekenner in seinem ganzen Leben und Wandel, so weit er aus der Überlieferung erkennbar ist. Daß er nach 1521 nochmals mit dem Reformator zusammengetroffen, ist wahrscheinlich, jedoch nicht nachweisbar. Ob er davon auch viel Rühmens gemacht hätte? Schwerlich; denn von Selbstlob, schon von Selbstverteidigung ist er weit entfernt. Bei seiner Verehrung Luthers wird es ihn unangenehm berührt haben, daß seine Nichte Anna den Wittenbergern Anlaß gab, sich mit ihr be- schäftigen zu müssen. Als sie eine Zeitlang zu der Um- gebung der Kurfürstin Sibylle gehörte, batte ihr Prinz Ernst von Braunschweig-Grubenhagen „mit Beteuerung ein Ehegelübde getan“. Der Vorfall erregte Jahre hindurch vieles Aufsehen. Aus Rücksicht auf den Braunschweiger Hof ließ der Weimarische den Prozeß im Sande verlaufen, zu- mal als Ernst von Starschedel Herzog Philipp I. den Eid zuschob, daß dieser selbst dem Verlöbnisse nicht zuwider gewesen wäre. Luther erklärte schließlich: „Heimlich Gelübd nichts anderst ist, noch sein kann, denn ein päpstlich Ge- " schäft und Teufelsgestift wider der Altern Willen, d. i. wider Gottes Gebot und Befehl den Ältern gegeben, und eitel grob iammer und Herzeleid daraus kommt mit allerley verwirrung und ferlichkeit der Gewissen“ ?).

1) Peiferi epp., Jenae 1708, pag. 141. 2) Luthers Briefe, ed. Enders, XIII, S. 320, 346; XIIII, S. 31; XV, S, 16. König, I, 948.

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Wenn Luther oft harte Reden führen mußte über die Begehrlichkeit des Adels nach Kirchengtitern*), so konnte sich Starschedel nicht davon getroffen fühlen. Die Opfer- willigkeit seiner Ahnen gegen die mittelalterliche Kirche übte er gegen die evangelische Kirehe. Vor vielen zeichnet er sich aus durch sein Verständnis für bäuerliche Verhält- nisse. Dabei läßt er nicht das geringste davon merken, als ob er mit seiner Leutseligkeit etwas besonderes tue. Große Gewissenhaftigkeit ist ihm eigen. Sie läßt ihn jedoch nicht seinen Nutzen allein im Auge haben. Er verrät eine ge- wisse Vertrauensseligkeit, wenn er wiederholt Schuldnern Beträge borgt, die er nur mit Mühe zurückerhalten konnte. So konnte er sich ausgeben, daß er selber Johann Friedrich um ein Darlehen angehen mußte und bei Fälligkeit der Rückzahlung diese nieht zu leisten vermochte, weil er von seinen Schuldnern nichts zurück erhielt?). Sicher hat Johann Friedrich genau gewußt, was er an Starschedel verloren hatte, und dieser, eine mehr innerlich gerichtete Natur, wird schwer an dem Vorwurfe der Untreue getragen haben: ob er nicht infolgedessen von Dresden sich mehr fern hielt, als andere? | Ein neues Geschlecht sah er in den eigenen Söhnen heraufkommen, dem er bisweilen fremd gegenüber gestanden haben mag: regen Geistes, hat er versucht, sie zu verstehen. Denn ähnlich wie ihm, wird auch den Söhnen nachgesagt, daß sie „sanftmütig gegen männiglich, dienstfertig und frei- gebig gewesen seien“*). Sie wurden von ihm ermuntert, in des Vaters Fußtapfen zu treten.

Mit seinem ganzen Hause muß er vorbildlich gewirkt haben. Daß er sich in ihm, und zwar nicht erst in späteren Jahren am wohlsten fühlte, ist sicherlich keine bloße Ver- mutung. Daher wird es rühren, daß er trotz seiner geistigen Begabung öffentlich nicht so hervorgetreten ist, wie andere,

1) Eine übersichtliche Zusammenstellung dieser bei Mentz, Bd. III, S. 234¢. »

2) Weimar, Reg. K, fol. 324—333, Faszikel SS 1, fol. 2ff. Er hatte 7000 fi. erhalten, konnte jedoch blos 5000 fl. zurückerstatten, weil sein Schuldner ihm nichts zahlte.

3) Peccenstein, S. 87.

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denen er an Begabung und Kenntnissen nicht nachstand. Nach seiner ganzen Art war er in engem Kreise einflußreich. Daher vertraute ihm auch mit Vorliebe Johann Friedrich die Prinzen an, und nichts wird Starschedel versäumt haben, ihnen ein gewissenhafter Erzieher zu sein. Wer möchte nieht den Gesprächen auf Jagdausflügen gelauscht haben? Es will scheinen, als ob auch manche Verbesserungen in der weimarischen Hofhaltung auf ihn zurückzuleiten sind. Denn hätte er im gegebenen Falle nachdrücklicher Bestimmtheit ermangelt, so wäre kaum gerade er zu schwierigen Auf- trägen und Verhandlungen benutzt worden. Zu ihnen hat er sieh gewiß nie gedrängt. Bene vixit, qui bene latuit, mag seine Meinung gewesen sein. Es war ihm daher nur recht, wenn er in seinem stillen Mutzschen dem Verlaufe der Dinge folgen konnte. Hier hätte er jedoch nimmer Be- suche empfangen, wie sein Bruder Ernst den eines Nickel Minckwitz, welcher Sold vom französischen Könige an- genommen hatte, selbst wenn dieser durch Ernsts Schwager, den Leipziger Amtmann Joh. Spiegel vermittelt war!) Dagegen scheute er sich nicht, für bedrängte Standesgenossen :Fürspraehe zu tun, wie er auch geringer Leute sich für- sorglich annahm.

Je länger, desto mehr galt sein Sinnen und Wirken der evangelischen Kirche. Einer Verquickung ihrer Interessen mit der Politik, wie er ihr bei Moritz begegnete, hat er niemals das Wort geredet. An Kompromißsucht kränkelte er nicht. Was er durch Luther von und an der evangelischen Kirche hatte, schätzte er zu hoch, als daß er je das geist- liche Regiment mit dem weltlichen Regiment vermengt hätte. In der Zeit des Interim sah er, wie schwächliches Nachgeben nur größte Gefahren und schwerste Verluste zur Folge hat. Der Bestand der Kirche verlangt unverktimmertes Bekenntnis in Wort und Tat, um segensreich wirken zu können für die Gesamtheit.

Vier Jahrzehnte seines Lebens hatte er hierüber Beobachtungen anstellen können. In dieser ganzen Zeif zeigt er sich als evangelischen Christen. An Worms er-

1) Archiv X, S. 406.

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innerte er sich häufig, weil er hier durch Luther für das Evangelium gewonnen worden war, und weil die Kirche des Augsburgischen Bekenntnisses nichts anderes als das. ganze lautere Evangelium als Regel und Richtschur hat, hielt er entschlossen an ihr fest. Es spricht für ihn, daß er Gefallen fand an Erasmus Alber, dem charaktervollen Schüler Luthers, und dessen Reime für die Kinder be- vorzugte. An ihnen erntete Starschedel das schöne Lob Albers, daß angeborner Adel zum Adel, d.i. zur Tugend reizen und treiben soll). Näher jedoch liegt es, daB der dankbare Verehrer Luthers zeitig von ihm sich hatte sagen lassen: „Gott hat dir den Adel nicht zur Hoffart, sondern nur zum Nutz und Gebrauch gegeben. Ein löblicher Adel heißt, der Gott fürchtet, sein Wort ehrt, seinem Fürsten und Herrn treu und gehorsam ist, sein Haus ehrlich und Zzüchtig regiert, sein armes Land schützt und fördert, wo er nur kann*?); und dem hat Dietrich von Starsehedel nach- gestrebt.

1) Ein gut Buch von der Ehe, Bl. Giij 2, vgl. Körner, E. Alber S. 34, 2) Luthers Werke, Erl. Ausg. Bd. 45, S. 412; Bd. 32, S. 19.

Briefe aus dem 16. Jahrhundert.

Mitgeteilt von Gastav Bossert.

^ Die Sammlung historisch-berühmter Autographen oder Faksimiles von Handschriften ausgezeichneter Personen alter und neuer Zeit. Erste Serie Stuttgart, Ad. Bechers Ver- lag 1846 enthält einige Briefe aus dem 16. Jahrhundert, die noch unbekannt sind. Leider sind die Briefempfänger nicht ge- nannt, da die Anschriften nicht mit abgedruckt sind. Man ist also auf Umwege angewiesen, um die Briefempfänger festzustellen. Freilich ist dabei die Gefahr, daß daneben gegriffen wird. Daher bleibt es bei salvo meliori.

Ich gebe einen Brief von Bucer, dann von Cochleus, ‘weiter ein Fragment von Johann Forster, ein Schreiben von Kardinal Albrecht von Mainz, und endliche einige Berichti- gungen zu einem Erasmus-Brief.

Bucer an die Prediger zu Basel, Augs- burg 1537 Juni 9, Am 18. Mai 1537 war Bucer auf den Ruf des Rats nach Augsburg zur Durchführung einer Kirchenordnung und zur Hemmung jener der Wittenberger Konkordie ungünstigen Bestrebungen gekommen und weilte dort bis 9. Juli (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 324. 355. Anm. 103). Der Brief Bucers enthält nur das Monatsdatum 9. Juli, aber er kann nur, wie der Inhalt zeigt, aus dem Jahre 1537 und der Zeit von Bucers Tätigkeit in Augsburg stammen. Denn dieser diente, wie er schreibt, instituendis lectionibus, con- firmandis ritibus, restitutioni disciplinae. Dabei aber be- schäftigte ihn auf das heftigste die Sorge um die Gewinnung der Schweizer für die Wittenberger Konkordie. Über diese Bestrebungen bekam er sehr ungünstige Äußerungen zu hören. Vor seiner Reise nach Schmalkalden, wo er am 7. März 1537 ‚weilte (Schieß, Briefwechsel der Brüder Blaurer I, XLV, Nr. 762. 2, 829), hatte er sich noch brieflich an die Prediger

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der Schweizer Kantone gewandt, aber nicht viel ausgerichtet. Am meisten schmerzte ihn, obwohl Bullinger in Zürich die Führung in der’ Abweisung der Wittenberger Konkordie übernommen hatte, die Haltung der Berner, auf welche er sich Hoffnung gemacht hatte, da dort einige Vertreter der lutherischen Richtung sich fanden (ARG. 14,288. Kunzund Meyer. Blösch, Geschichte der Schweizerisch-Reformierten Kirchen 1, 198ff. Hundeshagen, Die Konflikte des Zwinglianismus, Luthertums und Calvinismus in der Bernischen Landes- kirche 1532—1538, S. 372). Aber jetzt war er tiefbetrübt, daß ihm die Berner keine Gelegenheit gaben, seine Be- strebungen zu rechtfertigen, die dann später noch einen glänzenden Sieg mit dem Sturz des bisher in Bern ton- angebenden Zwinglianers Megander finden sollten, aber frei- lich war dies nur vorübergehend. In seiner Betrübnis wandte sich Bucer am 9. Juni an die Prediger in Basel, die noch am ehesten eine Vermittlerrolle zwischen Bucer und den Bernern übernehmen konnten. Denn daß der Brief an sie gerichtet ist, ergibt sich aus dem Gruß an die nicht mit Namen genannten Bürgermeister Jakob Meyer und tribunus Theodor, der wohl Theodor von Brand, oberster Zunftmeister in Basel ist, welcher 1538 April 15. an Bucer und Capito ein Schreiben richtete (Thes. Baumianus S. 25). Merkwürdig ist, wie man in Augsburg schon im Juni 1537 von des Kaisers politischen Plänen verhältnismäßig gut unterrichtet war. Die Quelle dafür wird der Graf von Ortenburg Gabriel von Salamanca sein, der, wie wir sehen, damals in Augsburg weilte, um für den Kaiser Geld aufzunehmen. Margarete, die natürliche Tochter Karls V., war am 29, Februar 1536 mit Alessandro de Mediei von Florenz verehelicht worden. Ihr Gemahl wurde in der Nacht vom 5.—6. Januar 1537 durch seinen Vetter Lorenzino ermordet, die Herrschaft aber kam an Cosimo de Medici (Pastor, Paul III. 222). Uberraschend ist, daß Karl V. jetzt schon daran dachte, um den Papst Paul IL, für sieh zu gewinnen, nicht nur seine verwitwete Tochter, sondern auch seine Nichte, die Tochter seines Bruders Ferdinand, an den Enkel des Papstes zu verehe- lichen. Wirklich mußte sich die 16jährige Witwe Margarete mit dem drei Jahre jüngeren Ottavio Farnese, dem Sohn

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Pieri Luigis, zu unglücklicher Ehe verbinden, nachdem der Kaiser sie im Juni 1538 zu Genua dem Papst persönlich für seinen Enkel versprochen hatte. Merkwürdig ist, daß die Nichte Ferdinands in der Frage des Streits um Mailand schon 1537 eine Rolle spielte. Aber es handelte sich später nicht mehr um einen Enkel des Papstes, dem sie gegeben werden sollte. Es muß dem Kaiser gelungen sein, den Heiratsplan mit seiner Nichte beim Papst anzuregen, so daß dieser im Juni 1538 vorschlug, Mailand an Ferdinand zu geben, welcher sich unter den weitgehendsten Bürgschaften zu verpflichten habe, eine Tochter an den Herzog von Orleans za vermählen, um ihm nach drei Jahren das Herzogtum Mailand zu übergeben (Pastor a. a. O. S. 204). Von der spanischen Flotte, die Gold aus Peru bringe und einstweilen dureh Schiffe aus der Bretagne und Normandie im Dienst des Kónigs Franz gehindert wurde, wird der Graf von Orten- burg den Augsburgern zur Erleichterung einer Anleihe für den Kaiser erzählt haben (Brittones sind naeh Du Cange 1, 752 Bretagner) Der Rat in Augsburg lieh dem Kaiser 15000 fl. (Roth, Augsb. Ref. G. 2, 385). Bucer aber weil, daß die Kaufleute die damals ungeheure Summe von 600000 fl. liehen. Über die Ereignisse in Ungarn scheint Bucer gut unterrichtet zu sein. Cascaw ist Kaschau im Norden Un- garns. Alba graeca ist Belgrad.

Über die Provinzialsynode in Salzburg berichtet Winter, Geschichte der Schicksale der evangelischen Lehre in Baiern 2, 51f.

: Bueer an die Prediger in Basel. Augsburg 1537 den 9. Juni.

Gratia et pax, symmistae et fratres obseruandi. Ne quid mali dent comitia sacra Bernensium, spero, prouidistis. Etenim hactenus inuigilare in pacem ecclesiarum soliti estis, gratia domino. Testes eritis (?) eorum, quae ad omnes precipuos concionatores ecclesiarum Helueticarum scripsi, antequam Schmalkaldum irem. Quid ita afflictas alioqui eeclesias et dissipatas nimium, quibus adhue non defuerunt et hostes foris et factiosi intus, ipsi affligimus et contur- bamus? Sed moderabitur his quoque motibus deus. Hic instituendis lectionibus et confirmandis ritibus eeclesiae, tum alis quibusdam negotiis pro restitutione? disciplinae detineor

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et oceupor valde. Sed tum, si dominus vitam et vires dederit, sistam me Bernatibus, eum volent, quibus vos illnd indieabitis. Ego id indieare nolui, ne viderer minari. Si detrectent me audire, et quod poscit ius gentium et naturae, non facient copiam respondendi calumniatoribus, me compvlli(?)*), vt ad ecclesias publice de ea iniuria querar. Facile ergo, quod facitis, venerandi fratres et symmistae. Dabit forsan dominus meliora. Orate pro me. Honoratißimis viris domino consuli et tribuno Theodoro me diligenter commendate. Hie noua nune nulla prope sunt. Pontifex concilium distulit. Caesar dieitur filiam et neptem suam, veduam duci(ssam) Florentinam et Mediolanensem nepotibus papae tradidisse eum ducatu Florentino. Ita augemus imperium. Hoc anno Caesar non facile in Italiam p... piet?). Obstat inopia pecuniae. Naues, quae ex Peru aurum adferent, haerent in noua Hispania. Arcentur enim littore Hispanico per classem || Brittonum et Nor- mannorum, In Hungaria dubie belligeramas. Illis(?)*), qui Caseaw obsident, subsidium venire non potest. Quidam dux Turcorum eum copiis venisse dicitur ad Albam graecam, vt einetam(?)*) Caseaw obsidione liberet. Quattuor millia Boe- morum regi militabunt. Caesar a mercatoribus Augustanis ad bellum praeteriti anni accepit foenore non eontemnendo sexies centena millia. Nune comes Ortenburger rursus hie diu fuit et etiamnune est. Creditur nouam pecuniam conflare. Vteunque autem hic sint istae monstrosae opes, tum populus et senatus admodum ad pietatem duci se patitur et verbum domini satis amat. Interim pauci isti principes mammonie suum negotium agunt. Valete iterum(?)°) viri fratres colendissimi. Augustae IX. Juni. M. Bucerus vester totus.

Salisburgi episcopi et prineipes prosynodum habuerunt non pro Christo, quo euentu, nescitur, illud scitur, fulmine ictum sacrarium est, et grandine maxima pars agri in aliquot milliaria vastata est.

Sammlung berühmter Autographen usw. Nr. 273. Landes- bibliothek Stuttgart. Aus der Sammlung des Herrn Karl Künzel in Heilbronn.

Cochleus®) an den Bischof Johann Dantiseus 1530 von Culm, 1537 von Ermeland. Dresden 1534 September 9.

*) oomp und Ili ist deutlich. ?) iet ist sicher, p... p ziem- lich sicher: *) Sehr undeutlich geschrieben. *) tam ist sicher, cin ziemlich deutlich. 5) erum ist sicher, iterum müßte Bucer auf frühere Rriefe beziehen.

?) So unterschreibt er sich selbst, nicht Cochläus, was wine

falsche Bildung aus cochlea wäre.

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Die Sammlung von Autographen, welcher der Brief entstammt, gibt die Adressen nicht. Der Briefempfänger muß deshalb auf anderem Weg festgestellt werden. Aus dem Inhalt des Briefes ergibt sich, daß es sich um einen hohen Geistlichen handelt, der lang in Deutschland geweilt und die starke Einbuße, welche die alte Kirche durch die Reformation erlitt, wahrgenommen hatte. Auch hatte er sonst „vieler Menschen Sitten und Städte, ja die größten und reichsten Königreiche“ genauer kennen gelernt hatte. Das paßt vollkommen auf Johann Dantiscus, der von 1515—1532 als Orator des Königs von Polen in Deutschland, Spanien und Italien geweilt hat (Wetzer und Welte, Kirchen- lexikon 3, 1397). Cochleus erinnert ihn daran, daß er ihn persönlich kennen gelernt habe auf dem Reichstag zu Regensburg, auf welchem Dantiseus wirklich anwesend war. Denn hier empfing er einen Brief von Alfons Valdes ZKG. 4, 629. Fürstemann 27 Beiheft zum Zentralblatt des Bibliothekwesens 336). Dazu stimmt, daß Cochleus ‚erwähnt, Johann Dantiseus habe den Verfasser der Para- phrasen des Psalters Johann Campensis von Regensburg mit nach Polen genommen. Über diesen Gelehrten, den Nestle Theol. Re.E. 3, 51, irrig Jakob nennt, findet sich auffallender Weise weder bei Wetzer und Welte, Kirchenlexikon 2, 1778 noch bei Hegler, Theol. Re. E. 3, 696 noch bei Rembart in seinem reichhaltigen Buch über die Wiedertäufer im Herzog- tum Jülich. etwas, um ihn klar zu unterscheiden von dem ‚wiedertäuferischen Mystiker. Wir wissen nicht einmals ge- nau, welcher Joh. Campanus in Wittenberg weilte und zu Witzel nach Niemeck ging und Einfluß auf ihn gewann Was Förstemann-Günter im 27. Beiheft zum Zentralblatt für das Bibliothekwesen S. 37 bietet, ist wenigstens zuver- lässig, wenn auch nicht vollständig. Auffallend ist, daß Cochleus annimmt, Dantiscus sei seit 1532 zu höheren Stellungen gekommen (auctam) wovon wir bis jetzt nichts wissen, und was erst 1537 der Fall war. Nicht weniger befremdet, daß Cochleus nichts davon erwähnt, daß er am 27. April 1534, also vor 4'/, Monaten, Dantiscus seine XXI Articuli Anabaptistarom Monasteriensium per Doctorem Jo- hannem Cochleum confutati gewidmet hatte. (Spahn, Cochläus(!)

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357 Nr. 102), während er doch angibt, er habe im Sommer 1534 verschiedene seiner Schriften an Bischöfe in Polen: geschickt, was durch Spahns Zusammenstellung von Cochleus. Schriften S. 357, Nr. 100—105 vollkommen bestätigt wird.

Cochleus will von etlichen Polen wissen, welebe in Wittenberg Luther und Melanchthon hören. Allein das. Album Academiae Vitebergense weist in den dem Brief unmittelbar vorangehenden Jahren nur ganz wenige Namen auf, die sich etwa als Polen erkennen lassen. Erst im Winter- semester 1534/35, also später, als Cochleus seinen Brief geschrieben hatte, treffen wir vier Polen in Wittenberg Alb. Ac. Viteb. 155, 156). Es bleibt immerhin möglich, daß sie schon einige Zeit in Wittenberg weilten, ehe sie sich immatrikulieren ließen, und Cochleus Kunde von ihrem Kommen nach Wittenberg hatte. Es wird sich verlohnen festzustellen, ob Cochleus mit seinem Brief an Dantiscus. den Anstoß zu dem Verbot des Besuchs der Universität. Wittenberg durch Polen gab.

Sehr beachtenswert ist die Anerkennung Melanchthons durch Cochleus und die Sorge um die für ihn widrigen Folgen seiner Angriffe auf den in ganz Deutschland hoch- geschätzten Reformator.

Neu ist die Nachricht über den Bruder des Buch- hindlers Nikolaus Wolrab in Leipzig, dem Cochleus seine Schwestertochter zur Ehe gegeben hatte. Uber die weiteren. Schicksale des Matthias Wolrab in Polen scheint nichts be- kannt zu sein. |

Cochleus an Joh. Dantiscus 1534 September 9.

Reuerendissime in Christo pater et domine perquam. gratiose. S. cum debita reuerentia ac prompta obsequendi voluntate. Difficile mihi est haud immerito, ad reuerendissi- mam dominationem tuam scribere, non solum publiee, sed iam priuatim, quum et residenciae tuae loeum ignoro et dignitatibus auctam esse reuerendissimam dominationem tuam audiui, debitos itaque titulos reuerendissimae dominationi tuae. ascribere non possum, donec ab aliis docear de omnibus. Generalis quidem causa scribendi ad eatholiei regni Polonici episcopos facile intelligitur ex libellis, quos hae estate ad quosdam edidi. Ad reuerendissimam dominationem tuam.

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specialis mihi est et quidem duplex. Vna, quod te vnum ex omnibus Polonicis episcopis facie ad faciem Ratisbonae in comitiis imperialibus alloquutus sum, altera, quod affinis meus Mathias Wolrab Lipsensis in familiam reuerendissimae dominationis tuae gratiose assumptus est, cuius fratri germano neptem meam hoe anno despondi et tradidi. Jure igitur affinitatis illum reuerendissimae dominationi tuae suppliciter commendo. Tertiam quoque causam adiicere possum’ quod magno (teneor desyderio intelligendi, quo modo valeat, ei ubi agat doetissimus vir Johannes Campensis, paraphrastes psalterii, qui reuerendissimam doninationem tuam in regnum ‘comitatus est e Ratisbona. Ceterum potissima ac maxima causa est, ut praemoneam eum alios episcopos tum vero maxime reuerendissimam dominationem tuam, quae diutius in Germania versata certius nouit, quantum malorum huic patriae nostrae ex nouis sectis inuectum sit. Ad ea igitur mala in amplissimo regno vestro praecauenda nemo potest iustius aut utilius moueri, quam reuerendissima dominatio tua, quae et apud regiam maiestatem et apud summos et optimos quosque regni prelatos, presides, castellanos et palatinos autoritate plurimum valet ac gratia, immo et eloquentia, eruditione, prudentia et rerum experientia, quae mores hominum multorum vidit et vrbes, immo et latissima ac opulentissima regna. Certe non leue mihi onus est, hunc | in modum irritare in me Philippum Melanchthonem, qui eruditione ingeniique nobili Minerua fauorem et gratiam plurimorum consecutus est. Quare si non esset prae foribus periculum animarum et fidei, pro nulla re temporali eius in me stylum ae odium prouocaturus eram. At circa fidei iacturam imminentem tacere aut dissimulare me non sinit lex dei et accusatrix conscientia. Nam lex diuina et euangelium in rebus fidei iubent posthabere non solum amicos familiares, verum etiam patrem et matrem, fratres et sorores ac liberos, ne parcamus eis, si nos a vera religione abducere studeant. Cum igitur intelligam, aliquot adolescentes Polonos nobiles Wittenbergae Lutherum audire et Philippum, territus Bohemorum calamitatibus, quas nobilis quidam nomine Putridus piscis ex Anglia per libros Vuielephi florentissimo et christianissimo regno illi inuexit, illos vestrates a simili periculo auocari velim (illos bis Nam aus hand). Nam vrget me seeundum legem et euangelium conscientia, zelus fidei, salus animarum et fraterna charitas de tanto periculo vos episcopos et regni speculatores suppliciter admonere, ut in tempore prospiciatis, ne quid detrimenti respublica patiatur. Bene valeat reuerendissima dominatio fua, sapientissime presul et hanc meam sollicitudinem studiumque et admonitionem, quae certe nec leui nec paruo

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mihi tum labore tum sumptu constat, clementer et gratiose in bonam partem accipiat. Ex Dresda Misniae sub illustrissimo principe duce Saxoniae Georgio V. idus Sep- tembris Anno Domini M. D. XXXIII. E. Reuerendissimae Dominationi Tuae Deuotus clientulus, A. a. O. Nr. 274. Johannes Cochleus.

Fragment einer Abhandlung von Joh. Forster.

Das nachfolgende Fragment einer theologischen Ab- handlung in der schönen, klaren Handschrift Forsters be- handelt das von Forster sehr geschätzte Dreiblatt christlicher Tugenden, nachdem er auch seine drei Töchter Charitas, Fides und Spes genannt hatte (Germann, D. Joh. Forster S. 462ff). Man erkennt den gut lutherisch gesinnten und scharf logisch denkenden Theologen aus diesen Zeilen. Es wäre nur sehr erwünscht, daß nachgewiesen würde, welchem Zusammenhang sie entnommen siud. Wir haben ja aus der späteren Lebenszeit wenig Werke seiner Hand außer seinem hebräisch-lateinischen Wörterbuch.

Deinde definit quoque fidem!), qua gentes. recipiuntur in ecclesiam ef fiunt gens iusta, non simplicem esse historiae notitiam, sed quae firmata est et nititur super promissione de gratuita remissione peceatorum propter Christum et eam sibi applicat?) Tertio addit etiam spem, quae (ut indiuidua comes veram fidem comitatur) duplicem pacem eftieit, foris eontra mundi furores adeoque cunctas corporis aduersitates *), intus in conscientia contra ignita Satanae iaeula?) vt animo simus tranquillo, eaque vniuersa mala, nedum patienter ferre, verum etiam fortiter et contemnere et vincere possimus simulatque veram illam liberationem) aeternamque, vitam ac faelieitatem nune in hae etiam vita inchoemus.

Et quia doctrina de iustifieatione, quae in ecclesiis nostris Dei misericordia iam patefacta est et sonat, consentit cum ista prophetae?) contione, quod sola fide in Christum sumus iusti, Item quod fides firmus sit assensus, non nuda hiftoriae notitia, Item quod spe iam salui simus faeti et nunc gustum habeamus vitae aeternae?).

Idea ingrediamur porta sillas, audiamus et amplectemur?) testimonia prophetarum et apostolorum, adiungamus nos piorum coetibus et vera fiducia mediatoris invocemus patrem.

1) Rom, 1, 5. 16, 26. 2) Acta 18, 38. 3) 1. Thess. 1, 5. 1. Kor. 1. 3, 13. *) Róm. 8, 37. 5) Eph. 6, 16. 9) Róm. 8, 211f. ‘) Habakuk 2, 4. 5) Róm. 8, 24. ?) Forster flektiert amplector wie amplexor.

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 2. 10

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Coeterum eoram mundo confiteamur constanter hanc doctri- nam, tum et iusti et salvi sumus iuxta illud apostoli ` dietum: Corde creditur ad iustitiam, ore fit confessio ad salutem ’). i Johannes Forsterus, D. (sen.) A. a. O. Nr. 254. 1554.

Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, an den Magdeburgischen Kanzler Dr. Christoph Türk. Halle 1536, Januar 28.

Die Sammlung historisch berühmter Autographen, welcher dieser Brief entnommen ist, gibt auch hier keine Adresse, aber der Briefempfänger ist schon in den ersten Worten des Briefs genannt als Albrechts Kanzler, der kein anderer ist als der Magdeburgische Kanzler Dr. Christoph Türk. Dieser war von ihm an einen Vetter gesandt worden, um mit ihm über den Handel mit Hans Schenitz und dessen Angehörigen, insbesondere mit dessen Bruder Antonius (Tonius) und den damit in Verbindung stehenden Handel mit Kursachsen wegen der Burggrafschaft und deren Gerichtsbarkeit zu verhandeln., Der Kanzler hatte Albrecht über diese Verhandlungen be- richtet. Der vorliegende Brief ist die Antwort auf diesen Be- richt. Der Vetter, an den Türk gesandt war, kann kaum ein anderer sein als Herzog Georg von Sachsen. Der Brief zeigt, wie unangenehm die ganze Sehenitzsaehe, über die am besten Hülßes Abhandlung „Kardinal Albrecht und Hans Schenitz“ Magdeburger Geschichtsblätter 1889, 1— 82 und kurz Enders, Luthers Briefwechsel 10, 235 ff. unterrichtet, für Albrecht sein mußte, da Luthers Eingreifen ihn in der óffent- lichen Meinung blofstellte. Er erwähnt zwar Luther nicht und will sich auch von den Drohungen Antons Schenitz nicht schrecken lassen, aber man sieht deutlich, wie gern er die ganze Sache aus der Welt geschafft sehen möchte.

Die im Brief erwähnten Personen sind Dr. Andreas Frank aus Kamenz genannt Camitianus, Schöppenschreiber in Leipzig, über welchen Clemen im Neuen Sächsischen

1) Rom, 10, 10.

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Archiv 19, 95. 20, 143. 24, 168 ff. Auskunft gibt, Dr. Hans Eberhausen, Rath des Kardinals Albrecht in Halle, über welchen Kawerau, Justus Jonas Briefwechsel 2, 55, 76, 83 zu vergleichen ist, Hieronymus Walther in Leipzig, der Vater der Magdalene Schenitz, Gattin des Hans Schenitz, und der Vormünder von dessen Kindern.

Albrecht von Brandenburg, Kardinal und Erzbischof an den Kanzler Dr. Türk. - 1536 Januar 28.

Lieber her Cantzler, ich hab ewr schreiben von beyden meinen knaben nechten ganz spet entpfangen vnd her fast gern, das meinen vettern dy lutherysche weyß zu torgaw nicht gefallen, vnd das dy mutter nicht wyder in das landt kommet, was aber dy ander sache betryfft, darumb ir zu seiner lyebe geschickt, wil ich mit vernigen ewr zukunfft erwarten, vnd horen, was ir außgericht, vnd halt es darfhor, hat man lust zu der sachen, man werdt es an dem oder grosser nicht mangeln oder fhelen lasen, vnd habt recht gethan, das ir meinen vetter||dahyn vermocht, das er Sachsen des tags halber geschryben, was aber schantzen sache be- tryfft, laß ich heut ewr concept beratslagen, wy wol es on not, vnd wil euch nicht bergen, das doetor Camicianus heut dato sich hat lassen angeben von wegen Walthers, der frawen vnd der kinder, vormunder zu bitten, dan sy wolten dy bryeff vnd register mit recht von Thonius fordern mit wyder anhang, wy euch doctor Eberhausen, wenn er gehort, in meinem nhamen hernacher schryeben wirdt, so sein auch dy III m gulden zu Leypzig erlegt, vnd wil by Walther Im rat nymants sitzen, aber von entlichem vortrag mit der frawen vnd kindern hor ich nichts. Ir wolt auch meinem vettern von meinen wegen freuntlich dank sagen, das mich sein lyeb des tags auch schantzen halber kege sachsen vorantwort, vnd mir hat lasen antzeigen, was Thonius dem kurfürsten geschryben vnd im willen hat, last ehr etwas auß gheen, sol ehr mich an antwort nicht finden vnd bin auch ewr meinung, das es || sereck gebot sein, aber nichts deste weniger kendí man es vorkommen, so sehe ich es gern. Darvmb so ir noch bei meinem vetter, so beger ich, Ir wollet euch mit sein lyeb vnderreden, mit was fugen vnd durch was mittel sulchs mecht fürderlich abgewendt werden. Daß hab ich euch in eil vf ewr schreyben ganz gnediger meynung nicht wollen verhalten. Datum Hall vf Sanet Moritzburgk am freitag nach conuersionis Pauli anno ich!) XXX yj. Albrecht eek

A. a. QO. Nr. 278. manu propria.

1) Sic, mir unverständlich. 10*

2 .

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Berichtigungen zu dem Brief der Erasmus an Graf Hermann

von Neuenahr (Nova Aquila vom 3. Januar. Erasmi opera ed. Clericus 3, 1057. | Die Sammlung historisch berühmter Autographen oder Faesimiles von Handsehriften gibt in Nr. 959 auch .das Original des Briefes von Erasmus wieder, das in Erasmus Werken 3, 1057 abgedruckt ist. Wie sonst, gibt die Samm- lung den Briefempfünger nicht an, aber die Vergleiche des Textes zu Op. 3, 1057 und der Wiedergabe des Originals läßt keinen Zweifel übrig, daß es der Kölner Dompropst Hermann von Neuenahr ist. Dagegen ergeben sich aus dem Vergleich beider Texte einige Berichtigungen für den Text in Op. 3, 1057. Z. 13 v. u. steht celeriter nicht im Text, statt sequuturum ist consequuturum zu lesen. Z. 10 v. u. ist enim naeh per hune ausgelassen. Z. 9 v. u. l. Antwer- - piam statt Antuerpiam. S. 1058 Z. 1 hat dicant keinen Sinn. Es ist verlesen für durum; et ist ausgelassen. Es ist zu lesen: non durum et iniustum. Nach Severum ist aus- gelassen: Suspieantur Fabrum autorem. Z. 4 ist zu lesen: 3 Non. Ian Basileae. Am Schlu8 fehlt die Unterschrift Erasmus tue Celsitudini addietiss (imus) mea manu.

Brentiana und andere Reformatoria von W. Kohler’). 35. Praefacio in epistolam ad Galatas ex ore D. M. Lutheri excepta 1531, missa D. Johanni Brentio a M. Vito Theodoro ex Wittemberga.

Diese Version der Vorrede Luthers zum Galaterbriefe ist dem Herausgeber in der Weimarer Lutherausgabe, A. Freitag, entgangen, trotzdem ich schon 1903 in der Theol. Literatur- zeitung Nr. 24 darauf hingewiesen hatte. Die Einstellung des vorliegenden Textes ist nicht allzuschwer zu geben: wie Freitag schon festgestellt hat und die Überschrift unseres Textes besagt, hat auch Veit Dietrich die Vorlesung Luthers über den Galaterbrief gehört. Ein Stück von seinen Auf- zeichnungen hat nun Dietrich an Brenz geschickt, Aber offenbar in Ausarbeitung, genau wie das später Rörer bei der Drucklegung auch getan hat. Und zwar hat er, wie Freitag festgestellt hat, dabei auch Rörers Aufzeichnungen benutzt. Umgekehrt hat aber auch Rörer Dietrichs Auf- zeichnungen bei der Fertigstellung des Druckes benutzt. Fraglich bleibt zunächst, ob nun die Dietrichsche Aus- arbeitung wohl zu unterscheiden von seinen ersten Auf- zeichnungen! später von Rörer für seine Ausarbeitung benutzt wurde, oder ob Dietrich unter Benutzung von Rörers Aufzeichnungen die eigenen frei gestaltete. Ich möchte ersteres annehmen (in teilweisem Gegensatz zu dem analogen - Fall bei Freitag WA 40, 690). Denn die Berührungen zwischen unserem Texte und Rörer betreffen nicht etwa nur die Rörerschen Aufzeichnungen, sondern ebenso sehr die Rörersche Bearbeitung; diese und die Dietrichs stehen auch in unmittelbarer Beziehung zueinander. Es scheint mir aber weniger wahrscheinlich, daß Dietrich für eine Ausarbeitung,

1) Vgl. diese Zschr. IX S. 79—84 und 93—141, X S. 166—197,

XI S. 241—290, XIII S. 228—239. XIV S. 148—152 und S. 236—241 XVI S. 235—240,

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die er Brenz geschickt hat, außer Rörers Kollegheft noch dessen Ausarbeitung benutzte, als daß Rörer, der einen für die Öffentlichkeit bestimmteu Druck vorbereitete, alles heran- zog, was ihm von Wert erscheinen mochte. Sollte vollends Brenz die Sendung Dieiriehs schon 1531 empfangen haben, so wäre unsere Vermutung bewiesen. Aber das ist nicht sicher; der Schreiber des Codex Suevo-Hallensis hat die Sendung unter 1531 eingestellt, d. h. im Anschluß an die Akten vom Augsburger Reichstag, weil diese Zahl in der Titelüberschrift stand, er hat 1531 zu missa gezogen, während es ebenso gut zu excepta zu ziehen wäre und dann der Termin für die Sendung unbestimmt bleibt. Wahrscheinlich also ist unser Text zwischen die Aufzeichnung Rörers und den für den Druck bestimmten Text zu setzen; er bietet ein genaues Analogon zu dem WA 40, 24e bzw. 690 ge- schilderten Fall.

Prefacio in Epistolam ad Gal. ex ore D. M. L. excepta 1531 missa D. Johan. Brentio aM. Vito Theod. ex Wittemberga.

Primum dicendum est de argumento et materia subiecta huius epistole. 1. de qua re agat Paulus. Est autem hoc quod vult stabilire doctrinam illam iusticie fidei et gracie et remissionis peccatorum, ut habeamus perfectam cognicionem et differenciam inter iusticiam Christianam et alias omnes iusticias. Justicia enim multiplex est. Quedam politica, quam tractat Cesar et principes mundi, Philosophi et Sapientes. Alia est Ceremonialis, quam tradunt seu exercent tradiciones humane et Papa, sed peius, melius autem pater familias et pedagogi, qui habent necessarias ceremonias propter com- ponendos gestus et certas observaciones. Supra has est alia quedam iusticia legalis seu decalogi, quam Moses et nos etiam docemus post doctrinam fidei. Sed he omnes iusticie fluunt ex preceptis et versantur in operibus nostris. Ergo ultra et supra has omnes est Cristiana iusticia et diligenter ab illis discernenda est. Sunt enim huie prorsus contrarie, scilicet nate ex legibus et preceptis vel tradieionibus, et (Mser.: et et) tales, que a nobis fiunt sive ex puris naturalibus, ut sophiste loquuntur, sive ex dono dei quia et he iusticie dona dei sunt sieut omnia nostra, Breviter quiequid tale est quod nos facimus et nostrum opus vocatur, non est iustieia Christiana. Sed hee est plane contraria et mera passiva sieut ille sunt active, ubi nihil operamur et facimus, sed tantum recipimus et patimur alium operantem in nobis, seilicet deum. Et hee est inseicia!) in misteria abscondita,

T) Hes: iusticia.

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quam mundus non iutelligit et Christiani ipsi difficulter et non satis comprehendunt. Adeo semper est inculcanda et assidue usu exercenda. Quia qui in tentacionibus et perl- culis hanc non tenet vel apprehendit, non potest consistere, neque est ulla consolacio conscienciarum, quam illa passiva iustieia. Fit enim naturaliter in tentacione et pugna con- sciencie, quod heremus in hoc spectro et intuemus[!] legem, et sic tantum magis confunditur consciencia. Nec potest se hine evolvere natura et racio et attollere se ad aspectum huius iustieie. Quia hoc situm est extra cogitaciones et captum humanum adeoque et iam extra legem dei, que quamvis summum est bonum, quo sunt in mundo, tamen Jonge est infra hane Christianam iusticiam, ita nobis hoc malum est affixum operante et iam diabolo cum natura quod intencione nihil spectamus et desideramus nisi nostram iusticiam, eum tamen nullum aliud remedium sit nisi in iusticia fidei et aut morte eterna perire aut hane fidem depre- hendere et tenere, que dicat: Non quaero iusticiam activam, quamvis hec quoque facienda est, et posito quod istam omnem habeam, tamen eam non possum confidere nee per eam stare coram deo. Sed simpliciter reiicio me extra omnem activam et meam iusticiam et extra conspectum legis et tantum volo recipere aliam passivam, que est iusticia gracie et remissionis peccatorum et in summa Christi et spiritus sancti, quam ipse dat et nos adeipimus. Sicut terra pluviam accipit, quam ipsa non gignit nec ullo suo opere, cultu aut viribus potest acquirere, sed tantum dono celesti desuper recipit; quam erga‘) propria terrae est pluvia, tam propria est nobis ista iusticia. Hee cum dicuntur putamur esse facilia, sed res et experiencia docet nihil esse difficilius. Det dominus graciam et salutem, aliquam cognicionem retineamus, ne ab intuitu gracie ad legem relabamur. Quia summa ars et sapientia Christi- anorum est nescire légem, ignorare opera et totam iusticiam activam. Sicut extra Christianos et populum del summa sapiencia est nosse et inspicere legem. Mira res docere homines, ut discant legem ignorare et sie vivere eoram deo quasi nulla sit lex et tamen contra in mundo sie urgere legem et opera, quasi nulla sit gracia, utrumque reete securi debetur secundum Paulum, ut sic informes consciencias ad spectandam graciam, quasi nulla sit lex in mundo, alioqui nemo potest salvus fieri. Quia lex et exactio operum sic urget et premit, ut cogantur desperare et ruere. Econtra quando humiliare et terrere volumus, ibi nihil est ponendum ob oeulos nisi lex, que est data ad humiliandum, vexandum et exercendum veterem hominem. Hie ergo requiritur prudens

1) lies: ergo.

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et diligens pater familias, qui sic moderetur legem et intra suos limites maneat promens nova et vetera, cum est com- modum. Nam qui sic docent legem, quod per eam iusti- ficentur homines coram deo, illi iam ex[e]esserunt hos limites et eonfundunt has duas iusticias, activam et passivam. Sunt modo dialectici, qui non recte dividunt. Cum ventum est ultra veterem hominem, iam iam sum ultra legem, quia caro vel vetus homo et lex ac opera sunt coniuncta, sie etiam vel novus homo et evangelium seu gracia. Cum ergo video hominem satis contritum presenti lege et sentire peccatum etc., ibi iam tempus est follere legem ex oculis et conspectu et ingredi alteram iusticiam, in qua regnat non lex, sed gracia, sicut ait Paulus [Róm. 6, 14]: iam non estis sub lege, sed sub gracia. Quomodo non sub lege? secundum novum hominem, quia ad hune nihil pertinet lex, quia lex usque ad Chistum|!, hoc veniente cessat lex, Sabbathum, Moses et prophete. Hic est nostra theologia, qua docemur acurate distinguere has duas iusticias, quod utraque sit necessaria, sed intra suos limites continenda. Quod dico, ne quis putet bona opera reiicere auf vetare, sicut adversarii de nobis elamant non inteligentes neque quid ipsi neque quid nos loquamur; nihil enim norunt nisi solam iusticiam legis, et tamen volunt iudicare de doctrina, que posita est longe supra

et ultra legem. Ideo non possunt non scandalizari, cum

nihil alcius videre et comprehendere possunt quam legem. Nos vero quasi duos mundos constituimus, unum celestem, alterum terrenum et in illos ponimus has duas iusticias separatas et longissime inter se distantes; iusticia legis terrena est et de terrenis agit operibus, tantum exercetur, que nihil pertinent ad illam celestem i. e. christianam iustieiam, per quam ascendimus super omnia opera et leges. Sicut ergo portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem celestis, ait Paulus [1. Cor. 15, 49], qui est novus homo et in novo mundo, ibi nulla est lex et consciencia, sed liberrima vita, salus et gloria, per quid ergo aut quid faeit? Nihil, quia hee iusticia est prorsus nihil facere, nihil statuere et audire de operibus legis, sed hoc solum, quod Christus sedet ad dextram patris pro nobis intercedens et regnans per graciam, ibi nihil lucet et videtur quam gracia et nullus terror vel remorsus consciencie. Sicut Johannes inquit |l. Joh. 3, 9]: Qui natus est ex deo, non potest peccare etc. Quia in hane iusticiam non cadit peccatum, cum ibi nulla sit lex; ubi non lex, non est ibi nec prevaricacio. Cum ergo hic peccatum non habeat locum, enulla est consciencia vel pavor et tristicia, et si adsit, signum erit Christum et graciam amissam e conspectu vel tanquam nube obducta obscuratam. Sed ubi vere est Christus, ibi necesse est adesse gaudium

73 153:

in domino et pacem cordis; quod sic statuit, licet sim peceator legalis in iusticia legali, non tamen ideo mereor, quia Christus vivit, qui est mea iusticia et in illa vita nullum habeo peccatum et conscienciam. Sum quidem peeeator seeundum hane vitam et eius iusticiam et et filius Adam, ubi adeusat me lex ef regnat, sed supra hane vitam habeo aliam vitam, aliam iusticiam, que nescit peccatum et. mortem, sed est vita eterna, propter quam eciam hoe corpus mortuum resuscitabitur et liberabitur a servitute legis et peccati. Itaque utrumque manet, dum hic vivimus, quod caro adeusatur, exercetur, contristetur et conteritur iusticia aetiva legis, sed spiritus regnat, letatur et salvatur iusticia passiva Christi. Qui contrivit peccatum, legem et mortem et triumphavit illam in se ipso Collo. 2. [V. 15]. Hoe ergo agit Paulus in hae epistola, ut nos diligenter instituat, confortet et retineat in cognicione perfecta huius Christiane iusticie. Quia amisso hoc loco vel articulo amissa est simul doctrina Christiana tota, quia sine hae quiequid est in mundo, est vel Judeus vel Turea vel papista, quia inter has duas iusticias, activam legis vel passivam Christianam, non est medium ergo qui ex hae exeidit, hune oportet in alterum circulum relabi, ut amisso Christo ruat in fiduciam. operum etc. Sieut videmus in omnibus sectariis, quod nihil docent nee reete possunt docere de hac iusticia gracie, sed tantum ferent in iusticia legis, quia nemo illorum potest intrare in hane cognicionem et ascendere ultra illam activam. iusticiam, itaque manent iidem, qui fuerunt sub (Mser.: sup) papa, nisi quod nomina et opera nova faciunt, cum res sit eadem, Ideo nos sic semper urgemus et ineuleamus hune locum, scientes hec, quam sunt facilia dictu tam esse diffi- cilia experiencia et usu, etiamsi diligentissime acuas et exer- ceas ef intencione conscienciam pacifices et traduceris a con- spectu legis ad conspectum gracie, et cum caro et sathan opponit conscienciam peccati, iram dei et infernum, ut te sibi subiiciat et abstrahat a Christo. Nam tum pereundum tibi est, nisi secundum ista noveris discernere et revocare carnem, que egreditur extra suos limites volens ascendere in regnum consciencie et damnare in corde, in quo debet regnare Christus et servare conscienciam pacatam et letam. in pura ac sana doctrina evangelii et cognicione istius. passive iusticie. Hane eum intus habeo, tunc demum prodeo. foras in aliud regnum et descendo de celo tanquam pluvia fecundans terram i. e. facio opera bona ef subiicio me per caritatem legibus et aliis necessitatibus huius vitae (Mser.: vita) etc. Hoc est epistole argumentum, quod sumit Paulus. tractandum occasione adcepta a falsis doctoribus, qui istam. doctrinam obscurarunt Galatis etc.

Mitteilungen.

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Zum Passional Christi und Antichristi.

3.1) G. Kawerau hat bereits darauf hingewiesen, daß einzelne ‘Bilder aus Cranachs Passional, und zwar unter Benutzung der Original- ‘stécke, noch Verwendung zur Illustration anderer Druckschriften des 16. Jahrhunderts fanden?) Zwei Fälle dieser Art waren ihm bekannt geworden: a) Bild 13 (Christus lehrend und die Kinder segnend) kehrt wieder in „Kirchen Agenda...Für die Prediger in. . . Mansfeld“: Eisleben, Urban Gaubisch, 1530. 4°; b) Bild 18 (Der Papst, von 'Kardinälen und Bischöfen begleitet, reitet der Hölle entgegen) kehrt wieder auf der Titelrückseite in „Eyn Clag der deutsche Nation an ‘den almechtigen gott...“ o. O. u. J., (Wittenberg, 1521)3).

Von diesem Bild 18 existiert nun auch ein alsbald nach der Veröffentlichung des Passionals entstandener Nachschnitt, der es im Gegensinne gibt. Er findet sich als Titelholzschnitt in einem Einzeldruck des berühmten Hans Sachsschen Dialoges: „Von einem '"Schu|macher: vnd Chorherren: ein vast || kurtzweilig Christliche disputation (von der Euan-|gelischen Wittenbergischen Nachtgallen. || MdXXIIII. Hans Sachs.**) Wie der Holzschnitt ein Nachschnitt, so scheint auch der Text ein Nachdruck zu sein, An jenem weist manches nach Straüburg. Die Vorlage ist inhaltlich und formal im wesent- lichen unverändert wiedergegeben; abgesehen von der Umkehrung der "Komposition treten als bedeutsamste Abweichungen hervor die Aus- bildung der Bergkuppe im Mittelgrunde vor dem Felsmassiv im Hinter- grunde, die Verminderung des päpstlichen Gefolges und die deutlichere "Kennzeichnung der im Höllenfeuer schmachtenden Personen, die über-

1) S, Archiv für Reformationsgeschichte 17, 1920, S. 71 ff.

2) Weimarer Lutherausgabe 9, 699.

3) Diese Schrift ist außer in der von Kawerau a. a. O. ge- ‚nannten Fürstl. Bibliothek zu Wernigerode u. a. noch vorhanden in Berlin, Staatsbibliothek (2 Exemplare: Yg. 7621 und Yg 7622).

4)Hans Sachs. Hrsg. von A. v. Keller u. E. Goetze, Bd. 24 (Biblio- thek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. 220), Enr. 7i.

75 155

dies auf drei (statt fünf) nebst einem Teufel reduziert sind, als Ton- surierte. Beziehungen zwischen Titelbild und Text bestehen nicht. Der Holzschnitt ist durchaus unabhängig von diesem entstanden und dürfte wohl einige Zeit vor ihm gearbeitet sein 1).

Georg Stuhlfauth.

Zum Briefwechsel Veit Dietrichs.

Zu den im 12. und 13. Bande des Archivs für Reformations- geschichte mitgeteilten Briefen Veit Dietrichs bietet die Regierungs- bibliothek Ansbach eine kleine Ergänzung. Unter den Reformatoren- briefen aus den 16. Jahrhundert ist auch er mit einem Schreiben an den Schaffer Joh. Seubold von St. Sebald?) vom Regensburger Religions- gespräch vertreten. Seubold diente nach demselben als Vermittler zwischen Wittenberg und den protestantischen Gelehrten zu Regensburg.

Die von Flemming und Albrecht gesuchte Biographie Veit Dietrichs von Zeltner befand sich zuletzt in der Ebnerschen Bibliothek zu Nürnberg ?).

Etliche Briefe von Veit Dietrich hat Seb. Stiber seinem „Prozeß der Hailsbrunnischen Handlung das kayserlich ja verfluchte Interim belangend zusammengebracht durch Sebastian Stieber prediger zu pid Zeyt zu Hailsbrunn im 1548 Jahr“ einverleibt*).

Veit Dietrich an Joh. Seubold Regensburg. 10. Mürz 1546.

Salutem in domino. Eur Sehreiben, lieber Herr Schaffer, ist mir heut zukommen samt den eingelegten Schriften von Witten- berg, die mir und allen andern Herrn ser lieb gewest. Denn sie nu bis in die vierte Woche nichts von Herrn Philipp gehabt. Unser Handel läßt sich gar leppisch an. Die Presidenten sagen, sie können von der kays. Mjt. geschickten Resolution nit weichen noch etwas nachgeben. So konnen wirs nit einraumen, Ist beschlossen, darauf bei k. Mjt. beschids sich zu erholen, ob sie wolte etwas lindern. Wir kénnen solches nicht wegern; aber wie wir begert, im colloquio furtzuschreiten, da wollen die schalk, so sich kaiserische colloquenten nennen, nit hinan. Besorge einer langen und langweiligen Feier, kann aber mit keinem Fuge es dahin bringen, daß ich mit ehren wider davon kome. Dem Malvenda ist hie zimlich gelohnet. Als er die leut mit Haufen hat sehen in die Kirch zur Predigt gehen,

1) Vgl. noch C. Kaulfuß-Diesch, Lukas Cranachs Passional Christi und Antichristi, in Der Sammler, Wochenschr. für alte und neue Kunst 12, 1922 S. 65—70, mit 7 Abb.

2) 1520—1535 Kaplan, 1535—1549 Schaffer bei St. Sebald: G. E. Waldau, Nürnbergisches Zion, Nürnberg 1787 S, ll, 18. Beitrüge zur bayr. KG. X, 86.

9 G. A. Will u. Chr. a Nopitsch, Nürnbergisches Ge- lehrtenlexikon VI. 1802 Altdorf, S. 218.

3) Bibliothek zu DAE

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hat er sich daruber erzürnet und deudsch gesagt (denn der schalk kann es ziemlich): es sey unrecht, daß man also zur kezerischen Predigt gehe. Der Hausknecht hat gesagt: es sei kein ketzerische Predigt, die Tumpredigt sey ketzerisch. Als nun ein wort das ander erregt und Malvenda erzürnet, hat er zum rapier gegriffen; aber der knecht sein nit gewartet, hat im mit eim leuchter auf die brust geworfen, daß er zu boden gefallen und sich davon gemacht. Dieser ist meines Erachtens der beste disputator fur diese gesellen. Ways auf dismal mer nit anzuzeigen. Laßt Euch mein Haus befolen sein. Und grußet mir die Herren alle, sonderlich unseren guten Nachbaurn den Bernbecken, den laßt solches lesen. und behalt diese und andere folgende Brief bei einander,

Datum Regensburg an des Herrn Faßnacht 1546. V.D.

Johans(?) lest euch alle grüßen. K. Schornbaum.

Neuerscheinungen.

In seiner Abhandlung „Die weltgeschichtliche Bedeutung der Wittenberger Reformation“ bekämpft O. Scheel nachdrücklich das Zerrbild, das, wie sich besonders im Jubiläumsjahre 1917 gezeigt hat, der der Kriegspsychose verfallene westeuropäische Protestantismus aus der deutschen Reformation als dem „Vorläufer des Potsdamer Militaris- mus“ gemacht hat, wogegen als der eigentliche Reformator Calvin gefeiert wird, Diesen Verirrungen gegenüber zeigt Scheel, daß die Führer der westeuropäischen Reformation mit Luther eng verbunden sind, der der Schöpfer und Träger der Reformation bleibt. Letztere aber kann nicht als eine Teilerscheinang des Mittelalters begriffen werden, sondern führte, indem sie das geistliche Leben entrechtete d. h. vom Recht befreite, und das Recht entgeistlichte, d. i. der Herr- schaft des göttlichen Rechts ein Ende machte, eine völlig neue Welt herauf und zwar eben jene Welt, in der wir leben. Den Grund, auf dem sich die neue Zeit aufbauen konnte, hat Luther gelegt. Übrigens läßt Scheel auch Calvin volle Gerechtigkeit widerfahren, er bedauert auch nicht, daß das Luthertum sich im 19. Jahrhundert mehr und mehr „calvinisiert“ hat, eine Entwicklung, die in dem gegenwärtigen Neuaufbau der deutschen Landeskirchen als Synodalkirchen ihren Ab- schluß findet, und begrüßt es mit Holl als ein Glück, daß wir in Deutschland reformierte Gebiete neben lutherischen haben. Festgabe z. 70, Geburtstag von A. von Harnack, S. 362—388. Tübingen, Mohr 1921.

Mit Calvin im besonderen beschäftigt sich Hans von Schubert. Er schildert den großen Genfer Reformator als den Meister der pro- testantischen Religionspolitik, der beides besaß: die weltweiten Ziele und den Sinn für Form, Ordnung und Zucht, einen Mann von höchsten organisatorischen, politischen Fähigkeiten, der über die volle Einsicht

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in das innere Wesen der Sache gebot und über den tödlichen Ernst, sie in Reinheit durchzuführen. Die politischen Nachwirkungen seines vom Verf. mit Meisterhand umrissenen Lebensganges erstreckten sich über die Jahrhunderte: durch Calvin ward die von der politischen nicht zu trennende Religionsfrage aus einer deutschen zu einer europäischen; der politische Calvinismus aber stellte sich in den Zeiten der Gegen- reformation rettend und schützend vor den deutschen Herd der Re- formation, und fand endlich, als er im 17. Jahrhunderte hier versagte und auch Calvins eigenstes Werk, der französische Calvinismus, zu- sammenbrach, in der ruhmvollen holländisch-englischen Geschichte in mannichfacher Mischung und Abwandlung seine Fortsetzung bis in die moderne Kulturwelt hinein. Überhaupt hat Calvin dem neuen Ver- hältnis von Kirche und Staat, von Religion und Politik den Weg ge- bahnt: der Glaube frei im Staat, das Gewissen des einzelnen auf sich allein gestellt und somit auch der Staat den Dingen des Glaubens gegen- über frei, die Kirche aber dem Staate die willigsten Dienste leistend, indem sie die Pflege der sittlichen Werte im breiten Umkreis der sozialen Pflichten fruchtbar macht. In „Meister der Politik“ S. 467—498 (Sonderdruck). Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin 1922.

P. Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. Bio- graphische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte. Herausgeg. mit Unterstützung der Hist. Komm. f. den Volksstaat Hessen, der Notgemeinschaft der deutschen Wissensch. und der Schles. Ges. z. Förder. der ev.-theol. Wissenschaft.

Das Buch bildet, wie auch der Untertitel andeutet, kein einheit- liches Ganzes, sondern setzt sich aus verschiedenen kleineren und größeren Untersuchungen zusammen, die auch für sich bestehen könnten. Zuerst zeigt K. auf Grund der Veröffentlichung der ältesten Reichs- registraturbücher Karls V., wie durch das Mittel der primariae preces der Kaiser über einen reichen Schatz von Gnade und Gunst verfügen und dadurch die Haltung zahlreicher Personen (selbst auch in der Glaubensfrage) beeinflussen konnte. Ein zweiter Abschnitt handelt von den Ausschüssen des Reichstages. Daran schließen sich, vielleicht der ertragreichste Teil des Buches, Untersuchungen über die papistische Aktionspartei unter den Reichsfürsten und über die Mitarbeiter Aleanders am Wormser Edikt im deutschen Hofrat und bei den übrigen Mit- gliedern der alten kaiserlichen, wie in der burgundisch-spanischen Regierung; es ergibt sich, daß in der Umgebung des Kaisers für eine kirchliche Vermittlungspartei kein Raum war. Nun folgen 4 mehr oder minder miteinander zusammenhängende Abschnitte über Luther in Worms (Vorgeschichte der Berufung; letzter Versuch zur Aus- schaltung des Reichs durch Beeinflussung Kurfürst Friedrichs; die Verhandlungen über Luther; Luther vor Kaiser und Reich). Hier wandeln wir in der Hauptsache auf bekannten, nicht am wenigsten von Kalkoff selbst uns erschlossenen Pfaden; doch sucht letzterer be- sonders in den reichhaltigen Anmerkungen, seine Auffassung noch zu ver-

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tiefen oder ihr neue Stützen hinzuzuführen. Der 8. Hauptabschnitt erhärtet gegen N. Paulus die Verfassungswidrigkeit des Wormser Edikts und legt die Zusammenhänge zwischen dem Zustandekommen dieses erschlichenen Reichsgesetzes und den Festsetzungen des Reichstags über Romzugshilfe und Reichsreform dar. Endlich greift der letzte Abschnitt auf Friedrich den Weisen zurück, um dessen aus tiefer Überzeugung hervorgehendeFürsorge für das Gelingen des Reformations- werks nochmals hervorzuheben. Den Band schmücken Bilder des Reformators und seines Hauptgegners von 1521, Hieronymus Aleanders. München und Berlin, R. Oldenbourg 1922. VII, 436 S. M. 85.—, geb. M. 105.—.

Karl Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchenge- schichte. Bd. I Luther (Tübingen, Mohr 1921, 458 S. M. 96.—, geb. 114.—). Man muß Holl zu dem Entschluß, seine im Laufe der letzten 10—12 Jahre entstandenen und in verschiedenen Zeit- und Gelegenheitsschriften veröffentlichten Aufsätze über Luther an einer Stelle zu vereinigen, lebhaft beglückwünschen. Erst dadurch ist diesen gehaltvollen Darbietungen gleichsam die Dauer verbürgt. Und wenn je, bedarf, lehrt uns Holl, die Gegenwart Luthers, um der Verwirrung der Gewissen zu steuern und angesichts des sichtlich im Wachsen begriffenen, aber von der Gefahr, sich in Aberglaube und Träumerei zu verlieren, bedrohten Sinnes für Religion eine Gesundung herbeizuführen. "Die einzelnen Aufsätze behandeln die Fragen: Was verstand L. unter Religion?; die Rechtfertigungslehre in L.s Vor- lesung über den Rómerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage des HeilsgewiGheit; der Neubau der Sittlichkeit; die Entstehung von L.s Kirchenbegriff; L. und das landesherrliche Kirchenregiment; L.'s Urteile über sich selbst; die Kulturbedeutung der Reformation; L.'s Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst. Die Aufnahme der beiden letzten Arbeiten in die Sammlung ist um so wertvoller, als sie bisher nur als Vortráge mündliche Verbreitung gefunden haben. Die beigegebenen reichhaltigen Anmerkungen geben teils die Beleg- stellen, teils dienen sie der kritischen Auseinandersetzung des Verf.

mit andern Forschern. P. Wernle, Melanchthon und Schleiermacher. Zwei dog-

matische Jubilüen, gibt einen am 10. Oktober 1921 in Baden vor dem schweizerischen Göttinger Kränzchen gehaltenen Vortrag wieder. Hat von den beiden Glaubenshelden jeder seine Stärke da, wo er sich vom andern unterscheidet Mel. im engen Anschlus an das Bibelwort und in der Absage an die Philosophie, Schl. in der Freiheit von allem Biblizismus und der Harmonie von Glauben und Denken so predigen sie doch beide eine gegenwärtige Erlösung, ein neues Leben in Frieden und Freude, festem inneren Halt und sittlicher Kraft, das sich scharf abhebt vom Leben unter der Sünde in der Unseligkeit und das wir alle der Wohltat Christi verdanken. Samml. gemeinverst. Vorträge u. Schriften aus d. Gebiet der Theol. u. Religionsgesch. 98. Tübingen, Mohr 1921. 54 S. M. 9.—.

79 15%

.Zu der aus dem Mittelalter überkommenen, bis heute fast lücken- los erhaltenen Bibliothek der protestantischen Stadtkirche zu Schwa- bach gibt H. Claus, der Verf. der Reformationsgesch. der Stadt, in 1797 Nrr. ein sorgfältig gearbeitetes Verzeichnis (Die Schwabacher- Kirchenbibliothek). Die Bibliothek zerfällt in Hss. als ältesten. Teil, Wiegendrucke und Drucke nach 1500, unter denen die des Zeit- alters der Reformation (seit 1518) hervorragen. Eine Einführung, die: u. a. von der Geschichte der Bibliothek handelt, Einzelheiten aus den ältesten Hss. beibringt und die Drucker und Druckorte des 15. u. 16, Jahrh. verzeichnet, gehtvorauf; den Schluß machen Sach-, geographisches und Personenregister. München, Müller & Fröhlich 1921. 117 S. M. 18.—.

Jos. Ehret, Das Jesuitentheater zu Freiburg in der Schweiz I. Die äußere Gesch. der Herbstspiele von 1580 bis 1700, mit einer Übersicht über das Schweizerische Jesuitentheater (Freiburg i, Br. Herder 1921. XV, 259 S. mit 7 Tafeln und 2 Karten M. 50.—) arbeitet auf einem fast noch unbeackerten Felde und kommt z. T.. über Materialsammlung nicht wesentlich hinaus; gleichwohl ist die: Arbeit als Beitrag zur Geschichte des Jesuitismus in der Schweiz. sowie zur Literatur- u. Kulturgeschichte willkommen zu heißen.

Zeitschriftenschau. (Fortsetzung von Heft 73).

Landschaftliches. Aus den Bil. f. Württemb. KG, NF 25 (1921) Heft 3/4, der Festschrift zu unseres eifrigen Mitarbeiters D. Gustav‘ Bosserts 70. Geburtstage, erwähnen wir die Beiträge von Duncker, . Die kirchlichen Zustände Heilbronns vor der Ref. (S. 111—128); O. Lenze, Isnyer Altdrucke (= Verz. der Drucke 1501—1517 der Bibl. der ev. Nikolauskirche in I.) S. 128—173; Rentschler, Zur Frage der Schwarzwaldzuflucht des Joh. Brenz (S. 173—181); M. von Rauch,. Theologen und Ketzer in der Beleuchtung eines luth. Gelehrten (des. Heilbronner Syndikus Stefan Feierabend + 1574), S. 181—187; v. Kolb, Die alte Konsistorialbibl. (S. 187— 194).

In der Sonntagsbeilage zum Schwab. Merkur Nr. 160 (Abendbl. 9. April 1921) behandelt G. Bossert ,Die Schwenckfelder in Cann- stadt und ihre Freunde“. Die Lehre Schw.'s in C. hat besonders durch die Predigten Burkhardt Schillings im benachbarten Stetten Fuß ge- faBt; den geistigen Mittelpunkt bildete der Buchhändler Andreas Neff,. der auch in schweren Prüfungen für seinen Glauben einstand.

Eine lebendig geschriebene, kurze Geschichte der Reformation der Stadt Straßburg i. E. bis 1536 gibt R. Reuß im Bull. de la Soc., de l'hist. du prot. francais Bd. 66, 232—261; 67, 249—280; 68 257—275; am Schluß eine Bibliographie.

In Z. d. Ges. f. Befórder. der Geschk. von Freiburg Bd. 36 S. 58—67 stellt E. Krebs fest, daß das Gutachten, das die Universität Freiburg am 12, Oktober 1524 dem Erzh. Ferdinand über Luthers Lehre erstattete, seinem Hauptteil nach aus der päpstlichen Bann--

160 80

bulle und der Pariser Universitätszensur vom Mai 1520 abgeschrieben dst, natürlich ohne Quellenangabe.

In ZKG 39 (= NF Bd. 2) S. 1—44 behandelt P. Kalkoff „die Vollziehung der Bulle Exsurge insonderheit im Bistum Würzburg“.

"Besonders beachtenswert erscheint der Hinweis, wie das erdrückende Übergewicht des Adels in den Einrichtungen der Kirche, die zu einer Versorgungsanstalt für den jüngeren Nachwuchs dieses Standes herab- ‚gesunken war, sich hernach als stärkste Säule der Gegenreformation . und damit als eine der vornehmsten Ursachen der konfessionellen, dann territorialer Zersplitterung und schlieBlich der politisehen Ohn- macht Deutschlands erwiesen hat. |

Über die A nsbacher Synode 1556 handelt aktenmaBig K. Schorn- baum in BBK 27,1 S, 1-11; 2 S. 33—43; 3 S. 106—118 und 4 S. 151—166. l

In Monatsh. f. Rhein. KG 15, 1—3 S. 3—27 betrachtet J. Has- hagen die Bundesgenossen, die an geistlichen und weltlichen Fürsten, an Weltgeistlichen, Orden und Laien die jesuitische Gegenref. in den Rheinlanden gefunden hat, sowie deren Vorläufer.

O. Clemen weist einen Fabian Kayn als einen der frühesten Evangelischen unter den Meißner Domherren nach und gibt den In- halt eines reformationsgeschichtlichen Sammelbandes der Leipziger UB (Kirch.-Gesch. 1037 1) an: NASG 42 8. 259—261.

Einen von J. K. Seidemann aus dem Orig. der Landesbibl. in Dresden mangelhaft veröffentlichten Brief des Zwickauer Franziskaner- guardians Martin Baumgart an 2 Ordensbriider vom Jahre 1522 über seine Streitigkeiten mit Nikolaus Hausmann und dessen Anhang in «der Stadt Zwiekau druckt G. Sommerfeldt in Franziskan, Studien VIII, 1 S. 80—84 mit Erläuterungen erneut ab.

Eine Untersuchung über die Sákularisation des Klosters Coelleda im Lichte der Frage, ob seine Güter „bestimmungsgemäß“ verwandt "worden sind, führt L, Naumann zu dem Ergebnis, daß man im ganzen Reformationsjahrhundert an der bestimmungsmäßigen Verwendung des alten Klosterguts festgehalten, spáter freilich sich von dieser Grund- lage mehr und mehr entfernt hat (woraus Vf, Nutzanwendungen für -die Gegenwart zu gewinnen bemüht ist): ZVKG Prov. Sachsen 18, 1—20.

Im Correspondenzbl. des V. f. Gesch. d. evangel. Kirche Schlesiens Bd. 17, 1 stellt S. 51—63 Söhnel die ersten ev. Geist- lichen von Wohlau fest und behandelt S, 64—67 die kirchlichen Ver- 'hältnisse in Raudten 1519—1542. Ebendaselbst S. 68—102 bietet "Th. Wotschke aus dem Dresdener HStA eine Anzahl Urkunden zur ‚schles. Reformationsgesch., die sich vornehmlich auf den evangelischen Augustinerabt Paul Lemberg, einen der ersten Anhünger der Ref, in Schlesien beziehen. Anderes betrifft Glogau, das Kloster Trebnitz, die Stadt Freistadt usw.

Druck von C. Schulze und Co., G. m. b. H., Grüfenhainichen.

PERIODICAL Room, a ae | GENERAL. EIBRAR Mr” un QE MICH.“ |

im FÜR REPORMIATIONSGESCHICHTE |

-| TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.

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Im. Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte . herausgegeben von B

D. Walter Friedensburg..

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Nr 75/76. | : +. XIX. Jahrgang. Heft 3/4. :

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| Die brandenburgisch-nürnbergische Norma doctrinae 1573 von Karl Schornbaum.

Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a.M.

im Zeitalter der Reformation von Karl Bauer.

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Mitteilungen Zeitschriftenschau.

Leipzig 1922 ‚Verlag von M. Heinsius aur d D Eger & Sievers.

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Archiv fiir Reformationsgeschichte

Texte und Untersuchungen

In Verbindung mit dem Verein fiir Reformationsgeschichte

herausgegeben von

D. Walter Friedensburg.

„Archiv für Reformationsgeschiehte“ erscheint in jährlich vier Heften von etwa ' Es bringt in streng wissenschaftlicher Weise und dem Stande der

Das 5 Druckbogen.

modernen Editionstechnik entsprechend unveröffentlichtes Quellenmaterial, dem im all- gemeinen auch solche Texte gleichgeachtet werden, die lediglich in unzulänglichen oder schwer erreichbaren, insbesondere etwa nur in zeitgenössischen Drucken vorliegen. Ferner kommen auch kritische Untersuchungen, zumal solche, die der Erläuterung von Quellen- material dienen, zur Veröffentlichung, und endlich wird darauf Bedacht genommen, neue Erscheinungen auf diesem Gebiet, namentlich Zeitschriftenartikel, zu verzeichnen, sowie. kleinere Mitteilungen Notizen über Funde und einzelne Beobachtungen zu bringen, die für de Forscher oder den Freund der Geschichte des Reformationszeitalters von Interesse sein mögen. {

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2.

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II. ó..

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II, Jahrgang 1905/06 (Heft 9—12).

12 M. P. Kalkoff, Die Vermittelungspolitik des Erasmus und sein Anteil an den Flugschriften der ersten Re- formationszeit. P. Tschaokert, Antonius Corvinus’ ungedruckter Bericht vom Kolloquium zu Regens- burg 1541. (100 S.) ' 440 M. F. Roth. Aus dem Briefwechsel Gereon Sailers mit den Augsburger Bürgermeistern Georg Herwart und Limpricht Hofer (April bis Juni 1544). G. Mentz, Zur Geschichte der Packschen Hándel. O. Clemen, Ein Brief von Johannes Bernhardi aus Feldkirch, (96 S.) 4,20 M. G. Mentz, Die Briefe G. Spalatins an V. Warbeck, nebst ergänzenden Aktenstücken. O. Albrecht, Zur Bibiliographie und Textkritik des kleinen Luthe- rischen Katechismus. P. Kalkoff, Das „erste Pla- kat,, Karls V. gegen die Evangelischen i in den Nieder- landen. (102 S.) 4,60 M. F. Roth, Zur Kirchengüterfrage in der Zeit von 1638 bis 1640. F. Koldewey, Eine deutsche Pre- digt des Humanisten Johannes Caselius. O. Cle- men, Der Dialogus bilinguium ac trilinguium. N. Mul i er, Zur Bigamie des Landgrafen Philipp von Hessen. W. Friedensburg, Giovanni Morone und der Brief Sadolets an Melanchthon vom 17. Juni 1537. P. Kalkoif, Zu den römischen, Verhand- lungen über des Bestätigung Erzbischof Albrechts von Mainz i. J. 1614. A. Hasenclever, Zur Ge- schichte Ottheinrichs von Pialz-Neuburg (1544). (ILI, 108 S.) 4,80 M.

Jahrgang 1904/05 (Heft 5—8). 12 M.

E. Schafer, Die älteste Instruktionen-Sammlung der spanischen Inguisition. I. P. Tschackert,

Neue Untersuchungen über Augustana- Handschrif- ten, O. Clemen, Die Lutherisch Strebkatz. (108 S.) 4,60 M. E.Schäfer, Die älteste Instruktion en-Sammlung der spanischen Inquisition. U (Schluß). Q. Clemen, Zur Einführung der Reformation in Weimar. M. Wehrmann, Vom Vorabend desSchmalkaldischen Krieges. H. U im ann, Analekten zur Geschichte Leos X. u. Clemens VIL K. Wendel, Hine ver- gessence Schrift Luthers? (100 S.) 4,40 M. Q. Albrecht, Zur Bibliogrephie und Textkritik des kleinen Lutherischen Katechismus, Il. F. Roth,

Zur Geschichte des Reichstags zu Regensburg im Jahre 1641. I. (116 S.) 6,10 M,

V. Schultze, Waldeckisch» Visitationsberichte von 1550, 1558, 1563, 1665. K. Knoke, Ein Bild vom kirchlichen Leben Göttingens a. d. J. 1565, O. Clemen. Invictas Martini laudes intonent Ohri- stiani, G. Berbig, Ein Brief des Ritters Hans Lantschad zu Steinach an Kurfürst Friederich den Weisen 1620. W. Friedensburg, Zwei Briefe des Petrus Canisius..1545 u.1547. (III, 84 S.) 3,75 M.

12 M.

‘¢ P. Drews, Der Bericht des Mykonius tiber die Visi-

tation des Amtes Tenneberg im März 1626. F. Roth, Zur Geschichte des Reichstags zu Regens-

Jahrgang I—XIX 200 Mark. I, jum 1903/04. (Heft 1—4).

10.

11.

| burg im Jahre 1541, II. P. Kalkoff, Römische! Urteile über Luther und Erasmus im Jahre 1521. O;

Clemen, Bugenhagens Trauformulare.(104 S. )4 ,26 M., i Th. Wotschke, Stanislaus Lutomirski ' ein Bei-' trag zur polnischen 'Reformationsgeschichte O. Cle. men, Beiträge zur sächsischen Reformationsge-| schichte I-IV O. Heinemann. Die Hume stedter Klosterordnung von 1513. (104 S.) 4,56 Mi

O. Albrecht, Zur Bibliographie und Meum des Kleinen Lutherischen Katechismus (Schluß). G.

Loesche, Zur Gegsoretormauon im Salzkammer- gut. (112 S.) 4,90 M.

12. R. Meißner, „Ohne Hörner und Zähne,“ eine

IV. Jahrgang 1906/07 (Heft 13—16). 18,

Untersuchung. G.Berbig, Die erste kursächsischd Visitation im Ortsland Franken. I. F. Koch,

Fünf Briefe des Protessors der Theologie Franziscus Stancarus aus den Jahren 1551, 1652. und 16683, (III, 94 8.) ; 4,20 M.

12- M.

A. Goetze, Martin Butzers Erstlingsschrift, F. Roth, Zur Geschichte des Reichstags zu Regens- burg im Jahre 1541 III. (116 S.) 5,25 M.

14 Th. Kolde, Der Reichsherold Caspar Sturm und

seine literarische Tätigkeit. O. Clemen, Eine Ab- handlung Caspar Ammans. K. A. H. Bur 'Ehard t,

Zum ungedruckten Briefwechsel der Reformatoren, besonders Luthers. (104 S.) 4,70 M.

15. F. Roth Zur Geschichte des Reichstags zu Regens-

16.

v.

17;

18.

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20.

` burg im Jahre 1041. IV. O. Albrecht, Hand- schriftliches zu Luthers Auslegung des Hohenliedes. (108 S) 4,90 M. Th. Wotschke, König Sigismund August von -Polen und seine evangelischen Hofiprediger. F. Bahlow, Wer ist Nicolaus Deoius? G. Berbig, . Die erste kursüchsische Visitation im Ortsland Fran- ken. If, (III, 92 S.) 3,65 M,

Jahrgang 1908 (Heft 17—20). 12 M.

F. Roth, Der offizielle Bericht der von den Evan- gelischen ‘nach Regensburg Verordneten 1546. I. K, Sehottenloher, Johann Fabri in Rom nach einem Berichte Jakob Zieglers. A. Goetze, Eras- mus Albers Anfänge G. Buchwald, Ergänzungen zur Biographie des M. Stephan Reich O. Clemen, Ein Spottgedicht aus Speyer v. 1524. (112 S.) 5,10 M.

A. Uckeley, Johann Bugenhagens Gottesdienst- ordnung für die Klöster und Stifte in Pommern 1531

(Pia ordinatio oaeremoniarum). Fr. Koch, Herzo

Albrechts von Preußen Konfession vom 13, J ‘ali 1664. | W.Stolze, Die Supplemente zu Magister Loren: Fries’ “Geschichte des Bauernkrieges in Ostíranken,

(104 S.) 4,70 M.

K. Pallas, Briefe und Akten zur Visitationsreist des Bischofs Johannes VII, von Meißen im Kur- fürstentum Sachsen 1522. (120 S.) 5,25 M, E. Kroker, Rörers Handschriftenbände und Lu- thers Tischreden. F. Roth, Der offizielle Bericht der von den Evangelischen nach Regensburg Ver- ordneten 1548. II. G. Berbig, Die erste kursichs. Visitation im Ortsland Franken. ILI. (III, un nn 90-M

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Die brandenburgisch-nürnbergische Norma doctrinae 1573.

Von Karl Sehornbaum.

I.

Mit dem Tage von Zerbst hatten die Bemühungen Jakob Andreas, zwischen den Theologen Niederdeutsch- lands Einigkeit durch Annahme einer von ihm entworfenen Formel über die fünf wichtigsten Streitpunkte zu stiften, einen vorläufigen Abschluß gefunden. Allerdings ent- sprach dieser nicht ganz seinen Erwartungen. Dennoch ließ er sich nicht irre machen; er wandte sich nvn nach Oberdeutschland. Am 19. Oktober 1570 überreicht. er dem Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg sein vom Herzog Julius von Braunschweig ausgestelltes Be- glaubigungsschreiben!). In Ansbach war man über seine Mission nicht im Unklaren. Gemäß der beständigen Fühlungnahme der Höfe zu Ansbach und Stuttgart in allen wichtigen politischen und theologischen Punkten hatte Herzog Ludwig von Württemberg seinem Onkel, dem Markgrafen, gelegentlich der Hochzeit des Pfalz-

!) Julius von Braunschweig an Georg Friedrich d. d. Gan- dersheim 14. 9. 1570. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Reli- gionsakta 25, 32. Wann die Reise nach Ansbach beschlossen wurde, ob vielleicht Georg Friedrich ihn zur Beilegung der Kargschen Streitigkeiten vorher schon berief, läßt sich nicht inehr sagen. Am 29. 9. 1570 schreibt Andreä an J. Marbach: Recta nunc domum Domino volente ibo, ut tandem meos videam. J. Fecht, historiae ecclesiasticae a. n. Chr. XVI. supplementum. Durlaci 1684, S. 327.

Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 3/4. 11

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grafen Johann Kasimir mit der sächsischen Prinzessin Anna zu Heidelberg Kunde von dem Tage zu Zerbst und den Berichten Andreäs gegeben!). Da man in Ans- bach von jeher darauf sein Augenmerk gerichtet hatte, unter den Protestanten möglichste Einigkeit zu erhalten, war man Andreäs Reisen mit Interesse gefolgt. Er konnte mit gutem Grund hoffen, hier volles Verständnis zu finden. Allerdings wartete seiner noch eine andere Auf- gabe. Die ,Kargschen Händel‘ näherten sich ihrem Ende. Nachdem der Ansbacher Generalsuperintendent durch Besprechungen in Wittenberg sich von seiner Mei- nung über die oboedientia activa und passiva Christi hatte abbringen lassen, Kurfürst Joachim und Markgraf Johann dem Antrag der Regierung, ihn wieder in sein Amt einzusetzen, zugestimmt hatten?), sollte nach dem Willen des Markgrafen in feierlicher Weise seine Rehabi-

1) Am 15. 6. 1570 bat Ludwig um Rücksendung der in Heidelberg übergebenen Schriften über den Tag von Zerbst. d. d. Stuttgart. ARA. 25, 29. Es handelte sich wohl um den Ab- schied des Zerbster Tages d. d. 10. 5. 1570. (ARA. 25, 15 u. 62) und den Bericht Andreäs vom 27. 5. 1570, worin er nicht nur höchst hoffnungsvoll über den Zerbster Tag berichtet, sondern auch den infolge des Leipziger Promotionsaktes neu auflebenden Streit möglichst zu beschönigen suchte. (ARA. 25, 13, 59. d.d. Wolfenbüttel.) Die den Anlaß bietenden Propositiones com- plectentes summam praecipuorum capitum doctrinae christianae sonantis dei beneficio in academia et ecclesia Vitebergensi. Witteb. 1570 in den ARA. 29, 757 (vgl. H. Heppe, Geschichte des deut- schen Protestantismus in den Jahren 1555—81. Marburg 1853. II, 312]. Am 22. 6. 1570 sandte Georg Friedrich die Originale retour. ARA. 25, 31. Ludwig war vor der Reise nach Heidelberg in Ansbach gewesen. D.,Osiander in comitatu Illustr. principis, qui per Onoltzpachium transiens ad nuptias Heidelbergenses proficiscitur. J. Brenz und W. Bidembach an J. Marbach 31. 5. 1570. J. Fecht, Historiae ecclesiasticae saeculi a. n. Chr. XVI supplementum Durlaci 1684 S. 320.

2) Georg Friedrich an Joachim, August und Johann. s. d. et. 1. ARA. 30, 271. Zustimmende Antworten Joachims d. d. Cóln. Mo. n. Egidi (4. 9.) 1570. (pr. 17. 9. 1570] u. Johanns d. d. Küstrin 8. 10. 1570 (pr. 23. 10) ARA. 30, 283 u. 279. 281. August riet ihm, Karg eine andere Superintendentur zu geben. d. d. Sitzenroda 6. 9. 1570. ARA. 30, 276.

n 163

litation erfolgen. Andreä war dabei eine besondere Rolle zugedacht. Er unterzog sich gewiß gern dieser Aufgabe. Nicht nur, weil er eine besondere Neigung zu allen der- artigen Veranstaltungen hatte, sondern auch, weil er er- kannte, wie er dadurch das Gelingen seiner Mission vor allem befórdern konnte.

Genauer sind wir nun über die einschlägigen Verhand- lungen nicht unterrichtet, aber eines ergibt sich mit aller Klarheit: Andreà gewann bald das volle Vertrauen des Markgrafen und seiner Ráte.

Am 31. Oktober fanden nun die abschlieBenden Verhandlungen mit Karg statt. In Gegenwart des Mark- grafen und etlicher Theologen besprach Andre& mit ihm noch einmal weitlàufig den ganzen Handel und bewog ihn, eine von ihm verfaßte Erklärung zu unterschreiben. Dann wurde die Versammlung durch die sämtlichen Dekane und je zwei Kapitelssenioren ergänzt. Nach eingehender Darlegung des ganzen Sachverhalts erklärten diese sich bereit, das von Andreä entworfene Schriftstück sofort zu unterzeichnen; da sie ‚dasselbe für christlich und recht, den prophetischen und apostolischen Schriften, den drei Symbolen, der Augsburger Konfession, der Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln und der Nürn- bergisch-Brandenburgischen Kirchenordnung gemäß” er- kannten. Damit verbanden sie aber das dringende Er- suchen, ,,Karg nicht länger zu suspendieren, sondern zur Verrichtung seines Amtes in der Pfarrei und Super- intendentur wieder kommen zu lassen, den sie für ihren lieben Herrn und Bruder erkennen und allen gebührlichen Gehorsam als ihrem vorgesetzten Superintendenten leisten und erzeigen wollten.“ Der Markgraf entsprach dieser Bitte. Er selbst nahm mit allen Räten und Dekanen am folgenden Tage an der Wiedereinsetzung Kargs teil. Andreä vollzog sie in der St. Johanniskirche, wobei er nicht unterließ eine genaue Darstellung des Sachverhalts zu geben!).

1) siehe die Instruktion für Gg. von Wambach und Johann Schnabel für die Verhandlungen mit den Geistlichen auf dem Gebirg. ARA. 30, 297f. Formula concordise d. d. Onolzbach

11*

164 4

Nach der Abwicklung der ersten, dem Lande vor allem am Herzen liegenden Angelegenheit, kam nun Andreä wohl noch am 31. Oktober auf seinen eigentlichen Zweck zu sprechen. „Die Katholiken könnten sich nicht genug tun, die Protestanten aufs ‚schmählichste und lästerlichste‘ zu verrufen, als sollte kein evangelischer Fürst mit dem andern in der Lehre einig sein. Etliche Fürsten hätten dagegen feststellen lassen können, daß in Sachsen, Bran- denburg, Braunschweig, Hessen, Pommern, Mecklenburg, Holstein, Lüneburg, Grubenhagen, Anhalt, Henneberg, Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Rostock, Greifswald, Goslar, Magdeburg, Hildesheim und Hameln Fürsten und Theologen auch in den zwiespältigen Artikeln im Grund und Fundament der göttlichen Lehre mit den ober- deutschen besonders den schwäbischen Theologen einig seien. Deshalb hätten die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg auf den 7. Mai einen Konvent der nieder- sächsischen Theologen berufen; hier hätte man sich wider alle alte und neue falsche Lehren zu den Schriften des alten und neuen Testaments, den drei Symbolen und der Augsburger Konfession, wie sie 1530 Kaiser Karl V. übergeben wurde, bekannt. Damit aber Calvinianer und andere falsche Lehrer unter letzterer nicht ihre falsche Lehre treiben könnten, habe man sich dahin ge- einigt, in den fünf strittigen Punkten: Der Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott, guten Werken, freien Willen,

31. X. 1570. ARA. 30, 286ff. gedr. bei J. G. Wunderlich, de formulis concordiae in terris burggraviatus Norici ab ecclesiae doctoribus subnotatis. Baruthi 1783 S. 17ff. Befehl des Mark- grafen an Pfarrer und Superintendent Wolfg. Albinus in Uffen- heim, mit Senior und Kamerar Montag nach Sim. et. Iude (30. 10.) gegen Abend in Ansbach zu erscheinen d. d. Ansbach 26. 10. 1570. Dek. Uffenheim: Reformations-, Religions- und Kapitulsakte 1523— 1687 fol. 73. Lor. Kraußold, Geschichte der evangelischen Kirche im ehemaligen . Fürstentum Bayreuth. Erlangen 1860. S. 174. G. Wilke, Georg Karg. Scheinfeld 1904. S. 81f. J. Döl- linger, Die Reformation. Regensburg 1848. III, 572f. K. H. Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg 1811. III, 371. J. W. Rentsch, Der Heilge Jubelbronn, Bayreuth 1681 S. 34.

5 | © 165

Adiaphoris, Abendmahl sie nicht anders anzunehmen, denn wie sie in der Apologie erklärt und ausführlich mit Zeugnissen der heiligen Schrift erwiesen, in den Schmalkaldischen Artikeln wiederholt und im Katechis- mus Luthers auf das einfältigste für den gemeinen Mann und die einfältige Jugend begriffen sei.“ Er bat um Zu- stimmung der Vérsammlung. Sie erfolgte wohl bald. In Gegenwart des Fürsten erklärten die Theologen, den sächsischen und schwäbischen Theologen in bezug auf obige Erklärung hinsichtlich der strittigen Artikel voll- kommen beipflichten zu wollen).

Der Markgraf sowohl wie Andreä waren vollkommen befriedigt. Ersterer freute sich, Karg wieder an seinem alten Platze zu sehen. Es waren nicht nur Worte, wenn er von ihm schrieb: ‚ein alter, gelehrter, gottesfürchtiger, sehr erfahrener Mann, eines vortrefflichen judici in Händeln, auch eines ehrbaren und unsträflichen Wandels und Lebens, ,,jetziger Zeit, sonderlich dieweil er auch am Konsistorium Richter ist, wüßte man ihn mit einer solchen qualifizierten Person nicht zu ersetzen?)." Andrea dagegen hatte beim Markgrafen volles Interesse gefunden ; er weihte ihn sogar in seine weiteren Pläne ein, wie dab er nun in Speier selbst seine Sache betreiben wollte?). Nach dem Scheitern seiner Pläne in Norddeutschland faBte er neue Hoffnung und neue Entschlüsse ?).

1) s. die Instruktion für Gg. von Wambach u. Joh. Schnabel. ARA. 30, 297.

*) ARA. 30, 271.

3) Georg Friedrich an Herzogin Witwe Anna Maria von

Württemberg. d. d. Ansbach 4. 11. 1570. ARA. 29, 753. Gedr. Beilage 1.

4) Am 18. 3. 1571 schlugen die Räte Georg Friedrich vor, bei seiner Anwesenheit in Kulmbach durch Georg von Wambach und Mag. Joh. Schnabel den oberländischen Geistlichen von der am letzten Oktober zwischen den Kirchendienern getroffenen Concordia Kunde geben zu lassen (ARA. 34, 1). Nachdem der Markgraf zugestimmt hatte (d. d. Arnswalde 27. 3. 1571. pr. 4. 4. 71. ARA. 34, 3) ergingen die nótigen Weisungen. Schnabel wollte ablehnen wegen Krankheit; auch müsse er den Neubau seines Pfarrhauses beschleunigen wegen der dumpfen Zimmer

166 6

Noch fehlte die Erklarung der Pfarrer des Oberlandes. Ostern 1571 begab sich Georg von Wambach mit dem Kitzinger Pfarrer Mag. Joh. Schnabel!) nach Kulmbach. Am 18. April 1571 erschienen M. Joh. Streitberger, General- superintendent des Oberlandes, Justus Bloch, Superinten- dent von Bayreuth, M. Andreas Pancratius, Superintendent von Hof, M. Frid. Stretius, Superintendent von Wun- siedel, Johann Saher, Pfarrer in Himmelkron, M. Joh. Stumpf, Diakon in Hof, Mag. Wolfgang Dobenecker, Pfarrer in Rehau, Konr. Baurschmidt, Pfarrer von Geseeß, Balthasar Gaißler, Kaplan auf der Plassenburg, Mag. Arnold Hein, Pfarrer von Selbiz, Georg Rhein, Diakon von Bayreuth, Georg Strobel, Pfarrer in Röslau, Joh. Venatorius, Pfarrer in Trebgast und Moses Pöhlmann, Pfarrer von Berg. Der erste Punkt der Vorlage betraf die Wiedereinsetzung Gg. Kargs. Der Sachverhalt wurde genau berichtet, auch die von Andreä verfaßte formula concordiae vorgelegt. Die Geistlichen drückten ihre Freude darüber aus, daß diese Kontroverse zu einem ‚günstigen Ende gekommen wäre. Ob sie aber der Formel unbedingt beistimmten, könnte zweifelhaft sein. ,,Dieweil auch die Herrn Legaten und Abgesandten die durch den ehr- würdigen und hochgelehrten Herrn Dr. Jacobum Andreae praepositum Tubingensem gestellte und durch die Theo- logen, Superintendenten und Dekane und Senioren im Fürstentum unterhalb des Gebirges bewilligte und unter- schriebene formulam concordiae ihnen übergeben, haben sie dieselbe mit besonderem Fleiß erwogen. Weil sie

(26. 3. 1571 ARA. 34, 30), aber die Regenten blieben auf ihrer Weisung bestehen. (d. d. 28. 3. 1571 ARA. 34, 32).

1) geboren 1530 in Kulmbach. 29. 10. 1549 in Wittenberg immatrikuliert. Bis 1567 in Amberg. 1570—73 in Kitzingen. Chr. Guil. Chr. Heerwagen, ad vitam Streitbergerianam aliquot documenta Culmbach 1774 S. 4. Fr. Lippert, Die Reformation in Kirche, Sitte und Schule der Oberpfalz, 1520—1620. Rothen- burg 1897 S. 97, 106, 109, 110—112. C. E. Forstemann, album academiae Vitebergensis. Leipzig 1841 M. J. M. Groß, Histo- risches Lexikon evangelischer Jubelpriester. Nurnberg 1727 S. 306. G. Buchwald, Geschichte der evangelischen Gemeinde zu Kitzingen. Leipzig 1898 S. 95.

T 167 auf gewisse testimonia und Hauptsprüche sehen müßten, hätten sie das einzige dictum Pauli: unius oboedientia sumus justi vorgenommen als ein Fundament dieser Disputation. Dieses hätten sie von ihren Lehrern immer so erklärt bekommen, daß zugleich der Gehorsam Christi, welchen er dem Gesetz geleistet und auch sein Tod und Leiden bei der Erklärung des Artikels De justificatione müsse zusammen genommen werden und als die Ursache unserer Gerechtigkeit vor Gott verstanden werden; eines ohne das andere könnte keine genugsame Genug- tuung oder Erlösung sein. So verstünden sie auch die Concordie. Darum ließen sie sich auch diese Einigkeit wohl gefallen. Der zweite Punkt befaßte sich mit den Bemühungen Andreas um die Einigung der Evangelischen. Der Markgraf ließ ersuchen, auch in dieser Angelegenheit den Theologen des Unterlandes sich anzuschließen! Das Oberland erklärte sich dazu bereit: ,,Die christliche Ver- gleichung aller und jeder Artikel in der christlichen Augs- burger Konfession belangend, sonderlich aber die fünf vornehmlich angezogenen Artikel als von der Gerechtig- keit des Glaubens vor Gott, von guten Werken, vom freien Willen, von den Mitteldingen, Abendmahl wollen wir den Herrn Gesandten nicht verhalten, daß vor der Zeit, da wir gehört, daß solche Vergleichung vorgenommen, wir uns derhalben zum hóchsten erfreut, auch Gott treu- lich angerufen, er wolle dazu Gnade verleihen. Dieweil wir aber nunmehr erfahren, daf solche christliche Ver- gleichung ins Werk gezogen, hóren wir solches nicht allein von Herzen gern mit schuldiger Dankbarkeit gegen Gott, sondern erklären hiermit gleichergestalt unsern consens, wie die wohlgedachten Herrn Gesandten anstatt des Markgrafen solche Erklärung von uns gefordert. Denn da wir aus der Herrn Theologen und Prädikanten, so diesem Werk beigewohnt, öffentlich in Druck ausgegange- nem gründlichem Bericht (wie der durch Dr. Jacobus Andreae an Tag geben!), den uns jetzt wohlgedachter Herr Legat und Abgesandter auch übergaben, ersehen

1) Heppe II, 334. R. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen. Leipzig 1866 S. 16ff.

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und die oberzählten fünf Artikel in der Vorrede kurz gefaßt, hernach aber in demselben Buch wiederholt und mit ihrer weiteren Erklärung ausführlich als litera, P. prima et secunda facie und sonst declariert befunden und vermerkt, daß in Vergleichung und Erklärung der- selben Artikel nichts zu reprehendieren, dieweil sie aus der A. C., gegen die wir sie gehalten, genommen und in derselben sowohl als in den schmalkaldischen Artikeln, in unserer Kirchenordnung und dem Katechismus Luthers gegründet, lassen wir uns dieselbige gefallen, wollen auch in Ruhe und Einigkeit bei solcher Erklärung bleiben, wünschen demnach, daß solche Vergleichung, wie es gemeint, möge dazu dienen, daß dadurch die erdichtete diffamationes unserer wahren Religion und die beschwer- lichen calumnien, durch welche die evangelischen Kirchen zu großer Unbilligkeit bis daher beschwert worden sind, den adversariis benommen und abgeschnitten werden!).*

1) Credenz für Georg von Wambach und Mag. Joh. Schnabel. d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34. 35, Instruktion d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34, 33 u. 30, 297ff. Weisungen der Rate an die Rate und den Hauptmannsverweser auf dem Gebirg d. d. 5. 4. 1571. ARA. 34, 36. Bericht des Wambach und Mag. Schnabel ARA. 30, 310ff. Ein dritter Punkt betraf den UnfleiB, die Vollerei und das argerliche Leben der Geistlichen. Nicht nur wurde das Konsistorium zu fleißiger Aufsıcht ermahnt, sondern auch die jährliche Vornahme von zwei Kirchenvisitationen angeordnet. Zuletzt wandten sich die Räte gegen das ärgerliche Holhippen, Schelten und Schenden der Privatpersonen auf den Kanzeln. Das solle unterbleiben. Zwar dürften falsche Lehren und öffentliche Sünden auf den Kanzeln gestraft werden, eber die Nennung von Namen sei zu unterlassen; auch dürfe auf niemand dermaßen mit Wortengestochen werden, daß jeder gleich merke, wer gemeint sei. Die Pfarrer sollten jeden mit falscher Lehre oder öffentlichem Laster Behafteten allein verhören, dann durch den Dekan vermahnen, und erst, wenn er nicht abließe, dem Konsistorium anzeigen. Die Geistlichen erklärten darauf: Von solchen, die sich so enormiter vergriffen, sei bei ihnen wenig zu merken; die Visitationen ließen sie sich gefallen; aber es handle sich um die Kosten und die nähere Instruktion; es gäbe keine Kapitel, Einkünfte seien solchen nicht zugewiesen, auch seien noch keine Senioren aufgestellt. Frühere Vorstellungen inbetreff der Vornahme von Visitationen wären ohne Bescheid geblieben. Ebenso machte sich auch Widerspruch gegen den letzten Punkt

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Wie schon im Unterland am 27. November 1570 wurde bald darauf auch den Oberländischen Superinten- denten die formula Concordiae als Lehrnorm übersendet mit der Weisung, allen Disputationen auf den Kanzeln entgegenzutreten. „Denn die disputationes auf die hoben Schulen und nicht in die Kirchen auf die Kanzel (allda allein, was bauet, gelehret, aber, was abbricht und ärgert, vermieden bleiben soll) gehörig, wie denn auch ohne das nichts so einfältig fürgebracht, das nicht etwan von etlichen in Mißverstand gezogen würdet, derwegen sie sich solchen allen und jeden gemäß erzeigen sollen; dann uns hinfüro einige Trennung und Spaltung, so der Augspurgischen Confession, deren Apologien, den Schmal- kaldischen Artikeln und unserer Kirchenordnung ent- gegen, zu gedulden, gar nicht gemeinet sein will, sondern wollen_ernstlich, daß unsere Geistliche in den Kirchen unsers Landes durchaus in solchem allen christlich, ein- hellig und friedlich leben, lehren und predigen!).“

Inzwischen war auch Andreä nicht untätig gewesen; er hatte der Württembergischen Regierung vorgeschlagen, den zu Speier versammelten evangelischen Fürsten von dem bisherigen Verlauf seiner Aktion Kunde zu geben, bei Gelegenheit auch den Kaiser in Kenntnis zu setzen, ja sogar mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz ins Benehmen zu treten, hatte aber keine Zustimmung

geltend. Irrtümer in der Lehre und Ärgernis im Leben müsse gestraft werden. Exalta vocem tuam sicut tubam, increpa argue oportune et importune. Öffentliche Sünder müßten öffentlich bestraft werden; dem heiligen Geist dürfe man das Maul nicht verbinden, sein Strafamt nicht aufheben. Doch erboten sie sich zu christlicher Bescheidenheit. ARA. 30, 297ff., 310ff. Holle, Alte Geschichte der Stadt Bayreuth. Bayreutb 1833 S. 124. Die weiter erfolgten Maßnahmen s. Lang III, 371f. Kraußold S. 162, 174. Siehe Kraußold 8. 162. Corpus constitutionum Brandenburgico Culmbacensium. Bayreuth 1746 I, 346f. 380. J. G. Wunderlich S. 7.

1) ARA. 30, 322, 325. gedr. Corpus Constitutionum Brandenburgico-Culmbacensium. Bayreuth 1746. I, 116ff. Dar

nach Uffenheim gegangene Exemplar s. Dek. Uffenheim l. vc. fol. 74. Vgl. KrauBold S. 174. Wunderlich S. 9.

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gefunden. Sie durchschaute die wirkliche Lage besser als er, sie wußten, alles würde nur dazu dienen, das bisher Erreichte ganz illusorisch zu machen. Richtig bemerkten die Räte, wie sein letzter Vorschlag nur dazu dienen könne, um eine Einigung mit den Weimarischen Theologen unmöglich zu machen. Man käme nur in den Verdacht des Zwinglianismus. Beim Kaiser könnte er sich nur lächerlich machen, wenn er keine anderen Erfolge auf- weisen könnte; ja Herzog Hans Wilhelm von Sachsen könnte nur Verdacht schöpfen, als habe man sich über ihn beschwert. Mit den evangelischen Ständen aber in Speier ins Benehmen zu treten, hätte gar keinen Wert. Persönlich seien nur Johann Wilhelm von Sachsen und Albrecht von Mecklenburg da, beide könnten sich aber um die Sache nicht annehmen; eine Aussicht auf Erfolg wäre nur dann, wenn die Kurfürsten selbst sich darum bemühen würden. Die Räte aber würden mit vollem Recht erklären, sie hätten in dieser Sache keine Instruktion. Andreä selbst könne keine Garantie für einen günstigen Fortgang bieten. Die Theologen zu Bremen und Witten- berg seien gegen ihn; über die Vereinigung der beiden Naturen in Christo dächten sie ganz anders; darum hätten sie auch seine Eintrachtsformel zu Zerbst nicht unterschrieben, sondern nur die drei Symbole, die A.K., die Apologie, Schmalkaldische Artikel und den Katechis- mus Luthers angenommen. Die Theologen zu Jena um- gekehrt beschuldigten ihn, die Irrtümer der Wittenberger sich zu eigen gemacht zu haben. Die Räte legten dem Propste nahe, überhaupt recht zurückhaltend mit seiner Meinung, daß die Einigkeit unter den Theologen herge- stellt sei, zu sein. Nachdem Nördlingen, Öttingen, Lindau und Ravensburg schon sich abseits hielten, würde vom Herzog Johann Wilhelm nichts besseres zu erwarten sein. Solange zwischen ihm und Kurfürst August keine Einig- keit herrsche, seien alle Bemühungen in dieser Sache um- sonst. Andreä sollte sich überhaupt möglichst zurück- halten; die Jenenser würfen ihm vor, er habe gar keinen Auftrag, sondern ‚laufe nur für sich selbst“. Herzog Ludwig könne aber wegen seiner Jugend die Sache nicht

1l 171 in die Hand nehmen; um so weniger kónne er ihn jetzt nach Speier senden, da bisher Wilhelm von Hessen und Julius von Braunschweig seine Auftraggeber gewesen © Seien).

Andreä sann infolgedessen darauf, wie er die Einig- keit unter den Theologen trotz aller Mißerfolge herbei- führen kónnte. Auf seine Formel über die fünf strittigen Punkte glaubte er nicht mehr zurückkommen zu dürfen; er hatte erkannt, daß dadurch die Kluft zwischen ihm und den Wittenbergern nur immer größer wurde. Dagegen griff er seinen zu Zerbst gemachten Vorschlag, die heilige Schrift als das Fundament aller Lehren zu bezeichnen und zur Erklürung derselben als die geeignetsten Schriften die drei Symbole, die Augsburger Konfession, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und den Katechismus Luthers zu betrachten, wieder auf. Er entwarf eine Er- klärung zur Unterzeichnung durch die Theologen: ,,nach- dem sich zu Zerbst meist niederdeutsche Theologen dahin geeinigt hätten, als das öffentliche Zeugnis ihrer Einig- keit und als norma doctrinae neben der heiligen Schrift und den drei Hauptsymbolen die Augsburgische Kon- fession, wie sie 1530 dem Kaiser Karl V. übergeben worden wäre, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und den Katechismus Luthers anzusehen, hätten andre Theologen in Oberdeutschland zur Beförderung göttlicher Einigkeit durch Annahme der gleichen Schriften ein Zeichen ihres consens in der reinen Lehr geben wollen. Er gab also noch nicht die Hoffnung auf Philippisten und Gnesio- lutheraner zu gewinnen; aber aus der Hervorhebung der Augustana Invariata läßt sich doch schon schließen, daß er es als sein Hauptziel ansah, mit letzteren vor allem einig zu werden. Nachdem es ihm nun gelungen war, die Württembergischen Theologen zur Unterzeichnung zu bewegen, wandte er seine Blicke auf Ulm, Augsburg, Basel, Straßburg; auch an der Gewinnung Brandenburgs

*) Bedenken der Geheimen- u. Kirchenräte in Stuttgart 22. 11. 1570: ARA. 25, 2. Georg Friedrich wurde davon in Kennt- nis gesetzt, nachdem er die Bitte Andreäs, nach Speier sich wenden zu dürfen, unterstützt hatte.

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lag ihm viel. Nicht nur Karg!), auch den einflußreichen Kammerrat Andreas Musmann?) ersuchte er besonders, seine Bitte vom 1. Marz 1571 zu unterstützen?) Durch brandenburgische Hilfe hoffte er dann auch Georg Ernst von Henneberg zu gewinnen.

Die Ansbacher Regierung ware anfünglich gewillt gewesen, dem Wunsche Andreas zu willfahren. Bereits war ein Zirkularschreiben an die Superintendenten, Dekane, Senioren und Kamerare unterhalb des Gebirgs entworfen, in dem sie zur Unterschrift aufgefordert, auch an den Generalsuperintendenten Joh. Streitberger in Kulmbach die Weisung ergangen, nicht nur selbst mit allen Kaplänen zu unterschreiben, sondern die Formel auch den Dekanen zuzusenden, damit sie sich mit den Ortskaplänen und nahegelegenen Pfarrern auch anschließen könnten®), da erhob Karg doch etliche Bedenken. An und für sich hatte er natürlich gegen die vorgeschlagenen Schriften nichts einzuwenden; auch stieß er sich nicht daran, wenn Calviner (am Rhein) und Flacianer (Thü- ringen) sich nicht bereit finden ließen zu unterzeichnen; aber er warf die Frage auf, ob denn eine Garantie geboten sei, daß alle andern evangelischen Stände unterschreiben würden; war ihm doch die ablehnende Haltung Kur- sachsens gegen alle Schritte nur zu bekannt; würde denn aber nicht nur größere Uneinigkeit die Folge sein ? Auch bat er von einer Unterzeichnung durch sämtliche Pfarrer absehen zu wollen; es genüge die Einhelligkeit durch die vornehmsten Theologen und Kirchendiener bezeugen zu lassen5). Daraufhin entschloß man sich mit

1) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 54. Gedruckt Beilage II. ?) d. d. 1. 3. 1571. ARA. 35, 38. 3) J. Andreä an -die Superintendenten, Pastoren und Diener der Kirche. d. d. Tübingen 1. 3. 1571. ARA. 35, 34. 34, 8. Ge- druckt bei J. Fecht S. 345 nr. 33.| Die Formel ARA. 35, 47. 34, 15. Gedruckt Beilage III, pr. 18. 3. 1571. Vgl. W. Preger, Matthias Flacius Illyrieus und seine Zeit. Erlangen 1861 II, 364.

*) d. d. Ansbach. Mo. u. Oculi (19. 3.) 1571. ARA. 34, 28 u. 35, 40.

5) Praesentiert 20. 3. 1571. ARA. 34, 24, 26. 35, 42. Gedruckt Beilage IV.

13 173

Sachsen und Brandenburg zuerst einmal ins Benehmen zu treten?).

Damit war auch dieser Versuch Andreas als gescheitert zu betrachten. Die Stimmung war gegen ihn in Sachsen immer erbitterter geworden. Das Gutachten, das Kurfiirst August dem Markgrafen übersandte, läßt das deutlich noch erkennen. Zunächst erhoben die sächsichen Theo- logen gegen die Behauptung Einspruch, als ob man im Grund und Fundament ganz einig sei. Sie verwiesen auf die Lehren des Flacius von der Erbsünde und von der Rechtfertigung sowie von dem Gesetz, die enthusiastischen und antinomistischen Lehren der Jenenser von der Buße; über die Rechtfertigung hätte Osiander schlimme Ge- danken ausgehen, von der ewigen Vorsehung Gottes Spangenberg einen ‚‚gotteslästerlichen Schwarm‘ drucken lassen. Von den neuen Arianern und Antitrinitariern wollten sie schweigen; aber nicht umgehen könnten sie die „schreckliche Disputation von der physica und realis communicatio idiomatum‘, die man ‚jetzt unter dem Titel und Schein der Majestät der menschlichen Natur in Christo zu beschönigen suche." Würden doch dadurch die Hauptpunkte im Bekenntnis: verbum caro factum est, etiam passus sub Pontio Pilato etc. verderbt. Die Ketzereien des Nestorius, Eutyches, der Monophysiten und Monotheleten wiirde wieder auf die Bahn gebracht. Und alle beriefen sich auf die vorgeschlagenen vier Schriften. Gegen wen sie sich damit wandten, war klar ; sie bekämpften die Ubiquitütslehre der Württemberger. Aber sie griffen Andreà auch offen an und warfen ihm Unredlichkeit vor. In Zerbst hätten sie ausdrücklich erklärt, von ihrem consensus doctrinae, dem Corpus Misnicum, nicht ab- gehen zu können; die vorgeschlagenen Schriften könnten sie nicht ohne weiteres annehmen. Warum berufe er sich nun auf den Abschied dieses Tages und gedenke doch dabei nicht ihres corpus doctrinae. Hätte er doch selbst wiederholt, zuletzt in Dresden erklärt, an demselben

1) A.v. Eyb, Chr. Tetelbach, Endr. Musmann, Endr. Junius an G. Fr. d. d. Ansbach 21. 3. 1571. pr. Landsberg 28. 3. 1571. ARA. 34, 5. 35, 45.

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nichts aussetzen zu können, hätten doch auch die Hessen in Zerbst die sächsische Formel unterschreiben? Allem Anschein nach wolle er nur seine ,,disputation von der Ubiquität‘ durchsetzen, darum habe er wohl auch unter den strittigen Artikeln einen besonderen Passus über das Abendmahl aufgeführt und damit eine Disputation von der Majestät der menschlichen Natur in Christus verbunden. Darum sei er gegen ihr corpus doctrinae, weil es darüber nichts enthalte. Von ihrer norma doctrinae könnten sie nicht weichen. Sie enthielte keine neue sondern lauter bekannte Schriften. Die Schmalkaldischen Artikel seien nur zur Vorbereitung auf das Konzil zu Mantua verfaßt und auf keinem Reichstag übergeben worden; nicht besser stehe es mit dem Katechismus Luthers. Erst die Flaianer hätten sie ,,hervorgezogen“. Verdächtig sei auch, daß zwischen den Ausgaben der Augustana ein Unterschied gemacht werde. Man könne sich aber nicht nur an solchen Schriften genügen lassen, welche allein ‚eine summarische Erzählung“ böten, sondern benötige auch solche, welche durch eine ausführliche Erklärung gegen Katholiken wie Flacianer Stellung nähmen. Solche aber fände man nur im sächsischen corpus. Die von Andreä aufgestellten Schriften seien allein gegen die Papisten gestellt, und enthielten nur die „bloße Erzählung etlicher vornehmer Haupistücke ohne methodische Erklärung und ausführliche Anzeigung der mannigfaltigen Irrtiimer’’'). Kurfürst August riet infolgedessen dem Markgrafen: sich durch ‚Dr. An- dreae oder andrer widriger und unruhiger Personen ver- meinte Conziliation nichts anfechten zu lassen und bei der einträchtigen und einhelligen Meinung der branden- burgischen und sächsischen Kirchen zu bleiben‘. (11. Mai 1571)2). Dem wird Georg Friedrich und mit ihm Georg Ernst von Henneberg wohl gefolgt sein?).

1) Bedenken von der Subskription, so Doktor Andreä, Probst zu Tübingen von etlichen Kirchen der Augsburgischen Konfession zugetan aufs neue begert. ARA. 35, 70.

2) d. d. Dresden 11. 5. 1571. pr. 7. 6. 1571. ARA. 3b, 56.

3) Auf eine Mitteilung der Räte und Regenten, daß die Unterschrift etwas bedenklich vorkomme und man sich deswegen

15 175

II.

Zu einer norma doctrina sollte Brandenburg auf ganz andre Weise kommen. Gemeinsam mit Nürnberg hatte es die Reformation durchgeführt; den AbschluB bildete die gemeinsame Brandenburgisch-Nürnberger Kirchenordnung 1533. Aber dann war jedes seine eigenen Wege gegangen. Jetzt erst sollten sie sich wieder finden.

Seit der Zeit des Interims war es in Nürnberg auf kirchlichem Gebiete nie mehr zur Ruhe gekommen, ins- besondere seitdem einer der echtesten Schüler Melanch- thons Mag. Moriz Heling zum Prediger bei S. Sebald und ,,vordersten‘‘ Geistlichen ernannt worden war (1555)!). Ihm gegenüber neigten Mag. Hier. Besold, Prediger z. heil. Geist, zuletzt Prediger bei St. Lorenz, Georg Klingenbeck, Prediger bei St. Ägidien, und Michael Pesler, Prediger bei St. Marien immer mehr zu den Luthe- ranern von Jena. Auch die Gemeinde nahm regen Anteil an diesen theologischen Streitigkeiten. Die Patrizier standen mit verschwindenden Ausnahmen auf Seite Helings; unter den Bürgern aber hatte Flacius treue und opferwillige Anhänger?).

Der Rat der Stadt sah das nicht ohne Besorgnis; um so mehr als bei dem lebhaften Handelsverkehr auch die geistigen Unter- und Nebenströmungen wie Schwenkfeldianismus®), Wiedertäuferei immer wieder

an den Markgrafen gewandt habe (21. 3. 1571), erwiderte G.E. von Henneberg, ohne diesen nichts weiter unternehmen zu wollen (26.3.1571 Schleusingen). Am 28. 5. 1571 bat er um Auskunft über die Stellungnahme Brandenburgs; er hatte Andreä zunächst nur einen hinhaltenden Bescheid gegeben (d. d. Schleusingen); erhielt aber nur den Bescheid, daß Sachsen noch nichts geantwortet habe (1. 6. 1571). ARA. 35, 44, 53, 89, 90, 93.

1) Für die ganze Entwicklung vgl. Dissertatio historica, qua Mauritii Helingi vita, placita et studia percensentur et praeside G. G. Zeltnero disquisitioni academicae subjciuntur a Sigism. Jacobo Apin. Altdorf 1714. G. G. Zeltner, KurzgefaBte Historie der librorum Normalium der Nürnbergischen Kirche. Nürnberger Stadtbibliothek. Bibl. Nor. Will. II, 354.

2) W. Preger II, 426, 429 Anm. **.

*) RV. 30. 6. 1556: Hans Wilhelm von Lautenberg schreiben samt Caspar Schwenfeld uberschickte missiven von der Ent-

176 . 16

unter den Bürgern Boden gewannen. Sein Hauptbestreben mußte daher darauf gerichtet sein, die beiden Richtungen des lutherischen Protestantismus zu versöhnen, mochten

auch seine Sympathien, er bestand ja nur aus Patriziern, mehr den Philippisten gehören. |

schuldigung auch einem gedruckten büchelein wider Herr Philipp Melanthon und das hier ausgangene und zu Wittenberg gedruckte buchlein von der rechtfertigung des armen sünders soll man auf im selbst ruen laßen. So auch 1558 s. Rats- verlaß 3. 12. 1558: auf Markgraf Karls zu Paden kirchenräte zu Pforzheim schreiben und begeren, soll man bernharden Fischer, puchtrucker, beschicken und beaidigen, ein warheit zu sagen, wie es mit Jorg Raben, buchdruckers zu Pfortzheim gedruckten postill gestalt, was er dazu geholfen, wo die herkommen, wers gemacht und ob er etliche exemplar hab und wem ers zugestelt. dasselb alles herwiderpringen. 12. 12. 1558: Uf Hansen Weixers verlesene ansage, soll man ine, Wolfen Ulrich, Jorg Langen und andere benannte personen, so die neugetruckte pforzhaimische postill von im genommen und unter sich ausgetailt haben, pe

schicken und beaidigen, dieselben bucher meinen herrn in die kanzlei zu antworten, hinfuro keins mer hieher zu pringen noch zu haben, sondern dieser secten mußig zu steen, und ob sich dern ainer solchem bevel widersetzen wolt oder würde, dasselb meinen herrn wider anzuzeigen, ferner rätig zu werden. 13. 12. 1558: Uf die verlesene verzaichnis, welcher gestalt Wolf Ulrich und Jorg Lang geschworen und sich erpoten, die schwenkfeldische postill meinen herrn zu uberantworten und derselben sect mußig zu sten, die andern aber als Hans Meichsner, Jörg Schedner,

Bernhard Fischer und Lienhard Aman solche bucher auch uberant-

wortet, aber diese schwenkfedlische Lere aus angezeigten ursachen nit verschwoeren wollen, soll man von inen allen:die pucher an-

nemen und die sach der ersten zweier als des Ulrichs und Langen halben ruen laßen; aber von wegen der andern die ganze sach, wie

diean meineherrn komen und was bisher darinnen gehandelt worden,

fur die 3 fordersten predicanten pringen, ir bedenken daruber ein-

nemen, weilsich dieselben personen berümen, das siein Schwenk-

felds lere nichts ungerechtes befinden, der Schwenkfeld auch bis da-

her desselben nieuberwunden worden. Damansieauchberichten und

uberwinden werd, daß sie sich weisen lassen und von dem un-

recht absten wollen, etc. was meinen herrn als der weltlichen ober-

keit in dieser sachen, so das gewissen belanget, weiter furzunemen

gepuren wolle, sonsten zweifelten meine herrn nit, was inen als

den seelsorgern in solchem falle gezimet, wurden sie zu handeln

ait unterlaßen und dasselb ir bedenken widerpringen.

17 177

Der Schulmeister bei St. Sebald, Sebald Heyden, neigte in seinem Alter zur Anschauung Calvins vom heil. Abendmahl. Er bestritt die „mündliche NieBung™ des Leibs und Bluts Christi und erklärte, nur die Gläubigen empfingen dieselben, nicht aber Ungläubige, Unwürdige und Heuchler. Besold schlug nun Heling vor, unter Zuziehung Mag. Jakob Lechners, Predigers bei St. Lorenz, mit Heyden mündlich zu verhandeln. Heling lehnte ab; er mied ángstlich jede Gelegenheit, die ihn hatte zwingen kónnen, seinen Standpunkt zu offenbaren; er hielt es für das beste, wenn Heyden und Besold sich allein über diese Frage!) auseinandersetzten. Ob unter diesen Umständen diese Angelegenheit von den Predigern beigelegt wurde, ist mehr als fraglich. Als Heyden und seinem Sohne Christian Heyden, Schulmeister bei Egidien, ihre Dienste wieder übertragen wurden, drückte ihnen der Rat sein Befremden darüber aus, daß sie die rechte. Lehre vom heiligen Abendmahl aufgegeben und dadurch den Anlaß zu einem „scisma‘ zwischen den Prädikanten gegeben hätten; er versah sich auch, daß sie den Kalvinischen Katechismus in ihren Schule nicht mehr dozierten und die eigenmächtigen Änderungen an der Liturgie unterließen?). Der Tod Heydens am 9. Juli 1561 überhob den Rat bald weiteren Eingreifens. Zu einem ,,scisma‘

1) Hier. Besold an H>ling s. d. et 1. Nürnberger Kreisarchi v. Rep. 52. Ms. 1110 fol. 94. Heling an Besold. d. d. 2. 12. 1560. ibidem fol. 94. gedruckt: Dissertatio historica, qua Mauritii Helingi vita, placita et studia percensentur et praeside G. G. Zeltnero disquisitioni academicae subjcicuntur a M. Sigismundo Jacobo Apino. Altdorf 1714. 8. 35f. Vgl. G.G. Zeltner, Kurze Erlauterung der Nurnbergischen Schul- und Reformationsgeschichte aus dem Leben und Schriften des berühmten Sebald Heyden Nürnberg 1732 fol. 33f. 39.

2) RatsverlaB 24. 4. 1561: den baiden schulmaistern bei S. Sebald und S. Egidien soll man, ehe sie widerum mit pflicht gefertigt werden, anzeigen, meine herrn weren glaublich bericht, daß sie wider eins rats kirchenordnung sich des hochwirdigen sacraments halben von der rechten lere und gebrauch abgesondert und in diesem fall ein scisma zwischen den predicanten und lerern allhier angericht, daß sie auch den kalvinischen catechismum in iren schulen docirten, auch die alten approbirten geseng in der

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178 ; 18

war es aber nun wirklich gekommen. Besold hatte sich mit Heling über die Abendmahlslehre unterredet. Statt zu einer Einigung zu kommen, stellte sich erst recht die Verschiedenheit ihrer Anschauungen heraus. Trotz seiner Beteuerung: cum pane et vino, symbolis et rebus visi- bilibus, offerri, dari et exhiberi ad manducandum verum corpus domini et salvatoris nostri Jesu Christi, qui affixus ligno crucis pro nobis factus est victima et Aörgov, nec non dari, offerri et exhiberi verum sanguinem ad biben- dum, quem idem filius dei ad abluendas nostras sordes etexpianda peccata in eruceeffudit, trotz seiner Beteuerung, daß das Abendmahl nicht nur beneficiorum et efficaciae Christi, sondern auch seiner essentiae, nicht nur seiner göttlichen, sondern auch seiner menschlichen Natur teil- haftig mache, konnte es nicht verborgen bleiben, daf er die manducatio corporalis eben doch leugnete. Denn über das , Wie" der sakramentlichen Einigung wollte er Sich nicht náher ausdrücken; es sei ein mysterium; daß er auch einen Unterschied machte zwischen indignis und infidelibus beim Abendmahl, ließ deutlich genug

kirche de temporibus etwas geendert hetten, welches alles dann eim erbern rat fast beschwerlich und misfellig were, und, wiewol ein erber rat hierauf genugsam ursach hetten, derwegen ir notdurft gegen inen den beden schulmeistern furzunemen, so wolt man doch von inen anhören, ob sie von irem furnemen und getaner enderung absten und sich hinfuro der neu gestellten pflicht gemeß (welche man inen furlesen lassen soll) erzeigen wollen oder nit. Was sie nun zur antwort geben, das soll herwider gebracht werden. 25. 4. 1561: der zweier schulmeister zu Sant Sebald und Sant Egidien referirte entschuldigung, das inen in dem, das sie calvinisch, den- selben catechismum lerten oder ichts an den kirchengesengen one vorwissen geendert hetten, mit dem erpieten, daf sie der neuge- stellten pflieht allerding nachkomen wolten, soll man Herrn Hi. Baumgartner anzeigen, und sein ferneres bedenken darüber einnemen und widerpringen. 28. 4. 1561: auf Herrn Hi. Baum- gartners weiters bedenken, soll man den zweien schulmeistern bei Sant Sebald und Sant Egidien ferner anzeigen, ein erber rat hab. ir entschuldigung gehort und wiewol man in guter erfarung, daB sie allerlei unnótige disputationes vom heiligen sacrament erregt, so wóll mans doch diser zeit dabei bleiben lassen und sich versehen, sie würden irem erpieten nachkomen und irs ding warten, auch keinen andern catechismum leren, denn wie ir pflicht vermóchte.

19 179 seine Auffassung erkennen. Aber nicht nur umsonst war diese Beratung gewesen, sie fiihrte auch zu einer ernsten Entzweiung zwischen Heling und Besold. Und Heling mußte zugeben, daß ihn an dem schroffen Ausgang nicht die geringste Schuld traf. Er suchte sich damit zu ent- schuldigen, daß ihn die beständigen Angriffe auf seinen über alles geliebten Lehrer Melanchthon aufs höchste erregt hätten. Das hätte ihn um so mehr geschmerzt, als er hören mußte, daß auch Besold sich daran beteiligte!). Schon schien es, als sollte der Streit sich nicht mehr beilegen lassen. Heling hatte sich nicht damit begnügt, die Lehre vom heiligen Abendmahl zu berühren, er kam auch auf die andern theologischen Streitigkeiten, wie den rechten Verstand des Wortes ‚Evangelium‘, die Lehre vom freien Willen zusprechen, worüber sie schon früher de- battiert hatten; er warf Besolt vor, man hätte dazumal gegen ihn nicht die ,,severitas‘‘ walten lassen, die sich jetzt an ihm finde; auch mischte sich Jakob Lechner in den Streit. Am 22. Dezember 1560 trat Heling sogar auf der Kanzel so offen für Calvins Anschauung vom Abendmahl ein, daß sich sogar Hier. Baumgartner ver- anlaßt sah, ihn zu warnen). Da hielt es der Rat für seine Pflicht einzugreifen, ehe es zu spät war; mußte doch auch das Werk der großen Kirchenvisitation des gesamten Gebietes durch solche Streitigkeiten aufs ungünstigste beeinflußt werden. Am 29. Mai 1561 erging der Befehl an die Ratsherren B. Derrer und J. Haller: nachdem

*) Besold an M. Heling und Jakob Lechner. Rep. 52 Ms. 1110, 62f. gedruckt G. Th. Strobel, Neue Beyträge zur Litteratur besonders des 16. Jahrhdts. Nürnberg und Altdorf. 1793. IV, 1, 141ff. Antwort Helings d. d. 22. 12. 1560. Ms. 1110, 45ff. vgl. G. G. Zeltner, diss. historica fol. 37ff. Besold an Heling 1561. Ms. 1110, 49 gedr. [G. Th. Strobel] Hieronymi Besoldi olim pastoris ad Sp. S. Norimbergae fidelissimi epistola ad Mauritium Helingum de sacra coena, viribus humanis et evangelio nunc primum in lucam edita. Frankfurt und Leipzig 1767.

?) Hi. Baumgartner an M. Heling postridie Thomae (22. 12.) 1560. Ms. 1110, 73 gedr. G. G. Zeltner, diss. S. 44. Baumgartner an Besold s. e. d.Ms. 1110, 73, gedr. Zeltner, 45., vgl. J. Dóllinger Die Reformation Regensburg 1848. II, 107.

12*

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sich zwischen den predikanten im Spital auch S. Laurenzen und dann dem bei S. Sebald zwaiung und misverstand zutregt, ist zu verhütung merers gezenks und weitleuftig- keit bevolen, ermelte predikanten zu erfordern und inen furzuhalten, das eim erber rate solche misshellung nit lieb, wäre derwegen irer erberkeit begeren, sich freund- lich miteinander zu bereden, einer den andern zuhören und sich selbsten miteinander gutlich und christlich zu vergleichen, die einigkeit in der kirchen zu befurdern und allen zwiespalt und mishelligkeit zu vermeiden und hinzulegen und wie man die sach bei inen befinden würdet, dasselbe herwiderzupringen." Die gewünschte Unter- redung fand wirklich statt. Sie führte auch zu einer ,, Ver- gleichung‘‘ zur Befriedigung des Rates. Er beeilte sich, beiden seine Zufriedenheit auszusprechen und erbot sich, in künftigen Fállen auch wieder vermitteln zu wollen!). Ob es allerdings zu einer wirklichen Ausgleichung der Gegensätze gekommen ist, sei dahingestellt. Als Heling

1) Ratsverlaß 19. 7. 1561: auf der verordenten herrn verlesene relation und protokollierte disputation, so bede herrn predicanten im spital und bei S. Sebald von wegen eingefallnen streits vom heiligen sacrament des abendmals christi mit einander in beiwesen etlicher anderer predicanten gehabt, und wes sie sich endlich erclert und verglichen, ist fur gut angesehen, daß man bei solchem -olloquio und erclerung dismals bleiben laßen und berurten bei- den herrn predicanten Mag. Hi. Pesolden und Maur. Heling anzeigen soll, ein erber rate hette der verordneten herrn relation ires gehaltenen gesprechs und wes sich ain teil gegen dem andern erclert, hören leser. und gern gehört, daß sie sich mit einander so freundlich und gutlich verglichen. Es were auch irer erberkeiten begeren und vermanen, bei solcher einigkeit zu pleiben und sich gegeneinander wie christliche predicanten zu erzeigen und in diesen beschwerlichen zeiten zu ergernis und weitleuftigkeit nit ursach zu geben. Und do sich kunftig (des man sich doch nicht versehen wollt) einigcher misverstand zwischen inen zutrüg und sie sich selbst mit einander nit vergleichen konnten, wäre eins rats begeren, solichs jedesmals an ire erberkeiten zu gelangen. Wollte man zur: verhörung der sachen verordnen und darunter, was sich gepurt, handeln und furnemen, damit die raine lehr, auch fried und ainig- keit in der kirche Gott dem allmechtigen zu lob und eren und den Christen zu Nutz und Trost bestendiglich erhalten werden möge. Ratsbuch 31, 252.

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später sich den Anschein gab, als ob er mit Besold auch in diesem Punkte einig gewesen wäre, trat ihm der Astro- nom Mag. Joachim Heller offen entgegen. Er wies auf die Briefe hin, die Besold an Heling in dieser Sache ge- schrieben hatte; er behauptete, wenn Besold erlebt hätte, wie „grob“ Heling in dieser Sache ‚„herausfahre‘‘, hätte er sich gewiß auf seine Seite gestellt. Heling begnügte ‘sich nicht, diese Behauptungen ruhig zurückzuweisen ; in hellem Zorn warf er Heller vor, er habe sich gestohlene Briefe zustecken lassen; ihn gehe die Sache so wenig an als den Mesner von Poppenreuth oder einen Altreußen; weder Besold noch der Rat habe ihm etwas mitgeteilt, er könne also die Sache nur erfunden haben oder auf unrechte Weise etwas gehört haben. Dadurch fällt ein eigentümliches Licht auf seine Ausführung: er habe sich mit Besold freundlich unterredet; der habe ihn mit keinem Wort mehr angesprochen; friedlich sei man beieinander in der Visitation und bei vielen Examina gewesen. Warum blieb denn die ganze Sache so geheim? Warum hielt es Heling für unnötig, dieselbe ausführlich zu erörtern!) ? Ganz gewiß aber war der Rat über diese Regelung der Angelegenheit froh. Es war ein Zeichen der Anerkennung, wenn man Besolt zum Prediger bei St. Lorenz ernannte (27. Juni 1562)?). Leider sollte er nur noch etliche Monate

1) S. I. L. 102. Nr. 1. Erklärungen Hellers vom 30. 12. 1562 n. Helings vom 4. 2. 1563.

2) RV. 29. 10. 1561: auf der genachbarten herrn und bürger um St. Laurenzen verlesene Supplication und bitlichs ansuchen von wegen herrn ler. Pesolts, predigers im neuen Spital, ist den herrn kirchenpflegern bevolen, der sachen nachzudenken, mit was fugen und welcher gestalt die gebetene enderung des herrn pre- digers bei S. Laurenzen möchte furgenomen werden und solichs in 14 tagen ungeverlich widerumb furzulegen, rätig zu werden, mitler- zeit die Supplicanten beantworten, ein erber rat wolle disen handel, dieweil der nicht eilen laße, in bedenken nemen. 27.6.1562: Die- weil Magister Jacobus Lechner, prediger bei S. Laurenzen, sein gebrechlichkeit und plodigkeit seins hauptes geclagt, daB er da- von wegen der predicatur in dieser grofen kirchen nit mehr vorsten konnte, ist er desselben predigamts mit der condition erlaßen, daß er darfur die wochen den 12 Knaben etliche lectiones in theologia tun soll, dagegen soll ime sein jerliche besoldung, so er

IN

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' daselbst wirken; er starb am 4. November 1562 an der Pest!)

. Den ersten tieferen Einblick in die die Bürgerschaft weithin bewegenden Streitigkeiten bot dem Rat der bald darauf spielende Prozeß des Astronomen M. Joachim Heller, der, nachdem er bei einer Musik bei Michael Graf mit dem Kaplan Joh. Müller vom neuen Spital über Abend- mahl und freien Willen eine erregte Auseinandersetzung gehabt hatte, am 30. Dezember 1562 eine heftige An- klage wegen Hinneigung zum Kalvinismus gegen Heling und den an Stelle Besolds getretenen Mag. Joh. Schel- hamer?) an den Rat richtete. Mit Schrecken nahm man

bisher gehabt, nachmalen gereicht, im auch sein wonung im pfarrhof gelassen werden. Und ist daneben mit Herrn Hi. Pesoldo gehandelt, daß er die praedicatur in ermelter kirchen bei S. Lau- renzen auf ein versuchen angenommen. Vgl. Ratsbuch 32, 15.

1) Ratsverlaß 15. 10. 1562: Herrn Jer. Pesolden auf sein Bitt Heinrich Preuen zu einem werter zulaßen und an sein statt hermann Karln auf meiner herrn kosten und belonung in die mül verordnen. 16. 10. 1562: Dieweil dem herrn Pesold, predigern zu S. Laurenzen, sein hausfrau mit tod abgangen, soll man ine von meiner herrn wegen clagen und trösten und ime daneben anzeigen ` laBen, meine herrn sehen fur gut an, daß er sich seins haus ein zeit lang enteußert und sich an andre orte tete, dazu man ime dann des Neumairs haus zu werd oder ein zellen in der cartausen fur- schlagen soll, mit dem erpieten, wenn er hinaus ziehe, woll man ine mit fur, zerung und In ander weg versehung tun. 17. 10. 1562: dieweil sich herr Jer. Pesolt auf meiner herrn ersuchen gen word in des neumairs haus getan, soll man jemand zu ime verordnen, zu erkundigen, ob er zur notdurft versehen sei. Und dieweil im uf das zweifache haushalten diser zeit viel aufgehet, soll man ime 50 fl. hinausschicken mit dem erpieten, wo er ferner ainich mangel hab, ime ferner versehung zu tun. dergleichen soll man Heinrich Preuen, seinem warter, auch 20 fl geben lassen mit dem bevel, davon in seinem des Herrn Pesolts haus den kranken personen, so weit es reicht, nottürftige unterhaltung zu verschaffen. 7. 11. 1562: dem stadrichter bevelen die truhen und behalter in verstorbnen herrn Pesolts behausung durch seinen diener neben Heinrich Preuen versecretieren zu laßen, bis man des gedachten Herrn Pesolts tochter vormunder verordne und dazwischen nichts verzogen werde.

3) Ratsverlaß: 9. 11. 1562: Anstatt des verstorbnen herrn Mag. Hi. Pesoldi christlicher gedechtnus soll man Mag. Schel-

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wahr, wie viele Fäden von der Bürgerschaft zu Flacius liefen. Zwar die Prediger wie Mich. Besler und Konrad Klingenbeck konnten sich rechtfertigen ; denn derdabeidem Rat in die Hände gefallene Brief wandte sich ja gerade gegen sie; enthielt die ärgsten Klagen über die Unter- drückung seiner Bücher, während der gemeine Mann sowohl sowie hochverständige Personen aufs ‚äußerste‘ und „greulichste“ wider die Wahrheit stritten und der Verfälscher Schriften offen in den Buchläden feilgehalten werden dürften. Von den besten und einfältigsten Lehrern werde zur Unterdrückung der Wahrheit stillgeschwiegen oder doch nur so gepredigt, daß der gemeine Mann nicht verstehe, welche Bücher nun die rechten seien. DBesold sowohl als die andern angegriffenen Geistlichen hatten sich entschieden gegen diese Vorwürfe gewehrt!) Um so weniger konnte dies sie belasten, als Besold auch mündlich dem Flacius sein Ansuchen, seine Bücher doch in Nürnberg frei verkaufen zu lassen, abgelehnt hatte. Dagegen ward man auf einen seines Standes aufmerksam, einen Studenten Christoph Harsdorfer, der nicht nur Flacius selbst schon beherbergt hatte, sondern auch mit Gleichgesinnten wie Gundlach, Hans Behem, Cunz Mör- lein, Vogel, Irtenberger, Endres Örtel, Röting und Conrad Klingenbeck Konventikel abhielt?) Andere Briefe, die dem Rate bei der Beschlagnahme der Bücher des Joachim Heller in die Hände gefallen waren, ließen erkennen,

haimern zu eim prediger in die kirchen S. Laurenti verordnen und ime die Superintendenz neben den andern zweien herrn auch bevelen und an sein des Schelhamers statt christoforum Kaufman zu eim prediger im neuen spital annemen. Hatsbueh 32, 49.

1) Nikolaus Gallus u. Flacius Illyrikus an H. Besold, Mich. Besler, Conrad Klingenbek, Michael Röting, Joach. Heller, Regensburg. Freitag nach Barthol. (28. 8.) 1562. Antwort Beslers s. d. et. 1. Verhar Beslers, Klingenbecks, Rötings am 22. 3. 1563. S. I. L. 102. Nr. 1.

2) Harsdorfer, Meinschein, Pack, Irtenberger, Ortel ermög- lichten auch die Herausgabe der Centurien. Preger II, 429. Vgl. August an Georg Fr. v. Brandenburg. d. d. Dresden 1. 5. 1570. ARA. Tom. Suppl 2, 198. Vgl. G. Chr. Neudecker, neue Beiträge zur Geschichte der Reformation II, 272. Döllinger II, 259.

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welche Hilfe Flacius in Nürnberg zur Herausgabe seiner Schriften fand. Den Mittelsmann, der die Verbindung mit den Nürnberger Freunden immer aufrecht zu er- halten wußte, glaubte man endlich in Bertholomäus Schober gefunden zu haben. Als nun gegen Ende des ganzen Prozesses Flacius am 11. Mai 1563 selbst nach Nürnberg kam und bei Schober wieder übernachtete, verwies man diesen kurzerhand aus der Stadt, weiler im Verhör nicht gleich Rede stehen, sondern sich nur zur schriftlichen Verantwortung erbieten wollte. Bei Joachim Heller aber benützte man seinen hóchst anstößigen Lebenswandel, um ihm seinen Dienst aufzu- kündigen (28. Mai 1563)!).

!) Den ganzen ProzeB des Joachim Heller enthàlt der Akt: S. I L. 102 Nr. 1. Ratsverlaß 12. 5. 1563: und nachdem an meine herrn gelangt, das Illiricus nechten allhie gesehen, ist Bartl Schober darum beschickt und befragt worden, wann er herkomen, wo und bei wem er sich halt und was seine gescháft seien. Als er nun auf das getan angloben an eides statt angezaigt, daß er gestern zu mittag zeit herkommen, bei ime eingezogen und abends nach dem nachtessen wider davongereist, unwissend, was er alhie ge- macht, habens meine herrn dabei bleiben lafen. 13. 5. 1563: nachdem Bartl Schober auf die gestellte fragstück kein mundlich antwort geben wollen, sondern vermóg der verlesenen verzeichnus begert, im dieartikel zuzestellen, sein antwortschriftlich und doch der furgehaltenen schriften an den Heller bekentlich gewest, da- rinnen er meine herren ein erber rate antast und beschuldigt, als sollten sie dio adiaphoristerei und Majoristerei schützen und dagegen die anderen reinen schriften verfolgen, ist erteilt, daß man sich mit ime ferner in einich schrift noch wortgezenk als einer privat- person nicht begeben noch einlaBen, sondern ime jetzo alspalden anzeigen soll: er weßt, welcher maßen ine meine herrn veruckter zeit zu burger angenomen, der Hoffnung, er würde sich in seinem beruf burgerlich gehalten haben. Dieweil es aber nicht bescheen und meine herren sein heBig gemut auch gelegenbeit seiner hand- lungen dermaßen spurten, so wolt irer erberkeiten gelegenheit nit sein, ine lenger zu einem burger zu haben, sonder es were irer erberkeiten endlicher bevel, das er sich noch vor untergang der sonnen aus der statt und meiner herrn oberkeit und gepiet hinweg tun, dieselbig sein leben lang meiden und nit mer darein kommen wo!le bei einer leibesstraff. so sollt er auch sein weib und kinder mit sich nemen. doch was er derselben auch seiner farnus halb allhie zu verriehen, daB er dasselb durch sein waib oder

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Man merktsden Aktennoch heutean, welcher Schrecken den Rat erfüllte, wenn bei der Untersuchung wieder eine Spur auf Flacius führte. Kaum zu verstehen ist, warum man diesen Mann, der noch nicht einmal gut deutsch reden konnte, also haßte. Er blieb allerdings dem Rat die Antwort auch nicht schuldig. In seiner Schrift: Trewe Warnung und Vermanung, das man das h. Testa- ment des hochw. Nachtmals .. . unverfelscht rein behalten soll!), erzählte er von einer großen Stadt, die im Winter 1561 fast drei Monate lang großen Mangel an Isichtern gehabt habe; an den Läden hätten sich die Menschen so gedrängt, daß etliche zerdrückt worden wären. Gottesfürchtige und verständige Leute hätten gleich daraus auf einen bevorstehenden Mangel am geist- lichen Licht geschlossen. Das sei auch bald Wirklichkeit geworden. Denn etliche Prediger und Bürger, die den

andere personen in 14 tagen den nechsten tun laßen möge. Der nachsteur halben soll man gegen ime kein meldung tun. Auf solchs haben die verordenten herrn referirt, das gedachter Schober nach angesagtem beschaid geantwort: er hett sich solchs beschaids und gar nit versehen, daß man den proceß an der execution an- heben sollte. dann er gestern begert, ine schriftlich zu horn, und wenn es bescheen und sich erfinden würd, das er geirrt, wolt er sich haben weisen laßen. dergestalt aber mit ime zu handeln, were contra jus divinum et humanum. beruft sich derwegen auf den passauischen vertrag, welcher vermöcht, das niemand der religion halben vervolgt werden soll. Darauf ist befolen, ime zu sagen, er hab gehört, aus was ursachen ine meine herrn alhie weiter nit gedulden wolten. Darum ließ mans bei gegebnen be- scheid bleiben und solt er allein lauter sagen, ob er solchem peschaid nachkomen woll oder nit. Tu ers, so solte mans geschehen und dabei bleiben laßen. Wo nit, ine alspalden ins loch zu füren be- velen. 28. 5. 1653: des im loch verhafteten Joachim Hellers halben ist beim rat verlassen, im seine dienst, so er bisher meinen herrn als ein profeßor astronomiae und sonst in ander weg gehabt, in bedacht seiner mishandlung und das er bishero seinen diensteu und beruf in keinen weg ausgewartet genzlich auf und abzukunden und zu sagen, sıch mit seinem ganzen haushalten von hinnen aus der stat und meiner herrn oberkeit und gepiet hinweg zu tun. Vgl.E. Döllinger II, 107ff. Ratsbuch 32, 84a, 112, 115.

1) Datum der Widmung d. d. Regensburg am Tage Purifikat. Mariae 1564.

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rechten Verstand in den jetzt schwebenden Kor- ruptelen auch in der Vergleichung Christi mit Belial gehabt hätten, seien gestorben, andere verjagt worden; endlich seien die rechten Prediger veranlaßt worden, einen heimlichen Vertrag mit den andern in Religions- sachen zu machen und ganz zu schweigen. Der Hieb saß; wenn auch die Schrift dem Rat der Stadt Danzig gewidmet war, merkte man bald, daß auf die Stadt Nürn- berg besonders auf den Prozeß Heling-Besold und die im Jahre 1563 erfolgte Ausemandersetzung zwischen Klingen- beck und den Philippisten gezielt war. Aber der Rat sah selbst ein, daß es am klügsten wäre zu schweigen).

Man kann es aber verstehen, wie entrüstet der Rat war, als eben in jenen Tagen, wo eine Spur des Flacius nach der andern auftauchte, auch auf der Kanzel und in der Gemeinde der theol. Streit von neuem aufflackerte. Georg Klingenbeck, Prediger bei St. Egidien, war mit Sixt Huber, Kaplan bei St. Sebald, über den freien Willen

1) Ratsverlaß: 26. 4. 1564: auf die verlesen vorredein des Illirici ausgangnem püchlein wider die sacramentirer, weil er meine herrn so hoch und mit solch ungrund darinnen anzeucht, sol man die drei vordersten predicanten und neben inen die prediger zu S. Egi- dien und unser Frauen erfordern, inen solchs furlesen und fragen, ob ir einer zu jungster irer mit einander verglichene vereinigung genótigt oder einiche beschwerung noch darin het und solchs alles widerpringen. 27. 4. 1564: auf der verordenten herrn getane mundliche relation, daß sie den 5 predicanten des Dlirici vorrede seins ausgangnen büchleins furgehalten, die darob die hochste beschwerd trügen, wißte irer keiner zu erinnern, daß sie zu voriger vergleichung genötigt, hetten zu solchem des Illirici ausschreien kein ursach geben und weren alle miteinander ganz einig und fried- sam und de: entlichen meinung, wes sie sich hievcr miteinander eiphellig verglichen, dabei bestendiglich zu bleiben und mit dem Dlirico nichs zu tun zu haben, ist verlaDen, die ganze handlung den herrn hochgelerten um ir ratlich bedenken furzutragen, und da sie fur gut ansehen würden, derwegen gegen denen von Regens- burg andung zu tun, ir einem bevelen, solch schrift zu stellen. 17. 5. 1564: auf den verlesnem ratschlag des Flacium Illirici aus- gangen tractetlein, darinnen er meine herrn etwas mit unwarheit anziehen tut, soll man sich mit ime nit ein, sondern die sach dem . ratschlag gemeß beruen lassen. Das Bedenken der Rechtsgelehrten: G. Th. Strobel, Beyträge zur Litteratur. Nürnberg und Altdorf

1785. I, 2, 406ff.

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in Streit gekommen. Er faßte ihn gewiß, wie alle Luthe- raner als gänzlich erstorben zum Guten und deshalb unwirksam bei der ‚Bekehrung auf, während Huber ihm die facultas applicandi se ad gratiam zuschreiben wollte. Wie nicht anders dazumal möglich, hatte auch gleich die Bürgerschaft lebhaft Partei für oder wider ergriffen. Der Rat griff energisch ein. Klingenbeck mußte sich anheischig machen, in der Predigt diese Materie gar nicht mehr zu berühren; auch erklärte er seine Bereitwilligkeit zu einer gütlichen Unterredung. Daraufhin untersagte der Rat auch Heling und Schellhammer jede Erwähnung dieser

Sache auf der Kanzel). Am 7. Juli traten Heling, Lechner, Schellhammer,

Beßler auf dem Rathaus zur Beratung zusammen. Hier. Baumgartner, Joachim Haller, Georg Volkamer ermahnten zur Einigkeit. Manchem sei es nicht um die Ehre Gottes, sondern nur um den Ruhm. vor der Gemeinde zu tun. 14 Tage dauerten die Verhandlungen; nicht nur die Lehre

1) RatsverlaB 12. 5. 1563: in dem noch ungeorterten streit vom freien Willen, so sich zwischen dem prediger zu Sand Egidien Cunrad Klingenpeck und Sixten Huber caplan zu S. Sebald zu- getragen, soll man auf gemeltes herrn predigers schrift di 3 herrn superintendenten ir bedenken und meinung auch verfassen lassen und widerbringen, damit man zu erórterung der sachen kommen moge. 1. 7. 1563: dieweil der prediger zu Sand Egidien herr Cunrad Klingenpeck je lenger je mer auf der kanzel wider die freiwillisten schreibt, ist befolen, ine zu erfordern, was ine doch über das, so hievor ernstlich mit ime gehandelt worden, dazu verursach, sonderlich, weil die saehe zwischen im und seinem widerteilen nit geortert, sein antwort wider bringen, mitlerzeit bis zur orterung solehs handels dise materi auf der kanzel undisputirt zu lassen und solchs den andern herrn predicanten auch anzeigen. 2. 7. 1563: dieweil sich herr Cunrad Klingenpeck, prediger zu S. Egidien, nach getaner entschuldigung seines schreiens auf der canzel vom freien willen erpoten, sich solchs strits halo mit sein widerteiln gutlich zu bereden, ist bevolen, sie die predicanten, so ob diesen artikel miteinander strittig seien, mit erstem zu- samen fordern und von der sachen reden und disputiren zulassen, ob sie sich darob freundlich mit einander vergleichen Könnten und alles zu verzeichnen und widerzubringen, mitlerzeit den zwaien predicanten Sebaldi und Laurerti euflegen, sich diser disputation auf der canzel zu entnalten [Ms. 1112, 13. Stadtbibl. Nürnberg. Will. bibl. Nor. II, 358.] Vgl. Zeltner, vita Helingi B. 49. Ratsbuch 32, 125.

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vom freien Willen, sondern auch alle übrigen Differenz- punkte, wie die rechte Auffassung des Wortes Evangelium, die Notwendigkeit der guten Werke, die Gottessohnschaft Christi, die Abendmahlslehre, die Adiaphora wurden be- sprochen. Unter dem Druck der Obrigkeit kam man auch zu einer Einigung. Heling und Schellhammer faßten das Ergebnis in einer umfangreichen Schrift, „dem später sogenannten scriptum declaratorium"™, zusammen, welches dann am 23. Juli von sámtlichen Predigern unterschrieben wurde. Es trágt alle Mangel eines Kompromisses an sich; Dürnhofer hatte nicht so unrecht, wenn er von ihm ur- teilte: ,,es sei, als wenn man dreierlei Eisen, gutes, bóses und mittelmäßiges zusammenschweiße“. Doch zeigen sich auch hier schon manche Ansätze, mit denen es später gelang die Streitigkeiten im Luthertum zu überwinden. Den fünf Geistlichen scheint das Ungenügende des Schrift- stückes selbst zu Bewußtsein gekommen zu sein; dem Rat überreichte man eine kurze Zusammenfassung, ,,die Synopsis scripti declaratorii““. Umsozufriedener war der Rat. Die Stimmen unter den Bürgern, Herr ,,Cunrad (Klingen- beck) habe die andern Prädikanten auf die rechte Bahn gebracht und von ihrem Irrtum bekehrt‘‘, verstummten immer mehr; nur der unruhige Mag. Seb. Röting konnte sein Hetzen auch jetzt noch nicht einstellen. So wurde denn nicht nur den fünf Geistlichen die Anerkennung des Rates ausgedrückt und der Hoffnung dabei Ausdruck gegeben, daß der Zwiespalt unter ihnen endgültig bei- gelegt sei, sondern auch sämtlichen Geistlichen in einer besonderen Versammlung die ‚Konfession und Ver- gleichung‘‘ als Lehrnorm bekannt gegeben, die sie durch Unterschrift anerkennen mußten. So haben wir in den Abmachungen der fünf Prediger die erste norma doctrinae oder Bekenntnisschrift der Nürnberger Kirche zu sehen (RatsverlaB 28. September 1563)}).

1) Bedenken von Hi. Baumgartner, Joachim Haller, Gg. Volkamer Rep. 52. Ms. 1112 fol. 15. Stadtbibl. Nurnoerg. Bibl. Nor. Will. II, 358. Das declaratorium Kr. N. D 212, 34ff. Fasc. I ad D 212 fol. 20ff. Ms. 1112, 23ff. St. Nürnbg. Bibl. Nor. Will. II 358, 335. vgl. 368 Amb. 269 u. 68. Solg. I, 32. Erl. Univ. Bibl.

Ms. 913, 1ff. 1458, fol. 169ff. Über den Verfasser s. D 212 Fasc. IV: Originalprotokollum der ao. 1585 konfirmirten normae doctrinae

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Fiinf Jahre gelang es nun dem Rat, auf Grund dieser Maßnahme Frieden unter den Geistlichen aufrecht zu erhalten. Energisch ging man gegen alles vor, was zu Verwicklungen führen konnte. Wie man nach außen

von allen Kirchen- und Schuldienern hiesigen orts samt derselben teils schriftlich gegebenen bedenken: Erklärung Schelheimers vom 21. 5.: er wüßte sich der Erklärungsschrift, welche ao. 1563 von seinem Vorgänger Herrn Jakob Lener und ihm Schellheimer meistenteils gestellt und begriffen worden, die sie auch approbiert und subskribiert hätten, wohl zu erinnern Erklärung Helings vom 29 5.: „welche er neben andern hiesigen Prädikaten ao. 63 gestellt und unterschrieben und einem erbern Rat übergeben“. Die An- gaben von Hirsch, Acta historico ecclesiastica Weimar 1747. XI, 432 können nicht nachgeprüft werden. Das Urteil Dürnhofers: Es sei eben, als wenn man dreierlei Eisen, Gute, Böse und mittel- mäßige zusammenschweißte G. G. Zeltner, kurzgefaßte Historie S. 46. Joh. Kaufmann urteilte 27. 1. 1578: Die Schrift 1563 sei nur Gleisnerei Ms. 1110, 355ff. Punkt 10. Ratsverlaß 28. 9. 1563. Auf die getane mündliche relation, was maßen sich die drei vör- dersten predicanten neben M. Micheln Peßler mit Herrn Cunraden Clingenpecken, predigern zu St. Egidien, in der irrung, so sich ein lange Zeit zwischen inen vom freyen willen und andern puncten erhalten, allerdings verglichen, diselb vergleichung schriftlich verfaßt und sich zu ends derselben alle mit eignen händen underschrieben, damit dann solche ir vergleichung allent- halben bei den kirchendienern offenbar und bei inen nicht dafur geacht werde, als wolte mans in gehaimd behalten und also etliche derselben allerlei davon reden möchten, soll man alle predicanten, caplän und schulmaister hie zusammen erfordern und inen solche vergleichung anzeigen und die gestelte schrift furlesen und inen sagen, weil dieser vergleichung meine herrn zufrieden und inen dieselb wol gefallen ließen, so wolt man inen hiemit angezeigt haben, sich zu enthalten, daß keiner uf der canzel oder auch andern winkeln weder heimlich noch offentlich davon reden, disputirn oder andere darwider zureden verursachen, sonder, do einer einen mangel an diser schrift und vergleichung het, dasselb alsbald an- zuzeigen. diejenigen aber, so kein einrede und inen dieselben ge- fallen ließen, solten sich alsbald auch unterschreiben. welcher aber mangel daran und ytzo nit ercleren kont, dem wolt man 8 tag bedacht darzu lassen. und wiewol etliche statliche burger diser disputation und stritts halben viel böser reden ausgoßen, aber weil diese irrung nimer uf der canzel triben, etwas still worden, sol man es irenthalben also ruhen laßen. Micheln Röting aber, der uber vielfeltige warnung noch für und fur schret und schreibt und von seiner opinion nit abstehen will, ungeacht daß es nit seiner vocation, soll man beschicken und ime mit allem ernst undersagen,

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hin alles mied, was als eine Begiinstigung des Kurfiirsten von der Pfalz erscheinen konnte, und sich in der Politik ganz nach Kurfürst August und Wolfgang von Zwei- brücken richtete!), so auch im Innern. Der Buchhändler Jan Monte aus Heidelberg durfte keine Calvinische Bücher in der Stadt verkaufen?); die niederländischen calvinistisch gesinnten KaufleutewurdenzurRuhe undStilleangehalten?) ;

seines berufs und schuldiensts zu warten und sich seiner disputatio- nen in geistlichen sachen zu enthalten. dann do er davon nicht absten, werden meine herrn ungeachtet seiner langwierigen dienst und alters das gegen im furzunemen, das im nit gefallen werd. Vgl. Ms. 1112 fol. 21. Will. bibl. Nor. II, 358. Ratsbuch 32, 180.

1) RV.: 28. 12. 1565: Und demnach in dem ausschreiben der kais. mjt. auch meldung geschieht, den gesandten befel zu geben, in der stritigen religion und furnemlich der vilfeltigen secten halben auch zu handeln, und es danneinenlaut hat, das pfalzgraf Friedrich churfurst seiner sect halben im bei etlichen stenden einen beifall und anhang machen woll seine sect zu verteidigen, ist verlaßen, da der herrn gesandte zu Augspurg zu beratschlagung der religion in abgesonderte rete gefordert und die pfelzischen darauf tringen wolten, inen anhengig zu sein, sol man inen dasselb mit gutem glimpf weigern und sich anders und weiters nit einlassen, denn meiner herrn erclerung, so sie auf der churfürsten und fürsten überschickt confession, welcher sie zu Naumburg sich verglichen, zu erkennen gibt, und mag sich der herr wol in solchen selben fall zu den churfurst sächsischen, pfalzgraf Wolfgang reten, denen von Ulm und andern, die meiner herrn confession seien, halten.

?) RV. 2. 4. 1565: Jan Monte von Heidelberg, so die cal- vinischen Bucher hie feil gehabt, soll man in die canzlei füren, ein sage von im aufschreiben laßen, wo er mit diesen buchern herkume, und wer ims erlaubt, hie feil zu haben, sein sag wider pringen, ine dieweil warten laBen. Auf Johann Monts ansag, soll man ine schweren lassen, der bucher keins weder hie noch in meiner herrn oberkeit zu verkaufsn, das angezeigt vaB auch unaufge- schlagen hinweg zu füren und sich bei sonnenschein aus der stat zu machen. Als er nun den eid geleistet und gepeten, ine hie zu laßen, bis sein ross ankume, woll er inmittels die pücher in der kanzlei laßen, soll man im wilfaren, doch bei geleisten aid sagen, sobald das faß kume, daßelb ungeoffent hinweg zu schicken. Die andern bucher inmittels bei der hand behalten, dem wirt zum schwarzen bären auch sagen, acht zu haben, wenn das faß herkum, dasselb nit offnen zu laßen, daneben will man Wolfen Geigenberger und andere, die bucher von im kauft, beschicken, diselben ver- pflichten, alle in die kanzlei zu geben.

3) RV. 31. 5. 1567: auf gescheen anbringen, daß ein burger hie, so ein niderlender, zu Amberg offentlich in die calvinische

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Geistliche, welche Unruhe stiften wollten, wie der zweite vörderste Geistliche, Jacob Lechner, entfernt!); den Lutheranern kam man auf die Weise entgegen, daß man

kirchen gangen und daselbst nach irem prauch communiciert, sol man denselben beschicken, beeidigen, zu rede halten und sein sag widerpringen, daneben soll man kuntschaft machen, was fur fremder niderlender sich der jtzigen entbórung halb hieher getan, wer diselben und bei wem sie innen, ob sie auch conventicula halten oder nit, alles widerpringen. 4.6. 1567: auf die verlesene ansag, was vilfeltiger disputationes die calvinischen niderlender, so jtzo- hieher kumen, sie erregen, sol man sich in aller eil und mit eim grund erkundigen, wieviel und wer dieselben niderlender, auch bei wem sie innen, insonderheit wer derjenige, so sich vernemen lassen, christus sei ein pastart.

RV. 23. 7. 1567: auf verlesene ansagen, was fur nider- lendische calvinisten sich hie enthalten und allerlei disputiren sollen, sol man zuforderst Egidi GroBen, den collaboratoren bei S. Egidien, beschicken, uf sein irrtum zu red halten, sein sag wider- pringen. Gabriel Schlüßelberger, Jorgen Maleprand, Niclasen de Nova Castel und andere, die der calvinischen Schwermerei verdacht und disputiren, soll man beschicken, inen meiner herrn ernstlichs misfallen ires irrtums und disputirens halben und dabei anzeigen, von solchem irrtum abzusten und sich der hieigen oder A.Confession gemes zu erzeigen, welcher aber in seinem gewissen ein anderes erkennet und hielt, das solt er sich bei sich behalten und mit nie. manden disputieren aucb niemand kein ergernus geben noch einiche conventicula halten, sonder sich eins solchen eingezogenen stillen wesens und wandels verhalten, das iren halben kein weitere Klage kume. Welcher aber wider solchs in wenigsten handeln, gegen den oder denselben wolt man einen solchen ernst geprauchen der im zu schwer fallen würde.

1) Verlaß 23. 7. 1565: dieweil sich befind, daß Mag. Jacobus Lechner nicht allein, seid er von seiner predicatur abgestanden, gar nichts getan und diegroße besoldungso vergebenlich eingenumen, sonder auch allerlei uneinigkeit und disputationes zwischen den hieigen predicanten erweckt und sich allerlei fremden secten und rottierungen anhengig macht und sich mit den hiesigen predicanten gar nit vergleichen will, sondern was zwischen oder unter inen hie gehandelt wird, an fremde auswendige orte schreibt und ursach sucht, wie er diselben wider die hieigen predicanten wehig machen möchte und darzu sich nit allein mit seinem weib ganz ergerlich u. streflich het, sondern auch, wann er bezecht u. bei gastungen ist. mit schenden, schmehen und andern ungeburn dermaßen erzeigt, das ime als einem teologo gar keinswegs geburt, meinen herrn auch keinswegs zu gedulden geburen will, soll man solcher seiner un- geschick halben an den angezeigten orten zeugen und kundschaft

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Michael BeBler zu seinem Nachfolger ernannte!). Doch unterdrückte man auch von ihrer Seite alles, was Anstoß eregen konnte. So wurde dem Buchführer Jorg Fischer

horen, dieselb herwiderpringen. 25. 8. 1565: auf der verhörten zeugen verlesene ansag, sol man M. Jacoben Lechner sagen, er wißt sich zu erinnern, daß er sich beschwert, daß er schwacheit halben seins leibs der predicatur nicht kont furstehen, derwegen denn meine herrn in derselben erlassen und bisher in seiner herberg pleiben auch sein besoldung volliglich ime verfolgen laßen. weil aber meinen herrn furkeme, wie ungeschickt und rumoris:ch er sich bisher vilfeltig erzeigt, welches denn meine herrn zu gedulden nit gemeint, so wolt man ime hiemit sein besoldung aufgesagt haben, mocht sich an andern orten um dinst bewerben, solt auch sein herberg im pfarrhof raumen, dazu wolt man ime zeit bis Michaelis geben. 4. 9. 1565: M. Jacob Lechner sol man zur ab- fertigung das halbe quartalgeld, so uber 8 Tag verfallen, dergleichen das halbe quartalgeld der 371, fl, so auf allerheiligentag fellig wird auch, und einen schriftlichen abschied geben, daß er ein zeit lang bei S. Lor. predicant und superintendent gewesen, solches stands hette man ine erlaßen und entledigt, also daß er mit meiner herrn gut wissen abgeschieden. 8. 9. 1565: Mag. Jacoben Lechner auf sein suppliciren weiter vernemen, wie sein gemut des angezogenen gelds halben eigentlich gestellt und wie sein meinung zu verstehen sei und widerpringen. 10. 9. 1565: auf die getane erkundigung, das Mag. Jacob Lechners gemut dahin gestelt, meinen herrn 1500 fl zuzustellen, dieselbigen zu gebrauchen und ime jerlich dagegen 100 fl. als ein stipendium zugeben, doch daß einem jeden teil frei sten solt, dasselbig zu seiner gelegenheit wiederum ab und aufzukunden, soll man ime sagen, das meine herrn im dergestalt willfaren wolten, nemlich die 1500 fl auf vier jar lang anzunemen und jedes hundert mit 5 procento zu verzinsen und dann ime dise 4 jar lang ein jedes 25 fl zu ainem stipendio reichen. da es ime aber nit annemlich zu vermelden, das er solch- 1500 fl ander ort zu seinem pesten anlegen mocht, wolt man ime dennoch die 25 fl die 4 jar lang reichen und solche 25 fl solt man jerlichen von der kirchen einkomen nemen.

*) RV. 9. 1. 1566: den beden herrn predicanten und Superin- tendenten zu S. Sebald und Lorenzen soll man M. Michel PeBler, den prediger zu unser Frau zu einem dritten Mitsuperintendenten zuordnen und im die 100 fl besoldung, wie den andern zwei geben. Ebenso bedachte man M. Heling: Ratsverlaß der H. Eltern: 93. 11. 1566: Herrn Mauritio Heling prediger bei S. Sebald soll man auf sein supplicieren um ein Steuer, weil er bisher noch kein anlangen getan und sich gegen herrn Andreas Imhof den eltern soviel vernemen lassen, daß er ein unversehen zugestandenep un- fallshalben 100 Taler notdürftig, mit denselben 100 Talern vereren und im sagen, solchs in geheim zu halten.

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der Verkauf der Streitschriften Mörlins gegen die Heidel- berger verboten!). Einmal schien es allerdings, als sollten alle Bemühungen des Rates umsonst sein. Durch Herzog Christoph von Württemberg wurde man auf zahlreiche Schwenkfelder, wie den Uhrmacher Paul Graßmann, den Schmied Linhard Nürnberger, Jörg Schechtner in der Breiten Gasse aufmerksam. In den mit ihnen an- gestellten Verhandlungen bekannte sich Heling zu mancher ihrer Anschauungen; so sprach auch er von einer doppelten Taufe; auch er leugnete den Kinderglauben. Doch kam es zu keinem offnen Zwist. Der Rat ließ sich lieber von den Sehwenkfeldern eine halbwegs befriedigende Erklürung geben, als daB er die bisher mühsam behauptete Einigkeit hätte in Trümmer gehen lassen?).

1) RV. 17. 5. 1567: Jorgen Fischer und allen buchfürern soll man verpieten, das buch intituliert wider die handlungen der heidelbergischen theologen durch D. Jochim Mörlin gemacht weiter zu verkaufen, sondern alle in die canzlei zu antworten.

2) Verläße des Herrn Eltern 25. X. 1565. RV. 18. XI. 1563. 6. VII. 1564. 11. XI., 22. XI., 23. XI., 1. 5. 12. 15. 18. 22. 23. 29. XII. 64. 11. I., 26. I., 27. II., 27. 29. ITI., 17. IV., 11. V., 14. VIL, 21. VL, 25. VIIL, 8. X., 27. X., 27. XL, 4 5 8 XII., 65. 9. I, 6. IL, 9. 26. IL, 23. 27. TIL, 4. 18. 25. 27. IV , 6. 8. 9. 10. 15. V., 19. VIIL, 30. IX., 22. X., 10. XI., 12.16. XI., 9. 10. 28. XII. 1566. 27. 29. L, 23. L, 3. 6. IL, 3. V., 7. XI. 1567. RV. 9. III. 1565: weil die predicanten in irem eingefallenen strit verglichen, soll man nunmehr das examen mit Paulusen Graßmann furgehen laßen. 10. 11. 1566: dieweil ein erbarer rat sorgfeltig, do man solche confession den beden predicanten bei S. Sebald und zu unser Frau furhalten, das es zu allerlei weitlàufigkeit gereicheu und sie die predieanten villeicht selbs darob nit allerding einig sein und allerlei beschwerlicher disputationen zwischen inen verursachen möchte... ist bei einem erbern rate verlassen, von sein des Schechtners eonfession weder mit ime noch den predicanten zu disputieren, sondern dieselb genzlich an ein ort zu stellen und dieselbe weder gut oder bos zu heißen, sondern bei Schechtner zu erfordern und von im ein lautere unconditionirte antwort mit ja oder nein anhoren, ob er sich gánzlich und allerdinge zu der A. C. und der hiesigen mein herrn kirchenordnung bekenne und sich derselben gemäß erzeigen und verhalten wolle oder nicht, solches alles widerpringen. Vgl. Abhandlungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Góttingen. Band 40. Gottingen 1915 S. 49. Zeltner, vita Helingi S. 51. Ratsbuch 32, 167, 270, 297, 302, 307, 309, 320, 326, 345, 367, 370, 372f., 375, 378., 33, 3f., 39, 64, 134.

EE ee

Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 8/4. 18

Der Bekenntnisstand

der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeitalter der Reformation.

Lersner =

Li

Ritter, Ev. Denkmal

KGesch.

Von K. Bauer.

Abkürzungen.

Der Weit-berühmten Freyen Reichs-, Wahl- und Handels-Stadt Franckfurt am Mayn Chronica, Oder Ordentliche Beschreibung der Stadt Franck- furt Herkunfft und Auffnahmen / wie auch allerley denckwiirdiger Sachen und Geschichten / so bey der Romischen Konigen und Kayser Wahl und Crönungen, welche mehentheils allhier vorge- nommen worden / vorgegangen / nebst denen Ver- änderungen / die sich in Weltlich- und Geistlichen Sachen / nach und nach zugetragen haben. Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag ge- geben / Anjetzo aber Aus vielen Autoribus und Manuscriptis vermehret / mit nöthigen Kupffern gezieret / und per modum Annalium verfasset / und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum von Lersner / Patricium Nobilem, Civitatis Francofurtensis. 1. Band 1706; 2. Band 1734. Joh. Balthasar Ritter, Evangelisches Denckmahl der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführ- licher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr- Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mit- hin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der Bestättigung des wieder hervorgebrachten Heiligen Evangelii.in besagtem Ort, aus bewährten schr'fft- lichen Documenten und anderen Urkunden ver- fertiget. Frankfurt a. M., Johann Friedrich Fleischer 1726.

Franckfurtische Religionshandlungen etc. Vier Bände. 1735ff.

Kirchen-Geschichte von denen Reformirten in Franckfurt am Mayn, worin derselben Ankunft,

35 195

Aufnahme und Zuwachs, das Gesuch einer be- sondern Kirche in der Stadt und die darüber er-

hobene Streitigkeiten bis auf itzige Zeit unpar- : thevisch vorgetragen werden. Mit einer VORREDE Herrn D. Joh. Philip Fresenii, in welcher die gegen Seine Abwiegung der Gründe kürtzlich heraus- gekommene so genante ausführliche Prüfung gründlich beleuchtet wird. Franckfurt una Leipzig, Bey Heinrich Ludwig Brönnern, 1751.

-

F. A. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst.

F. A. N. F. = Dasselbe. Neue Folge.

F. A.3. F. = Dasselbe. Dritte Folge.

Act. Eccl. = Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion

und Kirehenwesen. (Tom. III: 1541— 1560. Suppl. = Supplementum ad. Tom. III. Actorum Ecclesiasticorum de 1541—1560. Das Interim bet. v. J. 1548— 1549. Oglb. lit.: p.)

Uffb. Mser. = Uffenbachsche Manuskripten- Sammlung des Frank- furter Stadtarchivs. (Band 15, S. 1—131: Acta ‘varia Ecclesiastica Francofurten.)

Act. Ref. I. = Tom. I. Actorum des Frantzößisch- und Nieder- ländischen Kirchen-Weßens. de 1554-1561. (Frankfurter Stadtarchiv.)

Einleitung.

In dem Gesuche, mit welchem Poullain für sich und 24 wallonische Familien um Aufnahme in das Frank- furter Bürgerrecht und um Einräumung einer eigenen Kirche bei dem Rate am 15. März 1554 vorstellig wurde, hieß es über die religiöse und kirchliche Seite der Ange- legenheit: ,,Dieweil aber die sonder Religion nit leben kunden, wiewol wir Euer Religion seynd, so kenden wir doch Euerer Sprach nit. Hierumb ist an E. F. W. unser fleisig Bitt, Sie wolten uns n dem Thal!), da sie Unß ufnehmeten, auch eine Kirche oder Tempel eingeben, darinn wir Unser Gebeth, Predigt des Evangelii und Aus- theilung der Heil. Sacramenten in unserer Sprach nach der Lehr des Apostels Pauli haben mögten, soll doch hie- durch keiner Pfarr, darunter ein jeder wird wohnen, an Pfarr-Rechten nichts benommen seyn, sondern allezeit

1) Schreibfehler für „Fall“ (Tal = Fal). Der französische Wortlaut hat: au cas, que.

13*

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gevolgt werden; Zudem wollen wir unser Kirchen-Diener E. F. W. anzeigen, dieselbigen haben anzunehmen und zu Kirchen-Ambt zuzulassen !).“

Der Ratsbeschluß, der auf dieses Gesuch erging, lautete dahin: man solle ihnen willfahren und sie in dem Namen Gottes aufnehmen. Die Lage, welche damit ge- schaffen war, hatte indessen nicht lange Bestand. Bald stellten sich allerlei Mißhelligkeiten heraus, die zur Folge hatten, daß bereits im Jahre 1561 den Fremden die ihnen bis dahin eingeräumte Weißfrauenkirche gesperrt wurde, bis sie sich mit den Stadtpredigern in Lehre und Zeremonien verglichen haben würden?).

Schon während der Erörterungen, welche zu dieser Maßregel führten, wurden Zweifel laut, ob die Fremden den Rat nicht von vornherein über ihren dogmatischen Standpunkt falsch berichtet hätten. Und in den Verhand- lungen, welche die Reformierten dann mehr als zwei Jahrhunderte lang mit dem Rate der Stadt führten, um das exereitium religionis publicum zu erlangen, kehrt je und je der Vorwurf wieder, Poullain habe sich die Erlaubnis, eigene Gottesdienste zu halten, auf hinterlistige Weise erschlichen, denn tatsächlich seien seine Wallonen nicht nur anderer Sprache, sondern auch eines anderen Glaubens gewesen, nämlich Zwinglianer, während in Frankfurt das reine Luthertum geherrscht habe.

Es fragt sich, ob dieser Vorwurf mit Recht erhoben werden durfte. Es handelt sich dabei nicht nur um den persönlichen Charakter Poullains. Es handelt sich vor allem auch um die richtige Erkenntnis von den Anfängen und der dogmatischen Ausprägung der Reformation in Frankfurt.

Was Poullain betrifft, so hat er sich von jeher eine recht ungünstige Beurteilung gefallen lassen müssen.

1) F.R. I, 17. Im französischen Wortlaut mitgeteilt von F. C. Schröder in Troisiéme Jubilé séculaire de la fondation de l'église réformée francaise de Francfort s. M. 1854, p. 6—8. 2) Vgl. dazu meine demnächst erscheinende Schrift: Die Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Jahre 1561.

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Daß zwar bei seinen lutherischen Gegnern sein Bild so unvorteilhaft herausgekommen ist, dürfen wir wohl zu einem guten Teil auf Rechnung der damals üblichen Art der Polemik setzen. Aber auch ein so maßvoller Beurteiler wie Steitz!) hat noch gemeint: „Die Art, wie er sich hier die Pforte eröffnete, die Geschicklichkeit und Glätte, womit er sich bei den Verhandlungen zu wenden wußte, muß auch auf Unbefangene einen peinlichen Eindruck machen,. und wir begreifen vollkommen das Mißtrauen, das die Prädikanten gegen ihn empfanden, wenn wir auch zugeben müssen, daß bei der Härte und Unduldsamkeit, welche die Reformierten von den Lutheranern erfuhren, nur Schleichwege einen Erfolg in Aussicht stellten.“ Indessen dieses Urteil, daß er Schleichwege gewählt habe, stützt sich doch lediglich auf das Zeugnis seiner Gegner, und Gegner pflegen selten unbefangene Zeugen zu sein.

Es ist nun zunächst in sich selbst wenig wahrschein- lich, daß die Wallonen, die um ihres Glaubens willen England verlassen und sich auf Betreiben des Ratsherrn Claus Bromm, mit dem sie in Köln zusammengetroffen waren, nach Frankfurt gewendet hatten, nun ausgerechnet in Frankfurt ihre innersten Überzeugungen verheimlicht haben sollten, wo ihnen doch gerade in der nächsten Nachbarschaft der Stadt bei dem Landgrafen Philipp von Hessen die Aufnahme sicher gewesen wire. Wenn sie den Frankfurtern versicherten: „Wir sind Kuerer Religion“, so hätte die Glaubenstreue, welche sie bisher bewiesen hatten, sie zur Genüge vor dem Verdachte schützen können, als versuchten sie, in Frankfurt auf Schleichwegen zu erlangen, was ihnen anderswo verweigert worden war. Sie müssen dann doch wohl selber der Meinung gewesen sein, daß zwischen ihnen und den Frankfurtern in der Tat kein Unterschied im Glauben bestehe. Demgemäß hat denn auch bereits Neudecker?)

1) Steitz, Der lutherische Prädicant Hartmann Beyer. Ein Zeitbild aus Frankfurts Kirchengeschichte im Jahrhundert der Reformation. Frankfurt a. M. 1852. $S. 193.

*) Neudecker, Geschichte des Evang. Protestantismus in Deutschland. I, 392.

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geurteilt: „In Wahrheit konnte Pollanus dem Frankfurter Magistrate erklären: Wir sind eures Glaubens!“

Stimmt man dem einmal zu, so bleibt aber immer noch die Frage offen, wie diese Erklärung eigentlich gemeint war. Dechent!) hat sie in einem ganz allge- meinen Sinne verstehen wollen: ‚Es liegt auf der Hand, daß eine solche Versicherung recht wohl gegeben werden konnte, um den Gegensatz gegen die römische Konfession auszudrücken, ohne damit Übereinstimmung in allen Einzelheiten der Lehre und Verfassung zu behaupten.“ Das ist aber eine Zurückdatierung moderner Gedanken in eine Zeit, die diese Gedanken noch gar nicht kannte. Die Idee eines Gesamtprotestantismus, dessen einigendes Band nur der gemeinsame Gegensatz gegen Rom sein sollte, war jenem Geschlechte noch völlig fremd. Auch die Schweizer und die Täufer und religiöse Spiritualisten und Individualisten wie Sebastian Frank standen im Gegensatze zu der katholischen Kirche. Aber wo man sich, wie in Frankfurt, zu der Augsburger Konfession bekannte, fragte man nicht nur nach der negativen Seite, sondern auch nach dem positiven Inhalte des Bekenntnisses. Schon seit Jahrzehnten hatte man im evangelischen Deutschland die Grenzen deutlich abgesteckt gegen die Schwärmer und Rotten. Und seitdem Westphal mit seinem Alarmruf das Signal zu dem zweiten Abendmahls- streite gegeben hatte, genügte es vollends nicht mehr zum Ausweis über die eigene Rechtgläubigkeit, wenn man sich nur auf die Verwerfung der papistischen Irr- tümer berufen wollte. Wenn jene Wallonen eben damals die Erklärung abgaben: „Wir sind Euerer Religion“, so müssen sie davon überzeugt gewesen sein, daß ihr eigener Bekenntnisstand mit demjenigen der Frankfurter sich wirklich decke.

Hiernach ist die Frage die: Gab es Tatsachen, die ihnen zu dieser Meinung ein Recht gaben? Dann müßte, als sie ihre Blicke nach Frankfurt richteten, der offizielle Bekenntnisstand dieser Reichsstadt noch nicht im Sinne

1) Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der Reformation. I, 204.

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der Beyer und Ritter der des Gnesioluthertums gewesen sein, und Luthertum und reformiertes Wesen könnten sich hier noch nicht als die abgeschlossenen, festumrissenen Größen gegenübergestanden haben, als die sie nach den Schilderungen der lutherischen Prädikanten erscheinen.

Wie es sich hiermit in Wirklichkeit verhalten hat, soll im folgenden aufgehellt werden. Wir stellen zunächst fest, welches der rechtliche Bekenntnisstand Frankfurts bei der Ankunft der Fremden war; dabei wird es nötig sein, dem Gang der Frankfurter Reformationsgeschichte von ihren Anfängen an zu folgen. Sodann suchen wir den, dogmatischen Standpunkt der Fremdengemeinden kennen zu lernen. Und schließlich haben wir zu unter- suchen, wie sich der Gegensatz zwischen ihnen und den Prädikanten der Stadt herausgebildet bat.

Erster Teil.

Die Entwicklung des Frankfurter Bekenntnisstandes bis zu dem Verbot des katholischen Gottesdienstes.

Während man auf lutherischer Seite in katholisieren- der Weise das Endergebnis einer längeren Entwicklung in die Anfangszeit zurückdatierte und die These verfocht, Frankfurt sei vom Anbeginn der Reformation an eine genuin und exklusiv lutherische Stadt gewesen, hat man bei den Reformierten noch lange Erinnerungen daran bewahrt, daß es Symptome gegeben hatte, die eher für den Schweizer als den Wittenberger Typus der Frank- furter Reformation sprachen!) So folgerte man aus der Tatsache, daß Wilhelm Nesen in seiner Frankfurter Zeit (1521) mit Zwingli korrespondierte, Francofurtum nobi- lissimum ad Moenum emporium Zwinglii aluisse fautores. Oder man erinnerte daran, die beiden ersten evangelischen Prediger der Stadt hätten in ihrer Verteidigungsschrift 1526 erklärt, sie seien keine Lutheraner. Aus der Wendung, deren sich Heinrich Bullinger bediente, als er 1533 seine Auslegung der Apostelgeschichte dem Rate zu Frankfurt

1) Vgl. hierfür F. R. I, 48.

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widmete: Habetis ministros claros et in doctrina Evangelii laudatos, las man heraus, die damaligen Frankfurter Prediger müßten mit Bullinger und den Reformierten einig gewesen sein. Auf dieselbe Spur sah man sich durch den Brief gewiesen, mit welchem in dem gleichen Jahre Luther die Frankfurter vor der falschen Lehre Zwinglis warnte. Auch darauf machte man aufmerksam, daß der Vertreter Frankfurts die Wittenberger Konkordie auf Butzers, nicht auf Luthers Seite unterschrieben habe. Und den Frankfurter Katechismus von 1541 und die Frankfurter Konkordie von 1542 fand man, wenn man sie in ihrem natürlichen Sinne (sensu sano) nehme, in Übereinstimmung mit den reformierten Prinzipien. Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts haben es sich die Frank- furter Lutheraner redlich Mühe kosten lassen darzutun, daß diese Symptome nichts bewiesen.

Nachdem die Frage dann aufgehört hatte, eine konfessionelle Streitfrage von unmittelbar praktischer Bedeutung zu sein, und statt dessen einfach in das Licht streng historischer Forschung gerückt war, ist gerade von einem lutherischen Forscher!) festgestellt worden: „Eine unbefangene Einsicht der Quellen bestätigt im Gegenteil eine vorwiegende Hinneigung zu dem Lebrtropus der Schweizer.‘

Es wird unsere Aufgabe sein, die Frankfurter Re- formation Schritt für Schritt auf ihren dogmengeschicht- lichen Charakter zu prüfen.

1. Die ersten reformatorischen Tendenzen.

Beim Beginn der Reformation begegnen uns auch in Frankfurt einige Männer, deren Namen im Zusammen- hang mit der großen Bewegung der Zeit weit über den Bannkreis ihrer Stadt hinaus bekannt geworden sind. Einige von ihnen teilen die Bestrebungen des Humanis- mus. Andere gehören dem Klerus an. Soweit sie von einer Reformation der Kirche reden, liegen ihre Interessen ganz nach der nationalen und ethischen Seite. Sie erhoffen

1) Steitz a. a. O. S5. 17.

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die Reform, von deren Notwendigkeit sie durchaus über- zeugt sind, im Rahmen der katholischen Kirche. Der Gedanke an eine neue Kirchenbildung liegt ihnen gänzlich fern. Vollends von irgendwelchen neuen Festsetzungen über die Glaubenslehre ist bei ihnen keine Eede.

‘Von den Geistlichen der Stadt ist hier zunächst Thomas Murner zu nennen, der im Advent 1511 in Frank- furt predigte. Nachmals ein entschiedener Gegner Luthers, hat er auf der Kanzel der Barfüßerkirche die Torheiten und die Sittenverderbnis seiner Zeit gegeißelt. In den Briefen der Dunkelmänner erscheint er darum als einer der Führer im Kampf gegen den Klerus, zumal den Dominikanerorden.

Nach ihm hat Johannes Cochlàus!) zehn Jahre lang dem Frankfurter Liebfrauenstifte als Dechant angehört. Als er am Neujahrstag 1520 sein Amt antrat, war er der Gesinnungsgenosse Huttens, mit dem er im Briefwechsel stand. „Der Mann", so rühmte er ganz begeistert, ,,ver- tritt mit bewunderungswürdigem Freimute Deutschlands Ruhm und entbrennt in heftigem Hasse gegen den rö- mischen Bischof.“ Ein halbes Jahr später bekannte er sich als unbedingten Parteigänger Luthers, von dem er freilich damals in der Stadt nur äußerst selten etwas hörte. Als er am 12. Juni 1520 Willibald Pirckheimer von einer Disputation mit den Dominikanern schrieb, unterließ er nicht, ausdrücklich zu bemerken: ,,Luthe- risches wurde nichts aufgestellt. Ich würde es sicher nicht versäumt haben, für ihn einzutreten, wenn mir ein Anlaß geboten worden wäre.“ Ebenso, wie er hier für Luther eintreten wollte, suchte er die Freundschaft von Woligang Capito, der bald nach ihm seine Predigt- tätigkeit im Dom zu Mainz begonnen hatte. Von den

1) Vgl. außer der Biographie von Spahn die vier von ihm aus Frankfurt an Pirckheimer geschriebenen Briefe vom 26. Januar, 8. Februar, 5. April und 12. Juni 1520 bei Joh. Heumann, Documenta litteraria varii argumenti (1758), auf Grund deren Steitz, Refor- matorische Persönlichkeiten, Einflüsse und Vorgänge in der Reichs- stadt Frankfurt a. M. von 1519 bis 1522 (F. A. N. F. IV, 90ff.) diese Zeit des Cochläus gekennzeichnet hat.

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Umständen, unter denen er bald darauf seine kirchliche Haltung änderte, wird noch die Rede sein (Vgl. S. 49).

Aus den Kreisen der Patrizier ist hier vor allem Arnold Glauburger, der Schwiegersohn Hamans von Holzhausen, von 1516 —1521 Syndikus seiner Vaterstadt, für uns von Interesse!) Er ist der Ernold in Huttens Vadiscus, dessen Schauplatz Frankfurt ist, und die AuBe- rungen, welche der Dialog diesem in den Mund legt, entsprechen ganz seiner Denkweise. Sie kommen im wesentlichen darauf hinaus, daß er Rom und rómisches Wesen ebenso inbrünstig haßt, wie der ihm befreundete Ritter, und daß sein Lieblingsgedanke die Unabhängigkeit der Deutschen von den Welschen ist. In seinem Familien- kreise stand er mit seinen Anschauungen nicht allein. So wie man heutzutage in klerikal gesinnten Kreisen gegen ' die Vertreter des Liberalismus, die sich auch der Kirche gegenüber das Recht der Kritik vorbehalten, mit dem Vorwurfe der Kirchenfeindschaft ziemlich freigiebig zu sein pflegt, so hatte man bereits Arnolds Oheim, den 1499 verstorbenen Schöffen Henne von Glauburg, als osor cleri bezeichnet, und mit dem gleichen Prädikat war auch der jüngere Bruder Hamans von Holzhausen, der 1514 verstorbene Gilbrecht zum Goldstein, belegt worden.

Luthers Auftreten wurde in der Stadt mit dem größten Beifall begrüßt. Auf der Messe verkaufte im Jahre 1520 ein einziger Buchhandler nicht weniger als 1400 Exemplare seiner Schriften, und Spalatin konnte im September desselben Jahres von Frankfurt aus an. Mutianus berichten: Nihil frequentius emitur, nihil cupi- dius legitur?) Als am Sonntag Misericordias Domini (14. April) 1521 der Wittenberger Reformator auf der Reise nach Worms selber die Stadt berührte?), strómte

1) Über ihn unterrichtet Steitz, Ref. Persónlichkeiten usw. S. 59ff.

?) Kampschulte, Die Universitat Erfurt in ihrem Verbält- nisse zu dem Humanismus und der Reformation. II, 80f.

3) Steitz, Die Melanchthons- und Luthersherbergen zu Frankfurt a. M. Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Altertumskunde zu Frankfurt a. M. 1861. S. 14ff.

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alles zusammen, um ihn zu sehen. Quacunque iter facie- baat, frequens erat concursus hominum videndi Lutheri studio, bezeugt uns Cochläus. Katharina Holzhausen aber, die verwitwete Schwägerin Hamans, suchte ihn in seiner Herberge zum Straußen auf, küßte ihm die Hände, brachte ihm einen Krug edlen Malvasier und sprach ihm die Hoffnung aus, er sei der von ihren Ahnen geweissagte Mann, der den Immunitäten des Papstes widersprechen werde. Auch als er 14 Tage später auf seiner Rückreise in der alten Herberge über Nacht blieb, ist nach dem Be- richt des Kanonikus Wolfgang Königstein vom Lieb- frauenstift ‚‚doselbst im vil von etlichen syner gunner er gescheen". Einen Bruch mit der Kirche bedeuteten diese Huldigungen nun freilich nicht im geringsten. Man stand erst am Anfang einer Bewegung, deren Ende noch niemand absehen konnte. Katharina Holzhausen fand sich durch ihre Begeisterung für Luther nicht be- hindert, zwei Jahre später in ihrem Testamente Jahrtage und Seelenmessen im Dom und in der Klosterkirche zu St. Katharinen zu stiften.

In welchem Sinne man sich in dieser ersten Zeit zu Luther bekannte, hat niemand so deutlich ausgesprochen wie der greise Dechant des Leonhardsstiftes, Johannes ab Jndagine!), der am 1. Juli 1522 von seiner Pfarrei Steinheim?) aus an den Schützling Huttens, Otto Brun- fels, schrieb: ‚Ich sei Lutheraner, werfen sie mir vor und verteidigen damit ihre Hartnäckigkeit. Denn ihnen heißt Lutheraner, wer ihre Laster angreift, wer Christi Amt verwaltet, und wie zu großer Schmach wird ihm dieser Name gerechnet! Was den Namen selbst betrifft, obgleich ich mit Paulus ihn nicht anerkenne, so schäme ich mich seiner doch nicht allzusehr, wenn Lutheraner sein heißt: der Wahrheit und der Gerechtigkeit nach- streben. Was jedoch die Lehre betrifft, wie kann man mich um ihretwillen anklagen, da ich mich zu ihr nicht bekenne, und wenn ich mich zu ihr bekenne, so bekenne

1) Vgl. Steitz, Reformatorische Persönlichkeiten usw. S. 138ff,

2) Oder Steinau an der Straßen (bei Steckelberg). Vgl. F. A. N. F. VI, 124 Anm. 1.

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ich mich zu ihr als zu Christi Lehre, denn wenn sie mit dieser nicht stimmt, so erkenne ich sie unter Allen am wenigstens an. Aber ob sie mit dieser stimmt oder nicht, danach habe ich, mein’ ich, nichts zu fragen. Auch ist sie, wenn ich. sie verdamme, darum nicht verworfen, wenn ich sie gut heiße, darum noch nicht angenommen. Mich nimmt es Wunder, daß sie mir nicht einen anderen, gehässigeren Namen gegeben haben. Denn diesen sehen wir hochgeachtet vom Volke, von allen Gelehrten, von allen Fürsten, kein anderer hat bessern Klang und wird ehrenvoller erwähnt; je übler bei jenen Luther berüchtigt ist, desto mehr wird er fast von allen Christen gerühmt. Auch ich habe für mein Teil Luther gelesen. Er lehrt nicht schlecht leben, noch lehrt er übeltun. Aber geben wir auch zu, daß er bei diesen ein Ketzer ist, was geht das mich an, der ich hier (in Steinheim) mein Amt hatte, ehe Luther je schrieb ?*'

Der Dekan, der bei der Niederschrift dieser Worte bereits auf eine 52jährige Amtstätigkeit zurückblickte, ist uns ein unverdächtiger Zeuge dafür, daß auch die Frankfurter kirchlichen -Zustände von der allgemeinen Reformbedürftigkeit keine Ausnahme machten. Er schreibt an Brunfels von der Frechheit der Priester, die ihm Scham und Verdruß erwecke, und bekennt: ,,Nicht ganz ohne Grund wütet gegen uns das Volk. Unsere Schuld ist es, wenn wir so leben, daß unsere Schand- taten die der Schlemmer und Wiüstlinge (ganeorum et lurconum) hinter sich lassen. Wer haßt uns nicht mit Recht? Wie hätte ich aber wissen sollen, daß dieses Übel unter denen herrsche, welche sich den Ehrennamen Kanoniker anmaßen, d. h. von Leuten, die nach der Regel leben? Wer hätte glauben sollen, daß mit einem so hohen Namen eine so plumpe und faule Nachlässigkeit, eine so raffinierte Leidenschaft, ein in jeder Beziehung so verbrecherischer Wandel verknüpft sei, Dinge, die nicht Priestern, sondern Taugenichtsen ziemen? Du weißt, ich sollte Dekan sein, aber ich werde geringer ge- achtet als ein ägyptischer Esel. Das bringen diese Zeiten mit sich. Alle wollen herrschen, niemand will untergeben

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sein . . . Wer möchte daher heutzutage nicht lieber Schweinehirte als Dekan sein?" Der Vergleich zwischen seinen Frankfurter Kanonikern und seinen Steinheimer Bauern fällt durchaus zuungunsten der ersteren aus. „Wenn ich,“ so muß er bekennen, ,,mich auf meine Pfarrei begebe, ich berichte es mit tiefer Trauer so finde ich manche von schlechtem Rufe: Geizige, Neidische, Unwissende, Ehebrecher, Trunkenbolde. Ich kehre zu meinem Stifte zurück: hier finde ich nicht solche, die diesen gleichen, sondern sie an Bosheit übertreffen.” Seinen Trost sucht er in der Wissenschaft, und zwar in der Astrologie. In den Sternen liest er jetzt, daß die nächsten vier Jahre schwere Gefahr und viele Unglücks- fälle bringen sollen, so wie er dem Mainzer Generalvikar Dieterich Zobel bereits früher aus den Gestirnen ‚einen neuen Zustand der Kirche, ferner Kriege, Aufstände, die Bewegung vieler Völker, eines Reiches gegen das andere, Seuchen und großes Sterben“ geweissagt hat. Aber er glaubt auch versichern zu dürfen: ‚Wie sehr auch die Großen sich dawider stemmen, es wird kommen, daß jenes Gepränge der Priester und Mönche sich mindere. Einmal muß die Krone des Stolzes abgelegt werden.“ Ähnliche Zustände, wie sie ihm zu St. Leonhardi zu schaffen machten, lernte Cochläus bei seinem Aufzuge in Frank- furt am Liebfrauenstifte kennen. Dem Scholaster dieses Stiftes, Stephan Fischer, war der Dekan des Dompakitels, Friedrigh von Martorff, aufsäßig, und die Vikare der Liebfrauenkirche, die gegen das ganze Kapitel Opposition machten und sich auch untereinander nicht vertrugen, lagen gleichfalls mit ihm im Streit.

Aber so sehr das alles zu einer Reform drängte, so wenig empfand man irgendwelche dogmatischen Be- Schwerden. An irgendwelche Neuregelung des kirchlichen Bekenntnisses dachte kein Mensch.

2. Humanisten und Ritter.

Auch die Kreise der Stadt, bei welchen die Reforma- tion zuerst eingesetzt hat, nahmen zunächst an ganz anderen Dingen Interesse als an einer neuen bekenntnis-

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mäßigen Ausprägung der kirchlichen Lehre: Es waren die humanistischen Kreise, deren Tendenzen auch in Frankfurt national und antihierarchisch, aber nicht religiös und dogmatisch bestimmt waren. Zu ihnen zählten Huttens Freunde in der Stadt: Philipp Fürsten- berger, die beiden Glauburger, Haman von Holzhausen und sein Bruder Gilbrecht zum Goldstein.

Dem Einflusse solcher Männer war es zuzuschreiben, daß der Rat im Dezember 1519 die Anstellung eines. tüchtigen Lehrers für die humanistischen Studien be- schloß. Große Hoffnungen auf dieses Amt machte sich Johannes Cochläus, der, humanistisch gebildet, im Januar 1520 als Dekan des Liebfrauenstiftes in Frankfurt auf- zog und sich in seinem Kapitel von Anfang an recht unbehanglich fühlte. Er verfehlte denn auch nicht, Fürstenberger auf seine Qualifikation für diesen Posten aufmerksam zu machen!). Und wenn es den Frankfurtern auf einen Anhänger Luthers ankam, so schien er der ge- eignete Mann zu sein, denn in dem Nürnberger Kreis, der sich um Pirckheimer sammelte, war er in enge Fühlung mit den Wittenberger Gedanken gekommen, und noch im Juni 1520 bekannte er, daß er bei einer Disputation der Frankfurter Dominikaner unfehlbar für Luther Partei ergriffen hätte, wenn über dessen Sache eine These auf- gestellt worden wäre?). Aber der kleine, unruhige Mann verstand nicht genug Griechisch. Vielleicht hatten die Stadtväter auch kein rechtes Vertrauen zu seinem Cha- rakter. Jedenfalls mußte er hinter einem viel jüngeren Gelehrten zurückstehen, der als Kenner des Griechischen und als früherer Erzieher der beiden jungen Stallburger den Frankfurtern bestens empfohlen war, dem Nassauer Wilhelm Nesen.

Nesens kirchliche Stellung ist schon recht verschieden beurteilt worden. Man hat ihn ebenso sehr als Zeugen für den lutherischen wie für den reformierten Charakter

1) Spahn, Johannes Cochläus. $. 59.

?) Brief an Pirckheimer vom 12. Juni 1520. Vgl. Wedewer, Johannes Dietenberger. S. 46.

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der Frankfurter Reformation in ihren Anfangsjahren in Anspruch genommen. In Wirklichkeit fallt sein Leben in eine Zeit, die den innerprotestantischen Gegensatz zwischen den Schweizern und den Wittenbergern noch gar nicht kannte, er hatte also auch keinerlei Gelegenheit, für oder gegen Luther oder Zwingli Partei zu ergreifen. Beziehungen hatte er zu beiden. Seinen Ausgangspunkt hat er von Erasmus genommen, dessen Schüler er 1514 in Basel war. Er ist Humanist, kennt aber auch religiös- kirchliche Interessen, erscheint also als Vertreter der Denkart, die uns am ausgeprägtesten in dem um vier Jahre jüngeren Melanchthon entgegentritt. Er ist mit Zwingli befreundet, dem er durch den Basler Humanisten- kreis nahe gekommen ist, und er verehrt Luther, dessen Schriften er in seiner Frankfurter Zeit übersetzt, und zu dem er dann bald von Frankfurt nach Wittenberg übersiedelt. Er beherbergt Ökolampad in seiner Schule im Hause zum Goldstein, der aber auch Luther auf seiner Wormser Reise einen Besuch abstattet, und er steht in freundschaftlichen Beziehungen zu Melanchthon. Für ihn ist noch alles in schönster Harmonie, Luther und Zwingli, die alten Klassiker und die Männer der Bibel, Kirche und Bildung, Reformation und Humanismus. Diesen auf Einklang und Eintracht gerichteten Sinn hat er in der kurzen Zeit seiner Frankfurter Wirksamkeit dem Geschlechte eingeprägt, das zu seinen Füßen heran- wuchs. Ihn hat er auch den Männern eingepflanzt, die es nicht verschmähten, noch auf der Höhe ihres Lebens sich in seiner Schule weiterzubilden.

In den Jahren, in welchen er die neue Gelehrtenschule leitete, beobachten wir in den humanistischen Kreisen der Stadt eine Vertiefung des Interesses an den Fragen der kirchlichen Reform. Ursprünglich hatte den Frank- furter Patriziern ein eigentliches religiöses Interesse an der Frage der Zeit gefehlt. Ihre kirchliche Haltung war zunächst die Indifferenz der feingebildeten Humanisten gewesen, denen für die eigene Person religiöse Bedürfnisse im Grunde fremd waren. Das änderte sich jetzt allmählich. Luther wurde nun auch für diese Kreise zum Heros,

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der in der kirchlichen Frage das rechte Wort für das ganze Zeitalter gefunden hatte. Aber wenn man auch anfing, auf die neuen Töne zu achten, die er in seinen Schriften anschlug, so fehlte doch viel, daß man in ihm den Kirchenvater erkannt hätte, als den ihn ein späteres Geschlecht ansah. Der Luther, dem man zujauchzte, und auf den aller Augen erwartungsvoll gerichtet waren, war der Mann, der den christlichen Adel deutscher Nation zu des christlichen Standes Besserung aufgerufen, der den Gebildeten das Auge für die babylonische Gefangen- schaft der Kirche geöffnet, und der mit der Verbrennung der Bannbulle und der. päpstlichen Rechtsbücher allen das Herz abgewonnen hatte. Im übrigen war man lutherisch mit Vorbehalt, etwa in demselben Sinne wie Johannes ab Jndagine. Ein Lutheraner sein hieß soviel als: Der Wahrheit und Gerechtigkeit folgen und die Laster strafen. Und die Summe dessen, was Luther schrieb, faßte man mit dem gelehrten Dechanten von St. Leonhardi dahin zusammen: Er lehrt nicht laster- haft leben, er lehrt auch nicht unrecht tun. Eine lutherische Glaubenslehre aber, zumal in ihrer Ausprägung gegen - die Reformierten lag noch ganz außer allem Gesichtskreis.

Es wäre jedoch ein Irrtum zu. meinen, die Entschei- dung sei auch nur in diesem begrenzten Sinne damals auf der ganzen Linie für Luther erfolgt. Es hatte nur eine Scheidung der Geister stattgefunden zwischen Huma- nisten und Barbaren, zwischen Lutheranern und Roma- nisten, und die Anhänger des Alten waren nicht bloß unter den Kanonikern des Leonhardstiftes noch immer recht zahlreich. Zu ihnen gehörte z. B. der Pfarrer Michael Groß an St. Peter, der schlecht und recht im alten Gleise ging. Viel bedeutender als er war der Prior des Domini- kanerklosters Johannes Dietenberger!), der im Sinne der alten Schuleeinetüchtige Bildungbesaß. Anihn, den Ordens- bruder Hoogstraatens und Tetzels, schloß sich jetzt auch der ehemalige Bewunderer Reuchlins und Luthers, Cochläus eng an. Dieser hatte inzwischen, seitdem ihm die Leitung

1) Vgl. über ihn Wedewer, Johannes Dietenberger. Frei- burg i. B. 1888.

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der Lateinschule entgangen war, sein katholisches Herz entdeckt und zerschnitt nun das Band, welches bis dahin in seiner Brust die humanistischen Ideale mit der Sym- pathie fir Luther verkniipft hatte. Da der ehrgeizige Mann die wissenschaftliche Tiichtigkeit seines siegreichen Rivalen nicht anfechten konnte, so bekämpfte er jetzt die Schule Nesens als eine Ketzerschule!), und gar zu gern hätte er in Worms eine Disputation mit Luther herbeigeführt, um vor aller Öffentlichkeit seine Fahig- keiten ins rechte Licht zu setzen. Vor allem aber stand auf dieser Seite der Stadtpfarrer am Bartholomäusstifte Peter Meyer, der uns als einer der magistri nostri aus den Briefen obskurer Männer bekannt ist?). Er erscheint hier als ein selbstbewußter Mann, der über Grammatik und Poeterei abspricht und gelehrter sein will als Reuchlin, denn Reuchlin kennt sich in den Subtilitäten des Lom- barden nicht aus, er selber aber vertritt die Erfahrungs- theologie und hat den heiligen Geist. In seiner Polemik freilich merkte man ihm von dem Heiligen Geiste nicht viel an. Da war er ein derber Polterer von heftiger Ge- mütsart, der auch auf der Kanzel nicht eben wählerisch in seinen Worten war.

Der Erfolg war zunächst bei den Anhängern des Neuen. Cochläus blieb die Erlaubnis zur Verbreitung seiner Kontroversschriften versagt, und als Meyer die Frankfurter Ketzer schalt, weil sie die Fastengebote übertraten, verbat sich der Rat das ganz energisch, weil

1) Die Perspektiven, die uns Spahn, Joh. Cochläus S. 61 auf ein Fiasko der Reformation in Frankfurt eróffnet, falls nicht Nesen, sondern Cochlàus die Leitung der Schule erhielt, wider- legen sich von selbst angesichts der lutherischen Haltung, die Cochläus damals noch einnahm. Der Wendepunkt in seiner Stellung zuder Reformation fällt mit der Berufung Nesens zeitlich zusammen. Im lutherischen Lager hat man denn auch seitdem eine schlechte Meinung von seinem Charakter gehabt. Kolde (Wie wurde Coch- läus zum Gegner Luthers? Kirchengeschichtl. Studien. Hermann Reuter zum 70. Geburtstag gewidmet. S. 197ff.) hat den hier vorliegenden Zusammenhang nicht gesehen. |

*) Spahn, S. 102 nennt ihn „humanistisch gebildet“, gibt aber keinen Beleg dafür.

Archiv für Reformationsgeschichte. XIX 3/4. 14 .

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die Stadt nach auBen nicht in den Ruf der Ketzerei kommen sollte. Dagegen geschah es mit Vorwissen des Rates, daß die Frankfurter in der Fastenzeit 1522 die ersten evangelischen Predigten zu hören bekamen. Die Anregung dazu ging von Nesens Gönnern Haman und Blasius von Holzhausen aus, die als Patrone des Katha- rinenklosters für dessen Kirche als Fastenprediger in der Person Hartmann Ibachs einen Mann beriefen, den der Kanonikus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstift in seinem Tagebuch einen ‚‚discipel Martini Luthers“ und einen ,,vorlaufen lutterßen monnich‘“ nennt!), und bei dem sich später ein starker Einschlag Zwinglischer Gedanken nachweisen läßt?). Bei seinem Auftreten in Frankfurt lagen ihm sehr praktische Fragen am Herzen. Das erstemal, am Sonntag Invocavit (9. März) pries er den Nonnen des Katharinenklosters die Ehe als einen Segen für Geistliche wie für Laien. Zwei Tage später predigte er gegen die Abgaben und riet, man solle keinen Zins geben, sondern lieber arme Leute damit versorgen. Wieder nach zwei Tagen nahm er sich die Heiligen aufs Korn und setzte dem Volke auseinander, Maria und die übrigen Heiligen seien nicht so hoch zu loben; sie zu verehren, sei auch gar nicht in ihrem Sinne. Dann ging er zu den Bruder- schaften und ähnlichen Dingen über. Er hätte wohl noch öfter in dieser Weise gepredigt, aber die lebhaften Auseinandersetzungen, die auf dem Heimwege unter den Kirchgängern stattfanden Königstein redet geradezu von einem Aufruhr —, sowie die Einsprache, die Cochläus und Meyer als Hörer der Predigten in Mainz veranlaßten, ließen es dem Rate angezeigt erscheinen, dem Prediger die Kanzel zu verbieten.

Wenn er dabei glaubte, so allen Weiterungen vorzu- beugen, so erfuhr er freilich bald, daß gerade dieses Verbot B 1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Ereig- nisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548. S. 31 und 33.

2) Ritter, Ev. Denkmal S. 55f. Vgl. über Ibach auch Dechent S. 84ff., wo auch die neuere Literatur über ihn verzeich- net ist.

51 211 die Sache in ein neues Stadium brachte. Jetzt be- | mächtigte sich ihrer der „christliche Adel deutscher Nation“. Einer der benachbarten Taunusritter, Hartmut von Cronberg, ‚der fromme und christliche Bischof des ganzen Rheinstroms“, richtete, als Ibach an Reminiscere nicht mehr predigen durfte, scgleich andern Tags einen Briefan den Rat und ließ das Schreiben, als die Veröffent- lichung am Römer nicht zugelassen wurde, in dessen nächster Nähe am Fahrtor anschlagen!) Der Eindruck seiner Schrift, die vor den falschen Propheten und Wölfen warnte, war sehr groß. Der Rat hielt es für nötig, den Zünften besondere Weisung zugehen zu lassen, wie sie sich verhalten sollten. Er konnte damit aber nicht ver- hindern, daß die Geistlichen allerlei Unfug und Spott über sich ergehen lassen mußten. Bald zeigte es sich, daß man es nicht mit dem Cronberger allein zu tun hatte. Am 12. Mai war am Fahrtor wieder ein Brief angeschlagen, diesmal von der Taunusritterschaft an die Pfaffheit zu Frankfurt gerichtet, und eine Abschrift davon erhielten noch besonders die Herren zu St. Bartholomäi, also vor allem Stadtpfarrer Meyer. Der Adel verlangte evangelische Predigt und drohte zu handeln, falls sie nicht zugelassen würde. Dann stellte Hartmut wieder Meyer schriftlich darüber zur Rede, daß er bisher mit seinen Predigten das Seine gesucht habe. Auch Hutten hatte in den Gang der Dinge einzugreifen gesucht, indem er es war offen- bar auf Cochläus, den Apostaten des Humanismus ab- gesehen bereits am 15. Aprilan der Tür des Liebfrauen- stiftes zwei Briefe anheften ließ, in denen er den Prediger- mönchen und den Kurtisanen Fehde ansagte.

Indessen gerade dieses Eingreifen der Ritterschaft in die Frankfurter Angelegenheiten brachte dem Klerus bald wieder bessere Tage. Hartmut von Cronberg war mit Sickingen nahe verwandt und wurde in der Folge in die Katastrophe der Sickingenfehde mit hereingezogen. Bereits im Oktober 1522 war seine Burg in der Hand

1) Dieses ist von Königstein S. 33 mit der ,forphort'' ge- meint. Wedewer, mit den Frankfurter Lokalitäten anscheinend nicht vertraut, gibt es S. 54 mit ,,Pfarrpforte' wieder.

14*

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der Fürsten, und seine Hoffnungen auf eine Wendung zum Besseren sanken in sich zusammen, als im nächsten Jahre auch Landstuhl und die Ebernburg fielen. Der Rückschlag dieser Ereignisse auf die kirchliche Entwick- lung in Frankfurt blieb nicht. aus. Von den Rittern und den ihnen nahestehenden Humanisten hatte ,,das Evangelium“ seitdem nicht mehr viel zu erwarten.

Um so wichtiger war es, welche Stellung der Rat einnahm.

3. Die Haltung des Rates.

Den ersten Anlaß, in die kirchlichen Verbältnisse der Stadt einzugreifen, bot dem Rate das kaiserliche Man- dat, welches am 6. Marz 1523 auf Grund der Nürnberger Reichstagsverhandlungen verkündigte!), quod nihil praeter verum, purum, sincerum et sanctum evangelium et approbatam scripturam pie, mansuete, christiane iuxta doctrinam et expositionem approbatae et ab ecclesia christiana receptae scripturae doceant. Er eröffnete dieses Edikt den päpstlichen Prädikanten in den Stiftern und Klóstern der Stadt mit der Weisung, sich mit ihren Predigten danach zu richten, ,,und solches alles", wie Ritter nach den Ratschlagungsprotokollen mitteilt?), ,,fürnem- lich auch deswegen, weilen sich vieler Unmuth wegen des Predigers zu St. Bartholomäi Dr. Meyers wie schon bekant, bißhero erreget hätte, als der nebst denen andern das Evangelium und Wort Gottes nicht reine und lauter gepredigte, sie aber gern alles in ihrer Stadt, wie in poli- tischen, also auch kirchlichen Dingen zur Ruhe und Frieden gerichtet s&hen."

DaB der Rat mit seinen Sympathien auf der Seite der Reformation stand, zeigt sich daran, daß Haman von Holtzhausen, der mit anderen die Stadt auf dem Reichstage vertrat, noch in demselben Jahre 1523 den Pfarrer Dietrich Sartor von der Ignatiuskirche in Mainz, der ihm als tüchtiger Prediger bekannt war,

1) Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 2. Bd. 8. Aufl. S. 44 Anm. 1. *) Ritter, Ev. Denkmal S. 61.

53 213

nach St Katharinen brachte!). Aber die Führung in den kirchlichen Dingen überließ man auf dem Römer lieber anderen Händen. Die Stimmung der Bürgerschaft war der Reformation von Anfang an günstig. Doch scheint es sich zunächst mehr um einen Anstoß an dem sittenlosen Wandel der Geistlichen und um eine tiefge- wurzelte Abneigung gegen das religiöse Ausbeutungs- system, den Reichtum, die Abgabenfreiheit und das Asylrecht der Stifter, als um religiöse Interessen ge- handelt zu haben. Der Abfall vom Papsttum war bald fast allgemein, und schon 1524 verließen Mönche und Nonnen in großer Zahl ihre Klöster, lernten ein Hand- werk und traten ebenso wie manche Weltgeistliche in die Ehe. Der Stadtpfarrer Meyer aber konnte sich bald nicht mehr auf der Straße sehen lassen, ohne ausgerufen und verspottet zu werden. Auch an allerlei Unordnung | und Unruhe fehlte es nicht, so daß der Rat immer wieder warnen und wehren mußte. Zu mancherlei Schwierigkeiten kam es, als zuerst die Sachsenhäuser, dann die Bornheimer evangelische Prediger begehrten. Namentlich seit dem’ Bürgeraufstand 1525 kamen immer mehr Anhänger der neuen Lehre als Prediger in die Stadt, und wenn es dem Mainzer Bischof einmal gelang, der Wirksamkeit der schärfsten Eiferer schon nach wenigen Wochen ein Ende zu bereiten, so traten an deren Stelle baldandereStiirmer und Dränger,z.B.DionysiusMelander®), der sogar einmal (1533) von der Kanzel des Doms den Bannfluch gegen den Papst und die gesamte römische Geistlichkeit schleuderte.

Wie die Bewegung sich allmählig klärte und langsam zu einer neuen Kirchenbildung führte, läßt sich an der Stellung erkennen, welche die Mitglieder des Rates zu

1) Ebenda S. 62—64. Auch für das Folgende ist Ritter zu vergleichen. ;

2) Er war „ein um das Evangelium wohlverdienter, dabey aber ungemein hitzig- und etwas ausschweifender Mann“. K. Gesch. 8. 35. Ähnlich charakterisiert ihn Köstlin-Kawerau, Martin Luther, 5. Aufl. II, 315: „Ein schlagfertiger, stürmischer

und herrischer, nach Umständen auch plumper, ja schmutziger, in seinem persönlichen Charakter nicht fleckenloser Volksredner“.

214 54

ihr einnehmen. Sie ist bei dem älteren Geschlechte anders als bei dem jüngeren. Arnold Glauburger fand es mit seiner reformfreundlichen Haltung noch durchaus ver- einbar, sich von Kurtrier 1521 als Kammergerichts- assessor präsentieren zu lassen, und Haman von Holz- hausen, ‚einer der ersten und fürnehmsten mit, welche im Anfang die erste Evangelische Predigt allbier . . be- sorgten'!), ging noch 1525 am Maria-Magdalenentag (22. Juli) in der Prozession neben dem Priester, der das Sakrament trug. Man empfand das damals noch ebenso wenig als einen inneren Widerspruch, wie wenn dieselbe Katharina Holzhausen geb. Fröschin, die in Luther den von ihren Ahnen geweissagten Bestreiter der päpst- lichen Immunitäten erblickt und ihm bei seiner Durch- reise nach Worms die Hände geküßt und ihn in seiner Herberge mit Malvasier gelabt hatte, noch zwei Jahre später in ihrem Testamente Jahreszeiten und Seelen- messen zu St. Bartholomäi und St. Katharinen stiftete?). Viel einheitlicher war schon die Haltung des Ratsherrn und Schöffen Hans Bromm, der sich um die Einführung der Reformation so offenkundige Verdienste erwarb, daß bei seinem Begräbnis 1536 ein Maurer die Gedächtnis- predigt in der Peterskirche mit den Worten unterbrach: „Deß danck ihm GOtt und sey ihm gnädig, daß er den großen Greuel und Bestien der Messe hingelegt!'" 9). Und als der Gothaer Stadtpfarrer Friedrich Myconius im Jahre 1542 in seiner Reformationsgeschichte4) die Frankfurter Freunde der Reformation Revue passieren

1) Ritter S. 40. Er vor allem hatte Ibach 1522 berufen. 1531 empfahl er dem Rate die Anstellung eines neuen Prädikanten an St. Peter. Ritter S. 148. Für die Besoldung des Rektors Micyllus leistete er 1526 aus seinen privaten Mitteln einen Zuschuß. Ritter S. 97f. Dem Rate gehörte er seit 1493 an, 1499 wurde er Schöffe, 1507 und 1518 war er Erster Bürgermeister. Er starb am 31. Oktober 1536. Sein Epitaphium in der Katharinenkirche bei Dechent S. 150.

2) Steitz, F. A. N. F. IV, 87f.

3) Ritter S. 229.

4) In der Ausgabe von O. Clemen (Voigtländers Quellen- bücher, Band 68) S. 59.

55 215 ließ, durfte er bereits schreiben: „In dieser Kommun waren treffliche Leut im Regiment, die über dem Evan- gelio hielten." An erster Stelle nennt er hier den jüngeren Hans Bromm, bei dessen verwitweter Mutter!) er vor drei Jahren mit Melanchthon Gastfreundschaft genossen hatte, und durch dessen Bruder Myconius inzwischen über die Frankfurter Verhältnisse weiter unterrichtet worden war ?). Der jüngere Hans Bromm, 1510 geboren, kam 1537 nach dem Tode seines Vaters in den Rat und wurde 1546 Schöffe, zehn Jahre später Erster Bürgermeister?). Er ist 1564 gestorben. Nächst ihm nennt Myconius Philipp Fürstenberger, dem er das Zeugnis eines vir eruditus, bonus, prudens et erga omnes affabilis mini- meque superbus ausstellt*), ohne übrigens zu wissen, daß er bereits seit 1540 tot war. Fürstenberger war 1505 als Sechsundzwanzigjähriger in den Rat eingetreten. Fünf Jahre später wurde er Schöffe, wollte sich aber von diesem Amte bereits 1513 beurlauben lassen, wie Steitz meinte®), weil seinem hochstrebenden Geiste die städtischen Verhältnisse zu eng waren. Er war ,,im Kleinen für Frankfurt, was Willibald Pirckheimer für Nürnberg war, der tätige Beförderer der Wissenschaft, der Bildung und der Kunst, . . . eine Zierde seiner Vater- stadt, eine staatsmännische Größe im Rate, die starke Stütze der humanistischen und reformatorischen Inter-

1) Melanchthon redet in einem Briefe an ihn von ihr als hospitae nostrae Francofordianae. Der Brief vom 4. April gehört übrigens nicht in das Jahr 1529, wo ihn C. R. I, 1047 unterbringt, sondern er ist, wie Classen, Über die Beziehungen Melanchthons zu Frankfurt a. M. (Frankfurter Gymnasialprogramm 1860) S. 9f. richtig erkannt hat, 1540 geschrieben.

*) Melanchthon gab ihnen den in der vorigen Anmerkung erwähnten Brief mit Grüßen an Myconius mit.

3) Wenn ihn Myconius schon 1542 „Bürgermeister“ nennt, so ist das offenbar eine Verwechslung mit seinem Vater, der 1526 und 1532 Erster Bürgermeister war.

*) Auch bei Cochläus (Brief an Willibald Pirckheimer vom 5. April 1520. Bei Steitz, F. A. N. F. IV, 106) ist er „der gute und milde Mann“.

*) F. A. N. F. IV, 89.

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essen. ‘1). Als Erster Bürgermeister fungierte er 1519, 1525 und 1531 und hat in dieser Stellung mit Klugheit Geschick und Besonnenheit das Schifflein des Frank- furter Gemeinwesens namentlich durch das schwere Jahr 1525 hindurchgesteuert. Für auswärtige Missionen ist er gern verwendet worden. Bekannt ist vor allem seine Entsendung zum Wormser Reichstag 1521; auf seine ungenaue Berichterstattung geht das Märlein?) von dem zaghaften Auftreten Luthers bei dem ersten Verhör zurück?). Mit Hutten und Willibald Pirckheimer stand er im Briefwechsel. Sein Interesse an der gelehrten Bildung ging so weit, daß er es nicht verschmähte, noch 1520 mit Jakob Neuhaus und Haman von Holzhausen Schüler des jungen Wilhelm Nesen zu werden. Die Reformation hatte an ihm nächst Haman von Holzhausen ihren ent- schiedensten und besonnensten Förderer. Von den übrigen = Mitgliedern des Rates, die nach Myconius über dem Evangelio hielten, verdient hauptsächlich noch Erwäh- nung Justinian von Holzhausen, Hamans Sohn, den ‘wir 1524 und 1525 in Wittenberg treffen, wo er auf den Rat seines Vaters namentlich bei Melanchthon Dialektik hörte, „den in unserm uffleuf denselbigen zu dilgen und nidder zu drucken haben wir mangel gehabt leude, die etwas beret waren und perswadiren kuntten. Die rhe- torica mach einen geschick der ungeschick von natur ist, darumb soltu dich darin allen Dag uben et latine et vulgari sermone*). Von der Universität zurückgekehrt, kam er bereits 1529 in den Rat und wurde 1534 Zweiter Bürgermeister, 1537 Schöffe. Das Amt des Ersten Bürger- meisters bekleidete er nicht nur 1538 und 1543, sondern besonders auch in dem durch den Interimsstreit so kri- tischen Jahre 1549. Er mahnte damals Hartmann Beyer 1) Ebenda S. 105. *) Vgl. Hausrath, Aleander und Luther auf dem Reichstage zu Worms. S. 265ff. 355ff. und Luthers Leben I, 430. 3) In demselben Jahre 1521 wurde er mit Stephan Griin- berger nach Mainz zu Kaiser Karl V. entsandt. Als Stadtebote begegnet er uns außerdem 1518 in Augsburg, 1527 in Regensburg,

1530 in Augsburg und 1532 in Regensburg. t) Classen, Beziehungen usw. S. 6 Anm. 8.

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dringend zu Mäßigung in seinen Predigten: „Ihr werdet uns, bei Gott, noch um das Evangelium bringen! wir werden euch, bei Gott dem Herrn, noch einen Urlaub geben, wo ihr nicht nachlasset!!“). Ein Jahr bevor er 1553 starb, betrieb er noch die Berufung des jüngeren Matthias Ritter in das Predigerministerium?), die nächst der- jenigen Hartmann Beyers für die weitere Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse in der Stadt so folgenreich geworden ist. Die anderen Ratsherren, die Myconius noch erwühnt?), sind nicht weiter hervorgetreten. Wenn er sie aber als omnes eruditi bezeichnet, so wissen wir, daß auch bei ihnen jener Bund von Humanismus und Reformation geschlossen war, der der kirchlichen Haltung der Patrizier sein Gepräge gab, und der sein Ansehen in der Stadt wieder fand, seit 1537 Micyllus zurückge- kehrt war, ,,der fein trefflich gelehrte Mann,“ ‚in soluta et ligata oratione incomparabalis".

War die Stellung der Ratsherren nicht ia erster Reihe von ihrem religiósen Standpunkte, sondern u. a. auch von ihrem Humanismus beeinflußt, so beobachtete der Rat als solcher bei allem Wohlwollen doch eine vorsichtig zurückhaltende Stellung. Er ließ die evangelisch ge- sinnten Prediger gewähren, weil er wußte, was Unraths in der Stadt daraus erfolgen möchte‘), wenn er sich ihnen und der ihnen blindlings ergebenen Bürgerschaft in Fragen

1) Steitz, Hartmann Beyer. S. 54. 2) Ritter S. 421.

3) Es sind: 1 Ortwinus zum Jungen, im Rat scit 1533, 1536 Zweiter Bürgermeister, 1539 Schóffe, gestorben 1547. 2. Christo- phorus Stallberger, im Rat seit 1536, 1540 Zweiter Bürgermeister, gestorben 1541. 3. Georgius Weiß senior, entweder: zu Sachsen- hausen, seit 1527 im Rat, 1531 Schóffe, gestorben 1539 (6. No- vember); oder: zu Lowenstein, seit 1537 im Rate, 1542 Zweiter Bürgermeister, 1548 Schóffe, gestorben 1551. (Die Daten nach Lersner.) Gemeint ist jedenfalls de? Zweite, der auf der Frank- furter Tagung 1539 seine Vaterstadt vertrat und dadurch Myconius bekannt wurde.

4) Bürgermeisterbuch, 20. Februar 1533 fol. 86, mitgeteilt von Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts Reformationsgeschichte. S.-A. aus F.-A. V.) Frankfurt a. M. 1872. S. 262, vgl. 264.

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der kirchlichen Reform widersetzte, und sorgte bei Er- ledigung von Pfarrstellen dafür, daß solche Leute ein- rückten, die ,,das Evangelium" predigten. Dabei war ihm aber jede Art von Kanzelpolemik zuwider, und als 1524 Johann Rau gegen seinen Kollegen Meyer im Gottes- dienst ausfallig wurde, lieB er allen Predigern ansagen, nur das zu predigen, was keinen Aufruhr erwecke, denn wenn sie nicht nach dem Edikt von 1523 das Evangelium lauter und rein predigten, könne ihnen der Rat keines Schutzes weder vor dem Gmnädigsten Herrn zu Mainz, noch auch vor dem Volke versichern!) Vollends von sich aus einen entscheidenden Schritt zu tun, vermied er sorgfältig. Das ihm 1526 von dem Landgrafen von Hessen angetragene Torgauer Bündnis lehnte er ab?), und unter den Reichsständen, die gegen den Speyerer Abschied von 1529 protestierten, fehlt Frankfurt, auch wenn es mit der protestierenden Minderheit Fühlung nahm?), noch ebenso, wie es ein Jahr später unterließ, die Augsburger Konfession zu unterzeichnen. Die Augustana hatte zwar die Autorität der Wittenberger Theologen auf ihrer Seite. Aber angenommen war sie zunächst nur von wenigen Reichsständen. Überdies war sie nicht das einzige Bekenntnis der neuen Lehre, das dem Reichstage vorlag. Die Tetrapolitana der vier oberdeutschen Städte Konstanz, Lindau, Memmingen und Straßburg, sowie Zwinglis Glaubensbekenntnis standen ihr gegenüber. So schien die theologische Seite der Sache noch zu wenig geklärt. Bei den Bündnisverhandlungen aber, die den Erörterungen über das Dogma parallel gegangen waren, hatte die Angelegenheit auch einen starken politischen Beigeschmack, der es den Herren auf dem Römer rätlich erscheinen ließ, sich freie Hand vorzubehalten, zumal ihre Interessen mehr nach Oberdeutschland als nach Kursachsen gravitierten. Wenn so die Stadt davon Ab- stand nahm, das Bekenntnis Melanchthons zu unter- zeichnen, so gab sie aber doch ihre Unterschrift auch

1) Ritter, Ev. Denkmal S. 70. 2) Ebenda $. 99. 3) Ebenda S. 1231.

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nicht zu dem Reichstagsabschied von Augsburg, weil in diesem die Wendung vorkam, die Lehre der Prote- stanten sei mit Zeugnissen der Heiligen Schrift widerlegt worden. Sie bat sich vielmehr Bedenkzeit aus und plädierte für ein allgemeines Konzil!). Erst als 1532 der Nürnberger Religionsfriede den Ständen wenigstens bis zur Einbe- rufung eines Konzils oder einer Nationalversammlung Religionsfreiheit gewährte, befahl der Rat am 23. April 1533 die Einstellung des katholischen Gottesdienstes in der Stadt und verbot zugleich den Besuch der katholischen Gottesdienste in Höchst und Bockenheim. Doch ließ er sich auch zu diesem Schritte erst durch die Bürger- schaft drängen, deren unruhige Elemente einen Kirchen- sturm ins Werk gesetzt hatten, und die Verantwortung für seine Maßregel schob er den Zünften zu, indem er diese zuvor darüber befinden ließ, ob ,,die Messe mit ihrer Rüstung und alten Ceremonien“ als ,,ungóttliches und unchristliches Ding“ abzutun sei?) Auch ließ er schon sehr bald wieder (1535) den katholischen Gottes- dienst zu und gab für ihn sogar den Dom frei. Es be- durfte erst einerseits der drohenden Haltung, welche die katholischen Nachbarn und das Reichskammergericht ein- nahmen, und andrerseits der untrüglichen Gewißheit dafür, daß der deutsche Protestantismus politisch als eine imponierende Macht im Reiche dastehe, bis man es 1536 geraten fand, seine Zuflucht bei dem Schmalkaldischen Bunde zu nehmen. Als aber zehn Jahre später in den ersten Monaten des Jahres 1546 alles auf den unmittel- baren Ausbruch des Krieges hinwies, war das Vertrauen des Rates zu der Macht des Bundes so gering, daß er aus Furcht vor dem Zorn des Kaisers vorzog, den Nieder- làndern, die durch Jan Utenhove um Aufnahme in die Bürgerschaft nachsuchten, das Gastrecht zu verweigern, das er 1498 den aus Nürnberg verjagten Juden aus freien

1) Ebenda 8. 145.

*) Auszüge aus den Antworten der Ziinfte bei Dechent, Geschichte der Stadt Frankfurt in der Reformationszeit. Schriften für das deutsche Volk, herausgegeben vom Verein für Reformations- geschichte. Nr. 43. S. 17f.

vr. S

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Stiicken angetragen hatte. Und als dann bald die Macht des Bundes die Feuerprobe bestehen sollte, lieferte der Rat (im Dezember 1546) die Stadt ohne Schwertstreich an den kaiserlichen Feldherrn Maximilian von Büren aus. Auch als der Kaiser in dem Augsburger Interim versuchte, die früheren kirchlichen Zustände wieder herzustellen, war es wieder der Rat, der sich im Gegen- satze zu dem mannhaften Widerspruche der Prädikanten zu jedem schwächlichen Zugeständnisse bereit finden ließ. Erst der Passauer Vertrag stärkte dem Rate, der durch seine schwankende Haltung die Stadt 1552 der schweren Belagerung durch Moritz von Sachsen ausgesetzt hatte, das Selbstvertrauen, und als gesichert durfte der Bestand der Reformation in Frankfurt angesehen werden, als der Augsburger Religionsfriede den evangelischen Reichsständen das ius reformandi einräumte.

Fragt man, von welchem Gesichtspunkte der Rat sich bei dieser ganzen Haltung in der kirchlichen Frage leiten ließ, so ergibt sich als Kanon, daß für ihn nur außerkirchliche Erwägungen maßgebend waren. Sein Verhalten kann vom kirchlichen Standpunkte aus nur als unentschieden, sprunghaft, widerspruchsvoll beurteilt werden. Aber sofort erkennt man Einheit, Stetigkeit und Folgerichtigkeit darin, wenn man als ausschlag- gebenden Beweggrund die Rücksicht auf die politische Zeitlage und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt ins Auge faßt!). In der Tat stand für Frankfurt viel auf dem Spiele. Hier wurden seit alters die deutschen Könige gewählt, und das Ziel, auch Krönungsstadt zu werden, schien nicht ferne?) Es war nicht zu erwarten, daß das alte Privileg erhalten blieb, viel weniger daß ein neues hinzukam, wenn man in der kirchlichen Frage dem Kaiser offen entgegentrat. Eswarnach dieser Richtung ein sehr deutlicher Wink, den man in Frankfurt auch recht gut verstand, wenn Karl V. 1531 die Wahl seines

1) Auf „Motive des innern städtischen Lebens‘ führt auch Ranke III, 349 den Anschluß Frankfurts an die Reformation zurück.

*) Erreicht wurde es 1562.

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Bruders Ferdinand zum römischen König nicht in Frank- furt, sondern in Köln vornehmen ließ. Auch die Freiheit der Reichsstadt kam in Frage. War der Zorn des Kaisers einmal herausgefordert, so konnte es leicht geschehen, daß auf kaiserlichen Machtspruch hin die Stadt ihren reichsunmittelbaren Charakter verlor und als schätzens- werte Landstadt in den Besitz eines dem Kaiser ergebenen Territorialfürsten überging. Und vor allem stand zu be- sorgen, daß die Messen, diese ergiebigen Quellen für den Wohlstand der Bürgerschaft und des städtischen Ge- meinwesens, der Stadt entzogen würden, um etwa dem benachbarten Mainz oder Worms überwiesen zuwerden!). Schließlich schien auch für die Sicherung der Reformation selbst ein maßvolles und kluges Vorgehen immer noch am aussichtsreichsten, während ein intransigentes Ver- halten, wie es die Prädikanten nach der Verkündigung des Interims beobachteten, so charaktervoll es war, doch leicht alles in Frage stellen konnte?).

Wo solche Sorgen den Rat bedrückten, ist es nicht weiter zu verwundern, daß er die Regelung der inner-. kirchlichen Fragen in dieser ganzen Zeit gern anderen Händen überließ, sich auf ein bei aller Vorsicht doch immer wohlwollendes Gewährenlassen dem Neuen gegen- über beschränkte und jedenfalls darauf verzichtete, von sich aus zur Aufstellung einer festen Norm der Lehre zu schreiten. Fast zwei Jahrzehnte lang genügte ihm die Bestimmung von 1523, daß das Evangelium rein und lauter zu verkündigen sei. Die Annahme der Augsburger Konfession und die Zustimmung zu der Wittenberger Konkordie ging für ihn nicht wesentlich über jene Be- stimmung hinaus. Erst am Anfang der vierziger Jahre sah er sich durch die Entwicklung der kirchlichen Ver-

1) Bothe, Frankfurt in Sage und Geschichte. II, 2. S. 6. 28. Erläuterungen S. IIIf. Ranke IV, 340: „Ich finde in der Tat, daß die Stadt Worms sich schmeichelte, dieselben (nämlich die Messen an sich zu ziehen,“ als Büren 1546 vor der Stadt erschien.

*) Hierauf machte der Rat die Prädikanten auch aufmerk sam. Steitz, Hartmann Beyer. S. 32f., 43.

222 62

haltnisse in der Stadt veranlaBt, von sich aus genauere Festsetzungen zu treffen.

Den Gang dieser Entwicklung haben wir nunmehr näher ins Auge zu fassen.

4.Der Bürgeraufruhr und der kirchliche Radi- kalismus. |

Die nächste Welle reformatorischer Erhebung stieg in dem unruhigen Jahre 1525 empor. Auch Frankfurt hat damals seinen Aufruhr erlebt. Noch ehe er ausbrach, mußte Stadtpfarrer Meyer flüchten; daß er in einer Fasten- predigt am 12. März in seiner derben, anzüglichen Weise von „Hundsbräuten‘‘ gepredigt hatte, war den Frank- furtern denn doch zuviel. Drei Tage später verschwand er auf Nimmerwiedersehen. Fremde Kaufleute, die dann zur Fastenmesse kamen, hörten ein Gerücht, am Ende der Fastenzeit werde man in der Stadt etwas Neues erleben, Verschwörung und Aufruhr seien im Werk. Dieses Gerücht bestätigte sich dann auch, als am Oster- montagmittag (17. April) sich auf dem Peterskirchhofe ein großer Haufe Unzufriedener ansammelte, deren Un- wille sich ,,widder den rat und geystlichkeit" richtete!). Wie die beiden Bürgermeister, die alsbald auf dem Platze erschienen, feststellten, betrafen die Beschwerden ‚das ungelt, wyn und korn, zins und sunst der glichen vill" und gingen von der Gesamtheit der Zünfte aus. Während nun der Rat in Verhandlungen mit den Wortführern der Menge eintrat, drang der Haufe in Klöster und Pfarr- häuser ein und hielt sich an Speise und Trank schadlos. Cochläus, dem schon seit geraumer Zeit der Frankfurter Boden recht heiß geworden war, fand es ebenso wie sein Kollege vom Bartholomäusstift geraten, der Stadt den Rücken zu kehren. Die Verhandlungen der Aufstän- dischen mit den beiden Bürgermeistern führten am

1) Steitz, Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Kapitels und die Er- eignisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548. Frankfurt a. M. 1876 8. 79.

63 223 20. April zur Ubergabe von 42 Artikeln, die bis zum 23. April auf 45 ergänzt wurden’). g

Diese Artikel, die eine unverkennbare Ahnlichkeit mit den 12 Artikeln der Bauernschaft besitzen, zeigen uns deutlich den religiös-sozialen Charakter der Be- wegung. ,,Erstlich“*, so beginnen sie, „ist unser Bitt und Begehr und ernstlich Meinung, daß hinfürter ein ehrsamer Rat und Gemein, einen Pfarrherrn in den Pfarr- kirchen und andere Kirchen zu setzen und zu entsetzen, Macht haben sollen; dieselben erwählten Pfarrherrn auch nichts anderes, denn das lautere Wort Gottes, das heilig Evangelium, unvermengt menschlicher Satzung, predigen sollen, damit das Volk in rechter Lehr gestärket und nit verführet werde. Des weiteren wird eine Reihe von sittlichen und sozialen Forderungen aufgestellt. Der Klerus wurde u. a. an die Pflicht der Keuschheit erinnert, eine Forderung, die noch Nachdruck erhielt, als am 26. April im Auftrag der Gemeine eine Abordnung in etlicher Prälaten, Kanoniker und Vikare Häuser ging und ausrichtete, ‚sie sollen ire maid von inen thun und sich vor schaden hutten,“ worin die verängstigten Kleriker auch willigten?). Zu den Pflichten der Bürger sollten auch die Geistlichen herangezogen werden, den Mönchen sollte Bettel, Predigt und Beichtehören ver- boten, der Austritt aus ihren Klöstern dagegen freige- stellt, den Orden aber die Aufnahme neuer Mitglieder verwehrt sein. Auch die Einrichtung eines gemeinen Kastens war vorgesehen, damit die Armen versorgt würden und nicht betteln müßten. Von dem sittlichen Ernste der Aufständischen zeugte die Forderung, daß alle Zusäufer und Gotteslästerer gestraft werden sollten ohne alles Nachlassen. Andere Beanstandungen betrafen die gleichzeitige Zugehörigkeit von Vater und Sohn oder zweier Brüder zum Rat, den kleinen Zehnten, die Schäfe- reien der Deutschherren auf dem linken Mainufer, die Kosten für die Söldnerpferde u. a. m.

1) Vgl. über sie Dr. R. Jung, Zur Entstehung der Frankfurter Artikel von 1525. F. A. 3. F. 2. Bd. (1889) S. 198ff. 13) Steitz, Königstein S. 83.

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Als Verfasser dieser Artikel kommt nach Königstein 2) der Schwager Carlstadts, Dr. Gerhard Westerburg?) in Betracht, der in jener Zeit in Frankfurt wohnte. Dieser, aus einer Kölner Patrizierfamilie hervorgegangen und- in seiner Vaterstadt und in Italienhumanistisch vorgebildet, war seit 1521 unter den Einfluß der Zwickauer Propheten geraten, hatte dann deren Träume in Zürich, wo er zwar nicht mit Zwingli, wohl aber mit der radi kalennoch nicht zum Anabaptismus ausgearteten Partei der Stadt Fühlung nahm, mit einem strengen Schriftprinzip vertauscht und verfolgte nun mit Ernst und Eifer das eine Ziel, das kirch- liche und bürgerliche Leben nach den Normen der Bibel umzugestalten, wofür ihm aber ‚das Wort“ allein nicht genügte. Im Jahre 1524 finden wir ihn in dem Aufstands- gebiete um Waldshut, wo eine „evangelische Brüder- schaft“ die zwölf Artikel der Bauernschaft verbreitete. In demselben Religion und Politik verquickenden Sinne war er dann als ‚evangelischer Mann‘, wie er sich selbst nannte, in Frankfurt tätig, wo er sich lange vor Ausbruch der Unruhen einmietete und bei Tag und Nacht evan- gelische Brüder in großer Zahl um sich sammelte. In seiner Hand liefen die Fäden des Frankfurter Aufstandes zusammen, und er leitete die Bewegung mit solchem Geschick, daß er, als sie fehlgeschlagen war, sich unan- gefochten in das Privatleben zurückziehen konnte. Von Natur heftig und leidenschaftlich, verfügte er über eine- volkstümliche Beredsamkeit, von der uns heute noch seine Schriften Zeugnis ablegen?) Zum Schwärmer war er nicht geboren, er war vielmehr ein „Mann der Wirklichkeit und der scharfen Reflexion, klug, sogar schlau, gewandt und schlagfertig. Obgleich des Wortes in hohem Grade mächtig, war doch sein eigentliches Gebiet das des Handelns und der überlegten Tat“. Wir beobachten bei ihm ,,die Lust an der Opposition und dem

1) Ebda 8. 86.

2) Vgl. über ihn Steitz in den Abnandisügeh zu Frankfurts Reformationsgeschichte. (S.-A. aus F. A. N. F. 5. Bd.) Frankfurt a. M. 1872 8. 1— 2195.

3) Ebda. S. 198.

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Streite, verbunden mit dem unruhigen Drang, eine tätige Rolle zu spielen!) Es war ihm nicht sowohl darum zu tun aufzubauen, als vielmehr niederzureißen und für einen neuen Bau Raum zu schaffen. Religiöse Tiefe. und Gemüt gingen ihm ebenso ab, wie Gelehrsamkeit oder gar Genialität. Dafür aber besaß er einen klaren Blick und einen redlichen Sinn, eine aufrichtige Liebe zur Kirche und ein warmes Mitgefühl mit ihren Schäden, einen unbeugsamen und geraden Charakter?). Am meisten interessiert uns hier sein kirchlicher Standpunkt. Über ihn urteilt sein Biograph?): „Durch alle Wandlungen seines bewegten Lebensganges geht eine evangelische An- schauung hindurch, die in der Bestimmtheit und Richtung, welche sie von Anfang an zeigt, ihn für die reformierte Kirche prádestinierte. Dahin gehört vor allem die unbe- dingte Unterwerfung unter Gottes Wort in der heiligen Schrift, das ihm die alleinige und ausschließliche Richt- schnur aller Wahrheit ist. " Es ist nur eine naturgemäße Entwicklung, die er durchlief, wenn er nach der wieder- täuferischen Episode seines Lebens schließlich in der reformierten Kirche landete und uns 1546 an der Seite Laskis in Ostfriesland begegnet.

Eine Schilderung des Verlaufs, welchen der Frank- furter Aufstand unter der Leitung dieses Mannes genommen hat‘), würde über den Rahmen unserer Aufgabe hinaus- gehen. Es genügt, an die Haupttatsachen zu erinnern. Der Rat nahm am 22. April die Artikel an, nachdem die Geistlichkeit ihre Zustimmung erklärt hatte, und ließ sie von den Bürgern beschwören. Damit schienen im Innern georänete Zustände wiedergekehrt zu sein. Aber nun erhoben sich von außen her neue Schwierig- keiten. Die Bauern näherten sich auch Frankfurt, und

1) Ebda. S. 164. 2) Ebda. S. 210. 3) Ebda. S. 202. *) Vgl. dazu das Frankfurter Aufruhrbuch von 1525, als

Neujahrsblatt des Frankfurter Geschichts- und Altertumsvereins herausgegeben von Steitz 1875.

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unter den Ziinften der Stadt lieBen sich trotz der beruhi- genden Erklärungen, die sie dem Rate abgaben, Stimmen genug vernehmen, ,,die vermeinten, die geistlichkeit und Juden, auch die deutschen herren uf die fleisch bank zu libern, han sich auch heimlich lassen horen, wo es nit nach irem willen ghe, wolten sie der artikel gar keinen halten‘‘!). Die Bewegung in der Stadt geriet in die Hände der radikalsten Elemente, und selbst der ältere Bürger- meister Philipp Fürstenberger war in seiner Wohnung nicht mehr sicher. Doch führte gerade der Terrorismus, der nun drohte, den Umschwung herbei. Der konser- vative Teil der Bürgerschaft trat aus seiner Untätigkeit heraus, und, auf ihn gestützt, verfügte der Rat die Aus- weisung Westerburgs. Eine weise Milde, die mit solcher Festigkeit, gepaart war, führte dann wieder zu ruhigen und gesicherten Verhältnissen. Es war höchste Zeit. Denn in denselben Tagen brach die Herrlichkeit der Bauern zusammen, und die Sieger verlangten nun auch von Frankfurt die Auslieferung der Empörer, die sich dahin geflüchtet hatten. Bei den Verhandlungen, die daraufhin in Pfeddersheim gepflogen wurden, kamen auch die Frank- furter Unruhen zur Sprache. Ein strengeres Strafgericht der Fürsten konnten die Vertreter abwehren. Doch mußte der Artikelbrief ausgeliefert und der alte Stand der Dinge wieder hergestellt werden.

Gingen der Bürgerschaft die sozialen Errungenschaften des Aufruhrs verloren, so blieb ihr die evangelische Predigt erhalten. Wie sie in den Artikeln an erster Stelle ge- fordert worden war, so hatte der Rat bereits am 24. April die Berufung evangelischer Prädikanten erwogen. Er wandte sich deswegen an Luther, der daraufhin Johann Agricola schickte?). Doch blieb dieser nur einen Monat, da er bei seiner Ankunft bereits andere Männer an der Arbeit fand, mit denen er nicht gleichen Sinnes war. Es waren Dionysius Melander und Johannes Bernhard

1) Königstein S. 85.

3) Vgl. das Beglaubigungsschreiben vom 30. Mai 1525 in der Erlg. Ausg. 53, 307 und die Erläuterungen dazu bei Enders, 5, 183.

DuA

67 227 genannt Algesheimer, beide der reformierten Denkweise viel näher stehend als der lutherischen. Melander, der einmal von der Kanzel den Bann gegen den Papst und die ganze Klerisei schleuderte, begegnet uns später als geist- licher Berater Philipps von Hessen, dessen Bigamie er auch auf der Kanzel verteidigte!) Algesheimer hat nachmals den Frankfurter mit dem Ulmer Kirchendienst vertauscht, als ihm (1536) in Peter Geltner ein ausge- sprochener Schiiler Luthers zur Seite trat. Die von diesem betriebene Einführung der sächsischen Zeremonien, na- mentlich der Gebrauch der Alba und das Brennen von Kerzen bei der Abendmahlsfeier, war offenbar nicht nach seinem Sinne?).

Ihre Tätigkeit in Frankfurt begannen die neuen Männer an Pfingsten (4. und 5. Juni) 1525 unter großem Zulauf in der Liebfrauen- und Leonhardskirche?). Sie repräsentieren die Sturm- und Drangperiode in der Frank- furter Reformationsgeschichte. Auch der Pfeddersheimer Vertrag setzte ihrer Wirksamkeit kein Ende. Welchen Anklang sie fanden, zeigt die Bitte, welche damals die Steinmetzen dem Rate vortrugen, keine anderen Prediger, denn so jetzo seien, aufstehen zu lassen, damit weiterer Aufruhr unter der Gemeine nit entstehe. Ähnlich baten die Zünfte insgesamt, daß das Evangelium nach Laut des ersten Artikels auch ferner gepredigt werde‘). So hielt denn der Rat schützend seine Hand über die beiden Prediger, von denen Melander die Sonntags-, Algesheimer die Wochengottesdienste (am Mittwoch- und Freitag- nachmittag) übernahm. ‚Sie han alle beyde den pabst, pristerschaft hochlich angetast, das hochwirdig sacra- ment, all ceremonien der kirchen und sunderlich die meß ganz veracht“5). Dazu richteten sie auch den Gottes-

!) Hiergegen erhob Bucer Einsprache in seinem Brief an den Landgrafen vom 19. April 1540. Lenz, Briefwechsel Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen mit Bucer, I, 165f.

2) Über Algesheimer vgl. Enders 11, 15. Er hat semen Namen von Algesheim bei Ingelheim, wo er früher Pfarrer war.

*) Königstein S. 89.

t) Steitz, Westerburg S. 101.

5) Kónigstein S. 99.

15*

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dienst ganz neu ein „mit ongewonlichem gesang in der pharkirchen“!), d. h. sie führten den Gemeindegesang ein. Der Rat ließ sie bei alledem ruhig gewähren. Auch der neue Dompfarrer Dr. Friedrich Nausea, der Anfang 1526 sem Amt antrat, richtete nichts gegen sie aus, da die Gemeinde sich vorgenommen hatte, ihn überhaupt nicht zu Worte kommen zu lassen?) Ebenso war eine Beschwerde des Mainzer Ordinariates tiber sie vergeblich. Die Verantwortung, welche sie dagegen dem Rate vor- legten, ist deshalb besonders denkwiirdig, weil sie uns zeigt, wie abhängig die beiden Prädikanten von Zwingli waren, „selbst die Schlagwörter des Schweizer Reformators hatten sie sich angeeignet. Frankfurt trat durch ihre Wirksamkeit entschieden in die Reihe der vom Geiste Zwinglis beherrschten Städte‘“°).

Einen Bundesgenossen erhielten Melander und Alges- heimer 1529 noch in dem bisherigen Lektor und Guardian der Barfüßer Peter Pfeiffer, genannt Chomberg, der nach Auflösung seines Klosters (1529) gleichfalls scharf gegen die Lehren und Einrichtungen der alten Kirche eiferte, später aber, als Geltner die sächsischen Riten in Frank- furt einführen wollte, mit Algesheimer nach Ulm zog. Wir besitzen von ihm noch eine Skizze der Predigt, welche er am 12. Juli 1529 morgens 7 Uhr in der Bar- füßerkirche in habitu saeculari vor viel Volk über Joh. 14, 6 hielt. Er nahm die drei Mönchsgelübde vor und be- kannte, „alles, das er getan hab im orden und kutten, sei widder Goit gewest, wan die werk gar nit selig machen. Er hat auch gezwifelt, ob sanct Franciscus selig sei,

und gesagt: Francisce, Francisce, die blat, kutt, gepett.

hot dich nit selig gemacht! auch es sei kein obberkeit meh, wan die weltlich, welcher man gehorsam leisten soll, und der gleichen ketzersch artikel vill, alle zu eyner schande, ußgeruffen, den babst vernicht, die beicht ver- acht, die meß gar abgethan“*).

1) Ebda. S. 101.

8) Wedewer, Johannes Dietenberger. S. 73f. 8) Steitz, Abhandlungen usw. 8. 221.

*) Königstein S. 153.

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Ebenso wie über die Lehren und Einrichtungen der Kirche setzten sich diese Prediger freilich oft auch über die Gebote von Sitte und Anstand hinweg. Zu lange hatten diese Männer wider ihre Natur gelebt. Jetzt ließen sie sich widerstandslos von ihr zu allem fortreißen. Auf die Frage, was denn noch gelten solle, hatte ihr Radikalismus keine Antwort. Chomberg fing am Brunnen Liebschaften mit den Mägden an, die Wasser holten. Die beiden anderen gaben so vielfaches und schweres Ärgernis, daß der Rat zeitweilig (1528) erwog, nach zwei anderen, ehrbaren Prädikanten zu trachten, die sittiger wären, denn diese zwei!). Es kam indessen nicht so weit, wohl mit Rücksicht auf die Gunst, die Melander?) und Algesheimer bei dem Volke genossen. So beschränkte sich der Rat darauf, ein Jahr später, in der Person des Johannes Cellarius einen Wittenberger Theologen zu be- rufen, der, von Luther warm empfohlen®), Garantien für Gelehrsamkeit, Mäßigung und Sittenstrenge zu bieten schien. |

Der Versuch indessen, mit ihm ein gemäßigteres Element in das Predigerministerium zu bringen, scheiterte an der Verschiedenheit der Dogmatik. Cellarius konnte sich auf die Dauer nicht halten. Bereits nach einem halben Jahre stellten sich zwischen ihm und den drei anderen Predigern bei Aufstellung einer Abendmahls- liturgie erhebliche Meinungsverschiedenheiten heraus, die sich in der Folge so zuspitzten, daß der Rat sich schließlich im Frühjahr 1532 genótigt sah, ihm ,,einen freundlichen Urlaub zu geben“. An seiner Statt wurde Matthias Limberger als Prediger an St. Peter angestellt und damit die Homogenität des Kollegiums wieder hergestellt. Doch setzte Cellarius auch jetzt noch seine Predigt- tätigkeit im Katharinenkloster fort, bis die Prädikanten dem Rat erklürten, sie würden ihre Wirksamkeit ein-

1) Steitz, Abbandlungen usw. S. 269.

2) Melander muBte aber zuletzt doch um unsauberer Dinge willen seine Stelle aufgeben.

*) Wrampelmeyer, Tagebuch über Dr. Martin Luther ge- führt von Dr. Conrad Cordatus. Nr. 1139. S. 299.

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stellen, falls er den Winkelprediger noch länger dulde!). Daraufhin benutzte Cellarius die Herbstmesse, um sich nach Wittenberg zu begeben.

Der Charakter des Frankfurter Reformationswerkes ist in dieser Phase der Entwicklung erheblich verscbieden von demjenigen des vorhergehenden Stadiums. Der Huma- nismus, welcher damals die Führung hatte, muBte jetzt, da man die Zünfte gewähren ließ, mehr und mehr zurück- treten. ‚Charakteristisch dafür ist das Schicksal, welches den Rektor Micyllus?) eben in diesen Jahren traf. Dieser hatte im Herbst 1524 die Leitung der Schule Wilhelm Nesens übernommen. Seine Geistesrichtung war bestimmt worden durch den Erfurter Humanistenkreis, dem er 1518—1522 angehört hatte. Sie faßt sich in dem Be- kenntnis?) zusammen: ‚Ich habe mich überzeugt und bin durch griindliches Nachdenken zu der Einsicht ge- langt, daB ohne die Grundlage dieser Studien, mag man sie poetische oder humane nennen wollen, weder góttliche noch menschliche Dinge auf die rechte und erfolgreiche Weise behandelt werden können.“ Ein Aufenthalt in Wittenberg 1523 hatte ihn nicht tiefer unter den Einfluß Luthers gebracht. Wenigstens erklärte er bei seiner Bewerbung um die Professur für die griechische Sprache an der Heidelberger Universität gegen den Kurfürsten Ludwig V. von der Pfalz am 5. Dezember 1532: ‚Wo vielleicht, als ich besorg, in Ew. Churfürstl. Gnaden durch Mißgunst eingebildet wäre, daß ich der lutherischen Sekte anhängig sein sollte, geb’ ich diesen wahrhaftigen Bericht, daß mir solches ganz zu Unschulden zugemessen. Dann wo dem also, wäre ich bei einer ehrsamen Stadt Frankfurt, da ich ehrlich Unterhaltung gehabt, blieben

1) Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f.

2) Vgl. Steitz, Ebda. S. 216—256: Des Rector Micyllus Abgang von Frankfurt 1533 nach seinen bisher unermittelt ge- bliebenen Ursachen dargestellt. Über Micyllus vgl.noch: J.Classen, Jacob Micyllus, Rector zu Frankfurt a. M. 1524—1533 und 1537— 1547, als Schulmann, Dichter und Gelehrter. Zwei Abtei. lungen. Frankfurt a. M. 1858.

3) In der Widmung seiner Ausgabe von Boccacios Genealogia Deorum (4. November 1531), bei Steitz S. 226.

71 231 und wollte wohl bei Andern eine mehrer Besoldung er- langen mögen. Ich hab’ bisher mich der Theologie nichts unterzogen und mit keinerlei Secten umgangen, allein bonis litteris und meinem fürgenommenen Studio ange- hangen, wie ich auch fürder zu thun gedenke 1) °° Für einen solchen wissenschaftlichen Betrieb hatte man aber in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre keinen Sinn, und ehemalige Mönche wie Melander, Algesheimer und Chomberg waren nicht die Leute, ihn zu pflanzen. Die anfangs freundlichen Beziehungen zwischen ihnen und dem Rektor erkalteten. Ihr demagogisches Auftreten war seiner Gelehrtennatur im höchsten Grade zuwider, und nach den stachelichten Versen zu schließen, die er ihnen gewidmet hat, waren auch die persönlichen Er- fahrungen, welche er mit ihnen machte, recht unerquick- lich. Als ar sich dann enger an Cellarius anschloß, der ihm aus der Schule Melanchthons ein größeres inneres Verständnis für seinen Interessenkreis entgegenbrachte, wurde seine Stellung vollends unhaltbar. Es waren die Wege des Humanismus und der Reformation, die sich damals in Frankfurt schieden, um sich später unter günstigeren Umständen wieder zusammenzufinden. Die Prädikanten ‚‚verdächtigten seine Wissenschaft und seinen Unterricht als heidnisch und machten es ihm wohl unverhohlen zum Vorwurf, daß er durch die Einführung der Jugend in die antiken Religionen dem heidnischen Götzendienst der katholischen Tempel, der Messe und der Heiligen einen Halt gewähre; sie wußten die Bürger- schaft, die sie mit ihren demagogischen Künsten bear- beiteten und lenkten, gegen die Schule einzunehmen und wurden dadurch die Urheber ihres Verfalles; der Rat aber, der selbst dem Terrorismus des Dionysius keine Macht entgegenzustellen hatte, vermochte weder den Micyllus, noch die Schule zu schützen und mußte ihn zuletzt seinen Feinden opfern''?). Mit Beginn des

1) Bei Steitz S. 252.

2) Steitz, S. 227. Als verfehlt erscheint mir der Versuch von Steitz S. 253, aus Micyllus einen Märtyrer des Luthertums zu machen, der den Anhängern Zwinglis habe weichen müssen.

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Jahres 1533 siedelte Micyllus nach Heidelberg über, Damit schied der Humanismus als reformatorisches

Prinzip endgültig aus der Frankfurter Kirchen- geschichte aus.

9. Luther und die Frankfurter Kirche.

Der Einfluß Luthers, den Cellarius vermittelt hatte, ging an dem Frankfurter Kirchenwesen nicht spurlos vorüber. Er zeigt sich in dem „Bedenken“, welches die vier Prädikanten am 3. März 1530 auf Veranlassung des Rates „einhellig‘“ vorlegten, und das von Cellarius verfaßt ist. Dieses , Bedenken", in welchem wir die älteste Frankfurter Kirchenordnung zu erblicken haben t); nimmt sich Luthers ,,Deutsche Messe“ zum Vorbild, läßt aber dabei das Nebeneinander des Wittenberger und des Schweizer Typus mit ziemlicher "Deutlichkeit erkennen. Wie Luther, so wollen auch die Frankfurter aus ihrer Gottesdienstordnung kein Gesetz machen, das die Gewissen wie unter dem Papsttum verwirren könnte, Sie behalten je nach Zeit und Umständen Änderungen ausdrücklich vor. Auch die Benützung des Gottesdienstes

Die konfessionelle Antithese, die Steitz zwischen M. und den Prädi- kanten machte, hàlt nicht Stich angesichts der oben mitgeteilten Erklärung des M., Frankfurt sei eine lutherische Stadt, in der er, falls Lutheraner, hatte bleiben kónnen. Auch der Anschluf an Cellarius ist kein hinreichender Beweis für die lutherische Denk- weise des M. beide begegneten sich auf der gemeinsamen Basis des Humanismus. Unhistorisch und Silbenstecherei ist es, wenn Steitz meinte, M. habe sich nur zu einer lutherischen „Kirche“ als der „Kirche Christi selbst in ihrer gereinigten Gestalt", als der „Gemeinschaft des wahren Protestantismus‘“, aber nicht zu einer lutherischen ‚Sekte‘ bekannt. Es ist eine Vorausdatierung einer sehr viel späteren Ausdrucksweise, schon im Jahre 1532 eine solche luth. Kirche erwähnt finden zu wollen. Über den Sinn, welchen der Ausdruck ,,luth. Sekte“ in dem damaligen Frankfurt hatte, läßt das Tagebuch Körigsteins keinen Zw. ifel: zu ıhr gehören die kirchlichen Neuerer insgesamt. Ihnen will M. nicht zugezählt sein, gleichviel ob sie auf Wittenberg oder auf Zürich eingeschworen seien. Er ist nicht Theolog, sondern Humanist.

*) Abgedruckt bei Ritter, Evang. Denckmahl S. 195ff. Der Entwurf des Cellarius ebenda S. 199ff.

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zur Belehrung der Jugend und des Volkes entspricht ganz dem Wittenberger Muster, an das sie sich auch mit der Anmeldung zum Abendmahl anschlieBen. Und wenn die Einsetzungsworte aus den vier Berichten zu- sammengearbeitet sind, so geht das ebenso auf den Vorgang Luthers zurück, wie die Reihenfolge, in der die Kommunikanten am Altar erscheinen. Anderes dagegen ist stillschweigend aufgegeben, manches auch neu eingeführt. Meßgewänder, Altar und Lichter, die Luther nicht angetastet hatte, sind in der Frankfurter Ordnung nicht erwähnt. Für die Abendmahlsfeier sollen, „wie auch zuvor, unter dem Bapstthum, hie breuchlich gewest ist," lange Tische vor dem Chor aufgestellt werden. Auch wurde der Rat ersucht, er möge ‚etliche dapfere ansehliche Menner verordnen, die Got und dem hoch- würdigen Sacrament zu Ehren auf beiden Seiten des Tischs da stünden, Unordnung oder Unehr so sich be- geben möcht, zu verhüeten“. Die Feier selbst wurde eingeleitet mit dem Gesang der zehn Gebote, unter dem der Tisch bereitet wurde; es folgte eine kurze Abend- mahlsvermahnung, die vor unwürdigem Genusse warnte, das Gebet, eine Paraphrase des Vater-Unser, wie bei. Luther, und die Einsetzungsworte; die Distribution er- folgte unter Psalmengesang der Gemeinde; den Schluß bildeten Danksagung und Segen. Endlich lassen die Prediger durchblicken, daß ‚solch Nachtmal villeicht nit alle Sonntag gehalten wiirdet‘‘), sie sind also nicht der lutherischen Meinung, daß zum rechten Gottesdienst die Abendmahlsfeier als integrierender Bestandteil ge- höre, weil er erst in ihr seinen Höhepunkt erreiche. In diesem wie in den übrigen Punkten nähert sich die Kirchen- ordnung in demselben Maße dem Schweizer Typus, wie sie sich von dem Wittenberger entfernt. Besonders deutlich zeigt sich die Abweichung von der lutherischen Weise auch in der Liturgie des sonntäglichen Hauptgottes- dienstes. Bei Luther verläuft der Gottesdienst, wie er ihn selber nennt, als eine ‚Deutsche Messe“ mit allen

1) Seit 1533 wurde es alle drei Wochen gefeiert. Steitz, Hartmann Beyer S. 19. .

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Stücken des rómischen Kanons, soweit dieser nicht unevan- gelisch ist. In Frankfurt dagegen hat man sich eine ganz einfache Form neu geschaffen. Auf einen Psalm, den die Gemeinde zum Eingang sang, folgte ein Gebet mit kurzem Gesang, etwa: Nun bitten wir den heiligen Geist. Daran schloß sich eine biblische Lektion deutsch oder lateinisch an, und zwar am liebsten durch die Zög- linge der Lateinschule. Dann gab der Prädikant in einer halbstündigen Predigt Erklärung und Anwendung des Gelesenen und schloß mit der Kollekte, d. h. der Mahnung zur Wohltätigkeit.

Die Kompromißarbiet konnte doch nicht alle Diffe- renzen beseitigen. Nicht nur die beiden Prediger in Sachsenhausen und an St. Peter widersprachen öffentlich. Cellarius selbst verließ nach ärgerlichen Auseinander- setzungen mit seinen Kollegen die Stadt. Es scheint, daß er dann in Wittenberg versucht hat, die Autorität Luthers gegen die Frankfurter in Bewegung zu setzen. Doch war er klug genug, andere Leute vorzuschieben, die auf der Rückreise von der Messe in Wittenberg an- kehrten und sich nun hier bei Luther darüber beklagten, daß man von den Frankfurter Kanzeln seine Lehre nicht zu hören bekomme. Vor allem reizten sie den Zorn Luthers gegen die Frankfurter Prediger, indem sie ihm zutrugen, diese hätten die Beichte verworfen und ver- spottet, und sie predigten vom hl. Sakrament ‚auf Zwing- lische Weise, doch unter dem Schein und mit solchen Worten, als solt es gar gleich und Ein Ding sein mit unser und unser Gleichen Lehre“.

Luther richtete daraufhin gegen Ende des Jahres 1532 eine „Warnungsschrift an die zu Frankfurt am Mayn, sich vor Zwinglischer Lehre zu hüten''!), in der er klar- stellte, daß die dort übliche Formel, ,,es sei Christi Leib und Blut wahrhaftig gegenwärtig im Sacrament”, sich mit seiner Lehre noch nicht decke, solange die heimliche Glosse und Verstand der sei: „daß der wahrhaftige Leib und Blut Christi sei wohl gegenwärtig im Sakrament,

1) Erlg. Ausg.? 26, 370ff. Vgl. Steitz, Abhandlungen S. 257ff.

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aber doch nur geistlich, und nicht leiblich; wird auch allein im Herzen mit dem Glauben empfangen, und nicht leib- lich mit dem Munde, welcher empfähet eitel Brot und Wein“, wie Zwingli mit dürren Worten gelehrt habe. Er fand es ein doppelzüngiges Spiel, wenn man sich auf eine Formel einigte, unter der sich jeder Teil denken konnte, was er für richtig hielt. Er konnte sich das nur so erklären, daß etliche gesehen hätten, „daß der Karren zu fern und tief in Schlamm geführet ist, und nicht mehr lauten will ihr voriges Geschrei von eitel Brot und Wein im Sacrament’. Er verwirft die Fides implicita, die sich darauf zurückzieht zu sagen: „Ei, es ist genug, daß du gläubest: den Leib, den Christus meinet“; denn das heißt ihm nicht Urkund gegeben der Hoffnung, so in uns ist (1. Petr. 3, 15); im Gegenteil: ,,Das ware mir eine löbliche Kirche in den Säustall gebauet!' Und so schließt er diesen Teil seines offenen Briefes mit den zornigen Worten: „Türken und Jüden sind viel besser, die unser ren leugnen und frei bekennen; denn damit bleiben wir unbetrogen von ihnen und fallen in keine Abgötterei. Aber diese Gesellen mußten die rechten hohe Erzteufel sein, die mir eitel Brot und Wein geben, und ließen mich’s halten fur den Leib und Blut Christi, und so jämmerlich betrögen. Das wäre zu heiß und zu hart, da wird Gott zuschmeißen in Kurzen. Darumb, wer solche Prediger hat, oder sich deß zu ihnen versieht, der sei gewarnet fur ihnen, als fur dem leibhaftigen Teufel selbs.''

Da Luther außer über das Abendmahl auch noch um Rat gefragt worden war, wie sich die guten, frommen Herzen in der Beichte halten sollten, , weil ihre Prediger dieselbigen ganz verdammen und verspotten", so ver- breitete er sich in dem zweiten 'Teile seines Sendschreibens auch nocb über diese Frage. Die Beichte besteht ihm aus Sündenbekenntnis und Absolution. Das Sünden- bekenntnis, das er nicht mit der erzwungenen Ohren- beichte verwechselt wissen will, erstreckt sich auf die Sünden, die das Beichtkind am meisten drücken. Es wird aber nicht von den Verständigen gefordert, die wohl wissen,

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was Sünde ist, sondern von dem Pöbel und der Jugend, die wenig aus der Predigt lernen!). Und die sollen in der Beichte nicht nur nach ihren Sünden gefragt werden, sondern auch nach den Hauptstücken des Katechismus. Vor allem vor der Feier des hl. Abendmahls ist das nótig, denn es ist nicht gleichgültig, wen man zu dieser Feier zu- läßt, nur ‚wo die Prediger eitel Brot und Wein reichen fur das Sacrament, da liegt nicht viel an, wem sie es reichen, oder was die können und gläuben, die es empfahen. Da frißt eine Sau mit der andern, und sind solcher Mühe billig uberhaben, denn sie wöllen wüste, tolle Heiligen haben, denken auch keine Christen zu erziehen, sondern wöllen’s also machen, daß uber drei Jahr alles verstöret sei, weder Gott, noch Christus noch Sacrament, noch Christen mehr bleibe. Von dem Werte der Beichte ist Luther tief durchdrungen. Ihre Gegner sind ihm „der Teufel und seine Apostel“. Er will sie sich aber nicht nehmen lassen. ,,Wer sie fur sich nicht will haben, der laß sie gehen, doch soll er sie darumb uns und andern Frommen (die ihr benöthigt, und ihren Nutzen verstehen) nicht nehmen noch vernichten. Es heißt: Qui ignorat, ignoret. Wenn tausend und abertausend Welt mein wäre, so wollt ichs alles lieber verlieren, denn ich wollt dieser Bejicht?) das geringste Stücklin eines aus der Kirchen kommen lassen. Ja lieber sollt mir sein des

1) Dem stimmte Bucer zu in seinem Brief an den Landgrafen Philipp von Hessen vom 25. Februar 1545. Bei Lenz II, 296.

2) Luther rechtfertigt diese Schreibweise mit der Etymologie und folgert aus ihr, daß die Beichte auch ein Glaubensbekenntnis in sich schließe: ,,Bejichten heißt bekennen, wie auch im Gericht das Wort noch in Übung ist: Urjicht; und man sagt: das jicht er, das hat er bejicht usw. Und sind zwei unterschiedlich j in dem Wort Bejicht, welches mit der Zeit ist in Ein i verwandelt, und durch Mißbrauch ,,Beicht*', als mit Einem i geschrieben und geredt, wie viel andere alte deutsche Wörter also verderbet sind. Da- rumb soll ein Bejichter oder Bekenner nicht alleine Sunde wissen zu erzählen, sondern auch daher aufsagen, was er vom Glauben und Christo gelernt hat, und was dawider gethan heiße, auf das sie solchs fur den Eltern, Schulmeistern, Pfarrherrn also gewohnen zu bejichten, und wo es not sein würde, auch fur dem Richter bejichten und darüber sterben künnten.“

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Papstthumbs Tyrannei von Fasten, Feirn, Kleidern, Statten, Plappen, Kappen, und was ich kunnt ohn Ver- sehrung des Glaubens tragen, denn daß die Bejicht sollt von den Christen genommen werden. Denn sie ist der Christen erste, nöthigste und nützlichste Schule, darin sie lernen Gottes Wort und ihren Glauben verstehen und uben; welchs sie nicht so gewaltig thun in öffentlichen Lectionen und Predigten.“ Das andere Stück der Beichte, die Absolution, ,,die der Priester spricht an Gottes Statt‘, ist „nichts anders denn Gottes Wort, damit er unser Herz tröstet und stärket wider das böse Gewissen, und wir sollen ihr gläuben und trauen, als Gott selber“. Luther läßt hier nur die Wahl: ,,Wer so blind ist, daß er solches nicht siehet, oder so taub ist, daß ers nicht höret, der weiß freilich nicht, was Gottes Wort und christlicher Glaube und Trost sei; was kann er denn Guts lehren ? Siehet ers aber und hörets, und verdampt also wissentlich die Bejicht in diesem Stücke, so ist er ein lauter Teufel und kein Mensch, als der sich wissentlich wider Gott setzt, und wehret, daß man Gottes Wort den Leuten nicht soll sagen, noch die Herzen trösten, und im Glauben stärken; der mag billig Gottes und aller Menschen Feind gehalten werden, sonderlich der heiligen Christenheit. Und wo solche Prediger sind, da mügen sich wahrhaftig alle fromme Christen fur ihnen hüten, als fur den leib- haftigen Teufeln.“ Luther sagt auch, warum ihm dieses Stück so wichtig ist, und warum er es für unentbehrlich such für die gelehrtesten und heiligsten Leute hält. Er denkt an den Trost, den er selber je und je aus der Ab- solution geschópft hat. ,,Umb dieses Stücks willen“, bekennt er, „brauch ich der Bejicht am allermeisten, und will und kann ihr nicht empehren; denn sie mir oft und noch täglich großen Trost gibt, wenn ich betrübt und bekömmert bin.“ Nach diesen Darlegungen blieb ihm nur noch übrig, sich zu dem Anstoße zu äußern, den man in Frankfurt daran genommen haben sollte, daß die Kinder im Katechismus angewiesen wurden, den Beichtvater: ,,Wiirdiger Herr! anzureden. Er ist an sich geneigt, statt dessen die Anrede: ‚Lieber Herr“

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oder: „Lieber Vater‘ zuzulassen. Aber auch hier meint er den Pferdefuß zu sehen. Denn die weltliche Zucht fordert, daß die Jugend und der Pöbel die Alten und die Lehrer ehrt. „Aber weil die Schwärmer solch nöthige Zucht verspotten, kann man wohl merken, daß ihr hoher Geist nichts anders ist, denn ein boshafter, fursetziger Haß und Neid, nicht allein wider unser Lehre und Gottes Wort, sondern auch wider alle weltliche Zucht und Ehre. Die Aufruhr stinkt ihn zum Halse heraus, und wollten gern alles gleich und kein Unterscheid leiden, doch sofern, daß sie allein zuletzt Wirdige Herrn heißen, und sonst niemand; wie Münzer wollt alle Herrn tödten, und allein Herr sein.“ Weil er also den Schalk hervorlugen sieht, deshalb sollen Rat und Gemeine dem treugesinnten Warner seinen Rat zugute halten. ‚Habt das Spiel in guter Acht, und steckt die Augen nicht in Beutel, damit nicht solche Prediger bei euch sein, noch zu euch kommen; der Teufel ist em Schalk.”

^ Um den Frankfurtern zu zeigen, was ihnen bevor- stehe, legte er dann noch eine Copie seines Briefes an die Gemeinde zu Mühlhausen vom Jahre 1524 bei. Dann schloß er: „Ich weissage nicht gerne, und ahnet mir doch nichts Guts in meinem Herzen von den frechen Geistern, denn sie haben auch bisher nichts Guts, sondern viel Böses geschafft. Gott steure ihnen, und bewahre euch und alle fromme Herzen in seinem reinen Wort und rechten Glauben, in Christo unserm Herrn; dem sei Lob und Ehre in Ewigkeit, Amen.”

Noch ehe dieses Schreiben förmlich an den Rat gelangte (13. Februar 1533), erhielten die Prädikanten von seinem Inhalte Kenntnis und ließen es sich alsbald angelegen sein, sich von den Beschuldigungen zu reinigen, die darin gegen sie erhoben waren. Auf ihr Betreiben bestätigte ihnen der Rat am 28. Februar mit Brief und Siegel ihre Unschuld, ‚daß sie... das Wort Gottes lauter, wohl und recht, und nit aufrührisch gepredigt noch ge- lebt haben, wie dann bis heut dato ihrer Predig halben in unser Stadt kein Uffruhrerschienen, noch entstandenist!).

1) Bei Steitz, Abhandlungen usw. S. 263.

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In der Verteidigungsschrift, welche sie sodann am 1. März einreichten !), waren sie insofern in einer günstigen Lage, als Luther von seinen Gewährsmännern nicht durchweg recht berichtet worden war. Hatte er selber in seiner Warnungsschrift zugestanden, er kenne die Personen, welche aus den Reden der Frankfurter Prediger nicht klug geworden sein wollten, nicht einmal dem Namen nach, so forderten diese nun ihre Ankläger auf, mit ihren Fragen und Klagen ans Licht zu treten, damit sie nach der von Luther angezogenen Schriftstelle sich vor ihnen verantworten oder von ihnen eines Besseren belehren lassen könnten. Nach Wittenberg aber zielte die Bemerkung, es sei ‚nit allweg gut zu glauben, was gesagt wird, dann leider viel unnützer Schwätzer in der Welt seind, die mit Unwahrheit gern Unfrieden wöllten anrichten. Der Herre wehre ihnen, bessere sie und ver- gebs ihnen, dann wir anderst gelehrt haben, dann für- bracht ist worden. Hatte sich Luther darüber beklagt, daß man in Frankfurt seine Lehre in vielen Stücken verspotte und verwerfe, so warnten die Beklagten die Verbreiter solcher Reden, sie móchten wohl zusehen, wie sie das vor Gott verantworten kónnten. Und hatte er vor ihnen gewarnt, weil sich niemand darauf verlassen dürfe, von ihnen seine Lehre zu hóren, so war ihre Ant- wort gut biblisch: „Wir predigen Christum, den Gekreu- zigten. Die Schäflein Christi hören die Stimme Christi; predigen wir Christum nit, oder ein Engel vom Himmel oder ein Mensch uff Erden, soll man's nit annehmen.“

Zu der Abendsmahlslehre übergehend, beriefen sich die Prädikanten einfach auf die Bibel. Sie hätten nach den Einsetzungsworten gelehrt, wie das der Gemeine Gottes am heilsamsten sei, daß der Herr seinen Jüngern in diesem Sakrament seinen wahren Leib und wahres Blut wahrlich zu essen und zu trinken gebe zur Speise ihrer Seelen und ewigem Leben, daf) sie in ihm und er in ihnen bleibe. Dabei hätten sie mit allem Fleiß das

1) Abgedruckt in F. R. II Beil. 10 8. 23ff. Ritter, Ev. Denck- . mahl S. 203ff. Luthers Werke, Erlg. Ausg.* 26, 389ff.

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Volk von allem Zank und unnötigen und fürwitzigen Disputieren zu dem, was nützlich und von dem Herrn Christus allein gemeint sei, gewiesen. Daraus ergebe sich für jedermann,. daß sie gar nicht gelehrt hätten, in dem Sakrament sei eitel Brot und Wein. Sie hätten auch weder Karren noch Wagen zu fern und tief in den Schlamm geführt, sondern nur dringend gemahnt, bei den Worten des Herrn in einfältigem Glauben und ohne Zweifel zu bleiben. Auch müßten sie es ablehnen, daß man ihnen eine andere Meinung, Glosse oder Verstand unterschiebe. Es sei ihr Sinn und Meinung nie gewesen, der christlichen Gemeine den teueren Schatz der wahren Gegenwart Christi im Abendmahl zu nehmen. Damit die Gläubigen diesen Schatz recht und wahrlich zugegen und in sich hätten, wiesen sie sie vor allem zu dem einigen Heiland Christus im wahren Glauben, ohne den doch Wort und Sakrament und alles Reden und Tun der Diener vergeblich sei.

Bei dem anderen Anklagepunkt, sie verdammten und verspotteten die Beichte, konnten sich die Prädikanten auf die Rechtfertigung beziehen, die sie bereits sieben Jahre früher gegen eine ähnliche Beschwerde des Erz- bischofs von Mainz bei dem Rate eingereicht hatten!). Sie unterließen aber auch nicht, auf das zu verweisen, was sie in ihren Predigten immer wieder von der Beichte gesagt, und was die Gewährsmänner Luthers da von ihnen ganz klar hätten hören können: , Wahre und gött- liche Beicht der Sünden ist von uns nit verdampt, wir haben aber gelehrt, sie mög von niemand geleistet werden, dann welichen seine Reu uber die Sünd und Forcht göttlichs Zorns darzu treibt, derhalb es nit müglich ist, solche mit Geboten zu fordern, darumb sie dann weder der Herr selb noch die Apostel geboten haben; lehren auch, daß nit eben dem Priester geschehen muß, durch welches Wort man gemeinlich die päpstischen Pfaffen versteht; sunder wer Rath, Trost oder Unterweisung bedarf und begehret, der such einen recht christlichen,

1) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denckmahl S. 183ff.

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verständigen Mann an, der rathen, trösten, lehren und ermahnen kann, so wird derselbig, er sei ein Prediger oder sunst einer in Gottes Wort verständig, ihm aus der Schrift den rechten Arzt, der allein unsere Sünd hin- nimpt, anzeigen, Rat, Trost und dergleichen treulich mittheilen“. Mit tiefem Ernst weisen sie in diesem Zu- sammenhang den Vorwurf zurück, als handelten sie so, daß über drei Jahre alles zerstört sei und weder Gott noch Christus, Sakrament noch Christen bleibe. ‚Da behüt uns Gott vor! Dann wir darüber Rechenschaft

. vor dem Richterstuhl Jesu Christi geben müßten, ja es

würde Gott das Blut derjenigen, so unserer Versaumnuß halben verdürben, von unseren Hànden forderen. Darumb begehren wir, bezeugen das mit Jesu Christo unserem Herrn, dem Richter der Lebendigen und Todten, daB die Jugend und der gemein Mann zu christlicher Zucht und Verstand erzogen werden, wollen auch nit wüste, tolle Heiligen haben, denken aber Christen zu erziehen, soviel uns Gott Gnad verleihet und aus Christus Kirchen

keinen Säustall machen, wóllen auch niemands zum

Sacrament wie die Sáu zum Trog lassen laufen, habens auch nie gethan.“ Def zum Zeugnis schildern sie dann im einzelnen, wie sie darauf bedacht seien, daß in allen Stücken also gehandelt werde, daß es Gott wohlgefällig und den Menschen besserlich sei.

Den Vorwurf endlich, daß sie Aufrührer seien, über- lieBen sie dem Herzenskündiger zu beurteilen; vor der Offentlichkeit aber glaubten sie von sich bezeugen zu dürfen: ,Wir haben, Gott sei Lob! zu Franckfurt kein Aufruhr gesehen, zu Aufruhr nicht gepredigt, aber mit

allem Fleiß und Treuen gelehrt und ermahnt zu der

Gehorsame Gottes und seines Worts, auch der Oberkeit, die von Gott verordnet ist.“ Nur Eines lag ihnen zum Schlusse noch am Herzen: ,,Das begehren wir von Herzen mit allen Auserwählten Gottes, daß er uns in der reinen Lehre seines Worts wölle erhalten zu seiner Ehre, Er- haltung christlicher Zucht und Gehorsame der Oberkeit, und wölle uns gnádiglich behüten vor falschen, ver- kehrten Lehren, auch Schleichern und heimlichen, wider Archiv für Reformationsgeschiohte. XIX. 3/4. 16

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Verbot der Oberkeit Winkelpredigern!), hoffen wir zu Gott durch Jesum Christum, er werd unser Vater sein und uns, seine Kinder, hie uff Erden nit verlassen.‘ Man wird dieser , Entschuldigung der Prediger zu Frankfurt a. M. auf Luthers Sendbrief die Anerkennung nicht versagen können, daß sie geschickt abgefaßt ist und ruhig und würdig auf die teilweise recht leidenschaft- lichen Angriffe antwortet, welche Luther gegen ihre Unterzeichner erhoben hatte. Ihr Inhalt ist freilich keineswegs lutherisch, auch wenn ihn dogmatische Be- fangenheit im 18. Jahrhundert dafür hat ausgeben wollen 2). Luther selber, der ihn unerwidert ließ, hat sich doch im Kreise seiner Freunde sehr abfällig über ihn geäußert. Als ihn Cellarius, der inzwischen die Pfarrstelle in Bautzen übernommen hatte, Anfang Mai aufsuchte und ihm viel von seinen Frankfurtern erzählte, die zwar geantwortet, aber nicht offen Farbe bekannt hätten (,,ibr andtwortt wer mum mum, ein Ausdruck, dessen sich Luther in seiner Schrift gegen sie bedient hatte), gab er zur Ant- wort: , Es ist ia war, synceriter non responderunt, solche vertzweiffelte buben sint sie, das sie nicht dürffen be- kennen, was sie glauben, sunt plane Erasmici et amphi- bolici?). Richtig hat bereits Steitz*) erkannt, daß die Abendsmahlslehre, zu welcher sich die Frankfurter Pradi-

1) Damit zahlten die Frankfurter ihrem früheren Kollegen den Vorwurf heim, sie lehnten sich gegen die óffentliche Ordnung auf. Cellarius hatte nàmlich, nachdem er sein Amt an der Peters- kirche batte aufgeben müssen, bei den Konventualinnen des Katharinenklosters die pfarramtlichen Funktionen vollzogen, so daß die Stadtprediger am 29. August 1532 bei dem Rate Beschwerde führten, daß Meister Johann Cellarius heimlich und in Winkeln predige. Vgl. Steitz, Abhandlungen usw. S. 250f.

2) Ritter, Ev. Denckmahl S. 211. K. Gesch. S. 33f.

3) Bindseil, D. Martini Lutheri Colloquia, Meditationes, Consolationes, Iudicia, Sententiae, Narrationes, Responsa, Facetiae II, 35. Da Luther in der unmittelbaren Fortsetzung dieser Tisch- rede auf Bucer zu reden kommt, so hat er vielleicht auf ihn als den Mentor der Frankfurter geraten. Daß sein Urteil über die Frank- furter auch sonst nicht günstig war, ergibt sich aus Wrampelmeyer Nr. 1134 S. 297 und Nr. 1684 8. 462.

4) Steitz, Hartmann Beyer S. 17f.

83 243 kanten in ihrer Rechtfertigungsschrift bekannten, in Form und Inhalt sich kaum von derjenigen der Tetra- politana unterscheidet, in der es heißt: Cum hanc coenam, ut ipse instituit, repetunt, verum suum corpus verumque sanguinem, vere edendum et bibendum in cibum potumque animarum, quo illae in aeternam vitam alantur, dare per Sacramenta dignatur.

Wie diese Ubereinstimmung sich erklart, wird sofort deutlich, wenn wir erfahren, daß der Verfasser der ,,Ent- schuldigung‘‘ kein anderer als Martin Bucer!) ist, der offenbar an diese Schrift dachte, als er nicht viel später dem Landgrafen Philipp von Hessen meldete, daß zu den Ständen, die er für seinen Unionsplan gewonnen habe, auch Frankfurt gehöre). |

Geht man den Tatsachen auf den Grund, die Luther veranlaBten, von einem Aufruhr in Frankfurt zu reden, so ergibt sich eine drohende und gewalttátige Haltung, die die Massen.gegen die Kanoniker einnahmen, indem sie ihnen den Chor sperrten und auf dem Wege zur Kirche ihnen durch Steinwürfe zu verstehen gaben, sie brauchten

1) Baum, Capito und Butzer. §. 595. Das Original von Bucers Hand (im Archiv zu St. Thomas in StraBburg) trug den’ Titel: „Eyn Bericht was zu Frankfort am Meyn von christlicher Religion vnd in sonders vom heyligen Sacrament des leybs vnd bluts Christi gelert vnd geprediget, mit warhaffter verantwortung des so die Prediger doselbst vor D. M. Luther in seinem Brief an Ein Erb. Rath vnd gemeyn der stadt Frankfort vngütlich be- schuldigt seynd." Auch spáter kam Bucer in einem speziellen Punkte zustimmend auf den Brief Luthers zurück. Vgl. Lenz II, 296. Woher die Beziehungen Bucers zu den Frankfurter Prädi- kanten stammen, wissen wir nicht. Steitz, Abhandlungen usw. . S. 177 hat an das Marburger Religionsgespräch gedacht. Ebensogut können sie aber auch durch die genaue Fühlung vermittelt sein, die Frankfurt nach Ritter, Ev. Denckmahl S. 216 mit Straßburg unterhielt. Durch die Schrift Luthers fühlten sich übrigens auch die Schweizer beschwert und wollten ihrem alten Wittenberger Gegner scharf antworten. Doch hielt sie Bucer, der im Mai 1533 in Zürich weilte, von der Ausführung dieses Vorhabens zurück, das seinen Unionsplänen natürlich sehr hinderlich geworden wäre. Secken- dorf, comm. III Sect. 7 3 23. (Scalig, Hist. der Augsb. Conf. I, 414 schreibt dieses Verdienst Capito zu).

3) Lenz I, 34.

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keine Messe mehr zu lesen. Diese Vorgänge, die indessen zu keiner Auflehnung gegen den Rat führten, bewirkten, daB am 23. April 1533 der ganze katholische Gottesdienst in der Stadt eingestellt werden mußte. Den Anhängern des Alten wurde sogar verboten, auswärts den römischen Gottesdienst zu besuchen oder ihre Kinder auswärts taufen zu lassen. Auch ein Brief, in welchem sich Cochläus am 8. Juli von Dresden aus bei dem Rate für seine Glaubens- genossen verwendete!), konnte an der einmal getroffenen Entscheidung nichts mehr ändern. Die einzige Erleichte- rung, die sich mit der Zeit ergab, bestand in einer ge- wissen Nachsicht gegen auswärtige Taufen.

Fragen wir an diesem ersten Abschnitte der Frank- furter Reformationsgeschichte, welchen Charakter der Bekenntnisstand der Stadt trug, so finden wir, daß noch alles stark im Flusse war. Man lief sich an der allgemeinen Bestimmung, daß ,,das Evangelium" gepredigt werden solle, genügen. Einer bekenntnismäßigen Formulierung _ dieses Evangeliums war man noch nicht näher getreten. Die Augustana hatte man nicht unterzeichnet. Mit der Lehre Zwinglis wollte man nichts zu schaffen haben. Aber auch Luther gegenüber wahrte man die eigene Selbständigkeit. Die Kirchenordnung von 1530 zeigte, daß man das Gute nahm, wo man es fand, ohne viel nach Namen und Autoritäten zu fragen. Es war ein Unions- typus im Entstehen begriffen, wie er sich besonders charakteristisch in Straßburg ausgebildet hat. Dieser Unionstypus hat sich in der Folge weiter ausgebildet, und es sind vor allem die Straßburger Theologen ge- wesen, die dabei als Führer und Berater ihre Dienste leisteten.

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Zweiter Teil. Bis zur Entstehung der Fremdengemeinden. 1. Die „Ermahnung“ Capitos von 1535. Die Beziehungen zwischen Frankfurt und Straßburg welche wir bei der Auseinandersetzung mit Luther zum ersten Male nachweisen können, setzten sich in der Folge

4) Abgedruckt bei Ritter, Ev. Denekmahl S. 178ff. Genaueres über diese Vorgänge bei Dechent I, 139ff.

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fort, und unter ihrem Einflusse gewann in der Stadt jener oberdeutsche Unionstypus, wie er uns bereits in der Kirchenordnung von 1530 entgegengetreten ist, festere Gestalt.

Den Anlaß zum Ausbau der Straßburger Beziehungen bot zunächst Melander!). Dieser eiferte am Sonntag Kantate 1534 auf der Kanzel gegen die Bilder in der Kirche und wollte dieselben durchaus abgeschafft wissen. Hier- über wie auch über einige Zeremonien geriet er in Streit mit seinen Kollegen, in dessen Verlauf der hitzige, um die Reformation in der Stadt hochverdiente Mann seinen Rücktritt vom Amte erklärte. Zu diesen Differenzen kam nocb der Anstoß, den er durch einen ärgerlichen Ehehandel gab. Der Rat wandte sich, um Frieden und Ordnung zu stiften, durch Vermittlung Butzers, der seit Ende 1534 vorübergehend in Tübingen weilte, wo er mit "Ambrosius Blaurer aus Konstanz und Simon Grynäus aus Basel an der Ordnung des württembergischen Kirchen- wesens und der Beilegung dogmatischer Streitigkeiten arbeitete?), nach Straßburg und bat um Sendung eines gelehrten Geistlichen, etwa Hedios oder Capitos. Die Straßburger warteten daraufhin zunächst die Rückkehr Butzers ab, der über den Jahreswechsel auf der Heim- reise von Kassel sich in Frankfurt aufgehalten und hier mit den Predigern und dem Rate über die Wiederzu- lassung der Messe im Dom verhandelt hatte?), und schickten dann Capito, der am 25. Februar 1535 in Frankfurt eintrafundalsbald versuchte, denStreitgütlich zu schlichten, was freilich bei dem schwierigen Charakter Melanders nur teilweise gelang.

Über seine Bemühungen unterrichtet uns seine ,Ermahnung' an den Rat‘), in welcher er zur Schaffung fester kirchlicher Verhältnisse folgende vier Artikel emp- fahl: „Zum ersten daß der Predicanten Unruwe und

1) Vel. K. Gesch. S. 35.

^) Baum, Capito und Butzer. §. 499.

3) Baum, S. 501.

*) Bei Ritter S. 329ff.: D. Wolffgang Capitonis an ein Ehr- barn Rath zu Franckfurth beschehene Ermahnung.

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Beschwerd würd gar hingelegt. Zum andern die daß Ursachen bekant weren, so ain Ehrsamen Rath für Par- theiung in Burgerlicher Handlung verhüten mogen, obschon der Religion halben ein Mißverständnüß ver- handen. Zum dritten daß Seniores Ecclesiae, Ältere der Kirchen und andere Ordinantzen die Geistlich-Hauß- haltung belangend angericht wurden, Zum vierten daß statlich Schulen aufgericht und geschickte Franckfurter Kind zur Lere fürnemlich zur heiligen Schrifft auferzogen wurden.‘

Der Standpunkt Capitos ist der der Tetrapolitana, auf die er sich in seinem zweiten Artikel ausdrücklich bezieht. In Übereinstimmung mit ihr erklärt er: ‚Die Sach und Sacrament Handlung ist ainerley, aber die Gmüter sein verwirret. Schon hier kommt der Streit-

punkt zum Vorschein, um den sich dann später die Aus-, einandersetzungen mit den Fremdengemeinden vor allem

und immer wieder bewegt haben, die Ubiquitätslehre: „Die so man Luthers heist“, gibt der Straßburger Berater zu erwägen, „haben zu bedencken daß nyemant vnter der Sunnen ist der offentlich sage, daß nichts den Brod vnd Wein im Nachtmal sei, vnd daß es lere Zaichen seien, sonder wo die Kirche ist, da ist Christus welcher durch Wort und Sacrament oder Zaichen dem Glaubigen Gwissen im Dienst der Kirchen dargereicht wird, dann allein ist widderfochten die Localis Presencia raumliche Gegenwartigkeit und natürliche Vereinigung des Leibs Christi mit dem Creaturischen Brot." Die Zwinglianer, die ,,sich achten inn hohern Verstand kommen sein, die sollen die vberigen so noch an Ceremonien oder Ele- menten etwas hangen mógten, als die Geringern nicht verachten,“ wofür das Bedenken an Röm. 14 erinnert. Zwei leitende Gesichtspunkte weist Capito auf: der christ- lichen Gemeinde Besserung und sodann der Stadt Ehre und Nutzen. Und hier ist es, wo am Horizont die Idee eines paritätischen Staates heraufzieht, und zwar nicht wie in spáterer Zeit als Forderung und Ideal der Unter- drückten und Verfolgten, sondern als wirkliche Toleranz auf dem Boden des gleichen Gemeinwesens: ‚Wo auch

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dergleichen Zertailung bey E. E. W. were, so wolle jeder den andern für ain frommen Franckfurter achten ob Ire schon nit alle ain an der für fromme Christen und Gottverständigen halten mögen, das ist von nóten." Schon diese Anschauungen Capitos sind von den- jenigen Luthers erheblich verschieden. Im besonders charakteristischer Weise kommt sein abweichender Stand- punkt aber in dem dritten Artikel!) ‚von Eltern der Kirchen vnd Kirchen-Ordinantzen“ zum Ausdruck. Hier kennzeichnet sich die Straßburger Haltung, die, vom Täufertum beeinflußt, später durch Calvin diejenige der reformierten Kirche geworden ist, zunächst dadurch, daß ihm zufolge das geistliche Regiment die Gewissen erbaut nicht nur durch Wort und Sakrament, sondern auch durch ,,Briiderliche Straf und dergleichen‘, während die Augustana von einer Kirchenzucht nichts weiß. Doch will Capito der Zucht ihre Grenzen ziehen. Sie

soll wirklich eine Zurechtweisung mit sanftmütigem

Geiste sein, nach der Regel Pauli Gal. 6. Der Bann soll nur mit Genehmigung des Rates von der Kanzel aus über ein Gemeindeglied verhängt werden, wenn die durch Matth. 18 vorgezeichneten Wege nicht zum Ziele geführt haben. Im übrigen soll man das Urteil über die Menschen Gott überlassen und allewege das Beste von ihnen erhoffen, wegen zeitlicher Strafen aber sich an die Obrigkeit wenden. Sodann offenbart sich der Unterschied von Luther durch das Bekenntnis zum Gemeindeprinzip. . Dem zeitlichen Regiment steht nur ,,die euserliche Regierung der Kirchen“ zu, und auch diese nur, ‚so es ein glaubigliches Volck ist“. Das geistliche Regiment aber ist ,,bei der Kirchen, und nicht allein bei den Dienern der Kirchen, viel weniger bei der zeitlichen Obrigkeit“; die Berufung an die éxxdnoia, wie sie Matth. 18 vorgesehen ist, muß auch bei uns statt-

haben können. Als Organe der Gemeinde genügen Capito

auch die Kasten-Herren?) nicht, denen die Armenpflege

2) Abgedruckt bei Richter, Gesch. der ev. nn in Deutschland, S. 159— 166.

3) Über die Neuordnung des Almosenkastens seit 1530 vgl. Dechent 8. 132.

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oblag. Er will vielmehr fromme, ernste, eifrige und be- scheidene Mànner zu Altesten des Volks und Verwesern der Kirche aufgestellt wissen, wofür ihm als Vorbild übrigens nieht die Ordnung der Pastoralbriefe, sondern die mosaische dient. Drei dieser Altesten sollen vom Rat, wenigstens sechs von der Gemeinde erwählt werden, und zwar in einem Turnus, daß keiner über drei Jahre bleibt. Diese Altesten mit den Dienern am Evangelio und den Diakonen samt anderen Ämtern ,,sein die Kirch“, die sich also ein ganz moderner Gedanke wesent- lich als Arbeitsgemeinschaft darstellt. Für notwendig werden die Altesten, die mit den Dienern zu verwalten haben, was der Kirche gebührt, namentlich deshalb erklárt, weil ohne ihre Aufsicht die Prediger, wie man z. T. schon in der Stadt beklagt hat, sich dünken ließen, über und wider alle Gewalt der Erde gesetzt zu sein. Capito schlägt nun vor, in der Frankfurter Kirche, ,,der Diener vnd Altern halb diese Ordnung vngefehrlich an- zurichten, dab die Pfarrer vnd Prediger inn der Stadt vnd nächst-gelegenen Dörffern alle 14. Tage oder ehe jederzeit Gelegenheit nach zusamen kemen, vnd drey Alter zu inen, also daB in der vierten Versamlung an jedes stat ein newer anging, vnd mit ine inn solche Ordnung bracht werde, daß allweg zween fürhanden, die auch

bei nechster Versamblung gewesen; oder móchte die.

Veränderung der Person weiter erstreckt werden, vieleicht auf ain virthail Jars, oder wie Euch jederzeit Erfarung leren wird." Diese Kirchenversammlung, auch Pfarr- konvent oder Kirchenrat oder Versammlung der Brüder genannt, berát unter einem Vorsitzenden über die ganze Haushaltung der Kirche, namentlich Zeremonien, brüder- liche Ermahnung, Strafe der Laster, Ordnung der Prediger und Materie der Predigten, um Trennung zu verhüten. Jede Zusammenkunft wird von dem Vorsteher mit einem Gebet und einer kurzen biblisehen Betrachtung eróffnet. Capito halt für. nótig, noch besonders einzuschárfen: „Was aber zu beratschlagen, soll auch mit Ordnung vnd Dapferkeit fürgenommen werden, dabei sich jeder geweenen soll dem andern zu weichen vnd mit nichten

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sich erzürnen zu lassen auch zu redden mit Ere erbietlichen Worten, vf daß nit alle Ding fürter so grob vnd flaisch- lichen abgehen.“ Besonders hat sich der Konvent mit Lehre und Wandel der Geistlichen zu befassen, dann aber auch mit der Handhabung der Kirchenzucht. Die kirchlichen Ordnungen, die er beschließt, unterliegen der Genehmigung durch den Rat, ,sunst wurd gar bald wieder einwachsen ain Regiment neben einem Erbaren Rat in euserlichen Dingen daß nit sein soll, dann aus solchem ist der schadlich Gwalt der Gaistlichen ent- standen.“ Soweit Dinge im Konvent zur Sprache kommen, die ohne weiteres zur Zuständigkeit des Rates gehören, sind sie, der bestehenden Ordnung gemäß, durch die Kasten- Herren an den Rat zu bringen und jedenfalls vom Konvent nicht weiter zu behandeln als nötig. Endlich liegt dem Konvente auch noch die Aufgabe ob, die Diener und Pfarrer auszusuchen und sie dem Rate zur Anstellung zu empfehlen, nachdem sie gepredigt, dem Volke gefielen und ihre Lehre und Leben erkundigt wäre.“ Schnellen Wechsel der Pfarrer, wie er bei der bisherigen Anstellung auf ein Jahr oft vorkam, widerrät Capito. Läßt einer von ihnen es an sich fehlen, so soll man versuchen, ihn zu bessern; die neuen aber stelle man mit dem Vorbe- halte an: solange sie ihrem Dienste treulich vorstünden, oder nach dem Brauche der anderen Kirchen überhaupt ohne jeden Vorbehalt, nur mit dem Auftrage: die Ge- meinde zu weiden im Wort. Mit der Warnung, sich mit

Annahme und Einführung von Kirchenübungen auf das

Mindestmaß des Notwendigen zu beschränken und ab- zuwarten, bis daß mit einhelligem Rat dieser Nation solches erörtert werde, schließt der dritte Artikel, dem der vierte im wesentlichen nur noch den Rat beifügt, durch Einrichtung von Schulen für einen theologischen Nachwuchs, am liebsten aus der FrankfurterJ En selbst, Sorge zu tragen.

Das Straßburger Vorbild ist in dieser Ordnung un- verkennbar. Auch nach der Straßburger Kirchenordnung von 1534 liegt das Regiment zunächst in der Konvokation, einer Synode, zu der die Pıediger von 14 zu 14 Tagen

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mit dreien von den Kirchspielpflegern zusammentreten,

welche die letzteren aus ihrer Mitte abordnen. Schwie-

rigere Sachen gelangen an die Gesamtheit der Kirch-

spielpfleger oder an den Magistrat. In der Gemeinde

üben die Kirchspielpfleger mit den Pfarrern die Zucht, jedoch nicht in der strengen Form des, Bannes, sondern durch das Mittel der Ermahnung. Bei der Bestellung der Geistlichen aber treten zu ihnen noch zwölf gottes- fürchtige Männer hinzu, ‚die bey der gemeyn Christliches wandels gute Zeügnus haben“, worauf alsdann in Ge- meinschaft mit den Examinatoren die Wahl vollzogen und, wenn der Erwählte tauglich befunden worden, von dem Rate bestätigt wird!).

Interessant ist nun aber zu beobachten, wie auf dem Wege über Straßburg der Einfluß Zürichs nach Frank- furt vermittelt worden ist. Der Frankfurter Rat hat, ‚als einmal die Fremdengemeinden entstanden waren, die Kirchenzucht, welche diese nach Genfer Muster übten, argwöhnisch beobachtet als einen Eingriff in seine Rechte. Er übertrug die kirchliche Disziplin nicht dem Konvent, auch nicht in der von Capito vorgesehenen Form der brüderlichen Ermahnung, sondern behielt sie ausschließ- lich sich vor. Hierin aber folgte er letztlich dem Vorbilde Zwinglis, der der Obrigkeit ebenso wie Butzer die Aufgabe zuschrieb, das Reich Gottes zu fördern und zu erhalten 2).

Es scheint indessen, als habe gerade dieser Einschlag Zwinglischer Gedanken bewirkt, daß der Rat im übrigen Bedenken trug, die unbetretenen Wege zu gehen, die Capito wies. Zwar griff man in Frankfurt die Anregung des Konvents auf. Längst vor der Ankunft der Fremden berichtete der Prädikant Beyer es in einem seiner Briefe als feststehende Übung: Solemus n. singulis septimanis feria quarta convenire et ibi de ecclesiasticis negotiis conferre sermones in monasterio Franciscanorum?). Und

1) Richter S. 158f. Joh. Adam, Ev. Kirchengeschichte der Stadt Straßburg. (Straßburg. J. H. Ed. Heitz. 1922.) S. 184f.

2) Richter S. 158.

3) Steitz, Hartmann Beyer S. 23 Anm. 12. Steitz setzt den Brief wegen der in ihm berührten Zeitverhältnisse 1549 an.

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91 251 Poullain hat seine ersten Erklärungen über seine Auf- fassung vom Nachtmahl in diesen Konventen gegeben. Aber das Laienelement war von diesen Zusammenkünften bezeichnenderweise ausgeschlossen. Überhaupt mochte man sich nicht dazu entschließen, zur Einführung einer so ausgebildeten Presbyterialverfassung!) zu schreiten, die dem lutherischen Norden gegenüber als eine völlige Neuerung um so verdächtiger gewesen wäre, je mehr sie nach dem Sinne der Eidgenossen und der oberdeutschen Städte war.

Blieb aber somit die ‚„Ermahnung“ Capitos im Grunde nur eine gutachtliche Äußerung, so ist es doch auch so noch charakteristisch genug, daß man sich diese Äußerung gerade von einem Straßburger erbat. Und ebenso ist es bezeichnend, daß trotz der Zurückhaltung, die man in diesem Falle geraten fand, der Faden zwischen Frankfurt und Straßburg nicht abriß. Schon die nächste Zukunft mit den Verhandlungen über die Wittenberger Konkordie ließ ihn auch für die Öffentlichkeit sichtbar werden.

‚Luther aber, zu dem man ebenso bezeichnenderweise die Beziehungen aufrecht erhielt?), schrieb in jener Zeit dem Rate: Non posui spem evangelii mei in Francfordiam vestram?). Dem entsprach es denn auch, daf dem all- gemeinen Urteil die Beziehungen zwischen Frankfurt und Wittenberg für gespannt galten‘).

1) Sie bezeichnet das letzte Glied der Kette, die von Lambert von Avignon zu Calvin führt. Vgl. Lechler, Gesch. der Presbyterial- und Synodalverfassung seit der Reformation. S. 30f.

2) Die Prädikanten und der Rat wandten sich im Herbst 1535 an ihn und Melanchthon wegen der Wiederzulassung der Messe im Dom.

*) Bei Enders, Dr. Martin Luthers Briefwechsel X, 270.

*) Hactenus autem inter Vos et Wittenbergenses (Ritter S. 346: Wirtenbergenses ist Druckfehler, wenn nicht Verschlimm- besserung) species dissidii alitur, schrieb Capito am 2. April 1536 an Algesheimer. F. R. II. Beil. 11. S. 28.

Mitteilungen.

Aeitschriftenschau.

Landschaftliches. Uber die Reformationsgeschichte von

Iugenheim in Rheinhessen handelt W.Hofimann im A. here G. u. A. NF. XIII 2, S. 163—172,

W.E.Schwarz, Herausgeber der „Akten der Visitation des Bistums Münster... 1571—1573“, erörtert auf Grund eines nachträglich zum Vosscheim gekommenen Aktenstücks des Archivs des bischofl. Generalvikariats die Vorgeschichte dieser Visitation. Z. vaterl. G. u. A. 79 I, S. 95—-1365.

Im Reformationsheft der Z. d. Ges. Ndsüchs. KG. (Jahrg. 22, 1). gibt F. Cohrs Listen der Niedersachsen und Niederländer,

die von 1502— 1532 in Wittenberg studiert haben, nach den Heimatsorten sowie der in W. ordinierten niedersüchsichen Geist- lichen 1542—1560 mit Erläuterungen (S. 1—50). Ebendort ver- Offentlicht Wolters die Protokolle der Kirchenvisitationen im Erzb. Bremen 1588 mit Übersicht über die früheren Visitationen (S. 51—122); stellt J. Regula die kirchlichen Selbständigkeits- bestrebungen der Städte Göttingen, Northeim, Hannover und Hameln 1584—1601 nach Akten des Göttinger Stadtarchivs dar (S. 128—152); schildert Wolters die Kirchengemeinde Mulsum (Dorf bei Bremervörde) im Reformationsjahrhundert (S. 153—165) und gibt Fr. Günther -Beiträge zur Kirchengeschichte von Altona nach Kirchenrechnungen usw. von 1582 ab (S. 166—219).

Die in verschiedenen Fassungen überlieferte Urkunde über die Vereinigung der hamburgischen Kirchspiele zur Abwehr geistlicher Ubergriffe (des Domkapitels) vom 2. September 1522 druckt H. Nirrnheim nach dem Original der St. Jacobikirche ab. Z. V. Hamb. G. 24 2, S. 186—192.

Plantiko bespricht in den Monatsbl. der Ges. f. Pom. G. u. A. April/Mai 1919, S. 18—19 die Beschlagnahmungen der Kloster- kleinodien durch die Herzóge Georg und Barnim seit 1525 auf Grund archivalischer Aufzeichnungen.

In Balt. Studien NF. XXII (1919) S. 85—141 schildert derselbe mit Hilfe reichhaltigen, von M. Wehrmann zusammen-

93 . 253 gebrachten archivalischen Materials eingehend, und im einzelnen, wie sich auf Grund der Kirchenordnung von 1568 das pom- mersche Schulwesen entwickelt hat.

Kurze Mitteilungen über die im Danziger Staatsarchiv be- findlichen, bis 1580 zurückreichenden Visitationsberichte des Klosters Oliva gibt E. Waschinski in Mitt. des Westpreuf. GV. XX, Nrn. 3 und 4.

In lehrreicher Weise schildert A. Seraphim in Altpreuf. Monatsschrift Bd. 58 1, S. 1—36 und 2, S. 71—104 die sozialen Bewegungen in Altpreu 8 en 1525, insbesondere den bäuerlichen Aufruhr im Samlande und dessen Niederwerfung. Unter den Zielen der Bewegung steht das Verlangen nach dem lauteren, reinen Evangelium ohne menschliche Zusátze mit in erster Linie. Auch die städtiche Demokratie in Königsberg hatte an die Be- wegung der Bauern Hoffnungen geknüpit, die mit dem Fehl- schlagen jener begraben wurden. )

Beitráge zur altpreuf. Reformations- und Literaturgesch. gibt Pf. Lic. Benrath in einer ausführlichen Arbeit über „die fünf Agendenreformen unter Herzog Albrecht“. Altpreuß. Monats- schrrift 57, S. 285—265; 58, S. 37—63, 153—175.

Ausland. Eine eindringende Untersuchung über ,das Verhältnis der schweizerischen zur deutschen Reformation" führt P. Wernle zu dem Ergebnis: Die Reformation, aus dem Zusammenwirken der allermannigfaltigsten Faktoren hervorgegangen, ist als religióse Bewegung das Werk Luthers und seiner Jünger und insofern geht auch die schweizerische Reformation durchaus auf Luther zurück in allen Landesteilen der Schweiz ohne Ausnahme. "Trotzdem kann von einer schweizerischen Reformation als selbständiger Größe ge- redet werden dank Zwingli, der zu dem lutherischen Grundstock so viel Eigenes aus seiner Seele und seinem Charakter hinzu- gebracht hat, daß daraus ein selbständiger Typus der Refor- mation werden mußte. Kurz: durch Luther in die Reformationse bewegung hineingezogen, haben die Schweizer mittels Zwinglis etwas Selbständiges und Eigenes daraus gemacht. Basler Z. f. G. u. A. XVII 2, S. 227—815. An dem gleichen Orte Bd. XVII, S.1—119gibt E. Staehelin eine sehr dankenswerte O ekolam pad- Bibliographie für das 16. Jahrh, d. i. ein chronologisch geordnetes Verzeichnis der im 16.Jahrh.erschienenen Oekolampad Drucke in 226 Nrn, gedacht als Vorarbeit zu einer geplanten Darstellung des gesamten Oekolampadischen Schrifttums. End lich untersucht der námliche a.a. O. XVI 2, 8. 367—392 ,Die ‘beruflichen Stellungen Oekolampads während seiner vier Basler Aufenthalte“.

In der literarischen Umschau der ZKG. 39 (NF. IT) S. 166—176 bespricht E. Staehelin die Zwingliliteratur der Jahre 1913—1920.

254 94

In Zwingliana 1920, Nr. 1 (Bd. III, Nr. 15) gibt W.Wuhrmann die Bibliographie des Zürcher Reformations- Jubiläums 1919 (S. 477—486); und handelt J. Pfister über Bullingers, von diesem mit Strichen und Notizen usw. bereichertes Handexemplar des Tertullian (Ausgabe Froben, Basel 1521), um zu zeigen, wie Tertullians Schriften zur Abklärung und Befestigung der evangel. Glaubensüberzeugung Bs. beigetragen haben (S. 486 bis 494). In 1920, Nr. 2 (Bd. III, Nr. 16) stellt R. Hoppeler die Lebensnachrichten des letzten Embracher Stiftspropstes Heinrich Brennwald, + 1551 zu Zürich, fest (S. 509—514) und verbreitet sich Jos. Th. Müller über die Böhmische Brüderunität und Zwingli, mit Beigabe eines (verdeutschten) tschechischen Schreibens aus dem Herrnhuter Archiv (S. 514—524); endlich veriolgt K. Gauf die Schicksale des Dichters Valentin Boltz im Zürcher und Glarnerland 1541—1542 (S. 5211). A

In scharisinniger Untersuchung weist K.Müller den als »Libertinern" verdächtigen Gegnern Calvins, einem Pocque, Quintin und Genossen, ihren Platz unter den quietistischen Mystikern nikodemitischer Art an und zeigt, auf welchem Wege Calvin zu seinen Nachrichten über die „Sekte“ (der Libertiner) gekommen ist. ZKG. 40 (NF. 3) S. 83—129,

Das Bulletin de la Soc. de I’ hist. du protest. francais 65—68 (1916—1919) bietet eine größere Reihe von Beiträgen zur meist örtlichen Reformationsgeschichte Frankreichs. Wir ver- zeichnen daraus: 65, 97—113 H. Aubert, Marie de Luré dame de la Noue (Gattin von Francois de la N., gen. Bras-de-Fer), mit Briefen an Beza 1596—1600; über den Sohn des Francois, den hugenottischen Dichter Odet de la Noue handelt G. de Pourtalés ebenda 67, 8. 81—111 (Art.1). 65, 165—177 J. Roman, Le meurtre de Louis Aymé à Gap en Dauphiné (im ‘ersten Religionskriege). S. 195—285 N. Weiß, Episode de la réforme à Paris, lassembleé de la rue S. Jacques 4—5 sept. 1557. 66, 22—34 und 126—136; 67, 28—42 M. Godet, Les Protestants à P A b b éville1560—1572: dazu Listen der des Calvinis- mus Verdächtigen 67, 48—61; 115—122, 66, 137—141 H. Aubert, Les débuts de l' église de Marseille (nach einem Dok. von 1559). 66, 328—338. G. dePourtalés, 4textes du psaume 42 (1548—1555) 66, 68—73 J. Pannier, Anciens lieux de culte prot. autour de Soissons et de Laon. 67, 112—115 H. Aubert, Une lettre inédite de Calvin à Farel (von 1544, aus der Bibl. nat.) 67, 162—183 N. Weiß, Louis de Berquin, son premier procés et sa retractation (1523), mit Dokk. S. 209—911. 68, 1—15 N. Weiß, Le premier traité prot. en francais (La Summe de I’ escripture saincte 1523).

Einen Beitrag zur Gesch. der italienischen Ref. liefert E.Rodocanachi,L'attitude des autorités civiles et religieuses à l' égard de la réformation en Piémont au 16 siècle (von

95 255

Margarete von Frankreich bis Emanuel Philibert) im Bull. de la Soc. de I’ hist. du prot. francais 67 (1918), 123—150.

Aus Bijdragen en mededelingen van het Historisch Genoot- schaf, 41. Deel, Amsterdam 1920 ist zu notieren: S. 1—197 Mej. G.Grosheide, Verhooren en Vonnissen der Weder * dopers betrokken bij de Aanslagen op Amsterdam 1534/1535; S. 198—220 A. Hulshof, Extracten uit de rekeningen van het Schoutambacht van Haarlem betreffende Wederdoopers te Amsterdam en te Haarlem; S, 221—231 Derselbe, alfa- betisches Register zu den beiden voraufgehenden Verdffent- lichungen; S. 232—246 P.J. Blok, Brei van den Utrechtschen Burgemeester Aernt Dirssz van Lejden over zijne zendung naar den prins van Oranje, Antw. 26/2 1579.

Die am 12. April 1920 in Krakau begründete Gesellschaft zur Erforschung der Gesch. der Ref. in Polen gibt unter Leitung des Univ.-Prof. Stanislaus K ot eine Zeitschrift ,Reformacya w Polsce“ heraus, von der drei Hefte vorliegen (Jahrg. von zwei Heften je 80 S. = Mk. 100,—). Heft I bringt einen Aufsatz von A.Brückner-Berlin, „Einige Worte über die polnische Ref“, in dem er den starken Einfluß der Ref. auf das polnische Geistes- leben zeichnet; eine Abh. von K ot über die Schule in Princzew, die erste prot. Schule in Polen. J. Czubek gibt eine kleine Ergünzung meiner Thretiusbiogr. (1907); J. Plasnik schildert die Entwicklung des protestantischen Buchhandels in Krakau; E.Berwinski handelt über die Stellung K. Sigismunds III zu den Dissidenten; W. Sobieski berichtet über ein unitarisches polnisches Gebetbuch im Brit. Mus.; endlich teilt Kot einen Brief des Grafen Joh. Ternowski vom 3. 3. 1560 an Calvin mit. Heft II: Brückner bespricht N. Reys Werk „der Kauf- mann“, das von Naogeorgus’ Mercator seu Judicium wesentlich abhängig ist; V. Fijalek behandelt den samogitischen Freund der Ref. Joh. Tortylowicz-Batocki; Kot handelt über die polni- schen Studenten in Basel; W.Sobieski gibt einen Beitrag zum Lebensbilde des Unitariers Martin Ruer aus Holstein; J. Wlodek berichtet über den Reformer der Landwirtschaft in England, Samuel Hartlieb, geb. 1600 in Posen. Heft III (Jahrg. II, 1): K. Kolbuszewski sehreibt über die husitische Bewegung in Polen und ihren Einfluß auf die Literatur; J. Plasnik über die evangel. Buchdrucker Krakaus im 16. Jahrh.; L. Chmaj über Andreas Wissowetius, Enkel Sozins, als religiösen Denker und Kämpfer; St. Zacherewski „die ätlesten Synoden der poln. Arianer“ veröffentlicht Synodalakten 1560—1570 (Forts. der 1898 von Dalton hrsg. Lasciana-Synodal- protokolle Polens 1555—1561). Zacherewski fand die Synodal- akten hsl. in Klausenburg, wohin die poln. Arianer (Unitarier) sie bei ihrer Vertreibung aus Polen 1660 gerettet haben. Die Veröffentlichung wirft helles Licht auf die Entstehung der

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unitarischen Kirche Polens und läßt uns die Nachrichten, die Lubieniecki in seiner Hist. ref. Polon. bietet, nachprüfen. Von deutschen Gelehrten hat der Königsberger Konsistorialrat Fr. Samuel Buk diese Akten noch besessen und in seiner Bibl. Anti- trinitariorum verwertet; seitdem waren sie verschwunden Heft IV: In ihm bietet Brückner einen Aufsatz über den literarischen Einfluß des bekannten Nikolaus Rey, des polnischen Hutten; in einer zweiten Abhandlung bespricht er die protes- tantische Polemik gegen die Jesuiten zu Anfang. des 17. Jahr- hunderts, an der sich neben Zygrovius, Mikolajewski, Biskupski auch der Thorner Joh. Turnowski beteiligte. Nach den Akten des Przemysler Kapitels berichtet Joh. Kwolik über Ab- schwörungen des evangel. Glaubens unter dem Bischof Valentin Hierburt (1560—1572); L.Wachholz in Krakau bietet z. T. auf Grund archivalischer Forschung eine ziemlich vollständige Chro- nologie der ev. Gemeinde in Krakau. L.Chmaj veröffentlicht den zweiten Teil seiner Studien über Andreas Wissowetius, den Enkel Sozins. Er bespricht hier besonders dessen Hauptwerk Religio noturalis und die Polemik Leibnitz’ wider dasselbe. Wedkiewicz behandelt den Einfluß der polnischen Pro- testanten auf die Anfänge des rumänischen Schrifttums, Dr.Reiß die Monogramme und Akrostychen in verschiedenen alten polnischen evangelischen Liedern; Budka bringt den Text der Warschauer Konföderation 1573, der magna charta religiöser Frei- heit in Polen, zum Abdruck mit ihren 98 Unterschriften. Die nämliche Gesellschaft nimmt die Herausgabe des Briefwechsels Melanchthons mit Polen und eine Sammlung von Liedern, Gesangbüchern, Katechismen und Synodalakten in Aussicht. Th. Wotschke.

Einen wertvollen Beitrag zur Poln. Ref.-Gesch. gibt ferner K. Volker in seiner Untersuchung über den „Kampf des Adels gegen die geistliche Gerichtsbarkeit in seiner Trag- weite für die Reformation in Polen“ Harnack-Ehrung S. 317—327, Derselbe bespricht in ZKG. 39 (NF. II) S. 176—187 die jüngsten Erscheinungen zur RG. Polens.

Das Leben des Gregorius Pauli, eines der bemerkenswertesten Theologen der polnischen Ref, bis zu seinem Bruch mit der reformierten Kirche (1562) stellt Th. Wotschke unter Beigabe von sechs Briefen aus dem Herrnhuter Archiv in Z.f. Brüdergesch. XIV, S. 1—82 dar.

Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.

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IX. 33

84.

35.

86.

VI.

VIL. Jahrgang 1911 (Heft 29—82),

X. Jahrgang 1913 (Heft 37—40). 87, A. Scholz, Bugenhagens Kirchenordnungen in

Jahrgang 1909 (Heft 21—24), 12 M. Fr. Spitta, Die Bekenntnisschriften des Herzogs Albrecht von Preußen. (160 8.) . 7 M. N. Muller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1622 I. G. Kawerau, Miscellaneen zur Reforma- tionsgeschichte. W.Friedensburg, Fünf Briefe

Georg Witzels (1638—1067). (100 S.) 4,40 M.

. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und

1522. II. O. Cidédmen, Aus Hans von Dolzigs Nach- laß, Th. Wotschke, Zum Briefwechsel Melanch- fhons mit Polen. (100 3.) 4,55 M. Fr. Herrmann, Mainz-Magdeburgische Ablaß- kistenvisitationsprotokolle. N. Müller, Die Wit-

tenberger Bewegung 1621 und 1522, III, (111112 m i 5,26 M. VIi. Jahrgang 1910 (Heft 25—28). 12 M,

O. Waldeck, Die Publizistik des Schmalkaldischen Krieges. l. E. Kroker, Rörers Handschriften- bände und Luthers Tischreden. IL. (120 5.) 5,40 M.

5. P. Vetter, Ein ungedruckter Brief des Justus

Jonas 1637. V. Schultze, Das Tagebuch des Graten Wolrad il. zu Waldeck zum Regensburger Keligionsgespräch 1546. I. N.Mtiiler, Die Witten- berger Bewegung 1521 u. 1622. IV. (112 S.) 5,10 M.

. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u.

1622. V. V. Schultze, Das Tagebuch d. Grafen Wolrad IL zu Waldeck zum Regensburger heligi- onsgesprüeh 1646. 1f. (120 S.) 5,40 M. N.Müller, Die Wittenberger Bewegung 1021 u. 1522. VL Fr. Roth, Zur Verhaftung und zu dem Prozeß d. Dr. Rotae Alfonso Diaz. (LLL, 108 S.) 0,10 M. 12 M. N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 u. 1622. VIL 0. Waldeck, Die Pubiizistik des Sehmalkaldischen Krieges. Il. (136 S.) 6,16 M.

. J. m Pilugk-Harttung, Aus dem Lutherhause

in Wittenberg. E. Kroker, Korers Handschritten- bande und Luthers Tischreden. DI. K. Schorn- baum, Zum Tage von Naumburg 1661. (96 S.) 4,40 M. Th. Wotschke, Zum Lebensbilde Laskis. Fr. Wecken, Die Lebensbeschreibung des Abtes Clemens Leusser von Bronnbach. W. Friedens- burg, Eine Streitschrift des Vergerio gegen das Trientiner Konzil 1651. (108 S.) 4,90 M. P. Kalkoii, Der Humanist Hermann von dem Busche und die luthertreundliche Kundgebung auf dem Wormser Reichstage v. 20. April 1521. G. Ber- big, kin Gutachten über die Flucht der Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg aus dem Sehlosse zu Berlin. E. Körner, Unbeachtete Brieistücke Luthers. H. Becker, Zur Geschichte der Pack- schen Handel, G. Kawerau, Berichte vom Worm- ser Religionsgesprüch 1640. (III, 84 S.) 4 M.

Jahrgang 1912 (Heft 33—36). 12 M.

. Fr. Roth, Sylvester Raid, der Brand-, Proviant- | und spütere Rentmeister des Markgraten Albrecht

Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, und Georg Fróhich, der Verfasser der „Historia belli Schmal- caldici*. O. Clemen, Briefe von Antonius Musa an Fürst Georg von Anhalt 1544—1647, W. Köhler, Brentiana und andere Reformatoria. (92 3.) 4,20 M. W. Kóhler, Brentiana und andere Reforma- toria. II. P. Kalkotf, Die von Cajetan vertaBte AblaBdekretale und seine Verhandlungen mit dem Kurfürsten von Sachsen in Weimar, den 28. u. 29. Mai 1619. (96 8.) 440 M. Fr. Roth, Zur Lebensgeschichte des Augsburger Formschneiders David Deneker und seines Freun- des, des Dichters Martin Schrot. G. Berbig, Hin Streitfall zwischen einem Koburger Bürger und einem Kaplan 1560. B. Willkomm, Beiträge zur Reformationsgeschichte aus Drucken u. Hand- schriften der Universitätsbibliothek in Jena. I. W.Friedensburg, Aus den Zeiten des Interim. H. Böhmer, Karlstadt in Tirol? O. Clemen, Georg Motschilder, ein neuentdeokter Flugschriiten- vertasser. (96 3.) 4,40 M. J. Kvacala, Wilhelm Postell. Seine Geistesart und seine Reformgedauken. I. B. Willkomm, Beiträge zur Reformutionsgeschichte aus Drucken und Hanuschritten der Uuiversitätsbibliothek in Jena, IL K. Pallas, Der Reformationsversuch des Gabriel Didymus in Eilenburg und seine Folgen 1522—1526. 1. (LI, 96 S.) 4,56 M.

12 M.

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39.

40.

XI. Jahrgang 1914 (Heft 41—44).

ål.

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44.

XII. Jahrgang 1915 (Heft 45—48).

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48.

ihrem Verhältnis zueinander. K. Pallas, Der Re- formationsversuch des Gabriel Didymus in Eilen- burg und seine Folgen 1522—1526. II. W. Frie-' densburg, Vergeriana 1534—1550. O. Clemen, Reunionsvorschläge Georg Witzels von 1640. H. Becker, Paul Lindenau. (116 S.) 5,25 M. G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und König, und seine Genossen, nach den Prozeßakten von 1630. I W. Köhler, Brentiana und andere Reformatoria. III. (92 S.) 4,20 M. G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den ProzeBakten von 1530. Il, O. Winekelmann, Die Armenordnungen von Nürnberg (1022), Kitzingen (1623), Regensburg (1523) und Ypern (16528). 1. G. Kawerau, Hin Brief Melanchthons von 1524. W. Muller, Hin ungedruckter Brief Luthers an Ef. Johann Friedrich von Sachsen (1546). E. Kling- ner, Zu Grisars Auffassung von Luthers Aber- glauben. (88 S.) 4 M. G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den Prozeßakten von 1630. UL M. Wehrmann, Von Bugenhagens Visitationstütigkeit in Pommern. H. Freytag, Ein Stolper Ordiniertenverzeichnis : von 1574—1591, (III, 88 S.) 4,20 M.

10 M. O. Winekelmann, Die Ármenordnungen von Nürnberg (1622), Kitzingen (1523), Regensburg (1523) und Ypern (1525) II. G@ Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und Kónig, und seine Genossen, nach den Prozeßakten von 1530. LV. R. Jung, Die Auinahme. der Schrift des Coch- laeus Adversus cucullatam Minotaurum Witten-- bergensem in Wittenberg 1628, W. Friedens- burg, Der Verzicht Karlstadts auf das Witten- berger Archidiakonat und die Pfarre in Orlamünde (1524 Juni) (80 S.) 8,70 M. Th. Wotschke, Der Petrikauer Reichstag 1552

und die Synode zu Koschminek 1066. GQ. Bossert, Augustin Bader von Angsburg, der Prophet und König, und seine Genossen, nach den Prozeßakten von 1530. V. E, Körner, Beiträge zu Luthers Tischreden. Fr. Arnecke, Über die Zusendung eines Buches Hieronymus Emsers durch den Leip-

ziger Rat an den Bischof von Merseburg im Jahre

1522. (80 8.) 3,70 M. P. Kalkoff, Luthers Antwort auf Kajetaus Ab- laBdekretale (30. Mai 1519). G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und König, und seine Genussen, nach den Prozeßakten von 1530. VI. J. Kvacala, Wilhelm Postell. Seine Geistesart und seine Reformgedanken. Il. (80 S.) 3,70 M. W.Köhler, Brentiaua u. andere Reformatoria. IV. O. Clemen, Drei unbekannte reformatorische Lieder. W.Friedensburg, Die Anstellung des -

Flacius LUlyricus an der Universität Wittenberg. ` (ILL, 80 8.) 3,90 M.

10 M. K. Pallas, Urkunden, das Allerheiligenstift zu Wittenberg betreffend 1522—1526. (Aus dem Nach- . lasse des 7 Prof. D. N. Müller hrsg.) M.Reu, Ein lateinisch-deutscher Katechismus für die deutsche Schule zu Graz vom Jahre 1644. P. Veiter, Das älteste Ordinationstormular der lutherischen Kirche. (80 S.) 8,70 M. K. Pallas, Urkunden, das Allerheiligenstift zu Wittenberg betreffend 1522—1526. ll. (Aus dem Nachlasse des + Prof. D, N. Müller hrsg.) R. Stólzle, kine unbekannte Vorrede Melanchthons. Th, Wotschke, Ein dogmatisches Sendschreiben des Unitariers Ostorod. G. Kawerau, Zur Frage nach . der Zuverlässigkeit Johann Aurifabers ala Sammiers u. Herausgebers Lutherischer Sehriften. (80 S.) 3,70 M. G. Bossert, D. Johann Mantels Lebensende und der Eheprozeb des Michael Back und seiner Gattin. O. Albrecht u,P, Flemming, Das sog. Manu- scriptum Thomasianum, Aus Knaakes Abschrift ver- öffentlicht. (80 S.) 8,70 M. O. Albrechtu. P.Flemmin g, Dgs sog. Manu- scriptum Thomasianum. I. M. Webhrmann, Liborius Schwiehtenberg, ein literarischer Gegner Bugenhagens. W. Friedensburg, Aus den letzten Tagen des Kryptokalvinismus auf der Uni- versität Wittenberg. G. Kawerau, Zwei Briefe aus den Tagen der lutherischen Orthodoxie. (LI, 80 S.) 3,90 M.

XIII. Jahrgang 1916 (Heft 49—52).. 10 M.

49, O. Albrecht u, P, Flemming , Das sog. Manu-

scriptum Thomasianum III, Ed. Wilh.Mayer, Forschungen zur Politik Karls V. während des Augsburger Reichstages von 1530. I. (80 S.) 8,70 M. O. Albrechtu.P.Flemming, Das sog. Manu- Scriptum Thomasianum 1V. Ed, Wilh.Mayer, Forschungen zur Politik Karls V, während des Augsburger Reichstages von 1530. IT. G. Bossert, Die Wiedereinführung der Messe in Frankfurt 1535. (80 S.) 8,70 M, O. Albrechtu.P.Flemming, Das sog. Manu- scriptum Thomasianum V. A. Werminghofi, Die Epistola de missera curatorium seu plehanorum, W.KOhler, Brentiana u. andere Reformatoria V. (80 S.) 3,70 M. P. Kalkofi, Zur Entstehung des Wormser Edikta. O. Albrechtu. P. Flemming, Das sog. Manu- Scriptum Thomasianum VI. (80 S.) 3,90 M.

XIV, Jahrgang 1917 (Heft 53—56). 12 M.

69. W. Matthießen, Theophrast v. Hohenheim-gen. Paracelsus I. F. Behrend, Die Leidensgeschichte des Herrn als Form im polit.-literar. Kampf be- sonders im Reformationszeitalter. R. Stólzle, Gerard Geldenhauer, e. unbekannter Erziehungs- theoretiker d. Reformationszeit. (80 S.) 8,70 M. W. Matthießen, Theophrasz v. Hohenheim gen. Paracelsus IL Th. Wotschke, Wittenberg u. d. Unitarier Polens I. W. Kóhler, Brentiana u. andere Reformatoria VI. (80 S.) 3,70 M. 66/66. O. Albrecht, Kritische Bemerkungen z. Über- lieferung d. stammbuchartigen Buch- u. Bibelein- zeichnungen Luthers. G, Kawerau, Die „Trost- schriften“ als eine d. ältesten Quellen f. Briefe Luthers. O. Reichert, Die letzten Arbeiten Luthers am Neuen Test, W. Köhler, Luther- briefe aus der Zeit des Augsburger Reichstages. Th. Wotschke, Luthers Hauspostile polnisch. P. Kalkoff, Friedr. d. Weise, der Beschützer Luthers u. d, Reformationswerkes. E. Kroker, Hat Tetzel den Ablaß zu seiner Bereicherung gemiß- braucht? G. Bossert, Sodocus Neukelter, Neo- bolus, Luthers Tischgenosse. W. Friedens- burg, Ein englischer Spion in Wittenberg zur Zeit Luthers (1539). (156 S.) 6,50 M.

XV. Jahrgang (Heft 57—60). 6 M.

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ana u.andere Reformatoria, W.Friedenburg Zwei Briefe Michael Stifelsan Flacius. (1288.) 8,70 M.

XVII. Jahrgang (Heft 65—68). 12 M. 65. G. Kawerau, Aus dem Wittenberger Univergi- tütsleben. A. Wahl, Beitrige zur Kritik d. Über- lieferung von Luthers Tischgesprächen d. Frühzeit. R. Stölzle, Ein unbekanntes deutsches Lied id. Paul Schede Melissus. Th, Wotschke, Joh. Las u. d. Abenteurer Heraklid Baschikus. OC. Hirsel Melanchthon u. d. Interim. G. Bossert, Dre Briefe Melanchthons. G. Stulfauth, Zum Pas sional Christi u. Antichristi. (80 S.) 8,70 J. Haußleiter, Ein Stück der Genesisvorlesun Luthers in e. Greifswalder Handschrift. G. Buc! wald, Bugenhagens Katechismuspredigten vo Jahre 1574. K. Schornbaum, Markgraf Geo Friedrich v. Brandenburg u. d. Einigungsbestr bungen d. protestant. Stände 1556—69. O, Cle men Georg Witzel u. Just, Jonas. (80 S.) 8,70 M K. Schornbaum, Markgraf Georg Friedrich Brandenburg u. d. Einigungsbestrebungen d. pr testant. Stände 1556—59 II. G. Buchwald, Geo! Helts Wittenberger Predigttagebuch L G.Loesche Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- u . Innerösterreichs 1. G. Bossert, Ein Brieffra; ment v. Jul. Pflug. (80 S.) 8,70 . G. Buchwald, Georg Helts Wittenberger Pr digttagebuch IL G. Loesche, Die reformatori schen Kirchenordnungen Ober- u. Innerósterreichs I E. Kroker, Luthers Arbeitsstube. (80 S.) 3,70

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: Pollicarius. (80 S.) 8,70 M- 71/72. P. Kalkoff, Kardinal Schiner, e. Mitarbeiter - Aleanders a.d. Wormser Reichstage. G.Loesche,g Die reformatorischen Kirchenordnungen Ober- und Innerósterreichs IV. (80 S.) 8,70 M. ,

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Zeitalter der.Reformation. (96 S.) 4,40 M. Ergänzungsbände I—IV. l | I.Hegler, Prof. D Alfr., Beiträge zur Geschichte

der Mystik in der Reformationszeit. Aus dem Nach- lasse hrsg. u. m. e. biograph. Einleitung vergehen v. Prof. Lic. Dr. Walth. Köhler. 1906. (VII, LVII, 220 S. m. Bildnis.) ie 10 M, II, Helts, Georg, Briefwechsel. Hrsg. v. Prof. Lic, Dr. Otto Clemen. 1907. (VI, 150 S.) 5,60 I, IH. Wotschke, Pfr. Lic. Dr. Th dr. Der Briefwechsel der Schweizer m. den Polen. 1908. (448 S.) 16,75 M. IV. Zerener,Dr. Holm, Studien üb.das beginnende Eindringen der lutherischen Bibelübersetzung in die deutsche Literatur, nebst e. Verzeichnis üb. 681 Drucke hauptsächlich Flugschriften der J. 1622—1526. 1911. (X, 1088) _ 5 M, (I—IV zusammen für Bezieher des „Archiv“ 24 Mj

Die Preise sind Grundpreise und verstehen sich mal Schlüsselzahl des

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Börsenvereins der Deutschen Buchhändler (z. Z. 600).

Verlag von M. Heinsius Naehfolger Eger & Sievers in Leipzig, RoBstr. 16. |

Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., uräfenhainichen.

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