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THE LIBRARY
BOOK
ARCHI
NEFOR MATIONSGESCHICHTE
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.
Im Auftrag des Vereins für Refọrmationsgeschichte
herausgegeben von
Dr. theol., jur. et. phil. Walter Friedensburg.
XXI. Jahrgang. 1925.
Leipzig Verlag von M. Heinsius Nachfolger Eger & Sievers. 1925.
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p. Schulze & Co., G.m.b.H, Gräfenhainichen.
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Im Auftrag des Vereins für Betormakiorszäschichte herausgegeben von
Dr theol., jur. et. phil. Walter Friedensburg.
Nr. 85/86. XXI. Jahrgang. Heft 1/2.
Kaspar Aquilas Zuflucht in Henneberg während des Interims und die Berufung Christoph Fischers. Wilhelm Dersch.
Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeit- alter der Reformation. V. K. Bauer.
N Zur Witttenberger Universitätsgeschichte des 16. Jahrhunderts. T J. Jordan.
Seltene Schriften gegen den Konkubinat der Kleriker aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. O. Clemen.
Die Ablafpredigten des Leipziger Dominikauers Hermann Rab (1504—1521). I. Georg Buchwald.
Mitteilungen Neuerscheinungen. — Zeitschriftenschau.
Leipzig 1925 Verlag von M. Heinsius Nachfolger E; Eger & Sievers.
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Quellen und Darstellungen aus der Ge- schichte des Reformationsjahrhunderts
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Inhaltsübersicht.
Wilhelm Dersch, Dr., Staatsarchivar in Marburg i. H., Kaspar Aquilas Zuflucht in Henneberg während des Interims und die Berufung Christoph Fischers
Karl Bauer, D., Universitätsprofessor in Münster, Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeitalter der Reformation. V.. AP
Julius Jordan, Professor D., Konsist. -Rat i in Berlin, Zur Wittenberger Universtäiegechiehe des 16, Jahr- hunderts .
Otto Clemen, D. Dr. Professor. in Zwickau (Sachsen), Seltene Schriften gegen den Konkubinat der Kleriker aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts Wos
Georg Buchwald, D. Superintendent in Rochlitz i. S. Die Ablaßpredigten des Leipziger Dominikaners Hermann Rab (1504—1521) . . . . . 198—152;
Walter Friedensburg, D. Dr. Dr. Staatsarchiv- direktor i. R. in Wernigerode a. H., Aus dem Brief- archiv des Justus Menius. I..
PaulKalkof f, D. Dr. Professor in Breslan, Die Reichs-
abtei Fulda am Vorabend der Reformation. . .
KarlSchornbaum, D. Dr. Dekan in Roth b. Nürnberg, Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg und die ev, Stände Deutschlands 1570—1575 .
Walther Köhler, D.Dr. Universitätsprofessor in Zürich, Brentiana und andere Reformatoria. X.. ;
Mitteilungen: Neuerscheinungen S. 153; 811—819. — Zeitschriftenschau S. 158—160. — Th, W otschke, Entgegnung S. 319. — Aus dem Verein für Refor- mationsgeschichte S. 320,
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Kaspar Aquilas Zuflucht in Henneberg während des Interims und die Berufung Christoph Fischers.
Von Wilhelm Dersch.
Kaspar Aquila, der Reformator und erste Superintendent von Saalfeld, war dem Hause Henneberg ganz besonders zu Dank verpflichtet, weil dieses dem unerschrockenen Kämpfer gegen das Interim sichere Unterkunft geboten hatte. Noch ein Jahr vor seinem Tode schrieb der Einundsiebzigjährige dankerfüllten Herzens seinem ehemaligen Herrn, dem Grafen Georg Ernst, daß er immer noch bereit sei dessen Ruf zu folgen ,wie ein schneller Adler^ und besonders das ,from völkle* seiner lieben Sehmalkalder und die „starken fre- lichen“ Weine nicht vergessen habe !).
Seitdem Geisthirt uns zum erstenmal Näheres über Aquilas Aufenthalt unter hennebergischem Schutz überliefert hat, finden sich öfters bis auf unsere Zeit in kirchengeschicht- lichen Arbeiten Mitteilungen über diese Jahre, die jedoch in Bezug auf die Dauer des Aufenthalts und die damalige Stellung des Reformators widerspruchsvoll sind, so daß eine Nachprüfung unter Heranziehung von bisher unbekannten Quellen nützlich erscheint.
Fast vier Jahrzehnte hat der am 7. August 1488 in Augsburg geborene Sohn des Syndikus Leonhard Aquila die Lande durchwandert nach damaliger Humanistenart, bis er 1527 als Pfarrer in Saalfeld seßhaft wurde. Wir finden ihn als Feldprediger im Heere Sickingens und als kenntnis- reichen Mitarbeiter Luthers bei der Uebersetzung des alten Testaments. Auf Luthers Rat wurde er nach Saalfeld be- rufen und dort 1528 Superintendent. In schärister Weise trat er 1548 gegen das kaiserliche Interim auf, Seinen Verfolgern wurde er entzogen darch Katharina die Heldenmütige, die Witwe Graf Heinrichs XXXII. von Schwarzburg und Tochter Graf Wilhelms IV. von Henneberg,
1) Vgl. den als Beilage 8 abgedruckten Brief, S. 36, Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 1
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welehe ihn zu Beginn des Jahres 1549 ein halbes Jahr lang!) auf ihrem Schloß zu Rudolstadt verborgen hielt?) Katharinas Schwägerin, die Herzogin Elisabeth von Braunsehweig-Lüneburg, die seit 1546 ihren Bruder Boppo zum Gemahl hatte, während ihre Tochter Elisabeth seit 1543 die Gattin von Katharinas Bruder Georg Ernst geworden war, stand mit Aquila in Briefwechsel wegen der Interimsfragen?). Von ihr erhielt Aquila das von Antonius Corvinus verfaßte und von der Synode zu Mtünden am 19. Juni 1549 angenommene „Bedenken“ gegen das Interim und desselben Verfassers ,Dialogus zwischen Ischariot Eis- leben und Judas Wicel“*), Aquilas Brief, in dem er sich für die überschickten Schriften bedankt, gedenkt auch einer Vermittlung Elisabeths bei Herzog Albrecht von Preußen, wo er in seiner Not Zuflucht zu finden gehofft hatte). In- zwischen war er von Rudolstadt, vermutlich auf Einladung von Katharinas Brüdern Georg Ernst und Boppo, in die
1) G. Adler, Die Vorfahren des Generalsuperintendenten Adler: Schriften des Vereins für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte, II, Reihe, V. Band, 2. Heft (Kiel 1911) 214 ff. Martin Saupe, „VITA M. Caspari Aqvilae, ersten Superintendens zu Salfeld ...*: Thüringer kirchliches Jahrbuch, 17. Jg. 1912 (Altenburg 1911), 24f. | ?) Cyr. Spangenberg, Hennebergische Chronica (Straßburg 1599), 266. J. C. Geisthirt, Historia Schmalcaldica, in der Zeit- sehrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landeskunde zu Sehmalkalden, Supplement 3 (1885), S. 58.
5) Wilh. Havemann, Elisabeth, Herzogin von Braunschweig- Lüneburg, geb. Markgrüfin von Brandenburg. Göttingen 1839. S. 76, Paul Tschackert, Herzogin Elisabeth von Münden (gest. 1558), geborene Markgrüfin von Brandenburg, die erste Schriftstellerin aus dem Hause Brandenburg und aus dem braunschweigischen Hause, ihr Lebensgang und ihre Werke. Leipzig-Berlin 1899. Beilagen: Elisa- beths „Unterricht für Herzog Erich d. J.“ (1545) und ihr „Mütter- licher Unterricht für die Herzogin Anna Maria“ (1550); ohne die Bei- lagen im Hohenzollernjahrbuch 3 (1899), 49—65. Vgl. allgemein über Aquila G. Kawerau in der Realenzyklopädie® 1 (Leipzig 1896), 759f, und 23 (1913), 106,
t) Paul Tsehackert, Antonius Corvinus Leben und Schriften. Hannover und Leipzig 1900 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, hggb. vom historischen Verein für Niedersachsen 3), S. 167, 170f.
5 P. Tschackert, Briefwechsel des Antonius Corvinus. Hannover und Leipzig 1900, (Ebenda 4), Nr. 291 (1549 August 31). Vgl. auch Elisabeths Brief an Herzog Albrecht 1549 Aug. 13: Meiningen, Herzog]. off. Bibliothek, Hschr. 1, Bl. 68.
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Grafschaft Henneberg gekommen und hatte dort in U nter- maßfeld ein „Pathmos“ gefunden!) Der erste aus diesem Zufluchtsort geschriebene Brief ist vom 22. Juli?) Am 31. August war er noch in Untermaßfeld, aber offenbar be- reits für seine neue Stellung in Schmalkalden aus- ersehen?); ein Brief vom 30. November ist ohne Ortsangabe. Damals wünschte er offenbar noch nicht, daß seine Be- rufung nach Schmalkalden bekannt würde; er klagte, daß niemand interimsfeindliche Bücher drucken wolle und nannte sich in einer Schrift D. Christian Allefreund, Am 8. Januar 1550 schickte er seine Antrittspredigt aus Schmal- kalden an Georg Ernst mit der Bitte, eine Abschrift davon an Herzog Albrecht nach Königsberg zu übermitteln. Kaspar Sagittarius erzählt, daß in der Schulbibliothek zu Saalfeld ein Band von Luthers Werken den Eintrag enthalte: „Sum M. Casparis Aquilae pastoris in collegio cathedralis ecelesiae Sehmalkald, 1550, 12. Jan.“*). Wir dürfen also annehmen, daß er etwa Weihnachten 1549 oder Neujahr 1550 sein neues Amt angetreten hat". Am 1. Mai 1550 beglück-
1) Johannes Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen. Königsberg 1841, S. 18ff, u. Hugo Fuchs, Christoph Roßhirt: Des Fürsten Wilhelm, Grafen zu Henneberg, Leben, Amt und seliger Ab- schied. Drei Geschichten von Besessenen aus der Mitte des 16. Jahr- hunderts, Bericht des Kgl. Preußischen Hennebergischen Gymnasiums zu Schleusingen 1901/1902, S, 11f.
2) Voigt &.a.O. Er war also nicht bereits 1548 in Schmal- kalden, wie Geisthirt a. a. O. 7 („um Palmarum") und nach ihm 0. Füßlein, Mag. Caspar Aquila, der erste Superintendent von Saalfeld (Saalfelder Weihnachtsbüchlein 1876) und G. Adler a. a. O. („Ende 1548^) behaupten. Dieser Annahme widerspricht auch Aquilas Aeußerung in dem bei Voigt a. a. O. 24 abgedruckten Brief, daß er 22 Jahre in Saalfeld tätig gewesen sei, also von 1527—1549.
3) Ebenda 24: ... „wie ich getrieben bin ... von Maffeld gen Schmalkalden“ „.. Christian Schlegel, Ausführlicher Bericht von dem Leben und Tod Caspari Aquilae . . . hggb. von Joh. Zeitzschel, Leipzig u. Frankfurt 1787, S. 443 kennt den Aufenthalt in Maßfeld nicht. Saupe berichtigt das falsche „Manßfeld“ seiner Vorlage, druckt aber immer ,Marsfeld*,
4) Saalfeldisehe Historien von Kaspar Sagittarius, hggb. von Ernst Devrient. Saalfeld 1901, S. 247.
5 Voigt a. a. O. 30. Nach ihm auch G. Kawerau in Herzog-Hauck, Realenzyklopüdie für protestantische Theologie uud Kirche I®, 759f. M. Saupe, a. a. O. 45, der die bei Voigt mitgeteilten Briefe nicht berücksichtigt, móchte 1551 annehmen, Hüfner, Die
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wünschte ihn (exuli in oppido Schmalkalden) Melanchthon zu seinem „mediocre hospitium" !).
Die Entsendung Aquilas nach dem zweiherrischen Schmalkalden war bedeutungsvoll. Unter seinem Vorgänger, dem Stiftsprediger Bartholomaeus Wieser, waren im Jahre 1547 heftige Schmähschriften gegen die lutherische Lehre verbreitet worden?). Melchior v. Ossa widerriet damals dem Grafen, gegen die Schuldigen gerichtlich vorzugehen. Als nun das Interim in Hessen Annahme fand und die hessischen Abgesandten am 29. August 1548 in Schmalkalden weilten, war die Verwirrung noch groß, so daß der hennebergische Amtmann das Einverständnis seines Herrn erklärte®), während später die Absage des Grafen Wilhelm an den Kaiser deutlich genug lautete*) Geisthirts Worte?), daß der Satan in Schmalkalden zwar keine Irrlehre habe aufkommen lassen, daß aber die Geistlichkeit die Flügel hätte hängen lassen, und die Laien liederlich gelebt hätten, kennzeichnen wohl
Herrschaft Schmalkalden 3, 165 hat auch 1550. — Am 22, Januar 1550 trug Herz. Elisabeth dem D. Joachim Mörlin, der sich damals in Arn- stadt und in der Umgebung des Grafen Georg Ernst aufhielt, Grüße auf an Aquila; Elisabeth bemühte sich für Mörlin, eine Anstellung in der Grafschaft, etwa in Meiningen oder sonstwo, zu erreichen, bis dieser nach Königsberg ginge. Am 28. Juli 1552 schrieb sie, daß sie ihn für das Stift Schmalkalden empfehlen wolle Franz Koch, Briefe der Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg und ihres Sohnes, des Herzogs Erich d. J., aus den Jahren 1545—1554: Zeit- schrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 11 (Braunschweig 1906), 106, 111 ff., 142. Mörlin hatte auf Oculi 1549 Schleusingen, sein „sanetum hospitiolum exulum Christi“, verlassen, nach Junckers Ehre der gefürsteten Grafschaft Henneberg 3 (Dresden, Landes - Bibliothek, Hs. a 55), Bl. 155v. Zu demselben Jahr berichtet Juncker Aquilas Berufung nach Schmalkalden.
1) Corpus reformatorum 7, Nr. 4712.
2) Wilh. Germann, D. Johann Forster, der Hennebergische Reformator: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums, 12. Lieferung (Meiningen 1894), Urkunden, S. 42 fÊ. Die Akten im Gemeinschaftlichen Hennebergischen Archiv zu Meiningen IV C 8, 12.
3 FritzHerrmann, Das Interim in Hessen (Marburg 1901), 21 ff.
4) Spangenberg a. a, O. 258ff. (1519 Februar 18), Mei- ningen, G. H, A. IV B 1,4; dort auch die späteren Aufforderungen des Kaisers zur Annahme des Interims 1549 April 12 und 1551 März 23. Graf Wilhelms bekannte Antwort datiert vom 13. Januar 1549, nicht Februar, wie Spangenberg, Weinrich, Kirchen- und Schulen- Staat des Fürstenthums Henneberg; Leipzig 1720, S. 293, u. a. ARE pagn:
5) A. a. O. 2, 14f.
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richtig die damalige Lage. Eine starke Hand war nötig, die hier eingreifen mußte, Keiner war daher geeigneter für diese Aufgabe als Kaspar Aquila, und gerade in seiner Stellung als Prediger am Egidienstift.
In der Stadt war seit dem 14. Mai 1549 Hieronymus " Pfnoer Pfarrer!) Ueber das Stift hatte der Henneberger allein zu verfügen. Nachdem Graf Wilhelm dort bereits 1527 den Prediger Jakob Hartmann eingesetzt hatte, wurde 1545 diese Stelle im Einverständnis mit den Chorherren durch den Grafen Georg Ernst zur dauernden Einrichtung gemacht?). Ob der Posten nach Hartmanns Weggang (der 1546 als Pfarrer in Oberstadt, Kr. Hildburghausen, erscheint) 8) und Wiesers Scheiden (1547?) nochmals besetzt wurde, steht da- hin. Erst Aquila nennt sich Pfarrer im Stift, aber nie Dechant, auch nicht nach dem Tode des letzten Dechanten Johann Seyfried (Schmidt genannt), der nach Geisthirt am 29. Dezember 1551 starb‘). Es hätte den Ab- machungen von 1545 geradezu widersprochen, wenn der In- haber der neben dem Dechanten geschaffenen Pfarrstelle nach dem Ableben des Dechanten dessen Pfründe übernommen hätte, die doch nach Erledigung nicht mehr neu besetzt werden sollte. Doch soll Johann Motz, der älteste der wenigen im Stift noch lebenden Chorherren, nach Seyfrieds Tod sich selbst zum Dechanten erwählt und bestätigt haben’). In
1) Meiningen, G. H. A. IV C 3, 12 (Pfarrei Schmalkalden); vgl. G. Brückner, Pfarrbuch der Diöcesen Meiningen, Wasungen und Salzungen: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums, 2. Lieferung, Meiningen 1863, S. 70.
2) E. Koch bei P. Weber, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Band 5, Kreis Herrschaft Schmalkalden (Marburg 1913), 185f,
3) Meiningen, G. H, A. IV A 2, 27b.
*) A. a. O. Suppl. 1, 153. 2, 77ff. Geisthirts Angabe, daß Aquila Dechant gewesen sei, sind gefolgt Schlegel a. a. O. 455ff.; Joh, Reinh. Häfner, Die Herrschaft Schmalkalden in historischer, topographischer und statistischer Hinsicht 3 (Meiningen 1820), 158; Beck in der Allgemeinen Deutschen Biographie 1 (Leipzig 1875), 509£,; Füßleina.a. O.; Kawerau, Herrmann a. a. O. 40, Anm. 1; Adler und Saupe, Germann a. a. O. Urkundenbuch S. 53 sagt, daß ihm ,zum mindesten auch Dekanatsfunktionen" übertragen worden seien.
6) Laut Brief des Stiftspfarrers M. Christoph Fischer an den Grafen Georg Ernst vom 81. Mürz 1554: (Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27b), in dem er rät, die Dechanei wieder zu besetzen, damit das Stift vor Schaden bewahrt werde.
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ähnlicher Weise war das Augustinerkloster zum Aussterben bestimmt, denn 1550 nach dem Tode des letzten Priors Nikolaus Ran baten Aquila und Hieronymus Pínoer den Grafen Wilhelm, das Kloster in eine Schule zu verwandeln (8. unten S. 15 Anm. 7)!) Unrichtig ist ferner die Be- hauptung, Aquila sei als Superintendent angestellt worden?) Allerdings beklagt er sich in seinem Streit mit dem Superintendenten Bartholomaeus Wolfhart zuSchleusingen, daß dieser ihm nicht gónne, wenn die Leute ihn in Sehmal- kalden Superintendent hießen ê). Er beschwerte sich, dab der Schulmeister der städtischen Pfarrei ihm keinen Bericht zugehen lasse. Offenbar maßte sich also der Stiftspfarrer weitgehende Befugnisse an, die tatsächlich der Stellung eines Superintendenten entsprachen *). Auf einer Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse beruhen schließlich die übertrie- benen Angaben Geisthirts, daß Aquila außer den Zehnten von Getreide, Flachs und Vieh 800 Gulden bezogen habe). Demgegenüber sei darauf hingewiesen, daß dem Abkommen vom 18. April 1545 zufolge der Stiftspfarrer 130 Gulden,
1) A,a.0.2,12. Und so ein person im stifft absterben, nimbt der graff das einkommens“ heißt es 1550: W. Germann, Aus Wasungens vergangenen Tagen. Urkunden des Wilhelmiterklosters Wasungen. Meiningen 1890, S. 79
2) Emil Sehling, Die evangelischen Kirehenordnungen des
XVI. Jahrhunderts I, 2 (Leipzig 1904), 269; wohl nach Weinrich a. a. O. 279.
3) S. die Beilage 2, S. 27. Als Pfarrer von Saalteld nannte er
sich z. B. auch „Bischof“ 1548 in.der Schrift: ,Eyn sehr hochnötige Ermanung / an das kleine blöde verzagte Christlich heufflein“ (in der Universitätsbibliothek Halle); in einem zusammen mit dem Schösser Johann Reinholt 1546 Dezember 10 an den sächsischen Rat Dr. v. Teutleben gerichteten Briefe: „pastor superintendent in Saalfeld“, abgedruckt von P. Vetter im ARG. 16 (1919), 179—181.
4) Erst in einem unten als Beilage 5 abgedruckten Briefe vom 12. März 1552 an die Herzogin Elisabeth von Rochlitz, die Schwester Philipps des Großmütigen, die von 1548 bis zu ihrem Tode (1557) in Schmalkalden lebte, nennt er sich Pfarrer und Superintendent. Über ihren Aufenthalt in Schmalkalden vgl. Arthur Fuckel in der Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landes- kunde in Schmalkalden 16 (1911), 25ff, der diesen Brief aber nicht nennt.
5) A. a. 0. 2, 77fi. Seine Besoldung 1545 in Saalfeld (100 fl.,
5 Eimer Wein usw.) mitgeteilt von Is. Rockstroh im Saalfelder Weihnachtsbüchlein 1883, S. 6,
1 T Brennholz, zwei Acker Wiesen und freie Dienstwohnung er- halten sollte !).
Aquila war also Pfarrer des Stifts. Seine Predigten müssen gewaltigen Eindruck gemacht haben, denn einer seiner Nachfolger, M. Alexander Utzinger, erzählt, daß das Volk der Unterstadt seharenweise zum Stift gezogen sei, und daß man die Predigten des Stadtpfarrers mit Rüben und Kraut, die des Stiftspfarrers aber mit Gesottenem und Ge- bratenem verglichen habe?). Mit dieser Ueberlieferung stimmen überein Form und Inhalt seiner gedruckten Predigten, soweit wir sie kennen. G. L. Schmidt?) und Martin Saupe*) haben sich näher mit einigen beschäftigt und rühmen ihnen Ansehaulichkeit und dem Verfasser Bibelkunde nach. Spriehwortartige Sätze, die Art der praktischen Bibel- auslegung, Klarheit und Kraft trotz mancher Schwerfällig- keiten und Schachtelungen im Satzbau kennzeichnen Aquilas Predigtweise, Damit dürfte sie heute noch vorbildlich sein 5). Schmidt irrt jedoch, wenn er Aquilas „Ein fróliche Trost- predig / für die sehr geengstigten gewissen / sie mutig und erquickt zu machen / außm Propheten Zephania ete.“ in die erste Zeit seines Aufenthalts zu Schmalkalden, „als er noch keine Anstellung hatte“, verlegt. Die Widmung dieser der Herzogin Katharina von Sachsen dargebrachten Predigt datiert
1) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27b. Die Amtsrechnung des Jahres 1551 bis 1552 (Februar 22) im Staatsarchiv zu Magdeburg (Rep. A 33 R Ib; die von 1550/51 ist nicht erhalten; die von 1549/50 nennt ihn nicht) führt 10 Malter Korn als Geschenk des Grafen auf, Stiftsrechnungen aus den Jahren haben sich leider nicht erhalten. Nach dem Kellereiregister von 1550 (G. H. A. IV A 2, 28) erhielt „der prediger M. C. Aquila^ seinen Martiniwein. Sonst ergibt sich nur aus der Rechnung, daß Aquila wiederholt zum Grafen fuhr nach Maßfeld, Zillbach und Schleusingen und in Wasungen war, wohl zu der Pfarrer- zusammenkunft, s. unten S. 17.
2) Adler a. a. O. 218.
3) Prediger der Reformationszeit. 3. Caspar Aquila: Zeitschrift für praktische Theologie 3 (Frankfurt a. M. 1881), 124 ff.
4) Zwei Schriften Caspar Aquilas: Thüringer kirchliches Jahr- buch 19 (Altenburg 1914), 201f. (Auslegung des 34. Psalms und Sermon vom Almosengeben).
5) Joh. Fenner, Mit welchen Mitteln können wir unsere Predigt volkstümlich gestalten? Die Dorfkirche 6 (Berlin 1913), Nr. 7, S. 2891f, — Das ausführlichste Verzeichnis seiner Schriften findet sich bei Schlegel a. a. O. 5311ff, Vgl. auch Geisthirt a. a. O. 6, 58. Fr. W. Strieder, Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte 1 (Göttingen 1781), 1091f, Adler a.a. O. 218,
8o 8
vom 6. Januar 1549, und Aquila nennt sich in ihr Pfarrer und Superintendent zu Saalfeld. Gedruckt ist sie allerdings erst 1550 durch den Apotheker Ciriacus Schnauß in Coburg (8?) und Michael Lotther zu Magdeburg im gleichen Jahre). Aus Aquilas Schmalkalder Zeit ist zunächst zu nennen: Ein nötig
tröstlich vnnd recht Christlich
gut gebeth / Gottes wort vnd
seine Genad Trost Hilff vnd
stercke / im Glauben bestendigkeit aueh ein rechtgsehaffenes guts leben mit aller seliger Wol
farth zu erlangen. 1550
(Zu ehren) | Dem Erbarn vnd wolweisen / herrn Johan Cleman Burgermeyster zu Schmalkalden ete.
Dureh Mag. Gasparem Aquilam Pfarherrn im Stifít.?)
Der Bürgermeister Johann Clemen, dem die Predigt gewidmet ist, starb 15565). In demselben Jahr erschien:
Ein Sermon Die do lereth / einen rechttenn guten vn Christlichen wandel zufüren / in allerley Stánden AuD der ersten Epistel S. Peters am vierdten Capitel ete.
!) Beide Drucke in der Herzoglichen Öffentlichen Bibliothek zu Meiningen, der Coburger Druck auch in der Universitütsbibliothek Königsberg. Über seine Klage, daß niemand gegen das Interim etwas drucken wolle, vgl. Voigt a.a. O. 26: ,Magdeburg allein ist Gottes Christi Kanzellei."
2) Acht Blatt; am Ende: „Gedruckt in der Fürstlichenn Stadt Coburgk / dureh Ciriacum Schnauß Apotecker, 1550.“ In der Preuß. Staats-Bibliothek zu Berlin: Es 2410,
3) C. Knetseh, Die Schmalkalder Stahlschmiede im 10, Jahr- hundert: Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landeskunde in Schmalkalden 16 (1911), Beilage IV, Stammtafel der Familie Clemen.
Durch Mag. Gasparem Aquilam Pfarherren im Stifft zu Schmalkalden ete. gepredigt am Donerstag nach Qua- simodogeniti / Anno dni. 1550.1)
Außer diesen gedruckten Arbeiten verdient besondere Beachtung noch eine m. W. ungedruckte Abhandlung, die großes Aufsehen erregte und schließlich mit dazu beitrug, daß Aquila Schmalkalden wieder verließ.
Zu den Geistlichen, welche des Interims wegen heimat- los wurden, gehörte der oben schon genannte Bartholo- maeus Wolfhart, der aus Göttingen, wo er 1543—1548 als Diakonus an S. Johannis angestellt war, vertrieben, in Sehleusingen, Unterkunft gefunden hatte °). Als dann Aquila
1) 89 Blatt; am Ende: „Gedruckt in der Fürstlichenn StadtCoburgk / durch Ciriacum Schnanß Apotecker. 1550.“ In der Staats-Bibliothek zu Berlin: E 2614. Gewidmet der Stadt Schmalkalden, besonders dem Bürgermeister Friedrich Wollnschlager. Am Ende des Textes: „1550 M. Caspar Aquila ssßt 16. 7bris“. — Andere Schriften aus der Schmalkalder Zeit („Consolariae Praecationes Germanicae“ und „Schöne Christliche Fragstücke für die junge Kindlein gestellet* ...) nennt Schlegel a. a. O. 445 und 535. Nach freundlicher Mitteilung des Aus- kunftsbüros der Deutschen Bibliotheken in Berlin waren beide Schriften nicht zu ermitteln. Erstgenannte ist vielleicht gleichbedeutend mit der oben S. 7 erwähnten „Ein fröliche Trostpredig“, mit der anderen sind vermutlich die ,Kurtze aber zu unserer Seligkeit hochnóthige Fragstücke, der gantzen Christlichen Lehre“ gemeint, welche bei Joh. Gottl. Hillinger, Memoria Aquilina (Jena 1731) abgedruckt sind, aber laut Vorrede in das Jahr 1547 gehören. Die 1547 zuerst ausgegebene Erklärung des kleineren Katechismus von Aquila aus dem Jahre 1538 (Des kleinen || Catechismi |! Erklerung / mit schó||nen Christlichen exem-||peln vnd gewaltigen sprü-||chen der Heyligen || sehrifft . . .) ist abgedruckt bei Joh. Mich. Reu, Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600. Erster Teil: Quellen zur Geschichte des Katechismus-Unterrichts. II. Mitteldeutsche Katechismen. 2. Abtlg.: Texte (Gütersloh 1911), S. 173—203; vgl. dazu die historisch-biblio- graphische Einleitung, ebenda II, 1, 51*ff., auch über die „Kurtze / || aber zu vnser Selig-||keit hochnötige Fragestück / der || gantzen Christ- lichen || Lehr“ ... Nach Reu (S. 55*) gehört Aquilas Katechismus inhaltlich zu den besten der Reformationszeit.
2) Zuerst nachweisbar 1548 April 16 (Superintendens) und Mai 9 (hennebergischer Superintendent). Im erstgenannten Briefe an den
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die Gunst des Grafen fand, scheint Wolfhart in den Hinter- grund getreten zu sein, zumal seine Auffassung von der Handhabung der Kirchenzucht der Meinung Aquilas und seines Herrn Georg Ernst schroff gegenüberstand. Während Woifhart rücksichtslos von der Kanzel herab alle Mißstände, die ihm zu Ohren kamen, geißelte, vertrat Aquila den Grund- satz: Man soll niemand auf der Kanzel schelten, man habe ihn denn zuvor ermahnt'), Dementsprechend verfaßte er seine:
Getreue unterwey- sung vor die jungen pries- ter wie sie sich ihn ihrem
ambt mit straffung
der sunden recht gesch- affen haltten sollenn.
Jesus Sirach ihm 10 Cap. Verdamme nymant, ehe du die sache zu- vor erkennest, darnach straffe.
Idem 19 cap. Hastu etwas gehort etc. sprich deinen nechstenn darumb ann, villeicht hat er es nicht gethann, boch nicht bald mit ihm, dann mann leugt gzernn auff die leutt.
Die Abhandlung ist handschriftlich überliefert im Ge- meinschaftlicben Hennebergischen Archiv zu Meiningen ?) nebst einer unvollendeten Abschrift obne die Einleitung von anderer Hand, die Aquilas Namen nebst dem Datum Mathie. apostoli (Februar 24) trägt und als Druckmanuskript ange- sprochen werden kann. Ein zweites Stück befindet sich, wie schon W. Germann?) erwähnt hat, im Anhaltischen Haus- und Staatsarchiv zu Zerbst*) Letzteres ist von dem da- maligen hennebergischen Sekretär geschrieben und im Juli
Grafen Georg Ernst empfiehlt er eindringlich Luthers kleinen Kate- chismus, Meiningen, G. H. A. IV C 1, 2 (Ehegerichtssachen). J. M, Reu a.a. O. IL 1, S. 197*, Anm. 1.
1) Vgl. Beilage 1, S. 25.
2) IV A 9, 27 b.
3) D. Johann Forster, Urkundenbuch, S. 98 Anm. 1.
3) G. A. R. V, 195, Nr. a XX?, 47 Blätter, von denen 41 be- schrieben sind. Ebenda befindet sich im Panegyricus des Heinrich Basse von 1519 der Vermerk: „1556. Sum Gaspari Aquile epi. in Salf.“ Freundliche Mitteilungen des Zerbster Archivs.
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1552 dem Fürsten Georg von Anhalt überschickt worden !). Job. M. Weinrich nennt außer ihr einen „Getreuen Unter- richt, wie man sich bey Bestraffung der Sünden zu verhalten habe“ °), der inhaltlich mit der Getreuen Unterweisung, die er richtig nennt, vollkommen übereinzustimmen scheint, so daß es sich offenbar um ein und dieselbe Schrift handelt. Aus dem Inhalt sei als Probe der Anfang mitgeteilt; die Leser werden Joh. Voigts?) Urteil über Aquilas „Grob- schrötigkeit“ bestätigt finden:
„Got sagtt zu eynem yglichenn bischoff und pfarhern also:
[Am Rande: Hezechiel 3 u. 33 cap.] Ich hab dich zum wechter gesetzt uber das hause Israel, du solt aus meynem munde das wort hoeren und sie von meinet wegen warnen. Wenn ich dem gottlosen sage: du must des todes sterben und du warnest ihne nicht, damit sich der Gottlose vor sey- nem gottlosen wgsen hute, auf das er lebendige bleybe, so wirdt der gottlose umb seiner sunde wiellen sterben, aber sein blut wil ich von deiner handt fordern.
[Am Rande:] Merck das woll nicht aus des babst lugenmaul oder was ein reychstage beschleust zu lehren oder hohe potentaten gebirten zu glauben mit menschen, und es heist Math. 28: lehret sie halten alles was ich euch bevohlen hab, mit was bapst, concilia, ketzer gebirten, verpflucht sei ein engel im himel, der anderst lehret dan Christus gelehret hat. Galla. 1.
Do lerne ein iglieher prediger was doch eines wechters ambt sey, der auf dem thurn einer ganzen stadt allen scha- den mit seinem fleissigen umbsehen helfen verhuten. Ist das nieht die warheit, wann ein boser voller zapf bei der nacht schreyt: Mordio, feurio, es brinndt. Dieser getreuer wechter wirdt ja nicht so baldt an die sturmglocken sehlahen, ein geschrey machen mit einem feurigen strobranth, sonder er wird selbst fleyssig schauen und eigentlich erfahren, in welcher gassen, hause odder winkel das feuer loedert und sich gar nichts an das trunkene waschmaule kheren, er muß des ganz gewis sein. Darnach macht er erst ein geschrey und eroffnet den mordbrandt.
Also thue du pfarherr auch als der geistliche wechter, bolder nicht bald und mach ein geschrey von einem ubel- theter aus schlechtem hoersagen, erforsche es zuvor selbst woll und sey es gewiß oder erfahre es selbst vom sunder. Will er dann nicht ablassen, so du in heimlich hast gestrafft,
1) Zerbster Archiv a. a. O. 2) A. a. O. 27988. und 294f. A. a. 0. 17.
IOELDTSTInIENeSS via capatina apnea
T N TLA. ic. rn. —— —— | Rubia CURES Uo NT ET ER TE RL TITTEN
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so blas dann dein horn und erhebe deine pusaunen auf dem predigstull, dem offentlichen ubel und ergernisse zu steurn und wehren. [Am Rande: Jesiaia 58. Hoseae 8. cap.]
Die pfarhernn oder prediger sollenn nicht offentlich auf der eanízell einen mit namen frevenlich unerkanter sachen schelten, er hab in den zuvor heimlich angeredt und im sein irthumb und sundt mit freuntlicher straff und ermanung an- getzeigt. Vielweniger sol er ein solchen one erkentnus der christlichen oberigkeit offentlich in bann thun und aus sun- derm neit flux dem teuffell ergeben.
Das ein pfarher schuldig ist, einen offentlichen sunder erstlich in der stille zwuschen in und ime zu straffen und fleyssig fragen, ob im also sey, wie die leut von ime waschen, derhalben soll der pharher nicht bald allen unnutzen wasch- meulern, afterköhsern glauben, die gern den nechsten ver- leumbden. Solche verleumbder will der heilige David ihm 101. psalmo nicht neben ime dulden, er will sie vertilgen, so gebeut Salomonn in spruchen ahm 4. cap.: Thue von dir den verkerten mundt und lasse das lestermaul ferne von dir seyn. Es hat doch ein boes maul kein gluck auf erden: psalm 140.
Das solcher bericht wahr und recht sey, wollen wir solehs aus heiliger schrieft beweisen.“
Es folgt nun die aus der hl. Schrift reichlich gestützte Beweisführung, daß die Pfarrer auf der Kanzel nicht über- eilt die Leute strafen und mit Namennennung schelten sollen, bevor sie die Sünder ein- oder zweimal ermahnt und die tatsächlichen Verfehlungen festgestellt haben. Erst wenn der Sünder trotz Warnung von seinem Laster nicht absteht, darf der Pfarrer ihn öffentlich strafen und bannen: „als ein ver- giftet reudig scheffle aus der gemein ‚stossen, das kein arzney noch rath oder hulfe wil dulden noch busse thun“. Bei allen, die „crimina non notoria“ begehen, d.h, solchen, denen nicht landrüchige und jedermann bekannte Vergehen nach- zuweisen sind, soll zunächst eine Verwarnung eintreten. Zu den „notorischen Verbrechern“ gehören. aber die Ketzer, der Papst und die Wiedertäufer. Gegen diese darf man öffent- lich loswettern, wie folgende Stelle dartun möge:
„Also du pfarrherr, du seyest bischof oder pfarrher, bif nicht so stolz, sag nicht so frevenlich, was gehen mich die an, die von meinem predigstul weglaufen, verachten Gottes wort, die heyligen sacrament, ich will sie flux dem teufel ergeben" Nicht also, so lieb dir Got ist, sonder bif gütig und fein muterlich gegen einem solchen verlornen kindt, hoeret er dich, thut buß, nym in an Lucae am 15, wie der fromme vatter den verlornen sohn mit allen gnaden annahme,
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Gedenck du selbst bey dir, wie oft hat dich verlornes schaff der herr selbst gesucht mit seinem gnadenreychen wort, dich zu im berufft, da du armer sonst in die helle gelaufen und im tiefen ewigen tode versoffen wehrest. Also thu auch mit den armen verlornen sundern. Jhe nehr sie der helle und verdamnis seint, jhe mer du dich uber ir ver- damnis solt eriammern und allen fleis ankheren, wie du sie mochtest heylen und widerumb zu recht bringen. -
Der liebe herr Jesus Christus unser getreur erzhirt und rechter bischoff beware uns seine arme scheffle bei reiner lahr zu weiden, erlose uns von den allervergiftigsten interi- misten, sophisten, papisten, adiaphristen und falschen Christen, die itzo in schaffskleydern ires unreinen verfluchten innterim die arme liebe scheffle Christi wollen als mit todtlicher weide ermorden. Fur solchen reissenden wolfen behutt uns Gott sein kleines hertlein schaff in ewigkeit . . ."
Ohne Zweifel waren Mißgriffe seitens einiger Geistlichen vorgekommen. Auf Grund von Klatschnachrichten sind un- schuldige Gemeindeglieder öffentlich durch die Pfarrer von der Kanzel herab bloßgestellt worden, so daß sich im Volk eine begreifliche Erregung gegen Kirche und Obrigkeit be- merkbar machte und das Vertrauen zu den Geistlichen schwand, zumal eine höhere Kirchenbehörde, ein Konsistorium, dem derartige Streitfälle hätten unterbreitet werden können, noch nicht eingesetzt war. In den Kreisen der Pfarrer ent- stand natürlich erst recht Erbitterung, als einer ihrer Amts- genossen offenbare Schäden erbarmungslos auideckte und Anweisungen gab, die dem seitherigen Brauch zuwiderliefen.
. Falsche Gerüchte über Aquilas Lehre drangen bis zu seiner Beschützerin, der Herzogin Elisabeth. Sie schiekte ihren Amtmann Christoph Mengerhausen nach Schmalkalden, der über vier Punkte dem Reformator Vorhaltungen machen und ihm ein Büchlein zur Belehrung übermitteln sollte. Der erste Punkt betraf natürlich die von Aquila gehandhabte Kirchen- zucht, bei der Elisabeth die nötige Schärfe gegen die „Papisten“ vermißte. Ihrem Verlangen, am nächstfolgenden Sonntag auf der Kanzel eine öffentliche Erklärung abzugeben, entgegnete Aquila, daß diese nicht notwendig sei, da es männiglich bekannt sein dürfte, daß er bei jeder Gelegenheit die „Papisten“ auf das allerheftigste anzugreifen und zu schelten pflege. Ferner wünschte die Herzogin, daß jeder Streit und Zank unter den hennebergischen Geistlichen vermieden werden möchte. Daß Aquila zu diesem Vorwurf Anlaß gegeben haben sollte, bekümmerte ihn ganz besonders, da er sein Leben lang. um Friede und Einigkeit bemüht war. Diese Friedens- liebe betonte. er noch besonders gegenüber dem letzten
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Ansinnen seiner Fürstin, daß er vor allem mit dem Super- intendenten Bartholomaeus Wolfhart gut Freund sein solle. Man darf hierbei nicht vergessen, daß eine gewisse Schuld auf Aquilas selbstherrisches Auftreten zurückzuführen ist, wie es sich 1546 bei seinen Streitigkeiten mit den Saalfelder Amtsbrüdern zeigte, wobei noch das Geld eine gewisse Rolle spielte!) Die Verdächtigungen waren zu schwer, als daß Aquila mit ihrer Zurückweisung gegenüber Elisabeth sich hätte begnügen können. Er schrieb sofort an seine Landes- herren, die Grafen Wilhelm und Georg Ernst, gab ihnen seinen Kummer zu verstehen und bat sie, ihn bei der Fürstin zu entschuldigen: „Denn was ich geschrieben, gelert und gepredigt, das habe ich nie scheu getragen, sondern kan und wil es mit Gottes hülfe aus dem waren Gottes wort verantworten vor Gott, allen unparteyschen, versten- digen und guten christenmenschen“?), In einem vertrau- lichen persönlichen Schreiben an Georg Ernst?) vertrat Aquila nochmals mit aller Deutlichkeit und Schärfe seinen Standpunkt und bat den Grafen, er möge seine Schwägerin auf den Inhalt seines Büchleius, das dieser offenbar noch nieht bekannt sei, hinweisen. Der Graf kam der Bitte seines Sehützlings nach und entschuldigte ihn), billigte aber durch- aus die in der „Getreuen Unterweisung“ ausgesprochenen Gedanken, denn vom Standpunkt der „christlichen Obrigkeit“ mußte er der drohenden „Verachtung des ministerii^ ent- gegentreten?). Erhard Schnepf, Wolfgang Mülich u. a. stimmten ibm bei. Damit war die Angelegenheit nicht abgeschlossen, denn Georg Ernst wünschte sehnlichst Aquilas Schrift ge- druekt zu sehen. Mit der ihm eigenen Sorgfalt und Gründlich- keit bat er daher angesehene Theologen um ihre Gutachten,
Seit Anfang September 1550 war Justus Jonas im nahen Coburg. In den Herbst des folgenden Jahres wird ein undatierter Brief zu verlegen sein, der zwar nicht eigen- hündig von ihm geschrieben und ohne Untersehrift versehen ist, aber in der Adresse unverkennbar die Sehriftzüge des Reformators verrüt. Das Siegel mit dem Bild des Jonas, der dem Rachen eines Walfisehs entsteigt, findet sich auch auf einer eigenhündig von Justus Jonas ausgestellten Quittung, die auf Schloß Landsberg bei Meiningen unter Glas und
1) Corpus reformatorum 6, Nr. 3112, S. 761f.
2) Beilage 1, S. 25.
5) Beilage 2, S. 27,
4) Meiningen, G. H. A. IN 140 (1551 Juli 16 und 24).
5) Aufzeichnungen Glasers über Georg Ernsts Standpunkt in der Bannfrage, dem Aquila beistimmte: Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27b.
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Rahmen verwahrt wird!) (1917). Jonas spricht sich gegen den Druck der Schrift Aquilas aus; er meint, derartige Streitfälle sollten den Visitationen oder einem demnächst za eröffnenden Konsistorium vorbehalten bleiben und be- fürehtet, die Auffassung kónne Platz greifen, als ob die Obrigkeit dem heiligen Geist in sein Amt greifen wolle.?) Trotz seiner Gegnerschait gegen das Interim war Jonas mit Melanehthon befreundet. Der gemeinsame Kampf gegen Osiander brachte die beiden noch näher zusammen?) und hat sicher auch engere Fühlung mit den hennebergischen Theologen zur Folge gehabt, denn er unterschrieb das be- kannte hennebergische Gutachten vom 5. Dezember 1551$). Ein diesem Gutachten vorausgehender Brief des Herzogs Albrecht von Preußen an Graf Georg Ernst vom 4. Oktober 1551 über Osianders Irrtümer trägt Aufzeichnungen von der Hand Aquilas in roter Tinte?) Dessen Mitwirkung in diesen Fragen steht also fest. Seine Mitarbeiterschaft an einer im Jahre 1551 entworfenen, aber — nach Juncker — nicht veröffentlichten Kirehen-, Schul- und Spitalordnung ist unwahrscheinlich 9). Es handelt sieh offenbar um die vom Kanzler Sebastian Glaser entworfene Ordnung vom 12. Mai 1551, welche über das Vermögen der Kirchen, Schulen und Spitäler, soweit es nicht zu weltlichen Zwecken verwendet wurde, und dessen Verwaltung Bestimmungen trifft”), um der Verschleuderung des Kirchengutes vorzubeugen,
Etwa um dieselbe Zeit, als Justus Jonas wegen Aquilas Büchlein angegangen wurde, entschlossen sich die Grafen Wilhelm und Georg Ernst, Philipp Melanchthon ihr
1) Beilage 3b. 8.31.
2) Beilage 3a. S. 30.
3) G. Kawerau, Der Briefwechsel des Justus Jonas 2 (Halle 1885, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 17), LII ff. Jonas starb als Superintendent in Eisfeld am 9. Oktober 1555,
*) Th. Pressel, Justus Jonas (Elberfeld 1862), 101.
5) Meiningen, G. H. A. IV B 2,3.
6) Junckers Ehre a. a. O., Bl. 155ff.
?) Ungedruckt; bei Sehling a. a. O. 269 erwühnt; im G. H. A. IV C1,2, Bl.109ff. Gelegentlich (1550 Aug. 27) hören wir von Be- sprechungen Aquilas mit Elisabeth von Rochlitz wegen Verlegung der Schule vom Berg in das Augustinerkloster. Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Grofm. Nr. 66. Über die Schule vgl. W. Dersch, Kaspar Brusch als Sehulmeister im Stift zu Schmalkalden, in der Ztschr. d. Vereins f. Henneberg. Gesch. u. Ldkde. in Schmal- kalden 18 (1923), 34ff, und die Frankfurter phil. Diss. v. W, Frank 1923,
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Anliegen vorzutragen!) Veranlassung bot die von einigen Pfarrern leichtfertig geübte Verhängung des Kirehenbannes, so daß mancher vormittags auf eine unbegründete Anzeige hin öffentlich in den Bann erklärt wurde, nachmittags aber, nach- dem sich seine Unschuld nach gründlicher Untersuchung er- wiesen hatte, der Strafe wieder enthoben wurde. Dieses un- sichere und heftige Auftreten der Geistlichen drohte ver- hängnisvoll zu werden und manchem die neue Lehre, die vom Geist der Lindigkeit, der Geduld und Sanftmut beherrscht sein sollte — wie es in dem Brief heißt —, verdächtig er- scheinen zu lassen. Bevor Melanchthon mit seinen Freunden über die „Getreue Unterweisung“ beraten konnte, riet er am 5. September 1551?) dem Grafen, nach sächsischem Muster ein Konsistorium (mit 5 Personen) für ehestreitige und straf- würdige Sachen einzurichten, denn das sei nützlicher als durch obrigkeitliche Befehle die Unordnung verhüten zu wollen. Am 30. November?) wiederholte er im Verein mit Johann Bugen- hagen und Georg Major diesen Rat und schickte das Büchlein zurück, von dem er zunächst nur urteilte, daß „darin viel christlicher Erinnerung“ sei. Die Anrichtung eines Konsisto- riums stand für ihn im Vordergrund; gelang es ihm, dafür die Grafen zu gewinnen, wurde der Druck des Büchleins von untergeordneter Bedeutung. Allerdings bedurfte ge- rade eine Reihe von Artikeln sorgfältiger Beratung. Am 12. Februar 1552 teilte Melanchthon nochmals seine und des Leipziger Predigers Erasmus Sarcerius Bedenken über Aquilas Schriftehen dem Grafen Wilhelm mitt). Aquila erhielt den Brief zur Verantwortung und äußerte sich zu den einzelnen Punkten in Randbemerkungen, die in dem. Satz gipfelten: „Trotz sei allen Porten der Hóllen*. Den ihm gemachten Vorwurf, daß er keinen Unterschied kenne zwischen „erimina notoria“ und „erimina von notoria“, beantwortete er mit dem Ausruf: „Beweiset das, lieben Herren, so Ihr das könnt, sollt
1) Beilage 4, 8.31, Auszug bei Weinrich a.a. O. 295. Sehling a. a. 0.272. Vgl. A, Human, Die Reformation in Kirche und Schule des Herzogtums S.-Meiningen, Leipzig 1917 (Die Reformation und ihre "Wirkung in Ernestinischen Landen. Gedenkblütter zur Jubelfeier der Reformation, hrsg. v. Oberhofprediger G. Seholz-Gotha, Bd. 3), S. 11f. (Melanchthons Beziehungen zum Meininger Land).
2) Corpus reformatorum 7, Nr. 5301. Melanchthons Briefwechsel mit Aquila ist verzeichnet ebenda im Indexband (10), Sp. 334.
3) Ebenda 7, 5802. Weinrich a. a. O. 279ff. 294f. Sehling 8. 3. O. 272. EL. l
5) Corpus reformatorum 7, Nr. 5067; vollständig und verbessert im Anhang als Nr. 5208. Meiningen, G. H. A. IV C 3, 12,
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mein Antwort hören aufs allerbest, zu Gottes Lob und zu Trost der lieben Kirchen“. Gegenüber Melanchthons Hin- weis, daß ein offenkundiger Ehebrecher vom Sakrament aus- geschlossen werde, bemerkt Aquila: ,Das haben wir vor 40 Jahren sämptlich gethan, ohn alle Scheu, Gott sey Lob“. Aquila war überzeugt, daß seine Ausführungen recht deutlich zwischen offenen und heimlichen, ungewissen Lastern unter- schieden, und konnte sich auf das Urteil des Victorinus Striegel berufen, der ihm durchaus beistimmte.
Das „Gezänk“ zwischen den Predigern ging fort, ob- wohl Aquila es ausdrücklich bestritt, und verlangte eine krüftige Hand, die eingreifen konnte. Selbst Georg Ernst hat damals den Druck des Büchleins nicht mehr befürworten wollen, als er auf einer naeh Wasungen einberufenen Zu- sammenkunft aller Geistlichen feststellen mußte, daß eine Einigung nicht zu erzielen war, und gerade der erste Geist- liche des Landes, der Superintendent Bartholomaeus Wolfhart in Sehleusingen, sich vornehmlich betroffen fühlte.
Im Sommer erhielt Fürst Georg von Anhalt, der Bischof von Merseburg, das Büchlein zur Begutachtung. Er sprach sich für den Druck aus, tadelte aber das unvorsichtige Auftreten der unbescheidenen, jungen Geistlichen, welche die Lehren der von ihnen Bekämpften nicht einmal selbst kannten. Die Adiaphoristen, nach denen die Kreatur mit Gott wesens- ein sein soll, und die nach Aquilas Meinung den Papisten zu viel einräumten!), wollte er als Sekte nicht gelten lassen und schlug vor, statt „Adiaphoristen“: „Antiadiaphoristen“ zu schreiben. Georg Ernst stimmte dieser Auffassung voll- kommen bei und äußerte die Absicht, das schon lange empfohlene Konsistorium ins Leben zu rufen?) Tatsächlich kam es aber erst im Jahre 1574 zu dieser Verfassungs- änderung, indem an Stelle des Superintendenten mit den „Zugeordneten“ oder der Visitationskommissionen, der stän- dige Kirchenrat oder das Konsistorium trat ë).
Die „Getreue Unterweisung“ scheint nie gedruckt worden zu sein; sie hat aber dazu beigetragen, daß die hennc-
1) Voigt a. a. O. 26f.
2) Meiningen, G. H. A. I Q 14: 1552 Juli 13; das Konzept im Haus- und Staatsarchiv zu Zerbst (G. A. R. V, 195, Nr. a XX) datiert vom 7. Juli; Georg Ernst antwortete am 25. Juli. Über die Bedeutung Georgs von Anhalt für die evangelische EHelengssategounng vgl. E. Sehling a. a. O. I 2, 500 Ë.
3) Sehling a. a. 0. 272f. Sehling, Geschichte der protestan- tischen Kirchenverfassung (Meisters Grundriß der Beach Sutewienen: schaft II 8, 2. Auflage 1914), 17 f.
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. " 2
MYXJ iam T QUU. ENT
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bergischen Grafen die Erriehtung eines Konsistoriums ins Auge faßten und die Superintendenten später eine Erklärung abgaben, derzufolge alle öffentlich lautbaren (notorischen) Sünder von dem Pfarrer nicht öffentlich auf der Kanzel mit Namennennung oder Ándeutung gebannt, sondern zuvor veımahnt werden sollten und kein Pfarrer eigenmächtig ohne Erkenntnis eines ordentlichen Konsistoriums den Bann aussprechen dürfe!) Hand in Hand mit den darum geführten Bespreehungen ging die Frage der Besetzung des Super- intendentenpostens.
Wolfhart plante schon im Frühjahr sein Amt aufzugeben, ließ sich aber noch länger halten?) Aquilas Stellung war gegenüber seinen Amtsbrüdern schwierig geworden, so dab er trotz der Stütze, die ihm sein Landesherr bot, gern die Gelegenheit ergriff, Schmalkalden und seinen hennebergischen Dienst zu verlassen, als im Juni 1552 Herzog Johann Friedrich d. M. von Sachsen mit ihm verhandelte wegen seiner Rückkehr nach Saalfeld?). Die Rückkehr verzögerte sich bis in den Herbst. Zuvor bat er den Hofprediger seines Herrn, den Mag. Philipp Hermann, mit dem er schon in Untermaßfeld zusammengewesen war, um ein Zeugnis über seine Amtsführung. Von Wolfhart verabschiedete er sich schriftlich in aufrichtiger Versóhnlichkeit*). Wolfhart hatte nach wie vor die Mehrzahl der Geistlichen auf seiner Seite; er verlangte von ihnen aber auch Gehorsam; so begehrte er, daß die Pfarrer der ganzen Herrschaft ihre gottesdienstlichen Ordnungen nach dem Brauch in der Hauptpfarre Schleusingen einrichten sollten?). Er wußte es vor seinem Gewissen zu verantworten, wenn er auf der Kanzel Öffentlich den Kirchen- bann aussprach®). Am 27. September hielt Aquila seine Ab- schiedspredigt über Paulus Ephes.5 und Apostelgeschichte 20 ?); in einem Vierspänner, von etlichen Wagen begleitet, die den Hausrat aufnahmen, fuhr er mit Weib und Kindern nach Saal- feld zurück.
1) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27b (undatiert).
?) Germann, Forster, Urkundenbuch S, 521f.
3) Fr. Küch, Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 78, Leipzig 1904), Nr. 66. S. 53.
4) Schlegel a. a. O. 471f. (Wolfhart „totius Eiéumelionpondi principum ducatus summus inspector“).
5 Sehling, Kirchenordnungen I 2, 355.
6) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27 b, Brief an Sebastian Glaser 1552 Juli 18.
1) BeisEnlzt 2.2.0.2, 79,
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W. Germann behauptet?) daß Wolfhart als Nachfolger Aquilas für Sehmalkalden ausersehen gewesen sei; doch er- scheint dieser Wechsel nach dem Gesagten unwahrscheinlich. Wolfhart ging erst 1555 nach Hannover. Cyriakus Spangen- berg erzählt aber gelegentlich seines Besuchs in Schleusingen am 12. Mai 1552, daß er als Nachfolger Aquilas oder Wolf- harts.in Betracht gekommen sei?) Die Nachricht beweist, daß man schon im Mai auch mit Aquilas Scheiden rechnete. Genaueres erfahren wir aus dem Briefwechsel des Grafen mit Melanchthon, der im Juli mit Johann Forster sich be- sprach®) und als Superintendenten den Mag. Laurentius Rulich?) (Ruelichen) und den Pfarrer in Kalbe?) vor- ‚schlug. Zwei Monate später konnte Melanchthon mit einer Auswahlliste aufwarten ®); der Kanzler Glaser sollte über die einzeluen Persönlichkeiten nähere Auskunft geben. Für das Superintendentenamt in Schmalkalden oder Schleusingen schien ihm am geeignetsten Justus Menius’), doch kam dieser kaum in Frage, da die Herzöge von Sachsen ihn be- halten woliten. Weiter empfahl er Philipp Hermann (s. oben S. 18) sowie Mag. Bartholomaeus [Wolfhart] und Eichhorn), von denen einer für die Pfarrei in Schmalkalden pässend sei Auf einem beiliegenden Zettel standen noch zuoberst Christophorus Piscator (Fischer) aus Joachimsthal, der ungefähr gleichaltrig mit dem Kanzler und diesem wohlbekannt, aber zu jung war,
1) Germann, Forster 52ft,
2) Hennebergische Chronica 261f.
*) Corpus reformatorum 7, Nr. 5146 (1552 Juli 6).
4) Aus Jüterbog. 1551 Lehrer an der Schule S. Afra in Meißen, vgl. Corpus reformatorum 7, 871; Gg. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch 1537—1560 (Leipzig 1894), Nr. 1525 und in den Beiträgen zur sächsischen Kirchengeschichte 11 (Leipzig 1896), 44 und 12, 83.
5) Calbe an der Saale oder Calbe an der Milde?
©) Corpus reformatorum 7, Nr. 5196 (1552 September 8).
?) Geb. 1499 in Fulda, 1529 Pfarrer in Eisenach, 1546 Super- intendent in Gotha, starb 1558 in Leipzig. Ein Brief von ihm an Graf Georg Ernst von 1552 Aug. 18 unter Nr. 304 der Urkunden des Melanchthonhauses in Bretten, erwähnt im A RG 19 (1922), 58.
8) Jodocus Eichhorn aus Arnstadt, 1551 und 1552 Diaconus unter Wolfhart in Schleusingen. Joh. Gg. Eck, Biographische und littera- rische Nachrichten von den Predigern im Kurfürstlich-Sächsischen Antheile der gefürsteten Grafschaft Henneberg seit der Reformation, Leipzig 1802, S. 22,116. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch, Nr. 772.
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und der Pastor von Hainichen!), der gleichfalls Glaser bekannt sein sollte, dessen sich aber dieser nicht erinnern konnte. Das Gleiche galt für den Mag. Matthias Elbing Prutenus?), der für die Pfarrei vorgeschlagen wurde. Als Superintendent schien geeignet der Diakon in Lucka?) Forstius aus Koburg, für eine Diakonatstelle Lau- renfius Rubosius. Glaser kannte von den auf der Vorschlagsliste Stehenden nur Fischer und teilte Georg Ernst seine Bedenken wegen dessen Jugend -— er war 1524 ge- boren — mitt}. Gleichzeitig baten die Grafen den Dom- propst von Magdeburg und Meißen, Fürsten Georg von An- halt, mit Melanchthon sich zu besprechen wegen „eines an- sehenlichen, betagten, geübten, erfarnen, gelerten "und gots- fürchtigen mannes, der allen andern unsern theologen mit lehr, leben und wandel vorgehe*. Am 29, September reiste Fischer mit den besten Empfehlungeu an Glaser und die Grafen nach Schleusingen ab?) Melanchthon urteilte über ihn: ,Fuit eius gubernatio in ccclesiis, quas docuit, tran- quilla, et spero, salutarem vestris ecclesiis fore; est enim reete eruditus, et mores sunt honesti, nee amat tribunitios clamores“. Der tugendsamen Hausfrau, der Tochter Paul Knods, der in
1) Kr. Delitzsch bei Wittenberg. 1543 war Leonhard Wagner dahin berufen worden. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch Nr. 474.
2) Rutenus?
$) Saehsen- Altenburg.
4) Meiningen, G, H. A. IV B 2, 1 (1552 September 21). Gg. Brückner in den Neuen Beiträgen zur Geschichte deutschen Alter- tums 2 (1863), 23. Er schreibt sich: Christoph Vischer (Meiningen, G. H. A. IV C 3, 12). Sein Bild findet sich auf dem ersten Blatt seiner 1573 bei Michel Kröner in Schmalkalden gedruckten „Auslegung der Fünff Heubtstück des heiligen Catechismi / gestellet und geprediget durch M. Christofferum Vischer / Hennebergischen Superintendenten / und Pfarherrn zu Meiningen“ mit der Umschrift: Christophorus Fische- rus aetatis anno XLIX. Das Buch war auch im Besitz der Grüfin Elisabeth, Georg Ernsts Gemahlin, geb. Herzogin von Württemberg: Meiningen, G. H. A. I G 105 (Bücherverzeichnis). Über Fischer vgl. neuerdings Rud, Steinmetz, Die Generalsuperintendenten von Lüne- burg-Celle, in der Zeitschrift der Gesellschaft für niedersüchsische Kirchengeschichte 20 (Braunschweig 1915), 4711. und dazu die er- günzende Besprechung von G. Bossert in der Theologischen Literatur- zeitung 41 (1916), Nr. 24, Sp. 520.
5) Corpus reformatorum 7, Nr. 521% und 5213. Daß er 1552 Superintendent in Schmalkalden wurde, wie Brückner a. a, O. sagt, ist nicht zu erweisen. Vgl. unten S. 24.
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Kurfürst Friedriehs Kanzlei tütig war, wird besonders ge- dacht. Da Melanchthon die Besetzung der Superintendentur nieht für eilig hielí, war er damit einverstanden, wenn Fischer als Pfarrer in hennebergische Dienste irat!) Wegen eines Superintendenten einigte Melanchthon sich mit Georg von Anhalt auf den schon genannten aus Westfalen stammen- den Pfarrer Christophorus Wusthofen in Hainichen bei Wittenberg?) In der ersten Novemberwoche reiste dieser nach Henneberg. Melanchthon rühmte ihn als verständigen, gelehrten und gottesfürchtigen Mann und wußte an ihm nur zu tadeln, daß seine Stimme etwas dunkel sei; als Super- intendent schiene er besonders geeignet zu sein. Die Er- richtung des Konsistoriums wurde aufs neue für nützlich empfohlen). |
Fiseher war in Henneberg geblieben und hat vermutlich sofort Aquilas Stelle in Schmalkalden angetreten*). Melanch-
1) Corpus reformatorum 7, Nr. 5220 (1552 Oktober 3). Fischer hatte schon als Pfarrer zu Bensen die Hauptpunkte der christlichen Lehre in Fragestücken zusammengestellt und auf Anraten vieler Leute 1558 bei Jakob Berwald in Leipzig ,Ein Auszug || vnnd Begriff des heili-||gen Christlichen Glaubens / || auff kurtze Frag vnd Ant-||wort gestelt ,..^ drucken lassen, Das Büchlein hat sicher bei seiner Visi- tation der Grafschaft Henneberg eine Rolle gespielt, denn es wurde 1556 und 1558 neubearbeitet wieder aufgelegt als „Summa der || Christ- lichen Lehre / für || die einfeltigen^ , .. und ist abgedruckt bei J. M. Reu a. a. O. (s. oben S. 9) II 2, 263 f., vgl. ebenda II 1, 191 * ff, Über seine pädagogische Bedeutung vgl. Hans Heim, Fürstenerziehung im 16, Jahrhundert, Würzburger phil. Dissertation 1918, S. 7 ff. Literatur über ihn zusammengestellt in den Theologischen Studien u. Kritiken 1910, S. 376 u. 1912, S. 605.
?) Meiningen, G. H. A. IV B 2, 1 (1552 Oktober 8, Georg v. An- halt an die Grafen). Corpus reformatorum 7, Nr. 5252 (1559 Oktober 28, Melanchthon an die Grafen).
3) Corpus reformatorum 7, 5252, 5253 und 5254. Auch für die Kirche in Rosa verspraeh Melanchthon einen jungen, tüchtigen Mann namhaft zu machen. Es war vermutlich Johannes Heller aus Nürn- berg, der die dortige Pfarrei von 1552—1554 versah. Gg. Brückner, Pfarrbuch der Diócesen Meiningen, Wasungen und Salzungen (Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums 2, Meiningen 1863), 489 f Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch, Nr. 1826 (1552 Novem- ber 80). Vgl. auch A. Human a. a. O. S. 11f,
4) Als Pfarrer zu Schmalkalden bezeugt 1554 März 7: K. G. Dietmann, Kurzgefaßte Kirchen- und Schulgeschichte der gefürsteten Grafschaft Henneberg Kurfürstlich- Sächsischen Anteils (Gotha 1781), 31; als Pfarrer am Stift 1554 März 31: Meiningen, G.H. A. IV A 2, 27 b.
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thon versüumte nicht, darüber seinen Dank zum Ausdruck zu bringen; er hoffte zuversichtlich, daß er sein Amt gut versehen werde und seine Milde (modestia, Lindigkeit) allen Einrichtungen willkommen sein werde. Von Wusthofen fehlen nähere Nachrichten, Er scheint nicht längeren Aufenthalt oder gar die Stelle eines Superintendenten genommen zu haben.
Abgesehen von der Widmung des 6. Bandes der deutschen Werke Martin Luthers durch Melanchthon an die henneber- gischen Grafen Wilbelm und Georg Ernst am 1. Januar 1553 !) und einer in diese Zeit anzusetzenden Zusammenkunft Georg Ernsts mit Melanchthon?), über die nichts Näheres überliefert ist, sind fast ein Jahr lang Beziehungen zu dem Reformator nicht nachzuweisen. Nachdem Wusthofen die Superintendentur abgelehnt hatte, wie wir annehmen müssen, versuchte Georg Ernst den Antonius Corvinus, den treuen Berater seiner Schwiegermutter Elisabeth von Braunschweig und Schwieger- vater seines Leibarztes Burkhard Mithobius, für dieses Amt zu gewinnen?) Bereits im Mai und Juni 1552, als Corvinus noch gefangen auf dem Kalenberg saß, hatte die Herzogin Elisa- beth ihre hennebergisehen Verwandten veranlaßt, für den armen Gefangenen ein Wort einzulegen*). Am 21. Oktober erschien Herzog Erich im Gefängnis und schenkte Corvinus und seinem Leidensgefährten Mag. Walther Höcker die Frei- heit. Der Tod des in dreijähriger Haft gebrochenen Refor- mators vereitelte Georg Ernsts Pläne, den erprobten Organi- sator für sein Land zu gewinnen. Im Oktober 1553 wandte sich daher der Graf aufs neue an Melanchthon, um sich nach dem damaligen Pfarrer von Pegau in Sachsen Lie. Konrad Muselius (richtiger Musculus-Mäusel) zu erkundigen. In der gleichen Angelegenheit bat er Melanchthons Freund, den Leipziger Theologieprofessor Dr. Erasmus Sarcerius?)
1) Corpus reformatorum 8, 1ff.
2) S. Beilage 5, unten S. 33 zu Anfang des Briefs.
3) Briefe des Grafen an Melanchthon und Erasmus Sarcerius; ab- gedruckt als Beilagen 6 und 7. Die Briefe Melanchthons sind im Archiv nicht mehr aufzufinden und offenbar einem Handschriftenlieb- haber zum Opfer gefallen, der sich auch nicht gescheut hat, Brief- stellen, in denen von Luther die Rede war, mit der Schere auszu- schneiden und wohl zu veräußern, z. B. I N 102.
4 Meiningen, G. H. A. I N 134, 152 (Briefwechsel Boppos und Elisabeths mit den Grafen Wilhelm und Georg Ernst 1549—1552; Aufschriften von der Hand Aquilas beweisen, daß diesem die Akten vorgelegen haben).
. 5) Corpus reformatorum 7, Nr. 4580 (Melanchthon befürwortete 1549 den Druck seiner Predigten). - 1501 in Annaberg geboren, Refor-
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(Schürer), den Lehrer des Konrad Musculus, um dessen Rat. Sarcerius selbst hatte abgelehnt, einem Ruf in die Herr- schaft Henneberg zu folgen, und war als Superintendent nach Eisleben gegangen. Die Antworten der beiden Gelehrten sind leider nicht mehr bei den Akten. Wir erfahren nichts von Mäusels Ablehnung).
Das folgende Jahr verging, ohne daß Georg Ernst einen Superintendenten gewinnen konnte. Auch zur Berufung eines Konsistoriums konnte er sich noch nicht entschließen, obwohl dieses Melanchthons stete Sorge war. So riet dieser im No- vember 1554?) dem Rat der Stadt Regensburg zum Kon- sistorium und berief sich dabei auf denselben dem Grafen von Henneberg vor 3 Jahren erteilten Ratschlag. Im Kon- sistorium, wo offenkundige Vergehen, aber auch Wucher- angelegenheiten ihre Sühne finden sollten, erblickte er das wirksamste Mittel, um den aus den privaten Bannverhän- gungen eines jeden Pfarrers entstehenden Unstimmigkeiten
erfolgreich und gerecht begegnen zu können. Das idıoßovlsveıv
bezeichnete er in einem Brief an Christoph Fischer geradezu als gefährlich ë). Aufs Neue drängte er dahin, daß die Henne- berger das Konsistorium ins Leben riefen und wünschte zu diesem Zweck sich mit Fischer mündlich zu besprechen‘). Aus der Adresse dieses Briefes geht hervor, daß Melanch- thon in Fischer tatsächlich schon damals den Superinten- denten der Grafschaft erblickte (gubernanti ecclesiam Dei in ditione . . .).
Drei Jahre waren inzwischen vergangen, seitdem Fischers Wahl zum Superintendenten wegen seiner Jugend Bedenken
mator in Nassau, 1549 an S. Thomas in Leipzig, 1553—1559 Super- intendent der Grafschaft Mansfeld in Eisleben, starb 1559 in Magde- burg. Vgl. Max Kónnecke, Die evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts in der Grafschaft Mansfeld II: Mansfelder Blätter 12 (Eisleben 1898), 5iff. R E? 17, 483f. W. Diehl, Reformationsbuch der ev. Pfarreien des Großherzogtums Hessen (Friedberg 1917), 295. G. Wolf, Quellenkunde der deutschen Reformationsgesch. IE 2 (Gotha 1999), 166ff.
. 1) Musculus war seit Januar 1553 Pastor und dann erster Super- intendent in Pegau, wo er 1565 starb. K. G. Dietmann, Die ge- samte der ungeänderten Augsp. Confeßion zugethane Priesterschaft in dem Churfürstenthum Sachsen I3 (Dresden und Leipzig 1754), 457.
2) Corpus reformatorum 8, 3691f, Nr. 5683.
3) Ebenda 8, Nr. 5767 (1555 April 12); vgl. auch den Brief vom 9. Januar 1556, ebenda 8, 5912,
4) K. Müller, Die Anfänge der Konsistorialverfassung im luthe- rischen Deutschland: Historische Zeitschrift 102 (1909), 19.
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erregt hatte. Verhandlungen mit anderen hatten zu keinem Abschluß geführt. Fischer hat gewiß in diesen Jahren die Erwartungen, welche man auf ihn setzte, nicht betrogen, so daß nichts näher lag, als nunmehr dem Jugendlichen, weil er eben tüchtig war, das verantwortungsvolle Amt des Super- intendenten zu übertragen. Die eigentliche Bestallung als Dechant des Stifts in Schmalkalden und Superintendent der ganzen Herrschaft erfolgte durch Urkunde vom 27. Juni 1555). - Die Ernennung hat manchen verstimmt. Mancher verließ seine Pfarrei, wie der Herrenbreitunger Pfarrer Valentin Herz, der aus seiner neuen Stellung in Pforzheim später (1557) bei dem hennebergischen Sekretär Johann Heinkel bittere Klagen führte über Fischers Schärfe und rücksichtsloses Auftreten gegenüber vielen, die mehr Lebenserfahrung gehabt hätten als er?)
Das große Werk der Kirchenvisitation, das er im Herbst des Jahres 1555 unternahm, sichert ihm dauernd neben Johann Forster die erste Stelle unter den Reformatoren Hennebergs. Forster mußte 1546 (1547) gehen, weil er einen offenkundigen Mörder aus der Gemeinschaft der Kirche entfernt und Georg Ernst darin einen Übergriff auf das Gebiet seiner landes- herrlichen Macht erblickt hatte®). Auch Forsters Nachfolger Wolfhart machte durch unerbittliche Strenge viele sich zu Feinden, behauptete aber doch in dem Streit mit Aquila das Feld, bis er 1555 nach Hannover ging. Sowohl Forster als auch Wolfhart und Fischer mußten notwendigerweise mit ihrem Landesherrn in Gegensatz kommen, denn dieser war aufs peinlichste bedacht, seine landesherrliche Stellung zu wahren, erblickte er doch in einem Konsistorium mit weit- gehender Zuständigkeit eine Beeinträchtigung seiner welt- lichen Obrigkeit, obwohl er persönlich nicht einmal Be-
denken trug, sich als Christ seinem Kirchenrat unter-
1) Meiningen, G.H. A. IV C3, 12. In den Ehegerichtsproto- kollen erscheint seine Hand erstmalig am 20. Juni 1555, ebenda IVC 1,2, Bl. 621.
2) Ebenda IV B2, 14b. Ein Brief von ihm an den hennebergischen Kanzler Sebastian Glaser (1549 Mai 13) über Melanchthon und das Leipziger Interim abgedruckt von W. Dersch im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte u. Altertumskunde 39, 151f,
3) Germann, Johann Forster 455. Mitbestimmend für Forsters Weggang wurde vor allem der Fortfall seiner Besoldung (200 fl), welche ihm nicht mehr gewährt werden konnte infolge der traurigen Finanzlage der Henneberger. E. Ausfeld, Hof und Haushaltung der letzten Grafen von Henneberg (Neujahrsblätter der Historischen Kom- mission der Provinz Sachsen 23, Halle 1901), 29ff.
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zuordnen!) Kaspar Aquilas Aufenthalt in der Umgebung des Grafen ist für dessen Anschauungen zweifellos mitbe- stiimmend gewesen, sowohl hinsichtlich des Kirchenzucht- begriffs als auch in Bezug auf die Vorbereitung und Ein- richtung des Konsistoriums. Wer einmal die Geschichte der Kirchenvisitationen und des Konsistoriums in Henneberg za schreiben unternimmt, wird daher zu achten haben auf die Zeit von 1548—1552, in denen Kaspar Aquila seinem verständnisvollen Fürsten fruchtbringende Gedanken über die künftige Gestaltung der Landeskirche einzugeben ver- standen hat, |
1. [Kaspar Aquila] an die Grafen Wilhelm und Georg Ernst von Henneberg. [1551 Mai.]
Gottes gnade und friede in Christo Jesu amen. Hoch- geborne fursten, e. f. g. seint mein unterthenige willige dienst und embsigs gebeth gegen Got zuvor. Gnedige herrn, e. f. g. kan ich unterthenigliehen mit betrubtem gemuet unangezeigt nieht lassen, das umb den tage Philippi und Jacobi [Mai 1] ungeverlieh die durchleuchtige hochgeborne furstin und frau, frau Elisabeth, geborne marggrevin zu Brandenburgk, grevin und frau zu Hennenbergk, mein gnedige furstin, irer f. g. diener magister Christoffel Mengersehhausen bei mir zu Schmalkalden gehabt, welcher mir ein eredenz von irer f. g. wegen uberanthwortet und angezeigt.
Erstlich es weher hochgedachter seiner gnedigen furstin glaublich angezeigt worden, ich habe uff der eanzeln offent- lich gepredigt, mann solte nymant uff der canzeln schelten und mit nahmen nennen, er sey dann zuvor ermahnet.
Zum andern, wohe sichs dermassen erhielt, wehre daraus abzunehmen, das ich nur ein evangelions- und kein gesetz- prediger sein muste und wurde mit der weyse ervolgen, das man auch die papisten nicht angreifen odder ir verdamblich leben straffen dorft. Damit ich aber bekennen und fur billich und notwendig achten muste, das man offentliche laster, sonderlich das bapstumb, billich straffte, liessen mir ire f. g. ein buchlein, dasselbig zu verlesen, durch i. f. g. gesandten zustellen, welchs ich mit ganzem fleys durchsehen und iren
1) Sehling, Kirchenverfassung 20, 24. Vgl. die Stellung Land- graf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Kirchenbann bei Fr. Küch in der Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 38 (Kassel 1904), 247 ff. -
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f. g. mein gutbedunken darneben, und was die rechte meinunge desselben seye, untertheniglichen zugeschrieben, der unge- zweifelten hoffnung, ire f. g. werden mir gnediglichen beifall geben. Ich solte auch nach beschehener werbunge uff der eanzel den nechsten sontage mich erkleren, wie ichs mit deme gemeint, da ich gesagt, man solte unermant nymant offentlich bald sehelten, damit es nicht von etlichen dahin gedeutet werden mocht, als soltt man die papisten nicht schelten. Darauf ich auch antwort geben, es sey solcher erklerunge nicht von noeten, dann je kunth und wissentlich ist, welehermassen ich, wenn es die gelegenheit und der text gibt, die papisten uff das allerheftigst anzugreifen und zu schelten pflege. | Zum dritten liessen mir ire f. g. anzeigen: Nachdeme ire f. g. je nieht gern wolten, das sieh zwispalt der lehre und hader odder zangk unter den predigern ihn der loblichen herschaft Hennenbergk erregen soltt, wehre ihren f. g. gnedigs begeren, ich solte zu keinem zwispalt, hader odder zanck ursaeh geben, sondern vielmehr darfur seyn und solche mit fleys verhuten helfen. Wiewol ich mich nuhn gnediger fursten und herrn die zeit meins lebens friedens und eynig- keit hochstes vermogens befliessen und mich dessen noch zu befleyssigen gedenk, weil mir Got das leben fristet, so bekhummert mich doch seer hoch, das ich ihn meinem alter allererst ihn verdaeht khommen soll, dessen ich mein leben lang uberig und demselben allwege zuwidder gewesen. Zum vierdten zeigt mir gemelter Mengerschhausen aus- truchlich an, ich soltt mir ja sonderlich den superintendenten bevohlen sein lassen, magistro Bartholmeo Wolffarten, mich freuntlich gegen demselben erzeigen und ja keinen unwillen zwuschen uns beiden einwurzeln und aufwachsen lassen, son- dern solten einig und gute freunde sein. Darauf hab ich i. f. g. angezeigt, das ich ir nicht lust zu unwillen, hadder und zangk trage, sondern allwege dieselbige vermeyden und einigkeit gern erhalten helfe. Und wiewol ich der unter- thenigen zuversicht zu gedachter meiner gnedigen furstin bin, ire f. g. werden aus meiner gethanen veranthwortung soviel verstanden haben, das ir f. g. der boesen leut antragen verner nicht stadt und glauben geben werden, sondern vielmehr mich aus dem verdacht, als soltt ich zwispalt ihn der lehre ete. anrichten, gnediglichen khommen lassen, so habe ich uff die schwere, ungegrundte und verdrießliche anzeige, die zuforderst Gottes eher und demnach mein ambt ruhren, nicht unter- lassen konnen, soleh mein grof bekhommernus e. f. g. unter- theniglichen wissen zu lassen. Und bitt derhalben unter- theniglichen e. f. g. wollen mich gegen hochgenanter m. g. f.
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deßhalben fleissig entschuldigen, dann mir je, wie gemeltt, solchs unversehuldter ding und ganz felschlich zugemessen wirdet. Das werden mir gewißlich meine offentliche im truck ausgegangene schriften, desgleichen alle fromme, un- parteysche leut, die mein predig teglich gehort, vor dem richterstuel Jesu Christi ahm jungsten tage zeugnus geben. Dann was ich geschrieben, gelert und gepredigt, das habe ich nie scheu getragen, sondern kan und wil es mit Gottes hulfe aus dem waren Gottes wort veranthworten vor Gott, allen unparteyschen, verstendigen und guten ehristenmenschen. Nochmals untertheniglieh bittende e. f. g. wollen darob, das ich e. f. g. hiemit bemuhe, kein ungefallen haben, sondern ihn erwegung, das es.nieht ein gerings anlangt, sich hierinne gnediglieh und gutwillig erzeigen, weyl ieh soleh mein an- ligen anderst nymant, dann allein e. f. g. als meiner ordent- lichen obrigkeit anzuzeigen gewust. Das wird der allmech- tige Gott, dem aller herzen heimligkeit offenbar, e. f. g. hie auf diesem jammerthal mit zeitlicher wolfart und dort her- naeh mit dem ewigen leben belohnen. Das wolt ieh e. f. g. aus hoher notwendigkeit unangezeigt nicht lassen, unterthenig bittende, e. f. g. wollen mich ob oftgedachte m. g. furstin ihn deme mich entschuldigt halten, widderumb gnediglichen verstendigen. Das bin ieh umb e. f. g. untertheniglichen zu verdienen schuldig und willig. Datum ...
Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A 2, 27b (Abschrift).
2. Kaspar Aquila an Graf Georg Ernst von Henneberg. 1551 Juni 26.
Gottes gnad und fried in Christo Jhesu amen. Hoch- geborner fürst, gnediger herr, mein ganz willigen dinst und seer herzlich gebett zuvor an. E. F. G. laß ich in aller underthenigkeit zu wissen, das ich khein copey hab behalten des briefs, den ich der hochgeborne furstin frau Elisabeth, geborne marggrevin zu Brandenburgk ete., zugeschickt hab. Aber der anklag, die ihr furstliche gnad hat an mieh ge- langen lassen dureh Magister Mengerhausen!) mit mundt- lichem bericht, ist ongeverlich also gelaufen, das ich felsch- lich bin verklagt an Ihr F. G., als solt ich offendtlich pre- digen: Man sol niemant auf der eanzel schelten, man hab in den zuvor ermanet, daraus Ihr F. G. schleust, als soll man
die verstockte blinde papisten und ketzer auch nit straffen.
1) Amtmann und Rat, vorher Sekretär (1548) der Herz. Elisabeth; s. oben S, 13 u, 25. |
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Das und andere anklag habe ich mich redlieh verantwürt und ist mein demutig bitt, E. F. G. welle mich des gegen Ihr F. G. gnediglich entschuldigen und das biechlin'), des ich E. F. G. habe zugesehriben, wie die pfarher nit bald mit namen aus ungegründtem anhören die leut ihr pfarh zugehorig (da meine ich ja nit die verdampte halsstarrig papisten ete., die straff ich selbs mit grossem ernst und eiver) schelten und bannen, sie habend sie den gleich wol erkhundet, ob in ja also sei, wie man von inen redt. Binn gutter hoffnung, so Ihr F. G. dasselbig mein buchle lesen wurde, sie wurde dem unutze waschmaul von Sch.?) (E. F. Gn. weiß wol, wen ich meine) ein gutten belz waschen und in ja straffen, das er hinfurt Ihr F. G. die rechte warheit an- saget, dan M. Mengerhausen redt mich ja ganz ernstlich an, ich solt mit M. Barthol.?), superintendenten zu Sehleysingen, ja eins sein, gab ich die antwurt: Wen er mit mir eins wer, ich erzeige im alle freundschaft, wie er aber gegen mir stett, mich veracht, vexiert, gunnet mir nicht, das man mich superintendent heist zu Schmalkalden. Er wils alles zu thun haben und machet also, das noch sehulmeister noch pfarrher etwas auf mich geben, wie den der schulmeister in der pfarhe zu Schmalkalden mir gar keinen bericht hat itz geben wellen, was er lerne in der schul, wie hie seine geselle halten, hat mich veracht. Das befilhe ich Gott, und E. F. G. wirt solliches wol wissen zu enderen. Ich wil mit Gottes gnaden das buchlin, des ich E. F. G. hab zuge- schriben, wol stark gnug verantwurten, das es die lauter warheit ist, und zurne der oberist superintendens daruber, wie er well, so sage ich noch einmal: das unrecht ist, wen ein pfarher offentlich eins seiner scheffle auf der canzel strafft, schmehet, bannet und hatts noch nit gründtlich er- faren. So wil er sollichen seinen schefflen nit nachgehn, sie zur busen und besserung zu ermanen, sonder stracks unermanet auf der canzel schelten, das ist wider Gottes wort, den Gott Sodoma nit wolt straffen, er were den zuvor selbs herab gestigen und solliehe grausame lasten grundtlieh erfaren, welliehes uns zum exempel ist geschriben*). Ver- hoff E. F. G. werde mich in allen gnaden wól bedenken und enschuldigen zu wissen, der ewig Gott behut E, F. G. mit ganzem geschlecht und herschaft in ewigem fried, amen. Ich bitt auch teglich, so es Gott wolgefellig ist, der lieb
— —
1) „Getreue Unterweisung“ . . ., s. oben S. 10. 2) Schleusingen ?
*) Wolfhart, s. oben S. 6.
*) Matth. 10,15. 11, 23. Luc. 10, 12.
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himlisch vater wolle E. F. G. ein frommen, lieben, furstlichen erben gnediglich bescheren!), amen, amen, amen. Dan ich hoffe, das gesundt, gut bad?) wer meiner hochgeborne furstin frau Elisabeth, E. F. G. geliebsten ehegemahel, ein frelichen Joannem bescheren, wie der heiligen Elizabeth Zacharias eheweib, davon Lucas®) am ersten. Auch bitt ich der andere frau Elisabeth, geborne margreffin zu Brandenburg, furstin und greffin von Henneberg zu Münda, das ihr der lieb Gott auch ein frommen, furstliehen erben wolte gnediglich be- scheren, das ja der christlich heilig, ganz gnedig hoch- geborne geschlecht und stam der edlen frommen fursten von Henneberg nit abgehn möchte, dan die letste die besten. Ihr lieben hochgeborne fursten von Henneberg habt ein groß, unseglich gottlich werk ausgericht, das E. F. G. uns arme veriagte ellende pfarheren so wundergnediglich habt erneret, versorget und mit höchsten gnaden wol bedacht. Sollich gottlich, hochloblich werk wirt Christus zeitlich, geistlich und ewig ganz reichlich wol und mit frelichen gewissen bezalen. Furnemlich, das E. F. G. die arme Schmalkalder wol mit Gottes wort habt bedacht und mir auch gutte gesunde starke rethe furstlichen edle wein hat geschenkt, darbei ich hab dester frelicher mein ampt hab konne ausrichten, vor viel krankheit behutt, die ich sunst het gehabt, grimmen und fieber, so ich den geschmierten, ungesunden wein het ge- trunken, den sie zu Schmalkalden haben. O ewiger Gott, sei dir lob und dank gesagt fur solliche wolthat. Desgleichen sag ich on unterlaß E. F. G. allen gros lob und dank und wil nit aufhoren zu bitten fur E. F. G., dieweil ich lebe hie auf erden; das thund auch meine liebe 4 sone und hausfrau. Der lieb Jhesus welle E. F. G. alzeit in gnedigen schutz vor allem leid behutten, auch gut gluckselige friedsame regiment
.3) Am 2. Mai 1552 wurde dem Grafen ein Söhnchen geboren, das Wilhelm genannt wurde, aber bald nach der Geburt starb. Schultes (Diplomatische Geschichte des Gräflichen Hauses Henneberg 2, Hild- burghausen 1791, S. 209) und die Neueren kennen diesen Nachkommen nicht. Meiningen, G. H. A. I B4. Über einen zweiten Sohn s. unten S. 38.
2) Georg Ernst hat seit den fünfziger Jahren oft Ems und andere Büder besucht; vgl. Ernst Koch, Die Badereisen des Grafen Georg Ernst zu Henneberg: Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Ge- schichte und Landeskunde in Schmalkalden 15 [1905], 1ff. In Ems war die „Bubenquelle* von kinderlosen Frauen begehrt; Adolf Bach, Die Bubenquelle in Ems: Hessische Blätter für Volkskunde 15 (1916), 140 ff.
3) Lucas 1,5.
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- verleihen mit bestendigkeit des glaubens und hernach die ewige freud, amen. Datum eilendt freitag frues tag nach Johannis des teuffers tag im 1551.
ganz undertheniger, williger und recht gehorsamer diener M. Gaspar Aquila, in E. F. G. stift pfarherr und capellan. Nachschrift:
Disen brief der hochgeborne furstin und marggrevin frau Elisabeth zu Munda mag E. F. G. lesen und bitt den mir widerumb zu senden, auch in geheimniß sollichs haelten, was ich da schreib in diesem brief, das mein widersecher nit mher erbittert werde auf mich, doch scheue ich die war- heit nit zu sagen. Ob er schon meinem freundlichen buch- lin E. F. G. (wo er das bekommen hat, weiß ich nit) zu- geschriben spinnfeind ist und als fur unrecht taddlet, so wil ich des zu verantwurten wol wissen aus gottlicher schrift, amen.
Anschrift:
Dem durchleuchtigen hochgebornen fursten und herren, herren Georg Ernst, graven und herren zu Hennebergk etc., meinem ganz gnedigen lieben fursten und recht christlichen patron.
Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A2, 27b. Ausfertigung mit Verschlußsiegel.
3a. Justus Jonas an Graf Georg Ernst von Henneberg. [1551.]
Es sind in dem buch freilich viel christlicher punct be- grieffen, aber mein rath ist nicht, daß mans unter dem namen der oberkeit im druck ausgehen lasse und den predigern in der herrschaft sich in straffe der ubertretter darnach zu rich- ten furleige und babe solehs meins bedenkens zwo ursachen.
Die erste ursaeh ist, daß ich mich befurchte, die ober- keit möchte dadurch in verdaeht komen und von bösen un- rugigen leuten (der zu itziger zeit allenthalben uberflussige gefunden werden) ausgeschrien werden, als wölt sie dem heiligen geist in sein ampt greifen und die sunde durch des predigers mund zu straffen nicht gestatten, obwol solehs mit dem buch niemals bedacht noch furgenohmen ist.
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Die ander ursaeh ist, daß das buch nicht mehr den auf ein staek gehet, nemlich, wie sich die prediger mit dem ban und andern straffen zu halten haben, so doch zu diesem handel viel mehr stuck nótig sind. Derwegen kan man diese stuck alle bequemlich der gemeinen visitation (dero die kirehen on das nicht enperen konnen) furbehalten.
Und im fall da sich beide pfarrer und das eingepfarrete volk durch die herren visitatores nicht weisen lassen wölten, kan man die sachen ans consistorium gelangen lassen, wie sich den unsere G. f. und h. ete. eins in kurz aufzurichten gnedig vernehmen lassen.
So ist sich auch in keinem wege zu beforchten, daß man mit dem consistorio ein neu papisterey anrichten und der oberkeit ihren arm verkurzen möchte, weil die hohe oberkeit das consistorium zu bestetigen ihrselbsten furbehalten wird ete.
Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IVA2,27b. Ausfertigung mit Verschlußsiegel des Schreibers, darstellend Jonas, der von einem Walfisch verschluckt wird; vgl. Chr. Schlegel, Historia vitae Georgii Spalatini (Jenae 1693), 179.
3b. Dr. Justus Jonas bescheinigt dem Rat der Stadt
Erfurt den Empfang von 20 Gulden Jahrzins. 1549 Februar 5.
Ich Justus Jonas doctor etc. bekenne vor mich, mein erben und erbnehmen, das mir dy erbarn, aehtbarn und weisen, der rath zu Erffordt, zewentzig gulden jerlicher zeinse, wilehe mir nehst Johannis künftig in Weinachten bey inen betagen werden, uf mein bitt zeuvor erauD, itzo vor der tagzceit gutleh und wol zeudaneke beezalt haben, sage gemelten erbarn rath gedachter zewenizig flor. quvitt, ledg und lof. Des zeu urkunde hab ich disse quwtantz mein eigen hand, mit meinen gewonlehen pitzschaft besigelt. Datum 5. Februarii tausent funf hündert neun und viertzigk.
Eigenhändige Ausfertigung auf Schloß Landsberg bei
Meiningen, mit dem Siegel des Ausstellers (1917).
4. Die Grafen Wilhelm und Georg Ernst von Henneberg an Philipp Melanchthon. [1551 vor September 8.]
Von Gottes gnaden Wilhelm und Georg Ernst, vatter und sohn, graven und herrn zu Hennenbergk.
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Unsern grus zuvor. Erwirdiger und hochgelarter lieber besonder. Nachdeme wir durch hulf und gnade des all- mechtigen Gottes die rechte, wahre christliche relligion der Augspurgischen confession noch angenommen, dieselbige auch reyn ohne falschen zusatz zur besserung und nicht zu erger- nuß nicht mit geringerm fleys durch gotliche hulfe gern er- halten sehen und wir dann vermerken, das etliche prediger hin und widder an viel orten sich eines ergerlichen wesens auf den canzeln nicht mit geburlicher straffe der laster (welehs die hohe notturft in alle wege erfordert), sondern mit schmehunge und uff bloß ungegrundt hoerensagen nam- haftiger aufruffung vieler leuth anmassen wollen, zudem auch leichtfertig mit dem bann umbgegangen, also wenn vor mittage jemand uff ungegründten empfangne bericht ihn bann offentlich verkundigt, nach mittage wird bald uf grund- liche befindung des handels der beschuldigt des bannes ent- haben und denselben widderruffen, dardurch, wohe solchem nicht zeitlich vorgesetzt, manich gutherzig mensch geergert von dieser lahr abgehalten, deren feindt wirdt und die ge- danken fasset, das der heilige geist, der eyn geist ist der lindigkeit, gedult und sanftmut, solch gar heftig wesen der prediger nicht wirke und also die lehre dardurch verdechtig halten. Als haben wir durch etliche der unsern ein unter- weisunge vor unsere pfarrherrn und prediger zum einfeltig- sten stellen lassen, welche wir aber gern mit eurm rath, bedenken und verbesserung wolten lassen ausgehen. Und gesinnen demnach gnediglich, Ihr wollet Got dem allmech- tigen zu lobe zu förderung seines heilwertigen und allein seligmachenden worts und dann ergernussen und unrichtig- keiten in unsern kirchen, soviel mit götlicher hulfe muglich,
zu verhueten auch uns zu sonderm gefallen unbeschwert
sein sampt etzlichen andern der heiligen schrieft gotfurch- tigen und frommen lehren bei euch beiligend büchlein zu lesen, zu erwegen und zu bessern, zu mehren und zu min- dern, darmit dasselbige der schrieft gemeß und obberurte unrichtigkeiten zu verhuten ahm dienstlichsten sein moge
und dann sampt den andern herrn solch büchlein unter-
schreiben und uns bei diesem unserm botten forderlichen widerumb zuschicken. Nachmals solchs in guter geheim und unvermerkt unser bei euch bleiben lassen, bissolange solche büchlin allenthalben beschlossen und auch aufgericht werden. Das wollen wir mit gnaden und allem gutem, dar- mit wir euch sonderlichen gewogen, umb euch zu beschulden
unvergessen sein. Datum ihn der Zilpach abm . . .!)
1) Nicht ausgefüllt.
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Anschrift:
Dem erwirdigen und hochgelarten herrn D. Philippo Melanchthoni ete. zu Wyttenberg, unserm lieben besondern.
Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV B 2, 1. Konzept. Vgl. Sehling, Kirehenordnungen I 2, 272 und oben S. 15. |
5. Kaspar Aquila an die Herzogin Elisabeth von Rochlitz, 1552 März 12.
Gnade, barmhertigkeit, fride von Got unserem lieben Vater und Christo Jhesu, unserem herren heyland und erleser.
Gelobet sey Gott und der vater unsers herren Jhesu Christi, der vater der barmherzigkeit und Gott alles trostes, der uns trostet in alle unserm trübsal. Hochgeborne furstin, wie wunderberlich bin ich erfreuet, das dise veterliche Gottes zuchtigung an E. F. G. so vil (als ein himlische purgation) gewirkt hat, das sich E. F. g. dem lieben Gott genzlich hat übergeben, in rechter buß, reu und leid uber alle sünde, vergebung der sünden empfangen. Darauf zu bestetigung des glaubens an Christum (der uns allein durch sein heilig blut und bitteren tod erloset und gerecht ewig selig gemacht hat) [am Rande: Math. 26] sein hochwirdig nachtmal nit ver- achtet, sonder herzlich sein waren leib und blut empfangen, das Jhesus Christus warhaftig auch fur E. F. G. ist gestorben zu austilgung aller sund und auferstanden E. F. G. zur ewigen gerechtigkeit, amen. [Am Rande: Rom, 4]. Für sollichen reichen segen und himlische gütter habe ich Got schier 3 jar ge- betten, das E. F. G. möchte reichlich erlangen. Darumb danke ich meinem frommen lieben Gott, das der lieb Jhesus Christus hat mein gebett gnediglich erhórt und E. F. G. so gnediglich mit seinem sacrament und seligmachenden lebedigen wort Gottes hat hoch getrost und erfreuet zur besserung an leib und seel, amen. Allein bitte und ermane E. FE. G. ich ganz fleissig-bestendig bey Gottes wort fest zu bleiben, das selig sacrament des nachtmal Christi lieb, treuer, hóhr und werd halten mit besserem heiligem leben, Gott stets umb starken glauben kraft und gedult bitten, dan Paulus sagt [am Rande: 2. Timoth. 3]: Alle die da gottselig wellen in Christo leben, mussen verfolgung leiden, aber [am Rande: 2. Timoth. 2] das ist gewißlich war: Sterben wir mit Christo, so werden wir mit im leben; dulden wir, so werden wir mit im her- schen ewigk. Derhalben sol sich E. F. G. trosten mit Gottes wort, so wirtleib und seel erfreuet, wie David im 119. psal. gar reichlich trostet. Den solt ihr lesen, beten, betrachten
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 3
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und gleuben, wie den S. P. zu den Hebreeren sagt am 12. cap.: Mein son und tochter, achte nit geringe die zuchtigung des herren und verzage nicht [am Rande: No. Proverbior. 3. Apo- ealip. 3], wen du von Got gestrafft wirst, dan welchen der Herr lieb hat, den zuchfiget er, das er [am Rande: 1. Corinth. 2] nit mit der arge welt gestrafft und verdampt werde. Darumb sagt der fromm bußfertige konig David [am Rande: Psal. 119]: O Herr es ist mir lieb, das du mich gedemutiget hast, das ich aus disem ereuze deine rechte lerne und dein wort, des allein mich trostet und erfreuet, ist mir lieber den alles edlest gold und silber. O herr Gott nim dein wort nit von meinem herzen und münd, das ich des frelich konne freidig bekennen, dieh allein in deinem ewigen wort loben, preissen und danken, dir mein geist seliglich in dein gottliche hende befelhe. Das hilf mit du guttiger herr Jhesu Christe, du heilig lamb Gottes, des meine und aller welt sund getragen hat und bezalt gnug darfür gethun allen zur ewige seligkeit, die es im festen glauben annemen. Der lieb herr Jhesus Christus (der alle die beladen seind, wil erquicken, so sie zu im kommen) welle E. F. G. mit reichem Gottes segen begnaden hie und dort ewig, amen. E. F. G. alzeit mein ganz willigen dinst herzlich zuvor bereit mit allen freuden, amen. Datum am tage Gregorii den 12. marcii 1552.
E. F. gnaden | alzeit ganz williger diener M. Gaspar Aquila im furstlichen stift zu Schmalkalden pfarrher und super-
Anschrift: intendens,
Der durchleuchtigen hochgeborne furstin und frau frau Elisabeth (das ist teudsch: Gottes ru und wonung), geborne landgrevin, herzogin von Saxen, landgrevin in Duringen, marggraffen in Meissen, wittbe, meiner gnedigen fursten ete.
Staatsarchiv Marburg, Politisches Archiv Landgraf Philipps des Großmütigen, Nr. 77. Ausfertigung mit Ver- schludsiegel Aquilas.
6. Graf Georg Ernst an Philipp Melanchthon. 1553 Oktober 12.
Unsern grues zuvor. Erwirdiger und hochgelarter lieber besonder. Ir wisset euch zu erinnern, was wir hiebevor mit euch eines superintendenten halben unterredt, nemblich das wir eins gelarten fromen mans sehr notturftig. Nhun haben
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wir gleichwol auf diesen heutigen tag noch keinen in unsere herschaft pringen mugen, den ob wir wol mit M. Anthonio Corvino seligern so viel gehandelt, auch entlich mit ihme übereinkomen, das er sich dorzu wolte gebrauchen lassen, so hat ihnen doch der almechtig Gott vor dem anzueg von diesem jamertalh zu sich gefordert. Derhalben wir gleich- wol allerlei nachfragens nach andern gehapt, und wierdt uns einer mit namen Licentiat Conradus Muselius, itziger zeit pfarher zu Pegau, von etlichen vorgeschlagen. Weil wir ihnen nhun nicht kennen und keinen zweifelh tragen, er werde euch bekant sein, so begeren wir an euch gnedig- lichen, ir wollet uns seine gelegenheit, so viel euch bewust, hiermit diesem potten verstendigen, auch euren rat mittailen, so wollen wir verner darauf handeln. Hierin wollet euch, wie wir ohne der den vertrauen zu euch tragen, weil es die ehre Gottes anlangt, guetwillig erzaigen. Das seint wir umb euch hinwidder in gnaden zu beschulden genaigt. Datum Schleusingen den 12. octobris anno ete. 53.
Anschr ift:
Dem erwirdigen und hochgelarten unserm lieben be- sondern herrn Philippo Melanthoni, der heiligen schrieft doetori und professoren zu Wittenbergk.
Rückschrift: „Ist des herrn Philippi anthwort dorbey.“
Meiningen, Gemeinsehaftliches Hennebergisehes Archiv IV B2, 1. Konzept. Vgl. oben S. 22.
7. Graf Georg Ernst an Dr. Erasmus Sareerius. [1553 Oktober ?]
Georg Ernst ete.
Unsern grues zuvor. Erwirdiger und hochgelarter, lieber besonder. Wir wollen euch gnediger maynung nicht pergen, das wir gerne einen gottfurchtigen, gelarten, fromen man, "wileher der lehr des gotlichen worts der Augspurgischen confession gemeß rein, in unsere herschaft zu einem super- intendenten vermogen, wolten dan, weil wir mit dem gotlosen haufen den bischoffen dieser lantart, die auch die geistlichen jurisdietion in unserer herschaft vermainen zu haben, greinzen, seint wir eines solchen mans zum hochsten bedurftig. Nhun haben wir gleichwol nicht unterlassen, ein vhleissiges nach- ragens umb und nach euch gehapt und so viel erfaren, das es eur gelegenhait nicht sein wil euch in unser herschaft zu
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begeben, den es sollen euch andere und pessere beruff den hie vorstehen. Derwegen wir uns sonsten umbfragen und nach andern trachten muessen. Also ist uns einer mit namen Conradus Muselius, licentiat, itziger zeit zu Pegau ein pfar- her, vorgeschlagen und darneben vermeldt wurden, das der- selbig eur discipulus und eueh durchaus von lar und leben bekant und erkant sei. Weil wir ihnen dan für unser person nicht kennen und unsers tragenden ampts halben gleichwol in allewege gebueren wil, in deme getreuliehs und vhleissigs nachforschen zuhaben, so begeren wir ahn euch gnediglich, ir wollet uns bei diesem potten verstendigen, wie es ein
gestalt umb solehen man habe, und ob auch sein gelegen-
heit sei, wan er von uns votiert, das er sich zu uns in unserer herschaft zu einem superintendenten gebrauchen lasse, dan auf die felle wollen wir durch euch weiter mit ihme handeln lassen. Wollet euch hierin, weil es die ehere Gottes antrieft, desto guetwilliger erzeigen, des seint wir umb euch in gnaden und allem gueten zuerkennen genaigt. Datum . . .!)
Anschrift:
Dem erwirdigen und hochgelarten herrn Erasmo Sar- cerio, der heiligen schrieft doctori und professori zu Leipzigk.
Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV B2, 1. Konzept.
8. Kaspar Aquila an Graf Georg Ernst von Henneberg. 1559 Juli 23.
Gottes gnad und fried in Christo Jhesu unserem erleser: mit trost Gottes heiligen geist: seligklichen verharren in Gottes wortt. Amenn.
Hochgeborner furst, gnediger herr und graff. E. F. G. ganz freundliches schreiben hab ich mit hohen freden ge- lesen, furnemlich, das E. F. G. so ganz gnedig mit grossem vleiß gedenekt, das ich E. F. G. getreuer kirchendiener ge- west bin, das sich auch E. F. G. gnad noch das bestes zu mir versthet. Darauf las E. F. G. ganz getrost ich zu wissen fhun, das ich auf erden nit lieber wolt mein predigampt füren, den allein bei E. F. G. herschaft. O mein lieber Gott, hilf mir gnediglich, dan ich kan der löbliche christliche herr- schaft von Hennenberg nimmer in ewig vergessen, sonderlich meiner liebe Schmalkalder, den ich frolich hab mit Gottes
!) Nicht ausgefüllt.
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wort fleissig gedienet. O, so es Gottes will wer, wolt ich noch geren thun; nit allein darumb, das ich allzeit gutte starke freliche lieben wein!) (Gott lob und dank in ewig) hab gehalten, sonder ein fein from völkle, des gehorsamlich ganz willig Gottes wort geren gehört hat. O, o, o wolte Gott, das ich wider solt inen Gottes wort predigen. Wie ich bitt und verhoff, es sol noch mit Gottes hilf geschehen, amen. Dieweil aber E. F. G. begert den wirdigen herren Johannem Reinholt?) diaconum zu Graba zu einem caplan zu Schleusingen beruffen, hab ich E. F. G. zu gefallen sollichs begeren nit wollen abschlagen, sonder ganz willig darzu ge- raten und geholfen, das er E. F. G. kirchediener soll sein, wiewol wir der wenig haben, die so fleissig und treulich des gottliche kirchenampt versehen. Ich darf frei sagen: so E. F. G. mich selbe also berufft, ich wolt ganz willig wie ein schneller adler zu E. F. G. dahin geflogen sein mit hohen freuden. Ist gewiß war, das ich in ewig E. F. G. nit kan noch wil vergessen. Mein liebes Vater unser soll on under- laß E. F. G. im besten alzeit fur Gott gedenken, ja des lieben hochgebornen herren graven Poppo auch, das im Gott ein heiligen seligen fromme freundlichen und geliebsten fruchtbaren gemahel verordnen wolte, das ja der edel hoch- geborne stamme der seligen hennen nit also kleglich unter- gehen. Da behüt uns Gott für. Der Henneberg muß noch viel gelerter prediger auferziehen zu Gottes unsers herren Christi lob, eher und preis. Ich verhoff ganz gewißlich, Ihr beide christliche fromme graven von Hennenberg werd zu- samen setzen, das ich von E. G. mechte erlangen ein eimerlin starken frelichen weins, damit ich in meinem alter micht [!] kondte trösten und erquicken, def da trostliche fur E. F. G. brunstig zu bitten, das der liebe Gott E. F. G. ein seliges froliches ende beschere wolte. Ich bitt auch E. F. G. gne-
1) In einem Brief vom 8, Januar 1551 an Graf Wilhelm spricht er die Hoffnung aus, daß er bei seinem Besuch in Maßfeld und Schleu- singen einen „frelichen lieben“ Wein bekomme, der die „Grimme“ ver- treibe. Meiningen, G. H. A. IV C3,12, .
2) Joh. Gg. Eck, Biographische und litterarische Nachrichten von den Predigern im Kurfürstlich-Sächsischen Antheile der gefürsteten
«Grafschaft Henneberg seit der Reformation (Leipzig 1802), 91f. Cor- pus reformatorum 8, 350, Nr. 5670, Brief Melanchthons an Aquila von 1554 September 29: Est in adolescente natura doctrinae capax et vis ingenii egregia et initia doctrinarum recte didicit, ut ipse iudi- care poteris. Sein Stiefsohn gleichen Namens (Eck a.a. O. 121£.) ist 1990 Taufpate des Dr. Theoderich Lüdecke. Meiningen, G. H. A. IV B 2, 14c.
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diger herr graff Georg Ernst wolte gnedigklich in meinem namen grussen E. F. G. fromme ehegemabel. Gott mach aus ihr F. gnaden ein fruchtbare Sara mit einem lieben son Isaae!), so wellen wir Gott loben, danken und getrost frelich sein. Da sprech der ganz hoff zu Hennenberg Amen, ja, ja fiat, amen, amen. Damit Gott in ewigen schutz und fried gnedig befolhen. Amen. 1559, 23. julii. |
ganz williger diener
M. Caspar Aquila, pfar- ner und superintendens
| Salfeldensis. Anschrift: —
Dem edlen und wolgebornen herren Georg Ernst etc. grafen und herren zu Hennenbergk, ja dem recht eheren- vhesten patrono zu Schmaklalden, Maßfeld und Schleysingen ete.
meinem ganz herzgeliebsten gnedigen herren und furnemesten geireuen prinzen.
Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A 2, 27b. Ausfertigung mit Verschlußsiegel.
1) Nach Schultes a. a. O. 209 (vgl. oben S. 29) und O. Posse, Die Siegel des Adels der Wettiner Lande bis zum Jahre 1500, 3. Band, Dresden 1908, hennebergische Stammtafel, hinter S, 118, wurde am 19. Mai 1562 ein Sohn geboren, der vor der Taufe wieder starb.
Der Bekenninisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeitalter der Reformation. V. |
Von K. Bauer. Die weitere Entwicklung bis zur Konkordienformel.
1. Die Bemühungen Calvins um eine Union in Frankfurt?!)
Angesichts der Schwierigkeiten, welche sich für. die Fremdengemeinden den dogmatischen Forderungen der Prädi- kanten gegenüber ergaben, war es für sie von großer Be- deutung, daß sie nicht isoliert dastanden, sondern sich auf hochangesehene auswärtige Autoritäten berufen konnten. Als „Ihr fürnemster patron“ galt den Prädikanten Johannes Calvin ?).
Calvin war in Frankfurt längst bekannt. Zuerst hatte er die Stadt während seines Straßburger Exils besucht, als 1539 der Fürstentag in ihr versammelt war. Zwei Jahre: später schloß er in Regensburg mit Johann von Glauburg in der Herberge der Straßburger Gesandtschaft innige Freund- schaft, die er vierzehn Jahre später wieder erneuerte. Da- zwischen, hatte ihm der Prozeß Servets Gelegenheit gegeben, mit den Frankfurter Pfarrern Fühlung zu nehmen. Neuer- dings hatte die Entstehung der Fremdengemeinden seine Auf- merksamkeit auf die Stadt gerichtet, die, wie keine zweite, zu jener Zeit als Hauptstadt des Reiches gelten konnte. Ge- lang es ihm, der Ausprägung des Protestantismus, die er ge- schaffen hatte, in ihr zum Siege zu verhelfen, so mußte das für den kirchlichen Charakter Deutschlands die weitgreifend- sten Folgen haben.
Die Aufgabe schien nicht unmöglich, Ein Zeichen der Sympathie und Achtung, mit der man in Frankfurt Calvin gegenüberstand, war es, daß die Ratsbibliothek eine nahezu = vollständige Sammlung der Calvinischen Schriften aufwies?®).
!) Die Belege in meiner Schrift: Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a, M. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte,. 38. Jahrgang. Nr. 133). Leipzig 1920.
2) Act. ref. I, 82.
.®) Brief des Cnipius an Calvin vom 18. September 1559. Calv. Opp. XVII, 612.
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Das Bindeglied zwischen Calvin und Frankfurt bildete die Straßburger Theologie. Der Calvinismus war kein Gegensatz zum Bucerianismus, sondern seine Fortbildung, und es war nicht abzusehen, warum nicht auch in Frankfurt der Buceria- nismus einer solchen Fortbildung fähig sein sollte. Eine Auf- hebung der lutherischen Grundlage, wie sie durch die Witten- berger Konkordie gesichert war, brauchte das nicht zu be- deuten. Auch Calvin hat sich mit Luther verbunden gewußt; an der Realpräsenz Christi im Abendmahl hielt er durchaus fest, nur daß er sie nicht in leiblicher, sondern geistiger. Weise verstand. Dadurch gewann er die Möglichkeit, auch dem symbolischen Verständnis des Sakramentes, an dem die Schweizer so entschieden fest gehalten hatten, volle Gerechtig-
keit widerfahren zu lassen. So vertrat er einen Unions-
protestantismus, wie ihn die Marburger Artikel einst erhofft hatten, oder, wie er selber es genannt hat, einen Synkretis- mus, zu dem er sich durch den Ernst der Lage genötigt fand !). Aber der Universalismus seiner Anschauung war noch um- fassender. Er nahm in den Organismus seines Systems alles auf, was er irgendwie als berechtigte Momente an den ver- schiedenartigsten Ausprägungen des Christentums erkannte. Daß die Kirche einer Verfassung bedürfe, war ihm die Wahr- heit des Katholizismus, nur befreite er diese Wahrheit von dem Irrtum, mit welchem sie hier behaftet war, indem er die Verfassung nicht auf dem Prinzip des Priestertums, son- dern der Gemeinde aufbaute, Selbst dem Täufertum gewann er einen wertvollen Gedanken ab: das Heiligungsstreben und die damit verbundene Kirchenzucht, — damit war den Schwär- mern und Rotten der Wind aus den Segeln genommen. Schon wiederholt hatte er Schritte getan, um diesem Unionsprotestantismus auch außerhalb Genfs Eingang zu ver- schaffen. Das Mittel, dessen er sich dazu mit Vorliebe be- diente, bestand darin, daß er eine exegetische Schrift einer einflußreichen Persönlichkeit des ins Auge gefaßten Landes widmete. So war er bereits an den Herzog Christoph von Württemberg, an den Lordprotektor Somerset, an den jungen König Eduard VI. von England, an den Polenkönig Sigismund August und an den König und den Kronprinzen von Däne- mark mit der Auslegung biblischer Bücher herangetreten. Denselben Weg schlug er auch jetzt ein, indem er im Sommer 1555 dem Rate der Stadt Frankfurt seinen Kommentar zur Evangelienharmonie sandte. Ganz ebenso, wie er etwas
1) Vgl. die Vorrede zu der lateinischen Ausgabe seines ersten Katechismus: Quid? annon hostis quoque ipse diabolus aculeos nobis ad syneretismum agendum admovere debet? Calv. Opp. V, 321.
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später in seiner zweiten Verteidigungsschrift gegen Westphal ruhig zugab, daß er in Einzelheiten von Luther abweiche!), so stellte er hier neben die Erklärung, daß er sich im allge- meinen an Bucer, die Autorität der Frankfurter in kirchlichen Fragen, angeschlossen habe, den anderen Satz: Sicubi autem ab eo dissentio (quod mihi libere, quoties necesse erat, permisi), ne ipse quidem, si superstes ageret in terra, moleste ferret?).
Den Anlaß zu der Widmung fand Calvin dem Schreiben zufolge, von welehem seine Sendung begleitet war?) in den Ereignissen, die die Frankfurter Kirchengeschichte der letzten Jahre aufzuweisen hatte. Hier sprach er dem Rate vor allem seine Anerkennung aus für die mannhafte Haltung, die die Stadt in der Zeit des Interims — allerdings mehr dureh das Verdienst der Prüdikanten, als des Rates — eingenommen hatte. Nur diese eine Tugend wolle er jetzt loben, die ihn und manche andere Diener Christi wie mit einem heiligen Bande mit den Frankfurtern verknüpft habe. Nicht minder sprach er ihnen seine Freude darüber aus, daß man die Reste der verwüsteten Kirche Englands in Frankfurt sammle. Er stellte sie dafür in eine Reihe mit Zürich, wo man die Verbannten von Locarno auch nicht nur aufgenommen, son- dern sogar in den Besitz einer Kirche gesetzt habe. Ganz persönlich, so fuhr er dann fort, fühle er sich den Frank- furtern für das verpflichtet, was sie an seinen Landsleuten getan hätten, und als Zeichen seiner Dankbarkeit widr:e er dem Rate seine Exangelienharmonie. Das Urteil über dieses Werk überlasse er anderen, Von den feinsinnigen Gelehrten unterschied er — es war die Zeit des zweiten Abendmahl- streites — die Narren und Bösewichte, bei deren Gekläff er sich nicht aufhalten wolle.
Mit der Aufnahme von Buch und Brief bei dem Rate konnte Calvin zufrieden sein. Zur Entschädigung für die Druckkosten erhielt er vierzig Goldgulden. Auch wurde er ausdrücklich als ein treuer Diener Christi und hervorragender Lehrer der Kirche bezeichnet.
Anders freilich war die Wirkung bei den Prüdikanten. Kaum hatte der Rat am 12. September seine Beschlüsse gefaßt, kaum hatte der Bote Calvins am 14. September seinem Auftraggeber Bericht erstatten können, so war auch
1) Quod de substantiali manducatione a nobis dissenserit Lutherus, atque etiam contentionis ardore ultra justas moderationis metas evectus, quaedam protulerit, a quibus ego dissentio, negare mihi in animo nun- quam fuit. Et quorsum rem a me libere testatam negare vellem?
2) Oalv. Opp. XLV, 4.
s) Vom 1. August 1555. Calv. Opp. XV, 710,
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schon am 18. September Johannes Marbach in Straßburg so gefällig, seinem Freunde Hartmann Beyer das Rezept mitzu- teilen, wie man in seiner Stadt mit den Fremden fertig ge- worden sei. Und als am 26. September Adolf von Glauburg nach kurzer Krankheit zweiunddreißigjährig verstarb, der noch auf seinem letzten Lager sich an der Evangelienharmonie Calvins gefreut hatte, benutzte Beyer das Begräbnis des jungen Ratsherrn, qui antea sua ratione humana perscrutari et de- prehendere conatus erat, quomodo Christi corpus praesens esset in coena, si praesens esset, zu der ausfälligen Bemer- kung: Gott rufe junge Leute, die in der Blüte ihrer Jahre stünden, hauptsächlich um deswillen aus diesem Leben ab, damit sie nicht bei längerer Dauer ihres Lebens auf Irrlehren und Ketzereien verfielen. Der ihm nahe stehende Buchdrucker Peter Braubach aber ließ zur Herbstmesse!) unter den Augen des Rates die Streitschrift Westphals gegen Calvin drucken, neben der dann auch die Farrago Timanns um dieselbe Zeit in seinem Verlage erschien. Es war begreiflich, daß Calvin dem Rate sein Befremden darüber aussprach, daß er das habe geschehen lassen, und da der Rat das Berechtigte dieser Beanstandung anerkennen mußte, so traf er Vorkehr, daß die Klage sich nicht wiederholen konnte. Als Westphal ein Jahr später auch seine Antwort auf die zweite Verteidi- gung Calvins bei seinem Freunde Braubach drucken lassen wollte, wurde am 25. März 1557 beschlossen: „Petro Bru- bachio soll man sein Begehren, daß er des Westphali Epistel contra convicia Domini Calvini allhie an einen Prädikanten, doch unbenennet desselbigen Namens... ußgangen, drucken möge, füglich abschlagen,* — womit man freilich nicht ver- hindern konnte, daß die Schrift dann in dem benachbarten Oberursel erschien. | Inzwischen fehlte es auch nicht an Einwirkungen von auswärts, Hermann Hamelmann in Lemgo empfahl Beyer am 17. März 1556, sich von Brenz, Flacius, Amsdorf, Alesius und Strigel beraten zu lassen. Wir besitzen noch den Brief von Brenz, in welchem dieser am 18. März Frankfurt mit seinen Fremdengemeinden auf eine Stufe mit dem alten Ephesus stellte, das seine Arianer gehabt habe, und seinen Freund Beyer ermunterte, seinem Namen Hartmann in diesem Falle einmal Ehre zu machen und als fortis vir aufzutreten °).
1) Brief Westphals an Braubach vom 16. November 1555. Greve, Memoria J. Westphali. Hamb. 1749, p. 271.
2) Die Briefe von Hamelmaun und Brenz befinden sich im Original in der Briefsammlung Hartmann Beyers auf der Frankfurter Stadt- bibliothek: M. S. III, 21.
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Vor allem aber ließ es sich Westphal angelegen sein, auf die Frankfurter Angelegenheiten Einfluß zu gewinnen. Nach- dem er in dem Briefe, mit welchem a Lasco seine Forma ac Ratio dem König Sigismund August von Polen gewidmet hatte, wegen seiner Erneuerung des Sakramentsstreites recht schlecht weggekommen war, wandte er sich im März 1556 gegen diesen Signifer Sacramentariorum mit seiner Defensio adversus insignia mendacia Jo. a Lasco!) und widmete die Schrift dem Frankfurter Rate?) Er hielt es für nötig, dem Rate den Warnungsbrief Luthers von 1533 ins Gedächtnis zu rufen, denn iam vero, schrieb er, res non obseuris indieiis nota, sed in clara luce posita est, inter urbis vestrae portas, infer moenia et muros ipsos, quosdam disseminare, fovere et propugnare damnatam istam haeresin, ac insuper abuti vestris typographis, prelis et insigni Dei dono arte typo- graphiea, neque sat habere in vestra civitate et ecelesia nocere falsis doctrinis, sed longe lateque sparsis libris istic impressis, totius Germaniae et Galliae eeclesias inficere, contaminare atque corrumpere... Usque adeo doctrina nostra de Eucharistia vera et adversae partis falsa est, ut non videant
Saeramentarii suam subsistere et insinuari posse, nisi fucata
sese venditet et obrepat simili specie et sono verborum, quibus nostra proferri solet. Von dem Dienste, den er den Frank- furtern zu leisten meinte, schrieb er: Si quis indicaret Ma- gistratui, esse incendiarios in urbe, veneficos, qui inficerent fontes et pascua extra urbem, raptores, gratam rem faceret et aeciperet praemia suae fidelitatis. Spero etiam haud in- gratum futurum, quod a me indicantur, qui incendia multo nocentiora adstraunt, et veneficiis inficiunt fontes ac pabula doctrinae salutaris, verbum Dei et aeterna bona suffurantur et animas interimunt ideoque a Christo Domino arguuntur, quod sint fures et latrones, Sein Rat ging dahin: Morbida ovis separatur, ne totum ovile corrumpat, membrum corrap- tum resecatur, ne noceat reliquis; separantur corpora homi- num, ne immunda lepra vel seabie mala infieiant sanos: Quanto magis separare oportet immundos spirituali lepra, mente corruptos, ne oves Christi inficiant et perdant. Aposto- lus prohibét in domum recipere, non afferentes doctrinam Apostolicam: Ne recipientes communicent ipsorum operibus
1) Schon vorher hatte er sich gegen a Lasco gewandt mit der in Oberursel gedruckten Schrift Responsio Joachimi Westphali ad scriptum Jo. a Lasco, in quo Aug. Conf. in Cinglianismum transformat.
2) Vgl Greve, Memoria, S. 140ff. Hiernach ist der Irrtum in den chronologischen Verhältnissen (Beziehungen Calvins usw. S. 18f.) richtig zu stellen.
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malis. Gegen den Einwand, man müsse doch die Ver- triebenen um der Barmherzigkeit willen aufnehmen, erklärte er, die Pflicht der Liebe bestehe nur mit dem Vorbehalte, daß dadurch der Glaube nicht Schaden leide und die Liebe gegen viele nicht verletzt werde!) Der Abendmahlsstreit gehöre nicht zu den rebus non necessariis, über die man nicht zu streiten habe, und um deren willen niemand aus. der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden dürfe. Der Rat solle nur fest und unbewegt bei der Rede Christi verharren und dem Versucher nicht Raum geben und sich nicht durch den Satan und seine Lügenapostel verführen lassen, die sich in Christi Apostel verwandelten. Er solle sich vielmehr ein gutes Beispiel nehmen an den frommen Fürsten, Städten und Kirchen, die mit maßvoller Strenge durch fromme Erlasse ihr Volk vor der Berührung mit Sakra- mentierern und Wiedertäufern bewahrt hätten. Ad hoc, ver- hieß er, dignum Dei ministris studium conservandae ecclesiae ef reipublieae in tranquillo et incolumi statu, ultro currenti- bus addet calcaria, quod Dominus Deus noster admonet de perieulis discordiae civilis dicens: Omne regnum adversus se divisum, desolabitur, et omnis civitas divisa adversus se ipsam non stabit, Et quod Paulus scribit: Deum dilectionis et pacis, adfuturum iis, qui unanimes idem sentiunt. Wenn der Schul- meister zu den Barfüßern Johannes Cnipius Andronicus richtig geschätzt hat, so wurde der Brief auf der Frühjahrsmesse in mehr als tausend Exemplaren in der Stadt verbreitet?) Um dieselbe Zeit, in der Westphal so auf den Rat ein- zuwirken suchte, nahm auch Calvin in einem besonderen Sehreiben Fühlung mit den Prüdikanten. Johann von Glau- burg und a Lasco hatten ihm diesen Schritt empfohlen, da von seiner in Frankfurt unbestrittenen Autorität eine Be- seitigung der von den Gnesiolutheranern drohenden Gefahr am ersten zu erhoffen sei. Nachdem ihn zuletzt noch Poullain über den Gang der Dinge unterrichtet hatte, schrieb er am 5. März den Frankfurter Pfarrern®?): Er sei der Überzeugung
1) S. 142: Ut enim charitatis est, hospitio recipere peregrinos, et his benigne facere, si pro hospitalitate et beneficiis non malefacta repen- dent, si quieti, non turbent ecclesiam et rempublicam: Ita charitati maxime repugnat, praebere hospitium ingratis, inquietis et noxiis communitati, his parcere, hos fovere, non piae charitatis obsequium, sed impiae perversitatis exitiale nocumentum, non misericordia est, sed crudelitas.
?) Brief des Cnipius an Calvin vom 15, April 1557. Calv. Opp. XVI, 453.
3) Calv. Opp. XVI, 53f.
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gewesen, er stimme mit ihnen aufs beste überein), oder wenn ihre Art zu lehren nicht ganz dieselbe sei, so bestehe doch kein solcher Unterschied, daß es zu einem gehässigen Streite kommen könne. Deshalb habe es ihn gewundert, daß ein so albernes und giftiges Buch wie das Westphals?) in Frank- furt habe erscheinen können. Er wolle ihnen keinen Vor- wurf machen, denn er könne nicht glauben, daß sie zu dieser Veröffentlichung ihre Zustimmung gegeben haben sollten. Aber weil das Gerücht gehe, einigen von ihnen gefalle nicht recht, was er über die Sakramente sage, so wolle er nicht durch Schweigen den Zwist vergrößern. Ohne sich auf- drängen zu wollen, sei er doch zu allem bereit, wodurch er einen etwaigen Anstoß an seiner Lehre beseitigen könne, auch — wozu er sich bereits am 29. Februar dem Rate er- boten hatte — zu der weiten und unbequemen Reise nach Frankfurt. Dabei beschäftige ihn nicht einmal so sehr seine eigene Sache, als der Wunsch, daß sie sich der iremden Brüder, denen der Herr in ihrer Stadt ein Asyl gegeben, in echter Liebe annehmen möchten. Denn er höre, daß diese irgendwelche Zänkereien und Schikanen befürchteten und sich dadurch beunruhigt fühlten. „Nun,“ schloß er, „da ihr wißt, daß sie, teils durch die Gewalt und Tyrannei der ‘ Feinde Christi aus ihrer Heimat vertrieben, zu each gezogen sind, teils aber auch, um mit euch den reinen christlichen Glauben bekennen zu dürfen, freiwillig sich die Verbannung auferlegt haben, brauche ich vor euch nicht zu erörtern, wie sehr für die einen ihr Elend, für die anderen ihre ent- schlossene Bereitwilligkeit zur Nachfolge Christi uns ein- nehmen muß. Ja, wenn ihr auch einiges an ihnen noch zu wünschen habt, wie sie ja wahrscheinlich auch unter ihren Fehlern zu leiden haben, so wißt ihr doch, daß ihr sie gnädig und freundlich ertragen sollt. Eher, als dab etwa bisher verborgene Eifersucht zu. offenem Streit ausbreche, will ich selbst übernehmen, was ihr mir in dieser Sache als meine Aufgabe zuweisen wollt. lch werde beiden Parteien ireulieh zum Friedensschluß raten und helfen.“
1) An der Aufrichtigkeit dieser Erklärung ist kein Zweifel. Auch als ihm 1557 Jakob Andreä seine Schrift zuschickte: Eine einfältige und kurze Anweisung vom heiligen Abendmahl, wie die Einfältigen sich bey dem langwierigen Streit vom Abendmahl verhalten sollen (Pforzheim 1557), schrieb er in seiner Antwort: Etiam si moderationem tuam laudo et exoseulor, non parum tamen mihi dolet, plus esse in sententiis nostris dissidii, quam putaveram.
2) Adversus cuiusdam Sacramentarii falsam criminationem justa defensio Joach. Westphali, in qua et Eucharistiae causa agitur.
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Der Wirkung dieses Briefes war es nicht günstig, daß soeben erst Calvins zweite Verteidigungsschrift gegen West- phal!) erschienen war. Sie lieb Calvin den Frankfurter Prüdikanten nicht als geeigneten Mittelsmann, sondern als Partei erscheinen. Dem Rate gegenüber sprachen sie das auch ganz rückhaltlos aus, indem sie ihn den „fürnemsten patron^ der Fremden nannten, der in seinem jetzt ausge- gangenen Buche deren „irrige Opinion" heftig zu verteidigen suche?) Ihm selbst gegenüber fanden sie es freilich ange- zeigt, sich vorsichtiger auszudrücken. Die Antwort, welche sie ihm in denselben Tagen (5. April 1556) gaben?), kenn- zeichnet sich als ein Produkt der Verlegenheit, den bei dem Rate hochangesehenen Genfer Theologen zu befriedigen, ohne sich doch bei Westphal einem Tadel auszusetzen. Sie ver- sicherten dem verehrten Herrn, sein Brief sei ihnen so an- genehm wie möglich gewesen, da sie nichts öfter und heißer erflehten, als eine fromme und feste Gemeinschaft mit allen, die die reine Lehre des Gottessohnes mit reinem Herzen er- faßten. Er solle doch ja nicht denken, sie hätten Westphal zu seiner Schrift gegen ihn veranlaßt oder dabei unterstützt, und es liege ihnen gänzlich ferne, in Schutz zu nehmen, was diese Schrift etwa an Streitsucht und Gift enthalte. Nur verhindern hätten sie ihren Druck nicht können. Im übrigen aber müßten sie bekennen, daß sie die darin vorgetragene Abendmahlslehre Westphals nicht ablehnten, da sie ihnen mit der Augustana und der Wittenberger und Frankfurter Konkordie im Einklang zu stehen scheine. Diese Lehre hätten auch sie bisher verkündet, und es sei ihre Pflicht, es auch ferner zu tun. Sie bedauerten den Streit, der sie nur von ihren Studien abziehe. Die Beschwerden der Fremden seien nicht gerechtfertigt, denn die unbekannten Zeremonien derselben hätten sie länger als ein volles Jahr geduldet, und auch jetzt, wo der Unterschied in der Lehre klar zu tage liege, hätten sie nichts gegen sie unternommen, sondern nur, wie die Billigkeit verlange, dem Rate Bericht erstattet, — daß diese Berichte sich auf den Augsburger Religionstrieden - berufen und die Härte Dänemarks und der Seestädte gegen die armen Exulanten als Muster hingestellt hatten, war ihnen anscheinend aus dem Gedächtnis entsehwunden. Ihre Kanzel- polemik aber schrumpfte in ihrer Erinnerung zusammen zu einer Mahnung an ihre Gemeinden, bei der alten, reinen
1) Secunda defensio piae et orthodoxae fidei de Sacramentis contra Joachimi Westphali calumnias. Vgl. dazu Calv. Opp. XV, 359, 360,
?*) Act. ref. I. B]. 82.
3) Calv. Opp. XVI, 891f.
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Lehre zu bleiben und sich durch nichts verwirren zu lassen. Sie wünschten den Frieden, aber den sichersten Weg zu diesem Ziele könnten nicht sie bestimmen, da es sich um eine gemeinsame Angelegenheit aller evangelischen Stände handle. Bis diese die Kontroversen geschlichtet hätten, hielten sie es für ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß ihnen die reine Lehre erhalten bleibe, die sie nicht gegen ihr Gewissen ändern oder preisgeben dürften, einfach weil man es von ihnen verlange oder weil sie sich damit beliebt machten. In einem eigentümlichen Kontrast zu dem verbindlichen Ton dieses Schreibens stand die Polemik der Prädikanten gegen Calvin, von welcher dieser etwas später erfuhr. Am 24. Juni äußerte er sich darüber an Glauburg: „Da sie mich als treuen und um die Kirche Christi wohlverdienten Knecht anerkennen, hat es mich umso mehr gewundert, daß sie mich in gehässiger Weise in den Kampf hineinzogen, als sie vor Kurzem die Behauptung aufstellten, es sei besser, Kinder zuhause und von Frauen taufen zu lassen, als daß sie ohne Taufe stürben!)“. Sie hatten sich inzwischen aus Westphals Schrift De baptismo neue Belehrung verschafft, und dadurch hatte sich ihnen der Gegensatz zu Calvin noch verschärft. Den Rat hatten sie bei alledem nicht auf ihrer Seite, Wie wenig Geneigtheit bei diesem bestand, mit ihnen in das Lager Westphals abzuschwenken, zeigten seine Bemühungen, . Wolfgang Musculus in Bern für Frankfurt zu gewinnen. Wiederholt war schon die Rede davon gewesen?) ,dz wol von nóthen vnd gut wer etwa einen gelehrten ansehnlichen sitsamen Man alher zuberuffen vnd anzunemen Der als d' fürnembst vnd Superintendens bey der Kirchen vnd vber die Predieanten, wie sich geburt; Im fall da es vonnóthen, zu- gebrauchen.“ Jetzt kam man am 22. Juni auf diese An- regung zurück und faßte für den neu zu schaffenden Posten Musculus ins Auge, der früher in Augsburg gewirkt hatte, bis das Interim seiner Tätigkeit daselbst ein Ende gemacht hatte, Am 1.Juli gingen deshalb Sehreiben an ihn?) sowie an Bürgermeister und Rat zu Bern*) ab. Musculus sollte mit dem Ratsfreunde Claus Bromm verhandeln wie mit dem Rate selbst. Als Gehalt waren zweihundert Gulden in Aus- sicht genommen. Nur sollte festgestellt werden, ob er der Augsburgischen Konfession gemäß lehre®). Niemandem hätte die Berufung dieses Superintendenten erwünschter sein können
!) Calv. Opp. XVI, 205.
2) Vgl. die Ratschlagung vom 22, Juni 1556. Act. ref. I, Bl. 102a. ®\ Act, ref. I Bl. 103, 4) Ebenda Bl. 104,
5) Bürgermeisterbuch vom 25, Juni 1556.
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als Poullain. Denn zwischen beiden Münnern bestand eine Geistesgemeinschaft; Poullain hatte in England den Proskairos von Musculus ins Französische übersetzt). Kam die Berufung zustande, so war trotz Beyer der Westphalsche Einfluß in Frankfurt für die Zukunft lahmgelegt und der Fortbestand des Bucersehen Unionsprotestantismus in der Stadt gesichert. Aber Musculus lehnte ab, wie er auch andere Angebote, die ihn von Bern wegrufen wollten, abgelehnt hat. Er fühlte sich der Stadt für immer verpflichtet, die ihn nach seiner Flucht von Augsburg so gastlich aufgenommen hatte?). An seiner Statt empfahl der Graf Georg von Erbach am 26. August dem Rate den Pfarrer Andreas Stolz zu Michelstadt®). Da der Graf Melanchthon nahe stand, mit dem er gerade damals Briefe wechselte‘), so hätte auch diese Berufung dem Vor- dringen des intransigenten Lufhertums einen Riegel vor- geschoben. Woran diese Berufung scheiterte, ist uns nicht bekannt.
Nachdem es zur Anstellung eines gemäßigten Super- intendenten nicht gekommen war, blieb noch der Weg eines Kolloquiums, um eine brüderliche Eintracht zwischen den streitenden Parteien anzubahnen. Auch nachdem die Prädi- kanten den dahin zielenden Vorschlag Calvins abgelehnt hatten, ist dieser Gedanke immer wieder aufgegriffen worden. Derselbe Graf Georg zu Erbach, der den Frankfurtern gerne zu einem Superintendenten verholfen hätte, schrieb bereits am 18. August den Prädikanten°), er fände es „nit vngut, daß zum fürderlichsten ein Christlich freuntlich und brüder- lich gesprech fürgenommen, damit gut Hoffnung, es solle in demselbigen gesprech, vermittelst Göttlicher Gnaden, die Zwispalt gar hingelegt werden, oder uff das wenigst ein solche billiche vergleichung ervolgen, daß obwol die ver- stende Inn allen puneten nit gleich, nit desto weniger die
1) Baron F. de Schickler, Les églises du refuge en Angleterre. Paris. 1892. I, 21f.; III, 7f.
?) Die lutherischen Berichterstatter jener Vorgünge, die so vieles aus den Akten veröffentlichten, haben diese Berufung mit Stillseh weigen übersangen. Sie paßte nicht zu ihrer These, daß in Frankfurt jeder- zeit das strenge Luthertum geherrscht habe. Daß Musculus die Augustana unterschrieben haben würde, ist nach dem Briefe Poullains an Calvin vom 6. April 1556. Calv. Opp. XVI, 97 sq., außer Zweifel. Vgl. übrigens seine Confessio de Coena Calv. Opp. XIII, 204—206, auf die hin er nach Bern berufen worden war.
3) Act. ref. I. Bl. 105.
*) Vgl. Calv. Opp. XVI, 285.
5) F. R. II. Beil. 28, S. 279 f.
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vbrig und vngezweifelt Lehre bei den widerwertigen nit ver- dächtlich gemacht, und die persohnen sampt den gantzen Kirchen nit so leichtlich verdampt würden.“ Am 17. Sep- tember aber drang Calvin in Melanchthon, ein solches Kollo- quum zu betreiben, da auf die Fürsten nicht zu rechnen sei: Dum principes aliis forte rebus nimis occupati cunetantur, alios etiam forte invidiae metus retardat, bene tu et prudenter privatis consiliis instituendum esse colloquium censes, modo eordate quod seribis exsequamur. Neque vero exspectandum est, dum multi? se adiungant. Sed ubi signum ostenderis, convenient quibus cordi est ecclesiae tranquillitas!). Einen Tag später wandte sich a Lasco im gleichen Sinne an Melanchthon, wobei er als Ort der Tagung Frankfurt empfahl: Tuum erit illud promovere, hoc est de loco et tempore eolloquii habendi statuere. Nostri quidem optarent id hie haberi posse propter Helvetieas et illis adiunetas ecclesias: quibus alibi vix tuta essent itinera, huc vero commodius pertrahi possent .... Quod ad me attinet, optarim accelerari posse eolloquium, priusquam me in patriam conferam: multum enim ea res patriae quoque meae prodesse posset?) Daß Melanchthon sich diesen Wünschen versagte, ist bekannt?) Aber aueh die Frankfurter Prüdikanten wollten von dem Plane nichts wissen. Dem Grafen von Erbach schrieben sie umgehend zurück: Sie wären wohl geneigt, seinem Rate zu folgen, wenn die Sache sie allein beträfe; es wolle ihnen aber nicht gebühren, hinter dem Rücken der Augsburgischen Konfessions-Verwandten ein Sondergespräch mit den Fremden vorzunehmen; sie müßten sie vielmehr an die Versammlungen der Reichsstände weisen; diesen möchten sie ihre Lehre und Konfession zur Begutachtung übergeben‘).
Was die Frankfurter Pfarrer bestimmte, das ihnen vor- geschlagene Kolloquium abzulehnen, war nicht nur der in diesem Schreiben geltend gemachte formal-juristische Ge- sichtspankt. Dahinter stand die Erwägung, daß der Aus- gang eines solchen Religionsgesprächs sich gar nieht vor- aussehen ließ. Die Erfahrungen, welche Matthias Ritter im Juli bei einer zwanglosen Abendunterhaltung am Tische Glauburgs, die sich bis nachts zwei Uhr ausdehnte, mit der Disputierkunst Poullains machte?), mahnte zur Vorsicht.
1) Calv. Opp. XVI, 281.
2) Ibid. 283. .
3) Vgl. seinen Brief an Languet vom 13. Jali 1556. C. R. VITI, 798.
4) Brief vom 20. August 1556. F. R. II. Beil. 24. S. 280f.
5) Brief Poullains an Calvin vom 16, Juli 1556. Calv. Opp. XVI, 280—934. Ä
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Über dem Abendbrot, zu dem die beiden Práüdikanten und D. Humbracht geladen waren, kam es zu einer Aussprache über das Abendmahl und die Taufe. Bei der letzteren, die erst in vorgerückter Stunde zur Sprache kam, wußte Ritter der von Poullain vorgetragenen Calvinischen Auslegung der Worte Christi an Nikodemus nichts entgegenzusetzen. Als er dann aber die Kindertaufe damit rechtfertigen wollte, daß er keine Möglichkeit sehe, die Eltern ungerauft verstorbener Kinder zu trösten, rügte ihn Poullain, daß er seinen Leuten offenbar den Heilsweg nicht völlig klar gemacht habe, denn sonst brauchte er nicht zu solchen Trostgründen zu greifen. Was er denn, wenn die Seligkeit an der Taufe liege, den Wiedertäufern entgegen halten wolle, die eben deshalb die Kindertaufe ablehnten, weil es den Kindern an der nötigen Erkenntnis fehle und sie keine Frucht von dem Vorgang haben könnten? Vor allem drehte sich der Streit aber um das Abendmahl. Ritter machte Poullain den Vorwurf, dab man auf seiner Seite nicht rein und einfältig bei dem Worte bleibe, was Poullain nicht gelten ließ, da man bei ihnen vielmehr gerne das Brot beim Abendmahl den Leib des Herrn nenne. Seinerseits zum Angriffe übergehend, stellte Poullain fest, daß gerade Ritter nicht bei dem Worte bleibe, da er das est mit exhibet vertausche. Dann sprach man über die analogia fidei, wobei Poullain seine Deutung des hoc est im Sinne von significat, figurat, repraesentat, in me- moriam reducit mit anderen Schriftstellen belegte und es Ritter nun überließ, auch für seine Auslegung mit in sub eum hoc est den Schriftbeweis zu erbringen, worauf dieser sich darauf berufen wollte, die Beschneidung sei der Bund selbst, das Lamm sei das Passah selbst realiter. Glauburg führte diese Auffassung durch den Einwand ad absurdum, daß die Urkunde mit dem Siegel keineswegs gleichbedeutend mit dem Kauf oder der Schenkung selbst sei, während Poullain aus der Ritterschen These folgerte, daß man dann auch Christus in der Hostie anbeten müsse. Der nächste Kontroverspunkt, zu dem das Gespräch überging, war die Übiquität. Poullain argumentierte, der Leib Christi sei, was Ritter nur mit Widerstreben zugab, eine Kreatur, einer Kreatur aber komme Unendlichkeit und Ubiquität nicht zu. Ritter nahm zum Ausgangspunkt die unio personalis und deduzierte, daß ihr zufolge überall, wo Christus nach seiner Gotiheit zugegen sei, er auch nach seiner Menschheit gegen- wärtig sei, was wieder Poullain nur mit der Einschränkung gelten ließ, daß diese Gegenwart Christi für uns Menschen an den Glauben gebunden sei, unter Berufung auf eine Predigt Luthers: sacramentum indigne sumi potest, sed hie
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cibus, de quo hie Dominus loquitur nunquam indigne aceipi poterit. Als schließlich Ritter seine Argumente erschöpft hatte, meinte Glauburgs Frau freundlich, nun werde es schon zu einer Einigung kommen, und Poullain stellte ihm Brenz als gutes Beispiel hin: der Differenzpunkt sei nicht so groß, daß man sich gegenseitig nicht als Brüder anerkennen und gegenseitige Abendmahlsgemeinschaft pflegen könne. Davon wollte aber Ritter nichts wissen. Auch von einem öffentlichen Kolloquium versprach er sich nichts Gutes. Wer denn dabei die Entscheidung treffen solle? Wer anders, erwiederte Poullain, als der Rat? Nötigenfalls könne dieser noch einige angesehene auswürtige Theologen wie z. B. Melanchthon und Brenz zuziehen. Einen namhaften Teil der Kosten wollten Glauburg und Humbracht übernehmen. Ihre Hoffnung auf einen Umschwung in der Gesinnung der Prädikanten, die sie beim Aufbruch aussprachen, erfüllte sich freilich nicht. So- gleich am nächsten Sonntag legte Geltner in seiner Predigt Zeugnis ab wider die Teufelslehre der Fremden.
Der Gedanke an ein Kolloquium scheint indessen auf dem Römer, an dessen Wänden geschrieben stand: Audiatur et altera pars?), doch erwogen worden zu sein, und zwar in der Form, daß Calvin selber an ihm teilnehmen sollte. We- nigstens wurde er von dem Rate als Schiedsrichter berufen, um Streitigkeiten zu schlichten, die in der wallonischen Ge- meinde ausgebrochen waren, und es ist bemerkenswert, wie geflissentlich die Prädikanten einer Begegnung mit ihm da- mals auszuweichen suchten?). Am 23. September, einen Tag vor seiner Abreise, kamen „vier Herren, die zum theil der frembden Patronen waren,“ zu ihnen in die Kastenstube und brachten ihnen a Lascos Purgatio zur Einsichtnahme und Widerlegung. Zugleich bestellten sie ihnen von Calvin: dieser stehe vor der Heimreise, wolle aber nicht so grob und unfreundlich sein, daß er sie nicht vorher anspreche und segne; seien sie einverstanden, so komme er gerne in ihren -Konvent; er sei im Römer und warte da ihre Antwort ab. Den Prädikanten mochte nach allem Vorausgegangenen bei dem Gedanken an eine persönliche Begegnung mit Calvin nicht eben behaglich zumute sein. Zugleich schien ihnen die Anwesenheit von Ratsherren bei der in Aussicht gestellten Zusammenkunft auf eine Disputation zu deuten. Nach den Erfahrungen aber, die man in Frankfurt soeben bei der Dis-
ı) Hieran wurde Ritter bei dem oben mitgeteilten Gespräch von Glauburg und Humbracht noch besonders erinnert. 2) Vgl. für das Folgende den Gegenbericht der Prädikanten.
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putation zwischen Calvin und Vels mit dem Scharfsinne und der Dialektik des ersteren gemacht hatte) gelüstete es sie nicht, jetzt ihm gegenüber dieselbe Rolle zu spielen wie Vels. Sie ließen deshalb Calvin antworten: se homines esse indoctos neque pares ad respondendum?), ein Armutszeugnis, das sie in ihrem „Gegenbericht“ lieber übergingen; sie wollen nur gesagt haben: er sei nicht ihretwegen nach Frankfurt ge- kommen, habe sie auch bei seiner Ankunft nicht begrüßt, sie könnten es ihm daher auch nicht übel nehmen, wenn er wieder heimreise, ohne sich von ihnen zu verabschieden. Wünsche er pur eine freundschaftliche Aussprache mit ihnen, so bedürfe es dazu keiner Ratsherren. Nicht weiter führte eine Aussprache zwischen Calvin uud Matthias Ritter beim Frühstück, wobei dieser jenen als „ehrwürdigen Lehrer“ titulierte; der ehrwürdige Lehrer fand aber, daß der Schüler gar verstockt sei. Eine persönliche Begegnung mit den Prädikanten fand indessen doch noch statt. Als diese den Fall vor ihrer Kastenstube noch miteinander besprachen, kam Calvin mit einigen Begleitern des Weges. Nach der Be- gılßung sprach er ihnen seine Verwunderung aus, daß sie in einer so klaren Sache so befangen seien; er habe nur vorgehabt, eine Art Verständigung herbeizuführen; da sie das aber nicht zugäben, so wolle er nicht so zudringlich sein, sie wider ihren Willen zu einer solchen bei den Haaren herbeizuschleifen. Die Wirkung der Überlegenheit, mit der er ihnen das sagte und dann auseinandersetzte, was er mit ihnen hatte besprechen wollen, war verblüffend. Schließlich polterte einer?) heraus: wie ein göttliches Wesen sei er ihnen erschienen, wenn er nicht so hartnäckig auf seinem Irrtum bestünde; so aber könnten sie ihn nicht mit gutem Gewissen aufnehmen. Den übrigen war diese Erklärung denn doch zu eıhrlich, und sie gaben dem offenherzigen Amtsbruder ihr Miß allen deutlich zu erkennen, so daß auch Calvin nach Gebühr mit ihm verfahren konnte, Ein Zeichen des Ein- druckes, den seine Persönlichkeit bei den Prädikanten hinter-' ließ, bleibt es, daß sie den Bericht, welchen sie ein Jahr
1) Calv. Opp. XVI, 301 sq. 319.
2) Ibid. 326, vgl auch 452: quum a caeteris ecclesiastis non esses admissus ad colloquium.
3) Offenbar Andreas Saxo, der sich auch bei der Begegnung weigerte, Calvin als einem Andersglüubigen die Hand zu geben, und ihn später als den Bannertrüger der Sakramentierer publice et privatim bezeichnete. Brief des Cnipius an Calvin vom 15. April 1557. Calv, Opp. XVI, 451. Über dieses enfant terrible des damaligen Prediger- ıninisteriums vgl. Steitz, F. A. N. F. I. (1860). S. 190—195.
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vor seinem Tode über diese Begegnung veröffentlichten, bei aller unverkennbaren Abneigung gegen ihn doch nur mit der Notiz schließen konnten, er habe sie „freundlich gesegnet“.
Nachdem so der Versuch, ein Kolloquium zwischen Calvin und den Prädikanten herbeizuführen gescheitert war, gab der Rat den Gedanken an ein solches Privatkolloquium überhaupt auf, da es ,hochnachteilig sein móchte*!). Von seinen Bedenken verständigte er den Grafen von Erbach ?), der daraufhin die Sache nur Gott befehlen konníte?).
Ein Einfluß Calvins auf die kirchliche Entwickelung Frankfurts ist von da an nicht mehr zu beobachten. Selbst die Beziehungen zwischen ihm und Glauburg schliefen ein. Die Wege trennten sich schließlich, selbst wenn man sich über die Abendmahlslehre verständigte, bei der Frage der Kirchenzucht und der hinter dieser stehenden Beteiligung am Kirchenregiment, wodurch unerwünschte Reibungen, Grenzüberschreitungen und Eingriffe in die Rechte der welt- lichen Gewalt sich ergeben konnten. Dagegen hat die Prä- destinationslehre, mit der man später die Leute vor Calvin kopfscheu machte, überhaupt keine Rolle gespielt.
2. Der Niedergang des Philippismus in der Stadt.
Nachdem die Bemühungen, in einer Disputation der Prädikanten mit Calvin über die Purgatio a Lascos die dogmatische Korrektheit der Fremden nachzuweisen, ge- scheitert waren, gewann es zunächst den Anschein, als sei der Übergang der Stadt in das Lager der Gensiolutheraner besiegelt. Am 21. Oktober 1556 faßte der Rat die Aus- weisung der Fremden ins Auge, da die Erklärung, welche sie über ihren Konfessionsstand bei ihrer Aufnahme abge- geben hätten, nicht zutreffe, sie auch untereinander in der Konfession nicht durchweg einig seien. Doch erinnerte man sich bereits am folgenden Tag an die theologische Autorität Melanchthons, und indem man die endgültige Entscheidung noch aussetzte, beschloß man, des Herrn Philippi Melanch- thonis Schrift, so er in Druck geben werde, zu erwarten‘). Damit lenkte man in die Bahnen der Ratschlagung vom 11. Mai zurück, in der man am liebsten Melanchthon und andere gutherzige, gelehrte Leute seiner Art um Beilegung der Streitigkeiten gebeten haben würde, wenn man nicht
!) Ratschlagung vom 2). Oktoter 1556. Act. ref, I. Bl. 132. 2) Schreiben vom 3. November 1556, Ebenda BI. 185.
3) Schreiben vom 14. November 1556, Ebenda BI. 186.
*) Act, ref. I. Bl. 182—133.
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eine Absage befürchtet hätte. Daß das hohe Ansehen Melanchthons bei dem Rate auch weiterhin unerschüttert feststand, wissen wir aus dem Briefe, welchen der Schul- meister zu den Barfüßern Cnipius am 14. August 1557, als man den Wittenberger auf der Reise nach Worms in Frank- furi erwartete, an seinen Freund Franziskus Jihyges in Schleusingen schrieb: Amplissimus Senatus noster... tanti facit eum, quanti hominem vere divinum et incomparabile lumen Ecclesiae Christi in hae extrema mundi senecta. Quamobrem non dubito plurimum honoris habitum irit).
Melanchthons Ansicht in der Angelegenheit der Fremden hatte der Rat erst jüngst aus dessen Schreiben vom 13. Juli 1557?) kennen gelernt, das die Fremden von Lästerungen wider die Glaubensbekenntuisse und von den Irrtümern der Wiedertüufer freisprach und für sie geltend machte, dab sie ja das Sächsische Bekenntnis, diese Repetition der Augs- burger Konfession, angenommen hätten. Seien sie auch wegen des Ausdrucks „wesentlich“ im Artikel vom Nachtmahl be- denklich, so handle es sich hier doch um einen strittigen Punkt, über den die Unseren dunkle und fremde Reden führten, so daß erst eine einträchtige, gleiche Erklärung von gelehrten und gottesfürchtigen Männern in einer ernstlichen Unterredung gefaßt werden müsse, Bis dahin wolle ein ehr- barer Rat noch mit diesen Leuten Geduld haben. Würde man eine Inquisition vornehmen und sie verjagen, so seien die Folgen für die öffentliche Ruhe und Ordnung an anderen Orten gar nicht abzusehen. Der Rat hatte sich darauf be- schränkt, diese Fürsprache zu den Akten zu nehmen?) Sie konnte um so eher ohne Antwort bleiben, da sich bei der in Aussicht stehenden persönlichen Begegnung von selbst Ge- legenheit zu einer Klärung der Angelegenheit in mündlicher Aussprache ergab.
Was Melanchthon bei diesem Anlaß mit seinen Frank- farter Freunden beredete, ist uns nicht überliefert. Dagegen sind wir über seinen zweiten Aufenthalt in Frankfurt auf der Rückreise von Worms unterrichtet‘). Müde und enttäuscht
1) F, A, N. F. I. (1860.) S. 237.
2) F. R.I. Beil. 21 S. 44f.
3) Beschluß vom 22. Juli 1557: Man laß es vff sich selbst be- ruhen . . . . Act. ref, I. Bl. 157.
1) Vgl. den Bericht des Hubert Languet an Calvin vom 15. März 1558, Calv. Opp. XVII, 89 sq.; den Bericht des Cnipius bei Steitz, F. A, N. F. I (1860). S. 196f.; den Bericht Hartmann Beyers bei Steitz, Melanchthons- und Lutherherbergen S. 46 (ohne Angabe der Nameu auch F. R. II Beil. 28. S. 285£.).
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traf er in seinem alten Síammquartier bei Claus Bromm auf der Zeil ein und wußte mancherlei von den Fragen zu er- zählen, die die strenglutherische Partei in jenen Tagen be- wegten. Erasmus Sarcerius habe Partikeln der Hostie, die auf den Boden gefallen seien, sorgsam aufgelesen und an den Lichtern auf dem Altar verbrannt, den Boden aber an der betreffenden Stelle abschaben lassen. Und der Branden- burgische Hof habe wissen wollen, ob auch der Leib Christi hinab in den Magen komme. Er selber wollte von der Gorolargeia und allem, was mit ihr zusammenhing, nichts wissen. Er unterließ es nicht, seinen alten Schüler Hart- mann Beyer, jetzt den Vertrauten Westphals, zu sich zu be- stellen und ihm „für einem gantzen tisch voll lewt“ ins Ge- wissen zu reden: Das sei ihrer Früchte eine, daß sie diese armen Leute vertreiben wollten. Er und seine Kollegen sollten doch endlich ihren Haß gegen diese unglücklichen Menschen aufgeben, die um Christi willen ins Elend gegangen seien, denn wer von deren schweren Leiden nicht gerührt werde, der verdiene nicht den Namen eines Menschen, ge- schweige denn eines Christen. Sie hätten dem Rate mit einem guten Beispiel vorangehen sollen, nun möchten sie sich wenigstens an seiner Güte und Milde ein gutes Beispiel nehmen. Daß Beyer sich darauf hinausreden wollte, er und seine Kollegen wüßten sich frei von Haß und hätten nur den Frieden der Kirche und Eintracht in der Lehre im Auge, nie aber hätten sie auf eine Ausweisung der Fremden hingearbeitet, war angesichts des Beschlusses, den sie am 21. Oktober 1556 bei dem Rate nahezu durchgebracht hatten, eine so kühne Behauptung, daß jetzt der milde Melanchthon eommotior wurde und anfing, davon zu reden, wie es zu allen Zeiten Menschen in der Kirche gegeben habe, die unter solchen Vorwänden ihre Grausamkeit zu verdecken gesucht hätten. Die deutschen und die fremden Gemeinden seien in der Lehre einig, nur im Artikel vom Nachtmahl wünschten die Fremden eine nähere Erklärung, auch er halte diese Frage noch nicht für hinreichend geklärt. Am anderen Morgen ließ er dann Beyer nochmals zu sich kommen, bat ihn, Frieden zu halten und vertröstete ihn auf eiue Synode der Evangelischen, auf der eine Verstün- digung über die strittigen Punkte herbeigeführt werden solle. Beyer aber verhielt sich durchaus ablehnend. Sie dürften die Lehre nicht verschweigen und müßten, was dawider sei, strafen, sonderlich, da man öffentlich anders lehre. So bestand der einzige Erfolg der Aussprache darin, daß Beyer sein Herz in den Busen Westphals ausschüttete, der daraufhin auf seiner Kanzel gegen Melanehthon jetzt
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ganz ebenso tobte wie gegen Calvin und ihn einen Sakramen- tierer schalt.
Das Jahr 1558 schien die von Melanchthon so heiß er- sehnte Verständigung der Protestanten untereinander bringen und damit auch in Frankfurt den kirchlichen Frieden be- siegeln zu wollen. Nachdem die Katholiken das Wormser Kolloquium mit der Begründung abgebrochen hatten, die Fortsetzung sei zwecklos, da die Evangelischen unter sich selbst uneins seien, benützten die evangelischen Stände den Frankfurter Wahltag von 1558 zu einem neuen Versuch, eine Verständigung über die obschwebenden innerprotestan- tischen Fragen herbeizuführen +). Der Frankfurter Rezeß, der als das Ergebnis dieser Bemühungen am 18. März zu- stande kam?), nahm zu dem Ösiandrischen, Majoristischen und adiaphoristischen Streite ganz im Sinne Melanchthons Stellung. In der Abendmahlslehre lehnte er in seinem dritten Artikel die Transsubstantiation ebenso wie die Lehre Zwinglis ab: „Das auch etliche allein dieses sagen, daß der Herr Christus nicht wesentlich da seye, und das dieses Zeichen allein ein äusserlich Zeichen seye, darbey die Christen ihre Bekandnuß thun und zu khennen seyen, diese Reden seinnt unrecht ete.“ Als die rechte Lehre von dem heiligen Mahle wurde unter Berufung auf die Augsburger Konfession fest- gestellt: „Daß in dieser des HErrn Christi Ordnung seines Abendmahls er wahrhafftig lebendig, wesentlich vnd gegen- wertig seye, auch mit Brot vnd Wein, als von Ime geordnet, vns Christen sein Leib vnd Blut zu essen vnd zu trincken geben, vnd bezeugt hiemit, daß wir seine Gliedmassen sind, applieir vns sieh selbst vnd seine gnedige Verheisung, vnd würckt in vns ete.“ Später hat man die Entdeckung ge- macht?), dieser Artikel sei mit so zweideutigen Worten ab- gefaßt, „daß sowohl die Lutheraner als die Anhänger Zwinglis und Calvins ihre Lehre aus ihm behaupten könnten.“ Die Reformierten stimmten ihm denn auch freudig zu. Hotomanus in Straßburg schrieb tiber den Rezeß am 28. Juni 1558 an Calvin: Mihi sane articulus de coena placuit et D. Zancho valde arridef*). Die Frankfurter Prüdikanten hatten gegen die weitherzige Fassung des Artikels vom Abendmahl keine Bedenken. Als ihnen der Rat den Rezeß zustellte?), wieder-
1) Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus'n den Jahren 1555—1581. I, 2668.
2) F, R. I. Beil. 19. S. 371f.
3) Kirchen-Geschichte von denen Reformirten S. 192 f. *) Calv. Opp. XVII, 226,
5) Ratschlagung vom 16. Mai 1568. Act. ref. I. Bl. 159.
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holten sie die vier Artikel mit eigener Umschreibung und erklärten, sie hätten „nichts strittiges wieder diese Artickel!).“ Es war klug von dem Rate gehandelt, daß er den Fremden den RezeB erst ein paar Tage später zugehen ließ?), so daß ihre Stellungnahme für die Entscheidung des Ministeriums ohne Einfluß blieb. Auch sie erklärten sich, da der in diesen Fragen so bedenkliche a Lasco nicht mehr unter ihnen weilte, in einem ausführlichen Schreiben einverstanden®). Somit hatte es endlich den Anschein gewonnen, als sei der lang- wierige, unerquiekliehe Streit durch die Bemühungen Me- lanehthons beigelegt. Tatsächlich finden sich auch von jetzt an fast drei Jahre lang keine Schriften der Prädikanten gegen die Fremden.
Indessen der Trieb, ihre Rechtglüubigkeit zu bezeugen, indem sie anderen den rechten Glauben absprachen, war in den Prüdikanten viel zu stark entwickelt, als daß sie nicht eines neuen Objektes für ihren Bekennermut bedurft hätten. Sie fanden es denn auch schon bald in dem Schulmeister Johann Kneip aus Andernach oder, wie er sich selber unter- schrieben hat, Johannes Cnipius Andronicus, mit dem sie sich bereits vor der Ankunft der Fremden wiederholt aus- einandergesetzt hatten.
Cnipiusf) der, ungefähr wohl ein Altersgenosse Calvins, irüher in Mainz gewirkt und zur Zeit der Kölner Reformation die lateinische Schule in seiner Vaterstadt Andernach ge- leitet hatte und dann als Prüdikant in Heppenheim auf der Wiesen (bei Oppenheim) tätig gewesen war, war seit 1550 ludimagister oder, wie er selber sich lieber nannte, gymna- siarcha in Frankfurt, nachdem Hartmann Beyer diese Stelle ausgeschlagen hatte. Seine theologischen Anschauungen standen, wenigstens in der Abendmahlslehre, nach seiner eigenen Angabe) seit spätestens 1527 fest, haben aber ihre Formulierungen von Melanchthon übernommen. Mit diesem
!) F. R. II, Beil. 29. S. 286—288.
?) Am 20. Mai. Vgl. den Brief Perucelles an Calvin vom 9. Juni. Calv. Opp. XVII, 199.
3) F. R, I. Beil. 20. S. 39—44. Vom 25. Mai.
*) Vgl. über ihn Steitz, M. Johannes Cnipius Andronicus, Schul- meister zu den Barfüßern 1550—1562, der theolog. Vertreter des Melanchthonianismus in Frankfurt. F.A.N.F.I. (1860) 167—250. Über seine Anfänge: S. 214f.
5) Joannis Cnipii confessio de Coena Domini, praedicatoribus Francofurtanis exhibita et Philippo Melanthoni probata (1559: In hac Confessione immotus perstiti ab annis amplius triginta duobus), A. a. O. 241.
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und Bucer stand er seit 1543 in Verbindung. Besonders innig aber gestalteten sich seine Beziehungen zu Hardenberg, dessen Bekanntschaft er 1544 machte; „Keiner unter den Sterblichen,“ erzählte er noch 1557 Claus Bromm?), „schreibt öfter und ausführlicher an mich als dieser.“ Der Kreis, in welchen er in Frankfurt eintrat, wurde, wie uns seine Briefe an Hans und Claus Bromm, Johann von Glauburg und Lud- wig Martorff zeigen, von jenen Patriziern gebildet, die seit der Zeit Wilhelm Nesens sich für die klassischen Studien begeisterten. Ritter hat ihn für einen Zwinglianer ausge- geben?) Er selber hat Melanehthon als den Mann bezeich- net, dem er am meisten verdanke). Wie Melanchthon den Glauben an eine Katholizität aller Christen festhielt, so legte auch er auf die Übereinstimmung mit den anerkannten alten Vätern den größten Wert; sie war ihm der Prüistein für die Wahrheit eines Dogmas: Quidquid docetur contra fidem et confessionem sanctae eeclesiae catholicae, profanum haere- ticum et impium est, gab er Ritter einmal gegen die Ubiqui- tätslehre zu bedenken?) Mit den aufrichtigsten Wünschen und Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung der Konfessionen begleitete er die Reise Melanchthons nach Worms). Nament- lich aber erwartete er von Melanchthon einen Ausgleich der Gegensätze zwischen Lutheranern und Zwinglianern: Efficiet Christus . .., schrieb er an Claus Bromm®), als die Kanzel- polemik in der Stadt nicht verstummen wollte, per hoc elec- tum et salutare organum suum, ut dehine evaneseant odiosa illa nomina Sacramentariorum et Saeramentiperdarum, item Lutheranorum et Zwinglianorum, utque tandem quasi in unum corpus coalescant omnes, qui hactenus dispari ore dispari- busque cognominibus renovatam Euangelii Jesu Christi doc- trinam sunf amplexi. Orandus est nobis Deus ardentibusque votis nostris quotidie solieiíandus, ut quod pie et sanete op- tamus, mature fiat. Was ihn von Melanchthon unterscheidet, ist nur das Eine, daß er, namentlich in der Abendmahlslehre,
1) Brief vom 4. März 1557. A.a. O. 231.
2) Evang. Denckmahl S. 436.
3) Melanthoni, cui sane debeo plurimum. Brief an Calvin vom 18, Sept. 1559. Calv. Opp. XVII, 642. Steitz hat die Briefe an Calvin noch nicht gekannt.
4) Brief an Calvin vom 15, April 1557. Calv. Opp. XVI, 452, Vgl. dazu die Mitteilungen aus seinem Schreiben an den Rat von 1559 bei Steitz S. 204.
5) Brief an M. Frauziskus Jthyges in Schleusingen vom 14. August 1557. A.a. 0. S. 237,
6) Brief vom 4. März 1557. À. a. O, S. 281.
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auch die letzten Konsequenzen offen aussprach, die Melanch- thon lieber vorsichtig für sich behielt.
Die Prädikanten haben über ihre anfänglichen Beziehun- gen zu Cnipius dem Rate einmal geschrieben), sie hätten nit anders gemeint, denn als seien sie mit einander gute Freunde; sie hätten ihn nit anders, denn einen guten und treuen Lehrer und Mitbruder empfangen und gehalten, auch zu ihren Brautsuppen gebeten und Kinder zu ihm in seine Schule getan. Wenn dieses freundliche Verhältnis nicht von Bestand war, so liegt die Schuld daran gewiß zu einem Teil an dem Charakter des Cnipius, der „ein bitterer und spöt- tischer Mann war, wenn man ihm nicht Recht gab*?) Es macht keinen erfreulichen Eindruck, wenn er mit breitem Be- hagen Calvin von seinen Händeln mit Andreas Saxo und von den permulta epigrammata erzählt, die er über Timann in der Stadt verbreitet habe*). Seinem Unmute über den starren Dogmatismus der Prädikanten machte er gerne in einem Wortspiele Luft, in dem er von den Lutheranis als von den haerentibus adhue sive eoaxantibus adhuc in Stoicorum luto ranis sprach*) Ihre Verstöße gegen Orthographie und Grammatik ließ er sich als richtiger Schulmeister nicht ent- gehen. Dem Pfarrer Haberkorn rechnete er nach, daß er in einem seiner Schreiben zwölf Wörter fehlerhaft geschrieben und bei achtundfünfzig die Buchstaben so versetzt habe, daß er es seinen Schülern zur Ubung überlassen habe, die Schnitzer zu suchen, und als ihn der Pfarrer Saxo einmal bei dem Rate verklagte, rächte er sich an ihm, indem er dureh fünf seiner Schüler nicht weniger als hundertundelf Verstöße det Klageschrift gegen die Grammatik festnagelte. War diese kleinliche Mäkelei zusammen mit einem auf- lallenden Mangel an Takt nicht eben dazu angetan, ihm Sympathien zu erwerben oder zu erhalten, so erschwerte er sich seine Stellung vollends durch die Eitelkeit’), mit der er von seinen Kenntnissen Gebrauch machte und bei theo- logischen Debatten die Prüdikanten seine wissenschaftliche Überlegenheit fühlen ließ. Denn „durch den Reichtum seiner humanistischen und theologischen Bildung wie durch die Klar- heit seines scharfen Denkens“ war er ausgezeichnet®), und
1) Am 18. April 1559. Bei Steitz S, 180, 2) Ritter, Ev. Denckmahl S. 436, 3) Brief an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 451. 4) Bei Steitz S. 187. 5) Vgl. Wendungen wie: Haec praedictus Matthias (sc. Ritter) ..nullo modo solvere aut diluere potuit. Brief an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 452. 9) Bei Steitz S. 167.
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man konnte bedauern, daß von der Milde und den ver- mittelnden Tendenzen seiner Theologie sich seinem leiden- schaftlichen Temperamente so gar nichts mitteilte.
Der tiefere Grund freilich zu dem Zerwürfnis, das wir zwischen ihm und den Prädikanten schon bald feststellen müssen, lag in der Verschiedenheit der theologischen An- schauungen. Das Jahr 1550 war für den Eintritt eines Ver- treters der melanchthonischen Denkweise in die Frankfurter Verhältnisse kein günstiger Zeitpunkt. Denn eben damals fingen die Beziehungen zwischen den Pfarrern der Stadt und Melanchthon an zu erkalten infolge der Streitigkeiten um das Interim, und es war für den neuen Schulmeister zu den Barfüßern bei der Geistlichkeit keine Empfehlung, daß er in diesen Streitigkeiten entschieden den Standpunkt Melanch- thons vertrat. Cnipius hätte seine ganze kampfeslustige Natur verleugnen müssen, wenn er sich in den Fragen, die die Gemüter so lebhaft bewegten, Schweigen oder auch nur vorsichtige Zurückhaltung hätte auferlegen wollen. Von seinem philippistischen Standpunkte aus ergriff er nach ein- ander zu allen diesen Fragen das Wort.
Seine erste Kontroverse mit dem Ministerium fiel bereits in das Jahr 1553. Es hatte ihn schon verdrossen, daß etwas früher Hartmann Beyer in einer pseudonym erschiene- nen Schrift!) der Politik des Rates in der Zeit des Interims entgegengetreten war. Als dann derselbe Beyer am Oster- sonntag?) der Ratsverordnung vom 5. Januar, die die Wieder- einführung aller nicht auf Sonntage fallenden Feste befahl, keck entgegentrat und in der überfüllten Barfüßerkirche eiferte: „Meine Herren gehn mit eitel narretheidung vmb u. S. w.“, fand er sich bemüßigt, ihm non paucis entgegen- zutreten?).
Diesem ersten lief) er nach wenigen Tagen (am 13. April) ein zweites Schreiben‘) folgen. Hatten die Prädikanten in ihre Predigten Verse aus Kernliedern der Reformation ein- gefiochten wie: „Es ist ja unser Tun umsunst, auch in dem
!) Warer Grundt vnd Beweisung, das die vnrecht handeln, die jren Predigern verbieten, das antichristische Bapstumb mit seinen greweln zu straffen. M. Sigismundus Cephalus.
2) Die Lumae paschalis in dem Briefe des Cnipius an Johann von Glauburg vom 4. Mai 1559 (Steitz a. a. O. S. 234) ist ein nach sechs Jahren begreifliches Versehen. Für das Tatsächliche vgl. Steitz, Hart- mann Beyer S. 71f., wo aber die Kanzelabkündigung Beyers wesentlich abgeschwächt ist.
3) Dieses Schreiben ist nicht erhalten. Vgl. Steitz, Cnipius S. 182,
4) Epistola de servanda doctrinae forma. Vgl. Steitz, Cnipius S. 183.
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besten Leben“, „die Werke helfen nimmehrmehr“ u. à, so fand er das im Widerspruch mit Artikel 6 und 20 der Augustana, wo Melanchthon die guten Werke für notwendig erklärt hatte, auch wenn sie nicht verdienstlich seien. Jene Kirehenlieder waren ihm Teufelsstank (paedores Diaboli). Er berief sich gegen sie auf Sätze von Brenz, Melanchthon und Apinus tiber die Rechtfertigung, die die guten Werke als notwendige Frucht des in der Liebe tätigen Glaubens bezeichneten, und er forderte von den Prädikanten eine offene Erklärung, ob sie bisher so gelehrt hätten. Sei es der Fall, so sei es ein auffallendes Mißgeschieck, daß er in den drei Jahren seines Hierseins nie etwas davon vernommen habe. Sei es nicht der Fall, so hätten sie vielen Argernis gegeben, manche zu einem gottlosen Wandel veranlaßt und Gottlose zu jeglicher Ruehlosigkeit aufgemuntert.
Seinen dritten Streit hatte Cnipius mit dem Pfarrer Eberhard Haberkorn in dem benachbarten Oberursel, der bis 1548 in Frankfurt gewesen war. Nachdem persönliche Reibereien vorausgegangen waren, kam es zwischen beiden 1555 zu einer Auseinandersetzung über die Willensfreiheit, wobei Haberkorn den Standpunkt vertrat: 1. Was wir Gutes oder Böses tun, tun wir aus reiner Notwendigkeit, oder viel- mehr wir erleiden es; 2. Gott wirkt in uns das Gute und Böse, und wir unterliegen seinem Wirken in willenloser Passivität; 3. es steht nicht in unserem freien Willen, etwas Gutes oder Böses zu denken, sondern alles geschieht nach unbedingter Notwendigkeit. Waren diese Sätze an Luthers de servo arbitrio orientiert, so stand Cnipius auf der Seite Melanchthons, der in solchen Anschauungen stoica et mani- chaica deliramenta erblickte. Er verwarf die Ansicht Haber- korns gleichfalls als stoischen und manichäischen Irrtum, der, in der alten Kirche unerhört, erst durch Wicliffe und Lau- rentius Valla eingeschleift, von Luther 1525 gegen Erasmus vertreten, später aber von ihm zurückgenommen sei, und er- klärte sich dafür, daß auch in den nicht Wiedergeborenen eine gewisse Willensfreiheit und Wahlvermögen sei. So brachte er den Gegensatz auf die Antithese: Ego facio nos- tram voluntatem cooperantem gratiae Dei, tu facis nihil aliud, quam patientem. Zu einem Ergebnis führte der Streit nicht. Haberkorn glaubte, eine Entscheidung dureh die Wittenberger herbeiführen zu kónnen, und wandte sich deshalb an diese. Da aber diese sämtlich die Anschauungen Melanchthons ver- traten und Cnipius einen regelmäßigen Briefwechsel mit ihnen unterhielt, so war damit nichts für ihn gewonnen !).
1) Steitz S. 184—187.
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Die nächste Fehde hatte der streitbare Humanist mit Andreas Saxo, dem Pfarrer von Sachsenhausen. Den Anlaß bot die Farrago Timanns, die 1555 bei Peter Brubach in Frankfurt erschien. Er konnte es nicht unterlassen?), auch zu dieser Veröffentlichung das Wort zu ergreifen. Da ihn aber Veit Windsheim in Wittenberg vor einem Konflikt mit denen gewarnt hatte, die in ihrem Aberglauben und in ihrer Ruhmbegier alles, was Luther geschrieben habe, für Orakel hielten, versah er sein Exemplar der Farrago mit allerlei Glossen und ließ es so durch Johann von Glauburg bei seinen Gesinnungsgenossen unter den Patriziern zirkulieren. Von dem liber non exiguus, zu dem ihm diese Glossen an- schwollen?), erfuhr nun auch Saxo und hielt ihm in einer bei dem Rate eingereichten Schrift, zugleich im Namen seiner Amtsbrüder, eine zehn Seiten lange Strafrede. Er erreichte damit aber nur, daß der gewandte Latinist ihn mit einem Hagel fein geschliffener Epigramme überschüttete und die ihm zugedachte Philippika in einer Weise kommentierte, dab von einem Einschreiten des Rates gegen ihn nicht mehr die Rede sein konnte. Da Saxo nicht auch über attisches Salz verfügte, so nahm er zu der Sachsenhäuser Muse seine Zu- flucht und titulierte seinen gelehrten Gegner in einer neuen Eingabe an den Rat als Cnepio und Cnapio, als unflätigen Wiedehopf, stinkenden Bock, bösen Engel, unflätiges Vieh, Gutzgauch u. dgl. m., daß Cnipius bekannte, er habe viele Schmähungen in griechischen und lateinischen, heidnischen und christlichen Büchern bei Tag und Nacht gelesen, aber eine solche Flut von Schimpfwörtern, Skurrilitäten, Verleum- dungen, Lügen und üblen Nachreden sei ihm bisher noch nicht vorgekommen, der Satan selber müsse dem Herrn Pfarrer die Feder geführt haben. Es ehrt das Predigerministerium, daß Geltner und Beyer von den würdelosen Auslassungen ihres Amtsbruders nichts wissen wollten 8).
Je mehr die Melanchthonische Denkweise zur Scheide- wand zwischen den Pfarrern der Stadt und Cnipius wurde, desto mehr fand sich dieser in ihr mit den Fremden zu-
1) Vgl. seinen Brief an Johann von Glauburg vom 6. Dezember 1555: Ego salva conscientia meum de farragine illa iudicium inter tot curas et labores dissimulare non potui. Deinde tot convicia, maledicta et anathemata in Christianos Doctores et pias Ecclesias vibrata esse magna cum indignatione vidi, quibus quidem haec inclyta urbs, tam liberalis et benigna piorum AUDI: quadantenus infamatur, Bei Steitz S. 232.
2) Brief an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 451.
3) Steitz S. 190—194.
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sammen. Noch besitzen wir von ihm aus den Tagen der Auseinandersetzung mit Saxo einen Brief an Poullain!), der in seinem ganzen Tone Kunde gibt von dem engen, auf Achtung und Vertrauen begründeten Verhältnis zwischen diesen beiden Männern. Veranlaßt ist der Brief durch den Wunsch des Cnipius, die Purgatio a Lascos zu verdeutschen. Als er zwei oder drei Seiten weit gekommen war, überzeugte er sich, daß er bei der beständigen Bezugnahme des Ver- fassers auf die Augustana ohne deren deutschen Wortlaut nicht auskomme, ne si alicubi disereparem non in sententia, sed in verbis, dicar ebur atramento candefacere voluisse. Er gab dann nach einigen vergeblichen Versuchen, die deutsche Ausgabe der Konfession bei Poullain oder einem der Patrizier zu entleihen, die Arbeit überhaupt auf. Bei Poullain ent- schuldigte er sich mit Arbeitsüberhäufung und seiner ange- griffenen Gesundheit. Calvin gegenüber machte er geltend?), er müsse eine ihm soeben zugegangene Schrift des Stadt- pfarrers zu St. Bartholomäi, Heinrich Pfleger?), die ganz den Geist des Antichrists atme, aus der Bibel und den Vätern widerlegen. Der eigentliche Grund dürfte darin zu finden sein, daß die Purgatio mit ihren rein theologischen, durch- aus irenisch gehaltenen Ausführungen in keiner Weise der gereizten Stimmung entsprach, in der er sich befand.
Das Jahr 1557, welches für den Schulmeister zu den Barfüßern mit so viel Verdruß begonnen hatte, brachte die eigentliche Krise für die von ihm vertretene Denkweise in der Stadt. Der Umsehwung wurde herbeigeführt durch die Enttäuschung, welche der Seigerhandel der Stadt brachte. Das Riesendarlehen, das man den Grafen von Mansfeld auf ihre Kupferbergwerke gewährt hatte, trug der Stadt nicht eine glänzende Verzinsung, sondern eine vermehrte Schulden- wirtschaft ein. Verantwortlich aber machte man für die ver- fehlte Spekulation Claus Bromm, den Schüler und Freund Melanchthons, der 1558 aus dem Rate ausscheiden mußte. Auch Johann von Glauburg, der gleichfalls an der Sache beteiligt war, büßte in der Folge an Ansehen ein. Gleich-
1) Abschrift im Frankfurter Stadtarchiv, Ufib. Mser. Bd. 15. S. 128—131, vom 14. März 1557, Im Auszug bei Steitz S. 189f. Auch der Berieht über die Begegnung Saxos mit Hieronymus Zober S. 193 ist diesem Briefe entnommen,
?) Brief vom 15, April 1557. Calv. Opp. XVI, 452 sq.
3) Der Name ergibt sich aus der: Wetterau I, 129, wonach Pfleger, ein geborener Frankfurter, von 1553—1561 Pfarrer an St. Bartholomäi war. Cnipius schreibt: Scriptor libelli Francofordiensis pastor est sacri- fieulorum in primario templo, híc natus et educatus.
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zeitig taten die Prüdikanten, was in ihren Kräften stand, um Luther, dessen Ansehen im Westen Deutschlands noch sehr gering war, als den tertius Elia zur Geltung zu bringen. Matthias Ritter gab jetzt eine lateinische Bearbeitung der Lutherbiographie des Johannes Pollicarius Cygnäus in Weißen- fels heraus, die ersichtlich für die Patrizier bestimmt war und für alle nicht völlig Blinden Luther als ein auserwähltes Rüstzeug Gottes erweisen sollte, dazu bereitet, um mit großer Kraft und Glauben die wahre Religion aus der Finsternis wieder ans Licht zu bringen, — die „wahre Religion“, welche Melanchthon im Hause Bromms „vor einem Tisch voll Leut“ in der Person des Lutheraners Beyer so hart gescholten hatte!) Die Konsequenzen aber aus der Lutherverehrung für die kirchliche Praxis zog man, indem man nach dem Ausscheiden von Ambach und Lulius aus dem Ministerium sich beeilte, in den jetzt wiederauflebenden kirchlichen Katechisationen den Kleinen Katechismus Luthers einzuführen und damit den Kompromiß-Katechismus, der vor einem halben Menschenalter als das Produkt von soviel Kampf und Mühe zustande gekommen war, preiszugeben?).
Es hatte unter diesen Umständen wenig Bedeutung, daß Cnipius nach dem Wormser Kolloquium im Hause Bromms mit Melanchthon vertraute Zwiesprache pflog und sich von ihm die Richtigkeit seiner Auffassung vom Abendmahl be- stätigen lie8?). Der Stern Melanchthons fing an dem Frank- furter Himmel merklich an zu erbleichen. Johann von Glau- burg hielt zwar bis zuletzt an seinem Wittenberger Freunde fest, und während seine Beziehungen zu Calvin erkalteten, gegen den er gelegentlich den Verdacht der Voreingenommen- heit äußerte*), erbat er sich von Melanchthon noch in dessen letzten Tagen ein Gutachten in dem Streit der Frankfurter Fremdengemeinden, zu dessen Schiedsrichter er bestellt war’).
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1) Vgl. K. Bauer, Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. S 583—565.
2) Vgl. die Ratsprotokolle vom 11, und 16. März, sowie vom 7 und 29. April. Die Prüdikanten teilten dem Rate nur ihr Vorhaben mit, „den Catechismum“ auf die Sonntage in der Kirchen (in den Nach- mittagspredigten) anzurichten Daß sie beabsichtigten, von dem offiziell eingeführten Frankfurter zu dem Kleinen Lutherischen Katechismus überzugehen, verschwiegen sie.
3) Brief an Calvin vom 2, April 1558. Calv. Opp. XVII, 121. Steitz, S. 196f.
*) Vgl. den Brief des Dathenus an Calvin vom 11, April 1560, Calv. Opp. XVIII, 44.
5) Frankfurter Stadtarchiv: Mglb. F. 16 Nr. 1.
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Aber für die Haltung des Rates und vollends der Geistlich- keit war damit nichts entschieden. Von dem Rückgang des Einflusses Melanchthons auf das offizielle Frankfurt brachte das Jahr 1559 eine charakteristische Probe!). Um die Seel- sorge nach dem Abgange Saxos nicht notleiden zu lassen, dessen Stellung im. vorigen Frühjahr endlich unhaltbar ge- worden war?), beschloß der Rat die Anstellung eines Nach- folgers und wandte sich am 16. März eines geschickten, taug- lichen Prädikanten halben an Melanchthon. Dieser faßte nach Rücksprache mit.Paul Eber den Prediger David Voit in Jena ins Auge, der ihm als ein Mann von recht christlichem Ver- stand, gottesfürchtig und friedliebend bekannt war und eben damals eine Veränderung anstrebte, um den Streitigkeiten mit Flacius zu entgehen. Der Eintritt Voits, der bald darauf nach Königsberg ging, in den Frankfurter Kirchendienst hätte wohl der Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse hier in der Richtung des Gnesioluthertums einen Riegel vor- geschoben. Aber eben das lief den Interessen Beyers und Ritters zuwider. Ihnen lag alles daran, die Homogenität ihres Kollegiums zu erhalten, die mit dem Ausscheiden von Ambach und Lulius erst kürzlich hergestellt worden war. Als sie Kunde davon erhielten, daß Melanchthon ihren neuen Kollegen nominieren solle, beeilten sie sich, ihrerseits den kommenden Mann zu bestimmen. Es geht ganz offensichtlich auf ihr Betreiben zurück, daß der Rat die erbetene Antwort Melanchthons gar nicht erst abwartete, sondern drei Tage vor ihrem Eintreffen, am 13. April, Petrus Elfeldt in Eltville berief, der sich alsbald eng an Beyer anschloß. Damit war dem Philippismus der Eingang verwehrt und die Frankfurter Kirche endgültig an Westphal ausgeliefert. Melanchthon, dem man „seins angewanten vleiß halben“ dankte, schrieb am 9. Mai zurück: „Nu ist mir am liebsten, das ewre kirchen seer wol versorget sind mit christlichen vnd friedliebenden predieanten .... Ich bitt auch ewr erbarkeit, sie wollen nicht vnnotig gezenk erregen lassen.“ Es waren die letzten Zeilen, die der Rat von seinem alten Vertrauensmann er- hielt. Den Gang der Ereignisse haben sie nicht aufgehalten.
Der einzige Träger des Philippismus in der Stadt war jetzt nur noch Onipius. Es war ganz folgerichtig, daß die Prädikanten, die seit dem Frankfurter Rezeß keinen Anlaß fanden, gegen die Fremdengemeinden vorzugehen, ihre ganze
1) Vgl. für das Folgende Steitz bei Classen, Über die Beziehungen Melanchthons zu Frankfurt a. M. S. 35—40. 2) Er hatte auf offener Straße den Vikar Palladius zu St. Bar- tholomäi mißhandelt. Steitz S. 194f. . " Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 5
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Kraft gegen ihn zusammenfaßten. Als Streitpunkt mußte das Abendmahl dienen. Jahrelang!) war der humanistische Schul- mann der heiligen Feier fern geblieben. Endlich ließ er sich von einigen Ratsherren bestimmen, sich anzumelden, und reichte am 18. Januar 1559 bei Marcus Sabander eine schrift- liche?) Confessio de Coena Domini ein. Mit der zweiten Ausgabe der loci Melanchthons?) versicherte er: Nec author, nec assertor ullius novi dogmatis esse volo, quod non habet Ecclesiae veteris probata testimonia. Non enim contemno Ecclesiae Catholicae iudicium et authoritatem. Voraus schickte er eine Reihe von Sätzen, in denen er mit den Prädikanten übereinstimmte: Tenemus fideliter hune panem et hoc vinum esse corporis et sanguinis Christi Sacramentum, in cuius sumptione... filius Dei vere adest et testatur, se applicare credentibus sua beneficia et se assumpsisse humanam natu- ram propter nos, ut nos quoque sibi insertos fide membra sua faciat, et nos ablutos esse sanguine suo. Die Sakra- mente dienen der Stärkung des Glaubens, wirken aber nicht ex opere operato, sondern nur eum fide. Der Charakter des Abendmahls als einer eöxagıoria kommt ebenso zur Geltung wie der einer Gemeinschaitsfeier. Dann aber setzt sich die Confessio in Gegensatz zu den Gesinnungsgenossen West- phals, indem sie die These verficht: bonos tantum edere Christum. Die Autoritäten sind auch hier die alten Väter. Mit Origenes folgert Cnipius: Wäre es anders, so würde Joh. 6, 51 hinfällig: quisquis ederit panem hune, vivet in aeternum, Und mit Augustin und andern macht er den Unterschied: bonos et malos corpus et sanguinem Domini in sacra Coena pariter sumere sacramentaliter seu ... sacra- mentotenus, bonos autem duntaxat revera corpus Christi edere. Oder: Deus... dat etiam plenum Sacramentum im- . plis: at vero Sacramenti rem .... impii habere non possunt. Unter Berufung auf die Väter definiert er: Sacramentum non
1) Nach dem Schreiben der Prádikanten an den Rat vom 18. April 1559 (Steitz S. 180) war er „erstlich“ bei ihnen zum Nachtmahl ge- gangen. Er selber schrieb am 18. September 1559 an Calvin: Non paucos hie egi annos cum literatis adolescentibus in schola nostra, et tamen & mensa dominica propter causas tibi non ignotas constanter abstinuimus. Calv. Opp. XVII, 642. |
3) Die Angabe von Steitz S. 199, ein zuerst angebotenes münd- liches Glaubensbekenntnis habe den Prüdikanten nicht genügt, ist nach dem Brief an Calvin zu berichtigen, demzufolge Cnipius ihnen die Wahl zwischen einem mündlichen oder einem schriftlichen Bekenntnisse ließ. Die Confessio ist abgedruckt von Steitz, S. 289—244,
2) Corp. Ref, XXI, 479. Vgl, Steitz S. 241 Anm. 9,
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est reale et naturale seu verum corpus Christi, sed recte appellatum est corpus Christi propter analogiam et convenien- fiam inter Sacramentum et res Sacramenti, Auch des Syllo- gismus bediente er sich nach dem Vorbilde Melanchthons und wiederholte dabei den Schluß, mit welchem er bereits vor zwei Jahren!) Ritter in Verlegenheit gebracht hatte: Quiequid Christus confutavit, falsum, perniciosum et impium est. Christus confutavit opinionem illam de carnali mandu- catione veri ef naturalis sui corporis. Igitur opinio illa de carnali manducatione veri et naturalis corporis Christi falsa, pernieiosa ef impia est, ac proinde ex Diabolo, qui mendax est mendaciique pater, profecta.
Was die Prädikanten unter einem Bekenntnis vom Abend- mahl verstanden, war dieses Schriftstück mit seinen Beweis- führungen nicht. Um Beweise und Gründe war es ihnen überhaupt nicht zu tun, sondern um feste Formeln. Deshalb verwiesen sie Cnipius auf die Wittenberger Konkordie und die Augustana und vertrösteten ihn mit seinen Argumenten auf ein künftiges Kolloquium. Da er sich indessen damit nicht abfertigen ließ, so kam es zu einer Aussprache Beyers und Ritters mit ihm, das zwar die Formen der Höflichkeit
nieht überschritt, aber zu keinem Ergebnis führte. Er fand
es daher jetzt angezeigt, sein Abendmahlsbekenntnis an Me- lanchthon zu schicken und sich die Korrektheit seines Stand- punktes bezeugen zu lassen. Auf Grund des Zeugnisses, das er daraufhin durch Peucer erhielt, wandte er sich dann?) mit einer Beschwerde an den Rat und bat, „sie wollten die viel- gemeldten Diener des Worts und Prädicanten dazu halten,
daß sie mich samt den Meinen zum Nachtmahle lassen, wie
andere Christenleute“. Er erreichte damit freilich nur, daß Beyer die Sache jetzt zum Gegenstande einer Kanzelpolemik machte und der Gemeinde predigte, die Sakramentsschwär- merei sei auch in die Schulen gekommen; von den hoch-
gelehrtesten Bekennern des wahren Evangeliums, so zu dieser
Zeit auf Erden lebten, redete er als von Schwärmern und Sakramentierern. Cnipius blieb die Antwort natürlich nicht schuldig. In seinem Schreiben vom 23. Mai erinnerte er den Rat mit Bezug auf den „greulichen capernaitischen Irrthum“ Beyers, Melanchthon und Bucer hätten „aus Gottes Wort und
!) Brief an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 452,
2) Nicht „gleichzeitig“, wie Steitz S. 200 geschrieben hat. An Melanchthon hatte er sich vorher („priusquam“) gewendet. Brief an Calvin vom 18, Sept, 1559. Calv. Opp. XVII, 642. Die Antwort aus wittenberg lag ihm am 11. April vor, Vgl. seinen von diesem Tag astierten Brief an den jüngeren Johann von Glauburg, bei Steitz, S. 236.
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der alten Lehrer Schriften klärlich beweist, daß der recht natürlich Leib Christi nit ist in der Welt hie auf Erden, sondern er ist und bleibt im Himmel bis zum jüngsten Tag. Auch haben sie nachmals geschrieben, daß keine ungläubige Gottlosen des lebendigen Gottes Tempel seien. Daraus folgt unwidersprechlich, daß ein geistliche Nießung des wahren Leibs und Bluts Christi im Abendmahl des Herrn ist und empfähet der ungläubig Gottlose nur das äußerlich Sacrament zum Gericht.“ Auch das gab er zu bedenken: „So Lutherus sein liebstes und bestes Buch, die Postill, schier alle Jahr verändert und gebessert, und damit das vorige antiquirt, das ist abgethan und verworfen hat, daß man unbillig, ja wider Gott und Recht die frommen Christen schmähet und lästert, welche nach erkannter göttlicher Wahrheit irgend einen Artikel menschlicher Schriften oder Vereinigung ver- lassen und verwerfen.“
Da es die Prädikanten vorzogen, statt diese Gedanken- gänge als irrig zu erweisen, lieber die ihnen geläufigen Ketzernamen auf Cnipius anzuwenden, fand es dieser jetzt an der Zeit, mit einer deutschen Übersetzung seines Abend- mahlsbekenntnisses und sechs ausführlich begründeten Thesen!) an den Bürgermeister Humbracht heranzutreten, der diese Schriftstücke im Rate verlesen ließ. Aber nur quinque pie docti erklärten sich mit ihnen einverstanden. Sie wurden überstimmt durch die homines indocti stolidique. Die Losung kam — bezeichnend für die Gestaltung der Lage — von der Handwerkerbank, deren Wortführer schalt: non ess concedendum ut invitis ecclesiastis, receptae confession; Augustanae propugnatoribus unus ludimagister ecelesia reformaret et civitatem. Daß sich Cnipius bei dieser En, scheidung nicht beruhigte, sondern sich in lateinischen un deutschen Schriften an seine Gesinnungsgenossen wandte war selbstverständlich. | :
3) Calv. Opp. XVII, 642 sq.: Primus articulus erat: de vero et naturali corpore Christi non in terra quaerendo, sed in coelo. Secundus demonstrabat aliud esse panem Dominum, aliud vero panem Domini.... Tertius articulus habebat veram expositionem verborum coenae ex capite 6 Joannis et probatissimis ecclesiae doctoribus desumptam et quod contra praedieta omnia sacris eloquiis confirmata vanum et ab- surdum sit opponere argumentationem de omnipotentia Dei, Quartus erat articulus de spirituali cibo et potu corporis et sanguinis Domini. Quintus docebat hune a nullo homine, i. e. nallius ministri manu posse dari sed ab ipso Christo Domino per spiritum sanctum. Sextus articulus evincebat sacramenta quidem piis et impiis convivis mensae Domini communia esse sed rem et virtutem eorum ad impios non pervenire.
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Inzwischen hatte der Handel noch ein Nachspiel für |
Humbraeht. Als dieser im Spätjahr zum Abendmahl gehen wollte, hielt er es für ein Gebot der Ehrlichkeit, den Prädi- kanten zu erklären, er könne ihre Lehre vom Abendmahl nicht in allen Teilen für richtig halten. Den Prädikanten war es wohl nur willkommen, gerade an dem Bürgermeister der Stadt ein Exempel zu statuieren und vor aller Offent- lichkeit zu zeigen, daß nicht die Gesinnungsgenossen Me- lanchthons unter den Laien, und wären sie noch so hoch gestellt, sondern allein sie selber über den dogmatischen Charakter der Stadt zu entscheiden hätten. Sie wiesen dem- gemäß Humbracht vom Altar zurück!) Es war umsonst, daß Johann von Glauburg an die christliche Milde Ritters appellierte, und ihn warnte, zum Urheber von Spaltungen zu werden. Das Ministerium beharrte bei seiner Entscheidung. Humbracht konnte nur brieflich seinen Gefühlen Luft machen: „Wie ganz anders unser Hirte und Meister, den sie doch preisen! Wenn der eins von seinen Schäflein verloren hat, läßt er es nicht fahren, sondern läßt die neunundneunzig zurück und rastet nicht, bis er das verlorene gefunden. Mögen sie immerhin mich ausschließen, mit Gleichmut trage ich ihre papistische Anmaßung, halte ich mich doch über- zeugt, von Christo nicht ausgeschlossen zu sein, und freue mich, mit seinen Erwäblten sein Angesicht zu schauen ’?)“
Coipius blieb inzwischen nicht müßig. Zunächst sorgte er dafür, daß sein Abendmahlsbekenntnis auch anderswo be- kannt wurde. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und der Schweiz ließ er sich seine Verbreitung an- gelegen sein?) Dann ging er daran, eine deutsche Schrift über das Abendmahl zu schreiben, deren Vollendung er am 11. November Johann von Glauburg mitteilen konnte. Er war so zufrieden mit ihr, daß er sie drucken ließ: „Kurtzes Bekenntnis vom Nachtmahl des Herrn“ (21. Januar 1561)*). Außerdem veröffentlichte er noch im Jahre 1560 zwei latei-
1) Brief des Cnipius an Calvin vom 18, Sept. 1559, Calv. Opp. XVII, 643,
*) Steitz, Hartmann Beyer S. 122f., wo jedoch die Zeitangabe (wie öfters bei Steitz) fehlt.
s) Vgl. den Brief an Johann von Glauburg vom 11. November 1559. Bei Steitz, S. 285. Aus dem Vergleich des Datums dieses Briefes mit dem folgenden (an den jüngeren Glauburg, vom 11. April) ergibt sich, daß diese Versendung seiner Confessio nicht, wie Steitz S. 200 annahm, gleichzeitig mit dem Schreiben an Melanchthon, sondern erst im Spät- jahr erfolgte.
*) Vgl. Act. eccl, IV, 4 vom Jahre 1561,
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nische Schriften über den gleichen Gegenstand unter dem Titel: Christiana eonfessio de coena Domini exhibita nuper quibusdam Theologis und De coena Domini veritas Catholica, in gratiam studiosae juventutis methodice tractata!). Die erste Schrift war, wie der Titel zeigt, eine Überarbeitung seiner Konfession, in der er jetzt den Stoff in vier Artikel gegliedert hatte: 1. Christi Leib ist nicht allgegenwürtig. 2. Der Genuß des wahren Leibes und Blutes Christi ist ein geistlicher. 3. Die Ungläubigen können darum den wahren Leib und das wahre Blut Christi nicht in sich aufnehmen. 4, Gott, der über alle Kreatur ist, kann nicht mittelst kreatürlicher Stoffe bei uns Wohnung machen. In der Be- gründung des ersten Artikels kehrte dasselbe Argument wieder, dessen sich einst schon Poullain mit Erfolg gegen Matthias Ritter bedient hatte?): Christi natürlicher Leib. ist eine Kreatur; die Allgegenwart kommt aber nur Gott und der göttlichen Natur zu; also kann der wahre und natürliche Leib Christi nicht allgegenwärtig sein. Die zweite Schrift kleidete er in die Form von Fragen und Antworten, wobei er die herkömmlichen logischen Kategorien auf seinen Gegen- stand anwandte: „er fragt nach seinem Begriff, seiner be- wirkenden, anlaßgebenden, materialen, formalen und finalen Ursache sowie nach seinem Effect; und unterwirft darnach die verschiedenen abweichenden Auffassungen desselben einer eingehenden Kritik“ (Steitz).
Da ihm an der Ueberwachung des Druckes offenbar ge- legen war, eine Druckerlaubnis in der Stadt aber nicht in Frage kam, so machte die Drucklegung Schwierigkeiten. Schließlich fand sich ein welscher Buchdrucker bereit, die Schrift ohne Angabe des Druckortes zu veröffentlichen gegen die Zusage von Cnipius, ihn im Falle der Anzeige schadlos zu halten?) ^ Cnipius bediente sich auf dem Titel des Pseudonyms Johannes Candidus. Trotzdem gelang es der Findigkeit der Prädikanten, wohl mit Hilfe Peter Brubachs, Verleger und Verfasser zu ermitteln. In ihrer Eingabe vom 21. August 1560*), in der sie sich über eine Schrift von
1) Bei Steitz S. 208. Ein Bruchstück von dem Manuskript der ersteren Schrift findet sich in den Act. eccl. IV, 140a vom Jahre 1560, ein Druck in den Act. ref, V, 114a.
?) Brief Poullains an Calvin vom 16. Juli 1556. Calv. Opp. XVI, 230 8qq.
8) Act. ref. I. Bl. 179. Hieran scheitert die Vermutung von Steitz S. 217, die Schrift sei in der Druckerei Christian Egenolfs, des Freundes Melanchthons, erschienen, in der der jüngere Cnipius tätig war.
4) F. R. II. Beil. 30. S. 289f.
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D. Justus Velsius zu äußern hatten, zeigten sie dem Rate an, daß der Schulmeister zu den Barfüßern in den zwei pseudonym von ihm veröffentlichten Büchlein die rechte Lehre vom hl. Naehtmahl nicht allein heftig anfechte, sondern auch wohl lästere, obwohl ihm der Rat mehrmals befohlen habe, seiner Schulen zu warten und der Prüdikanten Lehre und Amt, darüber er keinen Befehl habe, zufrieden zu lassen.
Im Hintergrunde sahen sie die Gónner von Cnipius, die auch .
zu Zank und Unruhe neigten und solches hießen und för- derten: ein Ausfall gegen die Philippisten im Rate, der be- weist, wie sehr deren Einfluß, zumal seit dem Ausschlusse Humbrachts vom Abendmahl, zur Bedeutungslosigkeit herab- gesunken war. Während aber die übrigen Wünsche der Prüdikanten sämtlich erfüllt wurden, sah man von irgend welchen Maßregeln gegen Cnipius völlig ab!) Das hatte seine Berufung auf Melanchthon doch bewirkt, daß man Be- denken trug, sich mit einer Entscheidung gegen ihn dem Scheine auszusetzen, als verurteile man seinen Meister, der so lange Jahre das höchste Ansehen bei dem Rate genossen hatte.
Unter der Hand freilich scheint man ihm nahe gelegt zu haben, seinen Frieden mit den Prädikanten zu machen. Wenigstens machte er im Januar 1561 noch einen letzten Versuch, seine Zulassung zum Abendmahl zu erwirken. Wieder kam es zu langen Verhandlungen, die sich zuletzt doch zersehlugen?) Ein Jahr später erbat er seine Ent- lassung aus dem Dienste der Stadt, die ihm am 26. Februar 1562 gewährt wurde?) Seine weiteren Schicksale sind un-
" bekannt, Mit ihm war der letzte Rest des philippistischen
Sauerteiges aus Frankfurt ausgefegt.
3. Das Verbot des reformierten Gottesdienstes?).
Am 18. September 1559 schrieb Cnipius an Calvin: Tali in statu res nostra ecclesiastica diu perseverare non
poterit?) Es war in der Tat auf die Dauer kein haltbarer
Zustand, daß die weitherzigen Ideen der Humanisten mit
1) Vgl. die Ratschlagungen vom 14. und 22. April 1561. Act. ref. I, Bl. 178f.
?) Steitz S. 205.
3) Ebenda S. 206.
4) Vgl. für die Einzelheiten meine Dissertation: Die Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Jahre 1561. Münster i. W. E. Obertüschen. 1925.
5) Calv. Opp. XVII, 643.
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den festumrissenen Tendenzen der lutherischen Zeloten in beständiger Fehde lagen. Die Entscheidung, auf welche die ‚Verhältnisse drängten, lieb denn auch nicht lange auf sich warten. Sie fiel freilich ganz anders aus, als Cnipius er- wartet hatte. Die Prädikanten setzten es schließlich durch, daß den Fremden die Weißfrauenkirche wieder entzogen wurde. |
Beyer und seine Kollegen ertrugen es auf die Dauer nicht, daß durch den Frankfurter Rezeß ihrer Polemik gegen die Fremden der Boden entzogen worden war. Sie benutzten daher das von ihnen eingeforderte Gutachten über „die Summa Christlich Lehre und Lebens“ von Justus Velsius, das sie am 21. August 1560 dem Rate tbergaben!), um nicht nur über Cnipius, sondern auch über die Fremden ihre alten Klagen wieder vorzubringen: Dieweil sie sähen, daß der Neuerung und Rottierung in dieser Stadt noch kein Ende sein wolle, und es ihnen Amts halben gebühre, auf die Herde Christi allhie acht zu haben, müßten sie den Rat von dieser Sachen etwas weiter erinnern. Unter Hinweis auf den Bauernkrieg und die Vorgänge in Münster malten sie ein düsteres Bild von der nächsten Zukunft: „Alle jrrige Geister, die sonst nirgendt bleiben können, die finden sich hieher, vnnd haben Ihren vnderschleyff vnder Ihren Brüdern, vnnd aller Pöbell, der sonst auf andern vrsachen vertrieben wirt, kompt vnder dem schein des Euangelii, vnnd verkreucht sich vnder die andern, .... sie feiren nit, unnd jhre Lehr, wie der Apostel schreibt, frisset vmb sich, wie der Krebs, wie wir wohl an vnBerer Kirchen spuren, derhalben besorgen wir, woh man nif wirt drein sehen, so werde man erfaren müssen, wie inn kurtzer Zeit ein grosser theyl vnferer Burgerschafft inn Ihre Irthumb werden gerathen, vnnd vnsere Kirche dagegen abnemen, alDdann werden auch grosse spal- tung vnd vneynigkeyt folgen müssen, daß zu fürchten, dab alßdann solch vneynigkeyt ein Oberkeyt dieses Orts (als die wol selber darüber mag zertrennet werden) nit mehr stillen können, vnnd wol ein frembder Gewalt solche werde ent- setzen müssen.“ Um das zu vermeiden, empfahlen sie, die Fremden auf die Augustana und zur Annahme der Frank- furter Zeremonien zu verpflichten oder ihnen, falls sie sich dessen weigerten, die Kirche zu schließen.
Der Rat legte diese Eingabe einstweilen zurück, bis der schwer erkrankte Bürgermeister Völcker wiederher- gestellt war. Wenn Dathenus?) daneben noch von anderen
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1) F. R. II. Beil. 80. S. 288—290. ?) Erzehlung. Cap. 3. 83. F.R. II. Beil. 16. S. 150,
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Gründen für die Verzögerung der Entscheidung redet, so werden wir dabei vor allem an die neuen Bemühungen um eine Einigung der deutschen Protestanten zu denken haben, die zu dem Naumburger Fürstentag führten.
Der Frankfurter Rezeß hatte nicht die erhoffte Wirkung gehabt. Trotzdem war der Herzog Christoph von Württem- berg in seinem Eifer um das Einigungswerk nicht erlahmt. Erst neuerdings (1560) hatte er bei einer Zusammenkunft in Hilsbach den Kurfürsten von der Pfalz, den Herzog von Sachsen und den Pfalzgrafen Wolfgang für den bereits früher gemachten Vorschlag gewonnen, die Augustana von 1530 mit neuer Vorrede und Schluß von allen Kurfürsten, Fürsten, Grafen, Herren und Städten unterschreiben zu lassen und dem Kaiser zu übergeben. Die ersten Vorbereitungen zu einem solchen gemeinsamen Schritte, an dem jedoch die Theologen nicht beteiligt sein sollten, hatten gerade statt- gefunden, als die Schrift der Prädikanten bei dem Rate ein- tra Es lag daher für diesen nahe, zunächst den Verlauf dieser Verhandlungen abzuwarten, die vom 21. Januar bis zum 7, Februar 1561 in Naumburg stattfanden, Sie führten dazu, daß die Fürsten sich aufs Neue unterschriftlich zu der Augustana bekannten, und zwar sowohl zu der Invariata, : als auch zu der Variata, von denen die eine die Auslegung der anderen sein sollte, Uber das Abendmahl wurde in Anlehnung an den Frankfurter Rezeß neben der Verwerfung der Transsubstantiation erklärt: „Daß im Abendmahl des Herrn Christi ausgeteilet und empfangen werde der wahre Leib und Blut des Herrn Christi, nach Inhalt der Worte im Evangelio: Nehmet hin und esset, das ist mein Leib usw. Und daß der Herr Christus in der Ordnung solches seines Abendmahls wahrhaftig, lebendig, wesentlich und gegenwärtig sei, auch mit Brot und Wein, also von ihm geordnet, uns Christen sein Leib und Blut zu essen und zu trinken geben und sowohl nichts Sakrament sein kann außerhalb dem Brauch der Nießung, wie es von dem Herrn Christo selbst eingesetzt. Also lehren auch gleichergestalt diejenigen un- recht, welche sagen, daß der Herr Christus nicht wesentlich in der Nießung des Nachtmahls sei, sondern daß dieses allein ein äußerlich Zeichen sei, dabei die Christen ihr Bekenntnis tun und zu kennen seien.*!) Wie den übrigen oberdeutschen Städten, wurde die Augustana mit der Naumburger Präfation durch den Kurfürsten von der Pfalz auch an Frankfurt be- kannt gegeben. Hier verfolgten auch die Fremden aufmerk- sam den Gang der Verhandlungen und bedauerten, dab die
1) Calinich, Der Naumburger Fürstentag 1561. S. 170.
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Stände zu den Artikeln, denen sie nur mit Vorbehalt zu- stimmen konnten, keine genauere Erklärung gegeben hatten’). Der Rat aber war infolge der Schwierigkeiten, die sich be- reits in Naumburg ergeben hatten, gegen das ganze Einigungs- werk mißtrauisch. Daß die Aufforderung zur Unterschrift gerade von dem Pfälzer Kurfürsten kam, der in Naumburg mit seiner calvinistisch - melanehthonisehen Anschauung zu- letzt ganz isoliert dagestanden hatte, mußte die Bedenken naturgemäß nur noch vermehren. Und als nun der kur- pfälzische Rat Eheim sein Ansuchen vorbrachte, fand man es zunächst geraten, die verbesserte Konfession einer ge- nauen Prüfung zu unterziehen und die ganze Frage einer gründlichen Beratung zu unterwerfen?) Auch hielt man es für gut, festzustellen, welche Stände die Konfession unter- schrieben und besiegelt hätten. Das Ergebnis der Beratungen wurde dem Kurfürsten am 4. September mitgeteilt*). In den Kirchen des Rats sei, wie allgemein bekannt, die rechte und wahre, lautere evangelisch - christliche Lehre nach der Augustana seit mehr als dreißig Jahren unwandelbar ge- predigt worden. Auch auf den Reichstagen und sonstigen Versammlungen habe die Stadt zu diesem Bekenntnisse sich einmütiglich gehalten und ebenso vor Kaiser Karl, seinem Nachfolger, allen Ständen und zuletzt noch in dieser Fasten- messe vor dem päpstlichen Legaten, der sie zur Beschickung des Konzils habe bestimmen wollen, sich unverbrüchlich dazu bekannt. Sie hielten hiernach die weitere Erklärung und Unterschrift der Augustana nicht für nötig. Der Kurfürst möge es ihnen daher zugute halten, wenn sie ihm in dieser Sache nicht zu Willen seien. Sie gedächten dabei nicht, sich von den übrigen Augsburgischen Konfessionsverwandten abzusondern, auch sei ihnen die Naumburger Präfation und Schluß nicht zuwider. Die ganze Antwort entsprach der vorsichtigen Haltung, welche der Rat von jeher in seiner Kirchenpolitik beobachtete, und die ihm gerade jetzt umso mehr geboten schien, als er die kirchliche Lage nach wie vor für äußerst unsicher ansah‘),
1) Optassemus ipsos Principes, quemadmodum proxime Naum- burgi constitutum esse intelligimus, Augustanae Confessionis locos aliquos obscuros exposuisse, schrieben sie dem Rate am 19. Juli 1561. F. R. I. Beil. 39. S. 72.
2) Vgl. Bürgermeisterbuch vom 24, und 29. Juli 1561. Bl. 49—50a. 51a. 53a. Ratschlagungsprotokoll vom 1. August 1561. Bl. 191 b—192a.
3) F. R. I. Beil. 49. S. 82.
4) Charakteristisch für die Skepsis, mit der man in Frankfurt auch nach dem Augsburger Religionsfrieden noch den kirchlichen
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Diesen Hintergrund der allgemeinen kirchlichen Ver- hältnisse muß man im Auge behalten, wenn man die Ent- wiekelung der Dinge verstehen will, die sich gleichzeitig in Frankfurt vollzog. |
Hier kam der Stein ins Rollen durch Streitigkeiten in der französischen Gemeinde, die aus Anlaß der kirchlichen Erneuerungswahlen zu Beginn des Jahres 1559 ausgebrochen waren und sich hauptsächlich um die Kirchenzucht drehten!). Der Rat, an den die Sache gelangte, setzte eine Kommission ein, die im September 1560 im Einvernehmen mit dem Rate ihr Urteil sprach. Damit war indessen die Angelegenheit noch nicht erledigt. Am 18. März 1561 kam der Rat noch- mals auf sie zurück und stellte das Urteil der Kommission den Advokaten zur Außerung zu. Gleichzeitig beschloß er, „den Welschen Ihre Kirch, so sie ein Zeit hier ingehabt, zu- schließen, doch die Execution deßelben auß bewegenden vrsachen biß nach Ostern einstellen vnd beruhen lassen“ ?), — man fürehtete offenbar unliebsames Aufsehen auf der Ostermesse.
Indessen trug man doch Bedenken, diesen Beschluß, der „ein raw Ansehens haben möchte“, uneingeschränkt auf- recht zu erhalten. Man kam daher am 14. April nochmals auf die Angelegenheit zurück, wobei man sich besonders auf die noch unerledigte Eingabe der Prädikanten bezog. Indem man jetzt auf einen gelinderen Weg sann, hielt man es für ratsam, „dz für das erst den welschen Predieanten (welche zu solcher Vnruhe nit die geringste Vrsach gegeben) gesagt werden soll, der Cantzel vnd def Predigens bib auff EErb. Raths weitteren Bescheid müssig zu stehen. Daß auch die Welschen füro hin kein Predicanten mehr vfistellen sollen, Sie haben denn zuvorderst lhres glaubens Lehr vnd Cere- monien halben gegen EErb. Raths Predicanten Ihre Bekennt- nus gethan vnd seyen durch dieselbe examinirt worden vnd
Verhültnissen gegenüberstand, sind die Verhandlungen vom 6, No- vember 1559 über die Frage, ob nicht das Vermógen des Katharinen- und Weißfrauenklosters eingezogen werden sollte, um davon die Prädi- kanten, Schulen und andere christliche Ministeria zu erhalten. Die Advokaten rieten davon ab, u. a. mit der Begründung, „das solche sachen mit ordentlichem rechten nit mochten erhalten noch verteidigt werden, vnd ob schon deswegen bei dem Pabst vmb Consens ange- halten oder etwas erlangt, das es doch zu andern Zeiten, wan sich die leufdt endern solten, dan sich nit halten wurde“. Rat- schlagungs-Prot. 1551—1568. Bl. 178—179.
1) K. Bauer, Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. S. 60ff.
2) Laut Bürgermeisterbuch. Vgl. Act. ref. I. Bl. 176.
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zu solchem Ampt geschickt vnd tuglich geachtet. Also soll es auch mit jetzigem Ihrem Predicanten, ob sie anders vermeinen wider auffzustehen vnd zu predigen, gehalten werden!) Demgemäß wurde am 22. April beschlossen, die welsehen Prädikanten hätten sich fortan des Predigens gänz- lich zu enthalten, bis sie sich mit den hiesigen Prädikanten in allen Stücken gänzlich verglichen und vereinigt hätten?) Dieser Beschluß wurde sogleich am andern Tag den Pre- digern und Altesten der beiden Gemeinden durch den Bürger- meister Vüleker eröffnet, der noch hinzufügte, sie dürften auch keine Altesten und keine Kirchenzucht mehr haben sondern müßten alles, was sie da zu verhandeln pflegten, vor ihn und den Rat bringen?).
Als einen vollen Sieg konnten die Prädikanten den Be- schluß vom 22. April nicht buchen. Es war ihnen nicht ge- lungen, ein bündiges Verbot des Gottesdienstes der Fremden zu erwirken, wie es am 18. März in Aussicht genommen worden war. Soweit hatte der Einfluß der Minorität doch gereicht, daß der Gottesdienst nur auf Zeit verboten wurde. Der Rat ließ die Frage, welche Seite Recht habe, als nicht lokalen, sondern prinzipiellen Charakters überhaupt offen und stellte sich, worauf der wallonische Prädikant Philippi bald genug aufmerksam machte*), lediglich auf den Standpunkt daß es nicht angehe, in einer und derselben Stadt zwei ver- schiedene Kulte zuzulassen, die beide behaupteten, dem lau- teren Evangelium zu entsprechen. Hierin stimmten die Fürsten- berger mit den Glauburgern, die Geschlechter mit der Hand- werkerbank überein. Indem man sich aber so schließlich auf einen Kompromib einigte, mußte man auch alle Nach- teile eines solchen mit in Kauf nehmen. Nachdem man ein- mal auf das am 14. April ins Auge gefaßte Glaubensexamen vor den Prädikanten verzichtet hatte, fehlte es vor allem an einer klaren Bestimmung darüber, wie die wünschenswerte „Vergleichung und Vereinigung“ zustande kommen sollte. Die Fremden strebten sie für den Fall, daß sie nicht all- gemein von einer Synode herbeigeführt würde, auf dem Wege einer gegenseitigen Aussprache an. Die Prädikanten ihrerseits verlangten, daß die Fremden sich ohne Vorbehalte und Umschweife einfach auf die Augustana verpflichteten,
1) Act. ref. I. Bl. 177—178.
2) Act. ref. I. Bl. 179.
3) La défense usw. 1—3. Dathenus, Erzehlung Cap. IIT. $ 3. F. R. II, Beil. 16. S. 150.
4) In der Widmung seiner (anonymen) Schrift La défense an den Kurfürsten von der Pfalz.
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so wie diese von der Westphal- Beyerschen Richtung ver- standen wurde. Es blieb der Zukunft vorbehalten, ob man auf die Bedingung des Glaubensexamens zurückkommen wollte.
Daß in der Tat ganz entgegengesetzte Kräfte und An- schauungen hinter dem Beschlusse des Rates standen, zeigen die Gutachten der beiden Advokaten Fichard und Burck- hardt, die zu dem Schreiben sich zu äußern hatten, mit welchem die Fremden zu dem Ratsdekret am 7. Mai Stellung nahmen.
Fiehard!) erkannte, daß man den Fremden, wenn man sie in der Stadt behalten wolle, wie bisher ein eigenes Kirehenwesen zugestehen müsse, und prüfte deshalb die Frage vor allem unter dem theologischen Gesichtspunkte. Den Hauptgegensatz fand er in den beiden Fragen, 1. ob Leib und Blut Christi nicht blof wahrhaftig, sondern auch wesentlich, d. h. leiblich und fleischlich im Abendmahl gegen- wärtig sei, und 2. ob die Gottlosen ebensowohl, als die Gott- seligen des Herrn Leib und Blut nicht bloß sakramentlich, sondern wahrhaftiglich empfingen. Er riet, die Fremden auf Artikel 10 der Augustana und, da sie doch nicht für die Apologie zu gewinnen sein würden, auf die Wittenberger und Frankfurter Konkordie zu verpflichten, wobei er noch darauf aufmerksam machte, daß die Wittenberger Konkordie nicht von den Gottlosen, sondern von den Unwürdigen rede. An den Zeremonien der Fremden fand er es ärgerlich, daß sie das Abendmahl mit Oblaten, die sie brachen, und mit Gläsern feierten, wodurch sie den Verdacht erweckten, sie würdigten es herab und hielten es für lauter Brot und Wein. Da die Zeremonien selbst dem Werke nichts gäben oder nähmen, so sei es am besten, sich in ihnen der Frank- furter Kirche anzuschließen, die fast mit dem ganzen evan- gelischen Deutschland übereinstimme. Den Gemeinden ihre Kirchenzucht zu nehmen, hielt Fichard nicht für rätlich, da durch sie dieses Volk in Furcht, Zucht und Geborsam ge- halten werde. Jedenfalls aber müsse an den Rat appelliert werden können, und ebenso müsse der Rat über Anstellung und Entlassung der fremden Prädikanten befinden, Die Regelung der bürgerlichen Fragen wie Aufnahme in das Bürgerrecht überließ Fichard dem Rate.
Burckhardt erklärte sich?) zwar eingangs mit seinem Kollegen völlig einverstanden. Tatsächlich aber ist sein
Gutachten ganz auf den Ton der Prädikanten gestimmt.
.. . 3) Act. ref. I, Bl. 214—217.
2) Act. ref. I, Bl. 218—221.
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Wie diese, so hält auch er den Unterschied der Sprachen nicht für Grunds genug, um ihnen, ein paar alte Franzosen etwa ausgenommen, ein eigenes Kirchenwesen einzuräumen. An ihrer Lehre wüßte er mehr auszusetzen als Fichard, will aber keine Bedenken geltend machen, wenn sie die Augustana ohne Betrug annähmen und unterschrieben. Nur bezweifelt er, daß sie das fun würden, „nachdem sie on Caluini vor- wissen vff dessen opinion sie so hoch alß vnsere vff Lutheri vond Brentzii bawen, nicht zuuerwilligen pflegen.“ Er stellt in diesem Zusammenhange fest, das gemeine Volk unter ihnen werde nicht anders unterwiesen, als daß die Lehre der Frankfurter Prädikanten das rechte Papstíum sei, das die Fremden verlassen hätten, um sich unter das Evangelium zu begeben. Daher sei es soweit gekommen, daß sie großen- teils die Frankfurter Kirche für unrein und abgöttisch, ihre eigene Versammlung aber für eine reformierte christ- liche Kirche hielten") Die Kernfrage ist für Burck- hardt der Artikel von der Realpräsenz Christi im Abend- mahl. Aber diese Frage ist ihm — gut juristisch — ent- schieden durch die Wittenberger und Frankfurter Konkordie, und nicht ohne einen Anflug von fides implicita bekennt er von sich selbst: auch er verstehe den Vorgang nicht, er über- lasse das, was seinem Verständnisse zu hoch sei, den Frank- furter Prädikanten, welche ordnungsmäßig zum Ministerium berufen seien. Demgemäß läuft denn auch sein Gutachten auf den Rat hinaus, nichts Endgiltiges zu beschließen ohne den Rat der Prädikanten, damit nicht das Feuer an einem Ort gestillt und an einem anderen angezündet werde.
Wie sehr dem Rate an dem Zustandekommen der in seinem Beschlusse vom 14. April erwähnten Vereinigung gelegen war, bewies er, indem er am 5. Juni auf die Gut- achten der Advokaten hin einen Ausschuß einsetzte, dem außer den Advokaten noch der Schöffe Hans Steffan, sowie Fulgentius Rücker und Hans Schott angehörten. Auch die Fremden sollten etliche Personen zu ihren Prädikanten dazu verordnen. Als Grundlage der Vereinigung stellten die Advo- katen drei Thesen?) auf: Die Fremden sollten 1. sich zu der
1) Hier begegnet uns erstmals die Bezeichnung „reformierte Kirche“ für die Anhänger Calvins.
2) F. R. I. Beil. 37, S. 63£.: Ad constituendam in utrisque Ecclesiis nostra et Peregrinorum concordiam, necessarium videtur, ut inprimis Vmitas sit in Confessione fidei, Ea vero cum luculenter et pie sit comprehensa in illis Artieulis, qui Caesareae Maiestati Anno MDXXX a Principibus et Statibus aliquot Imperii sunt Augustae exhibiti, vulgo Confessio Augustana nuncupati, et illam Confessionem Senatus quoque
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Augsburger Konfession samt der Apologie und der Witten- berger und Frankfurter Konkordie bekennen, 2. alles ver- werfen, was der Augustana zuwider sei, und 3. die Frank- farter Kirchengebräuche annehmen.
Es ist nicht schwer, den Anteil der beiden Advokaten an diesen drei Sätzen festzustellen. Der erste und der dritte gehen offenbar auf Fichard zurück, dem es die Fremden zweifellos auch zu verdanken hatten, daß man nicht mehr auf das Verbot ihrer Kirchenzucht zurückkam, die ihnen doch der Bürgermeister Völeker, ohne von dem Rate dazu autorisiert zu sein, hatte absprechen wollen. Die Hand Burekhardts zeigt sich aber schon sogleich in dem ersten Satze, wo gegen den Vorschlag Fichards im Sinne der Prädi- kanten auch die Apologie, die in der Purgatio von den Ge- meinden abgelehnt worden war, neben der Augustana und den beiden Konkordien als Norm der Lehre bezeichnet wurde. Vor allem aber geht die Forderung, alles zu ver- werfen, was nicht im Einklang mit den bezeichneten Be- kenntnisschriften stehe, ganz unverkennbar auf Burckhardt zurück. Gerade diese Forderung ist ein charakteristisches Zeichen für die Wandlung, die sich während der letzten Jahre in der Stadt vollzogen hatte. Denn sie zielte im Wesentlichen darauf, daß die Gemeinden sich von Calvin lossagen sollten, auf den Burckhardt deshalb in seinem Gut- achten ausdrücklich exemplifiziert hatte. Trat hiernach im Ganzen der Einfluß Burekhardts gegen denjenigen Fichards zurück, so war er doch immerhin stark genug, um einige Bestimmungen in den Entwurf hereinzubringen, die für die Gemeinden unannehmbar waren.
Die Verhandlungen, welche zuersí auf dem Wege eines Schriftenaustausches ?), dann in mündlicher Aussprache?)
noster jam olim receperit, et deinceps quoque perpetuo (Deo adiuvante) se observaturum profiteatur, petitur ab Ecclesiis Peregrinorum, ut eam eum Apologia tum etiam Wittebergense et Francofortense Concordia ipsae quoque expresse recipiant, subscribant, retineant, idque publice profiteantur. II. Ut improbent quicquid huic Augustanae Confessioni contrarium ab aliis, quicumque sint illi, et quibuscumque in Articulis id contingat, publice vel privatim, Scriptis sive ore traditum sit, aut doceatur. III. Denique ut ad tollendam omnem dissensionis suspitionem, Ecclesiae Peregrinorum in administrandis Sacramentis utantur Caere- moniis et ritibus in nostra Ecclesia receptis et usitatis.
1) Schreiben der Fremden vom 16. Juni. F.R. I. Beil. 38. S. 64f. Schreiben der Prüdikanten vom 26. Juni. F, R. II. Beil. 33. S. 303 ff. Schreiben der Fremden vom 17. Juli. F., R. Y. Beil. 39. S. 65ff.
2) Gegenbericht. $ 111ff. F. R. II. Beil. 14. S. 96 ff.
80 | : 80 zwischen dem französischen Prädikanten de la Riviére und Matthias Ritter stattfanden, zeigten ebenso sehr den guten Willen der Fremden zu einer Verständigung, wie die prak- tische Unmöglichkeit einer solchen. Die zweite These lehnten sie ab. Der dritten stimmten sie nur mit Einschränkungen zu. Aber auch ihre Erklärungen zu der ersten These waren für die Prädikanten nicht befriedigend. Wenn die Apologie von „Messe“ und „Verdienst“ redete, so war das den Fremden anstößig; mit einer Fürbitte für die Toten wußten sie, da sie nicht an das Fegfeuer glaubten, nichts anzufangen; bei der Heilsnotwendigkeit der Taufe machten sie Vorbehalte; einen Zwang zur Privatbeichte wollten sie nicht anerkennen; die Abendmahlslehre kommentierten sie unter Ablehnung der Westphalschen Doktrin. So kamen die Verhandlungen bald auf einen toten Punkt.
In diesem Stadium der Angelegenheit erstand den Ge- meinden noch einmal ein Fürsprecher in dem Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz. Dieser nahm die Sendung seines Rates Eheim, der eben damals die Unterschrift des Rates zu der Naumburger Vorrede der Augustana erwirken sollte), zum Anlaß, um die auch ihm vielfältig bekannt ge- wordenen Unrichtigkeiten zwischen den einheimischen und fremden Prüdikanten in Religionssachen zu erwähnen mit der Bitte, den Fremden die Kirche wieder zu eröffnen und sie zu ihrem Ministerium kommen zu lassen. Eheim empfahl gleichzeitig den Fremden, sie sollten die Augustana mit der Naumburger Vorrede auch ihrerseits unterschreiben: dasselbe Verfahren, das sich vor drei Jahren bei dem Frankfurter Rezeß mit so gutem Erfolge bewährt hatte. In einem zweiten Schreiben?) gab der Kurfürst den Frankfurtern noch besonders zu bedenken, „was es bey meniglichen für ein Ansehen haben werde, who man sie von wegen ihrer Lehre und Confeßion, die vor so viel stattlichen Chur- und Fürsten, deren gelerten Theologis und Euch selbst zu Franckfurth für genugsam er- kant und approbirt, auch sie so lang vff ehedachter Chur- und Fürsten vorbittlich Ansuchen und erfolgter gehörter Sub- scription, Vertröstung und Zusagung, in euer Statf vnan- gefochten gedultet worden, in das Elend zu ziehen verur- sachen wolte, zugeschweigen das auch solche Handlung ein mercklechen Anstoß und Verhinderung, dem Evangelio in Franckreich und Engelandí, aueh Hispania und Italia ge-
1) Die beiden Schreiben an Rat und Bürgermeister der Stadt vom 21. Juli 1561 finden sich Act, ref. I. Bl. 943—944, Vgl. Bürgermeister- buch 1560, Bl. 49a—50a, Donnerstag, den 24, Juli 1561.
2) Vom 12. August. F.R.I. Beil. 47. S. 79f,.-
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beren. Und vnsern Widersachern zum Schimpff, Spott und Calumnien vrsach geben, auch euch selbst zu allerhand be- schwerlichen Nachreden, die whir euch nit geren.*
Die Antwort des Rates, ein Werk der Advokaten, er- ging am 4. September!) Sie betonte, daB den Fremden ihre Kirche „bis zu gütlicher Vergleichung der Sachen zu- gethan worden“ sei. Die erhoffte Verständigung sei indessen nicht erfolgt, namentlich weigerten sich die fremden Prädi- kanten, die Augustana ohne besondere Auslegung und Kon- dition anzunehmen, die Prädikanten des Rates aber verharrten vornehmlich darauf, daß sie sich simplieiter erklären sollten. Bei dieser Sachlage könne der Rat den Fremden die Kirche noch nicht wieder Öffnen, beiden Teilen zugleich könne er auch nicht helfen, er müsse daher einstweilen seiner Bürger und gemeiner Stadt Wohlfahrt für diesmal mehr als die der Fremden bedenken, wolle aber doch nach Gestalt und Ge- legenheit der Sachen auch gegen die Fremden sich aller Gebühre erzeigen.
Als dieses Schreiben verfaft wurde, war die endgültige Entscheidung über das Geschick der Fremden bereits gefallen. Das letzte Schreiben der Fremden vom 17. Juli hatte der Rat bis in den August zurückgelegt, um abzuwarten?), welche Aufnahme die Naumburger Präfation bei den übrigen evan- gelischen Ständen finde. Was man aber darüber zu hören bekam, war nur für die Prädikanten erfreulich. Mit einer Wiederzulassung des reformierten Gottesdienstes befürchtete der Rat bei dieser Sachlage sich dem Scheine auszusetzen, als stehe er nicht mehr fest auf dem Boden der Augustana, und damit hätte er sich leicht der Wohltat des Religions- friedens beraubt. So wurde am 28. August mit 25 gegen 9 Stimmen beschlossen, „daß Ihnen Ihr Kirch noch zur Zeit nit zu öffnen seye, so lang sie sich zuvor mit den hieigen Predicanten vereinigen und vergleichen werden“ 5).
Damit war der Beschluß vom 22, April verewigt. Es war vergeblich, dab die Wallonen gegen Ende des Jahres durch ihren neuen Pfarrer Arnold Bane ein Glaubensbekennt- nis einreichten, das sich den na der Frankfurter Prüdikanten anzupassen suchte‘); vergeblich, daß sie am 4. März 1562 die soeben in Heidelberg gedruckte deutsche Übersetzung der Confessio Gallicana dem Rate als ihr Be-
1) F. R. I. Beil. 49. S. 81ff. 3) Vgl. Gegenbericht. $ 117. F.R.II. Beil. 14. S. 100f. s) F. R.I. Beil. 45. S, 78, Über die Abstimmung vgl. Scharff, F. A, N. F. II. (1862). S. 257, 4) F, R. II. Beil. 37. S. 327 ff. Archiv für Reformationsgeschichte. XXIL 1, 6
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kenntnis übergaben!); vergeblich, daß sie sich von den Uni- versitäten Heidelberg?) und Marburg?) günstige Gutachten verschafften und auf dem Römer vorlegten; vergeblich, dab nicht nur der Kurfürst von der Pfalz*), sondern auch der, Landgraf von Hessen, den die Prädikanten erst jüngst noch für ihren Gesinnungsgenossen ausgegeben hatten?), Für- sprache für sie einlegten. Bei der ablehnenden Haltung, welche die Prädikanten allen diesen Schritten gegenüber be- obachteten, verharrte der Rat bei seinem Verbote und ver- fügte®): „Welche hieüber hienweg ziehen wöllen und Ab- schied begeren, denen soll man in gemeiner Form Abschied mittheilen.^ Die Folge war eine große Abwanderung nach Frankental. Der Bruch zwischen den Fremden und den Prädikanten war jetzt perfekt und wurde auch von Calvin so angesehen’). Soweit der Bekenntnisstand der Stadt bis- her unklar gewesen war, war jetzt eine völlig klare Situa- tion geschaffen. Der Ubergang zum Gnesioluthertum, an dem die Prädikanten so lange und so zielbewußt gearbeitet hatten, war jetzt vollzogen.
Was fehlte, war dasselbe, was dem lutherischen Deutsch- land damals überhaupt fehlte: eine klare Norm des dog- matischen Standpunktes. Sie zu schaffen, war die Aufgabe in der letzten Phase, in welche die Entwicklung jetzt eintrat,
4, Die Kirchenpolitik des Rates im Zeitalter der Konkordienformel,
Westphal beglückwünschte Beyer zu dem Erfolge, den die Auswanderung eines großen Teils der Fremdengemeinden für seine Partei bedeutete: Ecclesiam vestram liberatam esse ab inquietis Sacramentariis, et in meliorem statum restitutam vobis gratulor .... Spero vestrum Senatum posthac prudenter prospeeturum, ne tales hostes recipiat?) |
Der Rat entsprach nun freilich diesen Erwartungen des Hamburger Superintendenten nicht. Das zeigte sich bei Ge-
1) F. R. I. Beil. 50, S. 83 f.
?) Gründlicher Bericht. 8 14. F.R.I. S. 17.
3) F, R. I. Beil. 51. S, 85f.
*) Am 25. März 1562,
5) Schreiben vom 1. Januar 1562, F,R.II. Beil. 38. S. 334.
6%) Am 31. März 1562. F. R. I. Beil. 58, S. 87.
") Vgl. seinen Brief an Dathenus vom 18. Juni 1562. Calv. Opp. XIX, 461—463.
*) Brief vom 15. August 1563 in der Bildfonntalung Hartmann. Beyers auf der Frankfurter Stadtbibliothek. MS. IIT, 21.
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legenheit des Augsburger Reichstages 1566. Der Frankfurter Gesandte wurde nämlich am 8. März dahin instruiert?), mit den Gesandten der anderen Städte dahin zu arbeiten, daß ihnen auch möchte freigestellt werden, in Religionssachen ihres Gefallens Anderung vorzunehmen, oder wenigstens, falls das, wie zu besorgen, nicht zu erreichen sei, dahin rat- schlagen und fördern zu helfen, daß der alte Religionsfriede wieder erneuert werde. Und diese Instruktion wurde — offen- bar unter Berücksichtigung einer Eingabe der französischen Gemeinde vom 5. März, die die Hoffnung aussprach, „daß etwan vff eym Reichs- oder sonst Versamlungs - Tage der Stände Augipurgischen ConfeDion, eyn gottselige Vergleichung in den strittigen Puncten des H. Nachtmals und andern vor- gefallenen Irrungen, eruolgen, oder durch E. E. W. und F. W. vns hynfürters darinnen gnedige Vergünstigung beschehen solte*®) — am 13. März dahin prüzisiert?), daß ein Recht der evangelischen Städte anzustreben sei, andere, so der Augsburger Konfession nicht verwandt, bei ihnen zu dulden oder nicht. Damit trat der Rat der kaiserlichen Kirchen- politik entgegen, die es als durchaus notwendig bezeichnete, daß keine verführerische Sekte geduldet werde, die sich von der alten Religion oder vom Augsburgischen Bekenntnis ab- sondre^) Der Frankfurter Instruktion entsprach dann auch die Deklaration, mit der die Stände es am 19. Mai ab- lehnten, solche, die wie der Kurfürst von der Pfalz in ein- zelnen Artikeln von ihnen abwichen, außerhalb des Religions- friedens zu setzen und den armen betrübten Bekennern des Wortes Christi ihr Kreuz schwerer und ihre Verfolgung größer zu machen, zumal es den Augsburger Konfessions- Verwandten durchaus nicht gebühren wolle, jetzt oder künftig darüber Gericht zu halten, ob die Meinungen anderer dem wahren Sinne der Augustana entsprächen oder nicht°). Diese Deklaration wurde wenige Tage später noch dahin erläutert, daß jetzt gar viele fromme Christen in Frankreich, Spanien, Italien und den Niederlanden in großer Betrübnis seufzten, welche in den Grundlehren des Evangeliums von der Drei- einigkeit, von der Rechtfertigung, vom Unterschiede des Ge- setzes und des Evangeliums, von der wahren Reue und Buße, von der Taufe, der weltlichen Obrigkeit usw. mit der Augs-
1) Ratschlagungsprotokolle 1551—1568. BI. 215b,
3) F. R. I. Beil. 60, S. 96.
3) Ratschlagungsprotokoll Bl. 217b.
1) Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555—1581. II, 125.
5) Ebenda S. 129, 6*
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burger Konfession durchaus übereinstimmten, deren Lehrer aber teilweise über die Gegenwart des Herrn im Abendmahl Zwinglisch oder Calvinisch dächten. Allein es sei doch an- zunehmen, daß unter jenen Christen sich viele an die ein- fachen Worte Christi hielten und die wahre Gegenwart seines Leibes und Blutes im Sakramente glaubten. Wolle man nun alle diese Christen ungehört als Calvinisten ver- dammen, so verstoße dies durchaus gegen die Weise der christlichen Kirche.
Es war der Geist Melanchthons und Bucers, der in diesen Sätzen sieh noch einmal ein würdigés Denkmal ge- setzt hat, und wie im Reiche, so hatte dieser Geist auch in Frankfurt noch immer angesehene Vertreter. Da diese sich aber in der Minderheit befanden, so gaben neben dem Toleranzgedanken für die Entscheidung sehr praktische Er- wügungen den Ausschlag. Man schielie nach dem Geld- beutel der Fremden, an dem sich die mißlichen Finanzen der Stadt immer wieder erholen konnten. Ganz unverblümt kam dieser Gesichtspunkt zur Geltung, als man 1572 be- schloß: Was wahrhaftige stattliche Personen wären, die solle man zu Bürgern annehmen, „andere aber so noch nit Bürger und armes gesindtleins und schier meistentheils Posament- und Schnurmacher seien (deren man nit viel Nutzens habe) solle man aus der Stadt ziehen lassen“), Die Begründung der Frankfurter Börse 1585 unter starker Beteiligung des reformierten Elementes sprach natürlich sehr dafür, die steuerkräftigen Elemente dem städtischen Gemeinwesen zu erhalten, auch wenn sie nicht allen Anforderungen der lutherischen Dogmatik entsprachen. Der Toleranzgedanke dagegen verlor in demselben Zeitraume merklich an Kraft. Als im Herbst 1572 viele Niederländer vor dem Herzog Alba eine Zuflucht in Frankfurt suchten, fand man sich mit der unbequemen Pflicht, sich der elenden Glaubensgenossen ge- mäß Matth. 25 anzunehmen, durch die Feststellung ab, diese Leute seien im Grunde nicht wegen der Religion, sondern wegen Rebellion landflüchtig geworden?)
Dieser Umschwung in der Haltung des Rates war be- dingt durch einen Wechsel der maßgebenden Persönlichkeiten. Schon Cnipius hatte Ende der fünfziger Jahre geglaubt, einen dominierenden Einfluß der Masse auf die Pfarrer feststellen zu können?). Für Aufrechterhaltung des Kirchenverbotes hatte
1) Scharff a. a. O. S. 260,
2) Ratschlagungsprotokoll vom 5. November 1572. Bl. 249.
3) Pendent rabiosi blaterones (die Prädikanten) ab imperita multi- tud'ne. Brief an Calvin vom 18. September 1559. Calv. Opp. XVII, 643.
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am 28. August 1561 die Handwerkerbank den Ausschlag
gegeben, von den Pafíriziern hatte die Mehrzahl einen weit-
herzigeren Standpunkt eingenommen. Jetzt starben die Freunde der Fremden in den Geschlechtern aus. Zuerst starb von den bekanntesten unfer ihnen Johann von Glauburg, 1571, Ihm folgte zehn Jahre später der Stadtadvokat D. Johann Fichard und wieder ein Jahr später D. Konrad Humbracht. An die Stelle dieser Männer traten die gesinnungstüchtigen Schüler Beyers und Ritters. Gleichzeitig ergänzte sich das Prediger- ministerium bei jeder neuen Vakanz durch Vertreter der scharfen Tonart. Unter ihnen waren auch Geistliche, die um ihres lutherischen Bekenntnisses Heimat und Beruf ver- loren hatten, als ihre reformierte Obrigkeit eine sehr gelehrige Schülerin lutherischer Intoleranz geworden war. So kamen 1584 Petrus Patiens und Konrad Lautenbach aus der Kur- pfalz, 1595 Johann Corvinus aus dem Hanauischen nach Frankfurt. Natürlich war bei diesen neuen Pfarrern keinerlei Neigung zu einer irgendwie entgegenkommenden Haltung zu den Reformierten in Frankfurt vorhanden. So verschärfte sich der. Gegensatz zusehends).
Wie groß das Mißtrauen gegen den fremden Zuzug war, erfuhren die Niederländer, die bei der Kapitulation von Ant- werpen 1585 als legitime Fortsetzung der dortigen Gemeinde Augsburger Konfession naeh Frankfurt übersiedelten. Mit dem größten Mißtrauen wurden sie aufgenommen. Die Prädi- kanten beargwöhnten sie als , Sakramentierer" und „Rotten“. Den Zünften galten sie überdies als lästige Konkurrenz des einheimischen Handwerks. Erst im Jahre 1592 konnten sie kirchliche Anerkennung und das Recht, eigene Gottesdienste zu halten, erlangen. Zu einer Sonderexistenz hat es ihre Ge- meinde nicht gebracht. Sie bildete einen Bestandteil der lutherischen Stadigemeinde, von der sie sich nur durch die Sprache unterschied?).
Die Pläne des Rates gingen damals noch weiter. Um das reformierte Geld nicht zu verlieren, hatte er den Refor- mierten seit Schließung der Weißfrauenkirche stillschweigend
1) Vgl, Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der Reformation I, 267. f
2) Vgl, über sie: J. Lehnemann, Historische Nachricht von der vormahls im sechzehenden Jahrhundert berühmten Evangelisch-Luthe- rischen Kirche in Antorff, und der daraus entstandenen Niederländischen Gemeinde Augípurgischer Confession in Franckfurt am Mayn. (Frank- furt, J. F. Fleischer. 1725.) — G. E. Steitz und H. Dechent, Geschichte der von Antwerpen nach Frankfurt a. M. verpflanzten Niederläudischen Gemeinde Augsb. Confession. (Frankfurt a. M. A. Neumann, 1885.)
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einen Privatgottesdienst zugelassen. Jetzt versuchte er auf = Anregung der Prädikanten nach dem Tode des Pfarrers Olivier Wailin von der franzósischen Gemeinde (1592), einen ausländischen Lutheraner als Pfarrer für sämtliche Fremden- gemeinden anzustellen und auf diese Weise die Reformierten mit den Antorffer Lutheranern zu verschmelzen und mit der einheimischen lutherischen Gemeinde organisch zu verbinden. Er: berief zu diesem Zwecke Anton Serrarius aus Mómpel- gard. Zu dessen Antrittspredigt fanden sich indessen nur sehr wenige Reformierte ein, und diese wurden von ihrem Pfarrer, dem bekannten Franz Gomarus, so scharf zurecht- gewiesen, dab sie künftig vorzogen, den Konvertitenpredigten fern zu bleiben!) Serrarius entwickelte sich in der Folge zu einem der entschiedensten Gegner der Frankfurter Refor- mierten. Gegen diese ergriff nun der Rat seit dem 25. Juli 1592 scharfe Maßregeln, indem er zunächst Gomarus auswies, gleichzeitig auch dem welschen Schulmeister aufsagte und am 11. August 1596 dem reformierten Gottesdienst in der Stadt „ein betrübtes Ende machte“ ?).
Mit der milderen Richtung des Luthertums hatten sich die Prädikanten schon ein Vierteljahrhundert früher ausein- andergesetzt, ohne sich dabei freilich mit viel Ruhm zu þe- decken. Den Anlaß dazu hatte ihnen der Consensus Dresdensis?) 1571 gegeben, in welchem die kursächsischen Theologen auf Wunsch des Kurfürsten ein „gut lutherisches* Bekenntnis ihrer Auffassung vom Abendmabl hatten geben sollen. Indem der Konsensus aber die mündliche Nießung des Leibes Christi überhaupt überging, die Lehre von der Ubiquitát ablehnte und es im Hinblick auf den Artikel ascendit in coelos et sedet ad dextram patris der Allmacht Gottes überließ, wie er uns Leib und Blut Christi darreiche, reproduzierte er die philippistische Anschauung. Auch die Formel Luthers, „das Sakrament des Nachtmahls sei der wahre Leib und Blut unseres Heırn Jesu Christi, unter dem Brot und Wein uns
1) Steitz-Dechent S. 59.
2) Vgl. die Schilderung in der ungedruckten Chronik von Abraham Mangon im Archiv der deutschen reformierten Gemeinde.
3) Kurze, christliche und einfültige Wiederholung der Bekenntniß der Kirchen Gottes in des Churfürsten zu Sachsen Landen von dem hl. Nachtmahl sammt den zu dieser Zeit in Streit gezogenen Artikeln von der Person und Menschwerdung Christi, seiner Majestät, Himmel- fahrt, Sitzen zur Rechten Gottes, in der christlichen Versammlung zu Dreßden gestellt den 10. October mit einhelligem Consens der Universi- täten Leipzig und Wittenberg, der drey geistlichen Konsistorien und aller Superattendenten der Kirchen dieser Lande. Dreßden. 1571. 4°.
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Christen zu essen und zu trinken von Christo selbst ein- gesetzt,“ wurde mit den Worten: vel quod idem est dahin erläutert, „das Sakrament sei nach den Worten Pauli die Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi, worin uns der Herr mit den sichtbaren Zeichen des Brotes und Weines seinen Leib und sein Blut wahrhaftig darreiche und uns dadurch seine Verheißungen bestätige, daß er uns um seines Todes willen unsre Sünden vergeben und wahrhaftig kräftig in uns sein wolle,“ das „Unter“ sollte also im Sinne Melanch- thons nur die Beziehung der äußeren Elemente zu der un- sichtbaren Gnadengabe bedeuten. Eines Gegensatzes gegen Luther waren sich die Verfasser des Konsensus nicht bewußt, wollten vielmehr der alten, in der kursächsischen Kirche von Anfang an üblichen evangelischen Lehre ergeben sein und formulierten demgemäß ihre Abendmahlslehre dahin, „daß der Herr Christus in dieser Ordnung seines heiligen Abendmahls wahrhaftig, lebendig und gewiß gegenwärtig ist, also daß er seinen wahren Leib, für uns am Stamme des Kreuzes aufgeopfert, und sein wahres Blut, für uns vergossen, mit Brot und Wein in diesem Sakrament übergibt und hier- mit bezeugt, daß er uns annehmen, zu Gliedmaßen seines Leibes machen und uns mit seinem Blute reinigen und Ver- gebung der Sünden schenken und wahrhaftig in uns wohnen“ und kräftig in uns sein wolle 5.
Die kursächsischen Theologen ernteten für ihre Mühe wenig Lohn. Wie alle Vermittelungstheologen, wurden auch sie von zwei Seiten angegriffen. Den strengen Lutheranern genügten ihre Darlegungen natürlich in keiner Weise, und sie fühlten sich gedrungen, in einer Reihe von Schriften?) öffentlich Zeugnis wider sie abzulegen. Auf der anderen Seite fühlte sich der Kurfürst von der Pfalz verletzt, weil bei dem Dresdener Kolloquium seines Katechismus gar un- gütlich gedacht worden war. Da von dem Dresdener Kon-
sensus inzwischen auch in Frankfurt ein Nachdruck?) er-
schienen war, so beschwerte sich der Kurfürst am 19. Januar 1572 bei dem Rate‘).
Die Fama hatte inzwischen die Reformierten der Stadt, die mit den Formulierungen des Konsensus übereinstimmten,
ı) Heppe II, 410f. Vgl. Planck, Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unseres prot. Lehrbegrifis vom An- fang der Reformation bis zu der Einführung der Konkordienformel. V, 2. S. 5878.
2) Verzeichnet bei V. E. Löscher, Historia motuum, IIT, 148f.
3, Nicht erwähnt in dem Verzeichnis von Planck S. 590. Anm. 329.
4) Act. ref. II, 2001t. |
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mit der Frankfurter Ausgabe desselben in Verbindung ge- bracht, und so beeilten sie sich, dem Rate zu versichern, daß sie dieser Veröffentlichung völlig fern stünden!). Sie erboten sich zu jeder Verantwortung, was man ihnen auch vorwerfe, und baten namentlich um ein Kolloquium mit den deutschen Theologen. Ein solches kam freilich auch jetzt nicht zustande. Dagegen traten die Frankfurter Prädikanten mit einer Schrift?) hervor, in welcher sie zwar eine eigent- liche Kritik des Konsensus selbst, wie sie namentlich die Theologen in Jena vornahmen, unterließen, dagegen aber ihre alten Frankfurter Gegner angriffen, weil diese sich zum Erweise ihrer Rechtgläubigkeit auf die Dresdener Kund- gebung beriefen. Zur Abwehr dieses Angriffes erschien Petrus Dathenus auf dem Plane, indem er in einer gründ- lichen Streitschrift?) nachwies, daß er und die fremden Christen zu Frankfurt eben dasselbige hielten, glaubten, be- kennten und lehrten, was die kursächsischen Theologen in der Wiederholung ihres Bekenntnisses und in ihren andern Schriften bekennten und lehrten. Dann aber holte er zum Gegenschlage aus, indem er fortfuhr: „Dieweil die gemelten Predicanten nur vom heiligen Abentmal gefragt, die andere Artickel aber, als da seind von der Menschwerdung Christi, von der Maiestet und herrligkeit unnd Himmelfart Christi und sitzen zur gerechten Gottes, dar auff die bekantnus der Sächsischen Theologen vom heiligen Abentmal fürnemlich gegründet steht, feinlistig fürüber gehn, so wil die notturfft erfordern, daß gemelte Predicanten....... etliche notwendige fragstück, so eben diese der Sächsischen Theologen bekant- nus antreffen, ihnen fürstellen, damit der gemeine Mann
1) Ebenda 164 (latein.) und 205f. (deutsch).
2) Antwort auf das Fürgeben ettlicher Sacramentirer Daß sie mit dem Bekenntniß, von den churfürstlich sächsischen Superintendenten den 10. October dieses 1571. Jahres gestellt, allerdings eines Bekennt- nisses seien, kurze und christliche Probe der christlichen Gemeine zu Frankfurt. Zur Warnung geschrieben durch der Augsburger Confession zugethane Prediger daselbst. Basel. 1572. 4°,
3) Bestendige Antwort etlicher Fragstück, so die Predicanten zu Franckfurt am Mayn, zur prob, über die jüngst zu Dreßden der Chur- fürstlichen Sächsischen Theologen gestelte bekandtnuß, in truck zur warnung haben außgehen lassen, durch Petrum Dathenum verfertiget. Gedruckt in der Churfürstlichen Stadt Heydelberg, durch Johannem Meyer, im Jahr 1572, Motto: 1. Petri 3 Seid aber allezeit bereit zur verantwortung jederman der grund fordert der hoffnung die in euch
ist. Auszüge bei Sudhoff, C. Olevianus und Z. Ursinus. S. 373 ff. und Th. Ruys, Petrus Dathenus, S. 269—274.
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wissen könne, ob die Predicanten zu Franckfurt auch mit der Prophetischen und Apostolischen Schrifft, und folgends auch mit dieser bekantnus zustimmen oder nicht.“ Dem- gemäß legte er den Frankfurter Theologen zwei Dutzend peinliche Fragen über die Person Christi vor, die sämtlich an dem Gesichtspunkt orientiert waren, dab man von den Sakramenten nicht recht reden könne, wenn man nicht das Fundament, das Bekenntnis von der Person Christi, recht gelegt habe. Es sollte sich zeigen, dab in allen diesen Fragen ebensosehr ein Gegensatz zwischen den Gnesio- lutheranern und den Reformierten, wie eine Übereinstimmung zwischen diesen und den Wittenberger Philippisten bestehe, In den Kreisen der Gnesiolutheraner empfand man die ‘Schrift von Dathenus als eine rechte Verlegenheit, und der Philosophieprofessor Valentin Erythräus in Straßburg suchte durch Beyer wiederholt eine Antwort des Frankfurter Prediger- ministeriums zu erwirken!). Dieses aber hüllte sich in ein vielsagendes Schweigen und überließ es der Zeit, über die ihm unbequeme Anzapfung die Schatten der Vergessenheit zu breiten.
Indessen auch wenn die Herren künftig unter sich blieben, so wurden ihnen doch dogmatische Verdrießlich- keiten im eigenen Lager nicht erspart. Der Streit mit Philippisten und Reformierten über das Abendmahl wurde abgelöst durch einen Streit über die Flacianische Erbsünden- lehre. Am 14. Oktober 1566 hatte sich Flacius von Beyer ein Zeugnis? ausstellen lassen, daß er ein geeigneter Prediger für die Gemeinde in Antwerpen sei, obwohl er schon damals
mit seiner Lehre hervorgetreten war, durch den Fall Adams’
sei die Erbsünde zur Substanz der menschlichen Natur ge- worden. Einen Gesinnungsgenossen hatte er in Frankfurt an dem Rektor zu den Barfüßern, Henricus Petreus®), der bereits 1572, noch vor seinem Eintritt in die Frankfurter
1) Brief vom 19, Mai: Magis opto, ut adversus stolidi et insani Datheni sycophantias et criminationes vestram viderem responsionem; quaestiones vestras nondum vidi. Brief vom 6, Juli: Utinam ad Datheni dyreowriuare vestra exeat drroxgioıs. Sed de his rebus alias, Brief- sammlung Hartmann Beyers, Frankfurter Stadtbibliothek, MS. III, 21. Die Jahreszahl fehlt bei beiden Briefen, kann aber nicht zweifelhaft sein.
2) Act. eccl. IV. 1566. 104,
*) Vgl. über ihn Liermann, Henricus Petreus Herdesianus und die Frankfurter Lehrpläne nebst Schulordnung von 1579 und 1599. Pro- gramm des Frankfurter Goethegymnasiums 1901. Herdesianus nannte Sich Petreus nach seinem Geburtsorte Hardegsen.
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Verhältnisse, mit seiner Anschauung öffentlich hervorgetreten war. Verdächtig wurde Petreus erst, als er 1577 die Witwe des Flacius heiratete. Immerhin blieb er bis zum März!) 1580 unangefochten. Als er aber jetzt dem Rate sein „Bekandniß des Artikels von der Erbsünde“?) einreichte, wurde er durch die Prädikanten von der christlichen Gemeine und Gebrauch des heiligen Nachtmahls abgewiesen. Eine Beschwerde hier- über bei dem Rate?) blieb angesichts der Erklärungen, die die Prädikanten abgaben*), ebenso erfolglos wie die Vorlage einer Druckschrift von Cyriacus Spangenberg, der mit Flacius in Antwerpen gewesen war") Petreus begnügte sich in- zwischen nicht damit, seine Sache vor dem Rate und den Prädikanten zu führen, sondern er machte für sie auch bei seinen Lateinschülern Propaganda, und als das Ministerium deswegen bei dem Rate vorstellig wurde, präsentierte er das Zeugnis, welches Beyer noch 1566 der Rechtgläubigkeit des Flacius nnbekümmert um dessen Erbsündenlehre ausgestellt hatte®). Die Verhandlungen, die sich das ganze Jahr fort- setzten, verleideten dem tüchtigen und verdienten Schulmann die Wirksamkeit in Frankfurt in einem Maße, daß er gegen Weihnachten dem Rate die Wahl ließ, entweder für die Schule größere Aufwendungen zu machen, oder auf seine ferneren Dienste zu verzichten‘). Der Rat fand es zweck- mäßig, durch Schonung der städtischen Finanzen einem un- fruchtbaren dogmatischen Streit ein Ende zu bereiten, und ließ Petreus ziehen?), der dann in Göttingen und Wolfen- büttel noch mit grofem Erfolge gewirkt hat.
Kurz bevor der Streit um die Erbsündenlehre in Frank-
furt ausbrach, hatte der Rat Stellung zu der Konkordien-
formel zu nehmen, die 1577 als das Ergebnis langjähriger
1) Nicht April, wie Dechent S. 251 angibt. Act, eccl. IV. 1580. Nr. 83 ist bereits vom 21. März datiert.
*) Act. eccl, IV. 1580. Nr. 91.
3) Ebenda Nr. 86. Vgl. Ratsprotokoll vom 19. April 1580.
4) Ratsprotokolle vom 21. und 28. April 1580, Act. eccl, IV. 1580. Nr. 98 vom 28. April 1580,
5) Vom Fluch Gottes Wider die Sophistische Lere: Erbsünde ist ein Accidens . . . Und vom Segen Gottes Uber die ware Lutherische Lere: Erbsünde ist die verderbte Menschliche Natur und Wesen. M. Cyriacus Spangenberg . . . MDLXXIX,
*) Act. ecel. IV. 1580, Nr. 117.
?) Ebenda. Nr. 196 vom 20. Dezember. Er beantragte Anstellung eines weiteren Lehrers oder Erhóhung seines Gehaltes.
8) Vgl. Act, eccl. IV. Nr. 204 vom 28. Dezember und Nr, 199 vo 29. Dezember.
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Verhandlungen zustande gekommen war und die mannig- fachen Kontroversen zwischen den Augsburger Confessions- Verwandten schlichten sollte.
Am 30. September 1579 wandte sich der Pfalzgraf und Kurfürst Ludwig wegen der Bergischen Konkordie an den Frankfurter Rat!) Ausgehend von den ärgerlichen Lehr- streitigkeiten zwischen den lutherischen Theologen, die den Gegnern Anlaß zu der Nachrede gegeben hätten, es seien nicht zwei Theologen oder Prädikanten zu finden, die in allen Artikeln der Augustana miteinander übereinstimmten, bezeichnete es der Kurfürst als dringend notwendig, eine Einigung zu betreiben, und berichtete über die Schritte, welche Kurfürst August von Sachsen in dieser Richtung be- reits unternommen, indem er etliche angesehene Theologen, nicht nur seiner Lande, nach Torgau berufen habe, die sich miteinander von den bisher strittigen Artikeln christlich
unterredet und einer Richtschnur und Begriffs einhellig ver-
gliehen hätten. Diesen Begriff habe dann der Kurfürst dem Pfalzgrafen und den vornehmsten andern Ständen Augsburger Konfession zur Begutachtung durch ihre Theologen über- sandt. Diese Gutachten seien dann etlichen gelehrten Theo- logen in Berga zur weiteren Behandlung übergeben worden. In Berga sei hierauf ein anderes Buch verfaßt worden, wie künftig durch Gottes Wort zu predigen, das eingefallene hochschädliche und ärgerliche Gezänk gänzlich beizulegen und durch Gottes Verleihung wiederum eine rechte christ- liche Einigkeit in Schulen und Kirchen zu stiften und an- zurichten sein möchte. Dieses Bergische Buch habe der Pfälzer Kurfürst von Kursachsen und Kurbrandenburg nicht nur zur Einführung in seinen Landen erhalten, sondern auch zur Empfehlung an die ihm benachbarten evangelischen Grafen und Herren, auch Reichsstädte des Rheinländischen Kreises. Der Kurfürst, seiner kirchlichen Pflichten sich be- wußt, habe von seinen Theologen ein Gutachten tiber das Bergische Buch erhoben, und diese hätten sich mit dem Buche selbst, wie mit der zur Erläuterung nötigen Präfation, die von allen evangelischen Ständen unterschrieben werden solle, einverstanden erklärt. So schicke er nun eine Ab- schrift des Bergischen Buches dem Frankfurter Rate, daß er es nicht allein selber mit allem Fleiß und in Gottesfurcht durchlese, erwäge und an der Hand des alleinseligmachenden Wortes Gottes prüfe, sondern es auch seinen reinen Theo- logen zur Begutachtung übergebe. Sollten sich dabei für
1) Beilage zu Act, eccl. IV. Mglb, A 6. Nr. 36. Frankfurter Stadtarchiv.
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diese oder den Rat selbst Bedenken gegen das Buch oder die Präfation ergeben, so wolle sie der Kurfürst durch seine Theologen gerne beseitigen lassen. Die Außerung des Rates erbat er sich innerhalb sechs Wochen. Um ihm den Ent- schluß zur Unterschrift zu erleichtern, fügte er seinem Schreiben die Namen der Stände bei, die bereits unterzeichnet hatten.
Der Rat übergab das Buch samt der Präfation zur Be- urteilung zunächst seinen Prädikanten, die beide Dokumente in ihrem Konvente einer eingehenden Prüfung unterzogen und geneigt waren, ihre Zustimmung auszusprechen. Ihr Gutachten wurde am 17. November im Rate verlesen!), wo- rauf beschlossen wurde, man wolle „solch Buch anstatt des Gesetzes zu Rath verlesen lassen vnnd alßdann beratschlagen vnnd bedencken, was hierJnn zuthun vnnd zuwilligenn sei“ °).
Diese Verlesung füllte die nächsten Sitzungen aus. Dann .
wurde die Angelegenheit einer Kommission überwiesen. Die Frage, ob es für den Rat empfehlenswert sei, die Bergische Konkordie und die Präfation zu unterschreiben, wurde von dieser Kommission mit der größten Gründlichkeit am 14. Dezember erwogen?) Dabei wurde zunächst darauf aufmerksam gemacht, daß neben den Unterschriften von Ständen, Städten und Theologen, die das Verzeichnis auf- weise, wohl noch mehr Fürsten, Herren und Städte fehlten, die vielleicht überhaupt nicht unterschreiben würden, näm- lich Landgraf Wilhelm zu Hessen, desgleichen Anhalt, Hol- stein, Dänemark und die Pfalzgrafen, ebenso etliche vor- nehme Städte, sonderlich Nürnberg. Bezüglich des Gut- achtens der Prädikanten stellte die Kommission fest, daß es allein auf das bloße Werk und den Inhalt der Konkordie simpliciter sehe, dagegen den darunter gesteckten eventum und gesuchte politische Konfóderation und derselbigen Konse- quenz gar nicht bedenke, noch merke. Sie hielt es ihrer- seits für nötig, daß der Rat das Schreiben des Landgrafen an den sächsischen Kurfürsten höre und dessen Argumente und Inhalt wohl und fleißig betrachte. Denn es sei zweifels- ohne noch in etlicher Herren frischem Gedächtnis, welcher- maßen die Schmalkaldische Konföderation unter dem Vor- wande der Augsburger Konfession bei den Reichsstädten re- . praktiziert und was solche Konföderation genutzt oder ge- schadet. So werde vermutlich durch den äußerlichen schönen praetextum dieser Bergischen Konkordie eigentlich gleichwohl vor erlangter Subskription dissimulanter eine gleichförmige
1) Ratsprotokoll vom 17. November 1579. ?) Bürgermeisterbuch vom gleichen Tage. 3) Ratsehlagungsprotokolle 1568—1583. Bl. 185ff.
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beschwerliche und ganz schädliche Liga oder Bündnis ge- sucht, und daß derselben Konkordie ausschreibende Kur- fürsten seien Pfalz, Sachsen und Brandenburg, derhalben wohl zu beachten!) Was aus der Subskription für Unrath und Nachteil erfolgen und erwachsen möchte, wenn die- jenigen Stände und Städte, die nicht unterschrieben, von den Unterschreibenden aus solcher Konkordie und Ver- einigung und derselben eingesteckten Inkonvenienzien und Konsequenz ausgeschlossen würden, und sich also künftiger
Zeit die ausschreibenden Kurfürsten wider dieselben der-
halben opponieren und etwas absentieren sollten, daß als- dann diejenigen Stände und Städte, so unterschrieben, dar- unter um Hilfe ersucht werden möchten, wie sorglich und nützlich wohl solches dem Rate künftiger Zeit fallen möchte, habe man auch wohl zu betrachten. Zudem sei auch wohl zu bedenken, daß der Rat, weil reichsunmittelbar, des Glaubens und der Lehre halben niemand anders denn dem Kaiser Rede und Antwort zu geben schuldig sei. Es sei auch wohl zuzusehen, daß dem Rate durch solche Subskrip- tion nicht auch begegne, was der Stadt Regensburg wider- fahren, welche nun solch Konkordienwerk zum dritten Male unterschrieben habe und doch gewärtig sein müsse, dab solch Konkordienbuch auch keinen Bestand habe und also ihre Subskriptionen alle vergeblich seien. Item. dieweil ein Ehrbarer Rat auch hievor sich zur Augsburger Konfession neben anderen Ständen und Städten vor vielen Jahren be- kannt und dieselbige bisher in dieser Stadt Frankfurt der- maßen einhellig und öffentlich geführt, gelehrt, getrieben, exerciert, bekannt und erkannt, daß des Ministerii und Kirehenamts halben allhie keine Trennung oder Irrtum und Zwiespalt bis auf diese Stunde vorgefallen, derwegen man auch solcher neuen captiosae?) (wann man's politice, wie notwendig, hindenken wollte) Coneordiae Subscription allhie gar nicht nötig sei, so habe man auch unter anderen hoch- wichtigen Argumenten wohl zu betrachten, daß solch Kon- kordienwerk nicht pure theologicum, sondern in effectu auch politieum sei. Das habe zur Folge: Wer die Konkordie unterschreibe, der kondemniere auch die annexas antitheses und konfirmiere die affirmativas. Dawider doch allbereits
!) Man vermutete also eine dureh Herbeiführung einer lutherischen Majoritit im Kurfürstenkollegium (vgl. den bald darauf einsetzenden Kölner Reformationsversuch) zu bewirkende Änderung der Reichsver- fassung und im Zusammenhange damit die Schaffung eines evange- lischen Kaisertums.
3) „Verfänglichen“. -
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sc vieler hochgelehrten, trefflichen und hochverständigen und ansehnliehen anderen Fürsten und Herren Theologen. censurae hinwieder geschrieben und viel contrarietates da- gegen demonstriert und angezeigt worden, also daß solchs Konkordienbueh noch nicht also beständig und qualifiziert sei, daß alle der Augsburger Konfession verwandten Stände und Städte damit zufrieden oder solehs komprobierten, Uber- dies möchte aus solcher Subskription auch die beschwerliche Konsequenz entstehen, daß sich ein Ehrbarer Rat aus dem alten Religionsfrieden selbst ausschließen und in Unfrieden oder in große Gefahr und Nachteil cum summo etiam ludi- brio, Spott und Schimpf setzen würde, und wenn alsdann auf zutragende Fälle sich die Sache zur Reue schicken sollte, daß alsdann der Kaiser sagen möchte: Wer hat’s euch geheißen? Auch die Advokaten gaben ihre Gutachten ab und brachten in ihnen soviel wichtige, erhebliche argumenta, Umstände und Ursachen bei, daß der Protokollführer darauf verzichten mußte, sie nachzuschreiben. Offenbar auf ihren Antrag gelangte die Erklärung des Landgrafen von Hessen an den Kurfürsten zu Sachsen über die Konkordie zur Ver- lesung. Im Anschlusse hieran wurde noch Folgendes zu er- wägen gegeben: Dieweil noch viel Personen im Rat seien, welche gewißlich des Buchs Inhalt nicht verstünden und doch gleichwohl solch Werk der Subskription ihrer jedwedes Gewissen und Seelenheil mitbegriff, daß demnach dieselben sich vorhin wohl und genugsam besännen und erinnerten, mit was Gemüt und Gewissen sie solch Buch unterschreiben sollten, könnten und wollten. Nachdem sodann noeh Fichard den Entwurf seiner Antwort an den Kurfürsten von der Pfalz mitgeteilt hatte, wurde die Ansicht der Kommission mit einer an Einmütigkeit grenzenden Mehrheit!) dahin fest- gestellt, daß man aus politischen Gründen die Subskription nicht empfehlen könne.
Am folgenden Tage erstattete die Kommission über ihre Verhandlungen und deren Ergebnis dem Rate Bericht, wo- rauf die Verlesung der von Fichard beabsichtigten Antwort an Kurpfalz folgte. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes verschob man die endgültige Beschlußfassung bis zum 18. De- zember?). Sie führte zur Billigung des Fichardschen Entwurfes, der dann mit Datum vom 15. Dezember abgeschickt wurde ë).
1) Die Advokaten stimmten Fichard bei. Die anderen Mitglieder der Kommission waren gleichfalls „vast alle einmütig" seiner Meinung,
2) Vgl. die Ratsprotokolle vom 15. und 18. Dezember 1579,
*) Beilage zu Act. eccl. IV, Mglb. A 6 Nr. 86. Abgedruckt zum Teil bei Heppe IV, 186, Anm. 1,
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Der Rat begrüßte in seiner Antwort zunächst das Unter- nehmen der evangelischen Kurfürsten. Für den Frankfurter Bekenntnisstand bezog er sich auf die Bucersche Konkordie von 1542 sowie auf die prophetischen und apostolischen Bücher, die altkirchlichen Symbole, die Hauptkonzilien, die Augustana, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und Luthers Großen und Kleinen Katechismus. Zum Zeugnis
E dafür, daß man in Frankfurt immer bei diesen Normen der
Lehre geblieben sei, herief sich das Schreiben auf den Pre- diger Petrus Patiens, der erst jüngst von Frankfurt in die lutherisch gewordene Pfalz übergesiedelt war, aus der er vor Jahren: vor dem reformierten Regiment nach Frankfurt ausgewandert war. Was aber die erbetene Unterschrift zu der Prüfatio der Augustana betraf, so wollte es den Frank- furtern. ganz bedenklich .fallen, solch Buch und seine Vor- rede, ehe und zuvor es in seine gewisse und beständige Perfektion, dabei es unwandelbar bleiben solle, gebracht worden, zu approbieren und zu subskribieren. Da auch noch viel ansehnlieher hochgelehrter Gönner und Theologi sich nieht in das Bergische Buch richten kónnten, noch dasselbige approbieren wollten, bäten sie den Kurfürsten, ihnen noch länger Bedenkzeit zu geben und ihnen zugute zu halten, daß sie diesmal nicht subskribiert hätten. Sie seien der Meinung, dieses hochwichtige Werk wäre billig zuvörderst durch einen gemeinen Synodum und einhellige Approbation aller Stände und Theologen Augsburger Konfession geschlossen worden.
Es war die letzte Kraftprobe, auf die es der greise Stadtadvokat Fichard dem Predigerministerium gegenüber hatte ankommen lassen, und sie war ohne jeden Abstrich zu seinen Gunsten ausgefallen. Es war für die Prädikanten von voroherein nicht günstig, daß man das bevorstehende Jahr mit der Ausgabe des Konkordienbuches zu einer Jubelfeier der Augustana ausgestalten wollte. Das weckte unwillkür- lich die Erinnerungen an den Schmalkaldischen Bund, der auf die Augustana gegründet worden war, und diese Er- innerungen waren für Frankfurt in hohem Grade schmerz- lich, sie waren unlösbar verknüpft mit der Belagerung der Stadt im Jahre 1552 und der dadurch verursachten Zerrüttung der städtischen Finanzen. Vor einem Wege, der zu einem ähnlichen Ziele führen konnte, glaubte Fichard nicht ein- dringlich genug warnen zu können. Vielleicht hat er des- halb die Zukunftsmöglichkeiten noch um eine Schattierung schwärzer gemalt, als er selber sie tatsächlich sah. Was die Zionswächter diesen Erwägungen etwa entgegensetzen mochten von Forderungen einer reinen Lehre und eines Zu- Sammenschlusses aller Augsburger Konfessions-Verwandten,
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das machte auf ihn nicht den geringsten Eindruck. Er be- stritt nicht die Richtigkeit ihrer dogmatisehen Urteile, er bestätigte sie auch nicht, er ließ sie eben einfach als prak- tisch belanglos auf sich beruhen. Maßgebend waren für ihn allein die politischen Rücksichten. Daß ihm dieser letzte, entscheidende Sieg über seine alten Gegner eine gewisse Genugtuung gewährte, nachdem er oft genug mit seinen be- sonnenen Vorschlägen an ihrem dogmatischen Starrsinn ge- scheitert war, ist nicht unwahrscheinlich.
Daß es gute Bahnen waren, in die er mit seinem Votum den Frankfurter Bekenntnisstand lenkte, wird nicht zu be- zweifeln sein. An der lutherischen Rechtgläubigkeit der Stadt hat er freilich nichts geändert!), das lag auch nicht in seiner Absicht. Aber indem er die Einführung der Kon- kordienformel als offizieller Norm des Bekenntnisstandes zu verhindern wußte, hat er einem späteren Geschlechte, dessen Dogmatik nicht mehr auf den Voraussetzungen des Bergischen Buches beruhten, den Weg eröffnet zu einer Neuprägung der dogmatischen Begriffe, ohne daß diese Arbeit auf Kosten der persönlichen Wahrhaftigkeit und mit einem gebrochenen Ge- wissen hätte geschehen müssen.
Schluß.
Am 14. März 1588 starb Matthias Ritter nach sechsund- dreißigjähriger Wirksamkeit als Pfarrer in Frankfurt. An den Hauptdaten seines Lebens?) lassen sich die Hauptmomente in der Geschichte des Frankfurter Bekenntnisstandes im Zeit- alter der Reformation aneinander reihen. In demselben Jahre 1536, in welchem er als zehnjähriger Knabe seinen Vater verlor, kam unter Beteiligung Frankfurts die Wittenberger Konkordie zustande; es war die Zeit, in der die Einführung der Reformation in der Stadt endgültig vollzogen worden war und der Anschluß an den Schmalkaldischen Bund statt- gefunden hatte. Sechs Jahre später, als er die Universität Wittenberg bezog, um Luther und Melanchthon zu hören,
1) Dies kommt darin zum Ausdruck, daß (nach Becker, Über die Kirchenagenden der ev.-luth. Gemeinde zu Frankfurt a. M. 1848, S. 16) die Prüdikanten seit 1589 bei ihrer Ordination auf die Konkordien- formel verpflichtet wurden. Das war aber nur ein Zeichen des An- gehens, dessen sich die Konkordienformel bei den Theologen der Stadt erfreute, vielleicht zugleich ein Protest gegen die Entscheidung des Rates vom 18, Dezember 1579. Aber der offizielle Bekenntnisstand der Frankfurter Kirche wurde damit nicht alteriert.
2) Ritter, Ev. Denkmal S. 418 ff.
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setzte Bucer die Frankfurter Konkordie auf, diese grund- legende Bekenntnisschrift der Stadt, unter deren Pfarrern er dann im folgenden Jahre eine „Vereinigung“ aufrichtete. Wieder sieben Jahre später, als er in Straßburg für den jüngeren Justinian von Holzhausen eine Oratio de arte disse- rendi aufsetzte, stand Frankfurt im Zeichen des Interims: es war die Peripetie, die den Rückgang des Bucer-Melanch- thonschen Einflusses einleitete, das künftig tonangebende Gensioluthertum wartete seit dem Jahre des Consensus Tigurinus nur noch auf sein Stichwort und seinen Protago- nisten. Das Jahr 1552 brachte beides: in ihm trat Ritter in den Frankfurter Kirchendienst ein, wo er neben Hartmann Beyer und mit der Zeit noch mehr als dieser an die Spitze des exklusiven Luthertums trat, und gleichzeitig rollte West- phal mit seiner l'arrago das Banner auf, um das sich fortan auch in Frankfurt die genuinen Lutheraner scharten. End- lich in demselben Jahre 1554, in welchem die Fremden- gemeinden entstanden, trat Ritter mit seiner ersten Luther- biographie hervor!) um die Frankfurter, bei denen, wie im ganzen Westen, Luther bis dahin wenig gegolten hatte, mit dem Reformator vertrauter zu machen und sie für den säch- sischen Typus der Reformation zu gewinnen: ein Unter- nehmen, das er bei seinem Tode als völlig gelungen be- iraehten konnte.
Matthias Ritter ist ein typischer Repräsentant der Refor- mation in Frankfurt, und für das Verständnis der Entwick- lung, den die kirchlichen Dinge damals hier genommen haben, will es beachtet sein, daß die führende Persönlich- keit ein Mann wie er gewesen ist. Er gehört weder zu den bahnbrechenden und grundlegenden Geistern der ersten Zeit wie Luther und Zwingli, die die großen, schöpferischen Ge- danken in ihr Zeitalter warfen und die Kräfte eines neuen religiösen Lebens entbanden, noch auch zu den ersten Schülern der Reformatoren, wie Bucer, Calvin und a Laseo, die die vielfältigen Anregungen theologisch zu verarbeiten und für den Neubau des kirchlichen Lebens praktisch zu verwerten suchten. Er gehört vielmehr erst jener dritten Gruppe an, die nur die Gradheit und Festigkeit des persön- lichen Charakters aufzuweisen hat, im übrigen aber den Mangel an Großzügigkeit in religiöser, theologischer und kirchlicher Beziehung nur höchst unvollkommen ersetzt durch die strenge Korrektheit der Dogmatik und die straffe Dis-
!) Einer deutschen Übersetzung der Vita Melanchthons mit einigen Beilagen, die 1564 eine zweite Auflage erlebte, Vgl. Ritter, Ev. Denk- mal S. 422.
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. . 7
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ziplin der Partei. So wenig wie irgendein anderer seiner Frankfurter Amtsbrüder oder einer der Streittheologen jenes Zeitalters überhaupt, ist er imstande gewesen, den lebendigen Pulsschlag evangelischer Frömmigkeit zu erfühlen, wenn er ihm unter anderen als den ihm geläufigen Formen begegnete, was doch Luther nicht nur bei Melanchthon bis zuletzt, son- dern selbst bei Bucer, von dem er sich so oft enttäuscht füblte, immer wieder vermocht hat. Deshalb mußte er stets erst die Uebereinstimmung der ihm ungewohnt: klingenden dogmatischen Formeln mit der ihm von Westphal inter- pretierten Augustana nachprüfen, und an die Stelle des kon- genialen Verständnisses für jeden evangelischen Glauben, der nur mit anderen Ausdrucksmitteln dieselbe Wahrheit bezeugen wollte, trat bei ihm eine neue Scholastik mit der ganzen Enge und Sprödigkeit ihrer Begriffe und mit der ganzen schroffen Unduldsamkeit der Schule.
Daran liegt es wesentlich, daß der Frankfurter Refor- mationsgeschichte die eigentlichen Höhepunkte fehlen und der Eindruck, den sie schließlich hinterläßt, nichts Erhebendes, sondern eher etwas Bedrückendes hat. Sie weist keinen Heros des evangelischen Bekenntnisses auf. An ihrer Spitze sehen wir einen Rat, der sich lediglich von den Rücksichten poli- tischer Klugheit leiten ließ. In dem Predigerministerium aber geht die Führung an Eiferer über, die in ihrem eng- herzigen Fanatismus die Träger eines kraftvollen, unter Leiden und Verfolgungen bewährten Protestantismus nur für „Mär- tyrer des Satans“ ansehen wollten und ihren eigenen Stand- punkt mit solcher Selbstverständlichkeit in die Anfangszeit der Frankfurter Reformation zurückdatierten, daß sie gar nicht merkten, wie sie dabei verbrannten, was ihre Vorgänger an- gebetet, und anbeteten, was ihre Vorgänger verbrannt hatten.
Denn das darf als Ergebnis unserer Untersuchung fest- gestellt werden: Die lutherische Orthodoxie ist trotz der gegenteiligen Behauptung ihrer Wortführer nicht von Anfang an die Norm des Frankfurter Bekenntnisstandes gewesen. Sie war es auch noch nicht, als die Fremdengemeinden ent- standen. Welch ein Weg von dem ersten Vorkommen des Namens „Lutheraner“ bei Johannes ab Indagine, der darim nur die Verwirklichung der sittlichen Seite des Evangeliums ausgesprochen fand, bis zu den Entscheidungen, welche die Konkordienformel in den verschiedenen innerprotestantisehen Kontroversen traf! Und dieser Weg ist nicht geradlinig in der Richtung auf das schließlich erreichte Ziel verlaufen. Der Lutheraner Cellarius ist 1525 als Pfarrer abgelehnt worden. Luther selbst erhielt 1533 auf seinen Warnungs- brief eine deutliche Absage. Noch mehr als zwei Jahrzehnte:
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später konnte Cnipius von seinen Anhängern als von den coaxantibus adhuc in Stoicorum luto ranis spottweise reden. Nicht von Wittenberg, sondern von Straßburg aus ist die Frankfurter Kirche in den dreißiger und vierziger Jahren bestimmt worden, Capito und Bucer waren ihre Autoritäten, und soweit neben die Straßburger auch Wittenberger Ein- flüsse traten, kamen sie nicht von Luther, sondern von Melanchthon. Wenn ein Schüler Bucers wie Poullain 1554 dem Rate von seinen Wallonen schrieb: „Die sind euerer Religion“, so war das keineswegs eine Verschleierung der Wahrheit, wie man uns seitdem bis auf unsere Tage immer wieder hat glauben machen wollen, ohne sich der Mühe einer dogmengeschichtlichen Feststellung zu unterziehen, son- dern es entsprach einfach den Tatsachen, denn der Bekenní- nisstand Frankfurts, wie er durch die beiden Konkordien von 1536 und 1542 normiert war, stellte lediglich den Typus
des Bucerschen Unionsprotestantismus dar, dem auch Poullain
ohne Einschränkung und Vorbehalt huldigte, und denselben Standpunkt vertrat der Frankfurter Kompromißkatechismus von 1541. Erst seit der Mitte der fünfziger Jahre hat sich ein Umschwung vollzogen, für den die Verlegenheit der Prädi- kanten gegenüber Calvin bei seinem Besuch im September 1556 symptomatisch ist. Durch seinen Verleger Brubach ge- wann Westphal Einfluß auf Hartmann Beyer und damit auf das Predigerministerium überhaupt. Beschleunigt wurde der Prozeß durch das Mißtrauen gegen die Fremden, das West- phal säte, namentlich gegen Mieronius, dem er bereits in Hamburg entgegengetreten war. Als retardierendes Moment wirkten wenigstens noch eine Zeitlang die humanistiseh ge- sinnten Freunde Melanchthons und Calvins auf dem Römer, deren Einfluß indessen, zumal seit der Enttäuschung des
Seigerhandels 1557, nicht stark genug war, die alten Tradi-
tionen der Stadt auf die Dauer aufrecht zu erhalten. Die allgemeinen politischen Verhältnisse spielten gleichfalls mit herein, bald im Sinne der Prädikanten (der Augsburzer Religionsfriede und der Naumburger Fürstentag), bald im
Sinne des Philippismus (der Frankfurter Rezeß und die Auf-
nahme der Konkordienformel). Mit dem Tode Melanchthons und dem Verbote des reformierten Gottesdienstes in der Weißfrauenkirche, mit dem zeitlich sehr bezeichnend das erste Vorkommen des Wortes „reformiert“ in dem uns seit-
dem geläufigen Sinne zusammenfällt, war der Ubergang
Frankfurts in das Lager derer um Westphal besiegelt, und
dieses Ergebnis wurde, auch wenn die Stadt sich aus poli-
tischen Gründen weigerte, die Konkordienformel zu unter-
zeichnen, wenigstens von dem Predigerministerium für die 7*
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Zukunft als maßgebend für den Bekenntnisstand der Pfarrer angesehen.
Bei diesem Ergebnis ist es dann während der nächsten Jahrhunderte geblieben. Namentlich die Frontstellung gegen die Fremdengemeinden wurde beibehalten. Aber das Bewußt- sein um den dogmatischen Kontroverspunkt verschob sich, und während man gewohnheitsmäßig die alte Polemik und die unduldsame Praxis fortsetzte, kam tatsächlich eine innere Annäherung zustande. Man erklärte die Bucer-Calvin-Me- lanchthonsehe Position der Reformierten kurzweg für Zwinglia- nismus und rückte selber in ihre dogmatische Position ein unter gleichzeitiger Preisgabe der lutherischen Abendmahls- lehre. Hatte Poullain einst gerade dadurch so großen An- Stob gegeben, daß er die Lehre Luthers von der Impanation ablehnte, so erstand ihm ganz unvermutet zweihundert Jahre später ein Gesinnungsgenosse in einem Gegner seiner Ge- meinde, dem lutherischen Senior Fresenius, der gegen den Wortführer der Frankfurter Reformierten, den Duisburger Professor Withof, die Behauptung aufstellte, die Impanation sei von den Lutheranern nie gelehrt worden!).
Erst das Reformationsjubilium 1817 rückte den Ge- danken an eine grundsätzliche Annäherung des beiderseitigen Bekenntnisstandes in den Vordergrund. Doch war die größere dogmatische Unbefangenheit und Weitherzigkeit auch jetzt wieder auf der Seite der Reformierten. Dean während die Lutheraner nach jahrelangen Verhandlungen zuletzt doch von dem Projekte einer Union zurücktraten?), beschlossen sie 1829, bei den künftigen Pfarrwahlen nicht nur reformierte, sondern auch unierte und lutherische Bewerber zuzulassen, falls sie dem Glaubensbekenntnisse Poullains von 1554, diesem
Kompendium der Bucerschen Theologie, zustimmten?).
1) D, J. Ph. Fresenii Actenmüsige Anmerckungen Über Herrn J. H. Withofs, P. P. O. zu Duisburg, Ungegründete Nachricht, Wie es mit Valerando Pollano, Erstem Reformierten Prediger zu Franck- furt am Mayn, Und Dessen Aufnahm daselbst, zugegangen. Franek- furt am Mayn, In der Andreäischen Buchhandlung, 1752. S. 22f.
2) Ehlers, Ein Kirchenverfassungsversuch für die vereinten evang. Gemeinden zu Frankfurt a. M. 1822—1826, Frankfurt a. M. (M. Diester- weg). 1887. S. 26.
3) (Frankfurter) Reformiertes Kirchenblatt. 2. Jahrgang. Nr. 2 vom 15. April 1921. S. 9.
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Verzeichnis der Abkürzungen.
Lersner. Der Weit-berühmten Freyen Reichs- Wahl- und Handels- Stadt Franckfurt am Mayn Chronica, Oder Ordentliche Beschreibung der Stadt Franckfurt Herkunfft und Auffnehmen, wie auch allerley denckwürdiger Sachen und Geschichten, so bey der Römischen Königen und Kayser Wahl und Crönungen, welche mehentheils allhier vorgenommen worden, vorgegangen, nebst denen Verände- rungen, die sich in Weltlich- und Geistlichen Sachen, nach und nach zugetragen haben. Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag gegeben, Anjetzo aber Aus vielen Autoribus gezieret, und per modum Annalium verfasset, und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum von Lersner, Patricium Nobilem, Civitatis Francofurtensis, (Zwei Foliobände: 1706 und 1734.)
Ritter. Evangelisches Denckmahl der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführlicher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr-Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mithin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der Bestüttigung des wieder hervorgebrachtenHeiligen Evangelii in besagtem Ort, aus bewührten schrifftlichen Documenten und andern Urkunden verfertiget von Johann Balthasar Ritter, Evangelischen Predigern daselbst. Franckfurth am Mayn, Bey Johann Friedrich Fleischer. 1726,
F.R. Franckfurtische Religions-Handlungen, Welche zwischen Einem Hoch-Edlen und Hochweisen Magistrat und denen Reformirten Burgern und Einwohnern daselbst Wegen des innerhalb denen Ring-Mauren dieser Stadt gesuchten Exereitii Religionis Reformatae Publiei, Bey dem Hóchstpreiülichen Kayserlichen Reichs-Hof-Rath gepflogen worden, Worinnen hauptsächlich die wichtige Materie des Teutschen Staats-Rechts Von der Reichs-Ständen Jure circa sacra erläutert, und von dem wahren Verstand des Articuli VII, Instrumenti Pacis Westphalicae Und denen Annis decretoriis MDCXXIV. & MDCXLVIII. gehandelt, auch von einigen zu der Franckfurter Reformations- und Kirchen-Historie gehörigen Sachen gründliche Nachricht ertheilet wird. Nebst denen darzu gehörigen
. und gróstentheils ungedruckten, theils vor geraumer Zeit in Druck ausgegangenen aber nunmehro sehr rar gewordenen authentischen Beylagen. (Vier Foliobände. Frankfurt a, M. 1735 ff.)
Kirchen-Geschichte usw. Kirchen-Geschichte von denen Refor- mirten in Franckfurt am Mayu. (1751)
F.A. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. (N. F. — Neue Folge.)
Uffb. Mscr. Uifenbachsche Manuskriptensammlung im Frankfurter Stadt-Archiv.
Act. Eccl. Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion und Kirchenwesen.
Act. Ref. Dsgl.über das Niederländische und Französische Kirchenwesen.
B. B. Bürgermeisterbuch |
R. P. Ratsprotokolle | im Frankfurter Stadtarchiv.
Rschl. P. Ratschlagungsprotokolle |
Zur Wittenberger Universiti ätsgeschichte des 16. Jahrhunderts.
Von J. Jordan.
G. Nütebus, der verdienstvolle Herausgeber des Register- bandes zum Album academiae vitebergensis 1502— 16029, weist in der Einleitung zu ihm auf das Unsichere und Un- zureichende der Matrikeleintragungen wiederholt hin. Zu dem sehon von ihm herangezogenen weiteren Material, also anderweitigen amtlichen Quellen und sonstigen Vorarbeiten aus der Gelehrtengeschichte, dürften aber auch die Stamm- bucheintragungen Wittenberger Studenten aus jenem ersten Jahrhundert der Leucorea gehören, und ich bin in der glücklichen Lage, aus dem Besitz der alten Universitäts- bibliothek Wittenbergs ein studentisches Stammbuch vor- legen zu können, dessen Eintragungen jedenfalls in ihrer weitaus größten Zahl sicher auf Wittenberger Studenten der Jahre 1563—1573 sich zurückführen, für dessen weitere Eintragungen. wohl sämtlich der gleiche Schluß mehr als nahe liegt, auch wenn sie nicht im Album verzeichnet sind oder zu sein scheinen.
Haben diese Eintragungen, schon wenn sie keinerlei Abweichungen gegenüber dem Album zeigen, aber erst recht in ihren geringeren oder größeren Abweichungen in der Schreibweise wie in den Orts- und Heimatsangaben, ihren geschichtlichen Wert, so gibt auch ihr weiterer Inhalt zu mancherlei interessanten Feststellungen Anlaß. So wird eine genaue „EU DBIenUnE und Besprechung nicht ohne In- teresse sein.
A. Das Stammbuch liegt heute in einem mäßig starken Quartband von 177 numerierten Seiten vor. Der ur- sprüngliche Bestand ist das nieht. Der alte Einband ist durch einen neuen ersetzt; auf seine Innenseiten ist vom Buchbinder je. eine Stammbucheintragung eingeklebt, Eine Reihe von Blättern sind schon vor der Paginierung entfernt gewesen (vor S. 3; zwischen S. 9 u. 11); auch waren zwei Seiten schon damals zusammengeklebt, zwischen S. 151 und 153, und der Paginator hat nicht versucht, die Blätter von- einander zu trennen, obwohl die eine Seite deutlich be-
103 103
schrieben ist; heute wäre eine Trennung erst recht nur durch starke Beschädigung der Seiten möglich. Aber auch aach der Paginierung sind noch Verluste eingetreten: S. 45 —52; 75, 76; 149, 150; 161, 162.
.B..Der Besitzer des Síammbuches war Claudius Textor, laut Album II. 65, b; 21., am 15. April 1564 inskribiert als Gallus Allobrox. Die Widmungen der Eintragungen Nr. 49, 64, 83, ergeben die nühere Bestimmung: Geneuenis; so liegt schon hier eine ‚Weiterführung über die Notiz des Albums vor. Zwei weitere biographische Angaben ergeben sich aus den Daten der ältesten und der jüngsten Eintragung, jene vom 15. 4. 1563 (Nr. 21), diese vom August 1873 (Nr. 41). Hiernach ist T. schon mindestens 1 Jahr vor seiner Inskribierung in Wittenberg anwesend gewesen und hat mindestens 10 Jahre, davon 9 Jahre als inskribierter Student, also recht geraume Zeit, „Studien halber“ in. Wittenberg sich aufgehalten. Ein Hinweis darauf, daß er irgendeinen akademischen Grad sich erworben hätte, findet sich nirgends. Die Apostrophierung geht inhaltlich über das übliche doctrina, pietate, virtute praestantissimo, über das amico carissimo, conmensali, sua- vissimo, perpetua fide colendo nirgends wesentlich hinaus, Eine Ausnahme bildet die Eintragung Nr. 74, insofern hier ursprünglich philosopho insigni et mathematico solertissimo geschrieben war; aber die Worte sind dann durchgestrichen. Auch das Gedicht auf T., das sich bei Nr. 67 findet, ergibt niehts weiteres. — Die Stammbucheintragungen selbst ver- teilen sich sehr ungleich auf die einzelnen Jahre: 1563: 1; 1564: 5; 1565: 7; 1566: 35; 1567: 7; 1568: 12; 1569: 3; 1570: B; 1571: 3; 1572: 0; 1573: 3. Soweit es sich um Eintragungen von im Album nachweisbaren Verfassern handelt, sind sie mit Ausnahme von Nr. 21 sümtlich nach der In- Skribierung erfolgt; mehrere (Nr. 9, 16, 18, 27, 56) geben sich ausdrücklich als kurz vor dem Abgange von der Uni- versität geschrieben. Sämtliche sind von Wittenberg datiert, nur Nr. 46 von Magdeburg. Ihrer Landsmannschaft nach gehören die Schreiber allen deutschen Gauen an; irgend- eine Bevorzugung dieser oder jener Gegend ist nicht zu er- sehen. Adelige Namen stehen — Nr. 11, 12, 19, 39, 49, 70, 84, 85 — neben bürgerlichen. Auffallender Weise fehlt, wenigstens im gegenwärtigen Bestand des Stammbuches, jedwede Eintragung eines akademischen Lehrers; Magistri sind auch nur wenige vertreten. Angaben über die Zu- gehörigkeit zu einer der vier Fakultäten fehlen mit Aus- nahme von Nr. 30 überall.
. Was sich anderweitig (s. u.) feststellen läßt, ist auch wenig. Irgendwelche sicheren Schlüsse zur Lebensgeschichte
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T.s ergeben sich von hieraus schwerlich. So ist das bio- graphische Ergebnis gering.
Um so bemerkenswerter ist, daß ich bis jetzt wenigstens vier Bücher aus seinem Besitz nachweisen kann: sie gehören heute, wie das Stammbuch selbst, zum Bestand der alten Universitätsbibliothek; und zwar sind es folgende: Euclidis elementorum libri XV. graece et latine, Paris 1557; Galeni de urinis liber, Lutetiae s. a; Hippocratis Aphorismorum genuina lectio, Basel 1547; Martialis epigrammaton libri XIV, Paris 1539. Sämtliche sind mit zahlreichen Randbemerkungen versehen; ein eigentliches Vorlesungsexemplar ist nieht dar- unter; die Euclidausgabe ist durchsehossen, und die ein- geschossenen weißen Blätter sind über und über mit Notizen, geometrischen Figuren und Berechnungen bedeckt; die Hippo- cratesausgabe trägt den Vermerk: 1563 in Wittenberg er- worben. Mit letzterer Angabe ist also das Jahr 1563 für das Eintreffen T.s in Wittenberg erneut festgelegt. Haben wir also hier einen sicheren Fall dafür, daß die Inskribierung keineswegs immer sofort nach dem Eintreffen in Wittenberg erfolgt ist, worauf ja mancherlei Mahnungen in den Rektorats- anschlägen jener Jahre hinweisen? Dann wäre hier ein weiteres für die Universitätsgeschichte wichtiges Ergebnis festgelegt. Im übrigen darf man wohl aus dem fleißigen Gebrauch der Bücher einen Rückschluß auf ihren Besitzer machen. Aber auf alle weiteren Fragen, die an diesem Bücherbesitz und an sein Schicksal sich anschließen, also etwa nach Vorbildung und Berufswahl und Studiengang seines Besitzers, oder auf welche Weise Bücher und Stamm- buch in den Besitz der Universitätsbibliothek gekommen sind, vermag ich aus dem, was vorliegt, auch hier keine sichere Antwort zu geben. Sicher ist, daß T. nicht in Wittenberg gestorben ist.
In den mir zur Hand befindlichen alten und neuen Nach- schlagebüchern ist sein Name nirgends genannt.
C. Ich gebe nun zunächst ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis sämtlicher Namen, unter Hinzufügung der ent- sprechenden Angaben des Albums, und gelegentlicher anderer Hinweise. Wie im Registerband ist unter C auch K ein- gestellt; die erste Zahl gilt als Ordnungszahl; die zweite, in Klammern gesetzte, nennt die Seitenzahl des Stammbuches; A bedeutet Album; Suevus — Akademia Wittenbergensis ab. Anno fundationis 1502—1655 ... editore G. Suevo; Buch- wald — Wittenberger Ordinierten Bueh, 2 Bde, hrsg. v. G. Buchwald.
1. (S. 68) ..... 2. (S. 109) Basilius Aezinger Lambacensis Austriaeus 1564.
105
SC uo
16.
17. 18.
19,
20.
2].
(S. (S.
105-
[A II 3b, 37; 13. 5. 1560 Acinger (!) Basilius- Lambatensis (= Lambach, Oberösterreich) ]. 141) Johann Alttb. . a Castello; s. a. [A? Suevus:?].
. 170) Georgius Aperbachius Erphurdensis 1566. [A ?]. .172) Johan. Rupelus Bacherus Flander. 1570. [A ?]. . 169) Laurentius Besler Brygensis 1567 [A 11 8 b, 25;.
16.5.1560. Besler, Laurentius, Bregensis (— Brieg, Schlesien) gratis inscriptas].
.129) Dauid Binvald Prutenus 1566 [A II 103a, 29;.
20.5. 1566. Dauid Binewaldt (!) Prutenus].
. 168) Petrus Boquetius Andinus (= Andes, Bene-
dietinerkloster b. München?) 1567 [A ? Suevus ?]..
. 121) M. David Bramerus Brunsuicensis discedens 1566
[A 1 349 b, 27; 25.9. 1558. David Bramerus. Brunsuicensis. Vgl. Buchwald II 582].
. 175) Joan. Khlingler Austriacus 1566 [A 11 90b, 4;
19. 9. 1565. Johannes Klingler (!) Stirzensis].
. 10) Anthonius, Herr von Kietlitz 1571 [A? ob Student?
ob Vater von Nr. 12?].
. 10) Johannes a Kitlitz, Baro. 1571 [A I 354a, 36;.
3. 12. 1558. Nobilis et Generosus D. D. Johannes Baro a Kitliez et Dominus in Crain inseriptus.. Ebs. Suevus 1558].
81) Eusebius Cleber Memmingensis 1566 [A 1I 88 b, 6; 4.7.1565. Eusebius Kleper(!) Memmingensis].
.115) Dauid Klemmius Tilsenus Borussus 1564 [A?]. .108) Johannes Knozer Stirius Eisenerztensis 1566-
[A II 3 b, 35; 13, 5. 1560. Johannes Knozer Vernodensis ex Styria].
- 69) Laurentius Collinus (a. c. matre A. W. discedens).
1566 [A II 216, 40; 14. 6. 1561. Laurentius Laureocensis (Lorch, Oberösterreich) Austriacus].
« 69) David Crusius Hamburgensis 1568 [A Il 15 b,
41; 10.4.1560. David Krause (!) Hamburgensis].
- 170) Vitus Cyranius Tyrolensis (paulo aute discessum)
1568 [À ?]. |
:140) Caspar à Dauwiez de Jonstorff 1566 [A 1I 24b,.
31; 17. 10. 1561. Caspar a Danwiez a Jans- dorff nobilis Silesius vgl. Suevus: C .. a Danwitz..].. 112) Andreas Ditmarus Brunsuicensis 1566 [A I 345 a, 36; 7.5.1558. Andreas Ditmarus Brunsuicen.]. 111) Daniel Donersperger Stirius 15. 4; 1563 [A II 51b, 22; 12.5. 1563. Daniel Donnersberger (!). de Leoben Styrus].
29. (S. 164 ff.) Catharinus Duleis Allobrox 1568 [A II 137 a,
41: 5. 4. 1567. Catharinus Dulcis Geneuensis]..
106 106
:23. (S. 93) Joachim Einpacher Stirius 1566 [A II 51a, 21; 3.5.1563. Joachimus Einbacher (!) Graizensis Styrius].
24. (S. 163) Elias Tesbitius Moravus 1568 [A IL 14a 7; 19. 10. 1560. Elias Brodensis (= Böhmisch Brod. Moravus. Vgl. Buchwald II 1027].
:25. (S. 101) Michael Ezechius Ungarus 1565 [A II 54 b, 3; 17. 7. 1563. Michael Ezechius Hungarus].
26. (S. 154) Henrieus Faber 1571 [A II 45b, 25; 1563. Hen-
| ricus Faber Quedlinburgensis? II 85a, 36; 1565. H.F. ex Tabernis montanis (Bergzabern)? II 170 b, 38; 1570, H. F. Magdeburgensis?]
27. (S. 64) Johannes Faustinus Prostanensis, (rediturus in patriam) 1569 [A II 121a, 10; 11. 4. 1566. Johannes Faustinus Brostanen, (= Prossnitz) Moravus].
.179) Hermannus Ficeius Rigensis 1565 [A II 23b, 10; 24.8. 1561. Hermannus Fictius (!) Rigensis].
.175) Johannes Fleischer Vratislauicensis 1567 [AI 5332, 28; 5. 10. 1557. Johannes Fleischer Vratislauien. Vgl. Buchwald II 1250].
30. (3.168) David Fleischmann pastor in pago Plauen 1570
[A II 103b, 5; 23. 5. 1566. Dauid Fleischmann Dresdensis. Vgl. Buehwald 1I 1010]. 3]. (S. 102) M. Balthasar Floeter Saganus Silesius 1565 [A II 782,3; 1. 11. 1564. M.Baldasar Floeter Sagensis]. 32. (S.142f.) M. Adamus Franciscus Caruovius 1566 [A 1364 b, 13; 28.9. 1559. Adamus Frantzky (! Caruo- nensis Silesius. Vgl. Buchwald 11 1207 M. Adamus
2 Franciscus Jagerdortii . .].
33. (S. 99) Martinus Haggaeus Holsatus 1565 [A ?].
34. (S. 174) Simon Händl Austriacus 1566 [A 1 333 b, 22;
| 12. 8.1557. Simon Hendel, Adorfensis (= Adorf im Voigtlande, sächs. österr, Grenze) gratis in- seriptus].
35. (S. 147) Valentinus Hellopaeus Pannonius 1567 [A II 29 b,
20; 12. 1.1562. Valentinus Hellopaeus Ungarus].
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36. (S. 126) Simon Hermannus Mediensis 1567 [A II 97a,
24; 26. 4. 1566. Simon Herman Mediensis | (— Mediasch, Siebenbürgen)].
37. (S. 104) Johan. Hesterbergius Hamburgensis 1567 [AI 246 b, 13; 16. 5. 1549. Johannes Hesterberg Hamburgensis ? A I 326a, 27; 30. 4. 1557. Jo- hannes Hesterbergius Hamburgensis ?]
38. (S. 114) Rudolphus Hoyer Campensis 1566 [A II 87 a, 6; 23.5. 1565. Rudolphus Hoyer Campensis].
tf LE
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39. (5.136) Philippus ab Holdinekheussen 1570 [A II 178b,
7; 13. 6. 1570. Philippus ab Holdinekhausen Hessus].
40. (8.176) Georg Innerhofer Austriacus 1566 [A LH 906, 3; 19. 9. 1565. Georgius Innehofer (!) Stirensis].
41. (S. 153) M. Johan. Lehman 1573 [A II 70b, 39; 3. 6. 1564.
| Johannes Leemann Ilenburgensis ? A II 121 a,
"TEN . 9;11.4.1567. Johannes Lehmann Boleslaniensis?] 42. (5.27) Conrad Marius Rinckgauiensis 1571 [A [ 210b, | 31; April 1544. Conradus Marius Rinckariensis
AS Rhein gau) adser.: Ma(gister) Heid(elbergensis)].
43. (3.91) Andreas Mater Austriaeus 1566 [A II 95 b, 13; 6. 12. 1565. Andreas Mader (!) Hypolitanus (= St. Pölten) Austriacus].
44. (5.88) Georgius Mauritius Noribergensis 1566 [A I 361 b, 14; 30. 5. 1559. Georgius Mauritius Noren- bergensis].
5. (8.117) Dionysius Melander Cassellanus 1564 [A Il 75a, 14; 10. 5. 1564. Dionysius Melander Casselius].
46. (8.171) Johannes Meyendorffius Germanus Meyde- burgensis 1567 [A I 299a, 29; 25. 10. 1554. Joannes Meyendorff Magdeburgensis],
47. (5.106) M. Petrus Michaelis Suecus 1564 [A 1 354a, 14; 28. 11. 1558. Petrus Michaelis Suecus [Es
| Schweden)].
48. (3.57) Franciscus Morenberger Vuratis. Siles. 3. 9.1570
EE [A. 1I 816, 36; 29. 4, 1565. Franciscus Moren- berger Wratislanien.? A II 1812, 3; 6. 10. 1570. Johannes Morenberger, Vratislanien.?]
49. (5.87) Baldasar a Moshaim Stirius 1566 [A II 376, 40; 28.9.1562. Baldazar a Mosham Styrius nobilis. vgl. Suevus].
50. (5. 107) Johannes Neodicus Elbing 1564 [A I 306b, 37; 14.5.1555. Johannes Jungschultius Elbingen 2].
51. (5.120) Michael Paxius Vngarus 1565 [A II 103a, 30; 20. 5. 1566. Michael Paxi Vngarus].
52. (S. 157 f£) Michael Petraeus 1566 [A I 336a, 29; 2. 12. 1557. Michael Petreus Hammelburgensis].
53. (8. 132) Georgius Peper Hamburg 1568 [A II 90b, 28; 2. 10. 1565. Georgius Piper (!) Hamburgensis].
54. (8.92) Sebastian Pengelius Patauiensis 1566 [A II 56a, 16; 12. 10. 1563. Sebastian u. Ambrosius Poigel (!) frates Passauienses].
55. (8.73) Johannes Praetorius Joachimicus 1568 [A I 329b, 36; 16. 5. 1557. Johannes Praetorius Vallensis Matthesii affinis].
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56. (S. 155) Joachim Quenstadius Quedlinburgensis discedens 1571 [AI178a, 4; W. S. 1539/40. Joachimus Quenstedt Quedlinburgensis].
57. (S. 177) Dauid Rahauserus 1570 [A II 153b, 10; 24. 3.
| 1569. Dauid Rahauserus Colladensis (= Cöl- leda)].
58. (S.137) Joan Lucas Ramminger, Augustanus 1568 [A II 87b, 2; 2. 6. 1565. Joannes Lucas Ramminger Augustanus].
59. (S. 127) Henrieus Regius Brunsuicensis 1566 [A I 3453,
| 37; 7. 5. 1558. Henricus Regius Brunsuicensis].
60. (S. 63) M. Christoph Reschuch [Keschuch?] Gotlebensis (-Gotleuba?) 1569 [A ? Suevus?].
61. (S. 177) David Hhutenus Vratislaviensis Silesius 1566. [A I1 47a, 12; 16. 4. 1563. Dauid Ruttenus (!} Wratislanien.].
62. (S. 1) Johannes Richthauser Noribergensis 1565 [AI 365a, 3; 6. 10. 1559. Johannes Rithauser (!) Noribergensis].
63. (S. 71) d Rörer Stausrietten 1566 [A Il 3b, 31; 13. 5. 1560. Abraham Rörer ex Stausrida Straubingam],
64. (S. 103) Joannes Rhorerus Feslingensis 1564 [A ? Buch- wald 1I 686: Johannes Rhor. Esslingensis, ordi- niert 12. 3. 1567. ?].
65. (8. 83) Joannes Reichovius Lubec. 1566 [A II 6b, 3; 4. 7.1560. Johannes Reichovius (geändert aus Ruxhofius) Lubecensis].
66. (8. 119) Gregorius Sasuarius Ungarus 1565 [A II 44b, 35; 9.11. 1562. Gregorius Sasuari Ungarus Transyl.].
67. (S. 113) Georgius Schirmerus Dantiscanus 1564 [A II 51a, 30; 5.5.1563. Georgius Sehermerus (!) Dantiscanus].
68. (S. 145) Laurentius Scholtz Vratisl. Siles. 1573 [A 11 2142, 21; 6.5. 1572. Laurentius Schultz (!) Vratis- lauiensis].
69. (S. 97) Georgius Schulezius Holsatus Flensburgensis 1565 [A IL 37a, 31; 27.8. 1562. Georgius Schultz Flensburgen.-Holsatus].
70. (8.85) Caspar à Seidlitz 1566 [A I 3333, 33; 15. 10. 1557. Casparus Seidlitz Silesius. Vgl. Suevus:. C. Seidlitz].
71. (S. 131) Hermannus Soltau Ham. 1568 [A I 185b, 13; 19. 11. 1540. Hermannus Soltu Hamburgensis].
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72. 13.
14.
15.
16.
77.
78. 19. 80. 81.
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(S. 56)
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Arnoldus Stein Pomer. Strals. 1569 [A II 161b, 40; 23.6. 1569. Arnoldus Stein Stralsunden. Pome.].
(S. 151) Jodocus Stiehenpoekh Patauiensis 1566 [A II
(S. 173)
(S. 65)
46b, 2; 24. 3. 1563. Jodocus Stichenbock Passauiens.].
Caspar Straub Chemnicensis 1566 [A II 95a, 35; 14. 11. 1565. Caspar Straub Kemnicensis]. Simeon Theophilus Turnouicensis Bohemus 1568 [A I1 36a, 28; 12.7.1562. Simeon Theophilus
. Turnouiensis Bohemus]. (S.146) Matthias Thurius Vngarus 1568 [A II 105a, 18;
(S. 95)
(S. 84)
(S. 134)
. (8. 59)
88. (S. 162)
30. 7. 1566. Matthias Thurius Vngarugs]. Jacobus Tylinge Flensburgensis Holsatus 1565 [A II 53b, 24; 5. 7. 1563. Jacobus Tillingus (!) Flensburgensis Holsatus].
Jacobus Varnbieler, Badensis 1566 [A l 88b, 7, 3.7.1565. Jacobus Farenbiler (!) Badeusis].
Dauid Venator Brunsuiacensis 1566 [A If 88b, 5. Dauid Venator Brunsuiacensis].
Paulus Vetzerus Lipsensis 1570 [A II 164a, 25; 29. 9. 1568. Paulus Fertzerus (!) Lipsensis].
Johannes Vogelius Dresdensis M. 1568 [A II 62a, 33; 8.2.1564 Johannes Vogelius Dres- densis. Vgl. Buehwald II 820].
M. Geor. Weigelius 1573 [A I 349a, 43; 14. 9. 1558. Georgius Weigelius Noribergensis? A II 164a, 35; 1. 10. 1568. | Georgius Vueigelius Sagan. Siles.?].
Joan. a Wentzke 1566 [A II 105b, 20; 2. 10. 1566. Joannes a Wentzk, Silesius. Vgl. Suevus: J. a. Wentzke].
Albertus Friderieus a. Wernsdorff 1566 [A II 103a, 24; 20.5.1566. Albertus Friderieus a Vuernsdorff, Prutenus, Suevus: ?].
Wolfgang a. Wernsdorf Borussus 1566 [A II 103a, 25; 20.5. 1566. Wolfgang a Vuernsdorf Pru- tenus. Vgl. Suervus!].
Petrus Vuesenbecius 1570 [A 1I 169a, 4; 27. 10. 1569. Petrus Wesenbeceius Antuerpianus].
. (S. 105) Johannes Wetken Hamburgensis 1568 [A I 139b,
37; 19. 7. 1530. Joannes Wetgeh (!) Ham- burgen.?].
Petrus Witte Holsatus 1568 [A II 128b, 32; 26. 8.1567. Petrus Witte Ezohen. Holsatus].
| RE e
110 110
89. (S.77) Cyriacus Wolfius Hoxariensis 1566 [A II 256a, = 4; 6.5.1550. Cyriaeus Wolf Hozariensis].
90. (S. 55) 1569. Schriftzüge nicht sicher deutbar: Mons. (?) D. = Johannes vom Berge Dessauiensis (A I 173a, 14; Nov. 1538)?
91. (S. 79) s. a. Hebraeische Buchstaben: jochanan herman
hakkoteb — Johannes Seriba (A II 15b, 93; 3. 4. 1560 Rinckauiensis? A II 86 b, 23; 19. 5. 1565 Schleusigensis?) oder = Johannes Schreiber (A II 34b, 39; 29. 5. 1562. Vite- bergensis?).
Demnach handelt es sich um 89 (91 — Nr. 1 und Nr. 90) mehr oder weniger sicher zu deutende Eintragungen. Von ihnen scheint Nr. 11, die einzige Eintragung, die nur den Namen des Eintragenden mit dem Zusatz „mit eigner Hantt^ zeigt, wohl als eine nicht studentische aus- zuschalten zu sein; sie hängt wohl mit der ihr auf der- selben Seite unmittelbar vorangehenden Nr. 12 zusammen. Nr. 64 ist nach der Eintragung im Ordinierten Buch zwar in Wittenberg ordiniert worden, aber nicht inskribiert ge- wesen. Die Einzeichnung ist wohl dadurch zu erklären, daß der Schreiber ebenso wie der Stammbuch-Besitzer beide der schola Geneuensi angehört haben (Buchwald II S. XXVI Nr. 686). Von den verbleibenden 87 Eintragungen sind nicht weniger als 8 (Nr. 3, 4, 5, 8, 14, 18, 33, 60) im Album nicht nachweisbar (ea. 9 °/,), 7 (Nr. 26, 37, 41, 48, 51, 82, 91) nieht sicher zu identifizieren; auch bei Nr. 15 und 34 kann wegen der Abweichung in der Ortsangabe ein Zweifel an der ldentifizierung obwalten, desgleichen bei Nr. 42, 56, 71, 87 angesichts der sonst festzustellenden abnormen Länge ihres Wittenberger Aufenthalts,
Demnach verbleiben als sicher festzustellende 65 Ein- tragungen; und von ihnen variieren in der Schreibweise der Namen in geringerem Maße (d.h. so, daß in dem alphabe- thischen Namensverzeichnis des Registerbandes keine Ver- schiebung einzutreten hat), 19, 36, 39, 49, 51, 56, 63, 66, 69, 71, 73, 83, 86, 89, also 14 Eintragungen (über 91 "oi in stärkerem Maße (d. h. so, daß eine Aenderung in der alphabefhischen Anordnung nötig wird,) 2,7, 10, 13, 21, 23, 28, 32, 40, 43, 53, 54, 61, 62, 67, 68, 77, 78, 80, 87, also nicht weniger als 20 Eintragungen (über 30 °/,); zwei- (drei-) mal ist der lateinische Name für den deutschen des Albums eingetreten (17, 50; 90?) einmal die. hebräische Ueber- setzung (91).
. Die Adelsbezeiehnung fehlt bei Nr. 70.
111 lll
In der Ortsbezeichnung ist das Stammbuch naturgemäß.
dem Album unterlegen; genauere Angaben hat das Album bei Nr. 12, 16, 19, 21, 22, 23, 24, 30, 32, 39, 40, 43, 52, 57,
63, 66, 70, 83, 84, 86, 88, also in 21 Fällen; dagegen ist das-
Stammbuch ausführlicher bei Nr. 10 und 68, also nur in zwei Fällen; in den Angaben, zumeist freilich nur in der Schreibweise, variieren Nr. 2, 6, 19, 27, 31, 35, 39, 42, 45, 46, 54, 55, 73, also 13- Fälle.
D. Abschließend reihe ich einige kulturgeschiehtlich. interessanten Beobachtungen aneinander.
J. Als Magistri zeichnen. Nr. 9, 31, 32, 41, 47, (60 s. o.) 81, 82. Von ihnen ist Nr. 31 schon als Magister im Album eingetragen. Die übrigen dürften als Wittenberger Magistri anzusprechen sein. Für Nr. 32 ist sowohl die Tatsache wie aueh ihr Jahr (1564) aus der Eintragung im Ordinierten- Verzeichnis sicher zu stellen; für Nr. 29 wenigstens das Jahr: 1567 (Buchwald II Nr. 1252 und 1260) Nr. 42 ist im Album als Mag. Heidlbg. eingetragen, zeichnet aber im Stammbueh nicht ‘als Magister; auch bei Nr. 44 und 89 fehlt das ihnen zustehende M.
II. Ueber den späteren Lebenslauf der sich eintragenden ist nur in einzelnen Fällen etwas festzustellen.
Unter den sieben in Wittenberg ordinierten ist — Nr. 9 — David Bramer vielleicht mit dem 1591 in Felsberg T D. B., dem Vater des Architekten Benjamin B. identisch (ADB. III 234) (Jöcher nennt für dieselbe Zeit einen in Saalfeld amtierenden Superintendenten M. D. B.); — Nr. 29 — Johannes Fleischer ist der als Inspektor der Kirchen und Schulen in Breslau und D. th, Wittenbergensis 1593 + Theo- loge (Jöcher); — Nr.81 — Johannes Vogelius ist wohl der 1599 als Pfarrer in Zittau F J. V. Dresdensis (Jöcher). — Nicht im Wittenberger Ordiniertenbuch verzeichnet, aber nach Erdmann, „Die Diakonen Wittenbergs", — worauf ich. durch Hrn. M. Senf, Wittenberg, aufmerksam gemacht bin — am 18. 5. 1575 zum 4. Diakonus in- Wittenberg ordiniert ist — Nr. 89 — Cyriacus Wolfius, 1559 M, 1577 Dekan der philosophischen Fakultät. — Die übrigen — Nr. 24, 30, 32, 64 — werden in den mir zugänglichen Nachschlage- büichern nicht erwühnt.
Für die weiteren Eintragungen glaube ieh folgende Identifizierungen vorsehlagen zu kónnen. Für Nr. 22 (Catha- rinus Duleis)?) vgl. Jöcher: „geb. 1540, ist naeh Constantinopel, Palästina, Kopenhagen, Schweden, Polen, England, Frank- reich und Italien gereist, hat zu Cassel und Marburg die
1) Vergl. Friedensburg, Gesch. d. U. V. S. 875.
112 112
fremden Sprachen dociert^. Für Nr. 44 (Georg Mauritius) vgl. ADB. XXI 79: geb. 1539, 1562 M. und Adjunkt der philosophischen Fakultät Wittenbergs, 1600 Rektor der Schule zum heiligen Geist in Nürnberg, + 1610, Verfasser von 10 deutschen Schuldramen. Für Nr. 45 (Dionysius Melander) vgl. vielleicht ADB. XXI 279; mit seinem Sohn Otho, Heraus- geber lateinischer Schwanksammlungen. Für Nr. 55 (Johannes ‚Prätorius) vgl. vielleicht ADB. XXVI 519: der berühmte Mathematiker, 1571—1576 Prof. der Mathematik in Witten- berg, seit 1576 in Altorf, T 1616. Für Nr. 68 (Laurentius Scholtz) vgl. ADB. XXXII 229: Dr. phil. u. med., Arzt, seit 1580 in Freystadt bei Glogau, seit 1585 Breslau, 1596 ge- adelt als Scholtz v. Rosenau, t 1599. Endlich, für Nr. 86 (Petrus Vesenbeek)!) vgl. Jöcher: geb. 1546, Professor der Rechte 1574 in Jena, 1587 in Wittenberg als Naehfolger seines berühm- ten Vetters Matthäus., 1592 in Altorf; +1603 als Hofrat in Coburg.
Bei der Unsicherheit der Identifizierung von Nr. 82 (Georg Weigelius) erübrigen sieh hier alle Versuche.
Das Ergebnis ist: 8 Theologen, 1 Jurist, 1 Mediziner, 3 Philologen, 1 Mathematiker,
Ill. Dadurch, daß Nr. 9, 16 (18. s. o.), 27, 56 sich als unmittelbar vor dem Verlassen Wittenbergs geschrieben kennzeichnen, läßt sich für sie der Aufenthalt an der Leucorea mit Sicherheit feststellen; er beträgt 8, 5 (? s. o.), 3, 31 Jahre. Dadurch, daß für Nr. 9, 24, 29, 30, 32, (64), 81 das Jahr der Ordination bekannt ist, ergeben sich als Aufenthaltszeit an der Leucorea, bzw. als Zeit zwischen Inskribierung und Ordination die Jahre 8, 10, 15, 4, 13, (? s. o), 4. Die eigenen Angaben im Ordiniertenverzeiehnis sind zu Nr. 9: 7 Jahre; zu Nr. 39: 14 Jahre; zu Nr. 30: 4 Jahre; zu Nr. 32: 13 Jahre; zu Nr. 81: 4 Jahre. Doch will zu Nr. 32 avu- gemerkt sein, daß in diesen 13 Jahren nicht nur die Er- langung der Magisterwürde sondern auch eine 4jährige Lehrtätigkeit an der Leucorea liegt; zu Nr. 27, daß in diese 10 Jahre wenigstens 7 Jahre fallen, in denen E. an ander- weitigen Orten, z. T. in niederen kirchlichen Diensten geweilt hat; desgleichen zu Nr. 29, daß von den 14 Jahren aus ähnlichen Gründen etwa 2!/, Jahre, bei Nr. 32 etwa 1 Jahr ausscheiden. Die so zunächst sich darbietenden Zahlen sind also für die Berechnung des eigentlichen Universitätsstudiums nur von relativer Bedeutung.
Da ähnliche Verhältnisse auch sonst vorgekommen sein mögen, so sind auch die weiteren Zahlen, die über den Aufenthalt an der Leucorea sich aus den Daten der
1) ausführlich Friedensburg 1. c.
113 113
Stammbucheintragungen verglichen mit den Inskribierungs- Daten ergeben, nieht ohne weiteres tragfähig für weiter- greifende Behauptungen. Doch wird auch mit diesem Vor- behalt die folgende Zusammenstellung nicht ganz ohne Wert sein, die sich allerdings nur auf die — 36 — Fälle bezieht, wo die Spanne schon mehr als 3 Jahre beträgt. Ich zähle also in je 4 Fällen 4 Jahre, 5 Jahre, 6 Jahre; in 6 Fällen 8 Jahre; in je 3 Fällen 7 Jahre, 9 Jahre, 13 Jahre; in je 1 Fal lu, 11, 15, 16, 18, 27 (Nr. 42) 28 (Nr. 71), 31 (Nr. 56) und 38 (Nr. 87) Jahre. Mit einer Ausnahme stammen die 10 und mehrjährigen Fälle sämtlich aus Städten, die noch heute innerhalb des deutschen Reiches liegen.
Ueber das Lebensalter bei der Inskribierung ergibt sich aus keiner Stammbucheintragung irgend etwas, aus den hier in Frage kommenden Eintragungen im Ordiniertenbuch nur eine Ángabe, námlieh für Nr. 32, wonach Fr. mit 19 Jahren zum erstenmal naeh Wittenberg gekommen ist.
IV. Noeh einige inhaltliche Zusammenstellungen über die Eintragungen selbst!
a) Die alles bestimmende Sprache ist das Lateinische. In den Widmungsworten überwiegt sie weitaus; hin und wieder mit Einmengung griechischer Wörter; einmal ist sie deutsch (Nr. 11), einmal hebräisch (Nr. 91) Das Monatsdatum wird überwiegend deutsch gegeben. Bei den Zitaten tritt das Lateinische in weitaus den meisten Fällen auf; nur zweimal (Nr. 43, 58), macht es dem Griechishen Platz. Dagegen sind Zusammenordnungen lateinischer und . anderssprachlicher Zitate nicht selten. In 23 Fällen gesellt sich das Griechische, in 4 Fällen das Deutsche, in je 1 Fall das Hebräische bzw. das Böhmische ihm zu. Auch drei Sprachen treten nebeneinander auf, Lateinisch, Griechisch, Hebräisch in 2 Fällen (Nr. 35, 75), Lateinisch, Griechisch, Französisch in einem Fall (Nr. 33). Etwas besonderes ist die Eintragung Nr. 22 (s. o.), die zum Lateinischen noch Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Neu- griechisch hinzufügt. |
b) Zitiert wird aus der Bibel; zumeist mit Angabe der Stelle; hebräisch nach dem Grundtext, Psl. 37, 37 (Nr. 75), Psl. 96, 5 (Nr. 35), Psl. 119, 1 (Nr. 91); griechisch nach dem Grundtext Rö. 8, 15 ff. (Nr. 58), Rö. 11, 20 (Nr. 32), Git. 2, 19 f. (Nr. 32); lateinisch 1. Chro. 29, 15; (Jes. 63, 7); (Psl. 92, 14); Ecci. 6, 14; Sir. 3, 31 ff; 6, 14—17; (14, 3); Sap. 3, 4. Mith. 5, 10 (10, 32); Luc. 10, 20. Rö. 8, 33 ff; 1 Kor. 13, 4 ff; 1 Tim. 4, 8. Hin und wider ist bei den letzteren der zugrunde gelegte Text nicht mit Sicherheit zu erschließen.
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 8
114 114
Zitiert werden griechische Schriftsteller und lateinische Schriftsteller, heidnische und christliche, in den allermeisten Fällen obne nähere Stellenangabe; und zwar von heidnischen, griechischen Schriftstellern griechisch: Aeschines, Athenaeus (mit “lateinischer Uebersetzung), Kallimaehus, Melander, Philemon, Pindar, Plato (zweimal), Sokrates, Xenophon; lateinisch: Aristoteles, Epichar(mus), Euripides, Hippokrates, Lykurgos, Pythagoras, Pindar, Plato (dreimal), Xenophon. — Von christlichen griechischen Schriftstellern griechisch: Athanasius, Basilius, Epiphanius (zweimal), Gregor v. Nazianz (mit lateinischer Uebersetzung), Theodoret (mit lateinischer Uebersetzung); lateinisch: Chrysostomus, Gregor v. Nazianz, — Von heidnischen lateinischen Schriftstellern: Cieero (neunmal), Juvenal, Martial (zweimal), Ovid (zweimal), Plutareh (zweimal), Quintilian, Sallust, Seneca, Terenz — Von christlichen lateinischen Schriftstellern der alten Kirche und des Mittel- alters: Augustinus, Bernhard, Hieronymus, Isidorus Hispal., Tertullian; von sonstigen christlichen lateinischen Sehrift- stellern der älteren Zeit: Ausonius, Prudentius. — Von Männern der Reformationszeit: I. Camerarius, P. Eber, H. Göden (hervorragender Jurist in Wittenberg, t 1521), Melanchton (viermal, z. T. griechisch und lateinisch), I. Stigel (zweimal), Vitus Theodorus sen.; von sonstigen Schriftstellern der Reformationszeit: Budäus (f 1540), 'L(aneinus) Curtius. (f 1511), Janus Pannonius (um 1508), Mantuanus (d. h. Joh. Bapt. Spagnoli, 1 1518), Marcellus Palingenius (d. h. Pier Ángelio Manzolli, 16. Jahrhdt.), Petrarka (zweimal).
Wiederholt finden sich sowohl griechische wie nament- lich lateinische Zitate, in Prosa wie vor allem in Distichen, ohne Angabe des Verfassers, Die Vermutung ist nicht ab- zuweisen, dab namentlich im letzeren Falle auch eigenes Gut der Eintragenden hier vorliegt.
e) Ihrem lnhalt naeh handelt es sich bei den Zitaten zum größten Teil um religiös-sittliche Stoffe. Etwas be- sonderes ist es dabei, wenn in Nr. 21 eine Auslegung P. Ebers zu Jes. 49 zu lesen ist, in Nr. 32 Ovidii versas lib. IV. Trist. Elogia IX. in einen Preis Christi und Gottes um- gewandelt werden, in Nr. 59 über die Frage „facies Christi, quot et quales habeat adspectus?“ gehandelt wird; auch bei Nr. 16 findet sich ein Lobgedicht auf Jesus. Selbstverständlich hat auch der Ruhm der Freundschaft seine Stätte; wohin auch die ohne nähere Stellenangabe angeführte Bitte des Königs Antigonus an die Götter um Schutz vor falschen Freunden (Nr. 72) gehört. Ausnahmen gegenüber diesen Stoffen sind etwa, wenn in Nr. 47 den Quaestiones universales des Plutarch ein Hochpreis der Geometrie entnommen wird,
115 | 115
oder bei Nr. 51 die lateinischen Epitaphien der ungarischen Könige S. Bela und Matthias Corvinus im Wortlaut mit- geteilt werden, oder wenn in Nr. 38 ohne nähere Stellen- angabe eine Episode aus dem Leben des Philosophen und Mathematikers Aristipp (Rettung aus Schiffbruch) erzählt wird, oder in Nr. 53 aus Athenaeus, in griechischem Text und in lateinischer Uebersetzung durch Budaeus, die Er- zählung von Menedemus und Asklepiades vorgelegt wird, welche beide, als Studenten der Philosophie in Athen, ihren Lebensunterhalt durch Nachtarbeit beim Ausladen der Schiffe im Piraeus sieh verdient haben.‘ Eigenartiger noch ist das lange Privilegium Studiosorum und das Encomium Advoca- torum bei Nr. 52 oder die Pacis preconia aus Palingenius (s. 0.) bei Nr. 54, denen unter der Ueberschrift de eadem versibus elegiacis alio authore weitere Distichen an- geschlossen werden. Das eigenartigste jedenfalls ist, daß C. Duleis (Nr. 22) ein langes Empfehlungsschreiben für sich seitens eines gewissen Demetrius Marmartus, im neu- griechischen Text und in lateinischer Uebersetzung mitteilt.
d) An sprichwortartigen Sentenzen notiere ich aus dem Deutschen: (Nr. 15:) „all genug in gottes nam". (Nr. 22:) „foreht dir nit vor ein Ding, davor du nit flien kanst. Wann bistu reich? wann du dich benügen läßest, Wann bistu arm? wann du ein geitziges Hertz hast.“ (Nr. 33:) Ich hoff auff godt ehr wirt mir nicht verlassenn Ihm Meiner noth.“ (Nr. 65:) „Hab acht. Vorbedacht, was nnachmals mag vnd khann khommen bringtt manichem groß frommen;“ — aus dem Lateinischen: (Nr. 4:) „Audendo atque agendo!“ „Fide Deo et curis cetera liber age." (Nr.7:) „Vive amici memor." (Nr. 17:) ,Sors omnia versat" (Nr. 21:) „Pios fovet dominus.“ (Nr. 22:) „Omne solum forti patria est.“ (Nr. 44:) „Fata viam inveniunt." (Nr. 47:) „Ingenium mathematizis probatur uf ignibus aurum.“ (Nr. 48:) „Par est fortuna labori.“ (Nr. 77:) „De absentibus nil nisi bonum.“ (Nr. 81:) „Pietas post funera durat.“ (Nr. 83:) „vive ut post vivas;* — aus dem Französischen (Nr. 19:) „tout dieu aytant;* — aus dem Griechischen: (Nr. 37:) závva Yewv êv yoúvacı xeivat, (Nr. 48:) vo zvóvq Amongivera vox». (Nr. 49:) xwois Fso obdEv Evruyei; — aus dem Neugriechischen: (Nr. 22:) „Quemadmodum asinus minoris est pretii, quam equus et argentum nihil est auro et aqua vino, sie panis et omnia terrena viliora sunt virtute."
e) Zeitgeschiehtlieh interessante Einzelheiten! Aus dem kirchlichen Kalender wird nur in Nr. 48 zitiert („die angelorum castorum“), Bei den Jahresangaben finden sich dreimal nähere Bezeichnnngen: 1566 in tempore pestis
8%
116 116
(Nr. 15); 1567 in hae calamitosissima aetate nostra (Nr. 46); 1570 anno novissimi temporis (Nr. 5). In Nr. 73 wird Pilatus als de natione Teutonicae gentis erucifixor omnipotentis be- zeichnet. Eigenartig ist auch die Auseinandersetzung in Nr. 20: Italus ad Germanum: „Germani cunctos possunt tolerare labores; utinam possent suum bene ferre sitim!" Germanus in Italum exprobrantem illi ebrietatem: ,Ut me dulce merum! sie te Venus improba vexat. Lex lata est Ueneri Julia: nulla mero.^ Die bedeutsamste Eintragung aber liegt wohl bei Nummer 59 vor: „M. Martinus Chemnitz ad cap. 4 scpta ad Rö. Brunsuigae feria quarta Ultima die Julii, in Templo D. Catharinae palam ... dixit et proba- vit: „Panem coenae esse corpus Christi, et vinum sangui- nem utque vulgariter verum atque verum, wesentlich, wesentlich.“ Si hane sententiam de coena domini hue expressam recipimus, necessario transsubstantiationem papi- sticam nos admittere oportet, quae ex diametrieo pugnatur doctrina in saeris libris nobis tradita, uti hodi a doc- tissimis viris quam plurimis ipsoque a. D. D. Luthero (eujus sententiam hie et ipsius similes inordinis retinere videri volunt) rejecta est et penitus explosa. Hier ist der „erypto- calvinische Geist^ — 1566! — der Leucorea mit Händen zu greifen.
e) Meiner Deutung entziehen sich die nicht selten — Nr. 4, 18, 19, 30, 39, 43, 44, 48, 50, 65, 80, 88 — sich findenden einzelnen großen Buchstaben, so etwa zu Nr. 4: J. W. F. G. F. G. oder zu Nr. 83: W. S. M. V.
Seltene Schriften gegen den Konkubinat der Kleriker aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts.
Von ©. Clemen.
Gustav Knod hat in der Vierteljahrsschrift für Kultur und Literatur der Renaissance 2 (1887), 267 ff. eine kleine Druckschrift behandelt, die gegen einen Verteidiger des Kon- kubinats der Geistlichen, d. i. gegen den Baseler Pfarrer und Professor Matthias Sambucellus, gerichtet und „wenn nicht voll- ständig, so doch vorzugsweise“ von Jakob Wimpfeling verfaßt „und daher wohl auch von diesem selbst oder unter seiner Mit- wirkung ediert“ ist. Joseph Knepper, Jakob Wimpfeling, Freiburg i. Br. 1902, S. 203 A. 1 schließt sich der Vermutung Knod’s betreffs der Autor- und Editorschaft Wimpfeling’s an und bestätigt sie durch einen Brief, den Wimpfeling in Straß- burg am 10. Juli 1512 an die drei in Paris studierenden Söhne des Baseler Buchdruckers Joh. Amerbach Bruno, Basilius und Bonifazius (Allgemeine Deutsche Biographie 1, 398) geschrieben hat. Er brauche sie nicht erst zu einem tugendhaften Lebenswandel zu ermahnen, da sie schon von selbst aus einem angeborenen Triebe dazu neigten, „haud illorum similes, qui vicia expurgare moliuntur et sub typo fieti thartareique coniugii ad se individuas introdueunt con- eubinas, qualis inter vestrates unus (= Sambucellus) est, qui litteras sacras ad libidinem suam palliandam transtulit, pu- dore eum pudicicia perdito. Hoc hominum genus fugitote, his pestiferis monstris ne sitis communes ... Quod si quis- piam a vobis se pre debilitate carnem vincere diffideret, est libertas concessa nubendi in Domino. Ad id institutum videbitis accomodati versiculos et prosas cum rythmis Ger- manicis genitori a me traditis, quos si impressioni dari conti- gerit, exemplar unum impressum remitti oro; sin argumentum hoe (etsi sanctissimum) non videbitur incudi calcographie tradendum, seriptum hoe, ut in manus meas redeat, plurimum efflagito, neque enim alioquin mihi illius apud me copia relicta est^ (S. 359). Das Schriftehen wurde aber schlief- lieh nieht in Basel, sondern, wie die Typen beweisen. bei Joh. Prüß in Straßburg gedruckt.
118 118 Knod kennt von dem „höchst seltenen Werkchen“ nur das Exemplar in einem Sammelband der Straßburger Uni- versitätsbibliothek, Knepper verweist außerdem auf die Hand- schrift L 171 derselben Bibliothek: „9 Blätter, fremde Hand, vorgebunden einem Bande Wimpfelingscher Schriften, als Ge- schenk W.s bezeichnet, das Ganze im allgemeinen überein- stimmend mit dem Inhalte von Carmina, prosae et rithmi“ (S. XVI) — leider macht er nicht genauere Angaben über das Verhältnis zwischen Handschrift und Druck. Die Zwickauer Ratsschulbibliothek besitzt in zwei wertvollen Sammelbänden zwei Exemplare unserer Druckschrift (19. 8. 14,, und 24. 11. 22,). Da das Straßburger Druckexemplar, wenn anders Knod und Knepper recht berichten, in der Anordnung der Gedichte und vielleicht auch in andern Kleinigkeiten von unsern Exemplaren abweicht, ferner zur Zeit unzugänglich ist, endlich die Interpunktion in dem Original zum Teil sinn- los ist und das Verständnis sehr erschwert, gebe ich hier einen modernisierten Neudruck der kleinen Flugschrift: Carmina Profe et Rithini || editi in laudem pudicie [!] Sacer- dotalis con-|tra Prosam excusare conantem || Seandalosissi- mum || concubinatum || 4ff. 4? Ab weiß.
[1a] Reverendus Germaniae quidam Episcopus, ut par fuit, interdixit clero suo concubinatum. Mox unus ex suis cleri- eis prosam sequentem sub melodia sequentiae „Laetabundus exultet!) edidit, conatus excusare seandalosissimum concu- binatum: |
Vulgus odit, et fiscalis elerum rodit, Alleluia!
Jura frangunt iam multi, quae cleros tangunt, res miranda!
Non sunt consilia clara nee prudentia velut stella.
Clerus iam deluditur, concubina capitur die clara.
Ceu iudeos tenes clerum. Liceat proferre verum: pari forma,
Coneubinas dum propellis, uxor tua cum puellis fit corrupta.
Nemo potest vivere, nisi Deus det, caste valle nostra.
Si clerum deficere vides, non mirabere: carne sumpta
Non est sicut angelus neque velut spiritus. Lege tua sis cautus, ne sit caeca:
Membra quam debilia, eorpora quam fragilia, omnia con- sidera haee praedicta!
Quae rumpit milia, virgines et scorta, non damnatur gens misera,
Sed, quae puerulum parit in saeculum, aera dat multa
puerpera. |
Qua prosa lecta alii boni castitatis et coelibatus ecclesiastici zelatores carmina, prosas et rithmos sequentes ediderunt ad
1) Wackernagel, Kirchenlied 1, 195 Nr. 193,
19 119
laudem pudicitie [2 a] sacerdotalis et explodendi coneubinatus iustissimam sanetionem extollendam:
Ad melodiam sequentiae de Resurrectione, quae incipit ,Mundi renovatio":
Mundi inquinatio mala parit plurima,
Petulanti clerico competuleant omnia,
Elementa vindicant et auctores indicant, Quam sit indignatio.
Ignis crepat acrius, aër flat minacius,
Undant aquae saepius, terra tremit saevius,
Pestis fremit crebrius, fames bellat febribus Ob celeri seorticia.
Caelum pestilentius, mare fit horridius,
Spirat aura gravius, sterilescunt omnia,
Tenebreseunt lumina, Lugent caeli culmina Sacerdotum vitia.
Gelu mortis irruit, mundi princeps ingruit,
Et eius ostenditur in clero imperium,
Dum sustentant perperam prolem et puerperam, Coneubinas nutriunt.
Viam dat praecipitem ad canem tricipitem
Symonia tam frequens iuncta meretricio,
Vita detestabilis cunctis fit odibilis,
Cum clerus deterior vivit, plebe vilior. Praesul, elerum corrige et melodiam porrige, Ne suum excidium quaerat clericidium!
Saphieum extorris ad Sambucellum sub melodia hymni „Ut queant laxis'*!):
Si nequis eastus fore, Sambucelle,
Sponsa iamdudum fuit eligenda.
Liberos haec non spurios dedisset, [2b] Forte salaces.
Natus ex clero sequitur parentes:
Aut salax fiet, erit aut superbus,
Aut sacedotum ferus et perhennis Hostis et osor.
Scorta si tecum, bone vir, morantur,
Devorant, dandum quod erat misellis,
Tot gaens de te, pueri, puellae Seandala sument.
1) Wackernagel 1, 86 Nr. 127.
‚120 120
Rumpis uxorem, violas puellam,
Dos erit vulnus manus aut resecta,
Dos erit contus, gladius, securis, Pugio, euspis.
Quando te carnis reprobae pruritus
Vexat aut noster inimicus, acer
Daemon immittit cerebro furorem Vincere tentans,
Vulnerum Christi memorare supplex, Virginem pulsa precibus Mariam, Sis memor mortis stygiaeque flammae, Otia vitans! Litteras saeras lege, non Nasonem, Foeda qui scribunt, fugito, poetas, Nee tuis laedas studiis ephebos, Esto sacerdos!
Accedit Petrus Bolandus?):
Tentationi non potes, Homo, reniti, parvule, Effusione sanguinis Quae non eget, sed gratia, Quam nemini negat Deus, Sed omnibus communicat, Et maseulis et foeminis, Qui castitati militant. Consueta pauci deserunt, Sed si metu confixeris Carnes eorum, protinus Peccare, Christe, desinent.
[3e] Carmen seu Rithmus Conradi Burenschu, Poetae Theutoniei, non tamen larvati:
O got, ich clag dir dise sach, Das unser lieb zü dir so schwach Ist worden, das ietz nieman mer Kein acht hat syn nach deiner ler In weltlieh und geistlieh stat.
Und so schon ieman willen haí, Offen sünd und schand zeweren, Auch recht und erbarkeit zeleren, Als ich hör einen bischoff nennen, Der wolt gern von einander trennen Sein priester und ire concubinen, So thüt ein suw darwider grynen Und meint, es sein güt sachen,
1) „Er gehörte zu Wimpfelings treuesten Jüngern und tritt. wiederholt mit Beitrügen in den Schriften unseres Humanisten auf:" Knepper 1331, Vgl. auch Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, 1. Beitrag, Leipzig 1857, S. 218,
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Das man sy in der kotlachen
Laß lygen, sust möcht nieman bleiben Fry von töchtern und ewyben,
Wan man in sorgen müst ston.
So wißt ich yn kein bessern lon, Wan den die Galli geben hant,
Ee der recht glauben kam in ir lant Und baten noch die apgöt an:
Noch wolten sie kein priester han, Er müst vorhyn versehnitten sein. Das wer auch ietz die meinung mein: Weleher bet im ein pfrund zelyhen, Der müsst sich also lassen wyhen,
So dórfften wyb und tóchter nit fliehen Vor denen, die wir müssen ziehen.
[3b] Pfy dich, du suw, scham dich vor got Der grossen schand, laster und spot, Die du der priesterschafft legest in! Gedenk, was schaden, schmach und pen Gemeiner priesterschafft daruf kem, Wan es die heilig burschafft vernem, Man würd üch wyhen als die sehwyn. Darumb laß dein schreiben syn, Oder gedenk, wa du wóllest lenden, Es möcht sich sust nit glücklich enden.
Cüntz burenschuch.
Das man dir nit müß dein testes vßschneiden, Dan so magst du dein hürery vertreiben!
Capuciatus, non nebulo, castitatis hosti ac scanda- losissimi eoneubinatus defensori:
O plene omni dolo et omni fallacia, fili diaboli, inimice omnis iustitiae, non desinis subvertere vias domini rectas?!) Non eredis divinissimo Paulo dicenti: Fidelis est Deus, qui non patietur vos tentari supra id, quod potestis, sed faciet etiam cum tentatione proventum, ut possitis sustinere?) ? Fragilitatem tuam et furentem libidinem non potuist per XXIV annos experiri? Quis te ad sacerdotium coégit? Liber eras! Amplexus es coelibatum sacerdotio annexum, servare me- mento! In XXIV. aetatis tuae anno fe primum (si sacris canonibus satisfeeisti) sacerdotio initiatum credo. Seiebas a. sacratissimis conciliis continentiam sacerdotibus indietam.
!) Apg. 18, 10. 2) 1. Kor. 10, 13.
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[4a] Deum roga, qui tibi def caste vivere, ne pudorem ‚cum pudicitia perdideris!) meretricium convictum excusans, jn his praesertim, quorum sors Christus est, de cuius patri- monio vivunt, qui excellentissimum eucharistiae sacramentum contrectant ae sumunt filiumque Dei in ara pro totius ecclesiae salute sacrificant, quorum non est ad scorta mox redire sibi .cohabitantia et foedis amplexibus coniungi. Id si feceris, -eave, ne infamis fias, ne divinis suspensus irregularitatem -eonirahas, neve ad tartara dimergaris, concubina tua super- stite novam venerem prosecutura, gulae, vanitati volupta- 'tibusque dedita, dum tu flammam patiere sempiternam.
Qui faciebat Nicolaus Lebzelter Gundelfingius V. et T.?) -eiusque vero ministro casto sacerdoti placere studuit, habens susque deque faeeulentam eorum linguam, qui tristi et sacro concubitu Christi contaminant cubile. V. N$9X
Der gleich zu Anfang genannte deutsche Bischof ist der Baseler Christoph von Utenheim, sein Konkubinats- verbot sind die von Wimpfeling verfaßten und veröffentlichten Baseler Synodalstatuten von 1503 (Knepper S. 173), und der „unus ex suis clericis“, der den Konkubinat entschuldigte, ist Sambucellus. Sicher ist mir ferner, daß das Saphicum ‚exforris (W. damals in Freiburg) von Wimpfeling gedichtet ist; die Mittel, die er hier zur Unterdrückung der Fleisches- lust anrät, sind dieselben, wie in seiner Schrift De integri- tate von 1505 (Knepper S. 185). Andererseits ergibt sich ‚aus dem oben wiedergegebenen Briefe Wimpfelings an die Gebrüder Amerbach, daß er erst 1512 die Carmina in Druck ‚geben wollte. Ich möchte annehmen, daß alle in der kleinen Druckschrift vereinigten Gedichte aus der Zeit bald nach 1503 stammen und Jahre lang in Wimpfelings Pult lagerten, bis ihm aus irgendeinem Grunde die Veröffentlichung an- ‚gezeigt erschien. Mit Knod anzunehmen, daß er auch das deutsche Gedicht verfaßt habe, verbietet mir die Ueber- schrift: „Carmen ... Conradi Burenschu, Poétae Theutonieci, non tamen larvati“; auch kann ich Wimpfeling nicht die Verwechslung der Galli d. i. der verschnittenen Kybele- priester mit den alten Galliern zutrauen. Auch die auf das deutsche Gedicht folgende prosaische Apostrophe möchte ich nicht Wimpfeling zuschreiben. Warum soll das Stück nicht von einem Nikolaus Lebzelter aus Gundelfingen herrühren?
1) Vgl. die oben zitierte Stelle aus Wimpfelings Briefe an die ‘Gebrüder Amerbach.
2) Diese Abkürzung weiß ich nicht zu deuten.
3) W. — Unterschrift Wimpfelings?
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Der Tendenz und dem Inhalt nach verwandt mit diesen "Carmina, wohl auch fast gleichzeitig mit ihnen entstanden, ‚aber in der Anlage und Ausführung grundverschieden von ihnen ist eine andere gegen die Konkubinatswirtschaft ge- richtete Druckschrift, die nach Freytag, Adparatus litterarius t. I, Lipsiae 1752, p. 183, 1. A. Riegger, Amoenitates litte- rariae Friburgenses, Ulmae 1875, p. 301, Ch. Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace à la fin du XVe* et au ‚commencement du XVIe siècle, Paris 1879, 2, 325 auch von Wimpfeling verfaßt worden ist, während Gödeke, ‘Grundriß, 1, 2. Aufl, 402 Nr. 60 sie Joh. Geiler von Kaisers- berg zuschreibt (weil sie in dessen Sermones ef varii trac- tatus, Straßburg, Joh. Grüninger (1515 oder) 1518 — "Gódeke S. 403 Nr. 27 — wiederkehrt) und Joh. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters 1, 17. u. 18. Aufl. 7117, sie „aus dem Kreise 'Geilers und Brants“ herleitet. Knod, Zentralblatt für Bibliothekswesen 5, 465 f. und Knepper 184! haben richtig ‚erkannt, daß die Schrift von Wimpfeling nur 1507 neu herausgegeben ist. Nikolaus Paulus, Zeitschrift f. d. Gesch. des Oberrheins N. F. 18, 51 ff. hat Arnold von Tongern ‚als den Verfasser erwiesen. Die Zwickauer Ratsschul- bibliothek (24. 10. 17,,) besitzt ein Exemplar einer dem ‚Impressum zufolge am 12. November 1507 bei Hieronymus Höltzel in Nürnberg erschienenen Ausgabe: Auifamentü be con || cubinarijs no abfoluedis quibufcagz: ac || eorü periculis -giplurimis. A theologis Coloniefibus ap: || probatü cum additio- nibus facratiffimorü canonü. || (Es folgt die Stelle Tib. 2, 1, v. 11—14, dann ein Zitat aus Hieronymus, endlich:) The- rentius. | Veritas odium parit. || Heidras. || Sed sub iusto iu- «dice vincit. || (darunter ein Holzschnitt: Ein Teufel hält einem knienden Weibe einen Spiegel vor; hinter dem Weibe steht .ein zweiter Teufel, der mit der Rechten zwei Hündcehen hält, die Linke aber aufhebt, um das Weib zu packen!)) 10 ff. -4°, 1b und 10b weiß. 10a unten: || Smpreffum Nurem: berge p Hieronymü KHölgel. || Anno quo fupra. Die vo. rij. Menfis Nouembris. || Gódeke S. 402 Nr. 60 und Knod 466! weisen indes noch eine frühere, nämlich Mitte Mai 1504
1) Nach Knepper 181! findet sich dasselbe Bild in Wimpfelings Adolescentia (doch wohl der 2. Ausgabe, Straßburg, Joh. Knoblauch, 20. Febr. 1505, vgl. Knepper 119? u. XII, auch P. Kristeller, Die :Straßburger Bücher-Illustration im 15. und im Anfange des 16. Jahr- hunderts, Leipzig 1888, S. 120 Nr. 340). Nach Dodgson, Catalogue of Early German and Flemish Woodcuts I, London 1903, 506 Nr. 4 dst es von Wolf Traut.
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bei Quentell in Köln erschienene Ausgabe nach. Da auch die Nürnberger Ausgabe das „a theologis Coloniensibus approbatum* auf dem Titel aufweist, werden wir jene Kölner Ausgabe als die Originalausgabe anzusehen haben. In unsrer Ausgabe endet das Avisamentum: „Vale ex Argen- tina. Anno 1507“. In der Kölner Ausgabe lautet der Schluß einfach: Vale.
Während es sich bei den Carmina um ein paar rasch hingeworfene Gelegenheitsgedichte handelt, wird in dem Avi- samentum alles mit größter Ausführlichkeit und unter Àn- führung zahlreicher Beweisstellen aus der heiligen Schrift und den Kirchenvátern, den Scholastikern, Juristen, Moralisten erürtert!) Zuerst werden vier Thesen verteidigt, die darauf hinauslaufen, daß ein Beichtvater unter keinen Umständen einen Konkubinarier eher absolvieren dürfe, als bis dieser seine Konkubine verstoßen habe; darauf läßt der Verfasser ein ganzes Heer von Gefahren Leibes und der Seele herauf- ziehen, die der Konkubinarier über sich heraufbeschwöre, wenn er seinen schändlichen Lebenswandel fortsetze; endlich richtet er an die im Konkubinat lebenden Kleriker eine be- wegliche Ermahnung, durch Verstoßung ihrer Konkubinen Leib und Seele zu erretten, wobei er noch einige Ein- wände abfertigt, die gemacht werden könnten: ein junger Mann kónne nieht enthaltsam leben; wenn einer einmal mit. seiner Konkubine in Liebe verbunden sei, könne er sich . nieht von ihr trennen; eine (womüglich mit ihren Kindern) auf die Strafe gesetzte Konkubine werde zur Verzweiflung, ins Bordell oder zum Selbstmord getrieben. Mit welchem Fanatismus der Verfasser seine Forderung erhebt und aueh vor den äußersten Konsequenzen nicht zurückschreckt, er- kennt man besonders gut aus der resoluten Art, wie er diese Einwände zurückweist: „Und wenn die Welt durch Ver- stoßung deiner Konkubine zu Grunde ginge, würdest du dennoch gehalten sein ipsam abicere et dimittere te ipsum prae caeteris salvando.“ — Angehängt ist ein auch ander- -= wärts?) begegnendes Distichon:
Felix plebanus felixque parochia, sub qua
Nec Naaman, Abraham, Sem, nec vivit Helyas.
Es hängt mit dem Avisamentum nur locker zusammen, da mit Naaman (vgl. 2. Kön. 5, 1 ff) Aussätzige, mit Abraham Juden, mit Sem große Hansen oder deren Offiziale, mif.
1) Über dieses Verfahren, „einen Beweisgang nicht selbständig aus- zuführen, sondern ihn zusammenzubauen aus lauter Zitaten, teils philo- sophischer, teils klassischer Autoritäten“, vgl. Zarncke a. a. O. S. 255..
2) Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation 3, 43.
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Helyas Mönche, insbesondere Bettelmönche, gemeint sein sollen, von Konkubinen aber gar keine Rede ist. |
In sehr erweiterter Form!) kehrt der Inhalt des Avi- samentum in dem in dem betreffenden Zwiekauer Sammel- band unmittelbar folgenden, 1508 bei Quentell in Köln er- schienenen Druckwerk wieder: Dfrectoriü coz || cubinariorü faluberrimü quo || quedà ftupeda et ob tanti fcelez || ris impu-
nem tolerantiä quali inaudita pericula || nö ex propria pha-
retra sed auctoritatibus & rati || onibus irrefragabilibus q3apertissime resoluütur || ... Therentius. || Veritas odium parit. || Eidras [| Sed iufto fub iudice vincit || 40 ff. 4° 40b weiß. 39b unten: || Smprefjum eft boc Directorium ccu- bínartz|| orum primitus9Igrippine9Inno poft vírginez || um partum. M. D. viij. Am Schluß lesen wir über die Entstehung des Werkehens folgendes: „Praesens materia pro salutifero directorio concubinariorum in hoe breve eompendium corro- gata est per diversos illuminatissimos viros, primum tamen per saere theologie ef utriusque iuris professores et doctores in utroque foro consultissimos.^ Nach Paulus, der dabei auf Joh. Butzbach fut, ist der Kölner Arnold von Tongern auch der Verfasser dieser Schrift. Selbstverständlich darf man hieraus nicht folgern, daß gerade unter dem Klerus am Niederrhein besonders schlimme sittliche Zustände geherrscht hätten.
Bereits in die Reformationszeit versetzt werden wir durch eine dritte hierher gehörige Schrift, die 1523 von Michel Buchführer in Jena gedruckt worden ist: Dialogus von Zwepen pfaffen || Köchin, Belangendt den abbrüch Des opffers, vnnd || nyderlegung der vorgengfnis?) || Im Jar M. D. xritj. || (Blüttehen, darunter ein ursprünglich gewiß gar nicht übel gezeichneter, aber schlecht gesehnittener Holz- schnitt, darstellend die eifrig spinnende ältliche Frau Else und die modisch gekleidete, hoffärtige jugendliche Frau Karstin.) 4ff. 4°. Jede Seite ist rechts mit einer Leiste geschmückt. Bl. A ij^ ist ein Holzschnitt eingeschoben: Zwei Pfaffen sitzen einander an einem Spieltisch gegenüber, da- hinter trinkt ein Weib ein großes Glas aus (Weller, Reper-
torium typographieum Nr. 2396°); Zw. R. S. B. 17. 9. 2,3).
1) So bestimmt schon Joh. Gottfr. Weller, dem die Exemplare der Zw. R.S. B. vorlagen, richtig das Verhältnis der beiden Druck- schriften: Altes aus allen Theilen der Geschichte 1, Chemnitz 1762, S. 399. Paulus S.53 bezeichnet das Directorium als eine neue und sehr vermehrte Ausgabe des Avisamentum.
2) — Begängnis, Seelmesse.
3) Eine andere Ausgabe bei Weller, Suppl. I 5. 29.
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Der Inhalt ist kurz folgender: Frau Karstin trifft Frau Else beim Spinnen und fragt sie, warum sie sich so abmühe; ihr Pfaffe müsse sie doch unterhalten, er sei wohl zu Tod geschlagen. Frau Else: ,Er sitzt dahinten in der Kammer, beklagt sein Elend und seinen Jammer; man will nieht mehr zum Opfer gehn, kein Jahrgedächtnis mehr abhalten lassen; Gaben, wie sie früher zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und an den Marien- und Heiligenfesten reichlich eingingen, bleiben jetzt aus; auch zur Beicht kommt niemand mehr; die Leute sagen, der Pfaffe plaudere es aus, was man ihm anvertraue:
Vnd er dach gar dar von nit redt, Es wer dan des nachtß ym betth —
Die Bauern meinen, er solle zu Dreschflegel und Pflug greifen. So sehe ich ein ungewisses und trübes Schicksal vor mir, werde mich aber wohl bald verheiraten.^ Frau Karstin: ,Mein Pfaff isí morgens und abends voll; Doppeln und Spielen ist seine Art, all sein Sinn steht auf die Kart. Wenn er aus der Kirche in die Pfarr kommt, wütet und tobt er wie ein Narr,
Wirfft das korhempt hyn und her, Brummet vnd murret wie ein Ber.
Ich hab aber schon mein Schäfchen ins trockene ge- bracht, habe Mantel und Rock, Schafe, Ziegen, Kühe, Kälber, Schweine für mich auf die Seite geschafft; das will ich brauchen, wenn's mich gelüstet. Sollte ich mit ihm darben, wo ich’s so viel besser haben kann? Ein Dompfaff oder was er ist aus der Stadt hat mich in sein Haus locken wollen, aber der spekuliert nur auf mein Hab und Gut, so dumm bin ich nicht.“ Zum Schluß klagt sie wieder über ihren Pfaffen, der ein Trunkenbold und Liedrian sei und durch seine Eifersüchteleien und sein Schimpfen und Poltern sie zur Verzweiflung treibe.
Gewiß ist dieser Dialogus nicht eigentlich ein Ausdruck sittlieher Entrüstung über die Konkubinatswirtschaft, auch nicht eine Ermahnung an die im Konkubinat lebenden Kle- riker, ihren Lebenswandel zu ändern, aber er zeigt doch, wie das nach dem Einzug der Reformation — zunächst im Thüringschen — an und für sich schon schier unerträglich gewordene Dasein der einfachen, ungebildeten Dorfpfaffen sich noch bedeutend verschlechterte, wenn sie eine nur auf ihren Privatvorteil bedachte „Köchin“ auf dem Halse hatten. Man kann in dem Dialogus recht wohl einen Nachklang der um 1500 in Heidelberg von Paul Olearius gehaltenen Rede de fide coneubinarum finden, auf die ich nicht eingegangen
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bin, weil Friedrich Zarncke sie neugedruckt und erläutert: hat (Die deutschen Universitäten im Mittelalter, 1. Beitrag,
Leipzig 1857, S. 88 ff., 242 ff.)').
1) Ein Exemplar der Editio princeps der beiden Reden De fide: concubinarum und De fide meretricum (= Zarncke S. 242 A — Weller:
4065; Basel, Michael Furter, nicht Ulm, Ludwig Hohenwang, 1501:. Max Ilgenstein, Zentralblatt f. Bibliothekswesen 1, 236 ff., 2, 840 gegen Hafler, Die Buchdruckergeschichte Ulms, Ulm 1840, S. 71ff),. leider defekt, in der Zw. R. S. B. (9. 5. 21,). Hier auch die Ausgabe
Weller 4068 (Quentell; 24. 9. 16,,), ferner der unter Weller 4075 er--
wähnte spätere Kammerlandersche Druck De fide concubinarum in suos
pfaffos (16, 11. 16,) und der bei Weller gleich folgende De generibus. ebriosorum, nur mit 1565 im Titel, beigebunden (und mit denselben.
Typen gedruckt und derselben zierlichen Arabeskeneinfassung ge-
schmückt) der bei Bócking, Operum Hutteni supplementum, tomi .
posterioris pars prior, p. 14 Nr. 9 beschriebenen Ausgabe der Epistolae: obscurorum virorum von 1557 (27. 11. 281,3). — Die Drucklegung der- beiden Reden erfolgte nach einer von Wimpfeling besorgten Abschrift
(Knepper 1074). Beide Reden stehen auf dem Venetianischen Index.
von 1554 (Reusch, Der Index der verbotenen Bücher 1, Bonn 1888, S. 243),
Die Ablasspredigten des Leipziger Domi- nikaners Hermann Rab (1504.— 1521).
Von D. Georg Buehwald.
Je klarer das Bild ist, das wir von der Frömmigkeit am Ausgange des Mittelalters gewinnen, um so besser werden wir die Reformation, die Widerstünde, die sich ihr entgegen- stellten, aber auch die Empfindungen der Befreiung, mit denen sie begrüßt wurde, verstehen, und umsomehr werden wir den alten Fehler überwinden, dab man zwischen dem „dunklen“ Mittelalter und der Reformation einen dicken Strich zieht, ohne die vielen feinen Fäden zu berücksichtigen, die beide verbinden, und ohne die religiösen und kirchlichen Anschauungen zu berücksichtigen, in denen die aufwuchsen und lebten, die dann die Gedanken und Segnungen der Reformation ergriffen. Wiederholt und eindringlich ist auf die Arbeit hingewiesen worden, die auf diesem Gebiete noch zu leisten ist.
Die Frömmigkeit wird beeinflußt durch die Predigt und spiegelt sich wieder in der Predigt. Vielleicht ist es nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß die Erforschung der mittelalterlichen Predigt auf deutschem Boden noch nicht gar weit über die Anfänge herausgekommen ist. Es wird hier darauf Wert zu legen sein, daß es nicht nur die großen Prediger gewesen sind, die Einfluß auf die Frömmig- keit gehabt haben, wenn auch die Predigt der anderen viel- fach von ihnen abhängig gewesen ist oder in ihren Spuren zu wandeln versucht hat. Wir müssen uns bemühen, auch die lokale Predigt möglichst zu erforschen, ohne Rücksicht da- rauf, daß wir es hier nicht mit Geistern erster Größe, auch nicht mit originalen Persönlichkeiten zu tun haben. Zu diesem Zwecke ist eine gründliche Beschäftigung mit den in den Bibliotheken ruhenden handschriftlichen Schätzen unbedingt nötig. Mag diese Beschäftigung manchem zunächt recht lang- wierig, vielleicht auch langweilig erscheinen: je liebevoller er sich ihr widmet und je tiefer er eindringt, je mehr sich Stein an Stein zu einem Gesamtbilde fügt, um so interessanter und befriedigender wird sie werden.
Eine Fülle von Material auf diesem Gebiete enthält die Leipziger Universitütsbibliothek, Aus ihr schöpfte bereits
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1838 Hermann Leyser seine „Deutschen Predigten des 13. und 14. Jahrhunderts“, seit 1886 Anton E. Schön- bach seine „Altdeutschen Predigten“, 1907 Adolph Franz die ,Predigten des Frater Ludovicus*. Zu bereits aus andern Bibliotheken veröffentlichten Predigtsammlungen entdeckte ich in der Paulina wertvolle Parallelhandschriften, so zu dem „Schwarzwälder Prediger“ (Handschrift Nr. 687 !, zu dem „St. Georgener Prediger“ (Handschrift Nr. 759?) zu den Predigten Hartwaigs (Heinriehs?) von Erfurt (Handschrift Nr. 761?) Eine noch völlig unbekannte Predigtsammlung bietet die Handschrift Nr. 1663 (geschrieben 1385 von Dithe- riche von Gotha).
Unser besonderes Interesse beanspruchen diejenigen Predigten, die uns an bestimmte Orte und auf bestimmte Kanzeln unseres Sachsenlandes führen. Zu diesen gehören u. a. die Predigten des Altzeller Abtes Ludegers (Handschrift Nr. 452, 453, 454°), Altzeller Predigten aus den Jahren 1493 und 1494 (Handschrift Nr. 756)°), Predigten des Leip- ziger Propstes Johannes Grundmann (Handschrift Nr. 614) und die zahlreichen Universitütspredigten?), sowie die zahl- reichen Predigten des Leipziger Dominikaners Hermann Rab’), eines Mitkonventualen und Freundes des Ablaß- predigers Johann Tetzel.
Hermannus Rab de Bamberga wurde im Sommersemester 1486 in Leipzig immatrikuliert, Paulus läßt ihn „gegen Ende des 15. Jahrhunderts als Mitglied des Leipziger Domi-
1) Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Altertümer in Leipzig. 11. Bd. 1. Hälfte S. 52 f£., 2. Hälfte S. 7f.
2) Der sog. St. Georgener Prediger. Herausg. von Rieder, Berl. 1908.
3) Vgl. Preger, Geschichte der deutschen Mystik II, 91 ff.— Realencykl? III. 709, — Werner, Jacob, Aus Züricher Handschriften. Zürich 1919, S. 8ff.
4) Vgl. Neues Archiv für sächs. Geschichte, Bd.18, S. 219. — Michael, Gesch. des deutschen Volkes vom 13. Jahrh, usw. Bd. 2, S, 115 u. 1. Meinen Artikel: „Abt Ludeger von Altzelle als Prediger“ in Beitr. z. Sächs. Kirchengesch., 33/35, Heft S. 1—62.
5) Beitr. z. Sáchs, Kirchengesch., 29. Heft S, 9—84.
6) Vgl. Neues Archiv für sächs. Geschichte. Bd. 35, S. 9511. — Zeitschr, für Kirchengesch. Bd. 36, S. 62ff.
?) Ueber ihn vgl. Nikolaus Paulus, Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518—1563). Freiburg 1903. S. 9 ff, Francke, H. G., Das Nonnenkloster zu Weida (Mitt, des Vereins für vogtl, Ge- Schichte u. Altertumskunde 1920 (S. 89, 40, 41).
Arohiv für Reformationsgeschichte. XXII. ]. 9
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nikanerklosters“ 'erscheinen!) Auf Grund der noch unge- druekten Matricula ordinatorum des Hochstifts Merseburg läßt sich das Datum genauer bestimmen. Das Verzeichnis, auf das sich Paulus stützt?), nennt unter den „Novicii“ einen gewissen Johannes Altenstein. Dieser ist identisch mit Johannes. de Aldensteyn, der als frater ordinis praedicatorum Lip- ezenzis am 18, Dezember 1490 die Akoluthenweihe, am 12. Dezember 1492 die Diakonenweihe empfängt. Mithin kann jenes Verzeichnis nicht später als 1490 entstanden sein. Da Rab aber in diesem Verzeichnis bereits unter den Kon- ventualen steht, muß er schon vor 1490 in das Kloster ein- getreten sein. Im Jahre 1506 wird er als Vikar, wohl als. Distriktsvikar erwühnt?). Im Jahre 1507 begegnet er uns als Hermaunus pater subprior conventus saneti Pauli unter den Magistern, die an einer Disputation im Lektorium der Leip- ziger Theologen teilnehmen‘). Kurz vorher war er, von Hiero- nymus Ochsenfart präsentiert, zum Kursus zugelassen worden).
Inzwischen hatte Rab bereits eine emsige Predigttätig- keit entfaltet, Deren Zeugnisse liegen uns in den Hand- schriftenbänden Nr. 1511, 1512, 1513 der Leipziger Uni- versitätsbibliothek vor.
Rabs Predigten umfassen die Zeit von 1504 bis 1521. Aus dem Jahre 1512 finden sieh keine Predigten zwischen. Pfingsten und Weihnachten, aus dem Jahre 1513 liegen überhaupt keine Predigten vor; aus den Jahren 1517, 1518. und 1520 nur wenige, aus dem Jahre 1521 nur eine, Die meisten Predigten sind in Leipzig, und zwar im, Dominikaner- kloster, mehrere aber auch in der Nikolaikirche und im Schlosse gehalten. Ein Zyklus von Ablaßpredigten führt uns nach Torgau, ein solcher von Fastenpredigten nach Rochlitz. Ferner finden sich Predigten, die Rab in Pegau, Halle, Wurzen, Eilenburg, Halberstadt, Ulm, Freiburg, Eger, Berlin und Nordhausen, sowie in den Nonnenklöstern®) von Cronsehwitz, Weida und Wiederstüdt gehalten hat. Außer Predigten de tempore und de sanctis enthalten die vor- liegenden Bände zahlreiche Kasualpredigten: bei Primizfeiern, bei Feiern der Rosenbruderschaft zu St. Pauli, bei Exequien, bei der Rezeption von Nonnen, bei einer Abtweihe.
32a.8.0.8.9.
2) Fórstemann, Urkundenbuch der Stadt Leipzig. III. S. 246,
3) Fórstemann, a. a. O. S. 197.
4) Fürst-Georgs-Bibliothek in Dessau. Band J,
5) Brieger, Die theologischen Promotionen auf der Universität Leipzig 1428—1539. Leipzig 1890. S. 21.
6) Vgl. Weim. Ausg. der Werke Luthers Bd. 80 III, 494f.
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Wie nicht anders zu erwarten, ist es die strenge tho- mistische Theologie, die der Prediger vortrügt. Kaum eine Predigt findet sich ohne Zitate aus Thomas, seinem Sentenzen- kommentar oder seiner Summa. Auch Aristoteles und Petrus Lombardus werden angeführt. Dazu gesellen sich die Kirchen- väter und eine lange Reihe kirchlicher Schriftsteller, ins- besondere Prediger. Ausgiebiger Gebrauch wird von den Sermonen des Jacobus de Voragine (f$ 1298 als Erzbischof von Genua) gemacht, die nebst dessen Quartagesimale sich . der weitesten Verbreitung erfreuten, ebenso von dem großen unter dem Titel Socci Sermones verbreiteten Predigtmagazin aus dem 14. Jahrhundert, den Sermones discipuli des in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebenden Johann Herolt, den Predigten des niederländischen Franziskaners Heinrich Herp und von den auch auf deutschen Kanzeln viel benutzten Lectiones super Sapientiam Salomonis des englischen Domini- kaners Robert Holkot (1 1349). Dazu kommen die Predigten des Dominikaners Johann Nider (f 1438), auch des schwä- bischen Theologen Nikolaus Dinkelsbühl (f 1433) und des bekannten Tübinger Theologen Gabriel Biel (f 1495). Ins- besondere benutzte Rab für seine Fastenpredigten die Quadra- gesimalien des Minoriten Johann Gritseh und des Passauer Predigers Paul Wan. Damit ist aber die Zahl der homi- letischen Werke, die Rab heranzog, keineswegs ersehüpft. Als Quellen für die eingestreuten Geschichten und Exempla dienen unserem Prediger nächst der Legenda aurea und den Vitis patrum u. a, Valerius Maximus, Cäsarius von Heister- ‘bach und der Formicarius des bereits genannten Johann Nider.
Die Predigten sind sicher deutsch gehalten, aber latei- nisch konzipiert. Dabei fehlt es nieht an Einstreuungen in deutscher Sprache, insbesondere wo es sich um kraftvolle, volkstümliehe Ausdrücke und um Sprichwörter handelt. Von letzteren sei erwähnt: „Die gedaneken seyn zcolfrey“ (13, 299a) „Von goßer geselschafft wirt der man heuptsich^ (13, 308b), „Eyn nar macht yr zeehen, eyn narrin zcehen“ (11, 143b), „Huth dich, meyn pfert schlecht dieh" (12, 4a), „Das fleisch ist uf seynem mist“ (12, 78b). Mehrfach ver- wendet Rab das Sprichwort „nach Emmaus gehen“ (12, 76 b ff.), d. h. die Reue und die guten Vorsätze bald wieder vergessen. Gern läßt er das Volk selbst reden: „Ich weyß bereyt wol, was der munch predigen will, ich sal die sunde meyden und das arge und das gute thun“ (11, 48a), „Morgen ist gut beichten“ (11,227a), „Ich muß mich meyner jungen tage auch ergotzen und fro machen“ (13, 166a). Auch Verse verwendet der Prediger, so den bekannten: „Wahrheit ist geschlagen
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tot, Gerechtigkeit leidt große Not“ (Wander s. Wahrheit nr. 240). Wir lesen hier: ,'Ubi est veritas?’ sie ist gestorben und ist todt, iustieia die leyt grosße nodt“ (13, 300a). Mit Vorliebe bringt Rab kräftige Worte in deutscher Sprache: Die nicht zur Predigt kommen, denen „hath der tewfel die oren abegeschniten“ (11, 47b); sie sind „hellische braten, die do musßen braten zcu ewigen zeeyten^ (11, 47b). Er redet von den „falschen zwifeldigen lugenern und gleißnern, der fyndt man yezt alle lande, stedt, gasßen und heußer voll“. Je schlechter eine Sache ist, um so schneller wird sie geglaubt, „und eyn solche große petzere lugen, wen man sie an eyn wandt [wirft] Bo mocht sie dor an cleyben, dorff nicht meher dan eyn eynigen dichters und anhebers, ßo breydt mans auß durch landt und stedt pey fursten und herren und leugt ymmer eyner dem andern noch 2¢. — und die selben lugen dichter lasßen sich beduncken, wen sie landt und leudt affen und narren und fursten und herrn und prelaten, frawen und junckfrawen, geistliche und auch andere schimpflich und nachredlich yn die meuler gegeben, Bo haben sie eyn rum ergagt, sie weren werdt solche puben, das man sie durch die packen brendt* (13, 2972). Oft versteht es Rab, volkstümliche Töne anzusehlagen; so, wenn er in einer Kirchweihpredigt, veranlaßt durch das Evangelium von Jesu Einkehr im Hause des Zachäus, sagt: Jesus „wolt eyn kirmeß- gast seyn mit seyn jungern und es heth nymandes kirmeb speyB bereyt* (11,952), oder wenn er in einer Predigt über das Evangelium vom kananäischen Weibe den Frauen rät: „wen euch die menner schelden, fo nempt ewangelisch wurtzeln der pacientz yn den mundt, fo verwart es euch vill sehleg^ (11, 124a). Am volkstümlichsten dürfte wohl eine am dritten Pfingstfeiertag 1508 gehaltene Predigt mit vielen Anspielungen auf das Vogelschießen sein. Zu Pfingsten, sagt Rab, habe er seinen Zuhörern versprochen, „daß wir heute wollen zu dem vogel schien“. Dreierlei Leute sind beim Vogelschießen zu unterscheiden: die einen sind die Schützen, die treffen, aber nicht alle gleich: einer trifft den Kopf, ein anderer den Schwanz, einer die Flügel, einer die ‚Brust, und diese alle machen einen Gewinn, „soll auch einer die Sau gewinnen“. Die andern schießen wohl auch, aber treffen nichts, und gewinnen mit all ihrer Mühe nichts als Spott. Die dritten sehen zu, stehen müßig da und vergeuden ihre Zeit; das sind solche, „die do haben affen feyl, die Knobloch nauß tragen und bringen zwibel wider“. Der Vogel ist der h. Geist, der in Gestalt einer Taube vom Himmel kam. „Zu dem vogel sollen wir alle schißen und treffen. Dazu gilt es sich dreifach zu bereiten: durch Herzens-
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reinigung, durch wahre Demut und durch Barmherzigkeit, Denen die Herzensreinheit fehlt, „die schißen nach der
hellischen saw“, die mit ihren Metzen zum Aergernis der
Kirche „bey den schlopsecken“ sitzen, „die schißen nach dem raben, wan sie“ statt zu beichten „yn das Cras, cras. kummen. Solch bubenvolck scheyt sich nymmer mehe. Yn das gezelt gehoren auch die mussigen pflastertreter, die winekelsturer, die nochtraben, die gassirer, die gassenrauber“, die Tag und Nacht herumlaufen und der Keuschheit nach- stellen, ,und wenn die selbigen zuffen den vogel abgeschossen haben und haben die pouch vol gemacht, Bo laßen sib sitzen und eyn andern die kynder zihen“. In dieses Zelt gehören aber auch jene Weiber, die ihr Fleiseh verkaufen, die in Wahrheit des Teufels Vogelfängerinnen sind, durch die der Teufel unendlich viel Vögel, d. h. Seelen, fängt. „Yn dem netze seyn die allerstereksten, klugsten und heyligsten ge- fangen wurden, mit den pfeylen scheust der teufel ytz pabst, Cardinal, bischoff, munch und pfaffen.“
Rab stellt — für den Dominikaner selbstverständlich — die Predigt sehr hoch. „Die Predigt ist in der heiligen Kirche Gottes nötiger als selbst die Feier von Messen. Wohl ist beides nötig. Aber gesetzt den Fall, daß eine Zeitlang beides unterbleiben müßte, so würde in der Kirche ein größerer Schaden erwachsen aus dem Mangel des Wortes Gottes als aus dem Nichtfeiern der Messe“ (1512, 85a). „Wenn ein Volk zwanzig Jahre keine Messe, aber die Predigt hörte, würde es besser um das Volk stehen, als wenn es zehn Jahre Messe, aber keine Predigt hörte“ (1513, 211b).
Einige der von Rab aufgezeichneten Predigten geben uns einen deutlichen Einblick in den äußeren Gang derselben. Auf das Schriftwort?) folgt die Einleitung, die mit dem Vater- unser und dem Ave Maria schließt: „daß mir Gnade ge- geben werde zu reden und auch euch zu hören, fliehet mit mir zu Christus, der am Kreuze hängt, und zu der Jungfrau, die unter dem Kreuze steht, und sprecht andächtigen Sinnes und Herzens ein Vaterunser und Ave Marie“ (1513, 245a). Statt des Ave Maria läßt er auch die Gemeinde ein deutsches Gebet sprechen: „Dir sei Lob, dir sei Ehre, dir sei Dank- sagung, o du allerliebster, o du allersüßter, o du aller- gütigster Herr Jesu Christo, für alle deine heiligen Bluts- tropfen, die du für uns vergossen hast aus deinem aller- heiligsten Leichnam, in deiner heiligen Beschneidung, in
1) Einer einzigen Predigt liegt statt einer Bibelstelle eine Anti- phone zugrunde (Laurentius bonum opus operatus est — Kloster- predigt 1504 am Laurentiustag 1518, 31b).
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deiner heiligen Blutvergießung, in deiner heiligen Geißlung, in deiner heiligen Krönung, in deiner heiligen Kreuzigung und der Oeffnung deiner heiligen Seiten und deines süßen und göttlichen Herzens. Amen.“ (1513, 262a, 263b)!). Dann wird aus der Schriftstelle das „Thema“ genommen, d. h. einige Worte aus derselben gewählt, die Disposition ange- geben, und die einzelnen Teile werden behandelt, In einer Weihnachten 1510 in Rochlitz gehaltenen Predigt verweist Rab auf das von der Gemeinde gesungene Lied: „Wer das kyndleyn nicht geporn, Bo wer wir allzumal verlorn“, „wie yr gesungen habt“ (1511, 71 b)?).
Die Predigten sind sehr verschieden. Die ältesten tragen ein sehr starkes akademisch-scholastisches Gepräge, und zwar nicht etwa nur die, die im Kloster gehalten sind. Sie stellen eine conclusio oder eine quaestio oder ein dubium auf, So wird in der Predigt dominica 20. Lypezk. Anno 1504 (13, 54 ff.) über Matth. 22, 2 ff: „Venite ad nupcias“ die conclusio an die Spitze gestellt: sicut fide, prole et sacramento nupeciae carnales exeusantur, ita fide, opere et charitate ut veste nupeiali spirituales decorantur. Diese conclusio wird dann in den beiden Korrelarien behandelt: Quicunque ad nupeias carnales volunt venire, fidem, prolis intencionen et sacramen- talem unionem debent observare und Quicunque cum Christo spirituales nupcias voluerit celebrare, debet fide, opere et charitate se decorare. Die Behandlung eines Themas er- streckt sich mehrfach auf eine ganze Reihe von Predigten. Am Schlusse der Predigt am 1. Advent (29. November) 1506 kündigt Rab seinen Zuhörern an, daß er in der nächsten Zeit davon predigen will, wie sie Christus entgegengehen und sich auf den Tod vorbereiten sollen. Am folgenden Tage werde er ihnen die conelusio fundamentalis illius materiae vorlegen (1513, 165b). Da aber der folgende Tag der Andreastag ist, spricht er auf Grund von Matth 21, 5: Ecce rex tuus venit erst von Andreas, der „diesem unsterb- lichen König“ diligenter, obedienter. pacienter entgegenging. Dann wird die conclusio aufgestellt: Quamquam omnium terribilium terribilissimum mors esse censeatur, utile tamen est Christiano, quod semper eius memoria habeatur. Rab erörtert aber nur den ersten Teil der conclusio. Erst am folgenden Tage, am Dienstag, kommt er zum zweiten Teil und behandelt die Frage, wozu es dem Christen nützlich ist an den Tod zu denken: weil dieses Gedächtnis ihn veranlabt
1) Dasselbe Gebet findet sich in den Predigten Tetzels. *) Dasselbe Lied in der Predigt am Stephanstage 1514 in Leipzig (1511, 185a).
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die Sünde zu meiden, ihn reizt zu guten Werken und ihn anstachelt, Buße zu tun. In der Predigt am 3. Advent knüpft er hieran wieder an, insbesondere an die dort auf- gestellte Frage, ob jemand noch am Ende seines Lebens Buße tun könne. Am folgenden Tage schildert er die teuflischen Versuchungen, die dem Sterbenden drohen. Aber da entsteht die Frage, womit der Teufel überhaupt einen Sterbenden noch versuchen könne, da dieser ja nun alles verlassen müsse. Aber des Teufels Versuchung bezieht sich auf den Glauben — ob es ein ewiges Leben, eine Hölle, Vergebung der Sünden gebe — auf die Hoffnung — der Sterbende könnte an Gottes Erbarmen verzweifeln, wenn der Teufel ihm alle seine Sünden ins Gedächtnis zurückruft und ihm Gottes Gerechtigkeit vorhält —, auf die Beichte und das Sakrament — der Teufel redet ihm ein, er sei noch nicht so schwach; dabei unterstützen ihn die Aerzte und Verwandten, die sich scheuen, einen Priester zu rufen; „dan sie laßen sich beduncken, sie musßen palde sterbeu, wenn sie beichten oder communieirten". Noch drei weitere Pre- digten setzen diese Erörterungen fort. |
Gern stellt Rab als Thema seiner Predigt auch eine Frage auf. So am 3. Osterfeiertag 1505 in einer Konvents- predigt über Pax vobis (Luk. 24, 36) die Frage: Cum omnes creaturae paeem ament, quaerant et in ea deleetentur, cur et propter quid tot dissensiones, discordiae et turbaciones in mundo (1513, 94a). Am Tage Innocentium 1506 über den Kindermord von Bethlehem die Frage: Cum Christus venit in hune mundum peccatores salvos facere per mortem et passionem suam, quare hodie fugit, cum sciret futurum esse, quod Herodes occideret omnes pueros, et ipse per mortem suam praevenire potuisset tantam stragem tot innocentum puerorum ? (1518, 190 b). In einer Predigt vom 23. Sonntag naeh Trinitatis 1506 (1513, 161 ff.) über Matth. 22, 19: Osten- dite mihi numisma census will Rab erklären, was seine Zu- hórer nach ihrer Seele seien. Aber er meint, sie würden es nicht verstehen, wenn er ihnen die Meinungen der Philo- sophen und Theologen auseinandersetzte, und will deshalb Antwort auf die Frage geben, die seine Zuhörer stellen könnten: „Warum ist's mir nötig zu wissen, was ich bin“?
Anderer Art sind Predigten aus späteren Jahren 1514 und 1515, Sie zeigen die Zweiteilung: literale fundamentum und morale documentum. So die Predigt vom Sonntag Reminiscere 1514 über Matth. 15, 22: Miserere mei, domine, fili David, filia mea male a demonio vexatur (1511, 123 ff). Der erste Teil behandelt die historia saneti Ewangelii. Dabei wird die Frage, warum Christus erst nach dem langen
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Schreien des Weibes sich erbarmte, dahin beantwortet: erstens, um ihr Verlangen zu mehren, zweitens, um ihre Tugenden zu offenbaren, nämlich ihren großen Glauben, ihre Geduld und ihre Standhaftigkeit. Das documentum morale findet der Prediger darin, daß die, deren Gewissen — denn dieses ist unter der Tochter zu verstehen — vom Teufel gequält wird, zu Christus ihre Zuflucht nehmen sollen. In der. Predigt am Palmsonntag 1515 über Matth. 21, 5: Ecce rex tuus venit tibi mansuetus (1511, 250 ff.) sprieht Rab zunüchst über Christi Einzug in Jerusalem und stellt dann als das morale documentum auf, daß man hieraus erwägen soll, wie schnell die Herrlichkeit dieser Welt vergeht, und dab man lerne, daß alle, die dem Herrn dienen, von ihm ins himmlische Jerusalem eingeführt werden: die unschuldigen Kinder, „die Esel, die Christum tragen Tag und Nacht mit ihrem Dienst, wie die Religiosen“, die Apostel, nämlich die „Prälaten, die lehren und mit Wort und Beispiel wohl vorstehen“, die Zweige von den Bäumen schlagen, nämlich gute Beispiele aus dem Leben der Heiligen.
Auf Ersuchen des Ordensmeisters des deutschen Ritterordens Markgraf Friedrich von Sachsen (1490 — 1510) hatte Alexander VI. im Jahre 1503 einen Ablaß zu einem Heerzug gegen die Russen bewilligt!) Noch ehe es zur Verkündigung dieses Ablasses kam, widerrief Alexanders Nachfolger Julius ll. zunächst den gewährten Ablaß, bestätigte ihn aber dann doch auf ein erneutes Gesuch des Deutschordens und verlängerte ihn Ende 1506 auf drei weitere Jahre, indem er für die Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier, sowie das Bistum Meißen einen neuen Jubelablaß bewilligte?). Unter den Subkommissarien, die mit der Verkündigung desselben beauftragt wurden, finden wir an hervorragender Stelle den Leipziger Dominikaner Johann Tetzel. Was wissen wir von der Art seiner und seiner Unterkommissare Ablafpredigt? Wir dürfen wohl darauf schließen von dem, was uns aus der ein Jahrzehnt später einsetzenden Ablafpredigt für die Peterskirche bekannt ist, die die Veranlassung zu Luthers 95 Thesen gegeben hat. Denn was Mykonius, von 1504—1510 Schüler der Latein- schule zu Annaberg, von dem Auftreten der Ablaßprediger dort erzählt, gibt uns wohl ein anschauliches Bild davon,
1) Ein Ablaßbrief mitgeteilt in Zeitschr. f. Kirchengesch. Bd. 22 S. 603 f. Derselbe ist unvollständig. Wir bringen im Anhang einen vollständigen zum Abdruck (Ernest. Gesamt-Archiv Weimar Nr. 45).
2) Paulus, Johann Tetzel der Ablaßprediger. Mainz 1899, S. 6f.
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wie jene den Ablaß in der Stadt aufrichteten, aber läßt uns nicht in die Predigt selbst blicken, abgesehen von einigen Ungeheuerlichkeiten der marktschreierischen Beredtsamkeit Tetzels!). Wir besitzen einige Anweisungen, die Tetzel den Ablaßpredigern gab. Also solle man zu den Leuten sprechen, damit sie für die große Gnade die Augen auftaten: selig seien die. Augen, die sehen, was sie sehen, die wahrnehmen, daß sie hier sichere Geleitsbriefe haben, um die Seele durchs Tränental und das wilde Meer der Welt ins selige Vater- land des Paradieses zu führen; alle Verdienste des Leidens. Christi seien ihnen darin verschrieben; sie sollten wissen,
dab man für jede einzelne Todsünde, deren man oft an:
einem Tage so viele begehe, auf die Zerknirschung und Deiehte hin noeh sieben Jahre lang hienieden oder im Fege- feuer zu büßen schuldig sei, mit diesen Briefen aber vollen Erla aller bisher verdienten Strafen erlangen kónne; ob sie denn nicht für einen Viertelsgulden diese Briefe an- nehmen wollten, durch deren Kraft sie ihre göttliche, un- sterbliche Seele sicher und ohne Gefahr ins paradiesische Vaterland bringen könnten. Beichte und Zerknirschung zum Behuf der Vergebung ist nicht ganz vergessen; es wird gesagt: „man will, dab jeder, der, nachdem er gebeichtet hat und zerknirscht ist,. das Almosen in den Kasten wirft, vollkommene Vergebung aller seiner Sünden haben wird“. Für den Ablaßkauf zum Besten Verstorbener aber galt ohne eine sittliche Bedingung, daß „sobald der Groschen im Kasten klinge, die Seele aus dem Fegefeuer zum Himmel auf- auffahre“?), Wenn Paulus?) im Blick auf diese Anweisungen sagt, man könne daraus ersehen, „wie der Ablaß unmittel- bar vor Luthers Auftreten dem Volke gepredigt wurde“, so dürfte damit doch zu viel behauptet sein. Insbesondere bleibt die Frage, wie wochenlang hierüber gepredigt werden
1) Scherffig, Friedrich Mekum von Lichtenfels, Leipzig 1909, S.61f, Hingewiesen sei auf das, was in der Leichenpredigt Dietrichs von Starschedel (1561) über das Auftreten Tetzels in Mutzschen er- zählt wird: „macht die Hölle mächtig heiß, wie so große Finsternis, Kälte, item Hitze und Marter darin wäre und die ewig währte, sagte auch, was ewig wäre, mit einem Gleichnis: wenn ein Mohnberg da so groß wäre, als die ganze Welt, und käme alle 1000 Jahre ein Zeißig und holte ein Körnlein davon, so wäre es noch nicht ewig ıc. lehrte aber, daß man solcher ewigen Pein los würde, so man einen Ablaßbrief lósete". Sächs. Kirchen- und Schulblatt 1872, S. 293.
2) Luthers Werke. Erl. Ausg. op. var. arg. 1,2551. Vergl. Köstlin, Luther 5I, 150f. |
3) a. a. O. S. 86.
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konnte, ohne daß stete Wiederholungen das Auftreten der Prediger langweilig machten.
Um so wertvoller sind die Ablaßpredigten, die uns in ‚den Handschriften unseres Hermann Rab vorliegen. Hier gewinnen wir in der Tat ein völlig getreues Bild der Ablaß- predigt unmittelbar vor der Reformation, das für uns um so wichtiger ist, als diese Predigten uns gerade nach Sachsen führen.
Rab predigte in Torgau!) im Jahre 1509 vom Sonntag lnvokavit (25. Februar) bis zum Sonntag Kantate (6. Mai), und zwar bis Mittwoch nach Palmarum (4. April) täglich mit Ausnahme des 7. März, an dem er zu Ehren des h. Domini- kus predigte, und des 26. März, an dem er mit seiner Predigt die Verkündigung Mariä beging, und des Palm- sonntags, an dem der Pleban „die Inhibitionen predigte“, über den Ablaß, dann bestieg er die Kanzel wieder an den drei Osterfeiertagen. Am Sonntag Quasimodogeniti schloß er mit einem Dankeswort die Ablaßpredigt. In der letzten, am Sonntag Kantate gehaltenen Predigt ermahnte er die Ge- meinde, sich im Gnadenstande zu erhalten (1512, 1— 85).
Alle Predigten knüpfen an das Evangelium des betr. Tages an. Nur die beiden ersten Predigten legen die Invokavitepistel 2. Kor. 6, 1f. zugrunde, die auch allen weiteren Predigten als Eingangswort dient. Die Predigten am Dienstag und Mittwoch nach Palmarum bildeten die Fort- setzung der Montagspredigt, und schließen sich wie diese an das Montagsevangelium an.
Die erste der in gratia eruciatae et jubilaei gehaltenen Predigten bietet die sorgfältig ausgearbeitete Einleitung des großen Predigtzyklus. Sie geht von der Invokavitepistel aus: „Wir ermahnen euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget“. „Meine Liebsten, der h. Paulus hat diesen Brief und diese Worte an die Korinther geschrieben. Er schickte zu ihnen die ansehnlichen Boten Titus und Lukas und ermahnte sie, an die Heiligen in Jerusalem, die, weil sie alles zu den Füßen der Apostel niedergelegt hatten, verarmt waren und von den Ungläubigen verfolgt wurden, eine Kollekte zu senden. Zuerst aber belehrt er sie im allgemeinen über alles, was zum Heile nötig ist. Darunter ist das erste und hauptsächliche die Gnade des allmächtigen Gottes, die vom Herrn verordnet ist zur Beseitigung der Sünden und zur Wirkung alles Guten“. Die Beseitigung
1) Hier befand sich eine Terminei des Leipziger Dominikaner- klosters. Förstemann a, a. O. III, 104,
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der Sünden ist nach Thomas!) gleichbedeutend mit der Säuberung oder Reinigung oder Rechtfertigung und kann nur durch die Gnade geschehen. Von der Sünde aufstehen and von der Stinde lassen ist nicht dasselbe. Denn von der Sünde aufstehen ist nur die Wiederherstellung dessen,
was der Mensch durch die Sünde verloren hat. Durch sie _
‚erleidet der Mensch einen dreifachen Mangel: Befleckung, Verderbnis des natürlichen Guten und die Schuld ewiger Strafe. Die Befleckung besteht in der Beraubung des Schmuckes der Gnade. Hierdurch ergibt sich in der Seele ‚ein Hindernis des Einflusses der göttlichen Gnade, das Gott allein zu entfernen vermag. Die Verderbnis des natür- liehen Guten zeigt sich in der Concupiscenz, zu deren Be- Seitigung der Mensch des Lichtes der Gnade bedarf. Auch die Schuld der ewigen Strafe kann Gott allein hinweg- nehmen. Trotzdem aber ist der Mensch verpflichtet zur Genugtuung?) hier oder nach diesem Leben. „Er muß Ge- nugtuung leisten für alles bis zum letzten Heller und alle Sünden müssen durch Genugtuungsstrafen gereinigt werden, weil nichts Beflecktes zum ewigen Leben eingehen kann“,
Nun wendet sich der Prediger wieder zum Thema: „Die Gnade Gottes liegt vor euren Augen. Denn der aller- heiligste Herr, unser Vater, Jesu Christi Stellvertreter, hat euch allen und jedem insonderheit seinen unbegrenzten Schatz aufgetan, zu dem alle und jeder kommen und aus ihm empfangen kann, soviel ihm nötig ist. Dieser Schatz ist das unendliche Verdienst des Leidens unseres Herrn Jesu Christi, des Mitleidens der gebenedeiten Jungfrau und der Bußwerke aller heiligen Märtyrer und aller auserwählten Heiligen?) die für ihre Sünden in überschüssiger Weise und über ihre Verpflichtung Genugtuung geleistet haben. Das, was dabei überschüssig war, ist in den Schatz der Kirche gelegt, und dieser Schatz ist unendlich und von unendlichem Werte wegen der Würde der Person, und wer diesen Schatz braucht, wird teilhaftig der Freundschaft Gottes. Die Schlüssel zur Verteilung dieses Schatzes hat "Christus unser Heiland nach Matth. 16, 19 dem h. Petrus und seinen Nachfolgern übergeben. Darum hat für dessen Verteilung allein der Papst die Vollmacht und er kann daraus geben, wie viel er will, die Bischöfe aber nur so viel, als ihnen vom Papst zugestanden wird“. — „Diesen Schatz
1) Summa 2 I q 11838 2.
2) satisfactio condigna. Nach Petr. Lomb. 1Vd. 15.
3) Vgl. Bratke, Luthers 95 Thesen und ihre dogmenhistorischen Voraussetzungen. Göttingen, 1884 S. 223.
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nun verkündige ich als euch allen jetzt offenstehend. Alle, die ihr Gott verschuldet seid, wie groß auch die Strafe sei, ewig oder zur Genugtuung, und wenn du so viel Jahre im Fegefeuer bleiben mübtest, als Sterne am Himmel, Sand des Meeres, Blätter an den Bäumen sind, siehe, da hast du den geöffneten Schatz! Da liegt deine und aller Menschen Genugtuungssirafe. Also, wenn du nur willst, kannst du sofort in einer einzigen Stunde gereinigt werden von allem Fehl und aller Schuld, unter der Voraussetzung, daß du tust, was in der Bulle steht. Du mußt nämlich mit deinem Almosen den armen Leuten in Livland zu Hilfe kommen, wo die Ungläubigen Jünglinge und Jungfrauen, Priester und Greise ermordet oder fortgeschleppt, die Kirchen zerstört und das heilige Sakrament mit Frevlerhänden betastet haben, ja noeh heute zu größerer Schmach sich rüsten!) Und damit niemand von der Erwerbung des Ablasses aus- geschlossen werde, hat der Papst seine Vollmacht den Beichtigern übertragen und tut alle Wege zu diesem Schatze auf. Siehe, der Schatz ist auf öffentlichem Markt, die Tür zum Himmelreich ist aufgetan, wenn ihr nur wollt, alle Wege stehen euch offen. So ermahnen wir euch nun, dab ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. Denn die Stunde wird kommen, da ihr, hättet ihr hundert Welten, diese dahin geben würdet, könntet ihr nur ein einziges Mal diesen Schatz berühren. Aber dann sind vielleicht die Pforten verschlossen, wie den törichten Jungfrauen (Matth. 25, 10ff.) gesagt wird. Und siehe, jetzt ist euch der Schatz aufgetan nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft, da ihr durch die Briefe, die ich verteilen lasse, einmal im Leben vollkommene Vergebung habt und im Augenblick des Todes, so oft er euch droht, ja sonst so oft ihr wollt, das Recht euch einen Beichtiger zu wählen, und damit die Teilnahme an allen Gütern der ganzen heiligen Kirche, worüber ich ein andermal ausführlicher reden will. Aufgetan ist endlich der Schatz allen euern Liebsten, die in Christo abgeschieden sind und Fegefeuerstrafen erleiden, die sich selbst nicht helfen können, selbst die, die bis zum Tage des jüngsten Gerichts Genugtuungsstrafe leisten müßten. Die könnt ihr erlósen binnen einer oder zwei Stunden, und ohne Zweifel strecken sie ihre geistlichen Hände nach euch aus und schreien aus ganzem Herzen: „Erbarmt euch mein, erbarmt euch mein, ihr meine Freunde“ (Hiob 19,21). So ermahnen wir euch nun, daß ihr die Gnade Gottes nicht
!) Zum Teil wörtlich nach der Bulle; vgl. Löscher, Reformations- acta I, 424,
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vergebens empfangt. Und, meine Liebsten, ich ermahne euch: Sollten Widerchristen unter euch sein, wie es nach 1. Joh. 2, 18 schon viele Widerchristen gibt, die gegen das
. Verdienst Christi und sein und der Märtyrer Blut reden!)
hört nicht auf sie, die in Wahrheit Boten des Teufels sind, der der Gnade Feind ist und, was er selbst nicht vermag, durch seine Boten vollbringt. Ich verdamme euch „ihr Kläffer, die do wollen reden von allen sachen“. Ihnen gilt das Urteil des Bannes, wie in der Bulle steht?). „Hüt dich, mein Pferd schlägt dich!“
Am nächsten Tage verweist der Prediger im Eingange noch einmal auf die Gnade, die der Stadt widerfährt. „Gestern habe ich euch gesagt, daß der Stellvertreter Jesu Christi, unser allerheiligster Herr Vater, euch, ja uns allen den unendlichen Schatz aufgetan hat, in dem niedergelegt sind die unendlichen Verdienste und Genugtuungswerke unseres Herrn Jesu Christi und seiner jungfräulichen Mutter Maria, die sie, niemals eine Tod- oder vergebbare Sünde begehend, auch in unendlichem Maße hinzufügte, und aller Märtyrer, Bekenner usw. Diese Gnade, ermahne ich euch, sollt ihr nicht vergebens empfangen. Denn gewißlich „jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils“ (2. Kor. 6, 2), da ihr Gott genug tun könnt für alle eure Sünden bis zum letzten Heller“.
Bevor aber der Prediger nun von der Vorbereitung zur Erlangung der Gnade reden will, fühlt er sich veranlaßt, die Frage zu erörtern: „Da die Leichtigkeit, mit der Ver- gebung der Sünden erlangt wird, ein Anreiz zum Sündigen sein könnte, darf der Papst leicht bereit sein allen vollen Ablaß (plenissimas indulgentias) zu gewähren?“®) Der Prediger stellt zur Lösung der Frage zunächst einen Funda- mentalsatz auf:, Obgleich jeder an sich selbst durch wahre Reue die Sünde strafen muß, so kann doch einer für den andern genugtuende Strafe leisten. Mit den Worten des Lombarden^) zeigt Rab, daß der barmherzige Gott dem Reu- mütigen vergibt und ibm keine Strafe für die Ewigkeit behält. Die Gerechtigkeit aber läßt nichts ungestraft. „Ent-
1) Vgl. Sächs. Kirchen- und Schulbl, 1872, S. 293: „Das glaube ich nimmermehr, daß Gott das Geld so sehr liebet, daß er mich in der Hölle um eines heillosen Groschens willens sollte ewig martern lassen. Singen wir nicht im Osterlied: Der die Hölle zerbrach und den leidigen Teufel darinnen band? Welcher Zimmermann hat sie wieder gebauet?“
2) Löscher a. a. O. I, S. 429.
3) Vgl. Cajetan bei Bratke a. a. O., S. 164f. *) IV d. 20.
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weder straft der Mensch oder Gott, der Mensch mit der Buße, Gott, indem er Strafe fordert. Die Buße ist eine innere und eine äußere. Ist die erstere so groß, daß sie als Strafe der Sünde genügt, so fordert Gott, der dies weiß, keine weitere Strafe Genügt sie aber nicht, so fügt Gott, der Art und Maß der Sünden und Strafen kennt, eine genügende Strafe hinzu.“ Dem Menschen aber bleibt das verborgen, so daß er keine Gewißheit hat, ob seine Reue zur Tilgung der Strafe und Schuld genügt. Darum ist jeder gehalten zu beichten und Genugtuung zu leisten. Zur Buße gehören wesentlich drei Stücke: Beichte, Reue und Genug- tuung. Reue und Beichte ist die Sache jedes Menschen für sich selbst. Die Genugtuung aber kann einer für den andern leisten; insbesondere, wenn er in der Liebe steht. Je größer seine Liebe ist, um so mehr ist sein Werk Gott angenehm und genugtuend. Das gilt im höchsten Grade von Christus, der für uns alle in reichlichstem Maße Genugtuung geleistet hat, insofern er Gott den Preis für unsere Erlösung zum Opfer brachte, nämlich sein teures Blut. Nun hätte bereits ein Tropfen seines Blutes zur Erlösung der ganzen Mensch- heit genügt!) Aber Christus opferte sein Leben bis zum letzten Blutstropfen für uns. Jenen Schatz der Genugtung hat Gott seinem höchsten Stellvertreter, der ihn in allem vertritt, zur Verteilung überlassen. Dabei darf der Papst nicht leichtfertig verfahren, damit nicht die Schlüssel der Kirche verachtet und die Genugtuungswerke entkräjtet werden. So ergibt sich nun die weitere Frage, wann und wem er diesen Schatz öffnen darf. Die Gültigkeit des Ab- lasses setzt dreierlei voraus. Zuerst kommt es darauf an, wozu er dienen soll: zur Ehre Gottes oder zur Not oder zum Nutzen der Kirche. Der Prediger verweist auf das Laterankonzil von 1215 und den dort durch Innocenz IIl. gewährten Kreuzzugsablaß und fährt fort: „Wenn nun damals die Kirche ihre große Notlage ansah und das Kreuz predigen ließ, wenn man damals sah, wie viele, die sich mit dem Kreuz hatten bezeichnen lassen, zum Himmel aufflogen, wenn ein Prediger, der sich weigerte, das Kreuz zu predigen, aufs Sehwerste gestraft worden ist, hat dann nicht der höchste Priester mit der Versammlung der Kardinäle Grund genug, diesen so reichlichen Ablaß zu genehmigen, da, wie der höchste Priester auf die glaubhafte Nachricht von Königen und Fürsten hin schreibt, Livland, das Erzbistum Riga und Dorpat durch die ketzerischen Russen und Tataren verwüstet, die Kirchen zerstört, die Heiligenbilder geschändet, das
3) Vgl. Thomas, Summa 8 q. 46 a 5 ad 3.
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heilige Sakrament mit schänderischen Händen angefaßt, die- Glocken kleingeschlagen und daraus vielleicht Kugeln ge- gossen, Menschen ohne Zahl in schrecklichste Sklaverei weggeschleppt, die aber nicht fortgehen wollten, Junge und. Alte, aufs Entsetzlichste und Grausamste an Pfähle ge-
schlagen worden sind, und was weiter diese bejammerns--
werten Menschen weiter zu erwarten haben!) In Rücksicht auf das Elend dieser armen Leute, nicht aus Leichtfertigkeit,
nicht aus Geldgier, sondern in Ansehung der Not hat Christi.
Stellvertreter den Schatz der heiligen Mutter Kirche geöffnet, damit ihr um dieser Not willen und, wenn ihr sonst euch: nicht zum Mitleid bewegen lassen wollt, wenigstens, um Ablaß zu erlangen, euer Herz der Barmherzigkeit öffnet.. Darum, meine Liebsten, wenn euch der höchste Priester den. unendlichen Schatz auftut, vernachlässigt nicht euer Heil, geht nicht mit hartem Herzen und unbeschnittenen Ohren. und Augen dran vorüber! Denn jene Elenden reden durch mich und andere Prediger zu euch von ihrem Hunger, Durst, Trübsal und Gefängnis und verheißen euch den Segen des Vaterlands, des himmlischen Reichs, wie Christus im heutigen Evangelium zu solchen Barmherzigen spricht (Matth. 25, 34 ff.):
Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters usw. Fürchtet: euch aber vor dem erschrecklichen Urteil, das über die
Schmähsüchtigen mit ihrem harten und unbeschnittenen
Herzen ergeht: Geht hin von mir, ihr Verfluchten, in das.
ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.
und solchen unbarmherzigen Leuten. Denn wahrlich in das. Gericht, von dem das Evangelium redet, begleiten euch keine:
zeitlichen Güter und keine Freunde, sondern nur eure guten Werke und besonders die Werke der Barmherzigkeit. Die
werden für euch reden. Wir ermahnen euch also, daß ihr
Gottes Gnade nicht vergeblich empfanget!“
Im Eingang der dritten Predigt (Dienstag naeh Invo--
kavit) wünscht der Prediger, veranlaßt durch das Evangelium
von der Tempelreinigung (Matth, 21, 12 f.), seinen Zuhörern,
daf sie selbst als ein Tempel Gottes gereinigt würden , durch eine Beichte*, Sonst ist es unmöglich, „den geringsten Tropfen göttlicher Gunst von Gott zu erlangen“. „Wenn du die Gnade des allerheiligsten Jubel- und des heiligen
Kreuzablasses erlangen willst, dessen Schatz Christus aus.
seiner grenzenlosen Barmherzigkeit durch seinen Stell- vertreter, den obersten Priester, mit rechtem, vernünftigem und
senügendem Grunde, wie ihr gestern gehört habt, geöffnet.
hat, genügt es dir nicht, daß du dich mit dem Kreuze:
————À ÉL
1) Nach der Bulle Löscher a. a. O. I, 424.
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zeichnest, wie in der Bulle steht, oder in den Kasten ein- legst oder Kirchen besuchst, obgleich auch das verlangt wird, wie ihr, so Gott will, zu seiner Zeit hören werdet, sondern jenes, die Beichte, ist das allererste, was seitens derer, die Ablaß verdienen wollen, verlangt wird. Wer Ablaß verleiht, muß dazu Vollmacht besitzen. Wenn Ablaß erteilt werden soll, muß eine Not oder ein Nutzen der Kirche das begründen. Wer Ablaß erwerben will, muß Liebe und die rechte Beschaffenheit haben. Das meint der oberste Priester, wenn er in der Bulle sagt: solehen, die gebeichtet haben und ihre Sünden bereuen. Darum ists das Erste, was vor Allem nötig ist, daß eure ganze Stadt von wahrer Reue bewegt werde. Diese macht euch fähig zum Einfluß der Gnade und zur Erlangung des Jubelablasses. Darum will ich nun von dem Dreifachen reden: von der Notwendigkeit der Reue, von der Reue Art und von der Reue Frucht und Nutzen.“
In dieser Predigt wird noch der erste Punkt, die Not- wendigkeit der Reue, behandelt. Mit der Sünde verläßt der Mensch Gott, um sich der Kreatur zuzuwenden. Gott aber ists, der der Seele durch die Gnade das Leben einflößt. Geschieht das nicht mehr, so gleicht der Mensch einem Klotz. Stirbt er, so taugt er zu nichts als zur Speise der Würmer. Der Mensch verbleibt so lange in jenem Zustand, als er die Sünde nicht vernichtet. Darum ist die Reue nötig allen, die gerecht gemacht werden wollen. Wenn jemand gerecht gemacht werden soll, bedarf es zuerst des Einflusses der Gnade. Das kann .nur Gott gewähren. Aber „dies Werk ist so groß, daß Gott allein es nicht vollbringen kann, sondern dazu unsrer Mitwirkung und Hilfe bedarf“. Der Mensch muß sich also für den Einfluß der Gnade vorbereiten, indem er das beseitigt, was den Einfluß der Gnade ver- hindert, und dies Hindernis ist die Sünde. Aber wodurch wird dies Hindernis beseitigt? Durch das Mißfallen, durch den Haß und durch die Verabscheuung der Sünde, und augenblicklich, sobald dir die Sünde mißfällt und du Gnade begehrst und der freie Wille sich zu Gott hinbewegt, erfolgt die Vergebung der Sünde, Aber du mußt mit Gott zu- sammen wirken, wie Augustin sagt: „der dich ohne dich geschaffen hat, wird dich nicht ohne dich gerecht machen" 1). „Dann ist der glorreiche Gott so gut, so freundlich und barmherzig, daß, sobald wir uns vorbereiten und aufseufzen, er uns in demselben Augenblick den Quell der Gnade und
1) Sermo CLXX, 13. Migne PL 38, 929. Luther setzt sich mit diesem Worte auseinander WA. 15, 115; vgl. Drews, Disputationen S. 47. |
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Barmherzigkeit Öffnet und all unsrer Missetat und Un- gerechtigkeit vergißt.“ Zum Schlusse erzählt der Prediger zum Beweise hierfür eine Geschichte aus dem Leben der Altväter!): Ein Altvater, der die Gabe hatte, „aus dem Ansehen derjenigen, welche in die Kirche gingen, die guten oder bösen Gedanken, die sie im Herzen führten, zu er- kennen“, sah ihrer viele mit einem schönen Angesicht und mit fröhlichem Gemüt hineingehen, wie auch die heiligen Engel, die ihre Pflegekinder mit Freuden begleiteten. Einen aber sah er hineingehen, der ganz schwarz und finster war und von den Teufeln an einem Zaum geführt und hin und her gezerrí wurde. Sein heilger Engel aber folgte ihm ganz traurig von weitem nach“. Als aber die Leute die Kirche verließen, sah der Altvater eben jenen Menschen „ganz fröhlich und rchneeweiß herausgehen; die Teufel zwar folgten ihm von weitem nach, sein heiliger Engel aber ging ganz fröhlich und freudevoll neben ihm“. Auf Befragen erzählte . jener Mensch: er habe lange Zeit in Lastern gelebt, in der Kirche aber habe er das Wort Jes. 1,16—19: „Waschet, reiniget euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen“ usw. gehört. Da sei er in sich gegangen, habe seine Missetat bekannt und zu Gott gesprochen: „Ich sage jetzt ab aller Ungerechtigkeit und von nun an will ich dir, mein Gott, mit einem reinen Gewissen jederzeit dienen Nimm deshalb in dieser Stunde mich armen Büßer wiederum auf!“ Der Prediger schließt: „Aber in diesem Jubelablaó könnt ihr gänzlich erneuert werden nicht nur in Hinsicht auf die Schuld, sondern auch auf die Strafe“.
Nach einem kurzen Blick auf die Worte aus dem Tagesevangelium Matth. 12, 50: „Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, derselbige ist mein Bruder, Schwester und Mutter“ und dem Hinweis auf 1. Thess. 4, 3: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“, ermahnt Rab in der nächsten Predigt wiederum seine Zuhörer, daß sie die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen, in der sie wieder Er- neuerung finden können. Das kann aber nur auf dem Wege der Reue geschehen, weil diese das erste Heilmittel gegen die Krankheit der Sünde ist. Ja, Gott kann nach der Ordnung seiner Macht die Gnade nicht eingießen und gerecht machen ohne die Reue des Menschen! Von der Beschaffenheit der Reue ist nun im folgenden die Rede. Zur wahren Reue gehört dreierlei: sie muß sich auf jede begangene Tatsünde erstrecken, sie muß mit dem Vorsatz
1) VII, 93. Migne PL LXXIII, 1046. Gern in der Predigt benutzt; vgl. Franz, Drei Minoritenprediger S. 130 f,
Archiv für Reformationsgesohichte. XXII. 1. 10
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der Genugtuung und mit großem, wenn auch in vernünftigen: Grenzen sich bewegendem Schmerz verbunden sein und sie muß bis ans Ende des Lebens währen. Der Prediger stellt dann vier Regeln zur Erkenntnis der wahren Reue auf: 1. der Schmerz muß. so groß sein, daß er zu dem Entschlusse drängt, lieber jede Strafe auf sich zu nehmen, selbst den leiblichen Tod zu erleiden oder betteln zu gehen, als wieder in eine Todsünde zu willigen. 2. Man muß bereit sein, denen, denen man Unrecht getan hat, Ersatz zu leisten, 3. Man muß bereit sein, jede Beleidigung zu vergeben. 4. Man muß bereit sein, jede Gelegenheit zur Sünde zu fliehen. „Darum sind Buhler, die ihre Buhlerinnen nicht verlassen, Würfelspieler u. a. nicht zu absolvieren, wie auch öffentliche Weiber; denn sie haben keine rechte Reue und hinken nach. zwei Seiten: auf der einen Seite möchten sie zwar Gott dienen und ihm anhängen, aber auf der anderen der Welt und dem Teufel. Niemand aber kann zwei Herren dienen und der Herr will nicht das halbe, sondern das ganze Herz: Bekehret euch zu mir mit euerm ganzen Herzen (Jer. 27, 4).
Nun könnten manche einwenden: „Wir hätten gern vollkommene Reue über alle Sünden, aber wir haben sie nicht im Gedächtnis“. Der Prediger beantwortet den Ein- wand mit Worten aus Thomas: Anfangs muß sich die Reue auf die einzelnen Sünden erstrecken, die man im Gedächtnis- hat, zuletzt aber muß die Reue eine allgemeine sein. Wer alle Sorgfalt darauf verwendet, dem gießt Gott die Gnade ein und gibt ihm Vergebung aller Sünden. „Siehe welch eine wunderbare Ordnung Gottes, die uns nicht selig machen. und uns nieht Gnade sehenken will ohne unsre Zustimmung: und Bereitschaft. Aber siehe, jetzt ist die angenehme Zeit und der Tag des Herrn, da der hóchste Priester in uns wahre und vollkommene und reine Reue wecken will, indem er aus gerechter und vernünftiger Ursache, nämlich zur Ehre Gottes, zum Nutzen und zur Hilfe der Kirche, den Schatz. der Kirche auftut. Darum ermahnen wir euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. Denn es werden Tage kommen, an denen ihr nur einen Augenblick dieser Zeit wünschtet, aber dann ists nicht mehr Barmherzigkeits-,. sondern Gereehtigkeitszeit. Nutzet die Zeit aus, denn es ist böse Zeit!“ (Joh. 5, 16).
In der fünften Predigt spricht Rab davon, daß die rechte Reue mit großem, wenn auch in vernünftigen Grenzen. sich bewegendem Schmerz über Sünde, mit Haß und Miß- fallen derselben verbunden sein muß. Hierfür werden fünf
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Gründe angeführt!): 1. weil wir Gott über alle Dinge lieben müssen, müssen wir von größtem Schmerze erfüllt sein, wenn wir die aus jener Liebe fließenden Güter verlieren; 2. weil die Sünde ein solches Gewicht in sich hat, daß sie aus einer zur andern zieht, wie sich an David zeigt und wie jeder es an sich selbst erfährt: „ein iglicher ziehe sich selbst bei der Nasen“; erst tut man Sünde mit Erröten, dann mit Freude und Lust; 3. weil die Sünde befleckt, „der
Flecken bleibt auch nach der Sünde und kann in Ewigkeit.
nicht getilgt werden, auch wenn er mit dem ganzen Meer und den Tränen aller Heiligen gewaschen würde. Nur durch die eigenen Tränen und die göttliche Gnade, „wenn: die zwei Wasser zu haufen“ kommen in der Reue, dann. wird die Seele gereinigt: „darum du mußt das Wasser selbst holen und zutragen;* 4. weil der Mensch mit der Sünde die Schuld ewiger Strafe auf sich lädt; 5. weil durch die Sünde der Mensch den Zustand der Unschuld verliert. (abgesehen davon, daß er Gott, Gottes Reich, die Gemein- schaft der Engel, die Gnade und alle Tugenden verliert). „Die wertvollste Zeit ist die Zeit der Buße und Genugtuung. Aber ach, wie gering schützen wir den Verlust der Zeit „und tun dies und jens vor die lange Weil“. — O wenn die Seelen eurer Eltern eine einzige Stunde oder einen einzigen Tag von eurer Zeit hätten, meinst du, sie würden es versäumen, sieh jenes allerheiligsten Ablasses teilhaitig zu machen? Aber siehe, weil sie außer der Zeit sind, da sie ihn erwerben können, strecken sie die Hände nach euch aus und schreien nach euch mit erbärmlicher Stimme, die ihr von ihnen Leib und Leben und euer Gut empfangen habt: Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner, o meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich angerührt! Und das ist eine der größten Fegefeuerstrafen, daß sie Schmerz. empfinden über den Verlust der Zeit. Ihr aber denket an ihr Gericht! Sie trafs gestern, morgen kann's dich treffen. Oeffnet ihnen die Hand der Barmherzigkeit; denn ihr könnt, ohne selbst Verlust zu erleiden, ihnen die größte Hilfe leisten, ihnen den Schatz der Kirche auftun und sie von ihren Strafen befreien.“
Im Eingange der sechsten Predigt deutet Rab das. Tagesevangelium Joh. 5, 1ff. Das Hinuntersteigen in den Teich ist die wahre Reue. Das Wasser wird jetzt bewegt durch den Engel, d. h. durch den apostolischen Boten. So lange das Ablaßkreuz aufgerichtet ist, kann jeder hinunter-
1) ratione contrarietatis, dispositionis, maculationis, incursionis,
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steigen und das volle Heil seiner Seele erlangen. „Aber wenn er hinuntersteigen will, muß er die Krankenhallen seiner fünf Sinne verlassen: und sich im Teiche baden, d.h. mit dem Quell seiner Tränen und Reue, wie ihr gehört habt; denn das ist nötig, weil ohne Reue dich Gott nicht rein waschen will.“ Dann spricht der Prediger von dem Dritten, das zur rechten Reue gehört, nämlich, daß sie das ganze Leben hindurch währen muß. Er beweist das zuerst mit Gründen der Vernunft: das Leben ist ein Pilgern nach dem himmlischen Vaterland. Der Wandrer muß alles ab- legen, was ihn hindert, nämlich seine Sünden, und zwar während der ganzen Zeit seiner Wanderung. Aber auch deshalb müssen Reue und Schmerz über die Sünde das ganze Leben hindurch währen, weil der Mensch gegen den ewigen Gott gesündigt und ewige Strafe verdient hat. Weiter beweist der Redner jene Forderung mit „Autoritäten“: Matth. 5, 4 spricht Christus: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“. „Die Seligkeit muß sich immer fortsetzen, also auch die Trauer“. Endlich bringt Rab Beispiele für anhaltende Rene: Maria Magdalena, die 30 Jahre in der Wüste Buße tat!), und Petrus, der zu weinen anfing, sobald er den Schrei des Hahnes hörte?).
In der nächsten Predigt frägt Rab im Hinblick auf das Tagesevangelium von der Verklärung Christi (Matth. 17, 1 ff): „Wer, meine Liebsten, wird steigen auf den Berg des Herrn oder wer wird stehen an seinem heiligen Orte? Denn viele sind berufen, aber wenige auserwählt, und Christus nahm nur drei mit sich; denn dieser Berg ist hoch, der Weg ist schmal und unbetreten, der zur Pforte führt, und die Pforte ist eng, und wenige sind es, die sie finden (Matth. 7, 13 f). Das wird bezeichnet dureh Petrus, Johannes und Jakobus. Petrus bedeutet die Ehelichen. „Im Ehestand könnt ihr eben so gut selig werden wie die Religiosen. Aber ihr müßt die Ordnung und eure Regel d. h. den Glauben balten, „ihr müßt nicht aus den Silen treten“®), ihr müßt auf Nachkommenschaft sehen und nicht unordentliche Lust suchen. — Dann könnt auch ihr auf den Berg des Herrn steigen“. Mit Johannes sind die Jungfräulichen bezeichnet, mit Jakobus die Bußfertigen. Das wird aber auch an- gedeutet dadurch, daß die Jünger auf das Antlitz niederfallen, aber der Herr rührt sie an, richtet sie auf und spricht zu ihnen: Stehet auf, fürchtet euch nicht! Darum, meine
1) Leg. aur. 413. *) Leg. aur. 370, 3) Sielen-Geschirr des Zugtieres.
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Liebsten, seid ihr in eurem Stande gefallen, sehet, der Herr ist da, bereit euch aufzurichten und wieder zu versetzen in die alte Gnade. Nur müßt ihr aufstehen in wahrer Reue, die auf die einzelnen Sünden sich erstrecken, mit großem . Schmerz verbunden und dauernd sein muß“. Am Schlusse der Predigt verweist Rab noch einmal auf die vier Regeln zur Erkenntnis der wahren Reue (vgl. oben 4. Predigt).
In der dritten Predigt war gesagt worden, daß von der Notwendigkeit, der Art und endlich von der Frucht und dem Nutzen der Reue gehandelt werden sollte. Nachdem der Prediger nun die beiden ersten Stücke erledigt hat, kommt er in der Predigt des Sonntags Reminiscere zum dritten, mit dessen Erörterung diese und die beiden folgenden Pre- digten sich befassen.
Das Sonntagsevangelium (Matth. 15, 211f) veranlabt den Prediger zu der Frage, warum Jesus sich lange weigert, die Bitte des kananäischen Weibes zu erfüllen. Er findet dafür zwei Gründe. Erstens wollte Jesus dem Weibe das höchste Gut schenken. Das mußte diese aber in großer Demut, Geduld und Beharrlichkeit erstreben; denn je größer das Verlangen nach einem Gute ist, um so fähiger wird der Mensch zu dessen Aufnahme. Zweitens sollte uns das Weib als Vorbild dienen: „wenn ihr geheilt werden wollt und eure Tochter krank ist und vom Teufel geplagt wird, d. h. wenn euer Gewissen von dem Sündenteufel gequält wird, müßt ihr aus den Grenzen von Tyrus und Sidon durch wahre Buße und Reue herausgehen.* Frucht und Nutzen der Reue ist dreifach: Schuld und Strafe werden nachgelassen, die Tugenden werden wieder hergestellt, die ertöteten Werke werden wieder lebendig gemacht. Von dem ersten Nutzen wird noch in dieser Predigt gehandelt. Der Sünder handelt gegen die göttliche Freundschaft, die den Menschen teil- nehmen lassen will an der ewigen Seligkeit, und gegen die göttliche Gerechtigkeit, die dem Menschen alles auf Erden zum Gebrauche überließ. Die Verletzung der göttlichen Freundschaft und Gerechtigkeit fordert, daß das, was Gott entzogen worden ist, ihm wiedererstattet wird. „Was aber in der ganzen Welt können wir finden, was Gott ebenso gefällt, wie ihm die Beleidigung mißfallen hat? Siehe, nichts finde ich als das eine Opfer, nämlich einen zerschlagenen Geist und ein demütiges Herz zugleich mit dem Verdienste des Leidens Christi. Das nimmt Gott an und vergibt und vergißt alle Sünden.“ Vgl. Ezech. 18, 21.
Der zweite Nutzen der Reue wird in der nächsten Predigt behandelt. Im Tagesevangelium (Joh. 8, 1ff.) ist die Rede von den Juden, die tot in Sünden sind, und weil
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sie an Jesus nicht glauben, ihn kreuzigen wollen. Das trifft auch uns, die wir Christus mit unsern Sünden gekreuzigt haben. Er will uns retten, aber nicht ohne unsern Willen. Zu unserer Rettung gab er uns Gebote, Räte und Mittel: Gebote, die allen den Weg zeigen, so daß sich niemand entschuldigen kann; evangelische Räte, an die nicht alle gebunden sind, wie Jungfrüulichkeit, Armut und Gehorsam zu bewahren; Mittel, nämlich die heilsamen Sakramente, die aus seiner Seite geflossen sind. In der Taufe wird allen volle Vergebung der Sünden gewährt. „Das ist das hofi- gewant, das im der herre Jesus gibt und ane zeucht, das er darnoch mag gen hoff ghen und mit dem herrn essen die speyß seynes heyligen fronleichnams." „Dieses Mittel ist allen gemein. Er will also alle Menschen selig machen, und es ist in unsern Willen gestellt: Tuen wir so viel, als an uns ist, so ist Gott immer bereit zu tun, was an ihm ist; aber ohne unsern Willen will er uns nicht selig machen.“ Mit der Stinde stellen wir aber ein Hindernis entgegen und geben das Hofgewand preis; ja die Sünde tötet die Gnade mit allen Tugenden. Weil aber durch die Reue, wie gestern gesagt ist, alle Sünden vergeben werden, wird dadurch auch die ange- nehm machende Gnade und alle Tugenden wieder hergestellt.
In der folgenden Predigt (Dienstag nach Reminiscere) zeigt Rab an dem Tagesevangelium (Matth. 23, 1ff.), daß jeder darüber zu wachen habe, „das unsere werck nicht wormstichig werden oder faul“. „Aus jedem Ding wird das geboren, was es zu nichte macht: aus dem Holz der Wurm, der es zerfrißt, aus dem Kleid die Motte, die es zerstört, aus dem Kohl die Raupe, die ihn verzehrt. So aus jedem guten Werke der eitle Ruhm, der es ansteckt.“ Wie der eitle Ruhm allgemein der Feind guter Werke ist, so tötet jede Todsünde alle guten Werke, verdienstliche und genug- iuende. In längerer Ausführung spricht der Redner von der Verdienstlichkeit der guten Werke. Ohne die Gnade vermag kein Mensch weder ex condigno noch ex congruo das ewige Leben zu verdienen, weil in keiner Weise sich das Werk und das ewige Leben vergleichen läßt. „Wenn der Mensch vom Anfang der Welt bis zum Ende lebte, könnte er nieht verdienen, in diesem Reiche aueh nur eine halbe Stunde zu sein. Aber nach seiner grenzenlosen Güte hat Gott es so bestimmt, weil der Mensch nur Menschliches und Gott nur Góttliches tun kann: mit jedem guten Werke, was der Mensch tut, mag es noch so gering sein, auch weun du nur einen Schluck kalten Wassers gibst, wenn du mit deinem Almosen den Armen in Livland zu Hilfe kommst, wenn du für die Seelen im Fegefeuer einlegst, wenn du die
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andern Gnaden kaufst, die der Allerheiligste dir anträgt, verdienst du dir auch ex condigno das ewige Leben. Nicht weil dein Werk an sich, nach dem Inhalte der Tat, derart wäre, sondern es hat diese Kraft erstens!) auf Grund der göttlichen Ordnung, weil es Gott so geordnet und festgesetzt hat. Gott aber ist unveränderlich und wahrhaftig. Darum auf Grund der göttlichen Bestimmung wird uns für jedes in Liebe und um Gottes Willen gefane Werk das Verdienst des ewigen Lebens gegeben werden, und ehe das Wort dieses Herrn verginge, eher würde Himmel und Erde zu- grunde gehen. Denn obgleich das Werk des ewigen Lebens nicht wert ist, so ist es doch entsprechend (congruum), daß, wenn der Mensch getan hat, was Gott geordnet hat, auch Gott tut, was er verheißen hat. Zweitens hat es jene Kraft ex condigno, weil der Mensch, der in der Gnade steht, in seinem Herzen den heiligen Geist hat, der ihn zu heiligen, guten und verdienstlichen Werken bewegt. Darum werden jene Werke angesehen als Werke des heiligen Geistes, die aus der Bewegung des heiligen Geistes eine unendliche Kraft in sich tragen, und es ist wert (condignum), daß unendliche Werke mit unendlichem Lohne bezahlt werden. So belohnt Gott seine eigenen Werke in uns. Drittens wohnt jene Kraft in den guten Werken, weil der Mensch durch die Gnade der göttlichen Natur teilhaftig und zu einem Kinde Gottes angenommen wird. Also gebührt nach väterlichem Recht, weil der Wille des Vaters erfüllt wird, solchen, die ex condigno verdienstliehe Werke tun, das ewige Leben, und soviel ein Mensch solche Werke hat, soviel mal ver- dient er ex condigno et congruo das ewige Leben. Darum heißen unsere Werke lebendig, weil sie uns zu dem letzten Ziel, der Seligkeit führen können.“ Aber alle diese guten Werke werden getótet dureh die Todsünde. Einem Menschen, der in der Todsünde verharrt, nützen die Werke niehts zum ewigen Leben; denn die nachfolgende Sünde hindert ihn am Eintritt ins himmlische Vaterland. Durch die Buße aber werden die toten Werke wieder lebendig. Denn sie beseitigt das Hindernis der Stinde, das nicht ins Himmelreich gelangen läßt.
Am Mittwoch, 7. März, unterbricht Rab die Reihe der Ablaßpredigt. Am Tage des hl. Thomas predigt er über die Worte: Hie magnus vocabitur (Matth. 5, 19) — wegen des Sieges über das Fleisch, wegen des Zuströmens der Weisheit, wegen der Menge der Verdienste.
Am folgenden Tage kehrt er zu seinem Gegenstand zurück. Das Tagesevangelium vom reichen Mann und dem
3) Das Folgende nach Thomas, Summa 1 II q. 114.
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armen Lazarus (Luk. 16, 19 ff) gibt ihm willkommene Ver- anlassung, erneut den Ablaß auzupreisen. „Yr hatt den margkt vor der thur“. „Unser allerheiligster Herr, Papst Julius IL zeigt euch die Schwären des armen Lazarus d. h. der elenden Personen in Livland, von denen manche in die Ge- fangenschaft weggeschleppt, manche getötet worden sind, die satt werden möchten von den Brosamen, die von euren Tischen fallen. Sehet, sie begehren nicht euer ganzes oder auch nur euer halbes Vermögen, sondern nur Brosamen d. h. was ihr vermögt gemäß der Bestimmung eurer Beicht- väter. Für diese Almosen tut er euch auf den allerkost- barsten Schatz des allerheiligsten Jubelablasses, und zwar nicht nur euch, sondern auch euren Eltern und Freunden, ja euch mit den Beichtbriefen auch für die Zukunft. Aber allerdings, wie ich schon gesagt habe, steht dieser Schatz nicht allen offen, sondern nur denen, die sich dafür bereiten, und das erste bei der Bereitung ist die Reue, über die nun genug gesagt worden ist“.
„Da möchtest du nun sagen: genügt auch schon die innere Reue? Ich antworte kurz: nein. Denn der oberste Priester fügt hinzu: „nur die gebeichtet haben“. Mithin ist's nötig, daß du beichtest oder den Vorsatz hast zu beiehten, wenn du vollkommene Vergebung haben willst. Du mußt also volle Reue haben und eine reine und vollständige Beichte hinzufügen. Von dieser Beichte will ich nun sprechen, und zwar von drei Stücken: von ihrer Notwendigkeit, von ihrer Vollständigkeit und von ihrer Vorbereitung.
Die Notwendigkeit der Beichte wird von manchen Ketzern geleugnet, weil Gott die Sünde vergebe, sobald der Sünder aufseufze, und weil nichts von der Beichte des Petrus, des Paulus und der Magdalena geschrieben ist. Auch könne man sich selber eine Buße zur Leistung der Genugtuung auferlegen. Aber, entgegnet Rab, die Reue ist nicht wahr, wenn nicht der Vorsatz besteht zu beichten und Genug- tuung zu leisten. Petrus, Paulus usw. haben auch gebeichtet, trotzdem wir nichts darüber lesen. Eine selbstauferlegte Buße, wäre sie auch noch so groß, wäre ungenügend. Für Tilgung der Erbsünde bedarf es der Taufe, zur Tilgung der Todsünde der Beichte. Wie beim Sakrament der Taufe sich der Mensch den Dienern der Kirche zu untergeben hat, so muß er beim Sakrament der Buße, wenn anders er Ver- gebung aller Sünden haben will, zum Priester gehen und ihm vorlegen alle seine Krankheit, weil er Arzt ist, und seine ganze Sache, weil er Richter ist.
(Fortsetzung folgt.)
Mitteilungen.
Neuerscheinungen.
Zum 13. Juni 1925. Als Festgabe zur 400. Wiederkehr der Vermählung Luthers mit Katharina von Bora bringt Agnes Bartscherer eine Schilderung des Lebensausgangs Katharinas (Frau Käthe Luther in Torgau. Torgau 1925, 19 S. Druck und Verlag Paul Schiemann). Die Darstellung, die durch Studien hauptsächlich im Torgauer Stadtarchiv unterbaut ist, möchte besonders zeigen, daß die Witwe des Reformators einen erbaulichen Tod wie auch ein ehrenvolles Begräbnis gehabt habe. Eine Abbildung des Grabsteins ist beigegeben. — Aus gleichem Anlaß ist die weitaus wertvollste Lebensbeschreibung Katharinas, E. Krotter, Katharina von Bora, Martin Luthers Frau Ein Lebens- und Charakterbild (1. Aufl. 1906) soeben in 2. Auflage (mit 7 Bildbeilagen) ausgegangen. Das treffliche Buch, das nur in Einzelheiten verbessert oder ergänzt wieder erscheint, bedarf keiner Empfehlung mehr. Zwickau, Joh, Herrmann. 1925. 1V, 275 S. (geb. M. 4,80).
Zeitschriftenschau.
Allgemeines, Viktor Schultze, Das Bild im Dienste der Reformation (in Allg. Ev.-luth. KZ. 1924, Nr. 44—46), zeigt die mancherlei Wege, die die prot. Kunst des 16, Jahrh. gegangen ist und die mancherlei Mittel, die sie aufgewendet hat, um in Holzsehnitt, Kupferstich und Denkmünze, von dem ein- fachen Porträt des Reformators bis zum Passionale Christi et Anti- christi Cranaehs, dem Totentanz Holbeins, den vier Aposteln Dürers, ihre Aufgabe an der und für die Ref. durchzuführen, ebensowohl zur Erbauung und Kräftigung der unter dem Wahrzeichen des Evangeliums Stehenden, wie zu Zwecken des Kampfes und der Abwehr wider den Katholizismus und das Papsttum, den „Endchrist“,
J. Wolf, Ein bisher unbekannter Spottdruck auf das Augs- burger Interim, macht auf eine Reihe von vier, vielleicht in Magde- burg entstandenen bezügl, Holzschnitten in der Musiksammlung der Preuß. Staatsbibliothek in Berlin aufmerksam: Zbl. f. Bw. 42, 1925, S. 9—19.
Luther und seine Zeitgenossen. Aus der Verzerrung, die sie auf Grund der Melanchthonischen Formulierung in der ortho- doxen Theologie des 17, Jahrh, und der noch immer von ihr bestimmten
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Lehrüberlieferung gefunden hat, führt Fr. Loofs Luthers Rechtfertigungslehre in ihre ursprüngliche Gestalt zurück, indem er zeigt, was Luther unter Gerechtfertigtwerden verstanden hat, und weist es als töricht ab, die Stärke des Glaubens und den Ernst persönlichen Christentums bei sich und anderen an dem Für- wahrhalten von Dogmen und biblischen Geschichten messen zu wollen. Luther, Mitt. der Lutherges. 1924, Heft 6, S. 88—90,
Luthers Gottesdienstreform 1523—1526 und ihre Lehren für die Gegenwart bespricht K. Eger ebenda 1925 Heft 1, S.2—11. Ebendort finden wir S. 11—19 das schon gewohnte Luther- Kalendarium G. Buchwalds für d. J. 1525,
Luthers Staatsauffassung behandelt Jul. Binder in Beitrr. z. Philos. d. deutschen Idealism., Beih. 18, 34 S. (1924),
Mit der Entstehungszeit des „Lutherliedes“ beschäftigt sich G. Stuhlfauth in zwei Abhandlungen. Indem er (Monatsschr. f, G. u. k. K. 27 S. 182—192) das Kirchenlied des (im übrigen unbekannten) Ludw. Heilman „Lobt Gott, ihr frommen Christen", unter dem Ein- druck des 2. Nürnberger Reichsabschiedes (7. Februar 1523) entstanden sein läßt, glaubt er (Z. f. Bücherfr. 16, 1924, S. 99—103 und 140 bis 112) in diesem Liede Anklünge an „Ein feste Burg“ zu finden, dessen Entstehung danach im J. 1521 mindestens sehr wahrscheinlich würe; doch wird wohl nicht jeder die vermeinten Anklänge als völlig über- zeugend ansehen.
Daß Luther in dem die Messe behandelnden Abschnitt von De captivitate Babylonica ecclesiae seinen Sermon von dem neuen Testament stark benutzt hat, zeigt W. Niesel in N.kirchl. Z, 35, 10 S. 478—481.
In N.kirchl. Z. 85, 9 S. 387—410 stellt L. Th eo bald zusammen, was in Luthers Tischreden über den kleinen Katechis- mus beigebracht wird.
Die frühen Lutherbildnisse L. Cranachs teilt mit und erörtert kritisch Joh. Ficker im Anhang zur ZVKG. Prov. Sachsen 20, 1/2. Er vervollständigt damit seinen Beitrag „Aelteste Bildnisse Luthers^ in Jahrgang 17 (1920) der nümlichen Zeitschrift.
Aus Cod. Vat, lat. 6406 veröffentlicht K. Schellhaß in Mis- cellanea Fr. Ehrle V, S. 478—488 einen Brief des P. Canisius an Kard. Morone von 1577, dem er sein Opus Marianum übersendet, und bespricht das Zustandekommen dieses Werks, l
Im Jahrbuch d. Evang. V. f. westfäl. KG. 25 8. 86—89 teilt Th. Wotschke einen Brief P. Ebers an Bürgermeister und Rat von Lemgo v. J. 1556 mit.
Wie groß und mannigfaltig die Schwierigkeiten waren, unter denen Herzogin Elisabeth von Calenberg, geb. Markgräfin von Brandenburg, ihr Ziel, die Aufrichtung der Herrschaft des Evan- geliums in ihrem Fürstentum, unverrückt verfolgt hat, zeigt der in- haltreiche Aufsatz Ad. Brennekes im Niedersüchs, Jahrb. 1,
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S. 108—145 „Uber die polit. Einflüsse auf das Reformationswerk der Hgin. Elisabeth im Fürstentum Calenberg-Göttingen (1588 bis 1555)“. Über das Leben und die Schriften des Johann Holtheuser von Hildburghausen (nachweisbar von 1549—1564), der u. a. den Lutherschen Kleinen Katechismus in lateinischer Sprache poetisch bearbeitet hat, berichtet O. Clemen in BBK. 31, 2 S. 50—57.
P. Kalkoff, Der geschichtliche Ulrich von Hutten, wiederholt das abgünstige Urteil über H., das er anderwürts schon ausgesprochen hat. Augenscheinlich ist K. in Gefahr, indem er der früheren Überschützung des Ritters mit Recht entgegentritt, ihn in allzu schwarzem Lichte zu sehen. Auch die Bezeichnung Sickingens als „des großen Rüubers und grausamen Bandenführers^ mutet doch sehr einseitig an. Mit vollem Recht dagegen widerlegt K. eine Auf- fassung, die in Hutten und Sickingen die mächtigen Schutzpatrone der beginnenden Reformation sah. S:hles. Jahrb. f. Geistes- u, Naturwiss. Jahrg. II, 4 S. 229—2423.
Einen Brief Barthol. Bergners an Georg Karg vom 11. Jan. 1546 nebst K.s Antwort teilt K. Schornbaum in Th. St. u. Kr., Jahrg. 95, Heft 3/4, S. 299—302 mit.
Ein Gutachten des Dekans Gregor Burmann zu Lehrberg über die Auffassung G. Kargs vom Abendmahl veröffentlicht als Beitrag zur Geschichte des Kargschen Katechismus K. Schornbaum in BBK. 31, 3 S. 111—113.
Ein Lebensbild des calv. gesinnten Heidelb. Diakonen Wilhelm Klebitz, dessen Gegnerschaft T. Hesbusius seine Generalsuperinten- dentur kostete (1559), entwirft A, A. van Schelven im Jahrg. 1923 der Bijdragen voor vaterlandsche Geschiedenis en Oudheidkunde.
Aus der Briefsammlung Stefan Roths auf der Zwickauer Rata- schulbibl, veröffentlicht O. Clemen in ZKG. 44 (NF. 7) S, 98—105 fünf an Roth gerichtete Briefe des aus Bamberg gebürtigen Georg Kryaner, der in Magdeburg — anscheinend als Kantor an der neuen evangelischen Johannesschule — lebte, aus den Jahren 1527 bis 1530 mit mancherlei Nachrichten zur Zeit- und Reformations- geschichte. |
Die ausführliche Abhandlung von Fr. Roth, Die geistliche Be- trügerin Anna Laminit von Augsburg (ca. 1480— 1518) läßt helle Streiflichter auf das Kulturleben in der Stadt Augsburg am Vorabend der Reformation fallen: ZKG. 43 (NF. 6), Heft 2, S. 355—417,
Ebenda, S. 417—422 ergänzt E. Hirsch seine Darstellung der Theologie Osiandersan der Hand der von Gußmann in den Quellen u. Forsch, z. G. des Augsb. Glaubensbekenntnisses 1911 veróffentlichten, lange verschollen gewesenen sog. ,Schirmschrift* Osianders.
Ein Brief Georg Kargs an Konrad Praetorius aus Ans- bach vom 27, Dezember 1543, den K. Schornbaum in BBK. 31, 8 S. 88—90 aus den Ansb. Religionsakten des Nürnb. Staatsarchivs mit- teilt, ist u. a. dadurch bemerkenswert, daß er über den fast der Ver-
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gessenheit anheimgefallenen Empfänger, ehemals lateinischen Schul- meister zu Ansbach, dann Pfarrer zu Alerheim (1555) Licht verbreitet.
In Zeitschr. f. Buchkunde T, 2 S. 79—82 gibt O. Clemen Er- günzungen zu den Drucken der Offizin Georg R haus in Wittenberg nebst Nachriehten über dessen Leben und Familie. |
In HZ. 181, 1 S. 19—40 stellt A. Stern sorgfältig die zer- streuten Nachrichten über den Spanier Gabriel Salamanca Grafen von Ortenburg, den Günstling K. Ferdinands (t 1539) zusammen, „vielleicht den merkwürdigsten Repräsentanten jener Klasse zu Reich- tum und Maeht emporgestiegenen Finanzgrófen des Zeitalters, in dem das Geld seinen Siegeslauf durch die Welt anhob“. |
Ein von Th. Watschke aus dem Dresdener HStA. abge- druckter Erla& des Kurfürsten August von Sachsen vom 30. April 1576 lehrt uns einen durch Cyriakus Spangenberg „verfübrten“ Eis- leber Bürger Anton Richter kennen. ZVKG. Prov. Sachsen 20 1/2, S. 113.
Über Matthaeus Wesenbeck und andere Reformierte, die nach 1579 noch in Wittenberg nachzuweisen sind, handelt Th. Wotschke in ZKVG. Prov. Sachsen 20 1/2, S. 44— 55 unter Mitteilung einiger einschlägigen Dokumente.
Den Entwurf der nicht zum Vollzug gelangten „Reformation und Gottesdienstordnung des Markgrafen-Erzbischofs Wilhelm von Riga“ vom März 1546 veröffentlicht aus dem Königsb. Staatsarchiv P. Karge in Mitt. der Ges. f. G. u. A. zu Riga Bd. 22 Heft 2 (1924), S. 120—161. Einleitend wird die kirchliche Politik des Mark- grafen gewürdigt unter Aufzeigung der Hindernisse, die sich der Durchführung der Reformation in seinem Erzstift entgegenstellten.
Über Konrad Wimpina (Leben und Stellung zur Ref., Charakter) handelt O. Scriba in Bll. Württ. KG. NF. 28 (1924) S. 143—103.
Landsehaftliches, „Zur Reformationsgeschichte von
Dinkelsbühlaus dem Nachlaß Prof, Bürkstümmers^ veröffentlicht K. Schornbaum in BBK, 81, 9 S. 57—61 fünf Briefe von 1491
und 1581, die zugleich für Nórdlingen, Rothenburg und Schwübisch- Gmünd von Bedeutung sind.
Über Melanchthons Heilbronner Schwester (geb. 1499, 7 um 1550, nacheinander mit zwei Heilbronner Bürgern ver- mählt) handelt, auf Grund der Akten des Heilbronner Stadtarchivs, M. von Rauch in einem auch für die Reformationsgesch. von H. fruchtbaren Aufsatz des Schwäb. Merkurs (1921 Nr. 4).
In BBK. 31, 1 S. 1—28 (1924) behandelt Fr. Loy den Regens- burger Wucherstreit von 1587—1588, d. i. eine viel Staub auf- wirbelnde Entzweiung unter den Geistlichen der Stadt über die Auf- fassung des „Wuchers“, im besonderen die Frage, ob der reichs- gesetzlich gestattete 5 °/,-Zins christlich sei. Der Rat zog die Frage or sich, rief auch Job. Andreü als Vermittler herbei; doch verloren fünf Geistliche infolge dieser Bewegung ihre Posten.
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H, Clauß, Aus Gunzenhäuser Visitationsakten des 16. Jahrhunderts verbreitet sich auf Grund der bezeichneten, seit 1567 fließenden Quelle über die Pfarreien und Pfarrer des Diakonats G. unter Mitteilung von Auszügen aus einer Reihe von Pfarrlebensläufen, das (vieler Orten sehr dürftige) Pfarreinkommen, den äußeren Zustand der Pfarrhäuser und Kirchen, das Heiligenvermögen. Es sind vielfach noch unfertige Zustände, die die strengere Aufsicht und geregelte Verwaltung der Landesregierung dringend erforderten. BBK. 31, 3 S8. 101—110. — Die Fortsetzung ebenda 32, 1 S. 32—39 behandelt das Schulwesen (Abdruck der ältesten Leges scholasticae von Gunzen- hausen 1580) und die äußeren Zustände in der Gemeinde. (Schluß folgt.)
H. Kuhn, Reformationsgeschichte im Kloster Mödingen (bei Dillingen) zeigt die außerordentliche, im vorliegenden Falle übel angebrachte Milde, mit der Pfalzgraf Ottheinrich bei der Reformierung seines Landes vorging. Im genannten Kloster fanden die Visitationen Pfalzgraf Wolfgangs noch 1567, 25 Jahre nach Einführung der Kirchenordnung Ottheinrichs, die Nonnen sämtlich dem katholischen Glauben ergeben. BBK. 31, 3 S. 76 —88.
In ZGOberh. NF. 39, 1 S. 63—83 teilt G. Batzer ,Neues über die Ref. in der Landvogtei Ortenau sowie in den Städten Gengen- bach und Offenburg" mit.
Auf das Exemplar der Konkordienformel für die Grafschaft Castell, einen der wenigen fränkischen Kreisstünde, die jene an- nahm, im fürstlichen Kanzleiarchiv Weist K. Schornbaum in BBK. 32, 1 S. 39 hin.
. Daß A. Amrheins (Refgeschichtl. Mitt, aus d. Bist. Würzburg) Behauptung, der Würzburger Weihbischof Pettendorfer sei nicht zum evangel. Glauben übergetreten, auf Unkenntnis der Literatur be- ruht, zeigt K. Schornbaum im BBK. 81, 2 S. 61 f.
Von Laurentius von der Mülen, der im Zusammenhang mit Hermann von Wieds Reformationsversuch die ülteste Druckerei in Bonn gründete, und seinen Drucken handelt A. Piel, ,Gesch. des ältesten Bonner Buchdruckes, zugl. ein Beitr. zur rhein. Reformations- geschichte und -Bibliographie". Rhein. Archiv Bd. 4 (112 S., mit Abb.).
In den Monatsh. f. Rhein. KG. 18, S, 61—68 erhürtet Forst- hoff seine früher dargelegte Ansicht, daß die Klevischen KOO. von 1532/33 Zeugnisse nicht erasmischen (wie Hashagen will), sondern eines entschieden evangelisch gerichteten Geistes seien.
M. Wähler, Die Blütezeit des Erfurter Buchgewerbes (1450—1530) würdigt auch die Druckertütigkeit in Erfurt unter Aufzählung der aus den einzelnen Pressen, u. a. eines Wolfgang Schenck, Nikolaus Marchalk hervorgegangenen Werke. Mitt, V. G. u. A.
von Erfurt Heft 49 (1924), S. 5—58.
Einen Klagebrief der Benediktinerinnen des im Bauernkriege gestürmten und geplünderten Klosters Holzzelle im Mansfeldischen an den Kaiser vom 12. November 1526 gegen die Grafen Gebhard
Wc (
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und Albrecht von Mansfeld, die inzwischen die Hand auf das Kloster gelegt hatten und die Herausgabe der geretteten Kleinodien und Schriften verweigerten, veröffentlicht Th. Wotsche aus der Landesbibl. Gotha in ZVKG. Prov. Sachsen 20, 1/2 S. 111—113.
Über Merseburger Archivalien des 15. und 16. Jahrh. (1432—1549), die in Büchereinbünden der Leipziger Univ.-Bibl. auf- gefunden worden sind, gibt R. Scholz in Thür. Sächs. Z. f. G. u K. XII, 2 S. 89—103 Auskunft. Der Hauptteil stammt aus der Kanzlei des Koadjutors Fürst Georg von Anhalt (1543—49), anderes aus dem Archiv des Klosters S. Petri in Merseburg. Die Mehrzahl der Stücke bezieht sich auf die kirchlichen Verhältnisse in den Pfarrdörfern der Merseburger Diözese in der Reformationszeit; andere Stücke beleuchten die Verfallzeit vor den Beginn der Reform; insbesondere über die Ver- hältnisse des Petersklosters vor dieser erhält man manche Einblicke.
Wittenberger Stammbucheinträge teilt aus der Bayerischen Staats- bibliothek München W. Krag im Zbl, f. Bw. 42, 1 S. 1—8 mit. Sie enthalten u. a. Melanchthoniana, auch einen Bucheintrag Bugenhagens.
Über die älteste Gestalt der Calenbergischen Landes- kirche handelt Ad. Brenn ek ein ZGes. f. niedersüchs, KG. 28, S, 1—8,
Österreich. Unter tunlichst vollständiger Verwertung der betreffenden Archive und Bibliotheken gibt G. Loesche im Jahrb. d. Ges. f. d. Gesch. des Prot. im ehemal. und im neuen Österreich Jahrg. 45/46, S. 47—266 reichhaltigste Beiträge zur Geschichte des Protestantismus in Ober-Üsterreich in den 250 Jahren von den Anfängen bis zum Toleranzpatent. Er gibt zunächst S. 47— 73 einen . kurzen, durch Anmerkungen erläuterten allgemeinen Überblick (die Habs- burger, der evangelische Adel, die Städte, die Prüdikanten usw.); daran schließen sich chronologisch geordnete Regesten zur allgem. Gesch. des Prot. im Landl (S. 74—128, 1528—1781), dann Regesten zur Gesch. des Prot. in den einzelnen, alphabetisch geordneten Orten (S. 128—228); den Schluß bilden Verzeichnis der Abkürzungen, Orts- und Personenweiser. Die mühevolle Arbeit schließt sich den vorauf- gegangenen grundlegenden Schriften des unermüdlichen Verf. zur Gesch. des österr. Protestantismus würdig an.
Am gleichen Orte S. 1—46 schildert auf archivalischer Grund- . lage C. F. Bauer die Schicksale der evangelischen Landschafts- 8chule in Linz von ihrer Begründung (1550) bis zu ihrer durch roheste Gewalt 1629 herbeigeführten Aufhebung. Ihr Aufkommen zeigt, wie der dem Humanismus und der Reformation verdankte Auf- schwung des Schulwesens auch Österreich zugute kam.
K. Schellhaß, Zum richtigen Verständnis der Brucker Religionspacifikation vom 9. Febr. 1578, sucht gegen Loserth (in: MJÖG. XVIII, 1897) nachzuweisen, daß die bei Hurter Ferd. II, S. 619—622 Nr, 31 abgedruckte bezügliche Aufzeichnung keine Fälschung des Hofvizekanzlers Wolfgang Schranz gewesen sei. Auch‘ wenn das zutrifft, ist damit doch Loserths Behauptung, daß Schranz.
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bestechlich und als Denunziant berüchtigt gewesen sei, nicht wider- legt. Quellen u. Forsch. aus ital, A. u. B. XVII, 2 S. 266—277. Schweiz, Aus den ,Zwingliana, Mitteil. z. G. Zwinglis- und der Ref.“, herausg. vom Zwingliverein in Zürich, vermerken wir: 1922, Nr. 1 (Band 4, Nr, 3), S. 65—81 eine eingehende gelehrte Unter- suchung von F, Jecklin über den „Sinn des Cymbalum mundi von Bonaventura des Périers^, einer 1538 in Paris erschienenen Spott- schrift gegen Calvin. Das Cymbalum mundi (= ,Weltreklameglocke") bleibt denkwürdig, weil es in den Jahren der großen Scheidung der Geister „die Stimme eines der ganz seltenen Humanisten darstellt, die offen zur Skepsis übergingen*. — Ebendort S. 82—84 weist der Nämliche nach, daß die sog. Ilanzer Artikel von 1521 („Artikel gemeyner dry pünthen“), die nach Wernle eine Kopie des zweiten. Artikelbriefes von 1526 sein sollten, vielmehr teilweise eine Ueber- arbeitung der ursprünglichen Fassung darstellen. Im Anschluß daran. prüft J. R. Truog S. 84—90 die Entstehungszeit der 1523 vom Obern- und Zehngerichtenbunde nebst Chur usw. aufgestellten wirk- lich ersten Artikel, im Zusammenhang womit sich für Comanders Amtsantritt in Chur und damit gleichsam als Geburtsstunde der Reformation in Graubünden der 24. Februar 1523 ergibt. S. 90—92 weist A. Bonomo auf Spuren von zwei Selbstlebens-. beschreibungen Bullingers in einer Hs. der Züricher Zentralbibl. hin. Das Heft bringt endlich eine Kopie eines Miniaturbildes O ek o- lampads, über das Joh, Fickers bezügl. Aufsatz in Zw. 1921, Nr. 1, S. 4ff. zu vergleichen ist. 1922, Nr. 9 (Bd. 4, N. 4) S. 97—111, fortgesetzt und beendet 1923, Nr. 1, S. 120—144 und 1928, Nr. 2, S. 161—173, behandelt J. Wipf Michael Eggenstorffer, den letzten (32) Abt des (Benediktiner-)Klosters Aller Heiligen und die Anfänge der Refor- mation in Schaffhausen. E, seit 1501 Abt, früh der Reformation geneigt, hat letzterer Tür und Tor geöffnet, endlich selbst die Abts- würde niedergelegt, geheiratet und als einfacher Bürger in Schaff- hausen gelebt (+ 1552). Die Dokumente, auf die sich die Darstellung stützt, sind mitgeteilt, — In Zwingliana 1922, Nr, 2, S. 125—128. gibt ferner R, Hoppeler nach Materialien des Züricher Staats- archivs Lebensnachrichten über den Embracher Stiftsherrn Niko- laus Engelhard, der sich Anfangs der 20er Jahre der Züricher Reformbewegung anschloß. — Ebenda 1923 Nr. 1 (Bd. IV, Nr. 5) S. 145—152 gibt A. Corrodi-Sulzer ebenfalls nach Züricher- Archivalien Beiträge zur Biographie des Berner Pfarrers Joh. Haller aus d.J. 1547—1550. — Auf ein neu zum Vorschein ge- kommenes Kollegienheft eines Zuhörers Biblianders, das eine wertvolle Ergänzung zu den vorhandenen bildet, macht Else Gut- knecht S. 154 aufmerksam. In den Miscellen S. 155f. äußert sich. W. K(öhler) zu der (von ihm geteilten) Behauptung G. Stuhl- fauths, daB Joh. Fabri von Leutkirch Dominikaner gewesen sei..
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} — 1923, Nr. 2 (Bd. IV., Nr. 6) ist G. Meyer von Knonauzun : | 80, Geburtstag (5. VIII. 1923) gewidmet und mit einem Bilde des: | Gefeierten ausgestattet. — S. 174—188 untersucht A. Corrodi- , Sulzer Zwinglis Vermögensverhältnisse und zeigt, _ gestützt auf die Vogtrechnungen für Zwinglis Kinder 1539—1549, be- | sonders die erste, entgegen der landläufigen Annahme, daß Zwingli- - Frau und Kindern ein immerhin ausehnliches Erbe, dessen Größe nach | heutigem Geldwert allerdings genau nicht zu bestimmen ist, hinterließ. Persönlich nicht reich, hat er das ansehnliche Vermögen seiner Frau ` | und Kinder als guter Hausvater verwaltet, Ein genaues Inventar des Zwingli'sehen Nachlasses (einschließlich des Hausrats) ist S. 180: | | l bis 182 mitgeteilt. Daß Bullinger die Witwe und die Kinder in sein- | Tu Ld Haus aufgenommen habe, scheint spätere, unbegründete Tradition. —: dE Als Beitr. zur Reformationsgesch. von Valendas bei llanz druckt- | . E. Kamenisch S. 188—192 einen ,Spendebrief" von 1536 ab. — | Heft 1924, Nr. 1 (Bd. IV., Nr. 7) ziert die Abbildung eines dem. * p nd v/ Zwinglimuseum geschenkten zeitgenössischen Ölbildes Melanch. Er thons nach dem Dürerschen Stich von 1526 (vgl. S. 193f.) — | S. 191—211 bringt D. Fretz urkundliche Mitteilungen zur Lebens-. . RE: geschichte des Chronisten Bernhard Wyss (1463—1581) — ` JR M E S. 211—218 behandelt E. Bernoulli Joh. Fries d. Ä., Petrus : Dasypodius (Hasenfratz) und Aeg. Tschudi als musikfreundliche ; Humanisten. = $ Die Anfänge der Reformation in Freiburg i. U. (1523—1525) . E schildert A. Büchi, Peter Grod und der Ausbruch der Reform- bewegung in Fr., in Z Schw.Gesch. 18 (1924) S. 305—323. | "^. K. GauB, Therwil und Ettingen in der Zeit der Reformation Ä und Gegenreformation (Basler Jahrb. 1925, S. 107—162) schildert: -— das gegenreformatorische Wirken des Bischofs J. Chr. Blarer. É Niederlande. Über den Leidener Buchdrucker Jan Seversz, der, als erstes Opfer der von Karl V, eingerichteten Zensur, 1524 wegen einer von ihm gedruckten reformatorischen Schrift („Summa der godliker scriftenen oft een duytsche Theologie“) zur Ver- mögenskonfiskation und Verbannung verurteilt wurde, handelt M. E Kronenberg, Lotgevallen van Jan Seversz, Boekdrukker te Leiden : (ca. 1502—1524) en te Antwerpen (ca 1527—1530). SA. aus Het Boek,.Jan. 1924 (S'Gravenh. Nijhoff 1924). Polen. In D. wiss. Zeitschr, f. Polen, Heft 4, S, 1—26 stellt Th. Wotschke die Beziehungen Hzg: Albrechts von Preußen zu . dem führenden poln. Magnaten Graf Andreas Gorka dar. |
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Die Ablasspredigten des Leipziger Domi- nikaners Hermann Rab (1504—1521). II.
Von D. Georg Buchwald.
Daß den Zuhörern die Ueberzeugung von der Not- wendigkeit der Bufe beigebraeht wird, ist so wichtig, dab der Prediger sieh auch in den folgenden Predigten ausführ- lich damit beschäftigt. Zunächst veranlaßt ihn das Evan- gelium des nächsten Tages von den bösen Weingärtnern (Matth. 21, 33 ff) zu folgender Anwendung des Gleichnisses: „Meine Liebsten, ihr und eure Seele seid der Weinberg, den der Herr mit eigner Hand gepflanzt hat, den kein Engel, kein Mensch, keine Kreatur zu pflanzen vermag. Und in diesem Weinberg pflanzt er Weinstöcke, nämlich den Verstand, das Gedächtnis und den Willen, die vernünftige und mensch- liche Früchte bringen sollen. Diesen Weinberg umgab er mit einem Zaun d. h. mit der Macht der Engel. Auch grub er darin die Kelter des göttlichen Wortes oder des Gesetzes
' Gottes, das die Seele nötigt Frucht zu bringen und die gute
oleu
Harrassowitz
FER 23 126
Frucht des Werkes auszupressen, und er baute den Turm unsres Glaubens, von dem wir in das ganze Land des oberen Lebens und in die Strafe der Hölle schauen können. Seht, meine Liebsten, diesen Weinberg tat er uns gleichsam als den Weingärtnern aus, damit wir Frucht bringen zu seiner Zeit d. h. zur Zeit der Gnade. Darum ist’s an uns, zu arbeiten und diesen Weinberg zu bebauen. Denn wenn der Weinberg nicht gebührend bebaut und die Weinstöcke nicht ordentlich beschnitten und die Steine und das Gesträuch nicht beseitigt werden, gibt's keinen guten Wein, sondern wilde Reben. Jetzt müssen wir naturgemäß im Weinberg arbeiten, die Weinstöcke beschneiden, die Erde umgraben und alles Ueberflüssige beseitigen. Und gerade jetzt ist die Zeit da, da ihr arbeiten und die Steine herauswerfen sollt, die während des ganzen Jahres in euren Weinberg ge- kommen sind. Sonst, wenn ihr's nicht tut, werdet ihr das ganze Jahr hindurch keine Frucht guten Weins bringen können. Darum ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 3/4, 11
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nicht vergeblich empfangt. Denn Christus, euer Heiland, ist da, euch zu helfen und gänzlich euern Weinberg zu erneuern. ‘Yr must aber den Garten vor erst reynigen, die steyn und die poßen reben zuhauffen pynden' durch wahre Reue und sie dann völlig hinauswerfen durch wahre, mündliche Beichte, wenn ihr der Vergebung eurer Sünden und der Gnade des aller- heiligsten Jubelablasses teilhaftig werden wollt“. Und nun erweist der Prediger die Notwendigkeit der Beichte zunächst aus dem Gesetze der Natur.
Das natürliche Gesetz erweist die Notwendigkeit der Beichte dreifach: in Hinsicht auf die Leitung, auf die Er- zeugung und die Heilung!) Zu 1: „Das natürliche Gesetz leitet den Menschen zu allem, was ihm zum Heil der Seele nötig ist, und lehrt ihn, daß von Natur Gott über alle Dinge zu lieben ist. Gegen dieses Licht der Natur handelt der Sünder, indem er Gott die Ehre versagt und die Liebe, die Gott allein gebührt, auf die Natur übertrügt. Es entspricht weiter dem Gesetze der Natur, daß jeder, soviel er vermag, für die Erhaltung seines Lebens und Seins arbeitet und alle Hindernisse überwindet. Darum sagt man gemeiniglich: ‘der krank, der werd gern gesund’. Gegen dieses Gesetz handeln die Sünder; denn sie tóten ihre Seele; ja, so oft der Mensch eine Todsünde begeht, hängt er sich an dem Galgen der Hölle auf.“ — Daraus ergibt sich, „daß es auch dem Gesetze der Natur entspricht, daß der Mensch alles hat, was ihn an der Liebe verhindert, und alles sucht, was seine Seele lebendig macht“. Das geschieht aber in der Beichte. Zu 2: Zur Erzeugung gehören zwei oder drei. Fehlt eins, : so tritt die Erzeugung nicht ein. „Zur Gerechtmachung ge- hört Gott, das Verdienst Christi, der Priester und der Sünder.“ Das kann aber nicht geschehen ohne die Beichte. Zu 3: Wenn der Kranke gesund werden will, muf er seine Wunde aufdeeken. Mithin muß auch der Mensch alle seine inneren Wunden dem Beichtvater offenbaren. |
Die folgende Predigt erweist die Notwendigkeit der Beiehte aus dem góttlichen und evangelischen Ge- setz, indem sie vom Tagesevangelium (Luk. 15, 11ff.) aus- geht: Alle menschliche Beredsamkeit. vermag nicht die Größe der Barmherzigkeit Gottes genügend zu preisen. Sie offen- bart sich im Gleichnis vom verlorenen Sohn. „Darum er- mahne ich euch, meine Liebsten, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget; denn seht, mit ausgebreiteten Armen ist jetzt der Herr am Kreuze bereit zur Barmherzig- keit und hat alle Quellen seiner Barmherzigkeit aufgetan und
1) ratione directionis, productionis et sanationis.
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will euch wieder in den früheren Zustand der Neuheit ver- setzen und euch das erste Kleid reichen. Aber dazu ist nötig, daß ihr zuerst umkehrt, indem ihr euch selbst demütig erkennt, über eure Sünden weint und in der Beichte nach- sprecht: Vater ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir!“ Auch das göttliche und evangelische Gesetz fordert solches. Zum Beweise hierfür zieht der Prediger Luk. 17, 14 an, da Christus zu den Aussätzigen spricht: „Gehet hin und zeiget euch den Priestern!“ Christus versprach Petrus die Schlüssel des Himmelreichs und fügte hinzu: „Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein; und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.“ (Matth. 16, 19; 18, 18) und nach seiner Auferstehung sprach er zu den Jüngern (Joh. 20, 23): „Welchen ihr die Sünde erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Da- mit hat Christus das Sakrament der Buße und Beichte ein- gesetzt und die Beichtvüter bestellt. Die Apostel und ihre Nachfolger sind zu Richtern über die Seelen und die Gewissen eingesetzt. Dann aber müssen sie auch alles klar und deutlich erkennen. Mithin müssen die Sünder alle ibre Sünden dem Priester offenbaren. |
Es entsteht weiter die Frage: „Wann oder wie oft ist das nötig?“ Mit ihrer Beantwortung beschäftigt sich die folgende, am Sonntag Okuli gehaltene Predigt. Auch sie geht vom Tagesevangelium (Luk. 11, 14 ff.) aus. „Gestern habt ihr von mir gehört, wie groß die Barmherzigkeit Gottes sei, daß, wenn alles sich in Zungen verwandelte, sie diese doch nicht zum Ausdruck bringen könnten. Aus dem heutigen Evangelium aber können wir schließen, wie groß die Bosheit der Teufel ist. Denn wie alles Streben Gottes und Christi dahin geht, dass alle Menschen selig werden, so das ganze Streben des Teufels, der umbherschleicht wie ein brüllender Löwe und suchet, wen er verschlinge (1. Petri 5, 8) dahin, daß er den Menschen, sobald er zum Gebrauche der Yer- nunft kommt, in seine Schlingen einfángt. Unter tausend mal tausend. wird kaum einer gefunden, der jenen Schlingen zu entgehen vermag. So liest man im Leben der Altväter: Der hl. Antonius sah in einer Vision auf der ganzen Welt Stricke gelegt. Als er den Herrn fragte: Wer, meinst du, kann diesen Strieken entgehen? antwortete dieser: die Demut!). — Aber, wenn wir auch tausendmal fallen, immer
1} Vitae patrum V. 15. Migne PL. LXXIII, 953. Leg. aur. 105. Diese Geschichte wird außerordentlich oft zitiert. Auch von Luther W. A, 47, 599,
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ist der so barmherzige Gott bereit uns wieder anzunehmen und immer, so lange wir leben, ist der Quell der Barm- herzigkeit offen. Aber wir können nur auf dem Wege der Buße zu ihm gelangen, ünd dieser Weg ist nie in diesem sterblichen Leben verschlossen. — Manche Ketzer wollen sie freilich beschränken und sagen, die Buße dürfe nicht wieder- holt werden. Das ist falsch und keizerisch. Aber freilich der Zugang zur Barmherzigkeit steht immer nur offen durch Buße, Reue und Beichte, wie ich das aus natürlichem und ‚göttlichem Gesetz nachgewiesen habe. Nun könnte aber jemand zweifeln und fragen: „Wie oft oder wann ist dies nötig?“ Der Prediger antwortet: Es gibt eine zweifache Beichte, eine innere und eine mündliche. Die innere geschieht vor Gott und ist wie die Reue stets nötig. Die mündliche geschieht vor dem Menschen. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus der Sünde des Menschen oder aus der Satzung der Kirche. Was das Erstere anbetrifft, ist der Mensch ge- bunden zu beichten, so oft er eine Todsünde begangen hat — diese Beichte bis zur Sterbestunde aufzuschieben, ist gefährlich —, so oft er das hl. Abendmahl genießen will, falls er in einer Todsünde ist, und so oft ihn sein Ge- wissen drängt, besonders wenn ihm ein Beichtvater zur Ver- fügung steht und die Zeit gelegen ist. Was das Letztere anbetrifft, so hat die Kirche ihre Satzungen aufgestellt um der Not derer willen, die der Beichte bedürfen, wegen der würdigen Vorbereitung zum Abendmahl in der Osterzeit und um der Unterscheidung willen, damit die Hirten die Herde unterscheiden können, auf daß nicht Wölfe sich unter die Schafe mischen und das Osterlamm verzehren.
Von dem Beichtgebot gibt es keinen Dispens. Das setzt die nächste Predigt auseinander. Aus dem Evan- gelium Luk. 4, 23 ff. ist zu ersehen, daß dort Christus wegen des Mangels der notwendigen Voraussetzungen ) bei seiner Umgebnng kein Wunder tun konnte und wollte. Das Wunder der Gerechtmaehung kann nur bei denen geschehen, die alles entfernen, was die Voraussetzungen dieses Wunders im Menschen verhindert. Das geschieht aber in der Beichte. „Auch der höchste Priester könnte euch keinen Dispens er- teilen, daß ihr ohne sakramentale Beichte Vergebung der Sünden erlangte.“ Ja, „der höchste Priester samt allen Kardinälen und dem Konzil könnte euch nicht dis- pensieren oder solche Briefe erteilen, daß ihr nicht zu beichten brauchtet. Denn die Beichte ruht auf göttlichem Gesetz. Der höchste Priester aber hat
1) propter indispositionem.
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dieses nicht gegeben, sondern ist dessen Diener. Wie er nicht vom Sakrament der Taufe oder den Artikeln des Glaubens dispensieren kann, so auch nicht von der Beichte.“ „Fragt man aber, wer denn den vielen Hurern, Ehebrechern, Neidischen Dispens erteile, die entweder gar nicht oder nicht recht beichten, so antworte ich kurz: jener Teufel schickt seine Boten über die ganze Erde und erteilt solchen Dispens. Aber er verkauft seine Briefe und seinen Dispens sehr teuer, nicht für einen halben - oder ganzen Gulden, sondern für die wertvolle Seele, die Christus mit seinem teuern Blut erlöst hat, und kümmert sich sonst um nichts, wie wir lesen 1. Mos. 14, 21, wo der König von Sodom spricht: Gib mir die Seelen, die Güter behalte dir!“
Der Prediger kommt nun auf das Zweite zu sprechen, was er in der 12. Predigt angekündigt hat, auf die Voll- ständigkeit!) der Beichte, d. h. auf die ihr nötigen Eigen- schaften. Vor dem Tagesevangelium (Matth. 18, 15 ff.) sagt Christus (V. 11), weshalb er in die Welt gekommen sei: uns zu suchen und unsere Krankheit und Schwäche hinweg- zunehmen. Aber damit sich nicht begnügend hat er auch jedem Menschen aufgetragen, seinen Bruder durch brüder- liche Zurechtweisung zu suchen. Das soll aber nicht will- kürlieh geschehen und zu einer Ausforschung werden. In- sonderheit hat Christus dem hl. Petrus und seinen Nachfolgern und den Priestern aufgetragen, die Brüder zu suchen, nicht nur sieben, sondern siebenzig mal sieben mal. „Siehe, wie sehr sucht uns Christus, ‘ader?) ef ist von noten, wir musßen uns lasßen fynden mit eyner rechten waren rew und wol- geschickten peicht und pußfertigen leben, als dan wen ewer zweyn’ d. h. der Priester und du miteinander eins werdet und ihr seid versammelt, so ist Christus in eurer Mitte und was ihr bitten werdet, wird euch geschehen. Daß aber die Beichte von rechter Eigenschaft ist, dazu gehört zuerst, daß sie durch die Liebe geregelt ist, d. h. daß du beichtest, nicht nur, weil die Kirche es gebietet oder aus Furcht vor Strafe oder um nicht verachtet zu werden, sondern daß du es tust aus reiner und aufrichtiger Liebe und mit großer Reue des Herzens und Verschmähung aller Stinden und daß du alles vollständig mit allen beschwerenden und erleichternden Umstünden sagst. Sonst nützt dir die Beichte nichts. Denn der Priester sitzt da an Christi Statt als Arzt, und weil Christus nur den ganzen Menschen
1) integritas. ?) — aber.
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haben will, und wenn du also heilsame Medizin zu empfangen begehrst, mußt du deinem Beichtvater deutlich alle deine Krankheit zeigen. Sonst nimmt dich Gott weder an noch heilt er dich. Ja, wenn du mit Heuchelei oder Verdeckung herzugehst, begehst du eine neue Todsünde und wirst keine Gnade finden, auch wenn du tausendmal an einem Tage beichtetest. Weil aber der Teufel weiß, daß ohne vollständige Beichte die Sünden nicht vergeben werden, bemüht er sich, die Menschen mit höllischen Keiten zu fesseln, zumal in dieser Zeit, und sie an reiner Beichte zu verhindern.“ Da- zu erzählt der Prediger eine Geschichte aus dem Leben der Altvüter: Der Teufel erschien einst unter den Büßenden. Als man ihn fragte, was er da täte, sagte er, er stelle wieder her, was er genommen habe, nämlich die Scham. So bindet er gemeiniglich die Leute mit der Scham, daß sie ihre Sünden verdecken.
Nochmals betont der Prediger am folgenden Tage die Notwendigkeit der Vollständigkeit der Beichte. Das Evan- gelium Matth. 15, 1ff. veranlaßt ihn zunächst von der phari- säischen Urteilssucht zu reden. Wenn das Urteil ein Akt der Gerechtigkeit sein soll, ist nötig, daß es aus Lust an der Gerechtigkeit stamme, daß es auf Grund einer Vollmacht: gesprochen und daß es nicht eher gefällt werde, bevor nicht alles erforscht ist. — „Wenn wir bei uns selbst Einkehr hielten, würden wir sehen, wieviel Böses dort wohnt, ‘wir wurden wol sehen, was unfer herez vor eyn mortgruben wer, wie mancher ebrecher, unkeusch, zwifach morder da- rynne lege, cleffer, wescher, wucherer, betriger, frawen- schender, sírasDen und gasßenrawber usw. Also in Wahr- heit, wenn wir nicht mit den in unseren Herzen verborgenen Räubern gefangen, gefesselt und auf ewig in das höllische Gefängnis geworfen werden wollen, müssen wir sie durch reine Reue und Beichte austreiben, so daß nicht ein einziger zurüekbleibt.^ Zweitens aber muß die Beichte „tränen reich und bitter und mit dem Vorsatz verbunden sein, in Zukunft auf immer von allen Sünden abzustehen, nicht nur in jener heiligen Zeit“. Es gilt Gott nicht nur mit den Lippen zu ehren, wobei das Herz fern von Gott ist (Matfh.. 15, 8). So tun die, „die nur, um mit den andern kommunizieren zu können und nicht als Ketzer erfunden zu werden, beichten und versprechen, allen Stolz, eitles Wesen und Neid abzu- legen, und im Grunde ihres Herzens nichts davon fühlen“.
Aber weiter gehört zur rechten Beichte der Glaube. Davon redet Rab in der nächsten Predigt, anknüpfend an das Evangelium Luk. 4, 38ff. Was dort sichtbar geschehen ist, muß bei unserer Heilung unsichtbar geschehen. Die
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Kranken sind unsere Seelen. Diese können ohne den Ein- flu der Gnade nicht geheilt werden. Christus allein ist der Arzt, den Gott der Vater in die Welt geschickt hat, zu heilen und zu reiten. Dieser Arzt besitzt die Heilmittel gegen alle Krankheiten der Seele. Darum kennt er bei der Heilung keinen Unterschied. Mit gleicher Leichtigkeit heilte er Aus- sätzige, machte er Blinde sehend, Stumme redend und weckte Tote auf. Mit dem allen aber ist die innere Heilung der Seelen angedeutet. Diese aber erlangt nur, wer zu Christus kommt. Das geschieht durch den Glauben: ‘dan wan eyner nicht eyn glauben ader getrawen zu eym artz hat, Do wirt er schwerlich gesundt’ Wer also gerecht gemacht, geheilt und erneuert werden will, muß zu allererst glauben; denn „wer zu Gott kommen will, der muß glauben“ und „ohne Glauben ists unmöglich Gott zu gefallen“ (Hebr. 11, 6). — „Der erste Grund eurer Heilung ist, daß ihr glaubt, daß ihr geheilt werden könnt im Blute unseres Heilandes Christi, und dann müßt ihr in Betreff eurer Heiligung und Reinigung ganz gewiß sein.“ — „Wenn ihr Vergebung eurer Sünden haben wollt, ist es also nötig, daß ihr den ganz festen Glauben an Gott habt, daß er in diesem Sakrament eure Herzen reinigt, und wenn ihr daran zweifelt, seid ihr noch nicht in der ersten Bereitung zum Empfang der Gnade, auch wenn ihr Reue hättet!) und hättet ge- beichtet, zweifeltet aber, daß ihr Vergebung der Sünde und die Gnade des Jubelablasses empfangen könnt, sei es für euch oder für die Seelen.“ Hierauf geht der Prediger zu der dritten Eigenschaft über, die die Beichte haben muß. Sie muß „diskret und nackt“ sein: „Du mußt dich wohl vorbereiten, alles unterschiedlich zu ordnen und nackt und klar mit allen Umständen zu sagen, nämlich: quis, quid, ubi quibus auxiliis, cur, quomodo, quando?) und quotiens. Weitere Ausführungen hierüber fehlen.
In der nächsten Predigt wird die vierte Eigenschaft der Beichte behandelt. Sie muß demütig und anklagend sein. Das Evangelium Joh. 4, 5 ff. zeigt Christus an der Quelle sitzend, bereit, auf unsere Ditte lebendiges Wasser zu spenden, das die Kraft besitzt, jeden Durst zu löschen. ‚Das ist der ParadiesesfluD, von dem ein Tropfen größer ist als das Meer. Einen Tropfen aus diesem Fluß batte Paulus empfangen — und er wandelte sich aus einem Wolf in ein
1) si essetis attriti.
3) Diese Zusammenfassung der philosophischen Kategorien stammt also nicht erst von dem 1791 gestorbenen Philosophen Joachim Georg Daries.
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Lamm —, Matthäus — und er wurde aus einem Räuber zu einem Verächter des Reichtums —, Maria Magdalena — und er tilgte in ihr alle Schwelgerei, so daß aus einem schwarzen Raben eine weiße Taube wurde. Weder zeitliche oder fleisch- liche Güter noch Ehren können den Durst der Seele löschen. Mit dem Golde kommt die Furcht es zu verlieren und die Sorge, es zu bewachen. Die Fleischeslust gleicht der Hydra: wird ihr ein Haupt abgeschlagen, so wachsen drei andere (Ovid, Metam. 9, 69 ff). Ehren sind Schatten und Eitelkeiten. „Darum ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget. Denn der Herr ist bereit, euch das Wasser der Gnade zu spenden, das eure Seelen satt machen kann.“ Christus sitzt in eurer Mitte am Brunnen der Barm- herzigkeit. „Aber ihr müßt das Gefäß offen und in Bereit- schaft haben; denn Gott giebt diesen kostbaren Schatz nur in ein gereinigtes Herz; das aber kann nur geschehen durch reine Reue und wahre Beichte, die, wie ihr gehört habt, vollständig, von gutem Vorsatz begleitet, diskret und nackt sein muß. Aber das genügt noch nicht. Es muß als vierte Eigenschaft hinzukommen, daß sie demütig und anklagend ist. Sie muß mit demütigem Herzen geschehen und diese Demut mußt du bekunden in Wort, Kleidung, Auftreten und mußt dich fürchten vor Heuchelei. — Du mußt in Demut dich beschuldigen und Barmherzigkeit erwarten, aber dich in deinen Sünden nicht entschuldigen mit deiner Natur oder mit deinem Umgang. So tat Adam, der seine Sünde auf das Weib und auf Gott schob, das Weib aber auf die Schlange. So tun heute noch viele, die sich mehr bemühen sich zu entschuldigen als sich zu beschuldigen und die Schuld auf Gott schieben, daß er sie so schwach geschaffen habe, oder auf den Teufel und seine Versuchung, oder auf den Nächsten und seine Verführung. Das ist alles falsch. Denn bei allen deinen Handlungen hast du einen freien Willen, ja gegen dein Gewissen bist du nicht verpflichtet zu gehorchen dem Gatten oder der Gattin oder deinen Oberen oder deiner Gesellschaft, in allem mußt du Gott mehr gehorchen als den Menschen. Darum darfst du, wenn du’s vermeiden kannst, in der Beichte keine Person nennen; denn nicht anderer, sondern deine Sünden sollst du beichten!),“
Mit der folgenden Predigt schließt Rab ab, was er über die Beichte zu sagen hat. Er geht aus von dem Evangelium Joh. 8, 1ff. Die Pharisäer glauben, daß der Herr ihnen nicht ausweichen kann. Spricht er das Weib schuldig, so
1) Vgl. Geffcken, Der Bilderkatechismus des 15. Jahrh. usw. Leipz. 1855, Beil. S. 10.
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ist er unbarmherzig. Spricht er sie frei, so handelt er gegen das Gesetz Mosis. Schweigt er, so ist er feig. Aber sie vermögen doch nichts gegen ibn. Er lehrt das Gesetz halten, er erweist sich barmherzig. So gehen sie beschämt einer naeh dem andern hinweg. So standen die Pharisüer am Brunnen der Gnade und erkannten ihre Sünden, erlangten aber doeh keine Barmherzigkeit, weil ihr Herz von Stolz, Neid, Heuchelei und Zorn erfüllt und verhärtet war. Aber der Ehebrecherin gewährte er volle Verzeihung und Ver- gebung aller ihrer Sünden und legte ihr keine Buße auf, sondern entließ sie erbarmungsvoll, weil sie vor allem Volk in tiefster Reue Buße getan hatte. „Darum, meine Liebsten, ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht ver- geblich empfanget; denn dazu ist der Herr in den Tempel gekommen. Mögen auch, wie ich nicht zweifle, einige Pharisäer sein, die Gottes Werk und Barmherzigkeit schmähen, so wird doch Gott der Herr nicht aufhören, den Quell der Barmherzigkeit denen offen zu halten, die darnach verlangen. Aber nun will ich beschließen, was ich von der Beichte zu sagen hatte. Wenn ihr so, wie ich gesagt habe, mit wahrer Herzensreue, mit demütiger, vollständiger, anklagender Beichte zum Gerichte der Barmherzigkeit Gottes unter dem Kreuze kommt, dann verspreche ich von Gott dem Allmächtigen aus, daß alle eure Sünden, mögen sie auch noch so schwer und groß sein, vor diesem Richterstuhl getilgt werden, daß Gott ihrer jetzt und in Ewigkeit nicht mehr gedenken wird. Ja sie müssen mit zum Guten wirken, weil denen, die Gott lieben, alles mitwirkt, insoweit ihr jene durch die Kraft und das Sakrament der Buße und das Verdienst Christi getilgt habt, so daß kein Teufel sie in Ewigkeit mehr wissen wird.“ Zuletzt erzählt der Prediger die Geschichte von einer Römerin, die von ihrem eigenen Sohne empfangen hatte und aus Scham es nicht beichtete!).
Die Predigt von Sonntag Lätare bildet den Uebergang zu der Darstellung des dritten Stückes des Bußsakraments, der Genugtuung. Die Kirche will in der Fastenzeit zu Werken der Buße veranlassen, um die Gläubigen auf den Weg des Heils zurückzuführen und in ihnen die alte Ge- sundheit wieder herzustellen. Bisher ist von der Reue und Beichte die Rede gewesen. Nun ist noch von der Genug- tuung zu sprechen, „Alles, was heute in der Kirche ge-
1) Ex rosario de utilitate confessionis. Gemeint ist wohl „Der beschlossen gart des rosenkrantz Marie“. Vgl. Hasak, Der christliche Glaube des deutschen Volkes beim Schlusse des Mittelalters. Regens- burg 1868. S. 298 ff.
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handelt wird, stell& Freude dar. So dureh das ganze Amt der Messe. Im Introitus heißt es (Jes. 66, 10): ‘Freue dich, Jerusalem! und im Evangelium ist die Rede von der freudevollen Erquickung der Menschen. Heute bringt auch der hóchste Priester eine gewisse Freude in besonderer Weise zum Ausdruck mit der goldenen Rose, die er in der Prozession trägt, in der Moschus und Weihrauch sich birgt!), und erteilt den Segen über alle, die durch das rote Meer aus Egypten gezogen sind, d.h. die Reue empfinden und gebeichtet haben und auf dem Wege zur Genugtuung sind, damit sie mit Freuden den Weg der Wanderung ins hl. Land vollenden. "Wir sollen uns also heute freuen um dreierlei Dinge willen: erstens wegen der Tilgung aller Sünden, die getilgt sind durch das Verdienst des Leidens Jesu Christi und abgewaschen durch sein Biut, weil Gott ihrer jetzt und in Ewigkeit nicht mehr gedenken will, wie Ezechiel (18, 22) spricht: ‘Es soll aller seiner Uebertretung, so er begangen hat, nicht gedacht werden’. Siehe, sie sind getilgt aus dem Gedächtnis und dem Buche Gottes jetzt und ewiglich, ja Gott versetzt uns wieder in den früheren Zustand und die Paradiesespforte ist uns wieder aufgetan. Sie sind aber auch getilgt aus den Büchern der Engel, die alle solche Taten sorgfältig aufgeschrieben haben und zu diesem Zwecke uns beigegeben sind. Heute aber sind aller Bücher ver- bessert, durch die wahre Buße sind alle Sünden .getilgt, darum ist große Freude auch im Himmel; denn wenn dort Freude ist über Einen Sünder, der Buße tut (Luk. 15, 7), so auch über die zahllosen Tausende von Beichtenden. Sie sind aber auch getilgt aus dem Buche unseres Feindes, der alles, auch das Kleinste, aufs Sorgfältigste aufzeichnet?), Nun sind sie aber getilgt durch die wahre Buße, so daß er sich auf keine mehr besinnen kann. Dazu wird die Geschichte von einer Vision Augustins erzählt). Zweitens dürfen wir uns freuen wegen der Gewißheit und Erleichterung, die unser Gewissen erfahren hat. — Drittens sollen sich heute ganz besonders alle freuen, die sich dieses allerheiligsten Jubel- ablasses teilhaftig gemacht haben, weil sie nicht nur von der Schuld, sondern auch von der Strafe befreit worden sind. Im Eingange der folgenden Predigt geht Rab vom Tages- evangelium (Joh. 2, 13 ff), der Tempelreinigung aus. Wenn Christus jenen Tempel in so hoher Ehre gehalten haben wollte, welche Ehre fordert er für den Tempel, in dem er nicht nur ein- oder zweimal, sondern immer kommt, wenn 1) Vgl. RE? 17, 148 f. 2) Vgl. Weim. Ausg. 32, 174, 12. *) Entnommen dem rosarium de utilitate confessionis.
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das heilsame Sakrament konsekriert wird! Ja, da kommt er mit seinem ganzen himmlischen Hofe. — „Darum ermahne ich euch, meine Liebsten, sehet zu, daß ihr vorsichtig hier- her kommt, damit ihr nicht, wo ihr Verzeihung und Ver- gebung der Sünden empfangen sollt, Sünden begeht, um deren willen ihr. wert wäret, daraus vertrieben zu werden.“ — Nun ist noch nötig vom Wege der Genugtuung zu reden, die zur Reue und Beichte hinzutreten muß. Zum Beweise dafür beruft sich der Prediger erstens auf Augustin): „Es genügt nicht, nur die Sitten zu verbessern und von den alten Sünden abzutreten, wenn nicht auch betreffs des Ge- schehenen Gott Genugtuung geleistet wird durch den Schmerz der Buße, durch das Seufzen der Demut, durch das Opfer eines reuigen Herzens unter Mitwirkung von Almosen und Fasten“, — zweitens auf die Ordnung der göttlichen Ge- rechtigkeit: „Denn wenn Gott die Sünden nicht strafte, würde folgen, daß Gott ungerecht wäre“. Das zu sagen ist aber ein Irrtum und wäre gegen die hl. Schrift. Das Maß der Strafen richtet sich nach dem Maße der Schulden, ja, die göttliche Gerechtigkeit fordert, daß sie die Gerechten belohnt und die Ungerechten bestraft. Deshalb ist Genugtuung nötig.
‚Die nächste Predigt geht von der Frage aus, wie es komme, daß man so sehr um das Wohl des Leibes und so wenig um das Wohl der Seele besorgt ist. Es kommt da- her, daß der Mensch den Wert der Seele nicht kennt. Das Tagesevangelium (Joh. 7, 23 ff.) zeigt, daß Jesus niemand am Leibe heilte, bevor er nicht die Seele gesund gemacht hatte. Damit wollte er uns lehren, zuerst die Gesundheit der Seele zu suchen. Den Wert der Seele erkennt man an dreierlei: an ihrer Bewachung, an ihrer Erlösung, an ihrer Verherrlichung. Zu 1: Je edier ein Ding ist, um so sorg- fältiger wird es bewacht. Nichts wird so bewacht wie die menschliche Seele. Gott gab ihr den Nächsten zum Wächter, dem er brüderliche Zurechtweisung befahl, aber auch be- sonders geistliche und weltliche Obere (Ezech. 33, 7 ff), und zudem den Schutz der Engel, so daß jeder Mensch von Geburt an seinen besonderen Engel hat. Endlich bewacht auch Gott selbst die, die ihn lieb haben. Zu 2: Wir sind nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst, sondern mit dem teuren Blute Christi (1. Petri 1, 18f.): „frage ihn, wenn . du unter dem Kreuz stehst: O du Guter, warum hängst du da durchbohrt, mit ausgebreiteten Armen und Beinen, und dein Herz wird verwundet? warum weinst dn? warum
1) Sermo 851. Migne PL XXXVIII, 1549, Vgl. Decr. II. 3. dist. 1. c. 63.
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betest du? Und er wird antworten: Ich bin zu dem Kreuz gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war.“ Zu 3: Gott hat der Seele bereitet, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat usw. (Jes. 64, 4; 1. Kor. 2, 9). „Aber, meine Liebsten, zu dieser Herrlichkeit wird niemand kommen können, der nicht ganz gesund gemacht worden ist. Denn der Herr will in seinem Reiche keinen Kranken oder Unreinen haben. Darum ist es nötig, daß ihm zuvor Ge- nugtuung geleistet wird und wir völlig gereinigt werden, sei es hier durch Genugtuungswerke, sei es anderwärts durch die Fegefeuerstrafe.“
Auch die folgende Predigt führt die Darstellung noch nicht weiter. Das Tagesevangelium Joh. 9, 1ff. zeigt, dab, wenn wir nicht erleuchtet werden, dies nicht an Gott, sondern an uns liegt: wir nehmen das Licht nieht auf, weil wir unsere Fenster verschließen, sei es aus Vorsatz oder aus Nachlässigkeit, weil wir den Weg Gottes nicht kennen. Aber auch Unkenntnis entschuldigt nicht, „Darum ermahne ich euch, meine Liebsten, daß ihr die Gnade Gottes nicht ver- geblieh empfanget. Ihr seid nun von Christus durch mich erleuchtet worden, wie ihr gehalten seid, für eure Sünden Genugtuung zu leisten. Geschieht das hier nicht vollständig, so werdet ihr im Fegefeuer zu büßen haben. — Das muĝ uns bewegen hier Genugtuung zu leisten; denn nicht Gott, sondern ihr seid daran schuld, wenn ihr’s versäumt. Und dazu dienen auch die apostolischen Briefe. Denn, wie wir lesen, steht nur dreierlei Menschen der Himmel unmittelbar offen: denen, die eben getauft sind, den Märtyrern und den Vollkommenen, nämlich allen, die in Wahrheit Buße tun, nämlich die Buße erfüllen.“
Zu den Werken der Barmherzigkeit, die zu den genugtuenden Werken gehören, führt das Evangelium des nächsten Tages von der Auferweckung des Jünglings zu Nain (Luk. 7, 11 ff). „Darin hat er uns sicher lehren wollen, wie sebr wir alle geneigt sein sollen, mit unsern Nächsten Mitleid zu empfinden so, daß wir deren Elend gewissermaßen uns ius Herz prägen und es mit der Liebe, als wäre es das eigene, vertreiben, und dazu hat er uns auch die ganze Kreatur als Vorbild vorgestellt: Denn der Himmel samt allen Sternen müht sich unsere Mängel zu vertreiben in dieser ganzen Zeit, die Sonne am Tage, der Mond mit den Sternen bei Nacht. Und wieviel Elend vertreiben Feuer, Luft, Wasser und Erde! Ja alle Tiere öffnen uns in ge- wisser Weise ihre Barmherzigkeit und lehren uns und rufen uns auf zur Barmherzigkeit und zum Mitleid.“ Diese Werke aber stellen Genugtuung für die Sünden dar, verdienen
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das ewige Leben, und wir sind zu ihnen verpflichtet durch göttliches Gebot. Dreierlei genugtuende Werke stellen die Lehrer auf: Gebet, Fasten und Almosen. Letztere sind Gott besonders angenehm. Denn wer Almosen gibt, verpflichtet den Empfänger zum Gebet und zum Fasten und anderen guten Werken für ihn, und sicherlich leisten zwei oder drei mehr Genugtuung als einer. Ferner ist das um Gottes willen gespendete Almosen wie ein Opfer: ein Opfer aber hat Gebetskraft; wieviel du also Almosen spendest, so viel Gebete tust du und so viel Beter bestellst du für dich, ja diese Werke selbst treten für dich vor das Angesicht des Höchsten, daher gibt Daniel (4, 24) dem König den Rat: „Mache dich los von deinen Sünden durch Wohltat an den Armen.“ Jene Werke verdienen aber auch das ewige Leben nach Matth. 25, 3+ff. Endlich sind wir zu ihnen verpflichtet durch göttliches Gebot. — „Aber, obgleich ihr allen nach Ort und Zeit zu Hilfe kommen müßt, so doch denen vor allem, die in größter Not sind. Ich könnte euch z. B. an die Armen in Livland erinnern, aber ich setze euch jetzt als Beispiel die armen Seelen, die im Fegefeuer gehalten werden, die verstoßen sind in den härtesten Kerker der Genugtuung, wo sie die allerschwersten Strafen leiden. Und diese Strafen werden noch dadurch erschwert, daß sie damit nichts vom Lohne des ewigen Lebens verdienen können, weil sie außerhalb der Grenze des Verdienstes sind. Denn wenn der Mensch stirbt, ist er in dem Zustande, da er empfängt nach seinen Werken und nicht mehr verdienen kann. Ja, auch dadurch wird ihre Pein erhöht, daß sie der Vergessenheit anheim- fallen seitens derer, die sie im Testament bedacht haben, ihrer Freunde und Verwandten. Darum schreien sie ohne Unterlaß mit starker Stimme. Aber seht, jetzt ist euch der Schatz des Verdienstes Christi und der Genugtuung aufgetan und sie sind in der größten Not, ohne sich selbst helfen zu können. Ich weiß nieht, wie ich euch von der Uebertretung dieses Gebotes entschuldigen könnte, wenn ihr ihnen nicht zu Hilfe kommt. Darum ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget.“
In diesen Gedanken fährt die folgende Predigt, an- knüpfend an das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus (Joh. 11, 1 ff.) fort. „Darin will uns Christus lehren, wie herzliches Mitleid wir haben müssen mit den ärmsten Seelen, die im Fegefeuer beschlossen und begraben, an Händen und Füßen gebunden sind, d. h. die sich nicht selber durch gute Werke helfen können, da sie sich außerhalb des Verdienststandes befinden, und die vom heißesten Verlangen
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und Durst nach dem Genuß des ewigen Gutes und dem Wasser des himmlischen Vaterlandes gequält, ja von den Teufeln verspottet werden, weil sie allen diesen Strafen durch das Verdienst des Leidens Christi hätten entgehen können und haben’s nicht getan. Ja auch ihre Füße sind gebunden, daß sie nicht zu uns kommen können, uns ihr Elend mit- zuteilen, ‘und also seyn sie angeschmidt mit henden und fufen und sitzen mitten yn dem höllischen Fewer. Denn dieses Feuer unterscheidet sich vom hellischen Feuer nur dureh die Dauer, weil es nicht wie jenes ewig währt. Und dort müssen sie bleiben, bis alles, worauf sie gebaut haben, verzehrt ist.“ Der Prediger führt den letzten Gedanken weiter aus, indem er sich mit 1. Kor. 3, 12f. beschäftigt. „Wir sind alle Bauleute, die Gott den Tempel bauen sollen, in dem er ewig wohnen will, dessen Grund Christus und der Glaube ist. Aber die Bauleute sind dreifacher Art. Manche zerstören diesen Tempel, indem sie in Todstnden leben. Von ihnen spricht Paulus (1. Kor. 3, 17): So Jemand den Tempel Gottes. verderbet, den wird Gott verderben. Andere bauen darauf Gold, Silber und Edelsteine, nämlich das Gold der glühenden Liebe Gottes — ihnen ist es leicht alles zu tun, alles zu leiden um Gottes willen —, das Silber der Liebe zum Nächsten und Edelsteine, d. h. die Werke aller Tugenden; und wenn jene auch bisweilen vergebbare Sünden begehen, so isí doch das Feuer der Liebe in ihnen so groß, daß es sogleich die vergebbaren Sünden verzehrt durch Gebete, Wachen, Fasten und Gottesdienst. Andere aber bauen darauf Holz, Heu und Stoppeln. Das sind die, die in der Liebe sind, sich aber so von den weltlichen Dingen, von fleischlichen Genüssen und von Ehren einnehmen lassen, daß, wenn sie auch nieht gegen Gott und die Liebe handeln, ja lieber den Tod erleiden würden, als eine Tod- sünde begehen, sie doeh Holz, Heu und Stoppeln aufbauen, d. h. vergebbare Sünden — und diese werden selig, aber nur dureh das Feuer, sagt Paulus. Darum müssen sie dort sitzen, bis alles Holz, Feuer und Stoppeln verzehrt ist, und, weil sie gebunden sind, können sie dieses Feuer nicht aus- löschen. Aber weil sie uns durch die Liebe verbunden sind und, so lange sie hier lebten, es um uns verdient haben, daß ihnen unsere Werke nützten, liegt es in unserer Macht ihnen zu helfen und dieses Feuer auszulöschen durch die Fürbitten, die für die Verstorbenen geschehen.“
Von der Verführung durch die weltlichen Dinge spricht die folgende Predigt weiter. Aus dem Evangelium Joh. 8, 12 ff. erkennen wir, daß wir das Licht des Lebens für uusere irdische Pilgerfahrt brauchen. Der Weg ist voller Strieke —
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wieder wird auf jenes Gesicht des Antonius!) verwiesen. Das wird an den zeitlichen Dingen und ihrer Verführung gezeigt. Wären wir vom göttlichen Lichte erleuchtet, so würden wir erkennen, wie die ganze Kreatur uns zu Gott erheben sollte. Dafür wird ein Beispiel aus dem Leben der Altväter angeführt, wo ein Vater Gott dankt, daß er so viele, unzählige Geschöpfe geschaffen hätte, die ihn lehrten Gott zu loben. | Außerhalb des Zusammenhanges behandelt die Predigt am Sonntag Judika die Frage, ob Jemand noch am Ende seines Lebens Buße tun könne, Im Sonntagsevangelium Joh. 8, 46 ff. ist vom Tod die Rede. Es gibt eine Ver- schiedenheit des Todes wie des Lebens: Wie einer gelebt hat, so stirbt er?) Wie das Leben der Gerechten gut, trefflich und lobenswert ist, so ist auch vor des Herrn Antlitz der Tod der Heiligen köstlich (Ps. 116, 15). Der Tod der Sünder aber ist sehr schlecht; denn er ist zweifach, zeitlich und ewig, Darum muß unser ganzes Streben zeitlebens dahin gerichtet sein, daß wir lernen wohl zu sterben, wie ein heiliger Vater sagte, als man ihn fragte, was er in der Wüste tue, er lerne zu sterben. ‘Dan eß jar schwerlichen als das Leben ist, Do ist auch der todt? „Bei dieser Ge- legenheit frage ich, ob jemand noch am Ende seines Lebens Buße tun könne?“ Rab gibt darauf nach den Lehrern der Kirehe folgende Antwort: ,Gott verleiht jedem die Gnade, der tut, was an ihm ist®), und der sich auf die Gnade be- reitet zu jeder Stunde und in jedem Augenblick, bevor er im Bösen verstrickt ist. Und weil der Mensch aueh noch am Ende seines Lebens den Gebrauch des freien Willens haben kann, braucht man an keinem zu verzweifeln, so lange noch die Seele im Leibe ist. Denn wenn der Schächer am Kreuze Gnade erlangte, warum nieht auch andere? Ja, ich halte sogar dafür, daß die Mehrzahl der Menschen durch späte Buße selig werden, die vielleicht in 30 oder 40 Jahren nicht recht gebeichtet haben, aber vielleicht Beichtbriefe be- Sitzen und mit wachsender Hoffnung auf jene Briefe zur wahren Herzensreue durch die Kraft des Sakraments ge- langen. Aber trotzdem, wenn auch die Buße nieht zu spät sein könnte, gelingt es doch selten, daß diese Beichte oder Bufe eine wahre ist. Dafür gebe es viele Gründe, von denen ich nur zwei anführen will: die Leiden, die den Menschen zerstreuen, und die Verführungen durch den Teufel,“ Der
1) Vgl. oben S, 163 n, 2. 2) Sicut aliquis vixit, ita et morixit. *) cui libet facienti, quod in se est,
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Prediger verweist nun auf die Predigten, die er am 3. Advent 1506 und den folgenden Tagen gehalten hat!). Er wird also das, was er dort verzeichnet hat, in Torgau wieder ver- wendet haben. Da redet er davon, daß. ein Schmerz den andern hindere. Auf der einen Seite fühle der Sterbende den Sehmerz der Sünde, auf der anderen den Schmerz des Todes und der Krankheit. Wie sollte er in einer Stunde das Feuer auslöschen, das er während seines ganzen Lebens angezündet habe, und die Knoten der Sünde lósen, in denen er seine Seele verstrickt habe? Die Versuchungen aber, mit denen der Teufel den Sterbenden quält, erstrecken sich auf den Glauben, auf die Hoffnung und auf die Beichte. Der Teufel bringt ihm Zweifel über ein neues Leben oder über die Höllenstrafen oder über die Vergebung der Sünde bei: so versucht er seinen Glauben. Er ficht weiter seine Hoffnung an, daß er daran zweifelt, daß Gott sich seiner erbarmen könne und wolle. Weil die Hoffnung aus guten Werken kommt, ruft der Teufel alle Sünden ins Gedächtnis und macht sie schwerer, erinnert ihn an Gottes Gerechtigkeit, so daß es ihm unmöglich sei bei der Menge seiner Sünden Buße zu tun und vor allem am Ende seines Lebens. Endlich sucht der Teufel den Sterbenden von der Beichte abzuhalten, indem er ihm einredet: du bist noch nicht so krank! Da nimmt er die Aerzte und Verwandten zu Hilfe, die es ver- schmähen den Geistlichen oder Priester zu holen, ‘dan sie lasßen bedunken, si musßen palde sterben, wenn sie beichten ader kommunieirten’?).
Am folgenden Tage, 26. März, wurde die Reihe der Predigten durch die Feier der Verkündigung Mariä unter- brochen. Als Text wählte der Prediger Luk. 1, 38. Das Thema lautet: Dreierlei haben diese Jungfrau für die gött- liche Empfängnis geeignet gemacht, ihr so kräftiger Glaube, ihre so tiefe Demut und ihre unbegrenzte Liebe.
Die nächsten Predigten stehen in loserem Zusammen- hang mit dem großen Predigtplan. Eigentlich hätte sich schon . jetzt die Behandlung des Abendmahls anschließen müssen. Da aber der Prediger sich dies für die Charwoche, für die Zeit unmittelbar vor der Abendmahlsteier, vorbehalten hat, Sucht er sieh für die in der Zwischenzeit noch zu haltenden Predigten einige andere, mehr an der Peripherie liegende Stoffe oder berührt bereits Behandeltes von neuem.
Das Evangelium des Dienstags nach Judika (Joh. 7, 1 ff.)
') Band 1513 Bl. 176 ff.
2) Darauf folgt: Exemplum de anglico milite. Welche Geschichte meint er?
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veranlaßt Rab darauf hinzuweisen, daß, während sonst viele ein offenes Bekenntnis von Jesus ablegten, jetzt in Jerusalem, aus Furcht vor den Pharisäern und Schriftgelehrten Niemand ein solches wagte (v. 13). „So band sie die Furcht vor der Welt, daß sie nicht wagten, die erkannte Wahrheit zu be- kennen, obgleich sie seine Wunder schauten und im Geheimen sagten, daß er gut wäre.“ Daraus zieht der Prediger die Lehre: „Es genügt nicht, daß der Christ im Herzen glaube, sondern es ist heilsnotwendig, daß er ihn auch bekenne*. Wer selig werden will, muß Glauben und Tugendcharakter!) besitzen. Auf doppeliem Wege gelangt man zum Heil: durch eigenes oder durch fremdes Verdienst, Auf dem letzteren Wege die Kinder, „denen in der Taufe der allgemeine Tugendcharakter (der bei ihnen allerdings nicht zur Tat kommt) eingegossen wurde. Für sie tritt das Verdienst Christi ein, dessen sie zu ihrem Heil in der Taufe teilhaftig werden. Aber die, die den Gebrauch des freien Willens haben, sind gehalten, dem Verdienste Christi das eigene hinzuzufügen in "Tugendhandlungen. Diese aber hüngen ab von der Handlung des Glaubens, der die Absicht leitet, ‘der muß uns den wegk weyßen’. Der Glaube ist also heilsnofwendig.^ „Gott läßt keinen im Stiche, der das Heil sucht?) Ja, wenn er auch im Walde geboren würde, aber täte, was an ihm ist, so würde Gott ihm einen Lehrer oder Engel schieken, wie es viele in Betreff der b. Barbara annehmen, und wie der innere Glaubensakt heilsnotwendig ist, so auch das Bekenntnis des Glaubens. Ein wahrer Christ muß also alle Furcht ablegen.“ Wie Christus um unsertwillen körperliche Leiden nicht fürchtet, um uns vom Tode zu erlösen, so dürfen wir keine Furcht haben und müssen bereit sein, selbst den Tod zu erleiden. „Gegen den Glauben handeln die, die aus Furcht vor dem Tode zu Beschwörungen und abergläubischen Handlungen ihre Zuflucht nehmen, um zur Verdammnis ihrer Seele den Leib zu retten.“
In der nächsten Predigt spricht Rab noch damai von der Gefahr, in die sich die begeben, die ihre Bekehrung bis zur Todesstunde aufschieben wollen. Der Haupt- teil der Predigt behandelt das Tagesevangelium Joh. 10, 22 ff. Darin zeigt Christas den Unterschied zwischen seinen Schafen und denen des Teufels. Christi Schafe hören Christi Wort, d.h. sie gehorchen den göttlichen Geboten, werden dadurch erquickt und folgen Christus nach. Die
1) habitum fidei. 2) Nach Thomas, III d. 25g 2a 1. Arohiv für Reformationsgeschichte. XXII. 3/4. ` 12
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anderen „sind mit Teufelsspeise erfüllt und haben einen Abscheu vor der Speise Christi.“ — „Darum ermahne ich euch, meine Liebsten, daß ihr jetzt in dieser Gnadenzeit die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget, daß ihr als Christi Schafe seine Stimme hört und gern seine Gebote und Befehle erfüllt, nicht aber bis zur Todesstunde wartet und erst dann zur Gemeinschaft der Schafe Christi kommen wollt, ‘das yr al ewer lebtage wolt füren eyn wulffisoh leben’ und am Ende mit einem Leben als Schafe den Schluß machen solltet. Und wenn das auch möglich sein sollte, so ist's doch gefährlich und zweifelhaft wegen der Versuchnng des Teufels, wie ich früher auseinander gesetzt habe.“ Nochmals erinnert Rab daran, wie der Teufel in der Sterbestunde zu Mißglauben und Verzweiflung zu führen sucht.
Auch die folgende Predigt berührt das Gefährliche, die Bekehrung bis ins Sterben zu verschieben. Im Hinblick auf das Tagesevangelium Luk. 7, 36ff. erklärt der Prediger, daß, was der Pharisäer an Jesus tat, diesem nicht gefiel, weil die Liebe fehlte Daraus folgert er die Lehre, daß, „wollen wir nicht die Frucht der guten Werke verlieren, wir sie im Feuer der Liebe kochen lassen müssen“. Nachdem er das an manchen Beispielen, auch am Amte des Predigers gezeigt hat, wiederholt er die alte Mahnung, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen und recht oft, aus Liebe, nicht aus Furcht oder gezwungen zum Kreuze Christi zu kommen. „Und darum sagen die Lehrer, daß es ge- fährlich sei, dies bis zur Todesstunde aufzuschieben, weil es dann, wie anzunehmen ist, nicht aus Liebe, sondern aus Furcht geschieht.“ Zuletzt wird die viel verwendete!) Ge- schichte von dem Magister Silo erzählt. Diesem erschien ein verstorbener Schüler und berichtete ihm von den Fege- feuerqualen. Als der Magister diese für gering hielt, ließ ihn jener Schüler die Hand ausstrecken; da fiel ein Schweiß- tropfen darauf, der schneller als ein Pfeil unter furchtbarem Schmerz die Hand durehbohrte. Jener aber sprach: So bin ich ganz. Hierüber erschrocken, beschloß der Magister ins Kloster zu gehen?)
Die beiden folgenden Predigten behandeln die Not- wendigkeit des Opfers Christi. Die erstere geht von
1) Z. B. auch von Capistrano in Leipzig vgl. Beitr. z. sächsischen Kirchengesch. 26, 150. — Auch der Leipziger Propst Johann Grunde- mann führt die Geschichte mehrfach an (seine Predigten sind noch nicht bearbeitet),
3) Leg. aur. 782.
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dem Tagesevangelium Joh. 11, 47ff. aus und spricht von den drei Konzilien, die die Juden über Christus hielten: das erste im Texte, das zweite am Palmsonntag, das dritte init Judas. Dann wird die Frage aufgestellt, „ob es nötig war, daß ein so Heiliger, so Göttlicher, so Gerechter, so Unschuldiger, in dem kein Betrug war, in dessen Munde auch kein Betrug erfunden wurde, getötet wurde zur Er- lösung des Menschengeschlechts, da doch ohne Zweifel der glorreiche Gott unzählige andere Weisen hätte ausfindig machen können zur Erlösung der Menschheit?“ Die Antwort lautet: „Wohl hätte Gott auf unzählige Weisen die Menschheit erlösen können. Aber in Anbetracht dessen, daß die ganze Menschheit in ihren ersten Eltern gefallen und nicht nur zum zeitlichen, sondern auch zum ewigen Tode verurteilt worden ist, war es infolge der Notwendigkeit der Ueber- einstimmung und der Unwandelbarkeit, weil es Gott von Ewigkeit her so beschlossen hatte, nótig, daB die Wieder- herstellung dureh den heiligsten und unschuldigsten Menschen erfolgte, den Gott erschaffen konnte.“ Das entspricht aber auch der góttlichen Gtite: die Menschheit war wiederher- stellungsfähig; darum gebührte es sich auch, sie wieder- herzustellen — und der góttlichen Gerechtigkeit, die die Weise der Genugtuung fordert.
Die andere Predigt spricht im Anschluß an das Tages- évangelium (Joh. 12, 10ff.) davon, daß Jesus, nachdem er den Vater mit seinen Predigten und Wundern verklärt habe, „bitte, daß er nun verklärt werde in seinem bittersten Leiden, damit die ganze Welt an seinem Leiden und Sterben iin als den wahren Sohn Gottes erkenne“. Darum wird die in der vorigen Predigt gestellte Frage wiederholt und näher darauf eingegangen, daß die göttliche Gerechtigkeit dieses große Opfer forderte. Die Sünde der ersten Menschen barg kraftmüBig!) in sich die Sünden aller Menschen, somit war sie unendlich: erstens wegen der Unendlichkeit der göttlichen Majestät, die durch den Ungehorsam verletzt wurde, zweitens wegen der Unendlichkeit des Gutes, dessen die Menschen beraubt wurden, drittens wegen der ver- derbten, der Unendlichkeit fähigen Natur. „Darum kann keine reine Kreatur, weder Engel noch Menschen, noch auch alle zusammen Gott Genugtuung leisten für die Sünde der ersten Eltern, Ja, jede Kreatur schuldet bereits sonst Gott alles, was sie hat, und die Handlung und Genugtuung jeder _ Kreatur ist begrenzt und beschränkt. Darum war es nötig,
daß Gott uns einen solchen Menschen gab, der Gott so viel
1) virtualiter. 12*
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leisten konnte, als die Beleidigung erforderte, und dieser mußte wahrer Gott und Mensch sein, so daß er fähig war, Genugtuung zu leisten, und daß er unbegrenzte Kraft und Wirkung hätte. Das ist Christus, unser Heiland und Mittler.“ Der Prediger ‚schildert nun Christi Leiden und. Sterben: „Auf dem Wege des Opfers brachte er Gott dem Vater sein allerheiligstes Leben mit dem Ausflusse seines ganzen Blutes dar aus unbegrenzter Liebe und Gehorsam mit der Allge- meinheit seiner Leiden. So brachte er Gott mehr dar, als die Beleidigung durch die ganze Kreatur erforderte, erstens wegen der Größe seiner Liebe, mit der er litt, zweitens wegen des Wertes seines Lebens, das er zur Genugtuung gab, das das Leben der Gottmenschen war, drittens wegen der Allgemeinheit seines Leidens. Somit war sein Leiden nieht nur genügend, sondern übergenügend!) (1. Joh. 8, 2). Darum hat Gott der Vater das Opfer angenommen, die Pforten des Paradieses aufgetan und aller Beleidigung vergessen."
In den drei Predigten Montag, Dienstag und Mittwoch Dach Palmarum behandelt Rab endlich das heilige Abendmahl?). Diese drei Predigten bilden gewissermaßen ein Ganzes, da sie sich sämtlich an den Montagstext Joh. 12, 1ff., Jesu Salbung im Hause vonBethanien, durch Maria,anschließen. „Meine Lieben,“ beginnt die erste Predigt, „ich ermahne euch von Herzen, dab ihr den Quell der Gnade, der wahrhaftig und wirklich in dem
heilsamen Sakrament des Abendmahles enthalten ist, nieht _
empfanget vergeblich, d. h. nicht obne seine Frucht und seinen Erfolg, die bestehen in der Einverleibung in Christus, der Erhaltung im geistlichen Leben, der Vermehrung der Gnade, der Wiederherstellung des Verlorenen, insofern die Sünden und Strafen nachgelassen werden, der geistlichen Erguiekung wegen des Vergessens der vergebbaren und der Todsünden, der Entnahme aus dem Fegefeuer. Von dem Allen kann ich jetzt nicht reden, Das würde zu viel Zeit erfordern, wenn ich es darlegen wollte. Darum entschuldige ich mich wegen der Unvollständigkeit; denn ich will nur von dem reden, was zur Vorbereitung auf das ver- ehrungswürdige Sakrament nötig ist.“ Einmal wenigstens im Jahre ist der Erwachsene verpflichtet „in Bethanien, d. h. im Hause des Gehorsams“ das Mahl zu bereiten. In der ersten Kirche geschah es täglich, dann dreimal im Jahre.
1) superabundans.
?) In die palmarum non praedicavi, sed plebanus praedicavit in- hibitiones, d. h. er gab bekannt, wer vom Abendmahl Vu uid sei (vgl. über die Passionspredigten). Ä
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Es bedarf dazu sorgfältiger Vorbereitung; denn „nicht der römische König noch der Papst oder ein Bischof oder ein Fürst, sondern die göttliche Majestät“ kommt „und bringt mit sich die Speise seiner Göttlichkeit, seines Leibes und Blutes, am Kreuze vergossen.“ Es muß dabei sein „Martha, die dient, Lazarus, der da liegt, und Maria, die salbt*.
In jeder der drei Predigten wird an einer dieser Per- sonen ein Stück der rechten Bereitung nachgewiesen. Martha heißt die Herrschende!). Darunter ist der Glaube zu verstehen, der die Vernunft beherrschen und gefangen nehmen muß, damit man das, was das Gesicht nicht siebt, das Ohr nicht hört, die Vernunft nicht faßt, mit dem Lichte des Glaubens festhält und glaubt, daß Christus unser Heiland da ist, so wie er von der Jungfrau geboren ist, wie er im Tempel gepredigt hat, wie er mit Martha, Lazarus und Maria zu Tische saß, wie er am Kreuze hing, wie er zur Rechten des Vaters sitzt und wie er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten, und daß nicht nur Leib und Blut gegenwärtig ist, sondern die Göttlichkeit Christi, die Seele Christi. Dafür lassen sich freilich keine Vernunft- gründe anführen, auch kann das der Verstand nicht fassen. Darum muß der Glaube den Verstand gefangen nehmen, muß herrschen und bei Tische da sein, wenn wir in ver- dienstlicher Weise mit Christus erquickt werden sollen. Wohl aber kann alles erwiesen werden durch die Autorität des Erlósers, der dieses Sakrament einsetzte und, indem er es seinen Jüngern gab, sprach: *Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, auch durch die Vernunft also: wenn Gott alles aus niehts schaffen konnte, so kann er aueh aus Brot seinen Leib machen. Ferner: wenn die Natur einen Stoff in den anderen umwandeln kann, warum nicht Gott? Denn wenn die Erde in Bäume, Gold, Silber, Metalle, Balsam durch die Kraft des Himmelskörpers verwandelt wird, warum könnte nicht durch Gottes Wort die Verwandlung des Brotes in Christi Leib und des Weines in Blut geschehen ?)?“
Aber auch Lazarus muß da sein. Lazarus bedeutet: der, dem von Gott geholfen ist?). Lazarus wurde aus dem Grabe herausgerufen und von allen Fesseln befreit. Nun saß er bei Tische und stank nicht mehr. So ruft Christus in dieser ganzen Zeit jedem zu: ‘Lazarus, komm heraus! und bei Beginn der Fastenzeit hieß es (Joel 2, 12): ‘Be-
1) dominans (Isid. etym. VII c. 10),
2) Der Prediger verweist auf Beispiele bei Antonius Vercellensis in sermone 4ae feriae post Palmarum.
3) adjutus (Isid. 1. c.).
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kehret euch zu mir von ganzem Herzen! So hat die Kirche am Aschermittwoch getan, da sie uns aus dem stinkenden Grabe der Sünden rief, daß wir in der Osterzeit bereit wären, Christus das Mahl zu bereiten. „Wenn du einen so süßen reinen Gott in deine Herberge führen willst, mußt du zuvor alle seine Feinde austreiben, Hoffnung, Geiz, Schlemmerei, Haß und Neid und alle Todsünden hinauswerfen. Sonst lädst du in Wahrheit Christus nicht zur Erquickung ein, daß du ihn und er dich erquieke, sondern dazu, ihn von Neuem zu töten und zu kreuzigen, dich selbst in deiner Seele zu töten und zu ewiger Strafe zu laufen“. Dazu wird uns die Geschichte von einem Wucherer erzählt, dem der Teufel das Sakrament aus dem Munde schlug’).
Endlich muß als dritte Person Maria Magdalena ein- geladen werden. Der Name bedeutet: die Erleuchtete?), Das Haus des Gewissens und der Seele muß erleuchtet und geschmückt werden mit den Gott besonders wohlgefälligen Tugenden der Demut und der Liebe, und Christus muß ge- salbt werden mit dem Oel andächtigen Gebetes und guter Werke. Hierzu wird eine gern gehürte Geschichte?) aus dem Leben der Altvüter erzählt: Ein Einsiedler begrub auf Befehl eines Engels, der dabei stand, einen, der schon vier Tage tot war. Wegen des Gestanks des Leichnams stopfte sich der Einsiedler die Nase zu, aber nicht so der Engel. Da ging ein schöner wohlbekleideter Jüngling vorüber, und der Engel stopfte so lange seine Nase zu, bis jener sich weit entfernt hatte. Als nun der Einsiedler den Engel fragte, warum er nicht vor dem Gestank des Leichnams, aber vor dem Jüngling seine Nase zugestopit habe, ant- wortete dieser: weil ich diesen leiblichen Gestank nicht empfinde; aber die Seele dieses Jünglings ist abscheulich und stinkend und ihren Gestank konnte ich nicht ertragen.
Nachdem am Ostersountag die Frage behandelt worden ist, warum Christus am dritten Tage auferstanden ist (zum Beweise der göttlichen Gerechtigkeit, zur Stärkung unseres Glaubens, zur Aufrichtung unserer Hoffnung), kommt Rab in der Predigt vom Ostermontag noch einmal auf Reue, Beichte und Abendmahl zu sprechen. Abgesehen von solchen, die so tot sind, daß sie überhaupt nicht mehr auf- erweckt werden können und wollen, gibt es eine dreifache Auferstehung der Menschen: Erstens eine ‚scheinbare und erheuchelte — das gilt von denen, die gebeichtet und das
!) Als Quelle ist angegeben Antonius Vercellensis sermo 60. ?) Maria = illuminatrix (Isid. Etym VII, c. 10). 3) Sie findet sich auch in den Predigten des Propstes Grundemann.
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Sakrament empfangen haben, nur um den Anderen ähnlich zu sein und nicht verachtet zu werden. Zweitens eine wahre, aber unvollkommene — das gilt von denen, „die ihre Sünden bereut, die gebeichtet und den Vorsatz hatten, Genugtuung zu leisten und ihr Leben zu bessern, weshalb sie auch eifrig an jenen Tagen wachten und die Passions- predigten hörten, aber gleich noch in jenen Tagen kommt der Teufel, und erstiekt Gottes Wort ‘und left nicht zu krefiten, das do bereyt angehoben hath zu wachßen’ und erstickt es wieder durch Fleischeslust ‘und bringt dan eyn successive widerumb uff den bubensteyk, fo geth man gen Emauf!) so ist die raw auß, Bo gewynt der mensch eyn grawe von dem Hymelbrot’ und müht sich wieder nach Egypten zu gehen, daß er Fleisch, Pfeben und Zwiebeln essen könnte, ‘Bo geths dan dohyn und kummt der teuffel salsybendt und eß werden die letzten dyng erger wegen der Undankbarkeit ‘den die ersten“. Die Dritten sind die, „die unsterblich und sündlos auferstehen so, daß sie nicht mehr tödlich sündigen. Und ich zweifle nicht, daß wir alle hoffen wahrhaftig auferstanden zu sein, denn, wie ich annehme, ‘yr seyt noch nicht gen Emauß gangen’.“ Die Gedanken der Ostermontagspredigt werden am Dienstag fortgesetzt?). Eine Aufzeichnung darüber liegt nicht vor.
Am Sonntag nach Ostern schließt Rab die Predigtreihe ab, Ohne auf den vorangestellten Sonntagstext (Joh. 20, 19 ff.) weiter einzugehen, wendet er sich sofort zu einem Rückblick. „Ihr habt, meine Liebsten, in dieser ganzen Zeit gehört, wie ich euch mit dem seligen Apostel Paulus ermahnt habe, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen sollt. Und das war mein Bemühen und herzliches Verlangen, daß ihr alle Gott gewonnen würdet. Dabei folgte ich dem Rate des seligen Apostels Paulus, der da spricht (2. Tim. 4, 2): ‘Predige das Wort, halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre!’ Gott ist mein Zeuge: wenn ichs mit meinen Predigten vermocht hätte, es wäre mein innigster Wunsch gewesen, euch alle gen Himmel zu erheben und vor das Antlitz des Allerhöchsten zu stellen. Aber in meinen Pre- digten mußte ich bald warnen, bald schelten, bald barsch sein; denn ich war allen verpflichtet, nicht nur den Guten,
7) Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon I, 812: Im Bapstumb giengen die Leut auff den Ostermontag hinaus Spatzieren, welches sie (Luc. 24, 13 ff.) hiessen: Nach Emahus gehen. — Vgl. 1511, 100b: Vix inter mille unus reperitur, qui non vadat in Emaus, qui perseveret in gracia.
?) Feria 8 paschae continuavi eandem materiam.
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sondern auch den Mürrischen: denn ein Prediger des Wortes muß mancherlei Weise brauchen, die Guten heranziehen, die Bösen schrecken, damit sie alle selig werden. Bin ich nun zuweilen in meiner Rede zu hart erschienen, so war es meine Absicht, auch die, die ferne stehen und unwillig sind, durch die Güte und Barmherzigkeit Christi zu locken, ob sie nicht doch endlich auf den Weg der Gerechtigkeit zurückkehren wollten. Das wird auch bezeugen meine Arbeit und tägliches Anhalten, und euch alle rufe ich zu Zeugen auf, besonders die, die alle meine Predigten gehört haben, wie mein Herz war, ob ich euer Geld oder eure Seligkeit gesucht habe. Nein, von Anfang bis heute habe ich den Frieden eurer Herzen gesucht. ‘Wie man mich aber gedacht hat zu belohnen, das geb ich got von himele zu richten, der mich und uns alle richten wirt!)
Nun muß ich aber meine Predigten beschließen. Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ists, dab wir danken dem Herrn unserm Gott immer und überall?), Denn so groß sind Gottes Wohltaten gegen uns, daß, auch wenn wir obne Unterbrechung nicht aufhörten, Gott zu loben, wir jetzt und in Ewigkeit ihn nicht genug loben und danken könnten. Ich will jetzt übergehen und davon schweigen, dab wir dazu verpflichtet sind, weil er uns, da wir noch nicht waren, aus nichts geschaffen hat. Ich will schweigen davon, daß er uns durch sein teures Blut von Neuem geschaffen und wiederhergestellt hat, da wir ver- loren waren. Ich will schweigen davon, daß er aus vielen Tausenden von Ewigkeit her uns dazu bestimmt hat, dab wir mit ihm im Glauben vereinigt und im Blut seines ein- geborenen Sohnes in den heilsamen Sakramenten gewaschen, ja ihm so einverleibt würden, daß wir alle Glieder seines ein- geborenen Sohnes heißen. Ueber dies alles hat er jetzt auch allen den Quell seines Blutes aufgetan, darin ihr weiß gewaschen werden könnt. Und das hat er rein und frei in euren Willen gestellt. Denn nicht einen einzigen Menschen hat er davon ausgeschlossen, mag dieser ihn auch noch so schwer beleidigt haben, wie aus dem ganzen Texte der Bulle hervorgeht, außer denen, die der Gnade widerstreben. Denn mit Recht wird sie jenen nicht gegeben, die wider sie streiten; und doch, auch wenn sie ihr widerstritten haben sollten, so sie noch umkehren, ist Gott bereit sie anzu- nehmen und ihnen Gnade zu erteilen.
1) Leider fehlen uns über die schlimmen Erfahrungen — Ver- leumdungen usw. — alle näheren Nachrichten, Vgl. weiter unten, ?) Worte aus der Präfation des Meßkanons,
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Meint ihr, meine Liebsten, daß dies ohne Gottes vorher- gehende Ordnung und Vorsehung geschehen sei? Gott setzt ja alles fest nach Zahl, Gewicht und Maß und hat alle Zeiten gezählt, gewogen und gemessen von Ewigkeit her, was, wieviel und zu welcher Zeit er von jenen Gütern uns spenden will; denn er ist der, der alles versieht!). Da hat Gott es von Ewigkeit her verordnet, daß in dieser Zeit jener unendlicbe Schatz auch aufgetan würde, aber nicht der Teufel, wie einer am ersten Tage, als die Gnade eingeführt wurde, gesagt hat: ‘hath der teufel die gnad her gefürt? hath man nie keyn gnad geseben? Der Teufel hat sie wahrhaftig nieht hergeführt; denn der wollte, daß der Quell der Gnade allen Menschen verschlossen bliebe, Es ist also nieht die Absicht des Teufels, daß jene Gnade zu euch kam und euch ausgeteilt würde, sondern Gott der Herr hat sie
für euch von Ewigkeit her versehen. Die sie bekämpfen,
bekümpfen mithin nieht nur den heiligen apostolischen Stuhl, sondern auch die ewige Vorherordnung und Vorherbestimmung Gottes, der wollte, daß durch diese Gnade unzählige Tausende zur Herrlichkeit gelangten. Was kann dem Menschen denn gnadenreicheres gesagt werden als dies: ‘deine Sünden sind dir vergeben und du wirst frei von aller Schuld und Strafe, so daß, wenn du so stirbst, du sogleich auffährst?’, Wir müssen also Gott dankbar sein für ein Vierfaches. Erstens dafür, daß er uns aus so starken Fesseln befreit hat, die er allein zerreißen kann. Ps. 116, 16f.: ‘Du hast meine Bande zerrissen; dir will ich Dank opfern.” Zweitens: weil wir, so oft wir gesündigt haben, so oft zur Schuld ewiger Strafe verpflichtet gewesen wären. Zeit seines Lebens würde ein zum Tode Verurteilter seinem Befreier dienen. Drittens: weil er uns aus einem Feind zum Freund und Erben des ewigen Lebens gemacht hat. Viertens: weil er vielleicht viele Tausende in den Todstinden ließ, dich aber befreit hat.
Diesen Quell der Gnade aber hat Gott nicht nur uns, sondern auch allen entschlafenen Gläubigen, die in der Gnade abgeschieden sind, aufgetan. Sie rufen nun in Wahrheit: ‘Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!’ (Off. 7, 12). Das sind die, ‘die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen im Blute des Lammes’ (Off. 7, 14). Wie, meint ihr, werden die erst Dank sagen, heilige Männer und heilige Frauen, die jetzt bei diesem allerheiligsten Jubelablab aus dem
3) Universalis provisor. Nach Thomas, Summa 1 q 22 a 2.
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Fegefeuer befreit worden sind? Meint ihr, ihre Befreiung wäre die Folge eines Teufelswerkes? Wahrhaftig nein, sondern Gott hat ihnen von Ewigkeit her dieses Mittel vorherbestimmt, dadurch er sie aus ihrer Trübsal be- freien wollte!
Endlich hat er auch den Quell der Gnade in den apostolischen Briefen aufgetan, in denen euch zugesprochen wird die Teilnahme an allen Gütern der Kirche, in denen euch verheißen wird vollkommene Vergebung einmal im Leben und sonst so oft, wie oft in anderen!) und im Augen- blick des Todes öffnet sich euch wiederum jener Quell der Güte, so oft ihr in Todesgefahr seid?). Meint ihr, dab dieses Mittel nicht von Ewigkeit her euch vorgesehen sei für das Heil eurer Seelen? Wahrhaftig, wenn nicht die h. Schrift falsch ist, wenn nicht euer Glauben falsch ist, wenn nicht Gott und alle heiligen Lehrer lügen, dann legt euch Gott dies vor zum Zeichen eurer ewigen Vorherbestimmung, und wie viel mehr Briefe ihr habt, um so viel mehr sind die Zeichen eurer Vorherbestimmung." Hierauf deutet die Niederschrift eine Geschichte an ‘von einem, der in Jüterbogk Beichtbriefe zu nehmen verschmähte und schließlich im Augenblick des Todes nicht wert war, dab sie ihm vorgelesen wurden, obgleich seine Frau sie insgeheim gekauft hatte’. |
Aber wie sollen wir dem Herrn vergelten, was er uns geschenkt hat? Mit Danksagung wollen wir das -Kreuz in Umtragung des Sakraments®) niederlegen und Gott und seinen Heiligen durch die einzelnen Stationskirchen hin danken und Lob- und Andachtslieder von jenen Heiligen singen. Und als Danksagung sprechet ihr: ‘Dyr sey lob, dyr sey ere, dyr sey danksagung, o du aller libster, o du
1) Wohl zu ergänzen: Todesgefahren.
2) Plenissima absolutio semel in vita et alias totiens quotiens, in aliis et in articulo mortis iterum aperitur vobis fons ille pietatis totiens quotiens estis in mortis periculo. Hierzu vgl. den ZKG 29, 80f. mitgeteilten Beichtbrief (12. Dezember 1506 in Glauchau ausge- stellt). Dort heißt es am Ende: Forma absolutionis in vita totiens quotiens... Forma absolutionis et plenissimae remissionis semel in vita et mortis articulo. In einem Beichtbriefe von 1482 (Zwickauer Ratschulbibliothek) stehen nach der Forma absolutionis noch die Worte: Item in mortis articulo adiungenda est haec clausula: Si tamen ab ista egritudine non decesseris, plenariam remissionem et indulgentiam tibi eadem auctoritate in mortis articulo conferendam reservo. (ZKG 19, 300f) Vgl. auch den Beichtbrief Lóscher Ref. Act. I, 371.
3) in delatione sacramenti,
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aller süster, o du aller gütigster Herre Jhesu Christe, vor alle deyne heylige Bluístropfen, die du vergosßen hast aub deynem allerheyligesten- leichnam yn deyner heiligen Be- schneidung 2c.!) „Darnach werde der Segen erteilt allen, die sich der Jubelgnade teilhaftig gemacht haben, wie er steht 5. Mos. 28, 3ff.: Seid gesegnet in euren Häusern, auf euren Aeckern usw. Und so sei geschlossen: Der Segen Gottes des allmächtigen Vaters und des Sohnes und des h. Geistes komme auf euch und bleibe immer bei euch! Amen. Dann sollen Danksagungen geschehen den Bischöfen, den Herzögen, dem Rat, den Priestern, dem Volke usw.“
Drei Wochen später, am Sonntag Kantate (6. Mai) be- stieg Rab noch einmal die Torgauer Kanzel, um der Ge- meinde zu zeigen, wie sie sich in dem erlangten Gnadenstande erhalten sollte. Ohne zunächst weiter das vorangestellte Wort aus dem Tagesevangelium Joh. 16, 8 zu berücksichtigen, verweist er auf die vorangehende Predigt: „Meine Liebsten, ich habe euch schon als ich das letzte Mal predigte gesagt, daß nach dem Ausspruch des h. Thomas?) und anderer Lehrer Gott der Herr nicht nur die, die nach seiner Vorherbestimmung selig werden sollen, sich von Ewigkeit her auserwählt und ihnen das ewige Leben be- reitet, sondern ihnen auch von Ewigkeit her alle Mittel und Wege vorgesehen hat, mittels denen sie zur ewigen Seligkeit gelangen können, und daß Gott der Herr euch auch diesen Jubelablaó und diese Gnade als Mittel und Weg seiner ‚Vorherbestimmung vorgesehen hat, ebenso den Seelen im Fegefeuer, von denen, wie ich hoffe, ungezählte Tausende durch diese Gnade hier und anderwärts befreit worden sind, und auch viel tausend Menschen, die durch das Verdienst Christi und des in den Beichtbriefen zuerteilten Jubelablasses in der Todesstunde zur Rettung und Befreiung kommen werden. Und weil ich nunmehr gänzlich den Schluß zu machen habe mit diesem apostolischen Geschäft und wieder zu dem, der mich gesandt hat, zurückkehren muß, möchte ich gern, daß ihr in jenem heiligen Vorsatz und Entschluß und in der Gnade bleibt, die ihr ohne Zweifel erlangt habt, dem meine ganze Arbeit gilt, wie Gott mir bezeugen wird. Einem jeden eine Weise und Regel zu geben, wie er in seinem Stande leben muß, ist mir in so kurzer Zeit nicht möglich. Aber damit ich euch allen in Kürze eine Regel, in der erlangten Gnade zu leben und zu bleiben gebe, will ich euch die Worte des Textes übergeben, die drei Kapitel enthalten.
1) Vgl. oben S, 133. 2) Summa 1q 22 f.
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Erstens: Wer jetzt und in Zukunft vom h. Geist nicht um der Sünde des Unglaubens verdammlich gestraft werden will, muß sich mühen, Gottes Wort fruchtbarlich zu hören, ohne Verachtung und mit Freuden. Zum besseren Ver- ständnis dieser Regel ist zu merken, daß der glorreiche Gott von solcher Güte gegen die Menschen ist, daß er nicht nur alles um des Menschen willen geschaffen hat, sondern er gab auch allen Kreaturen, Tieren und Pflanzen die Samkraft, so daß alles in seinem besonderen Sein um des Menschen willen erhalten und von Jahr zu Jahr immer wieder erneuert wird, wie Korn, Weizen, Wein, Tiere, und das alles ge- schieht um des Menschen willen. Weil aber der Mensch nicht nur einen Körper hat, der zu erhalten ist, sondern auch eine Seele, so hat Gott auch für diese gesorgt, daß sie in ihrem Sein und geistlichen Leben erhalten werde. Das aber geschieht durch den Samen des göttlichen Wortes und in Wahrheit, wenn nicht Gott der Herr uns diesen Samen überlassen hätte, wären wir wie Sodom und Go- morrha (Jes. 1, 9). Ich frage euch, meine Brüder, sagt mir, was dünket euch mehr: Christi Leib oder Christi Wort? Wollt ihr recht antworten, so müßt ihr sagen, daB Gottes Wort nicht geringer ist als Christi Leib. Darum, die gleiche Sorgfalt, mit der wir uns bei der Verwaltung des Leibes Christi hüten, daß nichts verloren gehe, muß dem Worte Gottes gelten. — Gottes Wort hat in sich die Kraft, daß sehr oft bei einer einzigen Predigt und dem einmaligen Anhören des Wortes Gottes unzählige Sünden vergeben werden, wenn sich die Menschen zu wahrer Reue anregen lassen. Das ergibt sich aus einem Beispiel in dem Leben der Altväter, da erzählt wird, wie Paulus der Einfältige die Leute in die Kirche gehen und einen Sünder gerecht gemacht wieder herausgehen sah. Dort wird tatsächlich der Mensch von Sünden gereinigt, der Verstand auf dem Wege Gottes erleuchtet, die Heilsbegierde angefacht, die Gnade vermehrt und die Seele genührt!) Darum ist die Predigt in der heiligen Kirche Gottes nötiger als das Feiern von Messen. Nötig ist zwar beides. Aber gesetzt den Fall, daß eine Zeitlang beides unterbliebe, so würde in der Kirche ein größerer Schaden aus dem Mangel des Wortes Gottes als aus dem des Feierns geschehen. Sagt nur, wann seid ihr im ganzen Jahre rechtschaffener gewesen als zu der Zeit, da ihr in den Fasten Gottes Wort hört! Darum lasse ich euch dies zum Abschied. Wenn ihr wissen wollt, daß
7) Es wird dann verwiesen auf Decr. Greg. IX. lit I. tit, 31, c. 15.
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ihr in der Zahl der Vorherbestimmten seid, so achtet darauf, ob ihr gern Gottes Wort hört und bewahrt, wie Augustin in dem Buche von der Vorherbestimmung. sagt!) Unter
‚dem Anderen ist das das Wichtigste.
Zweites Kapitel: Wer vom h. Geist nicht um der Ge- rechtigkeit willen gestraft werden will, gebe sich Mühe, den Weg der Gerechtigkeit gegen Gott und den Nächsten sorg- sam nachzuahmen. Diese Regel wird vom Herrn bestätigt, der, von einem Reichen befragt, was er tun sollte, daß er das Reich Gottes besitze, antwortete: ‘Halte die Gebote! (Matth. 19, 17), daß nämlich in gerechtem Verhalten gegen Gott und den Nächsten Gott und dem Nächsten das Schuldige gegeben und nicht unterlassen werde, und zwar nicht nur mit dem Wort, sondern auch mit der Tat; denn der Feigen- baum, der nur Blätter, aber keine Früchte hat, ist verflucht (Luk. 13, 6ff.).. Die Werke der Gerechtigkeit sollen aber andauernd geschehen (1. Chron. 28, 7; Ezech. 18, 24), warm, nicht kalt (Offenb. 3, 15) und nieht mit Eitelkeit, um hier Lohn zu erhalten (Matth. 6, 1ff.).
Drittes Kapitel: “Was du tust, tue klug und bedenke das Ende’?); denn du wirst genauste Rechenschaft ablegen müssen von allen deinen Werken, in welcher Absicht du sie getan hast. Bedenke auch in Allem das Ende, nämlich die ewige Vergeltung, die Seligkeit oder die Verdammnis, das Ende des Todes, das Ende des Gerichts, Handle so, als solltest du eben sterben, als müßtest du eben darüber Gott Rechenschaft ablegen, als solltest du eben deinen Lohn dafür empfangen. So handelnd, wirst du in Ewigkeit nicht sündigen. ‘Was du tust, bedenke das Ende, so wirst du nimmermehr Uebles tun’ (Sir. 7, 40).*
Anhang ?).
Vgl. Zeitschr, f, Kircheng. Nr. 22, 600.— Francke, H. G., Das Nonnen- kloster der glückseligen Maria Magdalena zu Weida (Mitt. des Vereins f. vogtl. Gesch. 1920) S. 283. Ges. Arch. Weimar Nr. 45.
Pergament durch Stockflecke verdorben und fast durchgerissen, nur Siegelschnur noch vorhanden.
Universis et singulis presentes litteras inspeeturis Ever- hardus Szelle decretorum doctor in Burtninge et Christia- nus Bomhower in Ruien locorum Rigensis et Trabecensis dyocesis parrochialium ecclesiarum rectores sanctissimi in Christo patris et domini nostri domini Julij divina providencia
1) Gemeint ist wohl PL XLIV, 972. 3) Quicquid agis, prudenter agas et respice finem. 3) Vgl. oben S. 136.
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pape secundi accoliti capellani ef eiusdem ac sancte sedis apostoliee ad Magdeburgensem, Bremensem, Rigensem pro- vineias illarumque et Pomeranie necnon Livonie civitates diocesis apida, terras ae dominia eciam stagnalis et defensa nuncupatis nunctij et commissarij specialiter quilibet in soli- dum deputati salutem in domino. Notum facimus, quod sanetissimus dominus noster prefatus pro pocioris cautele remedio sacratissimas jubilei et cruciate plenissimas indul- gencias eum nonnullis alijs facultatibus, gratijs et clausulis per quondam felicis recordacionis dominum Alexandrum papam sextum ad effectum pie ae nummerarie subvencionis huiusmodi datas et concessas, prout litere desuper confecte elarius exprimunt suis reintegrato[...] literis validando ae firmissime n ivoeando denuo largiens cunctis utriusque sexus Christi fidelibus, qui pro nummerario Livonie predicte sub- sidio in orthodoxe fidei nostre defensionem contra Ruthenos, hereticos et scismaticos ae Tartaros infideles eis adherentes eiusdem fidei erudelissimos innimicos iuxta debitam ordi- nacionem per se vel alium manus porrexerint adiutrices ultra plenissimas indulgencias et alias gratias prenarratas, quas Christi fideles huiusmodi consequuntur, prout in literis apostolicis desuper confectis continetur, misericorditer con- cessit, ut aliquem ydoneum presbiterum secularem vel cuius- vis ordinis regularem in suum possint eligere confessorem, qui vita eis comite in casibus dicte sedi reservatis preter- quam offense ecclesiastice libertatis criminum, heresis et rebellionis aut conspirationis in personam vel statum Romani pontificis sero sedem predictam falsitatis literarum apostoli- carum supplicacionem, invasionem et commissionem, depre- dacionem, occulpacionem et devastacionem terrarum ef maris Romane ecclesie mediate vel immediate subiectorum offense personalis in[...]um vel alium prelatum prohibicionem, devo- lueionem causarum ad Romanam curiam delacionem armo- rum et aliorum prohibitorum ad partes infidelium semel dum- taxat in vita. in al[...]vero quociens fuerit oportunum confessio- nibus eorum diligenter auditis pro commissis sibi debitam absolucionem impendat et iniungat penitenciam salutarem neenon vota queeumque ultra ..... liminum apostolorum Petri et Pauli Saneti Jacobi in Compostella ae castitatis et religiosis votis dumtaxat exceptis in alia pietatis opera commutare valeat, quod confessor quem quilibet eorum duxerit eligendum omnium peccatorum suorum de quibus contriti et ore confessi fuerint, eciam semel in vita ef in mortis artieulo plenariam remissionem eis in sinceritate fidei et unitate diete Romane ecclesie ac obedienciam et devo- eionem persistentibus auctoritate apostolica impartiri possit,
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indulsit quoque idem dominus noster sanctissimus [om]nes et singulos Christi fideles predictos et eorum parentes et benefactores defunetos, qui cum caritate decesserunt in omnibus precibus, suffragijs, elemosinis, jeiunijs, orationibus, missis, honis canonicis, disciplinis, peregrinacionibus et ceteris omnibus spiritualibus bonis, que fiunt et fieri poterunt in tota universali sacrosancta Christi ecclesia militante et
omnibus membris eiusdem in perpetuum fieri participes et
quia devote sancte monialis ordinis predicatorum in Weyda videlieet sorores Margaretha Tossin priorissa, Dorothea Pragerin, suppriorissa, Margaretha de Heyda, Gerdrudis Kospotin, Margareta de Polnitz, Barbara Kertzschin, Gerdrudis Wildin senior, Gerdrudis Wildin junior, Anna Wyldin, Wal- purgis de Polnitz et Katherina Belerin?) ad ipsius fidei piam subvencionem iuxta praetactam sanctissimi domini nostri et nostram debitam ordinacionem se grate exhibuerunt et libe- rales, prout per presentes litteras in huiusmodi testimonium a nobis sibi traditas approbamus, ideo eadem auctoritate apostoliea nobis commissa et qua fungimur in hae parte
ipsis ut dietis gratijs et indulgentijs uti et eisdem gaudere
possint ef valeant merito constat esse concessum. Datum Liptzk sub sigillo per nos ad hec ordinato die tertia [me]nsis Junij anno domini millesimo quingentesimo quinto.
Forma absolueionis in vita tociens quociens: Misereatur tui etc. dominus noster Jesus Christus per sue passionis meritum te absolvat auctoritate cuius ef apostoliea mihi in hae parte commissa et tibi concessa Ego te absolvo ab omnibus peccatis tuis in nomine patris et filij et spiritus sancti amenn.
Forma absolucionis et plenissime remissionis semel in vita et in mortis articulo.
Misereatur tui ete. Dominus noster Jhesus Christus per sue passionis merita te absolvat. Ego auctoritate ipsius et apostolica michi in. hac parte commissa et. tibi concessa te absolvo primo ab omni sentencia excommunicacionis maioris vel minoris si quam incurristi, deinde ab omnibus peccatis fuis conferendo tibi plenissimam omnium peecatorum tuorum remissionem remittendo tibi penas purgatorii in quantum claves sanete matris ecelesie se extendunt. In nomine patris et fili] et spiritus sancti amenn.
! Vgl, J. G. Franke, das Nonnenkloster der glückseligen Maria Magdalena zu Weida (Mitt. des Vereins f. vogtl. Gesch. 1920) S. 23.
Aus dem Briefarchiv des Justus Menius. Von Walter Friedensburg. I. 16 Briefe Veit Dietrichs an Menius (1552 — 1548).
Die Hs. Cod. boruss. 201 fol. (Cod. Seidel) der Berliner Staatsbibliothek enthält neben sonstigen Briefen des 16. Jahr- hunderts eine größere Anzahl von Originalschreiben Ver- schiedener an Justus Menius, darunter auch die nachfolgend mitgeteilten Veit Dietrichs. Aus ihrer Zahl hat Th. Kolde in seinen Analecta Lutherana (Gotha 1883) drei mitgeteilt (s. u. Nrr. 1, 3, 5); die übrigen sind meines Wissens noch ungedruckt.
Bekanntlich wirkte Justus Menius, geboren in Fulda 1499, seit 1529 als Prediger in Eisenach. Im Jahre 1532 scheint er Wittenberg besucht zu haben!) Hier traf er unter anderen auch Veit Dietrich an, der, 1506 in Nürnberg ge- boren, als Student der Leukorea in ein näheres Verhältnis zu Luther getreten war, dem er längere Jahre hindurch in der Eigenschaft eines Privatsekretärs diente. Auch während der Koburger Zeit 1530 war Dietrich um den Reformator. Die zwei Jahre später in Wittenberg erfolgte nähere Be- kanntschaft zwischen Menius und Dietrich führte alsbald zu einem, von Dietrich durch den Brief Nr. I. eingeleiteten?), bis in die letzte Lebenszeit des Nämlichen fortgesetzten Brief- wechsel. Auch daß Dietrich 1536 von Wittenberg in seine Vaterstadt zurückkehrte, wo er als Prediger zu St. Sebald wirkte), unterbrach den Briefwechsel mit dem Freunde in "Thüringen nicht. Leider sind es nur geringe Bruchstücke dieses Gedankenaustausches, die sich a. a. O. erhalten haben; vor allem fehlen sämtliche Gegenschreiben des Menius. Manches Stück inag noch in irgendwelcher Bibliothek oder Handschriften- sammlung“ der Auferstehung harren; vielleicht veranlaßt diese
D) S. u Nr. II,
2) Kolde a. a. O. S. 181f.: ignosce temeritati meae, qui primus humanitati tuae meo scripto volui molestus esse.
3) Menius seinerseits verließ Eisenach 1546, um als Nachfolger des Myconius als Superintendent nach Gotha zu übersiedeln.
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kleine Veröffentlichung andere Forscher, etwaige Spuren er- gänzenden Materials weiter zu verfolgen.
Den Inhalt unserer Briefe bilden Nachrichten persön- lieher Art oder aus der näheren Umgebung des Schreibers; auch ergeht sich der Briefwechsel über die kirchlichen und politischen Ereignisse und Zustände und die allgemeine Zeit- lage. Einen breiten Raum nehmen endlich Mitteilungen und Erörterungen über den Dienst am Evangelium und die praktische und literarische Wirksamkeit ein.
Die der Erklärung bedürftigen Anspielungen und Hin- weise der Briefe habe ich, so weit es die mir zugängliche Literatur ermöglichte, aufzuhellen mich bemüht; bei der Lückenhaftigkeit des Materials muß jedoch manches wohl unaufgeklürt bleiben. Auch die Handschrift Dietrichs (s. die Probe bei Mentz, Hss. der Reformationszeit, Bonn A. Marcus a. E. Weber 1912, Tafel 1623) gibt zuweilen Rätsel auf.
I. 1532 August 31 Wittenberg.
Sendet einen Brief Luthers !). Literarische Bekämpfung Georg Witzels durch Menius und Jonas?). Literarisches aus Wittenberg. Wohlbefinden Luthers und der Seinigen.
Cod. 201 Nr. 17. — Gedruckt Kolde, Analecta Luthe- rana (Gotha 1883) S. 181f. — (Statt virum, S. 181 Z. 6 v. u, l. vicinum; Witzel lebte damals in Vacha).
11. [1532]?) Oktober 25 Wittenberg.
Menius schwere Erkrankung: Freude über seine Wiederherstellung. Die im Druck befindlichen Summarien. Menius Dank für den Lutherbrief. Bitte um Zusendung eines Briefes Luthers aus der Veste Coburg über die Taufe eines Juden. Die Commentarien Melanchthons. Die Bibelübersetzung (der ,Prediger Salomonis*).
1) Ohne nähere Angaben ist kaum festzustellen, um welchen Brief es sich handelt.
?) Ueber die Polemik zwischen Jonas und Witzel s. Kolde a. a. O. S. 181 Anm. 3 und 185 Anm. 2 und 3.
3) Der Brief fällt augenscheinlich zwischen Nr. 1 TP Asi: knüpfung des Briefwechsels durch Dietrich) und Nr. 3, worin Dietrich auf die Danksagung des Menius für einen eben von D. übersandten Lutherbrief zurückkommt; zweifellos ist der Brief gemeint, den D, seiner Nr. 1 beilegte. Gleichzeitig dankt wiederum (in Nr. 3) Dietrich dem Menius für Uebersendung eines Briefes, nämlich des in diesem Schreiben (Nr. 2) erbetenen Lutherbriefes de Judeo baptizando. Daraus bestimmt sich die fehlende Jahreszahl auf 1532,
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII, 3/4. 13
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Salutem in Christo. quemadmodum omnibus nobis, qui iui síudiosi ac amautes sumus, maximum dolorem fama de perieuloso morbo, quo implieitus fuisti, attulit, ita nune, cum restitutam valetudinem primo nuncius, post litere tue, testes magis fidedigni, nuneiarent, incredibili gaudio sumus affecti. ego igitur quamquam nullum hoc tempore te dignum argu- mentum occurreret, gratulari saltem tanti periculi evasionem tibi volui et testari me non minus tuo diserimine, quam si meum fuisseí, commotum esse. quod cum ita feliciter dis- missum sit, non possum non hunc animi mei affectum signi- ficare et una tecum ob restitutam valetudinem gaudere. porro de libris ita ut mandasti diligenter curatum est. ita enim Lufftus mihi retulit, Summariorum partem te jam ante habere divinamus. interim autem baud seio an quaternio accesserit., quare si quantum excusum est, habere voles, significabis quot quaterniones habeas!) de libello in Wezelium doctori indieavi. is ut te ad absolvendum ceptum opus hortarer jussit; promittit enim sibi nescio quid majoris diligentiae quam a D. Jona, homine et eloquentissimo et diligentissimo, prestitum est. de epistola Lutheri transmissa non opus erat tam accurata et ambiciosa graciarum actione. ut autem intelligas quam libenter eo in genere officiorum tibi gratificari velim, vicissim abs te, quamquam fortasse impudenter facio, peto ut literas, quas doctor Coburgi ad quendam paroehum apud vos in vicinia de Judeo bapti- sando seripsit?), mittas. nomen loei excidit, ubi habitet. existino tamen et hominem et causam tibi notam esse. apud nos nihil novi est. dominum Philippum credo in aliquibus loeis commentarios suos, quos ob nundinas Lypsienses properare coactus fuit, locuplecius instructurum esse. D. Lutherus cum D. Philippo et Crucigero laborat in Ecclesiastico vertendo, qui liber mirum quantum negocii eis faciat. bene vale cum ecclesia tua et dome- sticis tuis,
Wittenb. 25. octobris. T. b. dd. Vitus Diethrich.
ni
1) Vgl. hierzu den undatierten Brief des Menius an Luther, in dem er diesen zur Vollendung der Summarien zu den Psalmen be- glückwünscht: Kolde, Analecta S. 183, von dem Herausgeber in den. Anfang d. J. 1533 verlegt. — Ueber Luthers Summarien zu den Psalmen. vgl. Köstlin-Kawerau, Luther II5 S. 265. |
2) Gemeint ist der bekannte Brief Luthers vom 9. Juli 1530 an . den Pfarrer zu Ichtershausen in Thüringen, Heinrich Gnesius, über die Taufe eines Judenmüdchens (Enders VIII Nr. 1904).
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Salutant te omnes nostri, imprimis M. Crucigerus. Venerabili in Christo viro domino Justo Menio, ecclesiae Isenacensis pastori fideliss., domino et amico suo.
Codex Nr. 15.
III. 1533 Mürz 23 Wittenberg.
Luthers Befinden. Dank für einen Brief. Abwehr der Angriffe Witzels!) Codex Nr. 23. — Gedruckt Kolde Analecta Lutherana S. 184f.
IV. 1535 September 24 Jena.
Empfiehlt ihm für die zweite Lehrerstelle an der Eisenacher Schule Moritz Waldheim. Bevorstehende Reise. Der Kurfürst in Jena.
Salutem. Memini, vir optime, te mecum agere de quo- dam vestre schole hypodidascalo?). quia autem excidit, cujus- modi eum esse velles, an mediocrem primarum arcium cogni- torem aut supra aliquid requireretis, existimavi non ingratum tibi fore, si de adolescente quodam bono et mediocriter in primis artibus versato tibi significarem. quia enim is a quibusdam fuorum civium liberis admonitus a me hoc requi- sivit, gessi eo libeneius ei morem, quod ad annos duos me preceptore sit usus. quod ad mores attinet, certo promittere possum facile eum tibi satisfacturum. in scholasticis autem operis facile, eciamsi quid desiderares, diligencia ef assidui- fate supplere poterit. est autem satis bonus musieus et magnam optimarum concionum habet copiam. quare eo quoque nomine tibi graeiorem fore puto. nomen est Mauricio Waltheim?). si igitur facere periculum de ejus diligencia voles, significabis per d. Conradum Lagum®). ego proximo die veneris ingressurus sum iter. dominus fortunet, ut et ad suam gloriam et reipublieae utilitatem profectio ista cedat. amen.
1) Die Schrift des Menius gegen Witzel, deren Dietrich hier (und in Nr. 2) gedenkt, ohne sie gesehen zu haben, ist nicht bekannt.
?) D. i. zweiter Lehrer.
3) Nach Förstemann, Album acad. Witt. I S. 148b Nr. 85 wurde Moritz Waldheym im Wintersemester 1531/82 in Wittenberg immatri- kuliert; seine Heimat ist nicht angegeben.
4) Ueber Konrad Lagus, Magister in der Artistenfakultät zu Wittenberg, s. meine Geschichte der Universität Wittenberg (Halle 1917) S. 208 f.
13*
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Vale in Christo feliciter et memineris mei in tuis precibus, ego paria facturus sum. Jhene 24 septemb. 1535. heri vesperi huc venit princeps.
Tuus totus Vitus Diethrich Norib.
Venerabili in Christo viro
D Justo Menio evangelii
ministro et pastori Isenacensi; suo charissimo et amico singulari.
Codex Nr. 18.
V. 1538 Oktober 30 Nürnberg.
Ueber die ihm aus der Herausgabe von Luthers Summarien zu den Propheten erwachsenen Schwierig- keiten und Anfechtungen. Will sich fortan nur noch mit Sprachen und Philosophie beschäftigen. Kriegerische Bewegung in Nürnberg aus Anlaß der Unbilden des Markgrafen Albrecht von Kulmbach.
Codex Nr. 24. — Gedruckt Kolde Analecta Luthe- rana S. 331f.
VI. 1539 September 30 Nürnberg.
Die Herausgabe von Luthers Annotationen zu den Propheten. Wiederaufnahme der Herausgabe der psalmi graduum durch Dietrich. Menius' Enarratio in Samuelis librum priorem. Bitte um Zusendung unedierter Schriften des M.
Salutem. Cum Georgius Creutzeburgen. ad te rediret, ita eram occupatus, mi Moeni, ut nihil ad te possem scribere. nam eum Osiandro et Vinceslao!) ruri fueram et cum sub multam noctem rediissem domum, mane, quando veniebat Georgius jam jam abiturus, concionandum mihi erat, feci itaque quod tum potui, ut sine literis annotationes nostri patris in prophetas ad te mitterem. de iis quid consili ceperis nescio; quod si tuo labore putas eeclesie edendas, eonsilium non improbo ae te eciam ad id hortor. quid ego secutus fere sim, vestigia primi numeri ostendunt. te optarim integrum laborem sumere; quia autem tres illi quos edidi?) depravatissime sunt excusi, libenter eos reeognoseam, ut con- jungantur omnes. ego nune hortatibus tuis, mi Moeni, et
1) Andreas Osiander und Wenzeslaus Link wirkten, jener seit 1522, dieser seit 1525 zu Nürnberg im geistlichen Amt,
2) Die Enarratio D. M, L. in tres prophetas Johelem, Amos et Abdiam wurde 1536 von Dietrich herausgegeben.
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aliorum excitatus sum in edendis psalmis graduum!). quod si non aliquid interveniet incommodi, fortasse sub paschatis nundinas?) prodibunt. nam tercia tantum operis pars restat. non existimo me posse plus facere quam si bona fide Lutheri enarrationes vulgem. nuper admodum legi tua in Samuelis librum eommentariola?) mi Moeni, eur non absolvis totam regum historiam? si quid habes praeter id quod edidisti et iamen edere non voles, quaeso mitte ad me, sicut ego istum propheíam ad te. bene vale in Christo, qui te servet diu incolumem.
Date Noribergae postridie Micielis 1539.
Vitus tuus. Venerabili in Christo ob pietatem et doctri- nam viro D. Justo Menio, suo amieo observando,
Codex Nr. 26.
VII. 1540 Januar 8 [Nürnberg].
Ein von Myeonius nicht übergebener Brief. Die Arbeit an den Propheten. Rupert von Mosheim. Der Kaiser im Begriff, in die Niederlande zu kommen. König Ferdinand und die Nürnberger; Dietrich wider jenen. Bitte, häufiger zu schreiben.
Salutem. si Myconius*) non reddidit literas, sane ex- postulabo eum eo: nam ne quid dubites, per affinem meum eas Lypsiam dedi ae certo scio Fridrico oblatas. de prophetis sic est, ut me longe plus tuis literis deterrueris ab hoc labore. si enim fu, ut scribis, tantum laborem suscipere non audes, quid ego faciam, cui preter reliqua ne etas quidem satis matura est his laboribus? itaque doleo nune quod repetivi chartas. nam etsi aliquid me facturum non plane recuso, famen nihil possum promittere melius quam tres antea editi prophete habent. in quibus eciamsi typographi opera merito reprehenditur, tamen satis scio quid ego prestare possum. eum ineruditum, negligentem et obmissum laborem si fu
!) Die sog. Stufenpsalmen (Luther: „Psalmen im höheren Chor“) d. i, Ps. 120—184, — Dietrichs Ausgabe erschien 1540.
2) Im Jahre 1540 fiel das Osterfest auf den 28, März.
5) In Samuelis librum priorem enarratio Justo Menio auctore, gedruckt Wittenberg, 1532.
4) Friedrich Myconius (Mecum), 1491—1546, seit 1524 Prediger und Superintendent in Gotha.
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probas, mi Meni, non recuso. sed mihi nunquam hoe pro- baveris, te non idem multis modis posse melius. de hoc respondebis!
De monstro Patavino!) sie est: clam se subduxit, venit ad Palatinum. is non paulo quam nostri egit sapienoeius; ablegavit enim hominem ad Moguntinum, se dictitans senem et sacrarum rerum imperitum. in aula Moguntini primo sane in admiratione fuit atque id eo modo callide effecit: sicut apud nos primum in papatum invectus est, ita apud ipsum primo in Lutheranos exquisitissimis conviciis paravit sibi auditores; sed cum postea papistiea quoque reprehenderit, explosus est. nune est apud Coloniensem. respondimus ei ae refutavimus somnia ejus?) sed accusat nos impios sacrilegos et nihil non eonvieiorum in nos evomit.
De Cesare certo affirmant eum brevi in Belgico futurum. occurret ei rex Romanorum?) is a nostris sperat viaticum. adornantur hie multa ad pompam, qua tanquam rex Roma- norum excipietur. ego nunc bis a senatu ideo compellatus sum, quod perstrinxerim eum publiee tanquam persecutorem evangelii, speciem habet quod rex est, sed coetera displicent. mei enim nimium videntur eum amare. sed dominus faciat, ne plus ament homines quam deum, sieut promittunt multi boni viri quaeque*) malorum majorum copia. hec breviter respondere tibi volui. te oro, quoniam sepe per literas possumus colloqui, ut id facias per ocium crebrius. bene in Christo vale. die veneris post Epiphanie 1540. Man wurdt dem konig) ein fassnacht halten, sicut quidam divinant.
Vitus tuus. Codex Nr. 19.
1) D. i. der Passauer Domdechant Rupert von Mosheim (1493 bis 1543), der, wegen heretodoxer Schriften seit 1539 aus’ Passau flüchtig, zuerst nach Nürnberg gegangen war und mit den dortigen Theologen disputiert hatte, dann die rheinischen Kurfürsten für sich zu gewinnen suchte, Schließlich wollte jedoch niemand etwas von seinen phantastischen, angeblich auf die Versöhnung zwischen den Konfessionen abzweckenden Ansichten etwas wissen und Rupert endete sein Leben in der Gefangenschaft des Kurfürsten von Mainz.
2) In der Epistola theologorum Norimbergensium ad D. Rup. a Mosheim, erschienen November 1539.
3) In Dendermonde bei Brüssel begegneten einander die Brüder gegen Ende Februar 1540: Nuntiaturberichte aus Deutschland 1. Abt. Bd, V. S. 96,
4) So? (zweimal die übliche Sigle für quae).
5) So?
39 199 VIII. 1540 November 24 Nürnberg.
Menius Abwesenheit von Hause. Sein Epigramm. Tod des Budaeus und des Eoban Hessus; Wertschätzung der Loci communes Melanchthons durch den ersteren. Dietrich beschäftigt sich mit dem Propheten Micha und der Genesis. Sein Brief an Melanchthon über seine Familie. Ein in Paris aufgeführtes Schauspiel de ecclesia, Grüße.
Salutem in Christo. gaudeo, optime mi Juste, quod sanus et incolumis in tanto doctissimorum hominum numero nune vivis!). etsi enim ab ecclesia et domo tua fortasse non sine molestia abes, tamen Philippus et reliqui facile hoc incommodum aut mitigant aut tollunt suis eruditis et suavibus colloquiis. cum voluptate legi epigramma tuum ad collegas vestros. itaque existimavi gratiam aliquam bisce literis reddendam esse.
Nova apud nos non multa sunt, de Budei morte novisti?). is testamento hoe sanxit, ut noctu funeraretur sine illa super- sticiosa ratione, quae in divitum funeribus habetur. sed amici ob metum regis id non sunt ausi. ajunt eum in morbo semper habuisse ad manus Locos communes Philippi nostri ac sepius dixisse, in tota bibliotheca sua nee meliorem nec eariorem librum se habere. profecto insignia literarum lumina amisimus in Eobano nostro et Budeo. itaque magno studio peto, ut dominus vos longius nobis servet.
Memini te petere editionem prophetarum minorum. itaque ne nune nihil agerem, Micham in manus sumpsi, quanquam eciam noster Georgius?) cum Genesi satis me exercet, seripsi proxime Philippo de familia mea. itaque eam quoque tuis precibus commendo. bene et feciliter vale in Christo. datae Norib. 24 novembris 1540.
Missum est hie argumentum scenici ludi habiti Parisiis de ecclesia. te quaeso interroga Bucerum aut Sturmium, quomodo hie ludus sit habitus et significa. saluta amanter
1) Menius weilte als einer der kursüchsischen Verordneten (neben Melanchthon und Cruciger in Worms auf dem Religionsgespräch, Auch die weiterhin im Briefe genannten Staatsmünner und Theologen waren als Teilnehmer des Religionsgesprüchs in Worms.
2) Guillaume Budé, geboren in Paris 1467, 7 22. August 1540 als Bibliothekar des Königs, unter dem Verdacht des Calvinismus, den später Witwe und Söhne bekannten. — Eoban Hessus starb in Marburg am 6. Oktober 1540.
3) Georg Rörer.
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Crucigerum, Franciscum cancell. et Chilianum'), dominos et amicos meos observandos. Christus te et totum ecelesie vestre servet et defendat. amen.
Vitus tuus.
Optimo et doctiss. viro
D. Justo Menio
evangelii Christi diligenti et fideli preconi, suo amico et fratri observando.
Codex Nr. 25.
IX. 1543 März 29 [Nürnberg].
Das Wirken des Menius in Mühlhausen. Unbefrie- digende Gestaltung der Dinge in Nürnberg auf dem Reichstage. Eberhard von der Thann. Der Rat ver- hindert den katholischen Kultus der Fremden. Grüße an Hieronymus Wolff.
Salutem in domino, gaudeo, mi Meni, gratum fuisse officium meum ac precor, dum domo abes?) ut ecelesia, quam Christo plantas, rite sumat incrementa per tuam fidelem operam. apud nos?) de republiea nihil deliberatum, sed ea negligitur strenue et interim aguntur alia. adversarii occa- sionem belli a Juliacensi*) oblatam nolunt negligere. et nostri impediuntur, quominus contra Turcam possint conferre vires. ita perit discordiis patria et vere regnum in se divisum desolafur?) itaque commendamus tanto majore studio ecele- siam Christo, cujus resurrectio uf eeiam hae in parte con- spiei possit, admodum his temporibus necessarium est.
Domino Eberarto?) familiariter utor ae non possum non probare virtutem. ego hie non careo periculis, sicut olim ex eo audies, quod libere Satane regnum oppugno. nam
1) Franz Burkhard, kurfürstlicher Kanzler, und Kilian Goltstein, Dozent in der juristischen Fakultät, auch Mitglied des Hofgerichts und des Konsistoriums zu Wittenberg.
2) Menius war von 1542—1544 in Mühlhausen in Th. mit der Durchführung der Reformation der Stadt und ihres Gebiets beschüftigt.
3) In Nürnberg tagte damals, unter dem Vorsitz König Ferdinands, ein Reichstag.
1) Herzog Wilhelm von Cleve.
5) Ev, Luc, 11 V. 17.
?) Eberhart von der Thann (1495—1574), kurfürstlich-sächsischer Rat und Amtmann, gehórte der Reichstagsgesandtschaft Kurfürst Johann Friedrichs, der selbst dem Reichstag fernblieb, an.
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rex ceremoniis suis publice in arce utitur. tentarunt idem Granvela et Augustanus episcopus!), sed senatus serio id eavit. itaque propter liberam eonfessionem ego eos et laudo et amo impensius. nam quod rex facit, facit in sua domo, nam arx immediate Cesaris est.
Queso te, mi Moeni, saluta doctissimum juvenem Hiero- nymum Wolfium?, quem ita tibi commendo, ut in me collatum putem quod in ipsum contuleris. doctus est preclare et est timens dei et excellenti modestia preditus. invidit eum mihi fortuna, alioquin Mulhusii non esset?) bene et feliciter vale. datae donnerstag post Pascha 1543.
Vitus tuus. Excellenti eruditione et pietate viro domino Justo Menio evangelii doetori Mulhusii, domino et fratri suo observando.
Codex Nr. 22.
X. [1543]*) Dezember 16 Nürnberg.
Ruhe im Lande. Der Kaiser. Der nächste Reichs- tag. Die Türken in Ungarn. Podagra Dietrichs. Seine Arbeiten an den conciones domesticae Luthers, der Genesis und den kleinen Propheten. Hieronymus Wolff.
Salutem in Christo. Cui proximas tuas ad me dedisti, amicissime Meni, se nobis, cum ad vos rediret, non indicavit. itaque spero te et Wolfium nostrum me eulpa liberaturum, quod nullas receperitis, iía autem nune sunt, quod ad novos rumores attinet, omnia tranquilla, ut nihil vobis significare possim. Cesar nihil aliud fecit hac estate quam ut sua defenderet, hosti?) prorsus nihil nocuit. Camera-
1) Otto von Truchseß, seit 1543 Nachfolger Christofs von Stadion auf dem Augsburger Bischofsstuhle, 1544 Kardinal der römischen Kirche. |
2) „doctiss. — Wolfium“ von Dietrich unterstrichen.
5) Ein Hieronymus Wolff aus Oettingen wurde im Sommersemester 1588 in Wittenberg immatrikuliert. Förstemann Alb. I S. 169 b, 19. Ueber ihn vgl. auch die folgenden Stücke.
1) Daß der Brief, dem die Jahreszahl fehlt, in das Jahr 1543 gehürt, zeigt der Inhalt ohne weiteres.
5) D. i. Kónig Franz von Frankreich; des siegreichen Feldzuges Karls gegen den Herzog von Cleve, dem er das Herzogtum Geldern abnahm, gedenkt Dietrich als eines allgemein bekannten Ereignisses nicht ausdrücklich.
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censis episeopus!) quod Gallum commeatu adjuverat, magna pecunie vi a Cesare est multatus, retinet tamen epis- copatum. de comiciis silencium altissimum est, ideo ut de loco quoque dubitetur. nam Speirae pestilitas dieitur minari advenis?) apud Pannonios post occupata prae- sidia et urbes aliquas Turce quiescunt. habes paucis, optime Meni, quae nune?) feruntur. de me si scire optas, satis omnia sunt commoda, nisi quod pedum dolores indies redeant aeriores. itaque non raro intereipiuntur studia mea, que ad ecelesie utilitatem libens conferrem. congessi hoc anno in unum volumen domesticas Lutheri conciones, quas ego quidem excepit). et videbam?) hisce nundinis partem Genesis, quam ut absolvam ipse Lutherus me hortatus est. itaque etsi ingens labor sit, tamen eum propter ecclesiam exhauriam, si volet dominus, Oseam quoque nune in manibus habeo et absolvi pene ae perrec- - turus eciam ad sequentes prophetas; sed Genesis impediet me. fu, mi Meni, Christum pro me ef familia mea ora; nam non levia indicia sunt pestilitatis erudelius grassaturae. Hieronymum meum amanter salutabis, commendo tibi eum quam possum diligentissime. nondum abjeci spem retrahendi eum ad nos; nam eum jam pedagogo in hospitali liberalius solvatur stipendium, ea condieione optime apud nos esse posset. bene vale in Christo. datae Norib. 16 decemb. Vitus tuus.
Mitto tibi meum scriptam contra Ingolstadienses sub
alieno nomine editum.
Venerabili in Christo viro D. Justo Menio, eeclesiae Molhusiensis fidelissimo doctori, domino et fratri suo obser.
In seinem abwesen M. Hieronymo Wolff in Molhusen sehulmeister.
Codex Nr. 16.
XI. 1544 Mai 1 Nürnberg.
Ist im Begriff sich nach Wildbad zu begeben. Die Angelegenheit des Hieronymus Wolff. Vom Reichstage. Selbstsucht der Fürsten.
pr
1) Robert de Croy 1519—1556.
2 Der Reichstag fand in den ersten Monaten d. J. 1544 in Speier statt.
5$ So? ,
4^) Die sog. Hauspredigten Luthers wurden von Dietrich 1544 nach seinen Nachschriften herausgegeben. Köstlin-Kawerau, Luther II, 8.284.
5) So?
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Salutem in Christo. carissime Meni. responsurus eram ulterius et tibi et Hieronymo nostro; sed nune comparo me ad longinquum iter in thermas Neronias, que a feris nomen habent!), ac, quod faustum ac felix sit, cras hine movebo, itaque Hieronymi negocium, ut certi aliquid responderem. expedire non vaeavit et abest quoque Hieronymus Baum- gartnerus, eujus opera in hae re mihi opus erit, si eam, ut volo, perficere cupio?) quod ad vietum attinet, laute tracta- bitur Hieronymus et, ut spero, conficiam praeter mensam et alia, quibus domi opus est, aureos quadringentos. quod veretur puerorum, ut ad me seribit, pertinaciam et malieiam, non solum nos medebimur ei malo, sed migrarunt qui tales fuerunt, et cepta nune est acrior disciplina., quod pretexit de tradendis preceptis, eciam cum risu legi; nota enim mihi ejus non tantum verecundia et pudor, sed eeiam pusillanimitas est. ego de tota ratione ejus collegii instituendi mutanda eum affine cogitabo, quem habebit non tantum gubernatorem, sed et zragaorárqv.
De comieiis nihil novi nisi quod imperabitur tributum, sicut ante annum, contra Turcam et Gallum. dominus excitet virum, qui serio de republiea cogitet. principum avaricia et luxus non ipsos solum, sed totum imperium per- det ac habent adjumento licenciam, que in rebus publicis est et, ut summatim dicam, singuli eonferunt ad eam rem suam symbulum?).
Precor tibi omnia felicissima, mi Moeni, ut dominus te ef familiam tuam servet. pro me precator, ut therme sint salu- tares et dominus me defendat in omnibus periculis. Hierony- mum meum amanter cupio salutari. scribere ei non potui in tot oeeupationibus. date Norib. Philippi et Jacobi 1544.
Vitus tuus.
Vero pio fideli et erudito antistiti ecclesiarum Christi D. Justo Menio, nune docenti Christum Molhusii, suo majori. Mulhausen.
Codex Nr. 27.
‘) Wildbad im Schwarzwald.
?) In dem von O. Albrecht und P. Flemming aus dem sog, Manuseriptum Thomasianum veröffentlichten Briefwechsel Dietrichs mit Hieronymus Baumgartner (Archiv Bd. XII und XIII) wird Hieronymus Wolff nicht erwähnt.
3) So?
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XII. 1544 Dezember 11 Nürnberg.
Versorgung Wolffs in Nürnberg. Keine Zunahme der Pest. Reichstag in Aussicht. Die protestantischen Fürsten und Nürnberg. Dietrich erläutert den 2. Psalm auf Grund der Vorlesung Luthers. Arbeit an der Genesis. Körperliche Leiden. Geburt eines Sohnes.
Salutem in domino. puto Lyeium apud nos esse et cum sua voluptate et multorum commodo. sed ipse de suo judicio ad te seribet, mi Moeni, de quo etsi mihi non constat, tamen quid ego existimem et quid mihi significaverit, referre volui. hoe omnino verum est, genus vite esse quiecius multo quam si in schola esset. nam quatuordecim tantum sunt quibus preest et adoleverunt hi in literis, adeo ut eciam exercicium non molestum, sed utile sit.
Apud nos dei gracia satis bono loeo sunt omnia. nam pestis nihilo cepit post autumni tempus sevire magis quam antea. comicia nune in spe sunt!) ibi, audio, eciam vestri optimi viri captivi?) Hieronymi negocium íractabitur. quod vestri principes, quia nos foedere cum eis juncti non sumus, íam putant ad se non pertinere ae si Turee essemus, quasi non conjuncti religionis vinculo. id cur scribam, mi Moeni, scio; sed nobis licet queri de ipsis?) emendari in tanta perversitate et corruptela morum non possunt.
Te eupio reete valere ac gratum feceris, si ostenderis quid nune mediteris aut scribas; nam ociosum te esse non credo, ego sub hoe tempus sumpsi deseribendum et enar- randum eeclesiae nostrae seeundum psalmum, sieut eum Lutherus legit publice in schola. post ad 13. caput Genesis redibo. nam eum laborem ut absolvam, tota ecelesia me monet et movet. deus suppetat vires et arceat podagram, quae eciam manibus insultatur. in ea re tu quoque me precibus apud deum adjuves. bene vale in domino cum tua domo. superate*) septena dominus auxit familiam meam filiolo. datae Norib. 11 decembr. 1544.
Vitus tuus. Optimo et doctissimo viro D. Justo Menio Isenacensis ecclesiae pastori fideli, suo in domino fratri.
Codex Nr. 28.
1) Ein neuer Reichstag war nach Worms berufen worden (ver- gleiche auch Nr. 13). 2) So? 3) So? 5) So?
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XIII. 1545 September 22 Nürnberg.
Besorgung von Musikliteratur im Auftrage des Menius. Die Seuche in Nürnberg hält sich in mäßigen Grenzen. Genesis- und Prophetenstudien. Der Reichstagsbeschluß. Der Kaiser und der Anschluß der Stadt Donauwörth an das Evangelium. Die literarische Tätigkeit Johannes Funeks. Gruß an Myconius.
Salutem in domino. cum íue litere afferrentur, Hierony- mus in patriam migrarat. veritus igitur, ne rediret tardius et, que tu seripseras, non conficerentur, tum ipsius tum tua iretus, mi earissime Moeni, familiaritate resignavi epistolam ac postea emi musicos libellos. extant alii quoque a Petreio !) editi (misse, item germanice conciones); sed cum pecunia non sufficeret, pro duobus joachimieis hosce delegi. graciam tibi habeo, quod video de salute te nostra solicitum credo autem sermonibus nuneiari atrociora quam res est. nisi enim in- valescet malum, prorsus tolerabile est; nam hoe toto tempore, quo contagium serpere animadvertimus, uno die non plus quatuor aut quinque hominibus periit. id autem in tam frequenti loco perexiguum est. dominus porro quoque nos servet ae tueatur. quod horteris ad Abrahe historiam pertexen- dam, etsi gravior is labor est quam quisquam estimat, tamen, si dominus vitam et vires dabit, gratificabor ecclesiis. nune Joélem in manibus habeo, conveniens enim argumentum est his perturbatis temporibus. de comiciis supervacaneum est scribere, postquam decretum Wormaciense editum ?). et fortasse Mazencius turbabit aliquid, connivente imo favente Carolo, qui duriter expostalavit cum Werdensibus ob mutatam religionem *). nuncius ejus negocii fuit cardinalis Augustanus episcopus. noster senatus, consultus ab eis, etiam a me, postulavit eos ut consolarer, id quod feci quantum dominus dedit.
Etsi de Funeio seribet Hieronymus, tamen existimavi de mea sentencia quoque tibi significandum, hoc opus, quod edidit, vere ipsius esse et non Osiandri, eum quo communi- cavit quedam, sed diligeneiore inquisitione (huie enim uni rei vacavit jam multis annis) invenit cereiora multa. nune pertexit historiarum annotationes usque ad nostra tempora,
1) Johannes Petrejus, einer der angesehensten Nürnberger Drucker der Zeit, der such Musikalien druckte (+ 1550).
?) Der Abschied des Wormser Reichstags trägt das Datum des 7, August 1545.
*) Die Reichsstadt Donauwörth wurde kurz darauf in den Schmalkaldischen Bund der Evangelischen aufgenommen, nämlich auf dem Frankfurter Bundestage (Dezb, 1545 bis Febr. 1546.)
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idque ut Apocalypsin, quod sibi pollicetur, aperiat!) bene in domino vale, mi suavissime Meni, cum tuis omnibus. date Noribergae postridie Mathei 1545. ad Myconium cum seribes, salutabis eum reverenter de me.
Vitus tuus. Venerabili in Christo viro mE D. Justo Menio ecclesie Isnacensis pastori fidelissimo, domino et amieo suo observ.
Codex Nr. 30.
XIV. 1546 Dezember 13 ohne Ort.
Ein Sohn Dietrichs geboren. Arbeiten an den Psalmen und der Genesis. Podagraleiden. Hieronymus Wolf.
Salutem in domino. spero tibi nostras redditas, mi suavissime Moeni. nune eum tam anxie cupias seire de nostra salute, saltem ideo volui scribere, ut tibi et tuis preearer faustum ef felicem annum. de peste nune silencium, pene exulat jam. mihi autem auxit deus domum donato filio, qui tanto mihi est earus in quanto cerciore periculo mater fuit?) ^ deo sit laus et gloria. nunc secundum psalmum pene absolvi. postea ad Abrahamum me conferam, quem jam ex Aegypto eum Sara sua ineolumem ef reete defensum a domino reduxi ad Chananitas. interim?) orato pro mea valetudine, que quotidie mihi minatur lectum, adeo pedes prorsus nihil valent. bene vale in domino, optime Meni, eum tuis. Hieronymum puto seripturum. valetudo ejus quoque satis afflicta est.
Datae 23 decemb. 1545. Vitus tuus.
Dem erwirdigen herrn
Justo Menio zu Eisenach
pfarherrn, meinem sonder
lieben herrn und bruder zu handen.
Codex Nr. 21.
1) Funck, damals noch Pastor in Wöhrd bei Nürnberg, gab 1545 den ersten Teil einer Chronologia ab orbe condita (bis 1545) und 1546 das sog. Chronicon Carionis, das zuerst Melanchthon veröffentlicht batte, mit einer Fortsetzung heraus (vgl. unten Nr. 15).
2?) Dietrich hatte sich im Anfang seiner Nürnberger Wirksamkeit mit Kunigunde Leysin, einer Nürnbergerin, vermählt, die ihm fünf Kinder gebar.
5) So?
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XV, 1547 Juni 28 Nürnberg.
Die Lage. Standhaftigkeit des gefangenen Johann Friedrich. Dietrich vom Amt suspendiert; Gründe, Seine Arbeit an der Genesis. Funcks Chronicon; ist vom Magistrat abgesetzt, sucht ein Unterkommen. Osiander. Hieronymus Wolff. Bugenhagens Schwiegersohn aus der Gefangenschaft befreit.
Salutem in domino. gracias ago filio dei, gubernatori ecclesiae, quod te et cives tuos servavit. nam reliqua que acciderunt, deplorari possunt, corrigi non possunt ac judica- mus omnes, aliam tocius negocii futuram catastrophen quam nune apparet. imprimis autem consolatur nos principis optimi!) constans et fortis animus, qui eöYvuogrog?) hane lortunae procellam in se motam hactenus tulit. de ecclesiae nostrae statu quod queris, aliquid turbatum est, mihi enim interdictum publieo nomine est, ne doceam amplius, dum senatus iterum jusserit. causa impositi silencii non simplex est. arripuerunt meum quoddam dictum, quasi reprehenderim ordinaria tributa. deinde accusatus sum a quodam regio consiliario, praefecto vallium, quod ipsum una cum rege notarim publice, reprehendens novas et inusitatas usuras, quas princeps in senatu exercet. cum igitur ille se rem ad regem delaturum minaretur, hoc putarunt nostri remedium, si me juberent facere. fero injuriam et eeclesiae causa dissimulo, quae facile irritaretur. sed graviter peccat mundus, tantum sibi sumens juris et potestatis contra ministerium, quod dei est. quis futurus finis sit, nescio. si volent prae- finire leges docenti, quantumvis manibus et pedibus laborans deseram hune locum.
Hodie cepi scribere inicium XVI. capitis in Genesin de Sara, Funcius, ut audio, absolvit chronicon, sed caret im- pressore, nam offieine librarie in nostris rebus publicis omnibus nunc sunt ociose, veretur enim magistratus periculum. eoeterum Funcius penitus a ministerio est amotus propter leviculam sane causam, quod metuens Hispanos aliquandiu hinc se subduxit clam senatu. si ei locus alicubi apud vos esse posset, eciam exiguam condicionem acciperet’). eruditus qualis sit, nosti et est bene facundus. vale felix
1) Jobann Friedrich von Sachsen.
2) Soviel als «224 os (guten Mutes).?
3) Wenige Monate später begab sich Funck, von Dietrich empfohlen, zu Herzog Albrecht von Preufen nach Künigsberg, wo er Ende Oktober 1547 eintraf, einer glünzenden, aber auf dem Biehtblock endenden Laufbahn entgegen.
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in domino cum tuis et zregi vo6 Äpxovrog aixuakwrov rescribe aliquando, si quid habes &à&5:04óyov. Datae Norib. pridie Petri et Pauli 1547. Osiandrum compellari jussi de responso; sed negavit se nune habere quid seribat.
Wolfius noster sue melancholie indulgens penitus nos deseruit. est nune in patria. eo mittam tuas literas. miser est et tamen non patitur sibi consuli.
[Am Rande.] Pomerani gener, eaptus ab Octavio pontificis nepote in vallibus Joachimieis, feliciter cum divina ope liberatus esí. | Tuus.
Dem erwirdigen
herrn Josten Menio
zu Gottha, meim sonder
lieben herrn und freunde zu eigen handen.
Codex Nr. 29.
XVI. [1548] August 16 Nürnberg.
Nürnberg widerstrebt dem Interim; die kirchlichen Neuerungen dorf halten sieh in engen Grenzen. In Augsburg ist alles papistiseh. Mißglückter Anschlag der Kaiserlichen auf Konstanz. Brenz’ Aufenthaltsort unbekannt.
Salutem in domino. adhue dei gratia retinemus veterem ecclesiae formam, quanquam non desunt qui assiduo solli- citent literis et mandatis ad impiam mutationem. audio autem nostrum senatum publice profiteri, quod non consen- serit in totum Interim. itaque nihil videntur facturi aliud quam ut plus festorum dierum instituant et quibusdam diebus macellum oceludant. quidam mussitant etiam de restituenda elevatione.
Augustae omnia sunt papistiea. relictum est civibus tantum unicum templum et audio conciones omnes inter- dietas, ne qua seilicet sit occasio dissensionum reliqua. Caesariani ex insidiis sexta Augusti conati sunt occupare Constantiam, sed conatus irritus fuit. dux ipsorum eum ducentis interfectus est, civium autem circiter centum occu- buerunt!) parum abfuit quin civitas caperetur. hoc ini- tium putatur belli novi si quid comperero, quod vos scire referat, signifieabo. Brentius ubi sit nes-
1) Zu dem Anschlag auf die Stadt Konstanz vgl. auch Nuntiatur- berichte aus Deutschland, 1. Abt. Bd, 11 S. 69f.
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cio!). benevale, doctissime et idem mihi charissime Meni, et ora pro me valetudinario ?).
Datae Noribergae 16 augusti. - Vitus tuus.
Reverendo in Christo viro D. Justo Menio eeclesiae Gotthorum doctori . . .
Codex Nr. 13a.
1) Brenz, durch den Umschwung infolge des Schmalkaldischen Krieges aus Schwäbischhall vertrieben, führte längere Zeit hindurch ein unstütes Flüchtlingsleben.
?) Dietrich erlangte seine Gesundheit nicht wieder völlig zurück. Er starb nach längerem Krankenlager schon am 25. März 1549, erst 43 jährig.
Archiv für Reformationsgeschichte, XXIL 58/4. 14
Die Reichsabtei Fulda am Vorabend
der Reformation. Von Paul Kalkofi.
Schon die Romantik hat über die Ritter- und Kloster- geschichte des ausgehenden Mittelalters einen verklürenden Schimmer gebreitet. Dann hat die katholische Geschicht- schreibung unter dem Vorgang Kampschultes und Janssens: sich planmäßig bemüht, für diese Zeit einen Aufschwung des kirchlichen Lebens, eine Blüte der Wissenschaft und Kunst, eine Hebung der allgemeinen Sittlichkeit, eine Befriedung des innern Lebens in Stadt und Land nachzuweisen als herrliche Früchte des herrschenden kirchlichen Systems, der Verbindung päpstlicher Allgewalt mit der Unfehlbarkeit der scholastischen Methode. Alles das ist durch das Auftreten Luthers mit seinem revolutionären Anhang von raubgierigen Fürsten und zügellosen Literaten jählings zerstört worden. Dabei werden die kirchlichen Einrichtungen und ihre Würden- träger nach einem bestimmten Schema gezeichnet, und, wo der quellenmäßige Befund zu diesem character indelebilis nicht stimmt, wird er mindestens mit Stillsehweigen über- gangen.
Auch die Geschichtschreibung des Hochstifts Fulda vor dem Jesuiten Chr. Brower!) und dem fürstlich fuldaischen Historiographen J. Fr. Schannat (gest. 1739) an bis auf den fleißigen Forscher und Herausgeber Fuldaer Geschichts- quellen G. Richter?) macht davon keine Ausnahme, zu- mal in der Darstellung der wildbewegten Regierung des Abtes Hartmann und seiner Persönlichkeit, für dessen. Tatendrang die durch ständische Rechte eingeengten Ver- hältnisse einer Reichsabtei offenbar zu eng waren. Man hat dabei schon die Angaben einer bereits von Brower gekannten Quellenschrift vorsichtig aus dem Spiele gelassen, die man
1) Fuldensium antiquitatum ll. IV. Antwerpen 1612.
2) „Ulrich v. Hatten und das Kloster Fulda“ in mehreren Heften der Fuldaer Geschichtsblütter. Ztschr. des F. Geschichtsvereins hrsg. von G. R. Bd. VIIf. Fulda 1908, In den zahlreichen späteren Veróffentlichungen des Vereins und dieses seines Leiters wurden Quellen für die Zeit Huttens nicht mehr mitgeteilt.
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jedoch eifrig benutzt hat, um die Legende von Hutten als dem „entlaufenen Mönche“ zu bekräftigen. Denn da dieser sich darauf beruft, daß man ihm keinen Propst oder Dechanten nennen könne, unter dem er ProfeB getan haben solle, so verweist man auf die Chronik des Apollo von Vilbel, der diese Würden in Fulda bekleidet habe und bei der Er- wühnung von Huttens Tode sein Münchtum bezeuge !) Aber dieser aus der Wetterau stammende Prälat ist erst seit 1508 in Fulda nachweisbar, wo Hutten nur von 1499 bis 1505 weilte, und gehörte wohl vorher dem Kloster Limburg an, wo er 1536 als dessen Abt verstarb. Er ist also keineswegs ein „Zeuge“, wie ihn Hutten fordert, und schrieb seine Er- innerungen erst 1531 nieder, darunter auch, was er von Huttens Gegnern gehört hatte?) Sein angebliches Zeugnis wird aber bei genauerem Zusehen noch dadurch entkräftet, daß für ihn und seinesgleichen das Wort „monachus Fuldensis“ nicht den schlichten Benediktinermönch, den bürgerlichen Konventualen bedeutet, sondern den adligen Inhaber der reich ausgestatteten Dignitäten und besonders der stattlichen Propsteien. Und nur zur Versorgung mit einer solchen hatten Huttens Eltern, der harte Raubritter mit seiner als Schwester Mangolds von Eberstein gewiß auch nicht sentimentalen Mutter, den Knaben nach Fulda gebracht. Die in der Regel des hl. Benedikt und der ältesten Ordensgeschichte bezeugte Sitte der „oblatio“, die das bei Hutten nicht nachweisbare Gelübde bei dauernder Zugehörigkeit in späterer Jugend rechtskräftig ersetzt haben soll, war hier mit andern ehr- würdigen Erbstücken längst in Vergessenheit geraten. Dazu aber gehörte beinahe auch die ehedem so berühmte und zahlreich besuchte Klosterschule, die nur noch ein kümmerliches Dasein fristete und der die jugendlichen Auwärter auf Kapitelstellen, die Söhne des rings im Buchenlande sitzenden Adels, nicht ohne weiteres zugezählt wurden. Diese genossen wie die Domizellare an den bischöflichen Stiftskirchen größere Freibeit, wurden oft schon sehr zeitig zum Genuß von Pfründen zugelassen und zu zweijährigem Universitätsbesuch be- urlaubt. Der siebzehnjährige Hutten hatte also gar nicht
1) Die Widerlegung ausführlicher im II. Kap. meines Buches „Huttens Vagantenzeit und Untergang“, das eine Ergänzung der Arbeit über „Ulrich v. H. und die Reformation“ (Leipzig 1920) und den ersten Teil des Gesamtwerkes: ,Der geschichtliche Hutten und seine Umwelt* darstellt, Hier angeführt mit HR.
2) Die Chronik des A. v. V., hrsg. von Jos. Rübsam. Ztschr. des Vereins für hessische Gesch. u, Landeskunde. N. F. XIV, 1961f., 239. Kassel 1889, Weiter angeführt mit HZ. l 14*
212 52.
nötig, „aus dem Kloster zu fliehen“, sondern folgte nur seinem unbändigen Drang zu zügellosem Leben. Wie es aber mit der aus Fulda mitgebrachten Bildung nach den. dortigen Verhältuissen aussehen konnte, das verrät Apollo von Vilbel mit einem von G. Richter übersehenen Wörtchen: Hutten sei „als gekrönter Dichter und im Besitz grober Gelehrsamkeit gestorben, obwohl (quamvis) er vorher ein Fuldaer Mönch war“. Er hat dann, getreu den räube- rischen Ueberlieferungen seiner Familie die von einem bürgerlichen Konventualen bestens geordnete und einge- richtete Bücherei um drei wertvolle Handschriften bestohlen, die sich in. seinem Nachlasse vorfanden!). Im übrigen hatte er durch seine Entfernung und sein Vagantenleben die Gunst der Kapitelherren keineswegs verscherzt, da diese pur seine Herkunft und standesgemäße Gesinnung im Auge hatten: die Reichsabtei war eben, wie das Kölner Dom- kapitel für den hohen, so ihrerseits das „Hospital“ für den buchonischen Adel. Der Chronist berichtet denn auch in der Hauptsache nur, welche Pfründen seine Ordensbrüder innehatten, wie sie sich als „große Bauherren“, besonders durch Errichtung behaglicher Wohnhäuser und reichgefüllter Speicher auszeichneten und hie und da unter dem „morbus Gallieus“ zu leiden hatten, darunter er selbst und Huttens gepriesener Gönner Frank von Mórlau. Das waren die „sacrificuli idiotae et paene analphabetae“, mit denen, wie der arme Lateinlehrer Crotus Rubianus klagte, kein Verkehr möglich war, wenn man nicht „trinken und spielen, Wucher und Liebschaften pflegen wolle". Er hat sich für die ver- lorene Zeit entschädigt, indem er sie samt dem „apollinischen“ Latein in den ergötzlichsten Gestalten seiner obskuren Brief- schreiber?), wie dem Magister Konrad von Zwickau, porträtierte,
In dieser Umwelt hat sich also der heranwachsende Hutten bewegt, als er zu „verständigen Jahren kam und das Leben ein wenig kennen lernte“, Und es muß ihm bei seiner wilden Sinnesart bier um so mehr behagt haben, als es auch unter dem tüchtigen und kriegserfahrenen Abte
1) Nachgewiesen von G. Richter, Fuld. Gesch. Bl. (FGB ) VIII, 36—40.
2) Als geschichtliche Quelle sind die Epistolae obscurorum viro- rum also eine Kombination der Fuldaer Zustände mit dem Verlauf der Reuchlinschen Fehde, eine Frage, die W. Brecht ausdrücklich beiseite gelassen hat. Die scholastischen Theologen wurden dadurch - entlastet, Eingedenk des „Malum dabunt Metelli“ hat Crotus seine Satire ausschließlich in bürgerliche Kreise verlegt. 2d
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Johann noch unruhig genug zuging. Die „Fuldaer Mönche“ waren und blieben die Söbne des gewalttätigen und selbst- süchtigen Adels, der seit Jahrhunderten den Nachfolgern Sturmis hart zugesetzt hatte. So war Heinrich VH. wegen seiner Schuldenwirtschaft 1370 erst der Pflegschaft zweier Kapitularen unterworfen, dann aber abgesetzt worden. Konrad lli. wurde nach zahlreichen Fehden erst einem ständischen Ausschusse untergeordnet und dann 1483 er- mordet; ein auderer soll „getürangelt*“ worden sein. Besonders bezeichnend aber ist der Bericht, den jener Abt Johann 1472 seinem Bruder, dem Grafen Wilhelm von Henneberg, ab- Bíattete, Er war selbst als Hauptmann des Stifts empor- gekommen, indem sein Vorgänger, Graf Reinhard von Weilnau, ihn im Kampfe gegen Hessen und die Herrn von Riedesel in seinen Dienst genommen und dann zum Koadjutor bestellt hatte. Bei dessen Rücktritt sträubte sich zwar das Kapitel, ihn als Abt anzuerkennen, fügte sich dann aber. Der neue Abt, der alsbald mit der Kutte und der Tonsur auch einen der Ordensregel entsprechenden Lebenswandel annahm, be- mühte sich nun, auch die im Stift eingerissenen Mißbräuche abzustellen, wobei er auf den heftigen Widerstand der adligen Kapitelherren stieß. Er lud nun auf den 15. August 1472 den Dechanten Johann von Romrod, die Pröpste der um- liegenden Kirchen und die übrigen Mitglieder des Kapitels zu einer Beratung über die Reform des Klosters zu sich. Als nun der Dechant und der Propst auf dem Petersberge den Abt noch allein in seinem Speisesaale autrafen, bemerkte dieser, daß der Propst unter seinem Kleide ein Beil und ein Schwert verborgen hatte. Er war sich sofort klar darüber, was die beiden, die schon unter seinem Vorgänger der Reform heftig widerstrebt hatten, im Schilde fübrten, und ließ den Propst sofort verhaften, Selbstverständlich traten nun der Dechant und das ganze Kapitel für den Verdächtigen ein, gelobten aber schließlich mit Handschlag, derartige Anschläge nieht zu wiederholen, so daß der Abt sieh bereit finden ließ, den Propst wieder freizugeben Yi
Die Familie Huttens hat nun auch nach seinem Weg-
gang fort und fort in nahen Beziehungen zum Stifte Fulda.
gestanden; sein Vater verzichtete keineswegs auf die Aus- sicht, ihn dort noch standesgemäß zu versorgen. Nachdem er 1514 als Agent des Mainzer Domkapitels in dem von revolutionärer Leidenschaft durchwühlten Erfurt jene furcht- bare Rolle gespielt hatte, die Strauß irrtümlicherweise seinem
1) Cyriacus Spangenberg, Chron. Henneberg. bei Schannat, Hist. Fuldensis. Leipzig 1729. II, 848 sq.
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Sohne zugewiesen hat!), begleitete er im Dezember den neuen Abt Hartmann als dessen „Rat von Haus“ noch einmal auf einer diplomatischen Sendung nach der Hauptstadt Thüringens. An diesen hat in jener Zeit der kurmainzische Hofmeister Eitelwolf von Stein die Mahnung gerichtet, den begabten Schriftsteller nicht zum Eintritt in den Orden zu drängen („Tune hoc ingenium perderes?“), wohl in der Be- sorgnis, daß er in dieser Gemeinschaft noch schneller und rettungslos verwildern würde. Der Poet hat dann wieder- holt die Gastfreundschaft des Klosters in Anspruch genommen und muß also auch von den späteren Vorgängen Kenntnis gehabt haben. Um so auffälliger ist es, daß dieser Vor- kämpfer für nationale Freiheit und sittliche Besserung der Kirche, der sich rühmte, er sei geboren, Tyrannen zu be- fehden und zumal die bösen Kurtisanen mit heiligem Zorn verfolgte, zu allen diesen Dingen geschwiegen hat. Denn gerade diesen Typus des eigenmächtigen, habgierigen Prälaten, des „Kurtisanen“, der, mit päpstlichen oder kaiserlichen Vollmaehten ausgerüstet, die Rechte der heimat- lichen Kirchen und ihrer Pfründner verletzt?) vertritt der Abt Hartmann mit seltener Rücksichtslosigkeit. Die nüchternen Tatsachen, die uns über seine kurze, aber stürmische Herrschaft überliefert sind, werden durch die Klagen des Fuldaer Dechanten und Bruchstücke seines Brief- -wechsels im Familienarchiv belebt. Dieses Bild ist auch für die Reichs- und Reformationsgeschichte von Wert, da der vertriebene Würdenträger auf dem Wormser Reichstage zu den eifrigsten Mitgliedern der papistischen Gruppe, den tätigsten Werkzeugen Aleanders gehörte, deu er schon bei der verunglückten Bücherverbrennung in Mainz gegen die von Hermann von dem Busche — nicht von Hutten! — angeführten Studenten beschützt hatte. Zweifel- los ist er auch für die erschlichene Annahme des Wormser Edikts mit verantwortlich zu machen?) Zugleich ermißt man, wie wenig zutreffend G. Richter es begründet, daß „zu Zwangsmitteln" gegen den „entlaufenenMönch“ „am wenigsten
!) Vgl. das V. Kapitel von „Huttens Vagantenzeit“.
2) Luther führt das Ueberhandnehmen der „Stiftsräuber und Pfründendiebe, der Kortisanen“*, als eines der Vorzeichen des jüngsten Gerichts in der verweltlichten Papstkirche an. Vorrede zur Apoka- lypse, 18. Kap. Erlanger Ausg. 63, 158.
3) Deutsche Reichstagsakten. Jüng. Reihe (DRA) II, 741,26, P.Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. München 1922 (weiter zitiert mit WR.) S. 58f. 278. Den Abschied vom 26. Mai hat er noch persónlic bewilligt.
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ein Mann wie der Koadjutor Hartmann geneigt sein konnte, in dessen Händen seit 1507 hauptsächlich die Verwaltung der ‚Abtei lag, der aber selbst der Richtung der jüngeren Humanisten so nahe stand und sieh von ihnen als Mäzen feiern ließ“ t).
Ursprünglich hatte in Fulda Gütergemeinschaft zwischen dem Abt und dem Kapitel bestanden, das sich aus dem Klosterkonvent unter dem Dechanten und aus den Prälaten, den Vorstehern der zwölf fuldischen Eigenklöster, auch der Frauenklöster (den Pröpsten) zusammensetzte?), Schon um 1300 war die Trennung der Abtsgüter von den Konvents- gütern durchgeführt worden, und im 16. Jahrhundert wurden wieder die Güter der adligen Pröpste und Kapitularen von denen der bürgerlichen Konventualen, die im Hauptkloster lebten, gesondert?) Die Ritter des Buchenlandes hatten schon seit dem 13. Jahrhundert die Kapitelstellen für ihre Söhne in Anspruch genommen, ein Vorrecht, das auch bald in den Statuten der Hauptkirche, des alten Benediktiner- klosters zu S. Salvator, festgelegt wurde. Sie allein waren wahlberechtigt, und schon seit 1222 war so die Abtswürde ein Vorrecht des Adels geworden; doch blieb sie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts dem hohen Adel, den Grafen- häusern von Weilnau, Henneberg u. a. vorbehalten*). Später standen die adligen Kapitelherren nur formell auf Grund ihrer ProfeBablegung in loser Verbindung mit dem Kloster.
Bei den Kämpfen, in denen sich im Laufe des 14. Jahr- hunderts die ständische Verfassung des Fürstentums heraus- bildete, handelte es sich im wesentlichen um die Verfügung über die Stiftsgüter, so daß die Gläubiger des Abtes kein Pfändungsrecht an den Einkünften des Konventstisches haben sollten. In den Statuten von 1395 war bestimmt worden, daß der Abt bei wichtigen Regierungshandlungen nicht nur an den Rat, sondern an die Zustimmung des
1) FGB. VII, 63. VIII, 28. 57,
?) Das folgende nach der gründlichen Arbeit von K. Grossart, Die Landstünde in der Reichsabtei F. und ihre Einungen bis z. J. 1410. FGB. XII (1918), 1181f, 15311. 1611f, XIII, 1f. 461f. 778. 90ff,
5) FGB. VII, 88ff. 88.
5) K. Arnd, Gesch. des Hochstifts Fulda. Fulda 1860, S. 67 ff. Die Zahl der bürgerlichen Konventualen, die im 18. Jahrh, für das Hauptkloster auf 58 festgesetzt war, schmolz immer mehr zusammen.
Die Pröpste der Sekundürstifter hielten sich gewöhnlich nur einen
bürgerlichen Mönch, der die Seelsorge übernehmen mußte. Im 16. Jahrh. bestand die Abtei aus etwa sechs Adligen und nicht viel mehr Bürgerlichen. Wetzer-Welte, Kirchenlexikon IV, 2106.
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Kapitels gebunden sein sollte. Doch gehörte dieses im Unterschied von andern Territorien nicht zu den Land- ständen, sondern es bildete einen Teil der Landesherrschaft. Denn wenn die Vertreter des Landes, Ritterschaft und Städte, zugezogen wurden, traten diesen „Abt, Dechant und Konvent“ als Landesherren gegenüber. Die Städte waren dabei zu- nächst in starker Abhängigkeit vom Abte, der sie schwer besteuerte und ihre Verfassung und Verwaltung beeinflußte; doch traten sie bei den schon angedeuteten Kämpfen am Ende des 14. Jahrhunderts gleichberechtigt neben Kapitel und Ritterschaft. Diese hatte sich seit Ende des 13. Jabr- hunderts fast unabbängig gemacht; denn aus den Ministe- rialen war ein freier Lehnsadel geworden, der in zahlreichen Fehden mit den Aebten seine Verbindung mit dem Stifte immer mehr lockerie, besonders seit er auch von andern Herren Leben empfangen durfte. Seine Kriegsdienstpflicht war so gut wie wertlos, da das Stift den ganzen Unterhalt . bestreiten und Schaden ersetzen mußte. Der Adel kümmerte sich überhaupt nicht um seine Pflichten, wahrte aber um so eifersüchtiger seine Rechte, vor allem das Fehderecht, den Gerichtsstand vor dem Abte, doch nur nach dem Spruch von Standesgenossen, die eigene Gerichtsbarkeit über die Hintersassen und die Freiheit von Steuern, besonders von der Bede.
Aber trotz seiner glänzenden wirtschaftlichen Stellung, die es mit sich brachte, daß die Aebte besonders bei ihrer Ritterschaft verschuldet waren !), zeigte sich diese unersättlich, wobei besonders die Hutten sich hervortaten: so hatte unter dem Abte Friedrich von Romrod ein Mitglied der Stolzen- berger Linie die Stiftslande schwer bedrängt, die Kirchen gebrandschatzt, die Bauern beraubt und erschlagen, die Bürger von Fulda tiberfallen?). Schließlich wurden in den schweren Kämpfen am Ende des 14. Jahrhunderts die Aebte mehrmals gezwungen, die Verwaltung an ständische Ausschüsse abzutreten, und so bildete sich aus diesen Einungen und den Landfriedensbünden jene ständische Ver- fassung, die in den Statuten von 1395 und 1410 enthalten ist. Dabei hatte sich das Stiftskapitel eine tibér- ragende Stellung mit dauerndem Einfluß auf die Geschäfte
1) Das Dorf Müllenroth wurde 1339 an einen Hutten verpfündet; 1878 erwarben diese Stolzenberg, Soden und Salmünster für 5400 Pfund von einem andern Ritter, dem sie der Abt um diese Summe ver- pfändet hatte, FGB. XIII, 22. Vgl. auch Schannat, Fuld. Lehnhof. Frankfurt 1726. S, 115—117.
2) Arnd, S. 90,
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gesichert. Es bildete einen förmlichen Staatsrat, der bindende Beschlüsse fassen konnte. Der Abt, der auf diese Urkunde als seine Wahlverschreibung verpflichtet wurde, durfte sich auch durch den Papst nicht von diesem Eide entbinden lassen. Und eben so entschieden wahrte das Kapitel seine Macht den weltlichen Ständen gegenüber, wobei jedoch der Adel insofern begünstigt war, als die Kapitularen aus seinen Reihen hervorgingen und den Vorteil ihrer Familie im Auge behielten. en
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts scheinen sieh unter der langen Regierung Johanns lI. (1476—1507) die inneren Zustánde gebessert zu haben, wenn auch immer noch Fehden gegen den Abt vorkamen, der nach wie vor nicht ohne viele Verpfänduugen auskommen konnte. Doch hören wir von Versuchen zur Reform der Klostergeistlichkeit, von Pflege der Baulichkeiten und Klosterschulen. Und so konnte unter ihm als Kustos der Hauptkirche und Kaplan des Abtes der Frater Joh. Knötel (gest. 1505), also ein bürgerlicher . Konventuale, ein Mann von großem Fleiß und gründlicher Bildung, auch die altberübmte Bibliothek in guten Zustand versetzen und künstlerisch ausstatten. Dabei hatte er eine zweckmäßige Aufstellung vorgenommen, wie man noch zur Zeit der Abfassung der Chronik Vilbels beobachtete, und ein stattliches Register angefertigt, so daß jedes Buch so- gleieh zu finden war!).
Doch wurden diese friedlichen Bestrebungen immer wieder durch schwere Fehden unterbrochen, in die der Abt durch die Zügellosigkeit des niedern Adels und die Begehrlich- keit benachbarter Dynasten verwickelt wurde. So war gerade in den Jahren, als der Knabe Ulrich die Kloster- schule besuchte, das Stift von Waffenlärm erfüllt, Schon um das Jahr 1475 hatte der Abt mit den Ganerben des Hauses Buchenau?) einen schweren Strauß auszufechten gehabt. Ein Mitglied dieser Sippe, der Ritter Engelhard, vergeudete dann seine Habe mit einem ehrlosen Weibe und verkaufte seine im Stift belegenen Güter an den Landgrafen Wilhelm den Jüngeren in Marburg. Da.er aber mehr ver- kauft hatte, als sein eigen war, erwirkte der Abt eine kaiserliche Entscheidung, die den Kauf rückgängig machte, worauf der hessische Hofmeister in das Stiftsgebiet eiufiel und ein Dorf niederbrannte. Nun zog der Abt selbst gegen den Hauptschuldigen, jenen Ritter von Buchenau, zu Felde,
1) HZ. S 218. 2) Ein Otto von Buchenau starb 1504 als Propst von S. Michael. HZ. S. 218.
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der zahlreiche Knechte angenommen hatte. Doch siegten die Fuldischen in einem blutigen Scharmützel und nahmen den Ritter gefangen. Da aber traten 1499 dem Landgrafen auch der Pfalzgraf und Herzog Erich von Braunschweig zur Seite, während der Abt vom Landgrafen Wilhelm ih Spangenberg unterstützt wurde. Die Herzöge von Sachsen suchten zwar zu vermitteln, aber der Abt konnte erst auf- atmen, als i. J. 1500 sein schlimmster Bedränger, der jüngere Landgraf, auf der Jagd tödlich verunglückte').
Aber noch in den letzten Lebensjahren Johanns, schon unter der Regierung des energischen Koadjutors Hartmann, sollte das Stift nicht zur Ruhe kommen. Im Herbst 1512 klagt Mutian, daß Crotus, der durch sein Lehramt an Fulda gefesselt sei, ihn besonders deswegen nicht einmal besuchen könne, weil unter den Mönchen, d. h. den adligen Kapitel- herren, ein Zwist ausgebrochen sei und eine Fehde zwischen dem Abte und den Rittern von Riedesel wütete. Mutian . ruft daher dem neuen Abte zu, als dieser im nächsten Früh- jahr intbronisiert wurde:
„Ergo, pater felix, equites compesce protervos!“ Und in einer Beglückwünschungsrede führt er aus, wie der alte Abt sich besonders deshalb nach einem tüchtigen Nachfolgerum- gesehen habe, weil die ungezügelte Wildheit des Adels der Leitung der Stiftsherren widerstrebte und seine Habgier und Neuerungssucht den Bestand der Fuldaer Kirche gefährdete).
Und so hatte der Abt Johann sich auch bitter getäuscht, wenn er von der Stiftung eines Ordens des hl. Simplicius sich eine Hebung der Ritterschaft in sittlicher Hinsicht und eine Minderung des Fehdewesens versprach. Die Mitglieder, die vier Ahnen mit Helm und Schild belegen mußten, sollten durch eine silberne Kette mit dem Bilde des Heiligen ausgezeichnet werden; aber das Mittel, das gleichzeitig an manchen anderen Stellen wie in Brandenburg mit dem Sehwanenorden, versucht wurde, zeigt nur, daß man das Uebel wohl richtig erkannt hatte, aber zu seiner Bekämpfung ohnmüchtig war.
Ein greifbarer Erfolg aber dieser Regierung, die An- sammlung eines Sehaízes?) als Zeichen wirtschaftlicher
1) Spangenberg bei Schannat, im II. Bd, der Hist. Fuld, dem Codex probationum p. 845 sq.
?) K. Gillert, Briefwechsel des Mutianus Rufus. Halle 1890. I, 804, 339, 341. |
5) Nach Spangenberg hinterließ er 10000 Gulden bar, von denen er 1000 Gulden drei benachbarten Stiftskirchen vermacht hatte. Cod. prob, p. 346.
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Hebung des Hochstifts, wurde durch den Nachfolger zerstört, der diese Mittel in unnützen Ausgaben vergeudete, so daß die Fuldaer Kirche, die sich von dem geschäftskundigen Manne das Beste versprochen hatte, nur Unglück uud Schaden von ihm hatte. |
Dieser Abt Hartmann genoß bei seiner Erhebung zum Koadjutor großes Ansehen als ein tatkräftiger, gründlich unterrichteter Mann von hervorragender Gewandtheit und Redegabe!. Der Zweig der Burggrafen von Kirch- berg, dem er angehörte, war schon unter seinem Groß- vater Dietrich Vl. während des sächsischen Bruderkrieges in Vermögensverfall geraten, sodaß das Stammgut Cranich- feld verkauft werden mußte und schon sein Vater Albrecht IV. sich heimatlos in fremdem Kriegsdienst oder als Begleiter fürstlicher Personen auf Wallfahrten durchschlagen mußte. Schließlich ließ er sich in Erfurt nieder, wo er das Bürger- recht erlangte und 1471 starb. Seine beiden Söhne wurden von einem Stiefvater erzogen und studierten dann von den Resten ihres Erbgutes in Erfurt, wo der jüngere 1496 starb, wührend Hartmann (geb. 1465) schon 1484 nach der Unsitte der damaligen Universitäten die Würde des Rektors be- kleidete und 1487 auch ein Kanonikat an der Mainzer Domkirche und die Würde eines Doctor legum erlangte?). Im J. 1494 war er in kirchlichen Geschäften in Rom, wo er sich in die Bruderschaft der deutschen Nationalkirche, der „Anima“, aufnehmen ließ®); 1501 wurde er als Assessor an das Reichskammergericht nach Nürnberg berufen. Dann trat er als Rat und Auditor in die Dienste des Kardinal- legaten Raimund Peraudi, als dieser in den nächsten Jahren Deutschland zur Vertreibung des Jubelablasses bereiste). Wenn er nun 1507 von Abt Johann II. als Koadjutor an- genommen wurde, so ist außer der Zustimmung des Kapitels auch die Empfehlung des Kaisers vorauszusetzen, an dessen Hofe der Abt von Fulda die Ehrenstelle eines Erzkanzlers der Kaiserin bekleidete. Er suchte dann aueh schon im
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1) Nach Vilbel, HZ. S. 221.
?) Die genaueren Nachweise in dem auf reichem archivalischen Material beruhenden Werke von H. F. Avemann, Beschreibung der Reichs- und Burggrafen von Kirchberg. Frankfurt a. M. 1747, S. 234 ff. G. Bauch, Die Universität Erfurt im Zeitalter des Frühhumanismus. Breslau 1904, S, 117.
3) [C. Jaenig], Liber confraternitatis B. Mariae Teutonicorum de Urbe. Rom 1875. p. 89: als Kleriker der Diözese Naumburg.
*) Ablaß für das Kirchbergische Dorf Farnrode, d. d, Braun- sehweig, 1508, März 7. Avemann, Anhang S. 170ff.
C
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nächsten Jahre den Kaiser wieder auf, um die Regalien zu empfangen, und erhielt durch Breve vom 5. März 1508 die Bestätigung Julius I1!). Daraufhin legte er am 17. Febr. 1510 im Kloster zu Fulda Profess ab und wurde vom Kapitel nach dem Tode Georgs von Schaumberg mit der Propstei von S. Michael versorgt.
Nach der älteren Ueberlieferung hätte er i. J. 15li eine kaiserliche Gesandtschaft an den Hof des Polenkönigs Siegmund und des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg geführt, um zwischen beiden zu vermitteln. In der Tat war er schon 1510 an Verhandlungen in Posen beteiligt gewesen und wurde nun von Seiten der Markgrafen von Ansbach dem Kaiser für diese Sendung vorgeschlagen?). Auch erließ Maximilian gleichzeitig ein Mandat an die größeren norddeutschen Fürsten mit der Aufforderung, wenn Polen die Werbung des Koadjutors nicht berücksichtige, dem Ordenslande nötigenfalls mit den Waffen beizustehen. Aber da Maximilian um seiner eigenen politischen Zwecke willen es mit Polen nicht verderben wollte, unterblieb die Sendung. Wenn also auch nicht auf der Rückkehr aus dem Osten, so muß doch Hartmann in. dieser Zeit ander- weitig als Vertrauensmann des Mainzer Domkapitels mit dem Kurfürsten Joachim I. in Berührung gekommen sein. So konnte er seinen Auftraggebern die günstigen Aeube- rungen überbringen, die diese veranlaßten, die Berufung des jugendlichen Markgrafen Albrecht auf den erzbischöflichen Stuhl ernstlich ins Auge zu fassen. Es handelte sich dabei um den Wunsch des Domkapitels, für das durch die An- sprüche Kursachsens gefährdete Erfurt den Schutz Branden- burgs zu gewinnen. Hartmann, der mit den schwierigen Verhältnissen der dureh innere Unruhen zerrissenen Bürger- schaft vertraut war, eignete sich für diese Verhandlungen
1) Abgedruckt im Cod. prob. p. 837 sq.
» Aus Ulm vom 3. Mai 1511 ist die Instruktion datiert, nach der Hartmann versuchen sollte, den König zum Verzicht auf die Forde- rangen zu bewegen, die er an den neuen Hochmeister auf Grund des zweiten Friedens von Thorn gestellt hatte. Auf seine Drohungen hin hatte sich dieser an den Kaiser gewendet, der die Bedingungen ebenfalls für unannehmbar hielt und nun dem Polen erklären ließ, daß das Ordensland dem Reiche unmittelbar unterstehe und des gemeinen Adels Zuflucht und Aufenthalt sei. Wenn Polen also auf die Verhandlungen nicht eingehe, werde das Reich den Hoch- meister unterstützen. E. Joachim, Die Politik des letzten Hoch-
meisters in Preußen, Albrecht v. Brandenburg. Leipzig 1892. I, S. 18f. 183f.
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um so mehr, als der Abt Johann von Fulda in dem Kampfe. zwischen Sachsen und Mainz auf des letzteren Seite ge- standen hatte!) Im J. 1512 erschien Hartmann auf den Reiehstagen von Trier und Köln, und im folgenden Sommer (2. Juli) wurde er nach dem Ableben Johanns II. dureh den Mainzer Weihbischof unter Mitwirkung der Aebte von Hers- feld und von Schlüchtern ordiniert. Dabei schien es ein übles Vorzeichen zu sein, daß der Gesang des „Te deum", der doch in täglicher Uebung war wie das Vaterunser, durchaus nicht angemessen durchgeführt werden konnte: einzelne schwiegen, andere sangen falsch, und so wurde der Lobgesaug nur mit größter Nachlässigkeit und ärgerlichem Mißklang zu Ende gebracht. Und in der Tat war das Un- heil schon im Zuge! Nebenbei läßt sich die Folgerung kaum abweisen, dab die einfachen Mönche mit der Wirt- schaft der adligen Herren sehr unzufrieden waren, daß ihre Belieferung mit Speise und Trank viel zu wünschen übrig ließ und daß sie nun ihrem Mißmut deutlichen Ausdruck gaben. Bald aber hatten auch die Kapitelberren über die Verschwendung und Prunksucht des neuen Abtes zu klagen, Es mochte noch hingehen, daß er für das Haupt der hl. Beatrix einen silbernen Behälter anfertigen ließ. Dann aber ließ er den „Volksgarten“, in dem von altersher die Pilger zu lagern pflegten, mit einer Mauer umgeben und in herrliche Anlagen verwandeln mit einem köstlichen Wein- berg und einem Fischweiher. Eine alte schöne Inful ließ er zerschlagen und eine neue herstellen, mit den Fransen, kostbaren Steinen und Perlen der alten aber eine Chorkappe verzieren °).
Diese kostspieligen Liebhabereien würden zwar einen Abt von Fulda nieht zu Grunde gerichtet haben; aber der ehr- geizige Mann hatte sich nun schon in ein Unternehmen verstrickt, das seine Kräfte überstieg und seinen Sturz nach sich ziehen mußte,
Der Abt von Hersfeld, Volbert Riedesel von Bellersheim, hatte sich mit der Stadt in einen heftigen
1) Fritz Mehl, Die Mainzer Erzhischofswahl vom J. 1514 und der Streit um Erfurt, Bonner Diss. 1905. S. 69 f.
2) Für seine Familie sorgte er, indem er am 29. April 1514 als „Abt der Stifte Fulda und Hersfeld“ seinem einzigen Vetter Georg v. K. auf Farnrode (gest. 1519) den Hof Burbach „nach fuldischem Lehnrecht* übertrug. Avemann, Anhang, S. 127. Da die Familie nur durch dessen Sohn Siegmund fortgepflanzt wurde, waren Nepoten im Dienste der Kirche, also hier mit Propsteien, nicht zu versorgen.
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Streit über das Geleitsrecht verwickelt, der zu einem teuern Prozeß am Reichskammergericht führte und das Stift im Schulden stürzte’). Um sieh an den Bürgern zu rächen, verabredete er nun mit Hartmann von Kirchberg, daß er zu dessen Gunsten abdanken würde, wenn Papst und Kaiser die Einverleibung seines Stiftes in das von Fulda genehmigten; dabei sollte Volbert mit der Propstei auf dem Andreasberge bei Fulda entschädigt werden, die er bis 1540 innehatte; die Stadt aber wurde dann zur fuldaischen Landstadt,
Hartmann muf nun über ausgezeichnete Verbindungen am kaiserlichen Hofe wie an der Kurie verfügt und — was die Hauptsache war — an beiden Stellen mit dem Gelde nieht gespart haben, denn unter dem 6. Mai 1513 ließ Leo X. zwei Bullen ausstellen?), durch die Hersfeld der Kirche ven Fulda inkorporiert und der Koadjutor bzw. Abt Hartmann mit der Verwaltung von Hersfeld betraut wurde: bei der ehrwürdigen Geschichte und der reichsrechtlichen Stellung.
1) Vgl. die Darstellung in der Chronik des Wiegand Lauze. HZ. II. Suppl. (Kassel 1811), T, 11ff, Eine durch den Kaiser ange- ordnete Vermittlung der Stadt Frankfurt war gescheitert, Das Kammergericht hatte dann die Privilegien der Bürgerschaft bestütigt und den Abt zu etwa 8000 Gulden Unkosten verurteilt. |
*) Bisher war nur die zweite Urkunde bekannt. „Ex aposto- licae“ ... Abgedruckt im Cod. prob. p. 347. Der Papst erwähnt, daß Abt Volbert durch seinen Prokurator freiwillig sein Amt in die Hand des Papstes gelegt und daß er auf die Darlegungen des Kaisers und des Koadjators von Fulda hin das verwahrloste Stift Hersfeld nur durch Vereinigung mit dem benachbarten Stift Fulda glaube er- halten zu können. Er habe daher durch eine andere Bulle die Ein- verleibung vollzogen. Diese Urkunde hat dann der Abt später an Hessen ausliefern müssen. Sie ist im vatikanischen Archiv erhalten mit dem Eingang: „Ad ea, quae ecclesiarum et monasteriorum“ , . (Regesta Leonis X. ed. J. Hergenröther. Freiburg 1884. Nr. 2458. Die nächste Nummer enthält einen Fingerzeig dafür, wer die Inkor- poration sollizitiert hat: da werden die Dechanten von S. Johann in Mainz, vom Neuenmünster in Würzburg und von S. Severi in Erfurt beauftragt, die Rechte des Sollizitators der apostolischen Briefe und päpstlichen Famiiiaren Johann Fabri aus Fulda, Klerikers der Diözese Mainz und Propstes von S. Maria in Gotha, wahrzunehmen. Dieser Kuriale war schon mindestens seit zwanzig Jahren in dieser einflußreichen Stellung tätig, also dem Abte Hartmann. schon von seinem eigenen Aufenthalt in Rom her bekannt. Denn: schon 1495 hat er sich in dem erwähnten Bruderschaftsbuch (Jaenig p. 89) eintragen lassen als Chorherr und Scholasticus von S. Peter in Aschaffenburg und Geschüftstrüger des Erzbischofs Berthold von Mainz,
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der betroffenen Abtei ein unerhürter Akt der Willkür, der die Leichtfertigkeit des neugewählten Papstes und die Bestechlich- keit seiner Umgebung grell beleuchtet. Dieselben Vorwürfe aber muß man mit doppelter Schärfe gegen den Kaiser und seine habgierigen Räte erheben, denn schon am 15. De- zember desselben Jahres wurde Hartmann von Maximilian I. in Augsburg mit Hersfeld belehnt. Nun kamen ja derartige Vereinigungen geistlicher Stifter in der verweltlichten Kirehe sehr häufig vor, um habgierigen Würdenträgern, besonders. Kardinälen die Ausbeutung mehrerer Pfründen zu erleichtern; sie wurden diesen meist als Kommenden überwiesen oder einer schon kommendierten Kirche einverleibt oder mit ihr ,uniert^. Besonders in den romanischen Ländern war dieser Brauch im Schwange, desgleichen in den mit reichen Klöstern gesegneten Niederlanden. Hier aber handelte es sch um zwei Reichsfürstentümer und zwar die. beiden, die an der Spitze der reichsunmittelbaren Prälaturen
Im nächsten Jahre schon erscheint er als Sollieitator literarum apostoli- earum und hat 1497 auch eine Stelle in dem Kollegium der einträglichen Collectoria plumbi erworben (Diarium Joh. Burchardi ed. L. Thuasne. Paris 1883—85. II, 286. 371. 479). Zweifellos hatte er in dieser lang- jährigen Praxis und bei wachsendem Pfründenbesitz ein schönes Ver- mögen erworben, denn für den Neubau der deutschen Nationalkirche, der S. Maria deli’ Anima, zeichnete ,loh Fabri, Sollicitator bullarum und Propst von Gotha* 50 Dukaten (9. November 1509; F. Nagl und A. Lang, Mitteilungen aus dem Archiv des deutschen Nationalhospizes. Róm. Quartalschrift. XII. Supplementheft. Rom 1899. S. 72). Noch unter Leo X. erwirbt er einige kleinere Pfründen, so 1514 die Vikarie von. S. Katharina an der Leprosenkapelle bei seiner Heimatstadt, während er 1513 die Pfarre von S. Jakob in Taufkirchen, Erz- bistum Salzburg, resigniert (Hergenröther Nr. 5175, 13076.) In der Schilderung des Kapitels der Gothaer Stiftskirche hat der Herausgeber des Briefwechsels Mutians, des Kanonikus von S. Maria, nur den Dechanten als Leiter nachweisen können (Gillert S. XXVIIff.) Mutian erwühnt nun in einem Briefe vom 13. August 1514 (IT, 75) ein Schreiben aus Rom von Joh. Fabri, „dem römischen Propst unseres Kollegiums". Nach seiner Grabinschrift in der Anima starb er in Rom am 19. Juni 1518 als Propst der Kirche S, Caeciliae in Raschdorf und Scholaster der Kirche von S. Peter und Alexander in Aschaffenburg (L. Sehrader, Monumenta Italiae. Helmstedt 1542, fol. 146b), Die Fuldaer waren also durch diesen Landsmann an der Kurie ausgezeichnet vertreten. Die delikate Frage, wie der Papst die Aufhebung der durch ihn ver- fügten Inkorporation von Hersfeld aufgenommen hat, beantwortet sich einfach dahin, daß man in Rom sehr wohl verstand, unangenehme Vor- gänge, die der Kurie keinen fühlbaren Nachteil brachten, zu ignorieren.
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standen !), und wenn auch die beiden Stifter seit Jahrhunderten in Eifersucht und Hader miteinander gelebt batten, so war doch diese Vergewaltigung der Schöpfung des hl. Lullus durch die Nachbarin ein arger Frevel. Und dem entsprach die jähe und brutale Ausführung, während die gewiß nicht einfache Vorbereitung des Streiches an beiden höchsten. Stellen sich im tiefsten Geheimnis vollzogen hatte.
Anfang September 1513 erschien zunächst der fuldaische Kanzler, Lie. Melchior Küchenmeister, Propst zum Johannisberge?), setzte den Hersfelder Dechanten Andreas Marsehall ab und bestellte den Fuldaer Prülaten Philipp Schenk von Schweinsberg zum Oberhaupt des vergewaltigten Kapitels. Beide Herren hießen nun am 9. September die Hersfelder Kapitulare huldigen, wobei nur ein Mitglied, der spätere lutherfreundliche Abt Kraft Myle (Crato Mylius) Einspruch erhob: auch ein Zeichen, wie gut die Intrige vorbereitet war. Wenn Hartmann später diese Stimme damit zu entwerten suchte, daß nur ein Bürgerlicher sich widersetzt habe, so verschwieg er wohlweislich, daß man nur die adligen Kapitelherrn zu entschädigen für nötig befunden hatte, Der neue Dechant hatte sich der Hersfelder Propstei Frauensee bemächtigt; der bisherige Hersfelder Dechant erhielt statt der dortigen Propstei auf dem Peters- berge die auf dem Franenberge bei Fulda. Adolf von Biedenfeld der ältere, Propst des Nonnenklosters von Thulba, erhielt die Propstei Allendorf bei Salzungen ë). Der jüngere Vetter desselben Namens wurde Propst des Benediktinerinnen- klosters in Zella, Heilmann Weiß) erhielt das Augustinerinnen- kloster Hoest bei dem hessischen Schlosse Breuberg. Zwei adlige Anwärter auf Hersfelder Pfründen, also Domizellare, wie Ulrich von Hutten in Fulda gewesen war, nämlich Philipp von Riedesel und Sittich Birgel, wurden von dem Fuldaer Kapitel übernommen; nur der zweite trat später
1) Nach der Reichsmatrikel von 1521 war Fulda mit 14 Reitern, 46 Fußknechten und 180 Gulden veranschlagt, Hersfeld mit 2 Reitern, 9 Knechten und 60 Gulden. DRA. II, 430.
. *) Diese adlige Familie hatte eine starke Stellung im Kayitel: 1499 starb Wilkin K., Propst vieler Klöster und ein großer Bauherr, und 1510 der Diakon Philipp K. HZ. S. 215. 220.
. . 5) Diese war schon 1515 wieder Gegenstand eines heftigen Streites Zwischen Frank von Mörlau und einem von den sächsischen Herzögen begüustigten Bewerber. Vgl. unten S. 286 Anm. 2. |
%) Die Weiß von Feuerbach waren damals in der Wetterau durch einen tüchtigen Raubritter (Johann W.) vertreten. WR. S. 289.
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nach Hersfeld zurück!), während dem Riedesel schon durch die Verräterei des Abtes Volbert dieser Weg versperrt war. . So war alles treffiich vorbereitet; auch alle Kostbarkeiten und die wichtigsten Urkunden wurden sofort nach Fulda überführt; das übrige verfiel bei der herrschenden Ver- wirrung dem Verderben. Am folgenden Tage schon erschien der siegreiche Abt selbst und ergriff Besitz von dem be- lestigten Schlosse, „zu den Eichen“, dem Wohnsitze der Hersfelder Aebte, wo er sich durch die Beamten und die umwohnenden Bauern huldigen ließ. Zugleich beschied er dazu auch die Bürger unter dem Vorgeben, daß er sich mit der hessischen Regierung als der Inhaberin der Schirmvogtei verständigt habe. Aber, wie auch der gelehrte Abt Johann Tritheim berichtet, der von seinem Würzburger Kloster aus die Vorgänge beobachtet hat?), ließen sich die Bürger nicht irreführen, sondern schlossen sofort die Tore und hielten ihre Mauern von nun an dauernd besetzt, da sie sich mit dem Stiftsräuber im Kriegszustand betrachteten. Die Reisigen, von denen sich Hartmann hatte begleiten lassen, fingen darüber an, zu plündern. Der Abt aber drohte mit den Kirchenstrafen und mit Beschwerde beim Kaiser und ließ alsbald und allenthalben das Hersfelder Wappen, das Doppelkreuz, austilgen?).
Bis dahin begleitet der Fuldaer Chronist, der als der damalige Dechant dabei keine geringe Rolle gespielt haben kann und jedenfalls als Mitwisser zu betrachten ist, das heillose Unternebmen mit unverhohlenem Beifall. Er berichtet, daß der Papst das benachbarte Stift dem seinigen einverleibt habe, weil es „durch die Nachlässigkeit oder richtiger die Ohnmacht der leitenden Personen“ in Verfall geraten sei‘). „Mit Zustimmung des Abtes und aller Kapitularen emp- fingen wir die gebührende .Obedienz unter Uebergabe der Abtswohnung und des Schlosses Eichhof, wo wir auch die Huldigung der Bürgerschaft entgegennahmen. Dann aber haben einige Mönche gegen den unserm Abte geleisteten
3) HZ. S. 225.
2) Am Schluß seines großen Werkes über die Geschichte des "Klosters Hirschau Joh Trithemii abbat. Sponheim. annales Hirsaug., tom. II, 689 sq. St. Gallen 1690,
3) W. Lauze a a O. 5.12. Die Darstellung bei K. Arod L. 101. and J. C. Vigelius. (Denkwürdigkeiten von .Hersfeld 1888. S. 47 f) :}äßt sich aus den Quellen mehrfach ergänzen. | “4 HZ. 8.225. Der Ausaruck, daß Hersfeld rate incuriam Nel potius impotentiam“ seiner Leiter heruntergekommen Bu ist wörtlich der. Bulle „Ex apostolicae“ entleh.it.
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 3/4. 15
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Eid, vom Geiste der Eifersucht und Bosheit getrieben, die Landgräfin Anna angerufen, die der Fuldaer Kirche allen diesen Besitz mit List und Gewalt wieder raubte. Daraus aber entstand viel Unheil . . .*
Wie unwahr diese Darstellung des hochwürdigen Herrn ist, geht schon aus den angeführten Tatsachen hervor;, wie parteiiseh und seines Standes als Benediktinermüneh un- würdig aber seine Beurteilung des Vorganges ist, zeigen die Worte des Abtes Trithemins: „Es ist eine Schande, daß diese edle königliche Abtei, die so viele Jahre in fürstlichem Ansehen ruhmvoll geblüht hat, durch einen untüchtigen, um nicht zu sagen unverständigen Abt auf immer in Schmach und Verderben gestürzt wird. Nach meinem Urteil ver- diente er selbst samt seinen. Mönchen mit lebenslänglicher Kerkerhaft bestraft zu werden, wie ich kurz begründen werde. Denn erstens haben diese Verächter der mönchischen Lebensregel von jeher so leichtfertig, so gottlos und laster- haft gelebt“ — die Ansicht des bürgerlichen Gelehrten und reformierten Mönchs über das Treiben der adligen Prälaten — „daß sie das einst überaus reiche Kloster in die äußerste Armut gebracht haben. Ferner soll die Nachwelt erfahren, wie gerecht das Urteil jedes wackern Mannes ist, wenn er das unvernünftige Verhalten soleher Aebte und Mönche ver- wünscht. Denn als der Abt von Fulda das Schloß Eicher in Besitz nahm, fand er zahlreiche Urkunden des Stifte, die mit Stroh vermiseht den Hunden hingeworfen waren, zum Teil zerrissen, zum Teil noch unversehrt; er ließ sie sammeln und noeh eine Kiste voll davon nach Fulda bringen. Ferner sind es kaum dreißig Jahre, daß die Hers- felder Klosterbibliothek noch mit vielen kostbaren Büchern ausgestattet war, wie ich aus dem mir übersandten Ver- zeichnis entnehmen konnte: von diesen sollen heute nur noch sehr wenige vorhanden sein. Endlich ist der schlimmste von allen diesen Uebelständen, daß diese völlig entarteten Mönche samt ihrem Abte einen solchen Widerwillen geger Zucht und Ordnung, gegen die durch die Ordensregel vor- geschriebene Lebensführung zur Schau tragen, daß sie lieber das Kloster völlig zugrunde gehen lassen: wollten, als in eine Reform willigen’). Aber da bei so verstoekten Sünders
1) Trithemius gehörte mit dem ihm unterstellten Kloster S, Jakob- zu. der Bursfelder Kongregation, also zu den reformierten Benediktinera. Das Hersfelder und Fuldaer Beispiel aber beweist nur wieder, wie. notwendig diese Reformbewegung war. Beachtenswert ist auch, dab. der eine der beiden Hauptschuldigen, der Abt von Fulda, noch dau der Primas aller Benediktinerklóster in Deutachland war.
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keine Ermabnungen fruchten, muß ich dem Urteil Gottes anheimgeben, die sich durch frommes Zureden nicht bessern lassen wollen“. |
Leider lernen wir die Meinung des ehrwürdigen Ordens- mannes über die weit schlimmeren Vorgänge der nächsten Jahre nicht mehr kennen, da Trithemius seine Chronik mit dem Jahre 1513 abschloß und im Jahre 1516 starb. Das schlechte Gewissen des Fuldaer Dechanten Vilbel aber verrät sich auch in der sehr lückenhaften und einseitigen Bericht- erstattung über die nun folgenden Ereignisse.
Durch die erlittene Vergewaltigung wurden nämlich Stift wie Bürgerschaft von Hersfeld zu engstem Anschluß an die landgräfliche Regierung gezwungen, die ein erbliches Schirmrecht über die Abtei besaß und der sie dann 1525 fórmliehe Huldigung leisteten. Zunächst wandten sie sich an die energische und kluge Vormünderin und nahmen mit deren Hilfe den Eichhof wieder ein, während die Mönche den Propst von Frauensee, Georg von Westersbausen, zum Dechanten wählten. Dieser erließ nun unter dem 7. Februar 1514 eine notarielle Erklärung, in der er als Verweser des Stifts Hersfeld im Namen des Konvents gegen den Gebrauch der Siegel der Abtei, Dechanei uud des Konvents sowie der Hersfelder Propstei auf dem Petersberge durch Unbefugte Verwahrung einlegte, die diese Hoheitszeichen auf unbillige und listige Weise an sich gebracht und gegen andere vertauscht hätten.
Dagegen veröffentlichte nun wieder Hartmann als Abt der Stifte Fulda und Hersfeld am 9. März eine Darlegung 5, nach der die Inkorporation auf das dringende Ansuchen des Hersfelder Konvents und seines Abtes, des jetzigen Propstes von Neuenberg, erfolgt sei, die ihr Stift mit dem „geringen“ Rest seines Vermögens nicht mehr hätten erhalten können. Beide Kapitel hätten eingewilligt, künftig „ein Corpus“ zu bilden, und der Vertrag sei mit den Siegeln des damals
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1) Mutian als Lobredner Hartmanas ereifert sich in einem Briefe vom Mai 1514 über den Hersfelder Schulmeister Heinrich Sehallis, der seit 1508 in Erfurt studiert hatte und den er schon früher als einen anmaßenden Menschen (,bachantium arrogantissimum et omnium bipedum gloriosissimum“) geschildert hatte. Derselbe habe sich nun erdreistet, diesem Georg zuzustimmen und den Abt Hartmann anzugreifen, als wären diesem „die Siegel des Stifts un- billiger Gestalt übergeben“. Diese falsche und erlogene Veröffentlichung habe Hartmann angegriffen, indem er den wahren Sachverhalt bekannt gemacht, auch die Lüge des Schallis widerlegt und zwei Mönche (Westershausen und Myle) angeklagt habe. Man könne nicht würdiger and wirksamer in solcher Sache schreiben. Gillert I, 398. II, 81.
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noch lebenden Abtes Johann, des Koadjutors und deg Kapitels von Fulda und zwei Notaren in „kapitularischer Versammlung" aller Mitglieder bekräftigt worden. Darauf habe Abt Volbert in die Hände des Papstes resigniert und dieser habe die Einverleibung vollzogen. Sobald ihm die Bulle nach dem Tode des Abtes Johann zugegangen sei, habe er die Huldigung von geistlichen und weltlichen Unter- tanen des Stifts Hersfeld entgegengenommen und persönlich vom Kaiser die Regalien empfangen. Die Siegel seien von dem bisherigen Abt und dem Dekan ordnungsgemäß über- geben worden; das Siegel des Konvents habe er, da.doch beide Kapitel hinfort eine Körperschaft bilden sollten, bei dem Kapitel in Fulda hinterlegen lassen. Alle Hersfelder Kapitelherren hätten eingewilligt, auch die früheren Siegel mit den neuen, die unter drei Schlössern verwahrt würden, zu übergeben. Die Konventsmitglieder, die nicht zum Kapitel gehörten, — also die niebtadligen Mönche — zu dergleichen Handel zu berufen oder ihnen die Kapitelsgeheimnisse zu offenbaren, sei nicht nötig gewesen. Jener Georg von Westershausen aber habe zwar anfänglich der Einverleibung nicht zustimmen wollen, dann aber sei er nach dem zum Hersfelder Stift gehörigen Kloster Kreuzberg zu ihm ge- kommen -und habe demütig um Gnade gebeten. Dabei habe er feierlich erklärt, dab diese Maßregel zweifellos von Gott und den heilgen Patronen beider Stifter vorgesehen und angeordnet worden sei, und habe in Beisein von Räten and Mitgliedern der Ritterschaft in die Hand seines nun- mehrigen Abts Gehorsam gelobt und damit die Inkorporation anerkannt. Sollten nun die ungehorsamen Mönche in ihrer mutwilligen Widersetzlichkeit sich ein neues Siegel. an- schaffen, so erkläre er alle damit beglaubigten Akte von woruherein für null und nichtig,
Dabei beging der Doppelabt die Unvorsichtigkeit, selbst den schwachen Punkt in seiner der Schutzherrschaft Hessen gegenüber befolgten Politik zu enthüllen und die Landgräfin auf die ibr drohende Gefahr aufmerksam zu machen. : Er betonte, daß er sich beizeiten durch Botschaften und Briefe mit dem Kurfürsten und den Herzögen von Sachsen als den obersten Kuratoren und Vormündern der beiden Landgrafen in Verbindung gesetzt und erklärt habe, dab die Einverleibung ibren althergebrachten Rechten an Hersfeld. keinen Abbrueh tun solle, obwohl es doch auf der Hand lag, daß diese dureh den Uebergang der Landeshoheis an das mächtigere, von Hessen unabhängige Stift so gut wie ‚aufgehoben wurden. In demselben Sinne habe er sich an den Landhofmeister und die. anderen. Regenten
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der Landgrafschaft gewandt, Beides aber und zumal der letztere Schritt war geradezu eine persönliche Beleidigung der Landgrüfin Anna, die seit Jahren in einen heftigen Kampf mit den Wettinern und mit dem Landhofmeister Ludwig von Boyneburg und seinem Anhang verwickelt war, um. mit ihren Rechten als Vormünderin zugleich die landes- fürstliche Stellung ihres Sohnes zu wahren. Verhängnisvoll wurde es nun für Hartmann, daß gerade in den nächsten Tagen, als er dieses trotzige Manifest erlassen hatte, in Hessen sich ein völliger Umschwung vollzog, die langjährige zähe Arbeit der Landgräfin mit einem vollen Siege gekrönt wurde. Jm Mäsz 1514 wurde auf dem Landtage zu Kassel ihre vormundschaftliche Regierung von den Siänden aner- kannt, die alten Regenten wurden. gestürzt und zu schweren Entschädigungskosten verurteilt; den Wettinern wurde ihre Obervormundschaft gekündigt und noch vor Ablauf des Monats wurden die festen Schlösser der alten rebellischen Regierung, Spangenberg, Ziegenhain und Marburg erobert. Die Hauptstadt Kassel unterwarf sich nach kurzem Tumult, und die Herzöge machten gute Miene zum bösen Spiel!). Der mit den alten Regenten verschworene Adel hatte nun die Ungnade der willenstarken und klugen Herrscherin zu tragen, und auch Abt Hartmann sollte bald erfahren, wie sehr er sich verrechnet hatte.
Denn er wandte sich in jenem Ausschreiben nun weiter- hin an die Ritterschaft, deren Interessen mit der Vor- herrschaft der adligen Kapitel in beiden Stiften eng ver- flochten seien, Er hob hervor, daß die Geistlichen des Hersfelder Klosters alle, wie es ihnen ihrem heiligen Orden nach gebühre, Gehorsam geleistet hätten, bis auf den einen Kraft, der „nicht von Adel geboren sei“. Sollten nun die ungehorsamen Mönche und ihr Anhang Erfolg haben, so
1) Hans Glagau, Anna von Hessen, die Mutter Philipps des Großmütigen. Eine Vorkämpferin landesherrlicher Macht. Marburg 1899. Kap. VIII. IX. Vgl. meine Besprechung in der Hist. Ztschr. 85, 338ff. wo auf die Verflechtung dieser Umtriebe des hessichen Adels mit denen der benachbarten Landschaften hingewiesen wird. Auf dem Landtage wurde dem Hofmeister besonders vorgeworfen, daß er der Einnahme von Hersfeld durch den Abt von Fulda nicht rechtzeitig vorgebeugt habe, weil er selbst dessen Vasall sei. Glagau S. 125. Die Hersfelder Bürger hatten sich beizeiten au den Hofmeister ge- wendet, als es klar wurde, daß man in Fulda die hessischen Wirren benutzen wollte, um „im Trüben zu fischen“. Die Abtei Hersfeld hatte dem vorigen Landgrafen zu einem Kriege noch 300 Fußknechte und 1800 Gulden gesandt.
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würde das Stift Hersfeld, das von Püpsten, Kaisern und Kónigen dem gemeinen Adel und der Ritterschaft gewidmet worden sei, diesem entwendet werden und vielleicht nie wieder in seine Hände kommen, während diese seine her- gebrachten Rechte durch die Einverleibung nicht aufgehoben würden. Es möchten also alle Adligen bedenken, welcher Vorteil und Ehre ihren Kindern und Verwandten, die sich vielleicht nieht immer in weltlichem Stande bequem erhalten könnten, jetzt und in Zukunft daraus erwachse. Sie möchten. ihm also ihr Vertrauen schenken, da er keine andere Absicht habe, als das Stift Hersfeld dem Adel zu erhalten und allen Lehnsleuten, edeln und nnedeln, ihre Freiheiten unverkleinert zn belassen.
Aber auch die ritterschaftlichen Parteigänger auf der Gegenseite säumten nun nicht länger, die Feindseligkeiten zu eröffnen. Nach der wohl durchaus zutreffenden Ver- mutung Vilbels hätte die Landgräfin selbst den edeln Herrn Georg von Bischofsrode?') gegen den Abt und die Fuldaer Kirche aufgewiegelt, so daß er beiden vielen Schaden tat und dabei von Hessen geschützt wurde; er fing sechs. Fuldaer Bürger weg, die jedoch auf die Verwendung des. Erzbischofs von Mainz hin freigelassen wurden.
Den Drohungen Hartmanns begegnete Anna schließlich damit, daß sie sich mit ihrer Beschwerde an dessen Stände, Ritterschaft und Städte, wandte?). Gleichzeitig hatte der Abt sich die mächtige Fürsprache und Unterstützung der Mainzer Regierung dadurch gesichert, daß er jene Sendung nach Erfurt tibernahm, die zugleich vom Dom- kapitel und dem stiftischen Adel gewünscht worden war, um durch Vermittlung zwischen den Parteien die mainzischen Hoheitsreehte zu befestigen. Am 15. Dezember 1514 war der Abt in Begleitung Ulrichs von Hatten, des Vaters, in Erfurt eingetroffen?) Dabei ist es recht bezeichnend, wie der schlaue Kirchenfürst den Argwohn der Gegner, der ernestinischen Beamten, zu täuschen verstand. In Eisenach hatte der Schultheiß Schwierigkeiten wegen des Geleits pemacu so daß, als der Abt auf der Straße nach Erfurt
!) Dieser wurde 1522 von Philipp als eisisdlok Amtmann über die dem mit Sickingen verbündeten Frowin v. Hutten entrissenen Orte eingesetzt, | 2) Jedoch nicht an das mitschuldige Kapitel, wie noch Vigelius 8. 48 annimmt.
3) FGB. VIII, 27ff. G. Richter, Ein Gesandtschaftsbericht des Fuldaer. Fürstabtes H. v. K. an den Erzbischof Albrecht v. M. vom 25. Dezember 1514,
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abreiten wollte, noch kein Geleitsmaun zur Stelle war; nur mit Mühe brachte ihn der alte Hutten, der als „Rat von Haus“ und fuldaischer Lehnsmann seinen Landesherren begleitete, herbei. Als nun aber der Schultheiß ausdrücklich fragte, ob sie etwa mit den Erfurtern verhandeln sollten, da doch schon zwei mainzische Beamte voraufgegangen seien, erklärte Hartmann, er wisse von nichts, sondern er selbst wäre nur unterwegs, um eine Wallfahrt zum heiligen Blut zu leisten. Aber während der andere an das Wunder yon Wilsnack denken sollte, meinte er die Reliquie in der Kirche zum heiligen Bronnen auf dem Roßmarkt in Erfurt?). Schließlich berichtete er aber am 7. März 1515 ziemlich resigniert über seine Tätigkeit: viele Köpfe unter einen Hut zu bringen, wolle viel Zeit haben; doch tróstet er sich damit, daß er sich in diese Mühe und Arbeit begeben habe, um sich den weiteren Schutz des Erzbischofs zu sichern, der ihn rechtlich vertreten und bei seinem Rechte erhalten werde. Auch von dem Oberhaupt der Kirchenprovinz wurde also die unerhörte Vergewaltigung der Hersfelder Kirche gut- geheißen, wobei das gespannte Verhältnis zwischen Mainz und Hessen, an dem auch die Zuchtlosigkeit des Stiftsadels Schuld war?), mit hineinspielte.
Eben damals verbesserte Hartmann seine Stellung noch wesentlich durch seinen erneuten Eintritt in das Mainzer Domkapitel. Sein erstes Kanonikat hatte er 1493 an Martin Truchse8ß von Pommersfelden abgetreten, war aber 1495 durch den Verzicht des zum Bischof von Würzburg erhobenen Lorenz von Bibra wieder zu einer Stelle gelangt?), die er wahrscheinlich bei seiner Berufung zum Koadjutor oder seiner Nachfolge als Abt hatte aufgeben müssen, bis er sich die Genehmigung des Papstes zum Besitz mehrerer Pfründen erwirkt hatte, Schon im November 1514 findet sich nun in den Protokollen des Domkapitels eine Verhandlung über den Vertrag des Abtes zu Fulda in seiner Eigenschaft als Domherr mit dem Erzbischof über seine Residenzpflicht, die der Abt der Kosten und Versäumnis wegen bei den Reisen
!) Th, Kolde, Das religiöse Leben in Erfurt beim Ausgange des Mittelalters. Halle 1898. 8.28.50. —
2) Vgl. WR. 8.288ff. W, Lauze a.a. O. S.22fi. (Niederlage ner Hessen bei Flersheim, wo sie von Frowin von Hutten überfallen wurden).
5) Macr. G. Hellwig, Annales archiepiscoporum ete, Sistach: Warmstadt. Mitteil, des Herrn Archivrats Dr. Herrmann, dem ich such die folgenden Auszüge aus den Domkapitelprotokollen m verdanke, deren Herausgabe er vorbereitet hat.
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von Fulda nach Mainz sich möglichst erleichtern möchte. Das Kapitel verweist auf die Statuten, will ihm aber, weng er ,mit Krankheit und Fehden überladen würe", entgegen- kommen. Am 18. November hatte Hartmann seine Resideng fürs erste geleistet und trat nun bald darauf seine Reise nach Erfurt an. Erst nach der Rückkehr fand dann am 25. Mai 1515 seine förmliche Aufnahme in das Kapitel statt, indem er persönlich gelobte, das von den Domherrn nack dem Tode des Erzbischofs Uriel von Gemmingen 1514 ge- &chlossene Bündnis treulich und in allen Punkten zu halten, und dann den herkömmlichen Eid auf das Evangelium leistete‘). Gleichzeitig wurde ihm die freigewordene Kurié zum Hirschhorn eingeräumt, die er im Juli 1525 mit dem weit stattlicheren Hofe Nassau vertauschte.
Als nun am 3. Juli 1615 im Kapitel über das Einreiten des Erzbischofs in Erfurt beraten wurde, das man den sächsischen Herzögen zum Trotz recht bald ausgeführt zu sehen wünschte, wurden den Deputierten auch die Dom- herren Hartmann von Kirchberg nnd Johann von Vilbel bei- gesellt. Bei dieser Gelegenheit bat Hartmann, dem Erz- bischof auch vorstellen zu lassen, daß er als Abt von Fulda auch Feinde habe und täglich von den Hessen bedroht sei; Da Albrecht nun nach seiner Provinz Magdeburg reise, so. möge er die Statthalter von Mainz beauftragen, ibm im Not- falle Hilfstruppen zu schicken. Dafür sei er bereit, sich der geriehtlichen Entscheidung oder der gütlichen Vermittlung des Erzbischofs zu unterwerfen?), während er auf jede Appellation verzichten wolle, Er erreichte nun in der Taf, daß sowohl der Erzbischof wie das Kapitel sich seiner Sache annahmen, weil beide fürchteten, daß sonst der hessische EinfluB auch im Gebiet der Abtei Fulda in einer für die Verbindung zwischen Mainz und Erfurt ge fährlichen Weise zunehmen hönne, während die Macht des Abtes durch die Einverleibung von Hersfeld bedeutend ver- stärkt worden war. ^ Und so konnte Hartmann bald darauf nach Falda zurückkehren, von wo er nun seinem Vetter Georg meldete; daß die Landgräfin und ihre Räte die Fuldaer Ritterschaft und alle Städte beschrieben und ihn wegen des Stiftes Hers-
: 1) DKP. und Urkunde vom 1, Juni 1515 über das Gelöbnis des Abtes von Fulda und Hersfeld, betr. die Konföderation der Kapitularen. Staatsarch. Würzburg, Mainz. neuregistrierte Urk. H. 9447, (Archiv- fat Herrmann). |
2) DKP. Bald darauf bat er um zwei Jahre Urlaub, mußte sioh aber mit kürzeren Fristen begnügen,
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feld verklagt hätten. Deshalb habe er durch seinen Statt- halter Ritterschaft und Städte zu einem Landtage entbieten lassen, zu dem auch der Erzbischof von Mainz seine Räte entsandt habe. Doch wisse er noch nicht, was dort be- schlossen worden sei. Gleichzeitig habe der Erzbischof eine Gesandtschaft nach Kassel geschickt, um den Hessen zu deren Verdruß mitteilen zu lassen, daß er ihn als seinen Zuge- wandten nicht im Stiche lassen könne, sondern ihn, so weit als möglich, gegen Gewalt sehirmen werde') Inzwischen war aber auch das Kapitel stutzig geworden und vereinigte sich mit den weltlichen Ständen dahin, daß man Vertreter nach Kassel schickte. Denn der Kleinkrieg war unterdessen weiter gegangen. Der Abt muß Erfurt schon Anfang Mai verlassen haben?), denn am 14. bis 16. Mai eroberte er zwei Burgen im Hessenlande, Heimbach, den Sitz seines schon erwähnten Feindes Georg von Bischofsrode, und die des Reinhard von Baumbach in Ulf, eines anderen: räuberischen Gegners der Fuldaer, und ließ sie ausplüudern. Dafür überfiel dieser Ritter Georg am 20. August das fuldaische Saldorf mit 60 Reitern und 30 Fußknechten ; aber er wurde abgeschlagen, und die Bauern erbeuteten vier Pferde und viele Waffen, die sie in ibrer Kirche auf- hingen: in Fulda, wo sie in Prozession erschienen, wurde dieser Erfolg als ein sichtbares Wunder und ein Sieg der guten Sache gefeiert’).
Unterdessen geriet der Abt der Schirmherrschaft von Hersfeld gegenüber immer mehr ius Hintertreffen. Unter dem Druck seiner Stände hatte er es nicht ablehnen können, den Sehiedssprueh des Grafen Wilhelm von Henne- berg-Schleusingen zuzulassen; er traf sich dazu mif der Landgräfin auf einem Tage zu Vacha. Als man hier bei dem Trotze Hartmanns nieht zum Ziele kam, rief Hessen die Vermittlung des Bischofs von Würzburg und der Burs- felder Kongregation, also der reformierten Benediktiner an; aber auch weitere Verhandlungen in Schmalkalden scheiterten, da Hartmann auf die Entscheidung des Kaisers und des Papstes pochte; doch wurden deren Urkunden von den Hessen für erschlichen erklürt*), Nun schritt die Landgrüfin
1) Avemann, S. 241f.
2) Mutian, der ihn nach Humanistenart umschmeichelt hatte, meldet am 1. Juni seine Rückkehr nach Fulda, schweigt sich aber natürlich über alle diese schlimmen Dinge aus. Gillert IT, 169.
3) Nach Vilbel, HZ. S. 226. Ein Hermann von Baumbach war 1513 als Dekan von Fulda und Propst zum Petersberge gestorben, S. 220.
4) W. Lanze, a. a. O. 8.12,
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zur Tat: sie schickte ihren Kanzler, Dr. Johann Feige, nach Hersfeld und ließ durch den Konvent den Dechanten Schenk von Schweinsberg absetzen und den Abt von Helmers- hausen, Ludwig von Hanstein, am 15. September 1515 zum Abte wählen. Dadurch ließ sich wieder der Fuldaer Abt zu einem frevelhaften Streiche fortreißen, der die schlimmsten Folgen haben konnte: er schickte vier Gruppen von Reitern aus, die den Gegner am 29. Sepiember auf der Reise nach Kassel „niederwerfen“ sollten; das sollte wohl zunächst seine Gefangennahme bewirken, konnte aber ebenso- leicht auf seine Ermordung hinauslaufen. Schließlich fiel er dem Daniel von Fischhorn in die Hände, der ihm bei Frithofen mit 40 Pferden auflauerte. Mit genauer Not konnte der Abt sich nach dem Friedhofe retten, während seine Begleiter und die Fuldischen „sich weidlich nach den Hälsen stachen“, bis zuletzt der hersfeldische Marschall Ernst Diede und . zwei Herren von Boyneburg, Heinrich und Kaspar der Reiche, gefangen genommen wurden. Die Kunde von dem Gefecht war aber wohl von einem der Ueberfallenen eiligst nach Hersfeld tiberbracht worden, worauf die Bürger mit guter Rüstung auszogen und ihren bedrängten Abt entsetzten!).
Jetzt aber wankte dem gewalttätigen Kirchberger. in seinem eigenen Stift der Boden unter den Füßen, Ueber - die einzelnen Vorgänge, die zu seinem Sturze führten, sind wir nicht ausreichend unterrichtet, da man auf beiden Seiten Ursache hatte, zu schweigen. Jedenfalls sah das Kapitel mit Besorgnis, wie das von dem Abte Johann hinterlassene Stiftsvermögen dahinschwand. Apollo von Vilbel berichtet darüber: „Da der Abt diese Mittel von Tag zu Tag leicht- fertig vergeudete, haben wir ihn, aufs höchste beängstigt, durch die Prälaten und Pröpste oft und immer häufiger, wie es nach der Regel des hl. Benedikt sich geziemt, in aller Demut ermahnt und fast unter Tränen bedrängt, er möchte von diesem schändlichen Leben’) ablassen und naeh dem letzten Willen seines Vorgängers mit dessen Nachlaß vielmehr verpfündete Güter des Stifts einlósen; aber er schlug das alles verächtlich in den Wind. Wir aber. yermochten nun in unserer Angst keinen anderen Rat zu finden, als daß wir mit seiner eigenen Zustimmung alle Edelleute beriefen?), auf deren Entseheidung wir beiderseits
1) W. Lauze a. a. O. S. 11f,
*) Man vergleiche damit die Bemerkung Mutians über den Sekretür Hartmanns als einen Menschen ,perditae vitae et leno domini“, Gillert II, 118,
. ?) Es ist bezeichnend, daß der Prälat die verfassungsmäßige Mit- wirkung der Städte auf diesem Landtage verschweigt,
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uns geeinigt hatten. Der Abt hatte sich verpflichtet, über alle einzelnen Ausgaben Rechenschaft abzulegen, und so wurden wir miteinander vertragen, so daß wir Gott dankten and der frohen Hoffonng waren, daß unserer Kirche aus diesem Abkommen großer Vorteil erwachsen werde. In- dessen täuschten wir uns, denn in der nächsten Nacht, am Sonntage Judica (9. März 1516) raffte der Abt alle vor- handenen Gelder, Kleinodien und Silberzeug nebst einigen Urkunden und Priestergewändern zusammen und entfloh heimlich nach Hammelburg“ an der fränkischen Saale, einer der fuldaischen Landstädte, wo den Aebten die Burgen Saaleek und Amalienburg zur Verfügung standen.
Diese Handlungsweise des Abtes muß weithin beträcht- liches Aufsehen gemacht haben. In Erfurt schrieb ein an- gesehenes Mitglied der Universitüt, der Magister Johann Werlich, Pfarrer von S. Michael, der mehrfach Dekan der philosophischen Fakultät und 1512 auf 13 Rektor war, in seine Chronik!): „In der vergangenen Fastenzeit, im März, hat der Abt Hartmann von Fulda in einer mir unbegreiflichen Geistesverfassung das Kloster seines Schatzes und seiner Kleinodien beraubt und mit der Beute zu entfliehen ver- sucht. Er wurde dann durch die Vasallen verfolgt und ein Teil der Beute zurückgebracht. Er selbst aber begab sich nach Hammelburg, wo er, dureh seine Anhänger verteidigt, eine Zeit lang sich verborgen hielt. Schließlich ist er im Vertrauen auf gewisse Beschützer auf seine Pfründe nach Mainz zürückgekehrt. Ueber die ganze Angelegenheit wird verschieden berichtet, so daß es besser ist, zu schweigen, als voreilig zu urteilen. Nichtsdestoweniger wird er jetzt auf dem Schlosse Aschaffenburg unter Berufung auf seine kirchliche Gehorsamspflicht festgehalten, so daß er dessen Schwelle nicht zu überschreiten wagt“. Dem Verfasser war also wohlbekannt, daß hinter dem Abte das mächtige Domkapitel stand; und so ist es denn auch nicht glaublich, daß eine zeitweilige Internierung Hartmanns durch den Erz- bischof verfügt worden wäre, über die wir aus den Proto- kollen des Kapitels etwas erfahren würden.
Ueber diese Vorgänge besitzen wir nun auch die ein- gehende Darstellung des Abtes, durch die er sich dem neuen „König“ Karl V. gegenüber zu rechtfertigen suchte, als er diesen noch vor der Krönung in Aachen bat, ihm wieder zur Verwaltung seines Stifts zu verhelfen und ihm die mit frevelhafter Gewalt beschlagnahmten Schlösser,
t 1) Der „Erphurdianus antiquitatum variloquus^ hrsg. von R: Thiele. Geschichtsgnellen der Prov, Sachsen XLII, 220f. (Halle 1906).
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Aemter und Gerichte wieder zu verschaffen. Er erinnert dabei an seine den Vorfahren des Königs geleisteten viel- fältigen treuen Dienste und Reisen und bittet ibn zu er- wägen, was dem heiligen Reich und allen regierenden Ständen für Schaden daraus erwachsen müsse, wenn es in der Untertanen Belieben stände, ihren Herrschaften . alle Pflichten nach Gefallen zu kündigen (aufzuschreiben) und sich dermaßen gegen sie zu verschwören und zu empörent),
Indem er von den Mängeln seiner Verwaltung schweigt, stellt der Abt hier als Ursache des Bruches die enge Ver- bindung seiner Ritterschaft und seines Kapitels mit einem vielgenannten hessischen Raubritter hin, mit Hektor von Mörlau, genannt Böhm, dessen nächste Bluts- verwandte zu den Fuldaer Prälaten gehörten?). Dieser
1) Cod. prob. p. 352 sqq. Von Schannat und seinen Benutzern zum Jahre 1517 gesetzt, aber erst nach der Landung Karls V. (1. Juni 1520) verfaßt, i
2) Der oben S, 212 erwähnte Gönner Huttens, der Propst vos Allendoif, Frank von Mórlau, war sein Bruder. Sehannat, Hist, Fuld, p. 219. Der Ritter behauptete nun in einem an das Reichsregiment am 26. April 1522 gerichteten Schreiben, er sei zu der Fehde gegen die Ernestiner gezwungen worden, weil diese 1515 seinen (nach Apollo . v. Vilbel 1519) verstorbenen Biuder Frank die Propstei Allen- dorf (bei Salzungen a. d. Werra) streitig gemacht hätten. Sie hätten die Stelle nur „zu versprechen, aber nicht zu besetzen oder zu entserzen“, was nur dem Abt und der Herrschaft des Stifts Fulda zustehe, Die Herzöge aber hätten seinen Bruder ohne alle Ursache, ohne Klage und Untersuchung und gegen den Landfrieden vertrieben und gewaltsam spoliiert, was ihm viel Schimpf und Schaden bereitet habe. Auf seine Beschwerden habe er keine verträgliche Antwort erlangen können, daher er sich „aus brüderlichem Geblüt in die Fehde begeben habe". Er hatte nun in den nächsten Jahren die sächsischen Untertanen schwer geschädigt, so daß der Kaiser am 27. Januar 1518 die Acht gegen ihn aussprach; wie es in dem Antrag der Herzöge heißt, hatte er mit Michel Bodelwitz in ihrem Amt und Geleit Wartburg Kaufleute abgefangen und Lösegeld erpreßt; sein Spieß- geselle war dann verhaftet und gerichtet worden, worauf Hektor ia freventlicher Eigenmächtigkeit sich einer mutwilligen Fehde angemaßt und ihre Untertanen „mit Nahme, Fahen, Wegführen, Schatzen, Rauben, Mord und Brand“ vielfach geschädigt hatte. Besonders hatte er am 1. Oktober 1517 ihr Dorf Gumpershausen überfallen, „gepocht, geplündert“ und zum größeren Teil niedergebrannt, auch etliche Insassen gefangen und verwundet oder jämmerlich ermordet, Bei dem Rückhalt, den er an den Fuldaer „Mönchen“ hatte, war ihm nicht beizukommen. So hatte er noch im Juni 1520 den sächsischen
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hatte die Dreistigkeit gehabt, den Ernestinern als den Erb- verwandten des Landgrafenhauses förmliche Fehde anzusagen, und sie jahrelang empfindlich geschädigt. Er hatte dabei Hilfe und Unterschlupf bei der Fuldaer Ritterschaft gefunden, während der Abt schon bei seinem Anschlag auf Hersfeld sich der Gunst der Herzöge zu versichern gesucht hatte. Vor allem aber mußte er als Mitglied des Mainzer Kapitels
RatEucharius von Rosenau mit mehreren Begleitern zwischen Würzburg und Rotenfels überfallen: das versprochene Lösegeld von 2066 Gulden wurde auch erlegt, aber vergebens wandten sich die Herzöge au den Bischof von Würzburg, in dessen Gebiet der Ueberfall erfolgt sei: es wurde von Konrad von Thüugen einfach be- etritten. Der Kurtürst bemühte sich daher auf dem Wormser Reichs- tage, gegen Hektor und „seine Gesellschaft“ aufs neue die Reichsacht zu erwirken, die am 6. Mai erneuert wurde (DRA II, 833f). Ver- mutlich hatte sich Hektor damals durch seine Freunde unter der kurpfülzischen Ritterschaft an Ludwig V. gewendet, der einen Ver- gleich herbeizuführen versucht habe, aber vergeblich. Eine Frevel- tat Mangolds von Eberstein, die in Nürnberg großes Auf- sehen erregte, begangen an einem Kaufmann aus Kärnthen, ferner die am 13. März 1522 erfolgte Ermordung des Fuldaer Propstes Küchenmeister bei dem Schlosse der Herren von Thüngen (8. unten), veraulaßte das Reichsregiment zum Eingreifen: Graf Georg von Wertheim wurde als Hauptmann mit dem Vorgehen gegen die „Friedbrecher und Beschädiger“ beauftragt und zerstörte nun den südlich von Fulda gelegenen Brandenstein, von dem Mangold sich zu Sickingen geflüchtet hatte. Dann wurde noch die Burg Zeitlofs bei Brückenau eingenommen, die Fritz von Thüngen (DRA. Ii, 716. 720) gehörte, und nun zog der Graf auch „vor die Behausung Hektor Beheims", die der Abt von Fulda als sein Lehen in Anspruch nahm. Wertheim bedauerte dann dein kur- füistlichen Gesandten Hans von der Planitz in Nürnberg gegenüber, daß kein Vertreter seines Herrn zur Stelle gewesen sei, da er dann den Burgherrn hätte nötigen können, die Fehde gegen Sachsen auf- zugeben. Dieser hatte sich nach dem Ganerbenschluse Geln- hausen begeben, so daß, wie Wertheim meinte, seine Burg auf den etwaigen Wunsch des Kurfürsten au einem Tage mit geringen Kosten erobert werden könnte. Und auch Planitz war 21.—21. Mai der Meinung, wenn mau jetzt „wirklich fortfahre, gegen die Fried- brecher zu handeln, so könne mit leichter Mühe der Friede im Reich erhaiten und die Piackerei zerstört werden“. Der Kurfürst äußerte am 1. Juni seine Befriedigung über das Vorgehen Wertheims und ver-prach, den Vorschlag'mit seinem Bruder zu bedenken, da es für künftige Fälle mutwilliger Friedens»töruug eine nützliche Warnung sein würde. Hektor aber hatte die Dreistigkeit. gehabt, sich am
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darauf bedacht sein, den in der Erfurter Frage bestehenden Gegensatz zwischen Mainz und Kursaehsen nicht zu ver. schärfen. Er schrieb nun schon am 10. Mai 1516 aus Hammelburg an seinen Vetter, den Burggrafen Georg, er habe durch das Verbot, jenen Hektor von Mörlau zu unter- stützen, den größten Unwillen seiner Mönche und Ritter er:
26. April an das Reichsregiment zu wenden (ohne Angabe seines Aufenthaltsortes!) und als ein „Armer vom Adel“ gegen „genugsames Geleit" sich zu rechtlichem Verhür zu erbieten, wobei jedoch alles, was „sich in Fehden und Zugriffen‘ begeben hätte, ausgeschlossen bleiben sollte. Da er keine Antwort erhielt, erneuerte er sein Gesuch am 9. Juni, und nun erkundigte sich das Reichsregiment bei Planitz, ob Beheim, der behaupte, eine begründete Ursache zu seiner Fehde gehabt zu haben, wirklich in der Acht sei (14. Juni). Beide Herzöge gaben nun am 5. Juli dem Regiment genaue Auskunft über den Ver- lauf der Angelegenheit: die von Beheim angeführten Gründe seien falsch, dagegen sei er wegen der gegen sie verübten Frevel zwei- mal geächtet worden, und sie könnten auch nicht auf Ersatz des unter dem Schein einer Fehde angerichteten Schadens verzichten; Wenn er sich aber zuvor „aus der Acht wirken‘ würde, wollten sie Sich zu rechtlicher Verhandlung bereit zeigen; weigere er sich jedoch nach Vorschrift des Landfriedens zu handeln, so móge ihn das Regiment zu Schadenersatz anhalten und seines Frevels wegen bestrafen. Das Regiment erteilte dem Gesandten auf seinen Vortrag eine zustimmende Antwort und übermittelte dem Ritter die sächsische Erklärung, wo- rauf dieser am 20. August erwiderte, daß er „keiner Acht gestündig sei“, auch bisher keine Vorladung erhalten habe. Die seinem Bruder angetane Schmach sei offenkundig und werde sich auch im Verhür herausstellen; die Fürsten hütten selbst gegen den Landfrieden ge- handelt, und wenn sein Angebot nicht angenommen werde, werde er sich der ,Gegenwehr bedienen, um seines Schadens Kehrung und Abtrag zu erlangen“. Am 4. September hatte inzwischen der Kur- fürst angeordnet, daß der Fiskal am Reichskammergericht wegen der an Rosenau verübten Erpressung Klage erheben solle; der aber fand die Beweise nicht genügend und fürchtete, in die Kosten verurteilt zu werden, wenn jener nicht als Nebenklüger dafür hafte.. Und so verlief die Sache vorläufig wieder im Sande, um erst nach Jahr- zehnten durch die Gefangennahme Hektors erledigt zu werden. H. Virck, Planitz-Berichte S. 154f. 1721t. 185ff. 191. 208. — Kalkoff, Depeschen Aleanders S. 237 Anm. Die von Virck erwähnte Be- arbeitung der umfänglichen in Weimar beruhenden Akten dureh Herrn Dr. Lämmerhirt ist leider nicht zustande gekommen. — Es war wohl der von den Ernestinern eingesetzte Propst von Allendorf, Konrad von Biedenfeld, der später „zur lutherischen Partei abfiel and eine Nonne heiratete“ (HZ, 8. 225).
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regt. Schon früher habe er den Kapitelherrn deswegen bart und ernstlich gedroht. Darauf hätten sie ihm im Kapitel entgegnet, sie wollten ihre Verwandten und Freunde um der Herzöge willen nicht im Stiche lassen, und der Abt dürfe es ihnen nicht wehren, Und nun hätten sich Prülaten und Ritter vereinigt, diese böse Handlung an ihm zu verüben!).
Auch in der Eingabe an Karl V. betont der Abt, daß sich Dechant und Kapitel gegen ihn empört hätten, weil er ihnen nicht gestatten wollte, denen, „die auf die Straße greifen, um Fürsten und andere zu schädigen, in den Klöstern des Stifts Vorschub zu leisten“. Und besonders sei der „empörerische Unwille seiner Mönche“ daher ge- kommen, daß ein Lehnsmann des Stifts, eben jener Hektor on Mörlau, sächsische Untertanen in fuldaischen Klöstern und Dörfern gefangen und beschädigt habe. Während er nun zunächst nur den Freunden Hektors dies verwiesen habe, hätten diese die Ritterschaft aufgewiegelt, als hätte er ihnen bei ihrer mönchischen Gehorsamspflicht geboten, ihren angeborenen Freunden überhaupt keine Aufnahme und Beistand zu gewähren. Und so sei es dabin gekommen, daß Kapitel und Ritterschaft sich vorgenommen hätten, in einer andern Sache einen Landtag auszuschreiben. Die Beschwerden über seine Verwaltung seien also nur der -Vorwand gewesen, um sich so lästiger Mahnungen zu ent- ledigen und jenes zuchtlose Treiben ungestört fortsetzen zu können. Da nun die Berufung des Landtags nur ihm als dem regierenden Herrn und Abte zustehe, habe er den Städten befohlen, die Versammlung nicht zu besuchen, und den Mönchen, dabei keine Verhandlung zu pflegen. Da dieses Verbot nichts fruchtete, sah sich Hartmann nach Beistand .um, und so erschienen denn auch rechtzeitig kurmainzische und bischöflich-würzburgische Räte. Denn die ungehorsamen ‚Mönche hatten inzwischen, um „desto kecklicher ihres freien Mutwillens pflegen zu können“, eine stattliche Versammlung der Ritterschaft und einer großen Anzahl der Städte zuwege gebracht, so daß „anderthalbhundert“ von ihnen dem Abte gegenüber standen. Den fremden Räten hatten zwar die Mönche wie die Ritterschait bei Gehorsam und Eidespflicht versprochen, daß, wenn der Abt in den Zusammen- tritt des Landtags einwillige, dabei nichts gegen seine Person, sondern nur, was zur Ehre und Wohlfahrt des Stifts gereiche, verhandelt werden solle. Gleichwohl bestanden Mönche, Ritter und Bürger bei den „verdrießlichen und ganz un- billigen Verhandlungen, die sich drei Tage vom Morgen
1) Avemann, 8. 242.
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bis zum Abend" hinzogen, darauf, daß der Abt von dem Barbestand, und allen Vorräten des Stifts bei seinen Kelle- reien und Amtern Rechenschaft ablegen solle. Dieser ver- steifte sich darauf, daß er weder durch kaiserliche noch durch päpstliche Bestimmungen dazu verpflichtet sei und auch durch seine Verwaltung keinen Anlaß zu solcher Forderung gegeben habe, da er das Stift seit dem Tode seines Vorgängers nicht geringert, sondern nur verbessert, ‚auch nichts davon verpfändet oder veräußert habe. Da nun der Landtag auf seiner Forderung bestand, auch die fremden Räte nichts ausrichteten, entnahm der Abt aus vielen äußer- lichen Anzeichen, daß, wenn er auch in die Rechnungslegung einwilligte, man daraus nur weitere Vorwünde entnehmea würde, um gegen ibn vorzugehen. Er habe sich daher, um sich vor ihrem „ungestümen und bedenklichen Vornehmen* zu retten, nächtlicher Weile aus seinem Schlosse in Fulda entfernt und nach seiner Stadt Hammelburg begeben, die sich an der bösen Handlung nicht beteiligt hätte. Dock habe er seinem Marschall eine schriftliche Erklärung über- geben, in der er sein „Abreiten“ gerechtfertigt und sich zu ‚weiteren Verhandlungen erboten habe. Diese Schrift habe der Marschall noch in der Nacht den Ständen zugestellf. Dessen ungeachtet hätten die Prälaten mit Rittern und Bürgern sofort am frühen Morgen das Schloß belagert, Büchsen und Geschoß herangebracht und die Brücke, tiber ‚die er kurz zuvor ausgeritten sei, abgebrochen, weil sie glaubten, er wäre noeh im Schloß. Dann hatten sie hinein- ‚geschossen, obwohl der Marschall und andere ihnen wieder- holt zuriefen, daß der Abt ihnen gar nicht befohlen habe, das Schloß zu verteidigen. An diesem Tumult hätten. sich -die Kapitelberren selbst mit bewaffueter Hand beteiligt. Als ihnen dann der Marschall das Schloß óffuete, hatten sie ihn und den Vetter des Abts unter Ehrenwort in einem Gemach gefangen gesetzt, die Knechte und Diener geschlagen, ‚einige in den Turm geworfen, auch in den Stock ‚gelegt ‚und ihre Häuser gepfändet, In der Burg hatten sie alle ‚verschlossenen Behälter zerschlagen. und alsbald. auch alle anderen Schlösser, Aemter uud Gerichte des Stifts .beschlag- nahmt Etwa vierzehn Tage daraaf wurden alle Amtleute ‚des Abtes und alle Städte der ihm geleisteten Eide und ‚Pflichten. entbunden. Der juristisch gebildete Abt verfehlt ‚nicht, ' ein solch gewaltsames, eigenmüchtiges ‚Vorgehen als -&inen mit geistlichem uud weltlichem Recht unverträglichen .Frevel zu brandmarken.
Der geistliche Chronist, der doch an allé. diesen stürmischen Auftritten beteiligt war, verschweigt ‚natürlich
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Xiles, was sich hierbei mit den klösterlichen Sitten nicht verträgt. Die adligen Mitregenten des Stifts sollten aber bald zu der Einsicht kommen, daß sie und der gesamte geistliche Staat „den größten Schaden“ von dieser Wendung der Dinge hatten, denn, so fährt Vilbel fort, „die. Bürger von Hammelburg benahmen sich in dieser Fehde (gwerra) $0 hart und grausam gegen ibre Herren vom Kapitel, denen sie doch als ihren rechten Erbherren eidlich verpflichtet waren, desgleichen gegen Adel und Städte“, daß sie auch der Entscheidung des Landtages zum Trotz dem Flüchtling Unterschlupf gewährten, „Zunächst war ihm der Dechant Philipp von Schweinsberg mit einigen Mitgliedern des Kapitels und einigen Edelleuten nachgeeilt, angeblich in keiner andern Absicht, als Frieden und Eintracht zu wahren und den Abt zurüekzurufen, dem sie versprechen wollten, ihn mit allen Ehren nach Fulda zu geleiten!). Aber de Bürger mißachteten ihren dem Kapitel geleisteten Eid und verwarfen nicht nur jenes Angebot, sondern verwehrten den Gesandten auch den Eintritt in die Stadt und zwangen sie, mit Schimpf und Schande abzuziehen. Auch während des ferneren Streites erwiesen sie sich als feindselig und zwangen die adligen Möuche wie die Bürger von Fulda vor verschlossenen Toren umzukehren und ihre höhnischen Schimpfworte noch in den Kauf zu nehmen. Unterdessen verbrauchte und verkaufte der Abt alles, was er in Hammel- bürg an Wein und Feldfrüchten vorfand; das Schlimmste Aber war, daß er mit Anna von Hessen, der damaligen Feindin des Fuldaer Stifts, Freundschaft zu schließen suchte, indem er ihr alle päpstlichen und kaiserlichen ‚Urkunden "über die Einverleibung von Hersfeld auslieferte und. so dem Stifte Fulda auf immer entweudete". Ä
Denn Hartmann war in der Tat klug genug gewesen, sich wenigstens vor weiterer Bedrängung von Seiten Hessens zu sichern, indem er am 1. April 1516 zugunsten Ludwigs von Hanstein auf die Abtei Hersfeld verzichtete und ver- sprach, die Angelegenheit auch bei Kaiser und Papst ordnen zu helfen. Da Ludwig bald darauf in Kassel verstarb, so wurde nun unter hessischem Einfluß am 19. Septeniber jener eharakterfeste Crato Mylius aus Hungen in der Wetterau gewählt, seit Jahrhunderten der erste bürgerliche Abt?), der
. 1) Hartmann tat wohl daran, ihnen nicht zu folgen. Die Mönche des ‚Benediktinerklosters Homburg bei Langensalza hatten ihren Abt Johann von Berka eingekerkert. „Mit Gottes Hilfe aber war er. unversehrt ent- kommen und starb 1513 in Fulda als Kaplan des Abtes.“ HZ. S. 28b.
2) W. Lauze a. a. O. S. 12. LM Archiv für Reformationsgeschichte XXII. 3/4, 16
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dann dureh seine lutherfreundliche Haltung — er bereitete dem Reformator schon am 30. April 1521 auf der Rückreise von Worms einen ehrenvollen Empfang — der Einführung der evangelischen Lehre Vorschub leistete, wenn er auch selbst bei der alten Kirche verblieb. ' Zunächst verstanden nun aber die doppelt betrogenen Kapitelherren, sich auf eine empfindliche Art an Hartmann von Kirchberg zu rüchen!). Dieser hatte sich auf seine engen Beziehungen zur Mainzer Regierung verlassen, die denn auch dureh ihre Kommissarien einen Tag in Aschaffenburg abhalten ließ, auf dem wenigstens ein vorläufiger Stillstand zwischen den Parteien verabredet wurde, der sich auch.auf jenen Hektor von Mörlau bezog. Denn dieser hatte bald darauf den jungen Vetter des Abtes, Burggrafen Siegmund, den er nach Köln geschickt hatte, auf der Rückreise über- fallen und auf freier mainzischer Landstraße samt Knechten und Pferden in Gefangenschaft geführt. Hartmann wandte sich daher sofort (Hammelburg, 13. Juni 1516) an die erz- bischöflichen Statthalter, vorab den Grafen Eberhard ' von Königstein?) mit der Bitte, entweder selbst oder durch die Ganerben der Schlösser Friedberg, Gelnhausen und Lindheim eine Verhandlung zwischen ihm und dem von Mórlau anzubahnen, worauf denn auch die mainzische Regierung einen Tag zu Aschaffenburg, ihrem eigenen Wohn- sitz, auf den 30. Juli ansetzte. Hektor aber redete sich darauf ‘hinaus, daß er keineswegs dem Waffenstillstand zuwider ‚gehandelt habe, denn er habe den Burggrafen nicht als Ver- ‚wandten des Abtes, sondern als Untertanen der beiden 'Ernestiner niedergeworfen. Auch die hessische Regierung, die sich daraufhin mit der Sache befaßte, konnte nichts weiter erreichen, als daß der Räuber erklärte, Burggraf Georg könne seinen Sohn nur „durch ehrliche Ausrichtung nach seinem Gefallen“, also durch ein von ihm zu bestim- :mendes Lösegeld erretten. Desgleichen erlaubte sich Hans von Thann, ein Verwandter des Propstes von Holzkirchen (gest. 1518), das Haus des Burggrafen in Fulda, das man 'schon bei Hartmanns Flucht geplündert hatte, zu beziehen, weil es doch dem Kapitel gehöre”).
Auf dem Tage in Aschaffenburg erschien nun Hartmann
1) Das folgende nach Avemann S. 243fl.
3 Vgl. über diesen mein Buch „Die Kaiserwohl Friedrichs IV. ‘und Karls V." bes. S. 138—143, ' '. $) Hartmann rüchte sich, indem er- sich der Propstei Holzkirchen 'bemächtigte, wo Reinhard von Thann ein schönes Mohogebanie et- richtet er HZ. S. 936.
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persönlich, unterstützt durch Räte des Bischofs von Würz- burg und der Landgräfin von Hessen, während die sächsischen Herzöge ihre Räte der Gegenpartei zu Hilfe geschickt hatten. Der Abt beklagt sich darüber in einem Schreiben an seinen Vetter mit dem heuchlerischen Vorgeben, daß er doch nur der Herzöge wegen aus seinem Stift verjagt worden sei, weil er den offenkundigen Helfershelfern Hektors nicht habe gestatten wollen, ihn aufzunehmen, um Streifzüge gegen ernestinisches Gebiet zuunternehmen. Aber diese Undankbarkeit der Herzöge erklärte sich daraus, daß ihnen Hartmann auf einem sehr viel wichtigeren Kampfgebiet, in dem Ringen um die Landeshoheit über Erfurt, entgegengetreten war. Der Abt erreichte denn auch in Aschaffenburg nichts weiter, als daß sein Haus in Fulda geräumt, seinem Vetter Pferde nnd Harniseh wiedererstattet werden sollten. Die Haupt- fragen, wie auch die Lösung Siegmunds wurden auf einen Tag zu Marburg verschoben, denn die dem Abte gestellten Bedingungen waren so ungünstig, daß seine Beistünde ihm die Annahme widerrieten. Den furchtbarsten Schlag aber führte der im Kapitel vertretene Adel gegen ihn, indem er sich mit dem Grafen Wilhelm von Henneberg dahin verständigte, dessen Sohn zum Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge zu erheben und so den Abt matt zu setzen. Die beiden sächsischen Räte mußten also in Aschaffenburg in Beisein des Grafen Michael von Wertheim das Ansuchen an Hartmann richten, er möge in Anbetracht der alten Freundschaft zwischen den Häusern von Kirchberg und von Henneberg diesen jungen Grafen als Koadjutor und Nach- folger annehmen. Diese Zumutung verbat sich der Abt nun zwar als mit seiner Ehre unvereinbar: er wäre vielleicht bereit gewesen, vertraulich mit dem Grafen Wilhelm tüber diese Frage zu verhandeln; so aber würde es den Anschein haben, als hätte er in offener Auseinandersetzung mit den Gegnern auf seine Würde verzichten müssen. Daraufhin schloß das Kapitel am 16. August 1516 einen Vertrag mit dem. Henneberger, daß, wenn der jetzige Abt mit Tode ab- gehen würde, sein Sohn Abt und regierender Herr von Fulda
werden sollte!).
1) Gegenseitige Verschreibung zwischen Dechanten und Kapitel einer-, Graf Wilhelm andrerseits, die von der Versammlung der Ritter- schaft und Stüdte gebilligt worden war. Der junge Graf soll, sobald er 14 Jahre alt ist, die Statuten des Stiftes beschwören. Bei deren Verletzung ist das Kapitel ohne weiteres berechtigt, einen anderen zum Abte zu wühlen. Sein Vater verspricht überdies, dem Stifte in seinen Irrungen mit dem Abte Hartmann jeden Beistand zu leisten. Cod.
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Indessen war ein Mann von dem Ehrgeiz und der Er- fahrung dieses vornehmen Kurtisanen doch nicht so leicht aus dem Sattel zu heben; und auch die Herrschaft des Kapitels scheiut nicht sonderlich beliebt gewesen zu sein. Denn alg Hartmann erfuhr, daß der Graf von Henneberg Reiter an- werbe und einen Anschlag gegen ihn im Schilde führe, empfing er von den Hammelburgern die Versicherung, daß sie Leib und Gut für ihn als ihren Herrn einsetzen wollten, und den Rat, auf keine sehimpfliehen Zumutungen einzugehen, wie sie ihm soeben in Aschaffenburg gemacht worden seien. Und auch das Städtchen Vacha (a. d. Werra) sandte zwei Ratsmitglieder an den Abt, klagte, daß man sie schändlich hinters Licht geführt habe, bat feierlich um Ver- zeihung und gelobte dem von Gott verordneten Stiftsoberhaupt ferneren Gehorsam. Wenn man hinzufügte, daß man keinen anderen Herrn anerkennen werde, so richtete sich das offenbar gegen die Machtgelüste der benachbarten Henneberger und wurde von diesen so gut verstanden, daß Graf Wilhelm später versuchte, das Stüdtehen zu überrumpeln; doch wurde er von den wachsamen Bürgern mit Schimpf und Schande abgewiesen °).
Auch ein Tag in Marburg, den die Hessen auf den 1. Oktober 1516 anberaumt hatten, verlief ergebnislos, da Hartmann sich keines Rechtes begeben, die Stiftischen aber
prob. p. 351 sq. Auch durch diese kirchliche Würde seines Sohnes wurde der Graf Wilhelm (1480—1559) auf der altkirchlichen Seite festgehalten. In Worms suchte er Luther in seiner Herberge auf, erregte aber dann de-sen Zorn durch die Begünstigung der Wallfahrt zu dem Marienbilde von Grimmenthal. Den Bauernaufstand, der sein Gebiet besonders schwer betroffen hatte, rüchte er im Bunde mit dem grausamen Bischof von Würzburg durch furcbtbare Bluturteile. Später aber legte er der Eiuführung der Reformation durch seinen Sohn Georg Ernst keine Hindernisse mehr in den Weg. Vgl. W. Hóhn, Kurze Gesch. der Kirchenreformation in der gefürsteten Grafschaft H., Halle 1894 (Schr. f, das deut-che Volk 22). Der erziehliche Einfluß, den die Reformation auch auf den Adel ausübte, zeigt sich auch darin, daß mit den Räubereien der Ritterschaft auch deren Begün-tigung durch die Kleinfürsten aufbörte. Noch 1523 wurde Graf Wilhelm als eines der Häupter des fränkischen Adels vom Schwäbischen Bunde durch ein energisches. Schreiben aufgefordert, seine strenge Neutralität bei dem Strafzug gegen die Raubritter zu erklären, da.noch die Abgesandten des Schweinfurter Rittertages der Bundesleitung gedroht hatten, der Henneberger wolle seine Bundesverwandten nicht verlassen (Planitz, Berichte, S. 471 ff., 480f). i : 3) Vgl. WR. S. 289. ko
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ihm niehts weiter günnen wollten, als ein Jahrgehalt auf Lebenszeit. Schließlich schlug die Regentin ein Schieds- gericht von 12 Personen aus Grafen, Prälaten, Rittern und Bürgern vor, das den Streit engültig schlichten sollte. Doch rief sie damit nur den Gegenantrag hervor, daß die Sache dem ganzen hessischen Landtage unterbreitet werden müsse. Dann aber wurde sie in jenen langjährigen Kampf mit ein- bezogen, den die Landgräfin gegen die Mitglieder der von ihr gestürzten adligen Regentschaft führte, hinter denen auch die buchonische Ritterschaft stand, die mit dem ehe- maligen Landhofmeister Ludwig von Boyneburg auch in dieser Frage Hand in Hand gehen wollte.
Dem Domkapitel in Mainz kam es darüber immer mehr zum Bewußtsein, daß Hessen nicht nur seine Stellung in Hersfeld zurückgewinnen, sondern auch in Fulda Fuß fassen wollte, was wegen der Verbindung mit dem thüringischen Besitz des Erzbistums recht bedrohlich werden konnte. Am 6. November 1516 beschlossen also die Domherrn, den Erzbischof zu bitten, daß er persönlich zwischen dem Abt und seinen Gegnern vermitteln möge, da die Mainzer Kirche einen offenen Krieg nicht ertragen könne. Dadurch sah sich nun wieder der Abt in Gefahr, seinen Rückhalt im Domkapitel zu verlieren, und so erschien er am 30. Dezember zu einer eingehenden Darlegung. Er beriehtete zunächst über den Hergang seiner Vertreibung aus der Abtei!) und rechtfertigte sich wegen aller ihm gemachten Vorwürfe. Dann wiederholte er sein Erbieten, in allen Punkten vor dem Erzbischof oder vor Dekan und Kapitel von Mainz zu Recht zu stehen und ihrer gütlichen oder richterlichen Entscheidung zu gehorchen, ohne den Vorbehalt fernerer Appellation. Nur müsse er zur Bedingung machen, daß er in seine Würde und Regierungsgewalt wieder eingesetzt werde und im Falle der Absetzung nicht zu erscheinen brauche. Bei einer solehen Wendung behielt er sich also vor, den Streit vor einem andern Gerichtshofe, dem des Kaisers und des Papstes, weiterzuführen. Bald darauf muß nun der Erzbischof, bzw. der Statthalter Lorenz Truchsess die Gegner Hartmanns soweit gebracht haben, dab sie am 15. März zu einem Vergleichstage in der erzbischöflichen Residenz Steinheim bei Aschaffenburg erscheinen wollten, und nun bat Hartmann am 4. Februar 1517 das Domkapitel, ihm dazu zwei Mitglieder als Beistand mitzugeben. Am
1) „factum suae destitutionis ex ordine retulit..." was nicht etwa als Verstoßung aus dem Benediktinerorden aufzufassen ist, da von einem solchen Schritte nichts verlautet.
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5. März aber erklärte er, daß er aus Gesundheitsrücksichten und um der Gefährlichkeit der Wege willen nicht erscheinen könne; er habe den Erzbischof gebeten, einen anderen Tag an einem geeigneten Orte anzusetzen; das Kapitel möge ibn auch dann unterstützen,
Inzwischen hatte er noch gegen Ende des verflossenen Jahres durch eine Reise an den kaiserlichen Hof sich bei Maximilian I. in Erinnerung gebracht") und zunächst erreicht, daß kaiserliche Räte sich im März mit Einigungsverhand- lungen bemühten, iiber die der Abt am 30. März im Kapitel berichtete. Er betonte dabei die engen Beziehungen (die „Union“) der Mainzer und der Fuldaer Kirche und beteuerte, daß er selbst stets das Wohl des Erzbistums im Auge ge- habt habe und dessen Schaden abzuwenden bedacht sei, damit man ihm später nicht vorwerfen könne, daß er als Mitglied des Kapitels gegen das Wohl der Mainzer Kirche gehandelt habe. Er bat daher, ihn zu beraten, da er auf keinem andern Wege seine Wiedereinsetzung erreichen könne. Diese Berufung auf die gemeinschaftlichen Interessen der beiden geistlichen Fürstentümer hatte ihren Grund in einer für den vertriebenen Abt sehr bedrohlichen Wendung, von der er zweifellos schon Kenntnis erhalten hatte, denn zwei Tage später, am 1. April, erschienen vor dem Kapitel der Marschall Frowin von Hutten undDr. Sebastian von Rotenhan, erzbisehóflicher Rat, mit einem Be- glaubigungsschreiben Albrechts. Danach hatten Dechant und Kapitel, Vasallen und Untertanen der Fuldaer Kirche den Erzbischof um eine Erklärung gebeten, ob sie im Falle eines Ueberzugs durch ihre Feinde auf Hilfe reehnen könnten. Der Fuldaer Stiftsadel und seine geistlichen Vettern fürchteten also eine gewaltsame Zurückführung Hartmanns durch die Landgräfin von Hessen, die energische Vertreterin landesfürstlicher Gewalt auch gegen die auswärtigen Standes- genossen ihrer eigenen rebellischen Ritterschaft. Daher die eifrige Verwahrung Hartmanns gegen die Besorgnis, als könne er etwas zum Nachteil der von den Mainzer Dom- herren vertretenen Standesinteressen, gegen die politische Stellung der mitregierenden Kapitel im Schilde führen. Es lag in der Tat ein Widerspruch darin, daß die Mainzer Kapitularen ihn im Kampfe gegen sein eigenes Kapitel unterstützen, seine Willkürherrschaft wiederherstellen helfen | !) Dieser war im Oktober in Augsburg, dann in Tirol und am Bodensee, Forsch. zur deutsch. Gesch. I, 880f. Vermutlich erwirkte H. bei dieser Gelegenheit auch das unten erwühnte Vorgehen des kaiserlichen Fiskals gegen die Städte der Abtei (S. 252).
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sollten. Daß Albrecht die Hand dazu geboten hatte, die Fuldaer Stände durch dieses offenbar von ihnen hewirkte Vorgehen seiner Räte zu unterstützen, ist nicht verwunderlich; er weilte damals noch in Halle und war wohl von den einzelnen Vorgängen nicht näher unterrichtet. Aber während er sich auf die Frage beschränkte, welchen Rat ihm das Kapitel erteile, suchten seine Räte es dahin zu bringen, daß dem Kapitel und Vasallen von Fulda die Hilfe der Mainzer Regierung zugesagt wurde. Es war nicht schwer, die ge- fährliche Tragweite eines solchen Schrittes zu übersehen, and die Domherren waren sich längst darüber klar, daß eine kriegerische Entwicklung der Dinge vermieden werden müsse. Ihr Bescheid lautete also: da beide Parteien in die vom Erzbischof geplante gütliche Verhandlung gewilligt hätten, so möge dieser einen Termin zu friedlicher Bei- legung ansetzen; dann werde es nicht nötig sein, daß es zum offenen Kampfe komme. Auch am 3. April wurde über diese Angelegenheit beraten, doch ohne daß wir Näheres erfahren. Am 1. Juli verlas dann der Abt aufs neue sein Erbieten und bat um den Rat des Kapitels, was er mit Ehren tun kónne. In dieser Formel aber war beschlossen, daß er seine Absetzung nicht anerkennen, also auch nicht freiwillig zurücktreten würde. Das Kapitel entschied, daß er über sein Angebot nicht hinauszugehen brauche, und nahm also entschieden für ihn Partei Offenbar stand es nun so, daß sowohl Mainz wie Hessen versuchen mußten, dem Abte möglichst günstige Bedingungen zu verschaffen, um bei seiner Rückkehr sich seiner Anhänglichkeit zu ver- sichern oder wenigstens durch ihn auf die unzuverlässigen Fuldaer Stände einen Druck auszuüben. Und Hartmann verstand es vortrefflich, sich diese Lage zunutze zu machen.
Zunächst aber bot sich für ihn eine glänzende Gelegen- heit, seine guten Beziehungen zum kaiserlichen Hofe zur Geltung zu bringen. Im Sommer 1517 begab sich Maximilian von den Niederlanden her nach Augsburg, wo- bei er wegen seines gespannten Verhältnisses zu den Reichs- ständen die Stätte des von ihm nach Mainz einberufenen Reichstages geflissentlich umging. Er verweilte aber einige - Zeit (13.— 21. Juni) in Frankfurt!) wo er u. a. eine wichtige Besprechung mit dem Erzbischof von Mainz und seinem Bruder Joachim I. in der Frage der Königswahl hatte?).
“n-o 1) DRA. i1. ll. Chr. F. Stälin, Aufenthaltsorte Kaiser Maxi-
milians I. Forschungen z. deutsch. Gesch, I, 882. H. Ulmann, Kaiser
Maximilian I, Stuttgart 1891. II, 650f. ?) WR. S. 28.
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Nun berichtet der spätere Kammermeister des Landgrafen von Hessen, Rudolf von Waiblingen!), am 3. August an den Burggrafen Georg, daß sein Vetter, der Abt von Fulda, den Kaiser bei seiner Durehreise in Frankfurt auf- gesucht habe. Daraufhin habe dieser dem Erzbischof von
Mainz zwei seiner Räte zugeschickt mit dem Auftrag, die
Angelegenheit unverzüglieh vorzunehmen. Zugleich empfing der Abt einen hervorragenden Beweis der kaiserliehen Gnade, indem er dureh Beglaubigungssehreiben aus Rotenburg a. T, vom 27. Juni bei den Reichsständen neben dem obersten Hofmarschall Leonhard Rauber, Freiherrn zu Blankenstein; als Kommissar und Vertreter des Kaisers bestellt wurde?) Nun wurde auf dem schlecht besuchten Reichstage, der sich ohnehin viel mit der Lage der Ritterschaft zu befassen hatte), auch diese Frage und die damit zusammenhängenden Umtriebe an mehreren Tagen erwogen; man wartete dann die Ankunft des jungen Grafen von Henneberg ab und suchte nun den Abt zur Annahme des Koadjutors zu bewegen, Bei seinem hartnäckigen Stráuben kam man über einen Vertragsentwurf nieht hinaus, dessen Annahme die hessischen Räte ihrem Verbündeten widerrieten. Die Gegner rächteg sich dafür, indem sie zwar ihre Mitwirkung zur Befreiung des jungen Burggrafen in Aussicht stellten, aber zu einem Druck auf Hektor von Mörlau sich außer Stande erklärten,
Vom September bis gegen Ende des Jahres ist Hart» mann von Kirehberg neben dem Generalvikar Dietrich Zobel von Giebelstadt und Johann von Vilbel mit deg
1) Dieser war früher ein Anhänger Boyneburgs (Glagau S. 176), war aber nun schon auf die Seite der Landgrüfin übergetreten, Nach dem Vertrag über die Abfindung Hartmanns von 1521 hatte Waib- lingen diesem ein Darlehen gewührt, das der Koadjutor zurück- zahlen mußte. Auch eine weitere Verschreibung, vermutlich die Fuldaer Lehen Waiblingens betr., sollte ihm lebenslünglich gehaltem werden. Cod. prob. p. 857. 365, Wie unten weiter ausgeführt wird, suchten die Hessen den Abt auch durch Beleihung seines eigenen und des geraubten Silbergeschirrs an sich zu fesseln.
?) J. Ch. Lünig, Teutsches Reichs-Archiv, part. gen. continuatio Ii (Leipzig 1720), 816. Instruktion vom 26. Juni. Ulmann, Sickingeg 8. 74 Anm. 4.
^ 3) HR. S. 800. Der Abt und Rauber sollten auch über Sickingan und Ulrich von Württemberg mit den Ständen verhandeln. Am 30, Juni begannen die Besprechungen, und noch am 1l, Aug. gab ihnen der Kaiser Weisungen in der württembergischen Frage. Frankfurts Reichs- korrespondenz, hrsg. von J. Janssen, Freiburg 1872. IT, Nr. 1156. S, 906. 924. 937.
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Erfurter Angelegenheit beschäftigt, in der Kursachsen einen vollen Erfolg erzielt hatte: die Deputierten des Kapitels reisen zum Erzbischof nach Steinheim; dieser schickt seine Räte zu Besprechungen mit dem Kapitel; schließlich sollen Zobel und Kirchberg eine Rechtsverwahrung aufsetzen (9. Dezember). Am 12. Januar 1515 aber berichtet letzterer wieder über die Verhandlungen mit seinen Gegnern vor dem Erzbischof und bittet das Kapitel um seine Beteiligung, damit „die Sache zu Ende kommen könne“, was ihm denn auch zugesagt wurde.
Inzwischen aber hatte dieLandgräfin ihre konkurrierenden Bemühungen fortgesetzt. Der Propst Apollo berichtet für dieses Jahr von einem Tage zu Gelnhausen, wo Hessen sich bemüht hätte, das Einvernebmen zwischen dem Abt und dem Kapitel herzustellen, doch ohne Erfolg!) Immer- hin war es den hessischen Räten sehon gelungen, den Ent- wurf einer „concordia“ aufzustellen, den der Abt am 25. Januar 1518 dem Kapitel vorlegte mit dem Bemerken, daß er auch jetzt noch die Vermittlung des Erzbischofs an- nehmen wolle — wenn ihm dieser noch bessere Bedingungen verschaffe. Wenige Tage später verstärkte er diesen Druck dureh die Mitteilung, er habe der Landgräfin so geschrieben, daß er von dem durch sie vereinbarten Ausgleich nicht gut mehr zurücktreten könne und daß er ihn vielmehr anzu- nehmen beabsichtige. Am 19. Februar erschien er mit der
Bitte, die Urkunde über den Frieden mit seinen Fuldaer
Gegnern genau zu prüfen, da es ihm seheine, als ob die Landgräfin einiges gegen den Wortlaut des Entwurfs ge- ändert habe; er habe zwar nichts genaueres darüber in Erfahrung bringen können; jedenfalls möge das Kapitel Vor- sorge treffen, damit nicht die Fuldaer Kirche von der Mainzer Kirche abfalle und sich an Hessen anschließe, wogegen das Kapitel sofort Einspruch erhob. Er deutete also zum mindesten an, daß der in Aussicht genommene Koadjutor bei der Lage seiner väterlichen Graf- schaft sich bewogen sehen könnte, sich enger an Hessen anzuschließen, als der Mainzer Regierung lieb sein könne. Am 25. Februar endlich meldete er, Kapitel und Adel von Fulda hätten an die erzbischöflichen Räte — also an Frowin von Hutten und Rotenhan — geschrieben, der auf den 8. März angesetzte Tag zu gütlicher Verhandlung sei über- flüssig, weil der Abt der Landgräfin schon versprochen habe, ihre Konkordie anzunehmen. Man möge ihn aber doch dahin zu bestimmen suchen, daß er den früheren Entwurf
1) HZ. S. 999.
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der Hessen aufgebe, und die betr, Versprechung zurück- nehme. Darauf erklärte nun der Abt, daß er dies mit Ehren nicht tun könne, und wenn man sich erinnert, daß er mit dieser Formel seinen Widerstand gegen völlige Ab- setzung oder Abdankung begründete, so war also in dem ersten Entwurf seine Stellung dem unvermeidlichen Koadjutor gegenüber ungünstiger gewesen. Er erbot sich nun aber wieder, wenn seine Gegner erschienen, weiter zu verhandeln, und wollte lieber einen vom Erzbischof und dem Mainzer Kapitel vermittelten Vergleich annehmen als den hessischen; vorausgesetzt, daß er keine schlechteren Bedingungen brächte.
Die hessischen Räte waren unterdessen eifrig am Werke und so konnten sie auf einem am 12. März 1518 in Vacha abgehaltenen Tage auch noch in einigen Nebenpunkten Ordnung schaffen: so sollte der Burggraf Siegmund endlich freigelassen werden gegen Erstattung der Verpflegungs- kosten, Zahlung von 325 Gulden und Lieferung von drei Hengstent). An demselben Tage legte Hartmann dem Kapitel und den erzbischóflichen Räten den hessischen Vertrag vor und erklärte, daß man ihm auf den 23. März einen Tag in Frankfurt angesetzt habe zur Unterzeichnung der Konkordie, die er notgedrungen annehmen müsse. Nur wenn er der Gunst und Hilfe des Erzbischofs und des Kapitels gewiß sel, könne er sich entschließen, sie abzulehnen. Darauf ersuchte das Kapitel die Statthalter, sich sofort mit den erz- bischöflichen Räten zu besprechen, konnte aber selbst am 13. zu keinem Entschluß kommen. Nun aber drohte Kirchberg, sich tiber alle Rücksichten hinwegzusetzen und die Sache beim Papste anhängig zu machen, was den offenen Bruch mit Hessen und für die Abtei einen unübersehbaren und &ostspieligen Prozeß an der Kurie bedeutete. Er bat am 38. März um Urlaub, da er sich nach Rom oder an die päpstliche Residenz begeben wolle. Inzwischen möge das Kapitel einen tüchtigen Ritter als Hauptmann nach Hammel- burg setzen, dem er das Städtehen übergeben wolle, damit er es im Namen des Kapitels für diese Zeit bewache; er selbst wolle ihn mit Weizen und Wein, Hafer und Stroh versorgen, während das Kapitel, wie zu ergänzen ist, das bare Gehalt zahlen sollte. Dann wolle er keinen von den Hessen vermittelten Ausgleich annehmen! Das erschien nun wieder dem Kapitel allzu gewagt, so daß es ablehnte, aber
1) Als dann Hektor von Mörlau 1523 von Freunden Kursachsens niedergeworfen und an Friedrich ausgeliefert wurde, riet Hartmann, sich durch diesen den Schaden ersetzen zu lassen, was jedoch nicht gelang. Avemann S. 268, 270. |
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sich erbot, den Vorschlag beim Erzbischof zu unterstützen, wenn Kirchberg ihn bei diesem anbringen wolle. Denn selbstverständlich konnte bei dieser bedrohlichen Wendung ein Entschiuß nur vom obersten Landesherrn selbst gefaßt werden. Ueber den Urlaub sei dann noch Zeit zu reden.
Nun aber wollte doch auch der schlaue Abt die Dinge nicht auf die Spitze treiben. Er machte sich also die guten Dienste des Marschalls Frowin zunutze, der ja mit einem Fuße im gegnerischen Lager stand, und die geschäftliche Gewandtheit des Sekretürs Dr. Georg Griecker!), der ihm in Erfurt zur Seite gestanden hatte, und so gelang es bei den Verbandlungen in Frankfurt vor der Landgräfin, die hessische Konkordie noch ein wenig günstiger zu gestalten. Er konnte somit am 29. März 1518 erklären, daß er ihre Annahme versprochen habe, wenn das Kapitel ihm dazu rate. Dieses ernannte nun zunächst zwei Deputierte, die den Vertrag unter Zuziehung des Kanzlers Dr. Sunthausen und Dr. Grieckers reiflich erwägen und in eine angemessene Form bringen sollten; dann werde man einen Beschluß fassen, über den der Abt sich frei entscheiden könne,
Bald aber mußte man erfahren, daB die Lösung doch nicht so einfach zu finden war. Der Abt stellte seine Be- sehwerden über den Inhalt des Frankfurter Vertrages zu- sammen, und da die Fuldaer Gesandten unter Führung des Dechanten Schenk von Schweinsberg nach Mainz gekommen waren, so sah sich der Mainzer Dechant Lorenz Truchsess von Pommersfelden genötigt, sich persönlich mit der heikeln Angelegenheit zu befassen. Am 21. April teilte er dem Abte im Kapitel mit, daß dieses den Frankfurter Artikeln nur zum Teil zugestimmt und die beanstandeten Punkte mit Hartmanns Einwendungen den Fuldaern (übergeben habe. Diese antworteten nun durch den Mund Johanns von Thann, also jenes rücksichtslosesten Führers der Ritterschaft: der Abt habe die hessischen Artikel anzunehmen und zu be- siegeln versprochen; dann habe man nochmals in Frankfurt verhandelt: sie könnten und wollten also keinen andern Vertrag annehmen als den in Frankfurt vereinbarten; doch würden sie über die vom Kapitel vorgeschlagenen Artikel bis 2 Uhr beraten.
Die Antwort zeigte, daß auch die Fuldaer endlich zu einem Vergleich zu kommen wünschten. Sie fanden es nur bedenklich, daß die Statthalter der Abtei die Ueberschüsse es PEE nur mit Rat und Willen des Abtes zur
) Bei -der Kaiserwahl von 1519 als Notar beschäftigt. DRA. I; 810 u. à.
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Tilgung der Schulden verwenden dürften; es genüge wohl, daß es mit Wissen des Abtes geschehen solle. Im übrigen wollten sie die dureh Hessen schriftlich vereinbarten Artikel, wie sie unter Mitwirkung des Abtes und seiner beiden Vertrauensmänner redigiert worden seien, im Namen der Stände des Stifts Fulda annehmen. Nur bezüglich der Propstei Holzkirchen kónnten sie nieht mehr be- willigen als in dem früheren Vertrage, weil es das Verderben des Klosters sein würde, wenn es in den Händen des Abtes belassen würde. Grundsätzlich sei es den weltlichen Ständen, der Ritterschaft und den Städten, auch beschwerlich, daß diese Vereinbarung nur von den geistlichen Behörden und ihren Mitgliedern, den Prälaten, abgeschlossen worden sei; doch wollten sie sich immerhin die Vermittlung des Dom- kapitels gefallen lassen. |
Dieser letzten Bemerkung gegenüber betonte der Abt, daß er den hessischen Vertrag und die Frankfurter Ab- machungen nicht anders augenommen habe als auf des Mainzer Kapitels Rat und Gutbedünken; was er mit Ehren tun könne, wolle er auch jetzt noch tun. |
Schließlich weigerten sich die Fuldaer doch noch, den Vorschlägen des Domdechanten in betreff jener Propstei zu- zustimmen, und verlangten, daß die Städte des Stilts von dem durch Hartmann gegen sie erwirkten Vorgehen des kaiserlichen Fiskals ohne Entgelt freigestellt würden. Der Abt hatte also schon Klage beim Hofgericht erhoben und wollte die erfolgte Zitation nur rückgängig machen, wenn die Städte sich bei ihm loskauften. Da gab es denn noch viel Arbeit und Kopfzerbrechen, aber am nächsten Tage hatte der Dechant die Parteien so weit gebracht, daß die Urkunde über den Vergleich ausgelertigí werden sollte. „Deo sint gratiae infinitae!“ schließt der geplagte Protokoll- führer.
So schien denn die peinliche Angelegenheit endlich geordnet zu sein: der zähe Jurist hatte sich im Besitz der Abtswürde und im Genuß stattlicher Einkünfte behaupte, nur daß er die eigentliche Regierung des Stifts den durch die Revolution erhobenen Statthaltern überlassen mußte. Indessen bei der Natur beider Parteien kam es bald wieder zu Reibungen, vor allem über das Kloster Holzkirchen. Am 16. August beschwerte sich Kirchberg, legte den Streitfall vor und rügte besonders, daß seine Statthalter sich niohé „Locumtenentes abbatis", sondern „ecclesiae Fuldensis“ nennen wollten; eine Meinungsverschiedenheit, die staats- rechtlich wie praktisch von erheblicher Bedeutung war; die Gegner verfolgten eben nach wie vor das Ziel, ihn tatsächlich
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von jedem Einfluß auf die Regierung auszuschließen. Die Verhandlungen über diese, den Kernpunkt des Streites berührende Frage müssen sehr schwierig und ergebnislos gewesen sein, denn am 1l. Februar 1519 beschloß das Kapitel, den Streit Kirebbergs mit den Fuldaer Statthaltern dem Erzbischoff zur Entscheidung vorlegen zu lassen, da dieser heute gerade im Mainzer Gebiet erwartet werde!) Bald darauf wurde der Urlaub des Abtes von Weihnachten bis Anfang März verlängert. Man war auf den toten Punkt gelangt, wo bei dem Starrsinn beider Teile und dem Un- vermögen des Kapitels, entscheidend auf sie einzuwirken, ein Ausgleich unmöglich wurde. |
Unsere sonstigen Quellen haben von diesem langwierigen Ringen wenig Kunde bewahrt: der Fuldaer Prälat Apollo berichtet nur, daß der Erzbischof von Mainz trotz der kaiser- lichen Mahnung nicht zum Ziele kommen konnte, da er mit Geschäften so überladen war, daß er die Sache seinem Dom- kapitel überwies. Inzwischen sei der Abt, „nachdem er in Hammelburg alles aufgezehrt hatte“, nach Mainz gegangen. Für diese Zeit aber hütten ihm der Bischof von Würzburg und die hessische Regierung versprochen, das Städtchen in gutem Gewahrsam zu halten, und letztere hatte sogar zwei Edelleute als Kommandanten hingeschickt?), wie wir von Kirchbergischer Seite erfahren. Gemeint ist damit noch Bischof Lorenz von Bibra, der jedoch am 6. Februar 1519 starb, worauf Konrad von Thüngen gewählt wurde, dessen Familie in engen Beziehungen zu dem rebellischen Fuldaer Adel stand?) Daraus dürfte sich auch erklären, daß der Abt nieht nur den erwähnten Urlaub nahm, sondern daß sein Name nun ein volles Jahr hindurch aus den Proto- kollen des Domkapitels verschwindet, von dem der geschäfts- kundige Mann sonst vielfach mit Aufträgen bedacht wurde, Offenbar lag ihm viel daran, persönlich in Hammelburg und Holzkirchen zu gebieten, um mit diesem Teil des Fuldaer Gebiets ein Faustpfand zu behalten, dessen er sieh zur Er- langung besserer Bedingungen bedienen konnte.
Am 27. Februar 1520 erschien er aber wieder. mit
1 Am 7. Februar schrieb Albrecht auf der Reise nach Mainz von Schleusingen aus an den Kurfürsten von Sachsen, Am 11. Februar meldeten die kaiserlichen Räte, er müsse jetzt im Stift Mainz seim, PRA. I, 198, 212, 31. In der Hauptstadt wurde er erst am 17. März feierlich als Kardinal eingeholt und nach der Martinsburg geleitet. Jak. May, Kurfürst Albrecht. Bninehen 1865, I, ar
. ? HZ. S. 229. Avemann X.. 249.
5) Vgl. ZKG. XXXIX, 20f.
an En
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einer umfassenden Klage gegen die Statthalter, die den vom Kapitel vermittelten Vertrag in vielen Punkten verletzt-hätten. Er halte sieh daher ebenfalls nicht mehr für gebunden, liefere die Urkunde wieder aus und bitte nur um die Rückgabe seines Siegels. Für den Augenblick ließ sich weiter nichts erwidern, als daß er dies schriftlich erklären möge, damit man der Gegenseite davon Mitteilung machen könne. Nun muß sich der Erzbischof der verfahrenen Sache wieder an- genommen haben, denn am 22. September zeigte Kirchberg an, daß die Gegner den vom Erzbischof angesetzten Tag abgeschrieben hätten; er wolle nun zum König gehen — der sich ja damals in den Niederlanden zum Krönungstage in Aachen rüstete. Dann werde er vielleicht nach Rom reisen. Diesmal aber zeigte sich das Kapitel bei Bewilligung des erforderliehen Urlaubs sehon schwieriger und wollte ihm nur die üblichen kürzeren Fristen zugestehen, Als der Abt daran erinnerte, daß man ihm zu einer Romfahrt schon früher Ur- laub in Aussicht gestellt habe, hieß es, er habe soeben erst bis 13. Juli ein Jahr Urlaub gehabt und müsse daher im Notfalle ein neues Gesuch einreichen.
| Aber dieser Schritt sollte sich als überflüssig erweisen, da Hartmann durch die Anrufung des Kaisers schlieblich so vorteilhafte Bedingungen zu erpressen verstand, dab er die Kurie nicht weiter heranzuziehen brauchte als zur Bestätigung des Vergleichs. Denn wenn er auch den neuen spanischen und burgundischen Machthabern gleichgiltig war, so hatten doch während des Wormser Reichstages die alten Räte Maxi- milians in inneren und untergeordneten Fragen der Reichs- regierung noch großen Einfluß schon wegen ihrer Kenntnis der Personen und Verhältnisse. Und diese kaiserlichen „Kur- fisanen^ waren meist selbst gefürchtete Pfründenjäger oder dureh ihren Familienanhang in die Interessen der Hierarchie verflochten!). Jedenfalls wußte der frühere Assessor am Reichskammergericht, daß er in diesem Kreise wirksame Fürsprache finden werde, da er beizeiten jene Beschwerde über seine rebellischen Stände einreichte und zugleich Sorge irug, seine Sache in Worms persönlich zu verfechten?) Er wird also dem Hofe auch bald naeh Worms gefolgt sein, nachdem er dem Nuntius am 28. November in Mainz den schon erwähnten Liebesdienst erwiesen hatte, Auch während des Reichstages wird er seine Beziehungen zur päpstlichen Gesandtschaft gepflegt haben, denn am 13, Februar 1521
% Vgl. WB. Kap. II und III. 2) Schon Ende November hatte er sich in Worms eine Wohnung gesichert. DRA, II, 770, 20. |
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'werlas er vor den Reichsständen das an den Kaiser gerichtete Breve vom 18. Januar, in dem der Papst die Vollziehung des Bannes gegen Luther durch ein Reichsgesetz forderte, ‘und in seinem Gefolge befand sich jener Mainzer Dominikaner Dr. Johann Burchard, der dann am 29. Mai in Aleanders Auftrag bei der Verbrennung der Schriften Luthers predigte !). ‘Am 24. April durfte er als „ordentlicher Kaplan des Kaisers" ‚bei dem Hochamte zu Ehren des hl. Georg die Messe zele- brieren?); Cochläus rübmt dabei seine Beredsamkeit (vir disertissimus) und berichtet, daß der Kaiser die Aussöhnung des Vertriebenen mit dem Kapitel von Fulda bewirkt habe. In Fulda beobachtete man diese Schritte des gefährlichen Gegners mit Bestürzung. Der Propst Apollo erhebt bittere Klage, daß der Abt, nachdem der Ausgleich in Mainz schon mit Brief und Siegel bekräftigt war, nach kurzer Bedenkzeit wieder Schwierigkeiten gemacht und sich für nicht befriedigt erklärt habe. Und wieder habe er sich an den Kaiser ge- “wandt und so die Wunde wieder aufgerissen und neue Sehmerzen verursacht; eine wehleidige Anspielung auf die wirksame Schilderung, die Hartmann von dem rebellischen "Treiben seiner Prälaten und Ritter entworfen hatte. Selbstverständlich konnten sich der Kaiser und seine Staatsminner nicht selbst mit dieser untergeordneten Frage ‚befassen, doch ist es ein Beweis für die hohe Gunst, die ‚Hartmann von Kirchberg hier genoß, daß der Bischof Wilhelm von Straßburg mit dem Ausgleich betraut ‘wurde. Denn dieser, ein besonders rühriges Mitglied der papistisehen Gruppe?) hatte dem Domkapitel als Kustos angehört und unterhielt auch die engsten Beziehungen zur Mainzer Regierung, der er bald darauf als Albrechts Statt- halter vorstehen sollte. Dazu stammte er als ein Graf von Honstein aus jener Gruppe der Harzgrafen und des hohen "Thüringer Adels, der auch die Burggrafen von Kirchberg angehörten. Mit einem andern Mitglied des Mainzer Dom- kapitels, dem Dr. Dietrich Zobel, dem geistlichen General- vikar Albrechts, saß Hartmann im Ausschuß des Reichstages für Supplikationen und auch in den politischen Händeln der mächtigeren Stände erhob er einmal seine Stimme, um mit ‘Mainz und Kurpfalz gegen die sächsisch-hessische Erb-
1) DRA. II. 459f, 805, 7. 472, 39. Kalkoff, Depeschen Aleanders "8, 47. 184. | *) DRA. II, 560 Anm. 1.
*) Vgl. WR. und Entstehung des Wormser Edikts nach dioi -Personenverzeichnis, auch R. Wolff, Die Reichspolitik Bischof Wil- helms III. von Straßburg. Berlin 1909. ”
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verbrüderung zu protestieren!): ein Zeichen dafür, daß er der hessischen Unterstützung jetzt nicht mehr zu bedürfen glaubte.
. Die eigentlichen Verhandlungen wurden aber erst im April ernstlieh in Angriff genommen?), als das immer näher rückende Ende des Reichstages die Parteien zwang, sich zn verständigen: Am 19. berichten also die Frankfurter Ge- sandten, der Streit zwischen dem Abt von Fulda und dem Stift samt dem Koadjutor würde geschlichtet und am 30. heißt es, sie seien miteinander vertragen worden. In der Tat war am 26. der Vertrag endgültig abgesehlossen und die Urkunde besiegelt worden?) _
Der Fuldaer Chronist erwähnt von den Bedingungen nur, dab der Abt von jeder Regierungsgewalt ausgeschlossen wurde, so daß er nur den nackten Titel behielt und man wohl sagen könne, daß er zwar nicht abgesetzt, aber doch der Absetzung kaum entgangen sei. indessen wenn auch Hartmann im wesentlichen seine Absetzung in der Form eines scheinbar freiwilligen Rücktritts von der Regierung anerkennen mußte, so hat der zähe Jurist mit Hilfe seiner Gönner doch den Schein gewahrt und noch manche vorteil- hafte Bedingung erpreßt.
Schon rein verfassungsrechtlich wurde jener Aami des Kapitels, daß durch Verletzung der beschworenen ‚Statuten der Abt seiner Würde uud Rechte verlustig. gehe, 80 daß es ohne weiteres einen anderen Abt wählen. könne, stark eingeschränkt. Es blieb bei der herkömmlichen Form, daß Abt und Kapitel vertragsmäßig festsetzten und den Ständen mitteilten: der Abt habe wegen beginnender Alterssehwiüche*) und Todesgefahr den Grafen von Henne- berg als regierenden Koadjutor angenommen, dem die. Naelr- folge als Abt vorbehalten sei vorausgesetzt, dab er vom Papste bestätigt werde. Abt Hartmaun erklärt, daß er auf alle Regierungsgewalt, Rechte und Einkünfte zugunsten: des Koadjutors verzichte, und fordert die Stände und Unter- tanen auf, diesem unverzüglich zu huldigen. Für die Zwischen- Zeit aber sollten sie dem Abte Hartmann mit allen Pflichten verstrickt bleiben. Diese von ihm und dem Dechanten und Kapitel besiegelte Bekanntmachung sollte unter dem 13; Mai herausgegeben werden, wie schon in dem ersten Abkommen
1) WR. S, 20. DRA. II, 835, 13. 22f. 816, 34.
2) Anfang April ist Kirchberg im Kapitel anwesend gne erhält Urlaub bis Pfingsten.
5 DRA. 11, 863, 39. 885f. Cod. prob. p. 855—874.
1) In der gemeinsamen Eingabe an den N wird hier aw- ‚drücklich das Podagra angeführt. Cod. prob: p. 378. . . q^
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yom 8. April festgelegt wurde. Dieses wurde dann noch in mehreren Haupt- und Nebenpunkten ergänzt. So wurde am 4. Mai durch den Bischof von Straßburg beglaubigt, daß alle Briefe und Urkunden unter dem Titel des Abtes und des Koadjutors ausgefertigt und mit einem Siegel bekräftigt werden sollten, das unter dem Schilde des Stifts Fulda das Kirehberger und das Henneberger Wappen zeigen müsse!) Der Abt übertrug dem Koadjutor auch die geistliche Disziplinargewalt, besonders die Visitation der Klöster und verzichtete auf seine Propstei Holz- kirchen. Die weltlichen Lehen sollte der Koadjutor, doch unter dem Titel des Abtes Hartmann, vergeben. Auch zu den geistlichen Lehen, die in den bischöflichen Monaten erledigt würden, sollte er geeignete Personen nach Gefallen nominieren; doch sollten sie dem Abte präsentiert werden, der dabei auch im Falle eines Pfründentausches eine Kanzlei- gebühr von drei Gulden, bei Verleihung einer Propstei aber fünf Gulden erheben dürfe.
Wenn der Koadjutor vor dem Abte mit Tode abgehen würde, sollten Abt und Kapitel binnen zwei Monaten einen andern Koadjutor wählen uud postulieren, der aber vor Anerkennung dieses Vertrags nicht zur Regierung zugelassen werden dürfe. Auch blieb Hartmann dem Reiche gegenüber?) noch der Träger aller Rechte und Pflichten eines Unmittel- baren, doch sollte der Koadjutor und das Stift ihn beim Besuch von Reichstagen oder Ausschreibung von Steuern vollkommen schadios halten. So waren also in reichs- rechtlicher undkirchlicher Hinsicht die Spuren der Vorgänge von 1516 leidlich verwischt und doch die Hauptsache, der Uebergang der Regierung auf ein neues Oberhaupt, gesichert. Doch machte nun die finanzielle Abfindung des verdrängten Abtes noch Schwierigkeiten, die erst in einer erweiterten, vom Kaiser und Erzkanzler am 26. April unterzeichneten Urkunde?) behoben erscheinen. Danach mußte das Stift dem Abte für die Abtretung aller Rechte und Einkünfte ein jährliches Gehalt von 600 Gulden
1) Cod. prob. p. 370.
3) Indessen überließ er es dann doch der Kosten wegen. dem Koadjutor, das Stift anf den nächsten Reichstagen zu vertreten: die Abschiede vom 9. Februar 1523 uud 18, April 1524 sind von dessen Vertretern, Rudolf von Waiblingen, bzw. von dem Mainzer Kanzler Dr. Kaspar Westhausen unterzeichnet worden.. Gelegentlich hatte ‚auch jener hessische Politiker Ludwig von Boyneburg die Vertretung. DRA. III, 757, 26f. IV, 612, 7f. 712, 96.
4. 3) Cod, prob. p. 860—366. | Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. $/4, 17
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gewähren und die Bulle über die päpstliche Genehmigung solcher Reservation auf seine Kosten erwirken. Für die lebenslängliche Zahlung und genaue Einhaltung der Fristen mußte der Graf von Henneberg sich am 5. Mai für seinen Sohn verschreiben, und vier Grafen, Bernhard von Solms, Wilhelm von Nassau-Dillenburg, Philipp von Nassau-Wies- baden und Georg von Wertheim als Bürgen und Selbst- schuldner angeben!) Wenn auch diese Sicherheit versagen würde, sollte der Verzicht des Abtes hinfällig werden und die Regierung des Stifts wieder an ihn heimfallen.
Endlich sollte das Stift dem Abte binnen zwei Monaten eine Abfindungssumme von 1900 Goldgulden in seinen Hof nach Mainz übermitteln lassen, um ihn für alle seine Schulden und Auslagen besonders seine Verpflichtungen gegen die Stadt Hammelburg zu entschädigen. Davon aber sollten 276 Gulden abgezogen werden, die zur Lösung des vom Abte entführten Silbergeschirrs verwendet werden würden. Diesen Silberschatz, von dem ihm nur etwa die Hälfte (für 1491/, Gulden) gehörte, hatte er nach seiner Aussöhnung mit Hessen an einen der führenden Räte der Landgräfin, den Rentmeister und nunmehrigen Amtmann in Gießen, BalthasarSchrautenbach?),versetzt,denselben, der auf dem Landtage von Kassel den Sturz Boyneburgs herbeigeführt hatte. Das Silberzeug sollte auf den 8. September nach der Herberge zum Heinerhof in Frankfurt gebracht werden, wo jede Partei die ihr gehörigen Stücke an sieh nehmen könne).
Schließlich wurde auch über eine Reihe untergeordneter Fragen, wie die Entschädigung der Diener und Beamten Hartmanns, die Rückgabe des Kirchbergischen Hauses in Fulda, die Besetzung einiger kleiner Pfründen eine Einigung durch den Bischof von Straßburg herbeigeführt (4. Mai).
Der gesamte Ausgleich dieser „Irrungen und Späne* spielte sich ab in der Form einer Verhandlung vor dem kaiserlichen ,Kammergericht^*) und wurde zunächst von
1) Cod, prob. p. 859, 59, 364, 372,
*) Vgl. über ihn Glagau a. a. O. S. 165íf. 118, 125. Wenn dieser ihn erst seit Juni 1521 unter dem ihm von dem Landgrafen Philipp. verliehenen Adelstitel „von Weitolshausen“ nachweisen kann, so ist er unter diesem Namen schon in der Prüsenzliste des Wormser Reicha- tags verzeichnet. DRA. II, 994.
3) Cod. prob. p. 364, 369.
*) Nach dem Wortlaut der Eingabe an den Papst (Cod, prob. p. 878): „coram imperialis camerae iudicio"; richtiger ist es aber, von dem &aisertichen Hofgericht zusprechen, wie auch der Bischof von Straßburg von „gerichtlicher Erkenntnis vor kais. Maj. Räten“ (p. 369). spricht, da das Reichskammergericht damals noch nieht wieder eröffnet war.
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dem Abte und seinem Gegner, dem Dechanten Schenk von Sehweinsberg als dem Vertreter des Kapitels, dureh einen auf das Evangelium geschworenen Eid bekräftigt; der Koadjutor tat es durch eine am 4. September, also unmittel- bar nach seinem Regierungsantritt ausgestellte Urkunde;
die Vertreter der beiden Stände sollten am 20. Juni vor dem vom Kaiser am 30. April bestellten Kommissar, dem: Mainzer Domdechanten Lorenz Truchsess, erscheinen: und durch feierlichen Eid sich gleichfalls auf das Abkommen. verpflichten. Bezeichnenderweise war dabei die Ritterschaft vertreten durch Dietrich von Mörlau, also einen Verwandten jenes Oberhauptes der rebellischen Vasallen; die Städte Herbstein, Lauterbach, Hünfeld und Geisa hatten einen ehrsamen Bürger, die Stadt Hammelburg aber den Bürgermeister Konrad Dotscheler entsandt, der jene Er- klärung des Abtes vom 9. März 1514 beglaubigt hatte. Bei der Vereidigung und Huldigung des Koadjutors, die am 1. und 2. September stattfand, war der Abt Hartmann selbst in Fulda erschienen und unterzeichnete am 4. als erster die von 15 Mitgliedern des Kapitels unterschriebene Ein- gabe an den Papst’).
Er ist dann im Genuß der ihm verbürgten stattlichen Rente als Domherr und Erzpriester von Mainz am 1. April 1529 dort verstorben?).
So wurde, schließt Vilbel, der Fuldaer Kirche der Friede wiedergegeben, indem sie nun durch den Abt und zwei Herren vom Kapitel, die den Titel „Statthalter“ führten, regiert wurde. Aber bis dahin hatten die Edelleute dieses. Landes viele Stiftsgüter gegen das Versprechen, Frieden
1) Cod. prob. p. 358, 365, 870sqq. 3728qq. Anwesend waren außer dem Dechanten die Própste von Johannisberg, Andreasberg, Frauenberg, unser Chronist als Propst vom Petersberge, die von 'Thulbe, Rohr und Blankenau; als Inhaber von Aemtern werden der. Camerarius curiae, der Portarius, der Operarius, der Cantor und ein. anderer Camerarius angeführt, Aufer den Namen der handelnden Personen sind folgende adlige Familien damals im Kapitel vertreten: von Buchs, von Lüders, Marschalk, von Ertal, von Biedenfeld, von: Ruckingen, von Weyhers, von Hundelshausen.
3) Am 7. Juni 152] bewilligte ihm der Erzbischof um seiner guten Dienste willen die freie Einfuhr von jährlich 20 Fuder Wein, 200 Malter Korn, 100 Malter Weizen und 200 Sack Hafer. Mainzer Ingrossaturbuch Nr. 52f. 140. Mitteilung des Herrn Archivrats Dr. Herrmann.
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zu halten oder Hilfe zu leisten, an sieh gerissen). Sie hatten viel verhbeißen, aber wenig gehalten. „Denn nur so weit die welt- lichen Mittel des Stifts ausreichten, sie zu befriedigen, hatten wir auf ihren Beistand zu rechnen, so daß wir mit Jeremias, Klagelieder 5,8 sagen müssen: „die Knechte herrschen über uns“,
Ein blutiges Nachspiel dieses Kampfes um die Abtei erfolgte dann noch im Frühjahr 1522. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dab Hartmann früher durch die bischófliche Regierung von Würzburg unterstützt worden war, so daß: deren Lehnsleute darin einen Vorwand erblicken konnten, sich an Fuldaer Besitz zu bereichern. Nun berichtet der Chronist, daß der Dechant Schenk von Schweins- berg und der Propst von S. Jobann, Melchior Küchen- meister, einen Zug nach Holzkirchen, jener Fuldaer Propstei, unternommen hatten, die dem alten Abte zugehört batte. Da wurden sie auf der Rückkehr am 13. März von einem Diener des Hans Georg von Thüngen, der bei dem dieser Familie gehörigen Schlosse ReuDenberg?) mit mehreren Bewaffneten im. Hinterhalt lag, überfallen. Jener Hans Georg betrieb insgeheim eine Fehde gegen die Kirche von Fulda; und obwohl er keine gerechte Ursache dazu hatte und keine Absage nach dem Brauch der Ritter- schaft bei Eröffnung von Feindseligkeiten voraufgeschickt hatte, ließ er die beiden Prälaten plötzlich angreifen. Man rannte auf sie los, durchbohrte den Propst mit dem Speer, so daß er auf der Stelle tot war, und nabm zwölf Knechte gefangen. Der Dechant entrann mit Gottes Hilfe, reiteté aber nur mit genauer Not sein Leben?).
1) So hatte Frowin v. Hutten 1517 dem Abte die Huldigung für Romsthal verweigert, K. Arnd S. 104.
2) Schon Abt Johann IL hatte dieses Schloß wegen der Gewalt- taten seiner Iuhuber einmal belagert und zur Uebergabe gezwungen, Cod prob, p. 346. /" *) HZ. S. 287f. Im nächsten Jahre legte Philipp Schenk wegen plótzlichen kórperlichen Verfalls das Amt des Dechanten nieder, blieb aber noch erster Rat des Abtes Johann IILI., nach dessen Tode ein anderer Philipp Schenk von schweinsberg Abt von Fulda wurde; S. 261. Nach der Fuldaer Ueberlieferung (Schannat, Hist. Fuld. p. 253) hätte dann der Abt den Reußenberg belagert und zerstört, was jedoch das Werk des Schwübischen Bundes war. Für die gefangenen Verschwörer, besonders für Hans Georg. von Thüngen, legte der Markgraf Kasimir von Ansbach Fürbitte ein, so daß nur drei üntergeordnete Helferzbelfer hingerichtet: wurden. — Man erinnert sich bei diesem Vorfall der Ermordung des Bischofs Melchior Zobel von Würzburg durch die Spießgesellen des Ritters Wilhelm v.Grumbach(1558);
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Der Koadjutor erhob nun sofort Klage beim Reichs- regiment in Nürnberg und ließ zunächst den Besitzer von ‚Reußenberg, Kaspar von Thüngen — ein Konrad von Thüngen -war damals Bischof von Würzburg!) — vorladen, damit er sich von dem Verdacht befreie, seinem Vetter Hilfe oder Rat bei der Ermordung des Propstes gegeben zu haben. Dieser hat sich nun am 13, Mai „mit aufgerecktem Finger“ 'eidlich gereinigt. Am 23. Mai aber wurden auf Betreiben des fuldaischen Gesandten Hans Georg von Thüngen, Junker Hans, genannt Han, Marsilius Vogt von Salzburg und ein Knecht in die Acht gesprochen und Öffentlich auf der Gasse vor dem Rathaus „unter dem Himmel“ durch den Statthalter Pfalzgrafen Friedich darin erklürt?). Es ‘waren also drei fränkische Edelleute an der Untat beteiligt, und wir hören nicht, daß die Acht an ihnen vollstreckt, daß sie von Reichswegen weiter zur Strafe gezogen worden wären. Einer von ihnen, Marsilius Vogt, begegnet dann unter den Helfershelfern des berüchtigten Räubers Hans Thomas von Absberg und unter den letzten Mitkämpfern Sickingens, die auf dem Landstuhl gefangen genommen wurden?) ein weiterer Beweis dafür, welche zweifelhaften Elemente sich diesem angeblichen Oberhaupt der Ritterschaft angeschlossen hatten.
Ihrer Strafe entgingen die Herrn von Thüngen nicht ganz: denn bei dem Feldzug des Schwäbischen Bundes gegen ‚die fränkischen Raubritter im Sommer 1523 wurde die ihnen zugehörige Sodenburg bei Hammelburg völlig, Reußen- burg nur zu einem kleinen Teil zerstört. Der Bischof von Würzburg hatte 30000 Gulden geboten, um die beiden „berühmten Raubhäuser* seinen Verwandten zu retten. Und an den Grafen Wilhelm von Henneberg, den Vater des Koadjutors von Fulda, erging die Aufforderung, sich schriftlich zu verpflichten, daß er den Angegriffenen nicht weiterhin Unterschlupf gewähren werde, wie ja auch Hutten in seinem Piaffenkrieg sich auf Hennebergisches Gebiet zurückzuziehen gedachte*). ^. . Mit welchen Empfindungen der hoehmütige alte Jurist
1) Ueber dessen Haltung in der lutherischen Sache und die Zu- stände im Domkapitel und im stiftischen Adel vgl. meine Untersuchung über „die Vollziehung der Bulle ‚Exsurge‘, insonderheit im Bistum Würzburg“, ZKG. XXXIX, 17 i, XL, 150 ff. Vagantenzeit S. 836 f.
?) Virek, Planitz-Berichte S, 151, 156.
3) H. Ulmann, Franz v. Sickingen. Leipzig 1872, S. 984 Anm. 3 und Huttens Vagantenzeit, S. 888. .
5) Virck, Planitz-Berichte S. 465, 471, 481. HR. S. 278 Anm. 3.
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den Unfall seiner führenden Gegner, vermutlich der beiden Statthalter jener Jahre, aufgenommen haben wird, läßt sich aus seinem Schreiben vom 21. Dezember 1525 ermessen!), in dem er seinem Vetter Siegmund triumphierend mitteilte, wie bei der damaligen Bedrüngung des Stifts durch den Landgrafen von Hessen?) die ganze Landschaft, Geistliche und Weltliche, besonders aber die Rittersehaft der Buchen, und zwar gerade die, die ihn vormals mit übermächtiger Gewalt verjagt, verhóhnt und beraubt hätten, seinen Beistand angerufen habe. Der Abt war denn aueh bereit, sich zu dem eben damals in Augsburg versammelten Reichstage zu begeben und den Schutz des Kaisers für die bedrohte Reichs- freiheit des Stifts anzurufen. Mit abstoßender Heuchelei stimmt er dabei ein Loblied an auf die Gnade Gottes, der „seiner armen Kreatur“ im 60. Jahre und bei großer Anfechtung durch das Podagra noch „solche fröhliche und ‚ergötzliche Botschaft“ habe zukommen lassen: denn wie könne er einem Menschen auf Erden größere Gnade er- zeigen, als wenn er seine gefährlichsten und ärgsten Feinde dahin bringe, daß sie den, den sie zuvor verachtet, wieder aufsuchen und um Trost bitten müßten“. Und so kann man den rachsüchtigen Mann von einer mittelbaren Schuld an der blutigen Tat nicht freisprechen. Nachdem er seine Parteigänger unter dem zuchtlosen fränkischen Adel durch seine ganze Haltung, zumal während seines Aufenthaltes in Hammelburg, ermutigt hatte, sich am Eigentum des Stifts und seiner Untertanen zu vergreifen, kann es nicht Wunder nehmen, wenn jene schließlich auf den Plan verfielen, seine siegreichen Gegner zu beseitigen. Besonders aber sein hinterlistiger Ueberfall auf den Abt Ludwig von Hanstein belastet ibn auch in diesem Falle schwer.
Die Geschichte des Stifts bei Lebzeiten Huttens liefert also in der Tat mehr als einen Beweis dafür, daß „das Reich trotz ein vierzig Landfriedens noch immer eine Mörder- grube war“. Aber dieser Abt von Fulda ist mit dem harmlos einfültigen Prälaten in Goethes „Götz von Berlichingen“ nicht entfernt zu vergleichen, wenn nicht sein Podagra an den Spott der Hofschranzen über „das Weinfaß von Fuld“ erinnern sollte. Wohl aber trifft es zu, dab „bei einer nähern Bekanntschaft mit diesen Herren der Nimbus von Ehrwürdigkeit und Heiligkeit arg schwindet, die die neb-
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1) Avemann S. 251 f. ?) Cod. prob. p. 375—409. 3) Akt I, „Im bischöflichen Palast zu Bamberg“.
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lichte Ferne“ romantischer oder ultramontaner Geschichts- betraehtung „um sie herum lügt“.
Zugleich ergibt sich, was von dem Mäzenatentum eines derartigen geistlichen Geschäftsmannes zu halten ist, der nach G. Richter der „Partei der sogenannten jüngeren Humanisten sogar persönlich nahe gestanden haben soll“, oder von den devoten Wendungen des Mutianus Rufus, der in seinen Briefen von Hartmann „wiederholt mit der größten Begeisterung“ rede. Daher habe auch Hutten die weitere Gewährung seines Jahresgehalts „nach seiner Ausschließung vom Mainzer Hofe gewiß nur seiner Zugehörigkeit zum Humanistenbunde verdankt, dessen Rache nicht weniger gefürchtet wurde, als ein Lob aus diesen Kreisen gesucht war“. Aber einmal wird hier nur die boshafte und ver- . logene Denunziation Aleanders gegen die harmlosen „Sodali- täten“ der Gelehrten, die damals schon wieder eingeschlafen waren, nachgesprochen!), und dann hatte gerade ein Mann wie Hutten bei seiner Unverträglichkeit wenig Talent, sich einer solchen „Sekte der Akademiker mit gemeinsamem Besitz und gleicher Lebensführung“ einzugliedern. Und in den herrschenden Schicbten war man von der Ohnmacht dieser „lausigen Grammatiker“ viel zu gut unterrichtet, um sie zu fürchten. Man braucht daher auch nicht die in Fulda bestehende Herrscherlosigkeit heranzuziehen, um zu erklären, wie „solche Männer wie Hutten und Crotus sich dort treffen and ihre revolutionären Pläne schmieden konnten“ ?). Aber die „Verschwörung“ der beiden Humanisten hatte schon im Frühjahr 1520 in Bamberg stattgefunden, obwohl dort ein durchaus nicht mäzenatisch veranlagtes Oberhaupt, der energisehe Bischof Georg Schenk von Limburg, regierte. Ende August aber bei der Beratung mit Crotus in Fulda, war Hutten schon auf der Flucht vor dem Banne des Papstes und dem Haftbefehl des Mainzer Generalvikars®). Für die Stellung des vertriebenen Abtes zu der lutherischen Bewegung aber bedarf es kaum „des Zeugnisses des Legaten (!) Ale- ander“, um zu verstehen, daß Hartmann „die Bestrebungen der beiden Humanisten auf kirchlichem Gebiet nicht geteilt“ und als „kirchentreuer Mann“ bei Zeiten die richtige Stellung
t: — 1!) Vgl. Kalkoff, Depeschen Aleanders S. 210 Anm. 2. ^ *) FGB. VIII, 35 Anm. 2, 56f, Es sei kein eigentliches Ober- &aaupt der Abtei vorhanden gewesen, weil Hartmann wegen Zwistig- keiten mit dem Kapitel und der Ritterschaft 1519 das Stiftsgebiet habe verlassen müssen. Aber Hammelburg, wohin er sehon 1516 #üchtete, gehörte doch wohl zum „Stiftsgebiet“. 3) HR S. 4 Aum. 167 f., 239 f.
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zu den beginnenden Kämpfen eingenommen hat. In der Tat, die Kirche durfte auf diesen Getreuen stolz sein! _
Ueberhaupt sind die Nachrichten über Beziebungen dieses juristisch gebildeten Kirchenfürsten zu den Trägern humanistischer Bildung sehr spärlich. Der Baseler Buch- drueker Joh. Froben hat ihm 1518 den Traktat des Diakonen Agapetus „über die Pflichten eines Königs“, ge- richtet an Kaiser Justinian, gewidmet. Doch erklärt sich das hinlänglich daraus, daß jener aus Hammelburg stammte, wo Hartmann eben damals residierte, also etwa der Familie Frobens eine Gunst erweisen konnte. Völlig nichtssagend ist es, wenn der Italiener Richard Sbrulius ihn einmal als ,Verehrer der Musen“ bezeichnet; „archi- grammateus der Kaiserin“ ist die gesuchte Umschreibung für den Titel „Erzkanzler der Kaiserin“, den Hartmann seit 1507 als künftiger Abt von Fulda führte, Daß ihn Crotus Rubianus im Jahre 1512 auf einer Reise begleitete, verbürgt ebenfalls nicht, daß er den gewandten Stilisten, den er wohl für seine Korrespondenz gut gebrauchen konnte, seine „unentwegte Gunst“ zuwandte; sonst hätte er dem armen Klosterlehrer eine etwas bessere Bezahlung verschaffen müssen!) Endlich geht es wahrlich nicht an, von einer „Humanistenfreundschaft“ zu sprechen, wenn Hartmann dem von 1503—1507 in Leipzig lehrenden Hermann von dem Busche für die Uebersendung seiner Epigramme dankt und ihm dabei das Rezept zu einer Augensalbe schickt, worauf der arme Poet, der von „Husten, Rheuma und Kopf- schmerzen“ geplagt ist, in der üblichen überschwenglichen Weise das Lob des Prälaten verkündet?) Wenn man. dazu nimmt, daß dieser das letzte Jahrzehnt seines Lebens, von Regierungssorgen befreit, als Domherr mit einer stattlichen Fuldaer Rente in Mainz lebte, obne daß wir von einer Berührung mit der literarischen Welt hören, so ergibt sich doch, daß der Sinn für die Wissenschaften auf seiner Seite geringer war, als der Hunger der armen Gelehrten, die
1) Bauch, Universität Erfurt S. 148. Vagantenzeit S, 105 Anm. 2.
2 Zu Bauch S. 117 Anm. 2. Die beiden Briefe auch bei Ave- mann S. 236 und Anhang S. 218 f. Bauch spricht von der Uebersendung „des versprochenen Collirius", und Buschins dankte für die ,,Descriptio Collirii^, als ob es sich um eine gelehrte Schrift, etwa ‚eines antiken Autors handelte, den es jeoch nie gegeben hat. Schon der Wortlaut. „Collirium, quod me tibi destinatarum spopondi* , . . zeigt, daß von einem „collyrium“, einer Salbe, die Rede ist, Nebenbei ersieht man aus dem Briefe Hartmanns, daß er schon 1504, lange vor seiner DW: zum Koadjutor in Fulda weilte. Ä
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gern die Füße unter dem Tische eines reichen Gönners- hatten!).
Und so ist denn die „Begeisterung“, mit der Mutianus Rufus den Abt bei seinem Erscheinen in Erfurt begrüßt haben soll?), darauf zurückzuführen, daß der alte Priester von ihm den endgültigen Sieg der klerikal-demokratischen Bewegung erwartete und auf seine Empfehlung bei Bestätigung einiger Pfründen rechnete, die er gern durch eine weitere Erfurter Stelle ergänzt hätte. Denn der gastfreie Humanisten- führer war darauf angewiesen, das Einkommen, von dem er einen so würdigen Gebrauch machte, durch eine, wenn auch in bescheidenem Umfange betriebene Pfründenjagd zu ver- bessern. Daher empfahl er auch dem Crotus, den Mann zu verherrlichen, der ihm nützen könne, was dieser indessen nicht getan hat. Mutian selbst aber verfaßte etwa eine Rede zur Inthronisation Hartmanns oder sprach in einem Briefe über die von Leo X. beabsichtigte Kalender- reform — offenbar weil er wußte, daß der Abt sich für literarische Fragen wenig interessierte. Die längsten Briefe richtete er an ihn, um dem bedrängten Eobanus Hessus endlich eine Professur und damit ein sicheres Einkommen zu verschaffen. Da wird der Kirchenfürst unter wortreicher Lobpreisung an seine Pflichten als „Mäzen“ gemahnt, während im vertrauten Briefwechsel mit Crotus oder dem Georgenthaler Klosterbruder Urban®) gelegentlich über das hochmütige und :gespreizte Auftreten Hartmanns gespottet wird. So tadelt Mutian den allzu scharfen and leidenschaftlichen Ton einer Streitschrift Reuchlins gegen die Dominikaner und erwähnt, wie er mit der Schlauheit und Uberhebung eines geübten Advokaten den Inquisitor Hochstraten als den „Bruder Jakob" behandle, während er von sich selbst rede, wie nach der Schilderung des Crotus sein Abt Hartmann zu tun pflege: stets „in honorificabilitudinationibus*)". Dann aber bemüht er sich wieder, die gute Laune des einflußreichen Mannes dureh eine gelehrte Plauderei zu wecken, wenn es gilt, einem jungen Freunde dessen Fürsprache zur Erlangung eines Notariats zu verschaffen: er erzählt mit gutem Humor, wie die Gothaer Augustiner den Chorherrn die Ostereier wegsehnappten, und vergleicht den Vorgang witzig mit Her
1) HR. S. 85.
*) G. Richter, FGB. VIII, 28.
3) Gillert I, S. LIV. 153, 346ff. 353. II, 124, 139, 143ft. 9.
*) Ein alter Schulwitz, der noch heute bei der katholischen . Geistlichkeit fortlebt: so scherzt Karl Jentsch über das feierliche Auftreten eines Prälaten, der immer „in EOnBBeRDI EDEN a nbn" gei. (Wandlungea des Ich im Zeitenstrome.)
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antiken Fabel vom Käfer und den Adlereiern!). All das aber beweist sehr wenig für das wissenschaftliche Interesse des Abtes; es erhebt sich kaum über die Rolle, die Liebe- traut in der Tafelrunde der gelangweilten Prälaten zu spielen hat.
Hutten dürfte mit Hartmann von Kirchberg kaum in Berührung gekommen sein. Erst befand er sich in Italien, dann stand er als Mitglied des buchonisehen Adels in den Reihen seiner Gegner. Um so auffälliger ist es, daß er diese Vorgänge nicht erwähnt, die seine Anklagen gegen die verweltlichte Klerisei, die habgierigen Kurtisanen, die rünkevollen Juristen so trefflich zu begründen geeignet waren. Er schwieg aber aus Rücksicht auf seine Standes- genossen, die diesen Kampf auch nicht mit reinen Händen geführt hatten. Aber auch zu seinem Haß gegen Priester und Mönche kann er hier nicht gekommen sein, wo er dank der Guust leichtlebiger Prälaten bequeme Schuljahre ver- lebt hatte und wo ihm im Kreise der adligen „Mönche“ ein behagliches Dasein in Aussicht gestellt wurde. Und diese hatten auch keine Ursache, mit Rom unzufrieden zu sein, denn man hat dort nicht versucht, Dignitäten des Hochstiftes und der zugehörigen Klöster an päpstliche Beamte zu ver- geben oder die vornehmen Benediktiner mit Prozessen zu behelligen. Der schlimmste Eingriff in die Verhältnisse des Ordens, die Aufhebung der Selbständigkeit Hersfelds, erfolgte zugunsten eines kaiserlichen „Kurtisanen“?) und deutschen Standesherrn unter dem selbststichtigen Beifall des Fuldaer Kapitels,
Dagegen bietet diese gefürstete Abtei ein Musterbeispiel für die rücksichtslose Duchführung und die verderblichen Folgen des Adelsmonopols in der deutschen Kirche, das der Geschichtschreiber der Päpste mit Recht für viele der schlimmsten und offenkundigen Schäden verantwortlich gemacht hat®). Es wird auch durch das Beispiel Fuldas bestätigt, daß gerade diese „Spitäler“ des Adels von allen kirchlichen Anstalten die zuchtlosesten waren. Nur daß hier keineswegs mit „Vorliebe die Mißgestalteten und für die Welt Unbrauchbaren, selbst Lahme und Blinde“ untergebracht ‘wurden, sondern der jüngere Nachwuchs schlechthin und in erster Reihe aus wirtschaftlichen Gründen. Und weiter trifft es durchaus und so auch hier nicht zu, daß „gerade diese zuchtlosen Ordensleute massenhaft zu der neuen Lehre ab-
1) Gillert II, 132£. *) Vgl. HR. S. 96ff. und die Beispiele in WR. Kap. IT u. HI. *) L. Pastor IV, 1, 201 f., 908f. |
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fielen, ihr Gelübde brachen und alles, was ihnen bisher heilig gewesen war, über Bord warfen“. Denn wenn auch später die buchonische Ritterschaft sich überwiegend evan- gelisch gesinnt zeigte, so vermag doch unser Chronist unter den adligen Mönchen seiner Zeit nur einen Abtrünnigen anzuführen!). Ulrich von Hutten aber war weder Mönch noeh Lutheraner ?).
1) S. oben S. 238.
?) Das mehrfach erwühnte Buch ,Huttens Vagantenzeit^ ist in- zwischen in Weimar 1925 erschienen. O. Clemen, der den historischen Roman von D. Fr. Strauß als ein über alle Kritik erhabenes Geschichts- werk 1914 neu herausgegeben hatte, hat nun in der mit einigen üusachlichen Vorbehalten ausgestatteten Besprechung (D. Lit.Z. 1925, Sp. 301f.) das ebenda (1922, Sp. 139 ff.) noch verteidigte „herkömm- liche Urbild“ des „ritterlichen Reformators“ preisgegeben. Doch be- streitet er noch, daß H. „durch sein stark ausgeprägtes Standesbewußtsein sich habe bestimmen lassen, über die Zustände unter den adligen Kapitularen zu schweigen“, und möchte den oben (S. 212; Vaganten- zeit S. 26 f, 108 ff.) wiederholten Vorwurf der Entwendung von Hand- schriften entkrüften. Aber daß manche Gelehrte die Zurückgabe von Büchern einfach vergessen haben, daß ein von Reuchlin 1519 entliehener Band erst in seinem Todesjahre — aber doch vielleicht moch auf seine Anweisung hin — wieder in Basel eintraf, kann einen Hutten nicht entlasten, weniger weil dieser seinen späteren Aufenthalt in Fulda 1520 nicht zur Zurückgabe benutzte, sondern weil er als unverbesserlieher Spieler und Schuldenmacher, schließlich als Erpresser und StraBenrüuber das einem harmlosen Gelehrten gewährte Vertrauen nieht verdient. Überdies wird seine Verfehlung durch das oben ge- sehilderte Betragen des ihm versippten Adels nur um so wahrschein- licher, wenn es auch standesgemäßer war, sich Herden und Feld- früchte, Äcker und Wiesen widerrechtlich anzueignen.
Markgraf Georg Friedrich von Branden- burg und die ev. Stände Deutschlands 1570—1575.
Von Dr. Schornbaum.
Nach dem Augsburger Reichstag 1566 legte sich den Deutschen evangelischen Fürsten der Gedanke eines engeren politischen Zusammenschlusses immer näher. Ein eifriger Förderer dieser Bestrebungen war Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg, auch in dieser Hinsicht eines Sinnes mit seinem Schwager Christoph von Württemberg. Wenn 1570 schließlich dann auch alles resultatlos endete, so hatte er sich doch überall Vertrauen erworben. Darum wandten sich die ev. Stände auch in den folgenden Jahren immer wieder an ihn. Er wußte dies zu würdigen. Bereitwillig ging er auf alle Anregungen ein. Seine Maßnahmen und Ratschläge bedeuteten um so mehr, als sie immer auf einer gemeinsamen Stellungnahme der drei Höfe von Brandenburg, Württemberg und Baden beruhten.
Zuerst begehrte seinen Rat Herzog Joh. Wilhelm von Sachsen. Wigands Schrift gegen Flacius „Von der Erbsünde, Lere aus Gottes Wort . . .*?) hatte nicht zur Beruhigung in seinem Lande gedient; er hoffte durch die „Zensuren etlicher christlicher Kirchen“ zur Klarheit über die nötigen Schritte zu kommen; Brandenburgs Rat erschien ihm um so wichtiger, weil seine „Theologen als gottselige, treue Lehrer des seligmachenden Gotteswortes“ gerühmt wurden?) Diesen, dem alten Generalsuperintendenten Gg. Karg an ihrer Spitze, lag allerdings nichts ferner, als der Lehre des Flaeius bel-
1) Schornbaum, Die Bündnisbestrebungen der deutschen evan- gelischen Fürsten und Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg- Ansbach 1566—70. Zeitschrift für Kirchengeschichte 38. Bd, S. 262ff.
3 W. Preger, Matthias Flacius Illyricus und seine Zeit, Er- langen 1861, IT, 359f.
*) d. d. Weimar 12. 10. 1571. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Religionsakten, (A. R.A.) Tom. suppl. IT, 286. |
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zupflichten; andererseits mochte man auch Wigand nicht in allen Punkten Recht geben, so sehr man seinen grundsätz- lichen Standpunkt billigte; vor allem aber hatte man keine Freude an den theol. Kämpfen und ihren Auswirkungen: in . Sachsen. Darum beschränkten sie sich am 23. Nov. 1571 darauf, kurz ihre prinzipielle Zustimmung zu Wigands Aus- führungen zu geben!), Wohl um nicht in theol. Kämpfe verwickelt zu werden, trat Georg Friedrich diesmal nicht mit Württemberg und Baden ins Einvernehmen; er kannte die impulsive Art Jakobs Andreä gut genug?) Er war daher nicht besonders erfreut, als sein Neffe Ludwig von Württemberg um sein Urteil über das Gutachten der Tübinger Theologen über Wigands Buch ersuchte. Karg und Stifts- prediger Konrad Limmer®) beschränkten sich auch jetzt auf eine kurze Zustimmung zum prinzipiellen Standpunkt des- selben „und haben darinnen soviel statum eausae und die hauptsaeh betrifft, kein Bedenken“*). Doch rügten sie neben formalen Müngeln vor allem das Festhalten an der aristote- lischen Definition des Accideus?). Um weiteren Erórterungen aus dem Weg zu gehen übersandte Georg Friedrieh kurzer- hand sämtliche Gutachten an Karl von Baden?) und Ludwig von Württemberg’); beide konnten merken, daß er keinerlei Briefwechsel darüber mehr wünschte; sie waren wohl voll- kommen damit einverstanden; eine andere Angelegenheit beschäftigte viel mehr die Theologen und Staatsmänner. Die Herausgabe des Katechismus uud der Grundfeste hatte die Wittenberger Theologen bei den Lutheranern bald in den Verdacht des Calvinismus gebracht?) Kurfürst August berief daher beunruhigt dureh die beständigen Augritfe von allen
1) A. R. A. l. c. II, 288 Dek. Uffenheim: Uffenheimische Refor- mations-, Religions- und Kapitulsakte 1523— 1687 fol. 70. gedruckt als Beilage I.
?) Dank Joh. Wilhelms für Übersendung des Ansbacher Be- denkens. d, d. Weimar 1. I. 1572. A. R. A. l. c. II, 290,
3) Beiträge zur bayr. K. G. 21, 130, 215.
*) A. R. A. T. suppl. IT, 544f. gedruckt als Beilage II,
5) Fr. H. R. Frank, die Theologie der Concordienformel. Erlangen 1858 I, 68. |
9) d. d. 1. 1. 1572. A. R.A. 1. c. IL, 546.
3 d. d. Ansbach 31. 12. 1571. A. R. A. l. c. II, 540.
.. . 5 H. Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus. Marburg 1853. II, 403ff. R. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchtho- nismus in Kursachsen. Leipzig 1866, S. 36f.- J. F. A. Gillet, Crato von Crafitheim und seine Freunde. Frankfurt a. M. 1860; E, 416 ff, | |
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Seiten die Wittenberger und Leipziger Professoren sowie die meisten Superintendenten seines Landes im Oktober 1571 nach Dresden und befahl ihnen „ein gut lutherisches“ Zeugnis ihrer Auffassung vom hl. Abendmahl vorzulegen). Mit ihrer „kurzen, christlichen und einfältigen Wiederholung .. .*, dem sogenannten Consensus Dresdensis war er vollkommen zufrieden und glaubte damit, alle Besehuldigungen und An- griffe auf ihre Rechtgläubigkeit genügend widerlegen zu können. Neben andern Fürsten übersandte er ihn am 22. Okt. 1571 auch seinem Neffen Georg Friedrich in der Erwartung, an ihm eine tatkräftige Unterstützung hierbei zu finden?. In Ansbach war man aber andrer Ansicht. Karg und Ko. Limmer wiesen sofort darauf hin, daß der Consensus über den wichtigsten Punkt, die manducatio indignorum oralis: „den Unterschied der geistlichen und leiblichen oder sakramentlichen Nießung“ beim heiligen Abendmahl mit. Stillsehweigen hinwegginge. „Luther habe doch alle die für Schwärmer gehalten, die nicht lehrten, daß der Leib und das Blut Christi unter Brot und Wein mit leiblichem Mund beides von Guten und Bösen empfangen werde.“ Ent- schieden trat man für die Ubiquitüt des Leibes Christi ein, wenn man auch merkbar von der dogmatischen Formulierung der Württemberger abrückte: „Denn weil Christus nicht Mensch allein, sondern auch wahrer Gott ist und derhalben zur Rechten Gottes des Vaters sitzt nach beiden Naturen, so kann er tun, was er will, und leisten, was er zusagt, und kann demnach auf eine besondere himmlische Weise, die uns Menschen weder begreiflich noch aussprechlich ist, seinen Leib und Blut mit Brot und Wein laut seiner Worte zu essen und trinken geben; und hindert ibn hieran die Ungleichheit der zweien unterschiedlichen Naturen in seiner Person oder auch sein Himmelfahrt gar nicht.?)* Man be- stätigte deshalb am 19. Nov. 1571 nur kurz den Empfang der Sendung und suchte Fühlung mit Württemberg‘). Hier herrschte große Erbitterung gegen Wittenberg?) Schon die
1) Daniel Greser an Nik. Selneccer 3. 10. 1571. A.R.A. T. suppl. IT, 280. 282. Heppe II, 409. Gillet I, 423.
*) d. d. Augustenburg A. R. A. 33 pars I fol. 2. Der Consensus daselbst fol. 4 ff.
3 A. R. A. 33, I, 32. Gedruckt als Beilage III.
4) Räte an G. Fr. d. d. Ansbach 18. 11. 1571. G. Fr. an August von Sachsen 19. 11, 1571. A. R. A. 33, I, 26. 27.
*) Joe. Andreae an J. Marbach, Eßlingen 7. 12, 1671. Witten- bergensium impietatem patefaciunt ecclesiae Saxonicae et nos ilis minime deesse debemus. Ego in scripto suscepto pergo et spero, me.
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„Grundfeste* batte Andreä zu einer energischen Abwehr veranlaßt; jetzt faßte man den Entschluß, nachdem man die zwiespältige Ausdrucksweise des Consensus Dresdensis klar erkannt hatte, Kurfürst August offen über die Gesinnung seiner Theologen aufzuklären. Am geeignetsten erschien Andreä dazu Georg Friedrich. Die Abordnung einer be- sonderen stattlichen Botschaft etlicher lutherischen Fürsten unter seiner Führung erschien ihm allerdings nicht rätlich. Er wußte, wie sehr Kurfürst August für seine Person jede Hinneigung zum Calvinismus ablehnte; der Markgraf stände nur in der Gefahr, seinen Unwillen zu erregen. Ebensowenig hielt er eine persönliche Fühlungnahme desselben mit dem Kurfürsten für nützlieb, unmöglich könnte er auf alle Ein- wände gefaßt sein. Da er auch von einer aufklärenden Schrift von Seite der Theologen im voraus schon nicht den geringsten Nutzen erwarten konnte, dünkte es ihm am besten, von Ansbach einen „vertrauten Rat“ nach Dresden zu senden. Dieser hätte den Kurfürsten vertraulich davon in Kenntnis zu setzen, daß in Oberdeutschland immer mehr die Rede von seinem Abfall vom Luthertum Platz greife, Ursache dazu hätten die Schriften seiner Theologen gegeben. Er brauche nur zwei Bedenken — wohl die Schriften Andreüs gegen die Grundfeste?) und den Consensus Dresden- sis?) zu lesen. Sollte der Kurfürst sieh dadurch noch nicht überzeugen lassen, sondern für seine Theologen eintreten, so hätte der Rat ihm den Vorschlag einer kurzen Besprechung zwischen sächsischen und brandenburgisehen Theologen zu unterbreiten. Beide sollten nicht Recht oder Unrecht der bisher veröffentlichten Streitschriften erörtern, sondern allein drei Fragen behandeln: 1. Warum Luther und die sächsische
brevi absoluturum. D. D. Cbemnitius ad me scribit, ipsorum scriptum jam edi (Heppe II, 408) fortassis ad nundinas Lipsienses proximas "habebimus, Interim et noster absolvitur, J. Fecht, hist. cesl. sec. 16, Supplementum . . . Durlaci 1864 S, 4029. Pridie Cal. Sept. [31. 8} 1572: Quod ad Witebergenses attinet, tractavi illos ego pro dignitate. Nec erubui eos publice proditores veritatis appellare. Constitui autem, quaecunque argumenta opposita sunt, in debitam formam redigere et nunc cum meis solutionibus disputationi adjuncta demum edere, ut omnes videant quid oppositum et quid responsum sit. Quodsi deincepg yel Wittebergenses vel Heidelbergenses sese mihi opponere voluerint, inveniant nie, domino volente, in omnem eventum paratum S. 487, Heppe II, 414. of. Beilage S. 136,
1) Heppe II, 414.
*) A. R. A. T. 33, I, 62ff. (trägt die Tom. suppl. II, 275 genannte Signatur „A“),
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Kirche nunmehr über 40 Jahre gegen Zwingli gestritten habe, ob nicht Luther die Erklärung des Artikels von der Person Christi, seiner Himmelfahrt, seinem Sitzen zur Rechten Gottes zur Bestätigung des einfältigen Verstandes der Worte Christi im Abendmahl gebraucht, und damit die Zwinglianer zurückgewiesen habe; 2. Ob Luther in den Lebrschriften eine andere Lehre als in den Streitschriften gebraucht habe; 3. wenu Lutber in beiden Schriften gleich gelehrt habe, ob die ,Grundieste^ und der „Consensus Dresdensis“ damit übereinstimme. Von einer solchen Erörterung erhoffte Andre& vollen Erfolg, war doch der Kuríürst immer der Meinung Luthers Lehre allein in seinen Landen herrschen zu lassen, Auch wußte er bereits, wer unter den markgräflichsten Räten am geeignetesten dazu war: Georg von Wambach !), Falls es diesem gelingen würde, die Berufung des Dresdener Superintendenten Dan. Greser und des Pfarrers von Pirna Dr. Joh. Stößel zu seiner Audienz und den daran sich knüpfenden Besprechungen zu erreichen, glaubte er an einen vollkommenen Erfolg dessen Mission. Wambach „wisse es besser zu richten, als er schreiben könne*. So kam es ihm vor allem darauf an, den Markgraf für seine Gedanken zu gewinnen, Er übermittelte ibm nicht nur die Erklärung der Niedersachsen gegen die Grundfeste: „Wiederholte, christliche gemeine Confession . . .“2), sondern stellte auch sein persönliches Kommen in Aussicht’). Herzog Ludwig anterstützte seine Schritte; er übersandte 5. März 1572 die Erklärung der Württemberger gegen die Grundfeste: „Der württembergischen Theologen Wiederholung . . .**) sowie
1) Zuerst in Bambergischen Diensten. 1566 in Augsburg als br. Rat. 1579 Landrichter Nürnb. Kreisarchiv Rep. 117a, 285b, 289, W. Hotzelt, Veit II von Würtzburg. Freiburg 1919. 130, 202. X. H. v. Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg isli. IIT, 96, 31, 32, 50, 56, 215, 371. K. F. Jung, Kurze, doch giründliche Anweisung, was die comicia burggraviae seyn. Onolzbach 1735. 11,4. Zeitschrift f. K. G. 1. c. S. 263. |
2) Heppe II, 408,
3) Bedenken Andreüs. d. d, 6. 8. 1572. Stuttgart. A. R. A: Tom. suppl. II, 275f., 319ff. Andreü an Georg Friediich. s. d. etl À. R. A. Tom. suppl. II, 271, Andreä an Georg Wambach, Stuttgart 6. 3. 1572. A. R. A. 88, I, 86f. Andreü an Georg Friedrich d. d, $. 3. 1572, A. R. A. 88, I, 29. G. Fr. au Andreä. Ausbach 15. 3. 1572. A. R. A. 33, 1,81. cf. auch den Brief-Andriäs an Karg d. d, 6. 3. 1572, Stuttgart. Blätter für Württemb. Kirchengesch. XIV, 161 (Stutt- ‚gart 1910). | |
*) Heppe II, 411.
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auch eine eingehende Darstellung der Zwiegpältigkeit in “der Lehre des Consensus Dresdensis!).
Gg. Karg u. Konr. Limmer gaben Andreä in der Haupt- sache recht; nur hielten sie eine schriftliche Vorstellung für besser; „eine Person könne man leicht abweisen; eine ‚schriftliche Antwort müsse man beraten“ (14. März 1572). Doch wollten. sie alles unterlassen haben, was den Argwohn des Kurfürsten erwecken konnte; darum waren sie gegen die Übermittlung der von Andreä übersandten Gutachten und konnten die Drucklegung der Erwiderung auf die Grund- feste nur dadurch rechtfertigen, weil letztere scharfe An- griffe gegen Württenberg enthielt?). Georg Friedrich wußte nun nicht, was er tun sollte. Er beschloß die heikle Auf- gabe andern zu überlassen. Sein Rat David Hosmann?) mußte sieh nach Berlin zu Kurfürst Joh. Georg begeben und an diesen die Bitte zu richten, in dieser Angelegenheit persönlich mit Kurfürst August zu unterhandeln. Hosmann sollte sich bereit erklären, ihn zu begleiten; auch dann sollte er kraft eigner Vollmacht nach Dresden gehen, falls J. Georg dureh Zuordnung eines Rates ihn unterstützen würde; für den Fall, daß auch dies in Berlin nicht gebilligt würde, sollte er ein gemeinsames Schreiben anregen (7. April 1572)%). Jobann Georg aber lehnte jedes gemeinsame Ansinnen ab und schlug vor, gesondert sich an Sachsen zu wenden; nur meinte er, diesem Schritt mehr Nachdruck dadurch geben zu können, wenn man auch Herzog Ulrich von Mecklenburg ins Vertrauen zóge.
So blieb denn dem Markgrafen nichts übrig, als selbst die nötigen Schritte zu unternehmen Denn das, was Kurfürst Friedrich von der Pfalz wünschte, eine Inhibierung der von Württemberg ins Auge gefaßten Drucklegung weiterer Streit- schriften, konnte er nach ‚dem herausfordernden Tone der Gruudfeste nicht für gut heißen; eine Klärung schien ihm, wenn er auch die Kampfweise des Andreä nicht im allem billigte, nótig?). Am 11. Mai 1572 teilte er Kurfürst August
1) A, R. A. T. 33, I, 62ff. Ludwig an G. Fr. Stuttgart 5. 3. 1572. A. R. A. Tom. suppl. II, 292.
3) A. R. A. Tom. suppl. IT, 320, Über Wittenberg war man in ‚Ansbach gut unterrichtet s. J. Hertel an G. Karg 6. 6. 1571, B. B. K. XIX, 135f.
3) Br. Rat. s. Lang III, 31. 61. Blätter für Württemb. Kircheng. 14, 160.
4) A. R. A. Tom. suppl. II, 3241ff, 3311ff.
5) Friedrich von der Pfalz an G. Fr. d. d. Heidelberg 23. 4, 1572. Antwort des letzteren d. d. Ansbach 14. 5. 1572. A. R.A. T. suppl- XI, 846. 852. Ä
Archiv für Reformationsgeschichte. XXIJ. 3/4. 18
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unter Berufung auf Chemnitz „Wiederholte christliche gemeine Confession . . .“ mit, daß seine Theologen allenthalben im Verdacht des Zwinglianismus stünden; darin werde man bestärkt, weil sich die Calvinisten und Zwinglianer an der sächsischen Erklärung vom Abendmahl sich genügen ließen, - Er bat, für Einigkeit in der ev. Kirche zu sorgent). August war sichtlich unangenehm dadurch berührt; er lebte ja in der festen Überzeugung, in seinem Lande nur Luthers Lehre vertreten zu sehen. So wies er denn in seiner Antwort vom 30. Mai 1572 darauf hin, wie entschieden er in der letzten Zeit noch Beza entgegengetreten sei; wie die Universitäten den strengen Befehl bekommen hätten, in den Buchläden 'keine ketzerischen Bücher zu dulden; wie an die Schulen zu Meißen, Pforta und Grimma die Weisung ergangen sei, nur Luthers Katechismus im Unterricht za benutzen. Gegen einen Konvent sprach er sich, weil nutzlos, ganz entschieden aus; er bleibe bei der Augsburgischen Konfession. Mit dem Consensns Dresdensus sei der Landgraf zu Hessen ebenso zufrieden gewesen, wie etliche Theologen des Markgrafen selbst. Er schloß mit folgenden eigenhändigen Worten: „Ich verstehe E. L. Schreiben und Erinnerung in dieser hoch- wichtigen Sache ganz freundlich und wohlgemeint, nimm es auch zu gutem Dank und Gefallen an und bitte E. L. freundlich, da etwas dergleichen mehr an E.L. gelangt, Sie wollen mich dessen jederzeit ungescheut freundlich berichten, auch in dieser Sache kein Mißtrauen in mich setzen, als ob ich der Zwinglischen, Kalvinischen oder Bezae Meinung im Abendmahl des Herrn wäre, sondern gewiß glauben, dab dies mein endliches und gänzliches Gemüt ist, wie ich mich hiermit gegen E. L. rund und ausdrücklich erklärt2),«
Die ganze Aktion war damit gescheitert; zwar versuchte Georg Friedrich noch einmal Kurfürst Joh. Georg von Brandenburg, dem er schon am 14.Mail572 von seinem Schreiben Kenntnis gegeben hatte?), nunmehr zur Erfüllung seines Versprechens zu veranlassen (27.Junil572)*) fand aber wenig Entgegenkommen. Joh. Georg wollte nunmehr
!) A. R. A. Tom, suppl. II, 348. d. d. Ansbach cf. Calinich S, 95. 2) d, d. Dippoldiswalde 80, 5. 1572. pr, 12. 6. 1572. A. R. A. 38, I, 44. Calinich S. 95. nebst Beilagen: August an Beza d. d. Dresden 22, 5. 1572. A. R. A. 33, I, 49. Calinich 9. Heppe II, 415. Gillet I, 426 und August an die Schulen zu Meißen, Grimma, Pforta. d. d. Dresden 23, 5. 1572. A. R, A. 83, I, 51. Calinich S. 95. *) d. d. 14. 5..1572. A. R. A. T. suppl II, 354. Antwort J. Georgs d. d. Cöln an der Spree 17, 6. 1572, A.R.A. 33, I, 38. *) d. d. Ansbach A. R, A. 33, I, 40. l
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ein persönliches Zusammentreffen mit August gelegentlich dessen Rückkehr von Dänemark abwarten; in Wirklichkeit aber ging er der ganzen Sache aus dem Weg‘). Dem Markgraf blieb nichts anders übrig, als den Gang der Ent: wicklung rubig abzuwarten. Rat Nik. Stadtmann?) wurde beauftragt, über die kirchl. Lage in Sachsen gelegentlich seiner Reisen sich immer zu orientieren, and der Regierung Bericht zu erstatten. Noch ist einer seiner Berichte aus Erfurt vom 24. Okt. 1572 erhalten). Er hatte Kunde davon bekommen, wie Kurfürst August von den Theologen zu Wittenberg und Leipzig eine genaue Darstellung der Unterschiede zwischen Consensus Dresdensis und Heidel- berger Katechismus eingefordert hatte, nachdem sein Schwieger- sohn Pfalzgraf Joh. Kasimir ihm mitgeteilt hatte daß doch in der Substanz beider Theologen einig würen*). Auch war es Stadtmann gelungen, eine der Antworten der sächsischen Theologen zu erhalten; er war damit so zufrieden, daß er an ihrer Rechigläubigkeit keinen Zweifel mehr hegte, um so mehr, als sie sich auch auf das Zeugnis des Joh. Pisto- rius von Nidda „des letzten Augsburgischen Confessionisten“ berufen konnten. Die Heidelberger hätten jetzt keinen Grund mehr, die Wittenberger als Gesinnungsgenossen zu bezeichnen, nachdem der sächsische Katechismus in seiner vom Kurfürst angeordneten Neuauflage?) beim zweiten Artikel die vielumstrittenen Worte „oportet Christum coelo capi“
!) d. d. Bezeau Mo. n. Vinc. Petri (4. 8.) 1572. A. R. A, 33, I, 11,
?) + 2. 8. 1607. M. J. Geret, natalem vicesimum quintum serenissimae atque celsissimae principissae dominae Fridericae Ludovicae
. invitat . . . praemissa perillustri Nic. Stadtmanni vita .
28, 9, 1788. Dr. Fr. W. A. Lagriz, Ausführliche Geschichte der öffentlichen und Privatstipendien für Baireutische Landeskinder Hof 1804 I, 212. Archiv f. Geschichte und Altertumskunde von Ober- franken. Bayreuth 1916, 26. Bd, 2. Heft, S. 13. Nürnberger Kreisarchiv Rep. 117, 236, 295b, 296bg. M. H. Priester, Onoldum in requie. ibidem Oberamt Ansbach. St. Onolzbach. Job. Kirche Nr. 46. K. H. Lang, III, 39, 62, 63, 81, 84, 46, 49, 60, 85, 93, 97, 108, 128, 197, 840, 349, 386. "Totenmatrikel der Pfarrei St. Johannis in Ansbach „ein wohlverdienter Mann um dieses Land“. J. V. Andreae, Fama Andreana reflorescens sive Jacobi Andreae Waiblingensis . . . vitae . . . recitatio. Straßburg 1630 S. 44 (studiert zu Tübingen).
3) A. R. A, T. 33, I, 53.
^) Calinieh, S. 88f. Gillet I, 125, II, 515f. A. Kluckhohn, Briefe Friedrich des Frommen. Braunschweig 1870 II, 438.
5) Stadtmann (übersandte ein Exemplar, cf. Gillet I, 427, 517 f. |
18*
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mit Luthers Worten näher erlüutere!) Durch die gewordenen Aufschlüsse vollauf befriedigt, glaubte er zuversichtlich, daß jetzt Friede würde. „Unser lieber Herr und Gott, Vater unsers lieben Herrn Jesu Christi wolle sich unser erbarmen und die Lehre seines heiligen seligmachenden Wortes bei uns rein erhalten auch auf unsere lieben Nachkommen das väterlich kommen lassen.“ Dieser Wunsch war nur allzu berechtigt. Offenbar kannte er sich nur wenig in den theol. Erörterungen aus. Sonst hätte schon die Tatsache, daß gerade die von den Württembergern und Niedersachsen aufs schärfste bekämpfte passive Fassung der Stelle Act. 3, 21 in dem Katechismus aufgenommen war, ihn höchst arg- wöhnisch machen und bedenklich stimmen müssen, Noch klarer wird dies, wenn wir einen kurzen Blick auf das oben erwähnte „Verzeichnis der Fragepunkte, derinnen Ungleichheit und Unterschied zu befinden zwischen unserm zu Dresden jüngst wiederholtem Bekenntnis und dem Heidel- bergischen Katechismus“ ?) werfen. Es werden hier eigent- lich nur formale Unterschiede berührt. Im Consensus Dresdensus wird die ganze Lehre vom Abendmahl gründlich besprochen, soviel zum christlichen Unterricht gottseliger Herzen nötig ist und soweit man bisher in den Bekennt- nissen der Kirche gegangen ist; der Heidelberger Katechis- mus enthält dagegen keine vollkommene Erklärung .der ganzen Lehre vom hl. Abendmahl. (P. 1). Oder: wenn im zweiten Punkt darauf hingewiesen wird, daß die Anordnung bei beiden Schriften verschieden sei. Der Consensus Dresden- sis redet vom rechten Grund der Gegenwart des Leibs und Bluts Christi im Abendmahl und vom rechten Verstand der Einsetzungsworte; schließlich bringt er eine notwendige Beschreibung oder Definition des heiligen Abendmahls aus den Worten Christi und Pauli; der Heidelberger Katechis- mus beschreibt weder aas Sakrament, noch erklärt er die Worte Christi, sondern stellt gleich die Frage: de fine €oenae dominicae vel de fructu sumptionis. Der Cons. Dresd. gebraucht — sagt Punkt 5 — nur solche Worte, welehe im corp. doctr, oder in den Bekenntnissen der Kirche ge- braucht werden, der Heidelbergische Katechismus „besondere Art und Weise“, „die mit ausländischen Schriften überein-
1) S. Laur. Dürnhofer an Heinrich Ballinger Nürnberg 25. 8, 1573. Zach. Ursinus an Heinrich Bullinger 23.8.1572. Heppe II. Beilagen S. 132f., 133f. Ersterer Brief nebst einem ergänzenden vom. 16, 6, 1572 im C. D. M. 11470a fol. 199b u. 204—206 der Staatsbibliothek München. .
? A. R. A. T. 88, T, 67ff.
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stimmen“, War denn aber nicht gerade das corpus doctrinae Misnicum den Lutheranern ein großer Stein des Anstoßes ?
‚Und wenn man die Verschiedenheit im Kultus. — die Plälzer, sagt Punkt 5 noch, hätten sieh auch hier an aus- ländische Kirchen angeschlossen — benutzte, um seine
Rechtgläubigkeit zu beweisen, so konnte jeder einsehen, wie wenig stichhaltig dieses Argument war. Eine Verschiebung der Streitpunkte war es auch, wenn im Punkt 4 darauf hin- gewiesen wurde, daß man im Heidelberger Katechismus im Unterschied vom Consensus Dresdensis zu wenig vom „un- würdigen Genuß des heiligen Abendmahls“ finde. Es handelte sich doch um die manducatio indignorum. Nur der dritte Punkt ging auf den Kern der gauzen Frage ein. Die sächs. Theologen erklärten: „Der Consensus Dresdensis lehrt, daß der Herr Christus in dieser Ordnung des hl. Abendmahls wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig ist, so daß er mit äußeren und sichtbaren Zeichen — Brot und Wein — seinen wahren Leib, für uns am Stamme des Kreuzes geopfert, und sein wahres Blut, für uns vergossen, uns gewißlich in diesem Sakrament gibt und mitteilt und hiermit anzeigt, dab er uns zu Gliedmaßen seines Leibes macht, uns mit seinem Blut reinigt und Vergebung der Sünden schenkt, wahrhaftig in uns wohnt und kräftig in ans wirkt;“ dazu führe der Cons. Dresd. zwei Regeln an: „nichts kann Sakrament sein außer dem eingesetzten Ge- brauch ^ „Der Herr Christus ist wahrhaftig und gewiflich gegenwärtig bei dem Nachtmahl, gibt uns bei diesem Ge- nießen mit Brot und Wein seinen Leib und sein Blut, appliziert uns sich selbst und seine Verheißung, macht uns zu Gliedmaßen seines Leibes und wirkt Leben und Trost in uns.“ Der Heidelberger Katechismus rede im Unter- schiede davon zu wenig von diesen Dingen. Aus der Frage desselben: „Wie wirst du im heiligen Abeudmahle erinnert und versichert, daß du an dem einigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gütern Gemeinschaft hast“, könnte man den Verdacht schöpfen, als ob die Sacramente nur „Denkzeichen“ nicht zugleich signa exhibitiva und appli- cativa seien. Wie derartige Ausführungen Stadtmann so ‘beruhigen konnten, ist schwer verständlich, Es ist kaum denkbar, daß man sich in Ansbach ihm anschloß. Allerdings mochte es gerade damals dem Markgrafen am geratensten erscheinen, seine zuwartende Haltung vorerst nicht aufzugeben. Die von Frankreich naeh der Bartholo- mäusnacht drohende Gefahr hatte er völlig erkannt, er war einer der wenigen Fürsten, die dem Rufe Kurfürst Friedrichs von der Pfalz folgten und den Tag von Heidelberg im
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September 1572 besuchten; aber die ablehnende Haltung des sächsischen Kurlürsten ließ auch ihm das angestrebte Defensivbündnis als nutzlos erscheinen; das wiederholte Scheitern solcher Versuche lähmte auch seine Energie (14. Nov. 1572) 5.
lm folgenden Jahre drohte Ansbach in die Flacianische Wirren hineingezogen zu werden. Von Regensburg ersuchte man um Auskunft, was die brandenburgisehen Theologen über die Begriffe substanz, accidens, qualitas lehrten ; ob man sie in dem Unterricht der Schulen gebrauchen solle; ob ein Unterschied zwischen der verderbten Substanz des Menschen und der Erbsünde; wieviel Gutes noch an des Menschen Substanz nach dem Falle sei; wie man gegen irrige Kirehendiener vorgehen solle; mit kurzen Worten: die ganze Flacianische Lehre von der Erbsünde wurde hier aufgerollt (13. Okt. 1573)?). Karg und seine Kollegen be- zeugten aber keine Lust, sich tiefer mit dieser Angelegenheit zu befassen; man befürchtete das Entfachen erbitterter Streitigkeiten im eigenen Lande; darum verwiesen sie kurz darauf, daß für sie durch die eben mit Nürnberg geschlossene norma doctrinae et judicii’) der ganze Streit entschieden wäre, die Erbsünde sei keine Substanz, sondern zugerechnete Ubertretung unserer ersten Eltern. Regensburg könnte allem Streiten aus dem Wege gehen, wenn es sich ihrem corpori doctrinae ansehlüósse*. Dazu zeigte man in Regensburg allerdings aus guten Gründen nicht die ge- ringste Geneigtheit 5).
Gegen Ende dieses Jahres lief in Stuttgart eine heftige Beschwerde des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz über Jakob Andreä ein. Entgegen den Abmachungen vom Junil567°) „beschmeiße er“ in seinen Predigten die Kirche und Schule zu Heidelberg nieht nur mit dem Namen „Zwinglianer und Calvinisten* sondern beschuldige sie auch des „Arianismus“,
) A. Kluckhohn, Briefe. Braunschweig 1872 II, 490. 491 Anu. 493 A, 3, 498f., 510ff., 516ff. Der Abschied 289 ff., cf. 523 Anm. 1, 525. Friedrich der Fromme. Nórdlingen 1877. S. 355, Fr. v. Bezold, Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir. München 1882 T, 89f,
?) A. R. A. Tom. suppl. II, 356, wiederholt 14. 12. 1578. fol. 365.
») Lang III, 373. G., Th. Strobel, Beyträge zur Litteratur besonders des 16, Jahrhunderts. Nürnberg u. Altdorf 1784 I S. 365ff.
*) A. R. A, T. suppl. IT, 862, 85, 114 (von Francisci) geschrieben, gedruckt. Beilage IV.
5 G. Fr. an Kümmerer und Rat zu Regensburg 14. 12. 1573, A. R. A. T. suppl. II, 366. Antwort d, d. 19. 12. 1578. fol, 371.
°%) Heppe IT, 188, 247, 380. Gillet T, 394, :
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„der türkischen und mobammedauischen Greuel“; ja er habe, um die Gleichheit der Lehren des Korans mit den Lehren seiner Kirehe zu beweisen, einen Absehnitt aus ersterem in einer Versammlung zu Memmingen vorgelesen. Diesen Vorwurf könne er nicht auf sich ruhen lassen. Er hoffe, dab Herzog Ludwig an solchen „beschwerlichen Diffamationsschriften und unchristlichen blutdürstigen Ver- hetzungen und Beschreiungen keinen Gefallen habe, gegen den unerträglichen Verleumder und Aufwiegler andern zum Exempel ernstlich vorgehe* 23. Dez. 15731), Am gleichen Tage setzte er auch andre ev. Fürsten wie Kurfürst August von Sachsen?), Markgraf Georg Friedrich von Ansbach?) von dieser Beschwerde in Kenntnis. Die Erregung des Kurfürsten läßt sich verstehen; war er doch eben erst allen anti- trinitarischen Bestrebungen mit aller Entschiedenheit ent- gegengetreten *); genau ein Jahr vorher war Sylvanus zu Heidelberg öffentlich hingerichtet worden.
Was lag dieser Beschwerde zugrunde?°) Auch in Memmingen war der latente Zwiespalt zwischen Caivinern und Lutheranern, Eusebius Kleber und M. David Künlin akut geworden. Zur Beilegung der Streitigkeiten wurde Jakob Andreä vom Rat berufen. Bei den verschiedenen Unterredungen handelte es sich um die Vereinigung beider Naturen in Christus. Eusebius Kleber wollte zwar zu- gestehen, daß der Mensch Jesus Christus allmächtig sei, aber nur nach seiner göttl. Natur; die Menschheit Christi sei von der mensehliehen Natur aller andern Heiligen nur durch eine unendlieh reiche Fülle von Gaben des heiligen Geistes unterschieden, Darauf erklärte Andreä, das sei ja gar nichts anderes als die Lehre des Korans und las zum Beweise folg. Stelle vor: Omnium prophetarum alio super alio per me sublimato et eorum quibusdam cum deo locutis Christo Mariae filio animam nostram proprie conferentes vim atque virtutem prae eeteris praebuimus. Kleber wurde zum Schlusse ab- gesetzt; der Gemeinde gab aber Audreä auf der Kanzel von
!) d, d. Heidelberg. A. R. A. 38, I, 74. Kluckhohn lI, 617, Nr. 725. J. Döllinger, Die Reformation. Regensburg 1848. 1I, 382,
2» Kluckhohn II, 726, S. 618.
3) A. R. A. 88, 1, 83.
4 K. Sudhoff, C. Olevianus u. Z. Ursinus. Elberfeld 1857, S. 3581í. H. Heppe II, 859. Hauck R. E. ?XX, 358. Kluckhohln, Fr. der Fromme, S. 37811, Gillet II, 141. |
5 F, Braun, J. Andreäs Wirksamkeit in Sachen der Reichs- stadt Memmingen. Theol, Studien aus Württemberg IX, Ludwigsburg 1888, S. 1f. 121 ft.
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der ganzen Angelegenheit Kenntnis; er unterließ es dabei sicht darauf hinzuweisen, wie leicht derartige Irrlehren zw áàrjanischen und türkischen Irrtümern führen könnten !). Die zwei Predigten wurden später auch unter dem Titel: „Zwo Christliche Predigen | Von Gottseliger ei- | nigkeit der Kirchen diener: von | der Majestät des Menschen Christi zur Rechten || der Kraft Gottes und von warhaftiger || Gegen- wärtigkeit seines Leibs und | Bluts im h. Abendmahl || ge- halten zu Memmingen dureh Jacobum Andreae. MDLXXVII“ gedruckt, Am Sehlusse làs man in dem anhangsweise bei- gegebenen „kurzen Summerischen Begriff des ganzen Handels von dem h. Abendmahl Christi . . .^ ,daraus endlieh der türkisch mohammedanische Glaube folgt, der Christus Marien Sohn für einen puren lautern Menschen gehalten, welcher wohl mit höhern Gaben des heiligen Geistes gezieret denn andere Heilige, mit der allmächtigen Kraft aber, unendlicher Weisheit, göttlicher Majestät und Wirkung des Sohnes Gottes mit der Tat und Wahrheit kein Gemeinschaft habe, wie leider in Siebenbürgen, Polen und zu Heidelberg solche verdammten Lehrer endlich in diesen erschrecklichen gotíes- lästerlichen Irrtum geraten. Davor der barmherzige Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi alle frommen Herzet behüten wolle. Amen. ?)“
Am Württemberger Hofe wußte man offenbar von der ganzen Sache zu wenig; es blieb nichts übrig, als Ahdre& zur Rechenschaft auizufordern. Dieser sandte eine ein- gehende Schilderung der Vorgänge in Memmingen. Weit wies er von sich, die Ehre des Kurfürsten angetastet zu haben; er habe vielmehr seiner immer in Ehrerbietung ge- dacht; auch habe er keineswegs die Kirche in der Pfalz in üblen Ruf bringen wollen, er habe vielmehr an Silvanus ünd Neuser gedacht, Er verwies auf Bernhard Ochino; Georg Blandratra, Franz Davidis und Val, Gentilis, die auf dem Umweg über den Zwinglianismus zum Arianismus ge: Kommen seien. Die Schrift lehre, daß aüs einem Irrtum immer ein andrer komme. Er hätte viel mehr Grund zu klagen als die Pfälzer. In Eppingen, Brettheim, Oppenheim werde offen auf den Kanzeln gegen ihn gepredigt; die Württembergischen Theologen würdeh als Ubiquitisten,
1) Bericht des Andreä an Herzog Ludwig. A. R. A. 38, I, 2161f. Heppe II, 376ff. Braun S. 194ff.
?) Exemplar. A. R. A. 88, I, 89ff. mit eigenhändiger Widmung J. Andreäs an Mag. Joh. Stecher. Auf S, 166 in einer Randnote: Etliche zwinglische Prediger den Türkischen Glauben angenommen: Heidelberg. Poln. Siebenbürgen.
121 281
Sakramentsschwärmer öffentlich bezeichnet. In der voi Heidelberg übersandten Streitschrift „Acta concordiae | das ist | : Was sich in dem Tra- | etat und Handel der Corcor- dien oder | Vereinigung zwischen dem Herrn Luthero . . .* sei sein Name auf dem ersten und zweiten Blatt ausdrücklich in dem Text und auf dem Rand zu lesen!), während er in den Predigten den Namen Heidelberg nur ad marginem setze. Herzog Ludwig beschloß daraufhin, Andreä möglichst zu schützen; er wollte den Kurfürsten darauf hinweisen, daß er von Andreä mit keinem Worte angegriffen worden wäre; er habe ja auch durch die Tat bezeugt, wie er Arianismug und Mohammedanismus in seinem Lande nicht Platz greifen lasse: wenn man an das Büchlein „acta concordiae“ denke, hätten die Theologen Württembergs vielmehr Grund zuf Beschwerde; seien doch etliche von ihnen mit Namen ge- nannt worden. Bevor er aber dieses Schreiben absandte, unterbreitete er es den Vormündern Karl von Baden und Georg Friedrich von Ansbach ?).
Hier war man froh, endlich Einblick in die ganze Affaire zu bekommen. Theologen und Räte waren überein- ötimmend der Ansicht, daß Andreä zu weit gegangen war. Sehon die Gleichstellung von Siebenbürgen und Polen mit Heidelberg mußte erbitternd wirken; überhaupt hätte er die Pflicht gehabt, Sylvanus und Neuser mit Namen zu nennen. Die Theologen meinten sogar, daß die schriftliche Auf- klärung, die Andreä gegeben habe, durchaus nicht genüge; vielmehr sollte sie im Druck veröffentlicht werden. Soweit wollten die Räte aber doch nicht gehen. Sie billigten wie Karl von Baden im allgemeinen die von Herzog Ludwig vorgeschlagene Antwort, fügten aber die ernste Mahnung hinzu : in Religionssachen mehr Bescheidenheit zu gebrauchen
1) Acta concordiae | das ist |: Was sich in dem Tra- | etat vnnd Handel der Concordien oder | vereinigung zwischen dem Herrn Luthero vand | den Euangelischen Stetten in Schweitz vber dem Streit deß | heiligen Nachtmals Christi vom sechsvnnddreyssigsten big | in das acht vnnd dreyssigst jar nach dem Marpur- | gischen vertrag in schrifften vnd wider schrifften | auch sonst verloifen vnd warauff die Con | cordi entlich bestanden | sey etc. Item | ob und wie Johannis Calvini Lehr | mit der alten Kirchen | deßgleichen Herrn Lutlie- | ri und Johannis Brentii Lehr, die sie vor zeiten geführt | vbereinstimmen | Allen, so die Wahrheit vnnd Frieden lieben, vnnd | nicht betrogen sein wóllen jetziger Zeit nützlieh und not| wendig zu lesen 1572. 8. Auflage: auffs neuve vermehrt und gebessert. Heidelberg MDLXXV. Der Verfasser ist Chr. Herdesianus s, Gillet IT, 75.
?) A. R. A. 33, I, 80 cf. Heppe II, 380.
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als bisher (27. April 1574) !). Eben war ja auch eine e pfälzische Gegensehrift, die scharf gegen die Ubiquität Stellung nahm:
„Bekanntnuß der Theologen und Kirchendiener zu Heidel- berg von dem einigen wahren Gott in dreyen Personen ...“ eingelaufen. Man schien am Beginn neuer erbitterter Kämpfe zu stehen ?).
Diese Schrift, die Antwort der Heidelberger auf Andreäs Predigten ®), war natürlich auch nach Württemberg ge- kommen. Balth. Bidembach, Lukas Osiander, Wilh. Holder und Joh. Stecher fanden darinnen viele zwinglische Irrtümer; um nicht einfache Leute irre werden zu lassen, hielten sie eine Beantwortung für nötig; besonders weil im Schlusse die Württemberger scharf angegriffen worden waren. Diese sollte Andreä verfassen, nachdem doch die ganze Sache von der Memminger Affaire ihren Ausgang nehme. Um aber den Zwiespalt zwischen beiden Ländern nicht noch zu ver- größern, solle Andreä die Antwort in seinem Namen aus- gehen lassen; auch solle er die namentliche Nennung der Heidelberger umgehen ; naehdem auch Bullinger sich in den Streit gemischt habe, könnte dann seine Schrift als Antwort auf beide gelten (27.Àpril 1574) *). Herzog Ludwig trug aber Bedenken, den Wunsch der Theologen zu willfahren; er iürchtete ein „unendliches Libellieren^ und. erneute Ver- bitterung. Eine offizielle Schrift aber hielt er doch noch für das kleinere Übel, weil sonst Privatschriften in Masse von den Theologen veröffentlicht würden, deren Schärfe dann nicht mehr zu zügeln war. So ließ er die ganze Sache wieder nach Baden und Ansbach gelangen, nachdem die Theologen selbst einer Beratung der Sache auf der nächsten
. 2) Karl von Baden sandte 4. 3.1574 die projektierte Antwort Ludwigs an Friedrich von der Plalz, ein Exemplar der in Memmingen gehaltenen Predigten, die Verantwortung Andreäs und den Entwurf einer Antwort an Ludwig. A. R. A. 33, 1, 85; 80, 89, 216, 185. Be- denken der Ausbacher Theologen fol. 263£., 269. Rückantwort Branden- burgs durch die Abwesenheit des Markgrafen verzögert d. d. Ansbach 27. 4. 1574 fol. 185.
?) d. d. Heidelberg 2. 4. 1574, präs. 10. 4, 1574. A. n. A. 33, I, 86. Braun, S. 131ff.
5 Hauck, R. E. ? XX, 355. K. Sudhoff, C. Olevianus und Z. Ursinus. Elberfeid 1857, S. 378ff. Heppe II, 381. Kluckhohn, Fr. d, Fromme 397, Briefe II, 619. Anm. 1, Gillet II, 142.
*) A. R. A. 33, I, 187, 191. Bullingers Schrift ist wohl: „Uf siben Klagartikel, so diser zyt mit grofer ungestüme, unwarheit und unbeseheidenheit von etlichen unruwigen Scribenten geklagt werdend*. Braun 140 Anm.
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Generalsynode zugestimmthatten *) (29. April 1574). In Ansbach konnte man sieh im Unterschiede von Baden nicht mit der Herausgabe einer neuen Schrift befreunden; man ließ des- wegen die ganze Sache zunächst auf sich beruhen ?).
Die vier Württembergischen Generalsuperintendenten Joh. Mayer, Abt zu Maulbruun, Christhof Binder, Abt zu Adelberg, Georg Udel, Abt zu Loreh und Dr. Theodor Sehnepf entschieden sieh auf der Synode vom 9. Juni 1574 für eine Beantwortung der Heidelberger Schrift. Es sollte kurz die Lehre vom Abendmahl und von der Person Christi dargestellt und dann die Verkehrungen von Seite der Zwing- lianer gebührend behandelt; deren Zwiespältigkeit in ihren Reden getadelt und offen gezeigt werden, wie deren Irrtümer den Weg zum Arianismus und Mohammedanismus bereiten. Von den Heidelbergern solle man ganz schweigen und offen erklären, daß man die zwinglische Lehre nicht deswegen bekämpfe, um neue Verfolgungen zu erwecken, sondern um die Leute aufzuklären. Die Verabfassung wollten sie Andreä übertragen sehen?) Daraufhin willigten Statthalter und ge- heime Räte in die Beantwortung der Heidelberger Schrift; sie gaben zum Schlusse auch zu, daß diese Andreä in seinem Namen stellen sollte, nachdem die Generalsuperintendenten eben dadurch den Anschein vermeiden zu können glaubten, als ob man eine Fortsetzung des Streites mit der Pfalz wünsche. 10.Junil574. Daraufhin bekam Andreä den ent- spreehenden Auftrag.
Naeh zwei Monaten hatte dieser seine Aufgabe voll- endet *). Aber die Regierung war damit wenig zufrieden. Wohl hätte er die Heidelberger Theologen nieht genannt, aber der Tenor seiner Schrift verriete deutlich, daß sie ge- meint würen; auch würen am Rande immer die Seiten ihrer Schrift angeführt. Auch hätte er wieder auf die Memminger Verhandlungen zurückgegriffen und offen wenn aueh mit
1) d. d. Stuttgart, A. R. A. 35, I, 272.
2) Bericht des Erkinger von Rechenberg, Amtmanns von Gunzen- bausen präsentiert am 8. 5. 1571, A. R. A. 33, I, 227.
*) A. R. A. 33, I, 195.
4) Andreá an Marbach 23. 5. 1574: Ad Heidelbergenses, quod attinet tractabo illos pro dignitate brevi sed nervoso et perspicuo scripto et illorum impietatem toto terrarum orbi patefaciam. Responsum ad literas Electoris Palatini creentas nulli communicare audeo, sed argu- mentum ejus in refutatione recitabitur... Est sane spiritus cruentus neque enim pejora a Papistis metuo, quam nunc ab electorePalatino, Sed vita mea est in nomine Domini cui commendo et ine et causam ipsam, Fecht, S. 49.
284 | 124
Berufung auf ein Wort Luthers behauptet, daß die Zwiugli- aner die Vorläufer des Arianismus und türkischen Glaubens wären, eine Behauptung, die die Heidelberger um so mehr treffen müsse, nachdem unter „Zwinglianern“ ja nur sie im ganzen Schreiben verstanden seien. Die Regierung verlangte eine totale Anderung der Schrift: sie sollte allgemein von den Zwinglianern gestellt werden, die Anführung der Stellen aus der Heidelberger Schrift unterbleiben, die Worte vom Arianismus und Mohammedanismus gemildert werden. Auch griffen sie auf die Anregung zurück, die ganze Erwiderung auf eine breitere Basis zu stellen und nicht nur die Heidel- berger sondern auch Bullingers Schrift von Andreä würdigen zu lassen. Dabei blieben sie auch trotz der Vorstellunger Balth. Bidembachs, Lukas Osianders, Wilhelm Holders (30. Aug. 1574). Die Verzögerung der Drucklegung konnte sie nicht irre machen !); sie legten die ganze Frage im September den brandenburgischen und badischen Gesandten, als diese aus anderm Anlaß in Stuttgart weilten, vor. Da aber erstere gar nicht instruiert waren, blieb nicbts übrig, als das ganze Material am 5. Okt. 1574 nach Ansbach zu senden ?).
Im Unterschiede von Karl von Baden, der einer Ver- öffentlichung unter Berücksichtigung der von den Würtk. Statthaltern gemachten Einwendungen zustimmte ?), verbielt sich Georg Friedrich dagegen vorerst ganz ablebnend. Er fürchtete offenbar den Ausbruch eines neuen erbitterten Streites. Um so mehr. begrüßte er den letzten Versuch, eine Beilegung der theologischen Streitigkeiten für den Bereich des gesamten Protestantismus herbeizuführen *).
Landgraf Wilhelm von Hessen sehlug am 28. Sept. 1574 von Neuburg aus nach Rücksprache mit Andrei dem Kur- fürsten Friedrich vor, etliche Theologen beider evangelischen Parteien über alle Artikel der christlichen Lehre vollständig sich einmal aussprechen zu lassen). Auf der Rückreise in sein Land besuchte er auch Ansbach. Georg Friedrich ging
1) Bedenken der Statthalter und geheimen Räte 33, I, 199, Der Theologen 207. |
?) Ludwig v. Württemberg an Georg Er, d, d. Stuttgart 5. Okt. 1574 A. R. A. 83, I, 278, | » Karl von Baden an Georg Fr. d, d. Karlsberg 97. 9. 1573, A. R. A. 33, I, 261.
4) G. Fr. an Ludwig d. d. Ansbach 18, 12. 1574, A. R. A, 82, I, 207 u. 213.
i 5, D. d. Neuburg a. d. Donau 28. 9. 1574. A.R. A. 83, I, 988. Kluckhohn, Briefe II, 7231f,, cf. Heppe II, 449f, Kluckhohn,
125 285
auf seinen Plan mit Eifer ein. Noch am 27. Nov. erklärte der Landgraf Dathenus zu Spangenberg: „und hätte der Herzog Georg Friedrich sunderlichen Lust zum Frieden, begehrte auch der Handlung beizuwohnen und die zu helfen disi- gieren“!). Als im Dezember noch keine Mitteilung eingetroffen war, wandte er sich nach Kassel um Aufschluß ?), erhielt aber Mitteilungen, welche seine Hoffnungen auf einen end- lichen Abschluß der Streitigkeiten stark herabstimmen mußten. Landgraf Wilhelm berichtete ihm zunächst am 1. Jan. 1575 von der Forderung einer Generalsynode für Lutheraner und Reformierte von Seite der Pfälzer und seinem dem Dathenus mitgegebenen Gegenvorschlag einer Besprechung zwischen J. Andreä, Chemnitz, Selneccer einerseits und Beza, Walther, Ursinus andrerseits?) und dann am 5. März 1575 wie dieser ebenso abgelehnt worden wäre, der Kurfürst vielmehr die Hauptsache darinnen erblicke, daß sich die Fürsten in der wahren Lehre von der geistlichen Gegenwart Christi und NieDung seines gekreuzigten Leibs und vergossenen Bluts nämlich in der Annehmung des Herrn Christi und seines ganzen vollkommenen Opfers und Gehorsams durch den Glauben zusammenfänden *). Trotz dieser höchst un- günstigen Aussichten, trotzdem Ludwig von Württemberg bereits mitteilte, daß er eine Verständigung als unmöglich betrachte ĉ), beriet Georg Friedrich doch mit seinen Theologen,
Friedrich d, Fromme 398f. In den Akten liegt auch noch das Prome- moria f, Herzog Ludwig 19. 9. 1674, 33, I, 210. gedr. Heppe II, Beilagen Nr. 22.
1) Heppe II, 449. Kluckhohn II, 769.
2) d. d. Ansbach 18. 12. 1574. A. R. A. 33, I, 299; er wieder- holte diese Bitte am 17. 2. 1575; der Bote Ludwigs war unterwegs gestorben. A. R. A. 33, I, 238.
3) A. R. A. 33, I, 246. |
*) A. R. A. 38, I, 229, Beilage A.: Friedrich an Wilhelm. Heidel- berg 21. 1. 1575. fol. 249. gedr. Kluckhohn II, 778ff. Nr. 800; B.: Antwort Wilhelms d. d. 3.3.1575. ibidem 255, Kluckhohn II, 798ff, Nr.808. In den Akten liegt auch noch die Erklärung der Schweizer gegen ein Kolloquium s. 318. gedr, Heppe II, Beilage Nr. 25. Kluckhohn II, S. 782 Anm. Der vom Kurfürst beigelegte Extrakt aus Brenz. A.R. A. 33, I, 241. Der Gegenextrakt des Landgrafen, fol. 213,
5 Ludwig an Gg. Fr. d. d. Stuttgart 26. 3. 1575. pr. 4. 4. 75. A. R. A. 33, I, 285 mit Beilagen: Wilhelm an Ludwig d. d. Kassel 5. 8. 1575. fol. 287; Ludwig an Wilhelm d. d. Stuttgart 26. 3. 1575. fol. 289; Bedenken der Theologen fol. 293. cf. Kluckhohn II, S. 800f, Anm.
286 | 126
wie man vielleicht docb noeh zum Ziele kommen könnte, G. Karg, Ko. Limmer, Joh. Unfug, Adam Francisci meinten nun, zunächst schriftliche Vorbereitungen vorschlagen zu sollen. Der Landgraf solle die strittigen Punkte in Artikel fassen lassen, dieselben den Lutheranern und Calvinisten zur Begutachtung übersenden und dann die einlaufenden Gutachten dem Gegenteil übergeben. Dann ließe sich wohl ersehen, ob man ein colloquium mit Aussicht auf Erfolg an- stellen könnte !) Am 18. April 1575 übermittelte er sie dem Landgrafen ?). Dieser freude sich über solche Teilnahme um so mehr, als der Kurfürst hartnäckig auf seinem Standpunkt stehen blieb?) und aueh andere Stände an einem Erfolg verzweifelnd ihm schon öfter geraten hatten, solche Versuche aufzugeben *. Es blieb aber auch ihnen beiden nichts anders übrig als die ganze Sache Gott zu befehlen; nur gaben sie sich das Versprechen, in ihren Landen unnótige, spitzfindige und vorwitzige Fragen nieht mehr aufkommen zu lassen, sondern nur allein das Evangelium gemäß der Schrift und der Augsburger Konfession predigen zu lassen ).
Dies Sehwinden auf einen günstigen Ausgang der von Ludwig unternommenen Aktion veranlaßte Georg Friedrich sieh wieder mit der Frage der Drucklegung der Württem- bergisehen Erwiderung des Heidelbergischen Bekenntnisses zu befassen. Im Einverständnis mit seinen Theologen empfahl er die Schrift allein in Andreäs Namen ausgehen zu lassen; die Hinweise auf die einzelnen Seiten des Be- kenntnisses fand er nicht bedenklich, nachdem doch die ganze Schrift sich mit demselben befasse auch die Warnung Lutbers von Arianismus und Mohammedanismus wollte er nicht gestrichen haben. Dagegen suchte er. alles zu
1) A. R. A. 33, I, 267ff., gedr. als Beilage VI.
2) d. d. Ansbach. ibidem fol. 281. cf. Heppe II, 462.
3) Friedrich an Wilhelm d. d. Heidelberg 15. 5. 1575 und Wilhelm an Friedrich d. d. 7. 6. 1576 Kassel. A. R. A. 33, I, 300, (331) u. 309. cf. Kluckhohn II, 828 Nr. 823 u, 832 Nr. 824. Heppe II, 456.
%) So Ludwig von Württemberg, dem Wilhelm am 30. 5. 1576 von dem Schreiben Friedrichs vom 15. 5. 1575 Kunde gegeben hatte. Andreä sollte in die Sache Einblick bekommen, aber nichts für seine Schrift gegen die Heidelberger verwerten dürfen. Wilhelm an Ludwig d. d. Kassel 30. 5. 1575. A. R. A. 33, I, 329 mit den Schreiben Friedrichs vom 15. 5. 1575. fol. 381 u, s. Antwort vom 7. 6. f01326. Antwort Ludwigs d. d. Stuttgart 4. 7. 1575. fol. 327. Am 7. T. Georg Friedrich mitgeteilt. A. R. A. 38, I, 323.
5) Wilhelm an G. Friedrieh d. d. Kassel 20. 6. 1675. pr. 7. 7. A. R. A. 33, I, 297 und G. Fr. an Wilhelm 21. 7. 1575. A. R. A. 33, I, 319.
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seitigen, was den Kurfürsten verletzen kónnte!). Auch da zeigte er, „daß er Lust zum Frieden hatte“ ?).
Beilage 1.
Bedenken der marggrevischen branden-
burgischen Theologen überJohannisWigandi
Buch von der erbsünde wider Flacium lllyri- cum ao 1571 ausgangen.
Durchleuchtiger, hochgeborner fürst. E.F. G. sein unser unfertenige, schuldige und willige dienst iedezeit höchstes vleißes zuvor bereit, Gnediger fürst und herr. Demnach E.F.G. uns Doctoris Wigandi buch von schwebender Controversien, ob die erbsünde ein substantia und der menschen seel und herz selbst sey oder nicht, derselben unser meinung davon anzuzeigen ubergeben laßen, also haben wir dasselbige gelesen und seines Inhalts vernomen. Wiewol wir nun etliche anzügige reden des- selben buchs uf irem unwert beruen lassen, sagen und be- kennen wir doch, sovil den statum eausae und hauptsachen betrift, daß die warheyt mit grund heiliger Schrift und be- werter lerer gezeugnis wider M. Fl. Illyricum und seine anhänger recht darinnen verteidiget und dagegen der von Manicheern erstlich eingefurte und dureh Fl. Illyricum ver- neute grobe, ungeheure irritum widerleget, verworfen und verdampt wird nemlich dieser: das die erbsünde sey eine substantia und also die seel des menschen selbs und nicht nur ein zufelliger sehade in der menschen substanz und wesen, die verkert und verderbt ist. Und sollen fromme christen, um der ere gottes und unsers herrn Christi und um ir selbs und anderer leut seligkeit willen, sich vor solchem greulichem irrtum vleißig fursehen und hüten, als der andere vil schadliche irrtum gebiret und nach sich schleppet, wie solchs von gelerten in vielen schriften und zum teil auch in angeregtem buch D. Wigandi mit bestendigem grund der warheyt ausfürlich angezeigt, erkleren und erwiesen wird. Dieses haben E.F.G. auf derselbigen gnedig begeren wir in untertenigkeit kurzlieh und gleich als mit einem wort,
1) G. Fr. an Württemberg A. R. A. 33, I, 277. Räte an Georg - Friedrich. Ansbach 18, 4. 1575. A. R. A. 33, 1, 275. Bedenken der Theologen 265 gedruckt Beilage VII. |
?) Kluchhohn II, 770. Die Württemberger Schrift erschien 1575. Kurzer, einfältiger und warhaftiger Bericht des Streits über dem h. Abendmahl und der Person Christi zwischen den reinen Kirchen und den Sacramentierern. Tübingen 1575. Braun, S. 141.
288 | 128
nachdem die sach an ir selbs richtig und offenbar und sonsten klerlich dargetan, in untertenigkeyt zu erkennen geben sollen und tun derselben uns hiemit zu gnaden untertenig befelend.
Datum Mense Novembri 23die Anno 1571
E. F.G. untertenige Cappelän allhie Georgius Karg, M. Conradus Limmer, Johannes Unfug!), Stephanus Notnagel?), Jacob Vögelein ®),StephanusSchnitzlein?), David Meder^), Bartholomaeus Wolochendorf®). Dek. Uffenheim: Uffenheimische Religions- und Kapituls- Akte ab 1523 —1687 fol. 70. Nürnberger Kreisarchiv, Ansb. Rel. Akta Tom. suppl. Il, 288.
1) Dazumal Hofprediger, s. Beiträge 21, 264.
2) Von Weimar vertrieben, dann Hofkaplan in Ansbach, Kons. Akt: Pfarrei Roth I (1458— 1639), Pf. Langenzenn I (1538—1653), Pf. Ansbach I (1526—1711) 1573—1600 Dekan in Langenzenn A.R.A. 34, 46. Einfalt, die Geschichte der Stadt, des Klosters und der Pfarrei Langenzenn. Ansbach 1910. 8.48, 52. ARA. Tom suppl. IT, 288 steht: etwan gewesener caplan zu Weymar, jetzo aber Hofcaplan alhier. Ratsmanuale der Stadt Nürnberg im Nürnberger Kreisarehiv: 16.12.1567: Auf Stephan Notnagels des geurlaubten Predicanten halben von Weinmar, daß er Herzog Johann Friedrich zu Sachsen verpflichtet, wenn er von seiner fürstl, Gnaden oder der- selben Gemahl gefordert, denselben dienen müßte, soll man im 20 fl. vereren, doch sagen, da er soleher geiner Verpflichtung erledigt und dessen einen Schein hrachte, wollte man sich ferner mit ihm in Hand- lung einlassen, ihm seine Predigten zustellen und sagen, dieselben an andern Orten drucken zu lassen, Predigten von ihm im Germanischen Museum zu Nürnberg. Bibl. Ms. 9723.
3) 15. 5, 1555 ordiniert in Wittenberg. G. Buchwald, Wittenberger ÜOrdiniertenbuch Leipzig 1894 I, 102, 1556 Pfarrer in Frankenhofen Kr. Nürnberg Stift Feuchtwang I, 7, 997; später Pfarrer im Stift zu Ansbach. Beiträge zur bayr. K.G. 21, 565. + Dez. 1610, (Sterbe- matrikel der Pfarrei St. Johannis Ansbach).
*) Aus Weißenburg. 1549 in Wittenberg, 1552 Pf. in Büchen- bach s. Kons. Ansbach. Pf. Büchenbach I (1552—1787) fol. 11. Bai- träge 16, 89, 1554 Kaplan in Schwabach. Schwabacher Geschichts- blätter I. Schwabach 1917, S. 48. 1556 Pf. in Merkendorf. G. Muck, "Geschichte von Kloster Heilsbronn, Nördlingen 1879 II, 49. 1568 Kaplan in Ansbach A.R.A. 34, 46; 1574—17.6 1602 in Weimersheim. Kons. Ansbach, Pfarrei Weimersheim J. (1518-1739) J. M..Grof, des historischen Lexici evangelischer Jubelpriester 3. Teil. Schwa- dach 1746. JS. 2992. K
°») Von Osterfeld in Sachsen. 1568 Kaplan in Ansbach, 1574 Pfarrer in Lautershausen, 1577 Stiftsprediger in Öhringen, 1595 ;in
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Beilage II.
Ansbacher Bedenken über das Gutachten der Württemberger über Wigands Buch von der Erbsünde. 1571.
Durchleuchtiger hochgeborner furst, gnediger Herr. Aus bevel E.F.G. haben wir der Würtenbergischen Herrn Theologen bedenken uber D. Wigands bueh von der erbsünde wider MatthiamFlaecium Illyricum gelesen und haben darinnen soviel statum eausae und die haupt- sache betrifft, kein bedenken. Denn sie die rechte ware in Gottes Wort und bewerter lerer schriften wolgegrunde meinung von der erbsünd, welche D. Wigandus ver- teidigt, approbirn und fur recht erkennen und dagegen Illyrici irrige opinion ganz verwerfen.
Daneben aber felt uns gleichwol bedenklich fur, das gedachte Herrn Theologen das ganz buch D. Wigandi durchaus mit worten approbirn und doch nicht desto weniger etliche fel darinnen auzeigen. Als erstlich: das der spruch S. Pauli2 Cor 5 im 39 argument nicht wol gefurt werde; darnach, das sie die alte definitionem „accidentis“, so D. Wigandus verworfen, gut heißen und loben. Und ist zwar die er- innerung von angezogenem spruch Pauli nicht unzeitig. Was aber betrifft definitionem accidentis ist es unsers erachtens gefehrlich eben gnug, dieselben in dieser disputation von der erbsünde zu gebrauchen. Denn es heiße gleich das wort eorruptio in Philosophia eine zerstórung, dureh welche die Substanz gar vergeht, vertilgt und zu nicht wird, so heist es doch in theologia eine verderbung, durch welche die substanz nicht gar zerstört, abolirt und abgetan, sondern nur verkert und verderbt ist, als da man sagt, natura est corrupta
Naumburg, T 1616 za Nebra a. d. Unstrut. Kons. Ansbach. Pf. Leuters- hausen I, Pf. Kattenhochstadt I (1529—1634) fol, 287, Weimersheim I fol. 117. J. Chr. Wibel, hohenlohische Kyrchen- und Reformations- historie. Onolzbach 1752, S. 397. J. A. Vocke, Geburts- und Todten- almanach Ansbachischer Gelehrten, Schriftsteller und Künstler. Augs- burg 1796 I, 193. Zeitschrift des Vereins für das Württem- bergische Franken. Weinsberg 1873 IX, 398.
*) Von Neustadt a, Orla. 1570 Diakon in Ansbach, 1578 Dekan in Crailsheim, 1594 Abt in Heilsbronn, F 1601, J. L. Hocker, Hailsbronnischer Äntiquitätenschatz. Onolzbach 1781, S. 158, G. Muck, Geschichte von Kloster Hailsbronn, Nördlingen 1880 III, 9. Bei- träge 21, 266.
Archiv für Reformationsgeschichte. XXII, 3/4. 19
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item corruptio naturae. Solt nu die sünd ein accidens ge- nennet werden, welches praeter subjecti corruptionem im menschen sein "kónte, so müßte volgen, daß des menschen substanz und wesen nieht verderbt, und also naturalia, wie etwa die schullerer davon gered, noch integra weren, welches unrecht und falsch ist. Darum achten wir, das gemelte definition den philosophis zu laßen und in Theologiam sonderlich in dieser disputation von der erbsünd nicht ein- zufüren noeh zu gebrauehen sei. Und halten, daf sie D. Wigandus nicht unbillich hindangesetzt habe, ob er sie wol sonsten weiter ausdenet, denn sie von gelerten in philosophia und in artibus de naturalibus accidentibus substantiarum gebraucht wird, auf die schedliche und tötliche krankheiten, welehe auch accidentia sind, und so nicht den menschen gar zerstören, doch oftermals den leib verderben; daran aber nicht viel gelegen, sondern solehs Wigando wol zu gut zu halten ist. Wolten derhalben raten, die Herrn Theologen umgingen diese disputation de definitione accidentis ganz und gar und ließen in irem bedenken aus den 7.8. 9. 10.11. 12. 13, und 14. paragraphum in be- trachtung, daß der warheit nichts begeben und einigkeit gefordert würde, da sonst streit dadurch mocht erregt werden, sintemal Wigandus nicht gerne weichen würde, wie er auch unsers erachtens zu weichen und nachzugeben nicht ursach hat. Und blieben demnach die Herrn in irem be- denken und mit irem urteil bei der heubtsach ohne justi- ficierung des ganzen buchs, welche im 15 paragrapho deutlich gesetzt ist. Denn wiewol das urteil sovil desto fuglieher auf das ganze buch gestellt möcht werden, das auch in diesem Stück definitiones accidentis betreffend dem autori beifall geschehe, wolten wir doch, wenns unsere eigene sach were, deshalben das buch nicht gar justificieren, das etliche controversiae darinnen angezogen und damit auf andere sonderlich sovil die Antinomiam der definition des evangelii halben betrifft (anderer streit aller zu geschweigen) ungutlich und one ursach gestochen wird,
Es möchten auch ferner propter cohaerentiam der 15. 16. und 17. paragraphus, als darinnen nur praecedentia repetirt, fuglich ausgelaßen werden.
Dieses haben E.F.G. wir in untertenigkeit christlicher wolmeinung aufs kürzest erinnern sollen, denn das nicht proprie oder eigentlich genug gered ist substantia peccati pro eo, quod peccatum sit substantia, das gibt kein streit.
Bitten aber Gott den Vater unsers Herrn Jesu Christi, das er ware christliche einigkeit zu aufbauung seiner kirchen.
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unter den lerern anrichten und erhalten wolle und tun E. F.G. uns hiemit in untertenigkeit zu gnaden befelen.
E. F.G. untertenige gehorsame caplän
Georg Karg, Cunrad Limmer,
Original von Kargs Hand im Nürnberger Kreisarchiv Ansbacher Religionsakta, Tom suppl. I, fol. 544f.
Beilage III.
Bedenken der Ansbacher Theologen über den consensus Dresdensis 1571.
Durchleuchtiger hochgeborner furst. E.F.G. sind unser untertenig schuldig und willig dienst jeder zeit hochsts vleiß zuvoran bereit. Gnediger furst und herr. Wir haben der sachsischen churfurstisehen theologen in irer versammlung zu Dresden gestelt bekantnus gelesen. und wiewol wir uns davon zu urteilen viel zu gering erkennen, haben dennoch E.F.G. auf derselben gnedige begern wir unser einfeltigs bedenken on einige ausflucht in untertenigkeit kurzlich an- zeigen sollen.
Der Haubtpunkt ist vom heiligen hochwürdigen sacra- ment des waren leibs und bluts unsers herrn Jesu Christi, um welches willen die andern hiebei angehenkte artikel auch in streit gezogen werden. Wir hielten aber dafur, wenn die reine lere von gegenwertiger gemeinschaft, aus- teilung und nießung des waren leibs und bluts unsers lieben Herrn und Heilands Jesu Christi in seinem h. nachtmal ohne versetzung und bementelung bliebe und bekannt wurde, es sollt der andern artikel halben so gar nicht not haben.
Nun reden die sächsischen herrn theologen in dieser irer bekanfnus und auch in andern zuvor hievon ausge- gangnen buchern vom abendmal des herrn beede, was die substanz und den brauch desselben betrifft, recht und wol. allein ist dieser mangel daran, daß sie den unterscheid der geistlichen und leiblichen oder sacramentlichen nießung still- schweigend ubergehen und nicht ausdrücklich setzen. Da- rüber doch D. Lutherus seliger und heiliger gedeehínus je und allwegen so heftig gestritten, daß er alle diejenigen fur sehwermer gehalten, die nicht glauben und lehren, daß : der leib und blut christi unter brod und wein mit leiblichem mund beede von guten und bosen christen empfangen werde, wie das neben andern seinen streitbuchern sonderlich auch in seiner letzten bekanntnus, die er kurz vor seinem abschied
19*.
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aus diesem leben ausgehen laßen, klerlich zusehen ist!); und auch in Schmalkaldischen artikeln solche mundliche nieBung von ime rund gesetzt und darauf die formula Coneordiae in diesem handel sampt jetzt gemelten Schmalkaldischen artikeln von den furnemsten theologen in der versammlung zu Schmalkalden anno 37 approbirt und fur recht erkannt worden, wie es auch die grundliche meinung ist der Augs- purgischen confeßion und apologia und demnach E.F.G. kirehenordnung also einverleibt.
Wiewol aber nueegedachte herrn theologen der leiblichen oder mundlichen nießung des leibs und bluts christi aus- drücklich nicht gedenken noch auch weder des Zwinglianismi noch Calvinismi meldung tun, wollen wir doch hoffen, weil sie sich so oft auf D. Lutherum berufen und daß sie anders nicht vom h. Abendmahl halten denn wie Herr Lutherus davon gelert hat, mit vielen worten bezeugen, es sey also ir eigentliche meinung und gar kein falsch noch widerrede dahinder verborgen.
Die andern artikel gehören anders nicht zu des Herrn abendmal, denn wie sie Herr Lutherus gebraucht hat, den christen dadurch zu bezeugen, daß sie der verheißung christi im nachtmal von gegenwertigkeit seines leibs und bluts desto sicherer glauben möchten. Denn weil Christus nicht mensch allein, sondern auch warer Gott ist und derhalben zur rechten Gottes des vaters sitzt nach beeden naturen, so kann er tun, was er will und laisten, was er zusagt und kann demnach auf ein sondere himlische weis, die uns menschen weder begreiflich noch ausprechlich ist, seinen leib und blut mit brot und wein laut seiner wort zu eßen und zu trinken geben. und hindert in hieran die ungleichheit der zweien unterschiedlichen naturen in seiner person oder auch sein himmelfart gar nicht. wie wir zwar die himlische wonung, wo die sey, und wie es darinnen zugehe, nicht zu beschreiben wißen, sondern halten davon nach dem ge- schrieben steht, das Gott neu Himmel und erden zurichten oder schaffen werde, in denen gerechtigkeit wone?), und: „das kein auge gesehen habe und kein ohre gehört und iu keines menschen herz komen sei, was Gott bereitet hat denen, die in lieben“). Und gedunkt uns die herrn theo- logen gehn diesfalls schier etwas zu weit, indem sie die stel- oder ort der himlischen wonung außer und uber das firma, ment setzen und Christo einen raum in demselben zueignen.
1) Kurz Bekenntnis D. Martin Luthers vom heil. Sakrament. 1544. *) 2, Petr. 8, 18. 3; 1. Cor. 2, 9.
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Was sonst mer in dieser ganzen tractation bedenklich sder zweivelich und disputirlich sein mag, das wird die Zeit zu erkennen geben. Für unser person wißen wir sonderlich nichts mehr, das ein geferlichen streit oder zwitracht billich geben und geberen sollt. laßens derhalben zu diesem mal bey diesem kurzen einfeltigen bericht und bedenken wenden. Und bitten untertenig E.F.G. wöllens von uns einfeltigen kirchendienern gnediglich aufnemen, denen wir uns hiemit zugnaden untertenig bevelen.
E.F.G. untertenige gesorsame caplän Georg Karg, Cunrad Limmer, Johannes Unfug, Stephanus Notnagel, Stephanus Schnitzlein, Jacobus Vögelein, David Mederus, Barthol. Wolschendorf. Ansbacher Rel. Acta Tom. 33 p. I, fol. 32ff. (geschrieben von Karg). |
IV. Beilage.
MarkgräflichesBedenken über die Erbsünde. Ansbach 19. Okt. 1573.
Gestrenge, edel hochgelerte ernvest, hochachtbare gnedige und günstige gebietende Herrn. An den durchleuchtigen hochgebornen unsern gnedigen fürsten und herrn ausgangen schreiben eines erbarn rats zu Regensburg haben wir gelesen und seines inhalts vernomen, darinnen sie begeren, das s. f. gb. bei dero theologen diese gnedige anstellung tun wöllen, damit sie in der furcht Gottes nicht allein, wie bei inen von der erbsunde allen umstenden nach gelehret, sondern auch ir iudicium uber die vocabula substantiae und Aceidentis oder qualitatis und ob dieselben in die Kirchen und schulen einzuführen, ob und was für ein unterschied sei zwischen der erbsünde und der Menschen verderbten substanz, und ob noch etwas gutes an des menschen natur nach dem fal sey; item ob die kirchen und schuldiener, so mit irriger meinung in diesem artikel von der erbsünde behaft an iren eonditionen zu dulden seien, anzeigen sollen. Nu denn E, G.u. G. unser bedenken hierin erfodern, erkennen wir uns dasselbig anzuzeigen schuldig und ist unser mainung: |
Nachdem hochermelter unser gnediger furst und Herr mit zeitigem rat aus guten christlichen erheblichen ursachen in seiner f. g. furstentumb und lande kirchen ein corpus doctrinae und Normam judicii neulicher zeit ange- ordnet hat und die lehre von der erbsünde in demselben eorpore doctrinae richtig und also erklert ist, das daraus unzweivenlich zuverstehn, daß die erbsünde kein substantia,
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sondern zugerechnete ubertretung unser ersten eltern und zufeliger schad ist in des menschen natur, um welches willen der mensch für Gott sehuldig und nicht allein zeit- licher sondern aueh ewiger straf wert ist und deswegen ein großer bekantlicher unterschied ist zwischen des menschen natur, subsíanz oder wesen und zwischen der erbsünde, in maßen dann gelerter leut und namlich auch des Flacii bester freund judicia wider ine Flacium allbereit ain- helliglich ergangen sind, und also die haubtsach keiner sondern erklerung mehr bedarf, so referirn und ziehen wir uns, weisen auch die zu Regenspurk und andere auf jetztgedacht corpus doctrinae und sind urbietig zur antwort allen denen, so christlicher meinung bericht von uns begeren werden, in was artikeln stücken oder punkten desselben corporis doctrinae es sein möchte. Hielten auch dafür, wenn ein erbar rat zu Regensburg irem christlichen erbieten nach, das sie nemlich mit den kirchen dieser lande in der lehre gleiche correspondenz begern zu halten, solch corpus doctrinae mit iren kirchen und schuldienern annemen und willigen, es wurde inen dieses streits und sorge allerding abgeholfen sein und wurden ire kirch und schulen nochmals, wie zuvor, und ehe dieser greuliche manicheische und vor viel hundert jaren verdampte irrtumb durch M. Flacium wider verneuert und eingefürt worden, bei gesunder heil- samer lehre göttlichs worts in diesen und andern artikeln mit allen der augspurgischen confeßions verwandten stenden mit Gottes Hilf bleiben. Achten demnach, dass sie von E.G. u.G. anstat hochgedachts unsers g.f.u.h. zur bewilligung und subseription corporis doctrinae mit ubersendung ordenlicher verzeichnus aller desselben bücher auf der stat Nurnberg exempel bescheidenlich zuvermanen und gunstig darum zu ersuchen sein sollen. Auf solchen fall wurde alsdann ferner rat zufinden sein, wie es mit den wider- und eigensinnigen kirchen und sehuldienern gehalten werden sollt, in maßen dieser punkt auch mit Nurnberg abgehandelt und erörtert worden ist. Bei diesem unsern bedenken on einige geferliche weitleuftigkeit bleibt es billich noch zur Zeit, Welcha E.G.u.G. wir in untertenigkeit anzuzeigen nicht unterlaßen sollen und stellen diesen ganzen handel zu derselben fernern gefallen. | E. G. u. G. €
untertenige gehorsame diener Georg Karg, Conrad Limmer, Johann Unfug, AdamFraneiscus*).
Ansbacher Religionsakte T. suppl IL) 362. geschrieben von Unfug) T. XXXV, 114 (vom 19. Okt, 1573, geschrieben von Franzisci).
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V. Beilage.
Markgräfliches Bedenken über die Angriffe Andreäs auf die Pfalz in Memmingen 1573.
Gnedige und gunstige gebietende Herrn. Wir haben der chur- und fursten pfalz!) Württemberg?) und Baden?) schreiben und dann auch der pfalzischen*) und Wurtembergischen Theologen’) Bücher ge- lesen und laßen die controversiam in der lehre billich auf ir selbs beruhen. Was aber belangt des churfursten am Rhein gefaßte ungnad wider D. Jacobum Andreae und ob D. Jacob auf der heidelbergischen theologen bekant nus antworten soll oder nicht, halten wir, daB hochstgedachtem ehurfursten zu solcher ungnad ursach genug gegeben worden sei. Dann obwol D.Jacob sich warhaftig entschuldigt, daß er nicht die gantze kirchen und sehul zu Haidel- berg, sondern allein die zwen abtrünnigen theologen Sylvanum und Neuserum gemeint, hat er doch Heidelberg und nicht die Theologen genennt, und also gesetzt, als ob die mahometische lehre ja so wol zu Haidelberg, als in Poln und Sibenburgen ohne scheu gefurt werde. Daran er ser unbedechtlich gehandelt. Denn weil er nicht kirehen und schul zu Haidelberg, sondern nur die zwu personen verstanden, sollt er die personen und nicht die stat genennt, viel weniger aber neben Polenund Sibenburgen, in welchen landen dieselbige lehre platz hat und geduldet wird, gesetzt haben. Nun ers aber also zusamen gefaßt, kann der leser, dem die handlung
*) Damals Kollege des Pfarrers. M. Wenzeslaus Gurk- felder, de vita Adami Francisci primia condita schola abbatis Vit. 4. 1594. J. H. Falckenstein, S. 15). J. A. Vocke II, 44f, Layriz, 8.49. Beiträge XIX, 124ff. XVII, 62f. XXI, 175. Muck III S. 7#. Kons. Ansbach, Akta: Stadtpfarrei Ansbach 1526—1711. K. H. Lang III, 81. 345. 376. 379. 28.9.1559 in Wittenberg immatrikutiert G. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch. Leipzig 1895 IL, 177.
1) An Ludwig 28, 19. 1574 A.R.A. 33, I, 74, an G. Fr. s. e. d. et 1, 83.
2) An Friedrich d. d. Stuttgart 28.2 1574, fol. 80.
*) Karl v. Baden u. Statthalter zu Ansbach d, d. 10. 8. 1574. A.R. A. 88, I, 185.
*) Die „Acta concordiae“ und „Bekanntnus der Theologen“.
5) Die „zwo christlichen Predigen“ A.R.A. 83, I, 89.
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mit den zweyen theologen zu Haidelberg unbekant, anders nicht gedenken, denn es werde mit der lehre da- selbsten zu Haidelberg wie in Poln und Siben- bürgen gehalten; können derhalben nicht hoffen, daß der churfurst mit D. Jacobs schriftlicher entschuldigung wol zu friden sein werde oder auch könne, wo nicht die er- klerung auch offentlich im druck fur die leut gebracht wird. Nachdem aber die haubtsach wichtig und derhalben doctori Jacobo billich zugelaßen wird, sein Gegenantwort mit christlicher Bescheidenheit non personalia sed realia tractando aufs kurzst, als sich immer leiden will, und doch mit gutem grund auf die heidelbergische bekanntnus zu tun, als halten wir, daß er auch zugleich ein erclerung zu seiner entschuldigung tun und anhenken oder mit einmengen sollte.
Was betrifft M. Benedictum Thalmann auch jetzt angeregter schwebender langkwirigen hochschedlichen controversien halben halten wir zwar, das die herrn rate auf dem Gebirg weislich gehandelt haben. Dieweil sich aber gedachter Thalmann* auf seine praeceptores die theologen zu Wittenberg referirt und sich bei denselben ferners berichts zu erholen begehrt, hielten wir, es sollte im auf widerstellen vergunstigt und hierzu zwen monat oder sechs wuchen gegeben werden. Als dann wurde auf solchen bedacht und unterrede mit den theologen oder auch der- selben unterricht sein und der andern stipendiaten halben mit dem churfursten zu Sachsen desto fuglicher und statt- licher zu zuhandeln und die notturft mit den stipendiaten in gemein zu verschaffen sein.
Und stellen wirs in E.G. u.G. rätlich bedenken und zu derselben gefallen, ob sie ime Thalman auf solchen fall ein schreiben an die theologische facultet zu Wittenberg neben ubersehiekung seiner bekantnus um abhelfung des gelabten irrtums mitgeben wollen.
E. G.u. G. untertenige gehorsame
Georg Karg, Cunrad Limmer, Johann Unfug.
Original von Kargs Hand Ansb. Rel. Acta Tom 33 p. I, fol. 263f.
1.8, K. H. Lang III, 375.
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YI. Beilage.
Bedenken der markgräflichen Theologen über den Verständigungsvorschlag Wilhelms von Hessen. 15765.
Durchleuchtiger hochgeborner furst, gnediger Herr. Diese des churfursten bey Rhein!) und landgraf Wilhelms schreiben?), so E. F. G. uns um unser Bedenken zustellen laßen, betreffend weg und mittel zur Concordien in dem langwierigen hochschedlichen streit vom heiligen Abend- mal unsers lieben Herrn und Heilands Jesu Christi, haben wir gelesen nnd halten fur ein fürstlich, christlich weık, das die bede chur- und fursten inen diese sach etwas ernstlich laßen angelegen sein, wie wir auch unsers teils nichts liebers sehen wolten, denn das dürch Gottes gnad und schickung ein christliche einikeit getroffen und angericht werden mochte, welche gleichwol in diesem schwachen gebrechlichen alter der welt und bei so großen confusionibus entweder gar nicht oder doch schwerlich zu hoffen. Und tragen sonderlich sorg, es werde noch zur Zeit mit dem synodo, so wol speeiali als generali, ungetan sein, wie zwar generalem synodum zu convieirn und zu halten in eines oder zweier fursten macht nicht steht, alle aber schwerlich darein willigen werden, sonder hielten dafur, das zuvor dureh schriftliche tractation ein vorbereitung solte gemacht werden, solcher gestalt, das der landgraf als unterhendler die lehre, darumb es in diesem streit zu tun, in propositiones und artikel faßen ließe, wie es aufs formlichst und beste geschehen und zur einigkeit am forderlichsten geachtet werden möcht, und alsdann dieselbigen schrift und begriff bederseits deputirten theologis um ir judicium zuschickte und ubergebe, also das bede die Lutherischen und Calvinischen theologen samptlich doch jedes teil besonder in iren an sondern orten versammlungen ir meinung und bedenken darauf anzeigen und volgends jeder teil auf des andern meinung, so bald ime dieselbige hernach behendigt, sich ferner ercleren solten. Alsdann, wann solches geschehe, wurde zu sehen sein, wie nahe die Parteien beieinander und wie weit sie noch voneinander weren und wurde ferner darauf das colloquium und freundlichs gesprech und unterrede, wovern etwas fruchtbarlichs zu hoffen, anzustellen sein. Es konde doch auch ein colloquium und collation beßer nicht angestellt werden, den so den collocutorn ein kurtzer richtiger begriff
1) d, d, 21.1.1575 A.R.A. 83, I, 249? *) d. d, 2.1.1575 A.R.A. 33, I, 246?
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der sachen in schriften forgelegt würde. beBer aber were es, daß solches angeregter maßen zuvor geschehe und wenn hernach nichts guts zu hoffen, das colloquium unterlaßen und nieht ubel erger gemacht wurde. Will sieh auch sonderlich nicht schicken ein colloquium im Wilbad zu- felliger weis zu halten, weil man sonsten alle hend vol mit zu tun haben wird. Aber wie dem allem, so mogen Cliur- und fursten wol zusehen, das durch dieses gezerk im römischen reich der religionsfried kein loch noch rys gewinne; an den auswendigen ist Deutschland sovil nicht gelegen als an den stenden des reichs. Derlalben mit sonderm vleiß darnach zu trachten, daß dieselben, soviel dero evangelisch, in der religion einig seien und keine spaltung unter inet selbs ein- reißen lassen, sondern wo irrunge und zwiespalt sich ereiget, dieselben nicht nur im schein, sondern vom grund heraus sehleinig zu guter einigkeit bringen. Dis unser einfeltig bedenken haben E.F.G. auf dero gnedigs begern wir in untertenigkeit anzeigen wollen, denselben uns zu gnaden unterthenig bevelend.
E. F. G. untertenige gehorsame Georg: Karg, Cunrad Limmer, Johann Unfug, Adam Franciscus. Original von Kargs Hand Ansb. Rel. Acta 33 p. I, fol. 267f.
VII. Beilage.
Markgräfliches Bedenken über die beab- sichtigte Widerlegung der heidelbergischen Schrift: „Bekanntnuß der Theologen —“ 1875.
Durchleuchtiger hochgeborner furst, gnediger Herr. Auf E. F.G. gnedigen befel haben wir der Würten- bergischentheologen schrift und antwort: auf der heidel- bergischen büchlein!) auch etliche daruber gestellte bedenken?) gelesen und sollen E. F.G. deren gnedigen bevel nach unser bedenken darauf unangezeigt nicht laßen.
Und sovil erstlich die frag betrifft, ob zu antworten sei oder nicht, hahen wir hievon vor dieser Zeit unser bedenkeh angezeigt, nemlieh, daß es der sachen wichtigkeit erfodere mit bestendigem grund heiliger Schrift und doch auch mit christlicher bescheidenheit und aufs kurzest, als imer muglich, realia von personalia tractando zu antworten, und dabei auch, weil D. Jacobus Andreae in seinen zu
1) Bekanntnus der Theologen und Kirchendiener zu Heidelberg. 2) ARA. 33, I, 187, 195, 199, 207.
139 — | 299
Memmingen gethanen predigten Heidelberg neben Poln und Sibenburgen den Arianismum und Maho- metismum betreffend, unbedechtlich gesetzt und schier damit verglichen und also den churfursten bey Rhein dadurch heftig wider sich erbittert, eine entschuldigung und erclerung, ` welcher maßen es von ime gemeint, anzuhengen sei, sintemal der churfurst mit einer privatentschuldigung, wie zu be- sorgen, nicht zufriden sein werd noch könne, wie solchs in unsern ubergebnen bedenken weiter zu ersehen. Wie nu zum selbigen mal unser bedenken dahin gestelt, also ist es noch unser meinung.
Ob aber die Antwort in D. Jacobi allein oder in der Wurtembergischen theologen namen ingemein gestellí werden soll, wiewol nieht groB darangelegen, halten wir doch, weil D. Jakob mit benennung der Stat Heidelberg anstat der zweyen apostaten den churfursten zu Zorn bewegt und derhalben seine entschuldigung billich offentlich tut, das auch die antwort vollend in seinem namen geschehen und ausgehen soll; sonderlich auch in betrachtung, daß der chur- furst sich viel weniger zu beschweren haben wurde, wenn einer allein und eben der, so zu solcher ungnad und er- bitterung ursach gegeben, antwortet, denn wenn sie alle samptlich sich des gezenks fteilhaftig machten, welchs gewiß das ansehen haben wurde, als ob man sich wider die heidelbergischen vottirn und ein neues libelliren und gezenk erst recht anfalien wolte, das auch der herzog zu Würtenberg sich selbs gegen dem churfursten sovil deste statlicher zu entschuldigen hette, als daß solche ant- wort der entschuldigung D. Jacobi, welche dem. chur- fursten in alweg zum besten gemeint, anhengig were, wie denn die entschuldigung auch one D. Jacobi verkleinerung, sintemal es nur ein erklerung und kein wideruf, ganz wol- geschehen kan.
Solt auch unsers bedunkens gar kein nachteil bringen, aller ding ohne gefar sein, wenn er nicht allein die wort erzelet, sondern auch die blätter des heidelbergischen buehleins anzeigete, weil doch die antwort ohne das auf dasselbig buchlein furnemlieh gestellt sein, das werk und schrift selbs bezeugen wird und keineswegs vermentelt werden kan.
So mochte gleicher maßen auch die gesetzte warnung wider den Arianismum und Mahometismum aus Lutheri schriften bleiben und derselben obgedachte entschuldigung am fuglichsten angehenkt und einverleibt werden.
Was dann ferner den streit an ime selbst betrifft, ist es zwar ein jemerlicher handel und hoch zu beklagen, daß
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derselbige in so langen jarn nicht allein nicht hingelegt oder gerichtet werden können, sondern auch noch teglich zunimpt und gemehret wird, wie denn nicht allein uber dem h. hochwirdigen abendmal Pfalz mit andern stenden des römischen reichs sondern auch Wirtenberg mit Sachsen uber der person unsers heilands Jesu Christi noch heutigs tags und bis auf diese stund strittig ist. Aber solchs mußen wir, wiewol mit schmerzlichen gedanken Gott bevelen und jeden teil seine sach, so gut oder böse ers macht, verantworten laßen.
Eines möchten wir aber doch gerne sehen und wißen in dr Würtenbergischen schrift: nemlich das die gegenwertigkeit unsers herrn Christi im abendmal, ob sie in den gläubigen bestendig oder nicht, desgleichen auch der unterscheid geistlicher und sacramentlicher niessung des leibs und bluts christi ausfürlich, eigentlich, grundlich und recht erelert wurde.
Dieses ist gnediger furst und Herr unser einfeltig be- denken, ob und welcher gestalt auf der heidel- bergischen buchlein und beschwerungsschrift von D. Jacobo Andreae zu antworten und wie furgelegte schrift der Wurtembergischen Theologen zu emendiren und zu beßern sein möchte. Und halten in unser einfalt genzlich darfur, es wurde vil weniger weitleuftigkeit geberen, und das mehr ist, viel mehr zu gutem fried und nachbar- schaft der chur- und fursten gegeneinander gereichen, wenn dem also nachgegangen, denn so es gestellter maDen etlicher gutachten nach verfertigt wurde. Doch steht es zu E,F.G. Gefallen und Verbeßerung, denen wir uns zu gnaden hiemit untertenig bevelen.
E. F. G. untertenige gehorsame Georg Karg, Cunrad Limmer, Johann Unfug, Adam Franciscus. Orig. v. Kargs Hand Ansb. Rel. Acta T. 33 p. I, fol. 265.
Brentiana und andere Reformatoria X. Von W. Köhler. 38. Ein Gutachten des Breslauer Reformators Johann Hess über das Abendmahl,
Dieses Gutachten des Breslauer Reformators Johann Hess ist seinem Biographen Jul. Köstlin unbekannt geblieben. Aber derselbe erwähnt in Zeitschrift des Vereins für Gesch. u. Altert. Sehlesiens Bd. 12 S. 419 eine Abendmahlsschrift des Breslauers unter Berufung auf den Brief Bucers an Zwingli vom 14. Mai 1530 (Zwingli opera ed. Schuler u. Schulthess 8, 452). Hier heißt es: opinor antehac nos tibi scripsisse Vratislaviae tertium ex primis Coneionatoribus pro concione rectam de Eucharistia fidem defendisse. Das isí zwar zunüchst unmittelbar auf eine Predigt (pro concione) zu beziehen, und es bleibt fraglich, ob dieselbe schriftlich fixiert wurde. Möglich ist letzteres, und ebenso möglich, daß das im folgenden abgedruckte „Gutachten“ den Inhalt dieser Predigt wiedergibt. Jedenfalls dreht sich das „Gutachten“ um ein ganz bestimmtes Problem: Kann das Abendmahl rein geistig im Glauben genossen werden oder ist die äußer- liche Handlung notwendig? Daß die im letzteren Sinne von Hess getroffene Entscheidung eine polemische Spitze hat, sagt das „contra Sacramentarios^ in der Ueberschrift ausdrücklich. Unter diesen ,Sakramentierern* sind zweifel- los die Schwenckfelder zu verstehen, denen gerade dieses zum Vorwurf gemacht wurde, daß die äußeren Handlungen (Predigt, Taufe und Abendmahl) für sie überflüssig seien. Schwenckfeld selbst hat freilich die äußere Handlung fest- gehalten, aber eine überzeugende Begründung konnte ihm bei seiner schroffen Entgegensetzung von Aeuberlichem und Innerlichem nicht gelingen. (Näheres und Belege ausSchwenck- felds Schriften bei E. Hirsch: Zum Verständnis Schwenckfelds in Festgabe für K. Müller 1922, S. 156 ff). Vielleicht darf man angesichts dessen dem „volentes“ der Ueberschrift einen Nachdruck geben. Hess wirft nun den Spiritualisten die ganze Wucht der kirchlichen Tradition entgegen. Er benutzt die Gelegenheit, sich überhaupt über „das Aeußerliche“ des Abendmahls im weitesten Wortsinne auszusprechen,
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konstatiert dabei Differenz der Kirchenväter in den „Cere- monien, gebreng oder äußerliche zierd“, vermeidet aber seinem Zweck entsprechend jedes Eingehen. auf die Lehrfrage. Vielleicht hat das zu dem günstigen Urteil Bucers tiber ihn beigetragen. Zeitlich wird man dieses Gutachten auf ca. 1530 ansetzen dürfen, selbst wenn Bucers Worte sich nicht auf es beziehen. Auch die Stellung innerhalb des Codex Suevo- Hallensis spricht für diese Zeit.
De cena domini Hessus Vratisla. [viensis] contra Sacra- mentarios volentes externum .cene usum abiicere. probat impium esse; nam ef veteres, eciam heretici, servarunt.
Von dem eusserlichen brauch des Nachtmals Jesu Christi auß den alten vettern zusamengetragen, nemlich auß Augustino, Hieronimo, Ambrosio, Cypriano, Tertuliano, Chrisostomo, Paulino), Eusebio in ecole. histo. Trypartita histo. Cyrillo, Pascasio ?) ete.
Der eusserlich brauch des nachtmals Christi ist alzeit beliben und bey keiner gmein, auch bey den offentlichen Ketzern, als da waren die Ophiter, Cataphryger und die Manicheer ete. nie abgethon, davon Augustinus de heresib. ad Quod vult deum.
Es haben sich auch solehs eusserlichen gebrauchs nit geeusert die Masaliani oder die Euchete, die doch lerten, das das sacrament zu nemen weder schaden noch nutz brecht. Davon Tipart [!] histo. Lib. 7 ca 11°).
Es hettens auch die Christen bey der Zeit Tertuliani, der gelebt hat nach dem todt Christi 160 Jar, gut ursach gehabt, sich allein geistlich zu speysen und den eusserlichen brauch gar abzuthon, dieweil sie bezichtigt wurden, sie richten das brot zum nachtmal Christi zu mit eins unschuldigen Kindleins blut, welches sie derhalben erwurgten. Tertu. in Apolog. adversus gentes ca 7.
Darauß abzunemen, das die alten nit allein die geist- lichen niessung nach dem 6. capitel Johannis, sonder auch den eusserlichen gebrauch den Cristen von notten geacht, Darvon Augu. de peccatorum meritis et remiss. et ad Mar- cellum li. 1 cap. 24.
Was grosser miraeul und wunderwerck die vetter dem
1) Pontius Paulinus v. Nola, dessen Werke 1516 erstmalig in Paris erschienen.
3) Paschasius Radbertus, von dem Jan. 1528 eine Ausgabe bei Joh. Secer in Hagenau erschienen war. Vgl. mein Buch: Zwingli u, Luther, ibr Stréit um des Abendmahl I, 1924, S. 567,
*) 2.0.0. Ea tempestate Messalianorum, quos cóz6tag id est Orantes appellant, haeresis est exorta.
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eusserlichen gebrauch zuschreyben, wer gar lang alhie zu- erzelen. Sihe darvon Cyprianum sermo 5 de lapsis et lib. 1 epistola 2 ad Cornelium Papam. Angusti. de civitate dei lib. 29 ea 8.
Wie Serapion von Alexandria on diß sacrament nit hat ersterben mogen, besihe ein wunderbarliche historien davon Euseb: in Eccles. histo. li. 6 ca. 34.
Es seind auch als glider Christi von der kirchen durch dise eusserliche entpfahung angenomen, die von den Ketzern unrecht getauft wurden. Davon Euseb. in Eccles histo. li. 7 ca. 8.
| In Summa:
Welche zum nachtmal Christi zugelassen sein oder nit, findestu darvon Augustinum adversus Faustum li. 13 ca. 16. Et libro de fide et operibus. Item Hierony. in Ezechielem prophetam eapite 18. Dis alles bezeugt, das das nachtmal Christi auch in seinem eusserlichen gebrauch unabgethon verliben sey. Auch in den zeitten der grossen ketzereyen, verfolgung der Christen; darvon schreiben Paulus Orosius li. 7 histo., Philastrius de heresibus.
Es haben auch die alten vetter nach der leer der heilgen Apostel drey [seil. ding] zu disem nachtmal für nötig anzeigt.
Zum ersten. Den Catechismum ein getreuwe gmeine leer und under-
. weysung der notigen artickel einem Cristen zur seyligkeit
zu wissen; mit solchen leertaffeln hat vor andern vil zuthon gehabt Augusti. li. de Catech. rudibus. Zum andern.
Ein offentlicher ban und abtheilung von der gmein umb eins uncristlichen bekennens willen oder ergerlichen lebens oder boser that, niemandts verschonet, als wir sehen an den zweyen grossen kaysern Philippo et Theodosio. Davon Esebium [!] lib. 6 ca. 25, Tripar. histo. li. 9 ca 30. Das urteyl aber uber geist und hertz, ja, uber die heimlichen verborgen heuchlerey, dem menschen noch unerfarn, behelt im gott allein; derhalben mussen sich die geistlichen diener der kirchen wol fursehen, das sie got das verschlossen kestlin (darzu er noch niemandt den schlüssel geben hatt) nit angreyfien, darvon Pasca.!) de Cena domini ca 8,
Wie bey solcher gmeiner außteylung einer dem andern offentlich abgebeiten und vergeben hatt, was sie widder einander gethon haben. Davon Chrisosto. in oracione pro
beato Philogonio.
1) Paschasius, vgl. Anm. 2 vor. Seite,
304 144
Zum dritten.
Ein gmeine almusen versorgung der elenden durftigen; dan bei den Zeiten Paulini in der kirch ein aigner disch gesetzt ward, den man nent den Tisch des hern, von welchem wir heut noch haben das geweicht saltz und wasser, welches auch die gericht alle sein far die armen. Darvon Poncius Paulinus in libello de Gasophilaeio.
Wie bey solcher gmeiner außteylung einer den andern offentlich gebetten und vergeben hatt was sie wider ein- ander gethon haben, darvon Chrisostomus in oracione pro beato philogonio.
Diese drey stuck haben fleissig und ordenlich gehalten die cristen bey den Zeitten Tertuliani. Darvon im apo. [logetico] ca. 2 et 39.
Was aber fur Ceremonien, gebreng, oder eusserliche zierd und Ererbietung bey den ersten kirchen naeh den aposteln gehalten und furgenomen seind, kan man ein- trechtig nit zusamen lesen auf den buchern der alten vetter, die bey uns seindt.
Zum ersten von der Stell.
Haben etlich das nachtmal in der gmein offentlich ge- halten. Darvon Tertulianus li. 2 ad uxorem. | |
Auff einem Altar, darvon Augustinus libro 1 retraet. ca. 2 et 12 adversus Hilarium tribunitum.
Auff ein Tisch, darvon Augustinus tractatu 84 in ca. Juvenis 15. |
Bey den Grebern der merterer, darvon Augustinus lib. 6
. Gonfes. ca. 2, et tractatu in Johan. 84.
Etlich aber daheim in iren aigin heusern. Darvon Eusebius Ecole. histo. lib. 6 ca. 34. Item Hieronimus in Apologia ad Pammachium et contra Jovinianum,
Zum andern, von der Zeit.
An welchem tag man es wirdig entpfaht, darvon Chrisosto. in oratione de beato Philogonio.
Allen tag haben sie das sacrament entpfangen zu Rom und in Hispanien. Darvon Hieronimus ad Lucinum ef in apol. ad Pammachium.
Zu morgens fru haben die das sacrament gnossen, nit umb das nachtmal, wie Christus mit sein Jüngern. Darvon Tertalianus libro 2 ad uxorem et Augustinus in epistola ad Januarium de consuetudinibus ecclesiarum.
Zum dritten von Personen, die es entpfangen haben.
Nit allein den alten, verstendigen menschen, sonder auch den kleinen Kindern haben Cyprianus und Augustinus das sacrament gereicht. Darvon Cyprianus de lapsis, Augustinus
145 l 305
de Trinitate li. 3 cap. 10. Et de baptismo parvulorum ad Marcellinum lib. 1 ca. 20 Et adversus Julianum in multis locis.
Item Hymnos haben sie bey dem altar gelesen. Augustinus lib. 1 retract. cap. 11 contra Hilarium.
Iten [!| wen man das sacrament hielt, ehe man es reicht, schri einer auf den Dienern: Sancta Sanctis, Darvon Cyril. in ea. 20 super illud Johannem: [!] Noli me tangere; Die das Sacrament entpfingen antworten: Amen. Euse. li. 1 ca. 8.
Die personen, so das Sacrament gereicht haben.
Dise, die das Saerament gereicht haben, seind gewesen die furseher der gmeindt, aus weleher henden die gmeind das Sacrament entpfangen. Darvon Tertulianus de corona militis: Dise haben mußen frome menner, grosses verdinsts, vol gutter werck sein. Hieronimus in Sophoniam ca. 3 et Ambrosius de viduis. Wiewol auch etlich auß iren selbs henden das sacrament entpfangen haben. Darvon Ambrosius ad Theodosium imperatorem in tripartita historia li. 9 ca. 30. Cyprianus sermo 5 de lapsis, Eusebius li. 6 ca. 34.
39. Fragstuck küngin Marie von Ungern zu samptD. Martini Luthers antwort. Anno 1530.
Ueber diese Fragstücke und ihre Beantwortung ist das Nötige schon von Enders: Luthers Briefwechsel Bd. 8 Nr. 1732 vgl. Nr. 1742 bemerkt worden. Der Codex Suevo-Halensis kommt nur zu der dort verzeichneten handschriftlichen Literatur hinzu. Da er nun aber auf den gleichzeitigen Papieren von Brenz u.a. fußt, erhebt sich die Frage, ob die Bezeichnung des deutschen Textes als „Uebersetzung“ durch Enders richtig ist und nicht vielmehr der deutsche Text der ursprüngliche ist? ^ Die Originale sind verloren. Für die Antwort Luthers dürfte die Kennzeichnung des deutschen Textes als Uebersetzung richtig sein (vgl. zu Punkt 5 die Wiedergabe des lateinischen multo minus mit dem un- gelenken „vil weniger gnug^); für die Fragstücke selbst halte ich das Gegenteil nieht für unmüglich. Die Frage müßte auf Grund der handschriftlichen und gedruckten Ueberlieferung neu geprüft werden. Auffallend ist, daß im deutschen Texte Frage 4 und 5 mit dem Coelestinschen Texte (bei Enders a. a. O.) stimmt. Im Interesse künftiger Lösung des Problems gebe ich die inhaltlich schon bekannten Texte im Wortlaut.
Fragstück küngin Marie von Ungarn zu sampt D. Martini Luthers antwort, Anno 1530.
Archiv für Reformationsgeschiohte. XXII. ĉj; 90
306° | 146
l.
Zum ersten, ob es gnug sei das Saerament under der gstalt des brots allein zu nemen und nieht von noten aus dem kelch zu drincken sey, dieweyl mans verbotten hatt, auf dem keleh zu drincken.
2.
ltem wan eins beide begert und im den kelch nit reichen will, obs vor gott entschuldigt, und gnug sey allein under der gstalt des brots zu nemen, oder obs weytter ziehen soll, da mans im gern gibt.
Oder ob mans heimlich in der kamern nemen muge
und nicht offenlich bekennen durffe. | 4.
Item dieweyl an etlichen ortern durch die oberkeit so hoch verbotten auß dem keleh zu drincken, obs fur got gnug und auf geredt sey, das auß gehorsam oder sorg der straff underlassen oder nur under der gestalt des brots zu nemen.
5.
ltem wen eins nit sonder verlangen beyder gestalt zu entpfahen, obs gnug sey under gestalt des brots bey gemeinem gebrauch zu beleyben.
Antwort D.M. LL. vonWittemberg gen Augspurg geschiekt.
Quare non respondetis ipsi vos ad questiones missas ad me? Sed der krenckst muß das liecht halten.
Aufs erst wo yemant des gwiß ist, das beyder gstalt. brauch des Sacraments ein gotliche ordnung und bevelch ist, und das einer gestalt brauch des sacraments ein gotliche ordnung und beveleh ist, der selbig, dieweyl er gottes. beveleh so gwiß weyß, sol nicht achten, das man. die ein. gestalt verbotten hatt; dan man muß got mer gehorchen. dan dem menschen.
Auffs ander, wu yemand den kelch begert und im ver- sagt wurdt, ists nit gnug, das er die ein gestalt nem, sonder ist besser, er gang dahin, da mans im gern reicht; oder wu er das nit thon kan, ists besser, er las ein gestalt farn und nieß des Sacraments dieweyl geistlich, nemlich mit dem glauben, sich sterck durch die wort des sacraments und betrachtung des hern leidens.
Auffs drit soll man das Sacrament nicht lassen heimlich oder in geheim reichen oder entpfahen; dan Christus hats eingesetzt zum offentlichen ampt, sein dabey mit . predigen und bekennen zu gedenken, wie er spricht: solchs thut zu meinem gedechnus, das ist, wie es Paulus deuttet, 1 Cor. 11: den todt des HERRN zu verkündigen,
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Auffs vierdt: Niemandt ist damit entschuldigt, das im sein oberkeit so hart den kelch verbeut, als solt hie der gehorsam und foreht der straf uns außreden mogen, dan widder gottes wort soll man kein gehorsam leysten einiger Creatur, den das wir die creatur uber got gesetzt.
Auffs funft wan einer nieht sunder verlangen hatt beyder gstalt zu entpfahen und mocht wol im lassen an der einen gstalt allein gnugen, das ist vil weniger gnug; dan das Sacrament ist nicht eingesetzt zu brauchen, nach dem wir verlangen oder nicht verlangen darnach haben, sonder es soll gebraucht werden nach dem bevelch und gottes wort, den es steet nieht in unser macht, noch auff unserm werck oder verlangen, sonder in gottes befeleh und auff seinem wort.
40. Aufzeichnungen und Gutachten zur Abendmahlsfrage 1530.
Diese Quellenstücke hängen mit den von Bucer ge- führten Unionsverhandlungen zwischen den Lutheranern und Zwinglianern zusammen. Die beiden ersten handeln von der communio sub utraque, das zweite ist ausdrücklich als von Melanehthon herrührend bezeichnet, das erste, anonyme, bedeutet eine Quellensammlung, z. T. an Ort und Stelle aufgenommen. Den in C. R. II Nr. 864 abgedruekten pro- positiones folgen die bei Enders 8 Nr. 1761 als Beilage mitgeteilten propositiones, mit dem Zusatz: quos scripsit Bucerus, cum ín hospicium suum rediisset, priores (vgl.C. R.II. Nr. 864) mutans. Vgl. zu demselben die von Enders a. a. O.- Nr. 1760 Anm. 5 beigebrachte Stelle aus dem Briefe Bucers an den Landgrafen vom 27, August. Da Brenz bei der Unter- redung zwischen Bucer und Melanehthon zugegen war, er- klärt sich das Vorhandensein der propositiones im Cod. Suevo- Halensis ohne weiteres. Wir haben hier die älteste Version der für die Abendmahlskontroverse wichtigen Artikel. Das rechtfertigt den Abdruck. |
Cusanus!) epistola [die Zahl ist ausradiert] ad Boemos de Sacramento Cene sie seribit:
[Ine:] In primitiva ecclesia omnes Christiani quottidie . ...[Explie.] Calieis tantum benedictionem.
Cusanus 3 epistola ad Boemos. |
[Ine:] Chrisíum Johannis 6 non loqui de Sacramentali Mandueaeione [Expl] in sexta generali synodo positam.
Verba Concilii Basiliensis?) |
[Ine:] Non est inteneionis sacri concilii permittere
1) Nic. v. Cusa, dessen Werke mir in Zürich nicht zugänglich . sind. Es muß sich um die RE? IV 361 erwähnten epistolae handeln, 1514 waren in Paris die Werke des Cusanus in drei Bänden erschienen.
7) Vergl. Hardouin: Concil Collectio VIII p. 1244.
20*
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communionem sub duplice specie. — [Explie.] digne sumenti- bus atilis et salutaris.
Auguste in Bibliotheca s. Mauricii!) reperiuntur hec verba in libro, eui titulus est: Racionale divinorum?)
[Ine:] Seiendum est omnibus ef stricte tenendum, quod per totam istam hebdomadam omnes Neophyti . . [Expl.] et in mortis articulo tribuatur.
Cusanus in 2. Tomo seribit, quando approbatum sit, quod una tantum species sacramenti laieis detur, videlicet Anno 1215. Nam ita ait: Dico, quod magna ef plenaria tocius [etc. Explie . . .] per C. Omnis utriusque Sexus approbavit.
Sed quando incepit, hoc non scribit. Pro utraque specie Philippus Melanchton.
Suní quedam de utraque spezie raciones producte leves et inepte citatis seripturis.
]. Cesarea Maiestas cogitet his racionibus non tolli ius divinum.
2. Itaque nos non possumus consentire, ut altera species prohibeatur.
3. adänoıg i. e. exageracio, quia non sit inordinaeionibus divinis temere aliquid imutandum aut inmutanti conseneiendum.
4. Multominus hee probare possumus, quod illiscripserunt, esset abusus dare utranque speciem, Hoc exaggaretur. Non est abusus voeandus institutum Christi.
5. In conelusione addatur: Qui solverit unum demandatis minimis, minimus erit in regno celorum.
Pro utraque specie.
1.Quia estclarus textus Evangelistarum et Christi institucio.
2. Quod sie servatum est in tota ecclesia sanctis patribus et episcopis ultra mille annos.
3. Neque liquet a quibus.
Proposiciones, quas scripsit Bucerus, cum in hospicium suum rediisset priores mutans.
Transsubstanciacionem negamus. 2.
Item negamus corpus Christi localiter esse in pane," ut si quis imaginetur ita in pane eontineri corpus, sicut vinum in vase aut flammam in ferro candenti. |
3.
Interim tamen affırmamus Christi corpus in cena vere
adesse et Christum reipsa presentem vero corpore suo veroque
1) Ueber die S. Moritzkirche in Augsburg vgl. Fr. Roth: Augs- burgs Reformationsgesch, 2, Aufl. 1901 S. 296.
2) Gemeint ist Guilelmus Duranti: Rationale divinorum officiorum, von dem es zahlreiche Ausgaben gab, vgl. dort lib. 6 cp. 89.
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sanguine nos pascere verbis ad hoc suis, que ministri reci- tant, et saeris simbolis pane et vino utentem.
4.
Ut in baptismo virtutem regeneracionis, ita symbolis Eucharistie ipsum Christi corpus et sanguinem exhiberi con- fitemur.
5. !
Pereipi vero hee dicimus xoi guAf xai dinricw míovet, ut Cyrillus inquit!) Et si non abhorreamus ab his Chry- sostomi?) verbis: „O ingens miraculum, o magnam dei benevoleneiam erga nos! Is qui sedef supra cum. patre, illa hora omnium manibus detinetur. Et dat se volentibus circumdare et complecti.“ Et si que sunt similia, verum ea quemadmodum hic idem docet?) sie intelligimus, ut abiecta omni carnali cogitacione in celestibus hec geri et nuda anima puraque mente cerni dieamus.
6.
Fatemur quidem cum D. Augustino?) Christum esse in loco aliquo celi propter verum eorporis modum; nihilominus iamen vere ac re ipsa et in cena presentem agnoscimus, non localiter tamen, sed modo huic sacramento proprio (per verba, sed credita, et Symbola, sed fide percepta). Utrinque enim confitemur sacramenta in usu tantum esse.
7.
Paetum enim, quo credimus pane et vino proposito nobis adesse et porrigi Christi corpus et sanguinem, istuc cum his solum esse inicium®), pro quibus hec immolata sunt, verba Evangelistarum testantur.
8.
Fatemur tantum eeiam eos, qui fide prediti sunt, ita se posse circa hee sacra non ex fide habere, ut nihilominus rei evadant corporis et sanguinis domini, non absencium, sed presencium.
9.
Omnino namque Christianorum sacramenta presentis
Christi, non absentis signa sunt et testimonia.
4l. Strasburg, Costnitz, Memmingen Lindaw bekantnus von dem Saerament des leibsund bluts Christi = Confessio Tetrapolitana ep. XVIII
!) Cyrillus Alexandr. ad obiectiones T'heodoreti, zitiert in Oeko- lampads Dialogus.
2) De dignitate sacerdotum ebenfalls bei Oekolampad.
3) tract, 30 in Joh.
4) sic! Lies: initum.
310 150
(Müller: Bekenntnisschr. S. 72, mit geringen Abweichungen,
nämlich:
13. Von — Christi] Von disem
18. solichs fehlt
19. nement vnnd essent
20. Trinekend darauf alle Diser kelch ist das neuw testa- ment in meinem blut ete.
21. zu drineken
22. bleib
23. dureh ihn fehlt
24. ewiger
27. solicher ] diser
29. heilgen. unnd [vor: seien] fehlt; auch under uns statt daher u. u.
30. heilgen.
31. desgl. 36. verkern vnd zerreyssen 37. abentmal vnd also heilig] hochwirdig
38/39. mit grossem vleiß unnd ernst] fieyssig lern solchs wort einfeltigs |
40. glos
41. eingesetzt der] irer
43. seins] seyen ofternmal
44. merer
45. darbey
47. in andern weyttern
Ulmenses propriam confessionem obtulerunt?).
Nurnbergenses
Reutlingenses
Campidonenses
Heilbronenses
Wintzheimenses
Weyssenburgenses
Subseripserunt eonfessioni principum.
') Vgl. dazu Th. Kolde: Die älteste Redaktion der Augsburger Konfession, 1906, S, 113: Joh. Rurer an Althamer: Ulma sola aliam et a nostra et Argentinensi Apologiam exhibuit, Vgl. Anm. 4 ebenda, woselbst weitere Zeugnisse, Ferner W. Gussmann: Quellen und Forschungen zur Geschichte des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses 11911, S, 1881f, (Hier alles Nähere über die Ulmer confessio.)
Mitteilungen.
Neuerscheinungen.
Daß Karl Müller an die Neubearbeitung seiner „Kirchen- geschichte" herangetreten ist, ist auch im Hinblick auf die Refor- mationsgeschichte zu begrüßen, auch wenn der Verfasser zunächst an die älteste Kirchengeschichte die bessernde Hand angelegt hat; handelt es sich doch um die Entstehung jener Kirche, gegen deren spätere Entartung Luther in die Schranken trat und die er zur ursprünglichen Einfachheit und Reinheit zurückzuführen trachtete. Die vorliegende 1. Lieferung, die die Zeit bis Konstantin (1. Urchristliche Kirche auf dem Boden des Judentums und seines Anhangs; 2. Entstehung der altkatholischen Kirche) umfaßt, liegt in völlig neuer Gestalt vor; wie "Verfasser selbst sagt, sind kaum ein paar kleine Sätze oder Satzteile von der ersten vor 32 Jahren erschienenen, wesentlich kompendióser ‚gehaltenen, Auflage stehen geblieben. Welch’ eine gewaltige Arbeits- - leistung das bedeutet, sieht ein jeder. Möge dem verehrten Verfasser seine Arbeitskraft und Frische auch für die Fortsetzung treu bleiben! Tübingen, Mohr (P. Siebeck) 1924, XII, 316 S. (— Grund- Tif der theol. Wiss. 2.'Abteilung Kirchengeschichte I, 1).
G. Lenz, Die Bedeutung des Protestantismus für den Aufbau einer allgemeinen Staatslehre (Tüb., Mohr [P. Siebeck] 1924, 47 S, — Samml. gemeinverst. Vorträge usw. 112) stellt in weit ausgreifender Untersuchung (auch über die Anfänge Roms wird in eigenem Exkurs gehandelt) die protestantische Idee als Erkenntnis- prinzip der politischen Welt hin.
Die feinsinnige Studie von K. Aner, Das Vaterunser in der Geschichte der evangelischen Frömmigkeit verzichtet darauf, ihren Stoff durchweg periodisch anzuordnen. Sie schlägt statt dessen den typologischen Weg ein und betrachtet nacheinander den kate- chistischen, symbolistischen, spekulativen und monumentalistischen ‘Typus. Ihren Ausgangspunkt aber nimmt sie von Luther, wie ja das Gemeinsame der evangelischen Vaterunserbewertung der Gegensatz gegen die kultische Formelhaftigkeit der katholischen Kirche ist, „Und ist Jammer über Jammer“, sagt Luther, „daß solch Gebet solches Meisters soll also ohne alle Andacht zerplappert und zer- klappert werden in aller Welt“ usw. Wie dem gegenüber in der evangelischen Kirehe das Vaterunser gleichzeitig oder nacheinander als ein Mustergebet, als ein Ánsporn und Leitseil frommer Meditation,
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als Inbegriff des gesamten Christentums, als Ausdruck idealistischer Religions- und Moralphilosophie, endlich ala ein Denkmal von Klassi- zität und Einzigartigkeit, ein Letztes, Unüberbietbares, zu dem unser Gebet aufsteigt, erscheint, zeigt der Verfasser an den Zeugnissen der Hauptvertreter evangelischer Frómmigkeit. Tübingen, Mohr (P. Siebeck) 1924. 48 S. (Samml. gemeinverst. Vorträge u. Schriften. aus dem Gebiet der Theologie u. Religionsgesch. 109).
Den Reichtum der in der Bibliothek der ev. Nikolauskirche. in Isny vorhandenen Drucke aus den Jahren 1518—1529 erschließt: O. Lenze durch sein allen Anforderungen genügendes Verzeichnis. dieser Drucke. Es enthült 340 Nummern, darunter ist Luther 69, Zwingli 21, Erasmus 19, Melanchthon 17, Oekolampad 15, Franz Lambert 9, Karlstadt 7 mal vertreten, Auch Bugenhagen, Schatzger, Jakob Strauß u.a. sind mit einer Mehrzahl von Werken vorhanden. Als Druckorte stehen Basel, danach Straßburg und Wittenberg in vorderster Linie, Eine Anzahl der Büchertitel ist abgebildet. Isnyer Reformationsdrucke ... im Auftrag des Kirchengemeinderats bearb. von O. L., Isny, Selbstverlag des ev. KGR. 1924, VIII, 138 S.
Mittels Darbietung einer sich auf das wichtigste beschrünkenden Auswahl aus der Fülle der Lutherbriefe das evangelische deutsche Haus mit diesen eigentlich erst bekannt zu machen, ist der Zweck der von G. Buchwalds Kennerhand dargebotenen Sammlung. Sie bringt, die lateinischen in flüssiger Übersetzung, 478 Nummern, die uns den Reformator von seiner ersten Messe (aus Erfurt 22. April 1507 an Joh. Braun) bis in die letzten Tage seines Lebens (sus Eisleben 14. Februar 1546 an die Gattin) vorführen und sozusagen seine ganze Persónichkeit unmittelbar vor unser Auge bringen, Den Texten folgen die notwendigsten Erlüuterungen und, besonders willkommen, ein alphabetisches Verzeichnis der Briefempfünger, bei deren jedem in aller Kürze das Notwendigste über seine Beziehungen zu dem Brief- Schreiber hinzugesetzt wird. D. Martin Luthers Briefe, ausge- wählt von D. Georg Buchwald. Mit 1 Bildn. und einer Hs. Leipzig- Berlin, B. G. Teubner, [1924]. V, 337 S. geb. M. 7,—.
Auf den von der Buchhandlung des Waisenhauses in Halle im Rot- und Schwarzdruck sorgfältig veranstalteten Faksimile-Neu- druck des Enchiridion (Der kleine Catechismus für die gemeine pfarher und Prediger D. Mart, Luther. Wittenberg. Gedruckt Nick. Schir[lenz] 1536) mit zahlr. Holzschnittbildern und -Initialen seien Lieb- haber derartiger Nachbildungen hingewiesen. 128 S. 89. 1924, M.6,—. Der neueste, dem vorigen nach vier Jahren gefolgte Teil des Standard-Werkes unseres Landsmannes jenseit des Weltmeers, J. M. Reu, über die ,Quellen der Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands. zwischen 1580 u. 1600“ bringt (als Schluß der Katechismen von Ost-, Nord- und Westdeutschland) die Katechismen von Ostfriesland und die rheinisch-westfälischen Ausarbeitungen. Dazu kommen Nach-
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träge zu den in allen drei Teilen von Ost-, Nord- und Westdeutschland: dargebotenen Katechismen. Ihre volle Würdigung werden diese literarischen Schätze ja erst finden können, wenn die historisch- bibliographische Einleitung vorliegen wird, die, wie zu hoffen, mittler- weile in Druck gegangen ist. I. Teil Quellen: 3. Band (Ost-, Nord- u. Westdeutschland), 2. Abt. (Texte), 3. Teil mit Nachtr. zu allen Bänden,
Gerhard Ritter, Luther, Gestalt und Symbol. München, F. Bruckmann AG., 1925. 164 S. (kart, M. 4,—, Lwb. M. 5,—.) In schöner eindringlicher Sprache, unter reichlicher Verwendung der Kernsprüche seines Helden selbst, schildert uns der Verfasser unsern Dr. Martin Luther, wie er, in langsamem Ringen über das Mittelalter herausgewachsen, in die zerspaltene, kampfdurchtobte deutsche Weit eintritt, das Wort Gottes aus den ursprünglichen Quellen zurückholt und, in Rom zum Ketzer gestempelt, zum Helden seines Volkes wird, als solcher in der Schicksalsstunde zu Worms die volle Schwere der ungeheuren Verantwortung für sein Tun und dessen eine Welt erschütternde Folgen auf sich nimmt. Dann das „tiefe Atemholen* auf der Wartburg, bevor die Sturmjahre hereinbrechen, die die Zeit der großen Hoffnungen beenden, ohne doch Luther von sich selbst und seinem Werk zum Abfall zu bringen. Klangfarbe und Tonart seines Auftretens haben sich zwar seit 1525 fühlbar verändert, aber das Thema ist das gleiche geblieben und bleibt das gleiche in dem „grauen Alltag“ der letzten 20 Jahre, unter dessen Druck er eine ständig zunehmende Riesenlast getragen hat, ohne daß doch diese oder die schweren Entscheidungen, vor die sich der Reformator noch ge- stellt sah (Marburg 1529), noch die mancherlei Enttäuschungen, durch die er hindurchging, die Zuversicht seines Glaubens erschüttern oder den Reichtum seines Gemüts zu ersticken vermocht haben, Welt- überlegen steht er da, weil im Innersten ihm ewige Sterne leuchten, aber eben darum auch festen Fußes sich aufstemmend auf dieser Erde. Und so ist Luther wir selbst, ist der ewige Deutsche und nur wir Deutschen vermögen seine Bedeutung ganz zu erfassen, weil nur, wer seines Blutes und Geistes ist, ihn aus der Tiefe seines Wesens ver- steht. — Dem kräftigen Buche, das wie ein Weck- und Mahnruf sich an unser tief gedemütigtes Volk wendet, werden zahlreiche Leser sicherlich nicht fehlen.
Henri Strohl, L'épanouissement de la pensée religieuse de Luther de 1515 à 1520. An eine frühere Studie über Luthers innere Entwicklung bis 1515 anschließend, behandelt Verfasser an der Hand der Schriften Luthers, neben denen auch die äußeren Umstände und Zeitbegebenheiten nicht außer acht bleiben, die Entstehung des Kommentars zum Römerbrief, den Ablaßstreit, endlich die Heraus- bildung des Kirchenbegriffs Luthers bis 1520. 424 S. (= Etudes d'histoire et de philosophie religieuses, publiées par la faculté de théologie protestante de l'universitó de Strasbourg fasc. 9. Straßb. u. Paris 1924 Librairie Istra).
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„Für Luther ist sie die rechte Frau gewesen und erst in der Ehe ait ihr ist er der ganze Luther geworden. Der gewaltige Dr. Martinus ... hätte ja keiner Katharina von Bora bedurft, um die weltgeschicht- liche Persönlichkeit zu werden, die er ist; aber der liebe Herr Doktor, an dessen trenem deutschen Gemüte wir uns erfreuen, ist ohne seine Käthe undenkbar.“ In diese Worte klingt E, Krollers schönes Buch über Katharina von Bora, Martin Luthers Frau, Ein Lebens- und Charakterbild aus, das im gegenwärtigen Gedenk- jahre der Eheschließung Luthers in 2. Auflage erschienen ist, ohne grund- legende Änderungen, aber im einzelnen sorgsam durchgesehen — un- “streitig das beste und gediegenste bringend, was über die Lebensgefährtin Luthers gesagt werden kann. Zwickau, J. Hermann 1925. IV, 2798.
Otto Sartorius, Die Nachkommen D. Martin Luthers. Mit Anhang eines seiner Äste und Zweige (Schede) bis zur Gegenwart. Zum 400. Ehejubiläum des Ref. 24 S. 1925. Selbstverlag (50 Pf.). Stellt in Fortführung der Forschungen Aug. Nobbes, Vfs. des „Genealogischen Hausbuchs der Nachkommen des D. Martin Luther“ (zuletzt 1871) fest, daß gegenwärtig in 128 Orten unter 116 verschiedenen Familiennamen fast 500 Nachkommen Luthers vorhanden sind und gibt die genaue Liste der Abstammung ‚des Zweiges „Schede“. Die Nachkommen des Ref. mit dem Namen „Luther“ sind 1759 erloschen. — Dazu tritt ein von dem Nümlichen aufgestelltes alphabetisches Namensverzeichnis der 485 ermittelten lebenden Nachkommen L’s. („Die heutigen Nachkommen D. M. L.“, 1925, 20 S. Selbstverlag, 40 Pf.).
Für die Loci communes Melanchthons ist man noch gegenwärtig an die Ausgabe gewiesen, die zuerst 1864 G. L. Plitt veranstaltete und die dann Th. Kolde in 2, (1889) und 3. (1900) Auflage in wesentlich umgearbeiteter Gestalt wieder vorlegte. Nun hat der Verlag von der letzten Auflage einen Nendruck veranstaltet (Die doci communes Philipp Melanchthons in ihrer Urgestalt nach G. L. Plitt. Von neuem herausgegeben u. erläutert von D. Th. Kolde. 4. Aufl. Leipzig. Deichert [W. Scholl] 1925. VIII, 267 S. M. 4.50). Es handelt sich um die ursprüngliche Fassung der klassischen Schrift und zwar liegt seit der 3. Aufl. die Oktavausgabe von 1521 zugrunde, Dem Text geht Koldes Skizze der theologischen Entwicklung Melanchthons bis 1521 vorauf. Da eine Neubearbeitung ‚des Loci von anderer Seite in absehbarer Zeit schwerlich zu erwarten dst, so wird die bewährte Arbeit der beiden verstorbenen Lutherforscher sicherlich auch in Zukunft, besonders den Theologiestudenten, gute Dienste tun.
Von dem ursprünglich geplanten Gesamtwerk „Der geschichtliche Hutten und seine Umwelt“, das zugleich als eine Art Einleitung in die Geschichte des 16. Jahrh., zumal der deutschen Reformation gedacht war, hat P. Kalkoff zunächst 1920 als besonderes Buch „Ulrich von Hutten und die Reformation“ veröffentlicht (vgl. diese Zeitschr.
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XVII S, 287 £). Daran schließt sieh nun das Werk „Ulrich von Huttens Vagantenzeit und Untergang“, das einerseits den Lebensumständen des Ritters nachgeht und sein Verhalten würdigt, andererseits den kulturgeschichtlichen Hintergrund aller der Lebens- kreise, in denen Hutten sich bewegt hat, zeichnet, Die unvergleichliche Quellenkenntnis, die Kalkoff über diesen Zeitraum besitzt, ermöglicht ihm, das bisher bekannte Bild mit einer Fülle neuer Züge zu be- reichern, ja zum Teil ganz neu zu gestalten, vor allem vielfach un- geahnte Verbindungslinien zu ziehen. Verwiesen sei u. a. auf die Schilderung der Zustände der Reichsabtei Fulda im 2. und die der Universität Mainz und des damaligen Humanismus im 6. Kapitel. Ein 1. Kapitel behandelt die Entstehung der „Legende“ von Hutten und Sickingen, deren Vernichtung ja eins der Hauptziele des Vf. ist. Auf- fällig bleibt, daß letzterer einer Betrachtung der literarischen Tätigkeit und Bedeutung Huttens sich im Zusammenhang durchaus entschlägt, so daß von einer abschließenden Würdigung Huttens als Gesamt- erscheinung durch Kalkoff nicht die Rede sein kann. Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1925. XII, 423 S.
| Aus den nümlichen Studien P. Kalkoffs ist ferner die kurz nach ,Huttens Vagantenzeit“ herausgegebene Schrift erwachsen „Die Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V.“ (Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1925, X, 307 S). Das Werk (von dem der Vf. in kurzer Zusammenfassung das Wesentliche schon in dem Aufsatz „Die Kaiserwahl Friedrich des Weisen am 27. Juni 1519“ in unserer Zeitschr. XXI S. 133 ff. mitgeteilt hatte) gipfelt in dem Nachweis, daß am genannten Tage Kurfürst Friedrich in rechtsgültiger Weise zum römischen König gewählt worden ist und diese Wahl (die er durch Abgabe seiner Kurstimme für sich selbst herbeiführte) auch angenommen hat. Innerhalb weniger Stunden aber wandelte sich dann das Bild, indem die spanische Partei, der das verräterische Ge- bahren des Kurfürsten-Erzbischofs von Mainz im Einverständnis mit dem Stiftsadel den Aufenthalt und die Festsetzung in seinem Erzstift uneingeschränkt gestattet hatte, Gelegenheit fand, ihre Drohungen mit Gewaltmafnahmen bis unmittelbar in die Wahlstütte gelangen zu lassen und so zunächst den „Umfall“ des Pfülzers herbeiführte, der die Abdankung Friedrichs zur Folge hatte, Kalkoff betont, daß dem Sachsen als römischen König drei europäische Mächte, Frankreich, der Papst und die Eidgenossen zur Seite gestanden hätten, er auch des Wohlwollens Englands und Venedigs und einer starken Partei unter den Reichsständen sicher gewesen wäre, nicht minder auf die finanzielle Unterstützung des deutschen Bürgertums hätte rechnen können. Die sonstigen Folgen der Behauptung Friedrichs, des Schützers Luthers, an herrscbender Stelle und der Ausschließung des Habsburgers von Deutschland, dem Karl so verhängnisvoll geworden ist, lassen sich ja kaum ausdenken! — Daß auch im übrigen die Geschichte jener Königswahl, der darauf einwirkenden Verhältnisse und in sie
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hineinspielenden Fragen durch K.s eindringende Forschung: gefördert wird, bedarf kaum der Erwähnung.
Die bedeutsame Rolle, die in dem Ehehandel Landgraf Philipps Martin Bucer, derjenige Theologe, der dem Hessen unter allen am nächsten stand, gespielt hat, ist zwar im einschlägigen, fast überreichen Schrifttum keineswegs übersehen, aber doch noch nicht für sich allein behandelt worden. So glaubt Hastings Eells eine Lücke auszu- fülen durch seine eingehende Studie The attitude of M. B. toward the bigamy of Philip of Hesse (Yale, Historical Publications, Miscellany XII vol. 7: London, H. Milford (New Haven, Oxford) 1924. VI, 958 S.) Verfasser kommt, auf dem Briefwechsel zwischen Philipp und Bucer und den Schriften des letzteren fufend, unter Berück- sichtigung des wichtigeren Schrifttums zu dem Ergebnis, daß Bucer seine (bedingte) Zustimmung zur Doppelehe eben auch aus Mitleid mit der Seelenpein des Landgrafen gegeben hat. Daß politische Erwä- gungen seine Haltung bestimmt haben, ist nicht nachgewiesen, wie denn Bucer in dieser Angelegenheit persönlich durchaus rein und unanfechtbar dasteht.
Hans Baron, Calvins Staatsanschauung und das kon- fessionelle Zeitalter. München u. Berlin, R. Oldenbourg 1924. VIII, 121 S. (Beiheft I der Histor. Zeitschr.).
Aus der Schule Friedr. Meineckes hervorgegangen, untersucht die Abhandlung zuerst die Grundlagen von Calvins Staatsanschauung und sodann die Staatslehre Calvins, um als Ergebnis den Calvinismus neben der Renaissance als eine der Quellen des modernen Staats- gedankens in Anspruch zu nehmen; dem Calvinismus fiel in der Ent- wicklung der europäischen Staatsanschauung aus dem bierokratischen in den Aufklärungsgeist die wichtigste Rolle zu; zugleich bezeugt gerade er am besten, daß das konfessionelle Jahrhundert etwas anderes war als bloß ein neuerstandenes „Mittelalter“. Nicht nur die alte katholische Vorstellung einer Gliederung der Christenheit in Laien- schaft und (diese vor Gott mit vertretenden) Klerus war, bei Calvin wie bei Luther, durch die individualistische Tendenz des allgemeinen Priestertums zerstört, sondern dessen individualistisch-freiheitlicher Geist strömte bei Calvin (weit über Luthers Meinung hinaus) nun in das ganze breite Leben des sozialen und staatlichen Daseins ein. — Als Anlagen folgen kürzere Ausführungen über 1. den Zusammenhang des religiösen und weltlichen Persönlichkeitsbegrifis bei Calvin; 2. „christliches Naturrecht“ und „ewiges Recht“ und 3. das Verhältnis von Staat und Kirche im calvinischen Genf.
P. Brunner, Vom Glauben bei Calvin; darge- stelltauf Grund der Institutio, des Catech, Genev. undunter Heranziehung exegetischerund homile- tischer Schriften. Tübingen, Mohr (P. Siebeck). 1925. 169 S. — Die Abhandlung, mit der Verfasser die theol. Lizentiatenwürde erworben hat, ist durchaus theologisch eingestellt. Unter Absehen
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von den historisch-biographischen Problemen wird untersucht, was Calvin zu den theologischen Fragen der Gegenwart zu sagen hat; durch die Erinnerung an den klassischen Ursprung unseres theolo- gischen Denkens in der reformator. Bewegung hofft Verf. beizutragen, die verworrene innere theologische Lage der Gegenwart zu klären.
Fr. Hünermann, Gasparo Contarini Gegen- reformatorische Schriften (1530 c.—1542) — Corpus Catho- licorum 7. (Münster, Aschendorfi, 1928. XL, 76 S. M. 3,75). Wir erhalten hier sorgfältige Neuausgaben folgender Schriften des Vene- tianers: Confutatio articulorum seu quaestionum Lutheranorum (btr. die Confessio Augustana u. Confutatio), die Epistola de justificatione, Regensburg 1541, in der Contarini für die vereinbarte Formel über die Rechtfertigung, den 5. Artikel des sog. Regensburger Buches, ein- tritt; de potestate pontificis (Gelegenheitsschrift aus der venetianischen Zeit); endlich de praedestinatione (hervorgerufen durch die reforma- torische Bewegung in Modena) Der Ausgabe sind die Handschriften oder die Erstdrucke zugrunde gelegt; die in den Venetianer Aus- gaben von 1578 und 1589 von der Zensur besonders an der 2. und 4. Schrift vorgenommenen Änderungen teilt die Vorrede mit.
1. K. D. Schmidt, Studien zur Geschichte des Konzils von Trient. Tüb., Mohr (Siebeck) 1925. 220 S. | 2.H. Rückert, Die Rechtfertigungslehre auf dem Tridentinischen Konzil. Bonn, A, Marcus & E. Weber, 1925. VIII, 281 S. — Holl u. Lietzmann, Arbeiten zur Kirchengesch. 3).
1. Die von C. Mirbt angeregte Studie zerfällt in zwei getrennte Untersuchungen. Der erste Teil geht den Nachwirkungen der spät- mittelalterlichen Reformidee wührend des ersten Zeitraums des Konzils nach, um festzustellen, daß in diesem Zeitraum in Trient Konziliaris- mus im strengsten Sinne der spätmittelalterlichen Doktrin nicht ver- treten worden ist und daß die einzelnen Fülle, in denen Konzils- teilnehmer das Eigenrecht des Konzils der römischen Kurie gegen- über betont und sich der Beschrünkung der Rechte des Konzils ent- gegengesetzt haben, durch die überlegene Geschicklichkeit der vor- sitzenden Legaten zu einer dem Papsttum günstigen Entscheidung ge- bracht worden sind und somit nur dazu gedient haben, das Konzil immer fester in ihre Hand und unter den Einfluß Roms zu bringen. — Daran schließt sich eine Untersuchung über „Schrift und Tradition“ in Trient, eingeleitet durch einen Rückblick auf die bezüglichen An- schauungen im kirchlichen Altertum, im Mittelalter und in der be- ginnenden Reformationszeit, worauf die Verhandlungen der Kirchen- versammlung bis zur 4. Session und dem Dekret über die kanonischen Schriften und die Tradition („Sacrosancta“) verfolgt werden. Das Dekret, wiederum ein Werk der Legaten, besonders Cervinis, führt auf eine Bestimmung des Decretum Gratiani (Gleichwertigkeit der Schrift und der apostolischen Tradition) zurück; seine Bedeutung liegt darin, daß von nun an die Behauptung von der hl. Schrift als alleiniger
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Quelle des Christentums Ketzerei war! Als Normaltext wurde gleich- zeitig die Vulgata festgesetzt; indem aber ihre Auslegung der „Kirche“ und dem Konsens der Väter anheimgestellt wurde, blieb eine Lücke, insofern man es (aus kurialpolitischen Gründen) unterließ, den Begriff der „Kirche“ zu definieren, —
2. Auch diese auf K, Holl zurückgehende Schrift zerfällt in zwei Teile. Im ersten (kaiserlich-päpstliche Politik 1546 usw.) wird verfolgt, wie die Kurie die dogmatischen Fragen in den Vordergrund schob, um der Verhandlung der Kirchenreform zu entgehen, während dann die längere Zeit bestehende Unmöglichkeit für die Legaten, die von Anfang an beabsichtigte Verlegung der Versammlung in das kuriale Einflußgebiet gegen den Widerspruch des Kaisers durchzusetzen, für den dogmatischen Stoff Raum und Zeit zu ausführlicher Verhand- lung gewährte. Verfasser findet nicht mit Unrecht starke Worte gegen die kuriale Partei, im besonderen die Legaten, die die Verhandlungen über die Rechtfertigung zu einem dienenden Glied im politischen Kampf herabwürdigten. — Daran schließt sich ein dogmengceschicht- licher Teil über die Auseinandersetzung mit Luther und der Scholastik in der Rechtfertigungslehre. Luther wird abgelehnt; innerhalb der katholischen Dogmatik aber tut das Konzil in dieser Frage einen wichtigen Schritt aut dem Wege fort vom Nominalismus zum Thomis- mus, der, damals noch als via antiqua geltend, sich in Trient anschickt zur via moderna zu werden. — Willkommen ist die beigegebene tabellarische Übersicht über die Verhandlungsperioden, Sitzungstage und Dekretentwürfe des Konzils vom 21. VI. 1546 bis 13. I. 1517.
In seiner kritischen Abhandlung „Selbstbezeugungen des Kardinals Bellarmin. Beiträge zur Bellarminforschung“ (Untersuchungen zur Gesch. u. Kultur des 16. u. 17. Jahrh. herausg. von P. M, Baumgarten und G. Buschbell, Heft I; Frz. Aker, Krum- bach. XVI, 114 S.) rechnet der katholische Historiker G. Busch- bell mit jesuitischen Tendenzschriften ab, die, zur Verherrlichung des 1923, zwei Jahre nach der Dreihundertjahrfeier seines Todestages, seliggesprochenen, aus dem Jesuitenorden hervorgegangenen Kardinals Roberto Bellarmin (1542—1621) erschienen, die historische Wahrheit nicht in allem zur Richtschnur genommen haben. Demgegenüber zeigt Buschbell, ohne die Verdienste des neuen ,Seligen" zu verkennen oder zu verhüllen, auf Grund der eigenen Äußerungen jenes in Briefen und Schriften und in seiner sog. Selbstbiographie, daß Bellarmin keines- wegs ohne menschliche Schwächen, insbesondere persönlicher Eitelkeit sehr zugänglich gewesen ist, auch z. B. seine Erhöhung zum Kardinalat in einer fürOrdensmänner kaum erlaubten Weise angestrebt und gefördert hat. Welch’ ein unduldsamer Geist in jenen jesuitischen Geschichts- klitterungen (eines C. A. Knellen und P. Tacchi-Venturi) herrscht, zeigen die von Buschbell mitgeteilten Proben der ebenso unsachlichen, wie maß- losen, in öde Schimpferei ausartenden Polemik, die ein paar frühere Ab-- handlungen von ihm zur Bellarminfrage in jenem Lager entfesselt hat. —
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Ankündigung einer bp Auswahl- Ausgabe. bietende, wissenschaftlich a hd. "verhältnismäßig billige Ausgabe Calvins in den Origi nalsprachen zi bieten ist die Absicht der von dem Verlage Chr. Kaiser in München angekündigten Textausgabe ausgewühlter Werke Calvins in. 5 Bänden, deren Besorgung Pfarrer Peter Barth in Madiswil (Kt. Bern), Schweiz, übernommen hat, Zugrunde gelegt ist das Corpus Ref., doch sind, um einen fehlerfreien Druck zu liefern, ältere Drucke verglichen worden. Auch sollen Calvins Anmerkungen durch genaue Naehweise der von ihm angezogenen Stellen ergünzt werden. — Der Verlag hat eine Subskription anf die fünf Bände eröffnet unter Herab- setzung des Einzelverkaufspreises um 20 v, H.
Entgegnung.
Zu meinem offenen Briefe an den Präsidenten des lutherischen: Konsistoriums in Warschau, Herrn Glass, („Archiv“ Jahrg. 20, S. 75£.) bemerkt die Reformacya w Polsce, Herr Glass habe den Wunsch aus- gesprochen, seine Erwiderung nicht zu veröffentlichen; er erkläre, „daß seine Bemerkungen sich am wenigsten auf D. Wotschke beziehen, sondern auf die gesamte Atmosphäre der Vereinigung der Pastoren in Großpolen, da diese in naher Verbindung mit dem ev.-unierten Konsistorium in Posen steht, das mehrfach mit dem verrufenen Verein zur Unterstützung des Deutschtums in den Ostmarken mitgewirkt hat.“ Ich bemerke hierzu, daß H. Glass mich tatsächlich angegriffen hat, indirekt, weil meine Arbeiten vornehmlich die Posener Jahrbücher füllen, direkt, weil er eine meiner Arbeiten ausdrücklich namhaft gemacht hat, Ich bedaure es, daß H. Glass uns seine eingehende Rechtferti- gung vorenthalten hat; doch wird er ja wissen, weshalb er es getan. Wenn er jetzt jedoch seinen Angriff zu erklären sucht durch die ge- samte Atmosphäre unseres kirchengeschichtlichen Vereins, so darf ich als ein Mitbegründer dieses Vereins und sein jetziges Ehrenmitglied wohl fragen: Woher kennt H. Glass die Atmosphäre unseres Vereins? Er ist nie ein Mitglied unseres Vereins gewesen, hat nie an einer seiner Sitzungen teilgenommen, hat 50 Meilen weit von uns entfernt gewohnt, daß ihm auch Frau Fama von unserem in der Stille wissen- schaftlich arbeitenden Verein nichts zugetragen haben kann. H. Glass hätte es ruhig zugeben sollen, daß lediglich sein Groll gegen deutsches Wesen und die unierte evangelische Kirche ihn zu dem Angriff auf unsere wissenschaftliche Arbeit getrieben hat, sein Groll, der auch jetzt wieder in der haßsprühenden Wendung gegen das um die evan- gelische Kirche im Posener Lande so unendlich verdiente Konsistorium. und den Ostmarkenverein zum Ausdruck kommt.
D. Dr. Theodor Wotschke, Pratau.
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Aus dem „Verein für Reformationsgeschichte“.
Der Stand der Arbeiten des Vereins ist zur Zeit folgender:
1. Von den „Schriften“ werden für 1925 noch ausgegeben werden: 1. Nr. 138 Löscher, Schule, Kirche und Obrigkeitin Sachsen; 2. Nr. 189 Hj. Helmquist-Lund, Die schwedische Reformation 1523—31, übersetzt von Frau H., Jablonowski-Heidel- berg, revidiert vom Verfasser und Prof O. Scheel-Kiel. — Für 1926 stehen in Aussicht: 1. Walther Stolze-Königsberg, Reformation und Bauernkrieg; 2. Otto Pohrt, Baltische Reformations- geschichte. Endlich ist für 1927 bestimmt: F. Pischel-Weimar, Das Armenwesen der Reformationszeit.
2, Größere Veröffentlichungen, Als Bd. VII der „Quellen und Forschungen“ erscheint in kurzem: Joh. v. Staupitz, Predigten in Tübingen gehalten, herausg. von G. Buchwald-Rochlitz unter Mitwirkung von O, Scheel. Das Ganze zerfällt in zwei Teile: a) Text; b) theologische Untersuchungen. — Von den „Täuferakten“ bearbeitet G. Bossert-Stuttgart den 1. Bd, = Württemberg (mit Hohenlohe); der Druck soll in diesem Winter beginnen. Fast voll- endet in der Handschrift ist Bd. 2 — Baden und Pfalz, begonnen von (1) O. Winckelmann, fortgeführt von Archivrat Krieger-Karls- ruhe. Mit Bd, 3 (Schweiz) ist Dr. von Muralt betraut worden; Bd. 4— Bayern hat Dekan D. Dr. Schornbaum-Roth übernommen und wird zunächst einen Arbeitsplan über die Erhebung des Materials vorlegen. Bd. 5 — Thüringen, von Archivdirektor Dr. Tille-Weimar, muß vorläufig zurückgestellt werden, Noch kein Bearbeiter ist für die Schwäbischen Reichsstüdte gefunden worden.
3. Süddeutsche Städteakten aus der Reformationszeit. Für den von H. v. Schubert-Heidelberg bearbeiteten ersten Doppelband, Spengler und die Reformation in Nürnberg, ist das Material nahezu beisammen und die Redaktion kann beginnen.
4. SupplementaMelanchthoniana: Briefwechsel, herausg. von O. Clemen-Zwickau, vorläufig bis 1529, Der Herausgeber schätzt die gesamte Ausgabe auf 4 Bünde zu je etwa 40 Bogen. Der Druck des ersten Bandes (bzw. Halbbandes, bis 1525 einschließlich) ist im Gange.
5. Das „Archiv für Reformationsgeschichte* soll zunächst weiter in zwei Doppelheften je zehn Bogen jührlich erscheinen. Es ird ebenso wie der Briefwechsel Melanchthons von der Notgemein- schaft der deutschen Wissenschaft unterstützt. —
Der Jahresbeitrag für den Verein betrügt noch 8 M.
(Nach dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 27. September 1925 in Jena).
Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen,
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