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ARCHIV

ERORMATIONSERSCHICHTE

TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.

Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte

herausgegeben von

Dr. theol., jur. et. phil. Walter Friedensburg.

XXII. Jahrgang. 1925.

Leipzig

Verlag von M. Heinsius Nachfolger Eger & Sievers.

1925.

2 2 *

C. Schule & Co., G. m. b. H, Gräfenhainichen.

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Inhaltsübersicht.

Wilhelm Dersch, Dr, Staatsarchivar in Marburg i. H., Kaspar Aquilas Zuflucht in Henneberg während des Interims und die Berufung Christoph Fischers

Karl Bauer, D., Universitätsprofessor in Münster, Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeitalter der Reformation. .

Julius Jordan, Professor D., Konsist.-Rat i in Berlin, Zur Wittenberger Universitātageschichte des 16. Jahr- hunderts . i

Otto Clemen, D. Dr. Professor in " Zwickau (Sachsen), Seltene Schriften gegen den Konkubinat der Kleriker aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts Hos

Georg Buchwald, D. Superintendent in Rochlitz i. 8. Die Ablaßpredigten des Leipziger Dominikaners Hermann Rab (1504—1521) . . . . . 128—152;

Walter Friedensburg, D. Dr. Dr. Staatsarchiv- direktor i. R. in Wernigerode a. H., Aus dem Brief- archiv des Justus Menius. I..

Paul Kalkoff, D. Dr. Professor in Breälan: Die Reichs- abtei Fulda am Vorabend der Reformation.

KarlSchornbaum, D. Dr. Dekan in Roth b. Nürnberg, Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg und die ev, Stände Deutschlands 1570—1575 . :

Walther Köhler, D.Dr.Universitätsprofessor in Zürich, Brentiana und andere Reformatoria. X.. i

Mitteilung en: Neuerscheinungen 8. 153; 811—819. Zeitschriftenschau S. 153—160. Th. Wotschke, Entgegnung S. 819. Aus dem Verein für Refor- mations geschichte S. 320,

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Kaspar Aquilas Zuflucht in Henneberg während des Interims und die Berufung Christoph Fischers.

Von Wilhelm Dersch.

Kaspar Aquila, der Reformator und erste Superintendent von Saalfeld, war dem Hause Henueberg ganz besonders zu Dank verpflichtet, weil dieses dem unerschrockenen Kämpfer gegen das Interim sichere Unterkunft geboten hatte. Noch ein Jahr vor seinem Tode schrieb der Einundsiebzigjährige dankerfüllten Herzens seinem ehemaligen Herrn, dem Grafen Georg Ernst, daß er immer noch bereit sei dessen Ruf zu lolgen „wie ein schneller Adier“ und besonders das „from völkle“ seiner lieben Schmalkalder und die „starken fre- lichen“ Weine nicht vergessen habe!).

Seitdem Geisthirt uns zum erstenmal Näheres über Aquilas Aufenthalt unter hennebergischem Schutz überliefert hat, finden sich öfters bis auf unsere Zeit in kirchengeschicht- lichen Arbeiten Mitteilungen über diese Jahre, die jedoch in Bezug auf die Dauer des Aufenthalts und die damalige Stellung des Reformators widerspruchsvoll sind, so daß eine Nachprüfung unter Heranziehung von bisher unbekannten Quellen nützlich erscheint.

Fast vier Jahrzehnte hat der aın 7. August 1488 in Augsburg geborene Sohn des Syndikus Leonhard Aquila die Lande durchwandert nach damaliger Humanistenart, bis er 1527 als Pfarrer in Saalfeld seßhaft wurde. Wir finden ihn als Feldprediger im Heere Sickingens und als kenntnis- reichen Mitarbeiter Luthers bei der Uebersetzung des alten Testaments, Auf Luthers Rat wurde er nach Saalfeld be- rufen und dort 1528 Superintendent. In schärfster Weise trat er 1548 gegen das kaiserliche Interim auf, Seinen Verfolgern wurde er entzogen durch Katharina die Heldenmütige, die Witwe Graf Heinrichs XXXII. von Sehwarzburg und Tochter Graf Wilhelms IV. von Henneberg,

1) Vgl. den als Beilage 8 abgedruckten Brief, S. 36. Archiv far Reformationsgeschichte. XXII. 1. 1

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welche ihn zu Beginn des Jahres 1549 ein halbes Jahr lang!) auf ihrem Schloß zu Rudolstadt verborgen hielt?). Katharinas Schwägerin, die Herzogin Elisabeth von Braunsehweig-Lüneburg, die seit 1546 ihren Bruder Boppo zum Gemahl hatte, während ihre Tochter Elisabeth seit 1543 die Gattin von Katharinas Bruder Georg Ernst geworden war, stand mit Aquila in Briefwechsel wegen der Interimsfragen?). Von ihr erhielt Aquila das von Antonius Corvinus verfaßte und von der Synode zu Münden am 19. Juni 1549 angenommene „Bedenken“ gegen das Interim und desselben Verfassers ,Dialogus zwischen Ischariot Eis- leben und Judas Wicel**). Aquilas Brief, in dem er sich für die überschiekten Schriften bedankt, gedenkt auch einer Vermittlung Elisabeths bei Herzog Albrecht von Preufen, wo er in seiner Not Zuflucht zu finden gehofft hatte’). In- zwischen war er von Rudolstadt, vermutlich auf Einladung von Katharinas Brüdern Georg Ernst und Boppo, in die

1) G. Adler, Die Vorfahren des Generalsuperintendenten Adler: Schriften des Vereins für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte, II. Reihe, V. Band, 2. Heft (Kiel 1911), 214 ff. Martin Saupe, „VITA M. Caspari Aqvilae, ersten Superintendens zu Salfeld ..“: Thüringer kirchliches Jahrbuch, 17. Jg. 1912 (Alteuburg 1911), 21f.

2) Cyr. Spangenberg, Hennebergische Chronica (Straßburg 1599), 266. J. C. Geisthirt, Historia Schmalcaldica, in der Zeit- schrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landeskunde zu Schmalkalden, Supplement 3 (1885), S. 58.

) Wilh. Havemann, Elisabeth, Herzogin von Braunschweig- Lüneburg, geb. Markgrüfin von Brandenburg. Göttingen 1889. S, 76, Paul Tschackert, Herzogin Elisabeth von Münden (gest. 1558), geborene Markgräfin von Brandenburg, die erste Schriftstellerin aus dem Hause Brandenburg und aus dem braunschweigischen Hause, ihr Lebensgang und ihre Werke. Leipzig-Berlin 1899. Beilagen: Elisa- beths „Unterricht für Herzog Erich d. J.“ (1546) und ihr „Mütter- licher Unterricht für die Herzogin Anna Maria“ (1550); ohne die Bei- lagen im Hohenzollernjahrbuch 3 (1899), 49—65. Vgl. allgemein über Aquila G. Kawerau in der Reslenzyklopüdie? 1 (Leipzig 1896), 759f, und 23 (1913), 106,

*) Paul Tschaokert, Antonius Corvinus Leben und Schriften. Hannover und Leipzig 1900 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, hggb. vom historischen Verein für Niedersachsen 3), S. 167, 170f.

5 P. Tschackert, Briefwechsel des Antonius Corvinus. Hannover und Leipzig 1900. (Ebenda 4), Nr. 291 (1549 August 31) Vgl. auch Elisabeths Brief an Herzog Albrecht 1549 Aug. 13: Meiningen, Herzogl. öff. Bibliothek, Hschr. 1, Bl. 68.

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Grafschaft Henneberg gekommen und hatte dort in Unter- maßfeld ein „Pathmos“ gefunden !). Der erste aus diesem Zufluchtsort geschriebene Brief ist vom 22. Juli? Am 31. August war er noch in Untermaßfeld, aber offenbar be- reits für seine neue Stellung in Schmalkalden aus- ersehen“); ein Brief vom 30. November ist ohne Ortsangabe. Damals wünschte er offenbar noch nicht, daB seine Be- rufung nach Schmalkalden bekannt würde; er klagte, daB niemand interimsfeindliche Bücher drucken wolle und nannte sich in einer Schrift D. Christian Allefreund. Am 8. Januar 1550 schickte er seine Antrittspredigt aus Schmal- kalden an Georg Ernst mit der Bitte, eine Abschrift davon an Herzog Albrecht nach Königsberg zu übermitteln. Kaspar Sagittarius erzühlt, daB in der Sehulbibliothek zu Saalfeld ein Band von Luthers Werken den Eintrag enthalte: ,Sum M. Casparis Aquilae pastoris in collegio cathedralis ecclesiae Sehmalkald. 1550, 12, Jan.^*). Wir dürfen also annehmen, daß er etwa Weihnachten 1549 oder Neujahr 1550 sein neues Amt angetreten hat’. Am 1. Mai 1550 beglück-

1) Jobannes Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen. Königsberg 1841, S. 18ff, u. Hugo Fuchs, Christoph Roßhirt: Des Fürsten Wilhelm, Grafen zu Henueberg, Leben, Amt und seliger Ab- schied. Drei Geschichten von Besessenen aus der Mitte des 16. Jahr- hunderts. Bericht des Kgl. Preußischen Hennebergischen Gymnasiums zu Schleusingen 1901/1902, S, 11f.

t) Voigt a. a. O. Er war also nicht bereits 1548 in Schmal- kalden, wie Geisthirt a. a. O. 7 (, um Palmarum") und nach ihm O. Füß lein, Mag. Caspar Aquila, der erste Superintendent von Saalfeld (Saalfelder Weihnachtsbüchlein 1876) und G. Adler a. a. O. „Ende 1548") behaupten. Dieser Annahme widerspricht auch Aquilas Aeußerung in dem bei Voigt a. a. O. 24 abgedruckten Brief, daß er 23 Jahre in Saalfeld tätig gewesen sei, also von 1527—1549.

3) Ebenda 24: ... „wie ich getrieben bin ... von Maßfeld gen Schmalkalden“ „.. Christian Schlegel, Ausführlicher Bericht von dem Leben und Tod Caspari Aquilae . . . hggb. von Joh. Zeitzschel, Leipzig u. Frankfurt 1737, S. 443 kennt den Aufenthalt in Maffeld nicht. Saupe berichtigt das falsche „Manßfeld“ seiner Vorlage, druckt aber immer „Harsfeld“.

) Saalfeldische Historien von Kaspar Sagittarius, hggb. von Ernst Devrient. Saalfeld 1901, S. 247.

5 Voigt a. a. O. 30. Nach ihm auch G. Kawerau in Herzog-Hauck, Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche I®, 759f. M. Saupe, a. a. O. 45, der die bei Voigt mitgeteilten Briefe nicht berücksichtigt, möchte 1551 annehmen. Häfner, Die

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wünschte ihn (exuli in oppido Schmalkalden) Melanchthon zu seinem „mediocre hospitium“ ).

Die Entsendung Aquilas nach dem zweiherrischen Schmalkalden war begeutungsvoll. Unter seinem Vorgänger, dem Stiftsprediger Bartholomaeus Wieser, waren im Jahre 1547 heftige Schmähschriften gegen die lutherische Lehre verbreitet worden?). Melchior v. Ossa widerriet damals dem Grafen, gegen die Schuldigen gerichtlich vorzugehen. Als nun das Interim in Hessen Annahme fand und die hessischen Abgesandten am 29. August 1548 in Schmalkalden weilten, war die Verwirrung noch groß, so daß der hennebergische Amtmann das Einverständnis seines Herrn erklärte®), während später die Absage des Grafen Wilhelm an den Kaiser deutlich genug lautete“). Geisthirts Worte“), daß der Satan in Schmalkalden zwar keine Irrlehre habe aufkommen lassen, daß aber die Geistlichkeit die Flügel hätte hängen lassen, und die Laien liederlich gelebt hätten, kennzeichnen wohl

Herrschaft Schmalkalden 3, 165 hat auch 1550. Am 22, Januar 1550 trug Herz. Elisabeth dem D. Joachim Mörlin, der sich damals in Arn- stadt und in der Umgebung des Grafen Georg Ernst aufhielt, Grüße auf an Aquila; Elisabeth bemühte sich für Mörlin, eine Anstellung in der Grafschaft, etwa in Meiningen oder sonstwo, zu erreichen, bis dieser nach Königsberg ginge. Am 28. Juli 1552 schrieb sie, daß sie ihn für das Stift Schmalkalden empfehlen wolle Franz Koch, Briefe der Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg und ihres Sohnes, des Herzogs Erich d. J., aus den Jahren 1545—1554: Zeit- schrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 11 (Braunschweig 1906), 106, 111 ff., 142. Mörlin hatte auf Oculi 1549 Schleusingen, sein „sanctum hospitiolum exulam Christi“, verlassen, nach Junckers Ehre der gefürsteten Grafschaft Henneberg 8 (Dresden, Landes-Bibliothek, Hs. a 55), Bl. 155v. Zu demselben Jahr berichtet Juncker Aquilas Berufung nach Schmalkalden,

1) Corpus reformatorum 7, Nr. 4712.

*?) Wilh. Germann, D. Johann Forster, der Hennebergische Reformator: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums, 12. Lieferung (Meiningen 1891), Urkunden, S. 42 ff. Die Akten im Gemeinschaftlichen Hennebergischen Archiv zu Meiningen IV C 8, 19.

5 Fritz Herrmann, Das Interim in Hessen (Marburg 1901), 21 ff.

) Spangenberg a. a. O. 258ff. (1519 Februar 18). Mei- ningen, G. H. A. IV B 1, 4; dort auch die spüteren Aufforderungen des Kaisers zur Annahme des Interims 1549 April 12 und 1551 März 23. Graf Wilhelms bekannte Antwort datiert vom 13, Januar 1549, nicht Februar, wie Spangenberg, Weinrich, Kirchen- und Schulen- Staat des Fürstentbums Henneberg, Leipzig 1720, S. 293, u. a. angeben.

5) A. a. O. 9, 14f.

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richtig die damalige Lage. Eine starke Hand war nötig, die hier eingreifen mußte. Keiner war daher geeigneter für diese Aufgabe als Kaspar Aquila, und gerade in seiner Stellung als Prediger am Egidienstift.

In der Stadt war seit dem 14. Mai 1549 Hieronymus Pfnoer Pfarrer!) Ueber das Stift hatte der Henneberger allein zu verfügen. Nachdem Graf Wilhelm dort bereits 1527 den Prediger Jakob Hartmann eingesetzt hatte, wurde 1545 diese Stelle im Einverstündnis mit den Chorherren dureh den Grafen Georg Ernst zur dauernden Einrichtung gemacht?). Ob der Posten nach Hartmanns Weggang (der 1546 ala Pfarrer in Oberstadt, Kr. Hildburghausen, erscheint)?) und Wiesers Scheiden (1547?) nochmals besetzt wurde, steht da- hin. Erst Aquila nennt sich Pfarrer im Stift, aber nie Dechant, auch nieht nach dem Tode des letzten Dechanten Johann Seyfried (Schmidt genannt) der nach Geisthirt am 29. Dezember 1551 starb‘). Es hätte den Ab- machungen von 1545 geradezu widersprochen, wenn der In- haber der neben dem Dechanten geschaffenen Pfarrstelle nach dem Ableben des Dechanten dessen Pfründe übernommen hätte, die doch nach Erledigung nicht mehr neu besetzt werden sollte. Doch soll Johann Motz, der älteste der wenigen im Stift noeh lebenden Chorherren, nach Seyfrieds Tod sich selbst zum Dechanten erwählt und bestätigt haben“). In

1) Meiningen, G. H. A. IV C 3, 12 (Pfarrei Schmalkalden); vgl. G. Brückner, Pfarrbuch der Diöcesen Meiningen, Wasungen und Salzungen: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums, 2. Lieferung, Meiningen 1863, S. 70.

2) E. Koch bei P. Weber, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Band 5, Kreis Herrschaft Schmalkalden (Marburg 1913), 185f.

7) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27 b.

) A. a. O. Suppl. 1, 153. 2, 77 fl. Geisthirts Angabe, daß Aquila Dechant gewesen sei, sind gefolgt Schlegel a. a. O. 455 fl.; Joh. Reinh. Häfner, Die Herrschaft Schmalkalden in historischer, topographischer und statistischer Hinsicht 3 (Meiningen 1820), 158; Beck in der Allgemeinen Deutschen Biographie 1 (Leipzig 1876), 509 f. lein a. a. O.; Kawerau, Herrmann a. a. O. 46, Anm. 1; Adler und Saupe. Germann a. a. O. Urkundenbuch S. 53 sagt, daß ibm „zum mindesten auch Dekanatsfunktionen“ übertragen worden seien.

5 Laut Brief des Stiftspfarrers M. Christoph Fischer an den

Grafen Georg Ernst vom 31. März 1554: (Meiningen, G. H. A. IV

A2, 27 b), in dem er rät, die Dechanei wieder zu besetzen, damit das

stift vor Schaden bewahrt werde.

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ähnlicher Weise war das Augustinerkloster zum Aussterben bestimmt, denn 1550 nach dem Tode des letzten Priors Nikolaus Ran baten Aquila und Hieronymus Pfnoer den Grafen Wilhelm, das Kluster in eine Schule zu verwandeln (8. unten S. 15 Anm. 7)!). Unrichtig ist ferner. die Be- hauptung, Aquila sei als Superintendent angestellt worden?) Allerdings beklagt er sich in seinem Streit mit dem Superintendenten Bartholomaeus Wolfhart zu Schleusingen, daß dieser ihm nicht gönne, wenn die Leute ihn in Schmal- kalden Superintendent hießen). Er beschwerte sich, daß der Sehulmeister der städtischen Pfarrei ihm keinen Bericht zugehen lasse. Offenbar mate sich also der Stiftspfarrer weitgehende Befugnisse an, die tatsüchlich der Stellung eines Superintendenten entsprachen“). Auf einer Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse beruhen schließlich die übertrie- benen Angaben Geisthirts, daß Aquila außer den Zehnten von Getreide, Flachs und Vieh 800 Gulden bezogen habe). Demgegenüber sei darauf hingewiesen, daB dem Abkommen vom 18. April 1545 zufolge der Stiftspfarrer 130 Gulden,

1) A. a. O. 2, 12. „Und so ein person im stifft absterben, nimbt der graff das einkommens“ heißt es 1550: W. Germann, Aus Wasungens vergangenen Tagen. Urkunden des Wilhelmiterklosters Wasungen. Meiningen 1890, S. 79.

1) Emil Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts I, 2 (Leipzig 1901), 269; wohl nach Weinrich n. a. O. 279. ö

3) S. die Beilage 2, S. 27. Als Pfarrer von Saalfeld nannte er sich z. B. auch „Bischof“ 1548 in der Schrift: „Eyn sehr hochnötige Ermanung / an das kleine blöde verzagte Christlich heufflein* ... (in der Universitätsbibliothek Halle); in einem zusammen mit dem Schösser Johann Reinholt 1546 Dezember 10 an den sächsischen Rat Dr. v. Teutleben gerichteten Briefe: „pastor superintendent in Saalfeld", abgedruckt von P. Vetter im ARG. 16 (1919), 179—181.

*) Erst in einem unten als Beilage 5 abgedruckten Briefe vom 12. Mürz 1552 an die Herzogin Elisabeth von Rochlitz, die Schwester Philipps des Großmütigen, die von 1548 bis zu ihrem Tode (1557) in Schmalkalden lebte, nennt er sich Pfarrer und Superintendent. Über ihren Aufenthalt in Schmalkalden vgl. Arthur Fuckel in der Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landes- kunde in Schmalkalden 16 (1911), 25 ff., der diesen Brief aber nicht nennt.

5) A. a. O. 2, 77ff. Seine Besoldung 1545 in Saalfeld (100 fl.,

5 Eimer Wein usw.) mitgeteilt von Is. Rockstroh im Saalfelder Weihnachtsbüchlein 1883, S. 6,

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Brennholz, zwei Acker Wiesen und freie Dienstwohnung er- halten sollte !).

Aquila war also Pfarrer des Stifts. Seine Predigten müssen gewaltigen Eindruck gemacht haben, denn einer seiner Naehfolger, M. Alexander Utzinger, erzühlt, daf das Volk der Unterstadt scharenweise zum Stift gezogen sei, und daß man die Predigten des Stadtpfarrers mit Rüben und Kraut, die des Stiftspfarrers aber mit Gesottenem und Ge- bratenem verglichen habe?) Mit dieser Ueberlieferung stimmen überein Form und Inhalt seiner gedruckten Predigten, soweit wir sie kennen. G. L. Schmidt?) und Martin Saupe!) haben sich näher mit einigen beschäftigt und rühmen ihnen Anschaulichkeit und dem Verfasser Bibelkunde nach. Sprichwortartige Sätze, die Art der praktischen Bibel- auslegung, Klarheit und Kraft trotz mancher Schwerfällig- keiten und Schachtelungen im Satzbau kennzeichnen Aquilas Predigtweise. Damit dürfte sie heute noch vorbildlich sein “). Sehmidt irrt jedoch, wenn er Aquilas „Ein fröliche Trost- predig / für die sehr geengstigten gewissen / sie mutig und erquickt zu machen / aum Propheten Zephania etc.“ in die erste Zeit seines Aufenthalts zu Schmalkalden, „als er noch keine Anstellung hatte*, verlegt. Die Widmung dieser der Herzogin Katharina von Sachsen dargebrachten Predigt datiert

1) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27b. Die Amtsrechnung des Jahres 1551 bis 1552 (Februar 22) im Staatsarchiv zu Magdeburg (Rep. A 33 R Ib; die von 1550/51 ist nicht erhalten; die von 1519/50 nennt ihn nicht) führt 10 Malter Korn als Geschenk des Grafen auf. Stiftsrechnungen aus den Jahren haben sich leider nicht erhalten. Nach dem Kellereiregister von 1550 (G. H. A. IV A 2, 28) erhielt „der prediger M. C. Aquila^ seinen Martiniwein. Sonst ergibt sich nur aus der Rechnung, daß Aquila wiederholt zum Grafen fuhr nach Maßfeld, Zillbach und Schleusingen und in Wasungen war, wohl zu der Pfarrer- zusammenkunft, s. unten S. 17.

) Adler a. a. O. 218.

3) Prediger der Reformationszeit. 3. Caspar Aquila: Zeitschrift für praktische Theologie 3 (Frankfurt a. M. 1881), 124 ff.

*) Zwei Schriften Caspar Aquilas: Thüringer kirchliches Jahr- buch 19 (Altenburg 1914), 20ff. (Auslegung des 84. Psalms und Sermon vom Almosengeben).

5) Joh. Fenner, Mit welchen Mitteln können wir unsere Predigt volkstümlich gestalten? Die Dorfkirche 6 (Berlin 1913), Nr. 7, S. 289 fl. Das ausführlichste Verzeichnis seiner Schriften findet sich bei Schlegel a. a. O. 531ff, Vgl. auch Geisthirt a. a. O. 6, 58. Fr. W. Strieder, Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte 1 (Göttingen 1781), 109 ff. Adler a. a. O. 218.

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vom 6. Januar 1549, und Aquila nennt sich in ihr Pfarrer und Superintendent zu Saalfeld. Gedruckt ist sie allerdings erst 1550 durch den Apotheker Ciriacus Schnauß in Coburg (8% und Michael Lotther zu Magdeburg im gleichen Jahre!).

Aus Aquilas Schmalkalder Zeit ist zunächst zu nennen:

Ein nötig tröstlich vnnd recht Christlich gut gebeth / Gottes wort vnd seine Genad Trost Hilff vnd stercke / im Glauben bestendigkeit auch ein rechtgschaffenes guts leben mit aller seliger Wol farth zu erlangen. 1550

(Zu ehren) Dem Erbarn vnd wolweisen / herrn Johan Cleman Burgermeyster zu Schmalkalden eto.

Durch Mag. Gasparem Aquilam Pfarherrn im Stifft.?)

Der Bürgermeister Johann Clemen, dem die Predigt gewidmet ist, starb 15568). In demselben Jahr erschien:

Ein Sermon Die do lereth / einen rechttenn guten Christlichen wandel zufüren / in allerley Ständen Auß der ersten Epistel S. Peters am vierdten Capitel etc.

1) Beide Drucke in der Herzoglichen Öffentlichen Bibliothek zu Meiningen, der Coburger Druck auch in der Universitütsbibliothek Königsberg. Über seine Klage, daß niemand gegen das Interim etwas drucken wolle, vgl, Voigt a.a. O. 26: ,Magdeburg allein ist Gottes Christi Kanzellei."

2) Acht Blatt; am Ende: „Gedruckt in der Fürstlichenn Stadt Coburgk / dureh Ciriacum Schnauß Apotecker. 1550.“ In der Preuß. Staats-Bibliothek zu Berlin: Es 2410,

) C. Knetsch, Die Schmalkalder Stahlschmiede im 16. Jahr- hundert: Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landeskunde in Schmalkalden 16 (1911), Beilage IV, Stammtafel der Familie Clemen.

Durch Mag. Gasparem Aquilam Pfarherren im Stifft zu Schmalkalden etc. gepredigt am Donerstag nach Qua- simodogeniti / Anno düi. 1550)

Außer diesen gedruckten Arheiten verdient besondere Beachtung noch eine m. W. ungedruckte Abhandlung, die großes Aufsehen erregte und schließlich mit dazu beitrug, daß Aquila Schmalkalden wieder verließ.

Zu den Geistlichen, welche des Interims wegen heimat- los wurden, gehörte der oben schon genannte Bartholo- maeus Wolfhart, der aus Göttingen, wo er 1543—1548 als Diakonus an S. Johannis angestellt war, vertrieben, in Schleusingen Unterkunft gefunden hatte:). Als dann Aquila

1) 39 Blatt; am Ende: „Gedruckt in der Fürstlichenn Stadt Coburgk / durch Ciriacum Sehnauß Apotecker. 1550.“ In der Staats-Bibliotbek zu Berlin: E 2614. Gewidmet der Stadt Schmalkalden, besonders dem Bürgermeister Friedrich Wollnschlager. Am Ende des Textes: ,1550 M. Caspar Aquila ssßt 16. 7bris“. Andere Schriften aus der Schmalkalder Zeit (,Consolariae Praecationes Germanicae" und „Schöne Christliche Fragstücke für die junge Kindlein gestellet“ ...) nennt Schlegel a. a. O. 445 und 535. Nach freundlicher Mitteilung des Aus- kunftsbüros der Deutschen Bibliotheken in Berlin waren beide Schriften nicht zu ermitteln. Erstgenannte ist vielleicht gleichbedeutend mit der oben S. 7 erwähnten „Ein fröliche Trostpredig“, mit der anderen sind vermutlich die ,Kurtze aber zu unserer Seligkeit hochnóthige Fragstücke, der gantzen Christlichen Lehre^ gemeint, welche bei Joh. Gottl. Hillinger, Memoria Aquilina (Jena 1781) abgedruckt sind, aber laut Vorrede in das Jahr 1547 gehören. Die 1547 zuerst ausgegebene Erklärung des kleineren Katechismus von Aquila aus dem Jahre 1538 (Des kleinen || Catechismi || Erklerung / mit schó||nen Christlichen exem-;|peln vnd gewaltigen sprü-||chen der Heyligen || schrifft ..) ist abgedruckt bei Joh. Mich. Reu, Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600. Erster Teil: Quellen zur Geschichte des Katechismus-Unterriehts. II. Mitteldeutsche Katechismen. 2. Abtlg.: Texte (Gütersloh 1911), S. 178—203; vgl. dazu die historisch-biblio- graphische Einleitung, ebenda II, 1, 51* ff, auch über die „Kurtze / || aber zu vnser Selig-||keit hochnötige Fragestück / der || gantzen Christ- lichen || Lehr“ ... Nach Reu (S. 55*) gehört Aquilas Katechismus inhaltlich zu den besten der Reformationszeit.

2) Zuerst nachweisbar 1548 April 16 (Superintendens) und Mai 9 (bennebergischer Superintendent). Im erstgenannten Briefe an den

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die Gunst des Grafen fand, scheint Wolfhart in den Hinter- grund getreten zu sein, zumal seine Auffassung von der Handhabung der Kirchenzucht der Meinung Aquilas und seines Herrn Georg Ernst schroff gegenüberstand. Während Woifhart rücksichtslos von der Kanzel herab alle Mißstände, die ihm zu Ohren kamen, geißelte, vertrat Aquila den Grund- satz: Man soll niemand auf der Kanzel schelten, man habe ihn denn zuvor ermahnt). Dementsprechend verfaßte er seine

Getreue unterwey- sung vor die jungen pries- ter wie sie sich ihn ihrem

ambt mit straffung

der sunden recht gesch- affen haltten sollenn.

Jesus Siraeh ihm 10 Cap. Verdamme nymant, ehe du die sache zu- vor erkennest, darnach straffe.

Idem 19 cap. Hastu etwas gehort etc. sprich deinen nechstenn darumb ann, villeicht hat er es nicht gethann, boch nicht bald mit ihm, dann mann leugt gernn auff die leutt.

Die Abhandlung ist handschriftlich überliefert im Ge- meinschaftlichen Hennebergischen Archiv zu Meiningen ?) nebst einer unvollendeten Abschrift ohne die Einleitung von anderer Hand, die Aquilas Namen nebst dem Datum Mathie apostoli (Februar 24) trägt und als Druckmanuskript ange- sprochen werden kann. Ein zweites Stück befindet sich, wie schon W. Germann*) erwähnt hat, im Anhaltischen Haus- und Staatsarchiv zu Zerbst*) Letzteres ist von dem da- maligen hennebergischen Sekretär geschrieben und im Juli

Grafen Georg Ernst empfiehlt er eindringlich Luthers kleinen Kate- chismus, Meiningen, G. H. A. IV C I, 2 (Ehegerichtssachen). J. M. Reu a. a. O. II I, S. 197*, Anm. 1.

1) Vgl. Beilage 1, S. 25.

2) IV A 2, 27 b.

*) D. Johann Forster, Urkundenbuch, S. 98 Anm. 1.

) G. A. R. V, 195, Nr. a XXS, 47 Blätter, von denen 41 be- schrieben sind. Ebenda befindet sich im Panegyricus des Heinrich Basse von 1519 der Vermerk: „1556. Sum Gaspari Aquile epi. in Salf.“ Freundliche Mitteilungen des Zerbster Archivs.

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1552 dem Fürsten Georg von Anhalt überschickt worden !). Joh. M. Weinrich nennt aufer ihr einen „Getreuen Unter- richt, wie man sich bey Bestraffung der Sünden zu verhalten babe“ ), der inhaltlich mit der Getreuen Unterweisung, die er riehtig nennt, vollkommen tübereinzustimmen scheint, so daß es sich offenbar um ein und dieselbe Schrift handelt. Aus dem Inhalt sei als Probe der Anfang mitgeteilt; die Leser werden Joh. Voigts?) Urteil über Aquilas „Grob- schrötigkeit“ bestätigt finden:

„Got sagtt zu eynem yglichenn bischoff und pfarhern also:

[Am Rande: Hezechiel 3 u. 33 cap.] Ich hab dich zum wechter gesetzt uber das hause Israel, du solt aus meynem munde das wort hoeren und sie von meinet wegen warnen. Wenn ich dem gottlosen sage: du must des todes sterben und du warnest ihne nicht, damit sich der Gottlose vor sey- nem gottlosen wesen hute, auf das er lebendige bleybe, so wirdt der gottlose umb seiner sunde wiellen sterben, aber sein blut wil ieh von deiner handt fordern.

[Am Rande:] Merck das woll nicht aus des babst lugenmaul oder was ein reychstage beschleust zu lehren oder hohe potentaten gebirten zu glauben mit menschen, und es heist Math. 28: lehret sie halten alles was ich euch bevohlen hab, mit was bapst, concilia, ketzer gebirten, verpflucht sei ein engel im himel, der anderst lehret dan Christus gelehret bat. Galla. 1.

Do lerne ein iglicher prediger was doch eines wechters ambt sey, der auf dem thurn einer ganzen stadt allen scha- den mit seinem fleissigen umbsehen helfen verhuten. Ist das nicht die warheit, wann ein boser voller zapf bei der nacht sehreyt: Mordio, feurio, es brinndt. Dieser getreuer wechter wirdt ja nicht so baldt an die sturmglocken schlahen, ein geschrey machen mit einem feurigen strobranth, sonder er wird selbst fleyssig schauen und eigentlich erfahren, in weleher gassen, hause odder winkel das feuer loedert und sich gar nichts an das trunkene waschmaule kheren, er muß des ganz gewis sein. Darnach macht er erst ein geschrey und eroffnet den mordbrandt.

Also thue du pfarherr auch als der geistliche wechter, bolder nicht bald und mach ein geschrey von einem ubel- theter aus schlechtem hoersagen, erforsche es zuvor selbst woll und sey es gewiß oder erfahre es selbst vom sunder. Will er dann nicht ablassen, so du in heimlich hast gestrafft,

1) Zerbster Archiv a. a. O.

2) A. a. O. 279 ff. und 294f.

A. a. O. 17.

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so blas dann dein horn und erhebe deine pusaunen auf dem predigstull, dem offentlichen ubel und ergernisse zu steurn und wehren. [Am Rande: Jesiaia 58. Hoseae 8. cap.]

Die pfarhernn oder prediger sollenn nicht offentlich auf der cantzell einen mit namen frevenlich unerkanter sachen schelten, er hab in den zuvor heimlich angeredt und im sein irtbumb und sundt mit freuntlicher straff und ermanung an- geizeigt. Vielweniger sol er ein solchen one erkentnus der christlichen oberigkeit offentlich in bann thun und aus sun- derm neit flux dem teuffell ergeben.

‚Das ein pfarher schuldig ist, einen offentlichen sunder erstlich in der stille zwuschen in und ime zu straffen und fleyssig fragen, ob im also sey, wie die leut von ime waschen, derhalben soll der pharher nicht bald allen unnutzen wasch- meulern, afterkóhsern glauben, die gern den nechsten ver- leumbden. Solche verleumbder will der heilige David ihm 101. psalmo nicht neben ime dulden, er will sie vertilgen, so gebeut Salomonn in spruchen ahm 4. cap.: Thue von dir den verkerten mundt und lasse das lestermaul ferne von dir seyn. Es hat doch ein boes maul kein gluck auf erden: psalm 140.

Das solcher bericht wahr und recht sey, wollen wir solehs aus heiliger schrieft beweisen.“

Es folgt nun die aus der hl. Schrift reichlich gestützte Beweisführung, daß die Pfarrer auf der Kanzel nicht Über- eilt die Leute strafen und mit Namennennung sehelten sollen, bevor sie die Sünder ein- oder zweimal ermahnt und die tatsächlichen Verfehlungen festgestellt haben. Erst wenn der Sünder trotz Warnung von seinem Laster nicht absteht, darf der Pfarrer ihn öffentlich strafen und bannen: „als ein ver- giftet reudig scheffle aus der gemein stossen, das kein arzney noch rath oder hulfe wil dulden noch busse thun“. Bei allen, die „erimina non notoria“ begehen, d.h. solchen, denen nicht landrüchige und jedermann bekannte Vergehen nach- zuweisen sind, soll zunüchst eine Verwarnung eintreten. Zu den „notorischen Verbrechern“ gehören aber die Ketzer, der Papst und die Wiedertäufer. Gegen diese darf man öffent- lich loswettern, wie folgende Stelle dartun möge:

„Also du pfarrherr, du seyest bischof oder pfarrher, bib nicht so stolz, sag nicht so frevenlich, was geben mich die an, die von meinem predigstul weglaufen, verachten Gottes wort, die heyligen sacrament, ich will sie flux dem teufel ergeben. Nicht also, so lieb dir Got ist, sonder biD gütig und fein muterlich gegen einem solchen verlornen kindt, hoeret er dich, thut bub, nym in an Lucae am 15, wie der fromme vatter den verlornen sohn mit allen gnaden annahme.

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Gedenck du selbst bey dir, wie olt hat dich verlornes schaff der herr selbst gesucht mit seinem gnadenreychen wort, dich zu im berufft, da du armer sonst in die helle gelaufen und im tiefen ewigen tode versoffen wehrest. Also thu auch mit den armen verlornen sundern. Jhe nehr sie der helle und verdamnis seint, jhe mer du dich uber ir ver- damnis solt eriammern und allen fleis aukheren, wie du sie mochtest heylen und widerumb zu recht bringen.

Der liebe herr Jesus Christus unser getreur erzhirt und rechter bischoff beware uns seine arme scheffle bei reiner lahr zu weiden, erlose uns von den allervergiſtigsten interi- misten, sophisten, papisten, adiaphristen und falschen Christen, die itzo in schaffskleydern ires unreinen verfluchten innterim die arme liebe scheffle Christi wollen als mit todtlicher weide ermorden. Fur solchen reissenden wolfen behutt uns Gott sein kleines hertlein schaff in ewigkeit“

Ohne Zweifel waren Mißgriffe seitens einiger Geistlichen vorgekommen. Auf Grund von Klatschnachrichten sind un- schuldige Gemeindeglieder öffentlich durch die Pfarrer von der Kanzel herab bloßgestellt worden, so daß sich im Volk eine begreifliche Erregung gegen Kirche und Obrigkeit be- merkbar machte und das Vertrauen zu den Geistlichen schwand, zumal eine höhere Kirchenbehörde, ein Konsistorium, dem derartige Streitfälle hätten unterbreitet werden können, noeh nicht eingesetzt war. In den Kreisen der Pfarrer ent- stand natürlich erst recht Erbitterung, als einer ihrer Amts- genossen offenbare Schäden erbarmungslos aufdeckte und Anweisungen gab, die dem seitherigen Brauch zuwiderliefen.

Falsche Gerüchte über Aquilas Lehre drangen bis zu seiner Beschützerin, der Herzogin Elisabeth. Sie schickte ihren Amtmann Christoph Mengerhausen nach Schmalkalden, der über vier Punkte dem Reformator Vorhaltungen machen und ihm ein Büchlein zur Belehrung übermitteln sollte. Der erste Punkt betraf natürlich die von Aquila gehandhabte Kirchen- zucht, bei der Elisabeth die nötige Schärfe gegen die „Papisten“ vermißte. Ihrem Verlangen, am nächstfolgenden Sonntag auf der Kanzel eine öffentliche Erklärung abzugeben, entgegnete Aquila, daß diese nicht notwendig sei, da es männiglich bekannt sein dürfte, daB er bei jeder Gelegenheit die „Papisten“ anf das allerheftigste anzugreifen und zu schelten pflege. Ferner wünschte die Herzogin, daß jeder Streit und Zank uster den hennebergischen Geistlichen vermieden werden möchte. Daß Aquila zu diesem Vorwurf Anlaß gegeben haben sollte, bekümmerte ihn ganz besonders, da er sein Leben lang um Friede und Einigkeit bemüht war. Diese Friedens- liebe betonte er noch besonders gegenüber dem letzten

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Ansinnen seiner Fürstin, daß er vor allem mit dem Super- intendenten Bartholomaeus Wolfhart gut Freund sein solle. Mau darf hierbei nicht vergessen, daß eine gewisse Schuld auf Aquilas selbstherrisches Auftreten zurückzuführen ist, wie es sich 1546 bei seinen Streitigkeiten mit den Saalfelder Amtsbrüdern zeigte, wobei noch das Geld eine gewisse Rolle spielte.!) Die Verdächtigungen waren zu schwer, als daß Aquila mit ihrer Zurückweisung gegenüber Elisabeth sich hätte begnügen können. Er schrieb sofort an seine Landes- herren, die Grafen Wilhelm und Georg Ernst, gab ihnen seinen Kummer zu verstehen und bat sie, ihn bei der Fürstin zu entschuldigen: „Denn was ich geschrieben, gelert und gepredigt, das habe ich nie scheu getragen, sondern kan und wil es mit Gottes hülfe aus dem waren Gottes wort verantworten vor Gott, allen unparteyschen, versten- digen und guten christenmenschen“ ). In einem vertrau- lichen persönlichen Schreiben an Georg Ernst?) vertrat Aquila nochmals mit aller Deutlichkeit und Schärfe seinen Standpunkt und bat den Grafen, er möge seine Schwägerin auf den Inhalt seines Büchleins, das dieser offenbar noch nicht bekannt sei, hinweisen. Der Graf kam der Bitte seines Schutzlings nach und entschuldigte ihn“), billigte aber durch- aus die in der „Getreuen Unterweisung“ ausgesprochenen Gedanken, denn vom Standpunkt der „christlichen Obrigkeit“ mußte er der drohenden „Verachtung des ministerii“ ent- gegentreten “). Erhard Schnepf, Wolfgang Mülich u. a. stimmten ihm bei. Damit war die Angelegenheit nicht abgeschlossen, denn Georg Ernst wünschte sehnlichst Aquilas Schrift ge- druckt zu sehen. Mit der ihm eigenen Sorgfalt und Gründlich- keit bat er daher angesehene Theologen um ihre Gutachten.

Seit Anfang September 1550 war Justus Jonas im nahen Coburg. In den Herbst des folgenden Jahres wird ein undatierter Brief zu verlegen sein, der zwar nicht eigen- händig von ihm geschrieben und ohne Unterschrift versehen ist, aber in der Adresse unverkennbar die Sehriftzüge des Reformators verrät. Das Siegel mit dem Bild des Jonas, der dem Rachen eines Walfischs entsteigt, findet sich auch auf einer eigenhündig von Justus Jonas ausgestellten Quittung, die auf Schloß Landsberg bei Meiningen unter Glas und

1) Corpus reformatorum 6, Nr. 8112, S. 76ff.

*) Beilage 1, S. 25.

5) Beilage 2, S. 27,

4) Meiningen, G. H. A. I N 140 (1551 Juli 16 and 24).

5) Aufzeichnungen Glasers über Georg Ernsts Standpunkt in der Bannfrage, dem Aquila beistimmte: Meiningen, G. H. A. IV A 9, 27 b.

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Rahmen verwahrt wird!) (1917). Jonas spricht sich gegen den Druck der Schrift Aquilas aus; er meint, derartige Streitfälle sollten den Visitationen oder einem demnächst tu eröffnenden Konsistorium vorbehalten bleiben und be- fürchtet, die Auffassung könne Platz greifen, als ob die Obrigkeit dem heiligen Geist in sein Amt greifen wolle.?) Trotz seiner Gegnerschaft gegen das Interim war Jonas mit Melanchthon befreundet. Der gemeinsame Kampf gegen Osiander brachte die beiden noch näher zusammen?) und hat sicher auch engere Fühlung mit den hennebergischen Theologen zur Folge gehabt, denn er unterschrieb das be- kannte hennebergische Gutachten vom 5. Dezember 1551*). Ein diesem Gutachten vorausgehender Brief des Herzogs Albrecht von Preußen an Graf Georg Ernst vom 4. Oktober 1551 über Osianders Irrtümer trägt Aufzeichnungen von der Hand Aquilas in roter Tinte“). Dessen Mitwirkung in diesen Fragen steht also fest. Seine Mitarbeiterschaft an einer im Jahre 1551 entworfenen, aber nach Juncker nicht veröffentlichten Kirchen-, Schul- und Spitalordnung ist unwahrscheinlich 9). Es handelt sich offenbar um die vom Kanzler Sebastian Glaser entworfene Ordnung vom 19. Mai 1551, welche über das Vermógen der Kirehen, Sehulen und Spitüler, soweit es nicht zu weltlichen Zwecken verwendet wurde, und dessen Verwaltung Bestimmungen trifft‘), um der Verschleuderung des Kirchengutes vorzubeugen.

Etwa um dieselbe Zeit, als Justus Jonas wegen Aquilas Büchlein angegangen wurde, entschlossen sich die Grafen Wilhelm und Georg Ernst, Philipp Melanchthon ihr

!) Beilage 3b. S.31. 1) Beilage 3a. S. 30. 2) G. Kawerau, Der Briefwechsel des Justus Jonas 2 (Halle 1885, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen 17), LIIIff. Jonas starb als Superintendent in Eisfeld am 9. Oktober 1555, 5) Th. Pressel, Justus Jonas (Elberfeld 1862), 101. 5 Meiningen, G. H. A. IV B 2,3. *) Junckers Ehre a. a. O., Bl. 155 ff. ) Ungedruckt; bei Sehling a. a. O. 269 erwähnt; im G. H. A. IV C1,2, Bl. 109 fl. Gelegentlich (1550 Aug. 27) hören wir von Be- sprechungen Aquilas mit Elisabeth von Rochlitz wegen Verlegung der Schule vom Berg in das Augustinerkloster. Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großm., Nr. 66. Über die Schule vgl. W. Dersch, Kaspar Brusch als Schulmeister im Stift zu Schmalkalden, in der Ztschr. d. Vereins f. Henneberg. Gesch. u. Ldkde. in Schmal- kaldem 18 (1928), 34 fl. und die Frankfurter phil. Diss. v. W. Frank

1928.

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Anliegen vorzutragen). Veranlassung bot die von einigen Pfarrern leichtfertig geübte Verhängung des Kirchenbannes, so daß mancher vormittags auf eine unbegründete Anzeige hin öffentlich in den Bann erklärt wurde, nachmittags aber, nach- dem sich seine Unschuld nach gründlieher Untersuchung er- wiesen hatte, der Strafe wieder enthoben wurde. Dieses un- sichere und heftige Auftreten der Geistlichen drohte ver- hängnisvoll zu werden und manchem die neue Lehre, die vom Geist der Lindigkeit, der Geduld und Sanftmut beherrscht sein sollte wie es in dem Brief heißt —, verdächtig er- scheinen zu lassen. Bevor Melanchthon mit seinen Freunden über die „Getreue Unterweisung“ beraten konnte, riet er am 5. September 1551?) dem Grafen, nach sächsischem Muster ein Konsistorium (mit 5 Personen) für ehestreitize und straf- würdige Sachen einzurichten, denn das sei nützlicher als durch obrigkeitliche Befehle die Unordnung verhüten zu wollen. Am 30. November?) wiederholte er im Verein mit Johann Bugen- hagen und Georg Major diesen Rat und schickte das Büchlein zurück, von dem er zunächst nur urteilte, daß „darin viel christlicher Erinnerung“ sei. Die Anrichtung eines Konsisto- riums stand für ihn im Vordergrund; gelang es ihm, dafür die Grafen zu gewinnen, wurde der Druck des Büchleins von untergeordneter Bedeutung. Allerdings bedurfte ge- rade eine Reihe von Artikeln sorgfültiger Beratung. Am 12. Februar 1552 teilte Melanchthon nochmals seine und des Leipziger Predigers Erasmus Sarcerius Bedenken über Aquilas Schriftehen dem Grafen Wilhelm mit*) Aquila erhielt den Brief zur Verantwortung und äußerte sich zu den einzelnen Punkten in Randbemerkungen, die in dem Satz gipfelten: „Trotz sei allen Porten der Höllen“. Den ihm gemachten Vorwurf, daß er keinen Unterschied kenne zwischen „crimina notoria“ und „crimina von notoria“, beantwortete er mit dem Ausruf: „Beweiset das, lieben Herren, so Ihr das könnt, sollt

1) Beilage 4, 8.31. Auszug bei Weinrich a. a. O. 295. Sehling a. a. O. 272. Vgl. A. Human, Die Reformation in Kirche und Schule des Herzogtums S.-Meiningen, Leipzig 1917 (Die Reformation und ihre Wirkung in Ernestinischen Landen. Gedenkblätter zur Jubelfeier der Reformation, hrsg. v. Oberhofprediger G. Scholz-Gotha, Bd. 3), 8. 11f. (Melanchthons Beziehungen zum Meininger Land).

2) Corpus reformatorum 7, Nr. 5801. Melanchthons Briefwechsel mit Aquila ist verzeichnet ebenda im Indexband (10), Sp. 834.

3) Ebenda 7, 5302. Weinrich a. a. O. 279ff. 294f. Sehling a. a. O. 272.

*) Corpus reformatorum 7, Nr. 5067; vollstündig und verbessert im Anhang als Nr, 5803. Meiningen, G. H. A. IV C 8, 12,

17 17

mein Antwort hören aufs allerbest, zu Gottes Lob und zu Trost der lieben Kirchen“. Gegenüber Melanchthons Hin- weis, daß ein offenkundiger Ehebrecher vom Sakrament aus- geschlossen werde, bemerkt Aquila: „Das haben wir vor 40 Jahren sämptlich gethan, ohn alle Scheu, Gott sey Lob“. Aquila war überzeugt, daß seine Ausführungen recht deutlich zwischen offenen und heimlichen, ungewissen Lastern unter- schieden, und konnte sich auf das Urteil des Victorinus Striegel berufen, der ihm durchaus beistimmte.

Das „Gezänk“ zwischen den Predigern ging fort, ob- wohl Aqaila es ausdrücklich bestritt, und verlangte eine kräftige Hand, die eingreifen konnte. Selbst Georg Ernst hat damals den Druck des Büchleins nieht mehr befürworten wollen, als er auf einer nach Wasungen einberufenen Zu- sammenkunft aller Geistlichen feststellen mußte, daß eine Einigung nicht zu erzielen war, und gerade der erste Geist- liche des Landes, der Superintendent Bartholomaeus Wolfhart in Sehleusingen, sieh vornehmlich betroffen fühlte.

Im Sommer erhielt Fürst Georg von Anhalt, der Bischof von Merseburg, das Büchlein zur Begutachtung. Er sprach sich für den Druck aus, tadelte aber das unvorsichtige Auftreten der unbescheidenen, jungen Geistlichen, welche die Lehren der von ihnen Bekämpften nicht einmal selbst kannten. Die Adiaphoristen, nach denen die Kreatur mit Gott wesens- ein sein soll, und die nach Aquilas Meinung den Papisten zu viel einräumten!), wollte er als Sekte nicht gelten lassen und schlug vor, statt „Adiaphoristen“: „Antiadiaphoristen“ zu schreiben. Georg Ernst stimmte dieser Auffassung voll- kommen bei und äußerte die Absicht, das schon lange empfohlene Konsistorium ins Leben zu rufen?) Tatsächlich kam es aber erst im Jahre 1574 zu dieser Verfassungs- änderung, indem an Stelle des Superintendenten mit den Zugeordneten“ oder der Visitationskommissionen, der stän- dige Kirchenrat oder das Konsistorium trat).

Die „Getreue Unterweisung“ scheint nie gedruckt worden zu sein; sie hat aber dazu beigetragen, daB die henne-

1) Voigt a. a. O. 26f.

3, Meiningen, G. H. A. I Q 14: 1552 Juli 13; das Konzept im Haus- und Staatsarchiv zu Zerbst (G. A. R. V, 195, Nr. a XX) datiert vom 7. Juli; Georg Ernst antwortete am 25. Juli. Über die Bedeutung Georga von Anhalt für die evangelische Kirchengesetzgebung vgl. E. Sehling a. a. O. I 2, 500ff.

9) Sehling a. a. O. 272ff. Sehling, Geschichte der protestan- tischen Kirchenverfassung (Meisters Grundriß der Geschichtawissen- schaft I[ 8, 2. Auflage 1914), 17 f.

Archiv für Reformationsgeschiohte. XXII. 1. 2

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bergischen Grafen die Errichtung eines Konsistoriums ins Auge faßten und die Superintendenten später eine Erklärung abgaben, derzufolge alle öffentlich lautbaren (notorischen) Sünder von dem Pfarrer nicht öffentlich auf der Kanzel mit Namennennung oder Ándeutung gebannt, sondern zuvor vermahnt werden sollten und kein Pfarrer eigenmächtig ohne Erkenntnis eines ordentlichen Konsistoriums den Bann aussprechen dürfe!). Hand in Hand mit den darum geführten Besprechungen ging die Frage der Besetzung des Super- intendentenpostens.

Wolfbart plante schon im Frübjahr sein Amt anfzugeben, lieb sich aber noch länger halten“). Aquilas Stellung war gegenüber seinen Amtsbrüdern schwierig geworden, so daß er trotz der Stütze, die ihm sein Landesherr bot, gern die Gelegenheit ergriff, Schmalkalden und seinen hennebergischen Dienst zu verlassen, als im Juni 1552 Herzog Johann Friedrich d. M. von Sachsen mit ihm verhandelte wegen seiner Rückkehr nach Saalfeld*). Die Rückkehr verzögerte sich bis in den Herbst. Zuvor bat er den Hofprediger seines Herrn, den Mag. Philipp Hermann, mit dem er schon in Untermaßfeld zusammengewesen war, um ein Zeugnis über seine Amtsführung. Von Wolfhart verabschiedete er sich schriftlich in aufrichtiger Versóhnlichkeit*). Wolfhart hatte nach wie vor die Mehrzahl der Geistlichen auf seiner Seite; er verlangte von ihnen aber auch Gehorsam; so begehrte er, daß die Pfarrer der ganzen Herrschaft ihre gottesdienstlichen Ordnungen nach dem Brauch in der Hauptpfarre Schleusingen einrichten sollten). Er wußte es vor seinem Gewissen zu verantworten, wenn er auf der Kanzel öffentlich den Kirchen- bann aussprach®). Am 27. September hielt Aquila seine Ab- schiedspredigt über Paulus Ephes. 5 und Apostelgeschichte 20 7); in einem Vierspänner, von etlichen Wagen begleitet, die den Hausrat aufnahmen, fuhr er mit Weib und Kindern nach Saal- feld zurück.

1) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27b (undatiert).

) Germann, Forster, Urkundenbuch S. 52ff.

5 Fr. Küch, Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 78, Leipzig 1904), Nr. 66. 9. 53.

) Schlegel a. a. O. 471f. (Wolfhart „totius Hennebergensium principum ducatus summus inspector*).

5) Sehling, Kirchenordnungen I 2, 355.

*) Meiningen, G. H. A. IV A 2, 97b, Brief an Sebastian Glaser 1552 Juli 18.

7) Geisthirt a. a. O. 2, 79.

Pd

19 19

W. Germann behauptet!), daß Wolfhart als Nachfolger Aquilas für Schmalkalden ausersehen gewesen sei; doch er- seheint dieser Wechsel nach dem Gesagten unwahrscheinlich. Wolfhart ging erst 1555 nach Hannover, Cyriakus Spangen- berg erzählt aber gelegentlich seines Besuchs in Schleusingen am 12. Mai 1552, daß er als Nachfolger Aquilas oder Wolf- harts in Betracht gekommen sei“). Die Nachricht beweist, da man schon im Mai auch mit Aquilas Scheiden rechnete. Genaueres erfahren wir aus dem Briefwechsel des Grafen mit Melanchthon, der im Juli mit Johann Forster sich be- sprach®) und als Superintendenten den Mag. Laurentius Kulich*) (Ruelichen) und den Pfarrer in Kal be“) vor- schlug. Zwei Monate später konnte Melanehthon mit einer Auswahlliste aufwarten®); der Kanzler Glaser sollte über die einzelnen Persönlichkeiten nähere Auskunft geben. Für das Superintendentenamt in Schmalkalden oder Schleusingen schien ihm am geeignetsten Justus Menius), doch kam dieser kaum in Frage, da die Herzöge von Sachsen ihn be- balten wollten. Weiter empfahl er Philipp Hermann ( oben S. 18) sowie Mag. Bartholomaeus [Wolfhart] und Eichhorn, von denen einer für die Pfarrei in Schmalkalden passend sei. Auf einem beiliegenden Zettel standen noch zuoberst Christophorus Piscator (Fischer) aus Joachimsthal, der ungefähr gleichaltrig mit dem Kanzler und diesem wohlbekannt, aber zu jung war,

3) Germann, Forster 52ff,

*| Hennebergische Chronica 261 f,

3) Corpus reformatorum 7, Nr. 5146 (1552 Juli 6).

*) Aus Jüterbog. 1551 Lehrer an der Schule S. Afra in Meißen, vgl. Corpns reformatorum 7, 871; Gg. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch 1537—1560 (Leipzig 1894), Nr. 1525 und in den Beiträgen zur sächsischen Kirchengeschichte 11 (Leipzig 1896), 44 uad 12, 83.

5) Calbe an der Saale oder Calbe an der Milde?

) Corpus reformatorum 7, Nr. 5196 (1552 September 8).

*) Geb. 1199 in Fulda, 1529 Pfarrer in Eisenach, 1546 Super- iatendent in Gotha, starb 1558 in Leipzig. Ein Brief von ihm an Graf Georg Ernst von 1552 Aug. 18 unter Nr. 304 der Urkunden des Melanchthonhauses in Bretten, erwähnt im A RG 19 (1922), 58.

*) Jodocus Eichhorn aus Arnstadt, 1551 und 1552 Diaconus unter Wolthart in Schleusingen. Joh. Gg. Eck, Biographische und littera- rische Nachrichten von den Predigern im Kurfürstlich - Sächsischen Antheile der gefürsteten Grafschaft Henneberg seit der Reformation, Leipzig 1802, S. 22, 116. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch, Nr. 773.

9%

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und der Pastor von Hainichen!), der gleichfalls Glaser bekannt sein sollte, dessen sich aber dieser nicht erinnern konnte. Das Gleiche galt für den Mag. Matthias Elbing Prutenus’), der für die Pfarrei vorgeschlagen wurde. Als Superintendent schien geeignet der Diakon in Lucka?) Forstius aus Koburg, für eine Diakonatstelle Lau - rentius Rubosius. Glaser kannte von den auf der Vorschlagsliste Stehenden nur Fischer und teilte Georg Ernst seine Bedenken wegen dessen Jugend -— er war 1524 ge- boren mit*). Gleichzeitig baten die Grafen den Dom- propst von Magdeburg und Meißen, Fürsten Georg von An- halt, mit Melanchthon sich zu besprechen wegen „eines an- sehenlichen, betagten, geübten, erfarnen, gelerten und gots- fürchtigen mannes, der allen andern unsern theologen mit lehr, leben und wandel vorgehe“. Am 29. September reiste Fischer mit den besten Empfehlungen an Glaser und die Grafen naeh Schleusingen ab). Melanchthon urteilte über ihn: ,Fuit eius gubernatio in ecclesiis, quas docuit, tran- quilla, et spero, salutarem vestris ecelesiis fore; est enim recte eruditus, et mores sunt bonesti, nee amat tribunitios clamores“. Der tugendsamen Hausfrau, der Tochter Paul Knods, der in

!) Kr. Delitzsch bei Wittenberg. 1543 war Leonhard Wagner dahin berufen worden. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch Nr, 474,

?) Rutenus?

) Sachsen- Altenburg.

4) Meiningen, G. H. A. IV B 2, 1 (1552 September 21). Gg. Brückner in den Neuen Beitrügen zur Geschichte deutschen Alter- tums 2 (1863), 28. Er schreibt sich: Christoph Vischer (Meiningen, G. H. A. IV C3, 12). Sein Bild findet sich auf dem ersten Blatt seiner 1573 bei Michel Kröner in Schmalkalden gedruckten „Auslegung der Fünff Heubtstück des heiligen Catechismi / gestellet und geprediget durch M. Christofferum Vischer / Hennebergischen Superintendenten / und Pfarberrn zu Meiningen“ mit der Umschrift: Christophorus Fische- rus aetatis anno XLIX. Das Buch war auch im Besitz der Gräfin Elisabeth, Georg Ernsts Gemahlin, geb. Herzogin von Württemberg: Meiningen, G. H. A. I G 105 (Bücherverzeichnis). Über Fischer vgl. neuerdings Rud, Steinmetz, Die Generalsuperintendenten von Lüne- burg-Celle, in der Zeitschrift der Gesellschaft für niedersüchsische Kirchengeschichte 20 (Braunschweig 1915), 47ff. und dazu die er- gänzende Besprechung vou G. Bossert in der Theologischen Literatur- zeitung 41 (1916), Nr. 24, Sp. 520.

5) Corpus reformatorum 7, Nr. 5214 und 5213. Daß er 1552 Superintendent in Schmalkalden wurde, wie Brückner a. a, O. sagt, ist nicht zu erweisen. Vgl. unten S. 24.

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Kurfürst Friedrichs Kanzlei tätig war, wird besonders ge- dacht, Da Melanchthon die Besetzung der Superintendentur nicht für eilig hielt, war er damit einverstanden, wenn Fischer als Pfarrer in hennebergische Dienste trat!) Wegen eines Superintendenten einigte Melanchthon sich mit Georg son Anhalt auf den schon genannten aus Westfalen stammen- den Pfarrer Christophorus Wusthofen in Hainichen bei Wittenberg?). ]n der ersten Novemberwoche reiste dieser nach Henneberg. Melanchthon rühmte ihn als verständigen, gelehrten und gottesfürchtigen Mann und wußte an ihm nur zu tadeln, daß seine Stimme etwas dunkel sei; als Super- intendent schiene er besonders geeignet zu sein. Die Er- richtung des Konsistoriums wurde aufs neue für nützlich empfohlen“).

Fischer war in Henneberg geblieben und hat vermutlich

sofort Aquilas Stelle in Schmalkalden angetreten“). Melanch-

1) Corpus reformatorum 7, Nr. 5220 (1552 Oktober 3). Fischer hatte achon als Pfarrer zu Bensen die Hauptpunkte der christlichen Lehre in Fragestücken zusammengestellt und auf Anraten vieler Leute 1553 bei Jakob Berwald in Leipzig ,Ein Auszug || vnnd Begriff des beili- gen Christlichen Glaubens / || auff kurtze Frag vnd Ant-||wort gestelt . . .^ drucken lassen. Das Büchlein hat sicher bei seiner Visi- tation der Grafschaft Henneberg eine Rolle gespielt, denn es wurde 1556 und 1558 neubearbeitet wieder aufgelegt ala , Summa der || Christ- lichen Lehre / für || die einfeltigen^ ... und ist abgedruckt bei J. M. Ren a. a. O. (s. oben S. 9) II 2, 263 ff., vgl. ebenda II I, 191 * tf, Über seine pädagogische Bedeutung vgl. Hans Heim, Fürstenerziehung im 16, Jahrhundert. Würzburger phil. Dissertation 1918, S. 7 ff. Literatur über ihn zusammengestellt in den Theologischen Studien u. Kritiken 1910, S. 376 u. 1912, S. 605.

1) Meiningen, G. H. A. [V B2, 1 (1552 Oktober 8, Georg v. An- halt an die Grafen), Corpus reformatorum 7, Nr. 5252 (1559 Oktober 28, Melanchthon an die Grafen).

3) Corpus reformatorum 7, 5252, 5253 und 5254. Auch für die Kirche in Rosa versprach Melanchthon einen jungen, tüchtigen Mann namhaft zu machen. Es war vermutlich Johannes Heller aus Nürn- berg, der die dortige Pfarrei von 1552—1554 versah. Gg. Brückner, Pfarrbuch der Diócesen Meiningen, Wasungen und Salzungen (Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums 2, Meiningen 1863), 489 f Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch, Nr. 1826 (1552 Novem- ber 30). Vgl. auch A. Human a. a. O. S. 11f.

4) Als Pfarrer zu Schmalkalden bezeugt 1554 März 7: K. G. Dietmann, Kurzgefaßte Kirchen- und Schulgeschichte der gefürsteten Grafschaft Henneberg Kurfürstlich-Sächsischen Anteils (Gotha 1781), 31; als Pfarrer am Stift 1554 März 31: Meiningen, G. H. A. IV A 2, 27 b.

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thon versäumte nicht, darüber seinen Dank zum Ausdruck zu bringen; er hoffte zuversichtlich, daß er sein Amt gut versehen werde und seine Milde (modestia, Lindigkeit) allen Einrichtungen willkommen sein werde. Von Wusthofen fehlen nähere Nachrichten. Er scheint nicht längeren Aufenthalt oder gar die Stelle eines Superintendenten genommen zu haben.

Abgesehen von der Widmung des 6. Bandes der deutschen Werke Martin Luthers durch Melanchthon an die henneber- gischen Grafen Wilbelm und Georg Ernst am 1. Januar 1553 !) und einer in diese Zeit anzusetzenden Zusammenkunft Georg Ernsts mit Melanehthon?), über die nichts Näheres überliefert isí, sind fast ein Jahr lang Beziehungen zu dem Reformator nicht nachzuweisen. Nachdem Wusthofen die Superintendentur abgelehnt hatte, wie wir annehmen müssen, versuchte Georg Ernst den Antonius Corvinus, den treuen Berater seiner Schwiegermutter Elisabeth von Braunschweig und Schwieger- vater seines Leibarztes Burkhard Mithobius, für dieses Amt zu gewinnen). Bereits im Mai und Juni 1552, als Corvinus noch gefangen auf dem Kalenberg saß, hatte die Herzogin Elisa- beth ihre hennebergischen Verwandten veranlaßt, für den armen Gefangenen ein Wort einzulegen“). Am 21. Oktober erschien Herzog Erich im Gefängnis und schenkte Corvinus und seinem Leidensgefährten Mag. Walther Höcker die Frei- heit. Der Tod des in dreijähriger Haft gebrochenen Refor- mators vereitelte Georg Ernsts Pläne, den erprobteu Organi- sator für sein Land zu gewinnen. Im Oktober 1553 wandte sich daher der Graf aufs neue an Melanchthon, um sich nach dem damaligen Pfarrer von Pegau in Sachsen Lie. Konrad Muselius (richtiger Musculus-Mäusel) zu erkundigen. In der gleichen Angelegenheit bat er Melanchthons Freund, den Leipziger Theologieprofessor Dr. Erasmus Sarcerius*)

1) Corpus reformatorum 8, 1ff.

2) S. Beilage 5, unten S. 33 zu Anfang des Briefs.

3) Briefe des Grafen an Melanchthon und Erasmus Sarcerius; ab- gedruckt als Beilagen 6 und 7. Die Briefe Melanchthons sind im Archiv nicht mehr aufzufinden und offenbar einem Handschriftenlieb- haber zum Opfer gefallen, der sich auch nicht gescheut hat, Brief- stellen, in denen von Luther die Rede war, mit der Schere auszu- schneiden und wohl zu veräußern, z. B. I N 102.

) Meiningen, G. H. A. I N 134, 152 (Briefwechsel Boppos und Elisabeths mit den Grafen Wilhelm und Georg Ernst 1549—1552; Aufschriften von der Hand Aquilas beweisen, daß diesem die Akten vorgelegen haben).

5) Corpus reformatorum 7, Nr. 4580 (Melanchthon befürwortete 1549 den Druck seiner Predigten). 1501 in Annaberg geboren, Refor-

23 2.3

(Schürer), den Lehrer des Konrad Musculus, um dessen Hat Sareerius selbst hatte abgelehnt, einem Ruf iu die Herr- schaft Henneberg zu folgen, und war als Superintendent nach Eisleben gegangen. Die Antworten der beiden Gelehrten: sind leider nicht mehr bei den Akten. Wir erfahren nichts von Mäusels Ablehnung').

Das folgende Jahr verging, ohne daß Georg Ernst einen Saperintendenten gewinnen konnte. Auch zur Berufung eines Konsistoriums konnte er sich noch nicht entschließen, obwohl dieses Melanchthons stete Sorge war. So riet dieser im No- vember 1554?) dem Rat der Stadt Regensburg zum Kon- sistorium und berief sich dabei auf denselben dem Grafen ron Henneberg vor 3 Jahren erteilten Ratschlag. Im Kon- sistorium, wo offenkundige Vergehen, aber auch Wucher- angelegenheiten ihre Sühne finden sollten, erblickte er das wirksanıste Mittel, um den aus den privaten Bannverhän- gungen eines jeden Pfarrers entstehenden Unstimmigkeiten erfolgreich und gerecht begegnen zu können. Das iótodovAsé«» bezeichnete er in einem Brief an Christoph Fischer geradezu als gefährlich). Aufs Neue drängte er dahin, daß die Henne- berger das Konsistorium ins Leben riefen und wünschte zu diesem Zweck sich mit Fischer mündlich zu besprechen“). Aus der Adresse dieses Briefes geht hervor, daß Melanch- thon in Fischer tatsächlich schon damals den Superinten- denten der Grafschaft erblickte (gubernanti ecclesiam Dei in ditione . . ).

Drei Jahre waren inzwischen vergangen, seitdem Fischers Wahl zum Superintendenten wegen seiner Jugend Bedenken

mator in Nassau, 1549 an S. Thomas in Leipzig, 1553—1559 Super- intendent der Grafschaft Mansfeld in Eisleben, starb 1559 in Magde- burg. Vgl. Max Könnecke, Die evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts in der Grafschaft Mansfeld Il: Mansfelder Blätter 12 (Eisleben 1898), 54 ff. RE? 17, 483 f. W. Diehl, Reformationsbuch der ev. Pfarreien des Großherzogtums Hessen (Friedberg 1917), 295. G. Wolf, Quellenkunde der deutschen Reformationsgesch. II 2 (Gotha 1922), 166 fl.

1; Musculus war seit Januar 1553 Pastor und dann erster Super- intendent in Pegau, wo er 1565 starb. K. G. Dietmann, Die ge- samte der ungeünderten Augsp. Confeßion zugethane Priesterschaft in dem Churfürstenthum Sachsen I 3 (Dresden und Leipzig 1754), 457.

2) Corpus reformatorum 8, 369 ff. Nr. 5683.

) Ebenda 8, Nr. 5767 (1555 April 12); vgl. auch den Brief vom 9. Januar 1556, ebenda 8, 5912.

) K. Müller, Die Anfänge der Konsistorial verfassung im luthe- rischen Deutschland: Historische Zeitsehrift 102 (1909), 19.

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erregt hatte. Verhandlungen mit anderen hatten zu keinem Abschluß geführt. Fischer hat gewiß in diesen Jahren die Erwartungen, welche man auf ihn setzte, nicht betrogen, so daß nichts näher lag, als nunmehr dem Jugendlichen, weil er eben tüchtig war, das verantwortungsvolle Amt des Super- intendenten zu übertragen. Die eigentliche Bestallung als Dechant des Stifts in Schmalkalden und Superintendent der ganzen Herrschaft erfolgte durch Urkunde vom 27. Juni 1555). Die Ernennung hat manchen verstimmt. Mancher verließ seine Pfarrei, wie der Herrenbreitunger Pfarrer Valentin Herz, der aus seiner neuen Stellung in Pforzheim später (1557) bei dem hennebergischen Sekretär Johann Heinkel bittere Klagen führte über Fischers Schärfe und rücksichtsloses Auftreten gegenüber vielen, die mehr Lebenserfahrung gehabt hätten als er“).

Das große Werk der Kirchenvisitation, das er im Herbst des Jahres 1555 unternahm, sichert ihm dauernd neben Johann Forster die erste Stelle unter den Reformatoren Hennebergs. Forster mußte 1546 (1547) gehen, weil er einen offenkundigen Mörder aus der Gemeinschaft der Kirche entfernt und Georg Ernst darin einen Ubergriff auf das Gebiet seiner landes- herrlichen Macht erblickt hatte®). Auch Forsters Nachfolger Wolfhart machte durch unerbittliche Strenge viele sich zu Feinden, behauptete aber doch in dem Streit mit Aquila das Feld, bis er 1555 nach Hannover ging. Sowohl Forster als auch Wolfhart und Fischer mußten notwendigerweise mit ihrem Landesherrn in Gegensatz kommen, denn dieser war aufs peinlichste bedacht, seine landesherrliche Stellung zu wahren, erblickte er doch in einem Konsistorium mit weit- gehender Zuständigkeit eine Beeinträchtigung seiner welt- lichen Obrigkeit, obwohl er persönlich nicht einmal Be- denken trug, sich als Christ seinem Kirchenrat unter-

1) Meiningen, G. H. A. IV C3, 12. In den Ehegerichtsproto- kollen erscheint seine Hand erstmalig am 20. Juni 1555, ebenda IV C 1,2, Bl. 621.

*) Ebenda IV B 2, 14b. Ein Brief von ihm an den hennebergischen Kanzler Sebastian Glaser (1549 Mai 13) über Melanchthon und das Leipziger Interim abgedruckt von W. Dersch im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte u. Altertumskunde 39, 151f.

) Germann, Johann Forster 455. Mitbestimmend für Forsters Weggang wurde vor allem der Fortfall seiner Besoldung (200 fl.), welche ihm nicht mehr gewührt werden konnte infolge der traurigen Finanzlage der Henneberger. E. Ausfeld, Hof und Haushaltung der letzten Grafen von Henneberg (Neujahrsblütter der Historischen Kom- mission der Provinz Sachsen 23, Halle 1901), 29ff.

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mordnen!). Kaspar Aquilas Aufenthalt in der Umgebung des Grafen ist für dessen Anschauungen zweifellos mitbe- simmend gewesen, sowohl hinsichtlich des Kirchenzncht- begriffs als auch in Bezug auf die Vorbereitung und Ein- riehtung des Konsistoriums. Wer einmal die Geschichte der Kirchenvisitationen und des Konsistoriums in Henneberg zu schreiben unternimmt, wird daher zu achten haben auf die Zeit von 1548— 1552, in denen Kaspar Aquila seinem verstándnisvollen Fürsten fruchtbringende Gedanken über die künftige Gestaltung der Landeskirche einzugeben ver- standen hat.

1. [Kaspar Aquila] an die Grafen Wilhelm und Georg Ernst von Henneberg. [1551 Mai.]

Gottes gnade und friede in Christo Jesu amen. Hoch- geborne fursten, e. f. g. seint mein unterthenige willige dienst und embsigs gebeth gegen Got zuvor. Gnedige herrn, e. f. g. kan ich untertheniglichen mit betrubtem gemuet unangezeigt nicht lassen, das umb den tage Philippi und Jacobi [Mai 1] ungeverlich die durchleuchtige hochgeborne furstin und frau, frau Elisabeth, geborne marggrevin zu Brandenburgk, grevin und frau zu Hennenbergk, mein gnedige furstin, irer f. g. diener magister Christoffel Mengerschhausen bei mir zu Sehmalkalden gehabt, welcher mir ein credenz von irer f. g. wegen uberanthwortet und angezeigt.

Erstlich es weher hochgedachter seiner gnedigen furstin glaublich angezeigt worden, ich habe uff der canzeln offent- lich gepredigt, mann solte nymant uff der canzeln schelten und mit nahmen nennen, er sey dann zuvor ermahnet.

Zum andern, wohe sichs dermassen erhielt, wehre daraus abzunehmen, das icb nur ein evangelions- und kein gesetz- prediger sein muste und wurde mit der weyse ervolgen, das man auch die papisten nicht angreifen odder ir verdamblich leben straffen dorft. Damit ich aber bekennen und fur billich und notwendig achten muste, das man offentliche laster, sonderlich das bapstumb, billich straffte, liessen mir ire f. g. ein buchlein, dasselbig zu verlesen, durch i. f. g. gesandten zustellen, welchs ich mit ganzem fleys durchsehen und iren

) Sehling, Kirchenverfassung 20, 24. Vgl. die Stellung Land- graf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Kirchenbann bei Fr. Küch in der Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 38 (Kassel 1904), 247 ff.

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f. g. mein gutbedunken darneben, und was die rechte meinunge desselben seye, untertheniglichen zugeschrieben, der unge- zweifelten hoffnung, ire f. g. werden mir gnediglichen beifall geben. Ich solte auch nach beschehener werbunge uff der canzel den nechsten sontage mich erkleren, wie ichs mit deme gemeint, da ich gesagt, man solte unermant nymant offentlich bald schelten, damit es nicht von etlichen dahin gedeutet werden mocht, als soltt man die papisten nicht schelten. Darauf ich auch antwort geben, es sey solcher erklerunge nicht von noeten, dann je kunth und wissentlich ist, welchermassen ich, wenn es die gelegenheit und der text gibt, die papisten uff das allerheftigst anzugreifen und zu schelten pflege.

Zum dritten liessen mir ire f. g. anzeigen: Nachdeme ire f. g. je nicht gern wolten, das sich zwispalt der lehre und hader odder zangk unter den predigern ihn der loblichen herschaft Hennenbergk erregen soltt, wehre ihren f. g. gnedigs begeren, ich solte zu keinem zwispalt, hader odder zanck ursach geben, sondern vielmehr darfur seyn und solche mit fleys verhuten helfen. Wiewol ich mich nuhn gnediger fursten und herrn die zeit meins lebens friedens und eynig- keit hochstes vermogens befliessen und mich dessen noch zu befleyssigen gedenk, weil mir Got das leben fristet, so bekhummert mich doch seer hoch, das ich ihn meinem alter allererst ihn verdacht khommen soll, dessen ich mein leben lang uberig und demselben allwege zuwidder gewesen.

Zum vierdten zeigt mir gemelter Mengerschhausen aus- truchlich an, ich soltt mir ja sonderlich den superintendenten bevohlen sein lassen, magistro Bartholmeo Wolffarten, mich freuntlich gegen demselben erzeigen und ja keinen unwillen zwuschen uns beiden einwurzeln und aufwachsen lassen, son- dern solten einig und gute freunde sein. Darauf hab ich i. f. g. angezeigt, das ich ir nicht lust zu unwillen, hadder und zangk trage, sondern allwege dieselbige vermeyden und einigkeit gern erhalten helfe. Und wiewol ich der unter- thenigen zuversicht zu gedachter meiner gnedigen furstin bin, ire f. g. werden aus meiner gethanen veranthwortung soviel verstanden haben, das ir f. g. der boesen leut antragen verner nieht stadt und glauben geben werden, sondern vielmehr mich aus dem verdacht, als soltt ich zwispalt ihn der lehre etc. anrichten, gnediglichen khommen lassen, so habe ich uff die schwere, ungegrundte und verdrießliche anzeige, die zuforderst Gottes eher und demnach mein ambt ruhren, nicht unter- lassen konnen, solch mein groß bekhommernus e. f. g. unter- theniglichen wissen zu lassen. Und bitt derhalben unter- theniglichen e. f, g. wollen mich gegen hochgenanter m. g. f.

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debhalben fleissig entschuldigen, dann mir je, wie gemeltt, solehs unverschuldter ding und ganz felschlich zugemessen wirdet. Das werden mir gewißlich meine offentliche im track ausgegangene schriften, desgleichen alle fromme, un- parteysche leut, die mein predig teglich gehort, vor dem richterstuel Jesu Christi ahm jungsten tage zeugnus geben. Dann was ich geschrieben, gelert und gepredigt, das habe ich nie scheu getragen, sondern kan und wil es mit Gottes halfe aus dem waren Gottes wort veranthworten vor Gott, allen unparteyschen, verstendigen und guten christenmenschen. Nochmals untertheniglich bittende e. f. g. wollen darob, das ih e. f. g. hiemit bemuhe, kein ungefallen haben, sondern ihn erwegung, das es nicht ein gerings anlangt, sich hierinne znediglieh und gutwillig erzeigen, weyl ich solch mein an- lgen anderst nymant, dann allein e. f. g. als meiner ordent- iichen obrigkeit anzuzeigen gewust. Das wird der allmech- tige Gott, dem aller herzen heimligkeit offenbar, e. f. g. hie auf diesem jammerthal mit zeitlicher wolfart und dort her- nach mit dem ewigen leben belohnen. Das wolt ich e. f. g. aus hober notwendigkeit unangezeigt nicht lassen, unterthenig bittende, e. f. g. wollen mich ob oftgedachte m. g. furstin ihn deme mieh entschuldigt halten, widderumb gnediglichen verstendigen. Das bin ich umb e. f. g. untertheniglichen zu verdienen schuldig und willig. Datum.

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A2, 27b (Abschrift).

2. Kaspar Aquila an Graf Georg Ernst von Henneberg. 1551 Juni 26.

Gottes gnad und fried in Christo Jhesu amen. Hoch- geborner fürst, gnediger herr, mein ganz willigen dinst und seer herzlich gebett zuvor an. E. F. G. laß ich in aller underthenigkeit zu wissen, das ich khein copey hab behalten des briefs, den ich der hochgeborne furstin frau Elisabeth, geborne marggrevin zu Brandenburgk etc., zugeschickt hab. Aber der anklag, die ihr furstliche gnad hat an mich ge- langen lassen dureh Magister Mengerhausen!) mit mundt- liehem bericht, ist ongeverlich also gelaufen, das ich felsch- lich bin verklagt an Ihr F. G., als solt ich offendtlich pre- digen: Man sol niemant auf der canzel schelten, man hab in den zuvor ermanet, daraus Ihr F. G. schleust, als soll man die verstockte blinde papisten und ketzer auch nit straffen.

!) Amtmann und Rat, vorher Sekretär (1548) der Herz. Elisabeth; s. oben S. 13 u. 25.

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Das und andere anklag habe ich mich redlich verantwürt und ist mein demutig bitt, E. F. G. welle mich des gegen Ihr F. G. gnediglich entschuldigen und das bjechlin!), des ich E. F. G. habe zugeschriben, wie die pfarher nit bald mit namen aus ungegründtem anhöreu die leut ihr pfarh zugehorig (da meine ich ja nit die verdampte halsstarrig papisten etc. die straff ich selbs mit grossem ernst und elver) schelten und bannen, sie habend sie den gleich wol erkhundet, ob in ja also sei, wie man von inen redt. Binn gutter hoffnung, so Ihr F. G. dasselbig mein buchle lesen wurde, sie wurde dem unutze waschmaul von Sch.?) (E. F. Gn. weiß wol, wen ich meine) ein gutten belz waschen und in ja straffen, das er hinfurt Ihr F. G. die rechte warheit an- saget, dan M. Mengerhausen redt mich ja ganz ernstlich an, ich solt mit M. Barthol.?), superintendenten zu Schleysingen, ja eins sein, gab ich die antwurt: Wen er mit mir eins wer, ich erzeige im alle freundschaft, wie er aber gegen mir stetit, mich veracht, vexiert, gunnet mir nicht, das man mich superintendent heist zu Schmalkalden. Er wils alles zu thun haben und machet also, das noch schulmeister noch pfarrher etwas auf mich geben, wie den der schulmeister in der pfarhe zu Schmalkalden mir gar keinen bericht hat itz geben wellen, was er lerne in der schul, wie hie seine geselle halten, hat mich veracht, Das befilhe ich Gott, und E. F. G. wirt solliches wol wissen zu enderen. Ich wil mit Gottes gnaden das buchlin, des ich E. F. G. hab zuge- sehriben, wol stark gnug verantwurten, das es die lauter warheit ist, und zurne der oberist superintendens daruber, wie er well, so sage ich noch einmal: das unrecht ist, wen ein pfarher offentlich eins seiner scheffle auf der canzel strafft, schmehet, bannet und hatts noch nit gründtlich er- faren. So wil er sollichen seinen schefflen nit nachgehn, sie zur busen und besserung zu ermanen, sonder stracks unermanet auf der canzel schelten, das ist wider Gottes wort, den Gott Sodoma nit wolt straffen, er were den zuvor selbs herab gestigen und solliche grausame lasten grundtlich erfaren, welliches uns zum exempel ist geschriben*). Ver- hoff E. F. G. werde mich in allen gnaden wól bedenken und enschuldigen zu wissen, der ewig Gott behut E. F. G. mit ganzem geschlecht und herschaft in ewigem fried, amen. Ieh bitt auch teglich, so es Gott wolgefellig ist, der lieb

1) „Getreue Unterweisung“ . . . s. oben S. 10. 1) Schleusingen?

*) Wolfhart, s. oben S. 6.

) Matth. 10, 15. 11, 23. Luc. 10, 12.

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bimlisch vater wolle E. F. G. ein frommen, lieben, furstlichen erden gnediglich bescheren), amen, amen, amen. Dan ich hoffe, das gesundt, gut bad?) wer meiner hochgeborne furstin iau Elisabeth, E. F. G. geliebsten ehegemahel, ein frelichen Joannem bescheren, wie der heiligen Elizabeth Zacharias eheweib, davon Lucas?) am ersten. Auch bitt ich der andere frau Elisabeth, geborne margreffin zu Brandenburg, furstin und greffin von Henneberg zu Münda, das ihr der lieb Gott auch ein frommen, furstlichen erben wolte gnediglich be- scheren, das ja der christlich heilig, ganz gnedig hoch. geborne geschlecht und stam der edlen frommen fursten von Henneberg nit abgehn möchte, dan die letste die besten. Ihr lieben hochgeborne fursten von Henneberg habt ein groß, unseglicb gottlich werk ausgericht, das E. F. G. uns arme veriagte ellende pfarheren so wundergnediglich habt erneret, versorget und mit höchsten gnaden wol bedacht. Sollich göttlich, hochloblich werk wirt Christus zeitlich, geistlich und ewig ganz reichlich wol und mit frelichen gewissen bezalen. Furnemlich, das E, F. G. die arme Schmalkalder wol mit Gottes wort habt bedacht und mir auch gutte gesunde starke retbe furstlichen edle wein hat geschenkt, darbei ich hab dester frelicher mein ampt hab konne ausrichten, vor viel krankheit behutt, die ich sunst het gehabt, grimmen und fieber, so ich den geschmierten, ungesunden wein het ge- trunken, den sie zu Schmalkalden haben. O ewiger Gott, sei dir lob und dank gesagt fur solliche wolthat. Desgleichen sag ich on unterlaß E. F. G. allen gros lob und dank und wil nit aufhoren zu bitten fur E. F. G., dieweil ich lebe hie auf erden; das thund auch meine liebe 4 sone und hausfrau. Der lieb Jhesus welle E. F. G. alzeit in gnedigen schutz vor allem leid behutten, auch gut gluckselige friedsame regiment

1) Am 2. Mai 1552 wurde dem Grafen ein Söhnchen geboren, das Wilhelm genannt wurde, aber bald nach der Geburt starb. Schultes (Diplomatische Geschichte des Grüflichen Hauses Henneberg 2, Hild- burghausen 1791, S. 209) und die Neueren kennen diesen Nachkommen nicht. Meiningen, G. H. A. I B4. Über einen zweiten Sohn s. unten 3. 38

) Georg Ernst hat seit den fünfziger Jahren oft Ems und andere Bäder besucht; vgl. Ernst Koch, Die Badereisen des Grafen Georg Ernst zu Henneberg: Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Ge- schichte und Landeskunde in Schmalkalden 15 [1905], 1ff. In Ems war die „Bubenquelle“ von kinderlosen Frauen begehrt; Adolf Bach, Die Bubenquelle in Ems: Hessische Blütter für Volkskunde 15 (1916), 140 ff,

) Lucas 1, 5.

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verleihen mit bestendigkeit des glaubens und hernach die ewige freud, amen. Datum eilendt freitag frues tag nach Johannis des teuffers tag im 1551.

E. F. G. ganz undertheniger, williger und recht gehorsamer diener M. Gaspar Aquila, in E. F. G. stift pfarherr und capellan. Nachschrift:

Disen brief der hochgeborne furstin und marggrevin frau Elisabeth zu Munda mag E. F. G. lesen und bitt den mir widerumb zu senden, aueh in geheimniß sollichs haelten, was ich da schreib in diesem brief, das mein widersecher nit mher erbittert werde auf mich, doch scheue ich die war- heit nit zu sagen. Ob er schon meinem freundlichen buch- lin E. F. G. (wo er das bekommen hat, weiD ich nit) zu geschriben spinnfeind ist und als fur unrecht taddlet, so wil ich des zu verantwurten wol wissen aus gottlicher schrift, amen.

Anschrift:

Dem durchleuchtigen hochgebornen fursten und herren, herren Georg Ernst, graven und herren zu Hennebergk etc., meinem ganz gnedigen lieben fursten und recht christlichen patron.

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A2, 27b. Ausfertigung mit Verschlußsiegel.

3a. Justus Jonas an Graf Georg Ernst von Henneberg. [1551.]

Es sind in dem buch freilich viel christlicher punct be- grieffen, aber mein rath ist nicht, daB mans unter dem namen der oberkeit im druck ausgehen lasse und den predigern in der herrschaft sich in straffe der ubertretter darnach zu rich- ten furleige und babe solchs meins bedenkens zwo ursachen.

Die erste ursach ist, daß ich mich befurchte, die ober- keit möchte dadurch in verdacht komen und von bösen un- rugigen leuten (der zu itziger zeit allenthalben uberflussige gefunden werden) ausgeschrien werden, als wölt sie dem heiligen geist in sein ampt greifen und die sunde durch des predigers mund zu straffen nicht gestatten, obwol solchs mit dem buch niemals bedacht noch furgenohmen ist,

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Die ander ursach ist, daß das buch nicht mehr den auf ein stuck gehet, nemlich, wie sich die prediger mit dem ban und andern straffen zu halten haben, so doch zu diesem handel viel mehr stuck nötig sind. Derwegen kan man diese stuck alle bequemlich der gemeinen visitation (dero die kirchen on das nicht enperen konnen) furbehalten.

Und im fall da sich beide pfarrer und das eingepfarrete volk durch die herren visitatores nicht weisen lassen wölten, kan man die sachen ans consistorium gelangen lassen, wie sich den unsere G. f. und h. etc. eins in kurz aufzurichten gnedig vernebmen lassen.

So ist sich auch in keinem wege zu beforchten, dab man mit dem consistorio ein neu papisterey anrichten und der oberkeit ihren arın verkurzen möchte, weil die hohe oberkeit das consistorium zu bestetigen ihrselbsten furbehalten wird etc.

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A 2, 27b. Ausfertigung mit Verschlußsiegel des Schreibers, darstellend Jonas, der von einem Walfisch verschluckt wird; vgl. Chr. Schlegel, Historia vitae Georgii Spalatini (Jenae 1693), 179.

3b. Dr. Justus Jonas bescheinigt dem Rat der Stadt Erfurt den Empfang von 20 Gulden Jahrzins. 1549 Februar 5.

Ich Justus Jonas doctor ete. bekenne vor mich, mein erben und erbnehmen, das mir dy erbarn, achtbarn und weisen, der rath zu Erffordt, zewentzig gulden jerlicher zeinse, wilche mir nehst Johannis künftig in Weinachten bey inen betagen werden, uf mein bitt zcuvor erauß, itzo vor der tagzceit gutleh und wol zeudancke beezalt haben, sage gemelten erbarn rath gedachter zewentzig flor. quvitt, ledg und lof. Des zcu urkunde hab ich disse quwtantz mein eigen hand, mit meinen gewonlchen pitzschaft besigelt. Datum 5. Februarii tausent funf hündert neun und viertzigk.

Eigenhándige Ausfertigung auf SehloB Landsberg bei Meiningen, mit dem Siegel des Ausstellers (1917).

4. Die Grafen Wilhelm und Georg Ernst von Henneberg an Philipp Melanchthon. [1551 vor September 8.]

Von Gottes gnaden Wilhelm und Georg Ernst, vatter und sohn, graven und herrn zu Hennenbergk.

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Unsern grus zuvor. Erwirdiger und hochgelarter lieber besonder. Nachdeme wir durch hulf und gnade des all- mechtigen Gottes die rechte, wahre christliche relligion der Augspurgischen confession noch angenommen, dieselbige auch reyn ohne falschen zusatz zur besserung und nicht zu erger- nuß nicht mit geringerm fleys durch gotliche hulfe gern er- halten sehen und wir dann vermerken, das etliche prediger hin und widder an viel orten sich eines ergerlichen wesens auf den canzeln nicht mit geburlicher straffe der laster (welehs die hohe notturft in alle wege erfordert), sondern mit sehmehunge und uff bloß ungegrundt hoerensagen nam- haftiger aufruffung vieler leuth anmassen wollen, zudem auch leiehtfertig mit dem bann umbgegangen, also wenn vor mittage jemand uff ungegründten empfangne bericht ihn bann offentlich verkundigt, nach mittage wird bald uf grund. liche befindung des handels der beschuldigt des bannes ent- haben und denselben widderruffen, dardurch, wohe solchem nicht zeitlich vorgesetzt, manich gütherzig mensch geergert von dieser lahr abgehalten, deren feindt wirdt und die ge- danken fasset, das der heilige geist, der eyn geist ist der lindigkeit, gedult und sanftmut, solch gar heftig wesen der prediger nicht wirke und also die lehre dardurch verdechtig halten. Als haben wir durch etliche der unsern ein unter- weisunge vor unsere pfarrherrn und prediger zum einfeltig- sten stellen lassen, welche wir aber gern mit eurm rath, bedenken und verbesserung wolten lassen ausgehen. Und gesinnen demnach gnediglich, Ihr wollet Got dem allmech- tigen zu lobe zu förderung seines heilwertigen und allein seligmachenden worts und dann ergernussen und unrichtig- keiten in unsern kirchen, soviel mit götlicher hulfe muglich, zu verhueten auch uns zu sonderm gefallen unbeschwert sein sampt etzlichen andern der heiligen schrieft gotfurch- tigen und frommen lehren bei euch beiligend büchlein zu lesen, zu erwegen und zu bessern, zu mehren und zu min- dern, darmit dasselbige der schrieft gemeB und obberurte unrichtigkeiten zu verhuten ahm dienstlichsten sein moge und dann sampt den andern herrn soleh büchlein unter- Schreiben und uns bei diesem unserm botten forderlichen widerumb zuschicken. Nachmals solehs in guter geheim und unvermerkt unser bei euch bleiben lassen, bissolange solche büchlin allenthalben beschlossen und auch aufgericht werden. Das wollen wir mit gnaden und allem gutem, dar- mit wir euch sonderlichen gewogen, umb euch zu beschulden unvergessen sein. Datum ihn der Zilpach ahm .. .!)

!) Nicht ausgefüllt.

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Anschrift:

Dem erwirdigen und hochgelarten herrn D. Philippo Melanchthoni ete. zu Wyttenberg, unserm lieben besondern.

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IVB 2, 1. Konzept. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen I 2, 272 und oben S. 15.

5. Kaspar Aquila an die Herzogin Elisabeth von Rochlitz. 1552 März 12.

Gnade, barmbertigkeit, fride von Got unserem lieben Vater und Christo Jhesu, unserem herren heyland und erleser.

Gelobet sey Gott und der vater unsers herren Jhesu Christi, der vater der barmherzigkeit und Gott alles trostes, der uns trostet in alle unserm trübsal. Hochgeborne furstin, wie wunderberlich bin ich erfreuet, das dise veterliche Gottes zuchtigung an E. F. G. so vil (als ein himlische purgation) gewirkt hat, das sich E. F. g. dem lieben Gott genzlich hat übergeben, in rechter buß, reu und leid uber alle sünde, vergebung der sünden empfangen. Darauf zu bestetigung des glaubens an Christum (der uns allein durch sein heilig blut und bitteren tod erloset und gerecht ewig selig gemacht hat) [am Rande: Math. 26] sein hochwirdig nachtmal nit ver- achtet, sonder herzlich sein waren leib und blut empfangen, das Jhesus Christus warhaftig auch fur E. F. G. ist gestorben zu austilgung aller sund und auferstanden E. F. G. zur ewigen gerechtigkeit, amen. [Am Rande: Rom. 4]. Für sollichen reichen segen und himlische gütter habe ich Got schier 3 jar ge- betten, das E. F. G. möchte reichlich erlangen. Darumb danke ich meinem frommen lieben Gott, das der lieb Jhesus Christus hat mein gebett gnediglich erhört und E. F. G. so gnediglich mit seinem sacrament und seligmachenden lebedigen wort Gottes hat boch getrost und erfreuet zur besserung an leib und seel, amen. Allein bitte und ermane E. F. G. ich ganz fleissig-bestendig bey Gottes wort fest zu bleiben, das selig sacrament des nachtmal Christi lieb, treuer, höhr und werd halten mit besserem heiligem leben, Gott stets umb starken glauben kraft und gedult bitten, dan Paulus sagt [am Rande: 2. Timoth. 3]: Alle die da gottselig wellen in Christo leben, mussen verfolgung leiden, aber [am Rande: 2. Timoth. 2] das ist gewißlich war: Sterben wir mit Christo, so werden wir mit im leben; dulden wir, so werden wir mit im her- schen ewigk. Derhalben sol sich E. F. G. trosten mit Gottes wort, so wirt leib und seel erfreuet, wie David im 119. psal. gar reichlich trostet. Den solt ihr lesen, beten, betrachten

Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 8

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und gleuben, wie den S. P. zu den Hebreeren sagt am 12. cap.: Mein son und tochter, achte nit geringe die zuchtigung des herren und verzage nicht [am Rande: No. Proverbior. 3. Apo- calip. 3], wen du von Got gestrafft wirst, dan welchen der Herr lieb hat, den zuchtiget er, das er [am Rande: 1. Corinth. 2] nit mit der arge welt gestrafft und verdampt werde. Darumb sagt der fromm bußfertige konig David [am Rande: Psal. 119]: O Herr es ist mir lieb, das du mich gedemutiget hast, das ich aus disem creuze deine rechte lerne und dein wort, des allein mich trostet und erfreuet, ist mir lieber den alles edlest gold und silber. O herr Gott nim dein wort nit von meinem herzen und münd, das ich des frelich konne freidig bekennen, dich allein in deinem ewigen wort loben, preissen und danken, dir mein geist seliglich in dein gottliche hende befelhe. Das hilf mit du guttiger herr Jhesu Christe, du heilig lamb Gottes, des meine und aller welt sund getragen hat und bezalt gnug darfür gethun allen zur ewige seligkeit, die es im festen glauben annemen. Der lieb herr Jhesus Christus (der alle die beladen seind, wil erquicken, so sie zu im kommen) welle E. F. G. mit reichem Gottes segen begnaden hie und dort ewig, amen. E. F. G. alzeit mein ganz willigen dinst herzlieh zuvor bereit mit allen freuden, amen. Datum am tage Gregorii den 12. marcii 1552. :

E. F. gnaden alzeit ganz williger diener M. Gaspar Aquila im furstlichen stift zu Sehmalkalden pfarrher und super-

Anschrift: intendens.

Der durchleuchtigen hochgeborne furstin und frau frau Elisabeth (das ist teudsch: Gottes ru und wonung), geborne landgrevin, herzogin von Saxen, landgrevin in Duringen, marggraffen in Meissen, wittbe, meiner gnedigen fursten etc.

Staatsarchiv Marburg, Politisches Archiv Landgraf Philipps des Großmütigen, Nr. 77. Ausfertigung mit Ver- schlußsiegel Aquilas.

6. Graf Georg Ernst an Philipp Melanchthon. 1553 Oktober 12.

Unsern grues zuvor. Erwirdiger und hochgelarter lieber besonder. Ir wisset euch zu erinnern, was wir hiebevor mit euch eines superintendenten halben unterredt, nemblich das wir eins gelarten fromen mans sehr notturftig. Nhun haben

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vir gleichwol auf diesen heutigen tag noch keinen in unsere hersehaft pringen mugen, den ob wir wol mit M. Anthonio Corrino seligern so viel gehandelt, auch entlich mit ihme ıbereinkomen, das er sich dorzu wolte gebrauchen lassen, s bat ihnen doch der almechtig Gott vor dem anzueg von desem jamertalh zu sich gefordert. Derhalben wir gleich- vol allerlei nachfragens nach andern gehapt, und wierdt uns einer mit namen Licentiat Conradus Muselius, itziger zeit parher zu Pegau, von etlichen vorgeschlagen. Weil wir nen ohun nicht kennen und keinen zweifelh tragen, er werde euch bekant sein, so begeren wir an euch gnedig- leben, ir wollt uns seine gelegenheit, so viel euch bewust, hiermit diesem potten verstendigen, auch euren rat mittailen, » wollen wir verner darauf handeln. Hierin wollet euch, wie wir ohne der dem vertrauen zu euch tragen, weil es die eire Gottes anlangt, guetwillig erzaigen. Das seint wir umb euch hinwidder in gnaden zu beschulden genaigt. Datum Shleusingen den 12. octobris anno etc. 53.

Anschrift:

Dem erwrdigen und hochgelarten unserm lieben be- sondern hern Philippo Melanthoni, der heiligen schrieft doctori und professorem zu Wittenbergk.

Rückschrift: „Ist des herrn Philippi anthwort dorbey.“

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IVB 2, 1. Konzept. Vgl. oben S. 22.

7. Graf Georg Ernst an Dr. Erasmus Sarcerius. [1553 Oktober ?]

Georg Ernst etc.

Unsern grues zuvor. Erwirdiger und hochgelarter, lieber desonder. Wir wollen euch gnediger maynung nicht pergen, das wir gerne einen gottfurchtigen, gelarten, fromen man, Wileher der lehr des gotlichen worts der Augspurgischen confession gemeß rein, in unsere herschaft zu einem super- intendenten vermogen, wolten dan, weil wir mit dem gotlosen haufen den bischoffen dieser lantart, die auch die geistlichen jurisdiction in unserer herschaft vermainen zu haben, greinzen, seint wir eines solchen mans zum hochsten bedurftig. Nhun haben wir gleichwol nicht unterlassen, ein vhleissiges nach-

ns umb und nach euch gehapt und so viel erfaren, das es eur gelegenhait nicht sein wil euch in unser herschaft zu

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begeben, den es sollen euch andere und pessere beraff den hie vorstehen. Derwegen wir uns sonsten umbfragen und nach andern trachten muessen. Also ist uns einer mit namen Conradus Muselius, licentiat, itziger zeit zu Pegau ein pfar- her, vorgeschlagen und darneben vermeldt wurden, das der- selbig eur discipulus und euch durchaus von lar und leben bekant und erkant sei. Weil wir ihnen dan ftir unser person nicht kennen und unsers tragenden ampts halben gleichwol in allewege gebueren wil, in deme getreulichs und vhleissigs nachforschen zuhaben, so begeren wir ahn euch gnediglich, ir wollet uns bei diesem potten verstendigen, wie es ein gestalt umb solchen man habe, und ob auch sein gelegen- heit sei, wan er von uns votiert, das er sich zu uns in unserer herschaft zu einem superintendenten gebrauchen lasse, dan auf die felle wollen wir durch euch weiter mit ihme handeln lassen. Wollet euch hierin, weil es die ehere Gottes antrieft, desto guetwilliger erzeigen, des seint wir umb euch in gnaden und allem gueten zuerkennen genaigt. Datum. . .!)

Anschrift:

Dem erwirdigen und hochgelarten herrn Erasmo Sar- cerio, der heiligen schrieft doctori und professori zu Leipzigk.

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV B2,1. Konzept.

8. Kaspar Aquila an Graf Georg Ernst von Henneberg. 1559 Juli 23.

Gottes gnad und fried in Christo Jhesu unserem erleser: mit trost Gottes heiligen geist: seligklichen verharren in Gottes wort. Amenn.

Hochgeborner furst, gnediger herr und graff. E. F. G. ganz freundliches schreiben hab ich mit hohen freden ge- lesen, furnemlich, das E. F. G. so ganz gnedig mit grossem vleiB gedenckt, das ich E. F. G. getreuer kirchendiener ge- west bin, das sich auch E. F. G. gnad noch das bestes zu mir versthet. Darauf las E. F. G. ganz getrost ich zu wissen thun, das ich auf erden nit lieber wolt mein predigampt füren, den allein bei E. F. G. herschaft. O mein lieber Gott, hilf mir gnediglich, dan ich kan der löbliche christliche herr- schaft von Hennenberg nimmer in ewig vergessen, sonderlich meiner liebe Schmalkalder, den ich frolich hab mit Gottes

1) Nicht ausgefüllt.

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wort fleissig gedienet. O, so es Gottes will wer, wolt ich noch geren thun; nit allein darumb, das ich allzeit gutte starke freiiche lieben wein!) (Gott lob und dank in ewig) hab gehalten, sonder ein fein from völkle, des gehorsamlich ganz willig Gottes wort geren gehört hat. O, o, o wolte Gott, das ich wider solt inen Gottes wort predigen. Wie ich bitt und verhoff, es sol noch mit Gottes hilf geschehen, amen. Dieweil aber E. F. G. begert den wirdigen herren Johannem Heinholt?) diaconum zu Graba zu einem caplan zu Schleusingen beruffen, hab ich E. F. G. zu gefallen sollichs begeren nit wollen abschlagen, sonder ganz willig darzu ge- raten und geholfen, das er E. F. G. kirchediener soll sein, wiewol wir der wenig haben, die so fleissig und treulich des gottliche kirchenampt versehen. Ich darf frei sagen: so E. F. G. mich selbe also berufft, ich wolt ganz willig wie ein schneller adler zu E. F. G. dahin geflogen sein mit hohen freuden. Ist gewiß war, das ich in ewig E. F. G. nit kan noch wil vergessen. Mein liebes Vater unser soll on under- laB E. F. G. im besten alzeit fur Gott gedenken, ja des lieben hochgebornen herren graven Poppo auch, das im Gott ein heiligen seligen fromme freundlichen und geliebsten fruchtbaren gemahel verordnen wolte, das ja der edel hoch- geborne stamme der seligen hennen nit also kleglich unter- gehen. Da behüt uns Gott für. Der Henneberg muB noch viel gelerter prediger auferziehen zu Gottes unsers herren Christi lob, eher und preis. Ich verhoff ganz gewiblich, Ihr beide christliche fromme graven von Hennenberg werd zu- samen setzen, das ich von E. G. mechte erlangen ein eimerlin starken frelichen weins, damit ich in meinem alter micht [!] kondte trösten und erquicken, deß da trostliche fur E. F. G. brunstig zu bitten, das der liebe Gott E. F. G. ein seliges froliches ende beschere wolte. Ich bitt auch E. F. G. gne-

!) In einem Brief vom 8. Januar 1551 an Graf Wilhelm spricht er die Hoffnung aus, daB er bei seinem Besuch in Maßfeld und Schleu- singen einen „frelichen lieben“ Wein bekomme, der die „Grimme“ ver- treibe. Meiningen, G. H. A. IV C8, 12.

1) Joh. Gg. Eck, Biographische und litterarische Nachrichten von den Predigern im Kurfürstlich-Sächsischen Antheile der gefürsteten Grafschaft Henneberg seit der Reformation (Leipzig 1802), 91f. Cor- pus reformatorum 8, 350, Nr. 5670, Brief Melanchthons an Aquila von 1554 September 29: Est in adolescente natura doctrinae capax et vis ingenii egregia et initia doctrinarum recte didicit, ut ipse iudi- care poteris. Sein Stiefsohn gleichen Namens (Eck a. a. O. 121£) ist 1590 Taufpate des Dr. Theoderich Lüdecke. Meiningen, G. H. A. IV B 2, 14c.

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diger herr graff Georg Ernst wolte gnedigklieh in meinem namen grussen E. F. G. fromme ehegemabel. Gott mach aus ihr F. gnaden ein fruchtbare Sara mit einem lieben son Isaac!), so wellen wir Gott loben, danken und getrost frelich sein. Da sprech der ganz hoff zu Hennenberg Amen, ja, ja fiat, amen, amen. Damit Gott in ewigen schutz und fried gnedig befolhen. Amen. 1559, 23. julii.

E. F. G. ganz williger diener M. Caspar Aquila, pfar- ner und superintendens

Salfeldensis. Anschrift:

Dem edlen und wolgebornen herren Georg Ernst etc. grafen und herren zu Hennenbergk, ja dem recht eheren- vhesten patrono zu Schmaklalden, Maßfeld und Schleysingen etc. meinem ganz herzgeliebsten gnedigen herren und furnemesten getreuen prinzen.

Meiningen, Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv IV A 2, 270. Ausfertigung mit Verschlußsiegel.

1) Nach Schultes a. a. O. 209 (vgl. oben S. 29) und O. Posse, Die Siegel des Adels der Wettiner Lande bis zum Jahre 1500, 3. Band, Dresden 1908, hennebergische Stammtafel, hinter S. 118, wurde am 19. Mai 1562 ein Sohn geboren, der vor der Taufe wieder starb.

Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeitalter der Reformation. V.

Von K. Bauer. Die weitere Entwieklung bis zur Konkordienformel.

1. Die Bemühungen Calvins um eine Union in Frankfurt!)

Angesichts der Schwierigkeiten, welche sich für die Fremdengemeinden den dogmatischen Forderungen der Prädi- kanten gegenüber ergaben, war es für sie von großer Be- deutung, daß sie nicht isoliert dastanden, sondern sich auf hochangesehene auswärtige Autoritäten berufen konnten. Als „Ihr fürnemster patron“ galt den Prädikanten Johannes Calvin °).

Calvin war in Frankfurt längst bekannt. Zuerst hatte er die Stadt während seines Straßburger Exils besucht, als 1539 der Fürstentag in ihr versammelt war. Zwei Jahre später schloß er in Regensburg mit Johann von Glauburg in der Herberge der Straßburger Gesandtschaft innige Freund- schaft, die er vierzehn Jahre später wieder erneuerte. Da- zwischen hatte ihm der Prozeß Servets Gelegenheit gegeben, mit den Frankfurter Pfarrern Fühlung zu nehmen. Neuer- dings hatte die Entstehung der Fremdengemeinden seine Auf- merksamkeit auf die Stadt gerichtet, die, wie keine zweite, zu jener Zeit als Hauptstadt des Reiches gelten konnte. Ge- lang es ihm, der Ausprägung des Protestantismus, die er ge- schaffen hatte, in ihr zum Siege zu verhelfen, so mußte das für den kirchlichen Charakter Deutschlands die weitgreifend- sten Folgen haben.

Die Aufgabe schien nicht unmöglich. Ein Zeichen der Sympathie und Achtung, mit der man in Frankfurt Calvin gegenüberstand, war es, daß die Ratsbibliothek eine nahezu vollständige Sammlung der Calvinischen Schriften aufwies?).

1) Die Belege in meiner Schrift: Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. 38. Jahrgang. Nr. 133). Leipzig 1920.

N) Act. ref. I, 82.

3 Brief des Cnipius an Calvin vom 18. September 1559. Calv. Opp. XVII, 642.

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Das Bindeglied zwischen Calvin und Frankfurt bildete die Straßburger Theologie. Der Calvinismus war kein Gegensatz zum Bucerianismus, sondern seine Fortbildung, und es war nicht abzusehen, warum nicht auch in Frankfurt der Buceria- nismus einer solchen Fortbildung fähig sein sollte. Eine Auf- hebung der lutherischen Grundlage, wie sie durch die Witten- berger Konkordie gesichert war, brauchte das nicht zu be- deuten. Auch Calvin hat sich mit Luther verbunden gewußt; an der Realpräsenz Christi im Abendmahl hielt er durchaus fest, nur daß er sie nicht in leiblicher, sondern geistiger Weise verstand. Dadurch gewann er die Möglichkeit, auch dem symbolischen Verständnis des Sakramentes, an dem die Schweizer so entschieden fest gehalten hatten, volle Gerechtig- keit widerfahren zu lassen. So vertrat er einen Unions- protestantismus, wie ihn die Marburger Artikel einst erhofft hatten, oder, wie er selber es genannt hat, einen Synkretis- mus, zu dem er sich durch den Ernst der Lage genötigt fand 1). Aber der Universalismus seiner Anschauung war noch um- fassender. Er nahm in den Organismus seines Systems alles auf, was er irgendwie als berechtigte Momente an den ver- schiedenartigsten Ausprügungen des Christentums erkannte. Daß die Kirche einer Verfassung bedürfe, war ihm die Wahr- heit des Katholizismus, nur befreite er diese Wahrheit von dem Irrtum, mit welehem sie hier behaftet war, indem er die Verfassung nicht auf dem Prinzip des Priestertums, son- dern der Gemeinde aufbaute, Selbst dem Täufertum gewann er einen wertvollen Gedanken ab: das Heiligungsstreben und die damit verbundene Kirchenzucht, damit war den Schwür- mern und Rotten der Wind aus den Segeln genommen. Schon wiederholt hatte er Schritte getan, um diesem Unionsprotestantismus auch außerhalb Genfs Eingang zu ver- schaffen. Das Mittel, dessen er sich dazu mit Vorliebe be- diente, bestand darin, daD er eine exegetische Schrift einer einflußreichen Persönlichkeit des ins Auge gefaßten Landes widmete. So war er bereits an den Herzog Christoph von Württemberg, an den Lordprotektor Somerset, an den jungen König Eduard VI. von England, an den Polenkönig Sigismund August und an den König und den Kronprinzen von Däne- mark mit der Auslegung biblischer Bücher herangetreten. Denselben Weg schlug er auch jetzt ein, indem er im Sommer 1555 dem Rate der Stadt Frankfurt seinen Kommentar zur Evangelienharmonie sandte. Ganz ebenso, wie er etwas

1) Vgl. die Vorrede zu der lateinischen Ausgabe seines ersten Katechismus: Quid? annon hostis quoque ipse diabolus aculeos nobis ad syncretismum agendum admovere debet? Calv. Opp. V, 821.

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später in seiner zweiten Verteidigungsschrift gegen Westphal ruhig zugab, daB er in Einzelheiten von Luther abweiche !), so stellte er hier neben die Erklärung, daß er sich im allge- meinen an Bueer, die Autorität der Frankfurter in kirchlichen Fragen, angeschlossen habe, den anderen Satz: Sieubi autem ab eo dissentio (quod mihi libere, quoties necesse erat, permisi), ne ipse quidem, si superstes ageret in terra, moleste ferret?).

Den Anlaß zu der Widmung fand Calvin dem Schreiben mlolge, von welchem seine Sendung begleitet war*), in den Ereignissen, die die Frankfurter Kirchengeschichte der letzten Jahre aufzuweisen hatte, Hier sprach er dem Rate vor allem seine Anerkennung aus für die gannhafte Haltung, die die Stadt in der Zeit des Interims allerdings mehr durch das Verdienst der Prädikanten, als des Rates eingenommen hatte. Nur diese eine Tugend wolle er jetzt loben, die ihn ınd manche andere Diener Christi wie mit einem heiligen Bande mit den Frankfurtern verknüpft habe. Nicht minder sprach er ihnen seine Freude darüber aus, daß man die Reste der verwüsteten Kirche Englands in Frankfurt sammle. Er stellte sie dafür in eine Reihe mit Zürich, wo man die Verbannten von Locarno auch nicht nur aufgenommen, son- dern sogar in den Besitz einer Kirche gesetzt habe. Ganz persönlich, &o fuhr er dann fort, fühle er sich den Frank- furtern für das verpflichtet, was sie an seinen Landsleuten getan hätten, und als Zeichen seiner Dankbarkeit widme er dem Rate seine Evangelienharmonie. Das Urteil über dieses Werk überlasse er anderen. Von den feinsinnigen Gelehrten unterschied er es war die Zeit des zweiten Abendmahl- streites die Narren und Bösewichte, bei deren Gekläff er sieh nicht aufhalten wolle.

Mit der Aufnahme von Buch und Brief bei dem Rate konnte Calvin zufrieden sein. Zur Entschädigung für die Druckkosten erhielt er vierzig Goldgulden. Auch wurde er ausdrücklich als ein treuer Diener Christi und hervorragender Lehrer der Kirche bezeichnet.

Anders freilich war die Wirkung bei den Prädikanten. Kaum hatte der Rat am 12. September seine Beschlüsse gefaßt, kaum hatte der Bote Calvins am 14. September seinem Auftraggeber Bericht erstatten können, so war auch

1) Qnod de substantiali manducatione a nobis dissenserit Lutherus, atque etiam contentionis ardore ultra justas moderationis metas evectus, quaedam protulerit, a quibus ego dissentio, negare mihi in animo nun- quam fuit. Et quorsum rem a me libere testatam negare vellem?

*) Calv. Opp. XLV, 4.

) Vom 1. August 1555, Calv. Opp. XV, 710,

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schon am 18. September Johannes Marbach in Straßburg so gefällig, seinem Freunde Hartmann Beyer das Rezept mitzu- teilen, wie man in seiner Stadt mit den Fremden fertig ge- worden sei. Und als am 26. September Adolf von Glauburg nach kurzer Krankheit zweiunddreißigjährig verstarb, der noch auf seinem letzten Lager sich an der Evangelienharmonie Calvins gefreut hatte, benutzte Beyer das Begräbnis des jungen Ratsherrn, qui antea sua ratione humana perscrutari ef de- prehendere conatus erat, quomodo Christi corpus praesens esset in coena, si praesens esset, zu der ausfälligen Bemer- kung: Gott rufe junge Leute, die in der Blüte ihrer Jahre stünden, hauptsächlich um, deswillen aus diesem Leben ab, damit sie nicht bei längerer Dauer ihres Lebens auf Irrlehren und Ketzereien verfielen. Der ihm nahe stehende Buchdrucker Peter Braubach aber ließ zur Herbstmesse!) unter den Augen des Rates die Streitschrift Westphals gegen Calvin drucken, neben der dann auch die Farrago Timanns um dieselbe Zeit in seinem Verlage erschien. Es war begreiflich, daß Calvin dem Rate sein Befremden darüber aussprach, daß er das habe geschehen lassen, und da der Rat das Berechtigte dieser Beanstandung anerkennen mußte, so traf er Vorkehr, daß die Klage sich nieht wiederholen konnte. Als Westphal ein Jahr später auch seine Antwort auf die zweite Verteidi- gung Calvins bei seinem Freunde Braubach drucken lassen wollte, wurde am 25. März 1557 beschlossen: „Petro Bru- bachio soll man sein Begehren, daß er des Westphali Epistel eontra convicia Domini Calvini allhie an einen Prädikanten, doch unbenennet desselbigen Namens... ußgangen, drucken möge, füglieh abschlagen, womit man freilich nicht ver- hindern konnte, daß die Schrift dann in dem benachbarten Oberursel erschien. i Inzwischen fehlte es auch nicht an Einwirkungen von auswärts. Hermann Hamelmann in Lemgo empfahl Beyer am 17. März 1556, sich von Brenz, Flacius, Amsdorf, Alesius und Strigel beraten zu lassen. Wir besitzen noch den Brief von Brenz, in welchem dieser am 18. März Frankfurt mit seinen Fremdengemeinden auf eine Stufe mit dem alten Ephesus stellte, das seine Arianer gehabt habe, und seinen Freund Beyer ermunterte, seinem Namen Hartmann in diesem Falle einmal Ehre zu machen und als fortis vir aufzutreten“).

1) Brief Westphals an Braubach vom 16. November 1555. Greve, Memoria J. Westphali. Hamb. 1749, p. 271.

) Die Briefe von Hamelmaun und Brenz befinden sich im Original in der Briefsammlung Hartmann Beyers auf der Frankfurter Stadt- bibliothek: M. S. III, 21.

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Vor allem aber ließ es sich Westphal angelegen sein, auf die Frankfurter Angelegenheiten Einfluß zu gewinnen. Nach- dem er in dem Briefe, mit welchem a Lasco seine Forma ac Ratio dem König Sigismund August von Polen gewidmet hatte, wegen seiner Erneuerung des Sakramentsstreites recht schlecht weggekommen war, wandte er sich im März 1556 gegen diesen Signifer Sacramentariorum mit seiner Defensio adversus insignia mendacia Jo. a Lasco!) und widmete die Schrift dem Frankfurter Rate?). Er hielt es für nötig, dem Rate den Warnungsbrief Luthers von 1533 ins Gedächtnis zu rufen, denn iam vero, schrieb er, res non obscuris indieiis nota, sed in clara luce posita est, inter urbis vestrae portas, inter moenia et muros ipsos, quosdam disseminare, fovere et propugnare damnatam istam haeresin, ac insuper abuti vestfis typographis, prelis et insigni Dei dono arte typo- graphiea, neque sat habere in vestra civitate et ecclesia nocere falsis doctrinis, sed longe lateque sparsis libris istic impressis, totius Germaniae et Galliae ecclesias inficere, contaminare atque corrumpere... Usque adeo doctrina nostra de Eucharistia vera et adversae partis falsa est, ut non videant Sacramentarii suam subsistere et insinuari posse, nisi fucata gese venditet et obrepat simili specie et sono verborum, quibus nostra proferri sole. Von dem Dienste, den er den Frank- furtern zu leisten meinte, schrieb er: Si quis indicaret Ma- gistratui, esse incendiarios in urbe, veneficos, qui inficerent fontes et pascua extra urbem, raptores, gratam rem faceret et aeciperet praemia suae fidelitatis. Spero etiam haud in- gratum futurum, quod a me indicantur, qui incendia multo nocentiora adstraunt, et veneficiis inficiunt fontes ac pabula doetrinae salufaris, verbum Dei et aeterna bona suffurantur et animas interimunt ideoque a Christo Domino arguuntur, quod sint fures ef latrones, Sein Rat ging dahin: Morbida ovis separatur, ne totum ovile corrumpat, membrum corrup- tum resecatur, ne noceat reliquis; separantur corpora homi- num, ne immunda lepra vel scabie mala infieiant sanos: Quanto magis separare oportet immundos spirituali lepra, mente corruptos, ne oves Christi inficiant et perdant. Aposto- lus prohibet in domum recipere, non afferentes doctrinam Apostolicam: Ne recipientes communicent ipsorum operibus

!) Schon vorher hatte er sich gegen a Lasco gewandt mit der in Oberursel gedruckten Schrift Responsio Joachimi Westphali ad scriptum Jo. a Lasco, in quo Aug. Conf. in Cinglianismum transformat.

*) Vgl. Greve, Memoria. S. 140ff. Hiernach ist der Irrtum in den chronologischen Verhältnissen (Beziehungen Calvins usw, S. 18f.) richtig zu stellen.

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malis. Gegen den Einwand, man müsse doch die Ver- triebenen um der Barmherzigkeit willen aufnehmen, erklärte er, die Pflicht der Liebe bestehe nur mit dem Vorbehalte, daß dadurch der Glaube nicht Schaden leide und die Liebe gegen viele nicht verletzt werde!). Der Abendmahlsstreit gehöre nicht zu den rebus non necessariis, über die man nicht za streiten habe, und um deren willen niemand aus der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden dürfe. Der Rat solle nur fest und unbewegt bei der Rede Christi verharren und dem Versucher nicht Raum geben und sich nicht durch den Satan und seine Lügenapostel verführen lassen, die sich in Christi Apostel verwandelten. Er solle sich vielmehr ein gutes Beispiel nehmen an den frommen Fürsten, Städten und Kirchen, die mit maßvoller Strenge durch fromme Erlasse ihr Volk vor der Berührung mit Säkra- mentierern und Wiedertüuferin bewahrt hätten. Ad hoc, ver- hieß er, dignum Dei ministris studium conservandae ecclesiae et reipublieae in tranquillo et ineolumi statu, ultro currenti- bus addet ealearia, quod Dominus Deus noster admonet de perieulis discordiae civilis dicens: Omne regnum adversus se divisum, desolabitur, et omuis civitas divisa adversus se ipsam non stabit. Et quod Paulus scribit: Deum dilectionis et pacis, adfuturum iis, qui unanimes idem sentiunt. Wenn der Schul- meister zu den Barfüßern Johannes Cnipius Andronicus richtig geschätzt hat, so wurde der Brief auf der Frühjahrsmesse in mehr als tausend Exemplaren in der Stadt verbreitet).

Um dieselbe Zeit, in der Westphal so auf den Rat ein- zuwirken suchte, nahm auch Calvin in einem besonderen Schreiben Fühlung mit den Prüdikanten. Johann von Glau- burg und a Lasco hatten ihm diesen Schritt empfohlen, da von seiner in Frankfurt unbestrittenen Autorität eine Be- seitigung der von den Gnesiolutheranern drohenden Gefahr am ersten zu erhoffen sei. Nachdem ihn zuletzt noch Poullain über den Gang der Dinge unterrichtet hatte, schrieb er am 5. Mürz den Frankfurter Pfarrern?): Er sei der Überzeugung

1) S. 142: Ut enim charitatis est, hospitio recipere peregrinos, et his benigne facere, si pro hospitalitate et beneficiis non malefacta repen- dent, si quieti, non turbent ecclesiam et rempublicam: lta charitati maxime repugnat, praebere hospitium ingratis, inquietis et noxiis communitati, his parcere, hos fovere, non piae charitatis obsequium, sed impiae perversitatis exitiale nocumentum, non misericordia est, sed crudelitas.

) Brief des Cnipius an Calvin vom 15, April 1557. Calv. Opp. XVI, 453.

3) Calv. Opp. XVI, 53f.

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gewesen, er stimme mit ihnen aufs beste therein), oder wenn ihre Art Zu lehren nicht ganz dieselbe sei, so bestehe doch kein soleher Unterschied, daß es zu einem gehässigen Streite kommen könne. Deshalb habe es ihn gewundert, daß ein so albernes und giftiges Buch wie das Westphals?) in Frank- furt habe erscheinen können. Er wolle ihnen keinen Vor- wurf machen, denn er könne nicht glauben, daß sie zu dieser Veröffentlichung ihre Zustimmung gegeben haben sollten. Aber weil das Gerücht gehe, einigen von ihnen gefalle nicht reeht, was er tiber die Sakramente sage, so wolle er nicht dureh Schweigen den Zwist vergrößern. Ohne sich auf- drängen zu wollen, sei er doch zu allem bereit, wodurch er einen etwaigen Anstoß an seiner Lehre beseitigen könne, auch wozu er sich bereits am 29. Februar dem Rate er- boten hatte zu der weiten und unbequemen Reise nach Frankfurt. Dabei beschäftige ihn nicht einmal so sehr seine eigene Sache, als der Wunsch, daß sie sich der fremden Brüder, denen der Herr in ihrer Stadt ein Asyl gegeben, in echter Liebe annehmen möchten. Denn er höre, daß diese irgendwelche Zänkereien und Schikanen befürchteten und sich dadurch beunruhigt fühlten. „Nun,“ schloß er, „da ihr wißt, daß sie, teils durch die Gewalt und Tyrannei der Feinde Christi aus ihrer Heimat vertrieben, zu each gezogen sind, teils aber auch, um mit euch den reinen christlichen Glaaben bekennen zu dürfen, freiwillig sich die Verbannung auferlegt haben, brauche ich vor euch nicht zu erörtern, wie sehr für die einen ihr Elend, für die anderen ihre ent- schlossene Bereitwilligkeit zur Nachfolge Christi uns ein- nehmen muß. Ja, wenn ihr auch einiges an ihnen noch zu wünschen habt, wie sie ja wahrscheinlich auch unter ihren Fehlern zu leiden haben, so wißt ihr doch, daß ihr sie gnädig und freundlich ertragen sollt. Eher, als daß etwa bisher verborgene Eifersucht zu offenem Streit ausbreche, will ich selbst übernehmen, was ihr mir in dieser Sache als meine Aufgabe zuweisen wollt. Ich werde beiden Parteien treulich zum Friedensschluß raten und helfen.“

1) An der Aufrichtigkeit dieser Erklärung ist kein Zweifel, Auch als ihm 1557 Jakob Andreä seine Schrift zuschickte: Eine einfältige "ad kurze Anweisung vom heiligen Abendmahl, wie die Einfültigen sich bey dem langwierigen Streit vom Abendmahl verhalten sollen (Pforzheim 1557), schrieb er in seiner Antwort: Etiam si moderationem tuam laudo et exosculor, non parum tamen mihi dolet, plus esse in sententiis nostris dissidii, quam putaveram.

7) Adversus cuiusdam Sacramentarii falsam criminationeın justa defensio Joach. Westphali, in qua et Eucharistiae causa agitur.

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Der Wirkung dieses Briefes war es nicht günstig, daß soeben erst Calvins zweite Verteidigungsschrift gegen West- phal!) erschienen war. Sie ließ Calvin den Frankfurter Prädikanten nicht als geeigneten Mittelsmann, sondern als Partei erscheinen. Dem Rate gegenüber sprachen sie das auch ganz rückhaltlos aus, indem sie ihn den „fürnemsten patron“ der Fremden nannten, der in seinem jetzt ausge- gangenen Buche deren „irrige Opinion“ heftig zu verteidigen suche?). Ihm selbst gegenüber fanden sie es freilich ange- zeigt, sich vorsichtiger auszudrücken. Die Antwort, welche sie ihm in denselben Tagen (5. April 1556) gaben?), kenn- zeichnet sich als ein Produkt der Verlegenheit, den bei dem Rate hochangesehenen Genfer Theologen zu befriedigen, ohne sich doch bei Westphal einem Tadel auszusetzen. Sie ver- sicherten dem verehrten Herrn, sein Brief sei ihnen so an- genehm wie möglich gewesen, da sie nichts öfter und heißer erflehten, als eine fromme und feste Gemeinschaft mit allen, die die reine Lehre des Gottessohnes mit reinem Herzen er- faßten. Er solle doch ja nicht denken, sie hätten Westphal zu seiner Schrift gegen ihn veranlaßt oder dabei unterstützt, und es liege ihnen gänzlich ferne, in Schutz zu nehmen, was diese Schrift etwa an Streitsucht und Gift enthalte. Nur verhindern hätten sie ihren Druck nicht können. Im übrigen aber müßten sie bekennen, daß sie die darin vorgetragene Abendmahlslehre Westphals nicht ablehnten, da sie ihnen mit der Augustana und der Wittenberger und Frankfurter Konkordie im Einklang zu stehen scheine. Diese Lehre hätten auch sie bisher verkündet, und es sei ihre Pflicht, es auch ferner zu tun. Sie bedauerten den Streit, der sie nur von ihren Studien abziehe, Die Beschwerden der Fremden seien nicht gerechtfertigt, denn die unbekannten Zeremonien derselben hätten sie länger als ein volles Jahr geduldet, und auch jetzt, wo der Unterschied in der Lehre klar zu tage liege, hätten sie nichts gegen sie unternommen, sondern nur, wie die Billigkeit verlange, dem Rate Bericht erstattet, daß diese Berichte sich auf den Augsburger Religionsfrieden berufen und die Härte Dänemarks und der Seestädte gegen die armen Exulanten als Muster hingestellt hatten, war ihnen anscheinend aus dem Gedächtnis entschwunden. Ihre Kanzel- polemik aber schrumpfte in ihrer Erinnerung zusammen zu einer Mahnung an ihre Gemeinden, bei der alten, reinen

1) Secunda defensio piae et orthodoxae fidei de Sacramentis contra Joachimi Westphali calumnias. Vgl. dazu Calv. Opp. XV, 859, 860.

*) Act. ref. I. Bl. 82.

5) Calv. Opp. XVI, 89ff.

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Lehre zu bleiben und sich durch nichts verwirren zu lassen. Sie wünschten den Frieden, aber den sichersten Weg zu diesem Ziele könnten nicht sie bestimmen, da es sich um eine gemeinsame Angelegenheit aller evangelischen Stände handle. Bis diese die Kontroversen geschlichtet hätten, hielten sie es für ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß ihnen die reine Lehre erhalten bleibe, die sie nicht gegen ihr Gewissen ändern oder preisgeben dürften, einfach weil man es von ihnen verlange oder weil sie sich damit beliebt machten. In einem eigenttimlichen Kontrast zu dem verbindlichen Ton dieses Schreibens stand die Polemik der Prädikanten gegen Calvin, von welcher dieser etwas später erfuhr. Am 24. Juni äußerte er sich dartiber an Glauburg: „Da sie mich als treuen und um die Kirche Christi wohlverdienten Knecht anerkennen, hat es mich umso mehr gewundert, daß sie mich in gehässiger Weise in den Kampf hineinzogen, als sie vor - Kurzem die Behauptung aufstellten, es sei besser, Kinder mhause und von Frauen taufen zu lassen, als daß sie ohne Taufe stürben 1)“. Sie hatten sich inzwischen aus Westphals Schrift De baptismo neue Belehrung verschafft, und dadurch hatte sich ihnen der Gegensatz zu Calvin noch verschärft. Den Rat hatten sie bei alledem nicht auf ihrer Seite. Wie wenig Geneigtheit bei diesem bestand, mit ihnen in das Lager Westphals abzuschwenken, zeigten seine Bemühungen, Wolfgang Musculus in Bern für Frankfurt zu gewinnen. Wiederholt war schon die Rede davon gewesen?), „dz wol von nöthen vnd gut wer etwa einen gelehrten ansehnlichen sitsamen Man alher zuberuffen vnd anzunemen Der als d' fürnembst vnd Superintendens bey der Kirchen vnd vber die Predicanten, wie sich geburt; Im fall da es vonnöthen, zu- gebrauchen.“ Jetzt kam man am 22. Juni auf diese An- regung zurück und faßte für den neu zu schaffenden Posten Museulus ins Auge, der früher in Augsburg gewirkt hatte, bis das Interim seiner Tütigkeit daselbst ein Ende gemacht hatte, Am 1. Juli gingen deshalb Schreiben an ihn“), sowie an Bürgermeister und Rat zu Bern‘) ab. Musculus sollte mit dem Ratsfreunde Claus Bromm verhandeln wie mit dem Rate selbst. Als Gehalt waren zweihundert Gulden in Aus- zieht genommen. Nur sollte festgestellt werden, ob er der Augsburgischen Konfession gemäß lebre“). Niemandem hätte die Berufung dieses Superintendenten erwünschter sein können

) Calv. Opp. XVI, 205.

) Vgl. die Ratschlagung vom 22, Juni 1556. Act. ref. I, Bl. 102a. * Act. ref. I Bl. 103. 4) Ebenda Bl. 104,

5) Bürgermeisterbuch vom 25. Juni 1556.

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als Poullain. Denn zwischen beiden Männern bestand eine Geistesgemeinschaft; Poullain hatte in England den Proskairos von Musculus ins Französische tibersetzt!). Kam die Berufung zustande, so war trotz Beyer der Westphalsche Einfluß in Frankfurt für die Zukunft lahmgelegt und der Fortbestand des Bucerschen Unionsprotestantismus in der Stadt gesichert. Aber Musculus lehnte ab, wie er auch andere Angebote, die ihn von Bern wegrufen wollten, abgelehnt hat. Er fühlte sich der Stadt für immer verpflichtet, die ihn nach seiner Flucht von Augsburg so gastlich aufgenommen hatte“). An seiner Statt empfahl der Graf Georg von Erbach am 26. August dem Rate den Pfarrer Andreas Stolz zu Michelstadt“). Da der Graf Melanchthon nahe stand, mit dem er gerade damals Briefe wechselte‘), so hätte auch diese Berufung dem Vor- dringen des intransigenten Luthertums einen Riegel vor- geschoben. Woran diese Berufung scheiterte, ist uns nicht bekannt.

Nachdem es zur Anstellung eines gemäßigten Super- intendenten nicht gekommen war, blieb noch der Weg eines Kolloquiums, um eine brüderliche Eintracht zwischen den streitenden Parteien anzubahnen. Auch nachdem die Prädi- kanten den dahin zielenden Vorschlag Calvins abgelehnt hatten, ist dieser Gedanke immer wieder aufgegriffen worden. Derselbe Graf Georg zu Erbach, der den Frankfurtern gerne zu einem Superintendenten verholfen hätte, schrieb bereits am 18. August den Prüdikanten*"), er fände es „nit vngul, daß zum fürderlichsten ein Christlich freuntlich und brüder- lich gesprech fürgenommen, damit gut Hoffnung, es solle in demselbigen gesprech, vermittelst Göttlicher Gnaden, die Zwispalt gar hingelegt werden, oder uff das wenigst ein solche billiche vergleichung ervolgen, daß obwol die ver- stende Inn allen puncten nit gleich, nit desto weniger die

1) Baron F. de Schickler, Les églises du refuge en Angleterre. Paris. 1892. I, 21f.; III, 7ff.

*) Die lutherischen Berichterstatter jener Vorgünge, die so vieles aus den Akten veröffentlichten, haben diese Berufung mit Stillschweigen übergangen. Sie paßte nicht zu ihrer These, daß in Frankfurt jeder- zeit das strenge Luthertum geherrscht habe. Daß Musculus die Augustana unterschrieben haben würde, ist nach dem Briefe Poullsins an Calvin vom 6. April 1556. Calv. Opp. XVI, 97 sq., außer Zweifel. Vgl. übrigens seine Confessio de Coena Calv. Opp. XIII, 204—206, auf die hin er nach Bern berufen worden war,

3) Act. ref. I. Bl. 105.

) Vgl. Calv. Opp. XVI, 285.

6) F. R. II. Beil. 93, S. 279f.

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vbrig und vngezweifelt Lehre bei den widerwertigen nit ver- düchtlich gemacht, und die persohnen sampt den gantzen Kirchen nit so leichtlich verdampt würden.“ Am 17. Sep- tember aber drang Calvin in Melanchthon, ein solches Kollo- quium zu betreiben, da auf die Fürsten nicht zu rechnen sei: Dum principes aliis forte rebus nimis occupati cunctantur, alios etiam forte invidiae metus retardat, bene tu et prudenter privatis consiliis instituendum esse colloquium censes, modo cordate quod scribis exsequamur. Neque vero exspectandum est, dum multi se adiungant. Sed ubi signum ostenderis, convenient quibus cordi est ecclesiae tranquillitas!) Einen Tag später wandte sich a Lasco im gleichen Sinne an Melanchthon, wobei er als Ort der Tagung Frankfurt empfahl: Tuum erit illud promovere, hoc est de loco et tempore colloquii habendi statuere. Nostri quidem optarent id hie haberi posse propter Helveticas et illis adiunetas ecolesias: quibus alibi vix tuta essent itinera, hue vero commodius pertrahi possent . . . . Quod ad me attinet, optarim accelerari posse colloquium, priusquam me in patriam conferam: multum enim ea res patriae quoque meae prodesse posset?) Daß Melanchthon sich diesen Wünschen versagte, ist bekannt“). Aber auch die Frankfurter Prädikanten wollten von dem Plane nichts wissen. Dem Grafen von Erbach schrieben sie umgehend zurück: Sie wären wohl geneigt, seinem Rate zu folgen, wenn die Sache sie allein beträfe; es wolle ihnen aber nicht gebühren, hinter dem Rücken der Augsburgischen Konfessions-Verwandten ein Sondergespräch mit den Fremden vorzunehmen; sie müßten sie vielmehr an die Versammlungen der Reichsstände weisen; diesen möchten sie ihre Lehre und Konfession zur Begutachtung übergeben‘).

Was die Frankfurter Pfarrer bestimmte, das ihnen vor- geschlagene Kolloquium abzulehnen, war nicht nur der in diesem Schreiben geltend gemachte formal-juristische Ge- sichtspunkt. Dahinter stand die Erwägung, daß der Aus- gang eines solchen Religionsgesprächs sich gar nicht vor- aussehen ließ. Die Erfahrungen, welche Matthias Ritter im Juli bei einer zwanglosen Abendunterhaltung am Tische Glauburgs, die sich bis nachts zwei Uhr ausdehnte, mit der Disputierkunst Poullains machte"), mahnte zur Vorsicht.

1) Calv. Opp. XVI, 281.

) lbid. 285.

*) Vgl. seinen Brief an Languet vom 13. Juli 1556. C. R. VIII, 798.

) Brief vom 20. August 1556. F. R. II. Beil. 24. S. 280f.

5) Brief Poullains an Calvin vom 16, Jnli 1556. Calv. Opp. XVI, 230— v34.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. I. 4

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Über dem Abendbrot, zu dem die beiden Prädikanten und D. Humbracht geladen waren, kam es zu einer Aussprache über das Abendmahl und die Taufe. Bei der letzteren, die erst in vorgertückter Stunde zur Sprache kam, wußte Ritter der von Poullain vorgetragenen Calvinischen Auslegung der Worte Christi an Nikodemus nichts entgegenzusetzen. Als er dann aber die Kindertaufe damit rechtfertigen wollte, daß er keine Möglichkeit sehe, die Eltern ungerauft verstorbener Kinder zu trösten, rügte ihn Poullain, daß er seinen Leuten offenbar den Heilsweg nicht völlig klar gemacht habe, denn sonst brauchte er nicht zu solchen Trostgründen zu greifen. Was er denn, wenn die Seligkeit an der Taufe liege, den Wiedertüufern entgegen halten wolle, die eben deshalb die Kindertaufe ablehnten, weil es den Kindern an der nötigen Erkenntnis fehle und sie keine Frucht von dem Vorgang haben könnten? Vor allem drehte sich der Streit aber um das Abendmahl. Ritter machte Poullain den Vorwurf, daß man auf seiner Seite nicht rein und einfältig bei dem Worte bleibe, was Poullain nicht gelten lieb, da man bei ihnen vielmehr gerne das Brot beim Abendmahl den Leib des Herrn nenne. Seinerseits zum Angriffe übergehend, stellte Poullain fest, daß gerade Ritter nicht bei dem Worte bleibe, da er das est mit exhibet vertausche. Dann sprach man über die analogia fidei, wobei Poullain seine Deutung des hoc est im Sinne von signiticat, figurat, repraesentat, in me- moriam reducit mit anderen Schriftstellen belegte und es Ritter nun überließ, auch für seine Auslegung mit in sub cum hoc est den Schriftbeweis zu erbringen, worauf dieser sich darauf berufen wollte, die Beschneidung sei der Bund selbst, das Lamm sei das Passah selbst realiter. Glauburg führte diese Auffassung dureh den Einwand ad absurdum, daß die Urkunde mit dem Siegel keineswegs gleichbedeutend mit dem Kauf oder der Schenkung selbst sei, während Poullain aus der Ritterschen These folgerte, daß man dann auch Christus in der Hostie anbeten mtüsse. Der nächste Kontroverspunkt, zu dem das Gespräch überging, war die Ubiquität. Poullain argumentierte, der Leib Christi sei, was Ritter nur mit Widerstreben zugab, eine Kreatur, einer Kreatur aber komme Unendlichkeit und Ubiquität nicht zu. Ritter nahm zum Ausgangspunkt die unio personalis und : deduzierte, daß ihr zufolge überall, wo Christus nach seiner Gottheit zugegen sei, er auch nach seiner Menschheit gegen- würtig sei, was wieder Poullain nur mit der Einschränkung gelten ließ, daB diese Gegenwart Christi für uns Menschen an den Glauben gebunden sei, unter Berufung auf eine Predigt Luthers: sacramentum indigne sumi potest, sed hic

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tibus, de quo hie Dominus loquitur nunquam indigne accipi poterit. Als schließlich Ritter seine Argumente erschöpft hatte, meinte Glauburgs Frau freundlich, nun werde es schon zu einer Einigung kommen, und Poullain stellte ihm Brenz als gutes Beispiel hin: der Differenzpunkt sei nicht so groß, daß man sich gegenseitig nicht als Brüder anerkennen und gegenseitige Abendmahlsgemeinschaft pflegen könne. Davon wollte aber Ritter nichts wissen. Auch von einem Öffentlichen Kolloquium versprach er sich nichts Gutes. Wer denn dabei die Entscheidung treffen solle? Wer anders, erwiederte Poullain, als der Rat? Nötigenfalls könne dieser noch einige angesehene auswärtige Theologen wie z. B. Melanchthon und Brenz zuziehen. Einen namhaften Teil der Kosten wollten Glauburg und Humbracht übernehmen. Ihre Hoffnung auf einen Umschwung in der Gesinnung der Prädikanten, die sie beim Aufbruch aussprachen, erfüllte sich freilich nicht. So- gleich am nächsten Sonntag legte Geltner in seiner Predigt Zengnis ab wider die Teufelslehre der Fremden.

Der Gedanke an ein Kolloquium scheint indessen auf dem Rómer, an dessen Wünden geschrieben stand: Audiatur et altera pars), doch erwogen worden zu sein, und zwar in der Form, daß Calvin selber an ihm teilnehmen sollte. We- nigstens wurde er von dem Rate als Schiedsrichter berufen, um Streitigkeiten zu schlichten, die in der wallonischen Ge- meinde ausgebrochen waren, und es ist bemerkenswert, wie geflissentlich die Prädikanten einer Begegnung mit ihm da- mals auszuweichen suchten“). Am 23. September, einen Tag vor seiner Abreise, kamen „vier Herren, die zum theil der Irembden Patronen waren,“ zu ihnen in die Kastenstube und brachten ihnen a Lascos Purgatio zur Einsichtnahme und Widerlegung. Zugleich bestellten sie ihnen von Calvin: dieser stehe vor der Heimreise, wolle aber nicht so grob und unfreundlieh sein, daß er sie nicht vorher anspreche und segne; seien sie einverstanden, so komme er gerne in ihren Konvent; er sei im Römer und warte da ihre Antwort ab. Den Prädikanten mochte nach allem Vorausgegangenen bei dem Gedanken an eine persönliche Begegnung mit Calvin nicht eben behaglich zumute sein. Zugleich schien ihnen die Anwesenheit von Ratsherren bei der in Aussicht gestellten Zusammenkunft auf eine Disputation zu deuten. Nach den Erfahrungen aber, die man in Frankfurt soeben bei der Dis-

1) Hieran wurde Ritter bei dem oben mitgeteilten Gespräch von Glauburg und Humbracht noch besonders erinnert. *) Vgl. für das Folgende den Gegenbericht der Prädikanten. F. R. II. Beil. 14. S. 76. 4*

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patation zwischen Calvin und Vels mit dem Seharfsinne und der Dialektik des ersteren gemacht hatte!), gelüstete es sie nicht, jetzt ihm gegenüber dieselbe Rolle zu spielen wie Vels. Sie ließen deshalb Calvin antworten: se homines esse indoctos neque pares ad respondendum?), ein Armutszeugnis, das sie in ihrem „Gegenbericht“ lieber übergingen; sie wollen nur gesagt haben: er sei nicht ihretwegen nach Frankfurt ge- kommen, habe sie auch bei seiner Ankunft nicht begrüßt, sie könnten es ihm daher auch nicht übel nehmen, wenn er wieder heimreise, ohne sieh von ihnen zu verabschieden. Wünsche er nur eine freundschaftliche Aussprache mit ihnen, so bedürfe es dazu keiner Ratsherren. Nicht weiter führte eine Aussprache zwischen Calvin und Matthias Ritter beim Frübstück, wobei dieser jenen als „ehrwürdigen Lehrer“ titulierte; der ehrwürdige Lehrer fand aber, daß der Schüler gar verstockt sei. Eine persönliche Begegnung mit den Prädikanten fand indessen doch noch statt. Als diese den Fall vor ihrer Kastenstube noch miteinander besprachen, kam Calrin mit einigen Begleitern des Weges. Nach der Be- giüßung sprach er ihnen seine Verwunderung aus, daß sie in einer so klaren Sache so befangen seien; er habe nur vorgehabt, eine Art Verständigung herbeizuführen; da sie das aber nicht zugäben, so wolle er nicht so zudringlich sein, sie wider ihren Willen zu einer solchen bei den Haaren herbeizuschleifen. Die Wirkung der Überlegenheit, mit der er ihnen das sagte und dann auseinandersetzte, was er mit ihnen hatte besprechen wollen, war rerblüffend. Schließlich polterte einer®) heraus: wie ein göttliches Wesen sei er ihnen erschienen, wenn er nicht so hartnäckig auf seinem Irrtum bestünde; so aber könnten sie ihn nicht mit gutem Gewissen aufnehmen. Den übrigen war diese Erklärung denn doch zu eıbrlich, und sie gaben dem offenherzigen Amtsbruder ihr MiB allen deutlich zu erkennen, so daß auch Calvin nach Gebühr mit ihm verfahren konnte, Ein Zeichen des Ein- druckes, deu seine Persönlichkeit bei den Prädikanten hinter- ließ, bleibt es, daß sie den Bericht, welchen sie ein Jahr

) Calv. Opp. XVI, 301 sq. 819.

*) Ibid. 826, vgl. auch 452: quum a caeteris ecclesiastis non esses admissus ad colloquium.

) Offenbar Andreas Saxo, der sich auch bei der Begegnung weigerte, Calvin als einem Andersgläubigen die Hand zu geben, und ihn spüter als den Bannertrüger der Sakramentierer publice et privatim bezeichnete. Brief des Cnipius an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 451. Über dieses enfant terrible des damaligen Prediger- ministeriums vgl. Steitz, F. A. N. F. I. (1860). S. 190—185.

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vor seinem Tode über diese Begegnung veröffentlichten, bei aller unverkennbaren Abneigung gegen ihn doch nur mit der Notiz schließen konnten, er habe sie „freundlich gesegnet“.

Nachdem so der Versuch, ein Kolloquium zwischen Calrin und den Prädikanten herbeizuführen gescheitert war, gab der Rat den Gedanken an ein solches Privatkolloquium überhaupt auf, da es „hochnachteilig sein möchte“ 1). Von seinen Bedenken verständigte er den Grafen von Erbach )), der daraufhin die Sache nur Gott befehlen konnte“).

Ein Einfluß Calvins auf die kirchliche Entwickelung Frankfarts ist von da an nicht mehr zu beobachten. Selbst die Beziehungen zwischen ihm und Glauburg schliefen ein. Die Wege trennten sich schließlich, selbst wenn man sich über die Abendmahlslehre verständigte, bei der Frage der Kirchenzucht und der hinter dieser stehenden Beteiligung am Kirchenregiment, wodurch unerwünschte Reibungen, Grenzüberschreitungen und Eingriffe in die Rechte der welt- lichen Gewalt sich ergeben konnten. Dagegen hat die Prä- destinationslehre, mit der man später die Leute vor Calvin kopfscheu machte, überhaupt keine Holle gespielt.

2, Der Niedergang des Philippismus in der Stadt.

Nachdem die Bemühungen, in einer Disputation der Prádikanten mit Calvin über die Purgatio a Lascos die dogmatische Korrektheit der Fremden nachzuweisen, ge- seheitert waren, gewann es zunächst den Anschein, als sei der Übergang der Stadt in das Lager der Gensiolutheraner besiegelt. Am 21. Oktober 1556 faßte der Rat die Aus- weisung der Fremden ins Auge, da die Erklärung, welche sie über ihren Konfessionsstand bei ihrer Aufnahme abge- geben hätten, nicht zutreffe, sie auch untereinander in der Konfession nicht durchweg einig seien. Doch erinnerte man sich bereits am folgenden Tag an die theologische Autorität Melanchthons, und indem man die endgültige Entscheidung noch aussetzte, beschloß man, des Herrn Philippi Melanch- thonis Schrift, so er in Druck geben werde, zu erwarten“). Damit lenkte man in die Bahnen der Ratschlagung vom ll. Mai zurück, in der man am liebsten Melanchthon und andere gutherzige, gelehrte Leute seiner Art um Beilegung der Streitigkeiten gebeten haben würde, wenn man nicht

1) Ratschlagung vom 2). Oktoter 1556. Act. ref. I. Bl. 132. 7) Schreiben vom 3. November 1556. Ebenda Bl. 185,

3) Schreiben vom 14. November 1556, Ebenda Bl. 186,

*) Act, ref. I. Bl. 182—133.

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eine Absage befürchtet hätte. Daß das hohe Ansehen Melanchthons bei dem Rate auch weiterhin unerschüttert feststand, wissen wir aus dem Briefe, welchen der Schul- meister zu den Barfüßern Cnipius am 14. August 1557, als man den Wittenberger auf der Reise nach Worms in Frank- furt erwartete, an seinen Freund Franziskus Ithyges in Schleusingen schrieb: Amplissimus Senatus noster ... tanti facit eum, quanti hominem vere divinum et incomparabile lumen Ecclesiae Christi in hac extrema mundi senecta. Quamobrem non dubito plurimum honoris habitum iri!).

Melanchthons Ansicht in der Angelegenheit der Fremden hatte der Rat erst jüngst aus dessen Schreiben vom 13. Juli 1557?) kennen gelernt, das die Fremden von Lästerungen wider die Glaubensbekenntuisse und von den Irrtümern der Wiedertäufer freisprach und für sie geltend machte, daß sie ja das Sächsische Bekenntnis, diese Repetition der Augs- burger Konfession, angenommen hätten. Seien sie auch wegen des Ausdrucks „wesentlich“ im Artikel vom Nachtmahl be- denklich, so handle es sich hier doch um einen strittigen Punkt, über den die Unseren dunkle vnd fremde Reden führten, so daß erst eine eintrüchtige, gleiche Erklärung von gelehrten und gottesfürchtigen Männern in einer ernstlichen Unterredung gefaßt werden müsse. Bis dahin wolle ein ehr- barer Rat noch mit diesen Leuten Geduld haben. Würde man eine Inquisition vornehmen und sie verjagen, so seien die Folgen für die öffentliche Ruhe und Ordnung an anderen Orten gar nicht abzusehen. Der Rat hatte sich darauf be- schränkt, diese Fürsprache zu den Akten zu nehmen?) Sie konnte um so eher ohne Antwort bleiben, da sich bei der in Aussicht stehenden persönlichen Begegnung von selbst Ge- legenheit zu einer Klärung der Angelegenheit in mündlicher Aussprache ergab.

Was Melanchthon bei diesem AnlaB mit seinen Frank- furter Freunden beredete, ist uns nicht überliefert. Dagegen sind wir über seinen zweiten Aufenthalt in Frankfurt auf der Rückreise von Worms unterrichtet“). Müde und enttäuscht

1) F. A. N. F. I. (1860.) S. 237.

) F. R. I. Beil. 21 S. 44f.

) Beschluß vom 22. Juli 1557: Man laß es vff sich selbst be- ruhen . . . Act. ref. I. Bl. 157.

) Vgl. den Bericht des Hubert Languet an Calvin vom 15. März 1558. Calv. Opp. XVII, 89 sq.; den Bericht des Cnipius bei Steitz, F. A. N. F. I (1860). S. 196f.; den Bericht Hartmann Beyers bei Steitz, Melanchthons- und Lutherherbergen S. 46 (ohne Angabe der Namen auch F. R. II Beil. 28. S. 285f.).

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traf er in seinem alten Stammquartier bei Claus Bromm auf der Zeil ein und wußte mancherlei von den Fragen zu er- zählen, die die strenglutherische Partei in jenen Tagen be- wegten. Erasmus Sarcerius habe Partikeln der Hostie, die auf den Boden gefallen seien, sorgsam aufgelesen und an den Lichtern auf dem Altar verbrannt, den Boden aber an der betreffenden Stelle abschaben lassen. Und der Branden- burgische Hof habe wissen wollen, ob auch der Leib Christi hinab in den Magen komme. Er selber wollte von der &grolargeía und allem, was mit ihr zusammenhing, nichts wissen. Er unterließ es nicht, seinen alten Schuler Hart- mann Beyer, jetzt den Vertrauten Westphals, zu sich zu be- stellen und ihm „für einem gantzen tisch voll lewt“ ins Ge- wissen zu reden: Das sei ihrer Früchte eine, daß sie diese armen Leute vertreiben wollten. Er und seine Kollegen sollten doch endlich ihren Haß gegen diese unglücklichen Menschen aufgeben, die um Christi willen ins Elend gegangen seien, denn wer von deren schweren Leiden nicht gerührt werde, der verdiene nicht den Namen eines Menschen, ge- schweige denn eines Christen. Sie hätten dem Rate mit einem guten Beispiel vorangehen sollen, nun möchten sie sich wenigstens an seiner Gtlte und Milde ein gutes Beispiel nehmen. Daß Beyer sich darauf hinausreden wollte, er und seine Kollegen wüßten sich frei von Haß und hätten nur den Frieden der Kirche und Eintracht in der Lehre im Auge, nie aber hätten sie auf eine Ausweisung der Fremden hingearbeitet, war angesichts des Beschlusses, den sie am 21. Oktober 1556 bei dem Rate nahezu durchgebracht hatten, eine so kühne Behauptung, daß jetzt der milde Melanchthon eommotior wurde und anfing, davon zu reden, wie es zu allen Zeiten Menschen in der Kirche gegeben habe, die unter solchen Vorwänden ihre Grausamkeit zu verdecken gesucht hätten. Die deutschen und die fremden Gemeinden selen in der Lehre einig, nur im Artikel vom Nachtmahl wünschten die Fremden eine nähere Erklärung, auch er balte diese Frage noch nicht für hinreichend geklärt. Am anderen Morgen ließ er dann Beyer nochmals zu sich kommen, bat ihn, Frieden zu halten und vertröstete ihn auf eine Synode der Evangelischen, auf der eine Verstän- digung über die strittigen Punkte herbeigeführt werden solle. Beyer aber verhielt sich durchaus ablehnend. Sie dürften die Lehre nicht verschweigen und müßten, was dawider sei, strafen, sonderlich, da nian Öffentlich anders lehre. So bestand der einzige Erfolg der Aussprache darin, daß Beyer sein Herz in den Busen Westphals ausschüttete, der daraufhin auf seiner Kanzel gegen Melanchthon jetzt

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ganz ebenso tobte wie gegen Calvin und ihn einen Sakramen- tierer schalt.

Das Jahr 1558 schien die von Melanchthon so heiß er- sehnte Verständigung der Protestanten untereinander bringen und damit auch in Frankfurt den kirchlichen Frieden be- siegeln zu wollen. Nachdem die Katholiken das Wormser Kolloquium mit der Begründung abgebrochen hatten, die Fortsetzung sei zwecklos, da die Evangelischen unter sich selbst uneins seien, benützten die evangelischen Stände den Frankfurter Wahltag von 1558 zu einem neuen Versuch, eine Verständigung über die obschwebenden innerprotestan- tischen Fragen herbeizuführen!) Der Frankfurter RezeB, der als das Ergebnis dieser Bemühungen am 18. März zu- stande kam?), nahm zu dem Osiandrischen, Majoristischen und adiaphoristischen Streite ganz im Sinne Melanchthons Stellung. In der Abendmahlslehre lehnte er in seinem dritten Artikel die Transsubstantiation ebenso wie die Lehre Zwinglis ab: „Das auch etliche allein dieses sagen, daß der Herr Christus nicht wesentlich da seye, und das dieses Zeichen allein ein äusserlich Zeichen seye, darbey die Christen ihre Bekandnuß thun und zu khennen seyen, diese Reden seinnt unrecht etc.“ Als die rechte Lehre von dem heiligen Mahle wurde unter Berufung auf die Augsburger Konfession fest- gestellt: „Daß in dieser des HErrn Christi Ordnung seines Abendmahls er wahrhafftig lebendig, wesentlich vnd gegen- wertig seye, auch mit Brot vnd Wein, als von Ime geordnet, vos Christen sein Leib vnd Blut zu essen vnd zu trincken geben, vnd bezeugt hiemit, daß wir seine Gliedmassen sind, applieir vns sieh selbst vnd seine gnedige Verheisung, vnd würckt in vns ete.“ Später hat man die Entdeckung ge- macht?) dieser Artikel sei mit so zweideutigen Worten ab- gefaßt, „daß sowohl die Lutheraner als die Anhänger Zwinglis und Calvins ihre Lehre aus ihm behaupten künnten.^ Die Reformierten stimmten ihm denn auch freudig zu. Hotomanus in Straßburg schrieb tiber den Rezeß am 28. Juni 1558 an Calvin: Mihi sane articulus de coena placuit et D. Zancho valde arridet*) Die Frankfurter Prüdikanten hatten gegen die weitherzige Fassung des Artikels vom Abendmahl keine Bedenken. Als ihnen der Rat den Rezeß zustellte*), wieder-

1) Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555—1581. I, 266ff.

) F. R. I. Beil. 19. S. 37ff.

3) Kirchen-Geschichte von denen Reformirten S, 122f.

) Calv. Opp. XVII, 226.

*) Ratschlagung vom 16. Mai 1568. Act. ref. I. Bl. 159.

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holten sie die vier Artikel mit eigener Umschreibung uud erklärten, sie hätten „nichts strittiges wieder diese Artickel?).* Es war klug von dem Rate gehandelt, daß er den Fremden den Rezeß erst ein paar Tage später zugehen ließ?), so daß ihre Stellungnahme für die Entscheidung des Ministeriums ohne Einfluß blieb. Auch sie erklärten sich, da der in diesen Fragen so bedenkliche a Lasco nicht mehr unter ihnen weilte, in einem ausführlichen Schreiben einverstanden®). Somit hatte es endlich den Anschein gewonnen, als sei der lang- wierige, unerquickliche Streit durch die Bemühungen Me- lanchthons beigelegt. Tatsächlich finden sich auch von jetzt an fast drei Jahre lang keine Schriften der Prädikanten gegen die Fremden.

Indessen der Trieb, ihre Rechtgläubigkeit zu bezeugen, indem sie anderen den rechten Glauben absprachen, war in den Prädikanten viel zu stark entwickelt, als daß sie nicht eines neuen Objektes für ihren Bekennermat bedurft hätten. Sie fanden es denn auch schon bald in dem Schulmeister Johann Kneip aus Andernach oder, wie er sich selber unter- schrieben hat, Johannes Cnipius Andronicus, mit dem sie sich bereits vor der Ankunft der Fremden wiederholt aus- einandergesetzt hatten.

Cnipius?), der, ungefähr wohl ein Altersgenosse Calvins, früher in Mainz gewirkt und zur Zeit der Kölner Reformation die lateinische Schule in seiner Vaterstadt Andernach ge- leitet hatte und dann als Prädikant in Heppenheim auf der Wiesen (bei Oppenheim) tätig gewesen war, war seit 1550 ludimagister oder, wie er selber sich lieber nannte, gymna- siarcha in Frankfurt, nachdem Hartmann Beyer diese Stelle ausgeschlagen hatte. Seine theologischen Anschauungen standen, wenigstens in der Abendmahlslehre, nach seiner eigenen Ángabe^) seit spätestens 1527 fest, haben aber ihre Formulierungen von Melanchthon übernommen. Mit diesem

1) F. R. II. Beil. 29. S. 286—288.

*) Am 20. Mai. Vgl. den Brief Perucelles an Calvin vom 9. Juni. Calv. Opp. XVII, 199.

) F. R. I. Beil. 20. S. 39—44. Vom 25. Mai.

) Vgl. über ihn Steitz, M. Johannes Cnipius Andronicus, Schul- meister zu den Barfüßern 1550 1562, der theolog. Vertreter des Melanchthonianismus in Frankfurt. F. A. N. F. I. (1860) 167—250. Über seine Anfänge: S. 214f.

5) Joannis Cnipii confessio de Coena Domini, praedicatoribus Francofurtanis exhibita et Philippo Melanthoni probata (1559: In hac Confessione immotus perstiti ab annis amplius triginta duobus). A. a. O. 211.

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und Bucer síand er seit 1543 in Verbindung. Besonders innig aber gestalteten sich seine Beziehungen zu Hardenberg, dessen Bekanntschaft er 1544 machte; ,Keiner unter den Sterblichen,“ erzählte er noch 1557 Claus Bromm !), „schreibt ófter und ausführlicher an mich als dieser.^ Der Kreis, in welehen er in Frankfurt eintrat, wurde, wie uns seine Briefe an Hans und Claus Bromm, Johann von Glauburg und Lud- wig Martorff zeigen, von jenen Patriziern gebildet, die seit der Zeit Wilhelm Nesens sich für die klassischen Studien begeisterten. Ritter hat ihn für einen Zwinglianer ausge- geben?) Er selber hat Melanchthon als den Mann bezeich- net, dem er am meisten verdanke?) Wie Melanchthon den Glauben an eine Katholizitit aller Christen festhielt, so legte auch er auf die Übereinstimmung mit den anerkannten alten Vätern den größten Wert; sie war ihm der Prüfstein für die Wahrheit eines Dogmas: Quidquid docetur contra fidem et confessionem sanctae ecclesiae catholicae, profanum haere- ticum et impium est, gab er Ritter einmal gegen die Ubiqui- tätslehre zu bedenken*) Mit den aufrichtigsten Wünschen und Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung der Konfessionen begleitete er die Reise Melanchthons nach Worms ). Nament- lich aber erwartete er von Melanchthon einen Ausgleich der Gegensätze zwischen Lutheranern und Zwinglianern: Efficiet Christus. .., schrieb er an Claus Bromm®), als die Kanzel- polemik in der Stadt nicht verstummen wollte, per hoc elec- tum et salutare organum suum, ut dehinc evanescant odiosa illa nomina Saeramentariorum et Sacramentiperdarum, item Lutberanorum et Zwinglianorum, utque tandem quasi in unum corpus coalescant omnes, qui hactenus dispari ore dispari- busque cognominibus renovatam Euangelii Jesu Christi doc- trinam sunt amplexi. Orandus est nobis Deus ardentibusque votis nostris quotidie solicitandus, ut quod pie et sanete op- tamus, mature fiat. Was ihn von Melanchthon unterscheidet, ist nur das Eine, daß er, namentlich in der Abendmahlslehre,

) Brief vom 4. März 1557. A. a. O. 231. 2) Evang. Denckmahl S. 436. . *) Melanthoni, cui sane debeo plurimum. Brief an Calvin vom

18, Sept. 1559. Calv. Opp. XVII, 642. Steitz hat die Briefe an Calvin noch nicht gekannt.

*) Brief an Calvin vom 15, April 1557. Calv. Opp. XVI, 452. Vgl. dazu die Mitteilungen aus seinem Schreiben an den Rat von 1559 bei Steitz S. 204.

5) Brief an M. Franziskus Jthyges in Schleusingen vom 14. August 1557. A. a. O. S. 237,

3) Brief vom 4. März 1557. A, a. O. S. 231.

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auch die letzten Konsequenzen offen aussprach, die Melanch- thon lieber vorsichtig für sich behielt.

Die Prädikanten haben über ihre anfänglichen Beziehun- gen zu Cnipius dem Rate einmal geschrieben!), sie hätten nit anders gemeint, denn als seien sie mit einander gute Freunde; sie hätten ihn nit anders, denn einen guten und treuen Lehrer und Mitbruder empfangen und gehalten, auch zu ihren Brautsuppen gebeten und Kinder zu ihm in seine Schule getan. Wenn dieses freundliche Verhältnis nicht von Bestand war, so liegt die Schuld daran gewiD zu einem Teil an dem Charakter des Cnipius, der ,ein bitterer und spót- tiseher Mann war, wenn man ihm nicht Recht gab“ ). Es macht keinen erfreulichen Eindrack, wenn er mit breitem Be- hagen Calvin von seinen Händeln mit Andreas Saxo und von den permulta epigrammata erzählt, die er über Timann in der Stadt verbreitet habe*). Seinem Unmute tiber den starren Dogmatismus der Prädikanten machte er gerne in einem Wortspiele Luft, in dem er von den Lutheranis als von den baerentibus adhuc sive coaxantibus adhuc in Stoicorum luto ranis sprach“). Ihre Verstöße gegen Orthographie und Grammatik ließ er sich als richtiger Schulmeister nicht ent- gehen. Dem Pfarrer Haberkorn rechnete er nach, daß er in einem seiner Schreiben zwölf Wörter fehlerhaft geschrieben und bei achtundfünfzig die Buchstaben so versetzt habe, daß er es seinen Schülern zur Übung Überlassen habe, die Sehnitzer zu suchen, und als ihn der Plarrer Saxo einmal bei dem Rate verklagte, rächte er sich an ihm, indem er durch fünf seiner Schüler nicht weniger als hundertundelf Verstöße der Klageschrift gegen die Grammatik festnagelte. War diese kleinliche Mäkelei zusammen mit einem auf- fallenden Mangel an Takt nicht eben dazu angetan, ihm Sympathien zu erwerben oder zu erhalten, so erschwerte er sich seine Stellung vollends durch die Eitelkeit“, mit der er von seinen Kenntnissen Gebrauch machte und bei theo- logischen Debatten die Prädikanten seine wissenschaftliche Überlegenheit fühlen ließ. Denn „durch den Reichtum seiner humanistischen und theologischen Bildung wie durch die Klar- heit seines scharfen Denkens“ war er ausgezeichnet“), und

!) Am 18. April 1559. Bei Steitz S, 180, ) Ritter, Ev. Denckmahl S. 486, *) Brief an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 451. *) Bei Steitz S. 187. 5) Vgl. Wendungen wie: Haec praedictus Matthias (sc. Ritter) .. nullo modo solvere aut diluere potuit. Brief an Calvin vom s April 1557. Calv. Opp. XVI, 452. 6) Bei Steitz S. 167.

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man konnte bedauern, daB von der Milde und den ver- mittelnden Tendenzen seiner Theologie sich seinem leiden- schaftlichen Temperamente so gar nichts mitteilte.

Der tiefere Grund freilich zu dem Zerwürfnis, das wir zwischen ihm und den Prädikanten schon bald feststellen müssen,. lag in der Verschiedenheit der theologischen An- schauungen. Das Jahr 1550 war für den Eintritt eines Ver- treters der melanchthonischen Denkweise in die Frankfurter Verhältnisse kein günstiger Zeitpunkt. Denn eben damals fingen die Beziehungen zwischen den Pfarrern der Stadt und Melanchthon an zu erkalten infolge der Streitigkeiten um das Interim, und es war für den neuen Schulmeister zu den Barfüßern bei der Geistlichkeit keine Empfehlung, daß er in diesen Streitigkeiten entschieden den Standpunkt Melanch- thons vertrat. Cnipius hätte seine ganze kampfeslustige Natur verleugnen müssen, wenn er sich in den Fragen, die die Gemüter so lebhaft bewegten, Schweigen oder auch nur vorsichtige Zurückhaltung hätte auferlegen wollen. Von seinem philippistischen Standpunkte aus ergriff er nach ein- ander zu allen diesen Fragen das Wort.

Seine erste Kontroverse mit dem Ministerium fiel bereits in das Jahr 1553. Es hatte ihn schon verdrossen, daß etwas früher Hartmann Beyer in einer pseudonym erschiene- nen Schrift!) der Politik des Rates in der Zeit des Interims entgegengetreten war. Als dann derselbe Beyer am Oster- sonntag?) der Ratsverordnung vom 5. Januar, die die Wieder- einführung aller nieht auf Sonntage fallenden Feste befahl, keck entgegentrat und in der überfüllten Barfüßerkirche eiferte: ,Meine Herren gehn mit eitel narretheidung vmb u. s. W.“, fand er sich bemüßigt, ihm non paucis entgegen- zutreten*).

Diesem ersten ließ er nach wenigen Tagen (am 13. April) ein zweites Sehreiben*) folgen. Hatten die Prädikanten in ihre Predigten Verse aus Kernliedern der Heformation ein- geflochten wie: „Es ist ja unser Tun umsunst, auch in dem

1) Warer Grundt vnd Beweisung, das die vnrecht handeln, die jren Predigern verbieten, das antichristische Bapstumb mit seinen greweln zu straffen. M. Sigismundus Cephalus.

3) Die Lunae paschalis in dem Briefe des Cnipius an Johann von Glauburg vom 4. Mai 1559 (Steitz a. a. O. S. 234) ist ein nach sechs Jahren begreifliches Versehen. Für das Tatsächliche vgl. Steitz, Hart- mann Beyer S. 71f., wo aber die Kanzelabkündigung Beyers wesentlich abgeschwächt ist.

*) Dieses Schreiben ist nicht erhalten. Vgl. Steitz, Cnipius S. 182,

) Epistola de servanda doctrinae forma. Vgl. Steitz, Cnipius S. 183.

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besten Leben“, „die Werke helfen nimmehrmehr“ u. ä., 80 fand er das im Widerspruch mit Artikel 6 und 20 der Augustana, wo Melanchthon die guten Werke für notwendig erklärt hatte, auch wenn sie nicht verdienstlich seien. Jene Kirehenlieder waren ihm Teufelsstank (paedores Diaboli). Er berief sich gegen sie auf Sätze von Brenz, Melanchthon und Apinus über die Rechtfertigung, die die guten Werke als notwendige Frucht des in der Liebe tätigen Glaubens bezeichneten, und er forderte von den Prädikanten eine offene Erklärung, ob sie bisher so gelehrt hätten. Sei es der Fall, s% sei es ein auffallendes Mißgeschick, daß er in den drei Jahren seines Hierseins nie etwas davon vernommen babe. Sei es nicht der Fall, so hätten sie vielen Argernis gegeben, manche zu einem gottlosen Wandel veranlaßt und Gottlose zu jeglicher Ruchlosigkeit aufgemuntert.

Seinen dritten Streit hatte Cnipius mit dem Pfarrer Eberhard Haberkorn in dem benachbarten Oberursel, der tis 1548 in Frankfurt gewesen war. Nachdem persönliche Reibereien vorausgegangen waren, kam es zwischen beiden 1555 zu einer Auseinandersetzung über die Willensfreiheit, wobei Haberkorn den Standpunkt vertrat: 1. Was wir Gutes oder Böses tun, tun wir aus reiner Notwendigkeit, oder viel- mehr wir erleiden es; 2. Gott wirkt in uns das Gute und Böse, und wir unterliegen seinem Wirken in willenloser Passisität; 3. es steht nicht in unserem freien Willen, etwas Gotes oder Böses zu denken, sondern alles geschieht nach unbedingter Notwendigkeit. Waren diese Sätze an Luthers de servo arbitrio orientiert, so stand Cnipius auf der Seite Melanchthons, der in solchen Anschauungen stoica et mani- ebaica deliramenta erblickte. Er verwarf die Ansicht Haber- korns gleichfalls als stoischen und manichäischen Irrtum, der, in der alten Kirche unerhört, erst durch Wicliffe und Lau- rentius Valla eingeschleift, von Luther 1525 gegen Erasmus vertreten, später aber von ihm zurückgenommen sei, uud er- klärte sich dafür, daß auch in den nicht Wiedergeborenen eine gewisse Willensfreiheit und Wahlvermögen sei. So brachte er den Gegensatz auf die Antithese: Ego facio nos- tram voluntatem cooperantem gratiae Dei, tu facis nihil aliud, quam patientem. Zu einem Ergebnis führte der Streit nicht.

berkorn glaubte, eine Entscheidung durch die Wittenberger herbeiführen zu können, und wandte sich deshalb an diese. Da aber diese sämtlich die Anschauungen Melanchthons ver- traten und Cnipius einen regelmäßigen Briefwechsel mit ihnen unterhielt, so war damit nichts für ihn gewonnen’).

DR

N) Steitz S. 184—187.

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Die nächste Fehde hatte der streitbare Humanist mit Andreas Saxo, dem Pfarrer von Sachsenhausen. Den Anlaß bot die Farrago Timanns, die 1555 bei Peter Brubach in Frankfurt erschien. Er konnte es nicht unterlassen!), auch zu dieser Veröffentlichung das Wort zu ergreifen. Da ihn aber Veit Windsheim in Wittenberg vor einem Konflikt mit denen gewarnt hatte, die in ihrem Aberglauben und in ihrer Ruhmbegier alles, was Luther geschrieben habe, für Orakel hielten, versah er sein Exemplar der Farrago mit allerlei Glossen und ließ es so dureh Johann von Glauburg bei seinen Gesinnungsgenossen unter den Patriziern zirkulieren. Von dem liber non exiguus, zu dem ihm diese Glossen an- . gehwollen?), erfuhr nun auch Saxo und hielt ihm in einer bei dem Rate eingereichten Schrift, zugleich im Namen seiner Amtsbrüder, eine zehn Seiten lange Strafrede. Er erreichte damit aber nur, daß der gewandte Latinist ihn mit einem Hagel fein geschliffener Epigramme überschüttete und die ihm zugedachte Philippika in einer Weise kommentierte, daß von einem Einschreiten des Rates gegen ihn nicht mehr die Rede sein konnte. Da Saxo nicht auch über attisches Salz verfügte, so nahm er zu der Sachsenhäuser Muse seine Zu- flucht und titulierte seinen gelehrten Gegner in einer neuen Eingabe an den Rat als Cnepio und Cnapio, als unflätigen Wiedehopf, stinkenden Bock, bösen Engel, unflätiges Vieh, Gutzgauch u. dgl. m., daß Cnipius bekannte, er habe viele Schmähungen in griechischen und lateinischen, heidnischen und christlichen Büchern bei Tag und Nacht gelesen, aber eine solche Flut von Schimpfwörtern, Skurrilitäten, Verleum- dungen, Lügen und üblen Nachreden sei ihm bisher noch nicht vorgekommen, der Satan selber müsse dem Herrn Pfarrer die Feder geführt haben. Es ehrt das Predigerministerium, daß Geltner und Beyer von den würdelosen Auslassungen ihres Amtsbruders nichts wissen wollten?).

Je mehr die Melanchthonische Denkweise zur Scheide- wand zwischen den Pfarrern der Stadt und Cnipius wurde, desto mehr fand sich dieser in ihr mit den Fremden zu-

!) Vgl. seinen Brief an Johann von Glauburg vom 6. Dezember 1555: Ego salva conscientia meum de farragine illa iudicium inter tot curas et labores dissimulare non potui. Deinde tot convicia, maledicta et anathemata in Christianos Doctores et pias Ecclesias vibrata esse magna cum indignatione vidi, quibus quidem haec inclyta urbs, fam liberalis et benigna piorum hospita, quadantenus infamatur, Bei Steitz S. 282. |

) Brief an Calvin vom 15, April 1557. Calv. Opp. XVI, 451.

3) Steitz S. 190—194.

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sammen. Noch besitzen wir von ihm aus den Tagen der Auseinandersetzung mit Saxo einen Brief an Poullain?), der in seinem ganzen Tone Kunde gibt von dem engen, auf Achtung und Vertrauen begründeten Verhältnis zwischen diesen beiden Männern. Veranlaßt ist der Brief durch den Wansch des Cnipius, die Purgatio a Lascos zu verdeutschen. Als er zwei oder drei Seiten weit gekommen war, überzeugte er sich, daß er bei der beständigen Bezugnahme des Ver- lassers auf die Augustana ohne deren deutschen Wortlaut nicht auskomme, ne si alicubi disereparem non in sententia, sed in verbis, dicar ebur atramento candefacere voluisse. Er gab dann nach einigen vergeblichen Versuchen, die deutsche Ausgabe der Konfession bei Poullain oder einem der Patrizier m entleihen, die Arbeit überhaupt auf. Bei Poullain ent- schuldigte er sich mit Arbeitstiberhäufung und seiner unge- gifenen Gesundheit. Calvin gegenüber machte er geltend?), er müsse eine ihm soeben zugegangene Schrift des Stadt- Marrers zu St. Bartholomäi, Heinrich Pfleger?), die ganz den Geist des Antichrists atme, aus der Bibel und den Vätern widerlegen. Der eigentliche Grund dürfte darin zu finden *in, daB die Purgatio mit ihren rein theologischen, durch- aus irenisch gehaltenen Ausführungen in keiner Weise der gereizten Stimmung entsprach, in der er sich befand.

Das Jahr 1557, welches für den Schulmeister zu den Barfüßern mit so viel Verdruß begonnen hatte, brachte die eigentliche Krise für die von ihm vertretene Denkweise in der Stadt. Der Umschwung wurde herbeigeführt durch die Enttäuschung, welche der Seigerhandel der Stadt brachte. Das Riesendarlehen, das man den Grafen von Mansfeld auf ihre Kupferbergwerke gewährt hatte, trug der Stadt nicht eine glänzende Verzinsung, sondern eine vermehrte Schulden- wirtschaft ein. Verantwortlich aber machte man für die ver- hlte Spekulation Claus Bromm, den Schüler und Freund Melanchthons, der 1558 aus dem Rate ausscheiden mußte. Auch Johann von Glauburg, der gleichfalls an der Sache beteiligt war, büßte in der Folge an Ansehen ein. Gleich-

) Abschrift im Frankfurter Stadtarchiv. Uffb. Mscr. Bd. 15. 128—131, vom 14. März 1557. Im Auszug bei Steitz S. 189f. Auch ler Berieht über die Begegnung Saxos mit Hieronymus Zober S. 198 it diesem Briefe entnommen,

) Brief vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 452 sq.

) Der Name ergibt sich aus der: Wetterau I, 129, wonach Pfleger, ein geborener Frankfurter, von 1558— 1561 Pfarrer an St. Bartholomii "ar. Cnipius schreibt: Scriptor libelli Francofordiensis pastor est sacri- iorum in primario templo, hic natus et educatus.

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zeitig taten die Prädikanten, was in ihren Kräften stand, um Luther, dessen Ansehen im Westen Deutschlands noch sehr gering war, als den tertius Elia zur Geltung zu bringen. Matthias Ritter gab jetzt eine lateinische Bearbeitung der Lutherbiographie des Johannes Pollicarius Cygnäus in Weißen- fels heraus, die ersichtlich für die Patrizier bestimmt war und für alle nicht völlig Blinden Luther als ein auserwähltes Rüstzeug Gottes erweisen sollte, dazu bereitet, um mit großer Kraft und Glauben die wahre Religion aus der Finsternis wieder ans Licht zu bringen, die „wahre Religion“, welche Melanchthon im Hause Bromms „vor einem Tisch voll Leut“ in der Person des Lutheraners Beyer so hart gescholten hatte!) Die Konsequenzen aber aus der Lutherverehrung für die kirehliehe Praxis zog man, indem man nach dem Ausscheiden von Ambach und Lulius aus dem Ministerium sich beeilte, in den jetzt wiederauflebenden kirchlichen Katechisationen den Kleinen Katechismus Luthers einzuführen und damit den Kompromiß-Katechismus, der vor einem halben Menschenalter als das Produkt von soviel Kampf und Mtihe zustande gekommen war, preiszugeben?).

Es hatte unter diesen Umständen wenig Bedeutung, dab Cnipius nach dem Wormser Kolloquium im Hause Bromms mit Melanchthon vertraute Zwiesprache pflog und sich von ibm die Richtigkeit seiner Auffassung vom Abendmahl be- stätigen lie8?). Der Stern Melanchthons fing an dem Frank- furter Himmel merklieh an zu erbleichen. Johann von Glau- burg hielt zwar bis zuletzt an seinem Wittenberger Freunde fest, und wührend seine Beziehungen zu Calvin erkalteten, gegen den er gelegentlich den Verdacht der Voreingenommen- heit äußerte“), erbat er sich von Melanchthon noch in dessen letzten Tagen ein Gutachten in dem Streit der Frankfurter Fremdengemeinden, zu dessen Schiedsrichter er bestellt war “).

1) Vgl. K. Bauer, Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. S 53—55.

2) Vgl. die Ratsprotokolle vom 11. und 16. März, sowie vom 7 und 29. April. Die Prädikanten teilten dem Rate nur ihr Vorhaben mit, „den Catechismum“ auf die Sonntage in der Kirchen (in den Nach- mittagspredigten) anzurichten Daß sie beabsichtigten, von dem offiziell eingeführten Frankfurter zu dem Kleinen Lutherischen Katechismus überzugehen, verschwiegen sie.

3) Brief an Calvin vom 2, April 1558. Calv. Opp. XVII, 121. Steitz, S. 196f.

*) Vgl. den Brief des Dathenus an Calvin vom 11. April 1560, Calv. Opp. XVIIT, 44.

5) Frankfurter Stadtarchiv: Mglb. F. 16 Nr. 1.

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Aber für die Haltung des Rates und vollends der Geistlich- keit war damit nichts entschieden. Von dem Rückgang des Einflusses Melanchthons auf das offizielle Frankfurt brachte das Jahr 1559 eine charakteristische Probe !). Um die Seel- sorge nach dem Abgange Saxos nicht notleiden zu lassen, dessen Stellung im vorigen Frühjahr endlich unhaltbar ge- worden war*) beschloß der Rat die Anstellung eines Nach- lolgers und wandte sich am 16. März eines geschickten, taug- lichen Prädikanten halben an Melanehthon. Dieser faBte nach Rücksprache init Paul Eber den Prediger David Voit in Jena ins Auge, der ibm als ein Mann von recht christlichem Ver- stand. gottesfürchtig und friedliebend bekannt war und eben damals eine Veründerung anstrebte, um den Streitigkeiten mit Flacius zu entgehen. Der Eintritt Voits, der bald darauf nach Königsberg ging, in den Frankfurter Kirchendienst hätte wohl der Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse hier in der Richtung des Gnesioluthertums einen Riegel vor- geschoben. Aber eben das lief den Interessen Beyers und Ritters zuwider. Ihnen lag alles daran, die Homogenität ihres Kollegiums zu erhalten, die mit dem Ausscheiden von Ambach und Lulius erst kürzlich hergestellt worden war. Als sie Kunde davon erhielten, daß Melanchthon ihren neuen Kollegen nominieren solle, beeilten sie sich, ihrerseits den kommenden Mann zu bestimmen. Es geht ganz offensichtlich auf ihr Betreiben zurück, daß der Rat die erbetene Antwort Melanehthons gar nicht erst abwartete, sondern drei Tage vor ihrem Eintreffen, am 13. April, Petrus Elfeldt in Eltville berief, der sich alsbald eng an Beyer anschloß. Damit war dem Philippismus der Eingang verwehrt und die Frankfurter Kirche endgültig an Westphal ausgeliefert. Melanchthon, dem man „seins angewanten vleiß halben“ dankte, schrieb am 9. Mai zurück: „Nu ist mir am liebsten, das ewre kirchen seer wol versorget sind mit christlichen vnd friedliebenden predicanten .... Ich bitt auch ewr erbarkeit, sie wollen nicht vnnotig gezenk erregen lassen.“ Es waren die letzten Zeilen, die der Rat von seinem alten Vertrauensmann er- bielt. Den Gang der Ereignisse haben sie nicht aufgehalten.

Der einzige Trüger des Philippismus in der Stadt war jetzt nur noch Cnipius. Es war ganz folgerichtig, daß die Prädikanten, die seit dem Frankfurter Rezeß keinen Anlaß fanden, gegeu die Fremdengemeinden vorzugehen, ihre ganze

1) Vgl. für das Folgende Steitz bei Classen, Über die Beziehungen Melauchthons zu Frankfurt a. M. S. 85—40. N) Er hatte auf offener Straße den Vikar Palladius zu St. Bar- tholomäi mißhandelt. Steitz S. 191f. Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 5

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Kraft gegen ihn zusammenfaßten. Als Streitpunkt mußte das Abendmahl dienen. Jahrelang!) war der humanistische Schul- mann der heiligen Feier fern geblieben. Endlich ließ er sich von einigen Ratsherren bestimmen, sich anzumelden, und reichte am 18. Januar 1559 bei Marcus Sabander eine schrift- liche?) Confessio de Coena Domini ein. Mit der zweiten Ausgabe der loei Melanchthons?) versicherte er: Nec author, nec assertor ullius novi dogmatis esse volo, quod non habet Eeclesiae veteris probata testimonia. Non enim contemno Ecclesiae Catholicae iudicium et authoritatem. Voraus schickte er eine Reihe von Sützen, in denen er mit den Prüdikanten übereinstimmte: Tenemus fideliter hunc panem et hoc vinum esse corporis et sanguinis Christi Sacramentum, in cuius sumptione ... filius Dei vere adest et testatur, se applicare credentibus sua beneficia et se assumpsisse humanam natu- ram propter nos, ut nos quoque sibi insertos fide membra sua faciat, et nos ablutos esse sanguine suo. Die Sakra- mente dienen der Stürkung des Glaubens, wirken aber nicht ex opere operato, sondern nur cum fide. Der Charakter des Abendmahls als einer eögagsoria kommt ebenso zur Geltung wie der einer Gemeinschaftsfeier. Dann aber setzt sich die Confessio in Gegensatz zu den Gesinnungsgenossen West- phals, indem sie die These verficht: bonos tantum edere Christum. Die Autoritäten sind auch hier die alten Väter. Mit Origenes folgert Cnipius: Wäre es anders, so würde Joh. 6, 51 hinfällig: quisquis ederit panem hunc, vivet in aeternum, Und mit Augustin und andern macht er den Unterschied: bonos et malos corpus et sanguinem Domini in sacra Coena pariter sumere sacramentaliter seu... sacra- mentotenus, bonos autem duntaxat revera corpus Christi edere. Oder: Deus... dat etiam plenum Sacramentum im- piis: at vero Sacramenti rem .... impii habere non possunt. Unter Berufung auf die Vüter definiert er: Saeramentum non

1) Nach dem Schreiben der Prüdikanten an den Rat vom 18. April 1559 (Steitz S. 180) war er „erstlich“ bei ihnen zum Nachtmahl ge- gangen. Er selber schrieb am 18. September 1559 an Calvin: Nou paucos hic egi annos cum literatis adolescentibus in schola nostra, et tamen a mensa dominica propter causas tibi non ignotas constanter abstinuimus. Calv. Opp. XVII, 642.

3) Die Angabe von Steitz S. 199, ein zuerst angebotenes münd- liches Glaubensbekenntnis habe den Prüdikanten nicht genügt, ist nach dem Brief an Calvin zu berichtigen, demzufolge Cnipius ihnen die Wahl zwischen einem mündlichen oder einem schriftlichen Bekenntnisse ließ. Die Confessio ist abgedruckt von Steitz, S. 239—244,

*) Corp. Ref, XXI, 479. Vgl. Steitz S. 241 Anm. 2.

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est reale et naturale seu verum corpus Christi, sed recte appellatum est corpus Christi propter analogiam et convenien- tiam infer Sacramentum et res Sacramenti. Auch des Syllo- gismus bediente er sich nach dem Vorbilde Melanchthons und wiederholte dabei den Schluß, mit welchem er bereits vor zwei Jahren!) Ritter in Verlegenheit gebracht hatte: Quiequid Christus confutavit, falsum, perniciosum et impium est. Christus confutavit opinionem illam de carnali mandu- catione veri et naturalis sui corporis. Igitur opinio illa de carnali manducatione veri et naturalis corporis Christi falsa, perniciosa ef impia est, ae proinde ex Diabolo, qui mendax est mendaciique pater, profecta.

Was die Prädikanten unter einem Bekenntnis vom Abend- mahl verstanden, war dieses Schriftstück mit seinen Beweis- führungen nicht. Um Beweise und Gründe war es ihnen überhaupt nieht zu tun, sondern um feste Formeln. Deshalb verwiesen sie Cnipius auf die Wittenberger Konkordie und die Augustana und vertrüsteten ihn mit seinen Argumenten anf ein künftiges Kolloquium. Da er sich indessen damit: nicht abfertigen ließ, so kam es zu einer Aussprache Beyers und Ritters mit ihm, das zwar die Formen der Höflichkeit nicht überschritt, aber zu keinem Ergebnis führte. Er fand es daher jetzt angezeigt, sein Abendmahlsbekenntnis an Me- lanchthon zu schicken nnd sich die Korrektheit seines Stand- punktes bezeugen zu lassen. Auf Grund des Zeugnisses, das er daraufhin dureh Peucer erhielt, wandte er sich dann?) mit einer Beschwerde an den Rat und bat, „sie wollten die viel- gemeldten Diener des Worts und Prädicanten dazu halten, daß sie mich samt den Meinen zum Nachtmahle lassen, wie andere Christenleute“. Er erreichte damit freilich nur, daß Beyer die Sache jetzt zum Gegenstande einer Kanzelpolemik machte und der Gemeinde predigte, die Sakramentsschwär- merei sei auch in die Schulen gekommen; von den hoch- gelehrtesten Bekennern des wahren Evangeliums, so zu dieser Zeit auf Erden lebten, redete er als von Schwärmern und Sakramentierern. Cnipius blieb die Antworf natürlich nicht schuldig. In seinem Schreiben vom 23. Mai erinnerte er den Rat mit Bezug auf den „greulichen capernaitischen Irrthum“ Beyers, Melanchthon und Bucer hätten „aus Gottes Wort und

1) Brief an Calvin vom 15. April 1557. Calv. Opp. XVI, 452.

23) Nicht „gleichzeitig“, wie Steitz S. 200 geschrieben hat. An Melanchthon hatte er sich vorher (, priusquam“) gewendet. Brief an Calvin vom 18. Sept. 1559. Calv. Opp. XVII, 642. Die Antwort aus Wittenberg lag ihm am 11. April vor. Vgl. seinen von diesem Tag datierten Brief an den jüngeren Johann von Glauburg, bei Steitz, S. 236.

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der alten Lehrer Schriften klärlich beweist, daß der recht natürlich Leib Christi nit ist in der Welt hie auf Erden, sondern er ist und bleibt im Himmel bis zum jüngsten Tag. Auch haben sie nachmals geschrieben, daß keine ungläubige Gottlosen des lebendigen Gottes Tempel seien. Daraus folgt unwidersprechlich, daß ein geistliche Nießung des wahren Leibs und Bluts Christi im Abendmahl des Herrn ist und empfähet der ungläubig Gottlose nur das äußerlich Sacrament zum Gericht.“ Auch das gab er zu bedenken: „So Lutherus sein liebstes und bestes Buch, die Postill, schier alle Jahr verändert und gebessert, und damit das vorige antiquirt, das ist abgethan und verworfen hat, daß man unbillig, ja wider Gott und Recht die frommen Christen schmähet und lästert, welche nach erkannter göttlicher Wahrheit irgend einen Artikel menschlicher Schriften oder Vereinigung ver- lassen und verwerfen.“

Da es die Prüdikanten vorzogen, statt diese Gedanken- günge als irrig zu erweisen, lieber die ihnen geläufigen Ketzernamen auf Cnipius anzuwenden, fand es dieser jetzt an der Zeit, mit einer deutschen Übersetzung seines Abend- mahlsbekenntnisses und sechs ausführlich begründeten Thesen!) an den Bürgermeister Humbracht heranzutreten, der diese Schriftstücke im Rate verlesen ließ. Aber nur quinque pie docti erklärten sich mit ihnen einverstanden. Sie wurden überstimmt durch die homines indocti stolidique. Die Losung kam bezeichnend für die Gestaltung der Lage von der Handwerkerbank, deren Wortführer schalt: non esse concedendum ut invitis ecclesiastis, receptae confessionis Augustanae propugnatoribus unus ludimagister ecclesiam reformaret et civitatem. Daß sich Cnipius bei dieser Ent- Scheidung nicht beruhigte, sondern sich in lateinischen und deutschen Sehriften an seine Gesinnungsgenossen wandte, war selbstverstündlich.

1) Calv. Opp. XVII, 642 sq.: Primus articulus erat: de vero et naturali corpore Christi non in terra quaerendo, sed in coelo. Secundus demonstrabat aliud esse panem Dominum, aliud vero panem Domini.... Tertius articulus habebat veram expositionem verborum coenae ex capite 6 Joannis et probatissimis ecclesiae doctoribus desumptam et quod contra praedicta omnia sacris eloquiis confirmata vanum et ab- surdum sit opponere argumentationem de omnipotentia Dei. Quartus erat articulus de spirituali cibo et potu corporis et sanguinis Domini. Quintus docebat hunc a nullo homine, i. e. nallius ministri manu posse dari sed ab ipso Christo Domino per spiritum sanctum. Sextus articulus evincebat sacramenta quidem piis et impiis convivis mensae Domini communia esse sed rem et virtutem eorum ad impios non pervenire.

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Ivzwischen hatte der Handel noch ein Nachspiel für Humbracht. Als dieser im Spätjahr zum Abendmahl gehen wollte, hielt er es für ein Gebot der Ehrlichkeit, den Prädi- kanten zu erklären, er könne ihre Lehre vom Abendmahl nicht in allen Teilen für richtig halten. Den Prädikanten war es wohl nur willkommen, gerade an dem Bürgermeister der Stadt ein Exempel zu statuieren und vor aller Offent- lichkeit zu zeigen, daß nicht die Gesinnungsgenossen Me- lanehthons unter den Laien, und wären sie noch so hoch gestellt, sondern allein sie selber über den dogmatischen Charakter der Stadt zu entscheiden hätten. Sie wiesen dem- gemäß Humbracht vom Altar zurück!) Es war umsonst, daß Johann von Glauburg an die christliche Milde Ritters appellierte, und ihn warnte, zum Urheber von Spaltungen zu werden. Das Ministerium beharrte bei seiner Entscheidung. Humbracht konnte nur brieflich seinen Gefühlen Luft machen: „Wie ganz anders unser Hirte und Meister, den sie doch preisen! Wenn der eins von seinen Schäflein verloren hat, läßt er es nicht fahren, sondern läßt die neunundneunzig zurück und rastet nicht, bis er das verlorene gefunden. Mögen sie immerhin mich ausschließen, mit Gleichmut trage ich ihre papistische Anmaßung, halte ich mich doch über- zeugt, von Christo nicht ausgeschlossen zu sein, und freue mich, mit seinen Erwäblten sein Angesicht zu schauen?).“

Coipius blieb inzwischen nicht müßig. Zunächst sorgte er dafür, daß sein Abendmahlsbekenntnis auch anderswo be- kannt wurde. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und der Schweiz ließ er sich seine Verbreitung an- gelegen sein“). Dann ging er daran, eine deutsche Schrift über das Abendmahl zu schreiben, deren Vollendung er am 11. November Johann von Glauburg mitteilen konnte. Er war so zufrieden mit ihr, daß er sie drucken ließ: „Kurtzes Bekenntnis vom Nachtmahl des Herrn“ (21. Januar 1561)*). Außerdem veröffentlichte er noch im Jahre 1560 zwei latei-

1) Brief des Cnipius an Calvin vom 18, Sept. 1559, Calv. Opp. XVII, 643.

) Steitz, Hartmann Beyer S. 122 f., wo jedoch die Zeitangabe (wie öfters bei Steitz) fehlt.

5) Vgl. den Brief an Johann von Glauburg vom 11. November 1559. Bei Steitz, S. 285. Aus dem Vergleich des Datums dieses Briefes mit dem folgenden (an den jüngeren Glauburg, vom 11. April) ergibt sich, daß diese Versendung seiner Confessio nicht, wie Steitz S. 200 annahm, gleichzeitig mit dem Schreiben an Melanchthon, sondern erst im Spir- jahr erfolgte.

*) Vgl. Act. eccl. IV, 4 vom Jahre 1561.

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nische Schriften über den gleichen Gegenstand unter dem Titel: Christiana confessio de coena Domini exhibita nuper quibusdam Theologis und De coena Domini veritas Catholica, in gratiam studiosae juventutis methodice tractata ). Die erste Schrift war, wie der Titel zeigt, eine Überarbeitung seiner Konfession, in der er jetzt den Stoff in vier Artikel gegliedert hatte: 1. Christi Leib ist nicht allgegenwärtig. 2. Der Genuß des wahren Leibes und Blutes Christi ist ein geistlicher. 3. Die Ungläubigen können darum den wahren Leib und das wahre Blut Christi nicht in sich aufnehmen. 4. Gott, der tiber alle Kreatur ist, kann nicht mittelst kreatürlicher Stoffe bei uns Wohnung machen. In der Be- gründung des ersten Artikels kehrte dasselbe Argument wieder, dessen sich einst schon Poullain mit Erfolg gegen Matthias Ritter bedient hatte?): Christi natürlicher Leib ist eine Kreatur; die Allgegenwart kommt aber nur Gott und der göttlichen Natur zu; also kann der wahre und natürliche Leib Christi nicht allgegenwärtig sein. Die zweite Schrift kleidete er in die Form von Fragen und Antworten, wobei er die herkömmlichen logischen Kategorien auf seinen Gegen- stand anwandte: „er fragt nach seinem Begriff, seiner be- wirkenden, anlaßgebenden, materialen, formalen und finalen Ursache sowie nach seinem Effect; und unterwirft darnach die verschiedenen abweichenden Auffassungen desselben einer eingehenden Kritik“ (Steitz).

Da ihm an der Ueberwachung des Druckes offenbar ge- legen war, eine Druckerlaubnis in der Stadt aber nicht in Frage kam, so machte die Drucklegung Schwierigkeiten. Schließlich fand sich ein welscher Buchdrucker bereit, die Schrift ohne Angabe des Druckortes zu veröffentlichen gegen die Zusage von Cnipius, ihn im Falle der Anzeige schadlos zu halten?) Cnipius bediente sich auf dem Titel des Pseudonyms Johannes Candidus. Trotzdem gelang es der Findigkeit der Prädikanten, wohl mit Hilfe Peter Brubachs, Verleger und Verfasser zu ermitteln. In ihrer Eingabe vom 21. August 1560*), in der sie sich über eine Schrift von

ı) Bei Steitz S. 203. Ein Bruchstück von dem Manuskript der ersteren Schrift findet sich in den Act. eccl. IV, 140a vom Jahre 1560, ein Druck in den Act. ref, V, 114 a.

2) Brief Poullains an Calvin vom 16. Juli 1556. Calv. Opp. XVI, 230 qq.

3) Act. ref. I. Bl. 179. Hieran scheitert die Vermutung von Steitz S. 217, die Schrift sei in der Druckerei Christian Egenolfs, des Freundes Melanchthons, erschienen, in der der jüngere Cnipins tätig war.

4) F. R. II. Beil. 30. S. 289.

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D. Justus Velsius zu äußern hatten, zeigten sie dem Rate an, daß der Schulmeister zu den Barfüßern in den zwei pseudonym von ihm veröffentlichten Büchlein die rechte Lehre vom hl. Nachtmahl nicht allein heftig anfechte, sondern auch wohl lästere, obwohl ihm der Rat mehrmals befohlen habe, seiner Schulen zu warten und der Prädikanten Lehre und Amt, darüber er keinen Befehl habe, zufrieden zu lassen. Im Hintergrunde sahen sie die Gönner von Cnipius, die auch zu Zank und Unruhe neigten und solches hießen und för- derten: ein Ausfall gegen die Philippisten im Rate, der be- weist, wie sehr deren Einfluß, zumal seit dem Ausschlusse Humbrachts vom Abendmahl, zur Bedeutungslosigkeit herab- gesunken war. Während aber die übrigen Wünsche der Prädikanten sämtlich erfüllt wurden, sah man von irgend welchen Maßregeln gegen Cnipius völlig ab!). Das hatte seine Berufung auf Melanchthon doch bewirkt, daß man Be- denken trug, sich mit einer Entscheidung gegen ihn dem Sebeine auszusetzen, als verurteile man seinen Meister, der so lange Jahre das höchste Ansehen bei dem Rate genossen hatte.

Unter der Hand freilich scheint man ihm nahe gelegt zu haben, seinen Frieden mit den Prädikanten zu machen. Wenigstens machte er im Januar 1561 noch einen letzten Versuch, seine Zulassung zum Abendmahl zu erwirken. Wieder kam es zu langen Verhandlungen, die sich zuletzt doch zerschlugen?) Ein Jahr später erbat er seine Ent- lassung aus dem Dienste der Stadt, die ihm am 26. Februar 1562 gewährt wurde?) Seine weiteren Schicksale sind un- bekannt. Mit ihm war der letzte Rest des philippistischen Sauerteiges aus Frankfurt ausgefegt.

3. Das Verbot des reformierten Gottesdienstes).

Am 18. September 1559 schrieb Cnipius an Calvin: Tali in statu res nostra ecclesiastica diu perseverare non poterit*) Es war in der Tat auf die Dauer kein haltbarer Zustand, daß die weitherzigen Ideen der Humanisten mit

1) Vgl. die Ratschlagungen vom 14. und 22. April 1561. Act. ref. I. Bl. 178f.

7) Steitz S. 205.

) Ebenda S. 206.

) Vgl. für die Einzelheiten meine Dissertation: Die Einstellung des reformierten Gottesdienstes in der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Jahre 1561. Münster i. W. E. Obertüschen. 1925.

5) Calv. Opp. XVII, 643,

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den festumrissenen Tendenzen der lutherischen Zeloten in beständiger Fehde lagen. Die Entscheidung, auf welche die Verhältnisse drängten, ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Sie fiel freilich ganz anders aus, als Cnipius er- wartet hatte, Die Prädikanten setzten es schließlich durch, daß den Fremden die Weißfrauenkirche wieder entzogen wurde.

Beyer und seine Kollegen ertrugen es auf die Dauer nicht, daß durch den Frankfurter Rezeß ihrer Polemik gegen die Fremden der Boden entzogen worden war. Sie benutzten daher das von ihnen eingeforderte Gutachten über „die Summa Christlich Lehre und Lebens“ von Justus Velsius, das sie am 21. August 1560 dem Rate übergaben!), um nicht nur über Cnipius, sondern auch über die Fremden ihre alten Klagen wieder vorzubringen: Dieweil sie sähen, daß der Neuerung und Rottierung in dieser Stadt noch kein Ende sein wolle, und es ihnen Amts halben gebühre, auf die Herde Christi allhie acht zu haben, müßten sie den Rat von dieser Sachen etwas weiter erinnern. Unter Hinweis auf den Bauernkrieg und die Vorgänge in Mtinster malten sie ein düsteres Bild von der nächsten Zukunft: „Alle jrrige Geister, die sonst nirgendt bleiben können, die finden sich hieher, vnnd haben Ihren vnderschleyff vnder Ihren Brüdern, vnnd aller Póbell, der sonst auß andern vrsachen vertrieben wirt, kompt vnder dem schein des Euangelii, vnnd verkreucht sich vnder die andern, . .. sie feiren nit, unnd jhre Lehr, wie der Apostel schreibt, frisset vmb sich, wie der Krebs, wie wir wohl an vnBerer Kirchen spuren, derhalben besorgen wir, woh man nit wirt drein sehen, so werde man erfaren müssen, wie inn kurtzer Zeit ein grosser theyl vnDerer Burgerschafft inn Ihre Irthumb werden gerathen, vnnd vnsere Kirche dagegen abnemen, alßdann werden auch grosse spal- tung vnd vneynigkeyt folgen müssen, daß zu fürchten, dab alßdann solch vneynigkeyt ein Oberkeyt dieses Orts (als die wol selber darüber mag zertrennet werden) nit mehr stillen können, vnnd wol ein frembder Gewalt solche werde ent- setzen miissen.“ Um das zu vermeiden, empfahlen sie, die Fremden auf die Augustana und zur Annahme der Frank- furter Zeremonien zu verpflichten oder ihnen, falls sie sich dessen weigerten, die Kirche zu schließen.

Der Rat legte diese Eingabe einstweilen zurück, bis der schwer erkrankte Bürgermeister Völcker wiederher- gestellt war. Wenn Dathenus?) daneben noch von anderen

1) F. R. II. Beil. 80, S. 288—290. ) Erzehlung. Cap. 3. 83. F. R. II. Beil. 16. S. 150.

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Gründen für die Verzögerung der Entscheidung redet, so werden wir dabei vor allem an die neuen Bemühungen um eine Einigung der deutschen Protestanten zu denken haben, die zu dem Naumburger Fürstentag führten.

Der Frankfurter Rezeß hatte nicht die erhoffte Wirkung gehabt. Trotzdem war der Herzog Christoph von Württem- berg in seinem Eifer um das Einigungswerk nicht erlahmt. Erst neuerdings (1560) hatte er bei einer Zusammenkunft in Hilsbach den Kurfürsten von der Pfalz, den Herzog von Sachsen und den Pfalzgrafen Wolfgang für den bereits früher gemachten Vorschlag gewonnen, die Augustana von 1530 mit neuer Vorrede und Schluß von allen Kurfürsten, Fürsten, Grafen, Herren und Städten unterschreiben zu lassen und dem Kaiser zu übergeben. Die ersten Vorbereitungen zu einem solchen gemeinsamen Schritte, an dem jedoch die Theologen nicht beteiligt sein sollten, hatten gerade statt- gefunden, als die Schrift der Prädikanten bei dem Rate ein- traf. Es lag daher für diesen nahe, zunächst den Verlauf dieser Verbandlungen abzuwarten, die vom 21. Januar bis zum 7. Februar 1561 in Naumburg stattfanden. Sie führten dazu, daß die Fürsten sich aufs Neue unterschriftlich zu der Augustana bekannten, und zwar sowohl zu der Invariata, als auch zu der Variata, von denen die eine die Auslegung der anderen sein sollte, Uber das Abendmahl wurde in Anlehnung an den Frankfurter Rezeß neben der Verwerfung der Transsubstantiation erklärt: „Daß im Abendmahl des Herrn Christi ausgeteilet und empfangen werde der wahre Leib und Blut des Herrn Christi, nach Inhalt der Worte im Evaugelio: Nehmet hin und esset, das ist mein Leib usw. Und daB der Herr Christus in der Ordnung solches seines Abendmahls wahrhaftig, lebendig, wesentlich und gegenwärtig sei, auch mit Brot und Wein, also von ihm geordnet, uns Christen sein Leib und Blut zu essen und zu trinken geben und sowohl nichts Sakrament sein kann außerhalb dem Brauch der Nießung, wie es von dem Herrn Christo selbst eingesetzt. Also lehren auch gleichergestalt diejenigen un- recht, welche sagen, daß der Herr Christus nicht wesentlich in der Nießung des Nacbtmahls sei, sondern daß dieses allein ein äußerlich Zeichen sei, dabei die Christen ihr Bekenntnis tun und zu kennen seien.^!) Wie den übrigen oberdeutschen Städten, wurde die Augustana mit der Naumburger Präfation durch den Kurfürsten von der Pfalz auch an Frankfurt be- kannt gegeben. Hier verfolgten auch die Fremden aufmerk- sam den Gang der Verhandlungen und bedauerten, daß die

!) Calinich, Der Naumburger Fürstentag 1561. S. 170.

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Stände zu den Artikeln, denen sie nur mit Vorbehalt zu- stimmen konnten, keine genauere Erklärung gegeben hatten!). Der Rat aber war infolge der Schwierigkeiten, die sich be- reits in Naumburg ergeben hatten, gegen das ganze Einigungs- werk mißtrauisch. Daß die Aufforderung zur Unterschrift gerade von dem Pfälzer Kurfürsten kam, der in Naumburg mit seiner calvinistisch - melanchthonischen Anschauung zu- letzt ganz isoliert dagestanden hatte, mußte die Bedenken naturgemäß nur noch vermehren. Und als nun der kur- pfälzische Rat Eheim sein Ansuchen vorbrachte, fand man es zunächst geraten, die verbesserte Konfession einer ge- nauen Prüfung zu unterziehen und die ganze Frage einer gründlichen Beratung zu unterwerfen?) Auch hielt man es für gut, festzustellen, welche Stände die Konfession unter- schrieben und besiegelt hätten. Das Ergebnis der Beratungen wurde dem Kurfürsten am 4. September mitgeteilt“). In den Kirchen des Rats sei, wie allgemein bekannt, die rechte und wahre, lautere evangelisch - christliche Lehre nach der Augustana seit mehr als dreißig Jahren unwandelbar ge- predigt worden. Auch auf den Reichstagen und sonstigen Versammlungen habe die Stadt zu diesem Bekenntnisse sich einmütiglich gehalten und ebenso vor Kaiser Karl, seinem Nachfolger, allen Ständen und zuletzt noch in dieser Fasten- messe vor dem päpstlichen Legaten, der sie zur Beschickung des Konzils habe bestimmen wollen, sich unverbrüchlich dazu bekannt. Sie hielten hiernach die weitere Erklärung und Unterschrift der Augustana nicht für nötig. Der Kurfürst möge es ihnen daher zugute halten, wenn sie ihm in dieser Sache nicht zu Willen seien. Sie gedächten dabei nicht, sich von den übrigen Augsburgischen Konfessionsverwandten abzusondern, auch sei ihnen die Naumburger Präfation und Schluß nicht zuwider. Die ganze Antwort entsprach der vorsichtigen Haltung, welche der Rat von jeher in seiner Kirchenpolitik beobachtete, und die ihm gerade jetzt umso mehr geboten schien, als er die kirchliche Lage nach wie vor für äußerst unsicher ansah*).

1) Optassemus ipsos Principes, quemadmodum proxime Naum- burgi constitutum esse intelligimus, Augustanae Confessionis locos aliquos obscuros exposuisse, schrieben sie dem Rate am 19. Juli 1561. F. R. I. Beil. 39. S. 72.

2) Vgl. Bürgermeisterbuch vom 24. und 29. Juli 1561. Bl. 49—50a. 91a. 53a. Ratschlagungsprotokoll vom 1. August 1561. Bl. 191b—192a.

) F. R. I. Beil. 49. S. 82.

) Charakteristisch für die Skepsis, mit der man in Frankfurt auch nach dem Augsburger Religionsfrieden noch den kirchlichen

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Diesen Hintergrund der allgemeinen kirchlichen Ver- hältnisse muß man im Auge behalten, wenn man die Ent- wiekelung der Dinge verstehen will, die sich gleichzeitig in Frankfurt vollzog.

Hier kam der Stein ins Rollen durch Streitigkeiten in der französischen Gemeinde, die aus Anlaß der kirchlichen Erneuerungswahlen zu Beginn des Jahres 1559 ausgebrochen waren und sich hauptsächlich um die Kirchenzucht drehten !). Der Rat, an den die Sache gelangte, setzte eine Kommission ein, die im September 1560 im Einvernehmen mit dem Rate ihr Urteil sprach. Damit war indessen die Angelegenheit noch nicht erledigt. Am 18. März 1561 kam der Rat noch- mals auf sie zurück und stellte das Urteil der Kommission den Advokaten zur Außerung zu. Gleichzeitig beschloß er, „den Welschen Ihre Kirch, so sie ein Zeit hier ingehabt, zu- sehließen, doch die Execution deDelben auß bewegenden vrsachen bif nach Ostern einstellen vnd beruhen lassen“ )), man fürehtete offenbar unliebsames Aufsehen auf der Ostermesse.

Indessen trug man doch Bedenken, diesen Beschluß, der „ein raw Ausehens haben möchte“, uneingeschränkt auf- recht zu erhalten. Man kam daher am 14. April nochmals auf die Angelegenheit zurück, wobei man sich besonders auf die noch unerledigte Eingabe der Prädikanten bezog. Indem man jetzt auf einen gelinderen Weg sann, hielt man es für ratsam, „dz für das erst den welschen Predicanten (welche zu solcher Vnruhe nit die geringste Vrsach gegeben) gesagt werden soll, der Cantzel vnd deb Predigens bib auff EErb. Raths weitteren Bescheid müssig zu stehen. Daß auch die Welsehen füro hin kein Predicanten mehr vffstellen sollen, Sie haben denn zuvorderst Ihres glaubens Lehr vnd Cere- monien halben gegen EErb. Raths Predicanten Ihre Bekennt- nus gethan vnd seyen durch dieselbe examinirt worden vnd

Verhältnissen gegenüberstand, sind die Verhandlungen vom 6. No- vember 1559 über die Frage, ob nicht dae Vermögen des Katharinen- und Weißfrauenklosters eingezogen werden sollte, um davon die Prüdi- kanten, Schulen und andere christliche Ministeria zu erhalten, Die Advokaten rieten davon ab, u. a. mit der Begründung, „das solche sachen mit ordentlichem rechten nit mochten erhalten noch verteidigt werden, vnd ob schon deswegen bei dem Pabst vınb Consens ange- halten oder etwas erlangt, das es doch zu andern Zeiten, wan sich die leufdt endern solten, dan sich nit halten wurde“. Rat- schlagungs-Prot. 1551— 1508. Bl. 178—179.

) K. Bauer, Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. S, 60ff,

2, Laut Bürgermeisterbuch. Vgl. Act. ref. I. Bl. 176

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zu solchem Ampt geschickt vnd tuglich geachtet. Also soll es auch mit jetzigem Ihrem Predicanten, ob sie anders vermeinen wider auffzustehen vnd zu predigen, gehalten werden- !). Demgemäß wurde am 22. April beschlossen, die welschen Prüdikanten hätten sich fortan des Predigens günz- lich zu enthalten, bis sie sich mit den hiesigen Prädikanten in allen Stücken gänzlich verglichen und vereinigt hätten). Dieser Beschluß wurde sogleich am andern Tag den Pre- digern und Altesten der beiden Gemeinden durch den Bürger- meister Völcker eröffnet, der noch hinzufügte, sie dürften auch keine Altesten und keine Kirchenzucht mehr haben, sondern müßten alles, was sie da zu verhandeln pflegten, vor ihn und den Rat bringen“).

Als einen vollen Sieg konnten die Prädikanten den Be- schluß vom 22. April nicht buchen. Es war ihnen nicht ge- lungen, ein bündiges Verbot des Gottesdienstes der Fremden zu erwirken, wie es am 18. März in Aussicht genommen worden war. Soweit hatte der Einfluß der Minorität doch gereicht, daß der Gottesdienst nur auf Zeit verboten wurde. Der Rat ließ die Frage, welche Seite Recht habe, als nicht lokalen, sondern prinzipiellen Charakters überhaupt offen und stellte sich, worauf der wallonische Prädikant Philippi bald genug aufmerksam machte), lediglich auf den Standpunkt, daß es nicht angehe, in einer und derselben Stadt zwei ver- schiedene Kulte zuzulassen, die beide behaupteten, dem lau- teren Evangelium zu entsprechen. Hierin stimmten die Fürsten- berger mit den Glauburgern, die Geschlechter mit der Hand- werkerbank überein. Indem man sich aber so schließlich auf einen KompromiD einigte, mußte man auch alle Nach- teile eines solchen mit in Kauf nehmen. Nachdem man ein- mal auf das am 14. April ins Auge gefaßte Glaubensexamen vor den Prädikanten verzichtet hatte, fehlte es vor allem an einer klaren Bestimmung darüber, wie die wünschenswerte „Vergleichung und Vereinigung“ zustande kommen sollte. Die Fremden strebten sie für den Fall, daß sie nicht all- gemein von einer Synode herbeigeführt würde, auf dem Wege einer gegenseitigen Aussprache an. Die Prädikanten ihrerseits verlangten, daß die Fremden sich ohne Vorbehalte und Umschweife einfach auf die Augustana verpflichteten,

1) Act. ref. I. Bl. 177—178,

2) Act. ref. I. Bl. 179.

3) La défense usw. 1—3. Dathenus, Erzehlung Cap. III. 8 3. F. R. II, Beil. 16. S. 150.

*) In der Widmung seiner (anonymen) Schrift La défense an den Kurfürsten von der Pfalz.

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so wie diese von der Westphal- Bey erschen Richtung ver- standen wurde. Es blieb der Zukunft vorbehalten, ob man auf dis Bedingung des Glaubensexamens zurückkommen wollte.

Daß in der Tat ganz entgegengesetzte Kräfte und An- sehauungen hinter dem Beschlusse des Rates standen, zeigen die Gutachten der beiden Adrokaten Fichard und Burck- hardt, die zu dem Schreiben sich zu äußern hatten, mit welchem die Fremden zu dem Ratsdekret am 7. Mai Stellung nahmen.

Fichard') erkannte, dab man den Fremden, wenn man sie in der Stadt behalten wolle, wie bisher ein eigenes Kirchenwesen zugestehen müsse, und prüfte deshalb die Frage vor allem unter dem theologischen Gesichtspunkte. Den Hauptgegensatz fand er in den beiden Fragen, 1. ob Leib und Blut Christi nicht bloß wahrhaftig, sondern auch wesentlich, d. h. leiblich und fleischlich im Abendmahl gegen- würtig sei, und 2. ob die Gottlosen ebensowohl, als die Gott- seligen des Herrn Leib und Blat nicht bloß sakramentlich, sondern wahrhaftiglich empfingen. Er riet, die Fremden auf Artikel 10 der Augustana und, da sie doch nicht für die Apologie zu gewinnen sein würden, auf die Wittenberger aud Frankfurter Konkordie zu verpflichten, wobei er noch darauf aufmerksam machte, daß die Wittenberger Konkordie nieht von den Gottlosen, sondern von den Unwtürdigen rede. An den Zeremonien der Fremden fand er es ärgerlich, daß sie das Abendmahl mit Oblaten, die sie brachen, und mit Gläsern feierten, wodurch sie den Verdacht erweckten, sie würdigten es herab und hielten es für lauter Brot und Wein. Da die Zeremonien selbst dem Werke nichts güben oder nähmen, 80 sei es am besten, sich in ihnen der Frank- farter Kirche anzuschließen, die fast mit dem ganzen evan- gelischen Deutschland übereinstimme. Den Gemeinden ihre Kirchenzucht zu nehmen, hielt Fichard nicht für rütlich, da durch sie dieses Volk in Furcht, Zucht und Geborsam ge- balten werde. Jedenfalls aber müsse an den Rat appelliert werden können, und ebenso müsse der Rat tiber Anstellung und Entlassung der fremden Prädikanten befinden. Die Regelung der bürgerlichen Fragen wie Aufnahme in das Bürgerrecht überließ Fichard dem Rate.

Burckhardt erklärte sich?) zwar eingangs mit seinem Kollegen völlig einverstanden. Tatsächlich aber ist sein Gutachten ganz auf den Ton der Prädikanten gestimmt.

1) Act, ref. I, Bl. 214—217. *) Act. ref. I, Bl. 218—221.

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Wie diese, so hält auch er den Unterschied der Sprachen nicht für Grunds genug, um ihnen, ein paar alte Franzosen etwa ausgenommen, ein eigenes Kirchenwesen einzuräumen. An ihrer Lehre wüßte er mehr auszusetzen als Fichard, will aber keine Bedenken geltend machen, wenn sie die Augustana ohne Betrug annähmen und unterschrieben. Nur bezweifelt er, daß sie das tun würden, „nachdem sie on Caluini vor- wissen vff dessen opinion sie so hoch alß vnsere vff Lutheri vnnd Brentzii bawen, nicht zuuerwilligen pflegen.“ Er stellt in diesem Zusammenhange fest, das gemeine Volk unter ihnen werde nicht anders unterwiesen, als daß die Lehre der Frankfurter Prädikanten das rechte Papsttum sei, das die Fremden verlassen hätten, um sich unter das Evangelium zu begeben. Daher sei es soweit gekommen, daß sie großen- teils die Frankfurter Kirche für unrein und abgöttisch, ihre eigene Versammlung aber für eine reformierte christ- liche Kirche hielten!) Die Kernfrage ist für Burck- hardt der Artikel von der Realpräsenz Christi im Abend- mahl. Aber diese Frage ist ihm gut juristisch ent- schieden durch die Wittenberger und Frankfurter Konkordie, und nicht ohne einen Anflug von fides implicita bekennt er von sich selbst: auch er verstehe den Vorgang nicht, er über- lasse das, was seinem Verstündnisse zu hoch sei, den Frank- furter Prädikanten, welche ordnungsmüDig zum Ministerium berufen seien. Demgemäß läuft denn auch sein Gutachten auf den Rat hinaus, nichts Endgiltiges zu beschlieBen ohne den Rat der Prüdikanten, damit nicht das Feuer an einem Ort gestillt und an einem anderen angezündet werde.

Wie sehr dem Rate an dem Zustandekommen der in seinem Beschlusse vom 14. April erwähnten Vereinigung gelegen war, bewies er, indem er am 5. Juni auf die Gut- achten der Advokaten hin einen Ausschuß einsetzte, dem außer den Advokaten noch der Schöffe Hans Steffan, sowie Fulgentius Rücker und Hans Schott angehörten. Auch die Fremden sollten etliche Personen zu ihren Prädikanten dazu verordnen, Als Grundlage der Vereinigung stellten die Advo- katen drei Thesen?) auf: Die Fremden sollten 1. sich zu der

1) Hier begegnet uns erstmals die Bezeichnung „reformierte Kirche“ für die Anhänger Calvins.

2) F. R. I. Beil. 87. S. 63 f.: Ad constituendam in utrisque Ecclesiis nostra et Peregrinorum concordiam, necessarium videtur, ut inprimis Vnitas sit in Confessione fidei. Ea vero cum luculenter et pie sit comprehensa in illis Articulis, qui Caesareae Maiestati Anno MDXXX a Principibus et Statibus aliquot Imperii sunt Augustae exhibiti, vulgo Confessio Augustana nuncupati, et illam Confessionem Senatus quoque

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Augsburger Konfession samt der Apologie und der Witten- berger und Frankfurter Konkordie bekennen, 2. alles ver- werfen, was der Augustana zuwider sei, und 3. die Frank- farter Kirchengebräuche annehmen.

Es ist nicht schwer, den Anteil der beiden Advokaten an diesen drei Sätzen festzustellen. Der erste und der dritte gehen offenbar auf Fichard zurück, dem es die Fremden zweifellos auch zu verdanken hatten, daß man nicht mehr auf das Verbot ihrer Kirchenzucht zurückkam, die ihnen doch der Bürgermeister Völcker, ohne von dem Rate dazu autorisieri zu sein, hatte absprechen wollen. Die Hand Burckhardts zeigt sich aber schon sogleich in dem ersten Satze, wo gegen den Vorschlag Fichards im Sinne der Prädi- kanten auch die Apologie, die in der Purgatio von den Ge- meinden abgelehnt worden war, neben der Augustana und den beiden Konkordien als Norm der Lehre bezeichnet wurde. Vor allem aber geht die Forderung, alles zu ver- werfen, was nicht im Einklang mit den bezeichneten Be- kenntnisschriften stehe, ganz unverkennbar auf Burckhardt zurück. Gerade diese Forderung ist ein charakteristisches Zeichen für die Wandlung, die sich während der letzten Jahre in der Stadt vollzogen hatte. Denn sie zielte im Wesentlichen darauf, daß die Gemeinden sich von Calvin lossagen sollten, auf den Burckhardt deshalb in seinem Gut- achten ausdrücklich exemplifiziert hatte. Trat hiernach im Ganzen der Einfluß Burckhardts gegen denjenigen Fichards zurück, so war er doch immerhin stark genug, um einige Bestimmungen in den Entwurf hereinzubringen, die für die Gemeinden unannehmbar waren.

Die Verhandlungen, welche zuerst auf dem Wege eines Sehriftenaustausches ), dann in mündlicher Aussprache?)

Boster iam olim receperit, et deinceps quoque perpetuo (Deo adiuvante) se observaturum profiteatur, petitur ab Ecclesiis Peregrinorum, ut eam eum Apologia tum etiam Wittebergense et Francofortense Concordia ipsae quoque expresse recipiant, subscribant, retineant, idque publice profteantur. II. Ut improbent quicquid huic Augustanae Confessioni centrarium ab aliis, quicumque sint illi, et quibuscumque in Articulis id contingat, publice vel privatim, Scriptis sive ore traditum sit, aut doceatur. III. Denique ut ad tollendam omnem dissensionis suspitionem, Ecclesiae Peregrinorum in administrandis Sacramentis utantur Caere- moniis et ritibus in nostra Ecclesia receptis et usitatis,

1) Schreiben der Fremden vom 16, Juni. F. R. I. Beil. 38. S. 61f. Sehreiben der Prüdikanten vom 26. Juni. F. R. II. Beil. 33. S. 808 ff. Schreiben der Fremden vom 17. Juli. F. R. I. Beil. 89. S. 65 ff.

2) Gegenbericht. S 111ff. F. R. II. Beil. 14. S. 96 fl.

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zwischen dem französischen Prädikanten de la Riviere und Matthias Ritter stattfanden, zeigten ebenso sehr den guten Willen der Fremden zu einer Verständigung, wie die prak- tische Unmöglichkeit einer solchen. Die zweite These lehnten sie ab. Der dritten stimmten sie nur mit Einschränkungen zu. Aber auch ihre Erklärungen zu der ersten These waren für die Prädikanten nicht befriedigend. Wenn die Apologie von „Messe“ und „Verdienst“ redete, so war das den Fremden anstößig; mit einer Fürbitte für die Toten wußten sie, da sie nicht an das Fegfeuer glaubten, nichts anzufangen; bei der Heilsnotwendigkeit der Taufe machten sie Vorbehalte; einen Zwang zur Privatbeichte wollten sie nicht anerkennen; die Abendmahlslehre kommentierten sie unter Ablehnung der Westphalschen Doktrin. So kamen die Verhandlungen bald auf einen toten Punkt,

In diesem Stadium der Angelegenheit erstand den Ge- meinden noch einmal ein Fürsprecher in dem Kurfürsten Friedrich Ill. von der Pfalz. Dieser nahm die Sendung seines Rates Eheim, der eben damals die Unterschrift des Rates zu der Naumburger Vorrede der Augustana erwirken sollte!), zum Anlaß, um die auch ihm vielfältig bekannt ge- wordenen Unrichtigkeiten zwischen den einheimischen und fremden Prädikanten in Religionssachen zu erwähnen mit der Bitte, den Fremden die Kirche wieder zu eröffnen und sie zu ihrem Ministerium kommen zu lassen. Eheim empfahl gleichzeitig den Fremden, sie sollten die Augustana mit der Naumburger Vorrede auch ihrerseits unterschreiben: dasselbe Verfahren, das sich vor drei Jahren bei dem Frankfurter RezeB mit so gutem Erfolge bewährt hatte. In einem zweiten Schreiben?) gab der Kurfürst den Frankfurtern noch besonders zu bedenken, „was es bey meniglichen für ein Ansehen haben werde, who man sie von wegen ihrer Lehre und Confeßion, die vor so viel stattlichen Chur- und Fürsten, deren gelerten Theologis und Euch selbst zu Franekfurth für genugsam er- kant und approbirt, auch sie so lang vff ehedachter Chur- und Fürsten vorbittlich Ansuchen und erfolgter gehürter Sub- scription, Vertröstung und Zusagung, in euer Statt vnan- gefochten gedultet worden, in das Elend zu ziehen verur- sachen wolte, zugeschweigen das auch solche Handlung ein mercklechen Anstoß und Verhinderung, dem Evangelio in Franckreich und Engelandt, auch Hispania und Italia ge-

1) Die beiden Schreiben an Rat und Bürgermeister der Stadt vom 21. Juli 1561 finden sich Act, ref. I. Bl. 243—244. Vgl. Bürgermeister- buch 1560. Bl. 49a—50a, Donnerstag, den 24. Juli 1561.

2) Vom 12. August. F. R. I. Beil. 47. S. 79f.

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beren. Und vnsern Widersachern zum Schimpff, Spott und Calumnien vrsach geben, auch euch selbst zu allerhand be- schwerlichen Nachreden, die whir euch nit geren.“

Die Antwort des Rates, ein Werk der Advokaten, er- ging am 4. September!) Sie betonte, daß den Fremden ihre Kirche „bis zu gütlicher Vergleichung der Sachen zu- gethan worden“ sei. Die erhoffte Verständigung sei indessen nicht erfolgt, namentlich weigerten sich die fremden Prädi- kanten, die Augustana ohne besondere Auslegung und Kon- dition anzunehmen, die Prädikanten des Rates aber verharrten sornehmlich darauf, daß sie sich simplieiter erklären sollten. Bei dieser Sachlage könne der Rat den Fremden die Kirche noch nicht wieder Öffnen, beiden Teilen zugleich könne er auch nicht helfen, er müsse daher einstweilen seiner Bürger und gemeiner Stadt Wohlfahrt für diesmal mehr als die der Fremden bedenken, wolle aber doch nach Gestalt und Ge- legenheit der Sachen auch gegen die Fremden sich aller Gebübre erzeigen.

Als dieses Schreiben verfaßt wurde, war die endgtiltige Entscheidung über das Geschick der Fremden bereits gefallen. Das letzte Schreiben der Fremden vom 17. Juli hatte der Rat bis in den August zurückgelegt, um abzuwarten?), welche Aufnahme die Naumburger Präfation bei den übrigen evan- gelischen Ständen finde. Was man aber darüber zu hören bekam, war nur für die Prädikanten erfreulich. Mit einer Wiederzulassung des reformierten Gottesdienstes befürchtete der Rat bei dieser Sachlage sich dem Scheine auszusetzen, als stehe er nicht mehr fest auf dem Boden der Augustana, und damit hätte er sich leicht der Wohltat des Religions- friedens beraubt. So wurde am 28. August mit 25 gegen 9 Stimmen beschlossen, „daß Ihnen Ihr Kirch noch zur Zeit nit zu öffnen seye, so lang sie sich zuvor mit den hieigen Predicanten vereinigen und vergleichen werden“ ).

Damit war der Beschluß vom 22. April verewigt. Es war vergeblich, daB die Wallonen gegen Ende des Jahres durch ihren neuen Pfarrer Arnold Bane ein Glaubensbekennt- nis einreichten, das sich den Formulierungen der Frankfurter Prüdikanten anzupassen suchte“); vergeblich, daß sie am 4. März 1562 die soeben in Heidelberg gedruckte deutsche Übersetzung der Confessio Gallicana dem Rate als ihr Be-

1) F. R. I. Beil. 49. 8. 811ff. *) Vgl. Gegenbericht. 8 117. F. R. II. Beil. 14. S. 100f. 3 F. R. I. Beil. 45. S. 78, Über die Abstimmung vgl. Scharff, F. A. N. F. II. (1869). S. 257, ) F. R. II. Beil. 37. S. 827ff. Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 6

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kenntnis übergaben!); vergeblich, daß sie sich von den Uni- versitäten Heidelberg?) und Marburg?) günstige Gutachten verschafften und auf dem Römer vorlegten; vergeblich, daß nicht nur der Kurfürst von der Pfalz“), sondern auch der Landgraf von Hessen, den die Prädikanten erst jüngst noch für ihren Gesinnungsgenossen ausgegeben hatten“), Für- sprache für sie einlegten. Bei der ablehnenden Haltung, welche die Prädikanten allen diesen Schritten gegenüber be- obachteten, verharrte der Rat bei seinem Verbote und ver- fügte®): „Welche hieüber hienweg ziehen wöllen und Ab- schied begeren, denen soll man in gemeiner Form Abschied mittheilen.“ Die Folge war eine große Abwanderung nach Frankental. Der Bruch zwischen den Fremden und den Prädikanten war jetzt perfekt und wurde auch von Calvin so angesehen‘). Soweit der Bekenntnisstand der Stadt bis- her unklar gewesen war, war jetzt eine völlig klare Situa- tion geschaffen. Der Ubergang zum Gnesioluthertum, an dem die Prädikanten so lange und so zielbewußt gearbeitet hatten, war jetzt vollzogen.

Was fehlte, war dasselbe, was dem lutherischen Deutsch- land damals überhaupt fehlte: eine klare Norm des dog- matischen Standpunktes. Sie zu schaffen, war die Aufgabe in der letzten Phase, in welche die Entwicklung jetzt eintrat.

4. Die Kirchenpolitik des Rates im Zeitalter der Konkordienformel.

Westphal beglückwünschte Beyer zu dem Erfolge, den die Auswanderung eines großen Teils der Fremdengemeinden für seine Partei bedeutete: Ecclesiam vestram liberatam esse ab inquietis Sacramentariis, et in meliorem statum restitutam vobis gratulor .... Spero vestrum Senatum posthac prudenter prospeeturum, ne tales hostes recipiat’).

Der Rat entsprach nun freilich diesen Erwartungen des Hamburger Superintendenten nicht. Das zeigte sich bei Ge-

!) F. R. I. Beil. 50, S. 83ff.

*) Gründlicher Bericht. 8 14. F. R. I. S. 17.

3) F. R. I. Beil. 51. S, 85f.

) Am 25. März 1562.

5) Schreiben vom 1. Januar 1562. PF. R. II. Beil. 88. S. 334.

*) Am 31. März 1562. F. R. I. Beil. 58, S. 87.

7) Vgl. seinen Brief an Dathenus vom 18. Juni 1562, Calv. Opp. XIX, 461—463. Y Brief vom 15. August 1563 in der Briefsammlung Hartmann Beyers auf der Frankfurter Stadtbibliothek, MS. III, 21.

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lgenhei des Augsburger Reichstages 1566. Der Frankfurter besandte wurde nämlich am 8. März dahin instruiert), mit den Gesandten der anderen Städte dahin zu arbeiten, daß inen auch möchte freigestellt werden, in Religionssachen ihres Gefallens Anderung vorzunehmen, oder wenigstens, falls das, wie zu besorgen, nicht zu erreichen sei, dahin rat- schlagen und fördern zu helfen, daß der alte Religionsfriede wieder erneuert werde. Und diese Instruktion wurde offen- bar unter Berücksichtigung einer Eingabe der französischen Gemeinde vom 5. März, die die Hoffnung aussprach, „daß etwan vff eym Reichs- oder sonst Versamlungs - Tage der Stände Augfpurgischen Confeßion, eyn gottselige Vergleichung in den strittigen Puncten des H. Nachtmals und andern vor- gefallenen Irrungen, eruolgen, oder durch E. E. W. und F. W. vo hynfürters darinnen gnedige Vergünstigung beschehen sone“ 2) am 13. März dahin präzisiert“), daß ein Recht der evangelischen Städte anzustreben sei, andere, so der Augsburger Konfession nicht verwandt, bei ihnen zu dulden oder nicht. Damit trat der Rat der kaiserlichen Kirchen- politik entgegen, die es als durchaus notwendig bezeichnete, daß keine verführerische Sekte geduldet werde, die sich von der alten Religion oder vom Augsburgischen Bekenntnis ab- sondre*). Der Frankfurter Instruktion entsprach dann auch die Deklaration, mit der die Stände es am 19. Mai ab- lehnten, solche, die wie der Kurfürst von der Pfalz in ein- zeinen Artikeln von ihnen abwichen, außerhalb des Religions- friedens zu setzen und den armen betrübten Bekennern des Wortes Christi ihr Kreuz sehwerer und ihre Verfolgung größer zu machen, zumal es den Augsburger Konfessions- Verwandten durchaus nicht gebühren wolle, jetzt oder künftig dartiber Gericht zu halten, ob die Meinungen anderer dem wahren Sinne der Augustana entsprächen oder nicht°). Diese Deklaration wurde wenige Tage später noch dahin erläutert, daß jetzt gar viele fromme Christen in Frankreich, Spanien, Italien und den Niederlanden in großer Betrübnis seufzten, welche in den Grundlehren des Evangeliums von der Drei- einigkeit, von der Rechtfertigung, vom Unterschiede des Ge- setzes und des Evangeliums, von der wahren Reue und Buße, von der Taufe, der weltlichen Obrigkeit usw. mit der Augs-

1) Ratschlagungsprotokolle 1551—1568. Bl. 215 b. 2) F. R. I. Beil. 60, S. 96. 7) Ratschlagungsprotokoll Bl. 217 b. ) Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555—1581. II, 125. 5) Ebenda S. 129. 6 *

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burger Konfession durchaus übereinstimmten, deren Lehrer aber teilweise über die Gegenwart des Herrn im Abendmahl Zwinglisch oder Calvinisch dächten. Allein es sei doch an- zunehmen, daß unter jenen Christen sich viele an die ein- fachen Worte Christi hielten und die wahre Gegenwart seines Leibes und Blutes im Sakramente glaubten. Wolle man nun alle diese Christen ungehört als Calvinisten ver- dammen, so verstoße dies durchaus gegen die Weise der christlichen Kirche.

Es war der Geist Melanchthons und Bacers, der in diesen Sätzen sieh noch einmal ein würdiges Denkmal ge- setzt hat, und wie im Reiche, so hatte dieser Geist auch in Frankfurt noch immer angesehene Vertreter. Da diese sich aber in der Minderheit befanden, so gaben neben dem Toleranzgedanken für die Entscheidung sehr praktische Er- wägungen den Ausschlag. Man schielte nach dem Geld- beutel der Fremden, an dem sich die mißlichen Finanzen der Stadt immer wieder erholen konnten. Ganz unverblümt kam dieser Gesichtspunkt zur Geltung, als man 1572 be- schloß: Was wahrhaftige stattliche Personen wären, die solle man zu Bürgern annehmen, „andere aber so noch nit Bürger und armes gesindtleins und schier meistentheils Posament- und Schnurmacher seien (deren man nit viel Nutzens habe) solle man aus der Stadt ziehen lassen“ ). Die Begründung der Frankfurter Börse 1585 unter starker Beteiligung des reformierten Elementes sprach natürlich sehr dafür, die steuerkräftigen Elemente dem städtischen Gemeinwesen zu erhalten, auch wenn sie nicht allen Anforderungen der lutherischen Dogmatik entsprachen. Der Toleranzgedanke dagegen verlor in demselben Zeitraume merklich an Kraft. Als im Herbst 1572 viele Niederländer vor dem Herzog Alba eine Zuflucht in Frankfurt suchten, fand man sich mit der unbequemen Pflicht, sich der elenden Glaubensgenossen ge- mäß Matth. 25 anzunehmen, durch die Feststellung ab, diese Leute seien im Grunde nicht wegen der Religion, sondern wegen Rebellion landflüchtig geworden “).

Dieser Umschwung in der Haltung des Rates war be- dingt durch einen Wechsel der maßgebenden Persönlichkeiten. Schon Cnipius hatte Ende der fünfziger Jahre geglaubt, einen dominierenden Einfluß der Masse auf die Pfarrer feststellen zu können“). Für Aufrechterhaltung des Kirchenverbotes hatte

1) Scharff a. a. O. S. 260,

) Ratschlagungsprotokoll vom 5. November 1572. Bl. 949.

*) Pendent rabiosi blaterones (die Prüdikanten) ab imperita multi- tud'ne. Brief an Calvin vom 18. September 1559. Calv. Opp. XVII, 643.

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am 28. August 1561 die Handwerkerbank den Ausschlag gegeben, von den Patriziern hatte die Mehrzahl einen weit- herzigeren Standpunkt eingenommen. Jetzt starben die Freunde der Fremden in den Geschlechtern aus. Zuerst starb von den bekanntesten unfer ihnen Johann von Glauburg, 1571. Ihm folgte zehn Jahre später der Stadtadvokat D. Johann Fichard und wieder ein Jahr später D. Konrad Humbracht. An die Stelle dieser Männer traten die gesinnungstüchtigen Schüler Beyers und Ritters. Gleichzeitig ergünzte sich das Prediger- ministerium bei jeder neuen Vakanz durch Vertreter der seharfen Tonart. Unter ihnen waren auch Geistliche, die um ihres lutherischen Bekenntnisses Heimat und Beruf ver- loren hatten, als ihre reformierte Obrigkeit eine sehr gelehrige Sehülerin lutherischer Intoleranz geworden war. So kamen 1584 Petrus Patiens und Konrad Lautenbach aus der Kur- pfalz, 1595 Johann Corvinus aus,dem Hanauischen nach Frankfurt. Natürlich war bei diesen neuen Pfarrern keinerlei Neigung zu einer irgendwie entgegenkommenden Haltung zu den Reformierten in Frankfurt vorhanden. So verschärfte sich der Gegensatz zusehends“).

Wie groß das Mißtrauen gegen den fremden Zuzug war, erfuhren die Niederländer, die bei der Kapitulation von Ant- werpen 1585 als legitime Fortsetzung der dortigen Gemeinde Augsburger Konfession nach Frankfurt übersiedelten. Mit dem größten Mißtrauen wurden sie aufgenommen. Die Prädi- kanten beargwöhnten sie als „Sakramentierer“ und „Rotten“. Den Zünften galten sie überdies als lästige Konkurrenz deg einheimischen Handwerks. Erst im Jahre 1592 konnten aie kirchliche Anerkennung und das Recht, eigene Gottesdienste zu halten, erlangen. Zu einer Sonderexistenz hat es ihre Ge- meinde nicht gebracht. Sie bildete einen Bestandteil der lutherischen Stadtgemeinde, von der sio sich nur dureh die Sprache unterschied .

Die Pläne des Rates gingen damals noch weiter. Um das reformierte Geld nicht zu verlieren, hatte er den Refor- mierten seit Schließung der Weißfrauenkirche stillschweigend

1) Vgl. Dechent, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der Reformation I, 267.

2) Vgl. über sie: J. Lehnemann, Historische Nachricht von der vormahls im sechzehenden Jahrhundert berühmten Evangelisch-Luthe- risehen Kirche in Antorff, und der daraus entstandenen Niederländischen Gemeinde Angípurgischer Confession in Franckfurt am Mayn. (Frank- furt, J. F. Fleischer. 1725.) G. E. Steitz und H. Dechent, Geschichte der von Antwerpen nach Frankfurt a. M. verpflanzten Niederländischen Gemeinde Augsb. Confession. (Frankfurt a M. A. Neumann, 1885.)

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einen Privatgottesdienst zugelassen. Jetzt versuchte er auf Anregung der Prädikanten nach dem Tode des Pfarrers Olivier Wallin von der französischen Gemeinde (1592), einen ausländischen Lutheraner als Pfarrer für sämtliche Fremden- gemeinden anzustellen und auf diese Weise die Reformierten mit den Antorffer Lutheranern zu verschmelzen und mit der einheimischen lutherischen Gemeinde organisch zu verbinden. Er berief zu diesem Zwecke Anton Serrarius aus Mömpel- gard. Zu dessen Antrittspredigt fanden sich indessen nur sehr wenige Reformierte ein, und diese wurden von ihrem Pfarrer, dem bekannten Franz Gomarus, so scharf zurecht- gewiesen, daD sie künftig vorzogen, den Konvertitenpredigten fern zu bleiben!) Serrarius entwickelte sich in der Folge zu einem der entschiedensten Gegner der Frankfurter Refor- mierten. Gegen diese ergriff nun der Rat seit dem 25. Juli 1592 scharfe Maßregeln, indem er zunächst Gomarus auswies, gleichzeitig auch dem welschen Schulmeister aufsagte und am 11. August 1596 dem reformierten Gottesdienst in der Stadt „ein betrübtes Ende machte“ ?).

Mit der milderen Richtung des Luthertums hatten sich die Prädikanten schon ein Vierteljahrhundert früher ausein- andergesetzt, ohne sich dabei freilich mit viel Ruhm zu be- decken. Den Anlaß dazu hatte ihnen der Consensus Dresdensis ®) 1571 gegeben, in welchem die kursächsischen Theologen auf Wunsch des Kurfürsten ein „gut lutherisches^ Bekenntnis ihrer Auffassung vom Abendmahl hatten geben sollen. Indem der Konsensus aber die mündliche Nießung des Leibes Christi überhaupt überging, die Lehre von der Ubiquität ablehnte und es im Hinblick auf den Artikel ascendit in coelos et sedet ad dextram patris der Allmacht Gottes überließ, wie er uns Leib und Blut Christi darreiche, reproduzierte er die philippistische Anschauung. Auch die Formel Luthers, „das Sakrament des Nachtmahls sei der wahre Leib und Blut unseres Heırn Jesu Christi, unter dem Brot und Wein uns

) Steitz-Dechent S. 59.

3) Vgl. die Schilderung in der ungedruckten Chronik von Abraham Mangon im Archiv der deutschen reformierten Gemeinde.

3) Kurze, christliche und einfältige Wiederholung der Bekenntniß der Kirchen Gottes in des Churfürsten zu Sachsen Landen von dem hl. Nachtmahl sammt den zu dieser Zeit in Streit gezogenen Artikeln von der Person und Menschwerdung Christi, seiner Majestät, Himmel- fahrt, Sitzen zur Rechten Gottes, in der christlichen Versammlung zu Dreßden gestellt den 10. October mit einhelligem Consens der Universi- täten Leipzig und Wittenberg, der drey geistlichen Konsistorien und aller Superattendenten der Kirchen dieser Lande. Dreßden. 1571. 4°.

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Christen zu essen und zu trinken von Christo selbst ein- gesetzt,“ wurde mit den Worten: vel quod idem est dahin erläutert, „das Sakrament sei nach den Worten Pauli die Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi, worin uns der Herr mit den sichtbaren Zeichen des Brotes und Weines seinen Leib und sein Blut wahrhaftig darreiche und uns dadurch seine Verheißungen bestätige, daß er uns um seines Todes willen unsre Sünden vergeben und wahrhaftig kräftig in uns sein wolle,“ das „Unter“ sollte also im Sinne Melanch- thons nur die Beziehung der äußeren Elemente zu der un- sichtbaren Gnadengabe bedeuten. Eines Gegensatzes gegen Luther waren sich die Verfasser des Konsensus nicht bewußt, wollten vielmehr der alten, in der kursächsischen Kirche von Anfang an üblichen evangelischen Lehre ergeben sein and formulierten demgemäß ihre Abendmahlslehre dahin, „daß der Herr Christus in dieser Ordnung seines heiligen Abendmahls wahrhaftig, lebendig und gewiß gegenwärtig ist, also daß er seinen wahren Leib, für uns am Stamme des Kreuzes aufgeopfert, und sein wahres Blut, für uns vergossen, mit Brot und Wein in diesem Sakrament übergibt und hier- mit bezeugt, daß er uns annehmen, zu Gliedmaßen seines Leibes machen und uns mit seinem Blute reinigen und Ver- gebung der Stinden schenken und wahrhaftig in uns wohnen“ und kräftig in uns sein wolle?).

Die kursächsischen Theologen ernteten für ihre Mühe wenig Lohn. Wie alle Vermittelungstheologen, wurden auch sie von zwei Seiten angegriffen. Den strengen Lutheranern genügten ihre Darlegungen natürlich in keiner Weise, und sie fühlten sich gedrungen, in einer Reihe von Schriften?) öffentlich Zeugnis wider sie abzulegen. Auf der anderen Seite fühlte sich der Kurfürst von der Pfalz verletzt, weil bei dem Dresdener Kolloquium seines Katechismus gar un- gütlich gedacht worden war. Da von dem Dresdener Kon- sensus inzwischen auch in Frankfurt ein Nachdruck?) er- schienen war, so beschwerte sich der Kurfürst am 19. Januar 1572 bei dem Rate‘).

Die Fama hatte inzwischen die Reformierten der Stadt, die mit den Formulierungen des Konsensus tibereinstimmten,

!) Heppe II, 410f. Vgl. Planck, Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unseres prot. Lehrbegriffs vom An- fang der Reformation bis zu der Einführung der Konkordienformel. V, 2. S. 587 ff.

) Verzeichnet bei V. E. Löscher, Historia motuum. III, 148f.

) Nicht erwähnt in dem Verzeichnis von Planck S. 590. Anm. 329.

*) Act. ref. II, 200ff.

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mit der Frankfurter Ausgabe desselben in Verbindung ge- bracht, und so beeilten sie sich, dem Rate zu versichern, daß sie dieser Veröffentlichung völlig fern ständen !). Sie erboten sich zu jeder Verantwortung, was man ihnen auch vorwerfe, und baten namentlich um ein Kolloquium mit den deutschen Theologen. Ein solches kam freilich auch jetzt nieht zustande. Dagegen traten die Frankfurter Prädikanten mit einer Schrift?) hervor, in welcher sie zwar eine eigent- liche Kritik des Konsensus selbst, wie sie namentlich die Theologen in Jena vornahmen, unterließen, dagegen aber ihre alten Frankfurter Gegner angriffen, weil diese sich zum Erweise ihrer hechtglüubigkeit auf die Dresdener Kund- gebung beriefen. Zur Abwehr dieses Angriffes erschien Petrus Dathenus auf dem Plane, indem er in einer grund- lichen Streitschrift“) nachwies, daß er und die fremden Christen zu Frankfurt eben dasselbige hielten, glaubten, be- kennten und lehrten, was die kursächsischen Theologen in der Wiederholung ihres Bekenntnisses und in ihren andern Schriften bekennten und lehrten. Dann aber holte er zum Gegenschlage aus, indem er fortfuhr: „Dieweil die gemelten Predicanten nur vom heiligen Abentmal gefragt, die andere Artickel aber, als da seind von der Menschwerdung Christi, von der Maiestet und herrligkeit unnd Himmelfart Christi und sitzen zur gerechten Gottes, dar auff die bekantnus der Sächsischen Theologen vom heiligen Abentmal fürnemlich gegründet steht, feinlistig fürüber gehn, so wil die notturfft erfordern, daß gemelte Predicanten ...... etliche notwendige fragstück, so eben diese der Sächsischen Theologen bekant- nus antreffen, ihnen fürstellen, damit der gemeine Mann

1) Ebenda 104 (latein.) und 205 f. (deutsch).

7) Antwort auf das Fürgeben ettlicher Sacramentirer Daß sie mit dem Bekenntniß, von den churfürstlich sächsischen Superintendenten den 10, October dieses 1571. Jahres gestellt, allerdings eines Bekennt- nisses seien, kurze und christliche Probe der christlichen Gemeine zu Frankfurt. Zur Warnung geschrieben durch der Augsburger Confession zugethane Prediger daselbst. Basel. 1572. 4°,

*) Bestendige Antwort etlicher Fragstück, so die Predicanten zu Franckfurt am Mayn, zur prob, über die jüngst zu Dreßden der Chur- fürstlichen Sächsischen Theologen gestelte bekandtnuß, in truck zur warnung haben außgehen lassen, durch Petrum Dathenum verfertiget. Gedruckt in der Churfürstlichen Stadt Heydelberg, durch Johannem Meyer, im Jahr 1572, Motto: 1. Petri 3 Seid aber allezeit bereit zur verantwortung jederman der grund fordert der hoffnung die in euch ist. Auszüge bei Sudhoff, C. Olevianus und Z. Ursinus. S. 378 ff. und Th. Ruys, Petrus Dathenus, S. 269—274.

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wissen könne, ob die Predicanten zu Franckfurt auch mit der Prophetischen und Apostolischen Schrifft, und folgends auch mit dieser bekantnus zustimmen oder nicht.“ Dem- gemäß legte er den Frankfurter Theologen zwei Dutzend peinliche Fragen über die Person Christi vor, die sämtlich an dem Gesichtspunkt orientiert waren, daB man von den Sakramenten nicht recht reden könne, wenn man nicht das Fundament, das Bekenntnis von der Person Christi, recht gelegt habe. Es sollte sich zeigen, daB in allen diesen Fragen ebensosehr ein Gegensatz zwischen den Gnesio- lutheranern und den Reformierten, wie eine Übereinstimmung zwischen diesen und den Wittenberger Philippisten bestehe. In den Kreisen der Gnesiolutheraner empfand man die Schrift von Dathenus als eine rechte Verlegenheit, und der Philosophieprofessor Valentin Erythräus in Straßburg suchte dureh Beyer wiederholt eine Antwort des Frankfurter Prediger- ministeriums zu erwirken!). Dieses aber hüllte sich in ein vielsagendes Schweigen und überließ es der Zeit, über die ihm unbequeme Anzapfung die Schatten der Vergessenheit zu breiten.

Indessen auch wenn die Herren künftig unter sich blieben, so wurden ihnen doch dogmatische VerdrieBlich- keiten im eigenen Lager nicht erspart. Der Streit mit Philippisten und Reformierten tiber das Abendmahl wurde abgelöst durch einen Streit über die Flacianische Erbstinden- lehre. Am 14. Oktober 1566 hatte sich Flacius von Beyer ein Zeugnis“, ausstellen lassen, daß er ein geeigneter Prediger für die Gemeinde in Antwerpen sei, obwohl er schon damals mit seiner Lehre hervorgetreten war, durch den Fall Adams sei die Erbsünde zur Substanz der menschlichen Natur ge- worden. Einen Gesinnungsgenossen hatte er in Frankfurt an dem Rektor zu den Barfüßern, Henricus Petreus®), der bereits 1572, noch vor seinem Eintritt in die Frankfurter

) Brief vom 19, Mai: Magis opto, ut adversus stolidi et insani Datheni sycophantias et criminationes vestram viderem responsionem; quaestiones vestras nondum vidi. Brief vom 6, Juli: Utinam ad Datheni dvreurijuara vestra exeat dcoxoíow. Sed de his rebus alias, Brief- sammlung Hartmann Beyers, Frankfurter Stadtbibliothek, MS. IIT, 21. Die Jahreszahl fehlt bei beiden Briefen, kann aber nicht zweifelhaft sein,

9) Act, eccl. IV. 1566. 101.

*) Vgl. über ihn Liermann, Henricus Petreus Herdesianus und die Frankfurter Lehrpläne nebst Schulordnung von 1579 und 1599. Pro- gramm des Frankfurter Goethegymnasiums 1901. Herdesianus nannte sich Petreus nach seinem Geburtsorte Hardegsen.

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Verhältnisse, mit seiner Anschauung öffentlich hervorgetreten war. Verdächtig wurde Petreus erst, als er 1577 die Witwe des Flacius beiratete. Immerhin blieb er bis zum März!) 1580 unangefochten. Als er aber jetzt dem Rate sein „Bekandniß des Artikels von der Erbsünde“ ) einreichte. wurde er durch die Prädikanten von der christlichen Gemeine und Gebrauch des heiligen Nachtmahls abgewiesen. Eine Beschwerde hier- über bei dem Rate?) blieb angesichts der Erklärungen, die die Prädikanten abgaben*), ebenso erfolglos wie die Vorlage einer Druckschrift von Cyriacus Spangenberg, der mit Flacius in Antwerpen gewesen war) Petreus begnügte sich in- zwischen nicht damit, seine Sache vor dem Rate und den Prüdikanten zu führen, sondern er machte für sie auch bei seinen Lateinschülern Propaganda, und als das Ministerium deswegen bei dem Rate vorstellig wurde, prüsentierte er das Zeugnis, welches Beyer noch 1566 der Rechtgläubigkeit des Flacius nnbektümmert um dessen Erbsündenlehre ausgestellt hatte?). Die Verhandlungen, die sich das ganze Jahr fort- setzten, verleideten dem tüchtigen und verdienten Schulmann die Wirksamkeit in Frankfurt in einem Maße, daß er gegen Weihnachten dem Rate die Wahl ließ, entweder für die Schule größere Aufwendungen zu machen, oder auf seine ferneren Dienste zu verzichten’). Der Rat fand es zweck- mäßig, dureh Schonung der städtischen Finanzen einem un- fruchtbaren dogmatischen Streit ein Ende zu bereiten, und ließ Petreus ziehen®), der dann in Göttingen und Wolfen- büttel noch mit großem Erfolge gewirkt hat.

Kurz bevor der Streit um die Erbsündenlehre in Frank- furt ausbrach, hatte der Rat Stellung zu der Konkordien- formel zu nehmen, die 1577 als das Ergebnis langjähriger

1) Nicht April, wie Dechent S. 251 angibt. Act, eccl. IV. 1580. Nr. 83 ist bereits vom 21. März datiert.

Y) Act. eccl, IV. 1580. Nr. 91.

*) Ebenda Nr. 86. Vgl. Ratsprotokoll vom 19. April 1580.

*) Ratsprotokolle vom 21. und 28. April 1580. Act. eccl. IV. 1580. Nr. 98 vom 28. April 1580.

5) Vom Fluch Gottes Wider die Sophistische Lere: Erbsünde ist ein Accidens . . . Und vom Segen Gottes Uber die ware Lutherische Lere: Erbsünde ist die verderbte Menschliche Natur und Wesen. M. Cyriacus Spangenberg. . MDLXXIX.

9) Act. eccl. IV. 18580, Nr. 117.

) Ebenda. Nr. 196 vom 20. Dezember. Er beantragte Anstellung eines weiteren Lehrers oder Erhöhung seines Gehaltes.

5) Vgl. Act. eccl. IV. Nr. 204 vom 28. Dezember und Nr. 199 vom 29. Dezember.

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Verhandlungen zustande gekommen war und die mannig- lachen Kontroversen zwischen den Augsburger Confessions- Verwandten schlichten sollte.

Am 30. September 1579 wandte sich der Pfalzgraf und Kurfürst Ludwig wegen der Bergischen Konkordie an den Frankfurter Rat 1). Ausgehend von den ärgerlichen Lehr- streitigkeiten zwischen den lutherischen Theologen, die den Gegnern Anlaß zu der Nachrede gegeben hätten, es seien nicht zwei Theologen oder Prädikanten zu finden, die in allen Artikeln der Augustana miteinander tübereinstimmten, bezeichnete es der Kurfürst als dringend notwendig, eine Einigung zu betreiben, und berichtete über die Schritte, welche Kurfürst August von Sachsen in dieser Richtung be- reits unternommen, indem er etliche augesehene Theologen, nicht nur seiner Lande, nach Torgau berufen habe, die sich miteinander von den bisher strittigen Artikeln christlich unterredet und einer Richtschnur und Begriffs einhellig ver- glichen hätten. Diesen Begriff habe dann der Kurfürst dem Plalzgrafen und den vornehmsten andern Ständen Augsburger Konfession zar Begutachtung durch ihre Theologen über- sandt. Diese Gutachten seien dann etlichen gelehrten Theo- logen in Berga zur weiteren Behandlung übergeben worden. In Berga sei hierauf ein anderes Buch verfaßt worden, wie künftig durch Gottes Wort zu predigen, das eingefallene hochschädliche und ärgerliche Gezänk gänzlich beizulegen und durch Gottes Verleihung wiederum eine rechte christ- liche Einigkeit in Schulen und Kirchen zu stiften und an- zurichten sein möchte. Dieses Bergische Buch habe der Pfälzer Kurfürst von Kursachsen und Kurbrandenburg nicht nur zur Einführung in seinen Landen erhalten, sondern auch zur Empfehlung an die ihm benachbarten evangelischen Grafen und Herren, auch Reichsstädte des Rheinländischen Kreises. Der Kurfürst, seiner kirchlichen Pflichten sich be- wußt, habe von seinen Theologen ein Gutachten tiber das Bergische Buch erhoben, und diese hätten sich mit dem Buche selbst, wie mit der zur Erläuterung nötigen Präfation, die von allen evangelischen Ständen unterschrieben werden solle, einverstanden erklärt. So schicke er nun eine Ab- schrift des Bergischen Buches dem Frankfurter Rate, daß er es nicht allein selber mit allem Fleiß und in Gottesfurcht durchlese, erwäge und an der Hand des alleinseligmachenden

Wortes Gottes prüfe, sondern es auch seinen reinen Theo- logen zur Begutachtung übergebe. Sollten sich dabei für

7 Beilage zu Act, eccl. IV, Mglb. A 6. Nr. 36. Frankfurter Stadtarchiv,

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diese oder den Rat selbst Bedenken gegen das Buch oder die Präfation ergeben, so wolle sie der Kurfürst durch seine Theologen gerne beseitigen lassen. Die AuBerung des Rates erbat er sich innerhalb sechs Wochen. Um ihm den Ent- schluß zur Unterschrift zu erleichtern, fügte er seinem Schreiben die Namen der Stände bei, die bereits unterzeichnet hatten.

Der Rat übergab das Buch samt der Präfation zur Be- urteilung zunächst seinen Prüdikanten, die beide Dokumente in ihrem Konvente einer eingehenden Prüfung unterzogen und geneigt waren, ihre Zustimmung auszusprechen. Ihr Gutachten wurde am 17. November im Rate verlesen!), wo- rauf beschlossen wurde, man wolle ,soleh Buch anstatt des Gesetzes zu Rath verlesen lassen vnnd alßdann beratschlagen vnnd bedencken, was hierJnn zuthun vnnd zuwilligenn sei“ ). Diese Verlesung füllte die nächsten Sitzungen aus. Dann wurde die Angelegenheit einer Kommission überwiesen.

Die Frage, ob es für den Rat empfehlenswert sei, die Bergische Konkordie und die Präfation zu unterschreiben, wurde von dieser Kommission mit der größten Gründlichkeit am 14. Dezember erwogen?) Dabei wurde zunächst darauf aufmerksam gemacht, daß neben den Unterschriften von Ständen, Städten und Theologen, die das Verzeichnis auf- weise, wohl noch mehr Fürsten, Herren und Städte fehlten, die vielleicht überhaupt nicht unterschreiben würden, näm- lich Landgraf Wilhelm zu Hessen, desgleichen Anhalt, Hol- stein, Dänemark und die Pfalzgrafen, ebenso etliche vor- nehme Städte, sonderlich Nürnberg. Bezüglich des Gut- achtens der Prädikanten stellte die Kommission fest, daß es allein auf das bloße Werk und den Inhalt der Konkordie simpliciter sehe, dagegen den darunter gesteckten eventum und gesuchte politische Konföderation und derselbigen Konse- quenz gar nicht bedenke, noch merke. Sie hielt es ihrer- seits für nötig, daß der Rat das Schreiben des Landgrafen an den sächsischen Kurfürsten höre und dessen Argumente und Inhalt wohl und fleißig betrachte. Denn es sei zweifels- ohne noch in etlicher Herren frischem Gedächtnis, welcher- maßen die Schmalkaldische Konföderation unter dem Vor- wande der Augsburger Konfession bei den Reichsstädten re- praktiziert und was solche Konföderation genutzt oder ge- schadet. So werde vermutlich durch den äußerlichen schönen praetextum dieser Bergischen Konkordie eigentlich gleichwohl vor erlangter Subskription dissimulanter eine gleichförmige

1) Ratsprotokoll vom 17. November 1579. ?) Bürgermeisterbuch vom gleichen Tage. ) Ratschlagungsprotokolle 1568—1583. Bl. 185 ff.

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beschwerliche und ganz schädliche Liga oder Bündnis ge- sucht, und daß derselben Konkordie ausschreibende Kur- fürsten seien Pfalz, Sachsen und Brandenburg, derhalben wohl zu beachten!) Was aus der Subskription für Unrath und Nachteil erfolgen und erwachsen möchte, wenn die- jenigen Stände und Städte, die nicht unterschrieben, von den Unterschreibenden aus solcher Konkordie und Ver- einigung und derselben eingesteckten Inkonvenienzien und Konsequenz ausgeschlossen würden, und sich also künftiger Zeit die ausschreibenden Kurfürsten wider dieselben der- halben opponieren und etwas absentieren sollten, daß als- dann diejenigen Stände und Städte, so unterschrieben, dar- unter um Hilfe ersucht werden möchten, wie sorglich und nützlich wohl solches dem Rate künftiger Zeit fallen möchte, habe man auch wohl zu betrachten. Zudem sei auch wohl zu bedenken, daß der Rat, weil reichsunmittelbar, des Glaubens und der Lehre halben niemand anders denn dem Kaiser Rede und Antwort zu geben schuldig sei. Es sei auch wohl zuzusehen, daß dem Rate durch solche Subskrip- tion nicht auch begegne, was der Stadt Regensburg wider- fahren, welche nun solch Konkordienwerk zum dritten Male unterschrieben habe und doch gewärtig sein müsse, daß soleh Konkordienbuch auch keinen Bestand habe und also ihre Subskriptionen alle vergeblich seien. Item dieweil ein Ehrbarer Rat auch hievor sich zur Augsburger Konfession neben anderen Ständen und Städten vor vielen Jahren be- kannt und dieselbige bisher in dieser Stadt Frankfurt der- maßen einhellig und öffentlich geführt, gelehrt, getrieben, exerciert, bekannt und erkannt, daß des Ministerii und Kirchenamts halben allhie keine Trennung oder Irrtum und Zwiespalt bis auf diese Stunde vorgefallen, derwegen man auch soleher neuen captiosae?) (wann man's politice, wie notwendig, hindenken wollte) Concordiae Subscription allhie gar nicht nötig sei, so habe man auch unter anderen hoch- wichtigen Argumenten wohl zu betrachten, daß solch Kon- kordienwerk nicht pure theologicum, sondern in effectu auch politicum sei. Das habe zur Folge: Wer die Konkordie untersehreibe, der kondemniere auch die annexas antitheses und konfirmiere die affirmativas. Dawider doch allbereits

1) Man vermutete also eine durch Herbeiführung einer lutherischen Majorität im Kurfürstenkollegium (vgl. den bald darauf einsetzenden Kölner Reformationsversuch) zu bewirkende Änderung der Reichsver- fassung und im Zusammenhange damit die Schaffung eines evange- lischen Kaisertams.

) „Verfänglichen“.

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sc vieler hochgelehrten, trefflichen und hochverständigen und ansehnlichen anderen Fürsten und Herren Theologen censurae hinwieder geschrieben und viel contrarietates da- gegen demonstriert und angezeigt worden, also daß solches Konkordienbuch noch nicht also beständig und qualifiziert sei, daß alle der Augsburger Konfession verwandten Stände und Städte damit zufrieden oder solehs komprobierten. Uber- dies möchte aus solcher Subskription auch die beschwerliche Konsequenz entstehen, daß sich ein Ehrbarer Rat aus dem alten Religionsfrieden selbst ausschließen und in Unfrieden oder in große Gefahr und Nachteil cum summo etiam ludi- brio, Spott und Schimpf setzen würde, und wenn alsdann auf zutragende Fälle sich die Sache zur Reue schicken sollte, daß alsdann der Kaiser sagen möchte: Wer hat's euch geheiden? Auch die Advokaten gaben ihre Gutachten ab und brachten in ihnen soviel wichtige, erhebliche argumenta, Umstände und Ursachen bei, daß der Protokollführer darauf verzichten mußte, sie nachzuschreiben. Offenbar auf ihren Antrag gelangte die Erklürung des Landgrafen von Hessen an den Kurfürsten zu Sachsen über die Konkordie zur Ver- lesung. Im Anschlusse hieran wurde noch Folgendes zu er- wägen gegeben: Dieweil noch viel Personen im Rat seien, welehe gewiBlich des Buchs Inhalt nicht verstünden und doch gleichwohl solch Werk der Subskription ihrer jedwedes Gewissen und Seelenheil mitbegriff, daß demnach dieselben sich vorhin wohl und genugsam besännen und erinnerten, mit was Gemüt und Gewissen sie solch Buch unterschreiben sollten, könnten und wollten. Nachdem sodann noch Fichard den Entwurf seiner Antwort an den Kurfürsten von der Pfalz mitgeteilt hatte, wurde die Ansicht der Kommission mit einer an Einmütigkeit grenzenden Mehrheit!) dahin fest- gestellt, daß man aus politischen Gründen die Subskription nicht empfehlen könne.

Am folgenden Tage erstattete die Kommission tiber ihre Verhandlungen und deren Ergebnis dem Rate Bericht, wo- rauf die Verlesung der von Fichard beabsichtigten Antwort an Kurpfalz folgte. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes verschob man die endgtiltige Beschlußfassung bis zum 18. De- zember?). Sie führte zur Billigung des Fichardschen Entwurfes, der dann mit Datum vom 15. Dezember abgeschickt wurde).

!) Die Advokaten stimmten Fichard bei. Die anderen Mitglieder der Kommission waren gleichfalls „vast alle einmütig“ seiner Meinung. *) Vgl. die Ratsprotokolle vom 15. und 18. Dezember 1579.

) Beilage zu Act. eccl. IV. Mglb. A 6 Nr. 86. Abgedruckt zum Teil bei Heppe IV, 186. Anm. 1.

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Der Rat begrüßte in seiner Antwort zunächst das Unter- nehmen der evangelischen Kurfürsten. Für den Frankfurter Bekenntnisstand bezog er sich auf die Bucersche Konkordie von 1542 sowie auf die prophetischen und apostolischen Bücher, die altkirchlichen Symbole, die Hauptkonzilien, die Augustana, die Apologie, die Schmalkaldischen Artikel und Luthers Großen und Kleinen Katechismus. Zum Zeugnis dafür, daß man in Frankfurt immer bei diesen Normen der Lehre geblieben sei, berief sich das Schreiben auf den Pre- diger Petrus Patiens, der erst jüngst von Frankfurt in die lutherisch gewordene Pfalz übergesiedelt war, aus der er vor Jahren vor dem reformierten Regiment nach Frankfurt ausgewandert war. Was aber die erbetene Unterschrift zu der Präfatio der Augustana betraf, so wollte es den Frank- furtern ganz bedenklich fallen, solch Buch und seine Vor- rede, ehe und zuvor es in seine gewisse und beständige Perlektion, dabei es unwandelbar bleiben solle, gebracht worden, zu approbieren und zu subskribieren. Da auch noch viel ansehnlicher hochgelehrter Gönner und Theologi sich nicht in das Bergische Buch richten künnten, noch dasselbige approbieren wollten, bäten sie den Kurfürsten, ihnen noch länger Bedenkzeit zu geben und ihnen zugute zu halten, daß sie diesmal nicht subskribiert hütten. Sie seien der Meinung, dieses hochwichtige Werk wäre billig zuvörderst durch einen gemeinen Synodum und einbellige Approbation aller Stände und Theologen Augsburger Konfession geschlossen worden.

Es war die letzte Kraftprobe, auf die es der greise Stadtadvokat Fichard dem Predigerministerium gegenuber hatte ankommen lassen, und sie war ohne jeden Abstrich zu seinen Gunsten ausgefallen. Es war für die Prädikanten von vornherein nicht günstig, daß man das bevorstehende Jahr mit der Ausgabe des Konkordienbuches zu einer Jubelfeier der Augustana ausgestalten wollte. Das weckte unwillkür- lieh die Erinnerungen an den Schmalkaldischen Bund, der auf die Augustana gegründet worden war, und diese Er- innerungen waren für Frankfurt in hohem Grade schmerz- lieh, sie waren unlösbar verknüpft mit der Belagerung der Stadt im Jahre 1552 und der dadurch verursachten Zerrüttung der städtischen Finanzen. Vor einem Wege, der zu einem ähnlichen Ziele führen konnte, glaubte Fichard nicht ein- dringlich genug warnen zu können. Vielleicht hat er des- halb die Zukunftsmöglichkeiten noch um eine Schattierung sehwärzer gemalt, als er selber sie tatsächlich sah. Was die Zionswächter diesen Erwägungen etwa entgegensetzen mochten von Forderungen einer reinen Lehre und eines Zu- sammenschlusses aller Augsburger Konfessions-Verwandten,

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das machte auf ihn nicht den geringsten Eindruck. Er be- stritt nicht die Richtigkeit ihrer dogmatischen Urteile, er bestätigte sie auch nicht, er ließ sie eben einfach als prak- tisch belanglos auf sich beruhen. Maßgebend waren für ihn allein die politischen Rücksichten. Daß ihm dieser letzte, entscheidende Sieg tiber seine alten Gegner eine gewisse Genugtuung gewährte, nachdem er oft genug mit seinen be- sonnenen Vorschlägen an ihrem dogmatischen Starrsinn ge- scheitert war, ist nicht unwahrscheinlich.

Daß es gute Bahnen waren, in die er mit seinem Votum den Frankfurter Bekenntnisstand lenkte, wird nicht zu be- zweifeln sein. An der lutherischen Rechtgläubigkeit der Stadt hat er freilich nichts geändert!), das lag auch nicht in seiner Absicht. Aber indem er die Einführung der Kon- kordienformel als offizieller Norm des Bekenntnisstandes zu verhindern wußte, hat er einem späteren Geschlechte, dessen Dogmatik nicht mehr auf den Voraussetzungen des Bergischen Buches beruhten, den Weg eröffnet zu einer Neuprägung der dogmatischen Begriffe, ohne daß diese Arbeit auf Kosten der persönlichen Wahrhaftigkeit und mit einem gebrochenen Ge- wissen hätte geschehen müssen.

Schluß.

Am 14. März 1588 starb Matthias Ritter nach sechsund- dreißigjähriger Wirksamkeit als Pfarrer in Frankfurt. An den Hauptdaten seines Lebens?) lassen sich die Hauptmomente in der Geschichte des Frankfurter Bekenntnisstandes im Zeit- alter der Reformation aneinander reihen. In demselben Jahre 1536, in welchem er als zehnjähriger Knabe seinen Vater verlor, kam unter Beteiligung Frankfurts die Wittenberger Konkordie zustande; es war die Zeit, in der die Einführung der Reformation in der Stadt endgültig vollzogen worden war und der Anschluß an den Schmalkaldischen Bund statt- gefunden hatte. Sechs Jahre später, als er die Universität Wittenberg bezog, um Luther und Melanchthon zu hören,

!) Dies kommt darin zum Ausdruck, daß (nach Becker, Über die Kirchenagenden der ev.-luth. Gemeinde zu Frankfurt a, M. 1848, S. 16) die Prüdikanten seit 1589 bei ihrer Ordination auf die Konkordien- formel verpflichtet wurden, Das war aber nur ein Zeichen des An- sehens, dessen sich die Konkordienformel bei den Theologen der Stadt erfreute, vielleicht zugleich ein Protest gegen die Entscheidung deg Rates vom 18. Dezember 1579. Aber der offizielle Bekenntnisstand der Frankfurter Kirche wurde damit nicht alteriert.

*) Ritter, Ev. Denkmal S. 418 ff.

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setzte Bucer die Frankfurter Konkordie auf, diese grund- legende Bekenntnisschrift der Stadt, unter deren Pfarrern er dann im folgenden Jahre eine „Vereinigung“ aufrichtete. Wieder sieben Jahre später, als er in Straßburg für den jüngeren Justinian von Holzhausen eine Oratio de arte disse- rendi aufsetzte, stand Frankfurt im Zeichen des Interims: es war die Peripetie, die den Rückgang des Bucer-Melanch- thonschen Einflusses einleitete, das künftig tonangebende Gensioluthertum wartete seit dem Jahre des Consensus Tigurinus nur noch auf sein Stichwort und seinen Protago- nisten. Das Jahr 1552 brachte beides: in ihm trat Ritter in den Frankfurter Kirchendienst ein, wo er neben Hartmann Beyer und mit der Zeit noch mehr als dieser an die Spitze des exklusiven Luthertums trat, und gleichzeitig rollte West- phal mit seiner Farrago das Banner auf, um das sich fortan auch in Frankfurt die genuinen Lutheraner scharten. End- lich in demselben Jahre 1554, in welchem die Fremden- gemeinden entstanden, trat Ritter mit seiner ersten Luther- biographie hervor!), um die Frankfurter, bei denen, wie im ganzen Westen, Luther bis dahin wenig gegolten hatte, mit dem Reformator vertrauter zu machen und sie für den säch- sischen Typus der Reformation zu gewinnen: ein Unter- nehmen, das er bei seinem Tode als völlig gelungen be- trachten konnte,

Matthias Ritter ist ein typischer Repräsentant der Refor- mation in Frankfurt, und für das Verstündnis der Entwick- lung, den die kirehliehen Dinge damals hier genommen haben, will es beachtet sein, daß die führende Persönlich- keit ein Mann wie er gewesen ist. Er gehört weder zu den bahnbrechenden und grundlegenden Geistern der ersten Zeit wie Luther und Zwingli, die die großen, schöpferischen Ge- danken in ihr Zeitalter warfen und die Kräfte eines neuen religiösen Lebens entbanden, noch auch zu den ersten Sehülern der Reformatoren, wie Bucer, Calvin und a Lasco, die die vielfältigen Anregungen theologisch zu verarbeiten und für den Neubau des kirchlichen Lebens praktisch zu verwerten suchten. Er gehört vielmehr erst jener dritten Gruppe an, die nur die Gradheit und Festigkeit des persön- lichen Charakters aufzuweisen hat, im, übrigen aber den Mangel an Großzügigkeit in religiöser, theologischer und kirchlicher Beziehung nur höchst unvollkommen ersetzt durch die strenge Korrektheit der Dogmatik und die straffe Dis-

1) Einer deutschen Übersetzung der Vita Melanchthons mit einigen Beilagen, die 1564 eine zweite Auflage erlebte. Vgl. Ritter, Ev. Denk- mal S. 422.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 1. 7

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ziplin der Partei. So wenig wie irgendein anderer seiner Frankfurter Amtsbrüder oder einer der Streittheologen jenes. Zeitalters tiberhaupt, ist er imstande gewesen, den lebendigen Pulsschlag evangelischer Frömmigkeit zu erfühlen, wenn er ihm unter anderen als den ihm geläufigen Formen begegnete, was doch Luther nicht nur bei Melanchthon bis zuletzt, son- dern selbst bei Bucer, von dem er sich so oft enttäuscht füblte, immer wieder vermocht hat. Deshalb mußte er stets erst die Uebereinstimmung der ihm ungewohnt klingenden dogmatischen Formeln mit der ihm von Westphal inter- pretierten Augustana nachprüfen, und an die Stelle des kon- genialen Verständnisses für jeden evangelischen Glauben, der nur mit anderen Ausdrucksmitteln dieselbe Wahrheit bezeugen wollte, trat bei ihm eine neue Scholastik mit der ganzen Enge und Sprödigkeit ihrer Begriffe und mit der ganzen schroffen Unduldsamkeit der Schule.

Daran liegt es wesentlich, daß der Frankfurter Refor- mationsgeschichte die eigentlichen Höhepunkte fehlen und der Eindruck, den sie schließlich hinterläßt, nichts Erhebendes, sondern eher etwas Bedrückendes hat. Sie weist keinen Heros des evangelischen Bekenntnisses auf. An ihrer Spitze sehen wir einen Rat, der sich lediglich von den Rücksichten poli- tischer Klugheit leiten ließ. In dem Predigerministerium aber geht die Führung an Eiferer über, die in ihrem eng- herzigen Fanatismus die Träger eines kraftvollen, unter Leiden und Verfolgungen bewährten Protestantismus nur für „Mär- tyrer des Satans“ ansehen wollten und ihren eigenen Stand- punkt mit solcher Selbstverständlichkeit in die Anfangszeit. der Frankfurter Reformation zurückdatierten, daß sie gar nicht. merkten, wie sie dabei verbrannten, was ihre Vorgänger an- gebetet, und anbeteten, was ihre Vorgänger verbrannt hatten.

Denn das darf als Ergebnis unserer Untersuchung fest- gestellt werden: Die lutherische Orthodoxie ist trotz der gegenteiligen Behauptung ihrer Wortführer nicht von Anfang an die Norm des Frankfurter Bekenntnisstandes gewesen, Sie war es auch noch nicht, als die Fremdengemeinden ent- standen. Welch ein Weg von dem ersten Vorkommen des Namens „Lutheraner* bei Johannes ab Indagine, der darin nur die Verwirklichung der sittlichen Seite des Evangeliums ausgesprochen fand, bis zu den Entscheidungen, welche die Konkordienformel in den verschiedenen innerprotestantischen Kontroversen traf! Und dieser Weg ist nicht geradlinig in der Richtung auf das schließlich erreichte Ziel verlaufen. Der Lutheraner Cellarius ist 1525 als Pfarrer abgelehnt worden. Luther selbst erhielt 1533 auf seinen Warnungs- brief eine deutliche Absage. Noch mehr als zwei Jahrzehnte.

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später konnte Cnipius von seinen Anhängern als von den eoaxantibus adhuc in Stoicorum luto ranis spottweise reden. Nicht von Wittenberg, sondern von Straßburg aus ist die Frankfurter Kirche in den dreißiger und vierziger Jahren bestimmt worden, Capito und Bucer waren ihre Autoritäten, and soweit neben die Straßburger auch Wittenberger Ein- füsse traten, kamen sie nicht von Luther, sondern von Melanchthon. Wenn ein Schüler Bucers wie Poullain 1554 dem Rate von seinen Wallonen schrieb: „Die sind euerer Religion“, so war das keineswegs eine Verschleierung der Wahrheit, wie man uns seitdem bis auf unsere Tage immer wieder hat glauben machen wollen, ohne sich der Mühe einer dogmengeschichtlichen Feststellung zu unterziehen, son- dern es entsprach einfach den Tatsachen, denn der Bekennt- nisstand Frankfurts, wie er durch die beiden Konkordien von 1536 und 1542 normiert war, stellte lediglich den Typus des Bucerschen Unionsprotestantismus dar, dem auch Poullain ohne Einschränkung und Vorbehalt huldigte, und denselben Standpunkt vertrat der Frankfurter Kompromißkatechismus von 1541. Erst seit der Mitte der fünfziger Jahre hat sich ein Umsehwung vollzogen, für den die Verlegenheit der Prädi- kanten gegenüber Calvin bei seinem Besuch im September 1556 symptomatisch ist. Durch seinen Verleger Brubach ge- wann Westphal Einfluß auf Hartmann Beyer und damit auf das Predigerministerium überhaupt. Beschleunigt wurde der Prozeß durch das Mißtrauen gegen die Fremden, das West- phal säte, namentlich gegen Micronius, dem er bereits in Hamburg entgegengetreten war. Als retardierendes Moment wirkten wenigstens noch eine Zeitlang die humanistisch ge- sinnten Freunde Melanchthons und Calvins auf dem Römer, deren Einfluß indessen, zumal seit der Enttäuschung des Seigerhandels 1557, nicht stark genug war, die alten Tradi- tionen der Stadt auf die Dauer aufrecht zu erhalten. Die allgemeinen politischen Verhältnisse spielten gleichfalls mit herein, bald im Sinne der Prüdikanten (der Augsburg er Religionsfriede und der Naumburger Fürstentag), bald im

Sinne des Philippismus (der Frankfurter Rezeß und die Auf-

nahme der Konkordienformel) Mit dem Tode Melanchthons und dem Verbote des reformierten Gottesdienstes in der Weißfrauenkirche, mit dem zeitlich sehr bezeichnend das erste Vorkommen des Wortes „reformiert“ in dem uns seit- dem geläufigen Sinne zusammenfällt, war der Übergang Frankfurts in das Lager derer um Westphal besiegelt, und dieses Ergebnis wurde, auch wenn die Stadt sich aus poli- tischen Gründen weigerte, die Konkordienformel zu unter- zeichnen, wenigstens von dem Predigerministerium für die 77

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Zukunft als maßgebend für den Bekenntnisstand der Pfarrer angesehen.

Bei diesem Ergebnis ist es dann während der nächsten Jahrhunderte geblieben. Namentlich die Frontstellung gegen die Fremdengemeinden wurde beibehalten. Aber das Bewußt- sein um den dogmatischen Kontroverspunkt verschob sich, und während man gewohnheitsmüDig die alte Polemik und die unduldsame Praxis fortsetzte, kam tatsächlich eine innere Annäherung zustande. Man erklärte die Bucer-Calvin-Me- lanchthonsche Position der Reformierten kurzweg für Zwinglia- nismus und rückte selber in ihre dogmatische Position ein unter gleichzeitiger Preisgabe der lutherischen Abendmahls- lehre. Hatte Poullain einst gerade dadurch so großen An- StoD gegeben, daß er die Lehre Luthers von der Impanation ablehnte, so erstand ihm ganz unvermutet zweihundert Jahre später ein Gesinnungsgenosse in einem Gegner seiner Ge- meinde, dem lutherischen Senior Fresenius, der gegen den Wortführer der Frankfurter Heformierten, den Duisburger Professor Withof, die Behauptung aufstellte, die Impanation sei von den Lutheranern nie gelehrt worden!).

Erst das Reformationsjubiläum 1817 rückte den Ge- danken an eine grundsätzliche Annäherung des beiderseitigen Bekenntnisstandes in den Vordergrund. Doch war die größere dogmatische Unbefangenheit und Weitherzigkeit auch jetzt wieder auf der Seite der Reformierten. Dean während die Lutheraner nach jahrelangen Verhandlungen zuletzt doch von dem Projekte einer Union zurücktraten?), beschlossen sie 1829, bei den künftigen Pfarrwahlen nicht nur reformierte, sondern auch unierte und lutherische Bewerber zuzulassen, falls sie dem Glaubensbekenntnisse Poullains von 1554, diesem Kompendium der Bucerschen Theologie, zustimmten?).

1) D. J. Ph. Fresenii Actenmüsige Anmerckungen Über Herrn J. H. Withofs, P. P. O. zu Duisburg, Ungegründete Nachricht, Wie . es mit Valerando Pollano, Erstem Reformierten Prediger zu Franck- furt am Mayn, Und Dessen Aufnahm daselbst, zugegangen. Franck- - fart am Mayn, In der Andreüischen Buchhandlung, 1752. S. 22f. l ) Ehlers, Ein Kirchenverfassungsversuch für die vereinten evang. Gemeinden zu Frankfurt a. M. 1822—1826. Frankfurt a. M. (M. Diester- weg). 1887. S. 26. *) (Frankfurter) Reformiertes Kirchenblatt. 2. Jahrgang. Nr. 9 vom 15. April 1921. S. 9.

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Verzeichnis der Abkürzungen.

Lersner. Der Weit-berühmten Freyen Reichs- Wahl- und Handels- Stadt Franckfurt am Mayn Chronica, Oder Ordentliche Beschreibung der Stadt Franckfurt Herkunfft und Auffnehmen, wie auch allerley denekwürdiger Sachen und Geschichten, so bey der Römischen Kónigen und Kayser Wahl und Crönungen, welche mehentheils allhier vorgenommen worden, vorgegangen, nebst denen Verände- rungen, die sich in Weltlich- und Geistlichen Sachen, nach und nach zugetragen haben. Anfänglich durch Gebhard Florian, an Tag gegeben, Anjetzo aber Aus vielen Autoribus gezieret, und per modum Annalium verfasset, und zusammen getragen. Durch Achillem Augustum von Lersner, Patricium Nobilem, Civitatis Francofurtensis, (Zwei Foliobánde: 1706 und 1731)

Ritter. Evangelisches Denckmahl der Stadt Franckfurth am Mayn, Oder Ausführlicher Bericht von der daselbst im XVI. Jahr-Hundert ergangenen Kirchen-Reformation, Mithin von dem Anfang, weitern Fortgang, und der Bestüttigung des wieder hervorgebrachten Heiligen Evangelii in besagtem Ort, aus bewührten schrifftlichen Documenten und andern Urkunden verfertiget von Johann Balthasar Ritter, Evangelischen Predigern daselbst, Franckfurth am Mayn, Bey Johann Friedrich Fleischer. 1726,

F.R. Franckfurtische Religions-Handlungen, Welche zwischen Einem Hoch-Edlen und Hochweisen Magistrat und denen Reformirten Burgern und Einwohnern daselbst Wegen des innerhalb denen Ring-Mauren dieser Stadt gesuchten Exercitii Religionis Reformatae Publici, Bey dem Höchstpreißlichen Kayserlichen Reichs-Hof-Rath gepflogen worden, Worinnen hauptsächlich die wichtige Materie des Teutschen Staats-Rechts Von der Reichs-Stünden Jure circa sacra erlüutert, und von dem wahren Verstand des Articuli VIT. Instrumenti Pacis Westphalicae Und denen Annis decretoriis MDCXXIV. & MDCXLVIII. gehandelt, auch von einigen zu der Franckfurter Reformations- und Kirchen-Historie gehörigen Sachen gründliche Nachricht ertheilet wird. Nebst denen darzu gehörigen und gröstentheils ungedruckten, theils vor geraumer Zeit in Druck ausgegangenen aber nunmehro sehr rar gewordenen authentischen Beylagen. (Vier Foliobánde. Frankfurt a. M. 1735 ff.)

Kirchen-Geschichte usw. Kirchen-Geschichte von denen Refor- mirten in Franekfurt am Mayn. (1731)

F.A. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. (N. F, Neue Folge.)

Uffd. User. Uffenbachsche Manuskriptensammlung im Frankfurter Stadt-Archiv.

Act.Ecel. Akten des Frankfurter Stadtarchivs über Religion und Kirchenwesen.

Act. Ref. Dsgl. über das Niederländische und Französische Kirchenwesen.

B. B. Bürgermeisterbuch

R. P. Ratsprotokolle | im Frankfurter Stadtarchiv.

Rschl. P. Ratschlagungsprotokolle

Zur Wittenberger Universitätsgeschichte des 16. Jahrhunderts.

Von J. Jordan.

G. Nätebus, der verdienstvolle Herausgeber des Register- bandes zum Album academiae vitebergensis 1502 1602, weist in der Einleitung zu ihm auf das Unsichere und Un- zureichende der Matrikeleintragungen wiederholt hin. Zu dem schon von ihm herangezogenen weiteren Material, also anderweitigen amtlichen Quellen und sonstigen Vorarbeiten aus der Gelehrtengeschichte, dürften aber auch die Stamm- bucheintragungen Wittenberger Studenten aus jenem ersten Jahrhundert der Leucorea gehören, und ich bin in der glücklichen Lage, aus dem Besitz der alten Universitäts- bibliothek Wittenbergs ein studentisches Stammbuch vor- legen zu können, dessen Eintragungen jedenfalls in ihrer weitaus größten Zahl sicher auf Wittenberger Studenten der Jahre 1563—1573 sich zurückführen, für dessen weitere Eintragungen wohl sämtlich der gleiche Schluß mehr als nahe liegt, auch wenn sie nicht im Album verzeichnet sind oder zu sein scheinen.

Haben diese Eintragungen, schon wenn sie keinerlei Abweichungen gegenüber dem Album zeigen, aber erst recht in ihren geringeren oder größeren Abweichungen in der Schreibweise wie in den Orts- und Heimatsangaben, ihren geschichtlicben Wert, so gibt auch ihr weiterer Inhalt zu mancherlei interessanten Feststellungen Anlaß. So wird eine genaue Veröffentlichung und Besprechung nicht ohne In- feresse sein.

A. Das Stammbuch liegt heute in einem mäßig starken Quartband von 177 numerierten Seiten vor. Der ur- sprüngliche Bestand ist das nicht. Der alte Einband ist durch einen neuen ersetzt; auf seine Innenseiten ist vom Buchbinder je eine Stammbucheintragung eingeklebt, Eine Reihe von Blättern sind schon vor der Paginierung entfernt gewesen (vor S. 3; zwischen S. 9 u. 11); auch waren zwei Seiten schon damals zusammengeklebt, zwischen S. 151 und 153, und der Paginator hat nicht versucht, die Blütter von- einander zu trennen, obwohl die eine Seite deutlich be-

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sehrieben ist; heute wäre eine Trennung erst recht nur durch starke Beschädigung der Seiten möglich. Aber auch nach der Paginierung sind noch Verluste eingetreten: S. 45—52; 75, 76; 149, 150; 161, 162.

B. Der Besitzer des Stammbuches war Claudius Textor, laut Album II. 65, b; 21., am 15. April 1564 inskribiert als Gallus Allobrox. Die Widmungen der Eintragungen Nr. 49, 64, 83, ergeben die nähere Bestimmung: Genenenis; so liegt schon hier eine Weiterführung über die Notiz des Albums vor. Zwei weitere biographische Angaben ergeben sich aus den Daten der ältesten und der jüngsten Eintragung, jene vom 15. 4. 1563 (Nr. 21), diese vom August 1573 (Nr. 41). Hiernach ist T. schon mindestens 1 Jahr vor seiner Inskribierung in Wittenberg anwesend gewesen und hat mindestens 10 Jahre, davon 9 Jahre als inskribierter Student, also recht geraume Zeit, „Studien halber“ in Wittenberg sich aufgehalten. Ein Hinweis darauf, daß er irgendeinen akademischen Grad sich erworben hätte, findet sich nirgends. Die Apostrophierung geht inhaltlich über das übliche doctrina, pietate, virtute praestantissimo, über das amico carissimo, conmensali, sua- vissimo, perpetua fide colendo nirgends wesentlich hinaus, Eine Ausnahme bildet die Eintragung Nr. 74, insofern hier ursprünglich philosopho insigni et mathematico solertissimo geschrieben war; aber die Worte sind dann durchgestrichen. Auch das Gedicht auf T., das sich bei Nr. 67 findet, ergibt nichts weiteres. Die Stammbucheintragungen selbst ver- teilen sich sehr ungleich auf die einzelnen Jahre: 1563: 1; 1564: 5; 1565: 7; 1566: 35; 1567: 7; 1568: 12; 1569: 3; 1570: 5; 1571: 3; 1572: 0; 1573: 3. Soweit es sich um Eintragungen von im Album nachweisbaren Verfassern handelt, sind sie mit Ausnahme von Nr. 21 sämtlich nach der In- skribierung erfolgt; mehrere (Nr. 9, 16, 18, 27, 56) geben sich ausdrücklich als kurz vor dem Abgange von der Uni- versität geschrieben. Sämtliche sind von Wittenberg datiert, nur Nr. 46 von Magdeburg. Ihrer Landsmannschaft nach gehören die Schreiber allen deutschen Gauen an; irgend- eine Bevorzugung dieser oder jener Gegend ist nicht zu er- sehen. Adelige Namen stehen Nr. 11, 12, 19, 39, 49, 70, 84, 85 neben bürgerlichen. Auffallender Weise fehlt, wenigstens im gegenwärtigen Bestand des Stammbuches, jedwede Eintragung eines akademischen Lehrers; Magistri sind auch nur wenige vertreten. Angaben über die Zu- gehörigkeit zu einer der vier Fakultäten fehlen mit Aus- nahme von Nr. 30 überall.

Was sich anderweitig (s. u.) feststellen läßt, ist auch wenig. Irgendwelche sicheren Schlüsse zur Lebensgeschichte

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T.s ergeben sich von hieraus schwerlich. So ist das bio- graphische Ergebnis gering.

Um so bemerkenswerter ist, daß ich bis jetzt wenigstens vier Bücher aus seinem Besitz nachweisen kann: sie gehören heute, wie das Stammbuch selbst, zum Bestand der alten Universitätsbibliotbek; und zwar sind es folgende: Euclidis elementorum libri XV. graece et latine, Paris 1557; Galeni de urinis liber, Lutetiae s. a.; Hippocratis Aphorismorum genuina leetio, Basel 1547; Martialis epigrammaton libri XIV, Paris 1539. Sümtliche sind mit zahlreichen Randbemerkungen versehen; ein eigentliches Vorlesungsexemplar ist nicht dar- unter; die Euclidausgabe ist durchschossen, und die ein- geschossenen weißen Blätter sind über und tiber mit Notizen, geometrischen Figuren und Berechnungen bedeckt; die Hippo- eratesausgabe trägt den Vermerk: 1563 in Wittenberg er- worben. Mit letzterer Angabe ist also das Jahr 1563 für das Eintreffen T.s in Wittenberg erneut festgelegt. Haben wir also hier einen sicheren Fall dafür, daß die Inskribierung keineswegs immer sofort nach dem Eintreffen in Wittenberg erfolgt ist, worauf ja mancherlei Mahnungen in den Rektorats- anschlägen jener Jahre hinweisen? Dann wäre hier ein weiteres für die Universitätsgeschichte wichtiges Ergebnis festgelegt. Im übrigen darf man wohl aus dem fleißigen Gebrauch der Bücher einen Rückschluß auf ihren Besitzer machen. Aber auf alle weiteren Fragen, die an diesem Bücherbesitz und an sein Schicksal sich anschließen, also etwa nach Vorbildung und Berufswahl und Studiengang seines Besitzers, oder auf welche Weise Bücher und Stamm- buch in den Besitz der Universitätsbibliothek gekommen sind, vermag ich aus dem, was vorliegt, auch hier keine sichere Antwort zu geben. Sicher ist, daß T. nicht in Wittenberg gestorben ist.

In den mir zur Hand befindlichen alten und neuen Nach- schlagebüchern ist sein Name nirgends genannt.

C. Ich gebe nun zunächst ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis sämtlicher Namen, unter Hinzufügung der ent- sprechenden Angaben des Albums, und gelegentlicher anderer Hinweise. Wie im Registerband ist unter C auch K ein- gestellt; die erste Zahl gilt als Ordnungszahl; die zweite, in Klammern gesetzte, nennt die Seitenzahl des Stammbuches; A bedeutet Album; Suevus Akademia Wittenbergensis ab Anno fundationis 1502—1655 ... editore G. Suevo; Buch- wald Wittenberger Ordinierten Buch, 2 Bde., hrsg. v. G. Buchwald.

1. (S. 68) ..... 2. (S. 109) Basilius Aezinger Lambacensis Austriaeus 1564.

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a a

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11

16.

17. 18. 19.

20.

2].

(S. (S.

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[A II 3 b, 37; 13. 5. 1560 Acinger (!) Basilius Lambatensis (= Lambach, Oberösterreich)].

. 141) Johann Alttb.. a Castello; s. a. [A? Suevus: 7. . 170) Georgius Aperbachius Erphurdensis 1566. [A ?]. . 172) Johan. Rupelus Bacherus Flander. 1570. [A ?]. . 169) Laurentius Besler Brygensis 1567 [A II 8 b, 25;

16. 5. 1560. Besler, Laurentius, Bregensis (= Brieg, Schlesien) gratis inscriptus].

. 129) Dauid Binvald Prutenus 1566 [A II 103a, 29;

20.5.1566. Dauid Binewaldt (!) Prutenus].

. 168) Petrus Boquetius Andinus (= Andes, Bene-

dietinerkloster b. München?) 1567 [A? Suevus 7.

. 121) M. David Bramerus Brunsuicensis discedens 1566

[A I 349 b, 27; 25.9. 1558. David Bramerus Brunsuicensis. Vgl. Buchwald II 582].

. 175) Joan. Khlingler Austriacus 1566 [A II 90b, 4;

19. 9. 1565. Johannes Klingler (!) Stirzensis]. 10) Anthonius, Herr von Kietlitz 1571 [A? ob Student? ob Vater von Nr. 12 7.

. 10) Johannes a Kitlitz, Baro. 1571 [A I 354a, 36;

3. 12. 1558. Nobilis et Generosus D. D. Johannes Baro a Kitliez et Dominus in Crain inscriptus. Ebs. Suevus 1558].

81) Eusebius Cleber Memmingensis 1566 [A II 88 b, 6; 4.7.1565. Eusebius Kleper () Memmingensis].

. 115) Dauid Klemmius Tilsenus Borussus 1564 [A ?]. .108) Johannes Knozer Stirius Eisenerztensis 1566

[A II 3b, 35; 13. 5. 1560. Johannes Knozer Vernodensis ex Styria].

. 69) Laurentius Collinus (a. c. matre A. W. discedens).

1566 [A II 216, 40; 14. 6. 1561. Laurentius Laureocensis (Lorch, Oberösterreich) Austriacus]..

. 69) David Crusius Hamburgensis 1568 [A II 15 b,

41; 10.4.1560. David Krause (!) Hamburgensis].

. 170) Vitus Cyranius Tyrolensis (paulo aute discessum)

1568 ?].

. 140) Caspar à Dauwiez de Jonstorff 1566 [A II 24 b,

31; 17.10.1561. Caspar a Danwiez a Jans- dorff nobilis Silesius vgl. Suevus: C., a Danwitz..]. 112) Andreas Ditmarus Brunsuicensis 1566 [A I 345 a, 36; 7. 5. 1558. Andreas Ditmarus Brunsuicen.]. 111) Daniel Donersperger Stirius 15. 4. 1563 [A II 51b, 22; 12. 5. 1563. Daniel Donnersberger () de Leoben Styrus].

22. (S. 164 fl.) Catharinus Dulcis Allobrox 1568 [A II 137 a,

41; 5. 4. 1567. Catharinus Dulcis Geneuensis].

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38.

106

(S. 93) Joachim Einpacher Stirius 1566 [A II 51 a, 21; 3. 5. 1563. Joachimus Einbacher (!) Graizensis Styrius].

(S. 163) Elias Tesbitius Moravus 1568 [A II 14 a 7; 19. 10. 1560. Elias Brodensis (= Böhmisch Brod.) Moravus. Vgl. Buchwald II 1027].

(S. 101) Michael Ezechius Ungarus 1565 [A II 54b, 3; 17. 7. 1563. Michael Ezechias Hungarus].

(S. 154) Henricus Faber 1571 [A II 45b, 25; 1563. Hen- ricus Faber Quedlinburgensis? II 85 a, 36; 1565. H. F. ex Tabernis montanis (Bergzabern)? II 170 b, 38; 1570. H. F. Magdeburgensis ?

(S. 64) Johannes Faustinus Prostanensis, (rediturus in patriam) 1569 [A II 121 a, 10; 11. 4. 1566. Johannes Faustinus Brostanen. (= Prossnitz) Moravus].

. (5.179) Hermannus Ficeius Rigensis 1565 [A II 23b,

10; 24. 8. 1561. Hermannus Fictius () Rigensis].

(S. 175) Johannes Fleischer Vratislauicensis 1567 [A I

533 a, 28; 5. 10, 1557. Johannes Fleischer Vratislauien. Vgl. Buchwald II 1250].

(3.168) David Fleischmann pastor in pago Plauen 1570 [A II 103b, 5; 23. 5. 1566. Dauid Fleischmann Dresdensis. Vgl. Buehwald 1I 1010].

(S. 102) M. Balthasar Floeter Saganus Silesius 1565 [A II

78a, 3; 1. 11. 1564. M.Baldasar Floeter Sagensis].

2. (S. 142 f.) M. Adamus Franciscus Caruovius 1566 [A 1364 b,

13; 28. 9. 1559. Adamus Frantzky (ö) Caruo- nensis Silesius. Vgl. Buchwald lI 1207 M. Adamus Franciscus Jagerdorfii . .]. 99) Martinus Haggaeus Holsatus 1565 [A 7]. .174) Simon Händl Austriacus 1566 [A 1 333 b, 22; 12. 8. 1557. Simon Hendel, Adorfensis (= Adorf im Voigtlande, sächs. österr. Grenze) gratis in- seriptus].

. (S. 147) Valentinus Hellopaeus Pannonius 1567 [A II 29 b,

20; 12.1.1562. Valentinus Hellopaeus Ungarus].

. (8. 126) Simon Hermannus Mediensis 1567 [A II 97 a,

24; 26. 4. 1566. Simon Herman Mediensis (= Mediaseh, Siebenbürgen)].

(S. 104) Johan. Hesterbergius Hamburgensis 1567 [A I

246 b, 13; 16. 5. 1549. Johannes Hesterberg Hamburgensis? A I 326 a, 27; 30. 4. 1557. Jo- hannes Hesterbergius Hamburgensis ?]

(S. 114) Rudolphus Hoyer Campensis 1566 [A II 87 a, 6; 23. 5. 1565. Rudolphus Hoyer Campensis].

107 107

39. (3.136) Philippus ab Holdinckheussen 1570 [A II 178b, 7; 13. 6. 1570. Philippus ab Holdinckhausen Hessus]. :

40. (S. 176) Georg Innerhofer Austriacus 1566 [A II 906, 3; 19. 9. 1565. Georgius Innehofer (I) Stirensis].

41. (S. 153) M. Johan. Lehman 1573 [A II 70b, 39; 3. 6. 1564. Johannes Leemann llenburgensis? A II 121 a, 93 11.4. 1567. Johannes Lehmann Boleslaniensis 7]

42. (S. 27) Conrad Marius Rinckgauiensis 1571 [A I 210 b, 31; April 1544. Conradus Marius Rinckariensis (= Rheingau) adser.: Ma(gister) Heid(elbergensis)].

43. (3.91) Andreas Mater Austriaeus 1566 [A II 95 b, 13; 6. 12. 1565. Andreas Mader (!) Hypolitanus (= St. Pölten) Austriacus].

44. (5.88) Georgius Mauritius Noribergensis 1566 [A I 361b, 14; 30. 5. 1559. Georgius Mauritius Noren- bergensis].

45. (5.117) Dionysius Melander Cassellanus 1564 [A II 75a, 14; 10. 5. 1561. Dionysius Melander Casselius].

46. (S. 171) Johannes Meyendorffius Germanus Meyde- burgensis 1567 [A I 299 a, 29; 25. 10. 1554. Joannes Meyendorff Magdeburgensis].

47. (S. 106) M. Petrus Michaelis Suecus 1564 [A 1 354a, 14; 28. 11. 1558, Petrus Michaelis Suecus (= Schweden)].

48. (3.57) Franciscus Morenberger Vuratis. Siles. 3. 9.1570 [A. 11 816, 36; 29. 4. 1565. Franciscus Moren- berger Wratislanien.? All181a, 3; 6.10.1570. Johannes Morenberger, Vratislanien.?]

49. (S. 87) Baldasar a Moshaim Stirius 1566 [A II 376, 40; 28.9.1562. Baldazar a Mosham Styrius nobilis. vgl., Suevusl.

50. (S. 107) Johannes Neodicus Elbing 1564 [A I 306 b, 37; 14. 5. 1555. Johannes Jungschultius Elbingen 7].

51. (S. 120) Michael Paxius Vngarus 1565 [A II 103 a, 30; 20. 5. 1566. Michael Paxi Vngarus].

52. (S. 1571.) Michael Petraeus 1566 [A I 336 a, 29; 2. 19. 1557. Michael Petreus Hammelburgensis].

53. (S. 132) Georgius Peper Hamburg 1568 [A II 90b, 28; 2. 10. 1565. Georgius Piper (!) Hamburgensis].

54. (S. 92) Sebastian Pengelius Patauiensis 1566 [A II 56 a, 16; 12. 10. 1563. Sebastian u. Ambrosius Poigel (!) frates Passauienses].

55. (S. 73.) Johannes Praetorius Joachimicus 1568 [A I 329b, 36; 16. 5. 1557. Johannes Praetorius Vallensis Matthesii affinis].

108

108

56. (S. 155) Joachim Quenstadius Quedlinburgensis discedens

57.

58.

59.

60.

61.

62.

63.

64.

65.

66.

67.

68.

69.

(8.

1571 [AI 178a, 4; W. S. 1539/40. Joachimus Quenstedt Quedlinburgensis].

. 177) Dauid Rahauserus 1570 [A II 153b, 10; 24. 3.

1569. Dauid Rahauserus Colladensis (= Cöl- leda)].

. 137) Joan Lucas Ramminger, Augustanus 1568 [A II

87b, 2; 2. 6. 1565. Joannes Lucas Ramminger Augustanus].

.127) Henricus Regius Brunsuicensis 1566 [A I 345 a,

37; 7.5. 1558. Henricus Regius Brunsuicensis].

.63) M. Christoph Reschuch [Keschuch?] Gotlebensis

(-Gotleuba?) 1569 [A ? Suevns?].

.177) David Rhutenus Vratislaviensis Silesius 1566

[A II 47a, 12; 16. 4. 1563. Dauid Ruttenus ()

.1) Johannes: Riehthauser Noribergensis 1565 [A I

365a, 35: 6. 10. 1559. Johannes Rithauser () Noribergensis].

.71) Abraham Rörer Stausrietten 1566 [A II 3b, 31;

13. 5. 1560. Abraham Rörer ex Stausrida prope Straubingam],

.103) Joannes Rhorerus Esslingensis 1564 [A ? Buch-

wald 11 686: Johannes Rhor. Esslingensis, ordi- niert 12. 3. 1567. ?].

.83) Joannes Reichovius Lubec. 1566 [A II 6b, 3;

4. 7.1560. Johannes Reichovius (geändert aus Ruxhofius) Lubecensis].

.119) Gregorius Sasuarius Ungarus 1565 [A II 44b,

35; 9.11. 1562. Gregorius Sasuari Ungarus Transyl.].

.113) Georgius Schirmerus Dantiscanus 1564 [A II

51a, 30; 5. 5. 1563. Georgius Schermerus (l) Dantiscanus].

. 145) Laurentius Scholtz Vratisl. Siles. 1573 [A IL 214a,

21; 6.5. 1572. Laurentius Schultz (!) Vratis- lauiensis].

.97) Georgius Sehulezius Holsatus Flensburgensis

1565 [A II 37a, 31; 27. 8. 1562. Georgius Schultz Flensburgen.-Holsatus].

.85) Caspar à Seidlitz 1566 [A I 333a, 33; 15. 10.

1557. Casparus Seidlitz Silesius. Vgl. Suevus: C. Seidlitz].

131) Hermaunus Soltau Ham. 1568 [A I 185b, 13; 19. 11. 1540. Hermannus Soltu Hamburgensis].

109

12. (5.

83. (S.

84. (S.

85. (S.

86. (3.

87. (S.

56)

151)

S. 173)

3. 65)

146)

3. 95)

80) . 110) 53)

3. 67)

. 131)

84)

134)

130)

59)

109

Arnoldus Stein Pomer. Strals. 1569 [A II 161b, 40; 23. 6. 1569. Arnoldus Stein Stralsunden. Pome.].

Jodoeus Stichenpockh Patauiensis 1566 [A II 46b, 2; 24. 3. 1563. Jodocus Stichenbock Passauiens.].

Caspar Straub Chemnicensis 1566 [A II 95 a, 35; 14. 11. 1565. Caspar Straub Kemnicensis]. Simeon Theophilus Turnouicensis Bohemus 1568 [A II 36a, 28; 12.7.1562. Simeon Theophilus Turnouiensis Bohemus].

Matthias Thurius Vngarus 1568 [A II 105 a, 18; 30. 7. 1566. Matthias Thurius Vngarus]. Jacobus Tylinge Flensburgensis Holsatus 1565 [A II 53b, 24; 5. 7. 1563. Jacobus Tillingus (!) Flensburgensis Holsaí. ..5 .

Jacobus Varnbieler, Badensis 1566 [A II 88b, 7; 3.7.1565. Jacobus Farenbiler (!) Badensis]. Dauid Venator Brunsuiacensis 1566 [A II 88b, 5. Dauid Venator Brunsuiacensis].

Paulus Vetzerus Lipsensis 1570 [A 1I 164a, 25; 29. 9. 1568. Paulus Fertzerus (!) Lipsensis]. Johannes Vogelius Dresdensis M. 1568 [A II 62a, 33; 8.2.1564 Johannes Vogelius Dres- densis. Vgl. Buehwald II 820].

M. Geor. Weigelius 1573 [A 1 349a, 43; 14. 9. 1558. Georgius Weigelius Noribergensis? A lI 164a, 35; 1. 10. 1568. Georgius Vueigelius Sagan. Siles.?].

Joan. a Wentzke 1566 [A II 105b, 20; 2. 10. 1566. Joannes a Wentzk, Silesius. Vgl. Suevus: J. a. Wentzke].

Albertus Fridericus a. Wernsdorff 1566 [A II 103a, 24; 20. 5. 1566. Albertus Fridericus a Vuernsdorff, Prutenus, Suevus: ?].

Wolfgang a. Wernsdorf Borussus 1566 [A II 103 a, 25; 20. 5. 1566. Wolfgang a Vuernsdorf Pru- tenus. Vgl. Saevas!].

Petrus Vuesenbecius 1570 [A 1I 169a, 4; 27. 10. 1569. Petrus Wesenbeccius Antuerpianus].

105) Johannes Wetken Hamburgensis 1568 [A I 139b,

37; 12. 7. 1530. Joannes Wetgeh d) Ham- burgen.?].

88. (S.162) Petrus Witte Holsatus 1568 [A II 128b, 32;

26. 8.1567. Petrus Witte Ezohen. Holsatus].

110 110

89. (S. 77) Cyriacus Wolfius Hoxariensis 1566 [A Il 256a, 4; 6.5.1550. Cyriaeus Wolf Hozariensis].

90. (S. 55) 1569. Schriftzüge nicht sicher deutbar: Mons. (?) D. = Johannes vom Berge Dessauiensis (A I 173a, 14; Nov. 1538)?

91. (S. 79) s. a. Hebraeische Buchstaben: jochanan herman hakkoteb Johannes Scriba (A II 15b, 23; 3. 4. 1660 Rinckauiensis? A II 86 b, 23; 19. 5. 1565 Schleusigensis?) oder Johannes Schreiber (A II 34b, 39; 29. 5. 1562. Vite- bergensis?).

Demnach handelt es sich um 89 (91 Nr. 1 und Nr. 90) mehr oder weniger sicher zu deutende Eintragungen. Von ihnen scheint Nr. 11, die einzige Eintragung, die nur den Namen des Eintragenden mit dem Zusatz „mit eigner Hautt* zeigt, wohl als eine nicht studentische aus- zuschalten zu sein; sie hängt wohl mit der ihr auf der- selben Seite unmittelbar vorangehenden Nr. 12 zusammen. Nr. 64 ist nach der Eintragung im Ordinierten Buch zwar in Wittenberg ordiniert worden, aber nicht inskribiert ge- wesen. Die Einzeichnung ist wohl dadurch zu erklären, daB der Schreiber ebenso wie der Stammbuch-Besitzer beide der schola Geneuensi angehört haben (Buchwald II S. XXVI Nr. 686). Von den verbleibenden 87 Eintragungen sind nicht weniger als 8 (Nr. 3, 4, 5, 8, 14, 18, 33, 60) im Album nicht nachweisbar (ca. 9 %), 7 (Nr. 26, 37, 41, 48, 51, 82, 91) nicht sicher zu identifizieren; auch bei Nr. 15 und 34 kann wegen der Abweichung in der Ortsangabe ein Zweifel an der Identifizierung obwalten, desgleichen bei Nr. 42, 56, 71, 87 angesichts der sonst festzustellenden abnormen Länge ihres Wittenberger Aufenthalts,

Demnach verbleiben als sicher festzustellende 65 Ein- tragungen; und von ihnen variieren in der Schreibweise der Namen in geringerem Maße (d. h. so, daß in dem alphabe- thischen Namensverzeichnis des Registerbandes keine Ver- schiebung einzutreten hat), 19, 36, 39, 49, 51, 56, 63, 66, 69, 71, 73, 83, 86, 89, also 14 Eintragungen (über 21 %), in stärkerem Maße (d.h. so, daß eine Aenderung in der alphabethischen Anordnung nötig wird,) 2, 7, 10, 13, 21, 23, 28, 39, 40, 43, 53, 54, 61, 62, 67, 68, 77, 78, 80, 87, also nicht weniger als 20 Eintragungen (über 30 °/,); zwei- (drei-) mal ist der lateinische Name für den deutschen des Albums eingetreten (17, 50; 90?) einmal die hebräische Ueber- setzung (91).

Die Adelsbezeichnung fehlt bei Nr. 70.

111 11

In der Ortsbezeichnung ist das Stammbuch naturgemäß dem Album unterlegen; genauere Angaben hat das Album bei Nr. 12, 16, 19, 21, 22, 23, 24, 30, 32, 39, 40, 43, 52, 57, 63, 66, 70, 83, 84, 86, 88, also in 21 Fällen; dagegen ist das Stammbuch ausführlicher bei Nr. 10 und 68, also nur in zwei Fällen; in den Angaben, zumeist freilich nur in der Schreibweise, variieren Nr. 2, 6, 19, 27, 31, 35, 39, 42, 45, 46, 54, 55, 73, also 13 Fälle.

D. Abschließend reihe ich einige kulturgeschichtlich. interessanten Beobachtungen aneinander.

I. Als Magistri zeichnen Nr. 9, 31, 32, 41, 47, (60 s. o.). 81, 82. Von ihnen ist Nr. 31 schon als Magister im Album eingetragen. Die übrigen dürften als Wittenberger Magistri. anzusprechen sein. Für Nr. 32 ist sowohl die Tatsache wie- auch ihr Jahr (1564) aus der Eintragung im Ordinierten- Verzeichnis sicher zu stellen; für Nr. 29 wenigstens das Jahr:. 1567 (Buchwald II Nr. 1252 und 1260) Nr. 42 ist im Album als Mag. Heidlbg. eingetragen, zeichnet aber im Stammbuch nicht als Magister; auch bei Nr. 44 und 89 fehlt das ihnen zustehende M.

II. Ueber den späteren Lebenslauf der sich eintragenden ist nur in einzelnen Fällen etwas festzustellen.

Unter den sieben in Wittenberg ordinierten ist Nr. 9 David Bramer vielleicht mit dem 1591 in Felsberg t D. B., dem Vater des Architekten Benjamin B., identisch (ADB. III 234) (Jöcher nennt für dieselbe Zeit einen in. Saalfeld amtierenden Superintendenten M. D. B.); Nr. 29 Johannes Fleischer ist der als Inspektor der Kirchen und. Schulen in Breslau und D. th. Wittenbergensis 1593 f Theo- loge (Jöcher); Nr.81 Johannes Vogelius ist wohl. der 1599 als Pfarrer in Zittau J. V. Dresdensis (Jöcher). Nicht im Wittenberger Ordiniertenbuch verzeichnet, aber nach Erdmann, „Die Diakonen Wittenbergs", worauf ich durch Hrn. M. Senf, Wittenberg, aufmerksam gemacht bin am 18.5.1575 zum 4. Diakonus in Wittenberg ordiniert ist Nr. 89 Cyriacus Wolfius, 1559 M., 1577 Dekan der philosophischen Fakultät. Die übrigen Nr. 24, 30, 32, 64 werden in den mir zugänglichen Nachschlage- büchern nicht erwühnt.

Für die weiteren Eintragungen glaube ich folgende Identifizierungen vorschlagen zu können. Für Nr. 22 (Catha- rinus Dulcis)?) vgl. Jócher: „geb. 1540, ist nach Constantinopel, Palästina, Kopenhagen, Schweden, Polen, England, Frank-. reich und Italien gereist, hat zu Cassel und Marburg die

1) Vergl. Friedensburg, Gesch. d. U. V. S. 875.

112 112

fremden Sprachen dociert^. Für Nr. 44 (Georg Mauritius) vgl. ADB. XXI 79: geb. 1539, 1562 M. und Adjunkt der philosophischen Fakultät Wittenbergs, 1600 Rektor der Schule zum heiligen Geist in Nürnberg, } 1610, Verfasser von 10 deutschen Schuldramen. Für Nr. 45 (Dionysius Melander) vgl. vielleicht ADB. XXI 279; mit seinem Sohn Otho, Heraus- geber lateinischer Schwanksammlungen. Für Nr. 55 (Johannes Prütorius) vgl. vielleicht ADB. XXVI 519: der berühmte Mathematiker, 1571—1576 Prof. der Mathematik in Witten- berg, seit 1576 in Altorf, + 1616. Für Nr. 68 (Laurentius Scholtz) vgl. ADB. XXXII 229: Dr. phil. u. med., Arzt, seit 1580 in Freystadt bei Glogau, seit 1585 Breslau, 1596 ge- adelt als Scholtz v. Rosenau, T 1599. Endlich, für Nr. 86 (Petrus Vesenbeck) ) vgl.Jöcher: geb. 1546, Professor der Rechte 1574 in Jena, 1587 in Wittenberg als Nachfolger seines berühm- ten Vetters Matthäus., 1592 in Altorf; 11603 als Hofrat in Coburg.

Bei der Unsicherheit der Identifizierung von Nr. 82 (Georg Weigelius) erübrigen sich hier alle Versuche.

Das Ergebnis ist: 8 Theologen, 1 Jurist, 1 Mediziner, 3 Philologen, 1 Mathematiker.

III. Dadurch, daß Nr. 9, 16 (18. s. o.), 27, 56 sich als unmittelbar vor dem Verlassen Wittenbergs geschrieben kennzeichnen, läßt sich für sie der Aufenthalt an der Leucorea mit Sicherheit feststellen; er beträgt 8, 5 (? s. o.), 3, 31 Jahre. Dadureh, daB für Nr. 9, 24, 29, 30, 32, (64), 81 das Jahr der Ordination bekannt ist, ergeben sich als Aufenthaltszeit an der Leucorea, bzw. als Zeit zwischen Inskribierung und Ordination die Jahre 8, 10, 15, 4, 13, (? s. o), 4. Die eigenen Angaben im Ordiniertenverzeichnis sind zu Nr. 9: 4 Jahre; zu Nr. 39: 14 Jahre; zu Nr. 30: 4 Jahre; zu Nr. 32: 13 Jahre; zu Nr. 81: 4 Jahre. Doch will zu Nr. 32 an- gemerkt sein, daß in diesen 13 Jahren nicht nur die Er- langung der Magisterwürde sondern auch eine 4jährige Lehrtätigkeit an der Leucorea liegt; zu Nr. 27, daß in diese 10 Jahre wenigstens 7 Jahre fallen, in denen E. an ander- weitigen Orten, z. T. in niederen kirchlichen Diensten geweilt hat; desgleichen zu Nr. 29, daß von den 14 Jahren aus ähnlichen Gründen etwa Jahre, bei Nr. 32 etwa 1 Jahr ausscheiden. Die so zunächst sich darbietenden Zahlen sind also für die Berechnung des eigentlichen Universitütsstudiums nur von relativer Bedeutung.

Da ähnliche Verhältnisse auch sonst vorgekommen sein mögen, so sind auch die weiteren Zahlen, die über den Aufenthalt an der Leucorea sich aus den Daten der

1) ausführlich Friedensburg l. c.

113 113

Stammbucheintragungen verglichen mit den Inskribierungs- Daten ergeben, nicht ohne weiteres fragfäbig für weiter- greifende Behauptungen. Doch wird auch mit diesem Vor- behalt die folgende Zusammenstellung nicht ganz ohne Wert sein, die sich allerdings nur auf die 36 Fälle bezieht, wo die Spanne schon mehr als 3 Jahre beträgt. Ich zähle also in je 4 Fällen 4 Jahre, 5 Jahre, 6 Jahre; in 6 Füllen 8 Jahre; in je 3 Füllen 7 Jahre, 9 Jahre, 13 Jahre; in je 1 Fal lu, 11, 15, 16, 18, 27 (Nr. 42), 28 (Nr. 71), 31 (Nr. 56) und 38 (Nr. 87) Jahre. Mit einer Ausnahme stammen die 10 und mehrjährigen Fälle sämtlich aus Städten, die noch heute innerhalb des deutschen Reiches liegen.

Ueber das Lebensalter bei der Inskribierung ergibt sich aus keiner Stammbucheintragung irgend etwas, aus den hier in Frage kommenden Eintragungen im Ordiniertenbuch nur eine Angabe, nämlich für Nr. 32, wonach Fr. mit 19 Jahren zum erstenmal nach Wittenberg gekommen ist,

IV. Noch einige inhaltliche Zusammenstellungen über die Eintragungen selbst!

a) Die alles bestimmende Sprache ist das Lateinische. In den Widmungsworten überwiegt sie weitaus; hin und wieder mit Einmengung griechischer Wörter; einmal ist sie deutsch (Nr. 11), einmal hebräisch (Nr. 91). Das Monatsdatum wird überwiegend deutsch gegeben. Bei den Zitaten tritt das Lateinische in weitaus den meisten Fällen auf; nur zweimal (Nr. 43, 58), macht es dem Griechishen Platz. Dagegen sind Zusammenordnungen lateinischer und anderssprachlicher Zitate nicht selten. In 23 Fällen gesellt sich das Griechische, in 4 Fällen das Deutsche, in je 1 Fall das Hebräische bzw. das Böhmische ihm zu. Auch drei Sprachen treten nebeneinander auf, Lateinisch, Griechisch, Hebräisch in 2 Fällen (Nr. 35, 75), Lateinisch, Griechisch, Französisch in einem Fall (Nr. 33). Etwas besonderes ist die Eintragung Nr. 22 (8.0), die zum Lateinischen noch Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Neu- griechisch hinzufügt,

b) Zitiert wird aus der Bibel; zumeist mit Angabe der Stelle; hebräisch nach dem Grundtext, Psl. 37, 37 (Nr. 75), Psi. 96, 5 (Nr. 35), Psl. 119, 1 (Nr. 91); griechisch nach dem Grundtext Rö. 8, 16 ff. (Nr. 58) Rö. 11, 20 (Nr. 32), Glt. 2 19 f. (Nr. 32); lateinisch 1. Chro. 29, 15; (Jes. 63, 7); (Psal 92, 14); Eccl. 6, 14; Sir. 3, 31 ff; 6, 14—17; (14, 3); Sap. 3, 4. Mitth. 5, 10 0 32); Luo. 10, 20. Rö. 8, 33 ff; 1 Kor. 13, 4 ff: 1 Tim. 4, 8. Hin und wider ist bei den letzteren der zugrunde gelegte Text nicht mit Sicherheit zu erschließen.

Archiv für Beformationsgeschichte. XXIL I. 8

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Zitiert werden griechische Schriftsteller und lateinische Sehriftsteller, heidnische und christliche, in den allermeisten Fällen ohne nähere Stellenangabe; und zwar von heidnischen, griechischen Schriftstellern griechisch: Aeschines, Athenaeus- (mit lateinischer Uebersetzung), Kallimachus, Melander, Philemon, Pindar, Plato (zweimal), Sokrates, Xenophon; lateinisch: Aristoteles, Epichar(mus), Euripides, Hippokrates, Lykurgos, Pythagoras, Pindar, Plato (dreimal) Xenophon. Von christlichen griechischen Schriftstellern griechisch: Athanasius, Basilius, Epiphanius (zweimal), Gregor v. Naziauz (mit lateinischer Uebersetzung), Theodoret (mit lateinischer Uebersetzung); lateinisch: Chrysostomus, Gregor v. Nazianz. Von heidnischen lateinischen Schriftstellern: Cieero (neunmal), Juvenal, Martial (zweimal), Ovid (zweimal), Plutarch (zweimal), Quintilian, Sallust, Seneca, Terenz. Von christlichen lateinischen Schriftstellern der alten Kirche und des Mittel- alters: Augustinus, Bernhard, Hieronymus, Isidorus Hispal., Tertullian; von sonstigen christlichen lateinischen Schrift- stellern der älteren Zeit: Ausonius, Prudentius. Von Männern der Reformationszeit: I. Camerarius, P. Eber, H. Göden (hervorragender Jurist in Wittenberg, i 1521), Melanchton (viermal, z. T. griechisch und lateinisch), I. Stigel (zweimal), Vitus Theodorus sen.; von sonstigen Schriftstellern der Reformationszeit: Budäus (t 1540), L(ancinus) Curtius (T 1511), Janus Pannonius (um 1508), Mantuanus (d. h. Joh. Bapt. Spagnoli, } 1518), Marcellus Palingenius (d. h. Pier Angelio Manzolli, 16. Jahrhdt.) Petrarka (zweimal).

Wiederholt finden sich sowohl griechische wie nament- lich lateinisehe Zitate, in Prosa wie vor allem in Distichen, ohne Angabe des Verfassers. Die Vermutung ist nicht ab- zuweisen, daß namentlich im letzeren Falle auch eigenes Gut der Eintragenden hier vorliegt.

e) Ihrem Inhalt nach handelt es sich bei den Zitaten zum größten Teil um religiös-sittliche Stoffe. Etwas be- sonderes ist es dabei, wenn in Nr. 21 eine Auslegung P. Ebers zu Jes. 49 zu lesen ist, in Nr. 32 Ovidii versas lib. IV. Trist. Elogia IX. in einen Preis Christi und Gottes um- gewandelt werden, in Nr. 59 über die Frage „facies Christi, quot ef quales habeat adspectus?" gehandelt wird; auch bei Nr. 16 findet sich ein Lobgedicht auf Jesus. Selbstverständlich bat auch der Ruhm der Freundschaft seine Stätte; wohin auch die obne nähere Stellenangabe angeführte Bitte des Königs Antigonus an die Götter um Schutz vor falschen Freunden (Nr. 72) gehört. Ausnahmen gegenüber diesen Stoffen sind etwa, wenn in Nr. 47 den Quaestiones universales des Plutareh ein Hochpreis der Geometrie entnommen wird,

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oder bei Nr. 51 die lateinischen Epitaphien der ungarischen Könige S. Bela und Matthias Corvinus im Wortlaut mit- geteilt werden, oder wenn in Nr. 38 ohne nähere Stellen- angabe eine Episode aus dem Leben des Philosophen und Mathematikers Aristipp (Rettung aus Schiffbruch) erzählt wird, oder in Nr. 53 aus Athenaeus, in griechischem Text und in lateinischer Uebersetzung durch Budaeus, die Er- zählung von Menedemus und Asklepiades vorgelegt wird, welche beide, als Studenten der Philosophie in Athen, ihren Lebensunterhalt durch Nachtarbeit beim Ausladen der Schiffe im Piraeus sich verdient haben. Eigenartiger noch ist das lange Privilegium Studiosorum und das Encomium Advoca- torum bei Nr. 52 oder die Pacis preconia aus Palingenius (s. 0.) bei Nr. 54, denen unter der Ueberschrift de eadem versibus elegiacis alio authore weitere Distichen an- geschlossen werden. Das eigenartigste jedenfalls ist, daß C. Dulcis (Nr. 22) ein langes Empfehlungssehreiben für sich seitens eines gewissen Demetrius Marmartus, im neu- griechischen Text und in lateinischer Uebersetzung mitteilt.

d) An sprichwortartigen Sentenzen notiere ich aus dem Deutschen: (Nr. 15:) „all genug in gottes nam“. (Nr. 22:) „forcht dir nit vor ein Ding, davor du nit flien kanst. Wann bistu reich? wann du dich benügen lüBest, Wann bistu arm? wann du ein geitziges Hertz hast.“ (Nr. 33:) Ich hoff auff godt ehr wirt mir nicht verlassenn Ihm Meiner noth.^ (Nr. 65:) „Hab acht. Vorbedacht, was nnachmals mag vnd khann khommen bringtt manichem groß frommen;* aus dem Lateinischen: (Nr. 4:) „Audendo atque agendo!" „Fide Deo et curis cetera liber age.“ (Nr. 7) „Vive amici memor.“ (Nr. 17:) „Sors omnia versat" (Nr. 21:) „Pios fovet dominus.“ (Nr. 22:) „Omne solum forti patria est.“ (Nr. 44:) „Fata viam inveniunt.^ (Nr. 47:) „Ingenium mathematizis probatur ut ignibus aurum.“ (Nr. 48:) „Par est fortuna labori.^ (Nr. 77:) „De absentibus nil nisi bonum.“ (Nr. 81:) „Pietas post funera durat.“ (Nr. 83:) „vive ut post vivas;^ aus dem Französischen (Nr. 19:) „tout dieu aytant; aus dem Griechischen: (Nr. 37:) mávra Oh Ev yovvaoı xeitar. (Nr.48:) vp zóvq &noxgívera, vóxu. (Nr. 49:) weis geo otótv Eyrugei; aus dem Neugriechischen: (Nr. 22:) „Quemadmodum asinus minoris est pretii, quam equus et argentum nihil est auro et aqua vino, sic panis omnia terrena viliora sunt virtute."

e) Zeitgeschichtlich interessante Einzelheiten! Aus dem kirchlichen Kalender wird nur in Nr. 48 zitiert („die angelorum castorum“). Bei den Jahresangaben finden sich dreimal nähere Bezeichnungen: 1566 in tempore pestis

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(Nr. 15); 1567 in hac calamitosissima aetate nostra (Nr. 46); 1570 anno novissimi temporis (Nr. 5). In Nr. 73 wird Pilatus als de natione Teutonicae gentis crucifixor omnipotentis be- zeichnet. Eigenartig ist auch die Auseinandersetzung in Nr. 20: Italus ad Germanum: .Germani cunctos possunt tolerare labores; utinam possent suum bene ferre sitim!" Germanus in Italum exprobrantem illi ebrietatem: „Ut me dulee merum! sie te Venus improba vexat. Lex lata est Ueneri Julia: nulla mero.^ Die bedeutsamste Eintragung aber liegt wohl bei Nummer 59 vor: „M. Martinus Chemnitz ad eap. 4 septa ad Rö. Brunsuigae feria quarta Ultima die Julii, in Templo D. Catharinae palam ... dixit et proba- vit: „Panem coenae esse corpus Christi, et vinum sangui- nem utque vulgariter verum atque verum, wesentlich, wesentlich.“ Si hane sententiam de coena domini huc expressam recipimus, necessario transsubstantiationem papi- sticam nos admittere oportet, quae ex diametrico pugnatur doctrina in sacris libris nobis tradita, uti hodi a doc- tissimis viris quam plurimis ipsoque a. D. D. Luthero (eujus sententiam hic et ipsius similes inordinis retinere videri volunt), rejecta est et penitus explosa. Hier ist der „erypto- calvinische Geist“ 1566! der Leucorea mit Händen zu greifen.

e) Meiner Deutung entziehen sich die nicht selten Nr. 4, 18, 19, 30, 39, 43, 44, 48, 50, 65, 80, 83 sich findenden einzelnen großen Buchstaben, so etwa zu Nr. 4: J. W. F. G. F. G. oder zu Nr. 83: W. S. M. V.

Seltene Schriften gegen den Konkubinat der Kleriker aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts.

Von O. Clemen.

Gustav Knod hat in der Vierteljahrsschrift für Kultur und Literatur der Renaissance 2 (1887), 267 ff. eine kleine Druckschrift behandelt, die gegen einen Verteidiger des Kon- kubinats der Geistlichen, d. i. gegen den Baseler Pfarrer und Professor Matthias Sambucellus, gerichtet und „wenn nicht voll- ständig, so doch vorzugsweise" von Jakob Wimpfeling verfaßt ,und daher wohl auch von diesem selbst oder unter seiner Mit- wirkung ediert^ ist. Joseph Knepper, Jakob Wimpfeling, Freiburg i. Br. 1902, S. 203 A. 1 schließt sich der Vermutung Knod's betreffs der Autor- und Editorschaft Wimpfeling's an und bestätigt sie durch einen Brief, den Wimpfeling in StraB- burg am 10. Juli 1512 an die drei in Paris studierenden Söhne des Baseler Buchdruckers Joh. Amerbach Bruno, Basilius und Bonifazius (Allgemeine Deutsche Biographie 1, 398) geschrieben hat. Er brauche sie nicht erst zu einem tugendhaften Lebenswandel zu ermahnen, da sie schon von selbst aus einem angeborenen Triebe dazu neigten, „haud illerum similes, qui vicia expurgare moliuntur et sub typo fieti thartareique coniugii ad se individuas introdueunt con- eubinas, qualis inter vestrates unus (= Sambucellus) est, qui litteras sacras ad libidinem suam palliandam transtulit, pu- dore cum pudicicia perdito. Hoc hominum genus fugitote, his pestiferis monstris ne sitis communes ... Quod si quis- piam a vobis se pre debilitate carnem vincere diffideret, est libertas concessa nubendi in Domino. Ad id institutum videbitis aecomodati versiculos et prosas cum rythmis Ger- manicis genitori a me traditis, quos si impressioni dari conti- gerit, exemplar unum impressum remitti oro; sin argumentum hoe (etsi sanctissimum) non videbitur incudi calcographie tradendum, scriptam hoc, ut in manus meas redeat, plurimum efflagito, neque enim alioquin mihi illius apud me copia relicta est^ (S, 359). Das Sehriftehen wurde aber schließ- lich nicht in Basel, sondern, wie die Typen beweisen, bei Joh. Prüß in Straßburg gedruckt.

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Knod kennt von dem „höchst seltenen Werkchen“ nur das Exemplar in einem Sammelband der Straßburger Uni- versitätsbibliothek, Knepper verweist außerdem auf die Hand- schrift L 171 derselben Bibliothek: „9 Blätter, fremde Hand, vorgebunden einem Bande Wimpfelingscher Schriften, als Ge- schenk W.s bezeichnet, das Ganze im allgemeinen Überein- stimmend mit dem Inhalte von Carmina, prosae et rithmi“ (S. XVI) leider macht er nicht genauere Angaben tiber das Verhältnis zwischen Handschrift und Druck. Die Zwickauer Ratsschulbibliothek besitzt in zwei wertvollen Sammelbänden zwei Exemplare unserer Druckschrift (19. 8. 14,, und 24. 11. 22,) Da das Straßburger Druckexemplar, wenn anders Knod und Knepper recht berichten, in der Anordnung der Gedichte und vielleicht auch in andern Kleinigkeiten von unsern Exemplaren abweicht, ferner zur Zeit unzugänglich ist, endlich die Interpunktion in dem Original zum Teil sinn- los ist und das Verständnis sehr erschwert, gebe ich hier einen modernisierten Neudruck der kleinen Flugschrift:

Carmina Proſe et Rithmi || editi in laudem pudicie II] Sacer- dotalis con- tra Prosam excusare conantem || Scandalosissi- mum || concubinatum || 4 fl. 4b weiß.

[La] Reverendus Germaniae quidam Episcopus, ut par fuit, interdixit clero suo concubinatum. Mox unus ex suis cleri- eis prosam sequentem sub melodia sequentiae „Laetabundus exultet“!) edidit, conatus excusare scandalosissimum concu- binatum:

Vulgus odit, et fiscalis clerum rodit, Alleluia!

Jura frangunt iam multi, quae cleros tangunt, res miranda!

Non sunt consilia clara nec prudentia velut stella.

Clerus iam deluditur, concubina capitur die clara.

Ceu iudeos tenes clerum. Liceat proferre verum: pari forma,

Concubinas dum propellis, uxor tua cum puellis fit corrupta.

Nemo potest vivere, nisi Deus det, caste valle nostra.

Si clerum deficere vides, non mirabere: carne sumpta

Non est sicut angelus neque velut spiritus. Lege tua sis cautus, ne sit caeca:

Membra quam debilia, corpora quam fragilia, omnia con- sidera haec praedicta!

Quae rumpit milia, virgines et scorta, non damnatur gens misera,

Sed, quae puerulum parit in saeculum, aera dat multa

puerpera.

Qua prosa lecta alii boni castitatis et coelibatus ecclesiastici zelatores carmina, prosas et rithmos sequentes ediderunt ad

!) Wackernagel, Kirchenlied 1, 125 Nr. 193,

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landem pudicitie [2 a] sacerdotalis et explodendi concubinatus instissimam sanctionem extollendam:

Ad melodiam sequentiae de Resurrectione, quae incipit „Mundi renovatio“:

Mundi inquinatio mala parit plurima,

Petulanti clerico competuleant omnia,

Elementa vindicant et auctores indicant, Quam sit indignatio.

Ignis crepat acrius, aër flat minacius,

Undant aquae saepius, terra tremit saevius,

Pestis fremit crebrius, fames bellat febribus Ob cleri scorticia.

Caelum pestilentius, mare fit horridius,

Spirat aura gravius, sterilescunt omnia,

Tenebrescunt lumina, Lugent caeli culmina Sacerdotum vitia.

Gelu mortis irruit, mundi princeps ingruit,

Et eius ostenditur in clero imperium,

Dum sustentant perperam prolem et puerperam, Concubinas nutriunt.

Viam dat praecipitem ad canem trieipitem

Symonia tam frequens iuncta meretricio,

Vita detestabilis cunctis fit odibilis,

Cum elerus deterior vivit, plebe vilior. Praesul, clerum corrige et melodiam porrige, Ne suum excidium quaerat clerieidium!

Saphieum extorris ad Sambucellum sub melodia hymni „Ut queant laxis“?):

Si nequis castus fore, Sambucelle,

Sponsa iamdudum fuit eligenda.

Liberos haec non spurios dedisset, [2b] Forte salaces.

Natus ex clero sequitur parentes:

Aut salax fiet, erit aut superbus,

Aut sacedotum ferus et perhennis Hostis ef osor.

Scorta si tecum, bone vir, morantur,

Devorant, dandum quod erat misellis,

Tot gaens de te, pueri, puellae Seandala sument.

1) Wackernagel 1, 86 Nr. 127.

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Rumpis uxorem, violas puellam,

Dos erit vulnus manus aut reseota,

Dos erit contus, gladius, securis, Pugio, cuspis.

Quando te carnis reprobae pruritus

Vexat auf noster inimicus, acer

Daemon immittit cerebro furorem Vincere tentans,

Vulnerum Christi memorare supplex, Virginem pulsa precibus Mariam, Sis memor mortis stygiaeque flammae, Otia vitans! Litteras sacras lege, non Nasonem, Foeda qui scribunt, fugito, poetas, Nee tuis laedas studiis ephebos, Esto sacerdos!

Accedit Petrus Bolandus!):

Tentationi non potes, Homo, reniti, parvule, Effusione sanguinis Quae non eget, sed gratia, Quam nemini negat Deus, Sed omnibus communicat, Et masculis et foeminis, Qui castitati militant. Consueta pauci deserunt, Sed si mefu confixeris Carnes eorum, protinus Peccare, Christe, desinent.

[3e] Carmen seu Rithmus Conradi Burenschu, Poetae Theutoniei, non tamen larvati:

O got, ich clag dir dise sach,

Das unser lieb dir so schwach Ist worden, das ietz nieman mer Kein acht hat syn nach deiner ler In weltlich und geistlich stat.

Und so schon ieman willen hat, Offen sünd und schand zeweren, Auch recht und erbarkeit zeleren, Als ich hór einen bischoff nennen, Der wolt gern von einander trennen Sein priester und ire concubinen, So thüt ein suw darwider grynen Und meint, es sein güt sachen,

1) „Er gehörte zu Wimpfelings treuesten Jüngern und tritt wiederholt mit Beiträgen in den Schriften unseres Humanisten auf:* Knepper 133!, Vgl. auch Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, 1. Beitrag, Leipzig 1857, S. 248,

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Das man sy in der kotlachen

Laß lygen, sust möcht nieman bleiben Fry von töchtern und ewyben,

Wan man in sorgen müst ston.

So wißt ich yn kein bessern lon, Wan den die Galli geben hant,

Ee der recht glauben kam in ir lant Und baten noch die apgót an:

Noch wolten sie kein priester han, Er müst vorhyn verschnitten sein. Das wer auch ietz die meinung mein: Welcher bet im ein pfrund zelyhen, Der müsst sich also lassen wyhen,

So dórfften wyb und tóchter nit fliehen Vor denen, die wir müssen ziehen.

[3b] Pfy dieh, du suw, scham dich vor got Der grossen schand, laster und spot, Die du der priesterschafft legest in! Gedenk, was schaden, schmach und pen Gemeiner priesterschafft daruß kem, Wan es die heilig burschafft vernem, Man würd uch wyhen als die schwyn. Darumb laß dein schreiben syn, Oder gedenk, wa du wöllest lenden, Es mócht sich sust nit glücklich enden.

Cüntz burenschuch.

Das man dir nit muB dein testes vßschneiden, Dan so magst du dein hürery vertreiben!

Capuciatus, non nebulo, castitatis hosti ac scanda- losissimi concubinatus defensori:

O plene omni dolo et omni fallaeia, fili diaboli, inimice omnis iustitiae, non desinis subvertere vias domini reofas?!) Non credis divinissimo Paulo dicenti: Fidelis est Deus, qui non patietur vos tentari supra id, quod potestis, sed faciet. eliam cum tentatione proventum, ut possitis sustinere?) ? Fragilitatem tuam et furentem libidinem non potuist per XXIV annos experiri? Quis te ad sacerdotium coëgit? Liber eras! Amplexus es coelibatum sacerdotio annexum, servare me- mento! In XXIV. aetatis tuae anno te primum (si sacris canonibus satisfecisti) sacerdotio initiatum credo. Sciebas a sacratissimis conciliis continentiam sacerdotibus indietam.

1) Apg. 18, 10. ) 1. Kor. 10, 13.

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[4a] Deum roga, qui tibi det caste vivere, ne pudorem eum pudicitia perdideris!) meretricium convictum excusans, in his praesertim, quorum sors Christus est, de cuius patri- monio vivunt, qui excellentissimum eucharistiae sacramentum contrectant ae sumunt filiumque Dei in ara pro fotius ecclesiae salute sacrificant, quorum non est ad scorta mox redire sibi cohabitantia et foedis amplexibus coniungi. Id si feceris, cave, ne infamis fias, ne divinis suspensus irregularitatem contrahas, neve ad tarfara dimergaris, concubina tua super- stite novam venerem prosecutura, gulae, vanitati volupta- tibusque dedita, dum tu flammam patiere sempiternam.

Qui faciebat Nicolaus Lebzelter Gundelfingius V. et T.“) eiusque vero ministro casto sacerdoti placere studuit, habens susque deque faeculentam eorum linguam, qui tristi et Sacro concubitu Christi contaminant cubile. V. V.S.

Der gleich zu Anfaug genannte deutsche Bischof ist der Baseler Christoph von Utenheim, sein Konkubinats- verbot sind die von Wimpfeling verfaßten und veröffentlichten Baseler Synodalstatuten von 1503 (Knepper S. 173), und der ,unus ex suis clericis", der den Konkubinat entschuldigte, ist Sambucellus. Sicher ist mir ferner, daß das Saphicum extorris (W. damals in Freiburg) von Wimpfeling gedichtet ist; die Mittel, die er hier zur Unterdrückung der Fleisches- lust anrät, sind dieselben, wie in seiner Schrift De integri- iate von 1505 (Knepper S. 185). Andererseits ergibt sich aus dem oben wiedergegebenen Briefe Wimpfelings an die Gebrüder Amerbach, daß er erst 1512 die Carmina in Druck geben wollte. Ich möchte annehmen, daß alle in der kleinen Druckschrift vereinigten Gedichte aus der Zeit bald nach 1503 stammen und Jahre lang in Wimpfelings Pult lagerten, bis ihm aus irgendeinem Grunde die Veröffentlichung an- gezeigt erschien. Mit Knod anzunehmen, daD er auch das deutsche Gedicht verfaßt habe, verbietet mir die Ueber- schrift: „Carmen ... Conradi Burenschu, Poötae Theutonici, non tamen larvati^; auch kann ich Wimpfeling nicht die Verwechslung der Galli d. i. der verschnittenen Kybele- priester mit den alten Galliern zutrauen. Auch die auf das deutsche Gedicht folgende prosaische Apostrophe möchte ich nicht Wimpfeling zuschreiben. Warum soll das Stück nicht von einem Nikolaus Lebzelter aus Gundelfingen herrühren?

1) Vgl. die oben zitierte Stelle aus Wimpfelings Briefe an die Gebrüder Amerbach.

*) Diese Abkürzung weiß ich nicht zu deuten.

?) W. = Unterschrift Wimpfelings?

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Der Tendenz und dem Inhalt nach verwandt mit diesen Carmina, wohl auch fast gleichzeitig mit ihnen entstanden, aber in der Anlage und Ausführung grundverschieden von ihnen ist eine andere gegen die Konkubinatswirtschaft ge- riehtete Druckschrift, die nach Freytag, Adparatus litterarius t J, Lipsiae 1752, p. 183, 1. A. Riegger, Amoenitates litte- rarae Friburgenses, Ulmae 1875, p. 301, Ch. Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace à la fin du XV* et au commencement du XVI* siècle, Paris 1879, 2, 325 auch von Wimpfeling verfaßt worden ist, während Gödeke, Grundriß, 1, 2. Aufl, 402 Nr. 60 sie Joh. Geiler von Kaisers- berg zuschreibt (weil sie in dessen Sermones et varii trac- fatus, Straßburg, Joh. Grüninger (1515 oder) 1518 Güdeke S. 403 Nr. 27 wiederkehrt) und Joh. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters 1, 17. u. 18. Aufl. 711*, sie „aus dem Kreise Geilers und Brants“ herleitet. Knod, Zentralblatt für Bibliothekswesen 5, 465 f. und Knepper 184! haben richtig erkannt, dab die Schrift von Wimpfeling nur 1507 neu herausgegeben ist. Nikolaus Paulus, Zeitschrift f. d. Gesch. des Oberrheins N. F. 18, 51 ff. hat Arnold von Tongern als den Verfasser erwiesen. Die Zwickauer Ratsschul- bibliothek (24. 10. 17,,) besitzt ein Exemplar einer dem Impressum zufolge am 12. November 1507 bei Hieronymus Höltzel in Nürnberg erschienenen Ausgabe: Auiſamentũ be con |; cubinarij$ no abfoluedis quibuſcũqʒ: ac || eotü periculis qiplurimi&. A theologis Golonicjibus ap- || probatü cüm additio- nibus ſacratiſſimorũ canonü. || (Es folgt die Stelle Tib. 2, 1, v. 11—14, dann ein Zitat aus Hieronymus, endlich:) The- rentius. || Veritas odium parit. || Heldras. || Sed sub iusto iu- dice vincit. || (darunter ein Holzschnitt: Ein Teufel hält einem knienden Weibe einen Spiegel vor; hinter dem Weibe steht ein zweiter Teufel, der mit der Rechten zwei Hündchen hält, die Linke aber aufhebt, um das Weib zu packen!)) 10 ff. 49, 1 b und 10b weiß. 10a unten: || Impreſſum Nurem⸗ berge p Hieronymü KHölgel. || Anno quo fupra. Die vo. rij. Menfis Nouembris. || Gódeke S. 402 Nr. 60 und Knod 466! weisen indes noch eine frühere, nämlich Mitte Mai 1504

!) Nach Knepper 181! findet sich dasselbe Bild in Wimpfelings Adolescentia (doch wohl der 2. Ausgabe, Straßburg, Joh. Knoblauch, 20. Febr. 1505, vgl. Knepper 119? u. XII, auch P. Kristeller, Die Straßburger Bücher-Illustration im 15. und im Anfange des 16. Jahr- Aunderts, Leipzig 1888, S. 120 Nr. 840). Nach Dodgson, Catalogue of Early German and Flemish Woodcuts I, London 1903, 506 Nr. 4 ist es von Wolf Traut.

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bei Quentell in Köln erschienene Ausgabe nach. Da auch die Nürnberger Ausgabe das „a theologis Coloniensibus approbatum“ auf dem Titel aufweist, werden wir jene Kölner Ausgabe als die Originalausgabe anzusehen haben. In unsrer Ausgabe endet das Avisamentum: „Vale ex Argen- tina. Anno 1507“ In der Kölner Ausgabe lautet der Schluß einfach: Vale,

Während es sich bei den Carmina um ein paar rasch hingeworfene Gelegenheitsgedichte handelt, wird in dem Avi- samentum alles mit größter Ausführlichkeit und unter An- führung zahlreicher Beweisstellen aus der heiligen Schrift und den Kirchenvätern, den Scholastikern, Juristen, Moralisten erörtert !). Zuerst werden vier Thesen verteidigt, die darauf hinauslaufen, daß ein Beichtvater unter keinen Umständen einen Konkubinarier eher absolvieren dürfe, als bis dieser seine Konkubine verstoßen habe; darauf läßt der Verfasser ein ganzes Heer von Gefahren Leibes und der Seele herauf- ziehen, die der Konkubinarier über sich heraufbeschwöre, wenn er seinen schändlichen Lebenswandel fortsetze; endlich richtet er an die im Konkubinat lebenden Kleriker eine be- wegliche Ermahnung, durch VerstoDung ihrer Konkubinen Leib und Seele zu erretten, wobei er noch einige Ein- wände abfertigt, die gemacht werden könnten: ein junger Mann könne nicht enthaltsam leben; wenn einer einmal mit seiner Konkubine in Liebe verbunden sei, könne er sich nieht von ihr trennen; eine (womöglich mit ihren Kindern) auf die Straße gesetzte Konkubine werde zur Verzweiflung, ins Bordell oder zum Selbstmord getrieben. Mit welchem Fanatismus der Verfasser seine Forderung erhebt und auch vor den äußersten Konsequenzen nicht zurückschreckt, er- kennt man besonders gut aus der resoluten Art, wie er diese Einwände zurückweist: „Und wenn die Welt durch Ver- stoßung deiner Konkubine zu Grunde ginge, würdest du dennoch gehalten sein ipsam abicere et dimittere te ipsum prae caeteris salvando.“ Angehängt ist ein auch ander- würts?) begegnendes Distichon:

Felix plebanus felixque parochia, sub qua

Nec Naaman, Abraham, Sem, nec vivit Helyas.

Es hängt mit dem Avisamentum nur locker zusammen, da mit Naaman (vgl. 2. Kön. 5, 1 ff) Aussätzige, mit Abraham Juden, mit Sem große Hansen oder deren Offiziale, mit

!) Über dieses Verfahren, „einen Beweisgang nicht selbständig aus- zuführen, sondern ibn zusammenzubauen aus lauter Zitaten, teils philo- sophischer, teils klassischer Autoritäten“, vgl. Zarncke a. a. O. S. 255. *) Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation 8, 43,

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Helyas Mönche, insbesondere Bettelmönche, gemeint sein sollen, von Konkubinen aber gar keine Rede ist.

In sehr erweiterter Form!) kehrt der Inhalt des Avi- samentum in dem in dem betreffenden Zwickauer Sammel- band unmittelbar folgenden, 1508 bei Quentell in Köln er- sehienenen Druckwerk wieder: DIrectoriũ cos || cubinatiorü ſaluberrimũ quo || queda ftupeba et ob tanti fceles || ris impu- nem tolerantià quali inaudita perleula || ex propria pha- retra sed auctoritatibus & rati || onibus irrefragabilibns Fapertissime resoluütur || ... Therentius. || Veritas odium parit. || Efdras || Sed iufto ſub iudice vineit || 40 ff. 40b weib. 39 b unten: || Impreſſum eft hoc Directorium ccu: binari: |j orum primitus Agrippine Anno poft virgines || um partum. M. D. viij. Am Schluß lesen wir über die Entstehung des Werkchens folgendes: „Praesens materia pro salutifero directorio eoneubinariorum in hoc breve compendium corro- gata est per diversos illuminatissimos viros, primum tamen per saere theologie et utriusque iuris professores et doctores in utroque foro consultissimos.^ Nach Paulus, der dabei auf Job. Butzbach fußt, ist der Kölner Arnold von Tongern auch der Verfasser dieser Schrift. Selbstverständlich darf man hieraus nicht folgern, daß gerade unter dem Klerus am Niederrhein besonders schlimme sittliche Zustände geherrscht hätten.

Bereits in die Reformationszeit versetzt werden wir dureh eine dritte hierher gehörige Schrift, die 1523 von Michel Buchführer in Jena gedruckt worden ist: Dialogus von Zweyen pfaffen || Köchin, Belangendt den abbrüd des opffers, vnnd || npberlegung der vorgengknis®) || Im Jar M. D. xx iij. || (Blättchen, darunter ein ursprünglich gewiß gar nicht Übel gezeichneter, aber schlecht geschnittener Holz- schnitt, darstellend die eifrig spinnende ältliche Frau Else und die modisch gekleidete, hoffärtige jugendliche Frau Karstin.) 4 fl. 4°. Jede Seite ist rechts mit einer Leiste geschmückt. Bl. A ij^ ist ein Holzschnitt eingeschoben: Zwei Pfaffen sitzen einander an einem Spieltisch gegenüber, da- hinter trinkt ein Weib ein großes Glas aus (Weller, Reper- torium typographieum Nr. 2396 ®); Zw. R. S. B. 17. 9. 217).

) So bestimmt schon Joh. Gottfr. Weller, dem die Exemplare der Zw. R. S. B. vorlagen, richtig das Verhältnis der beiden Druck- schriften: Altes aus allen Theilen der Geschichte 1, Chemnitz 1762, 8.899. Paulus S. 53 bezeichnet das Directorium als eine neue und sehr vermehrte Ausgabe des Avisamentum.

?) = Begüngnis, Seelmesse.

*) Eine andere Ausgabe bei Weller, Suppl. I S. 29.

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Der Inhalt ist kurz folgender: Frau Karstin trifft Frau Else beim Spinnen und fragt sie, warum sie sich so abmühe; ihr Pfaffe müsse sie doch unterhalten, er sei wohl zu Tod geschlagen. Frau Else: ,Er sitzt dahinten in der Kammer, beklagt sein Elend und seinen Jammer; man will nicht mehr zum Opfer gehn, kein Jahrgedüchtnis mehr abhalten lassen; Gaben, wie sie früher zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und an den Marien- und Heiligenfesten reichlich eingingen, bleiben jetzt aus; auch zur Beicht kommt niemand mehr; die Leute sagen, der Pfaffe plaudere es aus, was man ihm anvertraue:

Vnd er dach gar dar von nit redt, Es wer dan des nacht ym betth

Die Bauern meinen, er solle- zu Dreschflegel und Pflug greifen. So sehe ich ein ungewisses und trübes Schicksal vor mir, werde mieh aber wohl bald verheiraten.^ Frau Karstin: „Mein Pfaff ist morgens und abends voll; Doppeln und Spielen ist seine Arf, all sein Sinn steht auf die Kart. Wenn er aus der Kirche in die Pfarr kommt, wütet und tobt er wie ein Narr,

Wirfft das korhempt hyn und her, Brummet vnd murret wie ein Ber.

Ich hab aber schon mein Schäfchen ins trockene ge- bracht, habe Mantel und Rock, Schafe, Ziegen, Kühe, Kälber, Schweine für mich auf die Seite geschafft; das will ich brauchen, wenn's mich gelüstet. Sollte ich mit ihm darben, wo ich’s so viel besser haben kann? Ein Dompfaff oder was er ist aus der Stadt hat mich in sein Haus locken wollen, aber der spekuliert nur auf mein Hab und Gut, so dumm bin ich nicht.“ Zum Schluß klagt sie wieder über ihren Pfaffen, der ein Trunkenbold und Liedrian sei und durch seine Eifersüchteleien und sein Schimpfen und Poltern sie zur Verzweiflung treibe.

Gewiß ist dieser Dialogus nicht eigentlich ein Ausdruck sittlicher Entrüstung über die Konkubinatswirtschaft, auch nieht eine Ermahnung an die im Konkubinat lebenden Kle- riker, ihren Lebenswandel zu ändern, aber er zeigt doch, wie das nach dem Einzug der Reformation zunächst im Thüringschen an und für sich schon schier unerträglich gewordene Dasein der einfachen, ungebildeten Dorfpfaffen sich noch bedeutend verschlechterte, wenn sie eine nur auf ihren Privatvorteil bedachte „Köchin“ auf dem Halse hatten. Man kann in dem Dialogus recht wohl einen Nachklang der um 1500 in Heidelberg von Paul Olearius gehaltenen Rede de fide coneubinarum finden, auf die ich nicht eingegangen

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bin, weil Friedrich Zarneke sie neugedruckt und erläutert hat (Die deutschen Universitäten im Mittelalter, 1. Beitrag, Leipzig 1857, S. 88 fl., 242 ff.) ).

) Ein Exemplar der Editio princeps der beiden Reden De fide concubinarum und De fide meretricum (= Zarncke S. 242 A Weller 4065; Basel, Michael Furter, nicht Ulm, Ludwig Hohenwang, 1501: Max llgenstein, Zentralblatt f. Bibliothekswesen 1, 236 ff., 2, 340 gegen Haßler, Die Buchdruckergeschichte Ulms, Ulm 1840, S. 71ff.), leider defekt, in der Zw. R. S. B. (9. 5. 21,). Hier auch die Ausgabe Weller 4068 (Quentell; 24, 9. 16,,), ferner der unter Weller 4075 er- wühnte spätere Kammerlandersche Druck De fide concubinarum in suos- pfa ffos (16. 11. 16,) und der bei Weller gleich folgende De generibus. ebriosorum, nur mit 1565 im Titel, beigebunden (und mit denselben Typen gedruckt und derselben zierlichen Arabeskeneinfassung ge- schmückt) der bei Bócking, Operum Hutteni supplementum, tomi posterioris pars prior, p. 14 Nr. 9 beschriebenen Ausgabe der Epistolae obscurorum virorum von 1557 (27, 11. 231.3). Die Drucklegung der beiden Reden erfolgte nach einer von Wimpfeling besorgten Abschrift (Knepper 107*). Beide Reden stehen auf dem Venetianischen Index von 1554 (Reusch, Der Index der verbotenen Bücher 1, Bonn 1883, 8. 213).

Die Ablasspredigten des Leipziger Domi- nikaners Hermann Rab (1504—1521).

Von D. Georg Buchwald.

Je klarer das Bild ist, das wir von der Frömmigkeit am Ausgange des Mittelalters gewinnen, um so besser werden wir die Reformation, die Widerstünde, die sich ihr entgegen- stellten, aber auch die Empfindungen der Befreiung, mit denen sie begrüßt wurde, verstehen, und umsomehr werden wir den alten Fehler überwinden, dab man zwischen dem „dunklen“ Mittelalter und der Reformation einen dicken Strich zieht, ohne die vielen feinen Fäden zu berücksichtigen, die beide verbinden, und ohne die religiösen und kirchlichen Anschauungen zu berücksichtigen, in denen die aufwuchsen und lebten, die dann die Gedanken und Segnungen der Reformation ergriffen. Wiederholt und eindringlich ist auf die Arbeit hingewiesen worden, die auf diesem Gebiete noch zu leisten ist.

Die Frömmigkeit wird beeinflußt durch die Predigt und spiegelt sich wieder in der Predigt. Vielleicht ist es nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß die Erforschung der mittelalterliehen Predigt auf deutschem Boden noch nicht gar weit über die Anfänge heraasgekommen ist. Es wird hier darauf Wert zu legen sein, daß es nicht nur die großen Prediger gewesen sind, die Einfluß auf die Frömmig- keit gehabt haben, wenn auch die Predigt der anderen viel- fach von ihnen abhängig gewesen ist oder in ihren Spuren zu wandeln versucht hat. Wir müssen uns bemühen, auch die lokale Predigt möglichst zu erforschen, ohne Rücksicht da- rauf, daß wir es hier nicht mit Geistern erster Größe, auch nicht mit originalen Persönlichkeiten zu tun haben. Zu diesem Zwecke ist eine gründliche Beschäftigung mit den in den Bibliotheken ruhenden handschriftlichen Schätzen unbedingt nötig. Mag diese Beschäftigung manchem zunächt recht lang- wierig, vielleicht auch langweilig erscheinen: je liebevoller er sich ihr widmet und je tiefer er eindringt, je mehr sich Stein an Stein zu einem Gesamtbilde fügt, um so interessanter und befriedigender wird sie werden.

Eine Fülle von Material auf diesem Gebiete enthält die Leipziger Universitätsbibliothek. Aus ihr schöpfte bereits

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1838 Hermann Leyser seine „Deutschen Predigten des 13. und 14. Jahrhunderts“, seit 1886 Anton E. Schön- bach seine „Altdeutschen Predigten“, 1907 Adolph Franz die „Predigten des Frater Ludovicus“. Zu bereits aus andern Bibliotheken veröffentlichten Predigtsammlungen entdeckte ich in der Paulina wertvolle Parallelhandschriften, so zu dem „Schwarzwälder Prediger“ (Handschrift Nr. 687 ), zu dem „St Georgener Prediger“ (Handschrift Nr. .759?), zu den Predigten Hartwaigs (Heinrichs?) von Erfurt (Handschrift Nr. 7618). Eine noch völlig unbekannte Predigtsammlung bietet die Handschrift Nr. 1663 (geschrieben 1385 von Dithe- riehe von Gotha).

Unser besonderes Interesse beanspruchen diejenigen Predigten, die uns an bestimmte Orte und auf bestimmte Kanzeln unseres Sachsenlandes führen. Zu diesen gehören u.a. die Predigten des Altzeller Abtes Ludegers (Handschrift Ir. 452, 453, 454*), Altzeller Predigten aus den Jahren 1493 und 1494 (Handschrift Nr. 756) 9), Predigten des Leip- ziger Propstes Johannes Grundmann (Handschrift Nr. 614) und die zahlreichen Universitätspredigten®), sowie die zahl- reichen Predigten des Leipziger Dominikaners Hermann Rab”), eines Mitkonventualen und Freundes des Ablaß- predigers Johann Tetzel.

Hermannus Rab de Bamberga wurde im Sommersemester 1486 in Leipzig immatrikuliert. Paulus läßt ihn „gegen Ende des 15. Jahrhunderts als Mitglied des Leipziger Domi-

) Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Altertümer in Leipzig. 11. Bd. 1. Hälfte 8. 52 ff., 2. Hälfte S. 7ff.

? Der sog. St. Georgener Prediger. Herausg. von Rieder, Berl. 1908.

) Vgl. Preger, Geschichte der deutschen Mystik II, 91 ff.— Realeneykl. a III. 709. Werner, Jacob, Aus Züricher Handschriften. Làrich 1919, S. öff.

) Vgl. Neues Archiv für süchs. Geschichte, Bd. 18, S. 212. Michael, Gesch. des deutschen Volkes vom 13. Jahrh. usw. Bd. 2, 3.115 u. 1. Meinen Artikel: „Abt Ludeger von Altzelle als Prediger“ in Beitr. z. Sächs. Kirchengesch., 33/35. Heft S. 1—62.

) Beitr. z. Sächs. Kirchengesch., 29. Heft S, 9—84.

*) Vgl. Neues Archiv für süchs. Geschichte. Bd. 35, S. 25 ff. Zeitschr. für Kirchengesch. Bd. 86, S. 62ff.

) Ueber ihn vgl. Nikolaus Paulus, Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518—1563). Freiburg 1903. S. 9 ff. Francke, H. G., Das Nonnenkloster zu Weida (Mitt, des Vereins für vogtl. Ge- schichte u. Altertumskunde 1920 (S. 39, 40, 41).

Arelliv für Beformationsgescbichte. XXII. I. 9

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nikanerklosters“ erscheinen!) Auf Grund der noch unge- druckten Matrieula ordinatorum des Hochstifts Merseburg läßt sich das Datum genauer bestimmen. Das Verzeichnis, auf das sich Paulus stützt?), nennt unter den „Novicii“ einen gewissen Johannes Altenstein. Dieser ist identisch mit Johannes de Aldensteyn, der als frater ordinis praedicatorum Lip- ezenzis am 18, Dezember 1490 die Akoluthenweihe, am 19. Dezember 1492 die Diakonenweihe empfängt. Mithin kann jenes Verzeichnis nicht später als 1490 entstanden sein. Da Rab aber in diesem Verzeichnis bereits unter den Kon- ventualen steht, muß er schon vor 1490 in das Kloster ein- getreten sein. Im Jahre 1506 wird er als Vikar, wohl als Distriktsvikar erwähnt®). Im Jahre 1507 begegnet er uns als Hermaunus pater subprior conventus saneti Pauli unter den Magistern, die an einer Disputation im Lektorium der Leip- ziger Theologen teilnehmen‘). Kurz vorher war er, von Hiero- nymus Ochsenfart präsentiert, zum Kursus zugelassen worden).

Inzwischen hatte Rab bereits eine emsige Predigttätig- keit entfaltet, Deren Zeugnisse liegen uns in den Hand- schriftenbänden Nr. 1511, 1512, 1513 der Leipziger Uni- versitätsbibliothek vor.

Rabs Predigten umfassen die Zeit von 1504 bis 1521. Aus dem Jahre 1512 tinden sich keine Predigten zwischen Pfingsten und Weihnachten, aus dem Jahre 1513 liegen überhaupt keine Predigten vor; aus den Jahren 1517, 1518 und 1520 nur wenige, aus dem Jahre 1521 nur eine. Die meisten Predigten sind in Leipzig, und zwar im Dominikaner- kloster, mehrere aber auch in der Nikolaikirche und im Schlosse gehalten. Ein Zyklus von Ablaßpredigten führt uns nack Torgau, ein solcher von Fastenpredigten nach Rochlitz. Ferner finden sich Predigten, die Rab in Pegau, Halle, Wurzen, Eilenburg, Halberstadt, Ulm, Freiburg, Eger, Berlin und Nordhausen, sowie in den Nonnenklöstern®) von Cronschwitz, Weida und Wiederstädt gehalten hat. Außer Predigten de tempore und de sanetis enthalten die vor- liegenden Bände zahlreiche Kasualpredigten: bei Primizfeiern, bei Feiern der Rosenbruderschaft zu St. Pauli, bei Exequien, bei der Rezeption von Nonnen, bei einer Abtweihe.

1) a. a. O. S. 9.

2) Förstemann, Urkunderbuch der Stadt Leipzig. IIT. S, 246.

3) Förstemann, a. à. O. S. 197.

*) Fürst-Georgs-Bibliothek in Dessau. Band J.

5) Brieger, Die theologischen Promotionen auf der Universitüt Leipzig 1428—1589. Leipzig 1890. S. 21.

*) Vgl. Weim. Ausg. der Werke Luthers Bd. 30 III, 494f.

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Wie nicht anders zu erwarten, ist es die strenge tho- mistische Theologie, die der Prediger vorträgt. Kaum eine Predigt findet sich ohne Zitate aus Thomas, seinem Sentenzen- kommentar oder seiner Summa. Auch Aristoteles und Petrus Lombardus werden angeführt. Dazu gesellen sich die Kirchen- väter und eine lange Reihe kirchlicher Schriftsteller, ins- besondere Prediger. Ausgiebiger Gebrauch wird von den Sermonen des Jacobus de Voragine (t 1298 als Erzbischof von Genua) gemacht, die nebst dessen Quartagesimale sich der weitesten Verbreitung erfreuten, ebenso von dem großen unter dem Titel Socci Sermones verbreiteten Predigtmagazin aus dem 14. Jahrhundert, den Sermones discipuli des in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebenden Johaun Herolt, den Predigten des niederlündischen Franziskaners Heinrich Herp und von den auch auf deutschen Kanzeln viel benutzten Leetiones super Sapientiam Salomonis des englischen Domini- kaners Robert Holkot (T 1349). Dazu kommen die Predigten des Dominikaners Johann Nider (f 1438), auch des schwü- bischen Theologen Nikolaus Dinkelsbühl (f 1433) und des bekannten Tübinger Theologen Gabriel Biel (f 1495). Ins- besondere benutzte Rab für seine Fastenpredigten die Quadra- gesimalien des Minoriten Johann Gritsch und des Passauer Predigers Paul Wan. Damit ist aber die Zahl der homi- letischen Werke, die Rab heranzog, keineswegs erschöpft. Als Quellen für die eingestreuten Geschichten und Exempla dienen unserem Prediger nächst der Legenda aurea und den Yitis patrum u. a, Valerius Maximus, Cäsarius von Heister- m und der Formicarius des bereits genannten Johann

ider.

Die Predigten sind sicher deutsch gehalten, aber latei- nisch konzipiert. Dabei fehlt es nicht an Einstreuungen in deutscher Sprache, insbesondere wo es sich um kraftvolle, volkstümliche Ausdrücke und um Sprichwörter handelt. Von letzteren sei erwähnt: „Die gedancken seyn zeolfrey" (13, 299a) „Von goßer geselschafft wirt der man heuptsich“ (13, 308b), „Eyn nar macht yr zcehen, eyn narrin zcehen“ (11, 143b), „Huth dich, meyn pfert schlecht dich“ (12, 4 a), „Das fleisch ist uf seynem mist“ (12, 78b). Mehrfach ver- wendet Rab das Sprichwort „nach Emmaus gehen“ (12, 76b ff.), d. b. die Reue und die guten Vorsätze bald wieder vergessen. Gern läßt er das Volk selbst reden: „Ich weyD bereyt wol, was der munch predigen will, ich sal die sande meyden und das arge und das gute thun“ (11, 48a), „Morgen ist gut beichten“ (11,227a), „Ich muß mich meyner jungen tage auch ergotzen und fro machen“ (13, 166a). Auch Verse verwendet der Prediger, so den bekannten: „Wahrheit ist geschlagen

9%

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tot, Gerechtigkeit leidt große Not“ (Wander s. Wahrheit nr. 240). Wir lesen hier: „Ubi est veritas? sie ist gestorben und ist todt, iusticia die leyt grosße nodt“ (13, 300a). Mit Vorliebe bringt Rab kräftige Worte in deutscher Sprache: Die nieht zur Predigt kommen, denen ,hath der tewfel die oren abegeschniten* (11, 47b); sie sind „hellische braten, die do musßen braten zeu ewigen zeeyten“ (11, 47b). Er redet von den „falschen zwifeldigen lugenern und gleißnern, der fyudt man yezt alle lande, stedt, gasDen und heufer voll“. Je schlechter eine Sache ist, um so schneller wird sie geglaubt, „und eyn solche große petzere lugen, wen man sie an eyn wandt [wirft], Bo mocht sie dor an cleyben, dorff nieht meher dan eyn eynigen dichters und anhebers, Bo breydt mans auß durch landt und stedt pey fursten und herren und leugt ymmer eyner dem andern noch 3c. und die selben lugen dichter lasßen sich beduncken, wen sie landt und leudt affen und narren und fursten und herrn und prelaten, frawen und junckfrawen, geistliche und auch andere schimpflich und nachredlich yn die meuler gegeben, Bo haben sie eyn rum ergagt, sie weren werdt solehe puben, das man sie durch die packen brendt“ (13, 297 a). Oft versteht es Rab, volkstümliche Töne anzuschlagen; so, wenn er iu einer Kirchweihpredigt, veranlaßt durch das Evangelium von Jesu Einkehr im Hause des Zachäus, sagt: Jesus „wolt eyn kirmeb- gast seyn mit seyn jungern und es heth nymandes kirmeß speyB bereyt“ (11, 95 a), oder wenn er in einer Predigt über das Evangelium vom kananüischen Weibe den Frauen rät: „wen euch die menner schelden, Bo nempt ewangelisch wurtzeln der pacientz yn den mundt, Do verwart es euch vill schleg“ (11, 194a). Am volkstümlichsten dürfte wohl eine am dritten Pfingstfeiertag 1508 gehaltene Predigt mit vielen Anspieluugen auf das VogelschieBen sein. Zu Pfingsten, sagt Rab, habe er seinen Zuhörern versprochen, „dab wir heute wollen zu dem vogel schißen“. Dreierlei Leute sind beim Vogelschießen zu unterscheiden: die eiuen sind die Schützen, die treffen, aber nicht alle gleich: einer trifft den Kopf, ein anderer den Schwanz, einer die Flügel, einer die Brust, und diese alle machen einen Gewinn, „soll auch einer die Sau gewinnen“. Die andern schießen wohl auch, aber treffen nichts, und gewinnen mit all ihrer Mühe nichts als Spott. Die dritten sehen zu, stehen müßig da und vergeuden ihre Zeit; das sind solche, „die do haben affen feyl, die Kuobloch nauß tragen und bringen zwibel wider". Der Vogel ist der h. Geist, der in Gestalt einer Taube vom Himmel kam. „Zu dem vogel sollen wir alle schißen und trefien. Dazu gilt es sich dreifach zu bereiten: durch Herzens-

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reinigung, durch wahre Demut und durch Barmherzigkeit, Denen die Herzensreinheit fehlt, „die schißen nach der hellischen saw“, die mit ihren Metzen zum Aergernis der Kirche „bey den schlopsecken“ sitzen, „die schißen nach dem raben, wan sie“ statt zu beichten „yn das Cras, cras kummen. Solch bubenvolck scheyt sich nymmer mehe. Yn das gezelt geboren auch die mussigen pflastertreter, die winckelsturer, die nochtraben, die gassirer, die gassenrauber“, die Tag und Nacht herumlaufen und der Keuschheit nach- stellen, „und wenn die selbigen zuffen den vogel abgeschossen haben und haben die pouch vol gemacht, Bo laßen siß sitzen und eyn andern die kynder zihen", In dieses Zelt gehören aber auch jene Weiber, die ihr Fleisch verkaufen, die in Wahrheit des Teufels Vogelfängerinnen sind, durch die der Teufel unendlich viel Vögel, d. h. Seelen, fängt. „Yn dem netze seyn die allerstercksten, klugsten und beyligsten ge- fangen wurden, mit den pfeylen scheust der teufel ytz pabst, Cardinal, bischoff, munch und pfaffen.“

Hab stellt für den Dominikaner selbstverstündlieh die Predigt sehr hoch. „Die Predigt ist in der heiligen Kirehe Gottes nötiger als selbst die Feier von Messen. Wohl ist beides nötig. Aber gesetzt den Fall, dab eine Zeitlang beides unterbleiben müßte, so würde in der Kirche ein größerer Schaden erwachsen aus dem Mangel des Wortes Gottes als aus dem Nichtfeiern der Messe“ (1512, 85 a). „Wenn ein Volk zwanzig Jahre keine Messe, aber die Predigt hörte, wtirde es besser um das Volk stehen, als wenn es zehn Jahre Messe, aber keine Predigt hórte^ (1513, 211b).

Einige der von Rab aufgezeichneten Predigten geben uns einen deutlichen Einblick in den äußeren Gang derselben. Auf das Schriftwort!) folgt die Einleitung, die mit dem Vater- unser und dem Ave Maria schließt: „daß mir Gnade ge- geben werde zu reden und auch euch zu hören, fliehet mit mir zu Christus, der am Kreuze hängt, und zu der Jungfrau, die unter dem Kreuze steht, und sprecht andächtigen Sinnes und Herzens ein Vaterunser und Ave Marie“ (1513, 245 a). Statt des Ave Maria läßt er auch die Gemeinde ein deutsches Gebet sprechen: „Dir sei Lob, dir sei Ehre, dir sei Dank- sagung, o du allerliebster, o du allersüßter, o du aller- gütigster Herr Jesu Christo, für alle deine heiligen Bluts- tropfen, die du für uns vergossen hast aus deinem aller- heiligsten Leichnam, in deiner heiligen Beschneidung, in

) Einer einzigen Predigt liegt statt einer Bibelstelle eine Auti- phone zugrunde (Laurentius bonum opus operatus est Kloster- predigt 1504 am Laurentiustag 1518, 31b).

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deiner heiligen Blutvergießung, in deiner heiligen Geiß lung, in deiner heiligen Krönung, in deiner heiligen Kreuzigung und der Oeffnung deiner heiligen Seiten und deines süßen und göttlichen Herzens. Amen.“ (1513, 262a, 263b)!). Dann wird aus der Schriftstelle das „Thema“ genommen, d. h. einige Worte aus derselben gewählt, die Disposition ange- geben, und die einzelnen Teile werden behandelt. In einer Weihnachten 1510 in Rochlitz gehaltenen Predigt verweist Rab auf das von der Gemeinde gesungene Lied: „Wer das kyndleyn nicht geporn, Bo wer wir allzumal verlorn“, „wie yr gesungen habt“ (1511, 71 b)).

Die Predigten sind sehr verschieden. Die ältesten tragen ein sehr starkes akademisch-scholastisches Gepräge, und zwar nicht etwa nur die, die im Kloster gehalten sind. Sie stellen eine conclusio oder eine quaestio oder ein dubium auf. So wird in der Predigt dominica 20. Lypezk. Anno 1504 (13, 54 ff.) über Matth. 22, 2 ff: „Venite ad nupeias“ die conclusio an die Spitze gestellt: sicut fide, prole et sacramento nupeiae carnales excusantur, ita fide, opere et charitate ut veste nupeiali spirituales decorantur. Diese conclusio wird dann in den beiden Korrelarien behandelt: Quicunque ad nupeias earnales volunt venire, fidem, prolis intencionem et sacramen- talem unionem debent observare und Quieunque cum Christo spirituales nupcias voluerit celebrare, debet fide, opere et charitate se decorare. Die Behandlung eines Themas er- streckt sich mehrfach auf eine ganze Reihe von Predigten. Am Sehlusse der Predigt am 1. Advent (29. November) 1506 kündigt Rab seinen Zuhörern an, daß er in der nächsten Zeit davon predigen will, wie sie Christus entgegengehen und sich auf den Tod vorbereiten sollen. Am folgenden Tage werde er ihnen die conclusio fundamentalis illius materiae vorlegen (1513, 165 b). Da aber der folgende Tag der Audreastag ist, spricht er auf Grund von Matth 21, 5: Ecce rex tuus venit erst von Andreas, der „diesem unsterb- lichen König“ diligenter, obedienter. pacienter entgegenging. Dann wird die conelusio aufgestellt: Quamquam omnium ferribilium terribilissimum mors esse censeatur, utile tamen est Christiano, quod semper eius memoria habeatur. Hab erürtert aber nur den ersten Teil der conclusio. Erst am folgenden Tage, am Dienstag, kommt er zum zweiten Teil und behandelt die Frage, wozu es dem Christen nützlich ist an den Tod zu denken: weil dieses Gedüchtnis ihn veranlaDt

1) Dasselbe Gebet findet sich in den Predigten Tetzels. *) Dasselbe Lied in der Predigt am Stephanstage 1511 in Leipzig (1511, 1858).

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die Sünde zu meiden, ihn reizt zu guten Werken und ihn anstachelt, Buße zu tun. In der Predigt am 3. Advent knüpft er hieran wieder an, insbesondere an die dort auf- gestellte Frage, ob jemand noch am Ende seines Lebens Buße tun könne. Am folgenden Tage schildert er die teuflischen Versuchungen, die dem Sterbenden drohen. Aber da entsteht die Frage, womit der Teufel tiberhaupt einen Sterbenden noch versuchen könne, da dieser ja nun alles verlassen müsse. Aber des Teufels Versuchung bezieht sich auf den Glauben ob es ein ewiges Leben, eine Hölle, Vergebung der Sünden gebe auf die Hoffnung der Sterbende könnte an Gottes Erbarmen verzweifeln, wenn der Teufel ihm alle seine Sünden ins Gedächtnis zurückruft und ihm Gottes Gerechtigkeit vorhült —, auf die Beichte und das Sakrament der Teufel redet ihm ein, er sei noch nieht so schwach; dabei unterstützen ihn die Aerzte und Verwandten, die sich scheuen, einen Priester zu rufen; „dan sie laßen sich beduneken, sie musßen palde sterben, wenn sie beichten oder communicirten". Noch drei weitere Pre- digten setzen diese Erörterungen fort.

Gern stellt Rab als Thema seiner Predigt auch eine Frage auf. So am 3. Osterfeiertag 1505 in einer Konvents- predigt über Pax vobis (Luk. 24, 36) die Frage: Cum omnes creaturae pacem ament, quaerant et in ea delectentur, cur et propter quid tot dissensiones, discordiae et turbaciones in mundo (1513, 94a). Am Tage Innocentium 1506 über den Kindermord von Bethlehem die Frage: Cum Christus venit in hune mundum peceatores salvos facere per mortem et passionem suam, quare hodie fugit, cum sciret futurum esse, quod Herodes occideret omues pueros, ef ipse per mortem suam praevenire potuisset tantam stragem tot innocentum puerorum ? (1513, 190 b). In einer Predigt vom 23. Sonntag naeh Trinitatis 1506 (1513, 161 ff.) über Matth. 22, 19: Osten- dite mibi numisma census will Rab erklären, was seine Zu- hórer nach ihrer Seele seien. Aber er meint, sie würden es nicht verstehen, wenn er ihnen die Meinungen der Philo- sophen und Theologen auseinandersetzte, und will deshalb Antwort auf die Frage geben, die seine Zuhörer stellen könnten: „Warum ist's mir nötig zu wissen, was ich bin“?

Anderer Art sind Predigten aus späteren Jahren 1514 und 1515. Sie zeigen die Zweiteilung: literale fundamentum und morale docamentum. So die Predigt vom Sonntag Reminiscere 1514 über Matth. 15, 22: Miserere mei, domine, lili David, filia mea male a demonio vexatur (1511, 123 ff). Der erste Teil behandelt die historia sancti Ewangelii. Dabei wird die Frage, warum Christus erst nach dem langen

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Schreien des Weibes sich erbarmte, dahin beantwortet: erstens, um ihr Verlangen zu mehren, zweitens, um ihre Tugenden zu offenbaren, nämlich ihren großen Glauben, ihre Geduld und ihre Standhaftigkeit. Das documentum morale findet der Prediger darin, daß die, deren Gewissen. denn dieses ist unter der Tochter zu verstehen vonx Teufel gequült wird, zu Christus ihre Zuflucht nehmen sollen. In der Predigt am Palmsonntag 1515 über Matth. 21, 5: Ecce rex tuus venit tibi mansuetus (1511, 250 ff.) sprieht Rab zunüchst tiber Christi Einzug in Jerusalem und stellt dann als das morale documentum auf, daß man hieraus erwügen soll, wie schnell die Herrlichkeit dieser Welt vergeht, und daß man lerne, daB alle, die dem Herrn dienen, von ihm ins himmlisehe Jerusalem eingeführt werden: die unschuldigen Kinder, ,die Esel, die Christum tragen Tag und Nacht mit ihrem Dienst, wie die Religiosen“, die Apostel, nämlich die „Prälaten, die lehren und mit Wort und Beispiel wohl vorstehen“, die Zweige von den Bäumen schlagen, nämlich gute Beispiele aus dem Leben der Heiligen.

Auf Ersuchen des Ordensmeisters des deutschen Ritterordens Markgraf Friedrich von Sachsen (1490 - 1510) hatte Alexander VI. im Jahre 1503 einen Ablaß zu einem Heerzug gegen die Russen bewilligt!) Noch che es zur Verkündigung dieses Ablasses kam, widerrief Alexanders Nachfolger Julius II. zunächst den gewährten Ablaß, bestätigte ihn aber dann doch auf ein erneutes Gesuch des Deutschordens und verlängerte ihn Ende 1506 auf drei weitere Jahre, indem er für die Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier, sowie das Bistum Meißen einen neuen Jubelablaß bewilligte*). Unter den Subkommissarien, die mit der Verkündigung desselben beauftragt wurden, finden wir an hervorragender Stelle den Leipziger Dominikaner Johann Tetzel. Was wissen wir von der Art seiner und seiner Unterkommissare AblaDpredigt? Wir dürfen wohl darauf schließen von dem, was uns aus der ein Jahrzehnt später einsetzenden Ablaßpredigt für die Peterskirche bekannt ist, die die Veranlassung zu Luthers 95 Thesen gegeben hat. Denn was Mykonius, von 1504—1510 Schüler der Latein- schule zu Annaberg, von dem Auftreten der Ablafprediger dort erzählt, gibt uns wohl ein anschauliches Bild davon,

!) Ein Ablaßbrief mitgeteilt in Zeitschr. f. Kirchengesch. Bd. 22 S. 603 ff. Derselbe ist unvollständig. Wir bringen im Anhang einen vollstándigen zum Abdruck (Ernest. Gesamt-Archiv Weimar Nr. 45).

2) Paulus, Johann Tetzel der Ablagprediger. Mainz 1899, S. 6 ff.

137 137 wie jene den Ablaß in der Stadt aufrichteten, aber läßt uns nieht in die Predigt selbst blicken, abgesehen von einigen Ungeheuerlichkeiten der marktschreierischen Beredtsamkeit Tetzels!). Wir besitzen einige Anweisungen, die Tetzel den Ablaßpredigern gab. Also solle man zu den Leuten sprechen, damit sie für die große Gnade die Augen auftaten: selig seien die Augen, die sehen, was sie sehen, die wahrnehmen, daß sie hier sichere Geleitsbriefe haben, um die Seele durchs Tränental und das wilde Meer der Welt ins selige Vater- iand des Paradieses zu führen; alle Verdienste des Leidens Christi seien ihnen darin verschrieben; sie sollten wissen, daß man für jede einzelne Todstinde, deren man oft an einem Tage so viele begehe, auf die Zerknirschung und Beiehte bin noch sieben Jahre lang hienieden oder im Fege- feuer zu büßen schuldig sei, mit diesen Briefen aber vollen Erlaß aller bisher verdienten Strafen erlangen könne; ob sie denn nicht für einen Viertelsgulden diese Briefe an- nehmen wollten, durch deren Kraft sie ihre göttliche, un- sterbliche Seele sicher und ohne Gefahr ins paradiesische Vaterland bringen könnten. Beichte und Zerknirschung zum Behuf der Vergebung ist nicht ganz vergessen; es wird gesagt: „man will, daB jeder, der, nachdem er gebeichtet hat und zerknirseht ist, das Almosen in den Kasten wirft, vollkommene Vergebung aller seiner Stinden haben wird“. Für den Ablaßkauf zum Besten Verstorbener aber galt ohne ' eine sittliche Bedingung, daB ,sobald der Groschen im Kasten klinge, die Seele aus dem Fegefeuer zum Himmel auf- auffahre“ :). Wenn Paulus“) im Blick auf diese Anweisungen sagt, man könne daraus ersehen, „wie der Ablaß unmittel- bar vor Luthers Auftreten dem Volke gepredigt wurde“, so dürfte damit doch zu viel behauptet sein. Insbesondere bleibt die Frage, wie wochenlang hierüber gepredigt werden

1) Scherffig, Friedrich Mekum von Lichtenfels, Leipzig 1909, S.61f. Hingewiesen sei auf das, was in der Leichenpredigt Dietrichs von Starschedel (156)) über das Auftreten Tetzels in Mutzschen er- zählt wird: „macht die Hölle mächtig heiß, wie so große Finsternis, Kälte, item Hitze und Marter darin wäre und die ewig währte, sagte auch, was ewig wäre, mit einem Gleichnis: wenn ein Mohnberg da so groß wäre, als die ganze Welt, und käme alle 1000 Jahre ein Zeißig und holte ein Körnlein davon, so wäre es noch nicht ewig ıc. lehrte aber, daß man solcher ewigen Pein los würde, so man einen Ablaßbrief lósete". Sächs. Kirchen- und Schulblatt 1872, S. 293.

) Luthers Werke. Erl. Ausg. op. var. arg. 1,255ff. Vergl. Köstlin, Lutber 5I, 150f.

5) a. a. O. S. 86.

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konnte, ohne daß stete Wiederholungen das Auftreten der Prediger langweilig machten.

Um so wertvoller sind die Ablaßpredigten, die uns in den Handschriften unseres Hermann Rab vorliegen. Hier gewinnen wir in der Tat ein völlig getreues Bild der AblaB- predigt unmittelbar vor der Reformation, das für uns um so wichtiger ist, als diese Predigten uns gerade nach Sachsen führen.

Rab predigte in Torgau!) im Jahre 1509 vom Sonntag Invokavit (25. Februar) bis zum Sonntag Kantate (6. Mai), und zwar bis Mittwoch nach Palmarum (4. April) täglich mit Ausnahme des 7. März, an dem er zu Ehren des h. Domini- kus predigte, und des 26. März, an dem er mit seiner Predigt die Verkündigung Mariä beging, und des Palm- sonntags, an dem der Pleban „die Inhibitionen predigte“, über den Ablaß, dann bestieg er die Kanzel wieder an den drei Osterfeiertagen. Am Sonntag Quasimodogeniti schloß er mit einem Dankeswort die Ablaßpredigt. In der letzten, am Sonntag Kantate gehaltenen Predigt ermahnte er die Ge- meinde, sich im Gnadenstande zu erhalten (1512, 1— 85).

Alle Predigten knüpfen an das Evangelium des betr. Tages an. Nur die beiden ersten Predigten legen die Invokavitepistel 2. Kor. 6, 1f. zugrunde, die auch allen weiteren Predigten als Eingangswort dient. Die Predigten am Dienstag und Mittwoch nach Palmarum bildeten die Fort- setzung d^r Montagspredigt, und schließen sich wie diese an das Montagsevangelium an.

Die erste der in gratia cruciatae et jubilaei gehaltenen Predigten bietet die sorgfältig ausgearbeitete Einleitung des großen Predigtzyklus. Sie geht von der Invokavitepistel aus: „Wir ermahnen euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget“. „Meine Liebsten, der h. Paulus hat diesen Brief und diese Worte an die Korintber geschrieben. Er schickte zu ihnen die ansehnlichen Boten Titus und Lukas und ermahnte sie, an die Heiligen in Jerusalem, die, weil sie alles za den Füßen der Apostel niedergelegt hatten, verarmt waren und von den Ungläubigen verfolgt wurden, eine Kollekte zu senden. Zuerst aber belehrt er sie im allgemeinen über alles, was zum Heile nötig ist. Darunter ist das erste und hauptsüchliche die Gnade des allmächtigen Gottes, die vom Herrn verordnet ist zur Beseitigung der Sünden und zur Wirkung alles Guten“. Die Beseitigung

!) Hier befand sich eine Terminei des Leipziger Dominikaner- klosters. Förstemann a. a. O. IIT, 104.

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der Sünden ist nach Thomas!) gleichbedeutend mit der Säuberung oder Reinigung oder Rechtfertigung und kann sur durch die Gnade geschehen. Von der Sünde aufstehen und von der Sünde lassen ist nicht dasselbe. Denn von der Sünde aufstehen ist nur die Wiederherstellung dessen, was der Mensch durch die Sünde verloren hat. Durch sie erleidet der Mensch einen dreifachen Mangel: Befleckung, \erderbnis des natürlichen Guten und die Schuld ewiger Strafe. Die Befleekung besteht in der Beraubung des Schmuckes der Gnade. Hierdurch ergibt sich in der Seele ein Hindernis des Einflusses der göttlichen Gnade, das Gott allein zu entfernen vermag. Die Verderbnis des natür- liehen Guten zeigt sich in der Concupiscenz, zu deren Be- seitigung der Mensch des Lichtes der Gnade bedarf. Auch die Schuld der ewigen Strafe kann Gott allein hinweg- nehmen. Trotzdem aber ist der Mensch verpflichtet zur Genugtuung?) hier oder nach diesem Leben. „Er muß Ge- nagtuung leisten für alles bis zum letzten Heller und alle Sinden müssen durch Genugtuungsstrafen gereinigt werden, weil nichts Beflecktes zum ewigen Leben eingehen kann“.

Nun wendet sich der Prediger wieder zum Thema: -Die Gnade Gottes liegt vor euren Augen. Denn der aller- beiligste Herr, unser Vater, Jesu Christi Stellvertreter, hat uch allen und jedem insonderheit seinen unbegrenzten Schatz aufgetan, zu dem alle und jeder kommen und aus ibm empfangen kann, soviel ihm nötig ist. Dieser Schatz it das unendliche Verdienst des Leidens unseres Herrn Jesu Christi, des Mitleidens der gebenedeiten Jungfrau und der Buß werke aller heiligen Märtyrer und aller auserwüblten Heiligen“), die für ibre Sünden in überschüssiger Weise und über ihre Verpflichtung Genugtuung geleistet haben. Das. was dabei tüberschüssig war, ist in den Schatz der Kirche gelegt, und dieser Schatz ist unendlich und von anendliebem Werte wegen der Würde der Person, und wer diesen Schatz braucht, wird teilhaftig der Freundschaft bottes. Die Schlüssel zur Verteilung dieses Schatzes hat Christus unser Heiland nach Matth. 16, 19 dem h. Petrus und seinen Nachfolgern übergeben. Darum hat für dessen Verteilung allein der Papst die Vollmacht und er kann daraus geben, wie viel er will, die Bischöfe aber nur so viel, als ihnen vom Papst zugestanden wird“. „Diesen Schatz

1) Summa 2Iq 113a 2.

?) satisfactio condigna. Nach Petr. Lomb..IVd. 15.

) Vgl. Bratke, Luthers 95 Thesen und ihre dogmenhistorischen Voraussetzungen. Göttingen, 1884 S. 293.

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nun verkündige ich als euch allen jetzt offenstehend. Alle, die ihr Gott verschuldet seid, wie groß auch die Strafe sei, ewig oder zur Genugtuung, und wenn du so viel Jahre im Fegefeuer bleiben müßtest, als Sterne am Himmel, Sand des Meeres, Blätter an den Bäumen sind, siehe, da bast du den geöffneten Schatz! Da liegt deine und aller Menschen Geuugtuungsstrafe. Also, wenn du nur willst, kannst du sofort in einer einzigen Stunde gereinigt werden von allem Fehl und aller Schuld, unter der Voraussetzung, daß du tust, was in der Bulle steht. Du mußt nämlich mit deinem Almosen den armen Leuten in Livland zu Hilfe kommen, wo die Ungläubigen Jünglinge und Jungfrauen, Priester und Greise ermordet oder fortgeschleppt, die Kirchen zerstört und das heilige Sakrament mit Frevlerhänden betastet haben, ja noch heute zu größerer Schmach sich rüsten!). Und damit niemand von der Erwerbung des Ablasses aus- gesehlossen werde, hat der Papst seine Vollmacht den Beichtigern übertragen und tut alle Wege zu diesem Schatze auf. Siehe, der Schatz ist auf óffentlichem Markt, die Tür zum Himmelreich ist aufgetan, wenn ihr nur wollt, alle Wege stehen euch offen. So ermahnen wir euch nun, daß ihr die Gnade Gottes nieht vergeblich empfangt. Denn die Stunde wird kommen, da ihr, hättet ihr hundert Welten, diese dahin geben würdet, könntet ihr nur ein einziges Mal diesen Schatz berübren. Aber dann sind vielleicht die Pforten verschlossen, wie den törichten Jungfrauen (Matth. 25. 10 ff.) gesagt wird. Und siehe, jetzt ist euch der Schatz aufgetan nieht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunít, da ihr durch die Briefe, die ich verteilen lasse, einmal im Leben vollkommene Vergebung habt und im Augenblick des Todes, so oft er euch droht, ja sonst so oft ihr wollt, das Recht euch einen Beichtiger zu wühlen, und damit die Teilnahme an allen Gtitern der ganzen heiligen Kirche, worüber ich ein andermal ausführlicher reden will. Aufgetan ist endlich der Schatz allen euern Liebsten, die in Christo abgeschieden sind und Fegefeuerstrafen erleiden, die sich selbst nicht helfen können, selbst die, die bis zum Tage des jüngsten Gerichts Genugtuungsstrafe leisten müßten. Die kónnt ihr erlósen binnen einer oder zwei Stunden, und ohne Zweifel strecken sie ihre geistlichen Hände nach euch aus und schreien aus ganzem Herzen: „Erbarmt euch mein, erbarmt euch mein, ihr meine Freunde“ (Hiob 19, 21). So ermahnen wir euch nun, daß ihr die Gnade Gottes nicht

1) Zum Teil wörtlich nach der Bulle; vgl. Löscher, Reformations- acta I, 424.

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vergebens empfangt. Und, meine Liebsten, ich ermahne euch: Sollten Widerchristeu unter euch sein, wie es nach I. Joh. 2, 18 schon viele Widerchristen gibt, die gegen das Verdienst Christi und sein und der Märtyrer Blut reden), hört nicht auf sie, die in Wahrheit Boten des Teufels sind, der der Gnade Feind ist und, was er selbst nicht vermag, darch seine Boten vollbriugt. Ich verdamme euch „ihr Klaffer, die do wollen reden von allen sachen“. Ihnen gilt das Urteil des Bannes, wie in der Bulle steht“). „Hut dich, mein Pferd schlägt dich!“

Am nächsten Tage verweist der Prediger im Eingange noeh einmal auf die Gnade, die der Stadt widerfährt. -Gestern babe ich euch gesagt, daß der Stellvertreter Jesu Christi, unser allerheiligster Herr Vater, euch, ja uns allen den unendlicben Schatz aufgetan hat, in dem niedergelegt iind die unendlichen Verdienste und Genugtuungswerke unseres Herrn Jesu Christi und seiner jungfräulichen Mutter Maria, die sie, niemals eine Tod- oder vergebbare Sünde degehend, aueh in unendlichem Maße hinzufügte, und aller Märtyrer, Bekenner usw. Diese Gnade, ermahne ich euch, sollt ihr nicht vergebens empfangen. Denn gewißlich „jetzt it die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils“ &. Kor. 6, 2), da ihr Gott genug tun könnt für alle eure Sünden bis zum letzten Heller“.

Bevor aber der Prediger nun von der Vorbereitung wr Erlangung der Gnade reden will, fühlt er sich veranlaßt, die Frage zu erörtern: „Da die Leichtigkeit, mit der Ver- gebung der Stinden erlangt wird, ein Anreiz zum Sündigen sin könnte, darf der Papst leicht bereit sein allen vollen AblaßB (plenissimas indulgentias) zu gewähren?“ ?) Der Prediger stellt zur Lösung der Frage zunächst einen Funda- mentalsatz auf: Obgleich jeder an sieh selbst durch wahre Reue die Sünde strafen muß, so kann doch einer für den andern genugtuende Strafe leisten. Mit den Worten des Lombarden“) zeigt Rab, daß der barmherzige Gott dem Reu- mütigen vergibt und ihm keine Strafe für die Ewigkeit behält. Die Gerechtigkeit aber läßt nichts ungestraft. „Ent-

ı) Vgl. Sächs. Kirchen- und Schulbl. 1872, S. 293: „Das glaube ich nimmermehr, daß Gott das Geld so sehr liebet, daß er mich in der Hölle um eines heillosen Groschens willens sollte ewig martern lassen. Siugen wir nicht im Osterlied: Der die Hölle zerbrach und den leidigen Teufel darinnen band? Welcher Zimmermann hat sie wieder gebauet ?“

) Löscher a. a. O. I, S. 429.

) Vgl. Cajetan bei Bratke a. a. O., S. 164f. *) IV d. 20.

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weder straft der Mensch oder Gott, der Mensch mit der Buße, Gott, indem er Strafe fordert. Die Buße ist eine innere und eine äußere. Ist die erstere so groß, daß sie als Strafe der Sünde gentigt, so fordert Gott, der dies weiß, keine weitere Strafe. Genügt sie aber nicht, so fügt Gott, der Art und Maß der Stinden und Strafen kennt, eine genügende Strafe hinzu.^ Dem Menschen aber bleibt das verborgen, so daß er keine Gewißheit hat, ob seine Reue zur Tilgung der Strafe und Schuld genügt. Darum ist jeder gehalten zu beichten und Genugtuung zu leisten. Zur Buße gehören wesentlich drei Stücke: Beichte, Reue und Genug- tuung. Reue und Beichte ist die Sache jedes Menschen für sich selbst. Die Genugtuung aber kann einer für den andern leisten; insbesondere, wenn er in der Liebe steht. Je größer seine Liebe ist, um so mehr ist sein Werk Gott angenehm und genugtuend. Das gilt im höchsten Grade von Christus, der für uns alle in reichlichstem Maße Genugtuung geleistet hat, insofern er Gott den Preis für unsere Erlósung zum Opfer brachte, nämlich sein teures Blut. Nun hätte bereits ein Tropfen seines Blutes zur Erlösung der ganzen Mensch- heit genügt!). Aber Christus opferte sein Leben bis zum letzten Blutstropfen für uns. Jenen Schatz der Genugtung hat Gott seinem höchsten Stellvertreter, der ihn in allem vertritt, zur Verteilung überlassen. Dabei darf der Papst nicht leichtfertig verfahren, damit nicht die Schlüssel der Kirche verachtet und die Genugtuungswerke entkräftet werden. So ergibt sich nun die weitere Frage, wann und wem er diesen Schatz öffnen darf. Die Gültigkeit des Ab- lasses setzt dreierlei voraus. Zuerst kommt es darauf an, wozu er dienen soll: zur Ehre Gottes oder zur Not oder zum Nutzen der Kirche. Der Prediger verweist auf das Laterankonzil von 1215 und den dort durch Innocenz III. gewährten Kreuzzugsablaß und fährt fort: „Wenn nun damals die Kirche ihre große Notlage ansah und das Kreuz predigen ließ, wenn man damals sah, wie viele, die sich mit dem Kreuz hatten bezeichnen lassen, zum Himmel aufflogen, wenn ein Prediger, der sich weigerte, das Kreuz zu predigen, aufs Schwerste gestraft worden ist, hat dann nicht der höchste Priester mit der Versammlung der Kardinäle Grund genug, diesen so reichlichen Ablaß zu genehmigen, da, wie der höchste Priester auf die glaubhafte Nachriebt von Königen und Fürsten bin schreibt, Livland, das Erzbistum Riga und Dorpat durch die ketzerischen Russen und Tataren verwüstet, die Kirchen zerstört, die Heiligenbilder geschändet, das

*) Vgl. Thomas, Summa 8 q. 46 a5 ad 3.

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heilige Sakrament mit schänderischen Händen angefaßt, die Glocken kleingeschlagen und daraus vielleicht Kugeln ge- gossen, Menschen ohne Zahl in schrecklichste Sklaverei weggeschleppt, die aber nicht fortgehen wollten, Junge und. Alte, aufs Entsetzlichste und Grausamste an Pfähle ge- sehlagen worden sind, und was weiter diese bejammerns- werten Menschen weiter zu erwarten haben!) In Rücksicht auf das Elend dieser armen Leute, nicht aus Leichtfertigkeit, nieht aus Geldgier, sondern in Ansehung der Not hat Christi Stellvertreter den Schatz der heiligen Mutter Kirche geöffnet, damit ihr um dieser Not willen und, wenn ihr sonst euch nieht zum Mitleid bewegen lassen wollt, wenigstens, um Abla zu erlangen, euer Herz der Barmherzigkeit öffnet. Daram, meine Liebsten, wenn euch der höchste Priester den endlichen Schatz auftut, vernachlässigt nicht euer Heil, geht nicht mit hartem Herzen und unbeschnittenen Ohren und Augen dran vorüber! Denn jene Elenden reden durch mich uud andere Prediger zu euch von ihrem Hunger, Durst, Trübsal und Gefängnis und verheißen euch den Segen des \aterlands, des himmlischen Reichs, wie Christus im heutigen Evangelium zu solchen Barmherzigen spricht (Matth. 25, 34 fl.): Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters usw. Fürchtet euch aber vor dem erschrecklichen Urteil, das über die Shmühsüchtigen mit ihrem harten und unbeschnittenen Herzen ergeht: Geht hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln und solchen unbarmherzigen Leuten. Denn wahrlich in das Gericht, von dem das Evangelium redet, begleiten euch keine zeitlichen Güter und keine Freunde, sondern nur eure guten Werke und besonders die Werke der Barmherzigkeit. Die werden für euch reden. Wir ermahnen euch also, daß ihr Gottes Gnade nieht vergeblich empfanget!"

Im Eingang der dritten Predigt (Dienstag nach Invo- karit) wünscht der Prediger, veranlaßt durch das Evangelium don der Tempelreinigung (Matth. 21, 12 f.), seinen Zuhörern, lab sie selbst als ein Tempel Gottes gereinigt würden „durch eine Beichte“. Sonst ist es unmöglich, „den geringsten Tropfen göttlicher Gunst von Gott zu erlangen“. „Wenn da die Gnade des allerheiligsten Jubel- und des heiligen Kreuzablasses erlangen willst, dessen Schatz Christus aus seiner grenzenlosen Barmherzigkeit durch seinen Stell- vertreter, den obersten Priester, mit rechtem, vernünftigem und genügendem Grunde, wie ibr gestern gehört habt, geöffnet bat, genügt es dir nicht, daß du dich mit dem Kreuze

) Nach der Bulle Löscher a. a. O. I, 424.

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zeichnest, wie in der Bulle steht, oder in den Kasten ein- legst oder Kirchen besuchst, obgleich auch das verlangt wird, wie ihr, so Gott will, zu seiner Zeit hören werdet, sondern jenes, die Beichte, ist das allererste, was seitens derer, die Ablaß verdienen wollen, verlangt wird. Wer Ablaß verleiht, muß dazu Vollmacht besitzen. Wenn Ablaß erteilt werden soll, muß eine Not oder ein Nutzen der Kirche das begründen. Wer Ablaß erwerben will, muß Liebe und die rechte Beschaffenheit haben. Das meint der oberste Priester, wenn er in der Bulle sagt: solchen, die gebeichtet haben und ihre Sünden bereuen. Darum ists das Erste, was vor Allem nötig ist, daß eure ganze Stadt von wahrer Reue bewegt werde. Diese macht euch fähig zum Einfluß der Gnade und zur Erlangung des Jubelablasses. Darum will ich nun von dem Dreifachen reden: von der Notwendigkeit der Reue, von der Reue Art und von der Reue Frucht und Nutzen.“

In dieser Predigt wird noch der erste Punkt, die Not- wendigkeit der Reue, behandelt. Mit der Sünde verläßt der Mensch Gott, um sich der Kreatur zuzuwenden. Gott aber ists, der der Seele durch die Gnade das Leben einflößt. Geschieht das nicht mehr, so gleicht der Mensch einem Klotz. Stirbt er, so taugt er zu nichts als zur Speise der Würmer. Der Mensch verbleibt so lange in jenem Zustand, als er die Sünde nicht vernichtet. Darum ist die Reue nötig allen, die gerecht gemacht werden wollen. Wenn jemand gerecht gemacht werden soll, bedarf es zuerst des Einflusses der Gnade. Das kann nur Gott gewähren. Aber „dies Werk ist so groß, daB Gott allein es nicht vollbringen kann, sondern dazu unsrer Mitwirkung und Hilfe bedarf“. Der Mensch muß sich also für den Einfluß der Gnade vorbereiten, indem er .das beseitigt, was den Einfluß der Gnade ver- hinderí, und dies Hindernis ist die Sünde. Aber wodurch wird dies Hindernis beseitigt? Durch das Mißfallen, durch den Haß und durch die Verabscheuung der Sünde, und augenblicklich, sobald dir die Sünde mißfällt und du Gnade begehrst und der freie Wille sich zu Gott hinbewegt, erfolgt die Vergebung der Sünde. Aber du mußt mit Gott zu- sammen wirken, wie Augustin sagt: „der dich ohne dich geschaffen hat, wird dich nicht ohne dich gerecht machen“ !). „Dann ist der glorreiche Gott so gut, so freundlich und barmherzig, daß, sobald wir uns vorbereiten und aufseufzen, er uns in demselben Augenblick den Quell der Gnade und

) Sermo CLXX, 13. Migne PL 88, 929. Luther setzt sich mit diesem Worte auseinander WA. 15, 115; vgl. Drews, Disputationen S. 47.

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Barmherzigkeit Öffnet und all unsrer Missetat und Un- gerechtigkeit vergißt.“ Zum Schlusse erzählt der Prediger zum Beweise hierfür eine Geschichte aus dem Leben der Altvite!: Ein Altvater, der die Gabe hatte, „aus dem Ansehen derjenigen, welche in die Kirche gingen, die guten oder bösen Gedanken, die sie im Herzen führten, zu er- kennen“, sah ihrer viele mit einem schönen Angesicht und nit fröhlichem Gemüt hineingehen, wie auch die heiligen Engel, die ihre Pflegekinder mit Freuden begleiteten. Einen aber sah er hineingehen, der ganz schwarz und finster war und von den Teufeln an einem Zaum geführt und hin und her gezerrt wurde. Sein heilger Engel aber folgte ihm ganz traurig von weitem nach". Als aber die Leute die Kirche verließen, sah der Altvater eben jenen Menschen „ganz fröhlich und schneeweiß herausgehen; die Teufel zwar folgten ihm von weitem nach, sein heiliger Engel aber ging ganz fröhlich und freudevoll neben ihm“. Auf Befragen erzählte jener Mensch: er habe lange Zeit in Lastern gelebt, in der Kirche aber habe er das Wort Jes. 1, 16—19: ,Waschet, reiniget euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen“ usw. gehört. Da sei er in sich gegangen, habe seine Missetat bekannt und zu Gott gesprochen: „Ich sage jetzt ab aller Ungerechtigkeit und von nun an will ich dir, mein Gott, mit einem reinen Gewissen jederzeit dienen Nimm deshalb in dieser Stande mich armen Büßer wiederum auf!“ Der Prediger schließt: „Aber in diesem Jubelablaß könnt ihr gänzlich ermeuert werden nicht nur in Hinsicht auf die Sebald, sondern auch auf die Strafe“.

Nach einem kurzen Blick auf die Worte aus dem Tagesevangelium Matth. 12, 50: „Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, derselbige ist mein Bruder, Schwester und Mutter“ und dem Hinweis auf 1. Thess. 4, 3: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“, ermahnt Rab in der nächsten Predigt wiederum seine Zuhörer, daß sie die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen, in der sie wieder Er- deuerung finden können. Das kann aber nur auf dem Wege der Reue geschehen, weil diese das erste Heilmittel gegen die Krankheit der Sünde ist. Ja, Gott kann nach der Ordnung seiner Macht die Gnade nicht eingießen und gerecht machen ohne die Rene des Menschen! Von der Beschaffenheit der Reue ist nun im folgenden die Rede. Zur wahren Reue gehört dreierlei: sie muß sich auf jede begangene Tatsunde erstrecken, sie muß mit dem Vorsatz

1) VII, 23. Migne PL LXXIII, 1046. Gern in der Predigt benutzt; vgl. Franz, Drei Minoritenprediger S. 130 f.

Archiv für Beformationsgeschichte. XXIL 1. 10

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der Genugtuung und mit großem, wenn auch in vernünftigen Grenzen sich bewegendem Schmerz verbunden sein und sie muß bis ans Ende des Lebens währen. Der Prediger stellt dann vier Regeln zur Erkenntnis der wahren Reue auf: 1. der Schmerz muß so groß sein, daß er zu dem Entschlusse drängt, lieber jede Strafe auf sich zu nehmen, selbst den leiblichen Tod zu erleiden oder betteln zu gehen, als wieder in eine Todsünde zu willigen. 2. Man muß bereit sein, denen, denen man Unrecht getan hat, Ersatz zu leisten. 3. Man muB bereit sein, jede Beleidigung zu vergeben. 4. Man muß bereit sein, jede Gelegenheit zur Sünde zu fliehen. „Darum sind Buhler, die ihre Buhlerinnen nicht verlassen, Würfelspieler u. a. nicht zu absolvieren, wie auch öffentliche Weiber; denn sie haben keine rechte Reue und hinken nach zwei Seiten: auf der einen Seite möchten sie zwar Gott dienen und ihm anhängen, aber auf der anderen der Welt und dem Teufel. Niemand aber kann zwei Herren dienen und der Herr will nicht das halbe, sondern das ganze Herz: Bekehret euch zu mir mit euerm ganzen Herzen (Jer. 27, 4).

Nun könnten manche einwenden: „Wir hätten gern vollkommene Reue tber alle Sünden, aber wir haben sie nieht im Gedächtnis“. Der Prediger beantwortet den Ein- wand mit Worten aus Thomas: Anfangs muß sich die Reue auf die einzelnen Sünden erstrecken, die man im Gedächtnis hat, zuletzt aber muß die Reue eine allgemeine sein. Wer alle Sorgfalt darauf verwendet, dem gießt Gott die Gnade ein und gibt ihm Vergebung aller Sünden. „Siehe welch eine wunderbare Ordnung Gottes, die uns nicht selig machen und uns nicht Gnade schenken will ohne unsre Zustimmung und Bereitschaft. Aber siehe, jetzt ist die angenehme Zeit und der Tag des Herrn, da der höchste Priester in uns wahre und vollkommene und reine Reue wecken will, indem er aus gerechter und vernünftiger Ursache, nämlich zur Ehre Gottes, zum Nutzen und zur Hilfe der Kirche, den Schatz der Kirehe auftut. Darum ermahnen wir euch, daf ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. Denn es werden Tage kommen, an denen ihr nur einen Augenblick dieser Zeit wünschtet, aber dann ists nicht mehr Barmherzigkeits-, sondern Gerechtigkeitszeit. Nutzet die Zeit aus, denn es ist böse Zeit!“ (Joh. 5, 16).

In der fünften Predigt spricht Rab davon, daß die rechte Reue mit großem, wenn auch in vernünftigen Grenzen sich bewegendem Schmerz über Sünde, mit Haß und Miß- fallen derselben verbunden sein muß. Hierfür werden fünf

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Gründe angeführt!): 1. weil wir Gott über alle Dinge lieben müssen, missen wir von größtem Schmerze erfüllt sein, wenn wir die aus jener Liebe fließenden Güter verlieren; 2 weil die Sünde ein solches Gewicht in sich hat, daß sie aus einer zur andern zieht, wie sich an David zeigt und wie jeder es an sich selbst erfährt: „ein iglicher ziehe sich selbst bei der Nasen“; erst tut man Sünde mit Erröten, dann mit Freude und Lust; 3. weil die Sünde befleckt, „der Flecken bleibt auch nach der Sünde und kann in Ewigkeit nieht getilgt werden, auch wenn er mit dem ganzen Meer und den Tränen aller Heiligen gewaschen würde. Nur durch die eigenen Tränen und die göttliche Gnade, „wenn die zwei Wasser zu haufen“ kommen in der Reue, dann wird die Seele gereinigt: „darum du mußt das Wasser selbst holen und zutragen;^ 4. weil der Mensch mit der Sünde die Schuld ewiger Strafe auf sich lüdt; 5. weil durch die Sünde der Mensch den Zustand der Unschuld verliert (abgesehen davon, daB er Gott, Gottes Reich, die Gemein- &hafí der Engel, die Gnade und alle Tugenden verliert). „Die wertvollste Zeit ist die Zeit der Buße und Genugtuung. Aber ach, wie gering schätzen wir den Verlust der Zeit ‚und tun dies und jens vor die lange Weil“. O wenn die Seelen eurer Eltern eine einzige Stunde oder einen einzigen Tag von eurer Zeit hätten, meinst du, sie würden es versäumen, sich jenes allerheiligsten Ablasses teilhaftig m machen? Aber siehe, weil sie außer der Zeit sind, da sie ihn erwerben können, strecken sie die Hände nach euch aus und schreien nach euch mit erbärmlicher Stimme, die ihr von ibnen Leib und Leben und euer Gut empfangen habt: Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner, o meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich angerührt! Und das ist eine der größten Fegefeuerstrafen, daß sie Schmerz empfinden über den Verlust der Zeit. Ihr aber denket an ihr Gericht! Sie trafs gestern, morgen kann's dich treffen. Üeffnet ihnen die Hand der Barmherzigkeit; denn ihr könnt, ohne selbst Verlust zu erleiden, ihnen die größte Hilfe leiten, ihnen den Schatz der Kirche auftun und sie von ihren Strafen befreien.“

Im Eingange der sechsten Predigt deutet Rab das Tagesevangelium Joh. 5, 1ff. Das Hinuntersteigen in den Teich ist die wahre Reue. Das Wasser wird jetzt bewegt durch den Engel, d. h. durch den apostolischen Boten. So lange das Ablaßkreuz aufgerichtet ist, kann jeder hinunter-

1) ratione contrarietatis, dispositionis, maculationis, incursionis, missionis, 10*

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steigen und das volle Heil seiner Seele erlangen. „Aber wenn er hinuntersteigen will, muß er die Krankenhallen seiner fünf Sinne verlassen und sich im Teiche baden, d.h. mit dem Quell seiner Tränen und Reue, wie ihr gehört habt; denn das ist nötig, weil ohne Reue dich Gott nicht rein waschen will.“ Dann spricht der Prediger von dem Dritten, das zur rechten Reue gehört, nämlich, daß sie das ganze Leben hindurch währen muß. Er beweist das zuerst mit Gründen der Vernunft: das Leben ist ein Pilgern nach dem himmlischen Vaterland. Der Wandrer muß alles ab- legen, was ihn hindert, nämlich seine Sünden, und zwar während der ganzen Zeit seiner Wanderung. Aber auch deshalb müssen Reue und Schmerz über die Sünde das ganze Leben hindurch währen, weil der Mensch gegen den ewigen (Gott gesündigt und ewige Strafe verdient hat. Weiter beweist der Redner jene Forderung mit „Autoritäten“: Matth. 5, 4 spricht Christus: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“. „Die Seligkeit muß sich immer fortsetzen, also auch die Trauer“. Endlich bringt Rab Beispiele für anhaltende Reue: Maria Magdalena, die 30 Jahre in der Wüste Buße tat!), und Petrus, der zu weinen anfing, sobald er den Schrei des Hahnes hörte?).

In der nächsten Predigt frägt Rab im Hinblick auf das Tagesevangelium von der Verklärung Christi (Matth. 17, 1 ff.): „Wer, meine Liebsten, wird steigen auf den Berg des Herrn oder wer wird stehen an seinem heiligen Orte? Denn viele Sind berufen, aber wenige auserwáhlt, und Christus nahm nur drei mif sich; denn dieser Berg ist hoch, der Weg ist schmal und unbetreten, der zur Pforte führt, und die Pforte ist eng, und wenige sind es, die sie finden (Matth. 7, 13 f.). Das wird bezeichnet durch Petrus, Johannes und Jakobus. Petrus bedeutet die Ehelichen. „Im Ehestand könnt ihr eben so gut selig werden wie die Religiosen. Aber ihr müßt die Ordnung und eure Regel d. h. den Glauben halten, „ihr müßt nicht aus den Silen treten“ ), ihr müßt auf Nachkommenschaft sehen und nicht unordentliche Lust suchen. Dann könnt auch ihr auf den Berg des Herrn steigen“. Mit Johannes sind die Jungfräulichen bezeichnet, mit Jakobus die Bußfertigen. Das wird aber auch an- gedeutet dadurch, daß die Jünger auf das Antlitz niederfallen, aber der Herr rührt sie an, richtet sie auf und spricht zu ihnen: Stehet auf, fürchtet euch nicht! Darum, meine

2) Leg. aur. 418. *) Leg. aur. 870. 3) Sielen-Geschirr des Zugtieres.

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Liebsten, seid ihr in eurem Stande gefallen, sehet, der Herr ist da, bereit euch aufzurichten und wieder zu versetzen in die alte Gnade. Nur müßt ihr aufstehen in wahrer Reue, die auf die einzelnen Stinden sich erstrecken, mit großem Schmerz verbunden und dauernd sein muß“. Am Schlusse der Predigt verweist Rab noch einmal auf die vier Regeln zur Erkenntnis der wahren Reue (vgl. oben 4. Predigt).

In der dritten Predigt war gesagt worden, daß von der Notwendigkeit, der Art und endlich von der Frucht und dem Natzen der Reue gehandelt werden sollte. Nachdem der Prediger nun die beiden ersten Stücke erledigt hat, kommt er in der Predigt des Sonntags Reminiscere zum dritten, mit dessen Erörterung diese und die beiden folgenden Pre- digten sich befassen.

Das Sonntagsevangelium (Matth. 15, 21 ff.) veranlaßt den Prediger zu der Frage, warum Jesus sich lange weigert, die Bitte des kananäischen Weibes zu erfüllen. Er findet dafür zwei Gründe. Erstens wollte Jesus dem Weibe das höchste Gut schenken. Das mußte diese aber in großer Demut, Geduld und Beharrlichkeit erstreben; denn je größer das Verlangen nach einem Gute ist, um so fähiger wird der Mensch zu dessen Aufnahme. Zweitens sollte uns das Weib als Vorbild dienen: „wenn ihr geheilt werden wollt und eure Tochter krank ist und vom Teufel geplagt wird, d. h. wenn euer Gewissen von dem Sündenteufel gequält wird, müßt ibr aus den Grenzen von Tyrus und Sidon durch wahre Bube und Reue herausgehen.“ Frucht und Nutzen der Reue ist dreifach: Schuld und Strafe werden nachgelassen, die Tugenden werden wieder hergestellt, die ertöteten Werke werden wieder lebendig gemacht. Von dem ersten Nutzen wird noch in dieser Predigt gehandelt. Der Sünder handelt regen die göttliche Freundschaft, die den Menschen teil- nehmen lassen will an der ewigen Seligkeit, und gegen die göttliche Gerechtigkeit, die dem Menschen alles auf Erden zum Gebrauche tberließ. Die Verletzung der göttlichen Freundschaft und Gerechtigkeit fordert, daß das, was Gott entzogen worden ist, ihm wiedererstattet wird. „Was aber in der ganzen Welt können wir finden, was Gott ebenso gefällt, wie ihm die Beleidigung mißfallen hat? Siehe, nichts fode ich als das eine Opfer, nämlich einen zerschlagenen Geist und ein demiitiges Herz zugleich mit dem Verdienste des Leidens Christi. Das nimmt Gott an und vergibt und vergibt alle Sünden.“ Vgl. Ezech. 18, 21.

Der zweite Nutzen der Reue wird in der nächsten Predigt behandelt. Im Tagesevangelium (Joh. 8, 1 ff.) ist die Rede von den Juden, die tot in Sünden sind, und weil

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sie an Jesus nicht glauben, ihn kreuzigen wollen. Das trifft auch uns, die wir Christus mit unsern Sünden gekreuzigt haben. Er will uns retten, aber nicht ohne unsern Willen. Zu unserer Rettung gab er uns Gebote, Räte und Mittel: Gebote, die allen den Weg zeigen, so daß sich niemand entschuldigen kann; evangelische Räte, an die nicht alle gebunden sind, wie Jungfrüulichkeit, Armut und Gehorsam zu bewahren; Mittel, nämlich die heilsamen Sakramente, die aus seiner Seite geflossen sind. In der Taufe wird allen volle Vergebung der Sünden gewährt. „Das ist das hoff- gewaut, das im der herre Jesus gibt und ane zeucht, das er darnoch mag gen hoff ghen und mit dem herrn essen die speyB seynes heyligen fronleiehnams." „Dieses Mittel ist allen gemein. Er will also alle Menschen selig machen, und es ist in unsern Willen gestellt: Tuen wir so viel, als an uns ist, so ist Gott immer bereit zu tun, was an ihm ist; aber ohne unsern Willen will er uns nicht selig machen." Mit der Sünde stellen wir aber ein Hindernis entgegen und geben das Hofgewaud preis; ja die Sünde tótet die Gnade mit allen Tugenden. Weil aber durch die Reue, wie gestern gesagt ist, alle Sünden vergeben werden, wird dadurch auch die ange- nehm machende Gnade und alle Tugenden wieder hergestellt.

In der folgenden Predigt (Dienstag nach Reminiscere) zeigt Rab an dem Tagesevangelium (Matth. 23, I ff.), daß jeder darüber zu wachen habe, „das unsere werck nicht wormstichig werden oder faul“. „Aus jedem Ding wird das geboren, was es zu nichte macht: aus dem Holz der Wurm, der es zerfrißt, aus dem Kleid die Motte, die es zerstört, aus dem Kohl die Raupe, die ihn verzehrt. So aus jedem guten Werke der eitle Ruhm, der es ansteckt" Wie der eitle Ruhm allgemein der Feind guter Werke ist, so tötet jede Todsünde alle guten Werke, verdienstliche und genug- tuende. In längerer Ausführung spricht der Redner von der Verdienstlichkeit der guten Werke. Ohne die Gnade vermag kein Mensch weder ex eondigno noch ex congruo das ewige Leben zu verdienen, weil in keiner Weise sich das Werk und das ewige Leben vergleichen läßt. „Wenn der Mensch vom Anfang der Welt bis zum Ende lebte, könnte er nicht verdienen, in diesem Reiche auch nur eine halbe Stunde zu sein. Aber nach seiner grenzenlosen Güte hat Gott es so bestimmt, weil der Mensch nur Menschliches und Gott nur Göttliches tun kann: mit jedem guten Werke, was der Mensch tut, mag es noch so geriug sein, auch weun du nur einen Schluck kalten Wassers gibst, wenn du mit deinem Almosen den Armen in Livland zu Hilfe kommst, wenn du für die Seelen im Fegefeuer einlegst, wenn du die

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andern Gnaden kaufst, die der Allerheiligste dir anträgt, verdienst du dir auch ex condigno das ewige Leben. Nicht weil dein Werk an sich, nach dem Inhalte der Tat, derart wäre, sondern es hat diese Kraft erstens!) auf Grund der göttlichen Ordnung, weil es Gott so geordnet und festgesetzt bat. Gott aber ist unveränderlich und wahrhaftig. Darum auf Grund der göttlichen Bestimmung wird uns für jedes in Liebe und um Gottes Willen getane Werk das Verdienst des ewigen Lebens gegeben werden, und ehe das Wort dieses Herrn verginge, eher würde Himmel und Erde zu- grunde gehen. Denn obgleich das Werk des ewigen Lebens nieht wert ist, so ist es doch entsprechend (congruum), dab, wenn der Mensch getan hat, was Gott geordnet hat, auch Gott tut, was er verheißen hat. Zweitens hat es jene Kraft ex condigno, weil der Mensch, der in der Gnade steht, in seinem Herzen den heiligen Geist hat, der ihn zu heiligen, guten und verdienstlichen Werken bewegt. Darum werden jne Werke angesehen als Werke des heiligen Geistes, die aus der Bewegung des heiligen Geistes eine unendliche Kraft in sich tragen, und es ist wert (condignum), daß unendliche Werke mit unendlichem Lohne bezahlt werden. So belohnt Gott seine eigenen Werke in uns. Drittens wohnt jene Kraft in den guten Werken, weil der Mensch durch die Gnade der göttlichen Natur teilhaftig und zu einem Kinde Gottes angenommen wird. Also gebührt nach väterlichem Recht, weil der Wille des Vaters erfüllt wird, solchen, die er eondigno verdienstliche Werke tun, das ewige Leben, ud soviel ein Mensch solche Werke hat, soviel mal ver- dient er ex condigno et congruo das ewige Leben. Darum heißen unsere Werke lebendig, weil sie uns zu dem letzten Ziel, der Seligkeit führen können.“ Aber alle diese guten Werke werden getötet durch die Todsünde. Einem Menschen, der in der Todstinde verharrt, nützen die Werke nichts zum ewigen Leben; denn die nachfolgende Sünde hindert ihn am Eintritt ins himmlische Vaterland. Durch die Buße aber werden die toten Werke wieder lebendig. Denn sie beseitigt das Hindernis der Stinde, das nicht ins Himmelreich gelangen läßt.

Am Mittwoch, 7. März, unterbricht Rab die Reihe der Ablaßpredigt. Am Tage des hl. Thomas predigt er über die Worte: Hic magnus vocabitur (Matth. 5, 19) wegen des Sieges tiber das Fleisch, wegen des Zuströmens der Weisheit, wegen der Menge der Verdienste.

Am [folgenden Tage kehrt er zu seinem Gegenstand urück. Das Tagesevangelium vom reichen Mann und dem

) Das Folgende nach Thomas, Summa 1 II d. 114.

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armen Lazarus (Luk. 16, 19 ff) gibt ihm willkommene Ver- anlassung, erneut den Ablaß auzupreisen. „Vr hatt den margkt vor der thur“. „Unser allerheiligster Herr, Papst Julius IL zeigt euch die Schwären des armen Lazarus d. h. der elenden Personen in Livland, von denen manche in die Ge- fangenschaft weggeschleppt, manche getötet worden sind, die satt werden möchten von den Brosamen, die von euren Tischen fallen. Sehet, sie begehren nicht euer ganzes oder aueh nur euer halbes Vermögen, sondern nar Brosamen d. h. was ihr vermögt gemäß der Bestimmung eurer Beicht- väter. Für diese Almosen tut er euch auf den allerkost- barsten Schatz des allerheiligsten Jubelablasses, und zwar nicht nur euch, sondern auch euren Eltern und Freunden, ja euch mit den Beichtbriefen auch für die Zukunft, Aber allerdings, wie ich schon gesagt habe, steht dieser Schatz nicht allen offen, sondern nur denen, die sich dafür bereiten, und das erste bei der Bereitung ist die Reue, über die nun genug gesagt worden ist“.

„Da möchtest da nun sagen: genügt auch schon die innere Reue? Ich antworte kurz: nein. Denn der oberste Priester fügt hinzu: „nur die gebeichtet haben“. Mithin ist's nötig, daB du beichtest oder den Vorsatz hast zu beichten, wenn du vollkommene Vergebung haben willst. Du mußt also volle Reue haben und eine reine und vollständige Beichte hinzufügen. Von dieser Beichte will ich nun sprechen, und zwar von drei Stücken: von ihrer Notwendigkeit, von ihrer Vollständigkeit und von ihrer Vorbereitung.

Die Notwendigkeit der Beichte wird von manchen Ketzern geleugnet, weil Gott die Sünde vergebe, sobald der Sünder aufseufze, und weil nichts von der Beichte des Petrus, des Paulus und der Magdalena geschrieben ist. Auch könne man sich selber eine Buße zur Leistung der Genugtuung auferlegen. Aber, entgegnet Rab, die Reue ist nicht wahr, wenn nicht der Vorsatz besteht zu beichten und Genug- taung zu leisten. Petrus, Paulus usw. haben auch gebeichtet, trotzdem wir nichts darüber lesen. Eine selbstauferlegte Buße, wäre sie auch noch so groß, wäre ungenügend. Für Tilgung der Erbsünde bedarf es der Taufe, zur Tilgung der Todsünde der Beichte. Wie beim Sakrament der Taufe sich der Mensch den Dienern der Kirche zu untergeben hat, 80 muß er beim Sakrament der Buße, wenn anders er Ver- gebung aller Sünden haben will, zum Priester gehen und ihm vorlegen alle seine Krankheit, weil er Arzt ist, und seine ganze Sache, weil er Richter ist.

(Fortsetzung folgt.)

Mitteilungen.

Neuerscheinungen.

Zum 13. Juni 1925. Als Festgabe zur 400. Wiederkehr der Vermählung Luthers mit Katharina von Bora bringt Agnes Bartscherer eine Schilderung des Lebensausgangs Katharinas (Frau Käthe Luther in Torgau. Torgau 1925, 19 8. Druck und Verlag Paul Schiemann). Die Darstellung, die durch Studien hauptsächlich im Torgauer Stadtarchiv unterbaut ist, möchte besonders zeigen, daß die Witwe des Reformators einen erbaulichen Tod wie auch ein ehrenvolles Begräbnis gehabt habe. Eine Abbildung des Grabsteins ist beigegeben. Aus gleichem Anlaß ist die weitaus wertvollste Lebensbeschreibung Katharinas, E. Krotter, Katharina von Bora, Martin Luthers Frau. Ein Lebens- und Charakterbild (1. Aufl. 1906) soeben in v. Auflage (mit 7 Bildbeilagen) ausgegangen. Das treffliche Buch, das nur in Einzelheiten verbessert oder ergänzt wieder erscheint, bedarf keiner Empfehlung mehr. Zwickan, Joh, Herrmann. 1925. IV, 2758. (geb. M. 4,80).

Zeitschriftenschau.

Allgemeines, Viktor Schultze, Das Bild im Dienste der Reformation (in Allg. Ev.-luth. KZ. 1924, Nr. 44—46), zeigt die mancherlei Wege, die die prot. Kunst des 16. Jahrh. gegangen ist und die mancherlei Mittel, die sie aufgewendet hat, um in Holzschnitt, Kupferstich und Denkmünze, von dem ein- fachen Porträt des Reformators bis zum Passionale Christi et Anti- christi Cranachs, dem Totentanz Holbeins, den vier Aposteln Dürers, ihre Aufgabe an der und für die Ref. durchzuführen, ebensowohl zur Erbauung und Kräftigung der unter dem Wahrzeichen des Evangeliums Stehenden, wie zu Zwecken des Kampfes und der Abwehr wider den Katholizismus und das Papsttum, den „Endchrist“.

J. Wolf, Ein bisher unbekannter Spottdruock auf das Augs- burger Interim, macht auf eine Reihe von vier, vielleicht in Magde- burg entstandenen bezügl. Holzschnitten in der Musiksammlung der Preuß. Staatsbibliothek in Berlin aufmerksam: Zbl. f. Bw. 42, 1925, S. 9—19.

Luther und seine Zeitgenossen. Aus der Verzerrung, die sie auf Grund der Melanchthonischen Formulierung in der ortho- doxen Theologie des 17, Jahrh. und der noch immer von ihr bestimmten

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Lehrüberlieferung gefunden hat, führt Fr. Loofs Luthers Rechtfertigungslehre in ihre ursprüngliche Gestalt zurück, indem er zeigt, was Luther unter Gerechtfertigtwerden verstanden hat, und weist es als töricht ab, die Stärke des Glaubens und den Ernst persönlichen Christentums bei sich und anderen an dem Für- wahrhalten von Dogmen und biblischen Geschichten messen zu wollen. Luther, Mitt. der Lutherges. 1924, Heft 6, S. 88—90.

Luthers Gottesdienstreform 1528—1526 und ihre Lehren für die Gegenwart bespricht K. Eger ebenda 1925 Heft 1, S. 2—11. Ebendort finden wir S. 11—19 das schon gewohnte Luther- Kalendarium G. Buchwalds für d, J. 1525.

Luthers Staatsauffassung behandelt Jul. Binder in Beitrr. z. Philos. d. deutschen Idealism., Beih. 18, 84 S. (1924).

Mit der Entstehungszeit des „Lutherliedes“ beschäftigt sich G. Stuhlfauth in zwei Abhandlungen. Indem er (Monatsschr. f. G. u. k. K. 27 S. 182—192) das Kirchenlied des (im übrigen unbekannten) Ludw. Heilman „Lobt Gott, ihr frommen Christen“, unter dem Ein- druck des 2. Nürnberger Reichsabschiedes (7. Februar 1523) entstanden sein läßt, glaubt er (Z. f. Bücherfr. 16, 1924, S. 99—103 und 140 bis 142) in diesem Liede Anklänge an „Ein feste Burg“ zu finden, dessen Entstehung danach im J. 1521 mindestens sehr wahrscheinlich wäre; doch wird wohl nicht jeder die vermeinten Anklünge als völlig über- zeugend ansehen.

Daß Luther in dem die Messe behandelnden Abschnitt von De captivitate Babylonica ecclesiae seinen Sermon von dem neuen Testament stark benutzt hat, zeigt W. Niesel in N.kirchl. Z. 35, 10 S. 478—481.

In N. kirchl. Z. 85, 9 S. 887—416 stellt L. T h e o b al d zusammen, was in Luthers Tischreden über den kleinen Katechis- mus beigebracht wird.

Die frühen Lutherbildnisse L. Cranachs teilt mit und erörtert kritisch Joh. Ficker im Anhang zur ZVKG. Prov. Sachsen 20, 1/2. Er vervollständigt damit seinen Beitrag „Aelteste Bildnisse Luthers“ in Jahrgang 17 (1920) der nämlichen Zeitschrift.

Aus Cod. Vat. lat, 6406 veröffentlicht K. Schellhaß in Mis- cellanea Fr. Ehrle V, S. 473—488 einen Brief des P. Canisius an Kard. Morone von 1577, dem er sein Opus Marianum tibersendet, und bespricht das Zustandekommen dieses Werks,

Im Jahrbuch d. Evang. V. f. westfül. KG. 25 S. 86—89 teilt Th. Wotschke einen Brief P. Ebers an Bürgermeister und Rat von Lemgo v. J. 1556 mit.

Wie groß und mannigfaltig die Schwierigkeiten waren, unter denen Herzogin Elisabeth von Calenberg, geb. Markgrüfin von Brandenburg, ihr Ziel, die Aufrichtung der Herrschaft des Evan- geliums in ihrem Fürstentum, unverrückt verfolgt hat, zeigt der in- haltreiche Aufsatz Ad. Brennekes im Niedersächs, Jahrb. I,

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3. 103—145 „Uber die polit. Einflüsse auf das Reformationswerk der Hgin. Elisabeth im Fürstentum Calenberg-Göttingen (1538 bis 1555)“. Über das Leben und die Schriften des Johann Holtheuser voa Hildburghausen (nachweisbar von 1549—1564), der u. a. den Lutherschen Kleinen Katechismus in lateinischer Sprache poetisch bearbeitet hat, berichtet O. Clemen in BBK. 31, 2 S. 50—57.

P. Kalkoff, Der geschichtliche Ulrich von Hutten, wiederholt das abgünstige Urteil über H., das er anderwürte schon ausgesprochen hat. Augenscheinlich ist K. in Gefahr, indem er der früheren Überschützung des Ritters mit Recht entgegentritt, ihn in allza schwarzem Lichte zu sehen. Auch die Bezeichnung Sickingens ala „des großen Rüubers und grausamen Bandenführers“ mutet doch sehr einseitig an. Mit vollem Recht dagegen widerlegt K. eine Auf- fassung, die in Hutten und Sickingen die mächtigen Schutzpatrone der beginnenden Reformation sah. S:hles. Jahrb. f. Geistes- u. Naturwiss. Jahrg. II, 4 S. 229— 242.

Einen Brief Barthol. Bergners an Georg Karg vom 11. Jan. 1546 nebst K. 's Antwort teilt K. Schornbaum in Th. St. u. Kr., Jahrg. 55, Heft 3/4, S. 299—302 mit.

Ein Gutachten des Dekans Gregor Burmann zu Lehrberg über die Auffassung G. Kargs vom Abendmahl veröffentlicht als Beitrag zar Geschichte des Kargschen Katechismus K. Schornbaum in BBK. 31, 3 S. 111—118.

Ein Lebensbild des calv. gesinnten Heidelb. Diakonen Wilhelm Klebitz, dessen Gegnerschaft T. Hesbusius seine Generalsuperinten- dentur kostete (1559), entwirft A. A. van Schelven im Jahrg. 1923 der Bijdragen voor vaterlandsche Geschiedenis en Oudheidkunde.

Aus der Briefsammlung Stefan Roths auf der Zwickauer Rats- shulbibl. veröffentlicht O. Clemen in ZKG. 44 (NF. 7) S, 98—105 fünf an Roth gerichtete Briefe des aus Bamberg gebürtigen Georg Kryaner, der in Magdeburg anscheinend als Kantor an der neuen evangelischen Johannesschule lebte, aus den Jahren 1527 bis 1530 mit mancherlei Nachrichten zur Zeit- und Reformations- geschichte.

Die ausführliche Abhandlung von Fr. Roth, Die geistliche Be- vügerin Anna Laminit von Augsburg (ca. 1480—1518) läßt helle Sreifliehter auf das Kulturleben in der Stadt Augsburg am Vorabend der Reformation fallen: ZKG. 43 (NF. 6), Heft 2, S. 355—417,

Ebenda, S. 417—422 ergünzt E. Hirsch seine Darstellung der Theologie Osiandersan der Hand der von Gußmann in den Quellen ù Forsch. z. G. des Augsb. Glaubensbekenntnisees 1911 veröffentlichten, lange verschollen gewesenen sog. „Schirmschrift“ Osianders.

Ein Brief Georg Kargs an Konrad Praetorius aus Ans- bach vom 27, Dezember 1543, den K. Schornbaum in BBK. 81, 3 $.88—90 aus den Ansb. Religionsakten des Nürnb. Staatsarchivs mit- teilt, ist u. a. dadurch bemerkenswert, daß er über den fast der ver-

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geasenheit anheimgefallenen Empfänger, ehemals lateinischen Schul- meister zu Ansbach, dann Pfarrer zu Alerheim (1555) Licht verbreitet.

In Zeitschr. f. Buchkunde I, 2 S. 79—89 gibt O. Clemen Er- günzungen zu den Drucken der Offizin Georg Rhaus in Wittenberg nebst Nachrichten über dessen Leben und Familie.

In HZ. 181, 1 S. 19—40 stellt A. Stern sorgfültig die zer- streuten Nachrichten über den Spanier Gabriel Salamanca Grafen von Ortenburg, den Günstling K. Ferdinands (} 1539) zusammen, „vielleicht den merkwürdigsten Repräsentanten jener Klasse zu Beich- tum und Macht emporgestiegenen Finanzgrößen des Zeitalters, in dem das Geld seinen Siegeslauf durch die Welt anhob".

Ein von Th. Wotschke aus dem Dresdener HStA. abge- druckter Erlaß des Kurfürsten August von Sachsen vom 30. April 1576 lehrt uns einen durch Cyriakus Spangenberg „verführten“ Eis- leber Bürger Anton Richter kennen. ZVKG. Prov. Sachsen 20 1/2, S. 113.

Über Matthaeus Wes enbe ok und andere Reformierte, die nach 1579 noch in Wittenberg nachzuweisen sind, handelt Th. Wotschke in ZKVG. Prov. Sachsen 20 1/2, S. 44— 55 unter Mitteilung einiger einschlágigen Dokumente.

Den Entwurf der nicht zum Vollzug gelangten „Reformation und Gottesdienstordnung des Markgrafen-Erzbischofs Wilhelm von Riga“ vom März 1546 veröffentlicht aus dem Königsb. Staatsarchiv P. Karge in Mitt. der Ges. f. G. u. A. zu Riga Bd. 22 Heft 2 (1924), S. 120—161. Einleitend wird die kirchliche Politik des Mark- grafen gewürdigt unter Aufzeigung der Hindernisse, die sich der Durchführung der Reformation in seinem Erzstift entgegenstellten.

Über Konrad Wimpina (Leben und Stellung zur Ref., Charakter) handelt O. Scriba in Bll. Württ. KG. NF. 28 (1924) S. 143—163.

Landschaftliches. „Zur Reformationsgeschichte von

Dinkelsbühl aus dem Nachlaß Prof. Bürkstümmers“ veröffentlicht K. Schornbaum in BBK. 31, 9 S. 57—61 fünf Briefe von 1491

und 1531, die zugleich für Nördlingen, Rothenburg und Schwäbisch- Gmünd von Bedeutung sind.

Über Melanchthons Heilbronner Schwester (geb. 1499, + um 1550, nacheinander mit zwei Heilbronner Bürgern ver- mählt) handelt, auf Grund der Akten des Heilbronner Stadtarchivs, M. von Rauch in einem auch für die Reformationsgesch. von H. fruchtbaren Aufsatz des Schwäb. Merkurs (1924 Nr. 4).

In BBK. 81, 1 S, 1—28 (1931) behandelt Fr. Loy den Regens- burger Wucherstreit von 1587—1588, d. i. eine viel Staub auf- wirbelnde Entzweiung unter den Geistlichen der Stadt über die Auf- fassung des „Wuchers“, im besonderen die Frage, ob der reichs- gesetzlich gestattete 5 °/,-Zins christlich sei. Der Rat zog die Frage or sich, rief auch Joh. Andreä als Vermittler herbei; doch verloren fünf Geistliche infolge dieser Bewegung ihre Posten,

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H. Clauß, Aus Gunzenhüuser Visitationsakten des 16. Jahrhunderts verbreitet sich auf Grund der bezeichneten, seit 1567 fließenden Quelle über die Pfarreien und Pfarrer des Diakonats G. unter Mitteilung von Auszügen aus einer Reihe von Pfarrlebensläufen. das (vicler Orten sehr dürftige) Pfarreinkommen, den äußeren Zustand der Pfarrhäuser und Kirchen, das Heiligen vermögen. Es sind vielfach och unfertige Zustände, die die strengere Aufsicht und geregelte Verwaltung der Landesregierung dringend erforderten. BBK. 31, 8 8. 101—110. Die Fortsetzung ebenda 32, 1 S. 32—39 behandelt das Schulwesen (Abdruck der ältesten Leges scholasticae von Gunzen- hausen 1580) und die äußeren Zustände in der Gemeinde. (Schluß folgt.)

H. Kuhn, Reformationsgeschichte im Kloster Módingen (ei Dillingen) zeigt die außerordentliche, im vorliegenden Falle übel angebrachte Milde, mit der Pfalzgraf Ottheinrich bei der Reformierung seines Landes vorging. Im genannten Kloster fanden die Visitationen Pfalzgraf Wolfgangs noch 1567, 25 Jahre nach Einführung der Kirchenordnung Ottheinrichs, die Nonnen sämtlich dem katholischen Glauben ergeben. BBK. 81, 3 S. 76 —88.

In ZGOberh, NF. 39, 1 S. 68—83 teilt G. Batzer „Neues über die Ref. in der Landvogtei Ortenau sowie in den Städten Gengen- bach und Offenburg“ mit.

Auf das Exemplar der Konkordienformel für die Grafschaft Castell, einen der wenigen fränkischen Kreisstände, die jene an- nahm, im fürstlichen Kanzleiarchiv weist K. Schornbaum in BBK. 32, 1 S. 39 hin.

Daß A. Amrheins (Refgeschichtl. Mitt, aus d. Bist. Würzburg) Behauptung, der Würzburger Weihbischof Pettendorfer sei nicht mm evangel. Glauben übergetreten, auf Unkenntnis der Literatur be- nt zeigt K. Schornbaum im BBK. 81, 2 S. 6l f.

Von Laurentius von der Mülen, der im Zusammenhang mit Hermann von Wieds Reformationsversuch die älteste Druckerei in Bonn gründete, und seinen Drucken handelt A. Piel, ,Gesch. des ältesten Bonner Buchdruckes, zugl. ein Beitr. zur rhein. Reformationa- geschichte und -Bibliographie*. Rhein. Archiv Bd. 4 (112 S., mit Abb.).

In den Monatsh. f. Rhein. KG. 18, 8, 61—68 erhürtet Forst- koff seine früher dargelegte Ansicht, daß die K levischen KOO. wa 1532,33 Zeugnisse nicht erasmischen (wie Hashagen will), sondern nes entschieden evangelisch gerichteten Geistes seien.

M. Wühler, Die Blütezeit des Erfurter Buchgewerbes (1450—1530) würdigt such die Druckertütigkeit in Erfurt unter Aufzählung der aus den einzelnen Pressen, u. a. eines Wolfgang Schenck, Nikolaus Marchalk hervorgegangenen Werke. Mitt. V. G. u. A. von Erfurt Heft 42 (1921), S. 5—58.

Einen Klagebrief der Benediktinerinnen des im Bauernkriege gestärmten und geplünderten Klosters Hol selle im Mansfeldischen m den Kaiser vom 12. November 1526 gegen die Grafen Gebhard

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und Albrecht von Mansfeld, die inzwischen die Hand auf das Kloster gelegt hatten und die Herausgabe der geretteten Kleinodien und Schriften verweigerten, veröffentlicht Th. Wotsche ans der Landesbibl. Gotha in ZVKG. Prov. Sachsen 20, 1/2 S. 111—113.

Über Merseburger Archivalien des 15. und 16. Jahrh. (1432—1549), die in Büchereinbänden der Leipziger Univ.-Bibl. auf- gefunden worden sind, gibt R. Scholz in Thür. Sächs. Z. f. G. u K. XII, 2 S. 89 103 Auskunft. Der Hauptteil stammt aus der Kanzlei des Koadjutors Fürst Georg von Anhalt (1543—49), anderes aus dem Archiv des Klosters S. Petri in Merseburg. Die Mehrzahl der Stücke bezieht sich auf die kirchlichen Verhültnisse in den Pfarrdórfern der Merseburger Diözese in der Reformationszeit; andere Stücke beleuchten die Verfallzeit vor den Beginn der Reform; insbesondere über die Ver- hältnisse des Petersklosters vor dieser erhält man manche Einblicke.

Wittenberger Stammbucheinträge teilt aus der Bayerischen Staats- bibliothek München W. Krag im Zbl. f. Bw. 42, 1 S. 1—8 mit. Sie enthalten a. a. Melanchthonlana, auch einen Bucheintrag Bugenhagens.

Über die älteste Gestalt der Calenbergischen Landes- kirche handelt Ad. r e n n e k ein ZGes. f. niedersächs. KG. 28, S. 1—8.

Österreich. Unter tunlichst vollständiger Verwertung der betreffenden Archive und Bibliotheken gibt G. Loesche im Jahrb. d. Ges, f. d. Gesch. des Prot. im ehemal. und im neuen Österreich Jahrg. 45/40, S. 47—266 reichhaltigste Beiträge zur Geschichte des Protestantismus in Ober-Üsterreich in den 250 Jahren von den Anfängen bis zum Toleranzpatent. Er gibt zunächst S. 47—73 einen kurzen, durch Anmerkungen erläuterten allgemeinen Überblick (die Habs- burger, der evangelische Adel, die Stüdte, die Prüdikanten usw.); daran schließen sich chronologisch geordnete Regesten zur allgem. Gesch. des Prot. im Landl (S. 74—128, 1528—1781), dann Regesten zur Gesch. des Prot. in den einzelnen, alphabetisch geordneten Orten (S. 128—228); den Schlu bilden Verzeichnis der Abkürzungen, Orts- und Personenweiser. Die mühevolle Arbeit schließt sich den vorauf- gegangenen grundlegenden Schriften des unermüdlichen Verf. zur Gesch. des österr. Protestantismus würdig an.

Am gleichen Orte S. 1—46 schildert auf archivalischer Grund- lage C. F. Bauer die Schicksale der evangelischen Landschafts- schule in Linz von ihrer Begründung (1550) bis zu ihrer durch. roheste Gewalt 1629 herbeigeführten Aufhebung. Ihr Aufkommen zeigt, wie der dem Humanismus und der Reformation verdankte Auf- schwung des Schulwesens auch Österreich zugute kam.

K. Schellhaß, Zum richtigen Verständnis der Brucker Religionspacifikation vom 9. Febr. 1578, sucht gegen Loserth (in MJOG. XVIII, 1897) nachzuweisen, daß die bei Hurter Ferd. II, S. 619—622 Nr. 31 abgedruckte bezügliche Aufzeichnung keine Fälschung des Hofvizekanzlers Wolfgang Schranz gewesen sei. Auch wenn das zutrifft, ist damit doch Loserths Behauptung, daB Schranz.

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bestechlich und als Denunziant berüchtigt gewesen sei, nicht wider- legt. Quellen u. Forsch. aus ital, A. u. B. XVII, 2 S. 266—277.

Schweiz. Aus den „Zwingliana, Mitteil. z. G. Zwinglis und der Ref.“, herausg. vom Zwingliverein in Zürich, vermerken wir: 1922, Nr. 1 (Band 4, Nr. 3), S. 65—84 eine eingehende gelehrte Unter- suchung von F. Jeo klin über den „Sinn des Cy mbalum mundi von Bonaventura des P£riers“, einer 1538 in Paris erschienenen Spott- schrift gegen Calvin. Das Cymbalum mundi (= „Weltreklameglocke“) bleibt denkwürdig, weil es in den Jahren der großen Scheidung der Geister „die Stimme eines der ganz seltenen Humanisten darstellt, die offen zur Skepsis übergingen“. Ebendort S, 82—84 weist der Nämliche nach, daß die sog. Ilanzer Artikel von 1521 („Artikel gemeyner dry pünthen“), dienach Wernle eine Kopie des zweiten Artikelbriefes von 1526 sein sollten, vielmehr teilweise eine Ueber- arbeitung der ursprünglichen Fassung darstellen. Im Anschluß daran prüft J. R. Truog S. 84—90 die Entstehungszeit der 1523 vom Obern- und Zehngerichtenbunde nebst Chu” usw. aufgestellten wirk- lich ersten Artikel, im Zusammenhang womit sich für Comanders Amtsantritt in Chur und damit gleichsam als Geburtsstunde der Reformation in Graubünden der 24. Februar 1523 ergibt. S. 90—92 weist A. Bonomo auf Spuren von zwei Selbstlebens- beschreibungen Bullingers in einer Hs. der Züricher Zentralbibl. hin. Das Heft bringt endlich eine Kopie eines Miniaturbildes Oeko- lampads, über das Joh. Fickers bezügl. Aufsatz in Zw. 1921, Nr. 1, S. 4 ff. zu vergleichen ist.

1922, Nr. 9 (Bd. 4, N. 4) S. 97—111, fortgesetzt und beendet 1923, Nr. 1, S. 129—144 und 1928, Nr. 2, S. 161—178, behandelt J. Wipf Michael Eggenstorffer, den letzten (32) Abt des (Benediktiner-)Klosters Aller Heiligen und die Anfänge der Refor- mation in Schaffhausen. E, seit 1501 Abt, früh der Reformation geneigt, hat letzterer Tür und Tor geöffnet, endlich selbst die Abts- würde niedergelegt, geheiratet und als einfacher Bürger in Schaff- hausen gelebt (1 1552). Die Dokumente, auf die sich die Darstellung stützt, sind mitgeteilt, In Zwingliana 1922, Nr. 2, S. 125—128 gibt ferner R. Hoppeler nach Materialien des Züricher Staats- archivs Lebensnachrichten über den Embracher Stiftsherrn Niko- jaus Engelhard, der sich Anfangs der 20er Jahre der Züricher Reformbewegung anschloß. Ebenda 1923 Nr. 1 (Bd, IV, Nr. 5) 8. 145—152 gibt A. Corrodi-Sulzer ebenfalls nach Züricher Archivalien Beiträge zur Biographie des Berner Pfarrers Joh. Haller aus d. J. 1547—1550. Auf ein neu zum Vorschein ge- kommenes Kollegienheft eines Zuhórers Biblianders, das eine wertvolle Ergänzung zu den vorhandenen bildet, macht Else Gut- knecht S. 154 aufmerksam. In den Miscellen S. 155f. äußert sich W. K(öhler) zu der (von ihm geteilten) Behauptung G. Stuhl- fauths, daß Joh. Fabri von Leutkirch Dominikaner gewesen sei.

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1923, Nr. 2 (Bd. IV., Nr. 6) ist G. Meyer von Knonau zum 80, Geburtstag (5. VIII. 1928) gewidmet und mit einem Bilde des Gefeierten ausgestattet. S. 174—188 untersucht A. Corrodi- Sulzer Zwinglis Vermögensverhältnisse und zeigt, gestützt auf die Vogtrechnungen für Zwinglis Kinder 1589—1549, be- sonders die erste, entgegen der landläufigen Annahme, daß Zwingli Frau und Kindern ein immerhin ausehnliches Erbe, dessen Größe nach heutigem Geldwert allerdings genau nicht zu bestimmen ist, hinterließ. Persönlich nicht reich, hat er das ansehnliche Vermögen seiner Frau und Kinder als guter Hausvater verwaltet. Ein genaues Inventar des Zwingli'schen Nachlasses (einschließlich des Hausrats) ist S. 180 bis 182 mitgeteilt. Daß Bullinger die Witwe und die Kinder in sein Haus aufgenommen habe, scheint spätere, unbegründete Tradition. Als Beitr. zur Reformationsgesch. von Valendas bei Ilanz druckt E. Kamenisch S. 188—192 einen ,Spendebrief" von 1536 ab. Heft 1924, Nr. 1 (Bd. IV., Nr. 7) ziert die Abbildung eines dem Zwinglimuseum geschenkten zeitgenössischen Olbildes Melanch. thons nach dem Dürerschen Stich von 1526 (vgl. S. 193 f.) S, 191—911 bringt D. Fretz urkundliche Mitteilungen zur Lebens- geschichte des Chronisten Bernhard Wyss (1463—1581). S. 911—218 behandelt E. Bernoulli Joh. Fries d. A., Petrus Dasypodius (Hasenfratz) und Aeg. Tschudi als musikfreundliche Humanisten.

Die Anfänge der Reformation in Freiburg i. U. (1523—1525) schildert A. Büchi, Peter Grod und der Ausbruch der Reform- bewegung in Fr., in Z Schw. Gesch. 18 (1921) S. 305—323.

K. GauB, Therwil und Ettingen in der Zeit der Reformation und Gegenreformation (Basler Jahr b. 1925, S. 107—162) schildert das gegenreformatorische Wirken des Bischofs J. Chr. Blarer.

Niederlande. Über den Leidener Buchdrucker Jan Seversz, der, als erstes Opfer der von Karl V. eingerichteten Zensur, 1524 wegen einer von ihm gedruckten reformatorischen Schrift („Summa der godliker scriftenen oft een duytsche Theologie“) zur Ver- mögenskonfiskation und Verbannung verurteilt wurde, handelt M. E- Kronenberg, Lotgevallen van Jan Seversz, Boekdrukker te Leiden (ca. 1502—1534) en te Antwerpen (ca 1527—1580). SA. aus Het Boek, Jan. 1924 (S'Gravenh. Nijhoff 1924).

Polen. In D. wiss. Zeitschr, f. Polen, Heft 4, S, 1—26 stellt Th. Wotschke die Beziehungen Hzg. Albrechts von Preußen zu dem führenden poln. Magnaten Graf Andreas Gorka dar.

Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.

Die Ablasspredigten des Leipziger Domi- nikaners Hermann Rab (1504-1521). II.

Von D. Georg Buchwald.

Daß den Zuhörern die Ueberzeugung von der Not- wendigkeit der Buße beigebracht wird, ist so wichtig, daß der Prediger sich auch in den folgenden Predigten ausführ- lich damit beschäftigt. Zunächst veranlaßt ihn das Evan- gelium des nächsten Tages von den bösen Weingärtnern (Matth. 21, 33 ff.) zu folgender Anwendung des Gleichnisses: „Meine Liebsten, ihr und eure Seele seid der Weinberg, den der Herr mit eigner Hand gepflanzt hat, den kein Engel, kein Mensch, keine Kreatur zu pflanzen vermag. Und in diesem Weinberg pflanzt er Weinstöcke, nämlich den Verstand, das Gedächtnis und den Willen, die vernünftige und mensch- liche Früchte bringen sollen. Diesen Weinberg umgab er mit einem Zaun d. h. mit der Macht der Engel. Auch grub er darin die Kelter des göttlichen Wortes oder des Gesetzes Gottes, das die Seele nötigt Frucht zu bringen und die gute Frucht des Werkes auszupressen, und er baute den Turm unsres Glaubens, von dem wir in das ganze Land des oberen Lebens und in die Strafe der Hölle schauen können. Seht, meine Liebsten, diesen Weinberg tat er uns gleichsam als den Weingürtnern aus, damit wir Frucht bringen zu seiner Zeit d. h. zur Zeit der Gnade. Darum ist’s an uns, zu arbeiten und diesen Weinberg zu bebauen. Denn wenn der Weinberg nicht gebübrend bebaut und die Weinstöcke nicht ordentlich beschnitten und die Steine und das Gestrüuch nieht beseitigt werden, gibt's keinen guten Wein, sondern wilde Reben. Jetzt müssen wir naturgemäß im Weinberg arbeiten, die Weinstöcke beschneiden, die Erde umgraben und alles Ueberflüssige beseitigen. Und gerade jetzt ist die Zeit da, da ihr arbeiten und die Steine herauswerfen sollt, die während des ganzen Jahres in euren Weinberg ge- kommen sind. Sonst, wenn ihr’s nicht tut, werdet ihr das ganze Jahr hindurch keine Frucht guten Weins bringen können. Darum ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes

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nicht vergeblich empfangt. Denn Christus, euer Heiland, ist da, euch zu helfen und gänzlich euern Weinberg zu erneuern. ‘Yr must aber den Garten vor erst reynigen, die steyn und die poßen reben zuhauffen pynden’ durch wahre Reue und sie dann völlig hinauswerfen durch wahre, mündliche Beichte, wenn ihr der Vergebung eurer Sünden und der Gnade des aller- heiligsten Jubelablasses teilhaftig werden wollt“. Und nun erweist der Prediger die Notwendigkeit der Beichte zunächst aus dem Gesetze der Natur.

Das natürliche Gesetz erweist die Notwendigkeit der Beichte dreifach: in Hinsicht auf die Leitung, auf die Er- zeugung und die Heilung’), Zu 1: „Das natürliche Gesetz leitet den Menschen zu allem, was ihm zum Heil der Seele nötig ist, und lehrt ihn, daß von Natur Gott über alle Dinge zu lieben ist. Gegen dieses Licht der Natur handelt der Sünder, indem er Gott die Ehre versagt und die Liebe, die Gott allein gebührt, auf die Natur überträgt. Es entspricht weiter dem Gesetze der Natur, daß jeder, soviel er vermag, für die Erhaltung seines Lebens und Seins arbeitet und alle Hindernisse überwindet. Darum sagt man gemeiniglich: ‘der krank, der werd gern gesund’. Gegen dieses Gesetz handeln die Sünder; denn sie töten ihre Seele; ja, so oft der Mensch eine Todsünde begeht, hängt er sich an dem Galgen der Hölle auf.“ Daraus ergibt sich, „daß es auch dem Gesetze der Natur entspricht, daß der Mensch alles haßt, was ihn an der Liebe verhindert, und alles sucht, was seine Seele lebendig macht“. Das geschieht aber in der Beichte. Zu 2: Zur Erzeugung gehören zwei oder drei. Fehlt eins, so tritt die Erzeugung nicht ein. „Zur Gerechtmachung ge- hört Gott, das Verdienst Christi, der Priester und der Sünder.“ Das kann aber nicht geschehen ohne die Beichte. Zu 3: Wenn der Kranke gesund werden will, muB er seine Wunde aufdecken. Mithin muß auch der Mensch alle seine inneren Wunden dem Beichtvater offenbaren.

Die folgende Predigt erweist die Notwendigkeit der Beichte aus dem góttlichen und evangelischen Ge- setz, indem sie vom Tagesevangelium (Luk. 15, 11ff.) aus- geht: Alle menschliche Beredsamkeit vermag nicht die Größe der Barmherzigkeit Gottes genügend zu preisen. Sie offen- bart sich im Gleichnis vom verlorenen Sohn. „Darum er- mahne ich euch, meine Liebsten, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget; denn seht, mit ausgebreiteten Armen ist jetzt der Herr am Kreuze bereit zur Barmherzig- keit und hat alle Quellen seiner Barmherzigkeit aufgetan und

1) ratione directionis, productionis et sanationis.

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will euch wieder in den früheren Zustand der Nenheit ver- setzen und euch das erste Kleid reichen. Aber dazu ist nötig, daß ihr zuerst umkehrt, indem ihr euch selbst demütig erkennt, über eure Stinden weint und in der Beichte nach- sprecht: Vater ich habe gestindigt in den Himmel und vor dir!“ Auch das göttliche und evangelische Gesetz fordert solches. Zum Beweise hierfür zieht der Prediger Luk. 17, 14 an, da Christus zu den Aussätzigen spricht: „Gehet hin und zeiget euch den Priestern!“ Christus versprach Petrus die Schlussel des Himmelreichs und fügte hinzu: „Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein; und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.“ (Matth. 16, 19; 18, 18) und nach seiner Auferstehung sprach er zu den Jüngern (Joh. 20, 23): „Welchen ihr die Sünde erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Da- mit hat Christus das Sakrament der Buße und Beichte ein- gesetzt und die Beichtväter bestellt. Die Apostel und ihre Nachfolger sind zu Richtern über die Seelen und die Gewissen eingesetzt. Dann aber müssen sie auch alles klar und deutlich erkennen. Mithin müssen die Sünder alle ibre Sünden dem Priester offenbaren.

Es entsteht weiter die Frage: „Wann oder wie oft ist das nötig?“ Mit ihrer Beantwortung beschäftigt sich die folgende, am Sonntag Okuli gehaltene Predigt. Auch sie geht vom Tagesevangelium (Luk. 11, 14 fl.) aus. „Gestern habt ihr von mir gehört, wie groß die Barmherzigkeit Gottes sei, daß, wenn alles sich in Zungen verwandelte, sie diese doch niebt zum Ausdruck bringen könnten. Aus dem heutigen Evangelium aber können wir schließen, wie groß die Bosheit der Teufel ist. Denn wie alles Streben Gottes und Christi dahin geht, dass alle Menschen selig werden, so das ganze Streben des Teufels, der umherschleicht wie ein brüllender Löwe und suchet, wen er verschlinge (1. Petri 5, 8) dahin, daß er den Menschen, sobald er zum Gebrauche der Ver- nunft kommt, in seine Schlipgen einfängt. Unter tausend mal tausend wird kaum einer gefunden, der jenen Schlingen zu entgehen vermag. So liest man im Leben der Altväter: Der hl. Antonius sah in einer Vision auf der ganzen Welt Strieke gelegt. Als er den Herrn fragte: Wer, meinst du, kann diesen Stricken entgehen? antwortete dieser: die Demut!) Aber, wenn wir aueh tausendmal fallen, immer

!) Vitae patrum V. 15. Migne PL. LXXIII, 953. Leg. aur. 106. Diese Geschichte wird außerordentlich oft zitiert. Auch von Luther W. A, 47, 599,

11*

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ist der so barmherzige Gott bereit uns wieder anzunehmen und immer, so lange wir leben, ist der Quell der Barm- herzigkeit offen. Aber wir können nur auf dem Wege der Buße zu ihm gelangen, ünd dieser Weg ist nie in diesem sterblichen Leben verschlossen. Manche Ketzer wollen sie freilich beschränken und sagen, die Buße dürfe nicht wieder- holt werden. Das ist falsch und ketzerisch. Aber freilich der Zugang zur Barmherzigkeit steht immer nur offen durch Buße, Reue und Beichte, wie ich das aus natürlichem und göttlichem Gesetz nachgewiesen habe. Nun könnte aber jemand zweifeln und fragen: „Wie oft oder wann ist dies nötig?“ Der Prediger antwortet: Es gibt eine zweifache Beichte, eine innere und eine mündliche. Die innere geschieht vor Gott und ist wie die Reue stets nötig. Die mündliche geschieht vor dem Menschen. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus der Sünde des Menschen oder aus der Satzung der Kirche. Was das Erstere anbetrifft, ist der Mensch ge- bunden zu beichten, so oft er eine Todsünde begangen hat diese Beichte bis zur Sterbestunde aufzuschieben, ist gefährlich —, so oft er das hl. Abendmahl genießen will, falls er in einer Todstinde ist, und so oft ihn sein Ge- wissen drängt, besonders wenn ihm ein Beichtvater zur Ver- fügung steht und die Zeit gelegen ist. Was das Letztere anbetrifft! so hat die Kirche ihre Satzungen aufgestellt um der Not derer willen, die der Beichte bedürfen, wegen der würdigen Vorbereitung zum Abendmahl in der Osterzeit und um der Unterscheidung willen, damit die Hirten die Herde unterscheiden können, auf daß nicht Wölfe sich unter die Schafe mischen uud das Osterlamm verzehren.

Von dem Beichtgebot gibt es keinen Dispens. Das setzt die nächste Predigt auseinander. Aus dem Evan- gelium Luk. 4, 23 ff. ist zu ersehen, daß dort Christus wegen des Mangels der notwendigen Voraussetzungen“) bei seiner Umgebnng kein Wunder tun konnte und wollte. Das Wunder der Gerechtmachung kann nur bei denen geschehen, die alles entfernen, was die Voraussetzungen dieses Wunders im Menschen verhindert. Das geschieht aber in der Beichte. ,Aueb der höchste Priester könnte euch keinen Dispens er- teilen, daB ihr ohne sakramentale Beichte Vergebung der Sünden erlangte.“ Ja, „der höchste Priester samt allen Kardinälen und dem Konzil könnte euch nicht dis- pensieren oder solche Briefe erteilen, daß ihr nicht zu beichten brauchtet. Denn die Beichte ruht auf göttlichem Gesetz. Der höchste Priester aber hat

1) propter indispositionem.

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dieses nicht gegeben, sondern ist dessen Diener. Wie er nicht vom Sakrament der Taufe oder den Artikeln des Glaubens dispensieren kann, so auch nicht von der Beichte.“ „Fragt man aber, wer denn den vielen Hurern, Ehebrechern, Neidischen Dispens erteile, die entweder gar nicht oder nicht recht beichten, so antworte ich kurz: jener Teufel schickt seine Boten tiber die ganze Erde und erteilt solchen Dispens. Aber er verkauft seine Briefe und seinen Dispens sehr teuer, nicht für einen halben oder ganzen Gulden, sondern für die wertvolle Seele, die Christus mit seinem teuern Blut erlöst hat, und kümmert sich sonst um nichts, wie wir lesen 1. Mos. 14, 21, wo der König von Sodom spricht: Gib mir die Seelen, die Güter behalte dir!“ |

Der Prediger kommt nun auf das Zweite zu sprechen, was er in der 12. Predigt angekündigt hat, auf die Voll- ständigkeit!) der Beichte, d. h. auf die ihr nötigen Eigen- schalten. Vor dem Tagesevangelium (Matth. 18, 15 ff.) sagt Cbristus (V. 11), weshalb er in die Welt gekommen sei: uns zu suchen und unsere Krankheit und Schwäche hinweg- zunehmen. Aber damit sich nicht begntigend hat er auch jedem Menschen aufgetragen, seinen Bruder durch brüder- liche Zurechtweisung zu suchen. Das soll aber nicht will- kürlich geschehen und zu einer Ausforschung werden. In- sonderheit hat Christus dem hl. Petrus und seinen Nachfolgern und den Priestern aufgetragen, die Brüder zu suchen, nicht nur sieben, sondern siebenzig mal sieben mal. „Siehe, wie sehr sucht uns Christus, ‘ader?) eD ist von noten, wir musDen uns lasßen fynden mit eyner rechten waren rew und wol- geschickten peicht und pußfertigen leben, als dan wen ewer zweyn d. h. der Priester und du miteinander eins werdet und ihr seid versammelt, so ist Christus in eurer Mitte und was ihr bitten werdet, wird euch geschehen. Daß aber die Beichte von rechter Eigenschaft ist, dazu gehört zuerst, dab sie durch die Liebe geregelt ist, d. h. daß du beichtest, nicht nur, weil die Kirche es gebietet oder aus Furcht vor Strafe oder um nicht verachtet zu werden, sondern daß du es tust aus reiner und aufrichtiger Liebe und mit großer Reue des Herzens und Verschmähung aller Sünden und daß du alles vollständig mit allen beschwerenden und erleichternden Umständen sagst. Sonst nützt dir die Beichte nichts, Denn der Priester sitzt da an Christi Statt als Arzt, und weil Christus nur den ganzen Menschen

1) integritas. 2) aber.

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haben will, und wenn du also heilsame Medizin zu empfangen begehrst, mußt du deinem Beichtvater deutlich alle deine Krankheit zeigen. Sonst nimmt dich Gott weder an noch heilt er dich. Ja, wenn du mit Heuchelei oder Verdeckung herzugehst, begehst du eine neue Todsünde und wirst keine Gnade finden, auch wenn du tausendmal an einem Tage beichtetest. Weil aber der Teufel weiß, daß ohne vollständige Beichte die Sünden nicht vergeben werden, bemüht er sich, die Menschen mit höllischen Ketten zu fesseln, zumal in dieser Zeit, und sie an reiner Beichte zu verhindern.“ Da- zu erzählt der Prediger eine Geschichte aus dem Leben der Altväter: Der Teufel erschien einst unter den Büßenden. Als man ihn fragte, was er da täte, sagte er, er stelle wieder her, was er genommen habe, nämlich die Scham. So bindet er gemeiniglich die Leute mit der Scham, daß sie ihre Sünden verdecken.

Nochmals betont der Prediger am folgenden Tage die Notwendigkeit der Vollständigkeit der Beichte. Das Evan- gelium Matth. 15, 1ff. veranlaßt ihn zunächst von der phari- säischen Urteilssucht zu reden. Wenn das Urteil ein Akt der Gerechtigkeit sein soll, ist nötig, daß es aus Lust an der Gerechtigkeit stamme, daß es auf Grund einer Vollmacht gesprochen und daß es nicht eher gefällt werde, bevor nicht alles erforscht ist. „Wenn wir bei uns selbst Einkehr hielten, würden wir sehen, wieviel Böses dort wohnt, wir wurden wol sehen, was unfer herez vor eyn mortgruben wer, wie mancher ebrecher, unkeusch, zwifach morder da- rynne lege, cleffer, wescher, wucherer, betriger, frawen- schender, strasßen und gasßenrawber usw. Also in Wahr- heit, wenn wir nicht mit den in unseren Herzen verborgenen Räubern gefangen, gefesselt und auf ewig in das höllische Gefängnis geworfen werden wollen, müssen wir sie durch reine Reue und Beichte austreiben, so daß nicht ein einziger zurückbleibt.*“ Zweitens aber muß die Beichte „tränen reich und bitter und mit dem Vorsatz verbunden sein, in Zukunft auf immer von allen Sünden abzusteben, nicht nur in jener heiligen Zeit“. Es gilt Gott nicht nur mit den Lippen zu ehren, wobei das Herz fern von Gott ist (Matth. 15, 8). So tun die, „die nur, um mit den andern kommunizieren zu können und nicht als Ketzer erfunden zu werden, beichten und versprechen, allen Stolz, eitles Wesen und Neid abzu- legen, und im Grunde ihres Herzens nichts davon fühlen“.

Aber weiter gehört zur rechten Beichte der Glaube. Davon redet Rab in der nächsten Predigt, anknüpfend an das Evangelium Luk. 4, 38 fl. Was dort sichtbar geschehen ist, muß bei unserer Heilung unsichtbar geschehen. Die

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Kranken sind unsere Seelen. Diese können ohne den Ein- fluß der Gnade nicht geheilt werden. Christus allein ist der Arst, den Gott der Vater in die Welt geschickt hat, zu heilen und za retten. Dieser Arzt besitzt die Heilmittel gegen alle Krankheiten der Seele. Darum kennt er bei der Heilung keinen Unterschied. Mit gleicher Leichtigkeit heilte er Aus- sätzige, machte er Blinde sehend, Stumme redend und weckte Tote auf. Mit dem allen aber ist die innere Heilung der Seelen angedeutet. Diese aber erlangt nur, wer zu Christus kommt. Das geschieht durch den Glauben: ‘dan wan eyner nicht eyn glauben ader getrawen zu eym artz hat, Do wirt er schwerlich gesundt. Wer also gerecht gemacht, geheilt und erneuert werden will, muß zu allererst glauben; denn „wer zu Gott kommen will, der muß glauben“ und „ohne Glauben ist's unmöglich Gott zu gefallen“ (Hebr. 11, 6). „Der erste Grund eurer Heilung ist, daß ihr glaubt, daB ihr geheilt werden könnt im Blute unseres Heilandes Christi, und dann müßt ihr in Betreff eurer Heiligung und Reinigung ganz gewiß sein.“ „Wenn ihr Vergebung eurer Sünden haben wollt, ist es also nötig, daß ihr den ganz festen Glauben an Gott habt, daß er in diesem Sakrament eure Herzen reinigt, und wenn ihr daran zweifelt, seid ihr noch nicht in der ersten Bereitung zum Empfang der Gnade, auch wenn ihr Reue hättet!) und hättet ge- beichtet, zweifeltet aber, daß ihr Vergebung der Sünde und die Gnade des Jubelablasses empfangen könnt, sei es für euch oder für die Seelen.“ Hierauf geht der Prediger zu der dritten Eigenschaft über, die die Beichte haben muß. Sie muß „diskret und nackt“ sein: „Du mußt dich wohl vorbereiten, alles unterschiedlich zu ordnen und nackt und klar mit allen Umständen zu sagen, nämlich: quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando?) und quotiens. Weitere Ausführungen hierüber fehlen.

In der nüchsten Predigt wird die vierte Eigenschaft der Beichte behandelt. Sie muß demütig und anklagend sein. Das Evangelium Joh. 4, 5 ff. zeigt Christus an der Quelle sitzend, bereit, auf unsere Bitte lebendiges Wasser zu spenden, das die Kraft besitzt, jeden Durst zu löschen. Das ist der ParadiesesfluD, von dem ein Tropfen größer ist als das Meer. Einen Tropfen aus diesem Fluß hatte Paulus empfangen und er wandelte sich aus einem Wolf in ein

1) gi essetis attriti.

N Diese Zusammenfassung der philosophischen Kategorien stammt also nieht erst von dem 1791 gestorbenen Philosophen Joachim Georg Daries.

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Lamm —, Matthäus und er wurde aus einem Räuber zu einem Verächter des Reichtums —, Maria Magdalena und er tilgte in ihr alle Schwelgerei, so daß aus einem schwarzen Raben eine weiße Taube wurde. Weder zeitliche oder fleisch- liche Gtiter noch Ehren können den Durst der Seele löschen. Mit dem Golde kommt die Furcht es zu verlieren und die Sorge, es zu bewachen. Die Fleischeslust gleicht der Hydra: wird ibr ein Haupt abgeschlagen, so wachsen drei andere (Ovid, Metam. 9, 69 ff). Ehren sind Schatten und Eitelkeiten. „Darum ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget. Denn der Herr ist bereit, euch das Wasser der Gnade zu spenden, das eure Seelen satt machen kann.“ Christus sitzt in eurer Mitte am Brunnen der Barm- herzigkeit. „Aber ihr müßt das Gefäß offen und in Bereit- schaft haben; denn Gott gießt diesen kostbaren Schatz nur in ein gereinigtes Herz; das aber kann nur geschehen durch reine Reue und wahre Beichte, die, wie ihr gehört habt, vollständig, von gutem Vorsatz begleitet, diskret und nackt. sein muß. Aber das genügt noch nicht. Es muß als vierte Eigenschaft hinzukommen, daB sie demütig und anklagend ist. Sie muß mit demütigem Herzen geschehen und diese Demut mußt du bekunden in Wort, Kleidung, Auftreten und mußt dich fürchten vor Heuchelei. Du mußt in Demut dieh beschuldigen und Barmherzigkeit erwarten, aber dich in deinen Stinden nicht entschuldigen mit deiner Natur oder mit deinem Umgang. So tat Adam, der seine Sünde auf das Weib und auf Gott schob, das Weib aber auf die Schlange. So tun heute noch viele, die sich mehr bemühen sich zu entschuldigen als sich zu beschuldigen und die Schuld auf Gott schieben, daß er sie so schwach geschaffen habe, oder auf den Teufel und seine Versuchung, oder auf den Nächsten und seine Verführung. Das ist alles falsch. Denn bei allen deinen Handlungen hast du einen freien Willen, ja gegen dein Gewissen bist du nicht verpflichtet zu gehorchen dem Gatten oder der Gattin oder deinen Oberen oder deiner Gesellschaft, in allem mußt du Gott mehr gehorchen als den Menschen. Darum darfst du, wenn du’s vermeiden kannst, in der Beichte keine Person nennen; denn nicht anderer, sondern deine Sünden sollst du beichten!)."

Mit der folgenden Predigt schließt Rab ab, was er über die Beichte zu sagen hat. Er geht aus von dem Evangelium Joh. 8, 1 fl. Die Pharisäer glauben, daß der Herr ihnen nicht ausweichen kann. Spricht er das Weib schuldig, so

1) Vgl. Geffcken, Der Bilderkatechismus des 15. Jahrh. usw. Leipz, 1855, Beil, S. 10.

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ist er unbarmherzig. Spricht er sie frei, so handelt er gegen das Gesetz Mosis. Schweigt er, so ist er feig. Aber sie vermügen doch nichts gegen ihn. Er lehrt das Gesetz halten, er erweist sich barmherzig. So gehen sie beschämt einer nach dem andern hinweg. So standen die Pharisüer am Brunnen der Gnade und erkannten ihre Sünden, erlangten aber doch keine Barmherzigkeit, weil ihr Herz von Stolz, Neid, Heuchelei und Zorn erfüllt und verhürtet war. Aber der Ehebrecherin gewührte er volle Verzeihung und Ver- gebung aller ihrer Sünden und legte ihr keine Buße auf, sondern entließ sie erbarmungsvoll, weil sie vor allem Volk in tiefster Reue Buße getan hatte. „Darum, meine Liebsten, ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht ver- geblich empfanget; denn dazu ist der Herr in den Tempel gekommen. Mögen auch, wie ich nicht zweifle, einige Pharisäer sein, die Gottes Werk und Barmherzigkeit schmähen, so wird doch Gott der Herr nicht aufhören, den Quell der Barmherzigkeit denen offen zu halten, die darnach verlangen. Aber nun will ich beschließen, was ich von der Beichte zu sagen hatte. Wenn ihr so, wie ich gesagt habe, mit wahrer Herzensreue, mit demiitiger, vollständiger, anklagender Beichte zum Gerichte der Barmherzigkeit Gottes unter dem Kreuze kommt, dann verspreche ich von Gott dem Allmächtigen aus, daß alle eure Stinden, mögen sie auch noch so schwer und groß sein, vor diesem Richterstuhl getilgt werden, daß Gott ihrer jetzt und in Ewigkeit nicht mehr gedenken wird. Ja sie müssen mit zum Guten wirken, weil denen, die Gott lieben, alles mitwirkt, insoweit ihr jene durch die Kraft und das Sakrament der Buße und das Verdienst Christi getilgt habt, so daß kein Teufel sie in Ewigkeit mehr wissen wird.“ Zuletzt erzählt der Prediger die Geschichte von einer Römerin, die von ihrem eigenen Solme empfangen hatte und aus Scham es nicht beichtete!).

Die Predigt von Sonntag Lätare bildet den Uebergang zu der Darstellung des dritten Stückes des Bußsakraments, der Genugtuung. Die Kirche will in der Fastenzeit zu Werken der Buße veranlassen, um die Gläubigen auf den Weg des Heils zurückzuführen und in ihnen die alte Ge- sundheit wieder herzustellen. Bisher ist von der Reue und Beichte die Rede gewesen. Nun ist noch von der Genug- tuung zu sprechen. „Alles, was heute in der Kirche ge-

1) Ex rosario de utilitate confessionis. Gemeint ist wohl „Der beschlossen gart des rosenkrantz Marie“. Vgl. Hasak, Der christliche Glaube des deutschen Volkes beim Schlusse des Mittelalters. Regens- burg 1868. 8. 298 ff.

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handelt wird, stellt Freude dar, So durch das ganze Amt der Messe. Im Introitus heißt es (Jes. 66, 10): Freue dich, Jerusalem! und im Evangelium ist die Rede von der freudevollen Erquickung der Menschen. Heute bringt auch der höchste Priester eine gewisse Freude in besonderer Weise zum Ausdruck mit der goldenen Rose, die er in der Prozession trügt, in der Moschus und Weihrauch sich birgt!), und erteilt den Segen über alle, die durch das rote Meer aus Egypten gezogen sind, d. h. die Reue empfinden und gebeichtet haben und auf dem Wege zur Genugtuung sind, damit sie mit Freuden den Weg der Wanderung ins hl. Land vollenden. Wir sollen uns also heute freuen um dreierlei Dinge willen: erstens wegen der Tilgung aller Sünden, die getilgt sind durch das Verdienst des Leidens Jesu Christi und abgewaschen durch sein Blut, weil Gott ihrer jetzt und in Ewigkeit nicht mehr gedenken will, wie Ezechiel (18, 22) spricht: 'Es soll aller seiner Uebertretung, so er begangen hat, nicht gedacht werden’. Siehe, sie sind getilgt aus dem Gedüchtnis und dem Buche Gottes jetzt und ewiglich, ja Gott versetzt uns wieder in den früheren Zustand und die Paradiesespforte isí uns wieder aufgetan. Sie sind aber auch getilgt aus den Büchern der Engel, die alle solche Taten sorgfältig aufgeschrieben haben und zu diesem Zwecke uns beigegeben sind. Heute aber sind aller Bücher ver- bessert, durch die wahre Buße sind alle Sünden getilgt, darum ist große Freude auch im Himmel; denn wenn dort Freude ist über Einen Sünder, der Buße tut (Luk. 15, 7), so auch tiber die zahllosen Tausende von Beichtenden. Sie sind aber auch getilgt aus dem Buche unseres Feindes, der alles, auch das Kleinste, aufs Sorgfältigste aufzeichnet?). Nun sind sie aber getilgt durch die wahre Buße, so daß er sich auf keine mehr besinnen kann. Dazu wird die Geschichte von einer Vision Augustins erzählt“). Zweitens dürfen wir uns freuen wegen der Gewißheit und Erleichterung, die unser Gewissen erfahren hat. Drittens sollen sich heute ganz besonders alle freuen, die sich dieses allerheiligsten Jubel- ablasses teilhaftig gemacht haben, weil sie nicht nur von der Schuld, sondern auch von der Strafe befreit worden sind.

Im Eingange der folgenden Predigt geht Rab vom Tages- evangelium (Joh. 2, 13 ff.), der Tempelreinigung aus. Wenn Christus jenen Tempel in so hoher Ehre gehalten haben wollte, welche Ehre fordert er für den Tempel, in dem er nicht nur ein- oder zweimal, sondern immer kommt, wenn

1) Vgl. RE? 17, 143 f. 5) Vgl. Weim. Ausg. 82, 174, 12. ) Entnommen dem rosarium de utilitate confessionis.

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das heilsame Sakrament konsekriert wird! Ja, da kommt er mit seinem ganzen himmlischen Hofe. „Darum ermahne ich euch, meine Liebsten, sehet zu, daß ihr vorsichtig hier- ber kommt, damit ihr nicht, wo ihr Verzeihung und ver- gebung der Sünden empfangen sollt, Sünden begeht, um deren willen ihr wert wäret, daraus vertrieben zu werden.“ Nun ist noch nötig vom Wege der Genugtuung zu reden, die zur Reue und Beichte hinzutreten muß. Zum Beweise dafür beruft sich der Prediger erstens auf Augustin): „Es genügt nicht, nur die Sitten zu verbessern und von den alten Sünden abzutreten, wenn nicht auch betreffs des Ge- schehenen Gott Genugtuung geleistet wird durch den Schmerz der Buße, durch das Seufzen der Demut, durch das Opfer eines reuigen Herzens unter Mitwirkung von Almosen und Fasten“, zweitens auf die Ordnung der göttlichen Ge- rechtigkeit: „Denn wenn Gott die Sünden nicht strafte, würde folgen, daß Gott ungerecht wäre“. Das zu sagen ist aber ein Irrtum und wäre gegen die hl. Schrift. Das Maß der Strafen richtet sich nach dem Maße der Schulden, ja, die göttliche Gerechtigkeit fordert, daß sie die Gerechten belohnt und die Ungerechten bestraft. Deshalb ist Genugtuung nötig.

Die nächste Predigt geht von der Frage aus, wie es komme, daß man so sehr um das Wohl des Leibes und so wenig um das Wohl der Seele besorgt ist. Es kommt da- ber, daß der Mensch den Wert der Seele nicht kennt. Das Tagesevangelium (Joh. 7, 23 fl.) zeigt, daß Jesus niemand am Leibe heilte, bevor er nicht die Seele gesund gemacht batte. Damit wollte er uns lehren, zuerst die Gesundheit der Seele zu suchen. Den Wert der Seele erkennt man an dreierlei: an ihrer Bewachung, an ihrer Erlösung, an ihrer Verherrlichung. Zu 1: Je edler ein Ding ist, um so sorg- fältiger wird es bewacht. Nichts wird so bewacht wie die menschliche Seele. Gott gab ihr den Nächsten zum Wächter, dem er brüderliche Zurechtweisung befahl, aber auch be- sonders geistliche und weltliche Obere (Ezech. 33, 7 ff.), und zudem den Schutz der Engel, so daß jeder Mensch von Geburt an seinen besonderen Engel hat. Endlich bewacht auch Gott selbst die, die ihn lieb haben. Zu 2: Wir sind nieht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst, sondern mit dem teuren Blute Christi (1. Petri 1, 18 f.): „frage ihn, wenn du unter dem Kreuz stehst: O du Guter, warum hängst du da durchbohrt, mit ausgebreiteten Armen und Beinen, und dein Herz wird verwundet? warum weinst du? warum

1) Sermo 351. Migne PL XXXVIII, 1549. Vgl. Decr. II. 8. dist. 1. c, 68.

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betest du? Und er wird antworten: Ich bin zu dem Kreuz gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war.^ Zu 3: Gott hat der Seele bereitet, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehürt hat usw. (Jes. 64, 4; 1. Kor. 2, 9). „Aber, meine Liebsten, zu dieser Herrlichkeit wird niemand kommen können, der nicht ganz gesund gemacht worden ist. Denn der Herr will in seinem Reiche keinen Kranken oder Unreinen haben. Darum ist es nötig, daß ihm zuvor Ge- nugtuung geleistet wird und wir völlig gereinigt werden, sei es hier durch Genugtuungswerke, sei es anderwärts durch die Fegefeuerstrafe.“

Auch die folgende Predigt führt die Darstellung noch nicht weiter. Das Tagesevangelium Joh. 9, 1ff. zeigt, daß, wenn wir nicht erleuchtet werden, dies nicht an Gott, sondern an uns liegt: wir nehmen das Licht nicht auf, weil wir unsere Fenster verschließen, sei es aus Vorsatz oder aus Nachlässigkeit, weil wir den Weg Gottes nicht kennen. Aber auch Unkenntnis entschuldigt nicht. „Darum ermahne ich euch, meine Liebsten, daß ihr die Gnade Gottes nicht ver- geblich empfanget. Ihr seid nun von Christus durch mich erleuchtet worden, wie ihr gehalten seid, für eure Sünden Genugtuung zu leisten. Geschieht das hier nicht vollständig, so werdet ihr im Fegefeuer zu büßen haben. Das muß uns bewegen hier Genugtuung zu leisten; denn nicht Gott, sondern ihr seid daran schuld, wenn ihr's versáumt. Und dazu dienen aueh die apostolischen Briefe. Denn, wie wir lesen, steht nur dreierlei Menschen der Himmel unmittelbar offen: denen, die eben getauft sind, den Mürtyrern und den Vollkommenen, nämlich allen, die in Wahrheit Bufe tun, nämlich die Buße erfüllen.“

Zu den Werken der Barmherzigkeit, die zu den genugtuenden Werken gehören, führt das Evangelium des nüehsten Tages von der Auferweckung des Jünglings zu Nain (Luk. 7, 11 ff). „Darin hat er uns sicher lehren wollen, wie sehr wir alle geneigt sein sollen, mit unsern Nächsten Mitleid zu empfinden so, daß wir deren Elend gewissermaßen uns ins Herz prägen und es mit der Liebe, als wäre es das eigene, vertreiben, und dazu hat er uns auch die ganze Kreatur als Vorbild vorgestellt. Denn der Himmel samt allen Sternen müht sich unsere Mängel zu vertreiben in dieser ganzen Zeit, die Sonne am Tage, der Mond mit den Sternen bei Nacht. Und wieviel Elend vertreiben Feuer, Luft, Wasser und Erde! Ja alle Tiere öffnen uns in ge- wisser Weise ihre Barmherzigkeit und lehren uns und rufen uns auf zur Barmherzigkeit und zum Mitleid.“ Diese Werke aber stellen Genugtuung für die Sünden dar, verdienen

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das ewige Leben, und wir sind zu ihnen verpflichtet durch góttliches Gebot. Dreierlei genugtuende Werke stellen die Lehrer auf: Gebet, Fasten und Almosen. Letztere sind Gott besonders angenehm. Denn wer Almosen gibt, verpflichtet den Empfänger zum Gebet uud zum Fasten und anderen guten Werken für ihn, und sicherlich leisten zwei oder drei mehr Genugtuung als einer. Ferner ist das um Gottes willen gespendete Almosen wie ein Opfer: ein Opfer aber hat Gebetskraft; wieviel du also Almosen spendest, so viel Gebete tust du und so viel Beter bestellst du für dich, ja diese Werke selbst treten für dich vor das Angesicht des Hóchsten, daher gibt Daniel (4, 24) dem König den Rat: „Mache dich los von deinen Sünden durch Wohltat an den Armen.“ Jene Werke verdienen aber auch das ewige Leben naeh Matth. 25, 34ff. Endlich sind wir zu ibnen verpflichtet durch góttliches Gebot. „Aber, obgleich ihr allen nach Ort und Zeit zu Hilfe kommen müßt, so doch denen vor allem, die in größter Not sind. Ich könnte euch z. B. an die Armen in Livland erinnern, aber ich setze euch jetzt als Beispiel die armen Seelen, die im Fegefeuer gehalten werden, die verstoßen sind in den härtesten Kerker der Genugtuung, wo sie die allerschwersten Strafen leiden. Und diese Strafen werden noch dadurch erschwert, daß sie damit nichts vom Lohne des ewigen Lebens verdienen können, weil sie außerhalb der Grenze des Verdienstes sind. Denn wenn der Mensch stirbt, ist er in dem Zustande, da er empfängt nach seinen Werken und nicht mehr verdienen kann. Ja, auch dadurch wird ihre Pein erhöht, daß sie der Vergessenheit anheim- fallen seitens derer, die sie im Testament bedacht haben, ihrer Freunde und Verwandten. Darum schreien sie ohne Unterlaß mit starker Stimme. Aber seht, jetzt ist euch der Schatz des Verdienstes Christi und der Genugtuung aufgetan und sie sind in der größten Not, ohne sich selbst helfen zu können. Ich weiß nicht, wie ich euch von der Uebertretung dieses Gebotes entschuldigen könnte, wenn ihr ihnen nicht zu Hilfe kommt. Darum ermahne ich euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget.“

In diesen Gedanken fährt die folgende Predigt, an- knüpfend an das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus (Joh. 11, 1 ff.) fort. „Darin will uns Christus lehren, wie herzliches Mitleid wir haben müssen mit den ärmsten Seelen, die im Fegefeuer beschlossen und begraben, an Händen und Füßen gebunden sind, d. h. die sich nicht selber durch gute Werke helfen können, da sie sich außerhalb des Verdienststandes befinden, und die vom heißesten Verlangen

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und Durst nach dem Genuß des ewigen Gutes und dem Wasser des himmlischen Vaterlandes gequält, ja von den Teufeln verspottet werden, weil sie allen diesen Strafen durch das Verdienst des Leidens Christi hätten entgehen können und haben’s nicht getan. Ja auch ibre Füße sind gebunden, daß sie nicht zu uns kommen können, uns ihr Elend mit- zuteilen, ‘und also seyn sie angeschmidt mit henden und fußen und sitzen mitten yn dem höllischen Fewer. Denn dieses Feuer unterscheidet sich vom hellischen Feuer nur durch die Dauer, weil es nicht wie jenes ewig währt, Und dort miissen sie bleiben, bis alles, worauf sie gebaut haben, verzehrt ist.“ Der Prediger führt den letzten Gedanken weiter aus, indem er sich mit 1. Kor. 3, 12f. beschäftigt. „Wir sind alle Bauleute, die Gott den Tempel bauen sollen, in dem er ewig wohnen will, dessen Grund Christus und der Glaube ist. Aber die Bauleute sind dreifacher Art. Manche zerstören diesen Tempel, indem sie in Todsünden leben. Von ihnen spricht Paulus (1. Kor. 3, 17): So Jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben. Andere bauen darauf Gold, Silber und Edelsteine, nämlich das Gold der glühenden Liebe Gottes ihnen ist es leicht alles zu tun, alles zu leiden um Gottes willen —, das Silber der Liebe zum Nächsten und Edelsteine, d. h. die Werke aller Tugenden; und wenn jene auch bisweilen vergebbare Sunden begehen, so ist doch das Feuer der Liebe in ihnen so groß, daß es sogleich die vergebbaren Sünden verzehrt durch Gebete, Wachen, Fasten und Gottesdienst. Andere aber bauen darauf Holz, Heu und Stoppeln. Das sind die, die in der Liebe sind, sich aber so von den weltlichen Dingen, von fleischlichen Gentissen und von Ehren einnehmen lassen, daß, wenn sie auch nicht gegen Gott und die Liebe handeln, ja lieber den Tod erleiden würden, als eine Tod- sünde begehen, sie doch Holz, Heu und Stoppeln aufbauen, d. h. vergebbare Sünden und diese werden selig, aber nur durch das Feuer, sagt Paulus. Darum müssen sie dort sitzen, bis alles Holz, Feuer und Stoppeln verzehrt ist, und, weil sie gebunden sind, können sie dieses Feuer nicht aus- löschen. Aber weil sie uns durch die Liebe verbunden sind und, so lange sie hier lebten, es um uns verdient haben, daß ihnen unsere Werke nützten, liegt es in unserer Macht ihnen zu helfen und dieses Feuer auszulóschen durch die Fürbitten, die für die Verstorbenen geschehen.“

Von der Verführung durch die weltlichen Dinge spricht die folgende Predigt weiter. Aus dem Evangelium Joh. 8, 12 ff, erkennen wir, daß wir das Licht des Lebens für unsere irdische Pilgerfahrt brauchen. Der Weg ist voller Stricke

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wieder wird auf jenes Gesicht des Antonius!) verwiesen. Das wird an den zeitlichen Dingen und ihrer Verführung gezeigt. Wären wir vom göttlichen Lichte erleuchtet, so würden wir erkennen, wie die ganze Kreatur uns zu Gott erheben sollte. Dafür wird ein Beispiel aus dem Leben der Altväter angeführt, wo ein Vater Gott dankt, daß er so viele, unzählige Geschöpfe geschaffen hätte, die ihn lehrten Gott zu loben.

Außerhalb des Zusammenhanges behandelt die Predigt am Sonntag Judika die Frage, ob Jemand noch am Ende seines Lebens Buße tun könne. Im Sonntagsevangelium Job. 8, 46 ff. ist vom Tod die Rede. Es gibt eine Ver- schiedenheit des Todes wie des Lebens: Wie einer gelebt hat, so stirbt er?) Wie das Leben der Gerechten gut, trefflich und lobenswert ist, so ist auch vor des Herrn Antlitz der Tod der Heiligen köstlich (Ps. 116, 15). Der Tod der Sünder aber ist sehr schlecht; denn er ist zweifach, zeitlich und ewig. Darum muß unser ganzes Streben zeitlebens dabin gerichtet sein, daß wir lernen wohl zu sterben, wie ein heiliger Vater sagte, als man ihn fragte, was er in der Wüste tue, er lerne zu sterben. ‘Dan eB jar schwerlichen als das Leben ist, Bo ist auch der todt' „Bei dieser Ge- legenheit frage ich, ob jemand noch am Ende seines Lebens Buße tun könne?“ Rab gibt darauf nach den Lehrern der Kirebe folgende Antwort: ,Gott verleiht jedem die Gnade, der tut, was an ihm ist*), und der sich auf die Gnade be- reitet zu jeder Stunde und in jedem Augenblick, bevor er im Bösen verstrickt ist. Und weil der Mensch auch noch am Ende seines Lebens den Gebrauch des freien Willens haben kann, braucht man an keinem zu verzweifeln, so lange noch die Seele im Leibe ist. Denn wenn der Schächer am Kreuze Gnade erlangte, warum nicht auch andere? Ja, ich halte sogar dafür, daß die Mehrzahl der Menschen durch späte Buße selig werden, die vielleicht in 30 oder 40 Jahren nicht recht gebeichtet haben, aber vielleicht Beicbtbriefe be- sitzen und mit wachsender Hoffnung auf jene Briefe zur wahren Herzensreue durch die Kraft des Sakraments ge- langen. Aber trotzdem, wenn auch die Buße nicht zu spät sein könnte, gelingt es doch selten, daß diese Beichte oder Bufe eine wahre ist. Dafür gebe es viele Gründe, von denen ich nur zwei anführen will: die Leiden, die den Menschen zerstreuen, und die Verführungen durch den Teufel.“ Der

) Vgl. oben S. 163 n, 2. ) Sicut aliquis vixit, ita et morixit. *) cui libet facienti, quod in se est.

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Prediger verweist nun auf die Predigten, die er am 3. Advent 1506 und den folgenden Tagen gehalten hat!). Er wird alse das, was er dort verzeichnet hat, in Torgau wieder ver- wendet haben. Da redet er davon, daß ein Schmerz den andern hindere. Auf der einen Seite fühle der Sterbende den Schmerz der Sünde, auf der anderen den Schmerz des Todes und der Krankheit. Wie sollte er in einer Stunde das Feuer auslöschen, das er während seines ganzen Lebens angezündet habe, und die Knoten der Stinde lósen, in denen er seine Seele verstrickt habe? Die Versuchungen aber, mit denen der Teufel den Sterbenden quält, erstrecken sich auf den Glauben, auf die Hoffnung und auf die Beichte. Der Teufel bringt ihm Zweifel über ein neues Leben oder über die Höllenstrafen oder über die Vergebung der Sünde bei: so versucht er seinen Glauben. Er ficht weiter seine Hoffnung an, daß er daran zweifelt, daß Gott sich seiner erbarmen könne und wolle. Weil die Hoffnung aus guten Werken kommt, ruft der Teufel alle Sünden ins Gedächtnis und macht sie schwerer, erinnert ihn an Gottes Gerechtigkeit, so daß es ihm unmöglich sei bei der Menge seiner Sünden Buße zu tun und vor allem am Ende seines Lebens. Endlich sucht der Teufel den Sterbenden von der Beichte abzuhalten, indem er ihm einredet: du bist noch nicht so krank! Da nimmt er die Aerzte und Verwandten zu Hilfe, die es ver- schmähen den Geistlichen oder Priester zu holen, ‘dan sie lasßen bedunken, si musBen palde sterben, wenn sie beichten ader kommunieirten’?).

Am folgenden Tage, 26. März, wurde die Reihe der Predigten durch die Feier der Verkündigung Mariä unter- brochen. Als Text wählte der Prediger Luk. 1, 38. Das Thema lautet: Dreierlei haben diese Jungfrau für die gött- liche Empfüngnis geeignet gemacht, ihr so krüftiger Glaube, ihre so tiefe Demut und ihre unbegrenzte Liebe.

Die nächsten Predigten stehen in loserem Zusammen- hang mit dem großen Predigtplan. Eigentlich hätte sich schon jetzt die Behandlung des Abendmahls anschließen müssen. Da aber der Prediger sich dies für die Charwoche, für die Zeit unmittelbar vor der Abendmahlsfeier, vorbehalten hat, sucht er sich für die in der Zwischenzeit noch zu haltenden Predigten einige andere, mehr an der Peripherie liegende Stoffe oder berührt bereits Behandeltes von neuem.

Das Evangelium des Dienstags nach Judika (Joh. 7, 1 ff.)

) Bend 1513 Bl. 176 fl. *) Darauf folgt: Exemplum de anglico milite. Welche Geschichte meint er?

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veranlaßt Rab darauf hinzuweisen, daß, während sonst viele ein offenes Bekenntnis von Jesus ablegten, jetzt in Jerusalem, aus Furcht vor den Pharisäern und Schriftgelehrten Niemand ein solches wagte (v. 13). „So band sie die Furcht vor der Welt, daß sie nicht wagten, die erkannte Wahrheit zu be- kennen, obgleich sie seine Wunder schauten und im Geheimen sagten, daß er gut wäre.“ Daraus zieht der Prediger die Lehre: „Es genügt nicht, daß der Christ im Herzen glaube, sondern es ist heils notwendig, daß er ihn auch bekenne“. Wer selig werden will, muß Glauben und Tugendcharakter!) besitzen. Auf doppeltem Wege gelangt man zum Heil: durch eigenes oder durch fremdes Verdienst. Auf dem letzteren Wege die Kinder, „denen in der Taufe der allgemeine Tugendcharakter (der bei ihnen allerdings nicht zur Tat kommt) eingegossen wurde. Für sie tritt das Verdienst Christi ein, dessen sie zu ihrem Heil in der Taufe teilhaftig werden. Aber die, die den Gebrauch des freien Willens haben, sind gehalten, dem Verdienste Christi das eigene hinzuzufügen in Tugendhandlungen. Diese aber hängen ab von der Handlung des Glaubens, der die Absicht leitet, der muß uns den wegk weyBen'. Der Glaube ist also heilsnotwendig.^ „Gott läßt keinen im Stiche, der das Heil sucht?). Ja, wenn er auch im Walde geboren würde, aber tüte, was an ihm ist, so würde Gott ihm einen Lehrer oder Engel schicken, wie es viele in Betreff der b. Barbara annehmen, und wie der innere Glaubensakt heilsnotwendig ist, so auch das Bekenntnis des Glaubens. Ein wahrer Christ muB also alle Furcht ablegen.“ Wie Christus um unsertwillen körperliche Leiden nicht fürchtet, um uns vom Tode zu erlösen, so dürfen wir keine Furcht haben und müssen bereit sein, selbst den Tod zu erleiden. „Gegen den Glauben handeln die, die aus Furcht vor dem Tode zu Beschwörungen und abergläubischen Handlungen ihre Zuflucht nehmen, um zur Verdammnis ihrer Seele den Leib zu retten.“

In der nächsten Predigt spricht Rab noch einmal von der Gefahr, in die sich die begeben, die ihre Bekehrung bis zur Todesstunde aufschieben wollen. Der Haupt- teil der Predigt behandelt das Tagesevangelium Joh. 10, 22 tf. Darin zeigt Christus den Unterschied zwischen seinen Schafen und denen des Teufels. Christi Schafe hören Christi Wort, d.h. sie gehorchen den göttlichen Geboten, werden dadurch erquickt und folgen Christus nach. Die

) habitum fidei. ) Nach Thomas, III d. 25 g 2a 1. Arehiv für Reformationsgeschichte. XXII. 8/4. 12

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anderen „sind mit Teufelsspeise erfüllt und haben einen Abscheu vor der Speise Christi.“ „Darum ermahne ich euch, meine Liebsten, daß ihr jetzt in dieser Gnadenzeit die Gnade Gottes nicht vergeblich empfanget, daß ihr als Christi Schafe seine Stimme hört und gern seine Gebote und Befehle erfüllt, nicht aber bis zur Todesstunde wartet und erst dann zur Gemeinschaft der Schafe Christi kommen wollt, ‘das yr al ewer lebtage wolt füren eyn wulffisch leben’ und am Ende mit einem Leben als Schafe den Schlaß machen solltet. Und wenn das auch möglich sein sollte, so ist's doch gefährlich und zweifelhaft wegen der Versuchnng des Teufels, wie ich früher auseinander gesetzt babe.“ Nochmals erinnert Rab daran, wie der Teufel in der Sterbestunde zu Mißglanben und Verzweiflung zu führen sucht.

Auch die folgende Predigt berührt das Gefährliche, die Bekehrung bis ins Sterben zu verschieben. Im Hinblick auf das Tagesevangelium Luk. 7, 36ff. erklärt der Prediger, daß, was der Pharisüer an Jesus tat, diesem nicht gefiel, weil die Liebe fehlte Daraus folgert er die Lehre, daß, „wollen wir nicht die Frucht der guten Werke verlieren, wir sie im Feuer der Liebe kochen lassen müssen“. Nachdem er das an manchen Beispielen, auch am Amte des Predigers gezeigt hat, wiederholt er die alte Mahnung, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen und recht oft, aus Liebe, nicht aus Furcht oder gezwungen zum Kreuze Christi zu kommen. „Und darum sagen die Lehrer, daß es ge- fährlich sei, dies bis zur Todesstunde aufzuschieben, weil es dann, wie anzunehmen ist, nicht aus Liebe, sondern aus Furcht geschieht.“ Zuletzt wird die viel verwendete!) Ge- schichte von dem Magister Silo erzählt. Diesem erschien ein verstorbener Sehtüler und berichtete ihm von den Fege- feuerqualen. Als der Magister diese für gering hielt, ließ ihn jener Schüler die Hand ausstrecken; da fiel ein Schweiß- tropfen darauf, der schneller als ein Pfeil unter furchtbarem Schmerz die Hand durchbohrte. Jener aber sprach: So bin ich ganz. Hierüber erschrocken, beschloß der Magister ins Kloster zu gehen °).

Die beiden folgenden Predigten behandeln die Not- wendigkeit des Opfers Christi. Die erstere geht von

) Z. B. auch von Capistrano in Leipzig vgl. Beitr. z. sächsischen Kirchengesch. 26, 150. Auch der Leipziger Propst Johann Grunde- mann führt die Geschichte mehrfach an (seine Predigten sind nuch nicht bearbeitet),

3) Leg. aur. 782,

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dem Tagesevangelium Joh. 11, 47 ff. aus und spricht von den drei Konzilien, die die Juden tiber Christus hielten: das erste im Texte, das zweite am Palmsonntag, das dritte mit Judas. Dann wird die Frage aufgestellt, „ob es nötig war, daß ein so Heiliger, so Göttlicher, so Gerechter, so Unschuldiger, in dem kein Betrug war, in dessen Munde auch kein Betrug erfunden wurde, getötet wurde zur Er- lösung des Menschengeschlechts, da doch ohne Zweifel der glorreiche Gott unzählige andere Weisen hätte ausfindig machen können zur Erlösung der Menschheit?“ Die Antwort lautet: „Wohl hätte Gott auf unzählige Weisen die Menschheit erlösen können. Aber in Anbetracht dessen, daß die ganze Menschheit in ihren ersten Eltern gefallen und nicht nur zum zeitlichen, sondern auch zum ewigen Tode verurteilt worden ist, war es infolge der Notwendigkeit der Ueber- einstimmung und der Unwandelbarkeit, weil es Gott von Ewigkeit her so beschlossen hatte, nütig, daB die Wieder- berstellung durch den heiligsten und unschuldigsten Menschen erfolgte, den Gott erschaffen konnte.* Das entspricht aber auch der göttlichen Güte: die Menschheit war wiederher- stellungsfähig; darum gebthrte es sich auch, sie wieder- herzustellen und der göttlichen Gerechtigkeit, die die Weise der Genugtuung fordert.

Die andere Predigt spricht im Anschluß an das Tages- evangelium (Joh. 12, 10ff.) davon, daB Jesus, nachdem er den Vater mit seinen Predigten und Wundern verklärt babe, „bitte, daß er nun verklürt werde in seinem bittersten Leiden, damit die ganze Welt an seinem Leiden und Sterben ibn als den wahren Sohn Gottes erkenne“. Darum wird die in der vorigen Predigt gestellte Frage wiederholt und näher darauf eingegangen, daß die göttliche Gerechtigkeit dieses große Opfer forderte. Die Stinde der ersten Menschen barg kraftmáfig!) in sich die Sünden aller Menschen, somit war sie unendlich: erstens wegen der Unendlichkeit der göttlichen Majestät, die durch den Ungehorsam verletzt wurde, zweitens wegen der Unendlichkeit des Gutes, dessen die Menschen beraubt wurden, drittens wegen der ver- derbten, der Unendlichkeit fähigen Natur. „Darum kann keine reine Kreatur, weder Engel noch Menschen, noch auch alle zusammen Gott Genugtuung leisten für die Sünde der ersten Eltern. Ja, jede Kreatur schuldet bereits sonst Gott alles, was sie hat, und die Handlung und Genugtuung jeder Kreatur ist begrenzt und beschränkt. Darum war es nötig, daß Gott uns einen solchen Menschen gab, der Gott so viel

1) virtualiter. 12*

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leisten konnte, als die Beleidigung erforderte, und dieser mußte wahrer Gott und Mensch sein, so daß er fähig war, Genugtuung zu leisten, und daß er unbegrenzte Kraft und Wirkung hätte. Das ist Christus, unser Heiland und Mittler.“ Der Prediger schildert nun Christi Leiden und Sterben: „Auf dem Wege des Opfers brachte er Gott dem Vater sein allerheiligstes Leben mit dem Ausflusse seines ganzen Blutes dar aus unbegrenzter Liebe und Gehorsam mit der Allge- meinheit seiner Leiden. So brachte er Gott mehr dar, als die Beleidigung durch die ganze Kreatur erforderte, erstens wegen der Größe seiner Liebe, mit der er litt, zweitens wegen des Wertes seines Lebens, das er zur Genugtuung gab, das das Leben der Gottmenscben war, drittens wegen der Allgemeinheit seines Leidens. Somit war sein Leiden nicht nur genügend, sondern übergenügend'!) (1. Joh. 2, 2). Darum hat Gott der Vater das Opfer angenommen, die Pforten des Paradieses aufgetan und aller Beleidigung vergessen.“ |

In den drei Predigten Montag, Dienstag und Mittwoch nach Palmarum behandelt Rab endlich das heilige Abendmahl ?). Diese drei Predigten bilden gewissermaBen ein Ganzes, da sie sich sämtlich an den Montagstext Joh. 12, 1ff., Jesu Salbung im Hause von Bethanien, durch Maria, anschließen. „Meine Lieben,“ beginnt die erste Predigt, „ich ermahne euch von Herzen, daß ihr den Quell der Gnade, der wahrhaftig und wirklich in dem heilsamen Sakrament des Abendmahles enthalten ist, nicht empfanget vergeblich, d. h. nicht ohne seine Frucht und seinen Erfolg, die bestehen in der Einverleibung in Christus, der Erhaltung im geistlichen Leben, der Vermehrung der Gnade, der Wiederherstellung des Verlorenen, insofern die Sunden und Strafen nachgelassen werden, der geistlichen Erquickung wegen des Vergessens der vergebbaren und der Todsünden, der Entnahme aus dem Fegefeuer. Von dem Allen kann ich jetzt nicht reden, Das würde zu viel Zeit erfordern, wenn ich es darlegen wollte. Darum entschuldige ich mich wegen der Unvollständigkeit; denn ich will nur von dem reden, was zur Vorbereitung auf das ver- ehrungswürdige Sakrament nötig ist.“ Einmal wenigstens im Jahre ist der Erwachsene verpflichtet „in Bethanien, d. h. im Hause des Gehorsams“ das Mahl zu bereiten. In der ersten Kirche geschah es täglich, dann dreimal im Jahre.

1) superabundans.

2) In die palmarum non praedicavi, sed plebanus praedicavit in- hibitiones, d. b. er gab bekannt, wer vom Abendmahl ausgeschlossen sei (vgl. über die Passionspredigten).

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Es bedarf dazu sorgfältiger Vorbereitung; denn „nicht der römische König noch der Papst oder ein Bischof oder ein Fürst, sondern die göttliche Majestät“ kommt „und bringt mit sich die Speise seiner Góttlichkeit, seines Leibes und Blutes, am Kreuze vergossen.^ Es muß dabei sein „Martha, die dient, Lazarus, der da liegt, und Maria, die salbt“.

In jeder der drei Predigten wird an einer dieser Per- sonen ein Stück der rechten Bereitung nachgewiesen. „Martha heißt die Herrschende!) Darunter ist der Glaube zu verstehen, der die Vernunft beherrschen und gefangen nebmen muß, damit man das, was das Gesicht nicht sieht, das Ohr nicht hört, die Vernunft nicht faßt, mit dem Lichte des Glaubens festhält und glaubt, daß Christus unser Heiland da ist, so wie er von der Jungfrau geboren ist, wie er im Tempel gepredigt hat, wie er mit Martha, Lazarus und Maria zu Tische saß, wie er am Kreuze hing, wie er zur Rechten des Vaters sitzt und wie er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten, und daß nicht nur Leib und Blut gegenwärtig ist, sondern die Göttlichkeit Christi, die Seele Christi. Dafür lassen sich freilich keine Vernunft- gründe anfthren, auch kann das der Verstand nicht fassen. Darum muß der Glaube den Verstand gefangen nehmen, muß herrschen und bei Tische da sein, wenn wir in ver- dienstlicher Weise mit Christus erquickt werden sollen. Wohl aber kann alles erwiesen werden durch die Autorität des Erlósers, der dieses Sakrament einsetzte und, indem er es seinen Jüngern gab, sprach: ‘Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, auch durch die Vernunft also: wenn Gott alles aus nichts schaffen konnte, so kann er auch aus Brot seinen Leib machen. Ferner: wenn die Natur einen Stoff in den anderen umwandeln kann, warum nicht Gott? Denu wenn die Erde in Bäume, Gold, Silber, Metalle, Balsam durch die Kraft des Himmelskörpers verwandelt wird, warum könnte nicht durch Gottes Wort die Verwandlung des Brotes in Christi Leib und des Weines in Blut geschehen!)?“

Aber auch Lazarus muß da sein. Lazarus bedeutet: der, dem von Gott geholfen ist). Lazarus wurde aus dem Grabe herausgerufen und von allen Fesseln befreit. Nun saß er hei Tische und stank nicht mehr. So ruft Christus in dieser ganzen Zeit jedem zu: 'Lazarus, komm heraus! und bei Beginn der Fastenzeit hieß es (Joel 2, 12): ‘Be-

) dominans (Isid. etym. VII c. 10),

) Der Prediger verweist auf Beispiele bei Antonius Vercellen»is in sermone 42e feriae post Palmarum.

©) adjutus (Isid. I. c.).

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kehret euch zu mir von ganzem Herzen!" So hat die Kirche am Aschermittwoch getan, da sie uns aus dem stinkenden Grabe der Stinden rief, daB wir in der Osterzeit bereit wären, Christus das Mahl zu bereiten. „Wenn du einen so süßen reinen Gott in deine Herberge führen willst, mußt du zuvor alle seine Feinde austreiben, Hoffnung, Geiz, Schlemmerei, Haß und Neid und alle Todsünden hinauswerfen. Sonst lädst du in Wahrheit Christus nieht zur Erquickung ein, daß du ihn und er dich erquicke, sondern dazu, ihn von Neuem zu tóten und zu kreuzigen, dich selbst in deiner Seele zu töten und zu ewiger Strafe zu laufen“. Dazu wird uns die Geschichte von einem Wucherer erzühlt, dem der Teufel das Sakrament aus dem Munde schlug’).

Endlich muß als dritte Person Maria Magdalena ein- geladen werden. Der Name bedeutet: die Erleuchtete?). Das Haus des Gewissens und der Seele muß erleuchtet und geschmückt werden mit den Gott besonders wohlgefälligen Tugenden der Demut und der Liebe, und Christus muß ge- salbt werden mit dem Oel andächtigen Gebetes und guter Werke. Hierzu wird eine gern gehürte Geschichte*) aus dem Leben der Altvüter erzühlt: Ein Eiusiedler begrub auf Befehl eines Engels, der dabei stand, einen, der schon vier Tage tot war. Wegen des Gestanks des Leichnams stopfte sich der Einsiedler die Nase zu, aber nicht so der Engel. Da ging ein schöner wohlbekleideter Jüngling vorüber, und der Engel stopfte so lange seine Nase zu, bis jener sich weit entfernt hatte. Als nun der Einsiedler den Engel fragte, warum er nicht vor dem Gestank des Leichnams, aber vor dem Jüngling seine Nase zugestopft habe, ant- wortete dieser: weil ich diesen leiblichen Gestank nicht empfinde; aber die Seele dieses Jünglings ist abscheulich und stinkend und ihren Gestank konnte ich nicht ertragen.

Nachdem am Ostersonntag die Frage behandelt worden ist, warum Christus am dritten Tage auferstanden ist (zum Beweise der güttlichen Gerechtigkeit, zur Stürkung unseres Glaubens, zur Aufrichtung unserer Hoffnung), kommt Rab in der Predigt vom Ostermontag noch einmal auf Reue, Beichte und Abendmahl zu sprechen. Abgesehen von solchen, die so tot sind, daB sie überhaupt nicht mehr auf- erweckt werden können und wollen, gibt es eine dreifache Auferstehung der Menschen: Erstens eine scheinbare und erheuchelte das gilt von denen, die gebeichtet und das

1) Als Quelle ist angegeben Antonius Vercellensis sermo 60. ) Maria = illuminatrix (Isid. Etym VII, c. 10). ) Sie findet sich auch in den Predigten des Propstes Grundemann.

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Sakrament empfangen haben, nur um den Anderen ähnlich iu sein und nicht verachtet zu werden. Zweitens eine wahre, aber unvollkommene das gilt von denen, ,die ihre Sünden bereut, die gebeichtet und den Vorsatz hatten, Genugtuung zu leisten und ihr Leben zu bessern, weshalb sie auch eifrig an jenen Tagen wachten und die Passions- predigten hörten, aber gleich noch in jenen Tagen kommt der Teufel, und erstickt Gottes Wort und leßt nicht zu krefften, das do bereyt angehoben hath zu wachDen' und erstickt es wieder durch Fleischeslust ‘und bringt dan eyn successive widerumb uff den bubensteyk, Bo geth man gen Emauß!), so ist die raw auß, Bo gewynt der mensch eyn grawe von dem Hymelbrot' und müht sich wieder nach Egypten zu gehen, daB er Fleisch, Pfeben und Zwiebeln essen könnte, ‘Bo geths dan dohyn und kummt der teuffel salsybendt und eB werden die letzten dyng erger’ wegen der Undankbarkeit ‘den die ersten'^. Die Dritten sind die, „die unsterblich und sündlos auferstehen so, daß sie nicht mehr tödlich sündigen. Und ich zweifle nicht, daß wir alle hoffen wahrhaftig auferstanden zu sein, denn, wie ich annehme, yr seyt noch nicht gen Emauß gangen'.“ Die Gedanken der Ostermontagspredigt werden am Dienstag lorigesetzt?) ^ Eine Aufzeichnung darüber liegt nicht vor.

Am Sonntag nach Ostern schließt Rab die Predigtreihe ab. Ohne auf den vorangestellten Sonntagstext (Joh. 20, 19 ff.) weiter einzugehen, wendet er sich sofort zu einem Rückblick. „lbr habt, meine Liebsten, in dieser ganzen Zeit gehört, wie ich euch mit dem seligen Apostel Paulus ermahnt habe, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen sollt. Und das war mein Bemühen und herzliches Verlangen, daß ihr alle Gott gewonnen würdet. Dabei folgte ich dem Rate des seligen Apostels Paulus, der da spricht (2. Tim. 4, 2): 'Predige das Wort, halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit, strafe, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre’ Gott ist mein Zeuge: wenn ichs mit meinen Predigten vermocht hätte, es wäre mein innigster Wunsch gewesen, euch alle gen Himmel zu erheben und vor das Antlitz des Allerhöchsten zu stellen. Aber in meinen Pre- digten mußte ich bald warnen, bald schelten, bald barsch sein; denn ich war allen verpflichtet, nicht nur den Guten,

1) Vgl. Wander, Sprichwörterlexikon I, 812: Im Bapstumb giengen die Leut auff den Ostermontag hinaus Spatzieren, welches sie (Luc.24, 13 fl.) hiessen: Nach Emahus gehen. Vgl. 1511, 100b: Vix inter mille unus reperitur, qui non vadat in Emaus, qui perseveret in gracia.

*) Feria 3 paschae continuavi eandem materiam.

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sondern auch den Mürrischen: denn ein Prediger des Wortes muß mancherlei Weise brauchen, die Guten heranziehen, die Bösen schrecken, damit sie alle selig werden. Bin ich nun zuweilen in meiner Rede zu hart erschienen, so war es meine Absicht, auch die, die ferne stehen und unwillig sind, durch die Güte und Barmherzigkeit Christi zu locken, ob sie nicht doch endlich auf den Weg der Gerechtigkeit zurückkehren wollten. Das wird auch bezeugen meine Arbeit und tägliches Anhalten, und euch alle rufe ich zu Zeugen auf, besonders die, die alle meine Predigten gehört haben, wie mein Herz war, ob ich euer Geld oder eure Seligkeit gesucht habe. Nein, von Anfang bis heute habe ich den Frieden eurer Herzen gesucht. ‘Wie man mich aber gedacht hat zu belohnen, das geb ich got von himele zu richten, der mich und uns alle richten wirt!).'

Nun muß ich aber meine Predigten beschließen. Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ist's, daß wir danken dem Herrn unserm Gott immer und überall?). Denn so groß sind Gottes Wohltaten gegen uns, daß, auch wenn wir ohne Unterbrechung nicht aufhörten, Gott zu loben, wir jetzt und in Ewigkeit ihn nicht genug loben und danken könnten. Ich will jetzt übergehen und davon schweigen, daß wir dazu verpflichtet sind, weil er uns, da wir noch nicht waren, aus nichts geschaffen hat. Ich will schweigen davon, daß er uns durch sein teures Blut von Neuem geschaffen und wiederhergestellt hat, da wir ver- loren waren. Ich will schweigen davon, daß er aus vielen Tausenden von Ewigkeit her uns dazu bestimmt hat, daß wir mit ihm im Glauben vereinigt und im Blut seines ein- geborenen Sohnes in den heilsamen Sakramenten gewaschen, ja ihm so einverleibt würden, daß wir alle Glieder seines ein- geborenen Sohnes heißen. Ueber dies alles hat er jetzt auch allen den Quell seines Blutes aufgetan, darin ihr weiß gewaschen werden könnt. Und das hat er rein und frei in euren Willen gestellt. Denn nicht einen einzigen Menschen hat er davon ausgeschlossen, mag dieser ihn auch noch so schwer beleidigt haben, wie aus dem ganzen Texte der Bulle hervorgeht, außer denen, die der Gnade widerstreben. Denn mit Recht wird sie jenen nicht gegeben, die wider sie streiten; und doch, auch wenn sie ihr widerstritten haben sollten, 80 sie noch umkehren, ist Gott bereit sie anzu- nehmen und ihnen Gnade zu erteilen.

1) Leider fehlen uns über die schlimmen Erfahrungen Ver- leumdungen usw. alle näheren Nachrichten. Vgl. weiter unten, 5) Worte aus der Präfation des Meßkanons,

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Meint ihr, meine Liebsten, daß dies ohne Gottes vorher- gehende Ordnung und Vorsehung geschehen sei? Gott setzt ja alles fest nach Zahl, Gewicht und Maß und hat alle Zeiten gezählt, gewogen und gemessen von Ewigkeit her, was, wieviel und zu welcher Zeit er von jenen Gütern uns spenden will; denn er ist der, der alles versieht!). Da hat Gott es von Ewigkeit her verordnet, daß in dieser Zeit jener unendliche Schatz auch aufgetan würde, aber nicht der Teufel, wie einer am ersten Tage, als die Gnade eingeführt wurde, gesagt hat: bath der teufel die gnad her gefürt? hath man nie keyn gnad gesehen? Der Teufel hat sie wahrhaftig nieht hergeführt; denn der wollte, daß der Quell der Gnade allen Menschen verschlossen bliebe. Es ist also nicht die Absicht des Teufels, daß jene Gnade zu euch kam und euch ausgeteilt würde, sondern Gott der Herr hat sie für euch von Ewigkeit her versehen. Die sie bekämpfen, bekämpfen mithin nicht nur den heiligen apostolischen Stuhl, sondern auch die ewige Vorherordnung und Vorherbestimmung Gottes, der wollte, daß durch diese Gnade unzählige Tausende zur Herrlichkeit gelangten. Was kann dem Menschen denn gnadenreicheres gesagt werden als dies: deine Sünden sind dir vergeben und du wirst frei von aller Schuld und Strafe, so daß, wenn du so stirbst, du sogleich aufführst?', Wir müssen also Gott dankbar sein für ein Vierfaches. Erstens dafür, daß er uns aus so starken Fesseln befreit hat, die er allein zerreißen kann. Ps. 116, 16f.: ‘Du hast meine Bande zerrissen; dir will ich Dank opfern.’ Zweitens: weil wir, so oft wir gesündigt haben, so oft zur Schuld ewiger Strafe verpflichtet gewesen wären. Zeit seines Lebens würde ein zum Tode Verurteilter seinem Befreier dienen. Drittens: weil er uns aus einem Feind zum Freund und Erben des ewigen Lebens gemacht hat. Viertens: weil er vielleicht viele Tausende in den Todstinden ließ, dich aber befreit hat.

Diesen Quell der Gnade aber hat Gott nicht nur uns, sondern auch allen entschlafenen Gläubigen, die in der Gnade abgeschieden sind, aufgetan. Sie rufen nun in Wahrheit: ‘Lob und Ehre und Weisheit und Dauk und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!’ (Off. 7, 12). Das sind die, ‘die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen im Blute des Lammes’ (Off. 7, 14). Wie, meint ihr, werden die erst Dank sagen, heilige Männer und heilige Frauen, die jetzt bei diesem allerheiligsten Jubelablad aus dem

) Universalis provisor. Nach Thomas, Summa 1 q 22a 2.

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Fegefeuer befreit worden sind? Meint ihr, ihre Befreinng wäre die Folge eines Teufelswerkes? Wahrhaftig nein, sondern Gott hat ihnen von Ewigkeit her dieses Mittel vorherbestimmt, dadurch er sie aus ihrer Trübsal be- freien wollte!

Endlich hat er auch den Quell der Gnade in den apostolischen Briefen aufgetan, in denen euch zugesprochen wird die Teilnahme an allen Gütern der Kirche, in denen euch verheißen wird vollkommene Vergebung einmal im Leben und sonst so oft, wie oft in anderen!) und im Augen- blick des Todes öffnet sich euch wiederum jener Quell der Güte, so oft ihr in Todesgefahr seid?) Meint ihr, daß dieses Mittel nicht von Ewigkeit her euch vorgesehen sei für das Heil eurer Seelen? Wahrhaftig, wenn nicht die h. Schrift falsch ist, wenn nicht euer Glauben falsch ist, wenn nieht Gott und alle heiligen Lehrer lügen, dann legt euch Gott dies vor zum Zeichen eurer ewigen Vorherbestimmung, und wie viel mehr Briefe ihr habt, um so viel mehr sind die Zeichen eurer Vorherbestimmung.“ Hierauf deutet die Niederschrift eine Geschichte an ‘von einem, der in Jüterbogk Beichtbriefe zu nehmen verschmähte und schließlich im Augenblick des Todes nicht wert war, daß sie ihm vorgelesen wurden, obgleich seine Frau sie insgeheim gekauft hatte’.

Aber wie sollen wir dem Herrn vergelten, was er uns geschenkt hat? Mit Danksagung wollen wir das Kreuz in Umtragung des Sakraments®) niederlegen und Gott und seinen Heiligen durch die einzelnen Stationskirchen hin danken und Lob- und Andachtslieder von jenen Heiligen singen. Und als Danksagung sprechet ihr: ‘Dyr sey lob, dyr sey ere, dyr sey danksagung, o du aller libster, o du

1) Wohl zu ergänzen: Todesgefahren.

*) Plenissima absolutio semel in vita et alias totiens quotiens, in aliia et in articulo mortis iterum aperitur vobis fons ille pietatis totiens quotiens estis in mortis periculo. Hierzu vgl. den ZKG 29, 80f. mitgeteilten Beichtbrief (12. Dezember 1506 in Glauchau ausge- stellt). Dort heißt es am Ende: Forma absolutionis in vita totiens quotiens... Forma absolutionis et plenissimae remissionis semel in vita et mortis articulo. In einem Beichtbriefe von 1489 (Zwickauer Ratschulbibliothek) stehen nach der Forma absolutionis noch die Worte: Item in mortis articulo adiungenda est haec clausula: Si tamen ab ista egritudine non decesseris, plenariam remissionem et indulgentiam tibi eadem auctoritate in mortis articulo conferendam reservo. (ZKG 19, 360f.) Vgl. auch den Beichtbrief Löscher Ref. Act. I, 871.

*) in delatione sacramenti.

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aller süster, o du aller gütigster Herre Jhesu Christe, vor alle deyne heylige Blutstropfen, die du vergosßen hast auß deynem allerheyligesten leichnam yn deyner heiligen Be- sehneidung ꝛc.)“ „Darnach werde der Segen erteilt allen, die sich der Jubelgnade teilhaftig gemacht haben, wie er steht 5. Mos. 28, 3ff.: Seid gesegnet in euren Häusern, auf euren Aeckern usw. Und so sei geschlossen: Der Segen Gottes des allmüchtigen Vaters und des Sohnes und des h. Geistes komme auf euch und bleibe immer bei euchl Amen. Dann sollen Danksagungen geschehen den Bischüfen, den Herzögen, dem Rat, den Priestern, dem Volke usw.“

Drei Wochen später, am Sonntag Kantate (6. Mai) be- stieg Rab noch einmal die Torgauer Kanzel, um der Ge- meinde zu zeigen, wie sie sich in dem erlangten Gnadenstande erhalten sollte. Ohne zunächst weiter das vorangestellte Wort aus dem Tagesevangelium Joh. 16, 8 zu berücksichtigen, verweist er auf die vorangehende Predigt: „Meine Liebsten, ich habe euch schon als ich das letzte Mal predigte gesagt, daß nach dem Ausspruch des h. Thomas?) und anderer Lehrer Gott der Herr nicht nur die, die nach seiner Vorherbestimmung selig werden sollen, sich von Ewigkeit her auserwählt und ihnen das ewige Leben be- reitet, sondern ihnen auch von Ewigkeit her alle Mittel und Wege vorgesehen hat, mittels denen sie zur ewigen Seligkeit gelaugen können, und daß Gott der Herr euch auch diesen JubelablaßB und diese Gnade als Mittel und Weg seiner Vorherbestimmung vorgesehen hat, ebenso den Seelen im Fegefeuer, von denen, wie ich hoffe, ungezählte Tausende durch diese Gnade hier und anderwärts befreit worden sind, und auch viel tausend Menschen, die durch das Verdienst Christi und des in den Beichtbriefen zuerteilten Jubelablasses in der Todesstunde zur Rettung und Befreiung kommen werden. Und weil ich nunmehr gänzlich den Schluß zu machen habe mit diesem apostolischen Geschäft und wieder zu dem, der mich gesandt hat, zurückkehren muß, möchte ich gern, daß ihr in jenem heiligen Vorsatz und Entschluß und in der Gnade bleibt, die ihr ohne Zweifel erlangt habt, dem meine ganze Arbeit gilt, wie Gott mir bezeugen wird. Einem jeden eine Weise und Regel zu geben, wie er in seinem Stande leben muß, ist mir in so kurzer Zeit nicht möglich. Aber damit ich euch allen in Kürze eine Regel, in der erlangten Gnade zu leben und zu bleiben gebe, will ich euch die Worte des Textes übergeben, die drei Kapitel enthalten.

1) Vgl. oben S. 133. *) Summa 1 q 22 f.

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Erstens: Wer jetzt und in Zukunft vom h. Geist nicht um der Sünde des Unglaubens verdammlich gestraft werden will, muß sich mühen, Gottes Wort fruchtbarlich zu hören, ohne Verachtung und mit Freuden. Zum besseren Ver- ständnis dieser Regel ist zu merken, daß der glorreiche Gott von solcher Güte gegen die Menschen ist, daß er nicht nur alles um des Menschen willen geschaffen hat, sondern er gab auch allen Kreaturen, Tieren und Pflanzen die Samkraft, so daß alles in seinem besonderen Sein um des Menschen willen erhalten und von Jahr zu Jahr immer wieder erneuert wird, wie Korn, Weizen, Wein, Tiere, und das alles ge- schieht um des Menschen willen. Weil aber der Mensch nicht nur einen Körper hat, der zu erhalten ist, sondern auch eine Seele, so hat Gott auch für diese gesorgt, daB sie in ihrem Sein und geistlichen Leben erhalten werde. Das aber geschieht durch den Samen des göttlichen Wortes und in Wahrheit, wenn nieht Gott der Herr uns diesen Samen Überlassen hätte, wären wir wie Sodom und Go- morrha (Jes. 1, 9). Ich frage euch, meine Brüder, sagt mir, was dünket euch mehr: Christi Leib oder Christi Wort? Wollt ihr recht antworten, so müßt ihr sagen, daß Gottes Wort nicht geringer ist als Christi Leib. Darum, die gleiche Sorgfalt, mit der wir uns bei der Verwaltung des Leibes Christi hüten, daß nichts verloren gehe, muß dem Worte Gottes gelten. Gottes Wort hat in sich die Kraft, daß sehr oft bei einer einzigen Predigt und dem einmaligen Anhören des Wortes Gottes unzählige Sünden vergeben werden, wenn sich die Menschen zu wahrer Reue anregen lassen. Das ergibt sich aus einem Beispiel in dem Leben der Altväter, da erzählt wird, wie Paulus der Einfältige die Leute in die Kirche gehen und einen Stinder gerecht gemacht wieder herausgehen sab. Dort wird tatsächlich der Mensch von Sünden gereinigt, der Verstand auf dem Wege Gottes erleuchtet, die Heilsbegierde angefacht, die Gnade vermehrt und die Seele genührt!) Darum ist die Predigt in der heiligen Kirche Gottes nótiger als das Feiern von Messen. Nötig ist zwar beides. Aber gesetzt den Fall, daD eine Zeitlang beides unterbliebe, so würde in der Kirche ein größerer Schaden aus dem Mangel des Wortes Gottes als aus dem des Feierns geschehen. Sagt nur, wann seid ihr im ganzen Jahre rechtschaffener gewesen als zu der Zeit, da ihr in den Fasten Gottes Wort hört! Darum lasse ich euch dies zum Abschied. Wenn ihr wissen wollt, daß

1) Es wird dann verwiesen auf Decr. Greg. IX. lit I. tit. 31. c. 15.

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ihr in der Zahl der Vorherbestimmten seid, so achtet darauf, ob ihr gern Gottes Wort hört und bewahrt, wie Augustin in dem Buche von der Vorherbestimmung sagt!) Unter dem Anderen ist das das Wichtigste.

Zweites Kapitel: Wer vom h. Geist nicht um der Ge- rechtigkeit willen gestraft werden will, gebe sich Mühe, den Weg der Gerechtigkeit gegen Gott und den Nächsten sorg- sam nachzuahmen. Diese Regel wird vom Herrn bestätigt, der, von einem Reichen befragt, was er tun sollte, daB er das Reich Gottes besitze, antwortete: ‘Halte die Gebote" (Matth. 19, 17), daß nämlich in gerechtem Verhalten gegen Gott und den Nächsten Gott und dem Nächsten das Schuldige gegeben und nicht unterlassen werde, und zwar nicht nur mit dem Wort, sondern auch mit der Tat; denn der Feigen- baum, der nur Blätter, aber keine Früchte hat, ist verflucht (Luk. 13, 6 ff.). Die Werke der Gerechtigkeit sollen aber andauernd geschehen (1. Chron. 28, 7; Ezech. 18, 24), warm, nieht kalt (Offenb. 3, 15) und nicht mit Eitelkeit, um hier Lohn zu erhalten (Matth. 6, I ff.).

Drittes Kapitel: Was du tust, tue klug und bedenke das Ende’?); denn du wirst genauste Rechenschaft ablegen müssen von allen deinen Werken, in welcher Absicht du sie getan hast Bedenke auch in Allem das Ende, nümlich die ewige Vergeltung, die Seligkeit oder die Verdammnis, das Ende des Todes, das Ende des Gerichts. Handle so, als solltest du eben sterben, als müßtest du eben darüber Gott Rechenschaft ablegen, als solltest du eben deinen Lohn dafür empfangen. So handelnd, wirst du in Ewigkeit nicht sündigen. ‘Was du tust, bedenke das Ende, so wirst du nimmermehr Uebles tun’ (Sir. 7, 40).“

Anhang ?).

Vgl. Zeitschr. f. Kircheng. Nr. 22, 600.— Francke, H. G., Das Nonnen- kloster der glückseligen Maris Magdalena zu Weida (Mitt. des Vereins f. vogtl. Gesch. 1920) S. 23. Ges. Arch. Weimar Nr. 45.

Pergament durch Stockflecke verdorben und fast durchgerissen, nur Siegelschnur noch vorhanden.

Universis et singulis presentes litteras inspecturis Ever- hardus Szelle decretorum doctor in Burtninge et Christia- nus Bomhower in Ruien locorum Rigensis et Trabecensis dyocesis parrochialium ecclesiarum rectores sanctissimi in Christo patris et domini nostri domini Julij divina providencia

1) Gemeint ist wohl PL XLIV, 972. ) Quicquid agis, prudenter agas et respice finem. ) Vgl. oben S. 136.

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pape secundi accoliti capellani et eiusdem ac sancte sedis apostolice ad Magdeburgensem, Bremensem, Rigensem pro- vincias ilarumque et Pomeranie necnon Livonie civitates diocesis apida, terras ac dominia eciam stagnalis et defensa nuncupatis nunctij et commissarij specialiter quilibet in soli- dum deputati salutem in domino. Notum facimus, quod Sanctissimus dominus noster prefatus pro pocioris cautele remedio sacratissimas jubilei et eruciate plenissimas indul- gencias cum nonnullis alijs facultatibus, gratijs et clausulis per quondam felicis recordacionis dominum Alexandrum papam sextum ad effectum pie ac nummerarie subvencionis huiusmodi datas et concessas, prout litere desuper confeote clarius exprimunt suis reintegrato[...] literis validando ae firmissime n ivocando denuo largiens cunctis utriusque sexus Christi fidelibus, qui pro nummerario Livonie predicte sub- sidio in orthodoxe fidei nostre defensionem contra Ruthenos, hereticos et soismaticos ac Tartaros infideles eis adherentes eiusdem fidei crudelissimos innimicos iuxta debitam ordi- nacionem per se vel alium manus porrexerint adiutrices ultra plenissimas indulgencias et alias gratias prenarratas, quas Christi fideles huiusmodi consequuntur, prout in literis apostolieis desuper confectis continetur, misericorditer con- cessit, ut aliquem ydoneum presbiterum secularem vel cuius- vis ordinis regularem in suum possint eligere confessorem, qui vita eis comite in casibus dicte sedi reservatis preter- quam offense ecclesiastice libertatis criminum, heresis et rebellionis auf conspirationis in personam vel statum Romani pontificis sero sedem predictam falsitatis literarum apostoli- earum supplicacionem, invasionem et commissionem, depre- dacionem, occulpacionem et devastacionem terrarum et maris Romane ecclesie mediate vel immediate subiectorum offense personalis in[...]um vel alium prelatum prohibieionem, devo- lueionem causarum ad Romanam curiam delacionem armo- rum ef aliorum prohibitorum ad partes infidelium semel dum- taxat in vita in al[.. .]vero quociens fuerit oportunum confessio- nibus eorum diligenter auditis pro commissis sibi debitam absolucionem impendat et iniungat penitenciam salutarem neenon vota quecumque ultra ..... liminum apostolorum Petri et Pauli Saneti Jacobi in Compostella ac castitatis et religiosis votis dumtaxat exceptis in alia pietatis opera commutare valeat, quod confessor quem quilibet eorum duxerit eligendum omnium peccatorum suorum de quibus contriti et ore confessi fuerint, eciam semel in vita et in mortis articulo plenariam remissionem eis in sinceritate fidei et unitate dicte Romane ecclesie ac obedienciam et devo- eionem persistentibus auctoritate apostolica impartiri possit,

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indulsit quoque idem dominus noster sanctissimus [om]nes et singulos Christi fideles predictos et eorum parentes et benefactores defunctos, qui cum caritate decesserunt in omnibus precibus, suffragijs, elemosinis, jeiunijs, orationibus, missis, bonis canonicis, disciplinis, peregrinacionibus ef eeteris omnibus spiritualibus bonis, que fiunt et fieri poterunt in tota universali sacrosancta Christi ecclesia militante et omnibus membris eiusdem in perpetuum fieri participes et quia devote sancte monialis ordinis predicatorum in Weyda videlicet sorores Margaretha Tossin priorissa, Dorothea Pragerin, suppriorissa Margaretha de Heyda, Gerdrudis Kospotin, Margareta de Polnitz, Barbara Kertzschin, Gerdrudis Wildin senior, Gerdrudis Wildin junior, Anna Wyldin, Wal- pargis de Polnitz et Katherina Belerin !) ad ipsius fidei piam subvencionem iuxta praetactam sanctissimi domini nostri et nostram debitam ordinacionem se grate exhibuerunt et libe- rales, prout per presentes litteras in huiusmodi testimonium a nobis sibi traditas approbamus, ideo eadem auctoritate apostoliea nobis commissa et qua fungimur in hae parte ipsis ut dietis gratijs et indulgentijs uti et eisdem gaudere possint et valeant merito constat esse concessum. Datum Liptzk sub sigillo per nos ad hee ordinato die tertia [me]nsis Junij anno domini millesimo quingentesimo quinto.

Forma absolucionis in vita tociens quociens: Misereatur tui etc. dominus noster Jesus Christus per sue passionis meritum te absolvat auctoritate cuius ef apostolica mihi in bac parte commissa et tibi concessa Ego te absolvo ab omnibus peccatis tuis in nomine patris et filij et spiritus sancti amenn.

Forma absolucionis et plenissime remissionis semel in vita et in mortis articulo.

Misereatur tui ete. Dominus noster Jhesus Christus per sue passionis merita te absolvat. Ego auctoritate ipsius et apostolica michi in hac parte commissa et tibi concessa te absolvo primo ab omni sentencia excommunicacionis maioris vel minoris si quam incurristi, deinde ab omnibus peccatis tuis conferendo tibi plenissimam omnium peccatorum tuorum remissionem remittendo tibi penas purgatorii in quantum claves sancte matris ecclesie se extendunt. In nomine patris et filij et spiritus saneti amenn.

1) Vgl. J. G. Franke, das Nonnenkloster der glückseligen Maria Magdalena zu Weida (Mitt. des Vereins f. vogtl. Gesch. 1920) S. 23.

Aus dem Briefarchiv des Justus Menius. Von Walter Friedensburg. I. 16 Briefe Veit Dietrichs an Menius (1832 —1648).

Die Hs. Cod. boruss. 201 fol. (Cod. Seidel) der Berliner Staatsbibliothek enthält neben sonstigen Briefen des 16. Jahr- hunderts eine größere Anzahl von Originalschreiben Ver- Schiedener an Justus Menius, darunter auch die nachfolgend mitgeteilten Veit Dietrichs. Aus ihrer Zahl hat Th. Kolde in seinen Analecta Lutherana (Gotha 1883) drei mitgeteilt (8. u. Nrr. 1, 3, 5); die übrigen sind meines Wissens noch ungedruckt.

Bekanntlich wirkte Justus Menius, geboren in Fulda 1499, seit 1529 als Prediger in Eisenach. lm Jahre 1532 scheint er Wittenberg besucht zu haben’). Hier traf er unter anderen auch Veit Dietrich an, der, 1506 in Nürnberg ge- boren, als Student der Leukorea in ein näheres Verhältnis zu Luther getreten war, dem er längere Jahre hindurch in der Eigenschaft eines Privatsekretürs diente. Auch wührend der Koburger Zeit 1530 war Dietrich um den Reformator. Die zwei Jahre später in Wittenberg erfolgte nähere Be- kanntschaft zwischen Menius und Dietrich führte alsbald zu einem, von Dietrich durch den Brief Nr. I. eingeleiteten“), bis in die letzte Lebenszeit des Nümlichen fortgesetzten Brief- wechsel. Auch daß Dietrich 1536 von Wittenberg in seine Vaterstadt zurückkehrte, wo er als Prediger zu St, Sebald wirkte®), unterbrach den Briefwechsel mit dem Freunde in "Thüringen nicht. Leider sind es nur geringe Bruchstücke dieses Gedankenaustausches, die sich a. a. O. erhalten haben; vor allem fehlen sämtliche Gegenschreiben des Menius. Manches Stück mag noch in irgendwelcher Bibliothek oder Handschriften- sammlung der Auferstehung harren; vielleicht veranlaßt diese

1) S. u. Nr. II.

2) Kolde a. a. O. S. 181 f.: ignosce temeritati meae, qui primus humanitati tuae meo scripto volui molestus esse.

*) Menius seinerseits verließ Eisenach 1546, um als Nachfolger des Myconius als Superintendent nach Gotha zu übersiedeln.

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kleine Veröffentlichung andere Forscher, etwaige Spuren er- günzenden Materials weiter zu verfolgen.

Den Inhalt unserer Briefe bilden Nachrichten persön- licher Art oder aus der näheren Umgebung des Schreibers; auch ergeht sich der Briefwechsel über die kirchlichen und politischen Ereignisse und Zustände und die allgemeine Zeit- lage. Einen breiten Raum nehmen endlich Mitteilungen und Erörterungen über den Dienst am Evangelium und die praktische und literarische Wirksamkeit ein.

Die der Erklärung bedürftigen Anspielungen und Hin- weise der Briefe habe ich, so weit es die mir zugängliche Literatur ermöglichte, aufzuhellen mich bemüht; bei der Lückenhaftigkeit des Materials muß jedoch manches wohl unaufgeklürt bleiben. Auch die Handschrift Dietrichs (s. die Probe bei Mentz, Hss. der Reformationszeit, Bonn A. Marcus u. E. Weber 1912, Tafel 16 a) gibt zuweilen Rätsel auf.

I. 1532 August 31 Wittenberg.

Sendet einen Brief Luthers). Literarische Bekämpfung Georg Witzels durch Menius und Jonas?). Literarisches aus Wittenberg. Wohlbefinden Luthers und der Seinigen.

Cod. 201 Nr. 17. Gedruckt Kolde, Analecta Luthe- rana (Gotha 1883) S. 181f. (Statt virum, S. 181 Z. 6 v. u., l. vicinum; Witzel lebte damals in Vacha).

II. [1532]°) Oktober 25 Wittenberg.

Menius' schwere Erkrankung: Freude über seine Wiederherstellung. Die im Druck befindlichen Summarien. Menius’ Dank für den Lutherbrief. Bitte um Zusendung eines Briefes Luthers aus der Veste Coburg Über die Taufe eines Juden. Die Commentarien Melanchthons. Die Bibelübersetzung (der „Prediger Salomonis“).

1) Ohne nähere Angaben ist kaum festzustellen, um welchen Brief es sich handelt.

) Ueber die Polemik zwischen Jonas und Witzel s. Kolde a. a. O. 8. 181 Anm. 3 und 185 Anm. 2 und 3.

) Der Brief fällt augenscheinlich zwischen Nr. 1 (erste An- knüpfung des Briefwechsels durch Dietrich) und Nr. 8, worin Dietrich auf die Danksagung des Menius für einen eben von D. übersandten Lutherbrief zurückkommt; zweifellos ist der Brief gemeint, den D. seiner Nr, 1 beilegte. Gleichzeitig dankt wiederum (in Nr. 8) Dietrich dem Menius für Uebersendung eines Briefes, nümlich des in diesem Sehreiben (Nr. 2) erbetenen Lutherbriefes de Judeo baptizando. Daraus bestimmt sich die fehlende Jahreszahl auf 1559,

Archiv für Reformutionsgesohichte. XXII. Rj4. 13

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Salutem in Christo. quemadmodum omnibus nobis, qui tui studiosi ac amantes sumus, maximum dolorem fama de periculoso morbo, quo implicitus fuisti, attulit, ita nunc, cum restitutam valetudinem primo nuncius, post litere tue, testes magis fidedigni, nunciarent, incredibili gaudio sumus affecti. ego igitur quamquam nullum hoc tempore te dignum argu- mentum occurreret, gratulari saltem tanti periculi evasionem tibi volui et testari me non minus tuo discrimine, quam si meum fuisset, commotum esse. quod cum ita feliciter dis- missum sit, non possum non hunc animi mei affectum signi- fieare et una tecum ob restitutam valetudinem gaudere. porro de libris ita ut mandasti diligenter curatum est. ita enim Lufftus mihi retulit, Summariorum partem te jam ante habere divinamus. interim autem haud scio an quaternio accesserit, quare si quantum excusum esf, habere voles, significabis quot quaterniones babeas!). de libello in Wezelium doctori indicavi. is ut te ad absolvendum oeptum opus hortarer jussit; promittit enim sibi nescio quid majoris diligeutiae quam a D. Jona, homine et eloquentissimo et diligentissimo, prestitum est. de epistola Lutheri transmissa non opus erat tam accurata et ambiciosa graciarum actione. ut autem intelligas quam libenter eo in genere officiorum tibi gratificari velim, vicissim abs te, quamquam fortasse impudenter facio, peto ut literas, quas doctor Coburgi ad quendam paroehum apud vos in vicinia de Judeo bapti- sando scripsit?), mittas. nomen loci excidit, ubi habitet. existimo tamen et hominem et causam tibi notam esse. apud nos nihil novi est. dominum Philippum credo in aliquibus locis commentarios suos, quos ob nundinas Lypsienses properare coactus fuit, locuplecius instructurum esse. D. Lutherus eum D. Philippo et Crueigero laborat in Ecclesiastico vertendo, qui liber mirum quantum negocii eis faciat. bene vale cum ecclesia tua et dome- stieis tuis,

Wittenb. 25. octobris. T. h. dd. Vitus Diethrich.

1) Vgl. hierzu den undatierten Brief des Menius an Luther, in dem er diesen zur Vollendung der Summarien zu den Pealmen be- glückwüuscht: Kolde, Analecta S. 188, von dem Herausgeber in den. Anfang d. J. 1583 verlegt. Ueber Luthers Summarien zu den Psalmen vgl. Köstlin-Kawerau. Luther II* S. 265

) Gemeint ist der bekannte Brief Luthers vom 9 Juli 1530 an den Pfarrer zu Ichtershansen in Thüringen, Heinrich Gnesius, über die Taufe eines Judenmüdchens (Enders VITI Nr. 1904).

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Salutant te omnes nostri, imprimis M. Crucigerus. Venerabili in Christo viro domino Justo Menio, ecclesiae Isenacensis pastori fideliss., domino et amico suo.

Codex Nr. 15.

III. 1533 Mürz 23 Wittenberg.

Luthers Befinden. Dank für einen Brief. Abwehr der Angriffe Witzels!) Codex Nr. 23. Gedruckt Kolde Analecta Lutherana S. 184 f.

IV. 1535 September 24 Jena.

Empfiehlt ihm für die zweite Lehrerstelle an der Eisenacher Schule Moritz Waldheim. Bevorstehende Reise. Der Kurftirst in Jena.

Salutem. Memini, vir optime, te mecum agere de quo- dam vestre schole hypodidascalo?). quia autem excidit, cujus- modi eum esse velles, an medioerem primarum arcium cogni- torem aut supra aliquid requireretis, existimavi non ingratum fibi fore, si de adolescente quodam bono et mediocriter in primis artibus versato tibi significarem. quia enim is a quibusdam tuorum civium liberis admonitus a me hoc requi- sivit, gessi eo libeneius ei morem, quod ad annos duos me preceptore sit usus. quod ad mores attinef, certo promittere possum facile eum tibi satisfacturum. in scholasticis autem operis facile, eciamsi quid desiderares, diligencia et assidui- fale supplere poterit. est autem satis bonus musieus ef magnam optimarum coneionum habet copiam. quare eo quoque nomine tibi graciorem fore puto. nomen est Mauricio Waltheim®). si igitur facere periculum de ejus diligencia voles, significabis per d. Conradum Lagum*. ego proximo die veneris ingressurus sum iter. dominus fortunet, ut et ad suam gloriam et reipublicae utilitatem profectio ista cedat. amen.

) Die Schrift des Menius gegen Witzel, deren Dietrich hier (und in Nr. 2) gedenkt, ohne sie gesehen zu haben, ist nicht bekannt.

*) D. i. zweiter Lehrer.

9) Nach Förstemann, Album acad. Witt, I S. 148b Nr. 85 wurde Moritz Waldheym im Wintersemester 1531/82 in Wittenberg immatri- kuliert; seine Heimat ist nicht angegeben.

*) Ueber Konrad Legus, Magister in der Artistenfakultät zu Wittenberg, s. meine Geschichte der Universitit Wittenberg (Halle 1917) 8. 208 f.

18*

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Vale in Christo feliciter memineris mei in tuis precibus, ego paria facturus sum. Jhene 24 septemb. 1535. heri vesperi huc venit princeps.

Tuus totus Vitus Diethrich Norib. Venerabili in Christo viro D Justo Menio evangelii ministro et pastori Isenacensi; suo charissimo et amico singulari. Codex Nr. 18.

V. 1538 Oktober 30 Nürnberg.

Ueber die ihm aus der Herausgabe von Luthers Summarien zu den Propheten erwachsenen Schwierig- keiten und Anfechtungen. Will sich fortan nur noch mit Sprachen und Philosophie beschäftigen. Kriegerische Bewegung in Nürnberg aus Anlaß der Unbilden des Markgrafen Albrecht von Kulmbach.

Codex Nr. 24. Gedruckt Kolde Analecta Luthe- rana S. 331 f.

VI. 1539 September 30 Nürnberg.

Die Herausgabe von Luthers Annotationen zu den Propheten. Wiederaufnahme der Herausgabe der psalmi graduum dureh Dietrich. Menius' Enarratio in Samuelis librum priorem. Bitte um Zusendung unedierter Schriften des M.

Salutem. Cum Georgius Creutzeburgen. ad te rediret, ita eram occupatus, mi Moeni, ut nihil ad te possem scribere. nam cum Osiandro ef Vineeslao!) ruri fueram et cum sub multam noctem rediissem domum, mane, quando veniebat Georgius jam jam abiturus, concionandum mihi erat. feci itaque quod tum potui, ut sine literis annotationes nostri patris in prophetas ad te mitterem. de iis quid consilii ceperis nescio; quod si tuo labore putas ecclesie edendas, consilium non improbo ac te eciam ad id hortor. quid ego secutus fere sim, vestigia primi numeri ostendunt. te optarim integrum laborem sumere; quia autem tres illi quos edidi?), depravatissime sunt excusi, libenter eos recognoscam, ut con- jungantur omnes, ego nunc hortatibus tuis, mi Moeni, et

ı) Andreas Osiander und Wenzeslaus Link wirkten, jener seit 1522, dieser seit 1625 zu Nürnberg im geistlichen Amt.

) Die Enarratio D. M. L. in tres prophetas Johelem, Amos et Abdiam wurde 1586 von Dietrich herausgegeben.

37 197

aliorum excitatus sum in edendis psalmis graduum!). quod si non aliquid interveniet incommodi, fortasse sub paschatis nundinas?) prodibunt. nam tercia tantum operis pars restat. non existimo me posse plus facere quam si bona fide Lutheri enarrationes vulgem. nuper admodum legi tua in Samuelis librum commentariola*). mi Moeni, cur non absolvis totam regum historiam? si quid habes praeter id quod edidisti et famen edere non voles, quaeso mitte ad me, sicut ego istum prophetam ad te. bene vale in Christo, qui te servet diu incolumem.

Date Noribergae postridie Micielis 1539.

Vitus tuus. Venerabili in Christo ob pietatem et doctri- nam viro D. Justo Menio, suo amico observando.

Codex Nr. 26.

VII. 1540 Januar 8 [Nürnberg].

Ein von Myconius nicht übergebener Brief, Die Arbeit an den Propheten. Rupert von Mosheim. Der Kaiser im Begriff, in die Niederlande zu kommen. König Ferdinand und die Nürnberger; Dietrich wider jenen. Bitte, häufiger zu schreiben.

Salutem. si Myconius*) non reddidit literas, sane ex- postulabo cum eo: nam ne quid dubites, per affinem meum eas Lypsiam dedi ac certo scio Fridrico oblatas. de prophetis sic est, ut me longe plus tuis literis deterrueris ab hoc labore. 8i enim tu, ut scribis, tantum laborem suscipere non audes, quid ego faciam, cui preter reliqua ne etas quidem satis matura est his laboribus? itaque doleo nune quod repetivi chartas. nam etsi aliquid me facturum non plane recuso, famen nihil possum promittere melius quam tres antea editi prophete habent. in quibus eciamsi typographi opera merito reprehenditur, tamen satis scio quid ego prestare possum. eum ineruditum, negligentem et obmissum laborem si tu

1) Die sog. Stufenpsalmen (Luther: „Psalmen im höheren Chor“) d.i Ps. 120—184. Dietrichs Ausgabe erschien 1510.

5) Im Jahre 1540 fiel das Osterfest auf den 28. Mifz.

5) In Samuelis librum priorem enarratio Justo Menio auctore, gedruckt Wittenberg, 1589.

) Friedrich Myconius (Mecum), 1491—1546, seit 1524 Prediger und Superintendent in Gotha.

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probas, mi Meni, non recuso. sed mihi nunquam hoc pro- baveris, te non idem multis modis posse melius. de hoo respondebis!

De monstro Patavino!) sic est: clam se subduxit, venit ad Palatinum. is non paulo quam nostri egit sapiencius; ablegavit enim hominem ad Moguntinum, se dictitans senem et sacrarum rerum imperitum. in aula Moguntini primo sane in admiratione fuit atque id eo modo callide effecit: sicut apud nos primum in papatum invectus est, ita apud ipsum primo in Lutheranos exquisitissimis conviciis paravit sibi auditores; sed cum postea papistica quoque reprehenderit, explosus est. nune est apud Coloniensem. respondimus ei ac refutavimus somnia ejus?) sed accusat nos impios sacrilegos ef nihil non conviciorum in nos evomit.

De Cesare certo affirmant eum brevi in Belgico futurum. occurret ei rex Romanorum*). is a nostris sperat viaticum. adornantur hic multa ad pompam, qua tanquam rex Roma- norum excipietur. ego nuuc bis a senatu ideo compellatus sum, quod perstrinxerim eum publice tanquam persecutorem evangelii, speciem habet quod rex est, sed coetera displicent. mei enim nimium videntur eum amare. sed dominus faciat, ne plus ament homines quam deum, sicut promittunt multi boni viri quaeque*) malorum majorum copia. hee breviter respondere tibi volui. te oro, quoniam sepe per literas possumus eolloqui, ut id facias per ocium crebrius. bene in Christo vale. die veneris post Epiphanie 1540. Man wurdt dem konig) ein fassnacht halten, sicut quidam divinant.

Vitus tuus. Codex Nr. 19.

1) D. i. der Passauer Domdechant Rupert von Mosheim (1498 bis 1548), der, wegen heretodoxer Schriften seit 1580 aus Passau flüchtig, zuerst nach Nürnberg gegangen war und mit den dortigen Theologen disputiert hatte, dann die rheinischen Kurfürsten für sich zu gewinnen suchte, Schließlich wollte jedoch niemand etwas von seinen phantastischen, angeblich auf die Versöhnung zwischen den Konfessionen abzweckenden Ansichten etwas wissen und Rupert endete sein Leben in der Gefangenschaft des Kurfürsten von Mainz.

9) In der Epistola theologorum Norimbergensium ad D. Rup. a Mosheim, erschienen November 1539.

5) In Dendermonde bei Brüssel begegneten einander die Brüder gegen Ende Februar 1540: Nuntiaturberichte aus Deutschland 1. Abt. Bd, V. S. 96,

*) So? (zweimal die übliche Sigle für quae).

3) So?

39 199 VIII. 1540 November 24 Nürnberg.

Menius Abwesenheit von Hause. Sein Epigramm. Tod des Budaeus und des Eoban Hessus; Wertschützung der Loci communes Melanehthons durch den ersteren. Dietrich beschäftigt sich mit dem Propheten Micha und der Genesis. Sein Brief an Melanchthon über seine Familie. Ein in Paris aufgeführtes Schauspiel de ecolesia. Grüße.

Salutem in Christo. gaudeo, optime mi Juste, quod sanus et incolumis in tanto doctissimorum hominum numero nune vivis!) etsi enim ab ecelesia et domo tua fortasse non sine molestia abes, tamen Philippus et reliqui facile hoc incommodum aut mitigant aut tollunt suis eruditis et suavibus colloquiis. cum voluptate legi epigramma tuum ad collegas vestros. itaque existimavi gratiam aliquam hisce literis reddendam esse.

Nova apud nos non multa sunt. de Budei morte novisti?). is testamento hoe sanxit, uf noctu funeraretur sine illa super- sticiosa ratione, quae in divitum funeribus habetur. sed amici ob metum regis id non sunt ausi. ajunt eum in morbo semper habuisse ad manus Locos communes Philippi nostri ac sepius dixisse, in tota bibliotheca sua nee meliorem nec eariorem librum se habere. profecto insignia literarum lumina amisimus in Eobano nostro et Budeo. itaque magno studio peto, ut dominus vos longius nobis servet.

Memini te petere editionem prophetarum minorum. itaque ne nune nihil agerem, Micham in manus sumpsi, quanquam eciam noster Georgius“) cum Genesi satis me exercet, seripsi proxime Philippo de familia mea. itaque eam quoque fuis precibus commendo. bene et feciliter vale in Christo. datae Norib. 24 novembris 1540.

Missum est hic argumentum scenici ludi habiti Parisiis de eeclesia. te quaeso interroga Bucerum aut Sturmium, quomodo hic ludus sit habitus et significa. saluta amanter

1) Menius weilte als einer der kursächsischen Verordneten (neben Melanchthon und Cruciger) in Worms auf dem Beligionsgespräch. Auch die weiterhin im Briefe genannten Staatsmänner und Theologen waren als Teilnehmer des Religionsgesprüchs in Worms.

) Guillaume Budé, geboren in Paris 1467, T 22. August 1540 als Bibliothekar des Königs, unter dem Verdacht des Calvinismus, den später Witwe und Söhne bekannten. Eoban Heesus starb in Marburg am 6. Oktober 1540.

) Georg Rörer.

200 40

Crucigerum, Franeiscum cancell. et Chbilianum!), dominos et amicos meos observandos. Christus te et totum ecelesie vestre servet et defendat. amen.

Vitus tuus.

Optimo ef doctiss. viro

D. Justo Menio

evangelii Christi diligenti et fideli preconi, suo amico et fratri observando.

Codex Nr. 25.

IX. 1543 März 29 [Nürnberg].

Das Wirken des Menius in Mühlhausen. Unbefrie- digende Gestaltung der Dinge in Nürnberg auf dem Reiehstage. Eberhard von der Thann. Der Rat ver- hindert den katholischen Kultus der Fremden. Grüße an Hieronymus Wolff.

Salutem in domino, gaudeo, mi Meni, gratum fuisse officium meum ac precor dum domo abes?) ut ecclesia, quam Christo plantas, rite sumat incrementa per tuam fidelem operam. apud nos) de republica nihil deliberatum, sed ea negligitur strenue et interim aguntur alia. adversarii occa- sionem belli a Juliacensi*) oblatam nolunt negligere. ef nostri impediuntur, quominus contra Turcam possint conferre vires. ita perit discordiis patria et vere regnum in se divisum desolatur?) itaque commendamus tanto majore studio eccle- siam Christo, cujus resurrectio ut eciam hae in parte con- spici possit, admodum his temporibus necessarium est.

Domino Eberarto?) familiariter utor ac non possum non probare virtutem. ego hic non careo periculis, sicut olim ex eo audies, quod libere Satane regnum oppugno. nam

!) Franz Burkhard, kurfürstlicher Kanzler, und Kilian Goltstein, Dozent in der juristischen Fakultüt, auch Mitglied des Hofgerichts und des Konsistoriums zu Wittenberg.

9) Menius war von 1549—1514 in Mühlhausen in Th. mit der Durchführung der Reformation der Stadt und ihres Gebiets beschäftigt.

*) In Nürnberg tagte damals, unter dem Vorsitz König Ferdinands, ein Reichstag.

*) Herzog Wilhelm von Cleve.

5) Ev, Luc. 11 V. 17.

) Eberhart von der Thann (1495—1574), kurfürstlich-sächsischer Rat und Amtmann, gehörte der Reichstagsgesandtschaft Kurfürst Johann Friedrichs, der selbst dem Reichstag fernblieb, an.

Al 201

rex ceremoniis suis publice in arce utitur. tentarunt idem Granvela et Augustanus episcopus!), sed senatus serio id cavit. itaque propter liberam confessionem ego eos et laudo et amo impensius. nam quod rex facit, facit in sua domo, nam arx immediate Cesaris est.

Queso te, mi Moeni, saluta doctissimum juvenem Hiero- nynum Wolfium?), quem ita tibi commendo, ut in me eollatum putem quod in ipsum contuleris. doctus est preclare et est timens dei et excellenti modestia preditus. invidit eum mihi fortuna, alioquin Mulhusii non esset?) bene et feliciter vale. datae donnerstag post Pascha 1543.

Vitus tuus. Excellenti eruditione et pietate viro domino Justo Menio evangelii doctori Mulhusii, domino et fratri suo observando.

Codex Nr. 22.

X. [1543]* Dezember 16 Nürnberg.

Ruhe im Lande. Der Kaiser. Der nächste Reichs- tag. Die Türken in Ungarn. Podagra Dietrichs. Seine Arbeiten an den conciones domesticae Luthers, der Genesis und den kleinen Propheten. Hieronymus Wolff.

Salutem in Christo. Cui proximas tuas ad me dedisti, . amicissime Meni, se nobis, cum ad vos rediret, non indicavit. itaque spero te et Wolfium nostrum me culpa liberaturum, quod nullas receperitis, ita autem nunc sunt, quod ad novos rumores attinet, omnia tranquilla, ut nihil vobis significare possim. Cesar nihil aliud fecit hae estate quam ut sua defenderet, hosti") prorsus nihil nocuit. Camera-

1) Otto von Truchseß, seit 1548 Nachfolger Christofs von Stadion auf dem Augsburger Bischofsstuhle, 1544 Kardinal der römischen Kirche.

3) „doctiss. Wolfium“ von Dietrich unterstrichen.

5) Ein Hieronymus Wolff aus Oettingen wurde im Sommersemester 1588 in Wittenberg immatrikuliert. Förstemann Alb. I S. 169 b, 19. Ueber ihn vgl. auch die folgenden Stücke.

*) Daß der Brief, dem die Jahreszahl fehlt, in das Jahr 1548 gehórt, zeigt der Inhalt ohne weiteres.

5) D. i. König Franz von Frankreich; des siegreichen Feldzuges Karla gegen den Herzog von Cleve, dem er das Herzogtum Geldern abnahm, gedenkt Dietrich als eines allgemein bekannten Ereignisses nicht ausdrücklich.

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censis episcopus!) quod Gallum commeatu adjuverat, magna pecunie vi a Cesare est multatus, retinet tamen epis- eopatum. de comiciis silencium altissimum est, ideo ut de loeo quoque dubitetur. nam Speirae pestilitas dicitur minari advenis?) ^ apud Pannonios post occupata prae- sidia et urbes aliquas Turce quiescunt habes paucis, optime Meni, quae nunc“) feruntur. de me si scire optas, satis omnia sunt commoda, nisi quod pedum dolores indies redeant acriores. itaque non raro intercipiuntur studia mea, que ad ecclesie utilitatem libens conferrem. congessi hoc anno in unum volumen domesticas Lutheri conciones, quas ego quidem excepit). et videbam*) bisce nundinis partem Genesis, quam ut absolvam ipse Lutherus me hortatus est. itaque etsi ingens labor sit, tamen eum propter ecclesiam exhauriam, si volet dominus. Oseam quoque nunc in manibus habeo et absolvi pene ac perrec- furus eciam ad sequentes prophetas; sed Genesis impediet me. tu, mi Meni, Christum pro me et familia mea ora; nam non levia indicia sunt pestilitatis crudelius grassaturae. Hieronymum meum amanter salutabis, commendo tibi eum quam possum diligentissime. nondum abjeci spem retrahendi eum ad nos; nam cum jam pedagogo in hospitali liberalius solvatur stipendium, ea condicione optime apud nos esse posset. bene vale in Christo. datae Norib. 16 decemb. Vitus tuus.

Mitto tibi meum scriptum contra Ingolstadienses sub

alieno nomine editum.

Venerabili in Christo viro D. Justo Menio, ecclesiae Molhusiensis fidelissimo doctori, domino et fratri suo obser.

In seinem abwesen M. Hieronymo Wolff in Molhusen schulmeister.

Codex Nr. 16.

XI. 1544 Mai 1 Nürnberg.

Ist im Begriff sich nach Wildbad zu begeben. Die Angelegenheit des Hieronymus Wolff. Vom Reichstage. Selbstsucht der Fürsten.

1) Robert de Croy 1519—1556.

) Der Reichstag fand in den ersten. Monaten d. J. 1541 in Speier statt.

2) So?

*) Die sog. Hauspredigten Luthers wurden von Dietrich 1544 nach seinen Nachschriften herausgegeben. Köstlin-Kawerau, Luther II5, S. 984.

^ So?

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Salutem in Christo. carissime Meni. responsurus eram ulterius et tibi et Hieronymo nostro; sed nunc comparo me ad longinquum iter in thermas Neronias, que a feris nomen habent!) ac, quod faustum ac felix sit, cras hine movebo, itaque Hieronymi negocium, ut certi aliquid responderem. expedire non vacavit et abest quoque Hieronymus Baum- gartnerus, cujus opera in hae re mihi opus erit, si eam, ut volo, perficere cupio?). quod ad victam attinet, laute tracta- bitur Hieronymus ef, ut spero, conficiam praeter mensam et alia, quibus domi opus est, aureos quadringentos. quod veretur puerorum, ut ad me scribit, pertinaciam et maliciam, non solum nos medebimur ei malo, sed migrarunt qui tales fuerunt, et cepta nunc est acrior disciplina. quod pretexit de tradendis preceptis, eciam cum risu legi; nota enim mihi ejus non tantum verecundia et pudor, sed eciam pusillanimitas est. ego de tota ratione ejus collegii instituendi mutanda eum affine cogitabo, quem habebit non tantum gubernatorem, sed et srapaorazıv.

De comiciis nihil novi nisi quod imperabitur tributum, sicut ante annum, contra Tuream et Gallum. dominus excitet virum, qui serio de republica cogitet. principum avaricia et luxus non ipsos solum, sed totum imperium per- det ac habent adjumento licenciam, que in rebus publicis est et, ut summatim dicam, singuli conferunt ad eam rem suam symbulum?).

Precor tibi omnia felicissima, mi Moeni, ut donni te et familiam tuam servet. pro me precator, ut therme sint salu- tares et dominus me defendat in omnibus periculis. Hierony- mum meum amanter cupio salutari. scribere ei non potui in tot oecupationibus. date Norib. Philippi et Jacobi 1544.

Vitus tuus.

Vero pio fideli et erudito antistiti eeclesiarum Christi D. Justo Menio, nune docenti Christum Molhusii, suo majori. Mulhausen.

Codex Nr. 97.

) Wildbad im Schwarzwald.

3) In dem von O. Albrecht und P. Flemming aus dem sog. Manuscriptum Thomasianum veröffentlichten Briefwechsel Dietrichs mit Hieronymus Baumgartner (Archiv Bd. XII und XIII) wird Hieronymus Wolff nicht erwühnt.

5) So?

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XII. 1544 Dezember 11 Nürnberg.

Versorgung Wolffs in Nürnberg. Keine Zunahme der Pest. Reichstag in Aussicht. Die protestantischen Fürsten und Nürnberg. Dietrich erläutert den 2. Psalm auf Grund der Vorlesung Luthers. Arbeit an der Genesis Körperliche Leiden. Geburt eines Sohnes.

Salutem in domino. puto Lycium apud nos esse ef cum sua voluptate et multorum commodo. sed ipse de suo judicio ad te scribet, mi Moeni, de quo etsi mihi non constat, tamen quid ego existimem et quid mihi significaverit, referre volui. hoc omnino verum est, genus vite esse quiecius multo quam si in schola esset. nam quatuordecim tantum sunt quibus preest et adoleverunt hi in literis, adeo ut eciam exercicium non molestum, sed utile sit.

Apud nos dei gracia satis bono loco sunt omnia. nam pestis nihilo cepit post autumni tempus sevire magis quam antea. comicia nune in spe sunt!) ibi, audio, eciam vestri optimi viri captivi*) Hieronymi negocium tractabitur. quod vestri principes, quia nos foedere cum eis juncti non sumus, tam putant ad se non pertinere ac si Turce essemus, quasi non conjuncti religionis vinculo. id eur scribam, mi Moeni, scio; sed nobis licet queri de ipsis), emendari in tanta perversitate et corruptela morum non possunt.

Te cupio recte valere ac gratum feceris, si ostenderis quid nunc mediteris aut scribas; nam ociosum te esse non eredo. ego sub hoc tempus sumpsi describendum et enar- randum ecclesiae nostrae secundum psalmum, sicut eum Lutherus legit publice in schola. post ad 13. caput Genesis redibo. nam eum laborem ut absolvam, tota ecclesia me monet et movet. deus suppetat vires et arceat podagram, quae eciam manibus insultatur. in ea re tu quoque me precibus apud deum adjuves. bene vale in domino cum tua domo. superate*) septena dominus auxit familiam meam filiolo. datae Norib. 11 decembr. 1544.

Vitus tuus. Optimo et doctissimo viro D. Justo Menio Isenacensis ecclesiae pastori fideli, suo in domino fratri.

Codex Nr. 28.

1) Ein neuer Reichstag war nach Worms berufen worden (ver- gleiche auch Nr. 18). 995 So? 3) So? *) So?

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XIII. 1645 September 22 Nürnberg.

Besorgung von Musikliteratur im Auftrage des Menius. Die Seuche in Nürnberg hält sich in mäßigen Grenzen. Genesis- und Prophetenstudien. Der Reichstagsbeschluß. Der Kaiser und der Anschluß der Stadt Donauwörth an das Evangelium. Die literarische Tätigkeit Johannes Funcks. Gruß an Myconius.

Salutem in domino. cum tue litere afferrentur, Hierony- mus in patriam migrarat. veritus igitur, ne rediret tardius et, que tu scripseras, non conficerentur, tum ipsius tum tua fretus, mi carissime Moeni, familiaritate resignavi epistolam ac postea emi musicos libellos. extant alii quoque a Petreio !) editi (misse, item germanice conciones); sed cum peeunia non sufficeret, pro duobus joachimicis hosce delegi. graciam tibi habeo, quod video de salute te nostra solicitam credo autem sermonibus nunciari atrociora quam res est. nisi enim in- valesceí malum, prorsus tolerabile est; nam hoc toto tempore, quo contagium serpere animadvertimus, uno die non plus quatuor aut quinque hominibus periit. id autem in tam frequenti loco perexiguum est. dominus porro quoque nos servet ac taeatur. quod horteris ad Abrahe historiam pertexen- dam, etsi gravior is labor est quam quisquam estimat, tamen, si dominus vitam et vires dabit, gratifitabor ecclesiis. nune Jo&lem in manibus habeo, conveniens enim argumentum est his perturbatis temporibus. de comiciis supervacaneum est scribere, postquam decretum Wormaciense editum ). et fortasse Mazencius turbabit aliquid, connivente imo favente Carolo, qui duriter expostalavit cum Werdensibus ob mutatam religionem ). nuncius ejus negocii fuit cardinalis Augustanus episcopus. noster senatus, consultus ab eis, etiam a me, postulavit eos ut consolarer, id quod feci quantum dominus dedit.

Etsi de Funcio scribet Hieronymus, tamen existimavi de mea sentencia quoque tibi significandum, hoc opus, quod edidi, vere ipsius esse et non Osiandri, eum quo communi- cavit quedam, sed diligenciore inquisitione (huic enim uni rei vacavit jam multis annis) invenit cereiora multa. nune pertexit historiarum annotationes usque ad nostra tempora,

7) Johannes Petrejus, einer der angesehensten Nürnberger Drucker der Zeit, der such Musikalien druckte (+ 1550). |

) Der Abschied des Wormser Reichstags trägt das Datum des 7. August 1546.

) Die Reichsstadt Donauwörth wurde kurz darauf in den Schmalkaldischen Bund der Evangelischen aufgenommen, nämlich auf dem Frankfurter Bundestage (Dezb. 1545 bis Febr. 1546)

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idque ut Apocalypsin, quod sibi pollicetur, aperiat!) bene in domino vale, mi suavissime Meni, cum tuis omnibus. date Noribergae postridie Mathei 1545. ad Myconium cum Scribes, salutabis eum reverenter de me. | Vitus tuus.

Venerabili in Christo viro D. Justo Menio ecclesie Isnacensis pastori fidelissimo, domino ef amico suo observ.

Codex Nr. 30.

XIV. 1545 Dezember 13 ohne Ort.

Ein Sohn Dietrichs geboren. Arbeiten an den Psalmen und der Genesis. Podagraleiden. Hieronymus Wolff.

Salutem in domino. spero tibi nostras redditas, mi suavissime Moeni. nune cum tam anxie cupias scire de nostra salute, saltem ideo volui scribere, ut tibi et tuis precarer faustum et felicem annum, de peste nunc silencium, pene exulat jam. mihi autem auxit deus domum donato filio, qui tanto mihi est carus in quanto cerciore periculo mater fuit?) deo sit laus et gloria. nune secundum psalmum pene absolvi. postea ad Abrahamum me conferam, quem jam ex Aegypto cum Sara sua incolumem et recte defensum a domino reduxi ad Chananitas. interim®) orato pro mea valetudine, que quotidie mihi minatur lectum, adeo pedes prorsus nihil valent. bene vale in domino, optime Meni, cum tuis, Hieronymum puto scripturum. valetudo ejus quoque satis afflicta est.

Datae 23 decemb. 1545. Vitus tuus.

Dem erwirdigen herrn

Justo Menio zu Eisenach

pfarherrn, meinem sonder

lieben herrn und bruder zu handen.

Codex Nr. 21.

1) Funck, damals noch Pastor in Wöhrd bei Nürnberg, gab 1545 den ersten Teil einer Chronologia ab orbe condita (bis 1545) und 1516 das sog. Chronicon Carionis, das zuerst Melanchthon veröffentlicht hatte, mit einer Fortsetzung heraus (vgl. unten Nr. 15).

*) Dietrich hatte sich im Anfang seiner Nürnberger Wirksamkeit mit Kunigunde Leysin, einer Nürnbergerin, vermühlt, die ihm fünf Kinder gebar.

9) So?

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XV. 1547 Juni 28 Nürnberg.

Die Lage. Standhaftigkeit des gefangenen Johann Friedrich. Dietrich vom Amt suspendiert; Gründe. Seine Arbeit an der Genesis. Funcks Chronicon; ist vom Magistrat abgesetzt, sucht ein Unterkommen. Osiander. Hieronymus Wolff. Bugenhagens Schwiegersohn aus der Gefangenschaft befreit.

Salutem in domino. gracias ago filio dei, gubernatori ecclesiae, quod te et cives tuos servavit. nam reliqua que acciderunt, deplorari possunt, corrigi non possunt ac judica- mus omnes, aliam tocius negocii futuram catastrophen quam nunc apparet imprimis autem consolatur nos principis optimi!) constans et fortis animus, qui e£9vguógroc*) hane fortunae procellam in se motam hactenus tulit. de eeclesiae nostrae statu quod queris, aliquid turbatum est. mihi enim interdictum publico nomine est, ne doceam amplius, dum genatus iterum jusserit. causa impositi sileneii non simplex est. arripuerunt meum quoddam dietum, quasi reprehenderim ordinaria tributa. deinde accusatus sum a quodam regio consiliario, praefecto vallium, quod ipsum una cum rege notarim publice, reprehendens novas et inusitatas usuras, quas princeps in senatu exercet. cum igitur ille se rem ad regem delaturum minaretur, hoc putarunt nostri remedium, si me juberent tacere. fero injuriam et ecclesiae causa dissimulo, quae facile irritaretur. sed graviter peccat mundus, fantum sibi sumens juris ef potestatis contra ministerium, quod dei est. quis futurus finis sit, nescio. si volent prae- finire leges docenti, quantumvis manibus et pedibus laborans deseram hunc locum.

Hodie cepi scribere inicium XVI. capitis in Genesin de Sara. Funcius, ut audio, absolvit chronicon, sed caret im- pressore. nam officine librarie in nostris rebus publicis omnibus nune sunt ociose, veretur enim magistratus periculum. coeterum Funcius penitus a ministerio est amotus propter levieulam sane causam, quod metuens Hispanos aliquandiu hino se subduxit clam senatu. si ei locus alicubi apud vos esse posset, eciam exiguam condicionem acciperet’). eruditus qualis sit, nosti et est bene facundus. vale felix

1) Johann Friedrich von Sachsen.

1) Soviel als eddUuws (guten Mutes).?

) Wenige Monate später begab sich Funck, von Dietrich empfohlen, zu Herzog Albrecht von Prenßen nach Königsberg, wo er Ende Oktober 1547 eintraf, einer glänzenden, aber auf dem Richtblock endenden Laufbahn entgegen.

208 48

in domino cum tuis et reel tov Aexovsos aixuakwrov rescribe aliquando, si quid habes d5uoàóyov. Datae Norib. pridie Petri et Pauli 1547. Osiandrum compellari jussi de responso; sed negavit se nunc habere quid scribat.

Wolfius noster sue melancholie indulgens penitus nos deseruit est nunc in patria. eo mittam tuas literas. miser est et tamen non patitur sibi consuli.

[Am Rande.] Pomerani gener, captus ab Octavio pontificis nepote in vallibus Joachimicis, feliciter cum divina ope liberatus est. Tuus.

Dem erwirdigen

herrn Josten Menio

zu Gottha, meim sonder

lieben herrn und freunde zu eigen handen.

Codex Nr. 29.

XVI. [1548] August 16 Nürnberg.

Nürnberg widerstrebt dem Interim; die kirchlichen Neuerungen dort halten sich in engen Grenzen. In Augsburg ist alles papistiseh. Mißglückter Anschlag der Kaiserlichen auf Konstanz. Brenz’ Aufenthaltsort unbekannt.

Salutem in domino. adhuc dei gratia retinemus veterem eeclesiae formam, quanquam non desunt qui assiduo solli- citent literis et mandatis ad impiam mutationem. audio autem nostrum senatum publice profiteri, quod non consen- serit in totum Interim. itaque nihil videntur facturi aliud quam ut plus festorum dierum instituant et quibusdam diebus macellum occludant. quidam mussitant etiam de restituenda elevatione.

Augustae omnia sunt papistiea. relictum est civibus tantum unicum templum et audio conciones omnes inter- dictas, ne qua scilicet sit occasio dissensionum reliqua. Caesariani ex insidiis sexta Augusti conati sunt occupare Constantiam, sed conatus irritus fuit. dux ipsorum cum ducentis interfectus est, civium autem circiter centum occu- buerunt!) parum abfuit quin civitas caperetur. hoc ini- tium putatur belli novi si quid comperero, quod vos scire referat, significabo. Brentius ubi sit nes-

!) Zu dem Anschlag auf die Stadt Konstanz vgl. auch Nuntiatur- berichte aus Deutschland, 1. Abt. Bd, 11 S. 69 f.

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cio). benevale, doctissime et idem mihi charissime Meni, et ora pro me valetudinario ).

Datae Noribergae 16 augusti. Vitus tuus.

Reverendo in Christo viro D. Justo Menio ecclesiae Gotthorum doctori .. .

Codex Nr. 13a.

ı) Brenz, durch den Umschwung infolge des Schmalkaldischen Krieges aus Sohwäbischhall vertrieben, führte längere Zeit hindurch ein unstätes Flüchtlingsleben.

) Dietrich erlangte seine Gesundheit nicht wieder völlig zurück. Er starb nach längeren Krankenlager schon am 25. März 1519. erst 43 jährig.

Archiv far Reformationsgeschichte. XXII. 3/4. 14

Die Reichsabtei Fulda am Vorabend

der Reformation. Von Paul Kalk off.

Schon die Romantik hat über die Ritter- und Kloster- geschichte des ausgehenden Mittelalters einen verklärenden Schimmer gebreitet. Dann hat die katholische Geschicht- schreibung unter dem Vorgang Kampschultes und Janssens sich planmäßig bemüht, für diese Zeit einen Aufschwung des kirchlichen Lebens, eine Blüte der Wissenschaft und Kunst, eine Hebung der allgemeinen Sittlichkeit, eine Befriedung des innern Lebens in Stadt und Land nachzuweisen als herrliche Früchte des herrschenden kirchlichen Systems, der Verbindung päpstlicher Allgewalt mit der Unfehlbarkeit der scholastischen Methode. Alles das ist durch das Auftreten Lutbers mit seinem revolutionären Anhang von raubgierigen Fürsten und ztügellosen Literaten jählings zerstört worden. Dabei werden die kirchlichen Einrichtungen und ihre Würden- träger nach einem bestimmten Schema gezeichnet, und, wo der quellenmäßige Befund zu diesem character indelebilis nicht stimmt, wird er mindestens mit Stillschweigen tiber- gangen.

Auch die Geschichtschreibung des Hochstifts Fulda von dem Jesuiten Chr. Brower?) und dem fürstlich fuldaischen Historiographen J. Fr. Sehannat (gest. 1739) an bis auf den fleiBigen Forscher und Herausgeber Fuldaer Geschichts- quellen G. Richter?) macht davon keine Ausnahme, zu- mal in der Darstellung der wildbewegten Regierung des Abtes Hartmann und seiner Persönlichkeit, für dessen Tatendrang die dureh stündische Rechte eingeengten Ver- hältnisse einer Reichsabtei offenbar zu eng waren. Man hat dabei schon die Angaben einer bereits von Brower gekannten Quellenschrift vorsichtig aus dem Spiele gelassen, die man

1) Fuldensium antiquitatum Il. IV. Antwerpen 1612.

*) „Ulrich v. Hatten und das Kloster Fulda“ in mehreren Heften der Fuldaer Geschichtsblätter. Ztschr. des F. Geschichtsvereins hrsg. von G. R, Bd. VIIf. Fulda 1908, In den zahlreichen späteren Verüffentlichungen des Vereins und dieses seines Leiters wurden Quellen für die Zeit Huttens nicht mehr mitgeteilt.

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jedoch eifrig benutzt hat, um die Legende von Hutten als dem „entlaufenen Mönche“ zu bekrüftigen. Denn da dieser sich darauf beruft, daß man ihm keinen Propst oder Dechanten nennen könne, unter dem er Profeß getan haben solle, so verweist man auf die Chronik des Apollo von Vilbel, der diese Würden in Fulda bekleidet habe und bei der Er- wähnung von Huttens Tode sein Mönchtum bezeuge ). Aber dieser aus der Wetterau stammende Prülat ist erst seit 1508 in Fulda nachweisbar, wo Hutten nur von 1499 bis 1505 weilte, und gehörte wohl vorher dem Kloster Limburg an, wo er 1536 als dessen Abt verstarb. Er ist also keineswegs ein „Zeuge“, wie ihn Hutten fordert, und schrieb seine Er- innerungen erst 1531 nieder, darunter auch, was er von Huttens Gegnern gehört hatte?), Sein angebliches Zeugnis wird aber bei genauerem Zusehen noch dadurch entkrältet, daß für ihn und seinesgleichen das Wort „monachus Fuldensis* nieht den schlichten Benediktinermönch, den bürgerlichen Konventualen bedeutet, sondern den adligen Inhaber der reich ausgestatteten Dignitäten und besonders der stattlichen Propsteien. Und nur zur Versorgung mit einer solchen hatten Huttens Eltern, der harte Raubritter mit seiner als Schwester Mangolds von Eberstein gewiß auch nicht sentimentalen Mutter, den Knaben nach Fulda gebracht. Die in der Regel des hl. Benedikt und der ältesten Ordensgeschichte bezeugte Sitte der „oblatio“, die das bei Hutten nicht nachweisbare Gelubde bei dauernder Zugehörigkeit in späterer Jugend rechtskräftig ersetzt haben soll, war hier mit andern ehr- würdigen Erbstücken längst in Vergessenheit geraten. Dazu aber gehörte beinahe auch die ehedem so berühmte und zahlreich besuchte Klosterschule, die nur noch ein ktimmerliches Dasein fristete und der die jugendlieben Auwärter auf Kapitelstellen, die Söhne des rings im Buchenlande sitzenden Adels, nicht ohne weiteres zugezählt wurden. Diese genossen wie die Domizellare an den bischöflichen Stiftskirchen größere Freibeit, wurden oft schon sehr zeitig zum Genuß von Pfründen zugelassen und zu zweijährigem Universitätsbesuch be- urlaubt. Der siebzehnjährige Hutten hatte also gar nicht

) Die Widerlegung ausführlicher im II. Kap. meines Buches „Huttens Vagantenzeit und Untergang“, das eine Ergänzung der Arbeit über „Ulrich v. H. und die Reformation“ (Leipzig 1920) und den ersten Teil des Gesamtwerkes: „Der geschichtliche Hatten und sine Umwelt“ darstellt. Hier angeführt mit HR.

*) Die Chronik des A. v. V., hrsg. von Jos. Rübsam. Ztschr. des Vereins für hessische Gesch. u. Landeskunde. N. F. XIV, 196 fl., 989. Kassel 1889, Weiter angeführt mit HZ.

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nötig, „aus dem Kloster zu fliehen“, sondern folgte nur seinem unbändigen Drang zu zügellosem Leben. Wie es aber mit der aus Fulda mitgebrachten Bildung nach den dortigen Verhältuissen aussehen konnte, das verrät Apollo von Vilbel mit einem von G. Richter übersehenen Wörtchen: Hutten sei „als gekrönter Dichter und im Besitz großer Gelehrsamkeit gestorben, obwohl (quamvis) er vorher ein Fuldaer Mönch war“. Er hat dann, getreu den räube- rischen Ueberlieferungen seiner Familie die von einem bürgerlichen Konventualen bestens geordnete und einge- richtete Bücherei um drei wertvolle Handschriften bestohlen, die sich in seinem Nachlasse vorfanden!). Im übrigen hatte er durch seine Entfernung und sein Vagantenleben die Gunst der Kapitelherren keineswegs verscherzt, da diese nur seine Herkunft und standesgemäße Gesinnung im Auge hatten: die Reichsabtei war eben, wie das Kölner Dom- kapitel für den bohen, so ihrerseits das „Hospital“ für den buchonischen Adel. Der Chronist berichtet denn auch in der Hauptsache nur, welche Pfründen seine Ordensbrüder innehatten, wie sie sich als „große Bauherren“, besonders durch Errichtung behaglicher Wohnbäuser und reichgefüllter Speicher auszeichneten und hie und da unter dem ,morbus Gallicus“ zu leiden hatten, darunter er selbst und Huttens gepriesener Gönner Frank von Mórlau. Das waren die „sacrifieuli idiotae et paene analphabetae*, mit denen, wie der arme Lateinlebrer Crotus Rubianus klagte, kein Verkehr möglich war, wenn man nicht ,triuken und spielen, Wucher und Liebschaften pflegen wolle“. Er hat sich für die ver- lorene Zeit entschädigt. indem er sie samt dem „upollinischen“ Latein in den ergötzlichsten Gestalten seiner obskuren Brief- schreiber), wie dem Magister Konrad von Zwickau, porträtierte.

In dieser Umwelt hat sich also der beranwachsende Hutten bewegt, als er zu „verständigen Jahren kam und das Leben ein wenig kennen lernte“. Und es muß ihm bei seiner wilden Sinnesart hier um so mehr behagt haben, als es aueh uuter dem tüchtigen und kriegserfahrenen Abte

1) Nachgewiesen von G. Richter, Fuld. Gesch. Bl. (FGB) VIII, 36—40.

N Als geschichtliche Quelle sind die Epistolae obscurorum viro- rum also eine Kombination der Fuldaer Zustände mit dem Verlauf der Reuchlinschen Fehde, eine Frage, die W. Brecht ausdrücklich beiseite gelassen hat, Die scholastischen Theologen wurden dadurch entlastet. Eingedenk des „Malum dabunt Metelli^ hat Crotus seine Satire ausschließlich in bürgerliche Kreise verlegt.

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Jobann noch unruhig genug zuging. Die „Fuldaer Mönche“ waren und blieben die Söhne des gewalttätigen und selbst- süchtigen Adels, der seit Jahrhunderten den Nachfolgern Sturmis hart zugesetzt hatte. So war Heinrich VII. wegen seiner Schulden wirtschaft 1370 erst der Pflegschaft zweier Kapitularen unterworfen, dann aber abgesetzt worden. Konrad III. wurde nach zahlreichen Fehden erst einem ständischen Ausschusse untergeordnet und dann 1483 er- mordet; ein anderer soll „getürangelt“ worden sein. Besonders bezeichnend aber ist der Bericht, den jener Abt Johann 1472 seinem Bruder, dem Grafen Wilhelm von Henneberg, ab- stattete. Er war selbst als Hauptmann des Stifts empor- gekommen, indem sein Vorgünger, Graf Reinhard von Weilnau, ibn im Kampfe gegen Hessen und die Herrn von Riedesel in seinen Dienst genommen und dann zum Koadjutor bestellt hatte. Bei dessen Rücktritt sträubte sich zwar das Kapitel, ibn als Abt anzuerkennen, fügte sich dann aber. Der neue Abt, der alsbald mit der Kutte und der Tonsur auch einen der Ordensregel entsprechenden Lebenswandel annahm, be- mübte sich nun, auch die im Stift eingerissenen Mißbräuche abzustellen, wobei er auf den heftigen Widerstand der adligen Kapitelberren stieß. Er lud nun auf den 15. August 1472 den Dechanten Johann von Romrod, die Pröpste der um- liegenden Kirchen und die übrigen Mitglieder des Kapitels zu einer Beratung über die Reform des Klosters zu sich. Als nun der Dechant und der Propst auf dem Petersberge den Abt noch allein in seinem Speisesaale antrafen, bemerkte dieser, daB der Propst unter seinem Kleide ein Beil und ein Schwert verborgen hatte. Er war sich sofort klar darüber, was die beiden, die schon unter seinem Vorgänger der Reform heftig widerstrebt hatten, im Schilde fübrten, und ließ den Propst sofort verhaften. Selbstverstäudlich traten nun der Dechant und das ganze Kapitel für den Verdächtigen ein, gelobten aber schließlich mit Handschlag, derartige Anschläge nicht zu wiederholen, so daß der Abt sich bereit finden ließ, den Propst wieder freizugeben !).

Die Familie Huttens hat nun auch nach seinem Weg- gang fort und fort in nahen Beziehungen zum Stifte Fulda gestanden; sein Vater verzichtete keineswegs auf die Aus- sicht, ibn dort noch standesgemäß zu versorgen. Nachdem er 1514 als Agent des Mainzer Domkapitels in dem von revolutionärer Leidenschaft durchwühlten Erfurt jene furcht- bare Rolle gespielt hatte, die Strauß irrtümlicherweise seinem

1) Cyriacus Spangenberg, Chron. Henneberg. bei Schannat, Hist. Fuldensis. Leipzig 1729. IT, 843 ag.

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Sohne zugewiesen hat!), begleitete er im Dezember den, neuen Abt Hartmann als dessen „Rat von Haus“ noch einmal auf einer diplomatischen Sendung nach der Hauptstadt Thüringens. An diesen hat in jener Zeit der kurmainzische Hofmeister Eitelwolf von Stein die Mahnung gerichtet, den begabten Schriftsteller nicht zum Eintritt in den Orden zu drängen („Tune hoc ingenium perderes?“), wohl in der Be- sorgnis, daß er in dieser Gemeinschaft noch schneller und. rettungslos verwildern würde. Der Poet hat dann wieder- bolt die Gastfreundschaft des Klosters in Anspruch genommen und muß also auch von den späteren Vorgängen Kenntnis gehabt haben. Um so auffälliger ist es, daß dieser Vor- kämpfer für nationale Freiheit und sittliche Besserung der Kirche, der sich rühmte, er sei geboren, Tyrannen zu be- fehden und zumal die bösen Kurtisanen mit heiligem Zorn verfolgte, zu allen diesen Dingen geschwiegen hat. Denn gerade diesen Typus des eigenmächtigen, habgierigen Prälaten, des „Kurtisanen“, der, mit päpstlichen oder kaiserlichen Vollmachten ausgerüstet, die Rechte der heimat- lichen Kirchen und ihrer Píründner verletzt?), vertritt der Abt Hartmann mit seltener Hücksichtslosigkeit Die nüchternen Tatsachen, die uns über seine kurze, aber stürmische Herrschaft Überliefert sind, werden durch die Klagen des Fuldaer Dechanten und Bruchstücke seines Brief- wechsels im Familienarchiv belebt. Dieses Bild ist auch für die Reichs- und Reformationsgeschiebte von Wert, da der vertriebene Würdenträger auf dem Wormser Reichstage zu den eifrigsten Mitgliedern der papistischen Gruppe, den tätigsten Werkzeugen Aleanders gehörte, den er schon bei der verunglückten Bücherverbrennung in Mainz gegen die von Hermann von dem Busche nicht von Hutten! angeführten Studenten beschützt hatte. Zweifel- jos ist er auch für die erschlichene Annahme des Wormser Edikts mit verantwortlich zu machen®). Zugleich ermißt man, wie wenig zutreffend G. Richter es begründet, daß „zu Zwangsmitteln“ gegen den „entlaufenen Mönch“ „am w enigsten

1) Vgl. das V. Kapitel von „Huttens Vagantenzeit“.

) Luther führt das Ueberhandnehmen der ,Stiftsrüáuber und Píründendiebe, der Kortisanen“, als eines der Vorzeichen des jüngsten Gerichts in der verweltlichten Papstkirche an. Vorrede zur Apoka- lypse, 18. Kap. Erlanger Ausg. 63, 158.

5) Deutsche Reichstagsakten, Jüng. Reihe (DRA) II. 741,26. P.Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. München 1929 (weiter zitiert mit WB.) S. 58f 278. Den Abschied vom 26. Mai hat er noch persönlich bewilligt.

66 215 ein Mann wie der Koadjutor Hartmann geneigt sein konnte, ih dessen Händen seit 1507 hauptsächlich die Verwaltung der Abtei lag, der aber selbst der Richtung der jüngeren Humanisten sd nahe stand und sich von ihnen als Mäzen feiern ließ“?).

Ursprünglich hatte in Fulda Gütergemeinschaft zwischen dem Abt und dem Kapitel bestanden, das sich aus dem Klosterkonvent unter dem Dechanten und aus den Prälaten, den Vorstehern der zwölf fuldischen Eigenklöster, auch der Frauenklöster (den Pröpsten) zusammensetzte?) Schon um 1300 war die Trennung der Abtsgüter von den Konvents- gütern durchgeführt worden, und im 16. Jahrhundert wurden wieder die Gtiter der adligen Pröpste und Kapitularen von denen der bürgerlichen Konventualen, die im Hauptkloster lebten, gesondert“). Die Ritter des Buchenlandes hatten schon seit dem 13. Jahrhundert die Kapitelstellen für ihre Söhne in Anspruch genommen, ein Vorrecht, das auch bald in den Statuten der Hauptkirche, des alten Benediktiner- klosters zu S. Salvator, festgelegt wurde. Sie allein waren Wahlberechtigt, und schon seit 1222 war so die Abtswürde ein Vorrecht des Adels geworden; doch blieb sie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts dem hohen Adel, den Grafen- Bäusern von Weilnau, Henneberg u. a. vorbehalten“). Später Kanden die adligen Kapitelherren nur formell auf Grund ihrer Profeßablegung in loser Verbindung mit dem Kloster.

Bei den Kämpfen, in denen sich im Laufe des 14. Jahr- hunderts die ständische Verfassung des Fürstentums heraus- bildete, handelte es sich im wesentlichen um die Verfügung über die Stiftspüter, so daß die Gläubiger des Abtes kein Pfändungsrecht an den Einkünften des Konventstisches aben sollten. In den Statuten von 1895 war bestimmt worden, daß der Abt bei wichtigen Regierungshandlungen mebt nur an den Rat, sondern an die Zustimmung des

1) FGB. VII, 68. VIII, 28. 57, ... Das folgende nach der gründlichen Arbeit von K. Grossart, Die Landstände in der Reichsabtei F. und ihre Einungen bis z. J. 1410. *GB. XII (1918), 118 fl. 158ff. 161 ff. XIII, 1fl. 46 fl. 77 fl. 90ff. " 5j FQB. VII, 88 fl. 88. f

*) K. Arnd, Gesch. des Hochstifts Fulda. Fulda 1860, 8. 67ff. Die Zahl der bürgerlichen Konventualen, die im 18. Jahrh. für das Hauptkloster auf 58 festgesetzt war, schmolz immer mehr zusammen. Die Pröpste der Sekundärstifter hielten sich gewöhnlich nur einen bürgerlichen Mönch, der die Seelsorge übernehmen mußte. Im 16. Jahrh.

nd die Abtei aus etwa sechs Adligen und nicht viel mehr Bürgerlichen. Wetzer-Welte, Kirchenlexikon IV, 2106.

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Kapitels gebunden sein sollte. Doch gehörte dieses im Unterschied von andern Territorien nicht zu den Land- ständen, sondern es bildete einen Teil der Landesherrschaft. Denn wenn die Vertreter des Landes, Ritterschaft und Städte, zugezogen wurden, traten diesen „Abt, Dechant und Konvent“ als Landesherren gegenüber. Die Städte waren dabei zu- nächst in starker Abhängigkeit vom Abte, der sie schwer besteuerte und ihre Verfassung und Verwaltung beeinflußte; doch traten sie bei den schon angedeuteten Kämpfen am Ende des 14. Jahrhunderts gleichberechtigt neben Kapitel und Ritterschaft. Diese hatte sich seit Ende des 13. Jabr- hunderts fast unabhängig gemacht; denn aus den Ministe- rialen war ein freier Lehnsadel geworden, der in zahlreichen Fehden mit den Aebten seine Verbindung mit dem Stifte immer mehr lockerie, besonders seit er auch von andern Herren Lehen empfangen durfte. Seine Kriegsdienstpflicht war so gut wie wertlos, da das Stift den ganzen Unterhalt bestreiten und Schaden ersetzen mußte. Der Adel kümmerte sich überbaupt nicht um seine Pflichten, wahrte aber um so eifersüehtiger seine Rechte, vor allem das Fehderecht, den Gerichtsstand vor dem Abte, doch nur nach dem Spruch von Standesgenossen, die eigene Gerichtsbarkeit über die Hintersassen und die Freiheit von Steuern, besonders von der Bede.

Aber trotz seiner glänzenden wirtschaftlichen Stellung, die es mit sich brachte, daß die Aebte besonders bei ihrer Ritterschaft verschuldet waren!), zeigte sich diese unersättlich, wobei besonders die Hutten sich hervortaten: so hatte unter dem Abte Friedrich von Romrod ein Mitglied der Stolzen- berger Linie die Stiftslande schwer bedrängt, die Kirchen gebrandschatzt, die Bauern beraubt und erschlagen, die Bürger von Fulda überfallen“). Schließlich wurden in den schweren Kämpfen am Ende des 14. Jahrhunderts die Aebte mehrmals gezwungen, die Verwaltung an ständische Ausschüsse abzutreten, und so bildete sich aus diesen Einungen und den Landfriedensbünden jene ständische Ver- fassung, die in den Statuten von 1395 und 1410 enthalten ist. Dabei hatte sich das Stiftskapitel eine über- ragende Stellang mit dauerndem Einfluß auf die Geschäfte

1) Das Dorf Müllenroth wurde 1889 an einen Hutten verpfündet; 1878 erwarben diese Stolzenberg, Soden und Salmünster für 5400 Pfund von einem andern Ritter, dem sie der Abt um diese Summe ver- pfändet hatte. FGB, XIII, 23. Vgl. auch Schannat, Fuld. Lehnhof. Frankfurt 1726. S. 115—117.

) Arnd, S. 90.

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gesiehert. Es bildete einen förmlichen Staatsrat, der bindende Beschlüsse fassen konnte. Der Abt, der auf diese Urkunde als seine Wahlverschreibung verpflichtet wurde, durfte sich auch durch den Papst nicht von diesem Eide entbinden lassen. Und eben so entschieden wahrte das Kapitel seine Macht den weltlichen Ständen gegenüber, wobei jedoch der Adel insofern begünstigt war, als die Kapitularen aus seinen Reihen hervorgingen und den Vorteil ihrer Familie im Auge behielten.

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts scheinen sich unter der langen Regierung Johanns II. (1476—1507) die inneren Zustände gebessert zu haben, wenn auch immer noch Fehden gegen den Abt vorkamen, der nach wie vor nicht ohne viele Verpfändungen auskommen konnte. Doch hören wir ron Versuchen zur Reform der Klostergeistlichkeit, von Pflege der Baulichkeiten und Klosterschulen. Und so konnte unter ihm als Kustos der Hauptkirche und Kaplan des Abtes der Frater Joh. Knötel (gest. 1505), also ein bürgerlicher Konventuale, ein Mann von großem Fleiß und gründlicher Bildung, auch die altberübmte Bibliothek in guten Zustand versetzen und künstlerisch ausstatten. Dabei hatte er eine sweckmäßige Aufstellung vorgenommen, wie man noch zur Zeit der Abfassung der Chronik Vilbels beobachtete, und ein stattliches Register angefertigt, so daß jedes Buch so- gleich zu finden war!).

Doch wurden diese friedlichen Bestrebungen immer wieder durch schwere Fehden unterbrochen, in die der Abt durch die Zügellosigkeit des niedern Adels und die Begehrlich- keit benachbarter Dynasten verwickelt wurde. So war gerade in den Jahren, als der Knabe Ulrich die Kloster- schule besuchte, das Stift von Waffenlürm erfüllt. Schon um das Jabr 1475 hatte der Abt mit den Ganerben des Hauses Buchenau?) einen schweren Strauß auszufechten gehabt. Ein Mitglied dieser Sippe, der Ritter Engelhard, vergeudete dann seine Habe mit einem ehrlosen Weibe und verkaufte seine im Stift belegenen Güter an den Landgrafen Wilhelm den Jüngeren in Marburg. Da er aber mehr ver- kauft hatte, als sein eigen war, erwirkte der Abt eine kaiserliche Entscheidung, die den Kauf rückgüngig machte, worauf der hessische Hofmeister in das Stiftsgebiet einfiel und ein Dorf niederbrannte. Nun zog der Abt selbst gegen den Hauptschuldigen, jenen Ritter von Buchenau, zu Felde,

!) HZ. S 218. ) Ein Otto von Buchenau starb 1504 als Propst von S. Michael. HZ. S. 218.

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der zablreiche Knechte angenommen hatte. Doch siegten die Fuldischen in einem blutigen Scharmützel uud nahmen den Ritter gefangen. Da aber traten 1499 dem Landgrafen auch der Pfalzgraf und Herzog Erich von Brauuschweig zur Seite, während der Abt vom Landgrafen Wilhelm in Spangenberg unterstützt wurde. Die Herzöge von Sachsen suchten zwar zu vermitteln, aber der Abt konnte erst &uf- atmen, als i. J. 1500 sein sehlimmster Bedränger, der jüngere Landgraf, auf der Jagd tödlich verunglückte!).

Aber noch in den letzten Lebensjahren Johanns, schon unter der Regierung des energischen Koadjutors Hartmann, sollte das Stift nicht zur Ruhe kommen. Im Herbst 1512 klagt Mutian, daß Crotus, der durch sein Lehramt an Fulda gefesselt sei, ihn besonders deswegen nicht einmal besuchen künne, weil unter den München, d. h. den adligen Kapitel- herren, ein Zwist ausgebrochen sei und eine Fehde zwischen dem Abte und den Rittern von Riedesel wütete. Mutian ruft daher dem neuen Abte zu, als dieser im nächsten Früh- jabr inthronisiert wurde:

„Ergo, pater felix, equites compesce protervos!" Und in einer Beglückwünschungsrede führt er aus, wie der alte Abt sich besonders deshalb nach einem tüchtigen Nachfolgerum- gesehen habe, weil die ungezügelte Wildheit des Adels der Leitung der Stiftsherren widerstrebte und seine Habgier und Neuerungssucht den Bestand der Fuldaer Kirche gefährdete“).

Und so hatte der Abt Johann sich auch bitter getäuscht, wenn er von der Stiftung eines Ordens des hl. Simplicius sich eine Hebung der Ritterschaft in sittlicher Hinsicht und eine Minderung des Fehdewesens versprach. Die Mitglieder, die vier Ahnen mit Helm und Schild belegen mußten, sollten durch eine silberne Kette mit dem Bilde des Heiligen ausgezeichnet werden; aber das Mittel, das gleichzeitig an manchen anderen Stellen wie in Brandenburg mit dem Schwanenorden, versucht wurde, zeigt nur, daß man das Uebel wohl richtig erkannt hatte, Aber zu seiner Bekämpfung ohnmächtig war.

Ein greifbarer Erfolg aber dieser Regierung, die An-

sammlung eines Schatzes®) als Zeichen wirtschaftlicher

') Spangenberg bei Schannat, im II. Bd, der Hist. Fuld, dem Codex probationum p. 345 sq. |

*) K. Gillert, Briefwechsel des Mutianus Rufus. Halle 1890. I, 304, 339, 811.

*) Nach Spangenberg hinterließ er 10000 Gulden bar, von denen +r 1000 Gulden drei benachbarten Stiftskirchen vermacht hatte. Cod. pab. p. 846,

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Hebung des Hochstifts, wurde durch den Nachfolger zerstört, der diese Mittel in unnützen Ausgaben vergeudete, so daß die Fuldaer Kirche, die sich von dem geschäftskundigen Manne das Beste versprochen hatte, nur Unglück und Schaden von ihm hatte.

Dieser Abt Hartmann genoß bei seiner Erhebung zum Koadjutor grofes Ansehen als ein tatkrüftiger, gründlich unterrichteter Mann von hervorragender Gewandtheit und Redegabe!. Der Zweig der Burggrafen von Kirch- berg, dem er angehörte, war schon unter seinem Groß- vater Dietrich VI. während des sächsischen Bruderkrieges in Vermögensverfall geraten, sodaß das Stammgut Cranich- feld verkauft werden mußte und schon sein Vater Albrecht IV. sich heimatlos in fremdem Kriegsdienst oder als Begleiter fürstlicher Personen auf Wallfahrten durchschlagen mußte. Schließlich ließ er sich in Erfurt nieder, wo er das Bürger- recht erlangte und 1471 starb. Seine beiden Söhne wurden von einem Stiefvater erzogen und studierten dann von den Resten ihres Erbgutes in Erfurt, wo der jüngere 1495 starb, während Hartmann (geb. 1465) schon 1484 nach der Unsitte der damaligen Universitäten die Würde des Rektors be- kleidete und 1487 auch ein Kanonikat an der Mainzer Domkirehe und die Würde eines Doetor legum erlangte?). Im J. 1494 war er in kirchlichen Geschäften in Rom, wo er sich in die Bruderschaft der deutschen Nationalkirche, der „Anima“, aufnehmen ließ®); 1501 wurde er als Assessor an das Reichskammergericht nach Nürnberg berufen. Dann trat er als Rat und Auditor in die Dienste des Kardinal- : legaten Raimund Peraudi, als dieser in den nächsten Jahren Deutschland zur Vertreibung des Jubelablasses bereiste*). Wenn er nun 1507 von Abt Johann II. als Koadjutor an- enommen wurde, so ist außer der Zustimmung des Kapitels Auch die Empfehlung des Kaisers vorauszusetzen, an dessen Hofe der Abt von Fulda die Ehrenstelle eines Erzkanzlers der Kaiserin bekleidete. Er suchte dann auch schon im

) Nach Vilbel, HZ. S. 221.

) Die genaueren Nachweise in dem auf reichem archivalischen aterial beruhenden Werke von H. F. Avemann, Beschreibung der

ichs- und Burggrafen von Kirchberg. Frankfurt a. M. 1747, S. 234 ff.

G. Bauch, Die Universität Erfart im Zeitalter des Frühhumanismus. Breslau 1904, S. 117. | 9 [C. Jaenig], Liber confraternitatis B. Mariae Teutonicorum de Urbe. Rom 1875. p.89: als Kleriker der Diözese Naumburg.

*) Ablaß für das Kirchbergische Dorf Farnrode, d. d. Braun- schweig, 1503, März 7. Avemann, Anhang S. 170ff.

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nächsten Jahre den Kaiser wieder auf, um die Regalien zu empfangen, und erhielt durch Breve vom 5. März 1508 die Bestätigung Julius I1!). Daraufhin legte er am 17. Febr. 1510 im Kloster zu Fulda Profess ab und wurde vom Kapitel nach dem Tode Georgs von Schaumberg mit der Propstei von S. Michael versorgt.

Nach der älteren Ueberlieferung hätte er i. J. 1511 eine kaiserliche Gesandtschaft an den Hof des Polenkönigs Siegmund und des Hochmeisters Albrecht von Braudenburg geführt, um zwischen beiden zu vermitteln. In der Tat war er schon 1510 an Verbandlungen in Posen beteiligt gewesen und wurde nun von Seiten der Markgrafen von Ansbach dem Kaiser für diese Sendung vorgeschlagen“). Auch erließ Maximilian gleichzeitig ein Mandat an die größeren norddeutschen Fürsten mit der Aufforderung, wenn Polen die Werbung des Koadjutors nicht berücksichtige, dem Ordenslande nötigenfalls mit den Waffen beizustehen. Aber da Maximilian um seiner eigenen politischen Zwecke willen es mit Polen nicht verderben wollte, unterblieb die Sendung. Wenn also auch nicht auf der Rückkehr aus dem Osten, so muß doch Hartmann in dieser Zeit ander- weitig als Vertrauensmann des Mainzer Domkapitels mif dem Kurfürsten Joachim I. in Berührung gekommen sein. So konnte er seinen Auftraggebern die günstigen Aeuße- rungen überbringen, die diese veranlaßten, die Berufung des jugendlichen Markgrafen Albrecht auf den erzbischöflichen Stuhl ernstlich ins Auge zu fassen. Es handelte sich dabei um den Wunsch des Domkapitels, für das durch die An- sprüche Kursachsens gefährdete Erfurt den Schutz Branden- burgs zu gewinnen. Hartmann, der mit den schwierigen Verhältnissen der durch innere Unruhen zerrissenen Bürger- schaft vertraut war, eignete sich für diese Verhandlungen

!) Abgedruckt im Cod. prob. p. 387 sq.

*) Aus Ulm vom 3. Mai 1511 ist die Instruktion datiert, nach der Hartmann versuchen sollte, den König zum Verzicht auf die Forde- rungen zu bewegen, die er an den neuen Hochmeister auf Grund des zweiten Friedens von Thorn gestellt hatte. Auf seine Drohungen hin hatte sich dieser an den Kaiser gewendet, der die Bedingungen ebenfalls für unannehmbar hielt und nun dem Polen erklären ließ, daß das Ordensland dem Reiche unmittelbar unterstehe und des gemeinen Adels Zuflucht und Aufenthalt sei. Wenn Polen also auf die Verhandlungen nicht eingehe, werde das Reich den Hoch- meister unterstützen. E. Joachim, Die Politik des letzten Hoch- meisters in Preußen, Albrecht v. Brandenburg. Leipzig 1892. T, S. 18f. 183f.

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um so mehr, als der Abt Johann von Fulda in dem Kampfe miscben Sachsen und Mainz auf des letzteren Seite ge- standen hatte!) Im J. 1512 erschien Hartmann auf den Reichstagen von Trier und Köln, und im folgenden Sommer (2.Juli) wurde er nach dem Ableben Johanns II. durch den Mainzer Weihbischof unter Mitwirkung der Aebte von Hers- feld und von Schlüchtern ordiniert. Dabei schien es ein übles Vorzeichen zu sein, daB der Gesang des „Te deum", der doch in täglicher Uebung war wie das Vaterunser, durchaus nicht angemessen durchgeführt werden konnte: einzelne schwiegen, andere sangen falsch, und so wurde der Lobgesaug nur mit größter Nachlässigkeit und ärgerlichem Mibklang zu Ende gebracht. Und in der Tat war das Un- heil schon im Zuge! Nebenbei läßt sich die Folgerung kaum abweisen, daß die einfachen Mönche mit der Wirt- schaft der adligen Herren sehr unzufrieden waren, daB ihre Belieferang mit Speise und Trank viel zu wünschen übrig lieb und daß sie nun ihrem Mißmat deutlichen Ausdruck gaben. Bald aber batten auch die Kapitelberren Über die Verschwendung und Prunksucht des neuen Abtes zu klagen. Es mochte noch hingehen, daß er für das Haupt der bl. Beatrix einen silbernen Behälter anfertigen ließ. Dann aber ließ er den „Volksgarten“, in dem von altersher die Pilger zu lagern pflegten, mit einer Mauer umgeben und in herrliche Anlagen verwandeln mit einem köstlichen Wein- berg und einem Fischweiher, Eine alte schöne Inful ließ er zerschlagen und eine neue herstellen, mit den Fransen, kostbaren Steinen und Perlen der alten aber eine Chorkappe verzieren ?).

Diese kostspieligen Liebhabereien würden zwar einen Abt von Fulda nicht zu Grunde gerichtet haben; aber der ehr- geizige Mann batte sich nun schon in ein Unternehmen verstrickt, das seine Kräfte überstieg und seinen Sturz nach zich ziehen mußte.

Der Abt von Hersfeld, Volbert Riedesel von Bellersheim, hatte sich mit der Stadt in einen heftigen

!) Fritz Mehl, Die Mainzer Erzbischofswahl vom J. 1514 und der Streit um Erfurt, Bonner Diss. 1905. S, 69f.

*) Für seine Familie sorgte er, indem er am 29. April 1514 als Abt der Stifte Fulda und Hersfeld“ seinem einzigen Vetter Georg v, K. auf Farnrode (gest. 1519) den Hof Burbach „nach füdischem Lehnrecht“ übertrug. Avemann, Anhang, S. 127. Da die Familie nur durch dessen Sohn Siegmund furtgepflanzt wurde, Waren Nepoten im Dienste der Kirche, also hier mit Propsteien, nicht u versorgen.

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Streit über das Geleitsrecht verwickelt, der zu einem teuern Prozeß am Reichskammergericht führte und das Stift in Schulden stürzte). Um sich an den Bürgern zu rächen, verabredete er nun mit Hartmann von Kirchberg, daß er zu dessen Gunsten abdanken würde, wenn Papst und Kaiser die Einverleibung seines Stiftes in das vou Fulda genehmigten ; dabei sollte Volbert mit der Propstei auf dem Andreasberge bei Fulda entschädigt werden, die er bis 1540 innehatte; die Stadt aber wurde dann zur fuldaischen Landstadt.

Hartmann muf nun über ausgezeichnete Verbindungen am kaiserlichen Hofe wie an der Kurie verfügt und was die Hauptsache war an beiden Stellen mit dem Gelde nicht gespart haben, denn unter dem 6. Mai 1513 ließ Leo X. zwei Bullen ausstellen*), durch die Hersfeld der Kirche von Fulda inkorporiert und der Koadjutor bzw. Abt Hartmann mit der Verwaltung von Hersfeld betraut wurde: bei der ehrwürdigen Geschichte und der reichsrechtlichen Stellung

1) Vgl. die Darstellung in der Chronik des Wiegand Lauze. HZ. IT. Suppl. (Kassel 1841), I, 11ff, Eine durch den Kaiser ange- ordnete Vermittlung der Stadt Frankfurt war gescheitert, Das Kammergericht hatte dann die Privilegien der Bürgerschaft bestätigt und den Abt zu etwa 3000 Gulden Unkosten verurteilt.

9) Bisher war nur die zweite Urkunde bekannt. „Ex aposto- licae“... Abgedruckt im Cod. prob. p. 347. Der Papst erwähnt, daß Abt Volbert durch seinen Prokurator freiwillig sein Amt in die Hand des Papstes gelegt und daß er auf die Darlegungen des Eaisers und des Koadjators von Fulda hin das verwahrloste Stift Hersfeld nur durch Vereinigung mit dem benachbarten Stift Fulda glaube er- halten zu können. Er habe daher durch eine andere Bulle die Ein- verleibung vollzogen. Diese Urkunde hat dann der Abt später an Hessen ausliefern müssen. Sie ist im vatikanischen Archiv erhalten mit dem Eingang: „Ad ea, quae ecclesiarum et monasteriorum" , . (Regesta Leonis X. ed. J. Hergenróther. Freiburg 1884. Nr. 2458. Die nächste Nummer enthält einen Fingerzeig dafür, wer die Inkor- poration sollizitiert hat: da werden die Dechanten von S, Johann in Mainz, vom Neuenmünster in Würzburg und von S, Severi in Erfurt beauftragt, die Rechte des Sollizitators der apostolischen Briefe und päpstlichen Familiaren Johann Fabri aus Fulda, Klerikers der Diózese Mainz und Propstes von S. Maria in Gotha, wahrzunehmen. Dieser Kuriale war schon mindestens seit zwanzig Jahren jn dieser einflußreichen Stellung tätig, also dem Abte Hartmann schon von seinem eigenen Aufenthalt in Rom her bekannt. Denn schon 1495 hat er sich in dem erwähnten Bruderschaftsbuch (Jaenig p. 89) eintragen lassen als Chorherr und Scholasticus von S. Peter in Aschaffenburg und Geschäftsträger des Erzbischofs Berthold von Mainz,

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der betroffenen Abtei ein unerhörter Akt der Willkür, der die Leichtfertigkeit des neugewählten Papstes und die Bestechlich- keit seiner Umgebung grell beleuchtet. Dieselben Vorwürfe aber muß man mit doppelter Schärfe gegen den Kaiser und seine habgierigen Räte erheben, denn schon am 15. De- zember desselben Jahres wurde Hartmann von Maximilian I. in Augsburg mit Hersfeld belehnt. Nun kamen ja derartige Vereinigungen geistlicher Stifter in der verweltlichten Kirche - sehr häufig vor, um habgierigen Würdenträgern, besonders Kardinälen die Ausbeutung mehrerer Pfrtinden zu erleichtern; sie wurden diesen meist als Kommenden überwiesen oder einer schon kommendierten Kirche einverleibt oder mit ihr ,uniert^. Besonders in den romanischen Ländern war dieser Brauch im Schwange, desgleichen in den mit reichen Klöstern gesegneten Niederlanden. Hier aber handelte es sch um zwei Reichsfürstentümer und zwar die beiden, die an der Spitze der reichsunmittelbaren Prälaturen

Im nächsten Jahre schon erscheint er als Sollieitator literarum apostoli- carum nod hat 1497 auch eine Stelle in dem Kollegium der einträglichen Collectoria plumbi erworben (Diarium Joh. Burchardi ed. L. Thuasne. Paris 1883—85. II, 286. 371. 479). Zweifellos hatte er in dieser lang- jährigen Praxis und bei wachsendem Pfründenbesitz ein schönes Ver- mögen erworben, denn für den Neubau der deutschen Nationalkirche, der S. Maria dell’ Anima, zeichnete ,loh Fabri, Sollicitator bullarum und Propst von Gotha“ 50 Dukaten (9. November 1509; F. Nagl und A. Lang, Mitteilungen aus dem Archiv des deutschen Nationalhospizes. Bim. Quartalschrift. XII. Supplementheft. Rom 1899. S. 72). Noch unter Leo X. erwirbt er einige kleinere Pfründen, so 1514 die Vikarie von 8. Katharina an der Leprosenkapelle bei seiner Heimatstadt, während er 1513 die Pfarre von S. Jakob in Taufkirchen, Erz- bistum Salzburg, resigniert (Hergenröther Nr. 5175. 13076.) In der Schilderung des Kapitels der Gothaer Stiftskirche hat der Herausgeber des Brielwechsels Mutians, des Kanonikus von S. Maria, nur den Dechanten als Leiter nachweisen können (Gillert S. XXVII.) Mutian erwähnt nun in einem Briefe vom 13. August 1514 (II, 75) ein Schreiben aus Rom von Joh. Fabri, „dem römischen Propst unseres Kollegiums“. Nach seiner Grabinschrift in der Anima starb er in Rom am 19. Juni 1518 als Propst der Kirche S, Caeciliae in Raschdorf und Scholaster der Kirche von S. Peter und Alexander in Aschaffenburg (L. Schrader, Monumenta Italiae. Helmstedt 1542, fol. 146 b). Die Fuldaer waren also durch diesen Landsmann an der Kurie ausgezeichnet vertreten. Die delikate Frage, wie der Papst die Aufhebung der durch ihn ver- fügten Inkorporation von Hersfeld aufgenommen hat, beantwortet sich einfach dahin, daß man in Rom sehr wohl verstand, unangenehme Vor- gänge, die der Kurie keinen fühlbaren Nachteil brachten, zu ignorieren.

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standen), und wenn auch die beiden Stifter seit Jahrhunderten in Eifersucht und Hader miteinander gelebt hatten, so war doch diese Vergewaltigung der Schöpfung des hl. Lullus dureh die Naehbarin ein arger Frevel. Und dem entsprach die jühe und brutale Ausführung, während die gewiß nicht einfache Vorbereitung des Streiches an beiden höchsten Stellen sich im tiefsten Geheimnis vollzogen hatte.

Aufang September 1513 erschien zunächst der fuldaische Kanzler, Lie. Melchior Küchenmeister, Propst zum Johannisberge?), setzte den Hersfelder Dechanten Andreas Marsehall ab und bestellte den Fuldaer Prülaten Philipp Schenk von Sehweinsberg zum Oberhaupt des vergewaltigten Kapitels. Beide Herren hießen nun am 9. September die Hersfelder Kapitulare huldigen, wobei nur ein Mitgiied, der spätere lutherfreundliche Abt Kraft Myle (Crato Mylius) Einspruch erhob: auch ein Zeichen, wie gut die Intrige vorbereitet war. Wenn Hartmann später diese Stimme damit zu entwerten suchte, daß nur ein Bürgerlicher sich widersetzt habe, so verschwieg er wohlweislich, daß man nur die adligen Kapitelherrn zu entschüdigen für nötig befunden hatte. Der neue Dechant hatte sich der Hersfelder Propstei Frauensee bemächtigt; der bisherige Hersfelder Dechant erhielt statt der dortigen Propstei auf dem Peters- berge die auf dem Franenberge bei Fulda. Adolf von Biedenfeld der ältere, Propst des Nonnenklosters von Thulba, erhielt die Propstei Allendorf bei Salzungen). Der jüngere Vetter desselhen Namens wurde Propst des Benediktinerinnen- klosters in Zella, Heilmann Weiß?) erhielt das Augustinerinnen- kloster Hoest bei dem hessischen Schlosse Breuberg. Zwei adlige Anwärter auf Hersfelder Pfründen, also Domizellare, wie Ulrich von Hutten in Fulda gewesen war, nämlich Philipp von Riedesel und Sittich Birgel, wurden von dem Fuldaer Kapitel übernommen; nur der zweite trat spüter

1) Nach der Reichsmatrikel von 1521 war Fulda mit 14 Reitern, 46 Fußknechten und 180 Gulden veranschlagt, Hersfeld mit 2 Reitern, 9 Knechten und 60 Gulden. DRA. II. 430.

) Diese adlige Familie batte eine starke Stellung im Kapitel: 1199 starb Wilkin K., Propst vieler Klöster und ein großer Bauherr, und 1510 der Diakon Philipp K. HZ. S. 215. 220.

) Diese war schon 1515 wieder Gegenstand eines heftigen Streites zwischen Frank von Mórlau und einem von den süchsischen Herzógen begüustigten Bewerber. Vgl. unten S. 286 Anm. 2.

) Die Weiß von Feuerbach waren damals in der Wetterau durch einen tüchtigen Raubritter (Johann W.) vertreten. WR. S. 289.

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nach Hersfeld zurück), während dem Riedesel schon durch die Verräterei des Abtes Volbert dieser Weg versperrt war.

So war alles trefflich vorbereitet; auch alle Kostbarkeiten und die wichtigsten Urkunden wurden sofort nach Fulda überführt; das "übrige verfiel bei der herrschenden Ver- wirrung dem Verderben. Am folgenden Tage schon erschien der siegreiche Abt selbst und ergriff Besitz von dem be- festigten Schlosse, „zu den Eichen“, dem Wohnsitze der Hersfelder Aebte, wo er sich durch die Beamten und die umwohnenden Bauern huldigen ließ. Zugleich beschied er dazu auch die Bürger unter dem Vorgeben, daB er sich mit der hessischen Regierung als der Inhaberin der Schirmvogtei verständigt habe. Aber, wie auch der gelehrte Abt Johann Tritheim berichtet, der von seinem Würzburger Kloster aus die Vorgänge beobachtet hat“), ließen sich die Bürger nicht irreführen, sondern schlossen sofort die Tore und bielten ihre Mauern von nun an dauernd besetzt, da sie sich mit dem Stiftsräuber im Kriegszustand betrachteten. Die Reisigen, von denen sich Hartmann hatte begleiten lassen, fingen darüber an, zu plündern. Der Abt aber drohte mit den Kirchenstrafen und mit Beschwerde beim Kaiser uud ließ alsbald und allenthalben das Hersfelder Wappen, das Doppelkreuz, austilgen*).

Bis dabin begleitet der Fuldaer Chronist, der als der damalige Dechant dabei keine geringe Rolle gespielt haben kann und jedenfalls als Mitwisser zu betrachten ist, dus heillose Unternehmen mit unverhohlenem Beifall. Er berichtet, daß der Papst das benachharte Stift dem seinigen einverleibt habe, weil es „durch die Nachlässigkeit oder richtiger die Obumacht der leitenden Personen“ in Verfall geraten sei). „Mit Zustimmung des Abtes und aller Kapitularen emp- fingen wir die gebührende Obedienz unter Uebergabe der Abtswohnung uud des Schlosses Eichhof, wo wir auch die Huldigung der Bürgerschaft entgegeunahmen. Dann aber haben einige Mönche gegen den unserm Abte geleisteten

1 HZ. S. 225.

*) Am Schluß seines großen Werkes über die Geschichte des Klosters Hirschau. Joh Trithemii abbat. Sponheim. annales Hireaug., tom. II, 689 sq. St. Gallen 1690,

W. Lauze a a. O. S. 12, Die Darstellung bei K. Arnd L. 101 ff. und J.C. Vigelius (Denkwürdigkeiten von Hersfeld 1888. S. 47 ft) Ast sich aus den Quellen mehrfach ergänzen.

) HZ. 8.225. Der Ausdruck, daß Hersfeld „propter incuriam «el potius impotentiam“ seiner Leiter beruntergekommen sei, iet wörtlich der Bulle „Ex apostolicae“ entlehnt.

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Eid, vom Geiste der Eifersucht und Bosheit getrieben, die Landgräfin Anna angerufen, die der Fuldaer Kirche allen diesen Besitz mit List und Gewalt wieder raubte. Daraus aber entstand viel Unheil . . .*

Wie unwahr diese Darstellung des hochwürdigen Herrn ist, geht schon aus den angeführten Tatsachen hervor; wie parteiiseh und seines Standes als Benediktinermönch un- würdig aber seine Beurteilung des Vorganges ist, zeigen die Worte des Abtes Trithemins: „Es ist eine Schande, daß diese edle künigliche Abtei, die so viele Jahre in fürstlichem Ansehen ruhmvoll geblüht hat, durch einen untüchtigen, um nicht zu sngen unverständigen Abt auf immer in Schmach nnd Verderben gestürzt wird. Nach meinem Urteil ver- diente er selbst samt seinen Mönchen mit lebenslünglicher Kerkerhaft bestraft zu werden, wie ich kurz begründen werde. Denn erstens haben diese Verüchter der münchischen Lebensregel von jeher so leiehtfertig, so gottlos und laster- haft gelebt“ die Ansicht des bürgerlichen Gelehrten und reformierten Münehs über das Treiben der adligen Prälaten „daß sie das einst überaus reiche Kloster in die äußerste Armut gebracht haben. Ferner soll die Nachwelt erfahren, wie gerecht das Urteil jedes wackern Mannes ist, wenn er das unvernünftige Verbalten soleber Aebte und Mönche ver- wünscht, Denn als der Abt von Fulda das Schloß Eichen in Besitz nahm, fand er zahlreiche Urkunden des Stifts, die mit Stroh vermischt den Hunden hingeworfen waren, zum Teil zerrissen, zum Teil noch unversehrt; er ließ sie sammeln und noch eine Kiste voll davon nach Fulda bringen. Ferner sind es kaum dreißig Jabre, daß die Hers- felder Klosterbibliothek noch mit vielen kostbaren Büchern ausgestattet war, wie ich aus dem mir übersandten Ver- zeiehnis entnebmen konnte: von diesen sollen heute nur noch sehr wenige vorhanden sein, Endlich ist der schlimmste von allen diesen Uebelständen, daß diese völlig entarteten Mönche samt ihrem Abte einen solchen Widerwillen gegen Zucht und Ordnung, gegen die durch die Ordensregel vor. geschriebene Lebensführung zur Schau tragen, daß sie lieber das Kloster völlig zugrunde gehen lassen wollten, als in eine Reform willigen’). Aber da bei so verstockten Sündern

1) Trithemius gehörte mit dem ihm unterstellten Kloster S. Jakob zu der Bursfelder Kongregation, also zu den reformierten Benediktinern. Das Hersfelder und Fuldaer Beispiel aber beweist nur wieder, wie notwendig diese Reformbewegung war, Beachtenswert ist auch, dad der eine der beiden Hauptschuldigen, der Abt von Fulda, noch dagu der Primas aller Benediktinerklóster in Deutachland war.

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keine Ermahnungen fruchten, muß ich dem Urteil Gottes anheimgeben, die sich durch frommes Zureden nicht bessern lassen wollen“.

Leider lernen wir die Meinung des ehrwürdigen Ordens- mannes über die weit schlimmeren Vorgänge der nächsten Jahre nicht mehr kennen, da Trithemius seine Chronik mit dem Jahre 1513 abschloß und im Jahre 1516 starb. Das schlechte Gewissen des Fuldaer Dechanten Vilbel aber verrät sich auch in der sehr lückenhaften und einseitigen Bericht- erstattung über die nun folgenden Ereignisse.

Durch die erlittene Vergewaltigung wurden nämlich Stift wie Bürgerschaft von Hersfeld zu engstem Anschluß an die landgräfliche Regierung gezwungen, die ein erbliches Schirmrecht über die Abtei besaß und der sie dann 1528 lórmliche Huldigung leisteten. Zunächst wandten sie sich an die energische und kluge Vormünderin und nahmen mit deren Hilfe den Eichhof wieder ein, während die Mönche den Propst von Frauensee, Georg von Westershausen, zum Dechanten wählten. Dieser erließ nun unter dem 7. Februar 1514 eine notarielle Erklärung, in der er als Verweser des Stifts Hersfeld im Namen des Konvents gegen den Gebrauch der Siegel der Abtei, Dechanei uud des Konvents sowie der Hersfelder Propstei auf dem Petersberge durch Unbefugte Verwahrung einlegte, die diese Hoheitszeichen auf unbillige und listige Weise an sich gebracht und gegen andere vertauscht hätten.

Dagegen veröffentlichte nun wieder Hartmann als Abt der Stifte Fulda und Hersfeld am 9. März eine Darlegung), nach der die Iukorporation auf das dringende Ansuchen des Hersfelder Konvents und seines Abtes, des jetzigen Propstes von Neuenberg, erfolgt sei, die ihr Stift mit dem „geriugen“ Rest seines Vermögens nicht mehr hätten erhalten können. Beide Kapitel hätten eingewilligt, künftig „ein Corpus“ zu bilden, und der Vertrag sei mit den Siegeln des damals

!) Mutian als Lobredner Hartmanns ereifert sich iu einem Briefe vom Mai 1514 über den Hersfelder Schulmeister Heinrich Sehallis, der seit 1503 in Erfurt studiert hatte und den er schon früher als einen anmaßenden Menschen (,bachantium arrogantissimum et omnium bipedum gloriosissimum“) geschildert hatte. Derselbe habe sich nun erdreistet, diesem Georg zuzustimmen und den Abt Hartmann anzugreifen, als würen diesem ,die Siegel des Stifts un- billiger Gestalt übergeben“. Diese falsche und erlogene Veröffentlichung habe Hartmann angegriffen, indem er den wahren Sachverhalt bekannt gemacht, auch die Lüge des Schallis widerlegt und zwei Mönche (Westershausen und Myle) angeklagt habe. Man könne nicht würdiger und wirkaamer in solcher Sache schreiben. Gillert I, 398. II, 31.

15e

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noch lebenden Abtes Johann, des Koadjutors und des Kapitels von Fulda und zwei Notaren in „kapitularischer Versammlung“ aller Mitglieder bekräftigt worden. Darauf babe Abt Volbert in die Hände des Papstes resigniert und dieser babe die Einverleibung vollzogen. Sobald ibm die Bulle nach dem Tode des Abtes Jobann zugegangen sei, habe er die Huldizung von geistlichen und weltlichen Unter- tanen des Stifts Hersfeld entgegengenommen und persönlich vom Kaiser die Regalien empfangen. Die Siegel seien von dem bisherigen Abt und dem Dekan ordnungsgemäß über- geben worden; das Siegel des Konvents habe er, da doch beide Kapitel hinfort eine Körperschaft bilden sollten, bei dem Kapitel in Fulda hinterlegen lassen. Alle Hersfelder Kapitelherren hätten eingewilligt, auch die früheren Siegel mit den neuen, die unter drei Schlössern verwahrt würden, zu übergeben. Die Konventsmitglieder, die nicht zum Kapitel gehörten, also die niehtadligen Mönche zu dergleichen Handel zu berufen oder ihnen die Kapitelsgebeimuisse zu offenbaren, sei nicht nötig gewesen. Jener Georg von Westersbausen aber habe zwar anfänglich der Einrerleibung nicht zustimmen wollen, dann aber sei er nach dem zum Hersfelder Stift gehörigen Kloster Kreuzberg zu ihm ge- kommen und habe demütig um Gnade gebeten. Dabei habe er feierlich erklärt, daß diese Maßregel zweifellos von Gott und den heilgen Patronen beider Stifter vorgesehen und angeordnet worden sei, und habe in Beisein von Räten und Mitgliedern der Rittersehaft in die Hand seines nun- mehrigen Abts Gehorsam gelobt und damit die Inkorporation anerkannt. Sollten nun die ungehorsamen Mönche in ihrer mutwilligen Widersetzlichkeit sich ein neues Siegel an- schaffen, so erkläre er alle damit beglaubigten Akte von voruberein für null und nichtig.

Dabei beging der Doppelabt die Unvorsichtigkeit, selbst den schwachen Punkt in seiner der Schutzherrschaft Hessen gegenüber befolgten Politik zu enthüllen und die Landgräfin auf die ihr drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Er betonte, daß er sich beizeiten durch Botschaften und Briefe mit dem Kurfürsten und den Herzögen von Sachsen als den obersten Kuratoren uud Vormüudern der beiden Landgrafen in Verbindung gesetzt und erklärt habe, daß die Einverleibung ihren althergebrachten Rechten an Hersfeld keinen Abbruch tun solle, obwohl es doch auf der Hand lag, daß diese durch den Uebergang der Landeshoheit an das michtigere, von Hessen unabhängige Stift so gut wie aufgehoben wurden. In demselben Sinne habe er sich an den Landhofmeister und die anderen Regenten

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der Landgrafschaft gewandt. Beides aber und zumal der letztere Schritt war geradezu eine persönliche Beleidigung der Landgräfin Anna, die seit Jahren in einen heftigen Kampf mit den Wettinern und mit dem Landhofmeister Ludwig von Boyneburg und seinem Anhang verwickelt war, um mit ihren Rechten als Vormünderin zugleich die landes- fürstliche Stellung ihres Sobnes zu wahren. Verhängnisvoll wurde es nun für Hartmann, daß gerade in den nächsten Tagen, als er dieses trotzige Manifest erlassen hatte, in Hessen sich ein völliger Umschwung vollzog, die langjährige zähe Arbeit der Landgräfin mit einem vollen Siege gekrönt wurde, Im Mäsz 1514 wurde auf dem Landtage zu Kassel ihre vormundschaftliche Regierung von den Ständen aner- kannt, die alten Regenten wurden gestürzt und zu schweren Entschädigungskosten verurteilt; den Wettinern wurde ihre Obervormundschaft gekündigt und noch vor Ablauf des Monats wurden die festen Schlösser der alten rebellischen Regierung, Spangenberg, Ziegenhain und Marburg erobert. Die Hauptstadt Kassel unterwarf sich nach kurzem Tumult, und die Herzöge machten gute Miene zum bösen Spiel!). Der mit den alten Regenten verschworene Adel hatte nun die Ungnade der willenstarken und klugen Herrscherin zu tragen, und auch Abt Hartmann sollte bald erfahren, wie sehr er sich verrechnet hatte.

Denn er wandte sich in jenem Ausschreiben nun weiter- bin an die Ritterschaft, deren Interessen mit der Vor- berrschaft der adligen Kapitel in beiden Stiften eng ver- flochten seien. Er hob hervor, daß die Geistlichen des Hersfelder Klosters alle, wie es ihnen ihrem heiligeu Orden nach gebühre, Gehorsam geleistet hätten, bis auf den einen Kraft, der „nicht von Adel geboren sei“. Sollten nun die ungehorsamen Mönche und ihr Anhang Erfolg haben, so

1) Hans Glagau, Anna von Hessen, die Mutter Philipps des Grofimütigen. Eine Vorkämpferin landesherrlicher Macht. Marburg 1899. Kap. VIII. IX. Vgl. meine Besprechung in der Hist. Ztschr. 85. 338 ff. wo auf die Verflechtung dieser Umtriebe des hessichen Adels mit denen der benachbarten Landschaften hingewiesen wird. Auf dem Landtage wurde dem Hofmeister besonders vorgeworfen, daß er der Einnahme von Hersfeld durch den Abt von Fulda nicht rechtzeitig vorgebeugt habe, weil er selbst dessen Vasall sei. Glagau S. 126, Die Hersfelder Bürger hatten sich beizeiten au den Hofmeister ge- wendet, als es klar wurde, daß man in Fulda die hessischen Wirren benutzen wollte, um „im Trüben zu fischen“. Die Abtei Hersfeld hatte dem vorigen Landgrafen zu einem Kriege noch 300 Fußknechte und 1800 Gulden gesandt.

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würde das Stift Hersfeld, das vou Päpsten, Kaisern und Königen dem gemeinen Adel und der Ritterschaft gewidmet worden sei, diesem entwendet werden und vielleicht nie wieder in seine Hände kommen, während diese seine her- gebrachten Rechte durch die Einverleibung nicht aufgehoben würden. Es möchten also alle Adligen bedenken, welcher Vorteil und Ehre ihren Kindern und Verwandten, die sich vielleicht nicht immer in weltlichem Stande bequem erhalten könnten, jetzt und in Zukunft daraus erwachse. Sie möchten ihm also ihr Vertrauen schenken, da er keine andere Absicht habe, als das Stift Hersfeld dem Adel zu erhalten und allen Lehnsleuten, edeln und unedeln, ihre Freiheiten unverkleinert zu belassen,

Aber auch die ritterschaftlichen Parteigänger auf der Gegenseite säumten nun nicht länger, die Feindseligkeiten zu eröffnen. Nach der wohl durchaus zutreffenden Ver- mutung Vilbels hätte die Landgräfin selbst den edeln Herrn Georg von Bischofsrode!) gegen den Abt und die Fuldaer Kirche aufgewiegelt, so daß er beiden vielen Schaden tat und dabei von Hessen geschtltzt wurde; er fing sechs Fuldaer Bürger weg, die jedoch auf die Verwendung des Erzbischofs von Mainz hin freigelassen wurden.

Den Drohungen Hartmanns begegnete Anna schließlich damit, daß sie sich mit ihrer Beschwerde an dessen Stände, Ritterschaft und Städte, wandte“). Gleichzeitig hatte der Abt sich die mächtige Fürsprache und Unterstützung der Mainzer Regierung dadurch gesichert, daß er jene Sendung nach Erfurt übernahm, die zugleich vom Dom- kapitel und dem stiftischen Adel gewünscht worden war, um durch Vermittlung zwischen den Parteien die mainzischen Hoheitsrechte zu befestigen. Am 15. Dezember 1514 war der Abt in Begleitung Ulrichs von Hutten, des Vaters, in Erfurt eingetroffen?). Dabei ist es recht bezeichnend, wie der schlaue Kirchenfürst den Argwohn der Gegner, der ernestinischen Beamten, zu täuschen verstand. In Eisenach batte der Schultheiß Schwierigkeiten wegen des Geleits gemacht, so daß, als der Abt auf der Straße nach Erfurt

) Dieser wurde 1522 von Philipp als hessischer Amtmann über nie dem mit Sickingen verbündeten Frowin v. Hutten entrissenen Orte eingesetzt.

‘8) Jedoch nicht an das mitschuldige Kapitel, wie noch Vigelius B. 48 annimmt.

3) FGB. VIII, 27 fl. G. Richter, Ein Gesandtsehaftsbericht dee Fuldaer Fürstabtes H. v. K. an den Erzbischof Albrecht v. M. vom 25. Dezember 1514.

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abreiten wollte, noch kein Geleitsmaun zur Stelle war; nur mit Mühe brachte ihn der alte Hutten, der als „Rat von Haus“ und fuldaischer Lehnsmann seinen Landesherren begleitete, berbei. Als nun aber der Schultheiß ausdrücklich ‚ob sie etwa mit den Erfurtern verhandeln sollten, da doch schon zwei mainzische Beamte voraufgegangen seien, erklärte Hartmann, er wisse von nichts, sondern er selbst wäre nur unterwegs, um eine Wallfahrt zum heiligen Blut zu leisten. Aber während der andere an das Wunder von Wilsnack denken sollte, meinte er die Reliquie in der Kirche zum heiligen Bronnen auf dem Roßmarkt in Erfurt!) Schließlich berichtete er aber am 7. März 1515 ziemlich resigniert über seine Tätigkeit: viele Köpfe unter einen Hut zu bringen, wolle viel Zeit haben; doch tröstet er sich damit, daß er sich in diese Mühe und Arbeit begeben habe, um sich den weiteren Schutz des Erzbischofs zu sichern, der ibn rechtlich vertreten und bei seinem Rechte erhalten werde. Auch von dem Oberhaupt der Kirchenprovinz wurde also die unerhörte Vergewaltigung der Hersfelder Kirche gut- geheißen, wobei das gespannte Verhältnis zwischen Mainz end Hessen, an dem auch die Zuchtlosigkeit des Stiftsadels Schuld war?) mit hineinspielte. | Eben damals verbesserte Hartmann seine Stellung noch wesentlich dureh seinen erneuten Eintritt in das Mainzer Domkapitel, Sein erstes Kanonikat hatte er 1493 an Martin Truchseß von Pommersfelden abgetreten, war aber 1495 durch den Verzicht des zum Bischof von Würzburg erhobenen Lorenz von Bibra wieder zu einer Stelle gelangt*), die er wahrscheinlich bei seiner Berufung zum Koadjutor oder seiner Nachfolge als Abt batte aufgeben müssen, bis er sich «ie Genehmigung des Papstes zum Besitz mehrerer Pfründen exwirkt hatte. Schon im November 1514 findet sich nun ia den Protokollen des Domkapitels eine Verhandlung über éen Vertrag des Abtes zu Fulda in seiner Eigenschaft als Domberr mit dem Erzbischof über seine Residenzpflicht, die der Abt der Kosten und Versüumnis wegen bei den Reisen

) Th. Kolde, Das religiöse Leben in Erfurt beim Ausgange des Mittelalters. Halle 1898. S. 28. 501.

2) Vgl. WR. 8. 288 fl. W. Lauze a. a. O. S. 29ff. (Niederlage 4er Hessen bei Flersheim, wo sie von Frowin von Hutten überfallen wurden).

) Macr. G. Hellwig, Annales archiepiscoporum eto. Staatsarch. Darmstadt. Mitteil. des Herrn Archivrats Dr. Herrmann, dem ich ssıch die folgenden Auszüge aus den Domkapitelprotokollen (DENI verdanke, deren Herausgabe er vorbereitet hat.

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von Fulda nach Mainz sich möglichst erleichtern möchte. Das Kapitel verweist auf die Statuten, will ihm aber, wenn er „mit Krankheit und Fehden überladen wäre“, entgegen- kommen. Am 18. November hatte Hartmann seine Residenz fürs erste geleistet und trat nun bald darauf seine Reise nach Erfurt an. Erst nach der Rückkehr fand dann am 25. Mai 1515 seine fürmliche Aufnahme in das Kapitel statt, indem er persönlich gelobte, das von den Domherrn nach dem Tode des Erzbischofs Uriel von Gemmingen 1514 ge- schlossene Bündnis treulich und in allen Punkten zu halten, und dann den herkömmlichen Eid auf das Evangelium leistete!). Gleichzeitig wurde ihm die freigewordene Kurie zum Hirschhorn eingeräumt, die er im Juli 1525 mit dem weit stattlicheren Hofe Nassau vertauschte.

Als nun am 3. Juli 1515 im Kapitel über das Einreiten des Erzbischofs in Erfurt beraten wurde, das man den sächsischen Herzögen zum Trotz recht bald ausgeführt zu sehen wünschte, wurden den Deputierten auch die Dom- herren Hartmann von Kirchberg nnd Johann von Vilbel bei- gesellt. Bei dieser Gelegenheit bat Hartmann, dem Erz- bischof auch vorstellen zu lassen, daß er als Abt von Fulda auch Feinde habe und tüglich von den Hessen bedroht sei. Da Albrecht nun nach seiner Provinz Magdeburg reise, so möge er die Statthalter von Mainz beauftragen, ihm im Not- falle Hilfstruppen zu schicken. Dafür sei er bereit, sich der gerichtlichen Entscheidung oder der gütlichen Vermittlung des Erzbischofg zu unterwerfen“), während er auf jede Appellation verzichten wolle. Er erreichte nun in der Tat, daß sowohl der Erzbischof wie das Kapitel sich seiner Sache annahmen, weil beide fürchteten, daß sonst der hessische Einfluß auch im Gebiet der Abtei Fulda in einer für die Verbindung zwischen Mainz und Erfurt ge- fährlichen Weise zunebmen hönne, während die Macht des Abtes durch die Einverleibung von Hersfeld bedeutend ver- stärkt worden war.

Und so konnte Hartmann bald darauf nach Fulda zurückkebren, von wo er nun seinem Vetter Georg meldete, daß die Landgrüfin und ihre Räte die Fuldaer Ritterschaft und alle Städte beschrieben und ihn wegen des Stiftes Hers-

) DKP. und Urkunde vom 1. Juni 1515 über das Gelöbnis des Abtes von Fulda und Hersfeld, betr. die Konföderation der Kapitularea. Stastsarch. Würzburg, Mainz. neuregistrierte Urk. H. 2447. roms Tat Herrmann).

99 DKP. Bald darauf bat er um zwei Jahre Urlanb, mußte sioh aber mit kürseren Fristen begnügen.

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feld verklagt hätten. Deshalb habe er durch seinen Statt- halter Ritterschaft und Städte zu einem Landtage entbieten lassen, zu dem auch der Erzbischof von Mainz seine Hüte entsandt habe. Doch wisse er noch nicht, was dort be- schlossen worden sei. Gleichzeitig habe der Erzbischof eine Gesandtschaft nach Kassel geschickt, um den Hessen zu deren Verdruß mitteilen zu lassen, daß er ihn als seinen Zuge- wandten nicht im Stiche lassen könne, sondern ihn, so weit als möglich, gegen Gewalt schirmen werde!). Inzwischen war aber auch das Kapitel stutzig geworden und vereinigte sich mit den weltlichen Ständen dahin, daß man Vertreter nach Kassel schickte. Denn der Kleinkrieg war unterdessen weiter gegangen. Der Abt muß Erfurt schon Anfang Mai verlassen haben?) denn am 14. bis 16. Mai eroberte er zwei Burgen im Hessenlande, Heimbach, den Sitz seines schon erwähnten Feindes Georg von Bischofsrode, und die des Reinhard von Baumbach in Ulf, eines anderen räuberischen Gegners der Fuldaer, und ließ sie ausplündern. Dafür überfiel dieser Ritter Georg am 20. August das fuldaische Saldorf mit 60 Reitern und 30 FuBknechten ; aber er wurde abgeschlagen, und die Bauern erbeuteten vier Pferde und viele Waffen, die sie in ihrer Kirche auf- hingen: in Fulda, wo sie in Prozession erschienen, wurde dieser Erfolg als ein sichtbares Wunder und ein Sieg der guten Sache gefeiert“.

Unterdessen geriet der Abt der Schirmherrschaft von Hersfeld gegenüber immer mehr ins Hintertreffen. Unter dem Druck seiner Stände hatte er es nicht ablehnen können, den Schiedsspruch des Grafen Wilhelm von Henne- berg- Schleusingen zuzulassen; er traf sich dazu mit der Landgräfin auf einem Tage zu Vacha. Als man bier bei dem Trotze Hartmanns nicht zum Ziele kam, rief Hessen die Vermittlung des Bischofs von Würzburg und der Burs- felder Kongregation, also der reformierten Benediktiner an; aber auch weitere Verhandlungen in Schmalkalden scheiterten, da Hartmann auf die Entscheidung des Kaisers und des Papstes pochte; doch wurden deren Urkunden von den Hessen für erschlichen erklärt“). Nun schritt die Landgrüfin

1) Avemann, S. 241 f.

7) Mutian, der ihn nach Humanistenart umschmeichelt hatte, meldet am 1. Juni seine Rückkehr nach Fulds, schweigt sich aber satürlich über alle diese schlimmen Dinge aus. Gillert IT, 169.

3) Nach Vilbel, HZ. S. 226, Ein Hermann von Baumbach war 1618 als Dekan von Fulda und Propst zum Petersberge gestorben. S, 220.

) W. Lanze, a. a. O. S. 19.

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zur Tat: sie schickte ihren Kanzler. Dr. Johann Feige, nach Hersfeld und ließ durch den Konvent den Dechanten Schenk von Schweinsberg absetzen und den Abt von Helmera- hausen, Ludwig von Hanstein, am 15. September 1515 zum Abte wählen. Dadurch ließ sich wieder der Fuldaer Abt zu einem frevelhaften Streiche fortreißen, der die schlimmsten Folgen haben konnte: er schickte vier Gruppen von Reitern aus, die den Gegner am 29. September auf der Reise nach Kassel „niederwerfen“ sollten; das sollte wohl zunächst seine Gefangennahme bewirken, konnte aber ebenso- leicht auf seine Ermordung hinauslaufen. Schließlich fiel er dem Daniel von Fischhorn in die Hände, der ihm bei Frithofen mit 40 Pferden auflauerte. Mit genauer Not konnte der Abt sich nach dem Friedhofe retten, während seine Begleiter und die Fuldischen „sich weidlich nach den Hälsen stachen“, bis zuletzt der hersfeldische Marschall Ernst Diede und zwei Herren von Boyneburg, Heinrich und Kaspar der Reiche, gefangen genommen wurden. Die Kunde von dem Gefecht war aber wohl von einem der Ueberlallenen eiligst nach Hersfeld überbracht worden, worauf die Bürger mif guter Rüstung auszogen und ihren bedrängten Abt entsetzten!).

Jetzt aber wankte dem gewalttätigen Kirchberger in seinem eigenen Stift der Boden unter den Füßen. Ueber die einzelnen Vorgänge, die zu seinem Sturze führten, sind wir nicht ausreichend unterrichtet, da man auf beiden Seiten Ursache hatte, zu schweigen. Jedenfalls sah das Kapitel mit Besorgnis, wie das von dem Abte Johann hinterlassene Stiftsvermögen dahinschwand. Apollo von Vilbel berichtet darüber: „Da der Abt diese Mittel von Tag zu Tag leicht- lertig vergeudete, haben wir ihn, aufs höchste beängstigt, durch die Prälaten und Pröpste oft und immer häufiger, wie es nach der Regel des hl. Benedikt sich geziemt, in aller Demut ermahnt und fast unter Tränen bedrängt, er möchte von diesem schändlichen Leben“) ablassen und nach dem letzten Willen seines Vorgängers mit desseg Nachlaß vielmehr verpfändete Güter des Stifts einlösen; aber er schlug das alles verächtlich in den Wind, Wir aber vermochten nun in unserer Angst keinen anderen Rat zu finden, als dab wir mit seiner eigenen Zustimmung alle Edelleute beriefen®), auf deren Entscheidung wir beiderseits

) W. Lauze a. a. O. S. 11f.

) Man vergleiche damit die Bemerkung Mutians über den Sekretär Hartmanns als einen Menschen ,perditae vitae et leno domini“, Gillert II, 118,

) Es ist bezeichnend, daß der Prälat die verfassungsmäßige Mit- wirkung der Städte anf diesem Landtage verschweigt.

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ans geeinigt hatten. Der Abt hatte sich verpflichtet, tiber alle einzelnen Ausgaben Rechenschaft abzulegen, und so wurden wir miteinander vertragen, so daß wir Gott dankten and der frohen Hoffunng waren, daß unserer Kirche aus diesem Abkommen großer Vorteil erwachsen werde. In- dessen täuschten wir uns, denn in der nächsten Nacht, am Sonntage Judica (9. März 1516) raffte der Abt alle vor- handeuen Gelder, Kleinodien und Silberzeug nebst einigen Urkunden und Priestergewändern zusammen und entfloh heimlich nach Hammelburg“ an der fränkischen Saale, einer der fuldaischen Landstädte, wo den Aebten die Burgen Saaleck und Amalienburg zur Verfügung standen.

Diese Handlungsweise des Abtes muß weithin beträcht- liches Aufsehen gemacht haben. In Erfurt schrieb ein an- gesehenes Mitglied der Universität, der Magister Johann Werlich, Pfarrer von S. Michael, der mehrfach Dekan der philosophischen Fakultät und 1512 auf 13 Rektor war, in seine Chronik!): „In der vergangenen Fastenzeit, im März, bat der Abt Hartmann von Fulda in einer mir unbegreiflichen Geistesverfassung das Kloster seines Schatzes und seiner Kleinodien beraubt und mit der Beute zu entfliehen ver- sucht. Er wurde dann durch die Vasallen verfolgt und ein Teil der Beute zurückgebracht. Er selbst aber begab sich nach Hammelburg, wo er, durch seine Anhänger verteidigt, eine Zeit lang sich verborgen hielt. Schließlich ist er im Vertrauen auf gewisse Beschützer auf seine Pfründe nach Mainz zürückgekehrt. Ueber die ganze Angelegenheit wird verschieden berichtet, so daß es besser ist, zu schweigen, als voreilig zu urteilen. Nichtsdestoweniger wird er jetzt auf dem Schlosse Aschaffenburg unter Berufung auf seine kirchliche Gehorsamspflicht festgehalten, so daB er dessen Schwelle nicht zu überschreiten wagt“. Dem Verfasser war also wohlbekannt, daß hinter dem Abte das mächtige Domkapitel stand; und so ist es denn auch nicht glaublich, daß eine zeitweilige Internierung Hartmanns durch den Erz- Bischof verfügt worden wäre, über die wir aus den Proto- kollen des Kapitels etwas erfabren würden.

Ueber diese Vorgänge besitzen wir nun auch die ein- gebende Darstellung des Abtes, durch die er sich dem neuen „König“ Karl V. gegenüber zu rechtfertigen suchte, als er diesen noch vor der Krönung in Aachen bat, ihm wieder zur Verwaltung seines Stifts zu verhelfen und ihm die mit frevelhafter Gewalt beschlagnahmten Schlösser,

) Der „Erphurdianus antiquitatum variloquus“ hrsg. von A. Thiele. Geschichtsquellen der Prov. Sachsen XLII, 220 f. (Halle 1906).

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Aemter und Gerichte wieder zu verschaffen. Er erinnert dabei an seine den Vorfahren des Königs geleisteten viel- fähigen treuen Dienste und Reisen und bittet ihn zu er- wägen, was dem heiligen Reich und allen regierenden Ständen für Schaden daraus erwachsen mlisse, wenn es in der Untertanen Belieben stände, ihren Herrschaften alle Pfliehten nach Gefallen zu kündigen (aufzuschreiben) und sich dermaßen gegen sie zu verschwören und zu empóren?),

Indem er von den Mängeln seiner Verwaltung schweigt, stellt der Abt hier als Ursache des Bruches die enge Ver- bindung seiner Ritterschaft und seines Kapitels mit einem vielgenannten hessischen Raubritter hin, mit Hektor von Mörlau, genannt Böhm, dessen nächste Bluts- verwandte zu den Fuldaer Prülaten gehürten?) Dieser

1) Cod. prob. p. 852 sqq. Von Schannat und seinen Benutzern zum Jahre 1517 gesetzt, aber erst nach der Landung Karls V (1. Juni 1520) verfaßt.

*) Der oben S. 212 erwähnte Gönner Huttens, der Propst vom Allendorf, Frank von Mórlau, war sein Bruder, Schannat, Hist. Fuld. p. 219. Der Ritter behauptete nun in einem an das Reichsregiment am 26. April 1522 gerichteten Schreiben, er sei zu der Fehde gegen die Ernestiner gezwungen worden, weil diese 1515 seinen (nach Apolle v. Vilbel 1519) verstorbenen Biuder Frank die Propstei Allen- dorf (bei Salzungen a. d. Werra) streitig gemacht hätten. Sie hätten die Stelle nur „zu versprechen, aber nicht zu besetzen oder zu entsetzen“, was nur dem Abt und der Herrschaft des Stifts Fulda zustehe, Die Herzöge aber hätten seinen Bruder ohne alle Ursache, ohne Klage und Untersuchung und gegen den Landfrieden vertriebea und gewaltsam spoliiert, was ihm viel Schimpf und Schaden bereitet habe. Auf seine Beschwerden babe er keine vertrügliehe Antwort erlangen können, daber er sich „aus brüderlichem Geblüt in die Fehde begeben habe". Er hatte nun in den nüchsten Jahren die süchsischen Untertanen schwer geschädigt, so daß der Kaiser am 27. Januar 1518 die Acht gegen ihn aussprach; wie es in dem Antrag der Herzöge heißt, hatte er mit Michel Bodelwitz in ihrem Amt und Geleit Wartburg Kaufleute abgefangen und Lösegeld erpreßt; sein Spieß- geselle war dann verhaftet und gerichtet worden, worauf Hektor im freventlicher Eigenmüchtigkeit sich einer mutwilligen Fehde angemaßt und ihre Untertanen „mit Nahme, Fahen, Wegführen, Schatzen, Rauben, Mord und Brand" vielfach geschüdigt hatte. Besonders hatte er am 1. Oktober 1517 ihr Dorf Gumpers hausen überfallen, „gepocht, geplündert“ und zum größeren Teil niedergebrannt, auch etliche Insassen gefangen und verwuudet oder jümmerlich ermordet. Bei dem Rückbalt, den er an den Fuldaer „Mönchen“ hatte, war ihm nicht beizukommen. So batte er noch im Juni 1520 den sächsischen

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hatte die Dreistigkeit gebabt, den Ernestinern als den Erb- verwandten des Landgrafenhauses förmliche Fehde anzusagen, und sie jahrelang empfindlich geschädigt. Er hatte dabei Hilfe und Unterschlupf bei der Fuldaer Ritterschaft gefunden, wäbrend der Abt schon bei seinem Anschlag auf Hersfeld sich der Gunst der Herzöge zu versichern gesucht hatte. Yor allem aber mußte er als Mitglied des Mainzer Kapitels

Rat Eucharius von Rosenau mit mehreren Begleitern zwischen Würzburg und Rotenfels überfallen: das versprochene Lösegeld von 2066 Gulden wurde auch erlegt, aber vergebens wandten sich die Herzöge an den Bischof von Würzburg, in dessen Gebiet der Ueberfall erfolgt sei: es wurde von Konrad von Thüngen einfach be- stritten. Der Kurfürst bemühte sich daher auf dem Wormser Reichs- tage, gegen Hektor und „seine Gesellschaft" aufs neue die Reichsacht su erwirken, die am 6. Mai erneuert wurde (DRA. II. 833 f.). Ver- nutlieh hatte sich Hektor damals durch seine Freunde unter der lurpfäl zischen Ritterschaft an Ludwig V. gewendet, der einen Ver- gleich herbeizuführen versucht habe, aber vergeblich. Eine Frevel- ut Mangolds von Eberstein, die in Nürnberg großes Auf- sehen erregte, begangen an einem Kaufmann aus Kärnthen, ferner die am 13. März 1522 erfolgte Ermordung des Fuldaer Propstes Küchenmeister bei dem Schlosse der Herren von Thüngen (t unten), veranlaßte das Reichsregiment zum Eingreifen: Graf Georg von Wertheim wurde als Hauptmann mit dem Vorgehen gegen die ,Friedbrecher und Beschädiger“ beauftragt und zerstörte nun den südlich von Fulda gelegenen Brandenstein, von dem Mangold sich zu Sickingen geflüchtet hatte. Dann wurde noch die Bug Zeitlofs bei Brückenau eingenommen, die Fritz von Thüngen (DRA. II, 716. 720) gehörte, und nun zog der Graf auch ‚vor die Behausung Hektur Beheims", die der Abt von Fulda als sein Lehen in Anspruch nahm. Wertheim bedauerte dann dem kur- fürstlichen Gesandten Hans von der Planitz in Nürnberg gegenüber, dal kein Vertreter seines Herrn zur Stelle gewesen sei, da er dann den Burgherrn hätte nötigen können, die Fehde gegen Sachsen auf- sugeben. Dieser hatte sich nach dem Ganerbenschlosse Geln- hausen begeben, so daß, wie Wertheim meinte, seine Burg auf den etwaigen Wunsch des Kurfürsten an einem Tage mit geringen Kosten erobert werden könnte. Und auch Planitz war 21.—21. Mai der Meinung, wenn man jetzt „wirklich fortfahre, gegen die Fried- brecher zu handeln, so könne mit leichter Mühe der Friede im Reich erhalten und die Plackerei zerstört werden“. Der Kurfürst äußerte am l. Juni seine Befriedigung über das Vorgehen Wertheims und versprach, den Vorschlag mit seinem Bruder zu bedenken, da es für künftige Fälle mutwilliger Friedens»töruug eine nützliche Warnung sein würde. Hektor aber hatte die Dreistigkeit gehabt, sich am

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darauf bedacht sein, den in der Erfurter Frage bestehenden Gegensatz zwischen Mainz und Kursachsen nicht zu ver- schärfen. Er schrieb nun schon am 10. Mai 1516 aus Hammelburg an seinen Vetter, den Burggrafen Georg, er habe durch das Verbot, jenen Hektor von Mörlau zu unter- stützen, den größten Unwillen seiner Mönche und Ritter er-

26. April an das Reichsregiment zu wenden (ohne Angabe seines Aufenthaltsortes!) und als ein „Armer vom Adel" gegen „genugsames Geleit“ sich zu rechtlichem Verhör zu erbieten, wobei jedoch alles, was „sich in Fehden und Zugriffen“ begeben hätte, ausgeschlossen bleiben sollte. Da er keine Antwort erhielt, erneuerte er sein Gesuch am 9. Juni, und nun erkundigte sich das Reichsregiment bei Planitz, ob Beheim, der behaupte, eine begründete Ursache zu seiner Fehde gebabt zu haben, wirklich in der Acht sei (14. Juni). Beide Herzöge gaben nun am 5. Juli dem Regiment genaue Auskunft über den Ver- lauf der Angelegenheit: die von Beheim angeführten Gründe seien falsch, dagegen sei er wegen der gegen sie verübten Frevel zwei- mal geächtet worden, und sie könnten auch nicht anf Ersatz des unter dem Schein einer Fehde angerichteten Schadens verzichten. Wenn er sich aber zuvor „aus der Acht wirken‘ würde, wollten eie sich zu rechtlicher Verhandlung bereit zeigen; weigere er sich jedoch nach Vorschrift des Landfriedens zu handeln, so möge ihn das Regiment zu Schadenersatz anhalten und seines Frevels wegen bestrafen. Das Regiment erteilte dem Gesandten auf seinen Vortrag eine zustimmende Antwort und übermittelte dem Ritter die sächsische Erklärung, wo- rauf dieser am 20. August erwiderte, daß er „keiner Acht geständig sei“, auch bisher keine Vorladung erhalten habe. Die seinem Bruder angetane Schmach sei offenkundig und werde sich auch im Verhör herausstellen; die Fürsten hätten selbst gegen den Landfrieden ge- handelt, und wenn sein Angebot nicht angenommen werde, werde er sich der ,Gegenwehr bedienen, um seines Schadens Kehrung und Abtrag zu erlangen". Am 4. September hatte inzwischen der Kur- fürst angeordnet, daß der Fiskal am Reichskammergericht wegen der sn Rosenau verübten Erpressung Klage erheben solle; der aber fand die Beweise nicht genügend und fürchtete, in die Kosten verurteilt zu werden, wenn jener nicht als Nebenklüger dafür hafte. Und so verlief die Sache vorlüufig wieder im Sande, um erst nach Jahr- zehnten durch die Gefangennahme Hektors erledigt zu werden. H. Virck, Planitz-Berichte S. 151f. 172 ff. 185ff. 191. 208. Kalkoff. Depeschen Aleanders S. 287 Anm. Die von Virck erwühnte Be- arbeitung der umfünglichen in Weimar beruhenden Akten dureh Herrn Dr. Lämmerhirt ist leider nicht zustande gekommen. Ee war wohl der von den Ernestinern eingesetzte Propst von Allendorf, Konrad von Biedenfeld, der später „zur lutherischen Partei abfiet und eine Nonne heiratete“ (HZ. S. 225).

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reg. Schon früber habe er den Kapitelherrn deswegen bart und ernstlich gedroht. Darauf hätten sie ihm im Kapitel entgegnet, sie wollten ihre Verwandten und Freunde um der Herzöge willen nicht im Stiche lassen, und der Abt dürfe es ihnen nicht wehren, Und nun hätten sich Prälaten und Ritter vereinigt, diese böse Handlung an ihm zu verüben!).

Auch in der Eingabe an Karl V. betont der Abt, daß ich Dechant und Kapitel gegen ihn empört hätten, weil er ihnen nicht gestatten wollte, denen, „die auf die Straße greifen, um Fürsten und andere zu schädigen, in den Klöstern des Stifts Vorschub zu leisten“. Und besonders wi der „empörerische Unwille seiner Mönche“ daher ge- kommen, daß ein Lehnsmann des Stifts, eben jener Hektor ron Mörlau, sächsische Untertanen in fuldaischen Klöstern und Dörfern gefangen und beschädigt habe. Während er aun zunächst nur den Freunden Hektors dies verwiesen habe, hätten diese die Ritterschaft aufgewiegelt, als hätte er ihnen bei ihrer mönchischen Gehorsamspflicht geboten, ihren angeborenen Freunden überhaupt keine Aufnahme und Beistand zu gewähren. Und so sei es dahin gekommen, daß Kapitel und Ritterschaft sich vorgenommen hätten, in einer andern Sache einen Landtag auszuschreiben. Die Beschwerden über seine Verwaltung seien also nur der Vorwand gewesen, um sich so lästiger Mahnungen zu ent- ledigen und jenes zuchtlose Treiben ungestört fortsetzen zu können. Da nun die Berufung des Landtags nur ihm als dem regierenden Herrn und Abte zustehe, habe er den Städten befohlen, die Versammlung nicht zu besuchen, und den Mönchen, dabei keine Verhandlung zu pflegen. Da dieses Verbot nichts fruchtete, sah sich Hartmann nach Beistand um, und so erschienen denn auch rechtzeitig kurmainzische und bischöflich-würzburgische Räte. Denn die ungehorsamen Mönche hatten inzwischen, um „desto kecklicher ihres freien Mutwillens pflegen zu können“, eine stattliche Versammlung der Ritterschaft und ciner großen Anzahl der Städte zuwege gebracht, so daB „anderthalbhundert“ von ihnen dem Abte gegenüber standen. Den fremden Riüten hatten zwar die Mönche wie die Ritterschaft bei Gehorsam und Eidespflicht versprochen, daß, wenn der Abt in den Zusammen- tritt des Landtags einwillige, dabei nichts gegen seine Person, sondern nur, was zur Ehre und Wohlfahrt des Stifts gereiche, verhandelt werden solle. Gleichwohl bestanden Mönche, Ritter und Bürger bei den „verdrießlichen und ganz un- billigen Verbandlungen, die sich drei Tage vom Morgen

1) Avemann, S. 242.

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bis zum Abend“ hinzogen, darauf, daB der Abt von dem Barbestand und allen Vorrüten des Stifts bei seinen Kelle- reien und Amtern Rechenschaft ablegen solle. Dieser ver- steifte sich darauf, dab er weder durch kaiserliche noch durch päpstliche Bestimmungen dazu verpflichtet sei und auch durch seine Verwaltung keinen Aulaß zu solcher Forderung gegeben habe, da er das Stift seit dem Tode seines Vorgängers nicht geringert, sondern nur verbessert, auch nichts davon verpfändet oder veräußert habe. Da nun der Landtag auf seiner Forderung bestand, auch die fremden Räte nichts ausrichteten, entnahm der Abt aus vielen äußer- lichen Anzeichen, daB, wenu er auch in die Rechnungslegung einwilligte, man daraus nur weitere Vorwünde entnehmen würde, um gegen ihn vorzugehen. Er habe sich daher, um sich vor ihrem ,ungestümen und bedenklichen Vornehmen“ zu retten, nüchtlieher Weile aus seinem Schlosse in Fulda entfernt und nach seiner Stadt Hammelburg begeben, die sich an der bösen Handlung nicht beteiligt hätte. Doch habe er seinem Marschall eiue schriftliche Erklärung über- geben, iu der er sein „Abreiten“ gerechtfertigt und sich zu weiteren Verhandlungen erboten habe. Diese Schrift habe der Marschall noch in der Nacht den Ständen zugestellt. Dessen ungeachtet hätten die Prälaten mit Rittern und Bürgern sofort am frühen Morgen das Schloß belagert, Buchsen und Geschoß herangebracbt und die Brücke, über die er kurz zuvor ausgeritten sei, abgebrochen, weil sie glaubten, er wäre noch im Schloß. Dann hatten sie hinein- geschossen, obwohl der Marschall und andere ihnen wieder- holt zuriefen, dab der Abt ihnen gar nicht befohlen habe, das Schloß zu verteidigen. An diesem Tumult hätten sich die Kapitelherren selbst mit bewaffneter Hand beteiligt. Als ihnen dann der Marschall das Schloß öffnete, hatten sie ihn und den Vetter des Abts unter Ehrenwort in einem Gemach gefangen gesetzt, die Knechte und Diener geschlagen, einige in den Turm geworfen, auch in den Stock gelegt and ihre Häuser gepfändet. In der Burg batten sie alle verschlossenen Behülter zerschlagen und alsbald auch alle anderen Schlösser, Aemter und Gerichte des Stifts beschlag- nahmt Etwa vierzehn Tage daraaf wurden alle Amtleute des Abtes und alle Städte der ibm geleisteten Eide und Pflichten eutbunden. Der juristisch gebildete Abt verfehlt nicht, ein solch gewaltsames, eigenmüchtiges Vorgehen als einen mit geistlichem und weltlichem Recht unverträglichen Frevel zu brandınarken.

Der geistliche Chronist, der doch an allen diesen stürmischen Auftritten beteiligt war, verschweigt natürlich

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alles, was sich hierbei mit den klösterlichen Sitten nicht verträgt. Die adligen Mitregenten des Stifts sollten aber bald zu der Einsicht kommen, daß sie und der gesamte geistliche Staat „den größten Schaden“ von dieser Wendung der Dinge hatten, denn, so fährt Vilbel fort, „die Bürger von Hammelburg benahmen sich in dieser Fehde (gwerra) 80 hart und grausam gegen ihre Herren vom Kapitel, denen sie doch als ihren rechten Erbherren eidlich verpflichtet waren, desgleichen gegen Adel und Städte“, daß sie auch der Entscheidung des Landtages zum Trotz dem Fiüchtling Unterschlupf gewährten. „Zunächst war ihm der Dechant Philipp von Schweinsberg mit einigen Mitgliedern des Kapitels und einigen Edelleuten nachgeeilt, angeblich iu keiner andern Absicht, als Frieden uud Eintracht zu wahren und den Abt zurückzurufen, dem sie versprechen wollten, ihn mit allen Ehren nach Fulda zu geleiten!). Aber die Bürger mißachteten ihren dem Kapitel geleisteten Eid und verwarfen nicht nur jenes Angebot, sondern verwehrten den Gesandten auch den Eintritt in die Stadt und zwangen sie, mit Schimpf und Schande abzuziehen. Auch während des ferneren Streites erwiesen sie sich als feiudselig und zwangen die adligen Mönche wie die Bürger von Fulda vor verschlossenen Toren umzukehren und ihre höhnischen Schimpfworte noeh in den Kauf zu nehmen. Unterdessen verbrauchte und verkaufte der Abt alles, was er in Hammel- burg an Wein uud Feldfrüchten vorfand; das Schlimmste aber war, daB er mit Anna von Hessen, der damaligen Feindin des Fuldaer Stifts, Freundschaft zu schließen suchte, indem er ihr alle päpstlichen und kaiserlichen Urkunden über die Einverleibung von Hersfeld auslieferte und so dem Stifte Fulda auf immer entweudete".

Denn Hartmann war in der Tat klug genug gewesen, sich wenigstens vor weiterer Bedrüngung von Seiten Hessens zu sichern, indem er am 1. April 1516 zugunsten Ludwigs von Hanstein auf die Abtei Hersfeld verzichtete uud ver- sprach, die Angelegenheit auch bei Kaiser und Papst ordnen zu helfen. Da Ludwig bald darauf in Kassel verstarb, so wurde nun unter hessischem Einfluß am 19. September jener charakterfeste Crato Mylius aus Hungen in der Wetterau gewählt, seit Jabrhunderten der erste bürgerliche Abt“, der

!) Hartmann tat wohl daran, ihnen nicht zu folgen. Die Mönche des Benediktinerklosters Homburg bei Langensalza hatten ihren Abt Johann von Berka eingekerkert. „Mit Gottes Hilfe aber war er unversehrt ent- kommen und starb 1513 in Fulda als Kaplan des Abtes.“ HZ. S. 285.

3) W. Lauze a. a. O. S. 12.

Arehiv für Reformationsgeschichte XXIL 8/4. 16

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dann durch seine lutherfreundliche Haltung er bereitete dem Reformator schon am 30. April 1521 auf der Rückreise won Worms einen ehrenvollen Empfang der Einführung der evangelischen Lehre Vorschub leistete, wenn er auch selbst bei der alten Kirche verblieb. Zunächst verstanden nun aber die doppelt betrogenen 'Kapitelherren, sich auf eine empfindlicbe Art an Hartmann von Kirchberg zu rüchen!). Dieser hatte sich auf seine engen Beziehungen zur Mainzer Regierung verlassen, die denn auch durch ihre Kommissarien einen Tag in Aschaffenburg abhalten ließ, auf dem wenigstens ein vorläufiger Stillstand zwischen den Parteien verabredet wurde, der sich auch auf jenen Hektor von Mörlau bezog. Denn dieser hatte bald darauf den jungen Vetter des Abtes, Burggrafen Siegmund, den er nach Köln geschickt hatte, auf der Rückreise über- fallen und auf freier mainzischer Landstraße samt Knechten und Pferden in Gefangenschaft geführt. Hartmann wandte sich daber sofort (Hammelburg, 13. Juni 1516) an die erz- bischöflichen Statthalter, vorab den Grafen Eberhard von Königstein?) mit der Bitte, entweder selbst oder durch die Ganerben der Schlösser Friedberg, Gelnhausen und Lindheim eine Verhandlung zwischen ihm und dem von Mörlau anzubahnen, worauf denn auch die mainzische Regierung einen Tag zu Aschaffenburg, ihrem eigenen Wohn- sitz, auf den 30. Juli ansetzte. Hektor aber redete sich darauf "hinaus, daß er keineswegs dem Waffenstillstand zuwider gehandelt habe, denn er habe den Burggrafen nicht als Ver- wandten des Abtes, sondern als Untertanen der beiden Ernestiner niedergeworfen. Auch die hessische Regierung, die sich daraufhin mit der Sache befaßte, konnte nichts weiter erreichen, als daß der Räuber erklärte, Burggraf Georg könne seinen Sohn nnr „durch ehrliche Ausrichtung nach seinem Gefallen“, also durch ein von ihm za bestim- ` mendes Lösegeld erretten. Desgleichen erlaubte sich Hans von Thann, ein Verwandter des Propstes von Holzkirchen (gest. 1518), das Haus des Burggrafen in Fulda, das man schon bei Hartmanns Flucht geplündert hatte, zu beziehen, weil es doch dem Kapitel gehöre“). | Auf dem Tage in Aschaffenburg erschien nun Hartmann 1) Das folgende nach Avemann S. 243 fl.

3) Vgl. über diesen mein Buch „Die Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V.* bes. S. 188—148,

5 Hartmann rüchte sich, indem er sich der Propstei Holzkirchen bemüchtigte, wo Reinhard von Thann ein schönes Wohngebäude er- richtet hatte, HZ. 8, 286.

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persönlich, unterstützt durch Räte des Bischofs von Würz- burg und der Landgräfin von Hessen, während die sächsischen Herzöge ihre Räte der Gegenpartei zu Hilfe geschickt hatten. Der Abt beklagt sich darüber in einem Schreiben an seinen Vetter mit dem heuchlerischen Vorgeben, daß er doch nur der Herzöge wegen aus seinem Stift verjagt worden sei, weil er den offenkundigen Helfershelfern Hektors nicht habe gestatten wollen, ihn aufzunehmen, um Streifzüge gegen ernestinisches Gebiet zu unternehmen. Aber diese Undankbarkeit der Herzöge erklärte sich daraus, daß ihnen Hartmann auf einem sehr viel wichtigeren Kampfgebiet, in dem Ringen am die Landeshoheit über Erfurt, entgegengetreten war. Der Abt erreichte denn auch in Aschaffenburg nichts weiter, als daß sein Haus in Fulda geräumt, seinem Vetter Pferde und Harnisch wiedererstattet werden sollten. Die Haupt- fragen, wie auch die Lösung Siegmunds wurden auf einen Tag zu Marburg verschoben, denn die dem Abte gestellten Bedingungen waren so ungünstig, daß seine Beistände ihm die Annahme widerrieten. Den furchtbarsten Schlag aber führte der im Kapitel vertretene Adel gegen ihn, indem er sich mit dem Grafen Wilhelm von Henneberg dahin verständigte, dessen Sohn zum Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge za erheben und so den Abt matt zu setzen. Die beiden sächsischen Räte mußten also in Aschaffenburg in Beisein des Grafen Michael von Wertheim das Ansuchen an Hartmann richten, er möge in Anbetracht der alten Freundschaft zwischen den Häusern von Kirchberg und von Henneberg diesen jungen Grafen als Koadjutor und Nach- folger annehmen. Diese Zumutung verbat sich der Abt nun ıwar als mit seiner Ehre unvereinbar: er wäre vielleicht ‚bereit gewesen, vertraulich mit dem Grafen Wilhelm tiber diese Frage zu verhandeln; so aber würde es den Anschein ‚haben, als hätte er in offener Auseinandersetzung mit den ‚Gegnern auf seine Würde verzichten müssen. Daraufhin schloß das Kapitel am 16. August 1516 einen Vertrag mit dem Henneberger, daß, wenn der jetzige Abt mit Tode ab- gehen würde, sein Sohn Abt und regierender Herr von Fulda Werden sollte!).

1) Gegenseitige Verschreibung zwischen Dechanten und Kapitel einer-, Graf Wilhelm andrerseits, die von der Versammlung der Ritter- "schaft und Städte gebilligt worden war. Der junge Graf soll, sobald r 14 Jahre alt ist, die Statuten des Stiftes beschwören. Bei deren Verletzung ist das Kapitel ohne weiteres berechtigt, einen anderen zum Abte zu wählen. Sein Vater verspricht überdies, dem Stifte in seinen lmugen mit dem Abte Hartmann jeden Beistand zu leisten. Cod.

16*

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Indessen war ein Mann von dem Ehrgeiz und der Ex- fahrung dieses vornehmen Kurtisanen doch nicht so leicht aus dem Sattel zu heben; und auch die Herrschaft des Kapitels 'scheiut nicht sonderlich beliebt gewesen zu sein. Denn als "Hartmann erfuhr, daß der Graf von Henneherg Reiter am- werbe und einen Anschlag gegen ihn im Schilde führe, empfing er von den Hammelburgern die Versicherung, daB sie Leib und Gut für ihn als ibren Herrn einsetzen wollten, und den Rat, auf keine schimpflichen Zumutungen einzugeben, wie sie ibm soeben in Aschaffenburg gemacht worden seien. Und auch das Städtchen Vacha (a. d. Werre) sandte zwei Ratsmitglieder an den Abt, klagte, daß man sie ‘schändlich hinters Licht geführt habe, bat feierlich um Ver- zeihung und gelobte dem von Gott verordneten Stiſtsoberhaupt ferneren Gehorsam. Wenn man hinzufügte, dab man keinen anderen Herrn anerkennen werde, so richtete sich das offeubar gegen die Machtgeltiste der benachbarten Henneberger und wurde von diesen so gut verstanden, daß Graf Wilhelm Später versuchte, das Städtchen zu überrumpeln; doch wurde er von den wachsamen Bürgern mit Schimpf und Schande abgewiesen“).

Auch ein Tag in Marburg, den die Hessen auf den 1. Oktober 1516 anberaumt batten. verlief ergebnislos, da Hartmann sich keines Rechtes begeben, die Stiftischen aber

prob. p. 351 sd. Auch durch diese kiıchliche Würde seines Sohne wurde der Graf Wilhelm (1480 1559) auf der altkirchlichen Seite festgehalten. In Worms suchte er Luther in seiner Herberge auf, erregte aber dann de-sen Zorn durch die Begünstigung der Wallfahrt : "gu dem Marienbilde von Grimmentbal. Den Bauernaufstand, der sein "Gebiet besonders schwer betroffen batte, rächte er im Bunde mit dem grausamen Bischof von Würzburg durch furchtbare Bluturteile. Später aber legte er der Einführung der Reformation durch seinen Sohn Georg ‘Ernst keine Hindernisse mehr in den Weg. Vgl. W. Höhn, Kurse Gesch. der Kirchenreformation in der gefürsteren Grafschaft H., Halle 1894 (Schr. f. das deut-che Volk 22). Der ersziehliche Einfluß, den die "Reformation auch auf den Adel ausübte, zeigt sich auch darin, das mit den Rüubereien der Ritterschaft such deren Begün.tigung dureh die Kleinfürsten anfbörte. Noch 1523 wurde Graf Wilbelm ale eines der Häupter des fränkischen Adels vom Schwäbischen Buude durch ein energisches Schreiben anfgefordert, seine strenge Neutralität bei dem Strafzug gegen die Raubritter zu erklären, da noch die Abgesandten des Schweinfurter Rittertages der Bundeeleitung gedroht hatten, det Henneberger wolle seine Bundesverwandten nicht verlassen (Planitm, Berichte, S. 471 ff., 480f ).

9 Vgl. WR. 8. 989.

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dm niehts weiter gönnen wollten, als ein Jahrgehalt auf bebenszeit Schließlich schlug die Regentin ein Schieds- gericht von 12 Personen aus Grafen, Prülaten, Rittern und Bürgern vor, das den Streit engültig schlichten sollte. Doch, rief sie damit nur den Gegenantrag hervor, daß die Sache, dem ganzen hessischen Landtage unterbreitet werden müsse. Dann aber wurde sie in jenen langjährigen Kampf mit eiu- bezogen, den die Landgräfin gegen die Mitglieder der von ihr gestürzten adligen Regentschaft führte, hinter denen auch die buchonische Ritterschaft stand, die mit dem ehe- maligen Landhofmeister Ludwig von Boyneburg auch in dieser Frage Hand in Hand gehen wollte.

Dem Domkapitel in Mainz kam es darüber immer mehr sum Bewußtsein, daß Hessen nicht nur seine Stellung in Hersfeld zurückgewiunen, sondern auch in Fulda Fuß fassen wollte, was wegen der Verbindung mit dem thüringischen Besitz des Erzbistums recht bedrohlich werden kounte. Am 6. November 1516 beschlossen also die Domherrn, deu Erzbischof zu bitten, daß er persönlich zwischen dem Abt und seinen Gegnern vermitteln möge, da die Mainzer Kirche einen offenen Krieg nicht ertragen könne. Dadurch sah sch nun wieder der Abt in Gefahr, seinen Rückhalt im Domkapitel zu verlieren, und so erschien er am 30. Dezember m einer eingehenden Darlegung. Er berichtete zunächst über den Hergang seiner Vertreibung aus der Abtei!) und rechtfertigte sich wegen aller ihm gemachten Vorwürfe, Dann wiederholte er sein Erbieten, in allen Punkten vor dem Erzbischof oder vor Dekan und Kapitel von Maing m Recht zu stehen und ihrer gütlichen oder richterlichen Entscheidung zu gehorchen, ohne den Vorbehalt fernerer Appellation. Nur müsse er zur Bedingung machen, daß er in seine Würde und Regierungsgewalt wieder eingesetzt werde und im Falle der Absetzung nicht zu erscheinen brauche. Bei einer solehen Wendung behielt er sich also vor, den Streit vor einem andern Gerichtshofe, dem des Kaisers und des Papstes, weiterzufübren. Bald darauf muf sun der Erzbischof, bzw. der Statthalter Lorenz Truchsess üe Geguer Hartmanns soweit gebracht haben, daB sie am 15. März zu einem Vergleichstage in der erzbischöflichen Residenz Steinheim bei Aschaffenburg erscheinen wollten, aad nun bat Hartmann am 4. Februar 1517 das Domkapitel, ihm dazu zwei Mitglieder als Beistand mitzugeben. Am

1) „factom suae destitutionis ex ordine retulit . . ." was nich£ «wa als Verstoßung aus dem Benediktinerorden aufzufassen ist, da von einem solchen Schritte nichts verlautet.

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5. März aber erklärte er, daB er aus Gesuudheitsrücksichten und um der Gefährlichkeit der Wege willen nicht erscheinen könne; er habe den Erzbischof gebeten, einen anderen Tag an einem geeigneten Orte anzusetzen; das Kapitel möge ihn auch dann unterstützen.

Inzwischen hatte er noch gegen Ende des verflossenen Jahres durch eine Reise an den kaiserlichen Hof sich bei Maximilian I. in Erinnerung gebracht!) und zunächst erreicht, daß kaiserliche Räte sich im März mit Einigungsverhand- lungen bemühten, über die der Abt am 30. März im Kapitel berichtete. Er betonte dabei die engen Beziehungen (die „Union“) der Mainzer und der Fuldaer Kirche und beteuerte, daß er selbst stets das Wohl des Erzbistums im Auge ge- habt habe und dessen Schaden abzuwenden bedacht sei, damit man ihm später nicht vorwerfen könne, daß er als Mitglied des Kapitels gegen das Wohl der Mainzer Kirche gehandelt habe. Er bat daher, ihn zu beraten, da er auf keinem andern Wege seine Wiedereinsetzung erreichen könne. Diese Berufung auf die gemeinschaftlichen Interessen der beiden geistlichen Fürstentümer hatte ihren Grund in einer für den vertriebenen Abt sehr bedrohlichen Wendung, von der er zweifellos schon Kenntnis erhalten hatte, denn zwei Tage später, am 1. April, erschienen vor dem Kapitel der Marschall Frowin von Hutten undDr. Sebastian von Rotenhan, erzbischöflicher Rat, mit einem Be- glaubigungsschreiben Albrechts. Danach hatten Dechant und Kapitel, Vasallen und Untertanen der Fuldaer Kirche den Erzbischof um eine Erklärung gebeten, ob sie im Falle eines Ueberzugs durch ihre Feinde auf Hilfe rechnen könnten. Der Fuldaer Stiftsadel und seine geistlichen Vettern fürchteten also eine gewaltsame Zurückführung Hartmanns durch die Landgräfin von Hessen, die energische Vertreterin landesfürstlicher Gewalt auch gegen die auswärtigen Standes- genossen ihrer eigenen rebellischen Ritterschaft. Daher die eifrige Verwahrung Hartmanns gegen die Besorgnis, als künne er etwas zum Nachteil der von den Mainzer Dom- herren vertretenen Standesinteressen, gegen die politische Stellung der mitregierenden Kapitel im Schilde führen. Es lag in der Tat ein Widerspruch darin, daB die Mainzer Kapitularen ihn im Kampfe gegen sein eigenes Kapitel unterstützen, seine Willktirherrschaft wiederherstellen helfen 1) Dieser war im Oktober in Augsburg, dann in Tirol und am Bedensee, Forsch. zur deutsch. Gesch. I, 880f. Vermutlich erwirkte H. bei dieser Gelegenheit auch das unten erwähnte Vorgehen des kaiserlichen Fiskals gegen die Städte der Abtei (S. 959). r

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sollten. Daß Albrecht die Hand dazu geboten hatte, die Fuldaer Stände durch dieses offenbar von ihnen hewirkte Vorgehen seiner Räte zu unterstützen, ist nicht verwunderlich; er weilte damals noch in Halle und war wohl von den einzelnen Vorgängen nicht näher unterrichtet. Aber während er sich auf die Frage beschränkte, welchen Rat ihm das Kapitel erteile, suchten seine Räte es dahin zu bringen, daß dem Kapitel und Vasallen von Fulda die Hilfe der Mainzer Regierung zugesagt wurde. Es war nicht schwer, die ge- Whrliehe Tragweite eines solchen Schrittes zu übersehen, und die Domherren waren sich längst darüber klar, dab eine kriegerische Entwieklung der Dinge vermieden werden müsse. Ihr Bescheid lautete also: da beide Parteien in die vom Erzbischof geplante gütliche Verhandlung gewilligt hätten, so möge dieser einen Termin zu friedlicher Bei- legung ansetzen; dann werde es nicht nötig sein, daß es zum offenen Kampfe komme. Auch am 3. April wurde über diese Angelegenheit beraten, doch ohne daß wir Näheres erfabren, Am 1. Juli verlas dann der Abt aufs neue sein " Erbieten und bat um den Rat des Kapitels, was er mit Ehren tun könne. In dieser Formel aber war beschlossen, daß er seine Absetzung nicht anerkennen, also auch nicht freiwillig zurücktreten würde. Das Kapitel entschied, daß sr über sein Angebot nicht hinauszugehen brauche, und nahm also entschieden für ihn Partei. Offenbar stand es “un so, daß sowohl Mainz wie Hessen versuchen mußten, dem Abte möglichst günstige Bedingungen zu verschaffen, um bei seiner Rückkehr sich seiner Anhänglichkeit zu ver- ſiehern oder wenigstens durch ihn auf die unzuverlässigen Fuldaer Stände einen Druck auszuüben. Und Hartmann verstand es vortrefflich, sich diese Lage zunutze zu machen.

Zunächst aber bot sich für ihn eine gläuzende Gelegen- beit, seine guten Beziehungen zum kaiserlichen Hofe zur Geltung zu bringen. Im Sommer 1517 begab sich Maximilian von den Niederlanden her nach Augsburg, wo- bei er wegen seines gespannten Verhältnisses zu deu Reichs- ständen die Stätte des von ihm nach Mainz einberufenen Reichstages geflissentlich umging. Er verweilte aber einige Zeit (13.—21. Juni) in Frankfurt!) wo er u. a. eine wichtige Besprechung mit dem Erzbischof von Mainz und seinem Bruder Joachim I. in der Frage der Königswahl hatte!“). *' 1) DRA. 1. 11. Chr. F. Stälin, Aufenthaltsorte Kaiser Maxi- milians I. Forschungen z. deutsch. Gesch. I, 389. H. Ulmann, Kaiser Maximilian I, Stuttgart 1891. II, 650f.

) WR. S. 28.

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Nun berichtet der spätere Kammermeister des Landgrafen von Hessen, Rudolf von Waiblingen!), am 3. Augusé an den Burggrafen Georg, daß sein Vetter, der Abt vou Fulda, den Kaiser bei seiner Durchreise in Frankfurt auf- gesucht habe. Daraufhin habe dieser dem Erzbischof von Mainz zwei seiner Räte zugeschickt mit dem Auftrag, die Angelegenheit unverzüglich vorzunehmen. Zugleich empfing der Abt einen hervorragenden Beweis der kaiserlichen Gnade, indem er durch Beglaubigungsschreiben aus Rotenburg a. T. vom 27. Juni bei den Reichsständen neben dem obersten Hofmarschall Leonhard Rauber, Freiherrn zu Blankenstein, als Kommissar und Vertreter des Kaisers bestellt wurde“). Nun wurde auf dem schlecht besuchten Reichstage, der sich ohnehin viel mit der Lage der Ritterschaft zu befassen hatte?), auch diese Frage und die damit zusammenhängenden Umtriebe an mehreren Tagen erwogen; man wartete dann die Ankunft des jungen Grafen von Henneberg ab und suchte nun den Abt zur Annahme des Koadjutors zu bewegen. Bei seinem hartnäckigen Sträuben kam man über einen Vertragsentwurf nicht hinaus, dessen Annahme die hessischen Räte ihrem Verbündeten widerrieten. Die Gegner rächten sich dafür, indem sie zwar ihre Mitwirkung zur Befreiung des jungen Burggrafen in Aussicht stellten, aber zu einem Druck auf Hektor von Mörlau sich außer Stande erklärten:

Vom September bis gegen Ende des Jahres ist Hart- mann von Kirchberg neben dem Generalvikar Dietrich Zobel von Giebelstadt und Johann von Vilbel mit der

1) Dieser war früher ein Anbünger Boyneburgs (Glagau S. 176) war aber nun schon auf die Seite der Landgrüfin übergetreten, Nach dem Vertrag über die Abfindung Hartmanns von 1521 hatte Waib- lingen diesem ein Darlehen gewährt, das der Koadjutor zurück- sablen mußte. Auch eine weitere Verschreibung, vermutlich die Fuldaer Lehen Waiblingens betr., sollte ihm lebenslänglich gehalten werden. Cod. prob. p. 857. 365. Wie unten weiter ausgeführt wird, suchten die Hessen den Abt auch durch Beleihung seines eigenen und des geraubten Silbergeschirrs an sich zu fesseln.

) J. Ch. Lünig, Teutsches Reichs-Archiv, part. gen. continuatio II (Leipzig 1720), 316. Instruktion vom 26. Juni. Ulmann, Sickingen S. 74 Anm. 4.

3) HR. S. 300. Der Abt und Rauber sollten auch über Sickingen und Ulrich von Württemberg mit den Ständen verhandeln. Am 80. Juni begannen die Besprechungen, und noch am 1. Aug. gab ihnen der Kaiser Weisungen in der württembergischen Frage. Frankfurts Reichs» korrespondens, hrsg. von J. Janssen, Freiburg 1872. IT, Nr. 1156, 8. 906. 994. 937.

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Erfurter Angelegenheit beschäftigt, in der Kursachsen einen vellen Erfolg erzielt hatte: die Deputierten des Kapitels reisen zum Erzbischof nach Steinbeim; dieser schickt seine Räte zu Besprechungen mit dem Kapitel; schließlich sollen Zobel und Kirchberg eine Rechtsverwahrung aufsetzen (9. Dezember). Am 12. Januar 1518 aber berichtet letzterer wieder tüber die Verhandlungen mit seinen Gegnern vor dem Erzhischof und bittet das Kapitel um seine Beteiligung, damit „die Sache zu Ende kommen könne“, was ihm denn sach zugesagt wurde.

Inzwischen aber hatte die Landgrüfin ihre konkurrierenden Bemühungen fortgesetzt. Der Propst Apollo berichtet für dieses Jahr von einem Tage zu Gelnhausen, wo Hessen sieh bemüht hätte, das Einvernebmen zwischen dem Abt und dem Kapitel herzustellen, doch ohne Erfolg). Immer- bin war es den hessischen Räten schon gelungen, den Ent- wurf einer „concordia“ aufzustellen, den der Abt am 85. Januar 1518 dem Kapitel vorlegte mit dem Bemerken, daß er auch jetzt noch die Vermittlung des Erzbischofs an- nehmen wolle wenn ihm dieser noch bessere Bedingungen verschaffe. Wenige Tage später verstärkte er diesen Druck durch die Mitteilung, er habe der Landgräfin so geschrieben, daß er von dem durch sie vereinbarten Ausgleich nicht gut mehr zurücktreten könne und daß er ihn vielmehr anzu- nehmen beabsichtige. Am 19. Februar erschien er mit der Bitte, die Urkunde über den Frieden mit seinen Fuldaer Gegnern genau zu prüfen, da es ihm scheine, als ob die Landgrüfin einiges gegen den Wortlaut des Entwurfs ge- ändert habe; er habe zwar nichts genaueres darüber in Erfahrung bringen können; jedenfalls möge das Kapitel Vor- sorge treffen, damit nicht die Fuldaer Kirche von der Mainzer Kirche abfalle und sich an Hessen anschlieBe, wogegen das Kapitel sofort Einspruch erhob. Er deutete also zum mindesten an, daß der in Aussicht genommene Koadjutor bei der Lage seiner väterlichen Graf- sehaft sich bewogen sehen könnte, sich enger an Hessen anzuschließen, als der Mainzer Regierung lieb sein könne. Am 25. Februar endlich meldete er, Kapitel und Adel von Fulda bätten an die erzbischöflichen Räte also an Frowin von Hutten und Rotenhan geschrieben, der auf den B. März angesetzte Tag zu gütlicher Verhandlung sei über- flüssig, weil der Abt der Landgrüfin schon versprochen habe, Pre Konkordie anzunehmen. Man möge ihn aber doch dahin zu bestimmen suchen, daß er den früheren Entwurf

1) R7. 8. 929.

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der Hessen aufgebe, und die betr. Versprechung zurück- nehme. Darauf erklärte nun der Abt, daß er dies mit Ehren nicht tun könne, und wenn man sich erinnert, daß er mit dieser Formel seinen Widerstand gegen völlige Ab- setzung oder Abdankung begründete, so war also in dem ersten Eutwurf seine Stellung dem unvermeidlichen Koadjutor gegenüber ungünstiger gewesen. Er erbot sich nun aber wieder, wenn seine Gegner erschienen, weiter zu verhandeln, und wollte lieber einen vom Erzbischof und dem Mainzer Kapitel vermittelten Vergleich annehmen als den hessischen, vorausgesetzt, daß er keine schlechteren Bedingungen brächte,

Die hessischen Räte waren unterdessen eifrig am Werke und so konnten sie auf einem am 12. März 1518 in Vacha abgehaltenen Tage auch noch in einigen Nebenpunkten Ordnung schaffen: so sollte der Burggraf Siegmund endlich freigelassen werden gegen Erstattung der Verpflegungs- kosten, Zahlung von 325 Gulden und Lieferung von drei Hengsten !). An demselben Tage legte Hartmann dem Kapitel und den erzbischöflichen Räten den hessischen ‚Vertrag vor und erklärte, daß man ihm auf den 23. März einen Tag in Frankfurt angesetzt habe zur Unterzeichnung der Konkordie, die er notgedrungen annehmen müsse. Nur wenn er der Gunst und Hilfe des Erzbischofs und des Kapitels gewiß sei, könne er sich entschließen, sie abzulebnen. Darauf ersuchte das Kapitel die Statthalter, sich sofort mit den erz- bischöflichen Räten zu besprechen, konnte aber selbst am 13. zu keinem Entschluó kommen. Nun aber drohte Kirchberg, sich über alle Rücksichten hinwegzusetzen und die Sache beim Papste anhüngig zu machen, was den offenen Bruch mit Hessen und für die Abtei einen untübersehbaren und kostspieligen Proze an der Kurie bedeutete. Er bat am 18. März um Urlaub, da er sich nach Rom oder an die püpstliche Residenz begeben wolle. Inzwischen müge das Kapitel einen tüchtigen Ritter als Hauptmann nach Hammel- burg setzen, dem er das Städtchen übergeben wolle, damit er es im Namen des Kapitels für diese Zeit bewache; er selbst wolle ihn mit Weizen und Wein, Hafer und Stroh yersorgen, wührend das Kapitel, wie zu ergünzen ist, das bare Gehalt zahlen sollte. Dann wolle er keinen von den Hessen vermittelten Ausgleich annehmen! Das erschien nun wieder dem Kapitel allzu gewagt, so daß es ablehnte, aber

1) Als dann Hektor von Mörlau 1523 von Freunden Kursashsens niedergeworfen und an Friedrich ausgeliefert wurde, riet Hartmann, sich durch diesen den Schaden ersetzen zn lassen, was jedoch nicht gelang. Avemann S, 268, 270.

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sieh erbot, den Vorschlag beim Erzbischof zu unterstützen, wenn Kirehberg ihn bei diesem anbringen wolle. Denn selbstverständlich konnte bei dieser bedrohlichen Wendung ein Entschluß nur vom obersten Landesherrn selbst gefaßt werden. Ueber den Urlaub sei dann noch Zeit zu reden. Nun aber wollte doch auch der schlaue Abt die Dinge nicht auf die Spitze treiben. Er machte sich also die guten Dienste des Marschalls Frowin zunutze, der ja mit einem Fuße im gegnerischen Lager stand, und die geschäftliche Gewandtheit des Sekretürs Dr. Georg Griecker!) der ihm in Erfurt zur Seite gestanden hatte, und so gelang es bei den Verhandlungen in Frankfurt vor der Landgräfin, die bessische Konkordie noch ein wenig günstiger zu gestalten. Er konnte somit am 29. März 1518 erklären, daß er ihre Annahme versprochen habe, wenn das Kapitel ihm dazu rate. Dieses ernannte nun zunächst zwei Deputierte, die den Vertrag unter Zuziehung des Kanzlers Dr. Sunthausen und Dr. Grieckers reiflich erwägen und in eine angemessene Form bringen sollten; dann werde man einen Beschluß fassen, über den der Abt sich frei entscheiden könne. Bald aber mußte man erfahren, daß die Lösung doch nicht so einfach za finden war. Der Abt stellte seine Be- schwerden über den Inhalt des Frankfurter Vertrages zu- sammen, und da die Fuldaer Gesandten unter Führung des Dechanten Schenk von Schweinsberg nach Mainz gekommen waren, so sah sich der Mainzer Dechant Lorenz Truchsess von Pommersfelden genötigt, sich persönlich mit der heikeln Angelegenheit zu befassen. Am 21. April teilte er dem Abte im Kapitel mit, daß dieses den Frankfurter Artikeln nur zum Teil zugestimmt und die beanstandeten Punkte mit Hartmanns Einwendungen den Fuldaern übergeben habe. Diese antworteten nun durch den Mund Johanns von Thann, also jenes rtüeksiebtslosesten Führers der Ritterschaft: der Abt habe die hessischen Artikel anzunehmen und zu be- Segeln versprochen; dann habe man nochmals in Frankfurt rerhandelt: sie könnten und wollten also keinen andern Vertrag annehmen als den in Frankfurt vereinbarten; doch würden sie über die vom Kapitel vorgeschlagenen Artikel bis 2 Uhr beraten. * Die Antwort zeigte, daß auch die Fuldaer endlich za einem Vergleich zu kommen wünschten. Sie fanden es nur bedenklich, daß die Statthalter der Abtei die Ueberschtüsse des Stifts nur mit Rat und Willen des Abtes zur i !) Bei der Kaiserwahl von 1519 als Notar beschäftigt. DRA.T, 0 u. 5.

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Tilgung der Schulden verwenden dürften; es genüge wohl, dab es mit Wissen des Abtes geschehen solle. Im übrigen wollten sie die durch Heesen schriftlich vereinbarten Artikel, wie sie unter Mitwirkung des Abtes und seiner beiden Vertrauensmänner redigiert worden seien, im Namen der Stände des Stilts Fulda annehmen. Nur bezüglich der Propstei Holzkirchen könnten sie nicht mehr be- willigen als in dem früheren Vertrage, weil es das Verderben des Klosters sein würde, wenn es in den Händen des Abtes belassen würde. Grundsätzlich sei es den weltlichen Ständen, der Ritterschaft und den Städten, auch beschwerlich, daß diese Vereinbarung nur von den geistlichen Behörden und ibren Mitgliedern, den Prälaten, abgeschlossen worden seig doch wollten sie sich immerhin die Vermittlung des Dom» kapitels gefallen lassen.

Dieser letzten Bemerkung gegenüber betonte der Abt, daß er den hessischen Vertrag und die Frankfurter Ab- machungen nicht anders angenommen habe als auf des Mainzer Kapitels Rat und Gutbedünken; was er mit Ehren tun könne, wolle er auch jetzt noch tun.

Schließlich weigerten sich die Fuldaer doch noch, den Vorschlägen des Domdechanten in betreff jener Propstei zu- zustimmen, und verlangten, daß die Städte des Stifts vom dem durch Hartmann gegen sie erwirkten Vorgehen des kaiserlichen Fiskals ohne Entgelt freigestellt würden. Der Abt hatte also schon Klage beim Hofgericht erhoben und wollte die erfolgte Zitation nur rückgängig machen, wenn die Stüdte sich bei ibm loskauften. Da gab es denn noch viel Arbeit und Kopfzerbrechen, aber am nächsten Tage hatte der Dechant die Parteien so weit gebracht, daß die Urkunde über den Vergleich ausgefertigt werden sollte. „Deo sint gratiae infinitael" schließt der geplagte Protokoll- führer.

So schien denn die peinliche Angelegenheit endlich geordnet zu sein: der zähe Jurist hatte sich im Besitz der Abtswürde und im Genuß stattlicher Einkünfte behauptet, nur daß er die eigentliche Regierung des Stifts den durch die Revolution erhobenen Statthaltern überlassen mußte Indessen bei der Natur beider Parteien kam es bald wieder zu Reibungen, vor allem über das Kloster Holzkirchen. Am 16. August beschwerte sich Kirchberg, legte den Streitfall vor und rügte besonders, daß seine Statthalter sich nich# „Locumtenentes abbatis", sondern „ecclesiae Fuldensis“ nennen wollten; eine Meinungsverschiedenheit, die staats- rechtlich wie praktisch von erheblicher Bedeutung war; die Gegner verfolgten eben nach wie vor das Ziel, ihn tatsächlich

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von jedem Einfluß auf die Regierung auszuschließen. Die Verhandlungen über diese, den Kernpunkt des Streites berührende Frage müssen sehr schwierig und ergebnislos gewesen sein, denn am 11. Februar 1519 beschloß das Kapitel, den Streit Kirehbergs mit den Fuldaer Statthaltern dem Erzbischoff zur Entscheidung vorlegen zu lassen, da dieser heute gerade im Mainzer Gebiet erwartet werde!). Bald darauf wurde der Urlaub des Abtes von Weihnachten bis Anfang März verlängert. Man war auf den toten Punkt gelangt, wo bei dem Starrsinn beider Teile und dem Un- vermögen des Kapitels, entscheidend auf sie einzuwirken, ein Ausgleich unmöglich wurde.

Unsere sonstigen Quellen haben von diesem langwierigen ‚Ringen wenig Kunde bewahrt: der Fuldaer Prälat Apollo berichtet nur, daß der Erzbischof von Mainz trotz der kaiser- lichen Mahnung nicht zum Ziele kommen konnte, da er mit Geschäften so überladen war, daß er die Sache seinem Dom- kapitel überwies. Inzwischen sei der Abt, „nachdem er in Hammelburg alles aufgezehrt hatte“, nach Mainz gegangen. Für diese Zeit aber hätten ibm der Bischof von Würzburg ‚and die hessische Regierung versprochen, das Städtchen in gutem Gewahrsam zu halten, uud letztere hatte sogar zwei 'Edeileute als Kommandanten hingeschickt?), wie wir von Kirchbergischer Seite erfahren. Gemeint ist damit noch Bischof Lorenz von Bibra, der jedoch am 6. Februar 1510 starb, worauf Konrad von Thüngen gewählt wurde, dessen Familie in engen Beziehungen zu dem rebellischen Fuldaer Adel stands). Daraus dürfte sich auch erklären, daß der Abt nicht nur den erwähnten Urlaub nahm, sondern daB sein Name nun ein volles Jahr bindurch aus den Proto- -kollen des Domkapitels verschwindet, von dem der geschäfts- kundige Mann sonst vielfach mit Aufträgen bedacht wurde, ‚Offenbar lag ihm viel daran, persönlich in Hammelburg und Holzkirchen zu gebieten, um mit diesem Teil des Fuldaer Gebiets ein Faustpfand zu behalten, dessen er sich zur Ex- langung besserer Bedingungen bedienen konnte.

Am 27. Februar 1520 erschien er aber wieder mit

) Am 7. Februar schrieb Albrecht auf der Reise nach Mainz won Schleusingen aus an den Kurfürsten von Sachsen, Am 11. Februar ‘meldeten die kaiserlichen Räte, er müsse jetzt im Stift Mainz sein. DRA. I, 198, 21%, 31. In der Haupt-tadt wurde er erst am 17. März feierlich als Kardinal eingeholt und nach der Martinsburg geleitet. Jak. May, Kurfürst Albrecht. München 1866, I, 212.

7) HZ, S. 229. Avemann 3. 249f.

) Vgl. ZKG. XXXIX, 20f.

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einer umfassenden Klage gegen die Statthalter, die den vom Kapitel vermittelten Vertrag in vielen Punkten verletzt hätten. Er halte sich daher ebenfalls nicht mehr für gebunden, liefere die Urkunde wieder aus und bitte nur um die Rückgabe seines Siegels. Für den Augenblick ließ sich weiter nichts erwidern, als daß er dies schriftlich erklären möge, damit man der Gegenseite davon Mitteilung machen könne. Nun muß sich der Erzbischof der verfahrenen Sache wieder an- genommen haben, denn am 22. September zeigte Kirchberg an, daß die Gegner den vom Erzbischof angesetzten Tag abgeschrieben hätten; er wolle nun zum König gehen der sich ja damals in den Niederlanden zum Krönungstage in Aachen rüstete. Dann werde er vielleicht nach Rom reisen. Diesmal aber zeigte sich das Kapitel bei Bewilligung des erforderlichen Urlaubs schon schwieriger und wollte ihm nur die üblichen kürzeren Fristen zugestehen. Als der Abt daran erinnerte, daß man ihm zu einer Romfahrt schon früher Ur- laub in Aussicht gestellt habe, hieB es, er habe soeben erst bis 13. Juli ein Jabr Urlaub gehabt und müsse daher im Notfalle ein neues Gesuch einreichen. |

Aber dieser Schritt sollte sich als überflüssig erweisen, da Hartmann durch die Anrufung des Kaisers schließlich so vorteilhafte Bedingungen zu erpressen verstand, daß er die Kurie nicht weiter heranzuziehen brauchte als zur Bestätigung des Vergleichs, Denn wenn er auch den neuen spanischen und burgundischen Machthabern gleichgiltig war, so hatten doch während des Wormser Reichstages die alten Räte Maxi- ‚milians in inneren und untergeordneten Fragen der Reichs- regierung noch großen Einfluß schon wegen ihrer Kenntnis der Personen und Verhältnisse. Und diese kaiserlichen „Kur- tisanen“ waren meist selbst gefürchtete Pfründenjüger oder durch ihren Familienanhang in die Interessen der Hierarchie verflochten ). Jedenfalls wußte der frübere Assessor am -Reichskammergericht, daß er in diesem Kreise wirksame Fürsprache finden werde, da er beizeiten jene Beschwerde uber seine rebellischen Stände einreichte und zugleich Sorge "trug, seine Sache in Worms persönlich zu verfechten?). Er wird also dem Hofe auch bald nach Worms gefolgt sein, ‘nachdem er dem Nuntius am 28. November in Mainz den sehon erwähnten Liebesdienst erwiesen hatte, Auch während des Reichstages wird er seine Beziehungen zur päpstlichen :Gesandtschaft gepflegt haben, denn am 13. Februar 1521

1) Vgl. WR. Kap. II und III. 3) Schon Ende November hatte er sich in Worms eine Wohnung gesichert. DRA. II, 770, 20.

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verlas er vor den Reichsständen das an den Kaiser gerichtete Breve vom 18. Januar, in dem der Papst die Vollziehung des Bannes gegen Luther durch ein Reichsgesetz forderte, und in seinem Gefolge befand sich jener Mainzer Dominikaner Dr. Johann Burchard, der dann am 29. Mai in Aleanders Auftrag bei der Verbrennung der Schriften Luthers predigte). Am 24. April durfte er als „ordentlicher Kaplan des Kaisers“ bei dem Hochamte zu Ehren des hl. Georg die Messe zele- brieren?); Cochläus rühmt dabei seine Beredsamkeit (vir disertissimus) und berichtet, daß der Kaiser die Aussöhnung des Vertriebenen mit dem Kapitel von Fulda bewirkt habe. In Fulda beobachtete man diese Schritte des geführlichen Gegners mit Bestürzung. Der Propst Apollo erhebt bittere Klage, daß der Abt, nachdem der Ausgleich in Mainz schon mit Brief und Siegel bekräftigt war, nach kurzer Bedenkzeit wieder Schwierigkeiten gemacht und sich für nicht befriedigt erklärt habe. Und wieder habe er sich an den Kaiser ge- wandt und so die Wunde wieder aufgerissen und neue Schmerzen verursacht; eine wehleidige Anspielung auf die wirksame Schilderung, die Hartmann von dem rebellischen Treiben seiner Prälaten und Ritter entworfen hatte.

l Selbstverständlich konnten sich der Kaiser und seine Staatsmänner nicht selbst mit dieser untergeordneten Frage ‚befassen, doch ist es ein Beweis für die hohe Gunst, die Hartmann von Kirchberg hier genoß, daß der Bischof Wilhelm von Straßburg mit dem Ausgleich betraut wurde. Denn dieser, ein besonders rühriges Mitglied der papistischen Gruppe“), hatte dem Domkapitel als Kustos angehört und unterhielt auch die engsten Beziehungen zur Mainzer Regierung, der er bald darauf als Albrechts Statt- halter vorstehen sollte. Dazu stammte er als ein Graf von Honstein aus jener Gruppe der Harzgrafen und des hohen Thüringer Adels, der auch die Burggrafen von Kirchberg angehörten. Mit einem andern Mitglied des Mainzer Dom- kapitels, dem Dr. Dietrich Zobel, dem geistlichen General- vikar Albrechts, saß Hartmann im Ausschuß des Reichstages für Supplikationen und auch in den politischen Händeln der mächtigeren Stände erhob er einmal seine Stimme, um mit ‘Mainz und Kurpfalz gegen die sächsisch-hessische Erb-

2) DRA. II. 459 f. 805, 7. 472, 39. Kalkoff, Depeschen Aleanders 8. 47. 134.

) DRA. II, 560 Anm. 1.

) Vgl. WR. und Entstehung des Wormser Edikts nach dem Personenverzeichnis, auch R. Wolff, Die Reichspolitik Bischof Wil- beims III. von Straßburg. Berlin 1909.

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verbrüderung zu protestieren 1): ein Zeichen dafür, daß er der hessischen Unterstützung jetzt nicht mehr zu bedürfen glaubte.

Die eigentlichen Verhandlungen wurden aber erst im April ernstlich in Angriff genommen“), als das immer näher rückende Ende des Reichstages die Parteien zwang, sich zu verständigen: Am 19. berichten also die Frankfurter Ge- sandten, der Streit zwischen dem Abt von Fulda und dem Stift samt dem Koadjutor würde geschlichtet und am 30. heißt es, sie seien miteinander vertragen worden. In der Tat war am 26. der Vertrag endgültig abgeschlossen und die Urkunde besiegelt worden“).

Der Fuldaer Chronist erwähnt von den Bedingungen nur, daß der Abt von jeder Regierungsgewalt ausgeschlossen wurde, so daß er nur den nackten Titel behielt und man wohl sagen könne, daß er zwar nicht abgesetzt, aber doch der Absetzung kaum entgangen sei. Indessen wenn auch Hartmann im wesentlichen seine Absetzung in der Form eines scheinbar freiwilligen Rücktritts von der Regierung anerkennen mußte, so hat der zähe Jurist mit Hilfe seiner Gönner doch den Schein gewahrt und noch manche vorteil- hafte Bedingung erpreßt.

Schon rein verfassungsrechtlich wurde jener Anspruch des Kapitels, daß durch Verletzung der beschworenen Statuten der Abt seiner Würde und Rechte verlustig gehe, 80 daß es ohne weiteres einen anderen Abt wählen könne, stark eingeschränkt. Es blieb bei der herkömmlichen Form, "daB Abt und Kapitel vertragsmäßig festsetzten uud den Ständen mitteilten: der Abt habe wegen beginnender Alterssehwüche*) und Todesgefahr den Grafen von Henne- berg als regierenden Koadjutor angenommen, dem die Nach- folge als Abt vorbehalten sei, vorausgesetzt, daD er vom Papste bestätigt werde. Abt Hartmanu erklärt, daß er auf alle Regierungsgewalt, Rechte und Einkünfte zugunsten des Koadjutors verzichte, und fordert die Stände und Uuter- tanen auf, diesem unverzüglich zu huldigen. Für die Zwischen- zeit aber sollten sie dem Abte Hartmaun mit allen Pflichten verstrickt bleiben, Diese von ihm und dem Dechanten und Kapitel besiegelte Bekanntmachung sollte unter dem 13. Mai herausgegeben werden, wie schon in dem ersten Abkommen

?) WR. S. 20. DRA. II, 835, 13. 22f. 816, 84.

9) Anfang April ist Kirchberg im Kapitel anwesend und erhält Urlaub bis Pfugsten.

5 DRA. II, 863, 80. 885 f. Cod. prob. p. 355—874.

t) In der gemeinsamen Eingabe an den Papst wird hier aus- drücklich das Podagra angeführt. Cod. prob. p. 873. .

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vom 8. April festgelegt wurde. Dieses wurde dann noch in mehreren Haupt- und Nebenpunkten ergänzt. So wurde am 4. Mai durch den Bischof von Straßburg beglaubigt, daß alle Briefe und Urkunden unter dem Titel des Abtes und des Koadjutors ausgefertigt und mit einem Siegel bekräftigt werden sollten, das unter dem Schilde des Stifts Fulda das Kirchberger und das Henneberger Wappen zeigen müsse). Der Abt übertrug dem Koadjutor auch die geistliche Disziplinargewalt, besonders die Visitation der Klöster und verzichtete auf seine Propstei Holz- kirchen. Die weltlichen Lehen sollte der Koadjutor, doch unter dem Titel des Abtes Hartmann, vergeben. Auch zu den geistlichen Lehen, die in den bischöflichen Monaten erledigt würden, sollte er geeignete Personen nach Gefallen nominieren; doch sollten sie dem Abte präsentiert werden, der dabei auch im Falle eines Pfründentausches eine Kanzlei- gebühr von drei Gulden, bei Verleihung einer Propstei aber funk Gulden erheben dürfe.

Wenn der Koadjutor vor dem Abte mit Tode abgehen würde, sollten Abt und Kapitel binnen zwei Monaten einen andern Koadjutor wählen und postulieren, der aber vor Anerkennung dieses Vertrags nicht zur Regierung zugelassen werden dürfe. Auch blieb Hartmann dem Reiche gegenüber“) noch der Träger aller Rechte und Pflichten eines Unmittel- baren, doch sollte der Koadjutor und das Stift ihn beim Besuch vou .Heichstagen oder Ausschreibung von Steuern vollkommen schadlos halten. So waren also in reichs - rechtlicher undkirchlicher Hinsicht die Spuren der Vorgänge von 1516 leidlich verwischt und duch die Hauptsache, der Uebergang der Regierung auf ein neues Oberhaupt, gesichert. Doch machte nun die finanzielle Abfindung des verdrüngteu Abtes noch Schwierigkeiten, die erst iu einer erweiterten, vom Kaiser und Erzkanzler am 26. April unterzeichneten Urkunde“) behoben erscheinen. Danach mußte das Stift dem Abte für die Abtretung aller Rechte und Einkünfte ein jährliches Gehalt von 600 Gulden

3) Cod. prob. p. 370.

*) Judessen überließ er es dann doch der Kosten wegen dem Koadjutor, das Stift auf den nüchsten Reichstagen zu vertreten: die Abschiede vom 9 Februar 1523 uud 18, April 1524 sind von dessen Vertretern, Rudolf von Waiblingen, bzw. von dem Mainzer Kanzler Dr. Kaspar Westhausen unterzeichnet worden. Gelegentlich hatte auch jener hessische Politiker Lodwig von Boyneburg die Vertretung. DRA. III, 757, 26f. IV, 612, 7f. 712, 26, í

3) Cod, prob. p. 860—366.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 3/4, 17

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gewühren und die Bulle über die püpstliche Genehmigung solcher Reservation auf seine Kosten erwirken. Für die lebenslüngliche Zahlung und genaue Einhaltung der Fristen mußte der Graf von Henneberg sich am 5. Mai für seinen Sohn verschreiben, und vier Grafen, Bernhard von Solms, Wilhelm von Nassau-Dillenburg, Philipp von Nassau-Wies- baden und Georg von Wertheim als Bürgen und Selbst- schuldner angeben!) Wenn auch diese Sicherheit versagen würde, sollte der Verzicht des Abtes hinfällig werden und die Regierung des Stifts wieder an ihn heimfallen.

Endlich sollte das Stift dem Abte binnen zwei Monaten eine Abfindungssumme von 1900 Goldgulden in seinen Hof nach Mainz übermitteln lassen, um ihn für alle seine Schulden und Auslagen besonders seine Verpflichtungen gegen die Stadt Hammelburg zu entschädigen. Davon aber sollten 276 Gulden abgezogen werden, die zur Lösung des vom Abte entführten Silbergeschirrs verwendet werden würden. Diesen Silberschatz, von dem ihm nur etwa die Hälfte (für 1491/, Gulden) gehörte, hatte er nach seiner Aussöhnung mit Hessen an einen der führenden Räte der Landgräfin, den Rentmeister und nunmehrigen Amtmann in Gießen, BalthasarSchrautenbach?),versetzt, denselben, der auf dem Landtage von Kassel den Sturz Boyneburgs herbeigeführt hatte. Das Silberzeug sollte auf den 8. September nach der Herberge zum Heinerhof in Frankfurt gebracht werden, wo jede Partei die ihr gehörigen Stücke an sich nehmen kónne*).

Schließlich wurde auch über eine Reihe untergeordneter Fragen, wie die Entschädigung der Diener und Beamten Hartmanns, die Rückgabe des Kirchbergischen Hauses in Fulda, die Besetzung einiger kleiner Pfründen eine Einigung durch den Bischof von Straßburg herbeigeführt (4. Mai).

Der gesamte Ausgleich dieser „Irrungen und Späne“ spielte sich ab in der Form einer Verhandlung vor dem kaiserlichen ,Kammergericht"*) und wurde zunächst von

) Cod. prob. p. 359, 59, 861, 372.

*) Vgl. über ihn Glagau a. a. O. S, 165ff. 118, 123. Wenn dieser ihn erst seit Juni 1521 unter dem ihm von dem Landgrafen Philipp verliehenen Adelstitel „von Weitolshausen“ nachweisen kann, so ist er unter diesem Namen schon in der Prüsenzliste des Wormser Reichs- tags verzeichnet. DRA. IT, 994,

*) Cod. prob. p. 364, 369.

) Nach dem Wortlaut der Eingabe an den Papst (Cod. prob. p. 373): „coram imperialis camerae iudicio"; richtiger ist es aber, von dem kaiserlichen Hofgericht zusprechen, wie auch der Bischof von Straßburg von „gerichtlicher Erkenntnis vor kais. Maj. Räten“ (p. 369). spricht, da das Reichskammergericht damals noch nicht wieder eröffnet war.

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dem Abte und seinem Gegner, dem Dechanten Schenk von Sehweinsberg als dem Vertreter des Kapitels, durch einen auf das Evangelium geschworenen Eid bekräftigt; der Koadjutor tat es durch eine am 4. September, also unmittel- bar nach seinem Regierungsantritt ausgestellte Urkunde; die Vertreter der beiden Stände sollten am 20. Juni vor dem vom Kaiser am 30. April bestellten Kommissar, dem Mainzer Domdechanten Lorenz Truchsess, erscheinen und durch feierlichen Eid sich gleichfalls auf das Abkommen verpflichten. Bezeichnenderweise war dabei die Ritterschaft vertreten durch Dietrich von Mörlau, also einen Verwandten jenes Oberhauptes der rebellischen Vasallen; die Städte Herbstein, Lauterbach, Hünfeld und Geisa hatten einen ehrsamen Bürger, die Stadt Hammelburg aber den Bürgermeister Konrad Dotscheler entsandt, der jene Er- klärung des Abtes vom 9. März 1514 beglaubigt hatte. Bei der Vereidigung und Huldigung des Koadjutors, die am J. und 2. September stattfand, war der Abt Hartmann selbst in Fulda erschienen und unterzeichnete am 4. als erster die von 15 Mitgliedern des Kapitels unterschriebene Ein- gabe an den Papst“).

Er ist dann im Genuß der ihm verbürgten stattlichen Rente als Domherr und Erzpriester von Mainz am 1. April 1529 dort verstorben“).

So wurde, schließt Vilbel, der Fuldaer Kirche der Friede wiedergegeben, indem sie nun durch den Abt und zwei Herren vom Kapitel, die den Titel „Statthalter“ führten, regiert wurde. Aber bis dahin hatten die Edelleute dieses Landes viele Stiftsgüter gegen das Versprechen, Frieden

1) Cod. prob. p. 358, 365, 370 sqq. 3728qq. Anwesend waren außer dem Dechanten die Pröpste von Johannisberg, Andreasberg, Frauenberg, unser Chronist als Propst vom Petersberge, die von Thulbe. Rohr und Blankenau; als Inhaber von Aemtern werden der Camerarius curiae, der Portarius, der Operarius, der Cantor und ein anderer Camerarius angeführt. Außer den Namen der handelnden Personen sind folgende adlige Familien damals im Kapitel vertreten: von Buchs, von Lüders, Marschalk, von Ertal, von Biedenfeld, von Rackingen, von Weyhers, von Hundelshausen.

5) Am 7. Juni 1521 bewilligte ihm der Erzbischof um seiner guten Dienste willen die freie Einfuhr von jährlich 20 Fuder Wein, 200 Malter Korn, 100 Malter Weisen und 200 Sack Hafer. Mainzer. lmgrosssturbuch Nr. 59f. 140. Mitteilung des Herrn Archivrats

De. Herrmann. 17*

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zu halten oder Hilfe zu leisten, an sich gerissen). Sie hatten viel verheiDen, aber wenig gehalten. „Denn nur so weit die welt- lichen Mittel des Stifts ausreichten, sie zu befriedigen, hatten wir auf ihren Beistand zu rechnen, so daß wir mit Jeremias, Klagelieder 5,8sagen müssen: „die Knechte herrschen über uns“.

Ein blutiges Nachspiel dieses Kampfes um die Abtei erfolgte dann noch im Frühjahr 1522. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, daß Hartmann früher durch die bischöfliche Regierung von Würzburg unterstützt worden war, so daß deren Lehnsleute darin einen Vorwand erblicken konnten, sich an Fuldaer Besitz zu bereichern. Nun berichtet der Chronist, daß der Dechant Schenk von Schweins- berg und der Propst von S.Jobann, Melchior Küchen- meister, einen Zug nach Holzkirchen, jener Fuldaer Propstei, unternommen hatten, die dem alten Abte zugebört hatte. Da wurden sie auf der Rückkehr am 13. März von einem Diener des Hans Georg von Thüngen, der bei dem dieser Familie gehörigen Schlosse Reubenberg“) mit mehreren Bewaffneten im Hinterhalt lag, überfallen. Jener Hans Georg betrieb insgebeim eine Fehde gegen die Kirche von Fulda; und obwohl er keine gerechte Ursache dazu hatte und keine Absage nach dem Brauch der Ritter- schaft bei Eröffnung von Feindseligkeiten voraufgeschickt hatte, lieb er die beiden Prälaten plötzlich angreifen. Man rannte auf sie los, durchbobrte den Propst mit dem Speer, so daß er auf der Stelle tot war, und nahm zwölf Knechte gefangen. Der Dechant entrann mit Gottes Hilfe, rettete aber nur mit genauer Not sein Leben*).

! So hatte Frowin v. Hutten 1517 dem Abte die Huldigung für Romstbal verweigert, K. Arnd S. 104.

) Schon Abt Johann II. hatte dieses Schloß wegen der Gewalt- taten seiner Inhaber einmal belagert und zur Uebergabe gezwungen. Cod prob, p. 346.

*) HZ. S. 987f. Im nächsten Jahre legte Philipp Schenk wegen plötzlichen kürperlichen Verfalls das Amt des Dechanten nieder, blieb aber noch erster Rat des Abtes Johann III., nach dessen Tode ein anderer Philipp Schenk von Schweinsberg Abt von Fulda wurde. S. 261. Nach der Fuldaer Ueberlieferung (Schaunat, Hist. Fuld. p. 258) hätte dann der Abt den Reußenberg belagert und zerstört, was jedoch das Werk des Schwäbischen Bundes war. Für die gefangenen Verschwörer, besonders für Hans Georg von Thüngen, legte der Markgraf Kasimir von Ansbach Fürbitte ein, so daß nur drei untergeordnete Helfershelfer hingerichtet wurden, Man erinnert sich bei diesem Vorfall der Ermorduug des Bischofs Melchior Zobel von Würzburg durch die Spießgesellen des Ritters Wilhelm v.Grumbach(1558).

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Der Koadjutor erhob nun sofort Klage beim Reichs- regiment in Nürnberg und ließ zunächst den Besitzer von Reußenberg, Kaspar von Thüngen ein Konrad von Thüngen war damals Bischof von Würzburg!) vorladen, damit er sich von dem Verdacht befreie, seinem Vetter Hilfe oder Rat bei der Ermordung des Propstes gegeben zu haben. Dieser hat sich nun am 13, Mai ,mit aufgerecktem Finger* eidlich gereinigt. Am 23. Mai aber wurden auf Betreiben des fuldaischen Gesandten Hans Georg von Thüngen, Junker Hans, genannt Han, Marsilius Vogt von Salzburg und ein Knecht in die Acht gesprochen und öffentlich auf der Gasse vor dem Rathaus „unter dem Himmel“ durch den Statthalter Pfalzgrafen Friedich darin erklärt?). Es waren also drei fränkische Edelleute an der Untat beteiligt, und wir bören nicht, daß die Acht an ihnen vollstreckt, daß sie von Reichswegen weiter zur Strafe gezogen worden wären. Einer von ihnen, Marsilius Vogt, begegnet dann unter den Helfershelfern des berüchtigten Riubers Hans Thomas von Absberg und unter den letzten Mitkämpfern Sickingens, die auf dem Landstuhl gefangen genommen wurden®), ein weiterer Beweis dafür, welche zweifelhaften Elemente sich diesem angeblichen Oberhaupt der Ritterschaft angeschlossen hatten.

Ihrer Strafe entgingen die Herrn vou Thüngen nieht ganz: denn bei dem Feldzug des Schwübischen Bundes gegen die fränkischen Raubritter im Sommer 1523 wurde die ihnen zugehörige Sodenburg bei Hammelburg völlig, Reußen- burg nur zu einem kleinen Teil zerstört. Der Bischof von "Würzburg hatte 30000 Gulden geboten, um die beiden „berühmten Raubhäuser“ seinen Verwandten zu retten. Und an den Grafen Wilhelm von Henneberg, den Vater des Koadjutors von Fulda, erging die Aufforderung, sich schriftlich zu verpflichten, daß er den Angegriffenen nicht weiterhin Unterschlupf gewähren werde, wie ja auch Hutten in seinem Plaffenkrieg sich auf Hennebergisches Gebiet zurückzuziehen gedachte). l

Mit welchen Empfindungen der hochmtitige alte Jurist

1) Ueber dessen Haltung in der lutherischen Sache und die Zu- stände im Domkapitel und im stiftischen Adel vgl. meine Untersuchung über „die Vollziehung der Bulle ‚Exsurge‘, insonderheit im Bistum Würzburg“, ZKG. XXXIX, 17 fl., XL, 150 ff. Vagantenzeit S. 836 f.

*) Virck, Planitz-Berichte S, 151, 156,

*) H. Ulmanu, Franz v. Sickingen. Leipzig 1872, S. 884 Anm. 3 und Huttens Vagantenzeit, S. 888.

*) Virck, Planitz-Berichte S. 465, 471, 481. HR. S. 278 Ann .

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den Unfall seiner führenden Gegner, vermutlich der beiden Statthalter jener Jahre, aufgenommen haben wird, läßt sich aus seinem Schreiben vom 21. Dezember 1525 ermessen ), in dem er seinem Vetter Siegmund triumphierend mitteilte, wie bei der damaligen Bedrängung des Stifts durch den Landgrafen von Hessen?) die ganze Landschaft, Geistliche und Weltliche, besonders aber die Ritterschaft der Buchen, und zwar gerade die, die ihn vormals mit tibermüchtiger Gewalt verjagt, verhóhnt und beraubt hätten, seinen Beistand angerufen habe. Der Abt war denn auch bereit, sich au dem eben damals in Augsburg versammelten Reichstage zu begeben und den Schutz des Kaisers für die bedrohte Reichs- freiheit des Stifts anzurufen. Mit abstoBender Heuchelei stimmt er dabei ein Loblied an auf die Gnade Gottes, der „seiner armen Kreatur“ im 60. Jahre und bei großer Anfechtung durch das Podagra noch „solche fröhliche und ergötzliche Botschaft“ habe zukommen lassen: denn wie könne er einem Menschen auf Erden größere Gnade er- zeigen, als wenn er seine gefährlichsten und ärgsten Feinde dahin bringe, daß sie den, den sie zuvor verachtet, wieder aufsuchen und um Trost bitten müßten“. Und so kann man den rachsüchtigen Mann von einer mittelbaren Schuld an der blutigen Tat nicht freisprechen. Nachdem er seine Parteigänger unter dem zuchtlosen fränkischen Adel durch seine ganze Haltung, zumal während seines Aufenthaltes in Hammelburg, ermutigt hatte, sich am Eigentum des Stifts und seiner Untertanen zu vergreifen, kann es nicht Wunder nehmen, wenn jene schließlich auf den Plan verfielen, seine siegreichen Gegner zu beseitigen. Besonders aber sein hinterlistiger Ueberfall auf den Abt Ludwig von Hanstein belastet ihn auch in diesem Falle schwer.

Die Geschichte des Stifts bei Lebzeiten Huttens liefert also in der Tat mehr als einen Beweis dafür, daß „das Reich trotz ein vierzig Landfriedens noch immer eine Mörder- grube war“. Aber dieser Abt von Fulda ist mit dem harmlos einfültigen Prälaten in Goethes „Götz von Berlichingen“) nicht entfernt zu vergleichen, wenn nicht sein Podagra an den Spott der Hofschranzen über „das Weinfaß von Fuld* erinnern sollte. Wohl aber trifft es zu, daB „bei einer nähern Bekanntschaft mit diesen Herren der Nimbus von Ehrwürdigkeit und Heiligkeit arg schwindet, die die neb-

1) Avemanu S. 951 f. ) Cod. prob. p. 375—109. *) Akt I, „Im bischöflichen Palast zu Bamberg“.

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liehte Ferne“ romantischer oder ultramontaner Geschichts- betrachtung „um sie herum lügt*.

Zugleich ergibt sich, was von dem Mäzenatentum eines derartigen geistlichen Geschäftsmannes zu halten ist, der nach G. Richter der „Partei der sogenannten jüngeres Humanisten sogar persönlich nahe gestanden haben soll“, oder von den devoten Wendungen des Mutianus Rufus, der in seinen Briefen von Hartmann „wiederholt mit der größten Begeisterung^ rede. Daher habe auch Hutten die weitere Gewährung seines Jahresgehalts „nach seiner AusschlieDung vom Mainzer Hofe gewiß nur seiner Zugehörigkeit zum Humanistenbunde verdankt, dessen Rache nicht weniger gelürchtet wurde, als ein Lob aus diesen Kreisen gesucht war“. Aber einmal wird hier nur die boshafte und ver- logene Denunziation Aleanders gegen die harmlosen „Sodali- täten“ der Gelehrten, die damals schon wieder eingeschlafen waren, naebgesprochen!) und dann hatte gerade ein Mann wie Hutten bei seiner Unvertrüglichkeit wenig Talent, sich einer solchen „Sekte der Akademiker mit gemeinsamem Besitz und gleicher Lebensführung“ einzugliedern. Und in den herrschenden Schichten war man von der Ohnmacht dieser „lausigen Grammatiker“ viel zu gut unterrichtet, um sie zu fürchten. Man braucht daher auch nicht die in Fulda bestehende Herrscherlosigkeit heranzuziehen, um zu erklären, wie „solche Männer wie Hutten und Crotus sich dort treffen und ihre revolutionären Pläne schmieden konnten“ 3). Aber die ,Versehwürung^ der beiden Humanisten hatte schon im Frühjahr 1520 in Bamberg stattgefunden, obwohl dort ein durchaus nicht mäzenatisch veranlagtes Oberhaupt, der energische Bischof Georg Schenk von Limburg, regierte. Ende August aber bei der Beratung mit Crotus in Fulda, war Hutten schon auf der Flucht vor dem Banne des Papstes und dem Haftbefehl des Mainzer Generalvikars?). Für die Stellung des vertriebenen Abtes zu der lutherischen Bewegung aber bedarf es kaum „des Zeugnisses des Legaten (!) Ale- ander", um zu verstehen, daB Hartmann ,die Bestrebungen der beiden Humanisten auf kirehlichem Gebiet nioht geteilt" und als „kirchentreuer Mann“ bei Zeiten die richtige Stellung

) Vgl. Kalkoff, Depeschen Aleanders S. 210 Anm. L.

) FGB. VIII, 35 Anm. 2, 56f, Es sei kein eigentliches Ober- haupt der Abtei vorhanden gewesen, weil Hartmann wegen Zwistig- keiten mit dem Kapitel und der Ritterschaft 1519 das Stiftsgebiet habe verlassen müssen. Aber Hammelburg, wobin er schon 1516 Mächtete, gehörte doch wohl zum „Stiftsgebiet“.

*) HR S. 4 Anm. 167 f., 239 f.

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zu den beginnenden Kämpfen eingenommen hat. In der Tat, die Kirche durfte auf diesen Getreuen stolz sein! Ueberhaupt sind die Nachrichten tiber Beziehungen dieses juristisch gebildeten Kirchenfürsten zu den Trägern humanistischer Bildung sehr spärlich. Der Baseler Buch- drucker Joh. Froben hat ibm 1518 den Traktat des Diakonen Agapetus „über die Pflichten eines Königs“, ge- richtet an Kaiser Justinian, gewidmet. Doch erklärt sich das hinlänglich daraus, daß jener aus Hammelburg stammte, wo Hartmann eben damals residierte, also etwa der Familie Frobens eine Gunst erweisen konnte. Völlig nichtssagend ist es, wenn der Italiener Richard Sbrulius ihn einmal als „Verehrer der Musen“ bezeichnet; „archi- grammateus der Kaiserin“ ist die gesuchte Umschreibung für den Titel „Erzkanzler der Kaiserin“, den Hartmann seit 1507 als künftiger Abt von Fulda führte. Daß ihn Crotus Rubianus im Jahre 1512 auf einer Reise begleitete, verbürgt ebenfalls nicht, daß er den gewandten Stilisten, den er wohl für seine Korrespondenz gut gebrauchen konnte, seine „unentwegte Gunst“ zuwandte; sonst hätte er dem armen Klosterlehrer eine etwas bessere Bezahlung verschaffen müssen!) Endlich geht es wahrlich nicht an, von einer „Humanistenfreundschaft“ zu sprechen, wenn Hartmann dem von 1503—1507 in Leipzig lehrenden Hermann von dem Busche für die Uebersendung seiner Epigramme dankt und ihm dabei das Hezept zu einer Augensalbe schickt, worauf der arme Poet, der von „Husten, Rheuma und Kopf- schmerzen“ geplagt ist, in der üblichen überschwenglichen Weise das Lob des Prülaten verkündet“). Wenn man dazu nimmt, daß dieser das letzte Jahrzehnt seines Lebens, von Regierungssorgen befreit, als Domherr mit einer stattlichen Fuldaer Rente in Mainz lebte, obne daß wir von einer Berührung mit der literarischen Welt hören, so ergibt sich doch, daß der Sinn für die Wissenschaften auf seiner Seite geringer war, als der Hunger der armen Gelehrten, die

!) Bauch, Universität Erfurt S. 148. Vagantenzeit S, 105 Anm. 2.

N Zu Bauch S. 117 Anm. 2. Die beiden Briefe auch bei Ave- mann S. 236 und Anhang S. 218 f. Bauch spricht von der Uebersendung „des versprochenen Collirius“, und Buschins dankte für die „Descriptio Collirii^, als ob es sich um eine gelehrte Schrift, etwa eines antiken Autors handelte, den es jeoch nie gegeben hat. Schon der Wortlaut: „Collirium, quod me tibi destinaturum spopondi“. . . zeigt, daß von einem „collyrium“, einer Salbe, die Rede ist, Nebenbei ersieht man aus dem Briefe Hartmanns, daß er schon 1504, lange vor seiner Wahl zum Koadjutor in Fulda weilte.

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gern die Füße unter dem Tische eines reichen Gönners hatten!).

Und so ist denn die „Begeisterung“, mit der Mutianus Rufus den Abt bei seinem Erscheinen in Erfurt begrüßt haben soll“), darauf zurückzuführen, daß der alte Priester von ibm den endgültigen Sieg der klerikal-demokratischen Bewegung erwartete und auf seine Empfehlung bei Bestätigung einiger Pfründen rechnete, die er gern durch eine weitere Erfurter Stelle ergänzt hätte. Denn der gastfreie Humanisten- führer war darauf angewiesen, das Einkommen, von dem er einen so würdigen Gebrauch machte, durch eine, wenn auch in bescheidenem Umfange betriebene Pfründenjagd zu ver- bessern. Daher empfahl er auch dem Crotus, den Mann zu verherrlichen, der ihm nützen könne, was dieser indessen nicht getan hat. Mutian selbst aber verfaßte etwa eine Rede zur Inthronisation Hartmanns oder sprach in einem Briefe über die von Leo X. beabsichtigte Kalender- reform offenbar weil er wußte, daß der Abt sich für literarische Fragen wenig interessierte. Die längsten Briefe richtete er an ihn, um dem bedräugten Eobanus Hessus endlich eine Professur und damit ein sicheres Einkommen zu verschaffen. Da wird der Kirchenfürst unter wortreicher Lobpreisung an seine Pflichten als „Mäzen“ gemahnt, während im vertrauten Briefwechsel mit Crotus oder dem Georgenthaler Klosterbruder Urban?) gelegentlich über das hochmütige und gespreizte Auftreten Hartmanns gespottet wird. So tadelt Mutian den allzu scharfen und leidenschaftlichen Ton einer Streitschrift Reuchlins gegen die Dominikaner und erwähnt, wie er mit der Schlauheit und Überhebung eines geübten Advokaten den Inquisitor Hochstraten als den „Bruder Jakob“ behandle, während er von sich selbst rede, wie nach der Schilderung des Crotus sein Abt Hartmann zu tun pflege: stets „in honorifieabilitudinationibus*)". Dann aber bemüht ‘er sich wieder, die gute Laune des einflußreichen Mannes durch eine gelehrte Plauderei zu wecken, wenn es gilt, einem jungen Freunde dessen Fürsprache zur Erlangung -ines Notariats zu verschaffen: er erzählt mit gutem Humor, wie die Gothaer Augustiner den Chorherrn die Ostereier wegschnappten, und vergleicht den Vorgang witzig mit der ^ 1) BR. 8. 85.

3) G. Richter, FGB. VIII, 28.

$ Gillert I, S. LIV. 153, 346 ff. 358. II, 194, 189, 148ff. 9.

*) Ein alter Schulwitz, der noch heute bei der katholischen Geistlichkeit fortlebt: so scherzt Karl Jentsch über das feierliche Auftreten eines Prülaten, der immer „in pontiflcabilitutinitatibus" sei. (Wandlungen des Ich im Zeitenstrome.)

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antiken Fabel vom Käfer und den Adlereiern!) All das aber beweist sehr wenig für das wissenschaftliche Interesse des Abtes; es erhebt sich kaum über die Rolle, die Liebe- traut in der Tafelrunde der gelangweilten Prälaten zu spielen hat.

Hutten dürfte mit Hartmaun von Kirchberg kaum im Berührung gekommen sein. Erst befand er sich in Italien, dann stand er als Mitglied des buchonischen Adels in den Reihen seiner Gegner. Um so auffälliger ist es, daß er diese Vorgänge nicht erwähnt, die seine Anklagen gegen die verweltlichte Klerisei, die habgierigen Kurtisanen, die ränkevollen Juristen so trefflich zu begründen geeignet waren. Er schwieg aber aus Rücksicht auf seine Standes- genossen, die diesen Kampf auch nicht mit reinen Händen geführt hatten. Aber auch zu seinem Haß gegen Priester und Mönche kann er hier nicht gekommen sein, wo er dank der Guust leichtlebiger Prälaten bequeme Schuljahre ver- lebt hatte und wo ihm im Kreise der adligen „Mönche“ ein behagliches Dasein in Aussicht gestellt wurde. Und diese hatten auch keine Ursache, mit Hom unzufrieden zu sein, denn man hat dort nicht versucht, Dignitäten des Hochstiftes und der zugehörigen Klöster an päpstliche Beamte zu ver- geben oder die vornehmen Benediktiner mit Prozessen zu behelligen. Der schlimmste Eingriff in die Verhältuisse des Ordens, die Aufhebung der Selbständigkeit Hersfelds, erfolgte zugunsten eines kaiserlichen „Kurtisanen“?) und deutschen Standesherrn unter dem selbstsüchtigen Beifall des Fuldaer Kapitels.

Dagegen bietet diese gefürstete Abtei ein Musterbeispiel fur die rücksichtslose Duchführung und die verderblichen Folgen des Adelsmonopols in der deutschen Kirche, das der Geschichtschreiber der Päpste mit Recht für viele der schlimmsten und offenkundigen Schäden verantwortlich gemacht hat“). Es wird auch durch das Beispiel Fuldas bestätigt, daß gerade diese „Spitäler“ des Adels von allen kirchlichen Anstalten die zuchtlosesten waren. Nnr daß hier keineswegs mit „Vorliebe die Mißgestalteten und für die Welt Unbrauchbaren, selbst Labme und Blinde“ untergebracht wurden, sondern der jüngere Nachwuchs schlechthin und in erster Reihe aus wirtschaftlichen Gründen. Und weiter trifft es durchaus und so auch hier nicht zu, daß „gerade diese zuchtlosen Ordensleute massenhaft zu der neuen Lehre ab-

) Gillert II, 182f. ) Vgl. HR. 8. 96 ff. und die Beispiele in WR. Kap. II u. II. ) L. Pastor IV, 1, 201 ff., 2081.

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fielen, ihr Gelübde brachen und alles, was ihnen bisher heilig gewesen war, über Bord warfen“. Denn wenn auch später die buchonische Ritterschaft sich überwiegend evun- gelisch gesinnt zeigte, so vermag doch unser Chronist unter den adligen Mönchen seiner Zeit nur einen Abtrünnigen anzuführen!). Ulrich von Hutten aber war weder Mönch noch Lutheraner ?).

1) S. oben S. 238.

) Das mehrfach erwähnte Buch ,Huttens Vagautenzeit“ ist in- swischen in Weimar 1925 erschienen, O. Clemen, der den historischen Roman von D. Fr. Strauß als ein über alle Kritik erhabenes Geschichts- werk 1914 neu herausgegeben hatte, hat nun in der mit einigen nusachlichen Vorbehalten ausgestatteten Besprechung (D. Lit.Z. 1925, Sp. 301 f.) das ebenda (1922, Sp. 139 ff.) noch verteidigte „herkömm- jiche Urbild“ des „ritterlichen Reformators“ preisgegeben. Doch be- streitet er noch, daß H., durch sein stark ausgeprägtesStandesbewußtsein eich habe bestimmen lassen, über die Zustände unter den adligen Kapitularen zu schweigen“, und möchte den oben (S. 212; Vaganten- zeit S. 26 f. 108 ff.) wiederholten Vorwurf der Entwendung von Hand- schriften entkräften. Aber daß manche Gelehrte die Zurückgabe von Büchern einfach vergessen haben, daß ein von Reuchlin 1519 entliehener Band erst in seinem Todesjahre aber doch vielleicht noch auf seine Anweisung hin wieder in Basel eintraf, kann einen Hutten nicht entlasten, weniger weil dieser seinen späteren Aufenthalt in Fulda 1520 nicht zur Zurückgabe benutzte, sondern weil er als anverbess«rlicher Spieler und Schuldenmacher, schließlich als Erpresser und StraBenrüuber das einem harmlosen Gelehrten gewährte Vertrauen nicht verdient. Überdies wird seine Verfehlung durch das oben ge- schilderte Betragen des ihm versippten Adels nur um so wahrschein- licher, wenn es auch standesgemäßer war, sich Herden und Feld- früchte, Äcker und Wiesen widerrechtlich anzueiguen.

Markgraf Georg Friedrich von Branden- burg und die ev. Stände Deutschlands 1570—1575.

Von Dr. Schornbaum,

Nach dem Augsburger Reichstag 1566 legte sich den Deutschen evangelischen Fürsten der Gedanke eines engeren politischen Zusammenschlusses immer näher. Ein eifriger Förderer dieser Bestrebungen war Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg, auch in dieser Hinsicht eines Sinnes mit seinem Schwager Christoph von Württemberg). Wenn 1570 schließlich dann auch alles resultatlos endete, so batte er sich doch Überall Vertrauen erworben. Darum wandten sich die ev. Stände auch in den folgenden Jahren immer wieder an ihn. Er wußte dies zu würdigen. Bereitwillig ging er auf alle Anregungen ein. Seine Maßnahmen und Ratschläge bedeuteten um so mehr, als sie immer auf einer gemeinsamen Stellungnahme der drei Höfe von Brandenburg, Württemberg und Baden beruhten.

Zuerst begehrte seinen Rat Herzog Joh. Wilbelm von Sachsen. Wigands Schrift gegen Flacius „Von der Erbsünde, Lere aus Gottes Wort . . .“?) hatte nicht zur Beruhigung in seinem Lande gedient; er hoffte durch die ,Zensuren etlicher christlicher Kirchen“ zur Klarheit über die nötigen Schritte zu kommen; Brandenburgs Rat erschien ihm um 80 wichtiger, weil seine „Theologen als gottselige, treue Lehrer des seligmachenden Gotteswortes“ gertühmt wurden?“). Diesen, dem alten Generalsuperintendenten Gg. Karg an ihrer Spitze, lag allerdings nichts ferner, als der Lehre des Flacius bei-

2) Schornbaum, Die Bündnisbestrebungen der deutschen evan- gelischen Fürsten und Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg- Ansbach 1566—70. Zeitschrift für Kirchengeschichte 88. Bd. S. 262 ff.

7) W. Preger, Matthias Flacius IIlyricus und seine Zeit. Er- langen 1861, IT, 35%f.

5) d. d. Weimar 12. 10. 1571. Nürnberger Kreisarchiv. Ansbacher Religionsakten. (A. R. A.) Tom. suppl. II, 986.

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zupflichten; andererseits mochte man auch Wigand nicht in allen Punkten Recht geben, so sehr man seinen grundsätz- lichen Standpunkt billigte; vor allem aber hatte man keine Freude an den theol. Kämpfen und ihren Auswirkungen in Sachsen. Darum beschränkten sie sich am 23. Nov. 1571 darauf, kurz ibre prinzipielle Zustimmung zu Wigands Aus- führungen zu geben!). Wohl um nicht in theol. Kämpfe verwickelt zu werden, trat Georg Friedrich diesmal nicht . mit Württemberg und Baden ins Einvernehmen; er kannte die impulsive Art Jakobs Andreü gut genug?) Er war daher nicht besonders erfreut, als sein Neffe Ludwig von Württemberg um sein Urteil über das Gutachteu der Tübinger Theologen über Wigands Buch ersuchte. Karg und Stifts- prediger Konrad Limmer“) beschränkten sich auch jetzt auf eine kurze Zustimmung zum prinzipiellen Standpunkt des- selben „und haben darinnen soviel statum causae und die hauptsach betrifft, kein Bedenken“). Doch rügten sie neben formalen Mängeln vor allem das Festhalten an der aristote- lischen Definition des Accidens?). Um weiteren Erörterungen aus dem Weg zu gehen übersandte Georg Friedrich kurzer- haud sämtliche Gutachten an Karl von Badeu®) und Ludwig von Württemberg’); beide konuten merken, daß er keinerlei Briefwechsel darüber mehr wünschte; sie waren wohl voll- kommen damit einverstanden; eine andere Angelegenheit beschäftigte viel mehr die Theologen und Staatsmänner. Die Herausgabe des Katechismus uud der Grundfeste hatte die Wittenberger Theologen bei den Lutheranern bald in den Verdacht des Calvinismus gebracht?) Kurfürst August berief daher beunruhigt durch die bestündigen Augritfe von allen

1) A. R. A. I. c. II, 288 Dek. Uffenheim: Uffenheimische Refor- mations-, Religions- und Kapitulsakte 1523 1687 fol. 70. gedruckt ale Beilage I.

* Dank Joh. Wilhelms für Übersendung des Ansbacher Be- denkens. d. d, Weimar 1. I. 1572. A. R. A. I. c. II, 290.

9) Beiträge zur bayr. K. G. 21, 130. 215.

*) A. R. A. T. suppl. II, 544 f. gedruckt als Beilage II,

) Fr. H. R. Frank, die Theologie der Concordienformel. Erlangen 1858 I, 68.

9) d. d. 1. 1. 1572. A. R. A. I. c. II, 546.

7) d. d. Ansbach 81. 12. 1571. A. R. A. I. c. II, 540.

*) H. Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus. Marburg 1858. IT, 403 fl. R. Calinich, Kampf und Untergang des Melancbtho- nismus in Kursachsen, Leipzig 1866. S. 86ff. J. F. A. Gillet, Crato von Crafftheim und seine Freunde. Frankfurt a. M. 1860. I, 416 fl. g

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Seiten die Wittenberger und Leipziger Professoren sowie die meisten Superintendenten seines Landes im Oktobez.1571 nach Dresden und befahl ihnen „ein gut lutherisches“ Zeugnis ihrer Auffassung vom hl. Abendmahl vorzulegen !). Mit ihrer „kurzen, christlichen und einfältigen Wiederholung. .“, dem sogenannten Consensus Dresdensis war er vollkommen zufrieden und glaubte damit, alle Beschuldigungen und An- griffe auf ihre Rechtgläubigkeit genügend widerlegen zu können. Neben andern Fürsten übersandte er ihn am 22. Okt. 1571 auch seinem Neffen Georg Friedrich in der Erwartung, an ihm eine tatkräftige Unterstützung hierbei zu finden“). In Ansbach war man aber andrer Ansicht. Karg und Ko. Limmer wiesen sofort darauf hin, daß der Consensus über den wichtigsten Punkt, die mandueatio indignorum oralis: „den Unterschied der geistlichen und leiblichen oder sakramentlichen NieDung" beim heiligen Abendmahl mit Stillsehweigen hinwegginge. „Luther habe doch alle die für Schwärmer gehalten, die nicht lehrten, daß der Leib und das Blut Christi unter Brot und Wein mit leiblichem Mund beides von Guten und Bösen empfangen werde.“ Ent- schieden trat man für die Ubiquitüt des Leibes Christi ein, wenn man auch merkbar von der dogmatischen Formulierung der Württemberger abrückte: „Denn weil Christus nicht Mensch allein, sondern auch wahrer Gott ist und derhalben zur Rechten Gottes des Vaters sitzt nach beiden Naturen, se kann er tun, was er will, und leisten, was er zusagt, und kann demnach auf eine besondere himmlische Weise, die uns Menschen weder begreiflich noch aussprechlich ist, seinen Leib und Blut mit Brot und Wein laut seiner Worte zu essen und trinken geben; und hindert ihn hieran die Ungleichheit der zweien unterschiedlichen Naturen in seiner Person oder auch sein Himmelfahrt gar nicht.“)“ Man be- stätigte deshalb am 19. Nov. 1571 nur kurz den Empfang der Sendung und suchte Füblung mit Württemberg“). Hier herrschte große Erbitterung gegen Wittenberg“). Schon die

1) Daniel Greser an Nik. Selneccer 3. 10. 1571. A. R. A. T. suppl. IT, 280. 289. Heppe II, 409. Gillet I, 423.

*) d. d. Angustenburg A. R. A. 38 pars I fol. 2. Der Consensus daselbst fol. 4 fl.

5) A. R. A. 33, I, 32. Gedruckt als Beilage III.

) Räte an G. Fr. d. d. Ansbach 18. 11. 1571. G. Fr. an August von Sachsen 19. 11, 1571. A. R. A. 38, I, 26. 97.

+) Joe. Andreae an J. Marbach, Eßlingen 7. 19. 1571. Wittem- bergensium impietatem patefaciunt ecclesiae Saxonicae et nos illis minime deesse debemus. Ego in scripto suscepto pergo et spero, me

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„Grundieste“ batte Andreä zu einer energischen Abwehr veranlaßt; jetzt faßte man den Entschluß, nachdem man die zwiespältige Ausdrucksweise des Consensus Dresdensis klar erkannt hatte, Kurfürst August offen über die Gesinnung seiner Theologen aufzuklären. Am geeignetsten erschien Andreä dazu Georg Friedrich, Die Abordnung einer be- sonderen stattlichen Botschaft etlicher lutherischen Fürsten unter seiner Führung erschien ihm allerdings nicht rätlich. Er wußte, wie sehr Kurfürst August für seine Person jede Hinneigung zum Calvinismus ablehnte; der Markgraf stände aur in der Gefahr, seinen Unwillen zu erregen. Ebensowenig hielt er eine persönliche Fühlungnahme desselben mit dem Kurfürsten für nützlich, unmöglich könnte er auf alle Ein- wände gefaßt sein. Da er auch von einer aufklärenden Sehrift von Seite der Theologen im voraus schon nicht den geringsten Nutzen erwarten konnte, dünkte es ihm am besten, von Ansbach einen „vertrauten Rat“ nach Dresden zu senden. Dieser hätte den Kurfürsten vertraulich davon in Kenntnis zu setzen, daß in Oberdeutschland immer mehr die Rede von seinem Abfall vom Luthertum Platz greife. Ursache dazu hätten die Schriften seiner Theologen gegeben. Er brauche nur zwei Bedenken wohl die Schriften Andreäs gegen die Grundfeste!) und den Consensus Dresden- tis“) zu lesen. Sollte der Kurfürst sich dadurch noch nicht überzeugen lassen, sondern für seine Theologen eintreten, s0 hätte der Rat ibm den Vorschlag einer kurzen Besprechung zwischen sächsischen und brandenburgischen Theologen zu unterbreiten. Beide sollten nicht Recht oder Unrecht der bisher veröffentlichten Streitschriften erörtern, sondern allein drei Fragen behandeln: 1. Warum Luther und die sächsische

brevi absoluturum. D. D. Chemnitius ad me scribit, ipsorum scriptum jam edi (Heppe II, 408) fortassis ad nundinas Lipsienses proximas habebimus, Interim et noster absolvitur, J. Fecht, hist. cesl. sec. 16. Supplementum ... Durlaci 1864 S. 409. Pridie Cal. Sept. (81. 8] 1572: Quod ad Witebergenses attinet, tractavi illos ego pro dignitate, Nee erubui eos publice proditores veritatis appellare. Constitui autem, qaaceunque argumenta opposita sunt, in debitam formam redigere et mac cum meis solutionibus disputationi adjuncta demum edere, ut emnes videant quid oppositum et quid responsum sit. Quodsi deincepa wel Wittebergenses vel Heidelbergenses sese mihi opponere voluerint, iaveniant nie, domino volente, in omnem eventum paratum S. 437. Hoppe II, 414. cf. Beilage S. 186.

) Heppe II, 414.

T) A. R. A. T. 33, I, 62ff. (trägt die Tom. suppl. II, 275 genannte Signatur „A“).

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Kirche nunmehr über 40 Jahre gegen Zwingli gestritten habe, ob nicht Luther die Erklärung des Artikels von der Person Christi, seiner Himmelfahrt, seinem Sitzen zur Rechten Gottes zur Bestätigung des einfältigen Verstandes der Worte Christi im Abendmahl gebraucht, und damit die Zwinglianer zurückgewiesen habe; 2. Ob Luther in den Lehrschriften eine andere Lehre als in den Streitschriften gebraucht habe; 3. wenn Lutber in beiden Schriften gleich gelehrt habe, ob die ,Grundfeste^ und der „Consensus Dresdensis“ damit übereinstimme. Von einer solchen Erörterung erhoffte Andreä vollen Erfolg, war doch der Kurfürst immer der Meinung Luthers Lehre allein in seinen Landen herrschen zu lassen. Auch wußte er bereits, wer unter den markgräflichsten Räten am geeignetesten dazu war: Georg von Wambach ). Falls es diesem gelingen würde, die Berufung des Dresdener Superintendenten Dan. Greser und des Pfarrers von Pirna Dr. Joh. Stößel zu seiner Audienz und den daran sich knüpfenden Besprechungen zu erreichen, glaubte er an einen vollkommenen Erfolg dessen Mission. Wambach ,wisse es besser zu richten, als er schreiben könne“. So kam es ihm vor allem darauf an, den Markgraf für seine Gedanken zu gewinnen, Er übermittelte ibm nicht nur die Erklärung der Niedersachsen gegen die Grundfeste: „Wiederholte, christliche gemeine Confession . . .), sondern stellte auch sein persünliches Kommen in Aussicht“). Herzog Ludwig anterstützte seine Schritte; er übersandte 5. März 1572 die Erklärung der Württemberger gegen die Gruudfeste: „Der württembergischen Theologen Wiederholung. .) sowie

1) Zuerst in Bambergischen Diensten. 1566 in Augsburg als br. Rat. 1579 Landrichter Nürnb. Kreisarchiv Rep. 117a, 285 b, 289. W. Hotzelt, Veit II von Würtzburg. Freiburg 1919. 130, 202. K. H. v. Lang, Neuere Geschichte des Fürstentums Baireuth. Nürnberg 1811. III, 26, 31, 39, 50, 56, 215, 371. K. F. Jung, Kurze, doch gründliche Anweisung, was die comicia burggraviae seyn. Onolzbach 1735. 11,4. Zeitschrift f. K. G. I. c. S. 263.

*) Heppe II, 408.

3) Bedenkeu Andreüs. d. d, 6. 3. 1572. Stuttgart. A. R. A. Tom. suppl. II, 275 ff., 312ff. Andre& an Georg Friedrich. s. d. et l. A. R. A. Tom. suppl, II, 271. Andreä an Georg Wambach. Stuttgart 6. 58, 1572. A. R. A. 33. I, 36f. Andre& an Georg Friedrich d. d, 4. 3. 1572. A. R A. 33, I, 29. G. Fr. an Andre. Ausbach 15. 8. 1572. A. R. A. 88, I, 81. ef. auch den Brief Audr«äs an Karg d. d. 6. 8. 1572. Stuttgart. Blätter für Württemb. Kirchengesch. XIV, 161 (Stutt- gart 1910).

*) Heppe II, 411.

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auch eine eingehende Darstellung der Zwiespältigkeit in der Lehre des Consensus Dresdensis ).

Gg. Karg u. Konr. Limmer gaben Andreä in der Haupt- sache recht; nur hielten sie eine schriftliche Vorstellung für besser; „eine Person könne man leicht abweisen; eine schriftliche Antwort müsse man beraten* (14. März 1572). Doch wollten sie alles unterlassen haben, was den Argwohn des Kurfürsten erwecken konnte; darum waren sie gegen die Übermittlung der von Andreä tübersandten Gutachten und konnten die Drueklegung der Erwiderung auf die Grund- feste nur dadureh rechtfertigen, weil letztere scharfe An- griffe gegen Württenberg enthielt“). Georg Friedrich wußte nun nicht, was er tun sollte. Er beschloß die heikle Auf- gabe andern zu überlassen. Sein Rat David Hosmann*) mußte sich nach Berlin zu Kurfürst Joh. Georg begeben und an diesen die Bitte zu richten, in dieser Angelegenheit persönlich init Kurfürst August zu unterhandeln. Hosmann sollte sich bereit erklären, ihn zu begleiten; auch dann sollte er kraft eigner Vollmacht nach Dresden gehen, falls J. Georg dureh Zuordnung eines Rates ihn unterstützen würde; für den Fall, daB auch dies in Berlin nicht gebilligt würde, sollte er ein gemeinsames Schreiben anregen (7. April 1572)*). Jobann Georg aber lehnte jedes gemeinsame Ansinnen ab und sehlug vor, gesondert sieh an Sachsen zu wenden; nur meinte er, diesem Schritt mebr Nachdruck dadurch geben zu können, wenn man auch Herzog Ulrich von Mecklenburg ins Vertrauen zöge.

So blieb denn dem Markgrafen nichts übrig, als selbst die nötigen Schritte zu unternebmen Denn das, was Kurfürst Friedrich von der Pfalz wünschte, eine Inhibierung der von Württemberg ins Auge gefaßten Drucklegung weiterer Streit- schriften, konnte er nach dem herausfordernden Tone der Grundfeste nicht für gut heißen; eine Klärung schien ihm, wenn er auch die Kampfweise des Andreä nicht im allem billigte, nötig). Am 11. Mai 1572 teilte er Kurfürst August

) A. R. A. T. 33, I, 62 fl. Ludwig an G. Fr. Stuttgart 5. 8. 1572. A.R.A. Tom. suppl. II, 292.

9) A. R. A. Tom. suppl. IT, 820. Über Wittenberg war man in Ansbach gut unterrichtet s. J. Hertel an G. Karg 6. 6. 1571. B. B. E. XIX, 135£.

) Br. Rat. s. Lang III, 81. 61. Blätter für Württemb. Kircheng. 14, 160.

) A. R. A. Tom, suppl. II, 324 ff, 331ff.

) Friedrich von der Pfalz an G. Fr. d. d, Heidelberg 23. 4, 1572. Antwort des letzteren d. d. Ansbach 14. 6. 1672. A. R. A. T. suppl. II, 846. 352.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXII. 3/4. 18

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unter Berufung auf Chemnitz „Wiederholte christliche gemeine Confession . . .^ mit, daB seine Theologen allenthalben im Verdacht des Zwinglianismus stünden; darin werde man bestürkt, weil sich die Calvinisten und Zwinglianer an der sächsischen Erklärung vom Abendmahl sich genügen ließen. Er bat, für Einigkeit in der ev. Kirche zu sorgen!). August war sichtlich unangenehm dadurch berührt; er lebte ja in der festen Überzeugung, in seinem Lande nur Luthers Lehre vertreten zu sehen. So wies er denn in seiner Antwort vom 30. Mai 1572 darauf hin, wie entschieden er in der letzten Zeit noch Beza entgegengetreten sei; wie die Universitäten den strengen Befehl bekommen hätten, in den Buchläden keine ketzerischen Bücher zu dulden; wie an die Schulen zu Meißen, Pforta und Grimma die Weisung ergangen sei, nur Luthers Katechismus im Unterricht zu benutzen. Gegen einen Konvent sprach er sich, weil nutzlos, ganz entschieden aus; er bleibe bei der Augsburgischen Konfession. Mit dem Consensus Dresdensus sei der Landgraf zu Hessen ebenso zufrieden gewesen, wie etliche Theologen des Markgrafen selbst. Er schloß mit folgenden eigenhändigen Worten: „Ich verstehe E. L. Schreiben und Erinnerung in dieser hoch- wichtigen Sache ganz freundlich und wohlgemeint, nimm ee auch zu gutem Dank und Gefallen an und bitte E. L. freundlich, da etwas dergleichen mehr an E.L. gelangt, Sie wollen mich dessen jederzeit ungescheut freundlich berichten, auch in dieser Sache kein Mißtrauen in mich setzen, als ob ich der Zwinglischen, Kalvinischen oder Bezae Meinung im Abendmahl des Herrn wäre, sondern gewiß glauben, daß dies mein endliches und gänzliches Gemüt ist, wie ich mich hiermit gegen E. L. rund und ausdrücklich erklärt).“

Die ganze Aktion war damit gescheitert; zwar versuchte Georg Friedrich noch einmal Kurfürst Joh. Georg vom Brandenburg, dem er schon am 14.Mai 1572 von seinem Sebreiben Kenntnis gegeben hatte*), nunmehr zur Erfüllung seines Versprechens zu veranlassen (37.Junil1572)*), fand aber wenig Entgegenkommen. Joh. Georg wollte nunmehr

1) A. B. A. Tom, suppl. II, 348. d. d. Ausbach cf. Calinich S. 95.

3) d. d. Dippoldiswalde 30. 5. 1572. pr. 19. 6. 1572, A. R. A. 33, I, 44. Calinich S. 95. nebst Beilagen: August an Beza d. d Dresden 22, 6. 1572. A. R. A. 38, I, 49. Calinich 94. Heppe II. 416. Gillet I, 426 und August an die Schulen zu Meißen, Grimme, Pforta. d. d. Dresden 28. 5. 1572. A. R. A. 88, I, 51. Calinich S. 95.

9) d. d. 14. 5. 1572. A. R. A. T. suppl. II, 354. Antwort J. Georgs d. d. Cöln an der Spree 17. 6. 1572. A. R. A. 38, I. 38.

) d. d. Ansbach A. R. A. 38, I, 10.

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ein persönliches Zusammentreffen mit August gelegentlich dessen Rückkehr von Dänemark abwarten; in Wirklichkeit aber ging er der ganzen Sache aus dem Weg!). Dem Markgraf blieb nichts anders Übrig, als den Gang der Ent- wieklung ruhig abzuwarten. Rat Nik. Stadtmann?) wurde beauftragt, über die kirchl. Lage in Sachsen gelegentlich seiner Reisen sich immer zu orientieren, und der Regierung Bericht zu erstatten. Noch ist einer seiner Berichte aus Erfurt vom 24. Okt. 1572 erhalten?). Er hatte Kunde davon bekommen, wie Kurfürst August von den Theologen m Wittenberg und Leipzig eine genaue Darstellung der Unterschiede zwischen Consensus Dresdensis und Heidel- berger Katechismus eingefordert hatte, nachdem sein Schwieger- sohn Pfalzgraf Joh. Kasimir ihm mitgeteilt hatte daß doch in der Substanz beider Theologen einig wären“). Auch war es Stadtmann gelungen, eine der Antworten der sächsischen Theologen zu erhalten; er war damit so zufrieden, daß er an ihrer Rechigläubigkeit keinen Zweifel mehr hegte, um so mehr, als sie sich auch auf das Zeugnis des Joh. Pisto- rius von Nidda „des letzten Augsburgischen Confessionisten“ berufen konnten. Die Heidelberger bätten jetzt keinen Grund mehr, die Wittenberger als Gesinnungsgenossen zu bezeichnen, nachdem der sächsische Katechismus in seiner vom Kurfürst angeordneten Neuauflage?) beim zweiten Artikel die vielumstrittenen Worte „oportet Christum coelo capi“

!) d. d. Bezeau Mo. n. Vinc. Petri (4, 8.) 1572. A. R. A. 38, I, 41.

) + 2. 8. 1607. M. J. Geret, natalem vicesimum quintum sereniesimae atque celsissimae principissae dominae Fridericae Ludovicae

.. invitat . . . praemissa perillustri Nic. Stadtmanni vita

28. 9. 1788. Dr. Fr. W. A. Lagriz, Ausführliche Geschichte der öffentlichen und Privatstipendien für Baireutische Landeskinder Hof 1804 I, 212 fl. Archiv f. Geschichte und Altertumskunde von Ober- franken. Bayreuth 1916, 26. Bd, 2. Heft. S. 13. Nürnberger Kreisarchiv Rep. 117, 286, 295 b, 296bg. M. H. Priester, Onoldum in requie. ibidem Oberamt Ansbach. St. Onolzbach. Joh, Kirche Nr. 48. K. H. Lang, III, 39, 62, 63, 81, 84, 46, 49, 60, 85, 93, 97, 108, 188, 197, 340, 849, 886. Totenmatrikel der Pfarrei St. Johannis in Ansbach „ein wohiverdienter Mann um dieses Land". J. V. Andreae, Fama Andreana reflorescens sive Jacobi Andreae Waiblingensis . . . vitae .. . recitatio. Straßburg 1080 S. 44 (studiert zu Tübingen).

) A. R. A. T. 88, I, 58. |

4) Calinich, S. 88f, Gillet I, 495, II, 515f. A Kluckhohn, Briefe Friedrich des Frommen. Braunschweig 1870 II, 433.

©) Stadtmann übersandte ein Exemplar. cf. Gillet I, 497, 517 ff.

18*

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mit Luthers Worten nüber erläutere!). Durch die gewordenen Aufschlüsse vollauf befriedigt, glaubte er zuversichtlich, daß jetzt Friede würde. „Unser lieber Herr und Gott, Vater unsers lieben Herrn Jesu Christi wolle sich unser erbarmen und die Lehre seines heiligen seligmachenden Wortes bei uns rein erhalten auch auf unsere lieben Nachkommen das vüterlich kommen lassen.“ Dieser Wunsch war nur allzu berechtigt. Offenbar kannte er sich nur wenig in den theol. Erürterungen aus. Sonst hätte schon die Tatsache, dab gerade die von den Württembergern und Niedersachsen aufs schärfste bekämpfte passive Fassung der Stelle Act. 3, 21 in dem Katechismus aufgenommen war, ihn höchst arg- wöhnisch machen und bedenklich stimmen mussen. Noch klarer wird dies, wenn wir einen kurzen Blick auf das oben erwähnte „Verzeichnis der Fragepunkte, derinnen Ungleichheit und Unterschied zu befinden zwischen unserm zu Dresden jüngst wiederholtem Bekenntnis und dem Heidel- bergischen Katechismus“ ?) werfen. Es werden hier eigent- lich nur formale Unterschiede berührt. Im Consensus Dresdensus wird die ganze Lehre vom Abendmabl gründlich besprochen, soviel zum christlichen Unterricht gottseliger Herzen nötig ist und soweit man bisher in den Bekennt- nissen der Kirche gegangen ist; der Heidelberger Katechis- mus enthält dagegen keine vollkommene Erklärung der ganzen Lehre vom hl. Abendmahl. (P. 1). Oder: wenn im zweiten Punkt darauf hingewiesen wird, daß die Anordnung bei beiden Schriften verschieden sei. Der Consensus Dresden- sis redet vom rechten Grund der Gegenwart des Leibs und Bluts Christi im Abendmahl und vom rechten Verstand der Einsetzungsworte; schließlich bringt er eine notwendige Beschreibung oder Definition des heiligen Abendmahls aus den Worten Christi und Pauli; der Heidelberger Katechis- mus beschreibt weder aas Sakrament, noch erklärt er die Worte Christi, sondern stellt gleich die Frage: de fine coenae dominicae vel de fructu sumptionis. Der Cons. Dresd. gebraucht sagt Punkt 5 nur solche Worte, welche im corp. doetr. oder in den Bekenntnissen der Kirche ge- braucht werden, der Heidelbergische Katechismus „besondere Art und Weise“, „die mit ausländischen Schriften überein-

2) S. Laur. Dürnhofer an Heinrich Bullinger Nürnberg 25. 8. 1572. Zach. Ursinus an Heinrich Bullinger 23.8.1572. Heppe II. Beilagen 8.132f, 133f. Ersterer Brief nebst einem ergänzenden vom 16,6, 1572 im C. L. M. 11470a fol. 199b u. 204—206 der Staatsbibliothek München.

3) A. R. A. T. 83, I, 57fl.

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stimmen“. War denn aber nicht gerade das corpus doctrinae Misujeum den Lutheranern ein großer Stein des Anstoßes?

Und wenn man die Verschiedenheit im Kultus die Plälzer, sagt Punkt 5 noch, hätten sich auch bier an aus- ländische Kirchen angeschlossen benutzte, um seine

Rechtgläubigkeit zu beweisen, so konnte jeder einsehen, wie wenig stichhaltig dieses Argument war. Eine Versebiebung der Streitpunkte war es auch, wenn im Puukt 4 darauf hin- gewiesen wurde, daB man im Heidelberger Katechismus im Unterschied vom Consensus Dresdensis zu wenig vom „un— würdigen Genuß des heiligen Abendmahls“ finde. Es handelte sich doch um die manducatio indignorum. Nur der dritte Puukt ging auf den Kern der ganzen Frage ein. Die sächs. Theologen erklärten: „Der Consensus Dresdensis lehrt, daß der Herr Christus in dieser Ordnung des hl. Abendmahls wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig ist, so dab er mit äußeren und sichtbaren Zeichen Brot und Wein seinen wahren Leib, für uns am Stamme des Kreuzes geopfert, und sein wahres Blut, für uns vergossen, uns gewißlich in diesem Sakrament gibt und mitteilt und hiermit anzeigt, daß er uns zu Gliedmaßen seines Leibes macht, uus mit seinem Blut reinigt und Vergebung der Sünden schenkt, wahrhaftig in uns wohnt und kräftig in uns wirkt;“ dazu führe der Cons. Dresd. zwei Regeln an: „nichts kann Sakrament sein aufer dem eingesetzten Ge- brauch“ „Der Herr Christus ist wahrhaftig und gewißlich gegenwärtig bei dem Nachtmahl, gibt uns bei diesem Ge- nieben mit Brot und Wein seinen Leib und sein Blut, appliziert uns sich selbst und seine Verheißung, macht uns zu Gliedmaßen seines Leibes und wirkt Leben und Trost in uns.“ Der Heidelberger Katechismus rede im Unter- schiede davon zu wenig von diesen Dingen. Aus der Frage desselben: „Wie wirst du im heiligen Abendmahle erinnert und versichert, daß du an dem einigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gütern Gemeinschaft hast", kónnte man den Verdacht schöpfen, als ob die Sacramente nur „Denkzeichen“ nicht zugleich signa exhibitiva und appli- cativa seien. Wie derartige Ausführungen Stadtmann so beruhigen konnten, ist schwer verständlich. Es ist kaum denkbar, daß man sich in Ansbach ihm anschloß. Allerdings mochte es gerade damals dem Markgrafen am geratensten erscheinen, seine zuwartende Haltung vorerst nicht aufzugeben. Die von Frankreich nach der Bartholo- mäusnacht drohende Gefahr hatte er völlig erkannt; er war einer der wenigen Fürsten, die dem Rufe Kurfürst Friedrichs von der Pfalz folgten und den Tag von Heidelberg im

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September 1572 besuchten; aber die ablebnende Haltung des sächsischen Kurfürsten ließ auch ihm das angestrebte ‘Defensivbündnis als nutzlos erscheinen; das wiederholte Scheitern solcher Versuche lähmte auch seine Energie (14. Nov. 1572) 5.

lm folgenden Jahre drohte Ansbach in die Flacianische Wirren hineingezogen zu werden. Von Regensburg ersuchte man um Auskunft, was die brandenburgischen Theologen über die Begriffe substanz, accidens, qualitas lehrten; ob man sie in dem Unterricht der Schulen gebrauchen solle; ob ein Unterschied zwischen der verderbten Substanz des Menschen und der Erbsünde; wieviel Gutes noch an des Menschen Substanz nach dem Falle sei; wie man gegen irrige Kirchendiener vorgehen solle; mit kurzen Worten: die ganze Flacianische Lehre von der Erbsünde wurde hier aufgerollt (13. Okt. 1573)?). Karg und seiue Kollegen be- zeugten aber keine Lust, sich tiefer mit dieser Angelegenheit zu befassen; man befürchtete das Entfachen erbitterter Streitigkeiten im eigenen Lande; darum verwiesen sie kurz darauf, daß für sie durch die eben mit Nürnberg geschlossene norma doctrinae et judicii") der ganze Streit entschieden wäre, die Erbsünde sei keine Substanz, sondern zugerechnete Übertretung unserer ersten Eltern. Regensburg könnte allem Streiten aus dem Wege gehen, wenn es sich ihrem corpori doctrinae anschlösse“). Dazu zeigte man in Regensburg allerdings aus guten Gründen nicht die ge- ringste Geneigtheit 5).

Gegen Ende dieses Jahres lief in Stuttgart eine heftige Besehwerde des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz über Jakob Andreä ein. Entgegen den Abmachungen vom Juni1567*) „beschmeiße er“ in seinen Predigten die Kirche und Schule zu Heidelberg nicht nur mit dem Namen „Zwinglianer und „aunlnisten? sondern beschuldige sie auch des „Arianismus“,

) A. Kluckhohn, Briefe. Braunschweig 1872 II, 490. 491 Anm. 493 A, 3, 498f., 610ff., 516ff. Der Abschied 289 ff., cf. 523 Anm. 1, 525. Friedrich der Fromme. Nördlingen 1877. 8. 355. Fr. v. Bezold, Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir. München 1882 I, 89f,

3) A. R. A. Tom. suppl. II, 856, wiederholt 14. 12. 1678. fol. 866.

) Lang III, 873. G. Th. Strobel, Beytrüge zur Litteratur besonders des 16. Jahrhunderts. Nürnberg u. Altdorf 1784 I S. 865 fl.

) A. R. A. T. suppl. II, 862, 85, 114 (von Francisci) geschrieben, gedruckt Beilage IV.

9 G. Fr. an Kämmerer und Rat zu Regensburg 14. 12. 1578. A. R. A. T. suppl. II, 866. Antwort d, d. 19. 12. 1573. fol. 871. ^) Heppe II, 188, 247, 380. Gillet T, 894.

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„der türkischen und mohammedanischen Greuel“; ja er habe, um die Gleichheit der Lehren des Korans mit den Lehren seiner Kirche zu beweisen, einen Abschnitt aus ersterem in einer Versammlung zu Memmingen vorgelesen. Diesen Vorwurf könne er nicht auf sieh ruhen lassen. Er hoffe, daß Herzog Ludwig an solchen „beschwerlichen Diffamationsschriften und unchristlichen blutdürstigen Ver- hetzungen und Beschreiungen keinen Gefallen habe, gegen den unerträglichen Verleumder und Aufwiegler andern zum Exempel ernstlich vorgehe“ 23. Dez. 15731), Am gleichen Tage setzte er auch andre ev. Fürsten wie Kurfürst August von Sachsen?), Markgraf Georg Friedrich von Ansbach?) von dieser Beschwerde in Kenntnis. Die Erregung des Kurfürsten läßt sich verstehen; war er doch eben erst allen anti- trinitarischen Bestrebungen mit aller Entschiedenheit ent- gegengetreten *); genau ein Jahr vorher war Sylvanus zu Heidelberg öffentlich hingerichtet worden.

Was lag dieser Beschwerde zugrunde?°) Auch in Memmingen war der latente Zwiespalt zwischen Calvinern und Lutheranern, Eusebius Kleber und M. David Künlin akut geworden. Zur Beilegung der Streitigkeiten wurde Jakob Andreü vom Rat berufen. Bei den verschiedenen Unterredungen handelte es sich um die Vereinigung beider Naturen in Christus, Eusebius Kleber wollte zwar zu- gestehen, daß der Mensch Jesus Christus allmächtig sei, aber mur nach seiner güttl. Natur; die Menschheit Christi sei von der menschlichen Natur aller andern Heiligen nur dureh eine unendlich reiche Fülle von Gaben des heiligen Geistes unterschieden. Darauf erklärte Andreä, das sei ja gar nichts anderes als die Lehre des Korans und las zum Beweise folg. Btelle vor: Omnium prophetarum alio super alio per me sublimato e$ eorum quibusdam eum deo locutis Christo Mariae filio animam nostram proprie conferentes vim atque virtutem prae ceteris praebuimus. Kleber wurde zum Schlusse ab- gesetzt; der Gemeinde gab aber Andrei auf der Kanzel von

1) d. d. Heidelberg. A. R. A. 83, I, 74. Kluckhohn II, 617, Nr. 725. J. Döllinger, Die Reformation. Regensburg 1848. II. 389,

* Kluckhobhn II, 720, S. 618.

) A. B. A. 33, I, 88.

^ K. Sudhoff, C. Olevianus u. Z. Ursinus. Elberfeld 1857, v. 358 ff H. Heppe II, 859. Hauck R E. XX, 358. Kluckhohn, Fr. der Fromme, S. 878ff, Gillet II, 141.

j F. Braun, J. Andreäs Wirksamkeit in Sachen der Reichs- stadt Memmingen. Theol. Studien aus Württemberg IX. Ludwigsburg J888, S, 1f. 121 ff.

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der ganzen Angelegenheit Kenntnis; er unterließ es dabei nieht darauf hinzuweisen, wie leicht derartige Irrlehren zu arianischen und türkischen Irrtümern führen könuten ). Die zwei Predigten wurden später auch unter dem Titel: „Zwo Christliche Predigen Von Gottseliger ei- || nigkeit der Kirchen diener: von | der Majestät des Menschen Christi zur Rechten | der Kraft Gottes und von warhaftiger | Gegen- würtigkeit seines Leibs und | Bluts im h. Abeudmahl || ge- halten zu Memmingen durch Jacobum Andreae. MDLXXvII* gedruckt. Am Schlusse las man in dem anhangsweise bei- gegebenen „kurzen Summerischen Begriff des ganzen Handels von dem h. Abendmahl Christi . . .^ „daraus endlich der türkisch mohammedanische Glaube folgt, der Christus Marien Sohn für einen puren lautern Menschen gehalten, welcher wohl mit hóhern Gaben des heiligen Geistes gezieret denn andere Heilige, mit der allmächtigen Kraft aber, unendlicher Weisheit, göttlicher Majestät und Wirkung des Sohnes Gottes mit der Tat und Wahrheit kein Gemeinschaft habe, wie leider in Siebenbürgen, Polen und zu Heidelberg solche verdammten Lehrer endlich in diesen erschrecklichen gottes- lästerlichen Irrtum geraten. Davor der barmherzige Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi alle frommen Herzen behüten wolle. Amen.)“

Am Württemberger Hofe wußte man offenbar von der ganzen Sache zu wenig; es blieb nichts übrig, als Andres zur Rechenschaft aufzufordern. Dieser sandte eine ein- gehende Schilderung der Vorgänge in Memmingen. Weit wies er von sich, die Ehre des Kurfürsten angetastet zu haben; er habe vielmehr seiner immer in Ehrerbietung ge- dacht; auch habe er keineswegs die Kirche in der Pfalz in üblen Ruf bringen wollen, er habe vielmehr an Silvanus und Neuser gedacht. Er verwies auf Bernhard Ochino, Georg Blandratra, Franz Davidis und Val. Gentilis, die auf dem Umweg über den Zwinglianismus zum Arianismus ge- kommen seien. Die Schrift lehre, daß aus einem Irrtum immer ein andrer komme. Er hätte viel mehr Grund zu klagen als die Pfälzer. In Eppingen, Brettheim, Oppenheim werde offen auf den Kanzeln gegen ihn gepredigt; die Württembergischen Theologen würden als Ubiquitisten,

1) Bericht des Andrea an Herzog Ludwig. A. R. A. 33, I, 216 ff. Heppe II, 876ff, Braun S. 124 ff.

*) Exemplar. A. R. A. 33, I, 89ff. mit eigenhändiger Widmung J. Andres an Mag. Joh. Stecher. Auf S. 166 in einer Randnote: Etliche zwinglische Prediger den Türkischen Glauben angenommen. Heidelberg. Poln. Siebenbürgen.

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Sakramentsschwärmer öffentlich bezeichnet. In der von Heidelberg übersandten Streitschrift „Acta concordiae | das ist | : Was sich in dem Tra- | ctat und Handel der Corcor- dien oder | Vereinigung zwischen dem Herrn Luthero . . .* sei sein Name auf dem ersten und zweiten Blatt ausdrücklich in dem Text und auf dem Rand zu lesen!), während er in den Predigten den Namen Heidelberg nur ad marginem setze. Herzog Ludwig beschloß daraufhin, Andreä möglichst zu schützen ; er wollte den Kurfürsten darauf hinweisen, daß er von Andreä mit keinem Worte angegriffen worden wäre: er habe ja auch durch die Tat bezeugt, wie er Arianismus und Mobammedanismus in seinem Lande nicht Platz greifen lasse: wenn man an das Büchlein ,acta concordiae" denke, bitten die Theologen Württembergs vielmehr Grund zur Beschwerde; seien doch etliche von ihnen mit Namen ge- nannt worden, Bevor er aber dieses Schreiben absandte, unterbreitete er es den Vormündern Karl von Baden und Georg Friedrich von Ansbach )).

Hier war man froh, endlich Einblick in die ganze Affaire zu bekommen. Theologen und Räte waren überein- stimmend der Ansicht, daB Audreä zu weit gegangen war. Schon die Gleichstellung von Siebenbürgen und Polen mit Heidelberg mußte erbitternd wirken; überhaupt hätte er die Pflicht gehabt, Sylvanus und Neuser mit Namen zu nenuen. Die Theologen meinten sogar, daß die schriftliche Auf- klärung, die Andreä gegeben habe, durchaus nicht gentlge; vielmehr sollte sie im Druck veröffentlicht werden. Soweit wollten die Räte aber doch nicht gehen. Sie billigten wie Karl von Baden im allgemeinen die von Herzog Ludwig vorgeschlagene Antwort, fügten aber die ernste Mahnung hinzu : in Religionssachen mehr Bescheidenheit zu gebrauchen

1) Acta concordiae | das ist |: Was sich in dem Tra- |ctat vnnd Handel der Concordien oder | vereinigung zwischen dem Herrn Luthero wnd | den Euangelischen Stetten in Schweitz vber dem Streit des heiligen Nachtmals Christi vom sechsvnnddreyasigsten big | in das scht vnnd dreyssigst jar nach dem Marpur- | gischen vertrag in schrifften vnd wider schrifften | auch sonst verloffen vnd warauff die Con | cordi entlich bestanden | sey etc. Item | ob und wie Johannis Calvini Lehr | mit der alten Kirchen | deßgleichen Herrn Luthe- | ri und Johannis Brentii Lehr, die sie vor zeiten geführt | vbereinstimmen ; Allen, so die Wahrheit vnnd Frieden lieben, vnnd | nicht betrogen sein wöllen jetziger Zeit nützlich und not | wendig zu lesen 1572. 2. Auflage: auffs neuve vermehrt und gebessert. Heidelberg MDLXXV. Der Verfasser ist Chr. Herdesianus s. Gillet II, 75.

NA.R.A. 33, T, 80 cf. Heppe II, 380.

282 122

als bisher (27. April 1574) 1). Eben war ja auch eine pfälzische Gegenschrift, die seharf gegen die Ubiquitiit Stellung nahm: „Bekanntnuß der Theologen und Kirchendiener zu Heidel- berg von dem einigen wahren Gott in dreyen Personen .. .* eingelaufen. Man schien am Beginn neuer erbitterter Kämpfe zu stehen ?).

Diese Schrift, die Antwort der Heidelberger auf Andreäs Predigten ), war natürlich auch nach Württemberg ge- kommen. Balth. Bidembach, Lukas Osiander, Wilh. Holder und Joh. Stecher fanden darinnen viele zwinglische Irrtümer; um nicht einfache Leute irre werden zu lassen, bielten sie eine Beantwortung für nötig; besonders weil im Schlusse die Württemberger scharf angegriffen worden waren. Diese sollte Andreü verfassen, nachdem doch die ganze Sache von der Memminger Affaire ihren Ausgang nehme, Um aber den Zwiespalt zwischen beiden Lündern nicht noch zu ver- größern, solle Andreä die Antwort in seinem Namen aus- gehen lassen; auch solle er die namentliche Nennung der Heidelberger umgehen ; nachdem auch Bullinger sich in den Streit gemischt habe, könnte dann seine Schrift als Antwort auf beide gelten (27. April 1574) ). Herzog Ludwig trug aber Bedenken. den Wunsch der Theologen zu willfahren; er fürchtete ein „unendliches Libellieren“ und erneute Ver- bitterung. Eine offizielle Schrift aber bielt er doch noch für das kleinere Übel, weil sonst Privatschriften in Masse von den Theologen veröffentlicht würden, deren Schärfe dann nicht mehr zu zügeln war. So ließ er die ganze Sache wieder nach Baden und Ansbach gelangen, nachdem die Theologen selbst einer Beratung der Sache auf der nächsten

1) Karl von Baden sandte 4. 3. 1574 die projektierte Antwort Ludwigs an Friedrich von der Plalz, ein Exemplar der in Memmingen gehaltenen Predigten, die Verantwortung Andreäs und den Entwurf einer Antwort an Ludwig. A. R. A. 38, I, 85; 80, 89, 216, 185. Be- denken der Ansbacher Theologen fol. 263f., 269. Rückantwort Branden- burgs durch die Abwesenheit des Markgrafen verzögert d. d. Ansbach 97. 4. 1574 fol. 185.

2) d. d. Heidelberg 2. 4. 1574, prüs. 10. 4. 1574. A. R. A. 88, I, 86. Braun, S. 131f.

3) Hauck, R. E. XX. 353. K. Sudhoff, C. Olevianus und Z. Ursinus. Elberfeld 1857, S. 878ff. Heppe II, 881, Kluckhohn, Fr. d. Fromme 397, Briefe II, 619. Anm. 1, Gillet II, 14%.

4) A. R. A. 88, I, 187, 191. Bullingers Schrift ist wohl: „US siben Klagartikel, so diser zyt mit großer ungestüme, unwarheit und unbescheidenheit von etlichen unruwigen Seribenten geklagt werdend“. Bronn 140 Anm.

323 383

Generalsynode zugestimmthatten !) (29. April 1574). In Ansbach konnte man sich im Unterschiede von Baden nicht mit der Herausgabe einer neuen Schrift befreunden; man ließ des- wegen die ganze Sache zunächst auf sich beruhen ).

Die vier Württembergischen Generalsuperintendenten Joh. Mayer, -Abt zu Maulbrunn, Christhof Binder, Abt zu Adelberg, Georg Udel, Abt zu Lorch und Dr. Theodor Sehnepf entschieden sich auf der Synode vom 9. Juni 1574 für eine Beantwortung der Heidelberger Schrift. Es sollte kurz die Lehre vom Abendmahl und von der Person Christi dargestellt und dann die Verkehrungen von Seite der Zwing- lianer gebührend behandelt; deren Zwiespältigkeit in ihren Reden getadelt und offen gezeigt werden, wie deren Irrtümer den Weg zum Arianismus und Mohammedanismus bereiten. Von den Heidelbergern solle man ganz schweigen und offen erklären, daß man die zwinglische Lehre nicht deswegen dekämpfe, um neue Verfolgungen zu erwecken, sondern um die Leute aufzuklären. Die Verabfassung wollten sie Andrei übertragen sehen ). Daraufhin willigten Statthalter und ge- heime Räte in die Beantwortung der Heidelberger Schrift; sie gaben zum Schlusse auch zu, daß diese Andreä in seinem Namen stellen sollte, nachdem die Generalsuperintendenten eben dadurch den Anschein vermeiden zu können glaubten, als ob man eine Fortsetzung des Streites mit der Pfalz wünsche. 10.Juni 1574. Daraufhin bekam Andreä den ent- sprechenden Auftrag.

Nach zwei Monaten hatte dieser seine Aufgabe voll- endet‘. Aber die Regierung war damit wenig zufrieden. Wohl hätte er die Heidelberger Theologen nicht genannt, aber der Tenor seiner Schrift verriete deutlich, daB sie ge- meiut wären; auch wären am Rande immer die Seiten ihrer Schrift angeführt. Auch hätte er wieder auf die Memminger Verhandlungen zurückgegriffen und offen wenn aueh mit

) d. d. Stuttgart. A. R. A. 33, I, 272.

) Bericht des Erkinger von Rechenberg, Amtmanns von Gunzen- lausen präsentiert am 8. 5. 1574. A. R. A. 33, I, 227.

) A. R. A. 33, I, 195.

) Andrei an Marbach 23. 5. 1574: Ad Heidelbergenses, quod attinet tractabo illos pro dignitate brevi sed nervoso et perapicuo scripto & illorum impietatem toto terrarum orbi patefaciam. Responsum ad literas Electoris Palatini creentas nulli communicare audeo, sed argu- mentum ejus in refutatione recitabitur... Est sane spiritus cruentus neque enim pejora a Papistis metuo, quam nunc ab electorePalatino. Ned vita mea est in nomine Domini cui commendo et me et causam jpsam, Fecht, 8. 495.

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Berufung auf ein Wort Luthers behauptet, daß die Zwingli- aner die Vorläufer des Arianismus und türkischen Glaubens wären, eine Behauptung, die die Heidelberger um so mehr treffen müsse, nachdem unter „Zwinglianern“ ja nur sie im ganzen Schreiben verstanden seien. Die Regierung verlangte eine totale Anderung der Schrift: sie sollte allgemein von den Zwinglianern gestellt werden, die Anführung der Stellen aus der Heidelberger Schrift unterbleiben, die Worte vom Arianismus und Mohammedanismus gemildert werden. Auch griffen sie auf die Anregung zurück, die ganze Erwiderung auf eine breitere Basis zu stellen und nicht nur die Heidel- berger sondern auch Bullingers Schrift von Andreä würdigen zu lassen. Dabei blieben sie auch trotz der Vorstellungen Balth. Bidembachs, Lukas Osianders, Wilhelm Holders (30. Aug. 1574). Die Verzögerung der Drucklegung konnte sie nicht irre machen !); sie legten die ganze Frage im September den brandenburgischen und badischen Gesandten, als diese aus anderm Anlaß in Stuttgart weilten, vor. Da aber erstere gar nieht instruiert waren, blieb nichts übrig, als das ganze Material am 5. Okt. 1574 nach Ansbach zu senden ?).

Im Unterschiede von Karl von Baden, der einer Ver- öffentlichung unter Berücksichtigung der von den Württ Statthaltern gemachten Einwendungen zustimmte ®), verhielt sich Georg Friedrich dagegen vorerst ganz ablehnend. Er fürchtete offenbar den Ausbruch eines neuen erbitterten Streites. Um so mehr begrüßte er den letzten Versuch, eine Beilegung der theologischen Streitigkeiten für den Bereich des gesamten Protestantismus herbeizuführen *).

Landgraf Wilhelm von Hessen schlug am 28. Sept. 1574 von Neuburg aus nach Rücksprache mit Andreä dem Kur- fürsten Friedrich vor, etliche Theologen beider evangelischen Parteien über alle Artikel der christlichen Lehre vollstándig sich einmal aussprechen zu lassen?) Auf der Rückreise in sein Land besuchte er auch Ansbach. Georg Friedrich ging

1) Bedenken der Statthalter und geheimen Räte 33, I, 199. Der Theologen 207.

) Ludwig v. Württemberg an Georg Fr. d. d. Stuttgart 5. Okt. 1574 A. R. A. 38, I, 278,

2) Karl von Baden an Georg Fr. d. d. Karlsberg 27. 9. 1574, A. R. A. 33, I, 261.

4) G. Fr. an Ludwig d, d. Ansbach 18. 12, 1574. A. R. A. 33. L 207 u. 218.

) D. d. Neuburg a. d. Donau 28. 9. 1571. A. R. A. 88, I, 933. Kluckhohn, Briefe II, 723 ff., cf. Heppe II, 449f, Kluckhohn.

125 285.

auf seinen Plan mit Eifer ein. Noch am 27. Nov. erklärte der Landgraf Dathenus zu Spangenberg: „und hätte der Herzog Georg Friedrich sunderlichen Lust zum Frieden, begehrte àuch der Handlung beizuwohnen und die zu helfen diri- gieren“ 1). Als im Dezember noch keine Mitteilung eingetroffen war, wandte er sich nach Kassel um Aufschluß“), erhielt aber Mitteilungen, welche seine Hoffnungen auf einen end- lieben Abschluß der Streitigkeiten stark herabstimmen mußten. Landgraf Wilhelm berichtete ihm zunächst am 1.Jan. 1575 von der Forderung einer Generalsynode für Lutheraner und Reformierte von Seite der Pfälzer und seinem dem Dathenus mitgegebenen Gegenvorschlag einer Besprechung zwischen J. Andreä, Chemnitz, Selneecer einerseits und Beza, Walther, Ursinus andrerseits“) und dann am 5. März 1575 wie dieser ebenso abgelehnt worden wäre, der Kurfürst vielmehr die Hauptsache darinnen erblicke, daß sich die Fürsten in der wabren Lehre von der geistlichen Gegenwart Christi und Nießung seines gekreuzigten Leibs und vergossenen Blats nämlich in der Annebmung des Herrn Christi und seines ganzen vollkommenen Opfers und Gehorsams durch den Glauben zusammenfänden *), Trotz dieser höchst un- günstigen Aussichten, trotzdem Ludwig von Württemberg bereits mitteilte, daß er eine Verständigung als unmöglich betrachte ), beriet Georg Friedrich doch mit seinen Theologen,

Friedrich d. Fromme 398f. In den Akten liegt auch noch das Prome- moria f. Herzog Ludwig 19. 9. 1574. 88, I, 210. gedr, Heppe II, Beilagen Nr. 22.

!) Heppe II, 419. Kluckhohn II, 769.

2) d. d. Ansbach 18. 19. 1574. A. R. A. 83, I, 289; er wieder- holte diese Bitte am 17. 2. 1575; der Bote Ludwigs war unterwegs gestorben. A. R. A. 33, I, 238.

3) A. R. A. 83, I, 246.

) A. R. A. 33, I, 229. Beilage A.: Friedrich an Wilhelm. Heidel- berg 21. 1. 1575. fol. 249. gedr. Kluckhohn II, 778 fl. Nr. 800; B.: Antwort Wilhelms d. d. 3. 3. 1575. ibidem 255. Kluckhohn II, 798 ff. Nr. 808. In den Akten liegt anch noch die Erklärung der Schweizer gegen ein Kolloquium s. 313. gedr, Heppe II, Beilage Nr. 25. Kluckhohn II. S. 782 Anm. Der vom Kurfürst beigelegte Extrakt aus Brenz. A. R. A. 83, I, 241. Der Gegenextrakt des Landgrafen. fol. 243.

5) Ludwig an Gg. Fr. d. d. Stuttgart 26. 8. 1575. pr. 4. 4. 75. A. R. A. 38, I, 285 mit Beilagen: Wilhelm an Ludwig d. d. Kassel 5. 3. 1575. fol. 287; Ludwig an Wilhelm d. d. Stuttgart 26. 3. 1575. fol. 289; Bedenken der Theologen fol. 293. cf. Kluckhohn II, 8. 800 f. Anm.

286 126

wie man vielleicht doch noch zum Ziele kommen könnte. G. Karg, Ko. Limmer, Joh. Unfug, Adam Francisci meinten nun, zunächst schriftliche Vorbereitungen vorschlagen zd sollen. Der Landgraf solle die strittigen Punkte in Artikel fassen lassen, dieselben den Lutberanern und Calvinisten zur Begutachtung übersenden und dann die einlaufenden Gutachten dem Gegenteil tibergeben. Dann ließe sich wohl ersehen, ob man ein colloquium mit Aussicht auf Erfolg an- stellen könnte ! Am 18. April 1575 übermittelte er sie dem Landgrafen?) Dieser freude sich über solche Teilnabme um so mehr, als der Kurfürst hartnäckig auf seinem Standpunkt stehen blieb?) und auch andere Stände an einem Erfolg verzweifelnd ibm schon öfter geraten hatten, solche Versuche aufzugeben). Es blieb aber auch ihnen beiden nichts anders übrig als die ganze Sache Gott zu befehlen; nur gaben sie sich das Versprechen, in ihren Landen unnötige, spitzfindige und vorwitzige Fragen nicht mehr aufkommen zu lassen, sondern nur allein das Evangelium gemäß der Sehrift und der Augsburger Konfession predigen zu lassen 5.

Dies Sehwinden auf einen günstigen Ausgang der von Ludwig unternommenen Aktion veranlaßte Georg Friedrich sich wieder mit der Frage der Drucklegung der Württem- bergischen Erwiderung des Heidelbergischen Bekenntnisses zu befassen. Im Einverständnis mit seinen Theologen empfahl er die Schrift allein in Andreäs Namen ausgehen zu lassen; die Hinweise auf die einzelnen Seiten des Be- kenntnisses fand er nicht bedenklich, nachdem doch die ganze Schrift sich mit demselben befasse auch die Warnung Luthers von Arianismus und Mohammedanismus wollte er nicht gestrichen haben. Dagegen suchte er alles za

1) A. R. A. 88, I, 267ff., gedr. als Beilage VI. .

2) d. d. Ansbach. ibidem fol. 281. cf. Heppe II, 452.

3) Friedrich an Wilhelm d. d. Heidelberg 15. 5. 1575 and Wilhelm am Friedrich d. d. 7. 6. 1575 Kassel. A. R. A. 88, I, 800, (331) w. 309. cf. Kluckhohn II, 828 Nr. 823 u. 839 Nr. 824. Heppe II, 456.

) So Ludwig von Württemberg, dem Wilhelm am 30. 5. 1575 von dem Sehreiben Friedrichs vom 15. 5. 16576 Kunde gegeben hatte: Andreä sollte in die Sache Einblick bekommen, aber nichts für seine Schrift gegen die Heidelberger verwerten dürfen, Wilhelm an Ludwig d. d. Kassel 80. 5, 1575. A. R. A. 88, I, 829 mit den Schreiben Friedrichs vom 15. 6. 1575. fol. 881u, s. Antwort vom 7. 6. fol 325. Antwort Ludwigs d. d. Stuttgart 4. 7. 1576. fol. 897. Am 7. 7. Georg Friedrich mitgeteilt. A. R. A. 88, T, 328.

e) Wilhelm an G. Friedrich d. d. Kassel 20. 6. 1575. pr. 7. 7. A. R. A. 38, I, 397 und G. Fr. an Wilhelm 91. 7. 1676. A. R. A 38, T, 819. ;

127 287

seitigen, was den Kurfürsten verletzen könnte!). Auch da zeigte er, „daß er Lust zum Frieden hatte“ ).

Beilage I

Bedenken der marggrevischen branden-

burgischen Theologen überJohannisWigandi

Buch von der erbsünde wider Flacium lllyri- cum ao 1571 ausgangen.

Durchleuchtiger, hochgeborner fürst. E.F. G. sein unser untertenige, schuldige und willige dienst iedezeit höchstes vleiBes zuvor bereit, Gnediger fürst und herr. Demnach E. F. G. uns Doctoris Wigandi buch von schwebender Controversien, ob die erbsünde ein substantia und der menschen seel und herz selbst sey oder nicht, derselben unser meinung davon anzuzeigen ubergeben laßen, also haben wir dasselbige gelesen und seines Inhalts vernomen. Wiewol wir nun etliche anzügige reden des- selben buchs uf irem unwert beruen lassen, sagen und be- kennen wir doch, sovil den statum causae und hauptsachen betrift, daß die warheyt mit grund heiliger Schrift und be- werter lerer gezeugnis wider M. Fl. Illyricum und seine anhänger recht darinnen verteidiget und dagegen der von Manicheern erstlich eingefurte und durch Fl. Illyricum ver- neute grobe, ungeheure irrtum widerleget, verworfen und verdampt wird nemlieh dieser: das die erbsünde sey eine substantia und also die seel des mensehen selbs und nicht nur ein zufelliger schade in der menschen substanz und wesen, die verkert und verderbt ist. Und sollen fromme christen, um der ere gottes und unsers herrn Christi und um ir selbs und anderer leut seligkeit willen, sich vor solchem greulichem irrtum vleiBig fursehen und hüten, als der andere vil schadliche irrtum gebiret und nach sich schleppet, wie solchs von gelerten in vielen schriften und zum teil auch in angeregtem buch D. Wigandi mit bestendigem grund der warheyt ausfürlich angezeigt, erkleren und erwiesen wird. Dieses haben E.F.G. auf derselbigen gnedig begeren wir in untertenigkeit kurzlich und gleich als mit einem wort,

1) G. Fr. an Württemberg A. R. A. 38, I, 277, Räte an Georg Friedrich. Ansbach 18. 4. 1575. A. R. A. 83, I, 975. Bedenken der Theologen 265 gedruckt Beilage VII.

) Kluchhohn II, 770. Die Württemberger Schritt erschien 1575. Kurzer, einfältiger und warhaftiger Bericht des Streits über dem hb. Abendmahl und der Person Christi zwischen den reinen Kirchen und den Sacramentierern. Tübingen 1575. Braun, S. 141.

288 128

nachdem die sach an ir selbs richtig und offenbar und sonsten klerlich dargetan, in untertenigkeyt zu erkennen geben sollen und tun derselben uns biemit zu gnaden untertenig befelend.

Datum Mense Novembri 23die Anno 1574

E. F. G. untertenige Cappelün allhie Georgius Karg, M. Conradus Limmer, Johannes Unfug!), Stephanus Notnagel?), Jacob Vógelein*), Stephanus Schnitzlein“), David Meder“), Bartholomaeus Wolochendorf*).

Dek. Uffenheim: Uffenheimische Religions- und Kapituls- akte ab 1523 —1687 fol. 70. Nürnberger Kreisarchiv, Ansb. Rel. Akta Tom. suppl. II, 288.

!) Dazumal Hofprediger, s. Beiträge 21, 264.

?) Von Weimar vertrieben, dann Hufkaplan in Ansbach, Kons. Akt: Pfarrei Roth I (1458—1639), Pf. Langenzenn I (1538— 1653), Pf. Ansbach I (1526—1711) 1573—1600 Dekan in Langenzenn A. R. A. 34, 46. Einfalt, die Geschichte der Stadt, des Klosters und der Pfarrei Langenzenn. Ansbach 1910. S. 43, 52. A. RA. Tom suppl. II, 288 steht: etwan gewesener caplan zu Weymar, jetzo aber Hofcaplan alhier. Ratsmanuale der Stadt Nüruberg im Nürnberger Kreisarchiv: 16. 12. 1567: Auf Stephan Nutnagels des geurlaubten Predicanten halben von Weinmar, daß er Herzog Johann Friedrich zu Sachsen verpflichtet, wenn er von seiner fürstl. Gnaden oder der- selben Gemahl gefordert, denselben dienen müßte, soll man im 20 fl. vereren, doch ragen, da er solcher seiner Verpflichtung erledigt und dessen einen Schein brachte, wollte man sich ferner mit ihm in Hand- lung einlassen, ihm seine Predigten zustellen und sagen, dieselben an andern Orten drucken zu lassen. Predigten von ihm im Germanischen Museum zu Nürnberg. Bibl. Ms. 9723.

3) 15. 5. 1555 ordiniert in Wittenberg. G. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch Leipzig 1891 I, 102, 1556 Pfarrer in Frankenhofen Kr. Nürnberg Stift Feuchtwang I. 7, 997; später Pfarrer im Stift zu Ansbach. Beiträge zur bayr. K. G. 21, 565. + Dez. 1610. (Sterbe- matrikel der Pfarrei St. Johannis Ansbach).

*) Aus Weißenburg. 1549 in Wittenberg, 1552 Pf. in Büchen bach s. Kons. Ansbach. Pf. Büchenbach I (1552—1737) fol. 11. Bei- träge 16, 89. 1554 Kaplan in Schwabach. Schwabacher Geschichts- blätter I. Schwabach 1917, 8.48, 1556 Pf. in Merkendorf. G. Muck, Geschichte von Kloster Heilsbronn, Nördlingen 1879 II, 49. 1568 Kaplan in Ansbach A. R. A. 34, 46; 1574— 17.6 1602 in Weimersheim. Kons. Ansbach, Pfarrei Weimersheim I. (1518 - 1739) J. M. Groß, des historischen Lexici evangelischer Jubelpriester 8. Teil. Schwa- bach 1746. S. 292.

) Von Osterfeld in Sachsen. 1568 Kaplan in Ansbach, 1574 Pfarrer in Lantersbausen, 1577 Stiftsprediger in Öhringen, 1595 in

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Beilage II.

Ansbacher Bedenken über das Gutachten der Württemberger über Wigands Buch von der Erbsünde. 1571.

Durehleuchtiger hochgeborner furst, gnediger Herr. Aus bevel E.F.G. haben wir der Würtenbergischen Herrn Theologen bedenken uber D. Wigands buch von der erbstinde wider MatthiamFlacium Illyricum gelesen und haben darinnen soviel statum causae und die haupt- sache betrifft, kein bedenken. Denn sie die rechte ware in Gottes Wort und bewerter lerer schriften wolgegrunde meinung von der erbsünd, welche D. Wigan dus ver- teidigt, approbirn und fur recht erkennen und dagegen Illyrici irrige opinion ganz verwerfen.

Daneben aber felt uns gleichwol bedenklich fur, das gedachte Herrn Theologen das ganz buch D. Wigandi durchaus mit worten approbirn und doch nicht desto weniger etliche fel darinnen anzeigen. Als erstlich: das der spruch S. Pauli2 Cor 5 im 39 argument nicht wol gefurt werde; darnach, das sie die alte definitionem „accidentis“, so D. Wigandus verworfen, gut heißen und loben. Und ist zwar die er- innerung von angezogenem spruch Pauli nicht unzeitig. Was aber betrifft definitionem accidentis ist es unsers erachtens gelehrlich eben gnug, dieselben in dieser disputation von der erbsünde zu gebrauchen. Denn es heiße gleich das wort corruptio in Philosophia eine zerstörung, durch welche die Substanz gar vergeht, vertilgt und zu nicht wird, so heist es doch in theologia eine verderbung, durch welche die substanz nicht gar zerstört, abolirt und abgetan, sondern nur verkert und verderbt ist, als da man sagt, natura est corrupta

Naumburg, t 1616 za Nebra a. d. Unstrut. Kons. Ansbach, Pf. Leuters- hausen I, Pf. Kattenhochstadt I (1529—1631) fol, 287, Weimersheiu I fol. 117. J. Chr. Wibel, hohenlohische Kyrchen- und Reformations- historie. Onolzbach 1752, S. 897. J. A. Vocke, Geburts- und Todten- almanach Ansbachischer Gelehrten, Schriftsteller und Künstler. Augs- burg 1790 I, 198. Zeitschrift des Vereins für das Württem- bergische Franken. Weinsberg 1878 IX, 398.

©) Von Neustadt a, Orla. 1570 Diakon in Ansbach, 1578 Dekan in Crailsheim, 1591 Abt in Heilsbronn, T 1601, J. L. Hocker, Hailsbronnischer Ántiquit&tenschatz. Onolzbach 1781, S. 158, G. Muck, Geschichte von Kloster Hailsbronn, Nördlingen 1880 III, 9. Bei- träge 91, 266. Archiv für Reiormationsgeschichte. XXII, 3/4. 19

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item corruptio naturae. Solt nu die sünd ein accidens ge- nennet werden, welches praeter subjecti corruptionem im menschen sein könte, so müßte volgen, daß des menschen substanz und wesen nicht verderbt, und also naturalia, wie etwa die schullerer davon gered, noch integra weren, welches unrecht und falsch ist. Darum achten wir, das gemelte definition den philosophis zu laBen und in Theologiam sonderlich in dieser disputation von der erbsünd nicht ein- zufüren noeh zu gebrauchen sei. Und halten, daB sie D. Wigandus nicht unbillich hindangesetzt habe, ob er sie wol sonsten weiter ausdenet, denn sie von gelerten in philosophia und in artibus de naturalibus accidentibus . substantiarum gebraucht wird, auf die schedliche und tötliche

krankheiten, welche auch accidentia sind, und so nicht den menschen gar zerstüren, doch oftermals den leib verderben; daran aber nieht viel gelegen, sondern solehs Wigando wol zu gut zu halten ist. Wolten derhalben raten, die Herrn Theologen umgingen diese disputation de definitione accidentis ganz und gar und ließen in irem bedenken aus den 7.8. 9. 10. 11. 12. 13. und 14. paragraphum in be- trachtung, daß der warheit nichts begeben und einigkeit gefordert würde, da sonst streit dadurch mocht erregt werden, sintemal Wigandus nicht gerne weichen würde, wie er auch unsers erachtens zu weichen und nachzugeben nicht ursach hat. Und blieben demnach die Herrn in irem be- denken und mit irem urteil bei der heubtsach ohne justi- ficierung des ganzen buchs, welche im 15 paragrapho deutlich gesetzt ist. Denn wiewol das urteil sovil desto fuglicher auf das ganze buch gestellt möcht werden, das auch in diesem Stück definitiones accidentis betreffend dem autori beifall geschehe, wolten wir doch, wenns unsere eigene sach were, deshalben das buch nicht gar justificieren, das etliche controversiae darinnen angezogen und damit auf andere sonderlich sovil die Antinomiam der definition des evangelii halben betrifft (anderer streit aller zu geschweigen) ungutlieh und one ursach gestochen wird.

Es möchten auch ferner propter cohaerentiam der 15. 16. und 17. paragraphus, als darinnen nur praecedentia repetirt, fuglich ausgelaBen werden.

Dieses haben E.F.G. wir in untertenigkeit christlicher wolmeinung aufs kürzest erinnern sollen, denn das nicht proprie oder eigentlich genug gered ist substantia peccati pro eo, quod peccatum sit substantia, das gibt kein

das er ware christliche einigkeit zu aufbauung seiner kirchen

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unter den lerern anrichten und erhalten wolle und tun E. F. G. uns hiemit in untertenigkeit zu gnaden befelen.

E. F. G. untertenige gehorsame caplän

Georg Karg, Cunrad Limmer,

Original von Kargs Hand im Nürnberger Kreisarchiv Ansbacher Religionsakta, Tom suppl. II, fol. 544f.

Beilage III.

Bedenken der Ansbacher Theologen über den consensus Dresdensis 1571.

Durchleuchtiger hochgeborner furst. E.F.G. sind unser untertenig schuldig und willig dienst jeder zeit hochsts vleiß zuvoran bereit. Gnediger furst und herr. Wir haben der sachsischen churfurstischen theologen in irer versammlung zu Dresden gestelt bekantnus gelesen. und wiewol wir uns davon zu urteilen viel zu gering erkennen, haben dennoch E.F.G. auf derselben gnedige begern wir unser einfeltigs bedenken on einige ausflucht in untertenigkeit kurzlich an- zeigen sollen.

Der Haubtpunkt ist vom heiligen hochwürdigen saera- ment des waren leibs und bluts unsers herrn Jesu Christi, um welches willen die andern hiebei angehenkte artikel auch in streit gezogen werden. Wir hielten aber dafur, wenn die reine lere von gegenwertiger gemeinschaft, aus- teilung und nießung des waren leibs und bluts unsers lieben Herrn und Heilands Jesu Christi in seinem h. nachtmal ohne versetzung und bementelung bliebe und bekannt wurde, es sollt der andern artikel halben so gar nicht not haben.

Nun reden die sächsischen herrn theologen in dieser irer bekantnus und auch in andern zuvor hievon ausge- gangnen buchern vom abendmal des herrn beede, was die substanz und den brauch desselben betrifft, recht und wol. allein ist dieser mangel daran, daß sie den unterscheid der geistlichen und leiblichen oder sacramentlichen nießung still- schweigend ubergehen und nicht ausdrücklich setzen. Da- rüber doch D. Lutherus seliger und heiliger gedechtnus je und allwegen so heftig gestritten, daß er alle diejenigen fur schwermer gehalten, die nicht glauben und lehren, daß der leib und blut christi unter brod und wein mit leiblichem mund beede von guten und bosen christen empfangen werde, wie das neben andern seinen streitbuchern sonderlich auch in seiner letzten bekanntnus, die er kurz vor seinem abschied

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aus diesem leben ausgehen laßen, klerlich zusehen ist i); und auch in Schmalkaldischen artikeln solche mundliche nießung von ime rund gesetzt und darauf die formula Concordiae in diesem handel sampt jetzt gemelten Schmalkaldischen artikeln von den furnemsten theologen in der versammlung zu Schmalkalden anno 37 approbirt und fur recht erkannt worden, wie es auch die grundliche meinung ist der Augs- purgischen confeßion und apologia und demnach E. F. G. kirchenordnung also einverleibt.

Wiewol aber nu eegedachte herrn theologen der leiblichen oder mundlichen nießung des leibs und blats christi aus- drücklich nicht gedenken noch auch weder des Zwinglianismi noch Calvinismi meldung tun, wollen wir doch hoffen, weil sie sich so oft auf D. Lutherum berufen und daß sie anders nicht vom h. Abendmahl halten denn wie Herr Lutherus davon gelert hat, mit vielen worten bezeugen, es sey also ir eigentliche meinung und gar kein falsch noch widerrede dahinder verborgen.

Die andern artikel gehören anders nicht zu des Herrn abendmal, denn wie sie Herr Lutherus gebraucht hat, den christen dadurch zu bezeugen, daß sie der verheißung christi im nachtmal von gegenwertigkeit seines leibs und bluts desto sicherer glauben möchten. Denn weil Christus nicht mensch allein, sondern auch warer Gott ist und derhalben zur rechten Gottes des vaters sitzt nach beeden naturen, 80 kann er tun, was er will und laisten, was er zusagt und kann demnach auf ein sondere himlische weis, die uns menschen weder begreiflich noch ausprechlich ist, seinen leib und blut mit brot und wein laut seiner wort zu eßen und zu trinken geben, und hindert in hieran die ungleichheit der zweien unterschiedlichen naturen in seiner person oder auch sein himmelfart gar nicht. wie wir zwar die himlische wonung, wo die sey, uud wie es darinnen zugehe, nicht zu beschreiben wißen, sondern halten davon nach dem ge- schrieben steht, das Gott neu Himmel und erden zurichten oder schaffen werde, in denen gerechtigkeit wone?), und: „das kein auge gesehen habe und kein ohre gehört und in keines menschen herz komen sei, was Gott bereitet hat denen, die in lieben**). Und gedunkt uns die herrn theo- logen gehn diesfalls schier etwas zu weit, indem sie die stel- oder ort der himlischen wonung außer und uber das firma, ment setzen und Christo einen raum in demselben zueignen.

1) IXurz Bekenntnis D. Martin Luthers vom heil. Sakrament. 1544.

*) 9, Petr. 8, 18.

*, 1. Cor. 2, 9,

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Was sonst mer in dieser ganzen tractation bedenklich ‚der zweivelich und disputirlich sein mag, das wird die Zeit zu erkennen geben. Für unser person wifen wir sonderlich nichts mehr, das ein geferlichen streit oder zwitracht billich geben und geberen sollt. laßens derhalben zu diesem mal bey diesem kurzen einfeltigen bericht und bedenken wenden. Und bitten untertenig E.F.G. wöllens von uns einfeltigen kirchendienern gnediglich aufnemen, denen wir uns hiemit zugnaden untertenig bevelen.

E.F.G. untertenige gesorsame caplän Georg Karg, Cunrad Limmer, Johannes Unfug, Stephanus Notnagel, Stephanus Schnitzlein, Jacobus Vögelein, David Mederus, Barthol. Wolschendorf. Ansbacher Rel. Acta Tom. 33 p. I, fol. 32 ff. (geschrieben von Karg).

IV. Beilage.

MarkgräflichesBedenken über die Erbsünde. Ansbach 19. Okt. 1573.

Gestrenge, edel hochgelerte ernvest, hochachtbare gnedige und günstige gebietende Herrn. An den durehleuchtigen hochgebornen unsern gnedigen fürsten und herrn ausgangen schreiben eines erbarn rats zu Regensburg haben wir gelesen und seines inhalts vernomen, darinnen sie begeren, das s. f. gn. bei dero theologen diese gnedige anstellung tun wöllen, damit sie in der furcht Gottes nicht allein, wie bei inen von der erbsunde allen umstenden nach gelehret, sondern auch ir iudicium uber die vocabula substantiae und Accidentis oder qualitatis und ob dieselben in die Kirchen und schulen einzuführen, ob und was für ein unterschied sei zwischen der erbsünde und der Menschen verderbten substanz, und ob noch etwas gutes an des menschen natur nach dem fal sey; item ob die kirchen und schuldiener, 80 mit irriger meinung in diesem artikel von der erbsünde dehaft an iren conditionen zu dulden seien, anzeigen sollen. Nu denn E.G.u. G. unser bedenken hierin erfodern, erkennen wir uns dasselbig anzuzeigen schuldig und ist unser mainung:

Nachdem hochermelter unser gnediger furst und Herr mit zeitigem rat aus guten christlichen erheblichen ursachen in seiner f. g. furstentumb und lande kirchen ein corpus doctrinae und Normam judicii neulicher zeit ange- ordnet hat und die lehre von der erbsünde in demselben eorpore doctrinae richtig und also erklert ist, das daraus unzweivenlich zuverstehn, daß die erbsünde kein substantia,

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sondern zugerechnete ubertretung unser ersten eltern und zufelliger schad ist in des menschen natur, um welches willen der mensch für Gott schuldig und nicht allein zeit- licher sondern auch ewiger straf wert ist und deswegen ein großer bekantlicher unterschied ist zwischen des menschen natur, substanz oder wesen und zwischen der erbsünde, in maßen dann gelerter leut und namlich auch des Flacii bester freund judicia wider ine Flacium allbereit ain- helliglich ergangen sind, und also die haubtsach keiner sondern erklerung mehr bedarf, so referirn und ziehen wir uns, weisen auch die zu Regenspurk und andere auf jetztgedacht corpus doctrinae und sind urbietig zur antwort allen denen, so christlicher meinung bericht von uns begeren werden, in was artikeln stücken oder punkten desselben corporis doctrinae es sein möchte. Hielten auch dafür, wenn ein erbar rat zu Regens burg irem christlichen erbieten nach, das sie nemlich mit den kirchen dieser lande in der lehre gleiche correspondenz begern zu halten, solch corpus doctrinae mit iren kirchen und schuldienern annemen und willigen, es wurde inen dieses streits und sorge allerding abgeholfen sein und wurden ire kirch und schulen nochmals, wie zuvor, und ehe dieser greuliche manicheische und vor viel hundert jaren verdampte irrtumb durch M. Flacium wider verneuert und eingefürt worden, bei gesunder heil- samer lehre göttlichs worts in diesen und andern artikeln mit allen der augspurgischen confeßions verwandten stenden mit Gottes Hilf bleiben. Achten demnach, dass sie von E.G. u. G. anstat hochgedachts unsers g.f.u.h. zur bewilligung und subscription corporis doctrinae mit ubersendung ordenlicher verzeichnus aller desselben bücher auf der stat Nurnberg exempel bescheidenlich zuvermanen und gunstig darum zu ersuchen sein sollen. Auf solchen fall wurde alsdann ferner rat zufinden sein, wie es mit den wider- und eigensinnigen kirchen und schuldienern gehalten werden sollt, in maßen dieser punkt auch mit Nurnberg abgehandelt und erörtert worden ist. Bei diesem unsern bedenken on einige geferliche weitleuftigkeit bleibt es billich noch zur Zeit. Welche E. G. u. G. wir in untertenigkeit anzuzeigen nicht unterlaßen sollen und stellen diesen ganzen handel zu derselben fernern gefallen. E.G.u.G. untertenige gehorsame diener

Georg Karg, Conrad Limmer, Johann Unfug, Adam Franciscus“).

Ansbacher Religionsakte T. suppl II, 362. geschrieben von Unfug) T. XXXV, 114 (vom 19. Okt. 1573, geschrieben von Frauzisci).

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V. Beilage.

Markgräfliches Bedenken über die Angriffe Andreäs auf die Pfalz in Memmingen 1573.

Gnedige und gunstige gebietende Herrn. Wir haben der chur- und fursten pfalz!) Württemberg?) und Baden“) schreiben und dann auch der pfalzischen*) und Wurtembergischen Theologen“) Bücher ge- lesen und laßen die controversiam in der lehre billich auf ir selbs beruhen. Was aber belangt des churfursten am Rhein gefaBte ungnad wider D. Jacobum Andreae und ob D. Jacob auf der heidelbergischen theologen bekant nus antworten soll oder nicht, halten wir, daB hochstgedachtem churfursten zu solcher ungnad ursach genug gegeben worden sei Dann obwol D. Jacob sich warhaftig entschuldigt, daß er nicht die gantze kirchen und schul zu Haidel- berg, sondern allein die zwen abtrünnigen theologen Sylvanum und Neuserum gemeint, hat er doch Heidelberg und nicht die Theologen genennt, und also gesetzt, als ob die mahometische lehre ja so wol zu Haidelberg, als in Poln und Sibenburgen ohne scheu gefurt werde. Daran er ser unbedechtlich gehandelt. Denn weil er nicht kirchen und schul zu Haidelberg, sondern nur die zwu personen verstanden, sollt er die personen und nicht die stat genennt, viel weniger aber neben Polenund Sibenburgen, in welchen landen dieselbige lehre platz hat und geduldet wird, gesetzt haben. Nun ers aber also zusamen gefaßt, kann der leser, dem die handlung

) Damals Kollege des Pfarrers. M. Wenzeslaus Gurk- felder, de vita Adami Francisci primia condita schola abbatis Vit. 4. 15941. J. H. Falckenstein, S. 151. J. A. Vocke II, 44f. Layris, 8.49. Beiträge XIX, 124 fl. XVII, 62 ff. XXI, 175. Muck III S. 7ffl. Kons. Ansbach, Akta: Stadtpfarrei Ansbach 1526—1711. K. H. Lang III, 81. 345. 376. 379. 28. 9. 1559 in Wittenberg immatrikutiert. G. Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch. Leipzig 1895 II, 177.

1) An Ludwig 23. 12. 1574 A. R. A. 38, I, 74, an G. Fr. s. e. d. et 1. 83.

) An Friedrich d. d. Stuttgart 28.2 1574. fol. 80.

*) Karl v. Baden u. Statthalter zu Ansbach d. d. 10. 3. 1574. A. R. A. 88, I, 185.

*) Die ,Acta concordiae“ und „Bekanntnus der Theologen“. 5 Die „z wo christlichen Predigen“ A. R. A. 38, I, 89.

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mit den zweyen theologen zu Haidelberg unbekant, anders nicht gedenken, denn es werde mit der lehre da- selbsten zu Haidelberg wie in Poln und Siben- bürgen gehalten; können derhalben nicht hoffen, daß der churfurst mit D. Jacobs schriftlicher entschuldigung wol zu friden sein werde oder auch könne, wo nicht die er- klerung auch offentlich im druck fur die leut gebracht wird. Nachdem aber die haubtsach wichtig und derhalben doctori Jacobo billich zugelaßen wird, sein Gegenantwort mit christlicher Bescheidenheit non personalia sed realia tractando aufs kurzst, als sich immer leiden will, und doch mit gutem grund auf die heidelbergische bekanntnus zu tun, als halten wir, daß er auch zugleich ein erclerung zu seiner entschuldigung tun und anhenken oder mit einmengen sollte.

Was betrifft M. Benedictum Thalmann auch jetzt angeregter schwebender langkwirigen hochschedlichen controversien halben halten wir zwar, das die herrn rate auf dem Gebirg weislich gehandelt haben. Dieweil sich aber gedachter Thalmann!) auf seine praeceptores die theologen zu Wittenberg referirt und sich bei denselben ferners berichts zu erholen begehrt, hielten wir, es sollte im auf widerstellen vergunstigt und hierzu zwen monat oder sechs wuchen gegeben werden. Als dann wurde auf solchen bedacht und unterrede mit den theologen oder auch der- selben unterricht sein und der andern stipendiaten halben mit dem churfursten zu Sachsen desto fuglicher und statt- licher zu zuhandeln und die notturft mit den stipendiaten in gemein zu verschaffen sein.

Und stellen wirs in E. G. u. G. rätlich bedenken und zu derselben gefallen, ob sie ime Thalman auf solchen fall ein schreiben an die theologische facultet za Wittenberg neben uberschickung seiner bekantnus um abhelfung des gefaßten irrtums mitgeben wollen.

E. G. u. G. untertenige gehorsame Georg Karg, Cunrad Limmer, Johann Unfug.

Original von Kargs Hand Ansb. Rel. Acta Tom 33 p. I, fol. 263 £.

1) B. K. H. Lang III, 375.

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VI. Beilage.

Bedenken der markgräflichen Theologen über den Verständigungsvorschlag Wilhelms von Hessen. 1575.

Durchleuchtiger hochgeborner furst, gnediger Herr. Diese des churfursten bey Rhein?) und landgraf Wilhelms schreiben“), so E. F. G. uns um unser Bedenken zustellen laßen, betreffend weg und mittel zur Concordien in dem langwierigen hochsohedlichon streit vom heiligen Abend- mal unsers lieben Herrn und Heilands Jesu Christi, haben wir gelesen nnd halten fur ein fürstlich, christlich werk, das die bede chur- und fursten inen diese sach etwas ernstlich laßen angelegen sein, wie wir auch unsers teils nichts liebers sehen wolten, denn das durch Gottes gnad und schickung ein christliche einikeit getroffen und angericht werden mochte, welche gleichwol in diesem schwachen gebrechlichen alter der welt und bei so großen confusionibus entweder gar nicht oder doch schwerlich zu hoffen. Und tragen sonderlich sorg, es werde noch zur Zeit mit dem synodo, so wol speciali als generali, ungetan sein, wie zwar generalem synodum zu convieirn und zu halten in eines oder zweier fursten macht nicht steht, alle aber schwerlich darein willigen werden, sonder hielten dafur, das zuvor durch schriftliche tractation ein vorbereitung solte gemacht werden, solcher gestalt, das der landgraf als unterhendler die lehre, darumb es in diesem streit zu tun, in propositiones und artikel faßen ließe, wie es aufs formlichst und beste geschehen und zur einigkeit am forderlichsten geachtet werden möcht, und alsdann dieselbigen schrift und begriff bederseits deputirten theologis um ir judicium zuschickte und ubergebe, also das bede die Lutherischen und Calvinischen theologen samptlich doch jedes teil besonder in iren an sondern orten versammlungen ir meinung und bedenken darauf anzeigen und volgends jeder teil auf des andern meinung, so bald ime dieselbige hernach behendigt, sich ferner ercleren solten. Alsdann, wann solches geschehe, wurde zu sehen sein, wie nahe die Parteien beieinander und wie weit sie noch voneinander weren und wurde ferner darauf das colloquium und freundlichs gesprech und unterrede, wovern etwas fruchtbarlichs zu hoffen, anzustellen sein. Es konde doch auch ein colloquium und collation beBer nicht angestellt werden, den so den collocutorn ein kurtzer richtiger begriff

Y d. d. 21.1.1575 A. R. A. 88, I, 249? * d. d. 2. 1. 1575 A. R. A. 38, I, 246?

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der sachen in schriften forgelegt wurde. beßer aber were es, daß solches angeregter maßen zuvor geschehe und wenn hernach nichts guts zu hoffen, das colloquium unterlaßen und nicht ubel erger gemacht wurde. Will sich auch sonderlich nicht schicken ein colloquium im Wilbad zu- lelliger weis zu halten, weil man sonsten alle hend vol mit zu tun haben wird. Aber wie dem allem, so mogen Chur- und fursten wol zusehen, das durch dieses gezenk im römischen reich der religionsfried kein loch noch rys gewinne; an den auswendigen ist Deutschland sovil nicht gelegen als an den stenden des reichs. Derhalben mit sonderm vleiß darnach zu trachten, daß dieselben, soviel dero evangelisch, in der religion einig seien und keine spaltung unter inen selbs ein- reißen lassen, sondern wo irrunge und zwiespalt sich ereiget, dieselben nicht nur im schein, sondern vom grund heraus schleinig zu guter einigkeit bringen. Dis unser einfeltig bedenken haben E.F.G. auf dero gnedigs begern wir in untertenigkeit anzeigen wollen, denselben uns zu gnaden unterthenig bevelend.

E. F. G. untertenige gehorsame Georg Karg, Cunrad Limmer, Johann Unfug, Adam Franciscus.

Original von Kargs Hand Ansb. Rel. Acta 33 p. I, fol. 267 f.

VII. Beilage.

Markgräfliches Bedenken über die beab- sichtigte Widerlegung der heidelbergischen Schrift: „Bekanntnuß der Theologen —* 1575.

Durchleuchtiger hochgeborner furst, gnediger Herr. Auf E. F. G. gnedigen befel haben wir der Würten- dergischentheologen schrift und antwort auf der heidel- bergischen büchlein!) auch etliche daruber gestellte bedenken?) gelesen und sollen E. F.G. derengnedigen bevel nach unser bedenken darauf unangezeigt nicht laßen.

Und sovil erstlich die frag betrifft, ob zu antworten sei oder nicht, haben wir hievon vor dieser Zeit unser bedenken angezeigt, nemlich, daß es der sachen wichtigkeit erfodere mit bestendigem grund heiliger Schrift und doch auch mit christlicher bescheidenheit und aufs kurzest, als imer moglich, realia von personalia tractando zu antworten, und dabei auch, weil D. Jacobus Andreae in seinen zu

2) Bekanntnus der Theologen und Kirchendiener zu Heidelberg. 2) ARA. 83, I, 187, 195, 199, 207.

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Memmingen gethanen predigten Heidelberg neben Poln und Sibenburgen den Arianismum und Maho- metismum betreffend, unbedechtlich gesetzt und schier damit verglichen und also den churfursten bey Rhein dadurch heftig wider sich erbittert, eine entschuldigung und erolerung, welcher maßen es von ime gemeint, anzuhengen sei, sintemal der churfurst mit einer privatentschuldigung, wie zu be- sorgen, nicht zufriden sein werd noch künne, wie solchs in unsern ubergebnen bedenken weiter zu ersehen. Wie nu zum selbigen mal unser bedenken dahin gestelt, also ist es noch unser meinung. |

Ob aber die Antwort in D. Jacobi allein oder in der Wurtembergischen theologen namen ingemein gestellt werden soll, wiewol nicht groß darangelegen, halten wir doch, weil D. Jakob mit benennung der Stat Heidelberg anstat der zweyen apostaten den churfursten zu Zorn bewegt und derhalben seine entschuldigung billich offentlich tut, das auch die antwort vollend in seinem namen geschehen und ausgehen soll; sonderlich auch in betrachtung, daß der chur- furst sich viel weniger zu beschweren haben wurde, wenn einer allein und eben der, so zu solcher ungnad und er- bitterung ursach gegeben, antwortet, denn wenn sie alle samptlich sich des gezenks teilhaftig machten, welchs gewiß das ansehen haben wurde, als ob man sich wider die heidelbergischen vottirn und ein neues libelliren und gezenk erst recht anfahen wolte, das auch der herzog zu Würtenberg sich selbs gegen dem churfursten sovil deste statlicher zu entschuldigen hette, als daB solche ant- wort der entschuldigung D. Jacobi, welche dem chur- fursten in alweg zum besten gemeint, anhengig were, wie denn die entschuldigung auch one D. Jacobi verkleinerung, sintemal es nur ein erklerung und kein wideruf, ganz wol- geschehen kan.

Solt auch unsers bedunkens gar kein nachteil bringen, aller ding ohne gefar sein, wenn er nicht allein die wort erzele£ sondern auch die blätter des heidelbergischen buchleins anzeigete, weil doch die antwort ohne das auf dasselbig buchlein furnemlich gestellt sein, das werk und schrift selbs bezeugen wird und keineswegs vermentelt werden kan.

So mochte gleicher maßen auch die gesetzte warnung wider den Arianismum und Mahometismum aus Lutheri schriften bleiben und derselben obgedachte entschuldigung am fuglichsten angehenkt und einverleibt werden.

Was dann ferner den streit an ime selbst betrifft, ist es zwar ein jemerlicher handel und hoch zu beklagen, daß

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derselbige in so langen jarn nicht allein nicht hingelegt oder gerichtet werden können, sondern auch noch teglich zunimpt und gemehret wird, wie denn nicht allein uber dem h. hochwirdigen abendmal Pfalz mit andern stenden des römischen reichs sondern auch Wirtenberg mit Sachsen uber der person unsers heilands Jesu Christi noch heutigs tags und bis auf diese stund strittig ist. Aber solchs mußen wir, wiewol mit schmerzlichen gedanken Gott bevelen und jeden teil seine sach, so gut oder böse ers macht, verantworten laBen.

Eines móchten wir aber doch gerne sehen und wiDen in dr Würtenbergischen schrift: nemlich das die gegenwertigkeit unsers herrn Christi im abendmal, ob sie in den gläubigen bestendig oder nicht, desgleichen auch der unterscheid geistlicher und sacramentlicher niessung des leibs und bluts christi ausfürlich, eigentlich, grundlich und recht erclert wurde.

Dieses ist gnediger farst und Herr unser einfeltig be- denken, ob und welcher gestalt auf der heidel- bergischen buchlein und beschwerungsschrift von D. Jacobo Andreae zu antworten und wie furgelegte schrift der W urtembergischen Theologen zu emendiren und zu beßern sein möchte. Und halten in unser einfalt genzlieh darfur, es wurde vil weniger weitleuftigkeit geberen, und das mehr ist, viel mehr zu gutem fried und nachbar- schaft der chur- und fursten gegeneinander gereichen, wenn dem also nachgegangen, denn so es gestellter maßen etlicher gutachten nach verfertigt wurde. Doch steht es zu E. F. G. Gefallen und Verbeßerung, denen wir uns zu gnaden hiemit untertenig bevelen.

E. F. G. untertenige gehorsame Georg Karg, Cunrad Limmer, Johann Unfug, Adam Franciscus. Orig. v. Kargs Hand Ansb. Rel. Acta T. 33 p. I, fol. 265.

Brentiana und andere Reformatoria X. Von W. Köhler. 38. Ein Gutachten des Breslauer Reformators Johann Hess über das Abendmahl,

Dieses Gutachten des Breslauer Reformators Johann Hess ist seinem Biographen Jul. Köstlin unbekannt geblieben, Aber derselbe erwähnt in Zeitschrift des Vereins für Gesch. u. Altert. Schlesiens Bd. 12 S. 419 eine Abendmahlsschrift des Breslauers unter Berufung auf den Brief Bucers an Zwingli vom 14. Mai 1530 (Zwinglii opera ed. Schuler u. Schulthess 8, 452). Hier heißt es: opinor antehac nos tibi scripsisse Vratislaviae tertium ex primis Concionatoribus pro concione reetam de Eucharistia fidem defendisse. Das ist zwar zunächst unmittelbar auf eine Predigt (pro concione) zu beziehen, und es bleibt fraglich, ob dieselbe schriftlich fixiert wurde. Möglich ist letzteres, und ebenso möglich, daß das im folgenden abgedruckte „Gutachten“ den Inhalt dieser Predigt wiedergibt. Jedenfalls dreht sich das „Gutachten“ um ein ganz bestimmtes Problem: Kann das Abendmahl rein geistig im Glauben genossen werden oder ist die äußer- liche Handlung notwendig? Daß die im letzteren Sinne von Hess getroffene Entscheidung eine polemische Spitze hat, sagt das „contra Sacramentarios“ in der Ueberschrift ausdrücklich. Unter diesen „Sakramentierern“ sind zweifel- log die Schwenckfelder zu versteben, denen gerade dieses zum Vorwurf gemacht wurde, daß die äußeren Handlungen (Predigt, Taufe und Abendmahl) für sie überflüssig seien. Schwenckfeld selbst hat freilich die äußere Handlung fest- gehalten, aber eine überzeugende Begründung konnte ihm bei seiner schroffen Entgegensetzung von Aeußerlichem und Innerlichem nicht gelingen. (Näheres und Belege ausSchwenock- lelds Schriften bei E. Hirsch: Zum Verständnis Schwenckfelds in Festgabe für K. Müller 1922, S. 156 fl.). Vielleicht dart man angesichts dessen dem „volentes“ der Ueberschrift einen Nachdruck geben. Hess wirft nun den Spiritualisten die ganze Wucht der kirchlichen Tradition entgegen. Er benutzt die Gelegenheit, sich überhaupt über „das Aeußerliche* des Abendmahls im weitesten Wortsinne auszusprechen,

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konstatiert dabei Differenz der Kirchenväter in den ,Cere- monien, gebreng oder äußerliche zierd“, vermeidet aber seinem Zweck entsprechend jedes Eingehen auf die Lehrfrage. Vielleicht hat das zu dem günstigen Urteil Bucers über ihn beigetragen. Zeitlich wird man dieses Gutachten auf ca. 1530 ansetzen dürfen, selbst wenn Bucers Worte sich nicht auf es beziehen. Auch die Stellung innerhalb des Codex Suevo- Hallensis spricht für diese Zeit.

De cena domini Hessus Vratisla. [viensis] contra Sacra- mentarios volentes externum cene usum abiicere. probat impium esse; nam et veteres, eciam heretici, servarunt.

Von dem eusserlichen brauch des Nachtmals Jesu Christi auß den alten vettern zusamengetragen, nemlich auf Augustino, Hieronimo, Ambrosio, Cypriano, Tertuliano, Chrisostomo, Paulino!) Eusebio in eccle. histo. Trypartita histo. Cyrillo, Pascasio ?) etc. l

Der eusserlich brauch des nachtmals Christi ist alzeit beliben und bey keiner gmein, auch bey den offentlichen Ketzern, als da waren die Ophiter, Cataphryger und die Manicheer etc. nie abgethon, davon Augustinus de heresib. ad Quod vult deum.

Es haben sich auch solchs eusserlichen gebrauchs nit geeusert die Masaliani oder die Euchete, die doch lerten, das das sacrament zu nemen weder schaden noch nutz brecht. Davon Tipart II] histo. Lib. 7 ca 11°).

Es hettens auch die Christen bey der Zeit Tertuliani, der gelebt hat nach dem todt Christi 160 Jar, gut ursach gehabt, sich allein geistlich zu speysen und den eusserlichen brauch gar abzuthon, dieweil sie bezichtigt wurden, sie richten das brot zum nachtmal Christi zu mit eins unschuldigen Kindleins blut, welches sie derhalben erwurgten. Tertu. in Apolog. adversus gentes ca 7.

Darauß abzunemen, das die alten nit allein die geist- lichen niessung nach dem 6. capitel Johannis, sonder auch den eusserlichen gebrauch den Cristen von notten geacht, Darvon Augu. de peccatorum meritis et remiss. et ad Mar- cellum li. 1 cap. 24.

Was grosser miracul und wunderwerck die vetter dem

1) Pontius Paulinus v. Nola, dessen Werke 1516 erstmalig in Paris erschienen.

) Paschasius Radbertus, von dem Jan. 1598 eine Ausgabe bei Joh. Secer in Hagenau erschienen war. Vgl. mein Buch: Zwingli u. Luther, ihr Streit um des Abendmahl I, 1924, S, 567,

5) a.a. O. Ea tempestate Meesalianorum, quos cògzýraç id est Orantes appellant, haeresis est exorta.

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eusserlichen gebrauch zuschreyben, wer gar lang alhie zu- erzelen. Sihe darvon Cyprianum sermo 5 de lapsis et lib. 1 epistola 2 ad Cornelium Papam. Augusti. de civitate dei lib. 22 ca 8.

Wie Serapion von Alexandria on diß sacrament nit hat ersterben mogen, besihe ein wunderbarliche historien davon Euseb: in Eccles. histo. li. 6 ca. 34.

Es seind auch als glider Christi von der kirehen durch dise eusserliche entpfahung angenomen, die von den Ketzern unrecht getauft wurden. Davon Euseb. in Eccles histo. li 7 ca. 8.

In Summa:

Welche zum nachtmal Christi zugelassen sein oder nit, findestu darvon Augustinum adversus Faustum li. 13 ca. 16. Et libro de fide et operibus. Item Hierony. in Ezechielem prophetam capite 18. Dis alles bezeugt, das das nachtmal Christi auch in seinem eusserlichen gebrauch unabgethon verliben sey. Auch in den zeitten der grossen ketzereyen, verfolgung der Christen; darvon schreiben Paulus Orosius li. 7 histo., Philastrius de heresibus.

Es haben auch die alten vetter nach der leer der heilgen Apostel drey [seil. ding] zu disem nachtmal für nötig anzeigt.

Zum ersten.

Den Catechismum ein getreuwe gmeine leer und under- weysung der notigen artiekel einem Cristen zur seyligkeit zu wissen; mit solchen leertaffeln hat vor andern vil zuthon gehabt Augusti. li. de Catech. rudibus.

Zum andern.

Ein offentlicher ban und abtheilung von der gmein umb eins uneristlichen bekennens willen oder ergerlichen lebens oder boser that, niemandts verschonet, als wir sehen an den zweyen grossen kaysern Philippo et Theodosio. Davon Esebium [I] lib. 6 ca. 25, Tripar. histo. li. 9 ca 30. Das urteyl aber uber geist und hertz, ja, uber die heimlichen verborgen heuchlerey, dem menschen noch unerfarn, behelt im gott allein; derhalben mussen sich die geistlichen diener der kirchen wol fursehen, das sie got das verschlossen kestlin (darzu er noch niemandt den schlüssel geben hatt) nit angreyffen, darvon Pasca.!) de Cena domini ca 8.

Wie bey solcher gmeiner aufteylung einer dem andern offentlich abgebeiten und vergeben hatt, was sie widder einander gethon haben. Davon Chrisosto. in oracione pro beato Philogonio.

1) Paschasius, vgl. Anm. 2 vor. Seite,

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Zum dritten.

Ein gmeine almusen versorgung der elenden durftigen; dan bei den Zeiten Paulini in der kirch ein aigner disch gesetzt ward, den man nent den Tisch des hern, von welchem wir heut noch haben das geweicht saltz und wasser, welches auch die gericht alle sein fur die armen. Darvon Poncius Paulinus in libello de Gasophilacio.

Wie bey solcher gmeiner außteylung einer den andern offentlich gebetten und vergeben hatt was sie wider ein- ander gethon haben, darvon Chrisostomus in oracione pro beato philogonio.

Diese drey stuck haben fleissig und ordenlich gehalten die eristen bey den Zeitten Tertuliani. Darvon im apo. [logetico] ca. 2 et 39.

Was aber fur Ceremonien, gebreng, oder eusserliche zierd und Ererbietung bey den ersten kirchen nach den aposteln gehalten und furgenomen seind, kan man ein- trechtig nit zusumen lesen auß den buchern der alten vetter, die bey uns seindt.

Zum ersten von der Stell.

Haben etlich das nachtmal in der gmein offentlich ge- halten. Darvon Tertulianus li. 9 ad uxorem.

Auff einem Altar, darvon Augustinus libro 1 retract. ca. 2 et 12 adversus Hilarium tribunitum.

Auff ein Tisch, darvon Augustinus tractatu 84 in ca. Juvenis 15.

Bey den Grebern der merterer, darvon Augustinus lib. 6 Confes. ca. 2, et tractatu in Johan. 84.

Etlich aber daheim in iren aigin heusern. Darvon Eusebius Ecole. histo. lib. 6 ca. 34. Item Hieronimus in Apologia ad Pammachium et contra Jovinianum.

Zum andern, von der Zeit.

An welchem tag man es wirdig entpfaht, darvon Chrisosto. in oratione de beato Pbilogonio.

Allen tag haben sie das sacrament entpfangen zu Hom und in Hispanien. Darvon Hieronimus ad Lucinum et in apol. ad Pammachium.

Zu morgens fru haben die das sacrament gnossen, nit umb das nachtmal, wie Christus mit sein Jüngern. Darvon Tertulianus libro 2 ad uxorem et Augustinus in epistola ad Januarium de consuetudinibus ecclesiarum.

Zum dritten von Personen, die es entpfangen haben.

Nit allein den alten, verstendigen menschen, sonder auch den kleinen Kindern haben Cyprianus und Augustinus das sacrament gereicht. Darvon Cyprianus de lapsis, Augustinus

145 305

de Trinitate li. 3 cap. 10. Et de baptismo parvulorum ad Marcellinum lib. 1 cea. 20 Et adversus Julianum in multis locis.

ltem Hymnos haben sie bey dem altar gelesen. Augustinus lib. 1 retract. cap. 11 contra Hilarium.

Iten [I] wen man das sacrament hielt, ehe man es reicht, schri einer auß den Dienern: Sancta Sanctis, Darvon Cyril. in ca. 20 super illud Johannem: [!] Noli me tangere; Die das Sacrament entpfingen antworten: Amen. Euse. li. 1 ca. 8.

Die personen, so das Sacrament gereicht haben.

Dise, die das Sacrament gereicht haben, seind gewesen die lurseher der gmeindt, aus welcher henden die gmeind das Sacrament entpfangen. Darvon Tertulianus de corona militis. Dise haben mußen frome menner, grosses verdinsts, vol gutter werck sein. Hieronimus in Sophoniam ca. 3 et Ambrosius de viduis. Wiewol auch etlich auß iren selbs benden das sacrament entpfangen haben. Darvon Ambrosius ad Theodosium imperatorem in tripartita historia li. 9 ca. 30. Cyprianus sermo 5 de lapsis, Eusebius li. 6 ca. 34.

39. Fragstuck küngin Marie von Ungern zu sampt D. Martini Luthers antwort. Anno 1530.

Ueber diese Fragstücke und ihre Beantwortung ist das Nötige schon von Enders: Luthers Briefwechsel Bd. 8 Nr. 1732 vgl. Nr. 1742 bemerkt worden. Der Codex Suevo-Halensis kommt nur zu der dort verzeichneten handschriftlichen Literatur hinzu. Da er nun aber auf den gleichzeitigen Papieren von Brenz u.a. fußt, erhebt sich die Frage, ob die Bezeichnung des deutschen Textes als „Uebersetzung“ durch Enders richtig ist und nicht vielmehr der deutsche Text der ursprüngliche ist? Die Originale sind verloren. Für die Antwort Luthers dürfte die Kennzeichnung des deutschen Textes als Uebersetzung richtig sein (vgl. zu Punkt5 die Wiedergabe des lateinischen multo minus mit dem un- gelenken „vil weniger gnug"); für die Fragstücke selbst halte ich das Gegenteil nicht für unmöglich. Die Frage müßte auf Grund der handschriftlichen und gedruckten Ueberlieferung neu geprüft werden. Auffallend ist, daß im deutschen Texte Frage 4 und 5 mit dem Coelestinschen Texte (bei Enders a. a. O.) stimmt. Im Interesse künftiger Lösung des Problems gebe ich die inhaltlich schon bekannten Texte im Wortlaut.

Fragstück küngin Marie von Ungarn zu sampt D. Martini Luthers antwort, Anno 1530.

Arehiv für Reformationsgeechiehte. XXII */. 90

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1.

Zum ersten, ob es gnug sei das Sacrament under der gstalt des brots allein zu nemen und nicht von noten aus dem kelch zu drincken sey, dieweyl mans verbotten hatt, auß dem kelch zu drincken.

2.

ltem wan eins beide begert und im den kelch nit reichen will, obs vor gott entschuldigt, und gnug sey allein under der gstalt des brots zu nemen, oder obs weytter ziehen soll, da mans im gern gibt.

Oder ob mans heimlich in der kamern nemen muge

und nicht offenlich bekennen durffe. 4.

Item dieweyl an etlichen ortern durch die oberkeit so hoch verbotten auß dem kelch zu drincken, obs fur got gnug und auß geredt sey, das auß gehorsam oder sorg der straff underlassen oder nur under der gestalt des brots zu nemen.

ltem wen eins nit sonder verlangen beyder gestalt zu entpfahen, obs gnug sey under gestalt des brots bey gemeinem gebrauch zu beleyben.

Antwort D. M. L. von Wittemberg gen Augspurg geschickt.

Quare non respondetis ipsi vos ad questiones missas ad me? Sed der krenckst muß das liecht halten.

Aufs erst wo yemant des gwiD ist, das beyder gstalt brauch des Sacraments ein gotliche ordnung und bevelch ist, und das einer gestalt brauch des sacraments ein gotliche ordnung und bevelch ist, der selbig, dieweyl er gottes beveleh so gwi weyB, sol nicht achten, das man die ein gestalt verbotten hatt; dan man muß got mer gehorchen dan dem menschen.

Auffs ander, wu yemand den kelch begert und im ver- sagt wurdt, ists nit gnug, das er die ein gestalt nem, sonder ist besser, er gang dahin, da mans im gern reicht; oder wu er das nit thon kan, ists besser, er las ein gestalt farn und nieß des Sacraments dieweyl geistlich, nemlich mit dem glauben, sich sterck durch die wort des sacraments und betrachtung des hern leidens.

Auffs drit soll man das Sacrament nicht lassen heimlich oder in geheim reichen oder entpfahen; dan Christus hats. eingesetzt zum offentlichen ampt, sein dabey mit predigen und bekennen zu gedenken, wie er spricht: solchs thut zu meinem gedechnus, das ist, wie es Paulus deuttet, 1 Cor. 11: den todt des HERRN zu verkündigen,

147 307

Auffs vierdt: Niemandt ist damit entschuldigt, das im sein oberkeit so hart den kelch verbeut, als solt hie der gehorsam und forcht der straf uns außreden mogen, dan widder gottes wort soll man kein gehorsam leysten einiger Creatur, den das wir die creatur uber got gesetzt.

Auffs funft wan einer nicht sunder verlangen hatt beyder gstalt zu entpfahen und mocht wol im lassen an der einen gstalt allein gnugen, das ist vil weniger gnug; dan das Saerament ist nicht eingesetzt zu brauchen, nach dem wir verlangen oder nicht verlangen darnach haben, sonder es soll gebraucht werden nach dem bevelch und gottes wort, den es steet nicht in unser macht, noch auff unserm werck oder verlangen, sonder in gottes befelch und auff seinem wort.

40. Aufzeichnungen und Gutachten zur Abendmahlsfrage 1530.

Diese Quellenstücke hängen mit den von Bucer ge- führten Unionsverhandlungen zwischen den Lutheranern und Zwinglianern zusammen. Die beiden ersten handeln von der communio sab utraque, das zweite ist ausdrücklich als von Melanchthon herrührend bezeichnet, das erste, anonyme, bedeutet eine Quellensammlung, z. T. an Ort und Stelle aufgenommen. Den in C. R. II Nr. 864 abgedruckten pro- positiones folgen die bei Enders 8 Nr. 1761 als Beilage mitgeteilten propositiones, mit dem Zusatz: quos scripsit Bucerus, cum in hospicium suum rediisset, priores (vgl. C. R. II. Nr. 864) mutans. Vgl. zu demselben die von Enders a. a. O. Nr. 1760 Anm. 5 beigebrachte Stelle aus dem Briefe Bucers an den Landgrafen vom 27. August. Da Brenz bei der Unter- redung zwischen Bucer und Melanchthon zugegen war, er- klärt sich das Vorhandensein der propositiones im Cod. Sue vo- Halensis ohne weiteres. Wir haben hier die älteste Version der für die Abendmahls kontroverse wichtigen Artikel. Das rechtfertigt den Abdruck.

Cusanus) epistola [die Zahl ist ausradiert] ad Boemos de Sacramento Cene sic seribit:

[Ine:] In primitiva ecelesia omnes Christiani quottidie ....[Explic.] Calieis tantum benedictionem.

Cusanus 3 epistola ad Boemos.

[Ine:] Christum Johannis 6 non loqui de Sacramentali Manducacione [Expl.] in sexta generali synodo positam.

Verba Concilii Basiliensis?) [Ine:] Non est intencionis sacri concilii permittere

1) Nic. v. Cusa, dessen Werke mir in Zürich nicht zugänglich sind. Es muß sich um die RE“ IV 361 erwähnten epistolae handeln, 1514 waren in Paris die Werke des Cusanus in drei Bünden erschienen.

) Vergl. Hardouin: Concil Collectio VIII p. 1244.

20*

308 148

communionem sub duplice specie. [Explic.] digne sumenti- bus atilis et salutaris.

Auguste in Bibliotheca s. Mauricii!) reperiuntur hec verba in libro, cui titulus est: Racionale divinorum).

[Ine:] Seiendum est omnibus et stricte tenendum, quod per totam istam hebdomadam omnes Neophyti . . [Expl.] et in mortis articulo tribuatur.

Cusanus in 2. Tomo scribit, quando approbatum sit, quod una tantum species sacramenti laicis defur, videlicet Anno 1215. Nam ita ait: Dico, quod magna et plenaria tocius [etc. Explie . . .]per C. Omnis utriusque Sexus approbavit.

Sed quando incepit, hoc non scribit. Pro utraque specie Philippus Melanchton.

Sunt quedam de utraque spezie raciones pronuete leves et inepte citatis seripturis.

1. Cesarea Maiestas cogitet his racionibus non tolli ius divinum.

2. Itaque nos non possumus consentire, uf altera species prohibeatur.

3. ab5rotg i. e. exageracio, quia non sitinordinacionibus divinis temere aliquid imutandum aut inmutanti consenciendum.

4. Multominushec probare possumus, quod illiscripserunt, esset abusus dare utranque speciem. Hoc exaggaretur. Non est abusus vocandus institutum Christi.

5. In conclusione addatur: Qui solverit unum demandatis minimis, minimus erit in regno celorum.

Pro utraque specie.

1.Quia estclarus textus Evangelistarum et Christi institucio.

2. Quod sic servatum est in tota ecclesia sanctis patribus et episcopis ultra mille annos.

3. Neque liquet a quibus.

Proposiciones,quas seripsit Bucerus, cum in hospicium suum rediisset priores mutans.

Transsubsfanciacionem negamus.

2.

Item negamus corpus Christi localiter esse in pane,* ut si quis imaginetur ita in pane contineri corpus, sicut vinum in vase aut flammam in ferro candenti.

3.

]nterim tamen affirmamus Christi corpus in cena vere

adesse et Christum reipsa presentem vero corpore suo veroque

1) Ueber die S. Moritzkirche in Augsburg vgl. Fr. Roth: Augs- burgs Reformationsgesch, 2, Aufl. 1901 8. 296.

3) Gemeint ist Guilelmus Duranti: Rationale divinorum officiorum, von dein es zahlreiche Ausgaben gab, vgl. dort lib. 6 cp. 89.

149 309

Sanguine nos pascere verbis ad hoc suis, que ministri reci- tant, et sacris simbolis pane et vino utentem. 4.

Ut in baptismo virtutem regeneracionis, ita symbolis Eucharistie ipsum Christi corpus ef sanguinem exhiberi con- fitemur.

5.

Percipi vero hec dicimus xoi pehi xai ntt niote, ut Cyrillus inquit!) Et si non abhorreamus ab his Chry- sostomi?) verbis: „O ingens miraculum, o magnam dei benevolenciam erga nos! Is qui sedet supra cum patre, illa hora omnium manibus detinetur. Et dat se volentibus circumdare et complecti.“ Et si que sunt similia, verum ea quemadmodum hie idem docet?) sic intelligimus, uf abiecta omni carnali cogitacione in celestibus hee geri et nuda anima puraque mente cerni dicamus.

6.

Fatemur quidem cum D. Augustino") Christum esse in loco aliquo celi propter verum eorporis modum; nihilominus famen vere ac re ipsa ef in cena presentem agnoscimus, non localiter tamen, sed modo huic sacramento proprio (per verba, sed oredita, et Symbola, sed fide percepta). Utrinque enim confitemur sacramenta in usu tantum esse.

7.

Pactum enim, quo credimus pane et vino proposito nobis adesse et porrigi Christi corpus et sanguinem, istuc cum his solum esse inieium*), pro quibus hec immolata sunt, verba Evangelistarum testantur.

8.

Fatemur tantum eciam eos, qui fide prediti sunt, ita se posse circa hec sacra non ex fide habere, ut nihilominus rei evadant corporis et sanguinis domini, non absencium, sed presencium.

9.

Omnino namque Christianorum sacramenta presentis

Christi, non absentis signa sunt et testimonia.

41. Strasburg, Costnitz, Memmingen Lindaw bekantnus von dem Sacrament des leibs und bluts Christi = Confessio Tetrapolitana ep. XVIII

1) Cyrillus Alexandr. ad obiectiones Theodoreti, zitiert in Oelo- lampads Dialogus.

*) De dignitate sacerdotum ebenfalls bei Oekolampad.

3) tract, 80 in Joh.

*) sic! Lies: initum.

310 150

(Müller: Bekenntnisschr. S. 72, mit geringen Abweichungen,

nämlich:

13. Von Christi] Von disem

18. solichs fehlt

19. nement vnnd essent

20. Trinckend darauß alle Diser kelch ist das neuw testa- ment in meinem blut etc.

21. zu drincken

22. bleib

23. durch ihn fehlt

24. ewiger

27. solicher ] diser

29. heilgen. unnd [vor: seien] fehlt; auch under uns statt daher u. u.

30. heilgen.

31. desgl.

36. verkern vnd zerreyssen

37. abentmal vnd also heilig] hochwirdig

38/39. mit grossem vleiß unnd ernst] fleyssig lern solchs wort einfeltigs

40. glos

41. eingesetzt der] irer

43. seins] seyen ofternmal

44. merer

45. darbey

47. in andern weyttern

Ulmenses propriam confessionem obtulerunt?).

Nurnbergenses

Reutlingenses

Campidonenses

Heilbronenses

Wintzheimenses

Weyssenburgenses

Subscripserunt confessioni principum.

) Vgl. dazu Th. Kolde: Die älteste Redaktion der Augsburger Konfession, 1906, S. 113: Joh. Rurer an Althamer: Ulma sola aliam €t a nostra et Argentinensi Apologiam exhibuit. Vgl. Anm. 4 ebenda, woselbst weitere Zeugnisse. Ferner W. Gussmann: Quellen und Forschungen zur Geschichte des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses I 1911, S. 188 ff, (Hier alles Nähere über die Ulmer confessio.)

Mitteilungen.

Neuerscheinungen.

Daß Karl Müller an die Neubearbeitung seiner „Kirchen- geschichte" herangetreten ist, ist auch im Hinblick auf die Refor- mationsgeschichte zu begrüßen, auch wenn der Verfasser zunächst an die älteste Kirchengeschichte die bessernde Hand angelegt hat; handelt es sich doch um die Entstehung jener Kirche, gegen deren spätere Entartung Luther in die Schranken trat und die er zur ursprünglichen Einfachheit und Reinheit zurückzuführen trachtete. Die vorliegende 1. Lieferung, die die Zeit bis Konstantin (1. Urchristliche Kirche auf dem Boden des Judentums und seines Anhangs; %. Entstehung der altkatholischen Kirche) umfaßt, liegt in völlig neuer Gestalt vor; wie Verfasser selbst sagt, sind kaum ein paar kleine Sätze oder Satzteile von der ersten vor 32 Jahren erschienenen, wesentlich kompendiöser gehaltenen, Auflage stehen geblieben. Welch’ eine gewaltige Arbeits- leistung das bedeutet, sieht ein jeder. Möge dem verehrten Verfasser seine Arbeitskraft und Frische auch für die Fortsetzung treu bleiben! Tübingen, Mohr (P. Siebeck) 19984. XII, 316 S. (= Grund- riß der theol. Wiss. 2. Abteilung Kirchengeschichte ], 1).

G. Lenz, Die Bedeutung des Protestantismus für den Aufbau einer allgemeinen Staatslehre (Tüb., Mohr [P. Siebeck] 1924. 47 8. = Samml. gemeinverst. Vorträge usw. 112) stellt in weit ausgreifender Untersuchung (auch über die Anfänge Roms wird in eigenem Exkurs gehandelt) die protestantische Idee als Erkenntnis- prinzip der politischen Welt hin.

Die feinsinnige Studie von K. Aner, Das Vaterunser in der Geschichte der evangelischen Frömmigkeit verzichtet darauf, ihren Stoff durchweg periodisch anzuordnen. Sie schlägt statt dessen den typologischen Weg ein und betrachtet nacheinander den kate- chistischen, symbolistischen, spekulativen und monumentalistischen Typus. Ihren Ausgangspunkt aber nimmt sie von Luther, wie ja das Gemeinsame der evangelischen Vaterunserbewertung der Gegensatz gegen die kultische Formelhaftigkeit der katholischen Kirche ist. „Und ist Jammer fiber Jammer", sagt Luther, „daß solch Gebet solches Meisters soll also ohne alle Andacht zerplappert und zer- klappert werden in aller Welt“ usw. Wie dem gegenüber in der evangelischen Kirche das Vaterunser gleichzeitig oder nacheinander als ein Mustergebet, als ein Ansporn und Leitseil frommer Meditation,

312 152

als Inbegriff des gesamten Christentums, als Ausdruck idealistischer Religions- und Moralphilosophie, endlich als ein Denkmal von Klassi- zität und Einzigartigkeit, ein Letztes, Unüberbietbares, zu dem unser Gebet aufsteigt, erscheint, zeigt der Verfasser an den Zeugnissen der Hauptvertreter evangelischer Frömmigkeit. Tübingen, Mohr (P. Siebeck) 1924. 48 S. (Samml. gemeinverst. Vorträge u. Schriften aus dem Gebiet der Theologie u. Religionsgesch. 109).

Den Reichtum der in der Bibliothek der ev. Nikolauskirche in Isny vorhandenen Drucke aus den Jahren 1518—1529 erschließt O. Lenze durch sein allen Anforderungen genügendes Verzeichnis dieser Drucke. Es enthält 840 Nummern, darunter ist Luther 69, Zwingli 21, Erasmus 19, Melanchthon 17, Oekolampad 15, Franz Lambert 9, Karlstadt 7 mal vertreten. Auch Bugenhagen, Schatzger, Jakob Strauß u.a. sind mit einer Mehrzahl von Werken vorhanden. Als Druckorte stehen Basel, danach Straßburg und Wittenberg in vorderster Linie. Eine Anzahl der Büchertitel ist abgebildet. Isnyer Reformationsdrucke ... im Auftrag des Kirchengemeinderats bearb. von O. L., Isny, Selbstverlag des ev. KGR. 1924. VIII, 138 8.

Mittels Darbietung einer sich auf das wichtigste beschränkenden Auswahl aus der Fülle der Lutherbriefe das evangelische deutsche Haus mit diesen eigentlich erst bekannt zu machen, ist der Zweck der von G. Buchwalds Kennerhand dargebotenen Sammlung. Sie bringt, die lateinischen in flüssiger Übersetzung, 478 Nummern, die uns den Reformator von seiner ersten Messe (aus Erfurt 22. April 1507 an Joh. Braun) bis in die letzten Tage seines Lebens (aus Eisleben 14. Februar 1546 an die Gattin) vorführen und sozusagen seine ganze Persünichkeit unmittelbar vor unser Auge bringen, Den Texten folgen die notwendigsten Erläuterungen und, besonders willkommen, ein alphabetisches Verzeichnis der Briefempfünger, bei deren jedem in aller Kürze das Notwendigste über seine Beziehungen zu dem Brief- schreiber binzugesetzt wird. D. Martin Luthers Briefe, aus ge- wählt von D. Georg Buchwald. Mit 1 Bildn. und einer Hs. Leipzig- Berlin, B. G. Teubner, [1924]. V, 387 S. geb. M. 7,—.

Auf den von der Buchhandlung des Waisenhauses in Halle in Rot- und Schwarzdruck sorgfältig veranstalteten Faksimile-Neu- druck des Enchiridion (Der kleine Catechismus für die gemeine pfarher und Prediger D. Mart. Luther. Wittenberg. Gedruckt Nick. Schir(lenz] 1536) mit zahlr. Holzschnittbildern und -Initialen seien Lieb- haber derartiger Nachbildungen hingewiesen, 1288, 89. 1924, M. 6,—.

Der neueste, dem vorigen nach vier Jahren gefolgte Teil des Standard-Werkes unseres Landsmannes jenseit des Weltmeers, J. M. Reu, über die ,Quellen der Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 u. 1600" bringt (als Schluß der Katechismen von Ost-, Nord- und Westdeutschland) die Katechismen von Ostfriesland und die rheinisch-westfülischen Ausarbeitungen. Dazu kommen Nach-

153 313

träge zu den in allen drei Teilen von Ost-, Nord- und Westdeutschland dargebotenen Katechismen. Ihre volle Würdigung werden diese literarischen Schätze ja erst finden können, wenn die historisch- bibliographische Einleitung vorliegen wird, die, wie zu hoffen, mittler- weile in Druck gegangen ist. I. Teil Quellen: 3. Band (Ost-, Nord- u. Westdeutschland), 2. Abt. (Texte), 3. Teil mit Nachtr. zu allen Bänden,

Gerhard Ritter, Luther, Gestalt und Symbol. München, F. Bruckmann AG., 1925. 164 S. (kart, M. 4,—, Lwb. M. 5,—.) In schöner eindringlicher Sprache, unter reichlicher Verwendung der Kernsprüche seines Helden selbst, schildert uns der Verfasser unsern Dr. Martin Luther, wie er, in langsamem Ringen über das Mittelalter herausgewachsen, in die zerspaltene, kampfdurchtobte deutsche Welt eintritt, das Wort Gottes aus den ursprünglichen Quellen zurückholt und, in Rom zum Ketzer gestempelt, zum Helden seines Volkes wird, als solcher in der Schicksalsstunde zu Worms die volle Schwere der ungeheuren Verantwortung für sein Tun und dessen eine Welt erschütternde Folgen auf sich nimmt. Dann das „tiefe Atemholen* auf der Wartburg, bevor die Sturmjahre hereinbrechen, die die Zeit der großen Hoffnungen beenden, ohne doch Luther von sich selbst und seinem Werk zum Abfall zu bringen. Klangfarbe und Tonart seines Auftretens haben sich zwar seit 1525 fühlbar verändert, aber das Thema ist das gleiche geblieben und bleibt das gleiche in dem „grauen Alltag“ der letzten 20 Jahre, unter dessen Druck er eine ständig zunehmende Riesenlast getragen hat, ohne daß doch diese oder die schweren Entscheidungen, vor die sich der Reformator noch ge- stellt sah (Marburg 1529), noch die mancherlei Enttäuschungen, durch die er hindurchging, die Zuversicht seines Glaubens erschüttern oder den Reichtum seines Gemüts zu ersticken vermocht haben. Welt- überlegen steht er da, weil im Innersten ihm ewige Sterne leuchten, aber eben darum auch festen Fußes sich aufstemmend auf dieser Erde. Und so ist Luther wir selbst, ist der ewige Deutsche und nur wir Deutschen vermögen seine Bedeutung ganz zu erfassen, weil nur, wer seines Blutes und Geistes ist, ihn aus der Tiefe seines Wesens ver- steht, Dem kräftigen Buche, das wie ein Weck- und Mahnruf sich an unser tief gedemütigtes Volk wendet, werden zahlreiche Leser sicherlich nicht fehlen.

Henri Strohl, L'épanouissement de la pensée religieuse de Luther de 1615 à 1520. An eine frühere Studie über Luthers innere Entwicklung bis 1515 anschließend, behandelt Verfasser an der Hand der Sehriften Luthers, neben denen auch die äußeren Umstände und Zeitbegebenheiten nicht aufer acht bleiben, die Entstehung des Kommentars zum Römerbrief, den Ablaßstreit, endlich die Heraus- bildung des Kirchenbegriffs Luthers bis 1520. 424 S. (= Etudes d'histoire et de philosophie religieuses, publiées par la faculté de théologie protestante de l'université de Strasbourg fasc. 9. Straßh. u. Paris 1924 Librairie Istra).

314 154

„Für Luther ist sie die rechte Frau gewesen und erst in der Ehe mit ihr ist er der ganze Luther geworden. Der gewaltige Dr. Martinus . . . hätte ja keiner Katharina von Bora bedurft, um die weltgeschicht- liche Persönlichkeit zu werden, die er ist; aber der liebe Herr Doktor, an dessen trenem deutschen Gemüte wir uns erfreuen, ist ohne seine Käthe undenkbar.“ In diese Worte klingt E. Krollers schönes Buch über Katharina von Bora, Martin Luthers Frau, Ein Lebens- und Charakterbild aus, das im gegenwärtigen Gedenk- jahre der Eheschließung Luthers in 2. Auflage erschienen ist, ohne grund- legende Änderungen, aber im einzelnen sorgsam durchgesehen un- streitig das beste und gediegenste bringend, was über die Lebensgeführtin Luthers gesagt werden kann. Zwickau, J. Hermann 1925. IV, 279 S.

Otto Sartorius, Die Nachkommen D. Martin Luthers. Mit Anhang eines seiner Äste und Zweige (Schede) bis zur Gegenwart. Zum 400. Ehejubiläum des Ref. 24 8. 1925. Selbstverlag (50 Pf.). Stellt in Fortführung der Forschungen Aug. Nobbes, Vfs. des „Genealogischen Hausbuchs der Nachkommen des D. Martin Luther“ (zuletzt 1871) fest, daß gegenwärtig in 128 Orten unter 116 verschiedenen Familiennamen fast 500 Nachkommen Luthers vorhanden sind und gibt die genaue Liste der Abstammung des Zweiges ,Schede". Die Nachkommen des Ref. mit dem Namen „Luther“ siud 1759 erloschen. Dazu tritt ein von dem Nümlichen aufgestelltes alphabetisches Namensverzeichnis der 485 ermittelten lebenden Nachkommen L's. („Die heutigen Nachkommen D. M. L.“, 1995, 20 S. Selbstverlag, 40 Pt.).

Für die Loci communes Melanchthons ist man noch gegenwärtig an die Ausgabe gewiesen, die zuerst 1864 G. L. Plitt veranstaltete und die dann Th. Kolde in 2. (1889) und 3. (1900) Auflage in wesentlich umgearbeiteter Gestalt wieder vorlegte. Nun hat der Verlag von der letzten Auflage einen Nendruck veranstaltet (Die loci communes Philipp Melanchthons in ihrer Urgestalt nach G. L. Plitt. Von neuem herausgegeben u. erläutert von D. Th. Kolde. 4. Aufl. Leipzig. Deichert [W. Scholl] 1925. VIII, 267 S. M. 4.50). Es handelt sich um die ursprüngliche Fassung der klassischen Schrift und zwar liegt seit der 8. Aufl. die Oktavausgabe von 1521 zugrunde. Dem Text geht Koldes Skizze der theologischen Entwicklung Melanchthons bis 1521 vorauf. Da eine Neubearbeitung des Loci von anderer Seite in absehbarer Zeit schwerlich za erwarten ist, so wird die bewährte Arbeit der beiden verstorbenen Lutherforscher sicherlich auch in Zukunft, besonders den Theologiestudenten, gute Dienste tun.

Von dem ursprünglich geplanten Gesamtwerk „Der geschichtliche Hutten und seine Umwelt", das zugleich als eine Art Einleitung in die Geschichte des 16. Jahrh., zumal der deutschen Reformation gedacht war, hat P. Kalkoff zunächst 1920 als besonderes Buch „Ulrich von Hutten und die Reformation“ veröffentlicht (vgl. diese Zeitschr.

155 315

XVII S. 287 f). Daran schließt sich nun das Werk „Ulrich von Huttens Vagantenzeit und Untergang“, das einerseits den Lebensumständen des Ritters nachgeht und sein Verhalten würdigt, andererseits den kulturgeschichtlichen Hintergrund aller der Lebens- kreise, in denen Hutten sich bewegt hat, zeichnet. Die unvergleichliche Quellenkenntnis, die Kalkoff über diesen Zeitraum besitzt, ermöglicht ihm, das bisher bekannte Bild mit einer Fülle neuer Züge zu be- reichern, ja zum Teil ganz neu zu gestalten, vor allem vielfach un- geahnte Verbindungslinien zu ziehen. Verwiesen sei u. a. auf die Schilderung der Zustände der Reichsabtei Fulda im 2. und die der Universität Mainz und des damaligen Humanismus im 6. Kapitel. Ein 1. Kapitel behandelt die Entstehung der „Legende“ von Hutten und Sickingen, deren Vernichtung ja eins der Hauptziele des Vf. ist, Auf- fällig bleibt, daß letzterer einer Betrachtung der literarischen Tätigkeit und Bedeutung Huttens sich im Zusammenhang durchaus entschlägt, so daB von einer abschließenden Würdigung Huttens als Gesamt- erscheinung durch Kalkoff nicht die Rede sein kann. Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1925. XII, 423 S,

Aus den nämlichen Studien P. Kalkoffs ist ferner die kurz nach ,Huttens Vagantenzeit“ herausgegebene Schrift erwachsen „Die Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V.“ (Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1925. X, 307 S). Das Werk (von dem der Vf. in kurzer Zusammenfassung das Wesentliche schon in dem Aufsatz „Die Kaiserwahl Friedrich des Weisen am 27. Juni 1519“ jn unserer Zeitschr. XXI S. 133 ff. mitgeteilt hatte) gipfelt in dem Nachweis, daß am genannten Tage Kurfürst Friedrich in rechtsgültiger Weise zum römischen König gewählt worden ist und diese Wahl (die er durch Abgabe seiner Kurstimme für sich selbst herbeiführte) auch angenommen hat. Innerhalb weniger Stunden aber wandelte sich dann das Bild, indem die spanische Partei, der das verrüterische Ge- bahren des Kurfürsten-Erzbischofs von Mainz im Einverständnis mit dem Stiftsadel den Aufenthalt und die Festsetzung in seinem Ersstift uneingeschränkt gestattet hatte, Gelegenheit fand, ihre Drohungen mit Gewaltmafnahmen bis unmittelbar in die Wahlstätte gelangen zu lassen und so zunächst den „Umfall“ des Pfälzers herbeiführte, der die Abdankung Friedrichs zur Folge hatte. Kalkoff betont, daß dem Sechsen als römischem König drei europäische Mächte, Frankreich, der Papst und die Eidgenossen zur Seite gestanden hätten, er auch des Wohlwollens Englands und Venedigs und einer starken Partei unter den Reichsständen sicher gewesen wäre, nicht minder auf die finanzielle Unterstützung des deutschen Bürgertums hätte rechnen können. Die sonstigen Folgen der Behauptung Friedrichs, des Schützers Luthers, an herrschender Stelle und der Ausschließung des Habsburgers von Deutschland, dem Karl so verhüngnisvoll] geworden ist, lassen sich ja kaum ausdenken! Daß auch im übrigen die Geschichte jener Königswahl, der darauf einwirkenden Verhältnisse und in sie

316 156

hineinspielenden Fragen durch K.s eindringende Forschung gefördert wird, bedarf kaum der Erwähnung.

Die bedeutsame Rolle, die in dem Ehehandel Landgraf Philipps Martin Bucer, derjenige Theologe, der dem Hessen unter allen am nächsten stand, gespielt hat, ist zwar im einschlägigen, fast überreichen Schrifttum keineswegs übersehen, aber doch noch nicht für sich allein behandelt worden. So glaubt Hastings Eells eine Lücke auszu- füllen durch seine eingehende Studie The attitude of M. B. toward the bigamy of Philip of Hesse (Yale, Historical Publications, Miscellany XII vol. 7: London, H. Milford (New Haven, Oxford) 1924. VI, 953 S.) Verfasser kommt, auf dem Briefwechsel zwischen Philipp und Bucer und den Schriften des letzteren fußend, unter Berück- sichtigung des wichtigeren Schrifttums zu dem Ergebnis, daß Bucer seine (bedingte) Zustinmung zur Doppelehe eben auch aus Mitleid mit der Seelenpein des Landgrafen gegeben hat, Daß politische Erwä- gungen seine Haltung bestimmt haben, ist nicht nachgewiesen, wie denn Bucer in dieser Angelegenheit persönlich durchaus rein und unanfechtbar dasteht.

Hans Baron, Calvins Staatsanschauung und das kon- fessionelle Zeitalter. München u. Berlin, R. Oldenbourg 1924. VIII, 121 S, (Beiheft I der Histor. Zeitschr.).

Aus der Schule Friedr. Meineckes hervorgegangen, untersucht die Abhandlung zuerst die Grundlagen von Calvins Staatsanschauung und sodann die Staatslehre Calvins, um als Ergebnis den Calvinismus neben der Renaissance als eine der Quellen des modernen Staats- gedankens in Anspruch zu nehmen; dem Calvinismus fiel in der Ent- wicklung der europäischen Staatsanschauung aus dem hierokratischen in den Aufklärungsgeist die wichtigste Rolle zu; zugleich bezeugt gerade er am besten, daß das konfessionelle Jahrhundert etwas anderes war als bloß ein neuerstandenes „Mittelalter“. Nicht nur die alte katholische Vorstellung einer Gliederung der Christenheit in Laien- schaft und (diese vor Gott mit vertretenden) Klerus war, bei Calvin wie bei Luther, durch die individualistische Tendenz des allgemeinen Priestertums zerstört, sondern dessen individualistisch-freiheitlicher Geist strömte bei Calvin (weit über Luthers Meinung hinaus) nun in das ganze breite Leben des sozialen und staatlichen Daseins ein. Als Anlagen folgen kürzere Ausführungen über 1. den Zusammenhang des religiösen und weltlichen Persönlichkeitsbegriffs bei Calvin; 2. „christliches Naturrecht“ und „ewiges Recht“ und 8. das Verhältnis von Staat und Kirche im calvinischen Genf.

P. Brunner, Vom Glauben bei Calvin; darge- stellt auf Grund der Institutio, des Catech. Gene v. und unter Heranziehung exegetischerund homile- tischer Schriften. Tübingen, Mohr (P. Siebeck). 1925. 162 S. Die Abhandlung, mit der Verfasser die theol. Lizentiatenwürde erworben hat, ist durchaus theologisch eingestellt. Unter Absehen

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von den historisch-biographischen Problemen wird untersucht, was Calvin zu den theologischen Fragen der Gegenwart zu sagen hat; durch die Erinnerung an den klassischen Ursprung unseres theolo- gischen Denkens in der reformator. Bewegung hofft Verf. beizutragen, die verworrene innere theologische Lage der Gegenwart zu klären.

Fr. Hünermann, Gasparo Contarini. Gegen- reformatorische Schriften (1580 c.—1542) Corpus Catho- licorum 7. (Münster, Aschendorff, 1928. XL, 76 S. M. 3,75). Wir erhalten hier sorgfältige Neuausgaben folgender Schriften des Vene- tianers: Confutatio articulorum seu quaestionum Lutheranorum (btr. die Confessio Augustana n. Confutatio), die Epistola de justificatione, Regensburg 1541, in der Contarini für die vereinbarte Formel über die Rechtfertigung, den 5. Artikel des sog. Regensburger Buches, ein- tritt; de potestate pontificis (Gelegenheitsschrift aus der venetianischen Zeit); endlich de praedestinatione (hervorgerufen durch die reforma- torische Bewegung in Modena) Der Ausgabe sind die Handschriften oder die Erstdrucke zugrunde gelegt; die in den Venetianer Aus- gaben von 1578 und 1589 von der Zensur besonders an der 2. und 4. Schrift vorgenommenen Änderungen teilt die Vorrede mit.

1. K. D. Schmidt, Studien zur Geschichte des Konzils von Trient. Tüb., Mohr (Siebeck) 1925. 220 S.

2. H. Rückert, Die Rechtfertigungslehre auf dem Tridentinischen Konzil. Bonn, A. Marcus & E. Weber, 1925. VIII, 281 S. = Holl u. Lietzmann, Arbeiten zur Kirchengesch. 3).

l. Die von C. Mirbt angeregte Studie zerfüllt in zwei getrennte Untersuchungen. Der erste Teil geht den Nachwirkungen der spüt- mittelalterlichen Reformidee während des ersten Zeitraums des Konzils nach, um festzustellen, daß in diesem Zeitraum in Trient Konziliaris- mus im strengsten Sinne der spätmittelalterlichen Doktrin nicht ver- treten worden ist und daß die einzelnen Fälle, in denen Konzils- teilnebmer das Eigenrecht des Konzils der römischen Kurie gegen- über betont und sich der Beschränkung der Rechte des Konzils ent- gegengesetzt haben, durch die überlegene Geschicklichkeit der vor- sitzenden Legaten zu einer dem Papsttum günstigen Entscheidung ge- bracht worden sind und somit nur dazu gedient haben, das Konzil immer fester in ihre Hand und unter den Einfluß Roms zu bringen. Daran schließt sich eine Untersuchung über „Schrift und Tradition“ in Trient, eingeleitet durch einen Rückblick auf die bezüglichen An- schauungen im kirchlichen Altertum, im Mittelalter und in der be- ginnenden Reformationszeit, worauf die Verhandlungen der Kirchen- versammlung bie zur 4. Session und dem Dekret über die kanonischen Sehriften und die Tradition („Sacrosancta“) verfolgt werden. Das Dekret, wiederum ein Werk der Legaten, besonders Cervinis, führt auf eine Bestimmung des Decretum Gratiani (Gleichwertigkeit der Schrift und der apostolischen Tradition) zurück; seine Bedeutung liegt darin, daB von nun an die Behauptung von der hl. Schrift als alleiniger

318 158

Quelle des Christentums Ketzerei war! Als Normaltext wurde gleich- zeitig die Vulgata festgesetzt; indem aber ihre Auslegung der „Kirche“ und dem Konsens der Väter anheimgestellt wurde, blieb eine Lücke, insofern man es (aus kurialpolitischen Gründen) unterließ, den Begriff der „Kirche“ zu definieren,

2. Auch diese auf K, Holl zurückgehende Schrift zerfällt in zwei Teile. Im ersten (kaiserlich-püpstliche Politik 1546 usw.) wird verfolgt, wie die Kurie die dogmatischen Fragen in den Vordergrund schob, um der Verhandlung der Kirchenreform zu entgehen, wührend dann die längere Zeit bestehende Unmöglichkeit für die Legaten, die von Anfang an beabsichtigte Verlegung der Versammlung in das kuriale Einflußgebiet gegen den Widerspruch des Kaisers durchzusetzen, für den dogmatischen Stoff Raum und Zeit zu ausführlicher Verhand- lung gewührte. Verfasser findet nicht mit Unrecht starke Worte gegen die kuriale Partei, im besonderen die Legaten, die die Verhandlungen über die Rechtfertigung zu einem dienenden Glied im politischen Kampf herabwürdigten. Daran schließt sich ein dogmengeschicht- licher Teil über die Auseinandersetzung mit Luther und der Scholastik in der Rechtfertigungslehre, Luther wird abgelehnt; innerhalb der katholischen Dogmatik aber tut das Konzil in dieser Frage einen wichtigen Schritt aut dem Wege fort vom Nominalismus zum Thomis- mus, der, damals noch als via antiqua geltend, sich in Trient anschickt zur via moderna zu werden. Willkommen ist die beigegebene tabellarische Übersicht über die Verhandlungsperioden, Sitzungstage und Dekretentwürfe des Konzils vom 21. VI. 1546 bis 13. I. 1517.

In seiner kritischen Abhandlung ,Selbstbezeugungen des Kardinals Bellarmin. Beiträge zur Bellarminforschung“ (Untersuchungen zur Gesch. u, Kultur des 16. u. 17. Jahrh. herausg. von P. M, Baumgarten und G. Buschbell, Heft I; Frz. Aker, Krum- bach. XVI, 114 S.) rechnet der katholische Historiker G. Busch- bell mit jesuitischen Tendenzschriften ab, die, zur Verherrlichung des 1928, zwei Jahre nach der Dreihundertjahrfeier seines Todestages, geliggesprochenen, aus dem Jesuitenorden hervorgegangenen Kardinals Roberto Bellarmin (1542—1621) erschienen, die historische Wahrheit nicht in allem zur Richtschnur genommen haben. Demgegenüber zeigt Buschbell, ohne die Verdienste des neuen ,Seligen" zu verkennen oder zu verhüllen, auf Grund der eigenen Äußerungen jenes in Briefen und Schriften und in seiner sog. Selbstbiographie, daß Bellarmin keines- wegs ohne menschliche Schwächen, insbesondere persönlicher Eitelkeit sehr zugänglich gewesen ist, auch z. B. seine Erhöhung zum Kardinalat in einer für Ordensmünner kaum erlaubten Weise angestrebt und gefördert hat. Welch’ ein unduldsamer Geist in jenen jesuitischen Geschichts- klitterungen (eines C. A. Knellen und P. Tacchi-Venturi) herrscht, zeigen die von Buschbell mitgeteilten Proben der ebenso unsachlichen, wie maß- losen, in öde Schimpferei ausartenden Polemik, die ein paar frühere Ab- handlungen von ihm zur Bellarminfrage in jenem Lager entfesselt hat.

159 31%

Ankündigung einer Calvin-Auswahl-Ausgabe. Eine auf das Notwendigste beschränkte, aber das Notwendige wirklich bietende, wissenschaftlich zuverlässige und verhältnismäßig billige Ausgabe Calvins in den Originalsprachen zu bieten ist die Absicht der von dem Verlage Chr. Kaiser in München angekündigten Textausgabe ausgewählter Werke Calvins in 5 Bänden, deren Besorgung Pfarrer Peter Barth in Madiswil (Kt. Bern) Schweiz, übernommen hat. Zugrunde gelegt ist dag Corpus Bef., doch sind, um einen fehlerfreien Druck zu liefern, ältere Drucke verglichen worden. Auch sollen Calvins Anmerkungen durch genaue Nachweise der von ihm angezogenen Stellen ergänzt werden, Der Verlag hat eine Subskription anf die fünf Bünde eröffnet unter Herab- setzung des Einzelverkaufspreises um 20 v. H.

Entgegnung.

Zu meinem offenen Briefe an den Prüsidenten des lutherischen Konsistoriums in Warschau, Herrn Glass, (, Archiv^ Jahrg. 20, S. 75£.) bemerkt die Reformacya w Polsce, Herr Glass habe den Wunsch aus- gesprochen, seine Erwiderung nicht zu veröffentlichen; er erkläre, „daß seine Bemerkungen sich am wenigsten auf D. Wotschke beziehen, sondern auf die gesamte Atmosphäre der Vereinigung der Pastoren in Großpolen, da diese in naher Verbindung mit dem ev.-unierten Konsistorium in Posen steht, das mehrfach mit dem verrufenen Verein zur Unterstützung des Deutschtums in den Ostmarken mitgewirkt hat." Ich bemerke hierzu, daß H. Glass mich tatsächlich angegriffen hat, indirekt, weil meine Arbeiten vornehmlich die Posener Jahrbücher füllen, direkt, weil er eine meiner Arbeiten ausdrücklich namhaft gemacht hat, Ich bedaure es, daß H. Glass uns seine eingehende Rechtferti- gung vorenthalten hat; doch wird er ja wissen, weshalb er es getan. Wenn er jetzt jedoch seinen Angriff zu erklüren sucht durch die ge- samte Atmospbüre unseres kirchengeschichtlichen Vereins, so darf ich als ein Mitbegründer dieses Vereins und sein jetziges Ehrenmitglied wohl fragen: Woher kennt H. Glass die Atmosphüre unseres Vereins? Er ist nie ein Mitglied unseres Vereins gewesen, hat nie an einer seiner Sitzungen teilgenommen, hat 50 Meilen weit von uns entfernt gewohnt, daß ihm auch Frau Fama von unserem in der Stille wissen- schaftlich arbeitenden Verein nichts zugetragen haben kann. H. Glass hätte es ruhig zugeben sollen, daß lediglich sein Groll gegen deutsches Wesen und die unierte evangelische Kirche ihn zu dem Angriff auf unsere wissenschaftliche Arbeit getrieben hat, sein Groll, der auch jetzt wieder in der haßsprühenden Wendung gegen das um die evan- gelische Kirche im Posener Lande so unendlich verdiente Konsistorium und den Ostmarkenverein zum Ausdruck kommt.

D. Dr. Theodor Wotschke, Pratau.

320 160

Aus dem „Verein für Reformationsgeschichte“.

Der Stand der Arbeiten des Vereins ist zur Zeit folgender:

1. Von den „Schriften“ werden für 1925 noch ausgegeben werden: 1. Nr. 138 Löscher, Schule, Kirche und Obrigkeit in Sachsen; 2. Nr. 189 Hj. Helmquist-Lund, Die schwedische Reformation 1528—31, übersetzt von Frau H. Jablonowski-Heidel- berg, revidiert vom Verfasser und Prof O. Scheel-Kiel. Für 1996 stehen in Aussicht: 1. Walther Stolze-Königsberg, Reformation und Bauernkrieg; 2. Otto Pohrt, Baltische Reformations- geschichte. Endlich ist für 1927 bestimmt: F. Pischel-Weimar, Das Armenwesen der Reformationszeit.

2, Größere Veröffentlichungen. Als Bd, VII der „Quellen und Forschungen“ erscheint in kurzem: Joh, v. Staupitz, Predigten in Tübingen gehalten, herausg. von G. Buchwald-Rochlitz unter Mitwirkung von O. Scheel. Das Ganze zerfällt in zwei Teile: a) Text; b) theologische Untersuchungen. Von den „Täuferakten“ bearbeitet G. Bossert-Stuttgart den 1. Bd, = Württemberg (mit Hohenlohe); der Druck soll in diesem Winter beginnen. Fast voll- endet in der Handschrift ist Bd. 2 Baden und Pfalz, begonnen von (t) O. Winckelmann, fortgeführt von Archivrat Krieger-Karls- ruhe. Mit Bd. 3 (Schweiz) ist Dr. von Muralt betraut worden; Bd. 4— Bayern hat Dekan D. Dr. Schornbaum-Roth übernommen und wird zunächst einen Arbeitsplan über die Erhebung des Materials vorlegen. Bd. 6 Thüringen, von Archivdirektor Dr. Tille-Weimar, muß vorläufig zurückgestellt werden. Noch kein Bearbeiter ist für die Schwäbischen Reichsstüdte gefunden worden.

8. Süddeutsche Städteakten aus der Reformationszeit. Für den von H. v. Schubert-Heidelberg bearbeiteten ersten Doppelband, Spengler und die Reformation in Nürnberg, ist das Material nahezu beisammen und die Redaktion kann beginnen.

4. SupplementaMelanchthoniana: Briefwechsel, herausg. von O. Clemen-Zwickau, vorlüufig bis 1529, Der Herausgeber schützt die gesamte Ausgabe auf 4 Bünde zu je etwa 40 Bogen. Der Druck des ersten Bandes (bzw. Halbbandes, bis 1525 einschließlich) ist im Gange.

5. Das „Archiv für Reformationsgeschichte*" soll zunächst weiter in zwei Doppelheften je zehn Bogen jährlich erscheinen. Es wird ebenso wie der Briefwechsel Melanchthons von der Notgemein- schaft der deutschen Wissenschaft unterstützt.

Der Jahresbeitrag für den Verein betrügt noch 8 M.

(Nach dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 27. September 1925 in Jena).

Druck von C. Schulse 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.

ARCHIVY

RERORMATIONSCHSCHICHTE

TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN.

Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte

herausgegeben von

Dr. theol., jur. et. phil. Walter Friedensburg.

XXIII. Jahrgang. 1926.

Leipzig

Verlag von M. Heinsius Nachfolger Eger & Sievers.

1926.

Inhaltsübersicht.

O. Albrecht, D. Prof. in Naumburg, Luthers Arbeiten an der Übersetsung und Auslegung des Propheten Daniel 1580 und 1541 :

O. Clemen, D. Dr. Prof. in Zwickau (Sachsen), Briefe von Liborius und Hiob ee und von Kaspar Glatz .

Th. Wotschke, D. Dr. Pfarrer i in Pratau (bei Wittenberg), Zur Geschichte des Antitrinitarismus ; Hildegard Zimmermann in Braunschweig, Vom deutschen Holzschnitt der Reformationszeit Paul Kalkoff, D. Dr. Professor in Breslau, Die Crotns-

Legende und die deutschen Triaden . . ;

O. Clemen, Ulrich von Hatten ein Bücherdieb? .

G. 1088 0 D. Dr. Dr. Geh. Hofrat, Univ.-Professor i. R., Königssee (Bayern), Zwei Wiener evangelische Stamm- bücher aus der Zeit der Gegenreformation.

Anni Koch in Königsberg (Preußen), Die Kontroverse über die Stellung Friedrichs des Weisen zur Refor- mation

Th. Wotschke, Der Trübauer Superintendent Satbauch

W. Gußmann, D, Pfarrer s, D. in Stuttgart. Ein Melanchthonfund . . .

O. Schiff, Dr. Bibliothekar in Frankfurt (Main), Thomas Müntzer als Prediger

O. Clemen, Eine vorreformatorische Disputation über die justificatio :

O. Clemen, Ein Brief dos Zwickauer Rats an Luther i

P. Kalkoff, Huttens Bücherraub .

Mitteilungen: Neuerscheinungen 307 814; ` Zeit- schriftenschau 156—158; 814—320. Zur Erinnerung an Julius Köstlin (geb. 17. 5. 1826) 159f. Gustav Bossert (t 29. 11. 25) 160.

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Dem Gedächtnis

JULIUS KÖSTLINS

des Lutherforschers, Mitgründers und ersten Vorsitzenden

des Vereins für Beformationsgeschichte

(geb. 17. Mai 1826)

dargebracht

Luthers Arbeiten an der Uebersetzung und Auslegung des Propheten Daniel in den Jalıren 1530 und 1541.

Von 0. Albrecht.

I. Luthers Widmungsbrief an Herzog Johann Friedrich zur

ersten Ausgabe der Üebersetzung des Propheten Daniel vom Jahre 1530. Abdruck der Orginalhandschrift.

Sofort nach Fertigstellung der Uebersetzung des Neuen Testaments im Jahre 1522 war Luther zur Arbeit am Alten Testament fortgeschritten. Der erste Teil desselben, die fünf Bücher Mose umfassend (vgl. Pietschs Bibliographie im Weim. Ausg. Bibel 2, 217 Nr. *4), erschien bereits im Laufe des Jahres 1523 in drei Wittenberger Auflagen; der zweite Teil mit den andern historischen Büchern bis Esther (Pietschs Bibliographie S. 272f. Nr. *11) zu Anfang 1524; der dritte Teil, Hiob, Psalter und die drei salomonischen Schriften enthaltend (Pietschs Bibliographie S. 276f. Nr. *13) auch noch im Jahre 1524. Vgl. Köstlin- Kawerau, Luther“ I, 571f. Bekanntlich verzögerte sich danach die besonders schwierige Arbeit an den Propheten erheblich; denn erst 1532 konnte Luther „Die Propbeten alle Deudsch“ (Pietschs Bibliographie S. 512f. Nr. *38) ausgehen lassen. Aber einzelne Propheten waren schon vor dieser Gesamtausgabe veröffentlicht: im Jahre 1526 war Jona erschienen, verbunden mit einer Auslegung (Pietschs Bibliographie S. 392f. Nr. *21; Weim. Ausg. 19, 1691f.); im selben Jahre der Prophet Habakuk ausgelegt (Pietschs Bibliographie S. 394 Nr. *23; Weim. Ausg. 19, 337 fl.); ferner Ende 1527 Sacharja mit Auslegung (Weim. Ausg. 23, 477 fl.; Pietschs Bibliographie S.439f, Nr.*31; Köstlin, Luther“ II, 153), dann im Herbst 1528 Jesaia, vgl. Pietschs Bibliographie S. 439 Nr. * 30; Köstlin, Luther“ II, 155.

Ehe dann Luther die Hauptarbeit an den andern Pro- pheten während seines Aufenthalts auf der Feste Koburg 1530 (April bis Oktober) leistete, hatte er kurz vorher, in den

Archiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 1/9. 1

2 2

ersten Monaten dieses Jahres, den Propheten Daniel über- setzt und für eine Sonderausgabe druckfertig gemacht. (Die andersartige Darstellung in Erl. 41, 232 und ebenso schon bei Walch! VI, S. 13f. ist irrig). Schon am 25. Februar 1530 meldete Luther an Nic. Hausmann: Nos iam Danielem formamus edendum pro -solatio istius ultimi temporis (Enders 7,232 Nr. 1601, vgl. S. 214 Nr. 1586). Eben weil ibm die Zeichen der Zeit besonders der Papst als der ,Antichrist^ nach Daniel 8 und 12 und das Aufkommen der Türken, auf welche er Daniel 7,8 deutete die Nühe des Weltendes anzukündigen schienen, zogen ihn die eschato- logischen Weissagungen dieses Propheten damals so stark an. (Vgl. Köstlin-Kawerau, Luther“ II, 156 f.). Und weil überdies Daniel besonders ein für Fürsten nützliches Buch sei, nahm er Veranlassung, seine Uebersetzung samt ihrer Vorrede im ersten Abdruck dem Herzog Johann Friedrich von Sachsen zu widmen. Dieser Widmungsbrief, der im Februar oder März 1530 geschrieben sein wird (Enders 7, 233 Nr. 1603; so schon De Wette 3, 554 f.; Erl. 54, 134 f.) wurde dem ersten Abdruck vorangestellt. Im März oder April war das Buch versandfertig; denn am 2. Juni 1530 wurde es als „neulich |vor kurzer Zeit] ausgegangen“ aus Wittenberg an Stephan Roth geschickt (Buchwald, Roth S. 103 f. Nr. 283). Es ist das folgende: Der Pro-||phet Daniel || Deudsch. || Marti. Luther. ||

ittemberge. || 1530. || *

Mit Titeleinfassung, Titelrückseite leer, 44 Bl. in 4°,

letzte Seite leer. Am Ende: „Gedruckt zu Wittem-

berg, || durch Hans Lufft. ||“ (Vgl. Pietschs Biblio-

graphie in Weim. Ausg. Bibel II, 484f. Nr. *35).

Vorhanden z. B. Berlin (Luth. 5981). Diese Druckschrift besteht also aus drei Teilen: jenem Widmungsbrief, der Vorrede zur Uebersetzung und der Uebersetzung selbst. Das erste Stück, der Widmungsbrief, eine zufällige, gelegentliche Beigabe der ersten Ausgabe, ist in der Gesamtausgabe der Propheten 1532 nicht wieder abgedruckt; ebenfalls nicht in den Gesamtausgaben der Bibelübersetzung seit 1534, auch nicht in den hernach zu erwähnenden Sonderdrucken der „Vorrede“ vom Jahre 1544 und 1546.

Wie verhalten sich dazu die Gesamtausgaben der Werke Luthers? Zuerst bringt einen Neudruck des Widmungs- briefes die Jenaer, und zwar als einzelnes Stück, im 5. Bande 1557 (beendet ward der Druck dieses Bandes »l. Martij 1557") auf Bl. 1 2 unter der Aufschrift: „Vorrede D. Mar: Lutheri Auff den Propheten Daniel An

3 3

Hertzog Johans Friderich den ersten, geschrieben Anno M.D.XXX." Wahrscheinlich ist diese Ordnung noch durch den Redaktor Rürer (T 24. April 1557) veranlaßt, der mit Bedacht den Abdruck der ins Jahr 1530 gehürenden Schriften, laut Inhaltsverzeichuis, beginnt mit „Zwo Vorrede D. M. L.“, erstens „Auff den Propheten Daniel ꝛc.“, zweitens „Auff das XXXVIII. und XXXIX. Cap. Ezechiel ꝛc.“; denn sachlich sind beide verwandt (zur zweiten vgl. Weim. Ausg. Bd. 30 U, 220ff.). Irreführend aber war es, daß Rörer jenem Brief, der Zu- schrift Luthers an den Herzog im Jahre 1530, die Be- zeichnung „Vorrede* gab, da doch die eigentliche, von Luther selbst so bezeichnete ,Vorrede", die Einleitung in die Uebersetzung von Daniel, die Rörer nicht mit abdrucken ließ, auf den Dedikationsbrief erst folgte. Ebenso und offenbar nach dem Vorbild Jenas verfuhr die Witten- berger Gesamtausgabe im 5. deutschen Tomus, der im Jahre 1558 mit Melanchthons Vorwort vom 16. August 1557 herauskam, auf Bl. 543 5441). Ebenso auch, nach Jenas Vorbild, die Altenburger Bd. 5 (1662) S. 1—2.

Ein anderes Verfahren beginnt in der Leipziger Ge- samtausgabe. Diese druckt im 12. Bande (1731) zuerst unter Nr. XII, S. 21 22 richtig die „Zuschrifft der Ueber- setzung des Propheten Daniel an Hertzog Joh. Friedrichen den Ersten. An. 1530“, sie schließt aber daran unmittelbar als Nr. XIII auf S. 22—42 die „Vorrede über den Propheten Daniel nebst der Auslegung des Eilfften und Zwölfften Capitels Danielis", das ist wie wir im folgenden Auf- satz zeigen werden ein wenig befriedigender Abdruck des zweiten Teiles der Grundschrift Lutbers vom Jahre 1530, der eigentlichen „Vorrede“, mit undeutlicher Berücksichtigung der späteren Erweiterungen Luthers. Es folgt Walch! Bd. 6 (1741) Sp. 1422 ff. (vgl. Walchs Vorrede ebenda S. 13 fl.), der das Verfahren Leipzigs mit geringer Selbstündigkeit und neuen Unklarheiten nachahmt; die beiden Hauptteile in

1) Die lateinische Wittenberger Ausgabe, auch von Melanehthon bevorwortet, hatte bereits im 4. Tomus (1552) auf Bl. 821* 830^ eine Praefatio M. Lutheri in Prophetam Danielem abgedruckt mit dem Obertitel ,Commentarius D. D. M. Lutheri in Danielem prophetam"; das ist aber etwas ganz anderes als was spüter der deutsche Band (Wittenberg 1558) bot; es ist der Neudruck der lateinischen Ueber- setzung, die Joh. Freder im Jahre 1544 vom zweiten Teil der Grund- schrift des Jahres 1580, also von Luthers eigentlicher ,Vorrede* in ihrer Ueberarbeitung vom Jahre 1541 ohne Berücksichtigung des von Luther vorangestellten Widmungsbriefes gefertigt hatte; näheres unten in der II. Abhandlung.

4 4

Leipzig (Nr. XII u. XIII) verknüpft er noch enger durch A u. B:

„A. Zuschrift den Uebersetzung des Propheten Daniels. 1530#, Sp. 1422—1429; „B. Vorrede über den Propheten Daniel... , Sp. 1430—1493. Die Erlanger Ausgabe, Bd. 41 (1847) S. 232 fl. bemüht sich, im Auschluß an. Walch}, um größere Klarheit, doch ohne Erfolg. Zurückgreifend auf die Grundschrift 1530 druckt sie alle drei Teile derselben: 1. den Widmungsbrief, ohne besondere Ueberschrift S. 333: bis 237; 2. die , Vorrede*, und zwar die 1. Hälfte derselben, S. 237—258, so im Anschluß an Leipzig u. Walch!, aber wenig übersichtlich; 3. außerdem noch S. 258—294 die Ueber- getzung vom Jahre 1530, dieselbe einschaltend zwischen die erste und zweite Hälfte der „Vorrede“, die zweite Hälfte. S. 294—324 auf Grund eines späteren Sonderdrucks vom: Jahre 1546 (s. u. im. IL Aufsatz) Außerdem druokt Erlangen unter den deutschen Briefen in Bd. 54!) (1853) S. 134—138 die Zuschrift an Herzog Joh. Friedrieh noch. einmal ab, im. Anschluß. an De Wette 3, 855. "Vgl. Enders: 7,933 Nr. 1608. Walch? Bd. 6 (1897) verführt im ganzen. wie Waleh!; Erlangen, Köstlin® und auch sonst die früheren Ausgaben benutsend, ferner die spätere , Weimarsehe Bibel“ zitierend, aber ohne die vorhandenen Unklarheiten der Ueber-. lieferung zu lichten. Im Eingang Sp. 892—893 wird resi- gnierend bemerkt: „Wir sind nicht imstande, eine einiger- malen genaue Zeitbestimmupg für diese Auslegung ge- meint ist die Auslegung von Daniel 11 und 12, die erstmalig in der Bibel 1541 als Erweiterung der „Vorrede“ von 1530 erscheint zu geben.*

Wie wird sich die Weimarer Ausgabe verhalten? Da. unsere Ausgabe als die erste und einzige unter den Gesamt- ausgaben einen kritischen Neudruck der gesamten ver-. deutschten Bibel einschließlich der V.orreden Luthers an der: ihnen gebührenden Stelle, d. h. vor dem betreflendeu Ueber- setzungstext der einzelnen biblischen Bücher, herausbringen wird, so ist klar, daß wir sowohl die Uebersetzung des- Propbeten Daniel als auch die dazugehörige Vorrede, beide in ihrer Eotwicklung von 1530 bis 154] (1546), in unserer: Abteilung „deutsche Bibel“ (wohl in Bd. 8 oder 9) abzu- drucken haben. Aber; wo haben wir den ersten Teil der: Grundsehrift 1530, Luthers Dedikationsbrief, unterzubriugen 2: Am besten hätte er m. E. in der Schriftenreihe des Jahres. 1530, in unserm Bd, 304, Platz gefunden, und zwar ich.

) Auf dem Titelblatt dieses Bandes steht versehentlich „Fünf- undfüpfzigster Band“ statt „54. Bd.“, und auf S. 184 ist Leipz „XXII, 21“ falsch gedruckt statt „Leipz. XII, 21“.

5 5

folge damit dem Wink der Jenaer Ausgabe s. o. vor dem 38. und 39. Kapitel des Propheten Hesekiel von Gog und Magog (Weim. Ausg. 30 H S. 220 ff.). Als man ihn dort aus- ließ, erwog man, ihn doch noch der Bibelabteilung wohl als Anhang, das wäre möglich irgendwie einzureihen. An die in Weim. Ausg. noch ausstehende Schlußabteilung, an Luthers Briefwechsel dagegen, ist nicht zu denken (dort ist er nur zu registrieren); denn es entspricht der Gepflogenheit unserer Ausgabe, die von Luther selbst veröffentlichten Sendschreiben oder Widmungsbriefe in der Schriftenreihe mit abzudrucken, mögen sie vor Luthers eigenen oder vor fremden Schriften stehen. Uebrigens ist der gedruckte Widmungsbrief an den sächsischen Herzog vom Jahre 1530 einzig in seiner Art; denn nur dies eine Mal, niemals sonst, hat Luther den Erst- druck eines Stückes seiner Bibelverdeutschung mit einem Widmungsbrief für eine einzelne Persönlichkeit ausgehen lassen. Wir werden ihn voraussichtlich im 55. Bande der Weim. Ausg., der noch andere Nachträge oder Ergänzungen zu früher erschienenen Bänden enthalten wird, als Ergänzung zu Bd. 30! zum Abdruck bringen.

Die Originalhandschrift des Lutherschen Dedikations- briefs (Or.) befindet sich auf der Stadtbibliothek in Königs- berg, Sign. S. 49 fol. Bl. 2. Eine Abschrift von alter (un- bekannter) Hand ist in Jena, in Rörers Handschriftenband Bos. q. 24^ Bl. 231—239, enthalten und zwar nachträglich durchgestrichen; wir bezeichnen sie dureh R5*

Im folgenden drucken wir Luthers eigenhündige Nieder- schrift (Or.) als Haupttext ab!) und notieren dazu in Fuß- noten die wenigen tatsächlichen Abweichungen aus der Jenaer . Abschrift (R^*) und aus dem ersten Wittenberger Abdruck vom Jahre 1630 (Dr.)

7) In der Art unseres Abdrucks folgen wir i. a. dem in der Weim. Ausgabe (vgl. Bd. 83, S. VIIIf. und Bibel Bd. 1 S. XXIf) beschriebenen Verfahren. Also: .... bezeichnet unlesbare Buchstaben, Gestrichene Wörter stehen in unserem Abdruck in ( ) eingeschlossen. Ueber die Zeile Geschriebenes markieren wir durch f), unter die Zeile Geschriebenes durch | |. Alles, was nicht der ursprünglichen Handschrift angehört und was Zutat des Herausgebers ist, wird in Kursiv gesetzt; dabei bedeutet c = korrigiert, um = umgestellt, r = an den Rand geschrieben, rh am Rande, aber an seine Stelle hin- gewiesen, ro mit roter Tinte geschrieben oder rot unterstrichen. Die Vermerke [r] [rh] [ro] [c aus] [um aus) werden samt den besüg- liehen Worten oder Sätzen in [] gesetzt. Die so eingeklammerte& Worte sind gültiger Text. Unsere geraden Beistriche | bedeuten, daß ih der Handschrift eine Zeile schlivßt,

Der erste Wittenberger Druck ist sorgfältig nach Luthers Originalschrift gefertigt, die alte Abschrift im ganzen auch sorgfältig, einige Male eigenmächtig wohl ebenfalls auf Grund der ursprünglichen Handschrift. Vielleicht hat Rürer einem seiner Helfer die Abschrift des Originals für den Ab- druck in der Jenaer Ausgabe (Bd. 5) in Auftrag gegeben, als er momentan vergessen hatte, daß im Wittenberger Druck von Hans Lufft 1530 bereits eine gute Vorlage vorhanden war. Die Abschrift in Bos. q. 24^ ist danach unbenutzt ge- blieben.

[Bl. 1°] Dem dürchleuchtigen hochgebornen fürsten vnd herrn | herfü Johafisfridrich, hertzogen zu Sachsen, Laudgra|uen ynn Duringen vnd Marggrauen zu Meissen | meinem gnedigen herren

s Gnad vnd fride ynn Christo vnserm herrfü, Die | wellt leufft vnd eilet so trefflich seer zu yhrem ende, | das mir offt starcke gedancken einfallen, als solte der | iungste tag, ehe daher brechen, denn wir die heiligen | schriffi gar aus verdeudschen kundten, Denn das ist | gewis, Das

10 wir ynn der heiligen schrifft nichts mehr | zeitlichs dings zu gewarten haben, Es ist alles aus | vnd erfullet, Das Romisch reich ist am ende, Der | Turke auffs hohest komen Die pracht des Bapstumbs | fellet dahin, vnd küacket die wellt an allen enden | fast, als wolt sie schier

15 brechen vnd fallen Denn | das itzt dasselbige Romissche Reich vnter vnserm keilser Carolo ein wenig auffsteiget vnd mechtiger wird | denn es laüge Zeit her gewesen ist Dunkt mich es | sey die letze vnd [rh fur Gott] eben ein ding, als wenn ein liecht | odder strohalm, gar ausgebrand, itrt

20 verlesschen wil, so | [mercket] gibts eine flamme von sich als wollts aller | erst recht anbrennen, vnd eben mit dem selbigen ge|hets aus | gleich wie die Christenheit itzt auch thut | mit so hellem Euangelio

Es schreiben auch alle weissager, neben und ausser|

ss der schrifft!), das nach dieser zeit, nemlich nach dem

itzigen | XXX iar, solle es widder gut werden Welches,

vor 1 Vorrede DM L vber den propheten Daniel ausgangen erst- lich Anno 1580 Rhs 1 Durehlauchtigsten (unrichtig) Rh. 4 gnedigsten Rhs 18 letze c aus letzte Bhs 20 mercket (?) im Or. verwischt fehlt Rès u. Dr.

1) Vgl. Köstlin-Kawerau, Luther“ II, 144f.; 156 f.; Weim. Ausg. 28. 1ff.; A. Warburg. Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten (Heidelberg 1920) 8. 86ff.

7

so sie BI. 1°] recht zutreffen und war sagen, wirds, hoffe ich, gewies | der jüngste tag sein, der vns von allem vbel erlosen | wird, vnd zur ewigen freude helffen, Also das ich die|se zeit des hellen Euangelij nicht anders rechene (um aus rechene nicht anders) denn fur die

reit, darinn Gott die trubsal [rh dürchs Euägelion] ver-

1

kurtzt | vnd steüret, Da Christus von sagt Matth. 24. Wo der herr diese tage nicht verkurtzet, so wurde kein mensch | selig. Denn wo die wellt hette lenger so stehen sollen, wie sie vorhin stund, were gewis alle wellt

. Mahometisch odder Epicurisch worden, vnd were (schier)

1

kein Christen mehr blieben [rh wie Christus spricht Meinsíu wenn des menschen son kompt, ..... . uch werde ...... finden ....... en? ||] War doch [rh schon bereit] kein recht verstand noch lere von Christ- lichem glauben mehr vorhanden, sondern eitel yrthum, (ke iat) vnd aber|glauben (mit) [mit] vnzeligem hauffen,

Es ist freylich kein grosser trubsal auff erden ge west, auch nicht komen wird, das da weiter gegan|gen, lenger geweret, vnd grewlicher gewuetet hat | (sonderlich vnter den seelen [um aus unter den seelen sonderlich]) denn des Mahomeths | vnd Bapsts grewel, welche alle wellt mit blut vnd | mord leiblich on unterlas, aber viel grewlieher mit | seelen verfuren vnd morden verderbt, haben, wie | das dritte Weh, Apoc XII auch zeiget, Das man salgen mus, der teuffel sey los vnd (hab) [rh herrsche leibbafft | drinnen nach allem grym vnd mut willen. Sol che vnd der gleichen gedancken haben vns vervrsacht (so % diesen propheten Daniel aus zu lassen, fur den andern | die noch dahinden sind, Auff das der selbige doch | an fag keme, ehe denn es alles zergehe, Vnd er sein | ampt auch ausrichte, vnd troste,. die elenden Christen BI. 2°] vmb welcher willen er geschrieben vnd auff diese letz|te zeit gesparet vnd verhalten ist

Weil er aber nicht allein, dem [c aus deen] gemeinen Christen | man (nutzlich vnd) trostlich ist, sondern auch

den | konigen vnd fursten nutzlich, als der mit eitel

7 Mathei am 24 Rh 18—14 Der unleserlich gewordene

Satz lautet in Dr. und R^»: Das er auch werde glauben finden auff erden 15 vom Ru 96 am Rande Apc 19 wiederholt Ru- 28 leibhafft (mit angeschlossenem Klecks) Or] leibhafftig Dr und Rh

vor Solche markiert N. einen Absatz durch «| 80 über

aus zu lassen schreibt Bh»: gehen, ebenso über andern: propheten, am Rande noch: + durch den Druck Rhs 82 zurgeho Rhe

8 8

koni|gen vnd fusion dureh vad durch zu thun hat, | vnd von eitel) alle seine weissagung, von konigreichen | vnd rstenthumen ist, hab ieh mir far genomen | deäselbigen, voter E f g namen auszulassen, vnd | mit dem selbigen, Ihn) vnter die fürsten werffen, | das sie doch ettwas furstlichs zu lesen haben, ob ia | ettliche nach sei- nem geist vnd trost nicht fragen | wolten, Denn es ist [aueh] ein koniglich vnd furstlich buch. | Die historien rhumen den grossen Alexander, das er | den poeten Homern habe ymer bey sich gehabt, vnd | des nachts (zu) vnter sein [c aus seinem] heubt gelegt vnd drauff | ge- schlaffen, wie viel billicher were es, das solche | vnd noch grosser ehre diesem Daniel geschehe von | allen konigen vnd fursten, da$ er nicht allein vnter | yhr heubt, sondern ynn yhr hertz gelegt wurde, | weil er'wol anders vnd hohers leret, denn Homerus | hat thun konnen Denn ynn diesem (lernen) kan ein fürst ler[nen, Gott furchten vnd vertrawen, Wenn er sihet | vnd erkennet, das Gott die framen fursten [rh lieb hat vnd] so gne|diglich 20 regiert, gibt yhn [alles] gluok vnd hei, Widderſumb, das er [die] bosen fursten [rh links: hasset, rh rechts - zorniglieh] sturtzt vnd wust mit | yhi) umbgehet Denn hie lernt man, das kein /[BI. 2^7 furst sich sol auff seine [eygen] maeht odder weisheit verlassen noch (p) ss damit trotzen: vnd pochen, Denn es | sfehet [rh vnd gehet] kein (rech .) feich noch regiment ynn 5 krafft odder [c aus adder] witze, Sondern Gott ists, allein, | der es gibt, setzt, hebt, regirt, schutat, erhellt vnd | auch weg nimpt, Jun [c aus yon] seiner hand ists alles gejfasset vnd schwebt ynn seiner macht, wie ein | schiff auff dem mehr, Ja wie eine wolcken unter | dem hymel q| Widderumb lernt man, das auch | kein furst sol yon seiner vmmaoht odder schwacheit | [r vnd vowitze] | verzogen odder sich fat seer] bekummern, Denn gleich wie | ein Reich, nicht stehet, durch menschen krafft vad | witze, Also fellet es auch nicht durch menschen vnkrafft vnd vnwitze, wie man hie von viel exjempel findet, das grosse meohtige konige, von geringem | [r valek] leuten geschlagen, vnd offt die aller klugesten sind | zu schanden

eo

1

1

e

QA

1 hatt Rs 10 Homerum Rhs u. Dr 21 hasset, soraig- lich, sturtzet (stürtzt) duch Rhe u. Dr 25 vnd gebet] (moeh) [vnd] gehet Rhs 29 weg nimbet Ras 32 Dies Zeichen aq] am Rande wiederholt, bedeutet, daß hier ein Absalz gedruckt werden soll. 38 leuten (im Or. versehentlich nicht gestrichen)) fehlt Rès u. Dr. | M ES

9 9

worden, Aber die blieben vnd gesiegt, | da man (s) widder kraft noch witze bey gesehen hat, | Ich meine zu (c aus jn) vnser zeit, solten, die Venediger, Bapst, tranckreich schier dis alles helffen zeugen, denn Gott | ist 5 ebenteurlieh ynn den hohen (spricht der 93. psalm) | Er machts mit konigreichen wie er wil | [rA spricht hie Daniel 6 . vnd 4] nicht wie | wir odder menschen gedencken, vnd giht sie wem er | wil nicht wem wir (c aus wirs) wollen odder gedenken 19 Solchs baben die heiden nicht gewust vnd wis|sen noch alle vngleubligen (so!) vnd gottlosen nieht, Sie | haben wol die oberkeit vnd herrgchafft, Sie wissen | gbex nicht, das ein donü & Creatura Dei (sey), das | ist, eine gabe vnd geschepfie Gottes sey, (ders) |welehs| er aus /B/, 3°/ 34 nichte macht, vnd aus nichte erhellt, vnd vmbsonst [r aneh]| sehenckt, vnd doch ynn seiner hand behellt, das ers | regiere, Darumb konnen sich auch die Gottlosen | nicht drein gehicken, sondern [TH, es wird yhn vnter handen gar zu eitel,] haben viel muhe | dauon, grosse sorge und. viel » en angchleige, die sie nymer zur helffte bringen, vnd sind | die vnseligsten leute ehe denn sie (des) [rk yhrer herrsohafft] ein mal fro werden | sterben [sie] odder verlieren (c aus verlierens), sia Das macht (darunter durehgestriehen: Vreach) Sie | meinen, Es sey yhr eigen, 26 Gott hab es aus der | hand geworffen, vnd sie (sollen vnd mussen) [lassen] mit yhrer | klugheit vnd krafft regiren vnd. (versorgen) [meistern], Das | gehet denn seer fein fur sich, wie der krebsgang Aber Daniel zeigt hie an, Wenn es gleich der | so menschen krafft vnd witze vermochte (als nicht ist) | eine herrschafft zu verwalten, Sp kundt (es) doch (niemand) solche krafft vnd witze, fur den teuffeln vnd | [r bosen] geistern, nichts ausrichten, Denn ein igliehe [e. aus iglicher] herrjechaff hat yhre fürsten aus der helle, (die) yhe »5 grogiser herrschafft, yhe grosser vnd erger un die | den konigen [vnd] herrn alle plage anlegen, mit hindern, || mit reitzen, zu zorn [r/tstreit, mord, ] stoltz, vnzucht, vnd allen lastern, | Das Gott widder umb müs auch gute engel vnd | fursten aus dem himmel bey den « konigen vnd herrn widder die teuffel hallten, wie wir

4 dis vor alles ist in Rhs am Rand nadigetragen 5 Schluße klgmmer nach psalm fehlt Or 7 6.vnd 4 Or u. Dr) 4 vnd 6 Rh» 11 vngleubigen Rha u, Dr 13,&] et Rds 1 Dr 20 die] Die le. aus Das] Rha 21 Vor ehe Spatium in der Zeile Or., ebenge 23 vor Das macht Or.

10 10

hie ym Daniel | lesen, Was wil sich denn ein arm fleisch vnd blut | vermessen mit seiner krafft odder witze, solche grosse | Engelissche, ia Gottliche sachen zu regiren? Ich hoffe aber, das |dieser| Daniel (de) (w) solle * bey [Bl.3?] Ef g, ein lieber Daniel sein, welchen auch | die himelischen fursten die Engel [rh selbs, mehr denn einmal] nennen, den Lie|ben Daniel vnd den lieben man, (d) als den sie | von hertzen lieb gehabt haben, So haben yhn ia auch alle seine [rh herrn] konige, lieb vnd 10 werd gehabt, Das | wird [ob Gott wil] viel mehr, E f g [rh thun] welche von Gottes gna|den, wol reichlich (c aus reichlicher) begabt ist, mit (lust) lust | vnd liebe, zur heiligen schriff vnd aller weis|heit , , mehr denn ihene konige [r/t beide zu Babel vnd] ynn Persen, Denn | dazu mal 15 die warheit nieht so helle vnd gewal|tig erfur gewist ist So ist auch, Gott lob, E fg nicht so geneigt, zu streit vnd schaden zuthun, | mit welchen gedancken itzt teglich vmb gehen, die | am aller furstlichsten geberden wollen. Christus vnser herr, (d) wolte gnediglich ynn E f g sein | 20 angefangene (gnade) gaben [rh (. . ) vernunfit] vnd weisheit, steroken | mehren vnd erhalten [rh vnd fur allem falschen tuck vnd lisst des feindes sampt seinem anhang behueten,] zu aller wellt heil vnd zu | ehren seinem heiligen namen vnd Euangelio, Das | wundschen vnd ss bitten wir alle von hertzen, Amen.

Ef g Vnterthenigest/ Marting Luther II.

Die Vorrede Luthers zur Uebersetzung des Propheten Daniel vom Jahre 1530 (und 1541). Abdruck ihrer letzten Erweiterung aus der Originalhandschrift.

Die Druckschrift „Der Prophet Daniel Deudsch. M. Luther. Witt, 1530* (vgl. Weim. Ausg. Bibel II, 484f, Nr. *35 und den vorstehenden Aufsatz) enthült drei Teile: erstens den Widmungsbrief an Herzog Joh. Friedrich von Sachsen, zweitens Luthers Vorrede zur Uebersetzung, drittens die vollständige

9 Komma nach herrn Rès u. Dr 10 viel] (vil) [wol] Bh» 11—12 reichlich] reichlicher Rès Dr 14 Persen c aus Persien Rhe 19 wolte c aus wolle Ru 20 -|- Anno 1580 Bhs 27 vnter- thenig/ Ras Vatertheniger Dr

11 11

Uebersetzung in 12 Kapiteln (diese mit abweichender Ab- grenzung) 1). Wir richten jetzt unsere Aufmerksamkeit in- sonderheit auf den mittleren Teil, die „Vorrede“. Im Urdruck von 1530 steht sie auf Bl. B 1* bis C 4*, füllt also 31 Seiten. Ihr Wortlaut bleibt wesentlich gleich wührend der nüchsten zehn Jahre, also sie steht ebenso in der ersten Gesamtausgabe der Propheten vom Jahre 1532 (vgl. Pietschs Bibliographie in Weim. Ausg. Bibel II, 512 f. Nr. *38), ferner in den Vollbibeln seit 1534 bis zum zweiten Bibeldruck des Jahres 1540 einschließlich.

Erst im Zusammenhang mit der großen Revisionsarbeit an der Bibelübersetzung während der Jahre 1539— 1541, wohl gegen Ende Januar 1541?), erfährt auch die Vorrede zu Daniel eine erhebliche Ueberarbeitung durch größere Ein- schübe und kleinere Aenderungen. Im Druck der aufs neue übersehenen Bibel von 1541 (s. Pietschs Bibliographie a. a. O. S. 637ff. Nr. *69) tritt diese neue Fassung der Vorrede erstmalig in Erscheinung. Von dem größten Einschub darin, einer Erklirung zu Daniel 11,36 bis 12,12, besitzen wir noch die eigenhündige Niederschrift Luthers (s. u.).

Wie ist diese „Vorrede“ in den früheren Gesamtausgaben, die doch auf den Neudruck der ganzen Lutherbibel ver- zichten, berücksichtigt? Die Jenaer Ausgabe Bd. 5 (1557) bringt sie tiberhaupt nicht, sondern begnügt sich mit dem Abdruck der Zuschrift an den Herzog Joh. Friedrich (vgl. den vorstehenden Aufsatz); die Deutsche Wittenberger Bd. 9 (1558) folgt ihr darin, aber im vierten lateinischen Tomus (1552) hat sie doch Joh. Freders Uebersetzung vom Jahre 1544 (s.u.) neu gedruckt. Die Altenburger Bd. 8 (1662) folgt wieder ganz der Jenaer und druckt nur die Dedikations- epistel ab. Die Leipziger Gesamtausgabe, welche überhaupt

ı) In der hebräischen nnd lateinischen Bibel beginnt das 12. Kapitel: „Zur selbigen Zeit wird der große Fürst Michael“, während Luthers Bibelübersetzung bereits 10 Verse früher (Kap. 11, 86) mit: „Und der König wird tun was er will" das 12. Kapitel be- ginnen läßt.

9) Die Durchsicht des Propheten Daniel fiel in die Zeit zwischen dem 21. und 27. Januar 1541, vgl. Weim. Ausg. Bibel 4 8. XXX, dazu S. 206 das Protokoll betreffend Daniel 11,38fl. Luther hätte gern gesehen, daß ein anderer einen Kommentar über Daniel 12 verfaßt hätte (vgl. den Anfang in unserem Abdruck unten); Bugenhagen scheint es auch versucht zu haben, (vgl. Bos. o. 170 Bl. 248b 949^ laut Bericht in Weim. Ausg. 401 S. 12); schließlich übernahm doch Luther selbst die schwierige Arbeit, besonders auf Drüngen Rörers, etwa Ende Januar 1541 oder bald danach, noch vor Mai (s. u.).

12 12

die Vorreden zur Bibelübersetzung zum erstenmal im Za- sammenhang darbietet (vgl. im Vorbericht zum 11. Bd. (1731) S. 8 und Bd. 12 Anfang), schlägt im 12. Bd. (1731) ein anderes Verfahren ein: unter Nr. XII druckt sie zuerst daselbst S. 21—23 jene Zuschrift an Herzog Joh. Friedrich, danach S. 23 42 unter Nr. XIII: „Vorrede über den Pro- pheten Daniel nebst der Auslegung des Eilfften und Zwölfſten Capitels Danielis“, das ist ein nicht recht geschickter Abdruck aus der in der Bibel 1541 vorliegenden erweiterten Fassung der Vorrede. Auf 5, 27 und 28 vermerkt Leipzig in Petit- druck, aber unvollständig und nicht ganz genau, die Ab- weichungen des im Urdruek 1530 und in der Bibel vom Jahre 1534 vorliegenden älteren Textes der Vorrede; jedoch den erheblichsten neuen Einschub des Jahres 1541, eine Art Kommentar zu Daniel 11, 36 bis 12, 12, druckt Leipzig ein- fach ab, ohne vergleichungsweise den viel kürzeren Text des Urdrucks vom Jahre 1530 (und in der editio princeps der Vollbibel 1534) davon zu unterscheiden. Dies Verfahren Leipzigs ist bedingt durch folgenden, bald nach Luthers Tod wohl durch Rörer veranlaßten Sonderdruck, der nur die zweite Hälfte der für die Bibel 1541 überarbeiteten Vorrede zu Daniel enthält:

„Das zwelffte Capi-jtel Daniels, mit der Auslegung]

D. Martini Lutheri, zu die-|sen fehrlichen zeiten seer || nützlich vnd tróst-|lich zu le-|sen. || Witte- berg || Gedruckt durch Hans || Lufft, || 1546.“ || Ohne Titeleinfassung. Titelrückseite bedruckt (Bild mit Ueber- und Untersehrift, nach Apoc. 17, 1ff. die babylonische Hure als Abbild des antichristlichen päpstlichen Reiches darstellend) 31 Bl. in 4%. Vor- handen z. B. Berlin Luth. 8161.*

Der Text beginnt hier Bl. A II“: „Das zwelfite Capitel Danielis, wie es alle Lerer eintrechtig . auslegen, gehet gantz vnd gar, unter Antiochus namen aaff den Endechrist...... .: Weil der Prophet albie, das fur der farnemesten Tochter eines des Endechrists rechnet, das er die liebe zun Frawen nicht achtet. || Wir hetten aber wol gern gesehen, das jemand anders sich des Capitels hette angenomen“ usw. 80 lautes der Abdruck 1546, genau. entsprechend der Vorlage in der Bibel 1541 Bl. CVI*^ unten (2. Zählung, Bl. CVI ist dreimal gezählt, Bl. CV vorher zweimal) und Bl. CVI* (3. Zählung) oben. Der Sonderdruck 1546 folgt auch weiter i. g. genau der Vorlage der Bibel 1541 bis zum Schluß; Bl. H 111» schließt wie die Bibel Bl. CXI’: ,sampt dem Vater und heiligem Geist, gelobet in ewigkeit, Amen".

13 13

Leipzig XII S. 31 markiert an der betreffenden Stelle seine Vorlage den Sonderdruck 1546 durch Ein- schaltung der Zwisehenübersehrift „Auslegung des 11. und 12. Capitels Danielis“, darauf beginnt der Neudruck von 1546 so: „Das 12. (oder 11. Cap.) se markiert Leipzig die abweichende Capitelzühlung, s. o. S. 11 Anm. 1 wie es alle Lehrer einträchtig auslegen“ usw. Leipzig versäumt es aber, hier die Naht oder Bruchstelle des Textes im Fort- gang der lutherischen Vorrede (gemäß der Bibel 1541) zu erläutern. 1541 Bl. CVI” stimmte zunächst noch mit dem Urdruek 1530 überein: „wie das alles droben Cap. 8 an- gezeigt iet, vnd sie Daniel ym text erzelet. || Das zwolfit €apitel, wie es alle Lerer eintrechtig auslegen.“ 80 1530 Bi. 1^ gleieh Bibel 1541 bis zu dem Satz „das er die liebe zun frawen nicht achtet“. Nun fährt 1530 (auch die Bibel 1534 bis 1540) fort: „Da bey wollen wirs auch hie lassen, denn dieses Capitel verstand vnd geistliche deutung des Antiochi, gehet vnd stehet yan der erfarung, vnd wie er sagt, wird die aufferstehang der todten vnd die rechte er- lösung bald darauff folgen.“ Diese Sätze hat Luther 1541 gestrichen. und statt derselben als seine nene „geistliche Deutung“ den umfangreichen: Kommentar zu Daniel 11, 36 bis 12, 12 (den Rörer in Luthers: Originalhandschrift auf- bewahrt hat) in der Bibel 1541 vom Bl. CVI (dritte Zählung) an auf 10!/, großen Foliodruckseiten eingeschaltet. Gegen Ende aber tretfen doch 1530 und 1541. wieder zusammen: Der Urdruck 1530 fährt auf Bl. E 11* nach den (später ge- tilgten) Sätzen „da bey wollen wirs aueh hie lassen . . die rechte erlösunge bald. darauf folgen“ sogleieh (ohne die spätere große Einschaltung von 1541) fort: „Aus dem sehen wir, welch ein trefflicher, grosser man Daniel beide für Gott vnd der welt gewesen ist“ usw. Mit demselben Satz trifft der Bibeldruck 1541, naeh der reichlich 10 Folio- seiten füllenden Einschaltung, auf Bl. CXI* (zweite Züh- lung) wieder mit: der älteren Form der Vorrede zusammen: „AVS dem sehen wir, welch ein trefflieher grosser Man Daniel" usw. Und beide Texte lauten dann, abgesehen von den in 1541 am Rande beigefügten Inhaltsangaben, gleieh bis zum Schluß: „ynu ewigkeit, AMEN“.

Diesen Sachverhalt hat. Leipzig nieht klar gemacht: Und aueh den folgenden Gesamtausgaben ist es nieht: ge- lungen, obwohl sie sich darum bemtlht haben.

Walch! Bd 6 (1741) schließt sich Sp. 1422 ff. wesent- Heb an Leipzig an, er macht aber in der Vorrede zum 6. Band S. 14 f. ausdrücklich auf den Sonderdruck von 1546 (s. o.) aufmerksam, Im Textabdruek faßt er durch A und B

14 14

die beiden ersten Stücke des Urdrucks 1530 noch enger als Leipzig zusammen: „A. Zuschrift der Uebersetzung des Propheten Danielis ... 1530“. Sp. 1422—1429: „B. Vor- rede tiber den Propheten Daniel, nebst der Auslegung des eilften und zwölften Capitels Danielis.“ Sp. 1430—1493, darin setzt er zwei Zwischenüberschriften, Sp. 1456f.: Aus- legung des eilften Capitels Danielis“, Sp. 1480f.: „Auslegung des zwölften Capitels“. Im Abdruck werden die Texte 1530 und 1541 meist im Anschluß an Leipzig, aber noch weniger klar in einander geschoben, die zweite Hälfte aber ist doch, ohne daß dies deutlich gesagt würde, nur ein Neudruck der zweiten Hälfte der überarbeiteten Vorrede 1541, und zwar auf Grund jenes Spätdruckes 1546. Wie schon in Leipzig werden von Walch Verszahlen beigefügt und die Kapitel nach der Art der Vulgata (11 und 12) abgegrenzt.

Die Erlanger Ausgabe Bd. 41 (1847) S. 232 ff, bemüht Sich, ohne rechten Erfolg, um Aufklürung und Verbesserung. Zum erstenmal wird hier, nach bibliographischer Beschreibung des Urdrucks 1530 und des teilweisen Spätdrucks 1546, der Urdruck in allen drei Teilen neugedruckt; erst der Widmungs- brief (ohne Sondertitel) S. 233—237, dann die „Vorrede“, aber in zwei Hälften zerlegt: die erste Hälfte auf S. 237 bis 258, bis zu der Stelle: „wie das droben Cap. 8 angezeigt ist, und sie Daniel im Texte erzählet“, sodann nachdem der dritte Teil der Grundschrift von 1530, der Uebersetzungs- text von Daniel Kap. 1—12 auf S. 258—294 eingeschoben ist folgt die zweite Hälfte der „Vorrede“ Luthers auf S. 294—324 gemäß jenem Spätdruck v. J. 1546, der aus- drücklich auf S. 294 mit seiner Titelüberschrift rekapituliert wird: „Das zwölfte Capitel Danielis, mit der Auslegung D. Martini Lutheri, zu diesen fährlichen Zeiten sehr nützlich und tröstlich zu lesen.“ So hat gerade Erlangen Luthers „Vorrede“ besonders ungeschickt wiedergegeben; abgesehen von der Zerreißung in zwei räumlich getrennte Hälften wird das Verhältnis zwischen der älteren Form 1530 und der späteren 1541 (durch Anmerkungen und teilweisen Petit- druck) doch nicht klar gemacht. In der ersten Hälfte wird anders als in Leipzig (und teilweise in Walch?!) als Haupt- text die Fassung von 1530 dargeboten mit Notierung der Abweichungen des späteren Textes (1541, 1546), in der zweiten Hälfte liegt, wie gesagt, der Sonderdruck 1546 zu- grunde; in der Anm. 3 S. 294f. und S. 321 Anm. 52 sind die oben von uns bezeichneten Bruchstellen flüchtig markiert mit Rückblick auf den Urdruck 1530. Auch sind die Ab- weichungen von Walch!, wie auch sonst oft bei Erlangen, angemerkt. Es fehlt aber durchaus an Uebersichtlichkeit;

15 15

vor allem ist die Hauptsache nicht gesagt, daß die uber- arbeitete Form in beiden Hälften der lutherischen Vorrede zum erstenmal in der Bibel 1541 aufgetaucht ist.

Im Unterschied von dem Wittenberger Spätdruck 1546, der nur die zweite Hälfte der Vorrede und zwar in der Fassung der Bibel 1541 enthält, gibt es übrigens zwei Nach- drucke der vollständigen Vorrede von 1541, einen deutschen Text und eine lateinische Uebersetzung, beide noch bei Luthers Lebzeiten, aber außerhalb Wittenbergs im Jahre 1544 gedruckt.

Der deutsche Sonderdruck erweist sich schon im Titel als ein Supplement für die Besitzer älterer, vor 1541 er- schienenen Bibelausgaben:

„Kurtze || Erelerung vber de Pro-|pheten Danielem, darin man aller Ca-|pitteln kurtze Summarien finden vnd verstehen mag, || Vnnd ist für die jenigen, welche die letsten Wit-|tenbergische Bibel nit haben, || Dar- innen sölche Sum-|marien seind. || Durch D. Martinum Lutherum. || Getruckt Frankfurt am Mayn, || bei Cyriaco Jacob. || Anno M.D.XLIIII. || ^ Ohne Titel- einfassung, Titelrückseite leer. 40 Bl. in 4°, letzte Seite leer. Auf Bl. i 1I* (Mitte) bis k 4* beginnt die „Vorrede auff die Offenbarung S. Johannis.“ (d. i. die spätere Fassung v. J. 1530), die als eine Art Anhang zur Danielvorrede abgedruckt ist. Vgl. auch Erl. 41, S. 232 f. Nr. 2. Vorhanden z. B. Berlin Luth. 7741.

Eine lateinische Uebersetzung der vollständigen, in der Bibel 1541 erweiterten Vorrede hatte ferner auf An- regung G. Rörers 1) Joh. Freder in Hamburg 1544 geleistet, die er seinem alten Freunde „Danieli Von Buren Senatori Bremensi“ widmete:

„COMMEN || TARIVS D. DOCT. MARTINI || LV- THERI IN DANL|ELEM PROPHEITAM. || Mat- thæi. 24. || Cum uideritis abominationem desola- tionis, quse dicta est â || Daniele propheta. stantem in loco sancto, || qui legit intelligat. | FRANCOFVRTI EX || officina Petri Brubachij, || Anno M.D.XLIIII. ||“

1) Im Dedikationsbrief sagt Freder: Rogavit me Dominus Ma- gister Georgius Rorarius, Ecclesise Vuittebergensis presbyter, vir summa pietate et magna sacrarum literarum rerumque spiritualium cog- nitione atque usu praeditus, ut eam D. M. Lutheri praefationem in gratiam piorum apud exteras nationes agentium e lingua Germanica in Letinam converterem.

i6 16

Ohne Titeleinfassung, Titelrüekseite leer, 45 (2 bis 44 bezifferte) Blätter in 8°, letzte Seite leer, auf der vorletzten nur Buchdruckerzeichen, am Etde: FRAN- COFVRTI EX OF-|fieina Petri Brubachij. Anno M.D.XLIIL|“ Vorhanden: Dresden.

Neudruck id Witeberg. tom. 4 Bl. 324 —339 (ohne Freders Widmungsbrief).

Noch ist die neueste Bearbeitung der Danielschrift ia der nordamerikanischen revidierten Ausgabe des alten Waleh kurz zu erwühnen, Walch? Bd. 6 (1897) Sp. 892 ff.. folgt im ganzen Walch I. Nach der Zuschrift an den sächsischen Herzog Sp. 892—897 druckt er die „Vorrede“ Luthers nebst der Auslegung des 11. u. 12. Kapitels Sp. 897—943 mit zwei Zwischenüberschriften Sp. 916 f. u. 934f. Er vergleicht fleißig die älteren Ausgaben, auch Freders lateinische Ueber- setzung und die spätere , Weimarsche Bibel“. Auf die Ueber- setzung von Daniel 1—12, die Erlangen gemäß dem Ur- druck 1530 dargeboten hatte, ist verzichtet. In den Vor- bemerknngen Sp. 892f. steht mit Bezug auf die Auslegung des 12. Kapitels Daniels, „die größtenteils erst später (nach 1530) ausgearbeitet ist“, das resignierte Eingeständnis: „Wir sind nicht imstande, eine einigermaßen genaue Zeitbestimmung für diese Auslegung zu geben“; 1530 u. 1534 stehe nur der Anfang und Schluß, das Vollständige haben erst die späteren Bibelausgaben; Freder habe die Auslegung von, Daniel 12 samt der Vorrede zu Daniel freilich schon 1544 ins Latei- nische übersetzt; eine deutsche Einzelausgabe jedoch sei erst 1546 herausgekommen usw. „Wir geben die Vorrede so heißt es beim neuen Walch nach der späteren Rë- daktion und zeigen die Abweichungen der ersten Ausgabe in Noten an.^ So ist auch bei Walch? die Lösung Pid Rütsels (die Auslegung von Daniel 12 ist ein Teil der die Bibelausgabe 1541 erweiterten Vorrede zum Daniel) nicht gefunden.

Wie wird die Weimarer Ausgabe sich zu der Ueber- lieferung stellen? Entscheidend ist für uns dies, daß wir die Lutherbibel selbst in einer besonderen Abteilung neu herausgeben, wobei wir die Vorreden Luthers an dem ihnen gebührenden Ort, d. h. jedesmal vor dem zugehörigen bib- lischen Buch, abdrucken wollen. Folglich muß die Vorrede zum Daniel vielleicht in Spaltendruck ihre früheste und späteste Fassung nebeneinander auch in dem betreffenden Bibelband, wahrscheinlich im neunten unserer Ausgabe, vor dem Text des Danielbuchs ihre Stelle finden. Die Dedikations- epistel aber gehört nicht mit an diesen Platz, sondern ist

17 17

am zweckmäßigsten den Schriften Luthers vom Jahre 1530 beizuordnen (s. o. den vorstehenden Aufsatz) ).

Von der Haupteinschaltung, die Luther in der zweiten Hälfte der Vorrede zu Daniel für die Bibel 1541 verfaßt hat nicht aber von den kürzeren Umarbeitungen in der ersten Hälfte dieser Vorrede ist noch Luthers eigen- händige Niederschrift in Jena, Bos. q. 24" Bl. 261°— 280 vorhanden.

Die Handschrift Luthers.

Der besonders wertvolle Handschriftenband Rörers Bos q. 24° ist in der Weim. Ausg. schon mehrfach benutzt und erwähnt (Bd. 401, 4 f.; Bd. 45, X; Bd. 49, IX; Bd. 51, 627 f.), aber noch nicht genau beschrieben worden. (Eine Beschrei- bung steht in Aussicht.) Auf die darin enthaltenen, einge- bundenen sieben Originalmanuskripte Luthers hatte übrigens bereits Buchwald lüngst (in Th. Stud. Krit. 1894 und in Ztschr. f. KG. 1894) aufmerksam gemacht.

Die Dan. 12 betreffende Handschrift Luthers ist wesent- lich vollständig erhalten, durch Beschneiden beim Einbinden des Bandes sind freilich einige an die Ränder geschriebenen Sätze verloren gegangen (zum Teil aber durch Rörer selbst noch ergänzt). Rörer interessierte sich ganz speziell für diese Schrift Luthers. Am 25. Mai 1541 schrieb er an Myconius (vgl. Cod. Goth. 1048 Bl. 26, Kawerau in Luthardts

1) Man könnte freilich mit Berufung auf Bd. 19, 185 ff, 845 ff., Bd. 28, 485 fl. und Bd. 8011, 220 f. fragen, ob nicht ebenso wie bei Jona, Habakuk, Sacharja und Hesek. 38, 89 der Erstdruck der Daniel- übersetzung 1580 als Ganzes vorweg hätte abgedruckt werden sollen. Möglich war das wohl. Aber für solche weitere Vorwegnahme von Bibelverdeutschungsstücken, die wir in unserer Textbibel wiederholen müßten, fehlt uns jetzt der Raum. Bei Jesaia v. J. 1528 ist sie ja anch unterblieben. Bei den andern von uns vorweg gelieferten Ab- 4rucken ist noch die Besonderheit des Falls zu bedenken: Hesek. 38/39 betrifft ja nur zwei Kapitel. Und wo es sich um Abdruck von Texten ganzer biblischer Bücher handelte, bei Jona, Habakuk, Sacharja, ist zu sagen, daß die dabeistehenden Vorreden Luthers ganz andersartige, in der Vollbibel später nicht wiederholte Arbeiten darstellen; der a. a. O. mitabgedruckte Bibeltext ist freilich eine Vorwegnahme unserer Text- bibel; das war aber nicht wohl zu umgehen, weil jene Übersetzungen Luthers mit Auslegungen verbunden sind. In unserem Textbibel- Abdruck werden wir spáter die genannten Prophetentexte noch einmal zu drucken haben, der regierende Text wird dann für uns die erste Gesamtausgabe der Propheten v. J. 1589 sein, wo ja auch jener Wid- mungsbrief an Johann Friedrich v. J. 1580 ausgelassen war.

Archie für Reformationsgesehichte XXIL 1/2. 2

18 18

Ztschr. f. k. Wiss. u. k. Leben I [1880], 50£) u. a. über Luthers fortgesetzte Arbeiten an der Bibelübersetzung: Plera- que mutavit in praefatione in 9. capt. Danielis de 70 heb- doma: Et quod omnium est utilissimum, illustravit 12. capt. Danielis commentariolo, quod sane periucun- dum erit lectu omnibus piis et mirifice consolatorium reli- quiis Sanetorum, qui post nos victuri sunt ad illum redem- tionis usque diem. Sollicitavi apud sanctum virum ` longo tempore, ut communicaret Ecclesiae sententiam suam in hoe caput [d. h. Daniel 12], qued maxime ad nostrum tempus spectat . . . . sed res dilata est usque ad hoo tempus .... Tandem cum minime sperabam, prae- stitit plus quam unquam usque fuissem sperare. am quatuor integras duernionesi, e. 16 pagellas soripsit in hoc caput.

Luther, der am 3. April 1530 aus Wittenberg nach Koburg abgereist war, hatte wohl dem Bibelkorrektor Rörer bereits das fertige Manuskript über Daniel 12, dessen Ab- fassung Rörer selbst angeregt batte, zurückgelassen. Rörer batte es damals, als er an Myconius schrieb, in Händen und als besondere Kostbarkeit hat er es in einem seiner Sammel- bände (jetzt Bos q. 24") mit einbinden lassen. Wir be- sitzen darin nun noch jene quatuor duerniones. Luther Selbst hat sie nach seiner Weise (vgl. Thiele, Lutherstudien 1917, S. 248) signiert; man liest noch jetzt auf Bl. 261* unten: A, auf Bl. 267* unten: B; ebenso hat Luther die dritte Bogenlage seiner Handschrift durch C signiert auf Bl. 273* unten. Das Blatt ist scharf beschnitten, doch ist. das C noch zu erkennen; zu Anfang des vierten Bogens auf Bl. 277* unten liest man wieder D. Der erste Bogen A umfaßt näher Bl. 261, 262, dann Bl. 265 u. 266, während Bl. 263 u. 264 Einschaltblütter, Nachtrüge von Luthers Hand sind. Aehnlich verhält es sich mit Bogen B, er umfaßt außer den vier Blättern 267, 268, 271, 272 noch die Ein- sehaltblätter 269 u. 370. Zum dritten Bogen gehören Bl. 273, 274, 275, 276 und als Einlage 275°; zum vierten Bogen endlich Bl. 277, 278, 279, 280. Beim Paginieren des Bandes hat Rörer einige Male sich versehen, und in jenem Brief hat er bei den „16 Blättern“ die fünf Einschaltbläster uicht mitgerechnet.

Wir drucken Luthers Handschrift aus Bos. q. 24 Bl. 261 280 ab und notieren dazu als Lesarten unter dem Text die wichtigeren Abweichungen des ältesten in der Bibel 1541 vorliegenden Abdruckes. Wir benutzten das Exemplar der Preußischen Staatsbibliothek Bu. 9435 b. Die rein orthographischen Abweichungen notieren wir nicht

19 19

als Lesarten, also nicht z. B. die verschiedene Schreibung zusammengesetzter Wörter, nieht den Wechsel von großen und kleinen Anfangsbuchstaben, wobei aber Luthers eigen- händige Korrekturen in seiner Handschrift zu beachten sind, auch nicht die häufige Vertauschung des y der Handschrift dureh i oder j im Druck, auch nicht die fehlenden oder hinzugefügten Kommata oder Punkte u. dgl. m.). Ohne Zweifel hat Luther selbst, nicht bloß Cruciger und Rörer, die Hauptkorrektur dieser wichtigen Bibelausgabe mitgelesen; bekannt sind Rürers und Christoph Walters Zeugnisse dafür. Zu unseren Siglen ist oben in der vorstehenden Abhandlung das Nötige gesagt.

IBI. 261°] ?)

Wir heiten aber wol gern gesehen, das (ettwa) yemand anders sich des Capitels hette angenomen, vnd dürch aus verkleret zu stercken vnsern glauben vnd [zu erwecken 7h] die hoffenüg gegen dem seligen Tage [c aus

s tage] vnser Erlosüg [c aus erlosüg] der nu mehr gewislich fur der Thur [c aus thur] ist als dieser Text [c aus text] gibt. Weil das nicht geschehen, wollen wir hiemit andern vrsachen geben weiter vnd besser nach zu dencken

Erstlich stehen da [die] hellen wort [am ende des

ı XI eap] das nach dem Antiocho. sey noch ein andere zeit [sey bis zeit von Luther unterstrichen] Das [c aus das] man dis [-12-] Capitel nicht kan von Antiocho ver- stehen, weil es eine andere zeit sein sol Vnd was ynn der selben ander zeit geschehen sol, verkundigt der [Engel]

1 vnd spricht q| Der Konig wird thun was er wil. [Der bis wil von Luther unterstrichen] das ist Er wird

2 Rörer schreibt cap noch einmal am Rande, da Luthers

Wort durch Beschneiden des Blattes verletzt ist. 8 vnser Glauben 41 10 sey bis zeit nicht gesperrt 41 15 gemäß q ein Absatz in 41 Der Bibeltext Der bis wil gesperrt 41

1) Erinnert sei an die bekannte AeuBerung Luthers selbst in der Vorrede zum 2. Teil der Kirchenpostille 1525: „denn ym corrigiren mus ich offt selbs endern, was ich ynn meyner Handschrift hab vber- sehen vnd vnrecht gemacht, das auff meyner Handschrift Exemplar nieht setrauen ist". Zur Sache ist auch zu vergleichen E. Gieses Disser- tation: „Untersuchungen über das Verhältnis von Luthers Sprache zur Wittenberger Druckersprache". (Halle 1915.)

3) Unten von Luthers Hand A (Bogenbezeichnung). Bl. e (vor Bl 1) im Inhaltsverzeichnis von Rörers Hand: „A Enarrao cap: 12 dan: p L. L. 201. 5

2⁰

20 20

keinem Recht (vnd) noch lere vnter worffen sein. Sondern Er wird selbs das recht sein vnd was er wil, das wird mussen recht heissen [c aus heissenn] [Folgt von Luthers Hand längere Einschaltung am Rande links: Nu ist bis

s nichts sein rh] [Nu ist ynn allen (...... ) konigreichen solcher konig ein vnleidlicher tyrann, Aber ym Reich Christi (dauon er itzt redet) (sol mus da....... ) da

man Christo durch den glauben mus gehorsam sein, sol

solcher tyrann zu grund nichts sein [rh]] (Das) [Hie]

ist klerlich der Bapst abgemalet, der ynn seinen Drecketen vnuerschampt brullet, das alle [kirchen vnd] thronen von yhm gerichtet Er aber von niemand konne gerichtet werden

Vnd Ca, Solite, Wie die Sonne vber den Mond So ist der

Bapst vber den keiser, Wo aber [BI. 261*] die oberkeit

ist, da ist gewalt zu gebieten. die andern sind schuldig

gehorsam zu sein. Daher rhumen seine hetichler. Scrinili pectoris?) das alle Rechte ynn der laden seines hertzen ligen [Vnd] Sie volo sic iübeo sit pro ratione voluntas

[Folgt größere Einschaltung am Rande links: Vnd bis

20 thustu? rh] [Vnd Capi Si Papa. Wenn der Bapst vn- zeliche seelen zur hellen verfurete, noch sol niemand sagen, Was thustu? rh] Dis [alles] ist nicht allein also geleret Sondern auch ym werck geubet vnd getrieben Denn der keiser ist nicht keiser, sondern der Bapst

s [c aus Papst], dem er vnterthan als ein knecht [auch] die fusse kussen mts [mit allen seinen Rechten] Solchs hat auch S, Petrus verkundigt, das komen wurden, die nach yhren eygen lusten oder willen (t) leben wurden, damit er dis wort [Danielis] (was er wil) verkleret.

80 Zum aüdern Er wird sich Erheben vnd auff werffen wider alles was Gott ist Vnd wider den Gott aller Gotter wird er grewlich reden. Vnd wird yhm gelingen bis der zorn aus sey“) Also malet der Bapst auch sich selbs [(au) [auch] sich 7A]

ss [um aus selbs auch sich] (das malzeichen Darneb), da

1

eo

1

10 Dazu Randglosse Brüllen des Bapsts in seinen Deckreten. 41 16 Dazu am Rande Scrinium pectoris ete. 41 84 Dazu am Rande: Bapst rhümet, Er sey vber die heilige Schrifft. 41

1) Unter der Einschaltung Luthers am Rande ist von Rörers Hand wiederholt Nu ist in allen konigreichen solcher konig ein vnleidlicher Tyrann Aber im

9 + am Rande.

*) Der Bibeltext von Luther unterstrichen, ist im Druck ge-

sperrt 41 (so auch im folgenden immer).

21 21

. er ynn seinen Decreten rhümet. Er sey vber die heilige schrifft vnd die selbige müsse von seinem stül bestetiget vnd yhren werd empfahen Aber viel stercker treibt er solehs (ym) mit der that Denn (nach) alle die [yemals] wider yhn, aus der schrifft geredt haben , die hat er verflucht, verdampt, ver [BI. 262^] brant als ketzer vnd teuffels kinder Thuts auch noch teglich (sonderlich ynn der Bulla Cene Dni alle yar offentlich) Vnd die seinen schreien noch itzt vnd ymer[dar] (dar das), das die kirche 10 (des Bapsts) vber die schrifft sey Das heisst hie Daniel grewlich reden wider den Gott aller Gotter. Vnd ist yhm gelungen [vnd hat müssen recht heissen rh] durch Gottes zorn vber die vndanck- barn welt wie .S. Paulo 2 Tess 2. sagt Das Gott kreff- i5 tige yrihum Schicken wurde 2c.

Denn andere tyrannen so Gottes wort verfolget, habens aus vnuerstand gethan, Dieser thuts, wissentlich, vnd Nennet die heilige schrifft vnd Gottes wort, daruber er herr sein wil [vnd verdamnen als teuffels lere, wo vnd

20 wenn er wil, rh] Daher lesst er sich nennen. Einen yr- dischen [Gott] Ja Gott aller Gotter, herr aller herrn, konig aller konige Nicht ein pur menschen sondern ver- misscht mit Gott oder ein Gottern menschen, gleich wie Christus selbs ist Gott vnd Mensch, des Vicarius er sein

35 wil, vnd (doch) [noch] druber sich erhebt q| Also hat S Paulo 2 Tess 2 diesen text Danielis gefurt Es wird offenbart werden der Mensch der sunden vnd kind des verderbens (das ist der on gese) der sich erhebt vnd setzet vber vnd wider alles das Gott [B/. 262*] genennet oder ge-

so ehret wird (denn G) vnd sitzt ym tempel Gottes vnd zeiget Sich als einen Gott Denn vber Gottes natürlich [c aus natürliche] wesen vnd Maiestet kan sich nichts erheben Sondern vber den genanten, gepredigten, geehreten Gott, das ist vber (sein) [Gottes] wort vnd Gottes dienst oder

3 Sacrament’) [Nach diesen sechs Zeilen Bl. 262“ folgt mit starken Einweisungszeichen eingewiesen große Einschaltung auf Bl. 263^, 1 bis 2640, 7: Mensch der sunde bis Drecketen

*

1 Drecketen 41 11 Dazu am Rande: Grewlich reden wider den Gott aller Götter. 41 14 am inneren Rande 2. Thess, 2. 41 21 am Rande Was fur lesterliche Namen vnd Titel, der Bapst ym zu- geeigent hat 41 25 noch sich druber 41 87 Mensch] DENN Mensch 41

1) Was Luther nun weiter noch auf Bl. 262* schreibt, gehört hinter die folgende große Einschaltung (also hinter Bl. 264^ Z. 6).

22 22

vnd Dreokental rh] Mensch der sunde vnd kind des ver- derbens!) (ist Ebreischer weise geredt nicht allein der, 80» heisst hie nicht allein. der fur sich selbs ein Sunder vnd verloren ist, priuatus, [ein psonlicher Sunder, rh] Son- dern der ein publico [ein amp || [abgeschnittener Rand] sunder ist rh] das ist, der andere mit sich zur sunde vnd verderben [furet r] wie die Ketzer [c aus ketzer] oder Tyrannen. land vnd leute mit sich [verfuren vnd verderben rh) Solchen beschreibt Die Schrift [c aus schrifft] den 10 konig Jerobeam. das er habe Israel sundigen geleret oder

sundigen gemacht, mit seinem newen Gottesdienst [c aus Gottes dienst]

q| Soleh Stinden ampt (c aus Ampt) hat der Bapst auff zweyerley weise getrieben, Erstlich das er viel newer Gottsdienst auffgericht <V.. als) hat wie hernach folget ynn seinem Matisim [c aus Maysim] als das Ablas Wey- wasser [c aus wey wasser rh] Heyligendienst [c aus heyligen dienst] Walfarten [c aus walfarten]. Bruderschafften, fasten, feyren Messe Muncherey ꝛc da neben die rechten Gottes- æ dienst [c aus Gottes dienst] [als] Sacrament, Gottes wort, glauben :c verstoreí vnd zeschendet q| zum andern, Das [c aus das] er die Christen mit vnzelichen Gesetzen [c aus gesetzen] vnterdruckt, Vnd damit sunde gestifftet. da Gott keine haben [wil] Vnd Süma [fast] (ynn) [an] alle æ Creatur Gottes hat er sunde geschmirt, als Nemlich. Wo vnd wenn er hat gewolt, so hat Butter [c aus butter] Eyer [c aus eyer], Kese [c aus kese], Milch [c aus milch], Fleisch [c aus fleisch] essen [c aus esen], sunde mussen sein, die vns doch Gott frey, rein vnd on sunde zu ge- se niessen gegeben hat. Also hat er die Zeit [c aus zeit] vnd Tage [c aus tage] auch mit sunden beschmeisst Denn wo vnd wenn er hat gewolt, So [hat] man mussen fasten vnd feyren. Vnd hat die selbigen zeit vber allerley (ess) Speise [c aus speise] auch das liebe Brot essen, (vnd ss trincken rh] sande mussen sein

mn

1

5 ein ampl||sunder ist fehlt 41 18 am Rande Sündenampt des Bapsts etc. 41 18 Bruderschafften, Müncherey, Messe, Fasten, Feiren etc. (Wortstellung!) 41 20 als Gottes wort, glauben, Sacrament etc. verstöret 41 21 q|] Absatz 441 25 am Rande: Bapst hat alle Creatur mit sänden beschmeisst 41 25 als undeut- lich geschrieben] fehlt 41 81 am Rande Zeit vnd tage x 41

1) Von Rörers Hand wird am Rande wiederholt (teilweise verstümmelt): Mens.. der sun... vnd ki.. des ver... bens.

23 23

[31. 263°]

Also hat er auch die Stete [c aus stete] [vnd Gerete (c aus gerete)] mit sunden beschmeisst Denn die Kirchen [c aus kirehen] vnd geweiheten Stete [c aus stete] hat er s also geheiliget, das man weder stein noch holtz schier hat thuren anruren, sonderlich die Altar [c aus altar] vnd Altarsgerete [c aus altarsgerete] Schrecklich war es, Wenn ein Leye [c aus leye] mit blosser hatt: den Kelch [c aus kelch] Paten [c aus paten], Corporal anrüret, Wenn mans 20 wasschen solt, thurste es auch kein heilige Nonne wasschen, der Priester [c aus priester] muste es zuuor wasschen So vol sunde (oder gesteckt?) steckt!) der Kelch [c aus kelch] Paten (c aus paten) Corporal [c aus corporal] vnd alles was geweyhet war 15 Also muste die Hochzeit, von Gott frey gestifft [sunde sein rh] wo sie yon verbundener zeit gehalten ward, Auch muste das Ehehette [c aus ehebette] [ynn”) sunden rh] gelangen sein welche zeit er wolte Also beschmeisst er auch die Leibe [c aus leibe] der * Priester [c aus priester] Denn [c aus denn] das naturlich gewechse vnd Gottes geschepffe das [arme rh] Har [c aus har] auff dem Heubt [c aus heubt] muste sunde sein (wo B....) Platten musten sie tragen vnd den Bart abscheren 80 waren sie denn heilig [c aus heilige], Vnd Süma aller 3 Christen Leib [c aus leib] vnd Leben [c aus leben] muste vnheilig heissen, Seine geweyheten waren allein heilig, Ich wil geschweygen wie leichtlich ein Leye [c aus leye] sich an einem geweyheten Menschen [c aus menschen] (oder) Stet [c aus stet] oder Gerete [c aus gerete] sich 20 vergreiffen |

lam Rande: Stete vnd Gerete etc. 41 5 weder (undeut- lich, vielleicht ist wider zu lesen)] weder 41 8 haüt] hand (richtig?) 41 19 So vol Gesetze vnd sunde steckt der Kelch, Paten, Corporal, vnd alles was geweihet war 41 15/17 am Rande Hochseit.Ehebette. 41 77 geschweygen (tindeutlich)) schweigen 41 381. am Rande Geweiheten des Bapsts etc. Kleider. 41 29 sich fehlt (richtig!) nach Gerete. 41 80 vergreiffon) vergreiffen konde etc. 41

1) am Rande neben vol sende steht (oberhalb steckt) noch Gesetze [c aus gesetsen] vnd (diese zwei Worte ohne Einweisungs- zeichen). Durch den Abdruck 41 ist der Satz geklärt.

*) ynn undeutlich, der Rand ist scharf beschnitten.

24 24

Also beschmeisst er die Kleider [c aus kleider] auch. denn welcher Munch oder Nonne [c aus nonne] nicht yhre Kappen [c aus kappen] vnd sonderer (kleyder) [gestalt rh] vnd farbe Kleider [c aus kleider] trug der

s war ein Sunder [c aus sunder] vnd verloren, Also die 5 [c aus priester] mit yhren Kleidern [c aus kleidern] auc .

[BI. 264^] q| Also hat er fast aller Creatur brauch mif sunden be-

10 schmeisst, Essen, trineken [c aus Trincken] kleider, stet, zeit, leib [vnd] leben (vnd) Vnd solt er lenger regirt haben wurde er vielleicht auch verboten haben Hüsten ruspern rotzen vnd den Wind [c aus wind] vom Leibe [c aus leibe] lassen, Als sesse er darumb da, das er die Christenheit, mit gesetzen, verbot, sunden vnd verterben müste zuplagen durch aller Creatur brauch, Vnd dar nach geld draus keuffen mit dispensiren ꝛc Vnd solche sunde vnd grewel (Vnd w.. ) haben dazu mussen heiligkeit vnd [sonderlieher rA] Gottsdienst [c aus Gotts dienst} heissen, Wie [c aus wie] die kelber Jerobeam. Solche sunde vnd verderben meinet S Paulus ynn (diesem) diesem spruch (Vnd wie»

Dias ists das Daniel sagt, Er setze sich wider vnd

vber den Gott aller Gotter. Denn Gott hat durch Mosen ss auch gesetze gegeben vnd die Juden mit vielen sunden beschweret da sonst keine sunde naturlich gewest were, Aber er war Gott, Vnd hatte des macht. Dieser Teuffels- kopff [c aus teuffels kopff] vnd vnfletiger Gottes Affe [c aus affe], wils [c aus wills] yhm nachthun [c aus nach

30 thun], vnd machts weit vber (den rechten Gott) dazu [auch]

wider den rechten Gott dem er seinen Gottsdienst [c aus

Gotts dienst] zustoret [Bl. 264°] vnd mit so (vil) vnzeligen

Gesetzen, [c aus gesetzen] des er nicht macht hat vn-

zelige Sunde [c aus sunde] durch aller Creatur brauch vber alle Welt [c aus welt] stifftet, Vnd [c aus vnd] zeiget sich hie mit, als sey er Gott ym Tempel Gottes, das isí ynn der Christenheit Solchs alles beweisen Seine

(deere) Dreeketen vnd Dreckental [Ende der großen Ein-

schaltung (Blatt 264° hat nur sieben Zeilen), Fortsetzung

10 des Textes nun wieder auf Bl. 262° Z. 7:]

Durch diese zwey stucke hat nu der Bapst die zwo [c aus zwey] (stucke) Jerarchia verwustet Durch das Erste das welltlich recht, gehorsam vnd oberkeyt, vnter

[v EA

w ©

41 am Rande: Weltlich recht gehorsam vnd Oberkeit hat der Bapst unter sich getretten. 41 42 Jerarchien 41

95 | 25

sich getretten, Vnd wo er gewolt hat auffgehaben vnd verwustet, [keiser rh) konige [fursten] abgesetzt, verflucht verderbt die rh] Vnterthanen [vnd kinder] vom gehorsam verbannet (kinder den Eltern vngehorsam gemacht) Vnd Suma alles gemacht was vnd wie er gewolt oder yhn gelustet hat keinö [c aus keines] recht [c aus rechts] noch gesetze [c aus gesetzes] <s> vnterworffen. Durchs ander hat er die kirchen ver[storet] [c aus verwustet] [die heilige schrifft vnter sich geworffen rh) die Sacrament zu rissen vnd verjwustet [c aus verjkeret] [sampt yhrem brauch rh] Das Euangelion vnterdruckt, bis mans nicht mehr gekennet hat. Vnd also beide Gottes wort vnd Gottes dienst zu nicht gemacht. [Vnd also bis gemacht ist von Luther nachgetragen, die letzten sieben Worte stehen am Rande] 15 Zum dritten, Seiner Veter Gott wirdernichís achten Er wird weder frawen liebe noch einiges Gottes achten Hie holet er das wider (. . . ) [so] von Gott gesagt ist, das er mehr da zu tht?) [Hie bis thü rh, das erste Wort Hie, durch Beschneiden des Blattes verloren, 20 ist von Rörers Hand ergänzt] Wenn man yhm gleich sagt von seiner Veter Gott, das ist [von] Christo den die Apostel seine Vorfaren gepredigt haben so ist er nu so fest ge- sessen vber (alle? [den Gott aller Gotter rh] das ers nicht achten noch dauon ettwas wissen (wolte) [wil] sondern 35 hoffertiglich, stoltziglieh [diese zwei Wörter unten rh] hal- starrig vnd verstockt, alle die todtet [Ende von Bl. 262°, nun die Fortsetzung auf Bl. 265° anschließend:] die von Christo reden (wollen) Vnd auff das er nichts vnver- wustet lasse wird er die dritte Jerarchia Gottes auch zu so reissen, nemlich den Ehe stand. Den hat er nicht allein verbotten den geistlichen, sondern auch durch aus ver- lestert geschendet, veracht, vnd zu nieht gemacht, da mit, das ers ein vnrein, fleischlich vngottlich wesen schilt darin man Gott nicht dienen konne Vnange[se]hen das Gott s6 (yhnen> den Ehestand gesegent, Seinen bund [vnd wol gefallen rh] heisst, vnd durch vergebung der sunden das ehe bette rein vnd ehrlich spricht, Vnd die bose lust des fleischs drinnen nicht rechnen wil Also mus der Ende-

6 keins] Leinem () 41 12f. am Rande: Kirche durch den Bapst. verstöret etc. 41 28f. am Rande: Ehestand vom Bapst zurissen, ver- boten etc. 41 80 Den hat bis verbotten] welchen er nicht allein verboten hat 41 86 am Rande: Ehestand von Gott gesegnet 41 88 rechen 41

) Lateinisch: Hie repetit id quod de Deo dictum fuit, ut addat plura.

1

26 26

christ (s) verfluchen was Gott segenet zureissen, was Gott zusammen bindet, Schenden (das) [was] Gott lobet, vnd Summa alles vber vnd wider Gott thun verwusten vnd verderben Soloh [c aus Solchs] [ehe verbieten] wird er nicht thun, aus liebe zür keuschheit, on allein zum schein. Sondern das er [frey vngehindert rh] thun muge was er will [c aus wille], vnd niemand vnterthan noch verbunden sey, auch den schweis der Nasen vnd, andere muhe vnd erbeit, so Gott auff die drey seine stifft, als kirchen, herrschafft ehestand gelegt hat, nicht tragen durffe, Sondern frey seines willens (lusts vnd) leben muge, ynn aller lust, fride, sicherheit (.. . müsse, ehre vnd gewalt, (d.. ) Denn predigen. leren [BI. 265°] kirchen dienen hat viel 15 muhe, fahr vnd verlust Des gleichen die regiment, so ym reoht gefasst vnd verbunden sind. Der ehestand auch also mít sorgen, arbeit, fahr, weibs kinder, gesinds haus vnd hofes x Also sagt auch S Paulus 2 Timo.4. das die ehe verbieter ynn heuchley lugen reden (sind? Denn sie 20 meinen nicht die keuschheit sondern yhr faul, sanfft still eyge[nwilligs] (c aus eygenutzigs] leben Wie die Munche auch nicht die wellt fliehen vmb heiligkeit willen, sondern das sie ruge, friede vnd gut gemach haben mugen fur der wellt [Folgt eine größere Einschaltung am Rande, durch 3$ Beschneiden verletzt, durch Rörer z. T. ergdnzt:] [Das Daniel sagt, Er werde keines Gottes achten, als hielts Daniel mehr denn einen Gott. als da er aueh sagt Gott aller Gofter ist (erstlich?» zuuerstehen, das die schrifft die heiligen, Ja auch wol die weltlichen herrn, Gotter 20 nennet [ps 82, Joh .5.] vnd sey die meinüg: das der Bapst, weder den hohesten Gott noch die so er zu Gotter gesetzt hat, achten wird, das ist wed [achten bis wed Luthers Hand rh, die folgenden Wörler abgeschnitten, ergänzen wir aus dem Druck:] Weder die heilige Kirche noch weltliche ss Herrsohafft rh) !)

10f. am Rande: Creutz so Gott auff seine drey Stiffte gelegt hat. 41 13 musse 41 18 3. Timo] / Timo. 41 am innern Rande wiederholt 1. Timo. 4. 41 25/26 Er werde bis achten] ER werde wider den Gott aller Götter grewlich reden. Item, ER werde keines Gottes achten 41 26 hielts [undeatlich] hielte 41 27/28 als da er auch sagt Gott aller Gotter fehlt 41 80 Joh. 5.] Joh. x. 41

1) Rörer ergänzt am oberen Rand den Defekt so: Bapst weder den hohesten Gott noch die er zu Gotter gesetat hat achten wird, das ist weder die h kirche noch welt: herrschafft,

i

1

eo

27 27

Das ist ein stack von des [Bapsts oder] Endechrists wesen (oder) [vnd] legenden so Daniel beschreibet, wie er alles [was Gott geordent] zu reyssen zurstoren vnd ver- wusten würde Das ander stuck ist was der [Endechrist rh] Bapst da gegen bawen (machen) [anrichten] vnd (auff richten) [thin] werde vnd spricht

Aber [an desselben stat wird er] seinen Eigen Gott Maysim (wird er) ehren (an seinem ort? Denn er wird einen Gott, dauon seine 10 Veter nichts gewust ehren. mit Gold, silber,

Eddelsteinen vnd kleinoten ꝛc Das wort Matisim ist bisher (so) vngedeutet blieben, Wir wollens wogen, obs Gott [vns] wolt treffen lassen Maos [c aus Mavs?] heisst eigentlich eine stercke oder feste <w> wie man (ein) [die] schlosser sterck vnd feste heisst [Vnd ym psalter Maos offt Got vnser Maos stercke oder feste heisst rh unten, die letzten vier Wörter halb weggeschnitten] Vnd [wir] verstehen Erstlich dadurch die [steinern r] heusser so man kirchen nennet, [vnd was dazu gehoret] Denn sie 20 sind [BI. 266°] kostlich, fest vnd herrlich gebawet fur andern heussern wie die schlosser. Das sind die stifft vnd kloster ynn aller wellt. Die sind nicht Gotte noch Christo zu ehren oder [zti] dienst gebawet Denn er wonet nicht ynn hetisern von henden gemacht, spricht S Stephanus s Act. 7. Sondern dem Bapst, Denn ynn den selben regirt er, Vnd treibt sein gauckelspiel mit seinem weywasser Messe [(vnd andern menschen thande?] (reuchwerg Ca- seln) [vigilien Ablas (s) fegfeür r^] vnd des vnzeligen vnzifers [viel] Samlet aber drinnen aller welt Gold silber 20 Eddelstein vnd kleinot. (dazu sein) dazü die gantze stercke vnd macht seiner Gottheit, Denn darin leret vnd lebet man nach seinem willen vnd <le?) geboten [als Fortsetzung am Rande steht folgende Einschaltung, die z. T. abge- schnitten und durch Rörer ergänzt ist:] [vnd er hat sie ss auch gar herrlich vnd gewaltig!) befestigt, on harnisch [vnd wehre], allein mit bullen brieuen vnd siegeln als ein Zauberer oder geügler rh]

18 am Rande: Maos 41 15 sterck [undeatlich] starck 41 16 Maos vor offt fehlt 41 90 am Rande: Kirchen in Bapstum fest vnd herrlich gebawet etc. 41 25 am Rande: Stiffte vnd Klöster sind dem Bapst, nicht Christo gebawet 41 361. Wey- wasser, Messe, Vigilien, Ablas, Fegfewer vnd des vnseligen Vnsifers viel auch 41

1) Rörer wiederholt die z. T. 3 Silben deut- licher: ‘waltig’ und ‘nen’

28 28

Vnd ynn Sonderheit dienen die stifft vnd kloster dem Bapst. Denn (ob man wol) ynn den pfarrhen [hat man] ein wenig Gotte [geldienet. [(hat?] mit teuffen Sacrament vnd predigen (80) [Doch] ists (doch) auch nicht rein s gewest, Sind dazu [noch heutiges tages rh] veracht gegen die stiffte vnd kloster, Aber ynn [stifflen vnd] klostern ists mit aller macht gangen, tag vnd nacht, Da [c aus Das] €. .) sind nicht predig hetisser, sondern Messeheusser todten heusser das ist Vigilien heusser (denn? da ist mehr fur 10 die todten gelesen ge(sungen) [plappert] [gethan denn fur die lebendigen rh]') Item Lehr heuser heülheuser. doch auch Goldheuser, silber heuser, kleinot hetsser Vnd sonderlich rüret [Bl. 266°] der Engel mit dem wort May- sim [c aus Mavsim] das grosse vnd hochste stuck den 15 Ergesten [kirchen] grewel ym Bapstum die Messe. wolt wol gern deudlich sagen, Seinem Gott [der] Messe Vnd thut als verbreche (vnd vertunckelt rh) er das wort Messe [ym reden] williglich das ers fur grossem vnwillen nicht mag recht (Nennen) nennen Messe. sondern spricht Mayssim 20 Denn was sind die stifft vnd kloster [anders r] denn Messe heusser. Vmb der Messe willen als vmbs teglich heilig[st| opffer sind sie gebawet Vmb der messe willen ist alles dazu gegeben Vmb der Messe willen sind alle Ceremonien erdacht [Vmb der Messe willen hat man ss schülen gehalten vnd haben die schuler studirt vmb der Messe willen, das sie Messe pfaffen wurden rA] [Fortsetzung nach erdacht in derselben Zeile:] Vnd hanget alles kirchen geprenge an der messe vnd vmb die Messe, wie die bienen) [ratten] (vmb» [an] yhrem konige [c aus yhren so konig]. Das wo die Messe ynn der kirchen nicht ist (als zur zeit des interdicts) da stehet die arme kirche, als were es keine kirche, sondern ein wuster steinhauff Solche vermessliche geld vnd vnkost ist auff die Messe gangen Aüffs [wort vnd] predig ampt hat niemand ge- ss dacht noch studirt, oder ye gar wenig gegen der Messe zu rechen So doch das [wort vnd rh] predigen solt das furnemest vnd fast gar alles alleine sein

8 am Rande: Stiffte vnd Klöster sind Messeheuser etc. 41 18f. am Rande: Mausim, Messe der ergeste grewel im Bapstum 41 21/22 am Rande: Stifte vnd Klöster vmb der Messe willen ge- bawet etc. 41 25 vnd haben] Auch haben 41 27/28 Am Rande: Alles Kirehengebrenge henget an der Messe etc, 41 38 Am Rande: Vnkost vnd Geld so auff die Messe gegangen etc. 41

) Am Rande unten wiederholt Rörer zur Verdeutlichung des etwas verstümmelten Textes: gethan, denn für die lebendigen.

29 29

Was ist denn nu des Bapsts [kirchenGott] Messe Gott oder Gott Mayssim? Es ist kein Gott vnd kan kein Gott sein Denn dem einigen [rechten rh] Gott dienet man mit der Messe nicht, sondern lestert vnd [B/. 267°] schendet

s damit vnsern Herrn Jhesum Christ (das ist Gott den Vater selbst) auff das aller grewlichst vnd schrecklichst [als da durch der glaube vertilget vnd die werckheiligkeit an seine stet ist auffgericht rh oben] Aber weil die schrifft geschehen lesst, das die gotzen auch Gotter heissen (Sonst)

19 [Vnd ein] Gott nicht anders [ist] denn das, darauff sich das menschlich hertz verlesst, vertrawet, glaubt hoffet vnd liebet. Ist nt die zütlersicht recht So ist der Gott auch recht: Ist die ztüüersicht falsch, so ist der Gott auch nichts ql Darumb so ist der Gott Maysim nichts anders,

16 denn ein falscher Dünckel [vnd zuuersicht rh] des Bapsts vnd der seinen das die Messe vnd kirchen (gebew) [wesen] oder stiffte [oder stiffte rh] sey ein solch grosser Gottes dienst . solch gros werck solch gros opffer, des gleichen nicht ist noch sein konfne] [c aus kan] Auff diesen

æ dünckel, lassen sie sich vnd frosten sich sein . als were es der rechte Gott selbs, vnd stehen drauff, das Gott also sey gesinnet, wie dieser dunckel sie nerret. Da hilfft der Teuffel stercken vnd treiben, Vnd samlen damit aller welt gelt vnd gut zu sich vnd Endlich das hellische feur mitten 55 ynn der helle

Aus diesem ist leicht zu verstehen das da folget Vnd er wird denen so yhm helffen stercken Mayssim mit dem frembden Gott, den er er- welet hat, grosse ehre thun. Sie zu Herrn

machen vber grosse guter vnd das land zu lohn austeilen!) IBI. 267%] Auf deudsch wurde Daniel [fast] also sagen Der Bapst thut [c aus thuts] also. Alle [c aus Allen] die yhm helffen [sein rA] kirchen wesen [(W) eygen heiligkeit rh] [Gotts dienst rh] vnd Messe 3 stercken vnd mehren, die wird er zu [grossen reichen rh] Cardineln, Bisschouen [Ebten Prebsten Cortisanen rA] Thumherrn <A) Pfaffen, Munchen machen. vnd sie hoch- heben, segenen, befreyen, vber vnd wider den leyenstand

9 Am Rande: Maüsim des Bapste. 41 8/4 Am Rande: Gott

dienet man nicht mit der Messe etc. 41 14 gemäß dem q| der Handschrift steht im Druck 41 ein Absatz 81 austeilen] aus-

teilen etc. 41

9 Unten auf Bl. 2679 steht B, Luthers Bezeichnung des zweiten Bogens, oben Bl. 267% am Rande: +

30 30

vnd also der kirchen guter vnd land vnter sie teilen zu lohn. Dazu yhnen [allein] das hymel[reich] (allein) verheissen, von denen es die andern Christen mussen mit Gold, silber vnd kleinoten, seinen Messe Gott vnd kirchen s Gott zu ehren vnd zu mehren, abkeuffen

Das ist des Bapsts legenden, von Daniel kürtz, aber mit reichen worten abgemalet, wie es ynn [seinen] rechten krefflen ym schwang gangen vnd gestanden ist [Die folgenden sieben geschriebenen Zeilen sind durchgestrichen

10 (a. R. +), sie lauten:]

Da er aber sagt [Er wird seinen Gott rh] An seinem ort oder strassen ehren, Meinet er allerley stifft vnd kloster ynn der gantzen welt als solt er sagen An welchem ort, sein Gott Maüssim sein wird Oder an

15 welchem ort er wil ein stifft oder kloster haben, da

wirds angehen vnd sein Gott geehret werden)

Hieratiff folget nd, wie das Bapstum fallen vnd vnter- gehen sol. Vnd sind seer (verborgene) [heymliche 7] vnd versieglte rede (Dis?) Die mislich sind zu treffen ehe

» denn sie erfullet [werden] wie denn alle [Bl. 268°] weis- sagungen, auch dem teuffel selbs verborgen sind . ehe sie vollendet (sind) [werden], Wie Gott zu Mose spricht, Mein angesicht kanstu nicht sehen meinen rücken oder hinderst soltu sehen, Das ist, wenn ich gangen bin vnd

26 habs gethan, so kanstu mir nach sehen. Aber fornen zu wo ich hin wil, kan kein lebendig mensch sehen. Wollen doch zum vberflus andern, vrsachen nach zu dencken geben, weil vns [dünckt| der fall des Bapsts [sey an- gefangen ein [ein] “) gros teil rh]

20 Weil der Engel selbst mehr denn ein mal zu Daniel sagt. Es sollen (verborgene) [heymliche] vnd versiglete rede sein. So konnen wir hie den konig gegen Mittage nicht (wie droben) den konig JEgypti [Ptolemeü rh] ver- stehen, so wenig als den konig gegen mitternacht den

æ konig Antiochum welchs zeit droben am ende des (12) [XI] Capitels aus ist, als wir gehoret. Sondern nach dem [wir rh| hie den konig gegen mitter nacht (weil das gantz

4 seinen] seiuem 41 7 reichen] rechten 41 11 am Rande: + 17 Die Randglossen, offenbar von Rörer während des Drucks geformt, lassen wir von Jetzt an fort. 88 vor nicht versehentlich halbe Klammer ( 83/84 andre Wortstellung: nicht den König Egypti Ptolemeum (wie droben) verstehen 41

1) Das zweite ein ist anscheinend von Rörers Hand eingefügt, da das erste am beschnittenen Runde undeutlich geworden ist.

al 31

Capitel von allen verstanden wird auff den Endechrist) (vom) [den] Bapst verstehen mussen, so zwingt sichs selbs, das sein widder part das ist der [reohte geistliche rh] konig gegen Mittage, mus sein der konig der heiligen

& Christenhelt ‘Christus’ wider den der Bapst ein WiderChrist ist, Wie Antiochus war wider Ptolemeum Egypti [Folgt Einschaltung unten noch bis offenbar rA]

[Denn ich lasse itzt anstehen viel schrifft (7 Worte er- kennbarer Schrift Luthers; die folgenden 16 Wörter sind mit

10 dem unleren Rande weggeschnilten, z. T. aber vor Luthers 7 Worten von Rörer ergänzt; das gänzlich Fehlende eninehmen wir dem Druck:) zu fren, Das Mittag in der Schrifft guts vnd Mitternacht boses bedeute Denn es ist off[enbar] N. (nur die letzten Wörter von Rörer) rh) (auf derselben

Seite stehen vorher (nach Egypti) noch folgende 4 Wörter von Luthers Hand:) So spricht er nu [BI. 268*]

IBI. 268?) Am Ende wird sich der konig gegen mittage mit yhm stossen x Das ist wenn der zorn Gottes schier zum ende wil, vnd der Bapst auch

so mehr [auch] an sein ende komen sol Wird Christus yhm einen stos geben, ettwa ettliche frome Christen erwecken die wider yhn [anfahen zu rA] schreyen. Aber da mit wird er noch nicht fallen. Es wird nür ein stos sein [zum anfang]! (Die ganze übrige Seite 268° in Luthers

ss Schrift, etwa 22 Zeilen umfassend, ist durchgestrichen und lautet so:) ([268* Rest:] Dis stossen sihet mich an als habs angefangen vnter dem keiser Ludwich Hertzog zu Beyern [umb das iar anno 1315 rA] Vnd darnach 30 noch stercker dureh Johannem Hus anno - 1415. Denn keiser Ludwig war seer ein feiner keiser ein fromer man. dem der Bapst Johannes 22 gros vn- recht thet vnd [vnschuldig] verbannet, (Wie) (Vnd» [wie wol] die (Hellischen) verdampten [falschen r] 35 walen sind yhm so gram das sie yhn nicht zelen vnter die keiser, Auch zur schmach nicht keiser, sondern (den) Bauarum den Bayer, nennen wie sie vns schmehlich die Lutherischen nennen. [Der Stos

6 am Rande + 20 [such] vor an fehlt 41

1) Hier fährt der Druck 41 richtig fort (mit der neuen Aus- arbeitung des gestrichenen Konzepts): ,DIEsen Stos (dünckt mich) het angefangen Keiser Ludwig, Hertzog in Baiern, da der Bapst Clemens . v. vnd Johannes. III. sich rhümeten, ER were Keiser. Gleichlautend L^» erst auf Bl. 269s,

32 39

aber war das der Bapst nicht keiser were (vnd) sondern vnter dem keiser ynn weltlichen sachen

dauon viel schrifften furhanden rA] Wie wol nu der Bapst zuuor mehr keiser vnd $ konige verfolget, als Henricü .4. [vnd] 5. Fridricü 1 <&> [vnd] 2. ꝛc [vnd etliche wider den Bapst ge- schrieben 6 W. rh] So (ist) hat dennoch das Bapstum noch nie so abgenomen als nach keiser Ludwico Denn dar nach ist bald gefolget das Schisma da 10 drey Bepste nebenander regirten [39 iar rh] (zum zeichen das sein Ende komen wolte.) bis auffs Cost- nitzer Concilium Sint dem selben [Concilio rh] ists seer (der Rest bleibt unverständlich, da durch Weg- schneiden des unteren Blatles der Text verstümmelt

15 ist. Zu lesen isi noch:) Zu der zeit (einige durch-

gestrichene Wörter) der Romische stuel) (Fortsetzung und Schluß dieser ersten, von Luther getilgten Ausarbeitung steht erst auf Bl. 271° Z. 1—10 und lautet so :) IBI. 271° Z. 1—10] (veracht worden .. vnd) [Zu dem] [sie] so sind [auch] vber die (masse [nach dem ((sie?») dem Hts oblagen rA] wilde vnd bose worden on alle schew mit frechem vnzuchtigem leben Also das alle welt yhn feind [vnd yhr müde ral ward (vnd) sie saur ansahe 28 Vnd doch nichts thun kunden Denn Ces) [er] bis daher alle die yhn gestossen hatten vnterdruckt vnd) mit gewalt geschweiget hatte vnd die war- heit nidergeschlagen. Also das niemand thurste Hus, Ludwig, Ockam vnd der gleichen sicher nennen

20 Dauon sagt hie der Engel)

IBI. 269°] (Bl. 269 u. 270 sind eingeklebt. Auf denselben steht Luthers neue Ausarbeitung des ganzen durchgeschnittenen Abschnitts, den Luther zuerst auf Bl. 268“ und Bl. 271°

2. 1—10 niedergeschrieben hatte, vgl. oben.)

36 Diesen stos [(dunckt mich)] hat angefangen keiser Ludwig Hertzoge ynn Baiern (umb das iar 1315) da der Bapst Clemés 5 vnd [Clemés 5 vnd rh] Johannes XXII sich rhumeten (Nue)!) Er were keiser nach absterben keiser, Heinrichs von Lucelburg, wie sein Extrauagant narret.

40 Vnd thet den feinen fromen keiser Ludwig ynn bann vn- schuldig <D) Vnd [Vnd c aus Denn?] die Schendlichen Lugenschreiber die Walen, sind yhm so gram das sie yhn nicht vnter die keiser zelen, Auch nicht keiser, sondern zur schmach, Bauarum [den beyer r] nennen Wie wol

1) (Nue) undeutlich, fehlt 41

33 33

auch zuuor die Bepste die keiser verbannet [vnd geplagt rA] haben als Henricü 4 vnd 5 Fridrem 1 vnd. 2. 2c Vnd ett- liche wider den Bapst geschrieben. So hat doch das Bapstüm noch nie so abgenomen als nach keiser Ludwig. 5 Er hatte auch gelerte leute bey sich als Ockam, Bona gratia x die dem Bapst Johannj redlich abkereten, Sind auch noch [scharffe r^] bucher fur handen (fu? wider den Bapst fur keiser Ludwig, Vnd er auch selbs vngeacht des Bapsts ban zoch hinein gen Rom vnd setzet einen andern 10 Bapst vnd bleib keiser [Vnd er auch selbs bis bleib keiser ist von Luther nachgetragen, 2. T. unten am Rande, die letzten drei Wörter sind durch Beschneiden verletzt] Bald hernach ist gefolget das grosse Schisma oder Spalt da drey Bepste zu gleich widdernander regirten wol 15 39 iar (bis auffs Costnitzer Concilium) (zum zeichen, das sein ende nahe sein muste vnd zu rissen werden solte [Schlußklammer fehlt] LBl. 269°) So war auch der Bapst mit seinem [Romischen] stuel bereit an ettliche iar [zuuor rh] nicht zu Rom sondern 20 ynn franckreich gewest, (vnd bleib) durch Clementen - 5 dahin gesetzt vnd bleib daselbs (bis auffs Costnitzer Con- eilium» [wol 74 iar] Aber dieser stos war das preludium vorspiel vnd Christus stimmete da mit an (seinen) den rechten stos Den gab dem Bapst S Johannes Hus vnd 25 ward druber verbrand (Mit die» Dieser stos erhub sich vber dem Ablas, zu S peters kirchen (ge) zu Rom, aller ding, wie sichs mit dem Luther erhaben hat, Denn Die Bepste zu der zeit von Anfang Bonifacii octaui dis grund- schaleks (der die welt zum ersten mit dem gulden iar 30 generret vnd verfuret (haben) [hat] (.. ben) [trieben] wunder spiel vnd alle schalckheit, mit dem Ablas also auch das Clemens (6) [6 rh] eine bülle lis ausgehen, darin er den Engeln ym himel (als ein Gott nicht allein auff erden, sondern auch ym himel) gebot, sie solten die 35 [c aus der] seelen so nach dem Ablas gen Rom lieffen vnd vnter wegen verschieden von mund!) auff (zu) ynns padis zu den ewigen freuden bringen Der Helle oder [c aus aber] den teuffeln gebot er auch (vor) [von] den selbigen Seelen mit solchen worten Wir wollens schlechts nicht haben, das die hellische pein solle yhn angelegt werden Also hatte sich [BI. 270°] der verflucht grewel

20 Clementem 41 98 vom Anfang 41 31/32 Wort- stellung anders: also das Clemens - VI- auch eine 41 34 die] der 41 40 yhn (undeutlich) ] juen 41

4

e

!) Lateinisch: ex oribus evolantes et corpora relinquentes !! Archir für Reformationsgeschichte. XXIII. 1/2. 3

34

1

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1

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85

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34

nicht allein ynn dem Tempel Gottes [auff erden rh] sondern auch ynn den himel gesetzt vber die Engel. Vber hymel. [vber] paradis . vber die helle

Da nt ettlich iar hernach ynn Behemen das Ablas so lesterlich gepdigt ward, legt sich Johannes Hus da wider, vnd [sonderlich] greiff er diese [Clementissche teuffelissche n] bulla an vnd strafft der Bepste laster. Vnd war dis der Stos (vnd seine grosse, fodliche ver- dampte ketzerey> . das er leret Wenn der Bapst nicht (from) [heilig [c aus heiligen]] were, so were er kein gelied, der heiligen kirchen das ist, Wenn der Bapst ein schalck were, so were er nicht ein from man Das ware [so/] die grosse ketzerey, darumb er muste verbrand werden Auch das, der Bapst der kirchen heubt were, nieht iure diuino sed humano Gleich wol hat der stos zwo vnvberwindliche wunden dem Bapst [gelgeben Die erste, das die Bepste aus dem himel gestossen sind, vnd die pfeiffen einzihen musten, nicht mehr [thüren rA] solche bullen vnd gebot vber die Engel (haben? ausgehen lassen Vnd Gott [hat] den selbigen vbermachten (bosheit) hoh- müt vnd freüel hernach bald angefangen heymzusüchen

Der ander, das nach S Johannes Hus, das Bapstum ynn [c aus yme] grosse verachtung komen [ist], Vnd Johannes Hus namen vnd lere, mit keiner macht haben konnen wehren noeh [zu grund rh] dempffen, bis das yhn [zu] dieſser] zeit das [BI. 270°] geschrey erschreckt, das Johannes Hus ein Vorlauffer gewest ist, wie er yhnen verkundigt hat [ym geist rh] da er sprach Vber hundert iar solt yhr Gott vnd mir antworten. Item, Sie (br) werden eine gans braten (Hus heisst gans) Es wird ein schwan nach mir komen den werden sie nicht braten Vnd ist also geschehen Er ist ver brand Anno 1416, So gieng (.. . . [dieser itziger] hadder [an] mit dem Ablas (an) Anno 1517

Noch hat er sich wider diesen stos mit aller macht gewehret vnd ist sitzen blieben Hat Hussen [lere ver- dampt vnd yhnen rA] verbrand (vnd) [dazü] viel mit yhm vnd nach yhm viel bluts vergossen Deudschen vnd Behemen an einander gehetzt allen mord vnd iamer angericht, seinen stuel zu erhalten Aber sint der zeit des Coneilij, sind sie sicher worden nn) allerley schalckheit mit geistlichen pfrunden vnd Simoneien [getrieben] Dazu ynn [allerley]

1 dem Tempel] den Tempel 41 12 war 41 87 yhnen] 41

35 35

offentliche (|?!) laster [sich ergeben rA] eitel sew vnd Epieuri [worden] bis das yhr die welt müde vnd [yhn] gram ist worden vmb yhres schendlichen lebens willen Hie von redet nud der Engel weiter?) [BI. 271° Rest]

5 Der konig gegen mitternacht wird (sich) widder yhn (gre? wüeten, mit wagen, reutern vnd vil schiffen, ynn die lender fallen, Sschwemmen vnd dureh zihen. Er vergleicht den Bapst einem konige der mit wueten (wie Antiochus thet) 10 (viel? grosse rustunge furet. Vnd wie [wol] die konige vnd herrn der Christenheif, auch leiblich mit yhrer macht haben dem Bapst, geholffen, die ketzer (das ist die heiligen Chrj [die yhn gestossen haben rh] ynn allen landen dempffen So meinet doch der Engel die geistlichen

is rustung das ist, den bann [drecketen bullen] vnd andere Censuren des Bapsts darinn yhm die geistlichen mit yhren schiffen pferden, wagen, das ist, (mit) [durch] schrifften, bucher [c aus buchern] predigten nn gr) [gedienet haben] Damit sie (d) ynn die lender gefallen durch faren vnd 20 alles wie eine flut vberschwemmet haben auffs aller hefftigest DBI. 271°] Denn der krieg vnd rustung Christi vnd des Bapsts gehet [eigentlich rh] [eigentlich ist noch einmal über der Zeile eingetragen?)] (durch die) [mit] leren vnd schrifften zti Er wird auch yns Werde land komen

as Vnd viel werden fallen Das ist, Er wird mit seinen geistlichen vnd rustungen nicht allein den gemeinen hauffen vnter sich bringen, die da nicht feste stehen ym glauben Sondern auch die rechten Christen, so zuuor mit vnd bey den ketzern gehalten vnd stossen geholffen oder so [drein] bewilligt haben auch abschrecken vnd fellen, wenn sie sehen werden, das er sieget vnd [seine stosser rA] die ketzer so gewaltiglich darnider fellet vnd die warheit offentlich vnterdrückt, Denn der schiffe vnd, wagen, das ist der Schreiber vnd schreier ist zu viel vnd alle winckel

ss vol Also ist der Bapst wol gestossen, aber Er ligt noch nicht

1/2 eitel Epicurer vnd Sew worden 41 12/18 Wortstellung: geholífen (das ist, die Ketzer, die Heiligen Christi 41 21 Bapsts] Bapsts seines Widerwertigen 41 24 Werdeland 41

1) Die Einweisungsstriche, die hier unrichtig stehen, sind getilgt. |

2) Der Rest dieser Seite (im Einschaltblatt 270) ist leer. Die folgende Seite 2712, in Z 1—10 gestrichen, enthält den Schluß des ursprünglichen Konzepts, das auf S. d begonnen hatte (s. o. S. 32) und das wir im Zusammenhang oben vorweg gedruckt haben.

) mit dunklerer Tinte, von Rórers Hand.

3s

36 36

Diese aber werden errettet werden von seinerhand Edom,Moab,vnd[die] Erstlinge der kinder Ammon Gleich wie ynn diesem Capitel der konig gegen Mittage vnd gegen mitternacht nicht mehr sind, der Antiochus vnd Piolemeüs. Also sind Edom Moab Ammon nicht mehr die volcker, so vor zeiten [gewest rh] Denn sie auch leiblich lengest verendert. Saracenen vnd Turcken worden sind (Sondern) [Drumb (wie>] mussen [wir r] der Namen detitüng ansehen wie wir [mit] den namen Mittag vnd mitternacht gethan haben Dreyerley [BI. 272°] volck wird der Bapst nicht fellen noch verfuren Die werden bleiben [vnd sein] die heilige Christliche kirche [vnter dem verstorer dem Ende christ rA]!) Denn die heilige kirehe mus bleiben bis an der welt ende Die ersten sind Edomiten, Edom heisst rotfarb. Die Rotfarbigen [sind| die heiligen marterer die sich haben bestendiglich lassen vom Bapst. Bisschotten [Doctorn [c aus Doctores] rA] Sonderlieh von den blut hunden prediger ordens (die aus der massen viel gemartert haben) erwurgen, ertrencken *) verbrennen ynn aller welt, bis auff diesen tag Dieser ist ein grosser hauffe

Die andern (he. ) sind Moabiten. Moab (s) heisst Vom Vater oder Vatersch paternus. Das sind die so hin vnd wider blieben (sind) ynn der welt vnd von yhrem Vater Christo nicht gefallen sind - ob sie wol nicht offent- liche prediger gewest (sind) Vnd sonderlich die zu letzt doch auff Christus sterben sich verlassen vnd nicht auffs Bapsts Maysim noch auff seine Ablas brieue gestorben [sind] Solcher hab ich selbs (v) ettliche gesehen - von viel mehr gehoret, auch Munchen vnd allerley stenden. Gleich wie atich S Bernhard thet, da er meinet seine stunde were da.vergas er seines ordens vnd alle des Bapsts Maysim vnd befalh sich ynn Christus leiden mit solchen [worten]?) [BI. 272*] Christus habe das himelreich ss mit zweierley recht Erstlich (als? ererbet vom Vater [als

der einige ewige son rh] das recht bleibt yhm allein zum [andern] als verdienet durch sein leiden, Dis [c aus Das]

al

E

a

*

eo

5 Wortstellung: der Ptolemeus vnd Antiochus 41

) Die Einschaltung a. R. ist durch Beschneiden etwas ver- stümmelt, aber nachträglich von Rörers Hand ergänzt durch die Silben ter || ver || rer || En ||

*) worten fehit im Manuscript (von Luther beim Umschlagen des Blattes vergessen) aus dem Druck ergänzt. Am Rande der Handschrift ein +.

37 37

recht vnd verdienst, [c aus verdient] hat er vns geschenckt [Denn er hat vmb vnser willen gelidden r^] Dieser Bernharden vnd Moabiten oder Vatersche Christen [c aus Ehristen] hat yhm Gott viel furbebalten Wie zur zeit Elia s die 7000 ym volck Israel [Die folgenden 22 Zeilen, der Rest der S. 272°, sind durchgestrichen, sie lauten:] Der gleichen hort ich von meinem leiblichen Vater, da ich bey XII oder 13 iaren war wie er mir rhumet eines grossen herrn testamöt darin gelesen 10 were. Er wolt nicht anders sterben denn allein auf das leiden vnsers Herrn Jhesu Christi, des ich mich dazu mal seer verwundert, Denn des Bapsts Maysim hatte mich bereit vber die helfft gefressen (Vnd) [Item] züttor da er [ein mal] tod krank war. Der 16 pfarrher yhn vermanet, das er auch den Maysim solt (helffen> stercken, das ist, sein seelgerete (wie manns nennet) machen. vnd [(keuff> messe keuffen rh] der kirchen vnd pfarrher [etwas] bescheiden Ant- wortet er. Ah lieber pfarrherr, Hette ich ettwas, so 20 sind da mein arme kleine kinder, die es bas durfften weder die kirche. Also wunderlich hat Gott seine kirchen erhalten, das solche Moabiten dennoch sind selig worden, hinder wissen vnd willen des Bapsts [der] Bisschouen, vnd Munche, [sampt yhrem May- 25 sim rh] ob sie gleich auch des halben sacräts be- raubt gewest sind. Hat Got [doch] den glauben fur vol gerechent) [LBI. 273^]!) Die dritten Principium filior» Ammon [das ist] Die erstlinge der kinder ym volck . Moab vnd Ammon so waren [bruder rh] Also wollen hie diese Ammoniten Bruder [c aus Brudersch] werden (V) der Veterschen . fraterni (pater) Diese verstehe ich den Jüngen vuschuldigen hauffen der aus der tauffe geborn dahin feret, ehe (sie) [er] des Bapsts Maysim erkennete oder achtete, den selben 26 weder stercken noch schwechen (konnen) [kan] wie die Edomiten vnd Moabiten thun (k) Darumb heissen sie die Erstlinge vnd kinder, ym volck . das ist ynn dem volek Gottes ynn der kirchen, newlich durch die tauffe [geborn] Diese hat der Endechrist mussen vngefellet vnd 10 vntüerfuret lassen Das sind die drey orden der heiligen (mensch) [Martyres Confessores Virgines r] (der ganze Satz ist anscheinend später nachgetragen)

80 hie jehlt 41 88 geborn] wider geborn 41

2) Auf dieser Seite unlen ist trotz Beschneidens noch C, d.h. die Markierung der 3. Bogenlage durch Luthers Hand, erkennbar.

38 38

Gegen. diese drey volcker, setzt der Engel ander drey voleker, die der Endechrist wird plündern . Egypten, Lybien,Moren . Diese drey sind Nachbarn vnd wonen an einander gleich wie vorzeiten Edom Moab Ammon auch [um aus Edom Moab Ammon vorzeiten auch] Vber diese [alle rh] hat Antiochus nie regirt. Der Bapst auch nicht. Darümb müssen wir aber mal. die leüder anders vnd geist- lich deuten, bis ein ander besser machen wird So teilen wir des Bapsts volck auch ynn drey teil. Egypten las sein die [hohesten furnemesten rh] reichen grossen herrn konige fursten die der wellt guter vnd gewalt haben Vnd zimlich hin from sein wollen. Denn Egypten ist allezeit [vnter andern] [diese 2 Wörter ergänzen wir aus dem Druck; in der Handschrift ist durch Beschneiden des unteren Randes ein Defekt entstanden, nur die Einweisungs- schleife ist noch sichtbar] ein reich fein herrlich konigreich gewest [Bl. 273*] Lybien ſyhre nachbar] las sein [die nehesten (nach) hernach] die mittelmessigen, als Burger, gelerten vnd wer ettwas ist oder sein kan Die Moren, der pobel, batir knecht vnd was schwartz (ist) [vnd finster] das ist vnberumbt [geringe] keines ansehens ist, bose vnd gut vnter nander) |

An diesen hat er nicht gnug, das er sie durch seinen Maysim gefressen vnd verfuret hat [an leib vnd seel rA] Er (wil? [mtis] auch ynn yhre beutel vnd kasten (spricht der Engel) vnd sucht - das er herrsche vber yhre schetze, gold, silber vnd kleinote [c aus kleinoten] das ist vber yhre guter, damit ers ia alles auff reume. Das thut er also (spricht er) Er schickt seine hand atis ynn die lender, Hie finden sich die legaten a latere. Die Cardinel [vnd boten r] so er zu den konigen vnd herrn schickt (mit) ia auch wol ynn die lender setzt vnd steckt die konige zu fangen vnd nerren, das sie mit leib vnd gut yhm dienen fur yhn kriegen yhm land vnd stedte . vnd grosse gaben schencken Darnach [sie heymsucht rh] mit bullen, ablas, Beicht brieuen . da er yhn <[verkeuffe]) gnade, freyheit, [ehefrawen rh] Eyer . butter . milch, fleisch (zu essen» [hatis Messen] Sünde . fegfetr . helle vnd hymel [den Türcken rh] Gott vnd teuffel, sich selbs « auch da zu (wer kan den Jar marckt alle erzelen) (ver-

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2/3 Eg Lyb Mo in der Handschrift unterstrichen, im Druck nicht gesperrt 4 vorzeiten auch Edom, Moab, Ammon 41 10/11 grossen Könige, Fürsten, Herrn, die 41 29/30 yon die lender in der Hs unterstrichen, im Dr. nicht gesperrt 31/32 + am Rande 82—84 hier am Rande: +

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keufft» [die Durchstreichung dieses hernach gedruckten Wortes ist wieder geiilgi] stilet vnd mit gewalt als ein herr raubt [herr raubt im Manuscript weggeschnitten ist aus dem Druck ergänzt, stilet bis raubt rh] Nimpt also das geld [vnd] schetze vnd wisschet das maul als hette er wol gethan. Solehs hat der Bapst [BI. 274°] sonderlich sich gevlissen zu vben [mit dem Ablas vnd brieuen] nach dem er ge- stossen ist, auff das er sich deste stercker vnd fester setzet [Folgt Einschaltung am Rande: Aus bis hat rh] [Aus diesem text ist komen der gemeine spruch vnter den Christen das der Ende Christ solte die schetze der erden erheben . Ich meine ia er hab sie funden vnd gehaben, bis die wellt nicht die helfft yhrer guter hat rh] Dis [vnd] alles [ander] mua man weiter durch die Rhetoricam ausstreichen. So kan man sehen welch ein grewel der Bapst ist. Ich entwerffes itzt ein wenig.den Daniel zu verstehen Folget weiter Vnd geschrey wird yhn er- schrecken von morgen vnd von Mitternacht x. Hie wils . (Gottlob) ein mal gar bose werden mit dem Bapst. Denn die stosse haben yhn nicht fellen konnen, wie wol sie (yhn» angeklopfft vnd yhn zür btisse ver- manet. Aber es ist verloren vnd vmbsonst [gewest,] Nu [c aus Nun] aber kompt vber yhn, kein Rustung, kein heer, kein kriegs volck [kein stosser rh] Sondern schlecht eine stimme oder gesehrey . dafur erschrickt er vnd gehet druber zu boden. O Du wunderlicher Gott ynn deinen wercken [das dieser grewel] der alle konige mit fussen getreten [vnd] Gott selbs vberpocht hat, Der mus verzagen vnd fallen (von ein) fur einer [armen (menschlichen) rA] stimme, Wie bistu [schreckliche] grosse macht auff so losem grunde gestanden, das du von einem (menschlichen) odem vmbgeblasen wirst? [Die folgende Einweisung am unteren Rande isl durch Beschneiden sehr verstümmelt, zu lesen ist nur: Hie (wie S Paulo verkundiget hat da er Spr» darunter von Rörers Hand noch lesbar: todten mit odem seines müds. /m Druck lautet der verstümmelte Satz: SOLche wort Danielis verkleret S. Paulg also. DER HErr Jhesus wird jn tódten, mit dem Odem seines Mundes. rh] Das ist diese letzte vnd vnsere zeit da das Euangelion erschollen ist vnd schreiet wider den Bapst

14 Rhetoricam (vielleicht ist Rhetorican oder Rhetoricen zu

lesen)] Rhetorica 41 am Rande 18 geschrey] ein Ge- schrey 41 28 das vor dieser fehlt 41 |

40 | 40

das er verzweitielt, weis nicht wie (er) vnd was er thun sol. Er kan [Bl. 274] vnd wil kein Concilium leiden. Er wil nirgent [am licht r] dauon lassen handeln noch reden Allein denckt er das geschrey mit gewalt zu 5 dempffen zeucht aus mit grossem grim [Spricht Daniel rh] durch seine rustung durch seine geistlichen durch legaten, durch bullen schriften vnd viel boser bucher, wil viel verderben vnd vmb bringen, hetzet keiser, konige (vnd) alle teuffel vnd alle bose menschen vnd 10 was er kan erregen, (Vnd sind auch willens (spricht er) feylet am wollen nicht viel zu verderben? «Vnd» [Es] feylet [zwar r] am willen nicht Man thets gern. Aber es ist sein ende [komen] Niemand kan yhm helffen [spricht Daniel rh] <D.. ob sie es ge» [das geschrey ist zu mech- 1 tig rh] Denn ynn den vorigen stand kompt der Bapst nicht wider, Die seinen liddens nd mehr selbs nicht wie Apoc. 17 sagt, Mus also on hand, on schwerdschlag zu- brochen werden Dan. 9 wie sein [für]bilde der Antiochus Das aber solch geschrey vom morgen vnd mitternacht 20 gehoret wird, Ist das, das solch Euangelion kompt von oben her vom rechten morgen oder auffgang. Denn es kan niemant mit warheit sagen, noch rhumen das aus seinem kopff oder vorbedachten rat oder willen, solche lere sey erfurbracht. Wir sind alle ongefer vnd plumbs 26 weise dazu [BI. 275 +4 ist leer, Bl. 275+? enthält eine grössere Einschalluno, die aber erst zum nächsten Blatt unten gehört, welches wieder 275 [c aus 24 und 276] be- zeichnet ist. Wir bringen die Einschaltung am gehörigen Ort später, zunächst drucken wir als richtige Fortsetzung, so was auf Bl. 275° von obenan steht:] komen . Vnd ist vns geschehen wie Isaias sagt Ich bin funden von denen die mich nicht (ge) sucht[en], vnd erschienen denen, die nach mir nicht fragten. Denn auch ich . der ich einer bin von den ersten, gar viel ein anders sucht vnd dacht ym anfang ss meines schreibens [Nemlich allein des Ablas misbrauch nicht das Ablas selber viel weniger Den Pabst oder ein har am Bapst rh] Verstand weder Christum noch [den] Bapst recht Doch ist solch geschrey auch von Mitternacht komen (spricht er) das ist aus des Bapsts eigen reich. * Denn wir sind selber [zu der zeit rh] auch Papisten vnd Endechristissch gewest viel hefftiger weder sie waren ([oder]> Folget Er wird die hutten seines pallasts

9 zeucht bis grim in der Handschrift unterstrichen, im Druck nicht gesperrt 12 zwar fehlt 41 17 Apo. 15. 4

41 41

pflantzen zwischen zweyen meeren an den Werden heiligen berg Jerusalem ligt zwisschen <[v dem grossen meer Vnd dem todten meer, Aber viel mehr ligt Rom zwisschen zweyen grossen meeren. ¶Ligust) s Tyrrhenü vnd Adriaticum Vnd ist Rom wol ein werder heiliger [um aus heiliger werder] berg zu nennen Denn daselbs viel hundert tausent merterer ligen. Im anfang auch die aller feineste kirche war Vnd gros ding da geschehen [ist], bis der Teuffel sich dahin gesetzt hat 10 [Hierher gehört die mil mehreren Zeichen eingewiesene große Einschaltung, welche die ganze voranstehende Seite 275--* füllt‘) Es wolt denn yemand dis alles geistlich deuten Das der Bapst auff dem [werden] heiligen berge das ist ynn der heiligen Christenheit als ein Gott sich gesetzt 15 hat vnd sein reich gepflantzt mit seinen Drecreten vnd grewlicher lere Denn Christus heisst pflantzen, leren Mat Alle [c aus Alles] pflantzen die nicht mein hymlischer Vater gepflanzt hat ıc. wird [so/] aus. . rottet werd .. [wird bis werden rh scharf beschnitten]?) Zwisschen zweyen Meeren 20 (Das ist er?» Dis mag von der kirchen also verstanden [werden] das dieser heiliger berg ligt zwisschen zweyen meeren. das ist die Christenheit lebt zwisschen dieser welt [leben 7] vnd der hellen. Das [das] todte meer sey, (das da» ihene welt, da die Gottlosen zu grund verloren sind, 35 das lebendige grosse meer, sey diese welt. Die Christen- heit aber, lebt nicht weltlieh vnd stirbt dort auch nicht. gehet zwisschen beiden hinn vnd lebt ym glauben vnd ym geist Christi Wo aber die zwey (mehr) [meer] vom [so/] [des] Bapsts (nicht vo» stul oder sitz, nicht vom heiligen so berge zu verstehen sind So ists zu uerstehen, das der Bapst vber die lebendigen vnd todten mit seinem pflantzen oder drecketen [regirt] Denn mit seinem Maysim hilfit

28 vom [des]] von des 41 30 So ists zuuerstehen] So ist dis die meinung 41

1) Aber auf unserer Seite 275 [c aus 2764 unten steht von jener grofen Einschaltung schon ein Ansatz, von dem infolge von Beschneiden des Blattes nur noch zu lesen ist: (Es wolt denn yemand dis alles geistlich deuten, das der Bapst...... kirchen gepflanzt . sitzt) Die Einschaltung ist ungeschickt eingeheftet worden.

*) Luther wollte ursprünglich den Spruch Matth. 15 nur an- deuten, seine Besserung oder Erweiterung gelang nicht völlig. Der Druck 41 liest: Matth. rv. Alle Pflantzen, die mein Himelischer Vater nicht pflantzet, die werden ausgereut | ZWIsschen zweien Meeren

42 42

er (den) [allen] lebendigen ynn der welt vnd (den) [allen]

todten ym fegfeüR [Ende des großen Einschubs, der Text

geht nun weiter Bl. 275 [c aus 276]* auf der fünftletzten

Zeile:] Er nennets gepflantzt Denn der Bapst hat ein 5 paradis aller lust zu Rom [oder ynn der kirchen] ge-

macht. da er aller welt gut, gewalt vnd ehre, frey nach

seinem willen braucht DBI. 275° [c aus 276°]. Zur selben zeit wird sich

auffmachendergrossefurst Michael. derfur die kinder deines voleksstehet. Denn es wird einesolchetrubseligezeitsein, alsnichtge- west ist, sint das leute gewest sind bis auff diese zeit |

Wie wol Michael eines Engels namen ist Doch ver- stehen wir hie gleich wie auch Apoc XII den Herrn Christum [selbs] dadurch, der [hie niden auff erden| mit seinen Engeln, das ist, predigern, streitet wider den teuffel durchs Euangelion <[grosse r]? [Denn er nennet yhn den grossen fursten rh] Derselbige (stehe) hat sich auffgemacht vnd stehet fur die Christen vnd trostet sie mit dem wort der gnaden, Denn bis daher ist [die] grewlichste zeit gewest, als auff erden yhe gewest ist wie Chrg diese wort auch furet Matth 24 Vnd wo diese tage nicht verkurtzt weren vnd auffgehort hetten So were kein mensch selig worden, auch die Edomiten, Moabiten, Ammoniten, [nicht] Denn es schon an gefangen ynn Welschen landen vnd zu Rom vnd mehr orten, das man Epicurisch aus dem glauben ein gespott gemacht, vnd die kinder auch nicht mehr teuffet. Also were beide tauffe, sacrament vnd wort alles aus ge- west vnd kein mensch [mehr] selig worden Denn er meinet hie nicht [um aus nicht hie] leibliche

trubsal welche viel grosser gewest ist ynn der zerstorung Jerusalem, Rom vnd viel andern, landen vnd stedten Bl. 276° [c aus 277]] sondern der seelen oder geistliche ss trubsaln der kirchen, durch Christus leiden bedeutet (also das» Denn leibliche trubsal sind zeitlich, horen auff mit dem leibe, Aber hie gilts, das die kirche vntergehe oder bleibe. Welche der teuffel durch den Endechrist (also) zweyerley weise angegriffen hatte, zu einer seiten durch Epieurische (verachtung vnd s) verachtung der Sacrament vnd wort Gottes, zur andern durch angst vnd verzweiue- lung!) des gewissens da kein rechter trost der gnaden sondern eitel iamerlich martern, durch eygen gentigthun

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1) Hierzu malt Luther am Rande eine Hand mit alsgestreck tem Zeigefinger, darunter +.

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vnd werck, die Christen (zu) plagten (. Dauon die Epictri vnd heiden nichts wissen) Also das (di) hie zeit war, das Michael sieh auffmachet vnd die Christenheit ynn den letzten zugen nicht liesse zu grund gehen Sondern wider trostet vnd samlet durch sein heilsames wort der gnaden Folget Vnd viel die ynn der Erden schlaffen werden auff wachen Etliche zum ewigen leben ettliche zur ewigen schmach und ıoschande Der Engel eilet zum Jungsten tage, Darumb ob er wol noch mehr zu reden hat von Michaels ampt, feret er doch hinatls <a.. zum [BI. 276° [c aus 277]| ende der welt vnd saget von der todten aufferstehung Aber bald 18 keret er wider zu ruck vnd sagt von den lerern und predigern wie sie leuchten sollen [wie der glantz des himels vnd sternen rh] vnd viel bekeren ehe die todten aufferstehen, gleich wie droben Dan. 9. erzelt er [zuuor] wie die stad sol verstoret werden, ehe er die letzte 20 wochen beschreibet, das doch zuuor geschehen muste. Ettlich!) aber verstehen solch leuchten der [lerer r] ynn ihenem leben wie 1. Cor. 15. das ist auch wol war [ar ist weggeschnilten] Aber wir nennens hie zur not vnd dienst der betrubten [n is? weggeschnitten] kirchen rA] 25 Viel (spricht er) werden auffer wachen. Denn am Jungsten tage werden wir nicht alle aufferstehen, wie S Paulus sagt 1. Cor. 15. Denn die so lebendig funden werden des tages, werden weder sterben noch auffer- stehen, Sondern ym augenblick verwandelt vnd Christo so entgegen ynn die lufft (genomen) (gerissen) gerafft werden, doch viel das ist die grosseste menge wird sein der todten oder schlaffenden das Christus also sey (was der glaube sagt) Richter der lebendigen vnd der todten Vnd hie sehen wir, das nach dieser zeit, so der Bapst offenbart, nichts zu hoffen noch zu gewarten ist, denn?) der welt ende vnd aufferstehung der todten (Denn) Hie [c aus hie] ist die schrifft aus vnd hat alle weissagung ein ende

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10 schande] schande. Die Lerer aber werden leuchten, wie des Himels glantz, vnd die, so viel zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne jmer vnd ewiglich. 41.

1) Der ganze folgende Satz ynn ihenem bis kirchen [rh] ist von Luther offenbar nachträglich eingezwüngt.

2) Durch denn ist ein schwacher Querstrich gezogen, der darf aber nicht als Tilgungszeichen bewertet werden.

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[Bl. 277^ c aus 27841) Vnd du Daniel verbirge dise

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rede vnd versigle dis buch bis auff die letzte zeit. Viel werden druber komen vnd grossen verstand finden Hie sagt der Engel klerlich, das dis Buch Daniel solle versiegelt bleiben, vnd doch nicht ewiglich, sondern bis zur letzten zeit da sols [gelöffent (werden) vnd grosser verstand draus genomen werden. Daran wir itzt erbeiten, wie droben gesagt, Das die weyssagungen nicht [gründlich r] zu verstehen sind ehe sie vollendet werden Darnach wenns geschehen ist, so zeugen sie als denn das werck. gleich wie Chrö Luce 21 [soll nach seinem tod, allererst yhnen die synne (offenb) auffthet, die schrifft zütlerstehen Vnd zuuor (sag) sprach. Solchs sage ich euch, auff das wenns geschieht, das yhrs gleubt 3c

Vndich Danielsahe Vnd sihe. Es stunden zween andere da, Einer an diesem vfer des wassers, der ander an Jhenem, Von diesen zweyen sagt er nichts mehr, Was sie sind, reden oder thun on das sie andere, das ist, nicht der Engel sind der mit yhm redet Villeicht sinds die zween Engel. einer der Persen, der ander der Griechen furst. daton er droben (an) cap. X. sagt, Welche das volck Israel hindern bey den konigen, Die stehen vnd bleiben solche hinderer (yr?> bey den [Bl. 277%.) konigen bis zur welt ende, einer gegen morgen der ander gegen abend, das (Got) ia Gottes wort vnd seine kirche nicht eitel gluck habe [c aus haben]. Sondern wie er solchs selbs hernach deutet (als vns dunckt) rh» vnd spricht

Viel werden, gereinigt geleutert vnd bewerd werden Vnd die Gottlosen werden Gottloswesenfuren. Vndkein Gottlos wirds achten. Aber die verstendigen werdens achten. Denn wie hell vnd gewaltig das Euangelion gehet vnd [wie starck rh] die kirche ist, So mussen doch ketzer [vnd falsche lerer rh] sein die sie vben, auff das die bewerten offenbar werden, Vnd die selben ketzer nemen sich gern an vmb die konige vnd grossen herfü (vnd) [Also bleiben ketzer bis ans ende rh]

Vnd Es[so/] sprach zudem Man ynnleinen kleidern der oben auff dem Wasser stünd. Wenn wils denn ein Ende sein mit (solchen

11 Luc. xxiiii. 41. 18 sprach] sprach er 41. 40 VNd es 41

1) Unten am Rande: D (= vierte Bogenlage des Manuscripts).

45 45

wundernoder»[grewln r, die letzten zwei Buchstaben weggeschnitten] Der man ynn leinen kleidern ist der Engel (Gabriel) der bis daher geredt hat vis c. X. Wer aber zu yhm spricht ıc ist nicht genennet, Aber es ist ein s stimme vnd klage ynn der pson der kirchen die spricht Hilff Gott, ists nicht gnug, das der Ende Christ, die kirche so grewlich vnd schier zu grund verderbet hat, . Nu sie kaum durch Michael wider ist erquickt komen die [Rottengeister rh] ketzer Sacramenter, widerteuffer, vnd 1 richten auch noch grewel [an| Wenn wils denn ein mal auffhoren? [Folgt bis rh längere eingewiesene') Einschaltung, die versiümmell ist, sie steht an den unteren beschnitlenen und an den seillichen Blattründern auf S. 277° und auch S. 278° teils noch von Luthers Hand, teils von Rörer er- 1 gänzt; erkennbar ist folgendes:] [Zu dem ist der Geitz vnd Mammon, so eingerissen das zu besorgen man wird das Euangelion aushungern vnd achten wie Lot zu Sodom ge- acht (diese letzten sechs Wörter nur halb sichtbar, soweit Luthers Hand am unteren, scharf beschnitlenen Blattrand: 20 es schließt sich an von Rörers Hand auf dem linken Blatt- rand:) vnd Noa vor der Sindflut Denn (vpt?? jnn der Welt wil itzt beide Oberman (daran schlieft auf der nächsten Seite am unteren verstümmelten Rande wieder Luthers Hand:) vnd vnterman nichts horen noch sehen, denn geitz, wucher 25 (hier sind völlig ausgefallen und aus dem Druck zu er- günzen die Worte: | vnd eigen willen, Das die zeit da ist dauon Lyra vnd andere alle sa|| den Schluß des Defekts ergänzt Rörer am rechten Rande derselben Seite so:] geü das nach des Endechrists fall die Welt wird frey leben so vnd sagen Es sey kein Gott mher rh} [die Fortsetzung nun wieder von Luthers Hand auf der letzten Zeile der voran- stehenden S. 277“ anschließend an aufhoren:) Hie thut der Engel einen eyd vnd redet mit [BI. 278° [c aus 279]] grossem Ernst. das wir nicht sollen erschrecken (vnd) [noch]

ss blode werden fur den ketzern vnd Bapst. vnd spricht (Wenn) Es soleinezeit, zwozeit vnd eine halbe zeit weren. Vnd wenn diezerstrewung des heiligen voleks, einende hat, sol solchs alles geschehen Dis horet Daniel vnd verstehts * nicht [Er] Bittet (aber) vmb verstand, Aber yhm wird gesagt, Es solle versigelt bleiben (E7) bis zur letzten zeit, da sol er denn stehen ynn seinem teil, das ist sein

3 vta] als droben 41. 5 spricht 2c.] spricht, Wenn wils eto. 41. 9 Ketzer, Rottengeister 41 11ff. Der Druck 41 stimmt überein.

1) neben dem Einweisungsstrich ein +, aber durchgestrichen.

46 46

buch sol denn dienen der kirehen nach seiner gaben [ynn des sol er rugen dazu sein btich vnuerstanden bleiben rh] Wenn diese zeit [zwo zeit halbe zeit rh] aus sein werden [c aus wird] vnd wenn die ketzer mit zerstrewen s vnd zertrennen (wird) [der kirchen rA] auff horen, konnen wir auch nicht wissen, bis das wirs sehen werden (das der» wie die kirche (eintrechtig s) ein armes heufflin eintrechtig, am wort bleibet. Vnd die ketzer mit der wellt. alle [sat vberdrussig vnd rA] Epictirisch werden, 10 das sieh niemand der sohrifft mehr an nimpt. wie sichs (fe? schon fein anlesst als wolten sie die schrifft vnd Gotts wort nicht (ansehen das» werd achten, das sie (sich yhr an ne druber? [drinnen] solten ketzer oder Christen werden. So ists denn aus wie Chrg spricht ıs Wenn des menschen Son kompt. Meinestu das er auch glauben finden werde auff erden. Also geringe mus noch die kirche werden Vnd alles eitel geitz, wucher [Bl. 278*]!) baüch fras vnd fleisch werden wie fur der Sintflut Vnd von der zeit an, wenn das teglich 2 Opffer abgethan vnd ein grewel der wustung dar gesetzt wird, sind tausentzweyhundert vnd neuntzig tage. Wol dem der da er- wartet vnd erreicht, tausend, dreyhundert vnd funff vnd dreyssig tage 25 Wenn dis (naturliche) [menschliche gewonliche] tage weren so redete der Engel von der letzten wochen, In welcher mittel das teglich opffer auffhoret Durch der Apostel Concilium Aet. 15. Vnd der keiser Caligula seinen grewel ynn den tempel setzt So machen die 1290 (iar) so [tage]?) fast die vbrige helffte der letzten wochen nemlich (4 v. . ) vierd halb iar (vnd bey eilff tagen» Nach den selben gieng das Euangelion auch vnter die Heiden Durch S. Paulü vnd Barnabam. Act. 13. Vnd so wurde der Engel mit diesen worten ein (abr? rh» (Copiakel) [deckel] ss machen vber seine rede vnd drein ver wickeln, das er zu ruck leufft [Folgt längere Einschaltung bis ausgeredt hat rh] [Xnach aus?) wider ynn die zeit der siebenden wochen nach dem er von der kunfftigen zeit bis ans ende der welt aus (geredt hat diese 2 W. weggeschnitten, aus dem s Druck ergünzt) rh]

4 werden nach sein fehlt 41. 5 auffhoren werden 4l. 5 u. 14 am Rande +. 35/86 vielleicht ist zu rucke zu lesen.

1) Was sonst noch auf dieser Seite unten u. seitlings rechts a. R. steht, gehört als Einschaltung zur voranstehenden Seite! 3) am Rande z. Z. 30 u. 35: +-

47 47

Sinds [c aus Sind] aber Engelissche tage. Das ist, ein tag ein iar, (Wie der Sabbath) wie droben. 9. So lauffen die 1290 tage, bis (y?» an das. 14. iar des keisers Ltd- wich der vom Bapst verbannt Und die. 1335 . tage bis an

5 das 23 iar Caroli 4. fast. 7 iar vor dem Schisma der dreyen Bepste, oder. 42. iar vor dem Costnitzer Con [BI. 279°] cilio [Folgen 9 ausgestrichene Zeilen, die also lauten :]

«Her «P» D Pomerano relinqurtur & alijs Denn das teglich opffer mus heissen das opffer ym tempel

10 zu Jerusalem vnd kan nicht sein, die Messe, wie

Lyra meinet, Auch nicht das geistlich teglich opffer nemlieh die predig des Euangelii Denn das mus nicht zu keiner zeit gentzlich vnd gar fallen Sonst <w» bliebe die kirche nicht, das ist vnmuglich

15 So lassen wirs nti als»

Ich wolt aber wol gerne, das teglich opffer dahin deuten geistlicher weise. das es sey das heilige Euangelion, welche bis an der welt ende sampt dem glauben vnd der kirchen bleiben mus, Aber gleich wol kan das geschehen, das die

2 wellt so gar Epieurisch werden wird, das man ynn aller wellt wird keinen offentlichen predigstuel haben (Sondern da gegen) [Vnd eitel Epicurissche grewel die offentliche rede sein wird rh] Vnd das Euangelion allein ynn heüsern dtirch die haus Veter erhalten werde [c aus wird]. Vnd dis

æ werde [c aus wird] die zeit (zeit? sein So (s) zwisschen dem Wort Christi am Creutz Cösummatum est vnd (Etp....?) pr in manus tuas cómédo spiritum me Denn) [Denn gleich] [Fortsetzung am untern Rande:] wie Christus nach solchem Cösümatü C.. . % [die folgenden Worte wegge-

so schnitten, lauten nach dem Druck:] noch ein wenig lebt also kan auch [die nun folgenden vier W. nach L lesbar :] die kirche nach offentlichen [nun der Rest der Einschaltung nach RI. links a. R.:] lichem schweigen des Euangij ein wenig bleiben [rh] [Folgt Fortsetzung des Haupttextes L^"

ss auf der vorletzten Zeile:] (gleich) [Vnd] wie (das Mosaisch) [der Jüden] teglich opffer wol ward ynn der siebend wochen abgethan [BI. 279°]

Bl. 279) dürch der Apostel Concilium. Vnd doch hernach bis zu der verstorung (der) Jerusalem, bleib auch von

* den Aposteln selbs ([gebraucht]? wo sie wolten (doch on not) gehalten ward Also (mag) [kan] auch wol das Euangelion offentlich ligen vnd schweigen auff dem pdig- stul vnd doch durch frome Christen ynn hetisern erhalten werden

1 ein vor tag undeutlich: ein 2.9.) Cap. ix. 41.

48 48

Solcher iamer sol aber nicht lenger weren denn 1290 tage, das ist bey vierd halb iar Denn on offent- liche pdigt kan der glaube‘ nicht lange stehen. weil sich (so!) zu dieser zeit auch ynn einem iar. die welt (vber die masse seer..... > boser wird, Die letzten 1335 tage werden gar endlich bose sein, das auch ynn heusern fort mehr wenig (hoffnüg) [glauben] sein wird, darümb er spricht Selig [ist] der (der den tag? bis auff den tag bestehet, als solt er sagen wie Christus spricht, Wenn 10 des menschen son kompt, meinestu er werde glauben

finden auff erden?

«Von d) Es haben von solchen vierd halb iaren fast alle lerer geredt vnd alle bücher sind dauon vol, on das sie es [BI. 2804] haben auff des Endechrists regiment

16 gedeut, Welchs nach ordnüg des Texts Daniel nicht leidet, Welcher weissagt . .) (auch)? weiter, was nach des Endechrists fall geschehen sol vnd setzt diese vierd halb iar nach Michael vnd nach dem Eide des Engels auffim wasser

20 Vnd wie wol diese deutung (dahin lauffen will) [Scheinet] als solt man des Jungsten tages gewis (sein) sein, welohs tages (er ko» oder Jars, er komen solle (welchs> [das doch] Christus verbeut wissen Act. 1. vnd ynn den Etaugelijs. So feylets doch weit Erstlich,

35 das (s) wenn schon das opffer [des Euägelij rA] offentlich abgethan wird, So wird doch niemand konnen das iar noch tag so eben mercken wenn es anfehet. Sintemal es nicht kan auff einen tag an allen orten auffhoren Gwens gleich durch weltliche oberkeit auff einen tag geboten wurde abzuthun) (V) Zum andern ob man (da) schon wüste, wenn es solt anfahen, So sind doch vber die (vier iar» 1290 [Bl. 280°] die 1335 tage gesetzt die niemand merken würde ynn aller wellt (on ein mensch oder zwey die Paulus Selig heissen wurden (so/)> Vnd summa Ich dencke, das diese 1335 nicht werden offentlich ynn gemein verstanden werden, sie seyen denn erfullet am Jüngsten tage, Es were denn das Gott .. ) etwa einen Noha wurd erwecken der die selbigen tage kundte abrechnen vnd gewis treffen (Sonst ists gnug, das man die zeichen des iüngsten tags Dauon)

Ich aber fur mich lasse mir dar an genugen, das der Jungst tag fur der thur sein mus. denn die zeichen

so Christus verkundigt vnd die Apostel Petro vnd Paulg

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8 sich fehlt 41 9 am Rande: + 24 ynn den Euangelijs] im Euangelio 41

49 49

sind fast alle geschehen. Vnd die beume schlahen aus die schrift grunet vnd bluhet, ob wir den tag nicht 80 eben wissen konnen, ligt, nicht dran. Ein ander mache es besser Es ist gewislich alles am ende

* * *

Die im Vorstehenden abgedruckte Handschrift will studiert sein; sie ist ein Musterbeispiel für Luthers Arbeits- weise und gewährt einen bedeutsamen Einblick in die ursprünglichen Formen und Stufen der Ueberlieferung eines Luthertextes. Nur einiges sei dazu hier angemerkt. Der erste Abdruck in der Bibel 1541 ist im ganzen sehr sorg- fältig und gibt die dureh Korrekturen, Einschaltungen und Umstellungen nicht immer leicht lesbare Handschrift Luthers fast durchweg getreu wieder. Nur an wenigen unwichtigen Stellen ist die Handschrift besser als der Drucktext. Die meisten der tatsächlichen Abweichungen des Drucks von der Handschrift sind als bedachtsame Autorkorrekturen an- zusprechen. Luther las selbst die Korrektur aufmerksam mit (wohl neben Christoph Walter, Rörer, Cruciger) Die Merkzeichen q|, + u. à stammen vielleicht nicht von seiner Hand. Wahrscheinlich aber hat Luther selbst die nicht wenigen orthographischen Korrekturen (besonders die großen Anfangsbuchstaben bei Substantiven (und bei betonten Wörtern) selbst eingefügt. Immerhin bleibt durchweg noch ein sichtbarer Unterschied zwischen seiner eigenen Schreibweise und der Orthographie seiner Wittenberger Druckerei zu beachten. (Man denke z. B. an Luthers bleibende Vorliebe für y, woftir der Drucker oft i oder j einsetzt). Zu Luthers Interpunktion: gewöhnlich setzt er am Ende eines Abschnitts keinen Punkt, das Satzende ist eben als solches erkennbar durch einen Absatz oder auch schon dureh einen Zwischenraum innerhalb einer Zeile. Komma und Punkt sind manchmal nicht zu unterscheiden; neben ganz schwachen Beistrichen bedient er sich aber zu- weilen stark ausgeprägter Kommata. Nach einem Punkt schreibt er öfter mit kleinen Anfangsbuchstaben weiter. Ziffern grenzt er gerne durch Punkte ab, auch Parenthesen verstärkt er zuweilen durch Punkte oder Beistriche am Anfang und Ende. Fragezeichen sind sehr selten. Aus- rufungszeichen fehlen noch ganz. Vereinzelt kommen Doppel- punkte vor und zwar sowohl : wie auch .. Auch doppelte Kommata (,,) kommen vor. Große und kleine Anfangs- buchstaben sind oft nicht zu unterscheiden, besonders nicht bei y, b, v, l, w, z. Lateinische Wörter schreibt Luther

Archiv für Beformationsgeschichte. XXIII. 1/2. 4

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durchweg in seinen bekannten, gegenüber Antiqua und Fraktur neutralen Buchstabenformen, Wechselnd ist seine Schreibung zusammengesetzter Wörter, die teils zerlegt teils als Einheit erscheinen. Besondere Aufmerksamkeit er- fordert alles was Luther in seiner Handschrift durch- gestrichen und geändert hat, teils sofort im raschen Fluß der Arbeit teils nachträglich beim nochmaligen Ueberlesen und Durchdenken. Die größeren Einschübe (die durch das Ungeschick von Rörers Buchbinder nicht immer leicht er- kennbar sind) haben wir in unserm Abdruck genau markiert. Auch die von Luther selbst getilgten größeren Abschnitte. (Man beachte besonders den ersten Entwurf seines Exkurses über die Geschichte des päpstlichen Schismas, den er durch reifere Ausarbeitung ersetzt hat; dann die Anekdoten tiber die religiöse Stellung seines Vaters; ferner bei der Deutung der schwierigen Stelle vom täglichen Opfer in Dan. 12 die Erwähnung Bugenhagens und seiner andern Helfer bei der Revision der Bibeltibersetzung.) Bei den Korrekturen, die Luther bei der schnellen Niederschrift der ihm zuströmenden Gedanken sogleich vornahm, sind besonders die stilistischen Glättungen zu beachten: Umstellungen von Wörtern oder Satzteilen, Tilgung von Tautologien, das Ringen um einzelne zutreffende Ausdrücke, z. B. beim Zitieren der Bibelstelle 1. Thess. 4, 17; in der Bibeltibersetzung lautete es zuerst *hingezuckt, dann 'hingerückt, hier aber quellen aus seiner Feder nach einander die Ausdrücke: genomen || gerissen | gerafft.

Luthers Auslegung von Daniel 12, nach den modernen wissenschaftlichen Grundsätzen einer grammatisch-historischen Exegese verfehlt, ist allegorisch, bei aller Künstlichkeit doch höchst geistreicher Art, von den apostolischen Vorbildern in Gal. 4, 22 ff.; Hebr. 7, 2 ff. usw. beeinflußt. Sehr nachdenkliche Erwägungen tiber Luthers Auslegungskunst überhaupt, die uns oft genug rückständig anmutet und doch im Grunde entscheidende Fortschritte über die früheren Methoden hinaus bedeutet, verdanken wir Holl in seinem Luther (vgl. 1. Aufl. Kap. 8, 2. Aufl. Kap. 9).

Briefe von Liborius und Hiob Magdeburg und von Kaspar Glatz.

Mitgeteilt von Otto Clemen.

In Luthers Tischreden vom Oktober 1536 bis zum Februar 1538 begegnet wiederholt ein Licentiatus Magde- burgk; er steckt auch hinter dem in dieser Zeit unter den Tischgenossen Luthers erscheinenden Amsdorf oder Lic. Amsdorf; Nikolaus von Amsdorf weilte damals nicht in Wittenberg, sondern war Pfarrer an St. Ulrich in Magde- burg; daher die Verwechslung. In Luthers Briefen kommt Magdeburg nur einmal vor: am 2. März 1538 sendet Luther einen Brief von ihm (er war damals Pfarrer in Orlamtinde) an den Vizekanzler Franz Burkhard mit der Bitte um Weitergabe an den Kurfürsten!) Die im folgenden abgedruckten siebzehn Briefe Magdeburgs an Stephan Roth in Zwickau geben uns ein deutliches Charakterbild des Mannes; auch lassen sich danach und nach anderen Quellen seine Lebensgeschicke in großen Zügen festlegen.

Liborius Meydeburgk so schreibt er sich selbst, wir bevorzugen die Namensform Magdeburg entstammte einer hochangesehenen Freiberger Patrizierfamilie. Unter den „fürnehmen Geschlechtern, so in der Thumkirche be- graben liegen“ zählt der Freiberger Chronist Möller auch die „Magdeburger“ auf, und unter den „Personen, welche von Anno 1404 an ... neben den Bürgermeistern im regierenden Rat gesessen“, nennt er Liborius, Johannes, Franz und Georg Magdeburger. Ein Paul Magdeburg war nicht nur Ratsherr, sondern dreimal, 1400, 1413 u. 1416 Bürgermeister von Freiberg. Dessen Sohn Hieronymus, der Vater des unten ausführlicher zu behandelnden Hiob Magdeburg, „ist eine zeitlang Schmiedemeister in der Freybergischen Müntze gewesen“, wurde später von Herzog Georg als Stempelschneider in die Annaberger Mtinze berufen, noch später zum Medailleur in Meißen ernannt). Hiob Magdeburg

1) Enders (= E) 11, 838. *) Mitteilungen des Vereins für Geschichte von Annaberg und

Umgegend 3, 45 f. fr

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nennt Liborius seinen consanguineus. Vielleicht war Liborius ein älterer Vetter von Hiob.

Liborius wurde im Sommersemester 1507 als Liborius Meideborch de Frigberg in Leipzig immatrikuliert, am 11. September 1509 daselbst zum bacc. art. promoviert und am 5. April 1513 als Liburgius Medeburg de Friberga dioc. Misnen. Baccalaureus Liptz. ins Album der Wittenberger Hochschule eingetragen. Neun Jahre lang soll er in Rom als Notar an der Rota, dem höchsten Gerichtshof für den Kirchenstaat und die ganze römische Kirche, gewirkt haben !). In der Tat hat er an Luthers Tisch mancherlei von Rom erzählt“). Auch in den unten folgenden Briefen zeigt er sich besonders für die Kurie und das Konzil interessiert. Ist die Nachricht richtig, dann müßte er bald nach seiner wohl etwa auf zwei Jahre zu bemessenden Wittenberger Studienzeit nach Rom gegangen sein, denn 1524 erscheint er als Prediger an St. Marien, später als Pfarrer an der heil. Geistkirche in Zwiekau*) Es war dies ein kleines, finsteres Kirchlein, zu dem gleichnamigen Hospital gehörig, jenseits der Mulde an der von Reinsdorf hereinführenden Straße gelegen“). Bei der ersten Visitation am 14. Januar 1529 und ebenso bei der zweiten am 22. November 1533 wurde er „gelehrt befunden“). Im Januar 1532 heiratete er die Schwester Magdalene des Stadtschreibers Stephan Roth). Seine Loslösung von seinem Pfarramt vollzog sich nicht so ganz glatt: er nahm einen der drei zum Kircheninventar gehörigen Kelche mit, den er nachher ersetzen mußte; er bat dabei nur, mit in die Wagschale fallen zu lassen, daß er den Hospitalinsassen einen vergoldeten Becher und ein

1) Tischreden W. A. 4, 4785. 5, 6459.

2) Ueber die große Menge Volks in der Stadt Rom 3, 3517, Falschmeldung vom Tode Papst Pauls III. 3518, über den Ekel der Italiener vor Betrunkenen 3519, über das Konzil von Vicenza 3716, de Italorum securissima superbia 3720, de Romanorum et Italorum perfidia 4, 4785, über eine alte in Rom verbreitete Weissagung 6459 (vgl. dazu Köstlin-Kawerau, Martin Luther 1, 99).

) Kreyßig, Album der evgl. luther, Geistlichen im Königreiche Sachsens, Crimmitschau 1898, S. 707. E. 9, 592.

*) Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau 1, Zw. 1889, 148 ff.

5 Gg. Buchwald, Allerlei aus vier Jahrhunderten, Zw. 1888, 3.5. Mitteilungen des Zwickauer Altertumsvereins 7, 118.

© Diakonus Georg Erhart in Jena an Roth 1. Jan. 1582: Daß Ihr Eure Schwester Magdalene an den Magister Lib. Magd. verheiraten wollt, höre ich von Herzen gern. Dankt mit seinem Weibe für Ein- ladung zur Hochzeit.

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‚Meßgewand aus seinem Besitz hinterlassen habe. Er scheint in recht guten Verhältnissen gewesen zu sein und es ver- standen zu haben, durch Beteiligung am erzgebirgischen Bergbau und durch Spekulationen in Kuxen sein Vermögen zu mehren. Er besaß ferner in Zwickau ein Mietshaus. Seit Juli 1536 weilte er wieder in Wittenberg, wo er bei Luther „in große Gunst kam“, von ihm eingeladen und beschenkt und erst in Vertretung, dann an Stelle seines Freiberger Landsmanns Hieronymus Weller zum Schloß- prediger bestellt wurde In wie vertrautem Verhältnis er zu Weller und zu Luther stand, ist daraus ersichtlich, daß es ibm möglich wurde, die von Luther für Weller auf- gesetzten Annotationes in Matthaeum und die Conciunculae im Druck zu geben!) Nachdem er schon für Koswig und Roßlau in Betracht gekommen war, wurde ihm Ende 1537 die Pfarre in Orlamünde verliehen. Seine Uebersiedlung dahin verzögerte sich. Erst wollte er mit Weib und Kind über Leipzig und Zwickau reisen, um von Zwickau sein dort lagerndes „Gerät“ (Möbel, Betten, Bücher, Wäsche) mitzunehmen. Am 11. Januar 1538 wollte er dort ein- treffen. Da aber seine Frau schwanger war und Luthers Käte darauf drang, daß sie ihre Niederkunft und Wieder- erholung in Wittenberg abwarten sollte, wollte er am 14. Januar allein aufbrechen. Schließlich kam er erst am 12, Februar nach Jena und reiste von da am 13. nach Orlamtinde weiter?) Er trat hier an die Stelle des D. Kaspar Glatz“), der im August 1524 von der Universität gewählt und vom Kurfürsten bestätigt worden war und seit Ende Oktober hier tätig war. Weil er sich mit Rat und Gemeinde nicht vertrug, mußte er seinen Abschied nehmen, blieb aber in Orlamtinde wohnen. Seinen Nachfolger soll er fortwährend angefeindet und „mit allerhand ungerechten Anforderungen aus der Pfarrgutswirtschaft verfolgt“ haben‘). Zwei Briefe von ihm an Roth, die ich auf die von Magdeburg

1) s. unten zu den Briefen.

3) Vgl. die von Buchwald, Zur Wittenberger Stadt- u. Universitätsgesch., Leipzig 1898, (= Witt.) S. 120 A. 4 zitierte Stelle aus einem Briefe Erharts an Roth vom 20. Febr. 1588.

3) Vgl. über ihn E. 4, 244*, 11, 9491. 18, 1863. Zeitschr. f. d. histor. Theologie 1874, 55615, Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt 2, Leipzig 1905, Reg. s. v. Martin Wähler, Einführung der Reformation in Orlamünde, Erfurt 1918, 190 ff.

) J. Löbe und E. Löbe, Gesch. der Kirchen und Schulen des Herzogtums Sachsen-Altenburg? 3 (Altenburg 1891), 610,

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folgen lasse, zeigen ihn in einem freundlicheren Lichte“ Magdeburg ist wahrscheinlich Anfang April 1539 gestorben ')- Glatz erbietet sich unterm 16. April 1539, der Witwe, die aufer über den Tod ihres Gatten über die Erkrankung ihres Töchterchens bektimmert ist, naeh Kräften beizustehen, und unterm 29. Mai 1545, ihr die 10 Gulden, die ihm ihr verstorbener Gatte für ein Pferd schuldig geblieben ist, zu erlassen und ihr auch eine Wäschrolle zu überlassen, die er vielleicht aus der Orlamünder Pfarre hatte mitgehen heißen. In dem letzteren Briefe erwähnt er, daß er dem Verstorbenen eigentlich nicht zu Danke verpflichtet sei, da dieser seine Ausweisung aus dem Kurfürstentum betrieben und ihn verlästert habe.

Liborius Magdeburg bezog einige Jahr hindurch auch die Einktinfte aus einem Dresdner Altarlehen, das von einem seiner Ahnen gestiftet worden war?). Wir erfahren dies aus drei Briefen von Hiob Magdeburg?) an Roth, die unten gleichfalls abgedruckt werden. Hiob wurde, nachdem er auf den Lateinschulen zu Annaberg und Zwickau vorgebildet worden war, 1537 von seinem ehemaligen Annaberger Lehrer Job. Rivius“), der in diesem Jahr von Herzog Heinrich mit der Leitung der Freiberger Schule betraut worden war, als Tertius an die eben genannte Anstalt geholt. Bald hatte er die Freude, daß zwei seiner Jugendfreunde seine Kollegen wurden: Georg Fabricius kam als Supremus an die Frei- berger Schule, und diesem folgte Adam Siber. Nachdem jedoch sein Rektor Rivius 1540 von Herzog Heinrich zum Hofmeister seines Sohnes August bestellt worden war, ge- staltete sich seine Lage höchst unbefriedigend, da er mit dem

1) Katharine verw. Braunsdorf geb. Krüger, eine Schwester von Roths Gattin, schreibt an diesen aus Wittenberg am 18. April 1539: Was Ihr mir von unserem Herrn Magistro Magdeburg schreibt, ist mir von Herzen leid, aber, weil's Gott so haben will, müssen wir Geduld haben. Vgl. ferner die Witt, 120* angezogene Eingabe der Wittenberger Universität vom 28, April.

*) Nach dem zweiten Briefe handelt es sich um eine Pfründe ad sanctam Trinitatem apud Dresdenses. Damit kann natürlich nur ein der Dreieinigkeit geweihter Altar gemeint sein; die Dresdner Trinitatiskirche wurde ja erst 1894 eingeweiht (Neue Sächs. Kirchen- galerie der Ephorie Dresden I, Sp. 622).

*) Vgl, über ihn Neues Archiv f. sächs. Gesch. 12, 81**, bes aber Karl Olzscha, Mitteilungen des Vereins f. Gesch. von Anna- berg u. U. 6 (1900), 45—60.

) Vgl. E. 14, 2625, bes. aber Olzscha a. a. O. S. 88—44.

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Superintendenten Kaspar Zeuner!) der 1539 antrat, in theo- logische Differenzen geriet. Vielleicht entwich er aus diesem Grunde nach Wittenberg, wo er am 19. Mai 1540 inskribiert worden ist“). 1543 folgte er einem Rufe des Rivius als zweiter Baccalaureus an die neugegründete Fürstenschule in Meißen. Die drei Briefe an Roth sind sämtlich aus Frei- berg geschrieben und datiert: 21. Mai, 1. Dezember 1541, 38. Juni 1543. Hieraus folgt 1. daß Hiobs Wittenberger Studentenzeit nur kurz gewesen sein kann, 2. daß er erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1543 von Freiberg, wohin er anscheinend bald wieder aus Wittenberg zurückgekehrt ist, nach Meißen übersiedelte. 1546 wurde dort Fabricius sein Rektor. Fast 27 Jahre lang hat Hiob an der Meißner Fürstenschule in Latein, Griechisch, Religion und Mathematik unterrichtet. Ueber seine kartographischen?), philologischen und pädagogischen Arbeiten, über die Verfolgungen, die die Philippisten ihm als strengem Lutheraner bereiteten, und über seine späteren Schicksale, zunächst als Rektor des Lyceums in Lübeck, zu handeln ist hier nicht der Ort).

Der Inhalt der drei Briefe Hiobs an Roth ist folgender: Sein Vater (der Annaberger Münzmeister Hieronymus Magde- burg) hat vor einigen Monaten wegen jener Dresdener Pfründe an Roth geschrieben. Dieser hat ihm eine Abschrift der Stiftungsurkunde geschickt. Nun ist aber der Vater im Sep- tember 1540 gestorben und die Abschrift verloren gegangen. Hiob bittet daher Roth unterm 21. Mai 1541, ihm, dem ein- zigen noch lebenden aus der Familie, der sich den Wissen- schaften widme, entweder das Original auszuhündigen oder eine neue Abschrift anfertigen zu lassen. Am 1. Dezembcr 1541 wiederholt Hiob das Gesuch, nachdem ein Zusammentreffen mit Roths Gattin in Freiberg mißlungen ist, und abermals am 28. Juni 1543, nachdem sich berausgestellt hat, daß ein junger Mann aus der Familie, der im Ausland leben und dem Liborius nüher verwandt sein solle, verschollen ist, und bekannt geworden ist, daß Herzog Moritz von den eingezogenen Kirebengütern drei Schulen (Meißen, Merseburg, Pforta) gründen?) und denen Freistellen für ihre Söhne gewähren wolle, deren Ahnen kirchliche Stiftungen gemacht hatten,

1) Vgl. E. 15, 106! und Kreyßig, Album S. 177, 689. 3) Mitteilungen des Vereins f. Gesch. von Annaberg 11 (1910), 214. 3) Vgl. zuletzt Neues Archiv f. s&chs. Gesch. 12, 80ff. 35, 382ff. | ) Vgl. Olzscha a. a. O., auch schon Allgemeine deutsche Bio- graphie 90, 51—58. 5| Neue Landesordnung vom 21. Mai 1543: Codex Augusteus I 14.

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Siebzehn Briefe von Liborius Magdeburg.

I. 20. Juli 1536 (M 30. Roth 489. Witt. 140).

Gnade vnnd Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste zwuorann! Lieber Er Schwager! Ewer schreiben Negst an mich bey Iheronimtis krappen!) gethan, hab ich sampt den fuchsbelgen vnd kummel vberkommen vnd bedanck mich des. Ich habe der Anna kerstyn?) auch ein theil gegebenn vnd ym der leinwat halben angeczeigt. Schick euch auch hie mit ezeiger dieß brieffs die locos communes, wie mir die Christoff schram gegeben hath*). Ich hette wol Etliche schone sermones, die ich Euch gerne hette mit geschickt, habe aber iezundt nicht der weyle die außzwschreibenn, auch werde ich diede woche Nach Martini annotaciones in matheum auch aufschreiben*). Es wirt fast bey 30 quatern machen; weis ich euch hiemit zwdienen, befindt ir mich willig. Doctor ınartinus hath vns zw gasthauße gehabt vnnd viel guter newer ezeitten angesagt von Concilio futuro vnd de reformacione curie Romane, welchs ich Euch zw einer andern ezeyt schreiben will Iczundt hab Ich nicht wol der weyle. Damit seyt gote in gnaden beuolen! Gruesset Ewer weib vnd geschuister alle

1) Hieronymus Krapp, Melanchthons Schwager oder Schwieger- vater, seit 1530 Ratsherr, später Bürgermeister, + 30. Nov. 1563. E. 10, 170°, 12,861, Nik, Müller, Ztschr. d. Ver. f, Kg. in der Provinz Sachsen 8, 111“.

3) Vermutlich eine Schwester des Schustergesellen Hans Kersten, der Ende 1528 Dorothea geb. Krüger, eine Schwester der Gattin Roths (Ursula geb. Krüger), heiratete und am 19. Oktober 1586 starb. Eine (andere) Schwester Hana Kerstens heiratete am 15. Juli 1583 den Buch- drucker Peter Seitz. |

3) Melanchthons loci communes recens collecti et recogniti er- schienen zuerst 1685 bei Joseph Klug in Wittenberg (CR 21, 231/82). Hier ist wohl die um das Kapitel De officiis angelorum vermehrte Ausgabe gemeint, die 1586 bei Peter Seitz in Wittenberg erschien (CR 21, 235/36 Zw. R. S. B. 1. 11. 8,).

*) Die Annotationes in Matthaeum sind Gedanken, die Luther für Hieronymus Weller als Material für Predigten aufschrieb. Roth hatte von der Existenz dieser Zettel gehürt und Magdeburg gebeten, sie ab- zuschreiben und in Druck zu geben. Der Druck zog sich von Ende 1586 bis Ende 1588 hin, W. A. 38, 443 ff.

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freunthlich von meinet wegen! Gegeben auß wittenberg Am Donnerstage Nach Alexij Im 1536 Jare

Auch lassen EwerA.w. Magister Liborius meydeburgk beyde Ewere schuestern!) E. w. Schwager. Euch allesampt fleissig gruessen. Heute ist vnser pastor hero kommen?). kann ich, so wil ich Euch mehr schreiben.

II. 28. Juli 1586 (D 69).

Gnade vnnd Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ezwuorann! Wisset, lieber magister vnd her schwager, Nach dem ir mir zwyr?) von den locis philippi geschrieben, hab ich die bey dem schram*) aufgenommen vnd die selben Am negsten freytage vorgangen") bey Johanne martini, Canctis becken Szone, zwgeschickt. weil vns aber euer pastor zwkomen ist vnd bishero verharret, müste ich Euch auch die Neue gezeitten droben vorheissen schreiben, vnd seinf die: wie ich von vnserem frommen Doctor vernümmen hab, das ym von andern geschrieben isí worden, wie sich der bapst solle re- formirt haben, erstlichen breuiario, da er die antiphonas, ver- sickel, capitula vnd auch responsoria abgelegt sall haben vnd dafür totum psalterium in omnibus horis canonicis distribuirt, welches breuiarium gen pariß kommen vnd von der vniuersitet verdampt worden?) Item Szo sall er auch conitügium sacer-

1) Es sind wohl Roths Schwügerinnen Dorothea Kersten und Katharina Braunsdorf gemeint. Bei ersterer wohnte Lib. bis Nov. 1587. Am 16. Nov. schrieb sie an Roth: Wisset, daß der Maidburger von mir ist ausgezogen, und was Ihr mir gesagt habt, das ist mir wider- fahren von ihm, daß ich mich nicht würd vertragen mit ihm.

*) Leonhard Beyer. Er war gekrünkt, weil der Zwickauer Rat hinter seinem Rücken den Mag. Nikolaus Rudolf an die Lateinschule berufen hatte. Er brachte ein Gutachten von Luther, Bugenhagen, Spalatin und Melanchthon vom 24. Juli mit zurück, über das aber der Rat zur Tagesordnung überging. E. 11, 12!.

*) Erbalten ist keiner der Briefe Roths an Magdeburg.

*) Mit Christoph Schramm (vgl. über ihn Nik. Müller, Ztschr. d. Ver. f. Kg. in der Prov. Sachsen 8, 141) hat Roth am längsten und engsten in Verbindung gestanden (Roth S. 18).

5) 91. Juli,

©) Bei Pastor, Gesch. der Päpste 5, Freiburg i. Br. 1909, 108 finde ich nur die Bemerkung, da die von Papst Paul III. eingesetzte Reformkommission am 11. Februar 1586 u, a. bestimmte, daß jedem

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dotum liberum vnd Saeramentum sub vtraque Improhibitum gelassen haben. Dieße Newe czeittung seint bey vns. Auch schicke ich Ewer w. das netle monstrüm zw halle geboren vnd hie gedruckt!) Item M. g. h. ist Nechten alhero zw vns kommen?) vnd heute hath doctor marfinus vff dem schlosse gepredigt“). Auch thue ich Euch zu wissen, wie ich für zweyen tagen das gelt für das pferdt von magistro dorm*) gefordert, Ja?) nur mit guten wortten, hath er sich ganz vnfreunthlichen kegen mir erezeigt als: man kann vns pfaffen nicht ersettigen, vnd wolle sulchs nach dem rathe zw zwickau anczeigen, sulch gelt bey ynen entleihen, domit er mich alßo Nach gerne verunglimpfen wolte. kan nicht wissen, uff wen er sich steuret®), ab ir yn sulchs Eingegeben habt, wie er denn anczeigt, es solten etlichen auß meinen guten freunden gesagt haben, er dorfft mir das gelt nicht geben, Ich hette vorhyn gelts genug, bi das ers gar wol konde beczalen. bitte derhalben, wollet die seinen dahyn halten, damit ich beczalt werde vom pferde, ader werde sulehs domino philippo melanctoni anczeigen müssen, das ich nieht gerne thüe. Er hath sunst?) nicht viel guts windts bey ym. Dominus Doctor martinus hath mich vnd Ewere Schwester zw gasthausse gehabt vnd mir vffs freunthlichste erezeigt vnd mich iczundt an doctor wellers stath zw einem prediger gesaczt, vnd habe nue zwir gepredigten zw schlosse. gott helffe fürder. Er hath sich auch freunthlich Ewert halben Lassen vornemen, wue ir Euch der sachen nür nach eussert, des ir euch zwuor vnderstanden habt. Szo hab ich auch vornummen, Ewer pastor, magister leonardus, hab euch iezündtí Ein gut geozeugnis gegeben?) Da mit seyt gote in gnaden beuolen. gruest mir Ewer weib von vnser aller

Geistlichen die Pflicht des Breviergebets in Erinnerung gebracht werden sollte.

1) Unbekannter (Einblatt?-)druck. N ) Melanchthon an Justus Jonas 1. Aug. 1581 (CR 3, 106. vgl.

auch E. 11, 13): Nuper hic fuit princeps, qui petivit ab omnibus theo-

logis et iuris consultis, ut deliberent, quid de Synodo respondendum sit.

3) Vgl. W. A. 41, 687.

) Georg Pylander: Neues Archiv f. sächs. Gesch. 80, 335 ff. Okt. 1586 war er noch in Wittenberg (S. 842). April 1587 bat er um Fortgewührung des kurfürstL Stipendiums, während er in Italien und Frankreich Medizin studiere (S. 838).

5) wahrlich. 6) stützt. ?) 80 wie 80.

5) Ähnlich schreibt Pylarder am 28. Juni an Roth: Mitteilungen des Zwickauer Altertumsvereins 8, 187.

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wegen. Auch lassen euch beyde schuestern vffs freunthlichste gruessen. Anna will mit der leinwadt byß auff michaelis warten; welleth ir die zwr selben ezeyt vorschalfen. Sie helt sich fein, got lob, vnd hath nach kein anstoß gehabt, got gebe ferner. Gegeben auß wittenbergk Am Sontage Nach . magdalene lm 1536 Jare. welleth euch auch meine be- hausung sampt dem geredt lassen beuolen sein.

Liborius meydeburgk E. w. schwager.

III. 15. Aug. 1536 (D 129. Roth 491. Witt. 141).

Gnade vnnd Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ozwuorann! Achtwar, günstiger, lieber her schwoger! Ewer schreiben an mich bey nicolao!) gethan, habe ich Inhalts vorleszen, vnd wolte euch gerne waB von Neuen geczeitten schreiben, Szo weis ich ieztindt nichts vorhanden Denn wie die von aügBbtirek In vorgangen tagen, weil ich bey dem hern doctori war, Im bey Eigner bothschafft sempt- lichen, Der rath szonderlichen, des gleichen auch omnes ministri verbi, von wegen der voreynigüng geschrieben, Vnd ntie fort hyn in allen artikeln vnsers heilgen glaubens Ein- helliglichen stymmen wollen, bey vns stehen, daruber dulden vnd leiden, was yhn got sampt vns zwschickt?). Der her doctor warttet der andern von stroßberg, vlm ıc. antwort auch. wenu die kommen, Szo werde wir was Netles haben. als balt es auBgehet, solt irs auch haben. Sonst ist iezundt nichts Neues vorhanden, Denn Die auszschrifft vom consilio ), vnd die collacio 5. capitis pauli ad Romanos*), die vbersende

1) Kaum Rudolf (E. 10, 3821. 11, 12), sondern wohl der in Brief IV genannte Martini.

3) Am 29. Mai 1536 wurde die Wittenberger Konkordia ge- schlossen, Unterm 18. Juli erging ein Schreiben vom Augsburger Rate, unterm 28. eins von den Augsburger Geistlichen an Luther ab (E. 11, 1 u. 9), „in denen unter Worten des Dankes die Annahme der Konkordia verkündet und strengste Beobachtung derselben zu- gesichert wurde^ (Frdr. Roth, Augsburgs Reformationsgesch. 2, München 1904, 262). Luther beantwortete die beiden Schreiben am 7. Aug. (E. 11, 22f.).

*) Die Bulle, durch die das Konzil nach Mantua berufen wurde, ist vom 2. Juni 1536. Pastor 5, 57. Am 17. Aug. 1586 schrieb Luther an Jonas, die lateinische Konzilsbulle habe er noch nicht ge- sehen, da Melanchthon sie dem Boten abgenommen und ihm noch nicht gezeigt habe, aber die deutsche habe er in einem Wittenberger Druck gestern gesehen und gelesen. E. 11, 83.

*) Unbestimmbar.

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ich Euch hiemit. wirt was ferner atiszgehen, szo solt irs auch haben. Es were meine freunthliche bethe an etch, Ir welleth mir durch peter ochsendretter Eine forschung haben, wie viel der alte greger Candler zw ErberBdorff!) fur mich vffm geyer vnd Sanet anneberge iczündt vorgangn trinitatis?) zwgebtist habe, vnd ym das selbe vorgenügen*). des gleichen schick ich Etch auch mein zetipüß büchel Ausz dem thael, Darynnen zw hinderst angeczeigt wirt, wie Ich dem hans müller Im Joachinstael j ffl vj gr i o von vorgangenem quartael schuldigk blieben byn. welleth den zweyen stilch gelt von meinet wegen vorrichten*), dach Ein czettel von ynen Nemen, Do mit sie das nicht weitter fordern durffen, vnd welleth euch von den vj ffl, Die euch magister dorm vber 3 wochen Eigentlich?) von meinet wegen Am pferde geben will vorrichten®) vnd ferner mir meyne theil vor- legen’) von sulchem gelde. das will ich beflissen sein zwuordienen. vnd schickt hans müller das buchlein mit, Seezt aber darünter ewer handschrifft, wie viel ir ym gebet. Bey doetor martino byn ich got lob in groBe gtinsí kommen, vnd Sollen iezünd mit eynander dem doctor weller Seine hochezeyt aufrichten. der hath ym Eine gefreyet zw freybergk, wirt in 3 wochen hochezeyt haben mit george am steigen tochter?) In des musz ich ym fort vnd fort sein stath vorweszen Im schlosz mit predigen, got vorley mir gnade darzw. Auch hath mir heüt dato doctor martinus Ein stück hirschen wilperez, von xv pfünden schwer, geschickt, darvon ich der Dorothea?) auch Ein theil gesandt. was ich mit derezeyt bey ym Ewert halben vormagk zwerlangen, Solt ir mich als ein freunthlichen schwager erkennen. Ewer schuestern Seint beyde noch fruesch vnd gesündt, begeren sulehs wider von euch allen zwerfaren, lassen euch auch freünthlichen grüessen. magister georgius rorer, wie er mir angeczeigt, Szo kann er lezundt nicht kommen vnd lest euch freunthlich gruessen. Damit seyt gote in gnaden beuolen! gruest mir Ewer weib vnd geschuister von vnser aller wegen! gegeben auß wittenbergk am dinstage Nach laurentj Im 1536 Jare Liboriüs meydebtirgk E w Schwoger

1) Ehrenfriedersdorf. 3) 11. Jnni, 3) bezahlen. *) bezahlen. 5) gicher. 9) bezahlt machen.

) Roth soll einstweilen auslegen, was Magdeburg auf seine Bergwerksanteile nachzahlen muß.

e) Am 5. u. 18. Aug. riet Luther Weller, seine Hochzeit in Freiberg zu feiern, E. 11, 19. 27. ?) Kersten.

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IV. 7. Sept. 1536 (II 148. Roth 493).

Gnade vnd Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ezwuorann! Achtwor, Lieber her sehwoger! Ewer schreiben An mich bey nickel merthen!) gethan habe ich Inhalts vorleBen vnd füge Euch zw wissen, das mir magister thürm Ein bekendnis der vj fl?) gegeben hath. die schick ich Euch hiemit czeiger dieß brieffs vnd bitte Euch, welleth sulche vj fl von meinet wegen Einnemen vnd Ja nicht ver- gessen, do mit ir mir meine theil kondt vorlegen, wie ich Euch denn der selben auch Ein vorzeichnis gegeben habe. Vnd last Euch der mühe nicht beschweren! worynnen ich Euch widerumb kann dienen, befindt ir mich gancz willig. Auch Sollen mir die hern des gemeinen castens iczundt michaelis 3 fl von der vntern stube geben her Sebalds*) halben, bitt, welleth mir die auch Eynmanen vnnd horen, ab ich sulchen ezinB vort hyn auch solle gewarthen oder wie es bleiben Sall. denn ich weis nicht anders, mein her der churfurst werde mir sulchs bey Erwarn rathe erlangt haben, wue nicht, Bo will ich ferner anlangen, do mit ich mich das der baß*) alhie konde erhalten. Bitt freüntlichen, ir welleth gut An meinem worte sein. wuste ich ynen mit der") widerumb zwdienen, Sollen sie mich auffs willigste finden. do mit seyt gote in gnaden beuolen! gruest mir Ewer thugentDBames weib! Auch lassen euch beide schuestern auffs freunthlichste gruessen. Es gehet vns, got lob, allen wol. das Ennelein?) hath Nach kein anstoß gehabt vnd helth sich wol vnd recht, got gebe furder. wenn es euch allen wol ginge, erfuer wir allezeyt gerne. Gegeben auf Wittenbergk am Donnerstage Nach Egidij Im 1536.

Ich schicke etich hiemit das buchlein von der Widerteufler straffe). sunst ist nichts Neues vorhanden. vnd gruest alle vnser gute freunde vnd schweger von vnser aller wegen.

1) Vermutlich der ausgelaufene Magdeburger Augustiner Nikolaus Martini: O. Clemen, Beiträge zur Reformationsgesch. 3, 96f.

2) ein Bekenntnis, daß er Magdeburg 6 Gulden schulde.

3) Kaum der Wittenberger Jurist Sebald Münsterer E. 12, 2715. 5) desto besser.

5) zu ergünzen: Zeit.

6) Gewiß ein Töchterchen der Anna Kersten.

7) Daß weltliche Oberkeit den Wiedertäufern mit leiblicher Strafe zu wehren schuldig sei, etlicher Bedenken zu Wittenberg. Witt. Joseph Klug 1536. W. A. 50, 6ff.

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V. 30. Sept. 1836 (M 105. Witt. 142).

G V Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste czwuoran! Achtwar, gunstiger, lieber her schwager! Ewer Schreiben bey czeiger dieB brieffs an mich gethan hab ich ynhalts vorleBen vnd frewe mich nicht ein wenigk, das der rath vnd pfarrer in den zweyen stucken vortragen seynt, got wolle sie in gnaden lange erhalten in gleicher Einigkeyt!!) Doctor martinus ist sein auch erfreüt geweßen zw horen, wie ir denn auß seinen schrifftenn vermerken werdet, die ich nechten von ym entpfangen vnd dieBem bothen mit gegeben). Der Doktor war schellig®) auff nicolatim “), wie ir vornemen werdt. meiner theyl halben will ich iezt geschweigen vmb der kurez willen biß auff den Jarmarckt, da will ich, ab got will, bey Euch Erscheynen vnd weiter mit euch davon reden. Ewers weibs schwacheyt haben wir mit traurigkeyt vor- marckt, got helffe ir widerumb ezwr gesundheyt. Diß sall vnser bitt zw gote sein. Schwager Hans Kersten ist sehr schwach geweßen, besorgens, Er wurde sein auDgangen. Aber es bessert sich mit ym, got lobe, und hoffe, es werde nicht nach haben") dach stehecz in gots hand und Gewalt 9). Sie kann euch iczündt keine opfel schicken Nach den wotsack ), dann sie ist mit viel sorgen, muehe und traurigkeit vmbgeben, das sie nicht kann. Ich hette euch heute gerne selber opffel gekaufft, Szo habe ich auch nicht der weyle, denn es ist mir nechten spat vom Doctor martino angeczeigt, das ich muß morgen zw schloß predigen für Doctor weller, der ezeuht heute mit Doktor martino ken Torgaw eylenez zw m g hern). Ich solte mit ym cziehen, Bo wolte ich gerne biß montagk?) Nach leipozick cziehen, vorhoff euch alda zwfinden, will ich euch weitter meine notturft anczeigen. Ich habe schon Eine vocacion, die will ich kurz ezwuor anczeigen. domit Seyt eylenez gote In gnaden beuolen! Gruest Ewer weib von vnser aller wegen. Auch lassen Euch beyde schuestern

) Vgl. E. 11, 88! und Mitteilungen des Zwickauer Altertums- vereins 8, 187f.

Y) Ist Luthers Brief an den Zwickauer Rat vom 27. Sept. gemeint?

*) aufgebracht.

4) Martini? Rudolf?

5) schädliche Nachwirkungen haben?

*) Er starb 19. Oktober.

?) Felleisen.

* Luther wurde auf vier Tage, 19.—22. Sept., und abermals am 29. Sept. nach Torgau geholt, E. 11, 148* und ZKG. 19, 103.

*) 2. Okt.

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freunthlich gruessen. Gegeben auß Wittenberg am Sonn- abenth Nach michaelis Im 1536. Liborius meydeburgk E. w. Schwager.

VI. 19. Okt. 1536 (II 149. Witt. 143).

Gnade vnd Friede in Christo Jhesu Sampt meyne willige dinste ezwuorann! großgtinstiger, lieber her sehwager! Ewer schreiben bey nicolao!) an mich gethan habe ich Inhalts vorleßen, wie ir peter ochsentretter 4 fl von meinet wegen zwr vorlegting gegeben. bitt, wolleth die zwbuß czetteln von ym Entpfahen, do mit ich ntir wisse, wie viel vorlegt sey. Die bucher belangende habe ich heut dato bey schrammen aufgenommen, will etch die auffs erste eweren begeren Nach binden lassen vnd mit derezeyt hynauff vorschaffen. aber die buchbinder haben viel erbeyt, besorge, es werde sich vor- ziehen. Mit Hans Kersten ist die sache in desperato, Er leith in czugen?), got helffe ym durch christum frolichen erdurch, er ist getrost ym glauben. Ich byn ir zwir hetit bey ym geweßen, aber ich sorge, er werde die nacht nicht vberleben. Ich habe heint beczeyt müssen schreiben, denn morgen habe ich nicht der weyle, da muß ich predigen. Auch ist mein bitt, wolleth dießen brieff mit gewisser bot- schafft auff Sant Anneberge vorfertigen an maths renner, Szo es sache were*), das meine theyl in der 4, 5, 6 vnd 7 maße) nach des rosenkranez kegendrtimb°) Ins retardat*) kommen weren, welchs meine besten theyl vff S. Anneberge seint, das er mich herauß wolt nemen, denn sie stehen mich viel gelts. vnd Bo ir ktündt neben dießen guter Freunde geniessen, welleth denen auch schreiben, domit ich zwgelassen werde, denn es ist Ja ane meine schult geschehen. do mit seyt gote in gnaden beuolen Sampt ewer Lieben Haußfrauen! Auch lassen Euch beyde schuestern gruessen; wenn es euch

!) Martini.

*) Liegt in den letzten Zügen. Vgl. W. A. B8, 684.

3) der Fall einträte.

*) Im Bergbau ist die Maße eine Maßeinheit für die Zuteilung desjenigen Feldes auf einer bestimmten Lagerstätte, das nach Ver- messung der Fundgrube noch im Freien war. D. Wb. 6, 1731.

5) Gegentrum Fortsetzung eines in einem Bergabhang endenden Erzganges im gegenüberstehenden Berge. D. W. 4. Bd. 1. Abt., 2276.

*, Betardat Zwangsverfahren gegen Gewerke und Gruben, die die Zubußen zu den Betriebskosten nicht rechtzeitig bezahlten G. Lösche, Joh. Mathesius’ ausgewählte Werke 4, Prag 1904, S. 618).

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allen wol gunge, erfüren sie gerne. Der Anna habe ich Ein pelez für j fl gekaufft, Auch bedorfft sie wol Ein ezehr pfennig, wolleth ir nicht Bo gar vorgessen, ich habe mit dem meinem genüg zwschaffen, vnd ir sulchs schicken. wolleth auch maths renner dem schichtmeyster, Szo er mich gedenckt zw zwlassen, den zwbuß vorschaffen. was ich Euch werde darüber schuldig sein, verhoff mit mir gedult zwtragen, biß das ich der tage Eins zw euch komme. Szo will ich mich mit Euch berechen vnd vorgenügen. gegeben auß Wittenbergk Am Donnerstage Nach galli 1536 Liborius meydeburgk E w Sehwager

VII. 2. Dez. 1536 (D 180. Roth 501. Witt. 144).

Gnade vnd Friede In Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ezwuoran! achtwar, günstiger, Lieber her schwager! Ewer schreiben sampt der rechnung habe ich entpfangen, vnd ist Nach meine freunthliche bethe, Ir welleth euch die sache mit dem kellichen Lassen beüolen vnd die ezwm guten ende vorfugen helfen, do mit mir zw meinem getreuen dinste, wulff Sommerschuch geleistet, vnd schaden, den ich seinet halben genommen, nicht weiter vorceleinigüng entstehe, An- gesehen, das ich so lange czeyt ewer diener aller geweßen. Auch habe ich den armen leuthen ezwm heiligen geist ein vbergulten becher vnd ein meßgewanth von dem meynem lassen zwkommen. als balt ich euch die bucher vbersende, wil ich mich mit euch in der rechnung vorgleichen vnd weitter anleyttüng geben, wue ir die vorlegung auf die theyl bekommen. welleth mir allein Bo viel zw gefallen sein vnd die Michaelis vorlegen, wie vor. worynnen ich Euch kann widerumb dienen, findt ir mich gancz willig. Ich byn yn willens, auf reminiscere?) droben zwerscheinen vnd mein thun selbs zw besichtigen, wils got; wue nicht, Szo will ich euch gelt zwr vorlegung vorschaffen. Ewer bücher werden auf die volgende woche fertigk werden. wie ichs euch auffs erste schicken kann, das will ich thün. Auch Lest etich vnd ewer weib die Dorothea fleissigk gruessen vnd sagen, wie sie das handtwerck nach byß auff ostern gedenckt zwtreiben, vnd wue ir ader ewer weib aüff bestimpte czeit konden hie seyn, 8z0 wolte sie ewers raths pflegen, wes sie sich ferner halten solte. Denn sie wolte gerne das heußel bauen ezur mit?) vnd Eyn kremlein anrichten, damit sie sich auch

1) 25. Febr. 1587. 1) um es zu vermieten.

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<zimlicher weyße erhalten konde!). Ich hette euch gerne was Newes Im drück geschickt, Bo ist iezundt nichts vor- handen. Von Neuen geczeitten weis ich nichts gewiß, denn wie der von holstein konig in dacia habe vj bischoffen lassen den kopff wegkschmeussen?). Rex anglie soll auch wunder- lich mit ynen vmb gehen?) De Imperatore et rege francie plüra, tamen varia refertintür. Szo was gewiß aüßgehet, will ichs Euch auffs erste zew wissen thun. Domit seyt gote In gnaden benolen! Auch lassen euch mein weib, die Junge Enuel vnd die alte Anna allen viel guter nacht sagen, vnd welleth euch meine behausung in des lassen beuolen sein vnd mir Ewern radt mit teylen, wie ich mich meiner scheden Am Sommerschuch Erholen sall. Vnd gruesset mir Ewer weib vnd sagt ir, das ich bey der orthen*) alle freund vnd beste will helffen furwenden. Gegeben auß Wittenbergk Am Sonnabenth Nach Andree Anno 1536. Liboriüs meydeburgk E. w. Schwager.

VIII. 20. Dez. 1536 (D 136. Roth 502. Witt. 145).

Gnade vnnd Friede In Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ezwuorann! Achtwar gunstiger Lieber her schwager! Ewer schreiben an mich gethan habe ich Inhalts vorleßen vnd des kelehs halben magistro eringio) geschrieben vnd

1) Dorothea Kersten an Roth 21. Jan. 1537: Thu euch hiemit kunth, das ich das handwerck auff die negste wochen gar wil vber- geben vnd nichts sonderlichs anfahren bis auf meiner lieben Muhme (Roths Gattin) zukunfft. 6. Febr.: Hat das Handwerk aufgegeben, will die Fasten hindurch der weil Hückerei treiben. Hat schon zwei FüGlein Butter gekauft, will sich Wildbret und Geflügel zulegen,

2) Falsches Gerücht, König Christian III. von Dänemark ließ nur am 20. Aug. die Bischöfe, die in dem vergangenen Bürgerkriege seine Gegner gewesen waren, verhaften. Nach einigen Monaten wurden sie wieder freigelassen, E. 11, 136®.

3) Nach der Enthauptung der Anna Boleyn am 19. Mai 1536 die Nachricht kam durch Robert Barnes nach Wittenberg (CR 3, 91) glaubte man, Heinrich VIII. werde sich wieder der kathol. Kirche zu- wenden, Er fuhr jedoch mit seinen Klosteraufhebungen fort. Em- pörungen in Lincolnshire und Yorkshire waren die Folge. Pastor 5, 683. Jos. Spillmann, Gesch. der Katholikenverfolgung in England 1535 bis 1681 1, Freiburg i. Br. 1910, 182ff.

*) Dorothea (Kersten).

5) Christoph Ering aus Leipzig. Ueber seine Magisterpromotion 1515: Neues Archiv f. sächs. Gesch. 25, 308, Zuerst Kaplan Herzog

Archiv für Heformationsgeschichte. XXIII. 1/2. 5

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gebeten, domit Er neben Eüch desselben beezalung vorrichten vnd vorgentügen wolte helfen, Szo man Ja daß pfandt nicht mtüge gehaben. Bitt derhalben, welleth güt an meinem worte sein, vff das sie sich mit Eim czimlichen lassen vorgnügen. Sie wissen wol, wie sie die audern zwene kelche czwm heiligen geist vorkaufft haben, den dritten vnd geringsten Liessen sie mir, Auch habe ich den armen Leuthen czwm heiligen geiste Ein vbergult becherlein gelassen, das mein war, Item Ein meßgewanth, das auch wol ij fl wert war. wolten dieß lassen daran abgehen. magistro Ering habe ich der weyle xv. fl gegeben, davon welleth sulch cleinoth be- czalen, vífs negste ir kündt. Auch Schicke ich Euch albie bey czeiger dieß briefs 4 Taeler, macht Do viel als 5 alde schock, die gebt dem peter ochBendretter, meine theyl damit zwuorlegen. Vnd laßt euch die zwbuß czettel mit brengen. wenn ich, will got, nauff komme, Szo will ich anders die sache anstellen. Ewer bucher seint ferttigk, vnd vff den leipezischen marck will ichs euch mit dem wotsacke Nüber schicken in der stalleryn haus!) Die Annotaciones martini In matheum habe ich bey Doctor Weller erlangt, das man sie iczundt druckt. Lufft haths auffgelegt'). Nechten vmb 3 hora oder zwuschen 3 vnd 4 seint alhie von ydermannig- lichen 3 Sonnen gesehen worden. Am Donnerstage vor- gangen“) hath es hie geblitz vnd gedonnerth. was dieß alles bedüth, will ich den astrologen beuelen*) Stnst weis ieh iezt nichts Netles. was aber Nettes iczundt wirt außgehen, das werdt ir zw leipezigk beyßammen finden. Hymit seyt gote in.gnaden beüolen! grüest Ewer weib von vnser aller wegen! beide schuestern, die alte Auna lassen Euch fleißig grüessen. Wenn es begint wider warm zu werden, fo will

Georgs (Geß, Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1, Leipzig 1905, Reg. s. v.) und Lehrer des Prinzen Moritz (Nenes Archiv 26, 275), 1526 Prediger in Annaberg (Gef 2, 1917, B. v.), 1528 in Joachimsthal (Lösche, Joh. Mathesius 1, Gotha 1895, 77), 1633 Prediger zu St. Marien in Zwickau, 1540 zu St, Katharinen, 1553 Superintendent, + 1554 (Mitteilungen des Zwickauer Altertums- vereins 1, 74ff. 7, 118. Neues Archiv 11, 58ff. E. 9, 281°. KreyBig, Album S. 708).

1) Zur Neujahrsmesse ist Roth „zu Leipsig bei der Peter Stallerin am Neumarkte gegenüber dem Kaufhause zur Herberge* (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft zu Leipsig 9. Bd. 1 H., S. 76).

2) Vgl. Brief I.

3) 14. Dez.

) Vgl. Dorothea Kersten an Roth von demselben 20. Dez. Witt. Nr. 146,

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ich die anna nauff schicken. In des welleth Eüch alle mein thün bey euch Lassen beuolen sein. Gegeben auß witten- bergk an der mitwoch Nach Lucie Im 1536 Jare.

Was ich der Dorothea weis zw- Liborius meydebürgk dienen, Solt ir mich willig E. w. schwager. befinden etc.

IX. 14. Jan. 1537 (D 134. Witt. 147.)

Gnade vnnd Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ezwuoran! Achtwar, Lieber her Schwager! auß Anregung des bothens, der heindt in der eyl zw mir ist kommen, habe ichs nicht konnen vnterlassen Euch zw- schreiben; ab ir was heth rabe zw schreiben, mocht yrs wider mit ym thün. Auch will ich Euch nicht bergen, wie mir die anna Ewer schuester!) ist kranck worden und hath febres quottidianas kriegt. Der magister mühlpfort?) curiert sie. vorhoff, es soll besser werden. Auch ist mir mein Kind nach kranck, vorsehe mich aber, es solle ym nichts gewerren®). Es hath ein apostema*) am Halse kriegt, das wirt ym, vorsehe ich, morgen außgehen. vnnd kann der alten anna nicht geraten?) muß sie nach lenger bey mir behalten, byB Es besser wirt. welleth Euch mein gereth in des lassen beuolen sein. Auch ist der Dorothea ir henBlein auch kranck worden vnd hath die bocken kriegt, ist nue bey acht tagen gelegen?) was ir yhr schreiben wolleth, das mocht ir dem bothen beuelen, der kumpt wider rabe. vnd last michs wissen, wie es mit dem kelch stehet. Heindt hat Doctor martinus vff der Canezel fur herczogk Hanssen, Herczogk georgens son, gebeten, der schwerlich kranck liege, besorgens, er werde nicht auffkommen, das er mochte zw erkentnis kommen vnd ein selig ende nemen’). Sunst weis nichts Neues itzundt, denn was man teglich von turcken sagt, got wolle ym seinen mutwillen stillen. Damit

!) Ist Anna Kersten gemeint, dann würde sich hier bestätigen, daß Magdeburg „Schwester“ für ,Schwügerin^ gebraucht. Vgl. D. Wb. 9, 2599.

*) Ein Hermann Mühlpfort aus Zwickau am 9. Okt. 1520, ein Wolfgang M. im Sommer 1535 immatrikuliert (Album 39a, 158»).

*) schaden.

*) Abszeß.

5) entbehren.

6, Dorothea Kersten an Roth, 21. Jan. 1537: ihr Hänsel ist wieder frisch worden.

7) Er starb am 13. oder 11. Jan. 1537. Tischreden W. A. 8, 8581.

pe

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seyt gote in gnaden beuolen! vnd Sagt ewrem weibe vil guter nacht von vnser aller wegen! Auch lassen euch beide schuestern vnd die alte Anna gruessen. Gegeben aus Witten- bergk am sontage nn Hylarij Im 1537 Jare.

Vnd Szo was trostlichs vom zar

bergkwerge were, welleth R michs wissen lassen. E. w. Schwager.

X. 11. Jan. 1537 (II 150. Roth 505).

Mein freunthlichen grueß vnnd willige dinste zwuorann! Achtwar Lieber her schwager! Ewer schreiben bey ezeiger dieß brieffs gethan habe ich mit clein freuden vorleßen, hette vorhofft, ich wolte andern Dank von euch haben der bucher halben, da mit ir mich Bo hoch beschuldiget, als sey ich Bo vnfleissigk in Ewern sachen mir beuolen. Szo weis got, daß ichs nicht besser auff dieb mael hette mugen bestellen, vnd wenn es meinem vater gesolt hette. Denn der bachbinder hath mir zwuor gesagt, er hette euch vor- maels auch bucher gebunden. Szo hatte mich ber bal- thazar!) zw ym geweist, der ym opera augustini iczundt bey ym hath lassen binden. Szo hath er zwene gesellen vnd hat nür viel zwbinden. derhalben nimpt michs wunder, das ir mich in Bo geringem verdechtlichen halt. was welleth yr in grosserm thun! got weis, daß ichs nicht anders gemeynt, es sey auffs beste ausgericht. damit ich aber auß Sulcher verdacht vnd argwan magk kommen vnd mir nicht zw grosser Bunde gerathe, Szo schickt mir die bucher auffs erste in xiiij tagen wieder rabe, Szo will ich euch Andere der gleichen Exemplaria schicken, wie gene gewest seint, vnd laßs euch bynden auffs beste ir wist. Ich habs auff dieß mael nicht besser konnen bestellen, des sey got mein geczeuge. wue ir aber die bucher wurdt lenger behalten, konte ichs hernach aueh nicht das genuge auDrichten. Ich habe dem buchbinder Ewern brieff geczeigt vnd eine gute sawe?) darzw gegeben, der Antwort will er Auff ewer Zwkunfft Sparen. Des Buch- leins, darvon ir schreibt, weis niemanez von, de Fide aqni- sita), Es solte denn Nach auBgehen. Die biblia hath man nicht von neue auffgelegt, was aber mit der czeyt ym druck außgehet, will ich Euch gerne schicken. Aber was

) Wohl der am 22, Mai 1530 immatrikulierte Balthasar Gosmar aus Halle, ein Vetter Roths, später Hauslehrer bei Joseph Levin Metzsch auf Mylau (Witt. S. 80 und ö.; Chronik des Mylauer Schlosses, Mylau 1900, S. 61).

1) Verweis. 5) Unbestimmbar.

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ir der annen halben schreibt, das niemanez will gelt!) seyn, las ich in seinen wirden bleiben?), Szo gut es ist, wirt sie Ir viel darümb keüffen, des der?) besser ists. Auch welleth der Anna, georgen rodths weib, sagen, das sie den hünner was zw essen keuffe, by das Sye wider natif komme. ich will sie in Einer kureze Nauff schicken. Hiemit seyt gote in gnaden beuolen! wollet Ewer weib von vnser aller wegen gruessen. Auch lassen euch beyde schuestern viel guter nacht sagen vnd die alte Anna. Gegeben auß Wittenbergk Amm Sontage nach Fabiani vnd Sebastiani Im 1537 Jare. Liborius meydeburgk ete.

XI. 24. Februar. 1537 (N 112*. Roth 509).

Gnade und Friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste ezwuorann! Achtwar vnd frunthlicher, Lieber her schwager! Ewer bucher mir von leipezigk zugeschickt habe ich etlicher maße langßam entpfangen vnd habe die dem buchbinder vberantwort, der mir andere exemplar darfur ge- geben des vorigen drucks. die habe ich bey mir. Was ir nüe mit den exemplaribus ferner machen wolt, das last mich wissen; wolt ir aber Lieber das gelt darfar haben, damit man Christof schramm Ewer schult vorrichte, Bo last michs auch wissen, wie wohl ichs schwerlich getraw zwerlangen. leh habe dyß schwerlich bekummen. Ist auch meine freunth- liche bitt, welleth euch meine theyl lassen beuolen seín. lch kann iezundt nicht Natiff kommen, aber vff pfingsten*), will got, so wil ich selbs Nauff kommen vnd mich allenthalben mit euch vorrechen vnd euch vorgenugen. vorlegt mir sie nür dieß Quartael! hiemit Seyt gote in gnaden beuolen. gruest mir Ewer weib vnd magister georgium rorerum! Ich hette euch gerne new geczeiten geschrieben, Bo waren sie zw böße. got gebe, daD sie in Einer kurz besser clingen! Gegeben auß wittenbergk Am Sonnabenth Nach cathedra petri Anno 1537.

Euer schuester lassen euch freunthlieh Liborius meydeburgk. gruessen etc. Auch Schick ich hiemit magistergeorgij Rorers briefevnd hoDen, davon werdt ir dem bothen wol vorge-

nugen. !) gelter Glüubiger oder Schuldner? 2) laß ich dahingestellt. 3) desto. *) 20. Mai.

5) Rörer war damals bei Roth in Zwickau. So erklären sich die Zentralbl. f. Bibliothekswesen 89, 515 erwähnten Widmungen von seiner Hand: M. Steph. Rufo suo hospiti.

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XII. 10. April 1537 (D 131. Roth 511. Witt. 151).

Mein freunthlichen grueß vnd willige dinste ezwuorann! Achtwar Lieber her schwager! Ewer schreiben an mich gethan habe ich sampt der rechnung entpfangen. hette vor- hofft, ir solt mit mir der rechnung halben gedult tragen byB auff meine zwkunfft. Weil ir aber des geltes Bo hoch be- nottigeth, hab ich Ewerm weibe 4 taeler mit gegeben, damit sie czerung habe, vnd bitt, welleth mir die andern theyl vor- legen. kundt ir mir was darvon vorkotiffen, auff das ich der mit gutem fuge konne loß werden, doran thut ir mir ein großen gefallen. welleth die sache dem peter ochBendretter beuehlen, ab sie was ezimlichs gelten wolten, denn die zwbuß wirt mir zw schwehr. Auch schick ich euch den origenem mit andern clein Tractetlein. zwey habe ich bey christoff Schrammen genomen, die andern hab ich beczalt. mündum vnd hester’) hab ich von christoff schrammen vmb viij 3 genomen. Sunst weis ich nichts netles furhanden, wis auff den leipezischen marck wirt außgehen. Ich habe etliche sermones von doctor martino erlangt, die werden iczündt auß- gehen lnn latein, werden Fast 9 bogen sein. die hab ich selbs aus des doctors exemplar helffen Corrigiren. wenu die außgehen, Szo will ich euch der eins schicken, do werdt ir des doctors künst sehen, vnd werden euch wolgefallen ). Ich weis euch sunst nichts von netlen geczeitten zwschreiben, denn wie marggraff hans in der marck hat das Euangelion angenomen, vnd byn gestern darbey gewefen, da er seine legation hath bey doctor martino gehabt, vnd begert prediger in sein landt. da fragt mich der her, ab ich wolte bischoff zw kothwiez werden*) der gleichen sagt man von herezogk

) Joachim Greff, Mundus. Ein schön neues, kurzes Spiel von der Welt Art und Natur. Wittenberg 1537. Gödeke, Grundriß 2*, 357, 127. Holstein, Die Reformation im Spiegelbilde der dramatischen Literatur des 16, Jahrhunderts, Halle 1886, S. 268. Richard Buch- wald, Joachim Greff, Leipzig 1907, S. 21. Valten Voith, Ein lieb- lich, nützlich und tróstlich Spiel aus dem Buche Esther. Magdeburg 1537. Gödeke 360, 140. Holstein 8. 108. Mitteilungen des Chem- nitzer Geschichtsvereins 9 (1897), 164.

*) Conciunculae quaedam D. Martini Lutheri amico cuidam prae- scriptae. 1587 von Nickel Schirlentz gedruckt. Magdeburg hat sie in Druck gegeben und die Korrektur nach Luthers Originalmanuskript gelesen. W. A. 88, 441f.

) Markgraf Johann von der Neumark erlaubte schon bei der Huldigung im Januar 1586 den Bürgerschaften von Kottbus und Königs- berg, zum Luthertum überzutreten. In Kottbus wurde 1537 die Refor- mation eingeführt; Joh. Lüdecke und Joh. Mantelin waren die ersten

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heinrichen?) auch. got gebe sein gnade! es wird der tage eins besser werden. Hiemit seyt gote in gnaden beuolen! Welleth euch meine theil lassen beuolen sein. Beyde schuestern lassen etich freuntlich gruessen. Die Anna lest euch der leinwath dancken. hette vorhofft, ir solt ir mehr geschickt haben zw einem hempte. gegeben auß wittenbergk am Dinstage nach quasimodogeniti anno 1537. Liborius meydeburgk E. w. Schwager.

XIII. 20. Juni 1537 (M 28. Witt. 152).

Mein freunthlichen grueß vnnd willige dinste ozwuorann! Achtwar, gunstiger, lieber her schwager! Ich ware in willens, wie zw negst?) vormelt, vntlorezuglichen bey euch zwerscheinen vnd alda meine theyl zwuorlegen vnd die sache mit dem kelch zwuollenden, nde kann ich iczundt nicht abkommen, denn ich habe das dinst zw schloß zwuorwalten vnd magk lezundí kein andern an meine stath zwvberkommen byß vber xiiij tage, alda gedenck Ichs gar zw übergeben. Ist derhalben mein bitt, welleth die vorlegüng in des voreziehen; als balt ich kann ab kommen, Szo will ich mich hynnauff finden. Hette vorhofft, die Dorothea’) solte in des kommen sein, Bo were ich aber lieber von hynnen geczogen, domit aber das haüf*) ye baß vorsorgt sey vnd In meinem abweßen nichts entezogen oder verwarlust werde, welchs ich nach vffs fleissigste vorkommen“), wie wol man mir sulchs nicht be- filet nach vortratüt, Szo will derhalben nach eine weyle vor- ziehen, ab sie sich mitler ezeyt Nach wider zw hatlße fünde, wie ich dann vorhoffe, ire kranckheyt solle sich bessern. waue nicht, welleth mich des verstendigen. Szo will ich viel lieber dester ehr kommen, damit ich meine theyl auch nicht vorseume. Hiemit Seyt gote in gnaden beuolen! Welleth der Dorothea mein gebet vnd grües sagen. Sie sall sich des hates halben nichts bekomern; es sall ir kein schade ge- schehen. Gegeben Auß Wittenbergk An der mitwoch nach basilij Im 1537 Jare

Liborius meydebürgk

€vgl. Prediger (L. Zscharnack, Das Werk Martin Luthers in der Mark Brandenburg, Berlin 1917, 8. 69).

2) von Sachsen.

*) Brief XI.

*) Dorothea Kersten war nach Zwiekau gereist und dort durch eine Erkrankung zurückgehalten worden. `

4) das Kersteniche. 5) verhindert.

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Auch lest die gersa, der Dorothea magdt, yrer frauen viel guter Nacht sagen. Auch lassen euch beyde schuestern grüessen. Die anna wirt mir offt kranck, widerümb die lenge wirts mühe werden.

XIV. 21. Juli 1537 (D 133. Witt. 153).

Gnade vnnd friede in Christo Jhesu Sampt meine willige dinste czwuorann! Achtwar, hochgelarther. frünthlicher, lieber her Schwager! Die zwbuß czeddel mit Ewern schriften habe ieh bey der Dorothea Kerstenyn, vnser schwegerynne, Ent- pfangen vnd bedanck mich vífs frünthlichste Ewer gehabten mühe. Aber die ij alden!) xv gr xj?) habe ich der Dorothea nicht gegeben, bitt, welleth mit dem selben ein kleinen anstandt haben, denn Ich hette iczundt nicht Bo viel Ein- ezeles geldes. Es ist mir Ein großer hans L fl schuldigk, die ich byßhero nicht hab mocht bekommen. Szo hab ich nach Ein cleines scheczlein guts geltes, des Ich mich nicht gerne wolte entbloeßen, darumb habt gedult, Ego omnia reddam tibi’). Auch wisset, das die Dorothea, yr kind vnd Anna got lob fruesch vnd gestindt Seint hero kommen. Aber ich vnd mein weib seint beyde krank geweDen vnd haben sie auff diß mael nicht Nach aller gebur mügen Entpfahen. Aber vorthyn, weyl sichs, gott lob, besser mit vns beyden macht, wollen wir semplichen Ir allen willen leisten, Szo viel vus nür muglieh ist. Bitt auch ganz freuntlichen, ir welleth vnser auch nicht vorgessen, wue Ir vns hie oder anders wue günstigen willen kondt erezeigen. welleths dach vmb Ewer schuestern heyder willen thin, die sich forthyn alles gutten zw euch thun vorsehen. helfft, das wir ane Ewer» schaden gefoedert werdenn. Doctor martinus auß ab- weßenn M. g. b. hath Nach nichts mügen handeln de con- sistorijs constituendis“), der mir auch große vertrostüng gethan. der ist iezundt got lob starck vnd gestindt vnd predigt an vnterlass an doctor pomerani stath.“) Dorothea lest euch wissen, wie sie das buch von doctor benedicto pauli“) nicht

1) alten Schock.

*) erg. Pfennig.

3) Mt. 18, 26.

*) Vgl. Köstlin-Kawerau, Martin Luther 2, 441,

5) Bugenhagen seit Mitte Juni 1588 bis Anfang Juli 1589 in Dänemark, W. A. 45, XI u. XXV.

*) Vgl. über Pauli Witt. 881. Nik. Müller, Die Kirchen- und Schulvisitationen im Kreise Belzig 1530 und 1534, Berlin 1904, S. 11ff. Verheiratet mit Anna geb. Roth. Juni 1588 verunglückte ein Söhnchen von ihm (Enders 12, 42). Zw. R. S. B. 21. 7. 8: Original-

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hath mügen bekomen, denn er ist nicht Eynheymsch ge- weßen. Auch schickt sie Etch Ein wenig yrer worste, bitt, wolleth sie zw danck annemen. Wir haben den mülpforten kumerlichen vormocht, das er von seiner mutter xxx gr ge- geben hath zw furlohn, vnd den furman beint frey gehalten. Sie hath sich sehr spiezigk gemacht, wie euch die Anna wohl vnderriehten wirt. Bitt, wolleth daran helffen sein, domit die sache vor Somerschuch vorricht werde, das will ich in Sonderheyt vordienen. Hiemit Seyt gote in gnaden beuolen. Grueßt mir Ewer weib fleißig. Auch lassen Ihr Dorothea, die martha, Ewere beyden schuestern, vnd alle viel guter nacht sagen. gegeben auß Wittenbergk am Sonnabenth nach Alexij Ànno 1537. Liborius meydeburgk E. w. Sehwager.

XV. 12. Sept. 1537 (M 108. Witt. 155).

Mein freunthlichen, gerne vnd willige dinste ozwuorann! Achtwar, lieber her schwager! Ich thue euch zw wissen, das ich den wintter vber, Bo mich anders der Doctor hie lest, bey der schwegerynne in yrer behaussung bleibe, wie wol mich die furstynne von anhalt gerne wolte ghen Rob. lauben haben, da wolte sie mir fl geben ). Aber der her doctor will mich ir nicht lassen, gedenckt mich zw andern sachen zwgebrauchen. Diß will ich endlichen?) auff micha- elis iezundt erfaren. Ist meine bitt, welleth mir erfaren, was ich vff S. Annaberge vnd vffm geyer solle zwbussen

brief Paulis an Dr. Christian Bayer vom 12. Sept. 1522. Zw. R. S. B. 49. 5. 3%: Leichpredigt auf seinen Sohn Joh. geb. 1546, + 20. März 1616, Eine Tochter von ihm, Euphrosyne, heiratete am 18. Jan. 1550 Dr. Mich. Teuber (T 15. Sept. 1586) und + 6. Juli 1586 (Witt. 127). 6. 8. 5,,: Elegia in nuptiis... D. Doctoris Michaelis Teuberi . . . a Ioanne Cing- lario 1550. Hdschr. oben auf dem Titel: Die 18. Janua... celebratae nupti ... 48. 6, 4,: Epitaphia auf Teuber und Gattin. Aus dieser Ehe ging eine Tochter Euphrosyne hervor, die den kurf. sächs. Geheimrat und Vizekanzler Andreas Rauchbar heiratete. Anna Rauchbar heiratete Juni 1629 den Joh. Joachim v. Niemeck und f 29. April 1637.

1) Fürstin Margarete von Anhalt, die Gemahlin Johanns. Roflau war ihr 1584 als Leibgeding verschrieben und das dortige Schloß zu ihrem einstigen Witwensitz bestimmt worden. Infolge des Zwists mit ihrem Gatten war sie mit dessen Einwilligung dahin gezogen. E. 11, 261°. L. kam im Sept. nach R., um eine Aussöhnung zwischen Fürstin Margarethe und Fürst Johann zustande zu bringen. E. 11, 2731.

) definitiv.

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vnd mir zw wissen thun. Die peter voyttyn schickt dem henßel!) ein wenig große byrn. Bo hath ir die orthe mehr darzw gethan. welleth die fur willen annemen. Es hat magister georgius rorer der orthe kein gelt geben, vorsehens, er werde euch das mit Iheronimo nopo?) schicken. nicht mehr, denn seyt gote in gnaden beuolen! Die Dorothea, mein weib, anna lassen Euch alle freunthlich grüessen. Aub wittenbergk Ann der mitwoch nach Natiuitatis marie Im 1637 Jahre. Liborius meydeburgk E. w. Schwager.

XVI. 3. Jan. 1538 (D 137. Roth 530. Witt. 158.)

Gnade vnd friede in Christo Jhesu vnd ein gut seliges Neues Jar ezwuorann! Achtwar, hochgelarther, gunstiger, lieber her sehwager! Die theyl, darvon ir mir negst vor- gangen geschrieben, hab ich got lob allenthalben vorlegt, do mit ich nach vmb kein byn kommen, wie wol es mir hart hath zw gestanden, dach endlichen die selben von her Iheronimo schlicken auf furbitt Seins sones, der alhie ist*), bekommen, dach nicht one vnkoest Derhalben ist es vor- gebens, das ir euch fur mir besorget des, welchs ich mit keinem worte nie gedacht habe. wenn ir mich gleich mit ewerm rathe dartimb bracht hett, Bo wolte ich dach der suspicion nicht gewest sein, als were es mütwillig ge- schehen, Bondern es ym besten widerfaren. Darumb legt den arg wann wegk, Ich will euch vmb kein kux ansprechen, denn ich lege mich nicht gerne mehr mit den Juristen ein, weil sie konnen auß boßen sachen gute machen Et Econuerso etc.

Auch thtie ich Euch zw wissen, wie mich m. g. h. der churfurst czw einem pfarrer in orlamtünde vor xilij tagen beruffen vnd erwelet, Auch endlichen in beywesen vnsers lieben vaters vnd hern Doctoris martini, auch Justen Jone

t) Jetzt bei Onkel und Tante in Zwickau.

) Hieronymus Nopp. Herzog, Gesch. des Zw. Gymnssiums, Zw. 1869, 8. 87f, ZKG 18, 4064. Beitr. z. bayer. Kg. 16, 481f, 84f. E. 15, 811. Er weilte von Michaelis 1586, wo er seine Stelle als Gräcist an der Zw. Lateiuschule aufgegeben hatte, bis zu seiner Berufung als Rektor nach Schneeberg i, J. 1537 in Witt. (Beiträge s. bayer. Kg. 10, 489,

3) Joachim Schlick, Sommer 1587 in Wittenberg immatrikuliert (Alb. 165). Loesche, Joh. Mathesius 1, 63.

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sw torgaw am vorgangenem sontage!) vorliegen. Derhalben ich werde vervrsacht auffs erste Nach orlamünde zw reyßen. war in willens auff zwickau zw zweziehen, damit ich das ander gerethe auch mit mir nome. Ist dartimb meine freünthliche bitt, welleth mir iczundt alda bey den fürleuthen eine füre bestellen, die mich als byß Sonnabenth vber acht tage?) von leipozigk nach zwickaw mit meinem gerethe, weib vnd kind furete. Szo wollte ich vf den freytagk zwuor allda eynkommen vnd bey dem Erhardt bratin vffm Neuen marcke hinter dem gewanthhatiße zwr herbrige sein. wte dem algo mocht geschehen, welleth mir dieß bey her bal- thazar*) wider zw wissen thun. Das will ich vmb euch wider vmb verschulden. welleth aber dem furmann sagen, das ich yne nach dem ezentner wolle vorlohnen. Hiemit seyt gote in gnaden benolen! wie es hie zwgehet, wirt euch her balthazar genügsam mündlichen vnterrichten. Gegeben auß wittenbergk am Donnerstage Nach Circumeisionis domini Anno 1538.

Ewer schuestern lassen Euch beyde Liborius meydeburgk viel guter nacht sagen vnd bitten, Ir E. w. Schwager. welleth yhn den Jarmarckt schicken.

Auch schicke ich euch hiemit pro-

posiciones EyBlebij*), die andern?)

will ich mit brengen, wenn ich komme.

XVII. 12. Jan. 1538 (M 33. Witt. 159).

Mein freunthlichen grues vnd willige dinste zwuoran! Achtwar würdiger Lieber her schwoger! wie ich euch zw negst?) geschrieben, das Ich in willens war, mit weib vnd kindt auff zwikaw zw zwreyßen, hab ichs auß erlobnis vnser hern vnterlassen, Sindt ein mael?) mein weib mit schwerem leib gehet, vnd dye czeyt nahe ist. will ich in des natisz eziehen vnd diesz thün besichtigen. vff die faste will ich sie

1) 80. Dez. 1587. E. 11, 810°. Kawerau, Briefwechsel des J. J. I, 278.

*) 12, Jan. 1538.

3) Gosmar?

) Die von Luther Anfang Dez. 1587 veröffentlichten: E, 11, 291“. W. A. 50, 468.

5) Luthers Gegenthesen, die in der letzten Dezemberwoche er- schienen. W. A. 50, 404. ) Brief XVI.

?) sintemal.

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hernach holen, Szo ich anders alda bleiben werde, wie denn mein g. h. zwingt und dringt. Ich hette wol grosser Lüst ghen freybergk gehabt denn dahyn; weyl aber die sache szo Irrig alda stehet, sehne ich mir nicht hyn, vorhoff aber, es solle sich balde alda endern’). In des hette ich wol die butter bedorfft, nüe habt ir die wider mit euch genommen, des ich vnd mein weib erschrocken seint, were nach vnser beyder bitt, welleth vns die mit zwfelliger bothschafft nach zwschicken, denn für ostern“) besorge ich, werdes sich mit meinem weibe nicht schicken zwreißen, wo yr got raüß hilfft. Auch will sie die Doctor Martinissen nicht wegk lassen, die will mutter sein, bisz sie stercker werde. Die sehwegerynne Dorothea kerstynne ist sehr kranck, vnd lest sich ansehen, als werde sie baldt, wie ir man, entschafft von dießer welt nemen, vnd lost euch ire kinder beuolen sein, szo got vber sie gebotte?). Ich will morgen darann sein, domit sie yr dingk vorezeichen lasse, vff das nichts verruckt werde. Auff negsten zwkünfftigen montagk*) will ich Nach orlamünde faren vnd alda die possessio einnemen, Szo fern mirs gefelt. Es ist auch mein bitt, welleth dach die sache zwuschen mir vnd den vorstehern auffnemen. Ich will mich aller gebür gegen euch vorhalten. warynnen ich euch widerumb weis zw dinen, befindt ir mich willig. Hiemit seyt gote In gnaden beuolen. Welleth ewer weib freunthlichen von meinet wegen gruessen. Auch Lassen euch beyde schuestern allezumael viel guter nacht Sagen. Gegeben ausz Wittenbergk am Sonn- abenth Nach Epiphanie Im 1538. Jare

Liborius meydebürgk E w Sehwager

Von New geezeitten weis ich nichts zw schreiben, denn hetite hath vnser frommer her vnd vater doctor martinus die andere disputacion gehalten Contra posiciones Eyslebij?°). Item magister georgius karg ê), der mit mir ist schloß prediger geweDen, Leith gefangen Im schloß von wegen einer boszen verfurischen lere, que excellit eyszlebij errores. Eitüsdem doctrine dicunt esse doctorem Jacobum schenck )), qtiid tandem seqüetür experiemür In bretti.

!) M, erhofft eine Abberufung Schenks (vgl. Anm. 7). *) 91. April.

3) Sie starb im Juni,

*) 14. Jan.

t) Vgl. E. 11, 326“.

*) Vgl. E. 11, 965*, 3221, 3265,

7) Vgl. E. 11, 2651.

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Zwei Briefe von Kaspar Glatz.

I. 16. April 1539 (II 89).

S. p. d. Cum intus mihi in animo inclusus semper tui resederit amor ab eo tempore quo primum Vuittembergae propter studiorum equalitatem mutua internos cepta fuit familiaritas, Minime nune dubites, quin amieissimis meis offieijs Sororem tuam Viduam pro virili diligenter adiuturus sim, presertim in ista rerum suarum perturbatione, amisso nimirum marito et. egrota filiola, charissimo ventris pignore, quare me tibi et illi totum polliceor et offero, adeo vt, si quid meo studio ef opera in illius caussa, ne videlicet vlla dispendij difficultate opprimatur, efficere queam, semper in me promptam voluntatem reperiat. bene vale et Hieronymum Zorn!) meis verbis officiose salutabis. Ex Nasehusen?) 16 aprilis anno 39.

Caspar glatius.

II. 29. Mai 1545 (II 90).

Mein gantz freuntwillige dienst allezeit hochster ver- mögens zuuor! Erbar herr Stadschreiber, günstiger freund vnd furderer! Euch kan ich lenger nicht bergen die groß vnd nachteylig vnbilligkeyt eurer Schwester, meiner gefatter, damit sie mich mit vnwarheit beim pfarrern vnd Im ampt alhie nun bey funff yaren an aufhören lesterlich beschweret, wie ich neulich auß irhem schreiben an den pfarher zw Enderstorfi?) vnd zuuor an Herrn Michael Gellert gestellet vormarckt, darynnen sie mir dj fl 10, so mir yr herr fur meinen klepper schuldig belieben, gantz vnd gar verneynet, welchen neyn ich ir mit meinen gleublichen Registern vnd zum vberfluß mit götlichem eyde verlegen“) kündt Dieweil sie aber vnuerschembt von sich schreibt, als hett ich ir nicht gefatterstuck beweiset, kan ich euch nicht verhalden, das ir herr bey meinen herrn zw wittenberg expulsionem meam ex ditione et prineipis ducatu durch Anthonium Tripach genant bitlich offtmals gesucht, des ich sein eigene hantschrifft, die mir postliminio zwkommen, darauß zw sehen, das er, gott vergebe es ir vnd Ihm, eben auff vnd an dem abent, do ich sein gefatter worden, mein, meines weibs vnd kinder schaden

1) Vgl. über ihn Herzog, Chronik 2, 289, 268, 282, 287, 803, 328; Witt. 90!; Ztschr, des Vereins für Kirchengesch. in der Provinz Sachsen 8, 1111.

*) Naschhausen an der Saale nördl. Jena,

) Eutersdorf a. d. O. nördl. Or)*münde.

* widerlegen.

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vnd verderben vnderm schein der gefatterschafft gesucht. Deß ich nun alles wolt vergessen haben, wenn mich mein gefatter ferner vniniurierf gelassen, wie ich dann vmb euret willen mich des schreibens an den Ersamen radt vnd herrn zw Zwickau biß anher der selbigen feindseligen rachgerlichen sachen halben gemessiget vnd enhalden. Vnd vnangesehen allerley lesterwort, dj ir mehr gegen Gott denn mir gegen der welt nachteylig, will ich das best euch zw ehren vnd zw gefallen auch vmb der gefatterschaft willen bestehn lassen, vnd wie wol sie sein nicht begeret, vil weniger drumb bittet, meiner botten’) dj 10 fl schencken, dj mir warlich warlich der herr Liborius schuldig blieben, vnd do yr souiel an der rholl gelegen, will die selbig mein hausfrau auch gerne folgen lassen oder bezalen, dann sie vnd ich meiner ge- fattern warlich nicht entgegen. Dann wie wolten wir doch mit Gottes wort vnd dem hochwirdigen Sacrament handlen, wenn solcher neydt vnd haß, nachrede vnd affterkosen?) yhn vnsern hertzen klebet, wie auß irem schreiben gegen vnb zuuernehmen etc. Darumb mein bitte, ir solchs zu yhren besten anzuzeigen vnd von meynent wegen freuntlich zw grussen. Datum zw orlamindt In eyl freitags nach den heyligen pfingsten Anno 45. Den herrn plateanum*) wollet von meinent wegen freuntlich grussen, dann ich, ob Gott willen, vnder sein disciplinam mein Söne auch brengen will etc.

Caspar Glatz D pfarrer zw Orla Ew

Drei Briefe von Hiob Magdeburg.

I. 21. Mai 1541 (N 125).

S. P. Facit tua humanitas, vir ornatissime doctissimeque, de qua multa mihi ad te scribenti D. Adamus Siberus narrare solet, quominus meas literas utpote ignoti ingratas tibi esse futuras verear. Jtaque bonam spem habeo eam ipsam tuam humanitatem petitioni meae et iustae ef necessariae facile locum daturum. Scripsit humanitati tuae, vir ornatissime, ante menses aliquot de priuilegijs et literis sacerdotij cuiusdam Dresdae iuxta Albim, cuius prouentus atque usufructus D. Liborius

1) Patin.

*) Verleumdung.

) Rektor des Zwickauer Gymnasiums 1535—46. Vgl. die Zwickauer Gymnasialprogrammabhandlung von E. Fabian 1878,

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Maldeburgius, consanguineus noster, per annos quosdam habuit, pater meus Hieronymus Maideburg. atque (ni fallor) descriptas eas literas ab humanitate tua accepit. Is quando diem suum proximo anno praeterito mense Septembri obierit et me, quo peruenerint literae ille descriptae, lateat, uehe- menter tuam humanitatem rogo, ut uel ipsa Originalia (ut uocant), quoniam ad me, qui unus ex ea familia superstes bonis literis inoumbo, iure spectant, nobis mittere uel saltem iterum ut deseribantur curare uelit.

De ijs rebus, quas a parente excellentia tua per literas petijt, cognosces ex literis meis inclusis. illas mittere uoluit parens, forsan tabellarionum inopia ad mortis usque tempus fuit impeditus. Quam uero in illis uobis promittit operam, praestitisset profecto, si diutus illi uiuere licuisset. ego interim illius uice strenue, ut ea in re uobis omnibus grati- fieari possim, operam dabo. Post mortem illius literas inueni ef, quae, ille ibidem petijt, eadem ego ipse, uf sig- nificare mihi tua humanitas dignetur, etiam atque etiam rogo. Nam quantum ex patris literis colligere licet, obscuriora quaedam in Originalibus erunt, quae tua humanitas atque prudentia proeul dubio melius quam quiuis alius explicare nobis poterit. Reddetur bona fide, quiequid uel patris uel meo jam nomine humanitas tua expenderit, modo id quam- primum (si fieri potest) mihi significetar. Cupio enim intra dies XIII] Dresdam proficisci exploraturus, quo se pacto res omnis de sacerdotio habeat. Qua in re cunque uicissim humanitati tuae gratum facere potero, nulla unquam ab ea in me diligentia desiderabitur.

Bene vale, vir ornatissime, et mea seripta boni consule.

E Fribergo XXI. Maij. Anno M. D. XLI. Excellentiae tuae deditiss(imus] Hiobus Maideburgius.

II. 1. Dez. 1541 (N 124).

S. Petij ab humanitate tua ante menses aliquot per literas, vir ornatissime, ut Originalia sacerdotij ad Sanctam (ni fallor) Trinitatem apud Dresdenses descripta ad me mittere uelit, Quod quominus sit factum, negocia tuae humanitatis cum publica tum priuata in causa fuisse facile mihi ipse persuadeo. Quamuis eius nomine D. Adamus Siberus uxorem tuam charissimam me esse conuenturam et nonnihil de ijs mecum communieaturam mihi indicarit, ea tamen, quum hie esset, neque me conuenit, neque ego illam in hospitio offen-

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dere potui Quare ab humanitate tuae iterum, quod et antea feci, summis precibus contendo, uf uel ipsa Originalia (non enim uideo, quid in posterum liberis D. Liborij in Christo defuncti sint profutura) uel ea tantummodo descripta ad me mittere uelit. quiequid meo nomine expenderit, bona fide reddam tuaeque humanitati uicissim quaecunque potero libenter gratumfaciam. Bene vale, vir ornatissime, et D. Plateanum, ludimoderatorem uestrum, hominem et doctissi- mum et praeceptorem meum olim etiam fidelissimum, meo nomine plurimum saluere iubeas, etiam atque etiam rogo. Ex Fribergo Cal. Decemb. An. M. D-. XLI. Tuae excellentiae deditiss[imus] Hiobus Maideburgius Annebergen.

III. 28. Juni 1543 (N 123).

S. Binas ad humanitatem tuam, vir ornatissime, literas de sacerdotio Dresdensi dedi. ad priores responsuram mihi mibi tuam coniugem (quae tum forte ad nos erat uentura) D. Adamus dixerat quam ego tamen quum in diuersorio semel illam atque iterum quaerens non offendissem, scripsi bumanitati tuae eadem de re alteras. Ad eas itidem tuo mihi nomine noster Adamus respondit esse quendam nostrae familiae iuuenem apud nationes exteras, ad quem iure huius sacerdotij reditus, quod propiore D. Liborio esset sanguine iunctus, spectent. Ego autem interea quum sedulo ex multis, ubi terrarum is modo sit, quaesierim, neminem, qui quicquam Certi de eo haberet compertum, inueni. multi quidem post suum e nostris regionibus discessum in hunc usque diem neque aliquid literarum neque alias certi aliquid ad suos de ipso esse perlatum affirmant. Quare quum e uita illum discessisse nemini sit dubium, non uideo, cur tua humanitas frustra eum redeuntem expectet aut in illius aduentum Originalia (ut uocant) reseruet. Presertim quum nec de- functi D. Liborij haeredibus, id quod tuae humanitati iam exploratum esse credo, nec illi ipsi, qui apud alias gentes uiuere adhue creditur, si absentia eius fuerit neglectum, quicquam posthac sint commodi allatura. Neque enim te latere arbitror Principem nostrum de bonis ecclesiasticis tres scholas propediem esse aperturum atque ijs, quorum maiores opibus suis bona ecclesiastica auxerint, ut in dis- eipulorum numero uel unus ex eorum liberis uel alius, quem denominarint ipsi, numeretur, concessurum. ita tamen, ut intra mensem proximum de Sacerdotio certior fiat princeps.

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Hoc quum ita sit, facile pro fua singulari prudentia, quam necesse sit Originalia in promptu ut habeam, aestimare potes Itaque cum meo tum fratrum meorum nomine, vir humanissime, ie uehementer etiam atque etiam rogo, ut commoda nostra, quando id absque ullius detrimento fieri potest, hoc tempore opera tua iuues atque originalia, nisi alia, que me lateat, causa impediat, mittas. Hoc enim pacto et rebus nostris optime consulueris et in perpetuum nos fuae humanitati deuinxeris. Bene vale, vir ornatissime, et meis uerbis, si quando ita tulerit occasio, D. Plateanum, praeceptorem olim meum fidelissimum, reuerenter saluta. Ex Fribergo pridie Petri et Pauli Anno M. D- XLII. T. H. deditiss[imus] Hiobus Magdeburgus.

Archiv für Reformationsgosohichte. XXIII. 1/2. 6

Zur Geschichte des Antitrinitarismus. Von Theodor Wotschke.

Sozinianer hießen die Antitrinitarier, besonders die pol- nischen nach jenem Theologen Fausto Sozino, der 1579 nach Polen kam, hier dreißig Jahre in ihrer Mitte wirkte und ihnen das Gepräge seines Geistes aufdrückte. Vor ihm hat schon sein frtih (1562) verstorbener Oheim Lelio Sozino, dem er seine theologische Bildung vornehmlich verdankte, der den Zweifel an der Trinitätslehre in seine Brust gesenkt, zweimal in Polen geweilt, das letzte Mal fünf volle Monate, von Ok- tober 1558 bis März 1559. Mag er in dieser Zeit auch im stillen seine Bedenken gegen die altkirchliche Lehre geäußert und hier und da aufmerksame Hörer gefunden haben, wir können ihn doch nicht den Vater des polnischen Antitrinitaris- mus nennen. Aber bedeutsam bleibt sein Aufenthalt in Polen. Auf der Pinezower Märzsynode 1559 nahm er Abschied von den Geistlichen. Am 10. März schrieb Lismanino für ihn ver- schiedene Empfehlungsbriefe nach der Schweiz’). Am 24. Mai sehen wir ihn in Wien, von wo er an Bullinger schreibt. Wo hat er in der Zwischenzeit geweilt? Das Schreiben des Iwanowicer Pfarrers Lusenski, das ich im folgenden mitteile, verrät es, bei den böhmischen Briidern, besonders in Prerau bei Czerwenka. Diesem Senior empfahl ihn Lusinski, inter- essant durch seine Verbindung mit Bullinger und Calvin, zu denen er im Auftrage der Wlodzislawer Septembersynode 1558 gegangen war, interessant aber auch durch seine Stellung bei dem Abenteurer, dann Fürsten von der Moldau Jakob Heraklid Basilikus?). Wie dieser im fernen Osten den ältesten Sohn des Baseler Professors und Humanisten Curione, Horatio),

1) Vgl. Wotschke, Briefwechsel der Schweizer mit den Polen S. 88f.

*) Vgl. Wotschke, Laski und der Abenteurer Heraklid. Archiv 17 S. 47fl.

) Benrath R E? S, 8, 357 läßt Horatio Curione fälschlich 1554 ver- storben sein. 1557 nahm ihn Herzog Albrecht, dem Horatio auch durch Laski empfohlen war (vgl. Wotschke, Herzog Albrechts Briefe an

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längere Zeit um sich hatte, dann aus Wittenberg Peucer, den er in Melanchthons Hause kennen gelernt hatte, auch aus Krakau den Mathematiker Joachim Rhätikus, Ebers Freund)), von 1537 bis 1539 auch Professor der Leucorea, nach der Moldau zu ziehen suchte, so bestimmte er 1562 Lusenski, ihm aus Polen zu folgen, und verlieh ihm die Stellung eines evangelischen Bischofs der Moldau, verstrickte ihn aber damit auch in sein tragisches Geschick. Ich teile seinen Brief, be- deutungsvoll nicht nur durch seine Nachricht über Sozino, sondern auch durch die Mitteilungen tiber den Petrikauer Reichs- tag 1558/9 nach einer Abschrift im Herrnhuter Archive mit.

Im Streite wider Stancaro waren kleinpolnische und litauische Pastoren an der Trinitätslehre irre geworden, Die sabellianisierende Lehrweise des Mantuaners bestimmte sie, die realen Unterschiede der drei Personen zu betonen. Der deus unus trinus, der deus confusus, die Essenz, die nicht zeugt, nicht gezeugt wird, nicht ausgeht, war ihnen papistischer Greuel. Gott sei nicht ein Wesen, sondern die drei Wesen seien von derselben göttlichen Substanz. Für diesen Tritheismus entschieden sich auch die hochverdienten weltlichen Führer der reformatorischen Kirehen, Stanislaus Lasocki und Hieronymus Philippowski in Kleinpolen, und in Litauen neigte ihm sehr, sehr stark zu der noch verdientere Nikolaus Radziwill Nur sein früher Tod am 24. März 1565 bewahrte ihn vor völligem Anschluß an die Antitrinitarier. Für Dalton ist der Fürst lediglich der Freund Calvins, der reformierte Heros, der für die Reformation so unendlich viel getan hat?); daß er in den beiden letzten Jahren seines Lebens wesentlich den Antitrinitarismus gefördert, die tritheistische Lehrweise zur Anerkennung zu bringen gesucht hat, übersieht dieser Forscher ganz. Die Schreiben, die Radziwill am

Laski, Altpreuß. Monatsschrift 45 S. 466), in seine Dienste, Archiv 17,58. Sebastian Pech, der Laskische Famulus, der 1558 nach der Schweiz ging, nahm einen Brief Horatios an seinen Vater mit, den Laski im April des Jahres in Königsberg von ihm empfangen haben mag, oder im Juni, da Horatio ihn auf Herzog Albrechts Befehl vom 6. Juni in Polen aufgesucht hat. In diesem Briefe meldete Horatio seinem Vater Vergerios Vorgehen gegen sein Buch ,De amplitudine regni Christi^ in Polen. Basel, den 1. November 1558 sendet Curione Leski seinen Dank durch Pech, der am 29, September von Zürich auf- gebrochen war. |

) Des Rhätikus Briefe aus Krakau an Eber bei Wotschke, Erasmus Glitzner, Jahrbuch für Posener Kirchengeschichte V S. 56ff.

5) Vgl. Dalton, Misellaneen zur Geschichte der ev. Kirche in Rufland S. 217.

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6. Juni, 14. September und 10. Oktober 1564 nach der Schweiz sandte, in denen er den trinitarischen Streit den Genfer und Züricher Theologen vorlegte!), verraten deutlich, daß er es mit den Neurern hielt?), und wenn noch ein Zweifel walten sollte, so bezeugts sein Schreiben aus Nieswiez vom 10. Dezember 1564 an den Cardinal Hosius. Dieser Brief findet sich in dem Codex Gothanus chart. A 383°), den einst

) Vgl. Wotschke, Briefwechsel der Schweizer mit den Polen S. 934—231.

) Vgl. auch Bezas Urteil vom 21. November 1564 bei Wotschke S. 231.

) 1ch habe mich immer gefragt: wie sind diese Hosiusbriefe nach Gotha gekommen? Endlich haben zwei Briefe des Stettiner Rektors Mich. Fried. Quade vom 12. April 1721 und 21. November 1722 an Cyprian mir das Rätsel gelöst. „Als 1708 der König von Schweden im Ermeland Winterquartier genommen, sich in dem bischöflichen Schlosse zu Heilsberg einquartiert, der Bischof aber sich geflüchtet hatte, fügte es sich, dag der Generalsuperintendent Joh. Fried, Mayer dem Könige aufwartete, um ihm einige Wünsche für die Kirche als für die Greifswalder Universität vorzutragen. Er erhielt nicht nur alles nach Wunsch, sondern der König schenkte ihm auch einen Wechsel- brief von 1000 T., gab ihm dazu die Erlaubnis, die bischöfliche Biblio- thek durchzusehen und alles sich daraus zunutze zu machen, was er darinnen finden möchte, das er vermeinete, der evangelischen Kirche oder der gelehrten Welt zum besten verwenden zu können. Weil aber diese Bibliothek sehr schlecht geordnet war, auch mehrenteils aus ur- alten fast durchgehends mit Mönchschriften gedruckten scholastischen und anderen nicht sonderlich brauchbaren Büchern bestand, konnte sich der sel. Mann wenig daraus bedienen außer einigen Codices manu- scriptos membranaceos, deren Spezifikation Ew. M. in dem Katalog der Mayerschen Bibliothek S. 720ff. finden werden, und unter welchen in- sonderheit der Codex operum Senecae und andere seltene Stücke be- merkenswert sein. Nebst diesen fand sich auch ein alter bestaubter Kasten, worinnen eine große Menge Briefe eingepackt lagen, aus welchen der sel. Mann wegen Kürze der Zeit, indem es der Tag vor seiner Abreise war, drei Briefbände in möglichster Eile auswählte und mit den Codicibus membranaceis mit sich nach Pommern nahm, welche aber nach dem Tode dieses großen Theologen gleich seinen andern Büchern das Schicksal gehabt, daß sie vor etwa sechs Jahren zu Berlin öffentlich versteigert wurden. Aus dieser Auktion habe ich sie für 65 T. erstanden, weil mir die Umstände am besten bekannt waren, ich auch diese Rarität nicht gern in fremde und vielleicht ungewaschene Hände wollte kommen lassen.“ Im weiteren meldet er, daß er die Briefe herausgeben, dem Gothaer Herzog widmen, die Handschriften seiner Bibliothek überweisen möchte. Was Cyprian ihm rate. Am

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Ernst Salomon Cyprian herausgegeben hat!); wunderbarer- weise hat der Gothaer Theologe hierbei den Radziwillschen Brief an Hosius, den zweifellos interessantesten und wich- tigsten Brief der ganzen Sammlung, nicht mit veröffentlicht ). Auch ich sehe davon ab, ihn im folgenden mitzuteilen; um- faßt er doch zwölf eng geschriebene Folioseiten, auch ist heute seine Veröffentlichung nicht mehr unbedingt nötig, da andere Briefe Radziwills aus dem Jahre 1564 jetzt gedruckt vorliegen und hinlänglich über den theologischen Streit in Polen und Litauen, über die Beweisführung der Tritheisten unterrichten.

Radziwil hat das Schreiben an den Kardinal“) in jenen Tagen gerichtet, da dureh Polen die Kunde lief, daß am dritten Adventssonntage eine Provinzialsynode in Petrikau zusammentreten, Hosius sie leiten und das Parezower Dekret vom 7. August, das im wesentlichen die italienischen

21. November 1722 gibt er zu erkennen, daß er die Veröffentlichung Cyprian überlasse, da er weder aus Berlin noch Leipzig die erforder- lichen literarischen Hilfsmittel habe erhalten können.

Stockholm, den 26. April 1727 schrieb der Gothenburger Bischof Ericus Benzel an Cyprian: ,Fac quaeso sciam, quae et qualis sit col- lectio epistolarum cardinalis Hosii, quas in bibliotheca ducis Saxo- Gothani servari ab amico intellexi In bibliotheca Upsalensi non exiguus illarum est numerus et quidem scriptarum Tridenti, cum con- cilio praeesset. Diu optavi, ut ederentur, multa enim continent digna, ne publice ignarentur. Vide item, utrum inter illas reperies quasdam Cornelii Dupplicii Scepperi ad Johannem Dantiscum.“

) Cyprian, Tabularinm ecclesiae Romanae saeculi XVI. 1743.

*) Im Inhaltsverzeichnis der Handschrift ist der Brief als ein Schreiben Radziwills an Calvin aufgeführt, wahrscheinlich weil das vorgebundene Schreiben Maczynskis von einem Briefe Radziwills an Calvin spricht. Freilich hätte schon eine flüchtige Durchsicht der Zeilen den Irrtum aufdecken müssen.

) Auch ein Bild des Hosius war auf demselben Wege wie die Briefbände nach Gotha gekommen. Auf Veranlassung Cyprians wurde es durch des Thorner Geret Vermittlung dem Bischof von Ermeland zur Verfügung gestellt, um seine Gunst für die Evangelischen in Polen zu gewinnen, Heilsberg, den 24. November 1744 schrieb der Bischof an Cyprian: „Comme Mr. Geret m’a asseuró, que vous aurez la bonté d'appujer de vos bons offices la demande que je fais au duc votre maittre, de daigner me faire present du portrait du feu cardina] Hosius, qui se trouve dans la galerie de Gotha, je prens la liberté de vous envojer l'accluse pour son Altesse Serenissime et de vous prier à meme temps de vonloir vous emplojer à me procurer la grace, que j'en sou- haitte.“ Anfang Dezember 1744 ging dann das Bild nach Heilsberg ab.

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Tritheisten in Polen ächtete, zur Vollstreckung zu bringen suchen würde!).

Soeben war in seiner Druckerei zu Nieswiecz die pol- nische Uebersetzung des Gesprächs Justins mit dem Juden Tryphon erschienen. Er hatte diese Uebertragung durch Lorenz Kryszkowski*) und Simon Budny vornehmen lassen und die Druckkosten getragen, „um den Irrtum der neuen Sabellianer zu stürzen“. Er legte das Buch seinem Briefe bei“). In der Einleitung weist er auf die Bedeutung hin,

) „Haec ad Rev. Ampl. Vestr. scribenda mihi esse putavi et hunc libellum instrui perferri idque ante synodum provincialem Petricoviae, ut audio, per Rev. Ampl. Vestr. celebrandam, in qua utinam etiam tandem reformationem ecclesiarum ab emendatione doctrinae incipiat, frusta enim vita et mores cleri emendabuntur doctrina inemendata permanente. Deinde quod exploratum habeam Rev. Ampl. Vestr. de his nostris religionis dissidiis aliter, quam vulgus solet, iudicare, ideo etiam illam non addere oleum igni, sed potius autorem esse et fore deinceps omnibus ad colendam pacem publicam et consultionem regiae maiestatis, ne innocentes manus suas christiano sanguine polluat. Illa enim edicta Parczoviensia anxium me equidem et sollicitum reddunt, ne rationes rei publicae ita perturbent ac irretiant, ut non ita post- modum facile sit explicare, nec esse rem tanti momenti existimo, propter quam tam sanguinaria et atrocia edicta executioni demandari debeant."

) Ein Schwager dieses Kryszkowski war der königliche Kapell- meister in Wilna, Valentin Bakfark aus Ungarn. Vgl. Wotschke, Vergerios zweite Reise nach Preußen. Altpreuß. Monatsschrift Bd, 49 S. 267 fl. Als dieser Bakfart 1553 von Wilna nach Rom und Paris zog, besuchte er in Wittenberg den Musiklehrer Hermann Fink, den Bruder jenes Magisters Christoph Fink, den Bugenhagen am 2. März 1552 zum Pfarrer für Jüterbog ordiniert hatte, den Groß- neffen des berühmten Tonkünstlers Hermann Fink, der den polnischen Kónigen Johann Albert, Alexander und Sigismund gedient hatte (vgl. Wotschke, Posener Monatsblütter X S. 18f), ließ sich von ihm bei Melanchthon einführen und von diesem, dem er von seinen lite- rarischen Plünen erzühlte, unter dem 1. Mürz an den in Augsburg lebenden Astronomen Cyprian Leovitius empfehlen, der ihm Zutritt zu den Fugger und den Musikfreunden Augsburgs verschaffen sollte. Vgl. Clemen, Fünf Melanchthonbriefe. Zeitschrift für Kirchengeschichte Bd. 43 S. 149.

3) „Justini martyris colloquium cum Triphone Iudaeo in centum et decem annis ab ascensione Christi habitum ex latino in polonicum sermonem per meos ministros interpretatum typis in domo mea er- eusum ad Rev. Ampl. Vestr. mitto. Causae interpretationis redduntur in ipsa praefatione et respondetur parum moderatis, ne dicam parum sanis illorum vocibus, qui praesumptuose ita audent affirmare, tanquam

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die dem Zeugnis des Märtyrers Justin bei der Entscheidung über den trinitarischen Streit zukäme, uud bitter beklagt er die Voreingenommenheit auch der führenden evangelischen Theologen, ihre schroffe Haltung, ihr starres Festhalten an der überlieferten Trinitütslehre!), deutlich gibt er zu erkennen, daß nach seiner Ansicht nur Unkenntnis den Sabellianismus der Kirchenlehre leugnen könne, sichtlich hofft er, durch seinen Brief den Kardinal für eine Neuformulierung des Dogmas zu gewinnen. Der Zeuge, den er für seinen Stand-

a temporibus apostolorum nunquam ita de deo scripserint senserintue aut docuerint vere pii et quod nemo ex vetustioribus scriptoribus dici possit, qui eo modo de deo commentatus sit. Quod si haec inter- pretatio ad concordiam, ad pacem, ad unionem et reconciliationem ecclesiarum aliquid momenti adferet, sicut allaturam vel saltem mo- deratius de causa loquendi et expendendi altius totum negotium non dubito, est, quod equidem aeterno et immortali deo altissimo illi Iehovae, qui lucem habitans inaccensam et a nemine unquam visus est, per eius unigenitum filium in spiritu sancto habeam et agam gratias et benig- nitatem eius celebrem, qui me unum quasi ex catharmatis mundi mers sua gratia ad id segregare dignatus est, ut in domo mes pergat convertere corda filiorum ad parentes, hoc est genus dogmatis conciliare prioris et sincerioris illius ecclesiae & temporibus apostolorum nascentis cum hac nostra ecclesia senescente novissimis tamen hisce temporibus per vocem de coelo sonantem renascente. Non enim video, quid aliud <ausam hanc praegravet, quam causae ipsius ignoratio, quod plerique ab ipsius cognitione tanquam ab aliqua peste abhorreant et fugiant tanquam certissimum venenum sc. hoc saccaro veterator ille suarum rerum satagentissimus sathan salutarem doctrinam condire solet falsae haereticae et adulterinae doctrinae ignominiam, odium et contemptum illi aspergendo.“

) „Novit deus vias ecclesiae suae, novit et modum erudiendae instituendaeque tum repurgandae electorum suorum congregationis, non est opus ad eam rem ullas spirare minas et cruces, non opus est ullis armis ulloque belli et tormentorum apparatu, nec ullis factionibus, Don opibus aut potentum assistentia, At sane magna animi moderatione opus est, opus est corde compuncto et contrito, opus amica et placida in spiritu humilitatis sermonis communicatione tum diligenti et operosa scripturae sacrae scrutatione. An ita se ea habeant, quem admodum ab iis dicuntur, qui in hanc messem a domino extrusi sunt, hoc enim inter cetera audio ab aliquibus allegari: praeter autoritatem publicam, praeter etiam legitimam frequentioris ecclesiae congregationem et coniunctam per Germaniam, Helvetiam et Allobroges materiam causae istius in medium productam esse, hoc enim quid aliud est, quam modum praescribere altissimo illi Jehovae, quando, quomodo quave ratione docere, erudire et repurgare filios suos, sponsam eius velit".

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punkt anführt, an dessen Ausführungen er anknüpft, dessen Antorität er geltend macht, ist wie in seinem Schreiben nach der Schweiz Hilarius!).

Statt des Radziwillschen Briefes an Hosius feile ich aus demselben Codex ein anderes Schreiben an den Kardinal mit, den Brief, den Radziwills Geheimschreiber Johann Maozynski den Zeilen seines Herrn beigefügt hat. Dieser Brief gewührt einen guten Einblick in die Bemtihungen Radziwills für seinen neuen Glauben, verrät, daß der Fürst auch nach Preußen und Siebenbürgen geschrieben hat, mit Blandrata in Verbindung geblieben, mit dem ungarischen Superinten- denten Franz Davidis in Briefwechsel getreten ist, daß dieser Klausenburger Pastor schon 1564 mit dem kirchlichen Trini- tätsdogma gebrochen hat, die Entwicklung zum Unitarismus- in Ungarn wie in Polen durch den Tritheismus hindurch- gegangen ist. Ueber den Briefschreiber Maczinski, den Freund Lismaninos ') vgl. Wotschke, Briefwechsel der Schweizer mit den Polen S. 3 ff.

Schon in den Jahren 1565 und 1566 gaben die pol- nischen Antitrinitarier die Naturenlehre auf, wandelten sie sich aus Tritheisten zu Unitariern. Polen wurde das Zufluchts- land aller, die am Trinitätsdogma irre geworden. Hierher rettete sich 1571 Adam Neuser, um freilich schon im nächsten Jahre über Klausenburg nach Konstantinopel zu gehen, hierher wandte sich Johann Völkel aus Grimma, Christoph Ostorodt aus Goslar, Valentin Schmalz aus Gotha, Erasmus Johannes aus Salzwedel, Matthäus Radecke aus Danzig, um

1) „At mihi equidem, tametsi nec in re literaria tantum profecerim nec mihi etiam alioquin tempus ad evolvenda volumina veterum suppetit, retardat etiam tenuitas et exilitas iudicii, tamen vel unica conclusio synodalis temporibus arianorum per pium et sincerum in ecclesia scriptorem Hilarium annotata pro depulsione dubiorum omnium proque solutione nodosorum scrupulorum, qui in hac causa emergunt, satis fecit, curiosas vero quaestiones omnes, quae nune ab adversaria parte adferuntur, penitus praesecuit, praescidit atque amputavit. Haec autem conclusio sic habet: ‚Si quis innascibilem et sine initio dicat filium, tanquam duo sine principio, et duo innascibilia et duo innata dicens, duos faciat deos, anathema sit“ eto. Dieselbe Hilariusstelle auch Opera Calvini XX S. 384,

*) Grodno, den 17. August 1568 gab Andreas Patricius seinem Briefe an Hosius den Nachtrag: „Cum haec scripsissem, misit ad me Fr. Lismaninus libellum confessionis suae de trinitate, quem mitto ill. dom, vestr, ut videst, an inter haereticos in hoo quidem articulo sit habendus, Ipse enim trideistae appellationem modis omnibus repudiat. Conatus sum hominem in hoc ad confessionem concilii Tridentini revocare.

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nur diese zu nennen, dazu das theologische Chamäleon Christian Francken aus Gardelegen. Bekannt ist dessen Disputation 1584 mit Fausto Sozino, bekannt, daß er als Rektor in Chmielnik in demselben Jahre eine Schrift gegen die Trinität veröffentlichte, die dem Drucker Alexius Rodecki Kerker und Banden einbrachte, bekannt, daß er schon 1586. zur römischen Kirche zurüektrat!) In meiner Studie tiber Stanislaus Ostrorog habe ich S. 51 auf die Verbindung hin- gewiesen, in der der Sohn dieses Grätzer Grafen Johann Ostrorog mit diesem haltlosen, wankelmtitigen Francken stand, und wie sie die Züricher also beunruhigte, daß Rudolf Gualther am 1. Mürz 1583 deshalb zur Feder griff, um dem polnischen Grafen ein Warnungszeichen zu senden, im Jahr- buche des Vereins für Posener Kirchengeschichte 1916 S. 54, auch das Sehreiben des Prüzeptors Johann Jonas Moravus aus Altdorf an die Züricher Lehrer mitgeteilt, in dem dieser freudig meldet, das Band zwischen dem Grafen und dem unbeständigen Manne sei zerrissen“). Heut kann ich ein Schreiben dieses Johann Ostrorog an den Rechtskonsulenten - in Nürnberg, Philipp Camerarius, bieten, in dem jener diesem Franeken empfiehlt und ftr eine Professur in Altdorf in Vorschlag bringt. Nach seiner Flucht aus Frankreich?) ist Francken in Straßburg Anfang des Jahres 1580 in die Dienste des dort studierenden jungen Grützer Grafen getreten und. diesem Ende 1582 aus Altdorf nach Polen gefolgt.

1. Johann Lusinski an Matthias Czerwenka.

Ego quia hactenus vix quietem habeo ex illo itinere Germanico cireumferendo literas magnatibus nostris, quas

3) Das Diarium societatis Jesu Cracoviensis berichtet unter dem Jahre 1585, daß mehr als 70 Akatholiken sich zur römischen Kirche surückgewandt hätten, darunter Adam Cosnitzius und Francken.

) Von Francken heißt es in dem Schreiben: „Iter suum caecus- doctor ad caecos duces Lublinum versus direxit, ubi chaos est om- nium haereseon. Illic inter ebionitas et arianos iam vivit, qui paulo ante ad suos jesuitas redire cupiebat, Metuendum est, ne in mahome- tismum ant iudaismum adhuc deseiscat“. Über die Lubliner Verhält- nisse vgl. die Biographie des Joh, Niemojewski von Jo. Plokarz im 6. Hefte der Reformacia w Polsce.

5) „Flammis Gallicis Germanisque elapsus“ schreibt der Krakauer Professor Jakob Gorski von Francken in seinem 1586 in Köln er- schienenen Buche ,Pro tremenda et veneranda Trinitate adversus apostatam Francken apologeticus", dem Könige Stephan unter dem ll. August 1584 gewidmet.

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ilis attuleram ex Germania, non potui tibi quicquam, vir reverende, scribere neque de rebus ecclesiae, nune vero quia et otii parum et certus contigit nuntius, dn. Lelius Sozinus, vir clarus et pius, qui etiam desiderio videndi vestras ecclesias istic proficiscetur, visum est, ut tibi aliquid scribam, imprimis vero de rebus comitiorum, Scias nostros satis alte volitasse, sed nihil tandem effecisse post magnas concertationes, cum solveretur conventus ob metum pestis. Tria petebant nostri, primo ut pro festo Michaelis in hoc anno fiat publica revisio et definitio in causa religionis, sed tantum secundum verbum dei novi et veteris testamenti, secundo, ut ad eam synodum liberum esset unicuique et exteris venire et redire, tertio, ne interea fiant innovationes contrariae verbo dei. Senatus, euius magna pars et primaria sacerdotes, delevit in primo et tertio articulo illa verba secundum verbum dei, quasi diceret, quod non vult, ut iudicium causae religionis vel innovationes fiant ex verbo dei, sed papae vel diaboli, in Secundo articulo noluit concedere, ut cuilibet et extraneo, sed indigenae tantum liceat venire. Sed nostri reiecerunt istos articulos et eam synodum, quae est sine verbo dei et illibera, et protestati sunt coram toto senatu contra sacerdotes, si cuipiam ex nobilibus moles fecerint in causa religionis, quod turmatim contra illos fanquam hostes patriae proficis- centur, et hic est finis comitiorum. Verbum dei publice praedicabatur per totam conventionem, et frater Rokieta !) etiam bis aut ter praedicavit, hoc nunquam contigit in comitiis “). Episcopos omnes eiecerant nostri ex senatu tanquam defrauda- tores rei publicae, quia iurarunt papae prodere omnia con- silia, quae contra eum essent, nec prius iterum in senatum admiserunt, donec prius iurarunt regi fidelitatem. Sed in eo non fuerunt cauti nostri, quod non prius coegerunt eos restituere primum iuramentum papae, quod omnino pugnat ex diametro cum hoc secundo iuramento. Hoc modo iam quaeritur, quod iuramentum debeant potius conservare, an primum vel secundum. Haec omnia fusius ex hoc nobilissi- muso viro licebit tibi expiscari.

) Am 25. Januar war Rokita in Petrikau eingetroffen, vgl. Kro- wickis Schreiben an Laski vom 26. Januar aus Petrikau. Gabbema, Ilustriorum virorum epistolae S. 125. Ein Brief Vergerios an Rokita vom 28. Dezember 1557 bei Wotschke, Vergerios zweite Reise nach Preußen und Litauen. Altpreuß. Monatsschrift 1911 S. 287,

*) Diese Nachricht ist nicht richtig. Schon auf dem Petrikauer Reichstage 1555 wurde evangelisch gepredigt. Vgl. Wotschke, Stan. Lutomirski. Archiv 1906 S. 118.

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Res ecclesiae satis feliciter ex dei gratia apud nos Minores Polonos succedunt. Desiderantur ministri. Est hie nobis opus vestro consilio. Dominus a Lasco iis diebus allocatus regem et satis propitium eum esse intellexit nostris coetibus. Maiores Poloni, veremur, ne sint duriusculi in recipienda confessione, quam vos ipsi nobiscum recepistis consensu videlicet in ea vestro. Sed de iis fusius propedie audietis. Dominus deus vos omnes conservet ef spiritu suo sacro regat ad nominis sui gloriam. Amen. Ivanowieiis 9. Martii 1559. Tuus in domino frater Joannes Luzenski, minister ecclesiae Iwanovicensis.

2. Johann Maezynski an Stanislaus Hosius.

Reverendissime in Christo pater et domine domine ac patrone eum observantia colendissime. Illustrissimo principe meo ad rev. cels. vestram cum literis ablegante pratermittere nolui, quin pro fide et deditissima observantia mea nomini rev. cels. vestrae iam ante devota, dedicta et consecrata aliquid literarum darem. Non enim libenter tales occasiones prae- termitto, caeterum quia principes viri nec temere accedendi nec etiam importune compellandi sunt, quod nullum iustum scribendi argumentum sese offerebat, tacere hactenus malui, quam inanibus ef vacuis literis rev. patern. vestrae multis gravissimis negotiis oceupatissimae obstrepere. In praesen- tiarum autem cum aliud iustius scribendi argumentum non suppetat, mitto illi certae epistolae illustrissimi principis mei exemplum ad clarissimum olim virum d. Calvinum in praeterito conventu Warschoviensi de praesentium temporum contro- versia trinitaria conceptae!) idque eo facio consilio, quod exploratum habeam non abhorrere modo rev. cels. vestram, sicut vulgus hominum solet, a cognitione harum vel illarum pro tempore emergentium controversiarum, sed etiam dili- gentissime scrutari et investigari solere harum materiarum fontes conquirere etiam libros vetustos in omnibus linguis, qui ad explicationem excitatarum doctrinarum quoquomodo faciant. Significandum et hoc duxi rev. cels. vestrae, quod tametsi olim d. Calvinus, antequam ad eum haec missa esset epistola, ex hae vita emigraverit, nihilominus famen hoc ipsum exemplum prin- cipem meum ad multas ecclesias et scholas per Germaniam, Helvetiam et Allobroges nec non in Prussiam misisse ad- iunctis una Gregorii Pauli et Cazanovii, equitis Poloni, libellis?), quorum altero Gregorius totius huius controversiae materiam

!) Wotsche, Briefwechsel Nr. 325, Opera Calvini XX Nr. 2125. ) Vgl. Wotschke, Briefwechsel S. 226.

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explieat, altero Cazanovius olim d. Calvino ad eius admoni- tiones ad Polonos scriptas respondet, idque eo instituto facit princeps meus, ut illae ecclesiae de causa praesenti deque tota controversia iudicium ef censuram suam ferant et eius celsitudini sive per privatas sive publicas epistolas respon- deant, ac sperat non multo post sibi responsum ab eisdem ir. Nam filiolus eius celsitudinis, qui nunc in Germania in studiis literarum versatur et Tubingae in ducatu Wirtem- bergico nune aetatem degit!) de responso illas ecclesias et Scholas sollicitat, exinde vero scribit itidem ibi per totam Germaniam ef Gallias atrocem pestem saevire, propter quam et ipse ex Argentorato Tubingam solum vertere necesse habuerit. Caeterum ex Ungaria doctor Blandrata?), serenissimi regis Ungariae physicus, scribit omnes evangelicas ecclesias per Ungariam et Transsylvaniam amplexas esse hane ipsam confessionem de uno vero deo patre ef eius unigenito filio vocabulo frinitatis tanquam humano invento repudiato. Et scribit, quod ad hane ipsam confessionem et ipse serenissi- mus rex ac adeo ad totam evangelii professionem repudiato itidem papatu accesserit, id ipsum scribit ad principem meum ex eadem Ungaria quidam Franciscus Davidis, pastor Claudiopolitanus et superintendens Transsylvanarum ecclesi- arum. Gratias agens deo, quod non suum pupillum, gregem suum, deserat orphanum, sed quod depulsa palatini veteris erroris caligine puritatem verbi sui in apricum magis ac magis producat, hortatur itaque principem ad constantiam et animi fortitudinem. Quod restat me meamque humilem et observantem servitutem in perpetuam et nunquam mihi intermorituram gratiam ef benignitatem rev. cels. v. perquam offieiosissime et accuratissime commendo dominumque deum supplex exoro, illi firmam et florentem in multo maximos annos valetudinem concedat. Datum in Nichniewicze ?)

1) Am 12. Oktober und 8. Dezember schreibt der Reisemarschall des jungen Radziwill aus Tübingen nach Zürich. Wotschke S. 231f.

) Im Jahre 1568 hatte Blandrata seine Stellung bei Badziwill aufgegeben und war zum Fürsten Johann Sigismund nach Sieben- bürgen gegangen. i

5) Nieszwiez, sieben Meilen östlich vom Eisenbahnknotenpunkt Baranowitschi, Hier war der Justinübersetzer Kryszkowski Pfarrer, während sein Mitarbeiter Budny, der bekannte Bibelübersetzer, Schrift- &teller und strenger Unitarier, in dem drei Meilen entfernten Klezk amtierte. Die Frage über die Prüexistenz Christi entzweite 1567 beide. In Ergänzung der Nachrichten, die ich in der Altpr. Monatsschrift 48 S. 260—270 tiber Krzyszkowski gegeben habe, verweise ich noch auf sein Schreiben, das Joh. Licinius Namyslovius in seiner 1597 in Novo-

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VIIII. Decembris anno domini 1564. Rev. cels. vestrae in perpetum deditissimus devinctissimusque servitor Joannes Maczinski.

8. Johann Ostrorog an Philipp Camerarius.

Causa haec ad te mihi scribendi, vir clarissime, fuif, quod d. magister Joh. Ludovieus Hauenreutterus!) tuo me salutasset nomine libellumque mihi dn. rectoris scholae vestrae Joh. Thomae Freigii?) de bello Africano a Lusitano rege gesto conscriptum a te muneris loco reddidissit. Qua de eausa et memoriam mei et amoris apud te diminutam minime videns literis exc. vestram compellandam omnino statui, quibus gratam tuae benevolentiae memoriam animumque declararem. Nam quod te propter neglectas hactenus ad me literas per eundem m. Hauenreuterum excusas, id non tibi, viro huma- nissimo, ascribo, sed occupationibus seriis et iis quotidianis tribuo. Cum autem sciam privilegia vobis a caesarea maies- fate data et amplissimum senatum vestrum nihil magis quam professores conquirere, non mihi negligendam qualemcumque vobis gratifieandi putavi occasionem, quin philosophum hunc literas per hasce meas, quas tibi exhibet, vobis commendarem. Est enim vir egregius sane et perquam doctus, qui cum ante decennium inter jesuitas vixissit et cursum philoso- phicum, viginti et aliquot annos natus cum esset, feliciter in triennio absolvisset, data illi excurrendi spatiandique a provinciali, ut vocant, facultate a jesuitis ad veram evangelii lucem se convertit. Cum vero nullibi tutam sedem sive certam conditionem ob furorem pontificiorum habere possit, eum nulla iam ipsi fixa offeratur sedes, in Bohemiam ad con- versionis eius autorem Paulum Florenium contendit. Quem eum Norimbergam iter facturum animadvertissem, absque meis eum ad te literis venire nolui, quibus exc. tuae et per illam ac prudentissimum virum dn. Baumgarinerum®) amplissimo senatui vestro eum commendarem, quo facilius in scholam vestram utinam fortasse iam academicam Altorphianam reci- . peretur et ad philosophiam in eadem profitendam. De cuius

grodek erschienenen ,Brevis et simplex parainesis ad fratres ministros evangelicos pro ineunda concordia“ bietet.

1) Joh. Ludw. Hauenreutter (1548—1618), Professor in seiner Vaterstadt Straßburg.

23) Joh. Thomas Freige aus Freiburg im Breisgau, Arnhünger des Ramus, Lehrer in Freiburg und Basel, dann seit 1576 in Altdorf.

) Wohl ein Sohn des Patriziers Hieronymus Baumgartner, des Freundes Luthers und Melanchthons.

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quidem eruditione non tantum mihi polliceri auderem, nisi per aliquot menses opera eius sedula usus hic fuissem. Quare rogatum fe, vir clarissime, velim, ut eam, quam mihi semper declarasti, huic quoque docto viro exhibeas benevolen- tiam. Qua de re cum prudentissimo viro dn. Baumgartnero tum propter me fum vestrae scholae doctis viris magis magisque exornandae gratia diligenter agas etiam atque etiam rogo. Ex cuius quoque literis plura de eodem Christiano Francken intelligas. Nova Gallicana tibi esse puto notissima. Vale. Dat. Argentinae 29. Julii 1580. Tuus ex asse Johannes comes ab Ostrorog.

4. Georg Blandrata an die Polen).

Amantissimis et clarissimis viris gratiam ef pacem a deo per Christum. Cum iam sint praelia, sit disputatio Varadina?) et victoria nobis a domino insigniter concessam fusius, ne theatricii militesque gloriosi videamur, explicare non liceat, succincte de ea vobis gustum praebebo, quo materiam collaudandi domini misericordiam et faciem prae- stitam habere possitis. Die 10. Octobris per ser. principem et quidem absque ulla hominum praemonitione vel instigatione, sed solo dei impulsu disputatio fuerat instituta ad eamque eonvoeati non solum suae ill. servi subditi, sed etiam omnes ministri, qui sub imperatoris ditione versautur. Nos itaque selectis ad disputandum ex nostris Transsilvicis duodecim tantum ministris et testibus undequaqua sparsis una cum principe cum dn. Francisco Waradinam profecti sumus die 17. Septembris, Dum vero illic tempus praescriptam ex- speetamus, en pro contione Petrus Melius ef alii saevire ineipiunt et haereticos nos falsosque prophetas appellare. Ser. prineeps illorum improbitatem perspiciens iussit, uf dn. Franciscus?) quoque subgestum conscenderet et causam suam fueretur et ita per conciones vellicatio acriter incepta, sed dn. Francisco longe superante (). Paulo vero ante diem dis- putationis accurrentibus quibusdam arduis negotiis Debrecinum ire ser. princeps cogitur. Ubi dn. Franciscus pro concione

1) Dieser und die beiden folgenden Briefe aus Cod. Chart. A. 407 der Gothaer Bibliothek. Der alte Abschreiber des Briefes Blandratas hat oft falsch gelesen, denn dieser Arzt schrieb nicht am besten, Der Text ist deshalb voll Schwierigkeiten, auch der offenbar recht parteische Bericht etwas verworren.

2) Vgl. Lampe, Historia ecclessiae reformatae in Hungaria S. 274 ff., Bod, Historia Hungarorum ecclesiastica 413 fl.

3) Davidis,

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ita Petrum Melium dedolavit atque mendacii convicit, ut civitas illa tota ... Iam reversi Waradinam die disputationis instante en ex nostris ministris mox cum dn. Casparo Heldo adventant 55 praeter omnium spem, ex adversariis quoque ferme 80. Quia vero ad 20. diem Octobris postulantibus. adversariis disputationis diem prorogata fuerat, denuo usque ad eundem diem per conciones dimicatum. Die autem 20. convenientibus nobis et consedentibus una cum sua maiestate et tota aula aliquot etiam milibus civium Hungarico- sermone caepta pugna. Et primo die quis sit unus deus Israelis et patrum nostrorum. Disputantibus quoque nobis perdueti hostes, ut se velle essentiam et personarum nomina sepelire palam faterentur, quas famen postea acceperunt. Iterum eos, qui Melio subscribere noluerunt, videre poteritis in illorum postrema confessione. Secundo, tertio et quarto de filio, quis sc. dei filius censeri debeat, an aeternus ille Sermo, an qui conceptus est in utere virginis de spiritu sancto. Hie multa miscuerunt de divinitale Christi conten- dentes nune de deo illo trino, nunc de adoratione Christi, nune de angelis increatis, qui eduxerunt populum ét adorati sunt et qui erant Christus. Quinto die scopus illis prae- positus, an divinitas, quae in Christo habitat corporaliter, sit patris an alia, utpote filii alieuius aeterni an incarnati di- vinitas, ef an sit genita ab aeterno deo alia divinitas, cum semetipsam gignere nequeat. Item an Aoyovg sit divinitas illamet an aliud a sua divinitate distinetum. Hie vero usque adeo luserunt, ut risui expositi cogerentur inter sese acriter litigari altero alterum obiurgante et turpiter inerepante, fum quod vel aliud alter obmisisset vel aliud perperam protulisset.

Demum in Melium de more garrientem ef absurda aut nimium insulsa proferentem omnes ferme conspirant et solemni faeta obtestatione dicunt se nolle illi consentire, si quid absurdi commiserit, tum quod se solum sapere putet, cum omnia confundat et morbo saepius corripiatur conviciali. Ideo alios velle causam tueri. Tandem cum propositae quaestioni de Christi divinitate nollet respondere et tergi- versando varias quaereret tricas, per ser. principem illis iniunctum, ut se doceant plebemque audientem erudiant, nam scopum omnium controversiarum esse, cuius nune sit mentio, cum modum imitari nulla ratione possent. Consul- tantibus primum invicem diu prodiit in medium Petrus Melius dicens; „Audiat me Ill. Vestra Ser., et vos omnes, qui adestis! Nam hae nocte dominus mihi noviter revelavit, quis et qualis sit verus et proprius filius ipsius, cui etiam immortales gratias ago“. Cum vero in chachina (!) omnes ferme solverentur, ser.

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princeps: „Domine Petre“, inquit, si hac nocte modo didicisti, quis sit dei filius, quid, quaeso, ante praedicasti? „Certe plebem tuam hactenus seduxisti.^ Cum ille attonitus nihil haberet, quod diceret, confusus caepit balbutire ef ita palleseere, ut mortui potius quam viventis hominis effigiem redderet. Interea commilitonibus illius ignominiosum hominis exitum conspicientibus Agriensem pastorem ad respondendum urserunt. Qui repetita denuo contestatione dixit se suosque fratres Petri Melii confessionem nusquam approbasse, ideo se velle ex scripto suarum ecclesiarum de filio dei sententiam dicere, statimque scripto accepto caepit legere Hungarice, quod Scriptum ad vos mitto, ut illud latinum reddat M. D. D. Dum vero ser. princeps ef ceteri potiores nugamenta adversariorum in eum usque diem producta ferre non possent, magistro aulae commissum, ut gratiis illis actis breviter diceret iam satis superque persuasos omnes esse de illorum sophisticis tricis, nec esse opus longiore disputatione, Ut ergo quisque se in suam stationem recipere possit, liberam concedi facul- tatem. Interea duo ex praecipuis acceptis testibus immaniter in haec verba proruperunt: ,Postquam hactenus falsum deum et falsum Christum nobis praedicastis, et in faciem illorum ... "Testibus proiectis alii dixerunt impostores et obstinata ignorantia praeditos docentes canes non homines. Sic solata. Et Petrus Melius aeger delicando abiit. Interea alii con- veniunt ef eodem die novam recidunt confessionem, quam mitto, ut intelligatis adversarios nihil habere solidi, nihil firmi et ipsorum fucos prorsus deteetos esse.

Hune habuit progressum et exitum domino auspice Varadina disputatio, quae nostros adeo usque confirmavit, ut parati iam sint omnia pro hae veritate tolerare. Caeteri vero usque adeo prostrati, victi et confusi, ut quo se ver- ferent, plane nescirent Nunc Debreciniensis plus quam dueenti petunt ministrum nostrae confessionis, quem et ilis bonum daturi sumus et qui Petro Melio resistere possit, Antequam discederent Varadina, pastores adversae partis vocati sunt cum Petro Melio ad prineipem, quibus proprio ore imperaret, ne in posterum nostrae confessionis homines vel loco pellere aut persequi audeant, et ne secus facerent, serio iniunxit, qui maesti et moti postea abierunt. | | In Georgium Maiorem scripsimus. Misi 24 termiones dn. Paulo Alciato, ut videatis et iudieetis, prope diem ab- solventur omnia. Nos catechesim cogimur institutere, sed speramus praeteritis omnibus longe puriorem futuram, quod faxit deus, loco sacrarum literarum, quae contra nos facere videntur. Tum imprimemus, cum ad nos pervenerit Faustus

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ille noster’), nam multa addemus. At ubi rite fuerint gesta et amplificata, speramus hoc freno multa posse strenue cohiberi facereque, ne de more effrenam extendant linguam. Nam hie certe scopus, hio labor, hoc opus erit et ad rem maxime necessariam. In quo etiam nune toti incubemus. Valete in domino ef vestrarum ineditationum saepius nos participes facitote. Salutate omnes fratres cum osculo sancto. Collosvarii ultima Octobris (1569). Frater Georgius Blandrata doctor.

6. Kaspar Baumann an Ádam Neuser.

In seinen authentischen Nachrichten von Adam Neuser hat Lessing aus einer Handschrift der Wolfenbütteler Biblio- thek den so wichtigen Brief mitgeteilt, den der unglückliche ehemalige Heidelberger Diakonus an seinen Landsmann Kasper aus Konstantinopel Mittwoch vor Ostern 1574 ge- richtet hat. „Wer der Kaspar und Landsmann gewesen, kann ich nicht sagen,“ schreibt Lessing. Ich vermag es, es war Kaspar Baumann, der in Ungarn in Schintau unfern Raab bei dem Grafen Julius zu Salm ein Kirchenamt ge- funden hatte. Ich kann auch den Brief mitteilen, den Neuser mit dem von Lessing veröffentlichten Schreiben beantwortete: Gottes gnad durch Jesum Christum, unsern heiland, zuvor. Lieber Adame! Es möcht euch villeicht wunder nemen, daß euch itziger zeit schreiben aus teutschem land zukompt in frembde türkische land. Aber weil jeh zeit vnd gelegenheit euch zu schreiben alhie gehabt, hab jch solches auß gut- herziger christlicher wolmeinung, auch auß bitt eures armen weib, der kinder vnd liben brüder nicht vnderlassen mögen dieser zuversicht, jr werdet diß mein schreiben, auß christ- licher lieb zu eurem trost vnd wolfart fürgenommen, nicht onhe hertzliche freud auffnemen. Lieber Adame! Wir khönnen vns nicht genugsam verwundern, daß jr euch so gar auß eurem vatterlandt, darin jr noch wol bleiben mögen, begeben, zum andern, daß jr ond zu den Türken, der christen erb- feinden geschlagen, zum dritten, daB jr von eurem christ- lichen selig machenden glauben seit abgefallen vnd den namen Jesu Christi, taufe jümmerlich verleugnet vnd euch zum exempel der gantzen teutschen nation fürstellet, der- gleichen exempel wir von kheiner solchen person dises ambts vnd standts vnd christlicher confession, der jr gewesen, jn keinen historien finden. Dieweil jch mich aber nicht wol

1) Also erhoffte schon damals Blandrata Soeins Erscheinen in Siebenbürgen. Bekanntlich hat dieser erst zehn Jahre später der Ein- ladung Folge geleistet.

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bereden kann, daß jr allerdings die liebe Jesu Christi vnd zu der seligen gemeinschaft seines gnadenreichs gentzlich auß eurem hertzen verstoßen, sondern bin guter hoffnung, jr werdet noch ein füncklein von gemelter liebe in eurem. herizen behalten haben, bin jeh desto williger gewesen,

diese kurtze erinnerung vnd vermanung schrifften an euch zu stellen. Lieber Adame! Jr sollt wissen, daß jch vnd vil guthertzige leute, so eurer lange zeit kundtschafft gehabt, vber euren ellenden zustandt ein hertzlich bekbümmernuß haben, vnd sonderlich daB das Blut Jesu Christi vergeblich für euch vergossen vnd die gnad gottes, des vatters, ver- geblieh an eueh geworden sein soll. Vnd wo es vns móg- lich were, euch zu rathen vnd zu helfen, wolten wir auß lieb vnd trew nichts an vns erwinden lassen. Weiß aber euch kheinen treulicheren rhat zu geben, weder jr wollet vmbkheren. Satius est enim redire quam male ire. Labi et errare humanum est, in lapsu vero et errore perseverare- diabolieum esse nosti, Vermane euch derhalben in dem namen Jesu, in welchem bufe vnd vergebung der stinden zu predigen bevolhen, daß jr euch wollet hertzlich leid sein lassen, daß jr auß schwachheit, forcht vnd list des sathans. so weidt in abfall gerathen, vnd volgends den barmhertzigen gott vnd vattern Jesu Christi flehentlich von eures hertzen. grundt bitten, daß er euch eure sünden verzeihen vnd von wegen des verdienstes seines eingebornen sones wider zu gnaden vfinemen wolle. Solt ie nicht zweiveln, gott werde euch seine gnaden, die der gantzen welt sund vbertrifft, gnediglich mittheilen laut seiner vütterlichen verheißung Ezech. 33: „Nolo mortem pecoatoris, sed ut converfatur et vivat.“ So ist auch Christus Jesus in die welt khommen, nicht die armen sünder zu verdammen, sondern zur buße zu. rufen. Bittet gott um gewissen glauben vnd heyligen geist, quanto magis dabit pater meus spiritum petentibus. Entlich bitt jch euch, wollet vif mittel vnd weg bedacht sein, euch von den türkischen hunden hieher in euer vatterlandt zu begeben. Darzu euch bewegen soll gottes bevelch an euch,

eurer seelen heil vnd selickeit, naturliche liebe zu armem weib vnd verlassenen euren weißlein, die in das ellendt zer- streut sind. Euer Adam ligt hier gefangen vber die zwanzig wochen. Hat zu euch in die Türkei ziehen wollen.

Das es aber euch wolt schwerlich vnd bedenklich fallen, euch nach gestalt eurer sachen ins Teutschland zu begeben, weil jr khein salvum conductum vnd bleibende statt zuuer- hoffen, soll euch dieses nicht bekhtimmern. Denn gott euch wol noch eiu ortlein aussuchen wirdt, denn das landt ist weidt et quaevis terra alit artes. Vnd khann euch auß wol-

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meinung nicht bergen, daß jeh mit dem hoch- vnd wol- geborenen herrn, herrn Julio grawen zu Salm zu Schintaw jn Ungarn, etlich meil weges von Raab whonend, meinem gnedigen herrn, eurenthalben geredt. Haben jre gnaden ein gnüdiges mittleiden mit euch getragen vnd sich erbotten, wo jr wider vmbkertet, sie wolten euch selbst eine zeit lang in still gnädiglich vnderhalten vnd sonst gnädige befürderung thun. Dif hab jch euch nicht vnuermeldet wollen lassen. Darnaeh jr euch in diesem zweiuelhafftigen ellenden stand zu richten hettet. Dise ewige gotliehe vnd menschliche an- gebottene gnad wollet ja nicht verachten, damit jr zeitlich vnd ewiglich leben müget. So jr so baldt nicht khondt ab- khommen, so wollet mir bei der keyserlichen potschafft wider schreiben, wie es mit euch geschaffen. Lasset den brieff hieher gen Wien antworten an den Adam Eysenhamer, keyser- lichen hoffbalbier. Seid hiemit den gnaden gotes beuolhen. Geben jn Wien, den 17. Januarii a. 1574. Euer dienstwilliger alter gutter freundt vnd landsmann Kaspar Baumann, diser zeit Salmischer Kirchendiener !).

6. Adam Neuser, der Sohn, an seinen Vater?).

Hertzlieber vatter! Ich laß euch wissen, das ich noch frisch vund gesundt bin von den gnaden gottes. Armer lieber vatter! Thue euch zu wissen, das ich den brieff, den ir den 8. Januarii geschrieben habt, empfangen habe vnnd den belz, vnnd das mich der keyser in ein stipendium thon hat, das ist des herzogs von Wirttemberg, mein essen vnnd drincken gnugsam habe. Aber kleider vnnd bücher mues ich selbs haben. Vnnd das ir schreibt in dem vorigen briff, ich sollt euch wiederumb schreiben, wie es vmb die mutter vnnd

1) Tübingen den 4. März 1574 gratuliert Jakob Andreä dem kaiser- lichen Gesandtschaftsprediger Stephan Gerlach zur glücklichen Ankunft in Konstantinopel, warnt ihn vor Neuser und bittet um Nachricht über dessen Leben. Am 11. Okt. 1573 hatte Gerlach bereits an Heerbrandt ausführlich über unseren Antitrinitarier berichtet, jetzt schreibt er am 1. Nov. 1574 über ihn auch an Andrei. Hier gedenkt er des Briefes eines polnischen Superintendenten Petrus Witrousk vom 2. Juli d. J. an Neuser. Nachdem ich nun mehr als zwanzig Jahre vergebens nach diesem Witrousk geforscht habe, kehre ich zu meiner anfänglichen Annahme zurück, daß Lessing sich verlesen hat, für Petrus Witrousk Petrus Statorius zu setzen ist. Lessing, der so gern kritisierte und über die Versehen anderer richtete, scheint hier selbst die Forschung gründlich irregeführt zu haben.

*) Dieser brieff gehörtt meinem lieben vatter Adam Neuser zu Konstantinopel zu eigenen handen.

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Ammeley vnnd Anna stehe, kahn ich euch nicht schreiben. Dan ich bin in zweyen jaren nicht daheim gewesen, vnnd ich bin auch zu Wien, vnnd mir die botten vnbekandt, sonst hett ich heim geschrieben. Aber so baldt ich bottschaft habe, so wil ich euch wiederumb schreiben. Vnnd das ir mir schreibt, ir seyett gesundt, ist mir ein große freude, vnnd das ir auch von den vorigen brieffen schreibt, die seint mir vnbewußt. Es ist mir keiner zu kohmen als einer. Der ist ein gancz monatt hie zu Wien bey einem hoffbalbirer gelassen, vnnd der superintendens Martinus Bengelius hatt den brieff zu ihm genommen vnnd mir kein antwortt ge- geben. So hab ich es dem grosmechtigen Casparo Bekes, vngerischen graffen, von dem ich den vorigen brieff empfangen habe, angezeigt, so hatt er als baldt ein diener zu ihm ge- schickt vnnd ihm angezeigt, er sol mir den brieff zustellen vnnd mich mitt frieden lassen. Vnnd der grosmechtig Cas- parus Bekés hatt offt mitt mir geredt vnnd mir ein zerung gegeben vnnd gegen mir entbotten, sovern mir ettwas von nötten sein wirde, sol ich es im anzeigen, so wil er mir es geben. Vnnd weiter, das ir mich in dem vorigem schreiben vermanet, fleißig in meinen studiis zu sein, will euch alzeit willig vnnd gehorsam sein. Vnnd das ir auch schreibt, ich sollt den D. Cratonem vnnd Casparum Baumann vnnd D. Senes in ewrem namen grüßen, sein sie mir aber unbekandt, aber doch wil ich sehen, das ich sie erfrag vnnd ewrem schreiben genug thon. Datum Wien, den 16. Februarii 1576 Tuus obientissimus filius Adamus Neuserus!) Vult magnif. dn. Bekes certo tibi persuaderi, quod omne de me patrocinium in se, dum vivet, constantissime receperit.

1) In einem Schreiben vom 18. Mai 1575 an seinen Vater nach Konstantinopel nennt sich Adam Neusser „stipendiarius bursae Lilii.“ Quantum attinet matrem atque sorores, nihil iucundius optabiliusque tibi soribere me posse omnino mihi persuadeo, quam quod adhuc pristina valetudine fruantur ac illis omnia pro animi sententia succedant foeliciter, licet ego in spatio trium annorum cum ills non fui, tamen ab aliis bonis ac fide dignissimis viris percipio, Haud te ignorare existimo me in quandam bursam vel stipendium ante annum hic Viennae susceptum esse ab ipsomet imperatore promotum ... nihil a patria iam per integrum anum habui et solum istis contentus esse debui, quse mihi a bonis ac optimis virie tui causa data sunt, nempe a dn, Beckes aliquos nummos accepi, sed ille nuper cum imperatore hic discessit. Deinde nobilia et clar. vir dn. Wolfgangus Sinib, quem ego tuo nomine . salutavi, ut scripsisti, mihi 18. Maii, decem taleros dedit, quibus me ex omni periculo ac miseria liberavit.^ Durch Sinih möge der Vater ihm auch wieder schreiben.

Yom deutschen Holzschnitt der Reformationszeit.

(Kunstgeschichte als Hilfswissenschaft der Reformationsgeschichte)

Von Hildegard Zimmermann.

Bei der ungemein wichtigen Rolle, die das Bild im Reformationszeitalter spielt, kommt auch der Kunstgeschichte eine bedeutsame Stellung im Rahmen der allgemeinen Refor- mationsgeschichte zu. In erster Linie handelt es sich dabei um die Erforschung des deutschen Holzschnitts, der nicht nur der äußeren Gestaltung der Flugschriften und Bücher der Reformationszeit ihr charakteristisches Gepräge gab und sach- lich-inhaltliche Beziehungen zu Literatur und Theologie pflegte, sondern der vor allem auch in der Fülle der Einzelblätter frei schaffend aus Tiefen künstlerischen und seelischen Er- lebens Werke gestaltete, die durch die Unmittelbarkeit des Ausdrucks zu Quellen ersten Ranges für die Gesamterfassung dieser bewegten Zeit geworden sind. Es sei nur an jenen gewaltigen Auftakt erinnert, den Dürers Apokalypse bildet.

Die künstlerische Entwicklung, in der spätgotisches Barock und werdende Renaissance nebeneinander hergingen, mitein- ander rangen oder seltsamste Verbindungen eingingen, erwies sich gerade für den deutschen Holzschnitt um die Wende zum 16. Jahrhundert und in seinen ersten Jahrzehnten außerordent- lich günstig. Abgesehen von dem einzigen Grünewald, ist keiner unter den Großen der Malerei, der ihn nicht auch mit besonderer Liebe gepflegt und ihm persönlichste Werte mit- gegeben hätte. Daneben schafften die kleineren Meister, die sich ganz diesem einen Zweige hingaben, in die Breite. Eine umfassende Erweiterung des Stoffgebiets ging damit Hand in Hand, dem wir wiederum lebendigste Vermittlung des Zeit- geschehens verdanken.

An der Erforschung dieses einzigartigen Kunst- und Kulturguts ist seit langem erfolgreich geschafft und ausgebaut worden. Vorzugsweise ist dabei freilich der Ausgangspunkt von der einzelnen Ktinstlerpersönlichkeit ber genommen worden.

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Zusammenstellungen von Wiedergaben aus dem Gesamtmaterial finden sich vorwiegend nach kulturgeschichtlichen Gesichts- punkten angeordnet. So verdienstlich sie an und für sich sein mögen, so können sie doch dem Gegenstande keineswegs voll gerecht werden: durch Willkür der Auswabl und Nichtberück- sichtigung der Originaleigenheiten können sie notgedrungen gerade von dem charakteristischen Gesamtbild keine Vor- stellung geben. Die Forderung nach einwandfrei sach- gemäßer Herausgabe des Gesamtbestandes als wertvollsten Quellenmaterials gestaltete sich nur immer dringlicher.

So ist es besonders freudig und dankbar zu begrüßen, daß die empfindliche Lücke nunmehr ausgefüllt werden soll von seiten eines neuen Unternehmens, das seine Leistungs- fähigkeit für diese vornehmste Aufgabe zur Erforschung des deutschen Holzschnitts glänzend erwiesen hat. An anderer Stelle!) konnte ich bereits auf die Vorzüge des im Verlage Hugo Schmidt, München, erscheinenden Werks von Max Geisberg „DerdeutscheEinblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ ein- gehen. In vierzig Lieferungen soll hier in originalgetreuer Wiedergabe das ganze Material in Einzelblättern, die der Forschung jede beliebige Anordnung ermöglichen, ausgebreitet werden. Von grundlegender Wichtigkeit für die historischen Untersuchungen ist es dabei, daß in allen Fällen die den Bildern beigegebenen Texte in gleicher Weise vollständig reproduziert werden. Der Name des Herausgebers, dessen zahlreiche Sonderuntersuchungen zur deutschen Graphik des 15. und 16. Jahrhunderts ihn zu einem der hervorragendsten Kenner auf dem Gesamtgebiete gemacht haben, bürgt für die sorgfältigste wissenschaftliche Durcharbeitung und Darbietung.

Gleichmäßig, dem gegebenen historischen Bestande ent- sprechend, kommt hier jede Seite des reichen Bildes zur Geltung. Schon die jetzt?) vorliegenden ersten vierzehn Liefe- rungen lassen alle Einzelzüge erkennen. Darstellungen histo- rischer Ereignisse, die Wirklichkeitseindrücken entsprechen, liegen in Behams Einzugsfeier Karls V. inMünchen 1530 (Liefg. IV) und Breus EinreitenKarlsV.inAugs- burg des gleichen Jahrs (Liefg. IV—V) vor; Schäufeleins Triumphzug Karls V. (Liefg. V—VI) gibt ein lebendiges Bild der ganzen reichen kaiserlichen Prachtentfaltung. Dem Gedenken Maximilians gilt Burgkmairs den Sieg über die Böhmen bei Schönberg 1504 verherrlichendes Schlacht- bild (Liefg. II, mit Text Weller 280) und Springinklees ein- drucksvolle Darstellung der Trauerfeier für den Kaiser

1) Deutsche Lit.-Ztg. N. F. 2. Jg. (1925) 14. Heft. ) Herbst 1925.

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(Liefg. I und X). Der Schlacht von Pavia ist ein Flug- blatt (Weller 3605) mit einem „neuen Lied“ und einem, frei- lich nach fremden Vorlagen zusammengestoppelten, Reiter- und Landsknechtskampf typisch darstellenden Holzschnitt ge- widmet. Das Soldaten- sowie das Volkstreiben im allgemeinen veranschaulicht die schon besonders stattliche Reihe aus den Werken Sebald Behams, Georg Pencz, Hans Schäufeleins, Erhard Schöns und Niklas Störs. Kaufherrlicher Größe verdankt die prachtvolle, hier erstmalig nach den Originalen mit Text wiedergegebene Folge von Darstel- lungen asiatischer und afrikanischer Völker- schaften Burgkmairs (Liefg. VIII) ihre Entstehung, zum Gedächtnis der ersten Seereise deutscher Kaufleute nach Portugiesisch-Indien 1505/6.

Besonderes geschichtliches Interesse kommt selbstver- ständlich den zahlreich vertretenen Bildnissen zu. Hier bieten kunstgeschichtliche Kriterien wichtige Maßstäbe für die historische Wertung: die Sichtung von Originalen und Kopien, Zuschreibungen an bestimmte Künstler, geben das Material in einer peinlich sorgfältigen Durcharbeitung, die auch den historischen Zwecken wertvolle Anhaltspunkte ver- mitteln kann. Zwei Bildnisse Karls V. (Liefg. X und XL) werden auf den sachlich-getreuen Schilderer Christoph Am- berger zurückgeführt. In Burgkmairs Werk finden wir bis jetzt den mächtigen Kopf des Papstes Julius IL (Liefg. IV) and die eindrucksvollen Patrizierbildnisse: Hans Baumgartner (Liefg. VI) und Jakob ‚Fugger (Liefg. VIII). Durch Baldung sind die Gelehrten mit den charaktervollen Bild- nissen des Johann Rudalphinger (Liefg. I) und des Caspar Hedion (Liefg. III) vertreten; Brosamers Epitaph des Dr. Georg Tannstetter (Liefg. 1) schließt sich an. Aus der Reihe der von Geisberg schon früher behandelten Wiedertäufer- bildnisse!) sind bereits verschiedene gegeben (Liefg. II und XID. Bildnisse fürstlicher Personen liegen von Brosamer (Liefg. III und XI) und unbekannten Künstlern (Liefg. I, II und III) vor. Vorzüglich aber sind hier die beiden Lukas Cranach zu nennen: die Herausschülung von deren eigen- händigem Anteil aus der Masse des Werkstattguts, sowie die Sichere Scheidung ihrer Hünde voneinander, ist eine hier in Angriff genommene Aufgabe von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit besonders für die Reformationsgeschichte. Dem Vater bleibt selbstverständlich die Darstellung Luthers als Junker Jörg (Liefg. VIII), während der große Kopf aus Luthers

) „Die Münsterischen Wiedertäufer und Aldegrever", Straß- burg 1907,

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letzten Jahren (Liefg. X) dem Sohne zufällt. Zweifelsfrei als Werk des älteren Cranach ist durch die Verse der Schrift- tafel des hier erstmalig veröffentlichten Bamberger Exemplars ein ausgezeichnet frisches Bildnis Friedrichs d. Weisen (Liefg. X) erwiesen; es schließen sich nach stilkritischem Be- fund hier an die Bilder Johann Friedrichs von Sachsen und seiner Gemahlin Sibylle (Liefg. XIII). Dagegen ist das Bildnis des Bürgermeisters Johann Scheyring (Liefg. XI) aus stilistischen Gründen als Frühwerk Lukas Cranachs d. J. anzusehen. Die große Darstellung der kurfürstlichen Familie mit Luther und der Taufe Christi (Liefg. XL)) glaubt Geisberg mit Röttinger dem aus Siebenbürgen zugewanderten Drucker und Formschneider Jakob Lucius zuweisen zu können; die Zeichnung weist auffallend viel Cranachsche Stilelemente, und zwar sowohl des Vaters, als des Sohnes auf.

Zu den Bildnissen treten die Wappen, von denen fast sämtliche Lieferungen prächtige Beispiele aufweisen.

Einen Hauptbestandtteil bilden selbstverständlich Einzel- blätter und Folgen, die allgemein biblisch-religiöse Darstellungen in rein künstlerischer Gestaltung be- handeln, Nur andeutungsweise kann auf den reichen Inhalt der vorliegenden Lieferungen in dieser Beziehung hingewiesen werden: von Altdorfer sind reizvolle Einzelblätter gegeben und seine kleine reiche Folge zum Leben Christi; Baldung ist mit verschiedenartigsten Christusdarstellungen, Heiligen- figuren und der bedeutenden Apostelfolge vertreten; Passions- folgen liegen von Beham, Cranach und Schäufelein vor; natürlich ‚steht auch hier Dürer an hetvorragendster Stelle, neben ihm Burgkmair vor allem mit Madonnendarstellungen, auch Cranach mit seinen großen frühen Werken, ferner Wechtlin mit wirkungsvollen Helldunkelblüttern.

Daneben stehen Andachtsbilder des alten Glaubens von bilderbogenartigem Charakter, unter denen auch Lukas Cranach d. A. noch vertreten ist mit seiner Leiter des hl. Bonaventura (Liefg. VI) ferner ein Dürer nahestehender anonymer Meister (Liefg. II) und insbesondere Wolf Traut (Liefg. VII und XL).

1) Geisbergs Literaturangabe, Heller* 284 (572) IX a, stimmt hier nicht. Es handelt sich bei Heller um eine aus drei Stócken zusammen- gesetzte Darstellang mit dem Kurfürsten links, Luther rechts, der Taufe in der Mitte; vollständig erhalten anscheinend nur in London, vgl. Dodgson, Catalogue of Early German and Flemish woodouts ... in the British Museum II S. 841 nr, 10; das Mittelstück allein im Kupferstichkabinett in Dresden; zweifellose Arbeit Lukas Crapach d. J.

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Daß aber auch ganz speziell theologisch-historische Zu- sammenhänge mit dem Bildmaterial gegeben sind, bzw. daß derartige Probleme von diesem aus und mit Beihilfe der Kunstgeschichte gefördert werden können, zeigen mannig- faltige Beispiele. Von größter Wichtigkeit erweist sich hier die Auffindung des als verschollen gegoltenen großen Holz- schnitts mit Himmel- und Höllenwagen des Karl- stadt?!) (Liefg. XIII), dessen Zuweisung an den älteren: Cranach in Uebereinstimmung mit den historischen Quellen: sich ergibt. Die aus stilistischen Beobachtungen folgernde Er- kenntnis, daß auch der Holzschnitt mit den drei Hirschen unfer einer Scherzurkunde (Liefg. XII) von Lukas Cranach d. A. herrühren müsse, dürfte das Blatt, das somit. Lutbers engstem Freundeskreis nahesteht, besonderer Be- achtung empfehlen. Geisberg nimmmt an, daß Kurfürst Johann Friedrich es den in Regensburg auf dem Reichstag versammelten Fürsten habe zusenden lassen. Der Text, der dureh einen auBerordentlich frischen Ton ausgezeichnet ist, humorvoll, ohne polemische Bitternis und Heftigkeit, sollte: einmal auf seine Zusammenhänge mit Luther untersucht werden..

Vom jüngeren Cranach ist die große Darstellung des Abendmahles der Evangelischen und des Höllen- sturzes der Papisten gegeben (Liefg. IX), die außer dem pathetischen Bildnis Luthers auf der Kanzel noch manche andere Bildnisse aufweisen dürfte. Zusammen mit dem der Cranach-Werkstatt wohl eng verbundenen Monogrammisten MS, dem Illustrator der ersten Gesamtbibelausgabe Luthers von 1534, gibt Lucas d. J. die Söhne des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen im Gebet?) neben einer Land- schaft, tiber der Gottvater und Christus thronen, die Taube des hl. Geistes aussendend. Auffällig ist hier eine mit dem Boden eng zusammengewachsene monstrüse kleine Figur, die den in einen Huf endigenden linken Arm auf dem Rücken:

! Vgl. H. Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt (Leipzig 1905) Bd. I S. 146 und 464,

) Geisbergs zeitliche Ansetzung „um 1555“ scheint mir um. ea, fünf Jahre zu spät. Es ist doch wohl anzunehmen, daß die Dar- stellung vor die Rückkehr des Kurfürsten aus der Gefangenschaft (1552) fallt. Leider gibt das Gebet, das dem einzigen in Nürnberg erhaltenen Exemplar eines frühen Drucks fehlt, aber in einem späten Abdruck mit der Adresse des Briefmalers Wilhelm Pfuel in Magdeburg bekannt ist, keinerlei Anhalt zur Datierung. Indessen stimmt die Darstellung bezüglich des Alters der Söhne am besten wohl etwa zum Jahre 1550, in dem der jüngste, hier noch völlig als Knabe gebildete, 12 Jahre, die älteren 21 und 20 Jahre alt waren.

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hält: Zusammenhänge mit der Gestalt des ,Papstesels* er- scheinen hier noch rege. Die eigenartige Landschaft er- möglicht es, durch Vergleich der tibereinstimmenden Baum- zeichnung auch eine große historische (bei Geisberg noch nicht vertretene) Darstellung für den Monogrammisten MS in Anspruch zu nehmen: das Feldlager Karls V. in Witten- berg 15471). Der Monogrammist MS erweist sich fernerhin als wichtigster Zeichner später lutherischer Kampfbilder. Neben dem großen Spottwappen des Papstes (Liefg. VI) das Geisberg ihm zuwies, ist auch die Folge der „Abbildung des Papsttums“ ihm zu geben?), bei deren Beurteilung die kunsthistorische Stilkritik gegenüber ein- seitiger Auswertung mehrdeutigen urkundlichen Quellen- materials bedeutsam ins Gewicht fällt. Eine unveröffentlichte, bisher anscheinend unbeschriebene große Darstellung“) des Papsttums als Antichristentums schließt sich als Arbeit des gleichen Meisters sowie inhaltlich eng an. Ihr zugehöriges Gegenstück, das Luthertum als wahre Religion Christi, in- dessen ist einem anderen, aus der Cranach-Werkstatt hervor- gegangenen Zeichner zuzuweisen: dem Monogrammisten BP. Dieser tritt auch durch Geisbergs Veröffentlichung erstmalig bemerkenswert mit polemischen Darstellungen in den Vordergrund.

Seine große „Vergleichung Francisci mit Christo“ geht auf des streitbaren Matthias Flac ius Illyricus Anregung zurück, dessen bei Preger nicht ver- zeichneter beigegebener Text „An D. Klingen Munch 2zu Erffurd“ für die Literatur des Interim einen wichtigen Bei- trag bildet. Daß ein so hervorragender Streiter in geistigen Kämpfen wie Flacius sich des Bildes als wirkungsvollen Mittels bediente, ist selbstverständlich: seine Beziehungen in dieser Richtung verdienten wohl einmal speziellere Unter- suchungen. So läßt z. B. die Wiederbenutzung von Holz- schnitten aus der oben erwähnten Folge von Luthers „Ab- bildung des Papsttums“ in seinen Schriften der Vermutung Raum, daß von den zahlreichen Ausgaben dieser Blätter‘) ein Teil in Magdeburg auf des Flacius Anregung um 1550

1) Abbildung auf Tafel 18 bei Isak Collijn, Magnus Gabriel de Ia Gardie's Samling af Äldre stadsvyer och Historiska planscher i küngl. Biblioteket (Stockholm 1916), vgl. S. 64 Nr. 180. Eine Kopie in Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 76 1885.

) Vgl. Mitteil. d. Gesellschaft f, vervielfält. Kunst 1925, Heft 4.

3) In Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 707 115.

) Vgl. Grisar-Heege „Luthers Kampfbilder“ IV (Freiburg 1923) und a. a. O. wie Anm. 2.

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wiederum erschienen sei. Das Spottbild auf das Interim (Liefg. X), ebenfalls vom Monogrammisten BP, schließt sich der „Vergleichung“ eng an und läßt infolge- dessen aueh auf Flacius als geistigen Urheber schließen: die Durehführung der zugrundeliegenden Idee indessen ist klarer und besser ausgestalte in einer aus vier Blüttern zusammengesetzten ähnlichen Darstellung, die Joh. Wolf!) veröffentlichte, dort wiederum ist aber die künstlerische Ausführung geringer, so daß es fraglich bleibt, welcher der beiden Fassungen die Priorität zukommt. Der dreiköpfige Drache ?) der ersterwähnten findet sich ziemlich getreu kopiert in einem Holzschnitt, 64:69 mm, auf dem Titelblatt eines auf Magdeburg zu bestimmenden Druckes?), am Pulte eines Magisters mit Eselskopf stehend, mit Bezug auf das an erster Stelle stehende Lied „von Grickel Interim“.

Aus der Frühzeit der Reformation finden sich in Geis- bergs Werk polemische Darstellungen, die durch Zuweisung an den Zeichner, den Monogrammisten H, anscheinend nach Erfurt deuten: Luther führt die Christgläubigen aus der Finsternis (Liefg. X), als höchst eindringliche Illustration einer ganzen Gedichtreihe von 1524, und Gegen- überstellung des Glaubens der alten und der neuen Kirche (Liefg. XI), als Beigabe der Flugschrift vom Gespräch zwischen Christen und Juden, deren Druck dem in Erfurt und Jena tätigen Michel Buchfürer zu- geschrieben wird *).

In Stiddeutschland kommt in erster Linie Sebald Beham als Vertreter der theologisch-polemischen Richtung in Frage. Von ihm liegt (Liefg. X) neben der Illustration zu Hans Sachs Luther und die Handwerker, ein auBer-

1) Zentralbl. f. Bibliothekswesen 42 Jg., 1925.

2) Ein solcher dreiköpfiger Drache findet sich z. B. auch auf dem Stich Peter Gottlands Pass. IV, S. 57, Nr. 7, mit der Stadt Magdeburg im Hintergrunde.

3) F. Hülge „Beiträge zur Geschichte der Buchdruckerkunst in Magdeburg“, in Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg. 17. Jahrg. (1882) Nr. 296.

*) Die ausschlaggebende Bedeutung originalgroßer Wiedergaben habe ich selbst an diesem Blatt erfahren. Nach der stark ver- kleinerten Reproduktion in Hirths „Kulturgeschichtlichem Bilderbuch‘ 8. 308, hatte ich geglaubt, einen besonderen Meister darin erkennen zu müssen (vgl meine „Beiträge zur Bibelillustration des 16. Jahr- hunderts“, Straßburg 1924); erst die Kenntnis des Geisbergschen Faksimiledrucks lie8 mich zweifellos die Hand des Monogrammisten H erkennen,

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ordentlich wichtiges, bisher unbekanntes großes Blatt vor, der Sturz des Papsttums, mit Spruch und Gedicht- beigaben. Neben Beham aber tritt als neuerfaßte bedeut- same Erscheinung Heinrich Satrapitanus Pictor, der als Verfasser einer Reihe religiöser Schriftchen in der reformatorischen Bewegung Augsburgs eine Rolle spielt und aus seiner späteren Straßburger Zeit als Heinrich Vogt- herr d. a. kunstgeschichtlich wohlbekannt ist!) Geisberg gelang der Nachweis, daß der Monogrammist HS mit dem Kreuz, der Anfangs in Leipzig, dann in Augsburg tätig war, mit ihm identisch sei und somit kommt dessen Werk er- höhtes Interesse zu: die in Aussicht stehende kunstgeschicht- liche und bibliographische Bearbeitung der Flugschriften- Ausgaben mit Holzschnitten des an den geistigen Kämpfen selbst so rege beteiligten Satrapitanus dürfte auch für die Reformationsgeschichte ihre besondere Bedeutung haben. Den Beleg des Nachweises bildet ein großes bisher unbe- schriebenes Blatt, der Stammbaum des Glaubens (Liefg. X), mit voller Bezeichnung, 1524 in Augsburg von Heinrieh Steiner gedruckt, stilistisch eng mit dem Werke des Monogrammisten verknüpft, inhaltlich eine Manifestation des allein vor Gott rechtfertigenden Glaubens, mit einer Fülle darauf bezogener Bibelstellen.

Schon einen Uebergang zur Buchillustration bildet der große Tafeldruck einer Vaterunser-Äus- legung mit acht Illustrationen Lukas Cranach d. A. (Liefg. IX), der, ein Unikum, leider nur in einem zerschnittenen Exemplar erhalten ist. Ueber diese, für die Katechismus- Forschung höchst wichtige bisher unbekannte Ausgabe, berichtete Geisberg bereits im Burlington Magazine Bd. XLIII (August 1923). Es handelt sich hier um die von Cohrs Melanchthon (1527) zugeschriebene Fassung, die nach ihm in Rhaus „Büchlein für die Laien und Kinder* 1529 sich findet, nach Albrecht aber auch schon 1528 in Luthers „Betbüchlein“ in Erfurt bei Melchior Sachse mit abgedruckt ist. Cohrs' Annahme des Sachverhalts zur Entstehungs- geschichte von Melanchthons Katechismusentwürfen, die in den von Geisberg nicht angeführten Suppl. Melanchth. 5. Abt. I S. XXVI—XXVII am besten zusammengefaßt ist, verschiebt sich demnach um etwas, Wie Geisberg betont, ist der Tafel- druck aus von ähnlichen Fällen abgeleiteten Wahrschein- lichkeitsgründen vor die Buchausgaben zu setzen, und da die Rhausche bereits im Oktober 1527 von Roth in Angriff

) Vgl. F. Roth „Augsburgs Beformationsgeschichte“ (1901) S. 44, Anm. 122.

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genommen war!) so muß er vor diesem Zeitpunkt bereits vorgelegen haben, mithin also auch vor der Spalatinschen Aufforderung an Melanchthon. Letzterer Annahme dürfte auch nichts im Wege stehen, da die kurze Anslegung für Spalatins Zwecke als zu knappe Fassung nicht in Betracht kommen, also unerwähnt bleiben konnte; vielleicht aber mag gerade sie den Anlaß gegeben haben, daß Spalatin sich überhaupt an Melanchthon wandte. Es ist nunmehr auch nicht mehr müglich, in dieser Fassung einen ersten, dann verworfenen Entwurf auf Spalatins Aufforderung hin zu sehen, den Melanchthon dann an Roth für Rhau weitergegeben habe, sondern bei Rhau wie bei Sachse ist einfach Nachdruck des Tafeldrucks anzunehmen. Die Rhau'sche Briefstelle vom 30. Oktober 1528 paßt zwanglos zu der im Tafeldruck vor- liegenden kurzen Fassung und zu dem Plan der größeren Katechismusarbeit Melanchthons. Geisberg glaubt den Druck der Einblattausgabe Schirlentz zuweisen zu sollen, da Rhau späterhin zu Luthers Katechismus nicht diese Stöcke, sondern Kopien verwendet hat, Schirlentz aber im kleinen Catechis- mus Kopien direkt nach den Originalen briugt. Der Grund dieser Zuweisung erscheint aber doch wohl nicht zwingend. Der wichtige Hinweis, daß Schirlentz' kleiner Katechismus in den Illustrationen zum Vaterunser nicht in einem Abhängig- keitsverhültnis zum großen Katechismus steht, dürfte indessen für die bisher unentschiedene Frage der Priorität betreffs der ersten illustrierten Buchausgabe eines Lutherschen Catechis- mus sehr zugunsten des kleinen ins Gewicht fallen. Die Frage liegt aber nahe, warum Schirlentz, wenn er denn im Besitz von so gutem Illustrationsmaterial wie der Cranachschen Vater- unser-Folge gewesen sein sollte, nicht statt des Sedezformats Oktav, wie später auch, wählte, um dieses anwenden zu können. Hinzu kommt, daß Schirlentz’ Folge überhaupt von Rhau stammt (vgl. S. 111) und daß in ihr nicht nur die Vaterunser-Folge Cranachs, sondern auch die der zehn Gebote kopiert ist. Letztere findet sich nun aber in den Originalen bei G. Rhau, sowohl in Melanchthons Katechismusfragment?) als in Luthers großem Katechismus, doch ist bestimmt vorauszusetzen, daß

1) Die Identifizierung von Roths „Betbüchlein“ mit dem „Büchlein für die Laien und Kinder“, die Cohrs annimmt, ist doch wohl trotz der Einwände Buchwalds (Archiv f, Gesch. d. deutschen Buchhandels XIX, 8, 881.) als die wahrscheinlichste Hypothese aufrecht zu erhalten.

9) Suppl. Melanchth. 5. Abt. 1 S. CXXXIII (1), Die Titel- tinfassung mit bogentragenden Säulen auf Platte mit aufgeschlagenem Buch und Früchten, eine Kopie nach L. Cranach d. Ä. (vgl. a. a. O. wie Anm. 4 auf S. 107, S. 86 in Anm. 18), weist den Druck zweifellos G. Rhau

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auch sie schon zur Herstellung von Tafeldruckausgaben verwendet wurde. Vergleicht man nämlich die beiden Cranachschen Originalfolgen, die in Entwurf und zeichnerischer Durchführung so eng zusammengehörig sich darstellen, daß schon deshalb eine zeitliche (und örtliche) Trennung nicht möglich erscheint, so zeigt sich eine auffällige Verschieden- heit nur der Breitenmaße, bei völliger Uebereinstimmung der Höhenmaße. Während nämlich die Vaterunser-Holzschnitte 91—93 mm in der Breite messen, haben die der Gebote nur 75—76 mm Breite: das ist aber nur so zu erklären, daß von vornherein für beide Folgen gleichmäßige Verwendung zu Tafeldrucken ins Auge gefaßt war, für die im ersten Fall je vier auf eine Reihe nebeneinander gestellt werden mußten, im zweiten Falle aber je fünf. Somit ist anzunehmen, dab der Kopist!) der Schirlentz-Folge die früher erschienenen Tafeldruckausgaben benutzt habe; für die drei Holzschnitte seiner Folge (Christus am Kreuz, Taufhandlung, Einsetzung und Austeilung des hl. Abendmahls), die auferhalb der Cranachschen Folgen fallen, sind noch keine Vorbilder nach- gewiesen, was wiederum aufs entschiedendste gegen jede Benutzung des großen Katechismus spricht. Da aber die Gebote-Stöcke Rhaus?) als ursprüngliche Tafeldruck-Illu- strationen anzusehen sind, liegt die Annahme, Rhau sei auch der Drucker der Tafeldrucke gewesen, denen sie dienten, doch wohl am nächsten und anschließend daran die Folgerung, daß auch die eng zugehörigen Vaterunser-Stöcke in seiner Hand und deren Ausgaben seine Werke waren: daß die einzige bisher nachgewiesene Wiederverwendung eines dieser Stöcke?) gerade bei ihm und nicht etwa bei Schirlentz stattfindet, dürfte bei dem übrigen Befund nun auch zwingend für ihn sprechen. Daß in Luthers Katechismus bei Rhau nur zu den Geboten die Cranach-Originale, zum Vaterunser aber Copien benutzt wurden, läßt vielleicht lediglich darauf schließen, daß die Stöcke wohl Schaden erlitten hatten. Die Stelle in Rhaus Brief vom 10. Februar 1528, in der er be-

zu; sie ist dieselbe, die Rhau u.a. 1529 und 1581 für die Oktar- ausgaben von Luthers großem Katechismus verwendete.

1) Vgl. Anm. 2 auf S, 111.

*) Der Holzschnitt zum dritten Gebote findet sich in den Buch- ausgaben nur in einem zweiten Zustande, in dem ein Kruzifix heraus- geschnitten ist; auf der Mauer sind noch die flatternden Enden der Lendentücher za erkennen.

*) In der niederdeutschen Ausgabe von Luthers großem Kate- chismus 1529 (Weimarer Lutherausgabe Bd. 801, S. 504 k), fol. LXIX v, Anrede zum Vaterunser.

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richtet, daß er die Figuren zu seinem Betbüchlein jetzt schneiden lasse, wäre bei der Gleichstellung von diesem mit dem „Büchlein für die Laien und Kinder“ etwa auf die kleine Folge, ca. 57:50 mm, zu beziehen, doch ergeben sich dabei einige Schwierigkeiten !); wahrscheinlicher noch ist aber anzunehmen, daß die Arbeit in einer Umarbeitung der Cranachvorlagen für Sedezformat bestand und zunächst stecken blieb, da sich die Möglichkeit der Benutzung der anderen schon vorhandenen kleinen Folge ergab: das Büchlein enthält näm- lich bereits zwei Holzschnitte?) der Folge, die sich dann bei Schirlentz zur Illustration des kleinen Katechismus findet. Die Auffindung der vollständigen Originalfolge zum Vaterunser erweist sich aber noch für eine weitere von Cohrs (Suppl. Melanchth. 5. Abt. I S. CXIII ff.) behandelte Frage betreffs der Katecbismusillustrationen als bedeutungs- voll im Zusammenhang mit stilkritischen Erwägungen, die hier wiederum aufschlußreich die historische Erkenntnis unterstützen. Cohrs knüpft an das in Melanchthons Kate- chismus von 1549 (bzw. 1554) erscheinende Bild zur dritten Bitte an, das statt der in Luthers Katechismen an gleicher Stelle gegebenen Kreuztragung eine Gerichts- und eine Schulszene darstellt in Uebereinstimmung mit Melanchthons besonderer Auslegung der vierziger Jahre. Cohrs glaubt, daß dieses Bild das ursprüngliche zu Melanchthons geplantem und begonnenem großem Katechismus (vgl. S. 109 Anm. 2) gewesen sei. Für diesen wurde, wie erwähnt, für die zehn Gebote die Cranach-Folge benutzt, die, wie oben nachgewiesen, für die ursprünglichen Tafeldrucke hergestellt worden war. Es

) Ein Holzschnitt der gleichen Hand mit der Ueberreichung des Uriasbriefes, der auch den Maßen nach zu der im „Büchlein für die Laien und Kinder“ verwendeten Folge zu gehören scheint, findet sich bereits in der wohl 1527 anzusetzenden niederdeutschen Ausgabe von Luthers Antwort auf des Königs zu England Lästerschrift Titel (Weimarer Lutherausgabe Bd. 23 S. 24 F), die nach den auf dem Titelblatt verwendeten Zierleisten, ebenfalls vom „Meister des Urias- briefes", (eine davon bei J. Luther, Die Titeleinf. d. Ref. zeit, Tafel 50), Georg Rhau zuzuschreiben ist. Der Holzschnitt mit dem König Manasse findet sich auch in einer Oktavausgabe, anscheinend von 1528, von Brunfels: Precationes biblicae, die nach der Titeleinfassang mit Monogramm Nickel Schirlentz zuzuweisen ist.

*) Gottvater als Weltschöpfer und Ausgießung des hl. Geistes; 18 Bll. der Folge sind gegenseitig nach Lukas Cranach d. Ä. Folgen kopiert und zwar ist die ganze Folge dem Monogrammisten A. W. zuzu- schreiben, wie ein Vergleich mit dessen erster neutestamentlicher Folge nach Lemberger lehrt (vgl. tiber diese a. a. O. wie Anm. 4 auf S. 107, S. 38).

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ist wohl anzunehmen, daB die entsprechende Vaterunser- Folge sioh anschließen sollte. Diese zeigt aber mit dem Bilde der Kreuztragung zur dritten Bitte sich in voller Uebereinstimmung mit den früheren Melanchthonschen Aus- legungen, zu deren einer ja denn auch die ganze Folge her- gestellt erscheint. Die Zurückführung der dann ferner in Luthers Katechismus gegebenen Bilderauswahl zum ganzen Vaterunser auch (wie zu den zehn Geboten) auf Melanchthon besteht also völlig zu Recht und es braucht dazu nicht mehr als eines Gliedes in der Beweiskette des von Cohrs heran- gezogenen abweichenden Bildes zur dritten Bitte. Dieses nämlich scheidet zudem aus stilistischen Gründen für die Jahre 1528/29 völlig aus. Es ist weder der Folge Lukas Cranach d. A. noch der Kopienfolge!) anzufügen, sondern weist entschieden in Entwurf, Gesamthaltung und Typen auf Lukas Cranach d. J., wenn auch vielleicht die Ausführung nicht eigenhändig sein sollte*). Die Tätigkeit des jüngeren, 1515 geborenen Cranach, ist aber nicht vor Anfang, gegen Mitte der dreißiger Jahre anzunehmen und nachweisbar. Vermutlich verdankt daher dieses einzelne Blatt erst einem Sonderauftrag der vierziger Jahre seine Entstehung. Ueber die weiteren, von Cohrs erwähnten Illustrationen des Kate- chismus von 1549, die im beigefügten Faksimiledruck der Ausgabe von 1554 a. a. O. S. 423 ff, abgebildet sind, wäre zu bemerken: Christus, seine Jünger lehrend, ist aus der kleinen, im „Büchlein für die Laien und Kinder“ verwendeten Folge des Meister des Uriasbriefes, entnommen (vgl. oben); die Holzschnitte von fol. (B ) fol. C^ v gehören zu einer einheitlichen Folge des Monogrammisten A W, von der Blätter bereits in den dreißiger Jahren bei Georg Rhau verwendet sind und die insbesondere dann zur Ausstattung der Spangen- bergschen Bearbeitung von Luthers großem Katechismus gedient hat, u. a. auch in Rhaus Hortulus animae auftritt); die Darstellung des jüngsten Gerichts auf fol. (C5) entstammt Lukas Cranach d. A. Folge zum Andachtsbichlein des Adam von Fulda 1512; der harfespielende Engel fol. (D?)v ist nicht von Cranach, sondern dürfte eher Hans Brosamer zu- zuschreiben sein.

!) Diese ist dem als ,Meister der Jakobsleiter^ im Gefolge Lem- bergers nachgewiesenen Holzschnittzeichner zuzuweisen; vgl, a. a. O. wie Anm, 4 auf S. 107, S. 36.

) Die ungeschickte Ohrenzeichnung insbesondere könnte eher an den aus der Cranachwerkstatt hervorgegangenen Monogrammisten BP denken lassen, vgl. über diesen weiter oben,

) Vgl. a. a. O. wie Anm. 4 auf S. 107, S. 41f.

Die Crotus-Legende und die

deutschen Triaden. Von Paul Talkoff.

Indem die romantische Auffassung Huttens als eines Vorkämpfers der Reformation widerlegt wurde!), ergaben sich auch manche Beobachtungen zur Lebensgeschichte, lite- rarischen Tätigkeit und kirchenpolitischen Stellungnahme seines Lehrers und Freundes Johannes Crotus Rubianus. Sie betreffen vor allem die beiden vermeintlichen Höhepunkte seines geschichtlichen Wirkens, die „Verschwörung“ mit Hutten in Bamberg (Ostern 1520) zu der „ungeheuern Revolutionsbewegung“, deren Führung dann Luther „an sich reißt“, und sein Rektorat in Erfurt (1520/21), unter dem „der Humanismus den vollendetsten Sieg feierte“. Die erstere Erfindung F. W. Kampschultes in seinem vielgepriesenen historischen Roman von „der Universität Erfurt in ihrem Ver- hältnis zu dem Humanismus und der Reformation“ (1858. 60) wurde, abgesehen von den katholischen Geschichtschreibern, besonders von dem Pädagogen Fr. Paulsen gläubig Über- nommen“). Die zweite wurde auch von den Kennern der akademischen Geschichte Erfurts und des dortigen Huma- nismus, von W. Oergel und G. Bauch, auf Grund gediegener quellenkritischer Forschung vertreten). Ferner wurde dem durchaus nicht besonders schreiblustigen, eher quietistisch zurückhaltenden Crotus von W. Brecht“) eine ganze Reihe satirischer Schriften zugewiesen, von denen mehrere der lateinischen neuerdings mit gutem Grunde für den schrift- gewandten und überzeugten Straßburger Erasmianer und

1) In dem Gesamtwerk „Ulrich von Hntten und seine Umwelt“: I. Huttens Vagantenzeit und Untergang. Weimar 1995; II. U. v. Hutten und die Reformation. Leipzig 1920; weiter angeführt mit HR.

) Vgl das Vorwort zu meiner Arbeit über „Humanismus und Reformation in Erfurt“. Halle 1926, weiter angeführt mit HRE.

5) Näheres in der Einleitung zu dieser Untersuchung.

4) Die Verfasser der „epistolae obscurorum virorum". Straß- burg 1904, S, 152— 236.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 1/3. 8

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Lutheraner Nikolaus Gerbel in Anspruch genommen worden sind 1). Von vornherein aber ist es undenkbar, daß ein Humanist der strengsten Observanz wie Crotus die deutschen Triaden verfaßt haben sollte“), die Hutten stark umformen mußte, um sie seiner „Trias Romana“ zugrunde zu legen, und die bei ihrer Unbeholfenheit, ihrer teilweisen Harm- losigkeit und volkstümlichen Lehrhaftigkeit sich mit dem wohl begründeten Rufe des Crotus als eines witzigen Kopfes nicht vertragen.

Schon eine genauere Kenntnis der Umwelt des Crotus- während der Entstehung seines Meisterwerkes, des ersten Teils der „Briefe unberühmter Männer“, gestattet einige Linien in diesem ersten Abschnitt seines Lebens deutlicher zu ziehen *). Brecht hatte es abgelehnt, sich mit dem Quellen- wert dieser Satire zu beschäftigen, zu fragen, inwiefern wohl „die Pfaffen der Eov.ihren wirklichen Urbildern entsprechen“ *). Nun hat sich gezeigt, daß diese unter den „Fuldaer Mönchen“ zu suchen sind; doch darf man bei diesem Ehrentitel nicht. an die wenigen Benediktiner niederer Herkunft denken, die dort noch für Kirehendienst und Seelsorge gehalten wurden, sondern an die adligen Kapitelherrn und Prüpste, deren Küchenlatein noch in der Chronik des Apollo von Vilbel, des zeitweiligen Dechanten, zu uns spricht und an deren Spitze ein skrupelloser Machthaber stand, wie er rüube- rischer und gewalttütiger unter den Kurtisanen Huttens nicht gedacht werden kann. Der arme Crotus, der hier als Lehrer der Klosterschule einen Unterschlupf fand und später mit einer kleinen Priesterstelle, einer Vikarie, entlohnt wurde, durfte die ritterliche Herkunft seiner ausschweifenden und unwissenden Pfaffen nicht ahnen lassen, so wenig er bei

1) P. Merker, Der Verfasser des „Eccius dedolatus' und anderer Reformationsdialoge. Halle 1923. Daß die „dialogi septem festive candidi“ des „Abydenus Corallus“ und die „oratio pro Hutteno et Luthero" von Gerbel herrühren, habe ich in der D. Lit. Z. 1996, Sp. 718ff. anerkannt und auch dem Widerspruch O. Clemens gegen- über in einer „Mitteilung zur Auflösung der Hutten-Legende“ in der Theol. Lit. Z. 1926, Sp. 166f. aufrecht erhalten, wobei jedoch auch bei Merker eine zu weit bemessene literarische Betütigung Gerbels ab- gelehnt werden mußte.

*) Brecht S. 165f. nach dem Vorgange von D. Fr. Strauss und E. Böcking unter Berufung auf die Dissertation von Julius Freund, Huttens Vadiscus und seine Quelle. Marburg 1899. .

7) Vgl. Kalkoff, Die Reichsabtei Fulda am Vorabend der Refor- mation. ARG. XXII, 210ff. und Vagantenzeit, Kap. II u. III.

4) Vagantenzeit S. 107 Anm. 2.

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ihrer Versetzung in die akademische Welt und ihren Anhang die räuberischen Neigungen dieser Abkömmlinge der bucho- nischen Ritterschaft brauchen konnte. Auch bezog er ge- rade von den adligen Schülern, den Anwärtern auf jene Prälatenstellen, einen Teil seiner schmalen Einkünfte. Und wenn er sich auf einige Zeit dieser Frone entziehen wollte, war er als Priester auf den Urlaub des Abtes oder des mitregierenden Kapitels angewiesen; seinen Unterhalt ge- wann er dann regelmäßig als Erzieher junger Edelleute, die er auf die Universitäten begleitete, wie 1508 zwei Grafen von Henneberg, Domherrn von Köln und Straßburg, nach Erfurt oder 1517 zwei angehende Chorherren von Bamberg aus dem fränkischen Geschlechte der Fuchs nach Bologna. So ist unter Ausschaltung des Märchens von Ulrich von Huttens „Flucht aus dem Kloster“ auch sein Verhältnis zu dessen Familie aufzufassen, wie es auch seinem Briefe an den vagierenden Junker über eine vertrauliche Unterredung mit dessen Vater (1511) zugrunde liegt. Der unbändige Jüngling hatte das Haus eines befreundeten Fuldaer Prä- laten, bei dem er untergebracht war, wohl eines der beiden Herrn von Mörlau, der Brüder des berüchtigten Raubritters Hektor, eigenmächtig verlassen (1505), und nun schickte man ihm drei Wochen später seinen Landsmann Crotus als Mentor nach. Nur mußten sie beide infolge der Verweisung des Wildlings von der Kölner Hochschule bald nach Erfurt übersiedeln, wo Crotus seine Ausbildung im Gebrauch der lateinischen Sprache zunächst mit gutem Erfolg betrieb („praefuit“). Als sein Zögling auch hier genötigt wurde, sich einen anderen Tummelplatz seiner Launen und Leiden- schaften zu suchen, verzichtete Crotus darauf, ihm im Herbst 1506 nach Frankfurt a. O. zu folgen. Er schloß vielmehr 1507 seine Studien in Erfurt, wo er schon 1500 Bacea- laureus geworden war, mit der Magisterprüfung ab, wie er später Italien nicht verließ, ohne (1519) den Titel eines Doktors der Theologie in Bologna erworben zu haben. Gleichzeitig führte er sich in die literarische Welt ein durch ein Gedicht auf die Universität Erfurt, dem 1509 sein „Bucolicon“ folgte!) Diese harmlose Schriftstellerei stellte er jedoch ein, als er 1510 sein Lehramt in Fulda angetreten

1) Vgl. etwa die literarischen und biographischen Angaben bei G. Bauch, Die Universität Erfurt im Zeitalter des Frühumanismus. Breslau 1904. S. 147f. Die Arbeit E. Einerts (Jena 1883) ist ver- altet; sie verfolgt das Leben des „Joh. Jäger aus Dornheim“ auch nur bis zum Empfang Luthers in Erfurt. Dasselbe gilt von dem Artikel in der Allgem. D. Biogr. VI (1876), 61211, von A. Horawitz. g*

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hatte, wo es freilich schier unmöglich war, keine Satiren zu schreiben. Und von den „fast analphabetischen Idioten“ des ritterschaftlichen Kapitels unterschied sich der Koad- jutor und spätere Abt Harimann, Burggraf von Kirchberg, keineswegs durch müzenatische Neigungen. Der hochmiitige, genußstchtige Jurist bediente sich des Crotus gelegentlich beim Besuch eines Reichstags als lateinischen Sekretärs !) ; im übrigen bot auch sein Betragen so viele Blößen, daß Mutianus Rufus seinen jüngeren Freund davor warnen mußte, vor allem die Konkubine seines Gönners nicht zu reizen, ihn selbst aber tunlichst zu verherrlichen, da er ihm nützen könne. Bei seinem verhaltenen Ingrimm über die Fuldaer Zustände hat Crotus dies jedoch nicht über sich gewonnen. Wohl aber bereitete er im stillen seine literarische Rache an der rohen, übermtütigen Sippschaft dieser Scheinmönche vor, indem er emsig die komischen Aeußerungen und an- stößigen Vorkommnisse ihres täglichen Lebens sammelte. Den Anlaß, diesen Stoff zur Bekämpfung der Gegner Reuchlins, der Kölner Theologen und ihres Gefolgsmannes aus dem humanistischen Lager, des Ortwin Gratius, zu verwenden, gab die Einbeziehung der Erfurter Universität in den Kreis der Verfolger. Nachdem im August 1513 die theologische Fakultät ihr verwerfendes Gutachten über den „Augen- spiegel“ abgegeben hatte“), richtete Crotus am 25. Ja- nuar 1514 sein Huldigungsschreiben an den Verfasser, dem er mit den Uebertreibungen humanistischer Rhetorik den literarischen Beistand „des ganzen Mutianischen Kreises“ (ordo Mutiani) verhieß gegen jene „schwerfälligen Ochsen“, die mit ihren scholastischen Deduktionen, ihrer spitzfindigen und wütenden Polemik doch nur „Stoff zum Lachen“ ge- liefert hätten ). Für die eigentliche Ausarbeitung der Satire, die Herstellung einer druckfertigen Abschrift dürfte dann die Zeit vom Dezember 1514 bis in das folgende Frühjahr be- sonders günstig gewesen sein, als der Abt Hartmann sich als Gesandter des Mainzer Domkapitels in Erfurt aufhielt,

1) Vgl. Vagantenzeit S. 106. ARG. XXII, 221. Besonders kommt der Reichstag von Köln in Betracht (Juli—August 1512) (H. Ulmann, Kaiser Maximilian I. Stuttgart 1891. II, 549. 568) nnd der Kongreß von Wien in der zweiten Hälfte des Juli 1515 (Bauch, S. 148, Anm. 3).

2) HRE. S. 19.

3) E. Bócking, Opera Ulrici Hutteni, Suppl. I, 28 sq., auch bei Alois Bómer, Epistolae obseurorum virorum. Heidelberg 1914. I, 77f. Als Jahr der Abfassung kann in diesem Zusammenhange unbedenklich 1514 angenommen werden,

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um den letzten Versuch zur Aufrechterhaltung der erz- bisehóflichen Landeshoheit in der Hauptstadt Thüringens durchzuführen ). Der Sommer verging dann über dem Suchen nach einer zuverlässigen Druckerei, wo im strengsten Geheim- nis die Veröffentlichung der Flugschrift vorbereitet werden könnte. Die triumphierende Ankündigung des soeben bei Heinrich Gran in Hagenau vollendeten Druckes, die dessen Korrektor Wolfgang Angst am 19. Oktober 1515 an Erasmus richtete), deutet darauf hin, daß Hutten dabei von Mainz aus die Hand im Spiele hatte. Denn dieser war mit Angst von Frankfurt a. O. her befreundet und übernahm später die höfische Einführung seiner Livius-Ausgabe bei dem Kardinal-Erzbischof®, Auch wurde die sichere Versendung nach dieser Richtung hin durch den regen Verkehr des Abtes mit der Mainzer Regierung erleichtert, während Erfurt zu nahe gelegen und Crotus dort zu gut bekannt war.

Und so ist auch der Schluß jenes Schreibens an Reuch- lin nicht so zu deuten, als ob Crotus bereit gewesen wäre, „von Fulda nach Erfurt zu ziehen und sich dort an die Spitze der Truppen zu stellen“ ). Denn diese waren dort einfach nicht vorhanden, so wenig als „die geheime Satiren- werkstatt“), die von dem Chorherren Mutianus im nahen Gotha geleitet worden sein soll. Schon das erste Zeugnis, das für ihre Tätigkeit und die Mitarbeit des Crotus angeführt wird, ist hinfällig. Da war bald nach dem Bekanntwerden des am 2. August 1514 gefällten Urteils der Sorbonne über Reuchlins Schrift eine meisterhafte Satire „contra sentimentum Parrhisiense* erschienen, die Mutian am 10. Jan. 1515 an seinen Gönner, den Abt Hartmann, nach Fulda sandte, der in den neunziger Jahren gleichzeitig mit ihm der Universität Erfurt angehört hatte“). Wenn nun Crotus der Verfasser gewesen wäre, hätte er doch wohl persönlich sein Werk dem ihm wohlgesinnten Abte überreicht?) der zwar keines-

1) Vagantenzeit S. 156ff. ARG. XXIII, 280f.

) Über die von Bömer richtig festgelegte Jahreszahl vgl. dessen „Einführung“ S. 133f.

5) Vagantenzeit S. 208—212. Überdies hatte Hutten den von Crotus an die Spitze gestellten Brief über das „prandium magistrale", den Doktorschmaus, verfaßt.

*) Bömer S, 78,

5) Brecht S. 8 fl. Die „hauptsächlichsten auf den Erfurter Humanistenkreis leitenden Spuren“ sind so dürftig und unsicher, daß man für diese Jahre von einer solchen „Sodalität“ oder einem „Mutia- nischen Kreise“ nicht mehr reden kann.

) Bauch S. 117, 196 ff.

1) So Bömer S. 20, 80 Anm.

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wegs ein „Gönner des Erfurter Humanismus und selbst eifriger Humanist“ war!), aber für die juristischen Antithesen der Spottschrift Verständnis haben mußte. Die feinen Züge mimischer Satire, die eine gewisse stilistische Aebnlichkeit mit den Eov. zeigen, helfen jedoch nicht über die Tatsache hinweg, daß die Beweisführung gegen die Pariser Kanonisten sich „in streng juristischer Sprache* bewegt?), deren Crotus nicht mächtig war. Eher könnte man auf den Verdacht kommen, daß der Jurist Mutian selbst der Verfasser war, wenn dies nicht gegen seinen hundertmal beteuerten Ent- schluß verstoßen hätte, nichts zu veröffentlichen: „hie murus aéneus esto!^ pflegte er mit den Worten des Horaz seinen darüber ungehaltenen Freunden zu erklüren?) Aber er hatte gerade in jenen Jahren auBer seiner von Justus Jonas scharf getadelten Ruhseligkeit noch andere triftige Gründe der äußersten Vorsicht. Einmal war schon infolge der durch die siebenjährige Revolution (1509—1516) in Erfurt ent- standenen Schwierigkeiten der Zuzug und lüngere Aufenthalt reiferer Männer zurückgegangen; auch Crotus konnte bei der Blockierung der Stadt durch die ernestinische Ritter- schaft und andere streitbare Gläubiger des tief verschuldeten Gemeinwesens nur schwer dorthin gelangen. Der „Muti- anische Kreis^ war ohnehin seit längerer Zeit zusammen- geschmolzen: Ulrich v. Hutten, der überhaupt nicht zu den Lieblingen des Meisters gehörte‘), ist dort auch nicht als Kommissar des Domkapitels tätig gewesen (1514), sondern sein Vater; der Poet könnte 1518 bei einer kurzen Berufung an den erzbischöflichen Hof nach Halle über Gotha und Erfurt geritten sein; doch hat er sich damals den dortigen Freunden“ nicht vorgestellt. Die tüchtigsten wie Justus Jonas, Georg Spalatin und der Augustiner Joh. Lange standen dem Alten in Gotha längst selbstständig gegentiber; an seinem Lieblingsschtller Herbord von der Marthen, der eben damals von der revolutionüren Partei zum Nachfolger des grausam hingemordeten Syndikus Dr. Bobenzahn erhoben wurde, erlebte weder die Stadt noch Mutian Freude. Sein treuer Korrespondent, der bescheidene Zisterzienser Heinrich

!) Vagantenzeit S. 99,

3) Brecht 8. 153. Crotus hat dann auch in Bologna nicht wie etwa Cochlüus juristische Studien getrieben.

Vgl. den Brief des Justus Jonas vom 19. Juli 1519. G. Krause, Epistolae aliquot selectae virorum doctorum M. Luthero aequalium. Servestae 1883 (Beilage zum Zerbster Programm) Nr. XX, S. 21.

) Vagantenzeit S. 172 fl. HRE. Kap. I.

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Urban‘), kommt für die Oeffentlichkeit kaum in Betracht, and dasselbe gilt beinahe auch für die Eberbachs. Kurz, man hat den Einfluß, den Mutian auf die akademische Welt in Erfurt ausgeübt haben soll, sehr viel niedriger anzuschlagen, als bisher zu geschehen pflegte. Der verhüngnisvollste Um- stand aber war in dieser Hinsicht der Widerspruch in seiner Parteistellung. Wenn er tiber die verbohrten Scholastiker in der theologischen Fakultät, die rückständigen Grammatiker in den Kollegien von Erfurt spottete, so geschah es nur in vertrauten Briefen an seine Freunde oder in der Unter- haltung mit wohlbekannten Besuchern. Im übrigen mußte es in den akademischen Kreisen und darüber hinaus bekannt sein, daß er ein fanatischer Parteigenosse eben dieser Prälaten von St. Maria und St. Severi, der beiden reichen Stiftskirchen, war. Eben diesen aber gehörten die Lektoralpfründen in in der theologischen und juristischen Fakultät; sie walteten als Mitglieder des geistlichen Gerichts und als Inquisitoren und hatten Hand in Hand mit den leitenden Beamten der kurmainzischen Verwaltung die furchtbare Erhebung der niedern Zünfte gegen den patrizischen Stadtrat angestiftet“). Sein umschmeichelter Liebling „Herebordus“ war der Sohn des höchsten weltlichen Beamten am „Mainzer Hofe“, dem Stützpunkt des bischöflichen „Erbherren“ in der Stadt. Der geistliche Verwalter dieser Domäne, der Küchenmeister Nik. Engelmann, der Nachfolger des Bruders Mutians, war sein freigebiger Gönner. Eben diesem Leiter der großen poli- tischen Intrige hat er bei all den blutigen Schandtaten gegen die Opfer des Aufruhrs, die dem kurmainzischen Gericht in Erfurt Überliefert wurden, Beifall gezollt. Aber auch dies geschah nur im Briefwechsel mit seinen Intimen, denn als Chorherr in der ernestinischen Stadt Gotha, der Zuflucht- stätte der Mitglieder des alten Rates und der kursächsisch gesinnten Professoren, durfte er von seiner wahren Gesinnung aichts verlauten lassen. Und das scheint ihm auch leidlich gelungen zu sein, wenn auch das Angebot der Propstei an der Wittenberger Schloßkirche mit einem juristischen Lehr- auftrag nach dem Tode des Dr. Henning Goede (1521), des früheren Syndikus von Erfurt und Kollegen Mutians, nur einen Akt der Höflichkeit bedeutete. Es liegt auf der Hand, daß ein solcher Mann sich der äußersten Zurückhaltung befleißigen mußte, und so stand er auch der Entstehung der Eov. fern.

!) An den auch der von Bómer S. 18 erwähnte Brief von 1514 gerichtet ist, nicht an Urbanus Rhegius (S. 163).

7) Vgl. besonders Vagantenzeit Kap. V: Huttens Vater und Abt Hartmann von Fulda als mainzische Agenten in Erfurt.

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Dabei ergibt sich die wunderliche Ironie, daß der Vorwurf sittlicher Ungebundenbheit, ja Leichtfertigkeit, der gegen den „jüngeren Humanismus“ in besonderer Beziehung auf den „Mutianischen Kreis“ erhoben wird !), abgesehen von jenem ver- räterischen Patriziersohne, nur für Mutianus selbst zutrifft, dem deshalb auch Fr. Paulsen seine „pfäffisch-bumanistische Lüstern- heit“ zum Vorwurf macht)), die sich in einigen seiner vertrau- lichen Briefe hervorwagt. Aber gerade unterden jüngeren Huma- nisten von einiger Bedeutung ist keiner, der an sinnlicher Zügel- losigkeit und literarischer Betätigung dieses Zuges mit den älteren wie Konrad Celtis, Heinrich Bebel, Aestikampian u. a. auf eine Stufe gestellt werden könnte. Auch Ulrich von Hutten, der ja für den Erfurter Kreis ausscheidet, hat sich bei aller Lockerheit seines Privatlebens nur selten in schlüpfrigen Anspielungen ergangen®). Der als Zecher wie als Verseschmied gleich unermüdliche Eobanus Hessus war in seiner Lebensführung ein harmloser Spießbürger, in seinen Dichtungen von schlichter Frömmigkeit, wie schon seine „Heroiden“, Briefe der Heiligen, zeigen. Mutian selbst war trotz gelegentlicher Entgleisungen eine sittlich ernste Natur, die, ohne mit dem Kirchenglauben in Zwiespalt zu geraten, ihre tiefste Befriedigung fand in einer von Giovanni Pico

1) Neuerdings wurde die von Kampschulte und Janssen herrührende Unterscheidung zwischen dem „guten älteren Humanismus“ und dem kirchenfeindlichen jüngeren Geschlecht mit seiner „ätzenden, gehässigen“ Polemik betont von H. Grisar (M. Luthers Leben und sein Werk. Freiburg 1926. 8. 96). Nach ihm war „der Kanonikus Mutian Rufus von Jena (! mit seinen der Kirche entfremdeten Bestrebungen das Haupt der neuen Humanistenkreise". Dieser ,Junghumanismus setzte sich 1515—20 an der Universität mächtig durch“, und aus ihm ging namentlich unter Mitwirkung des leichtfertigen Crotus Rub. „die Angriffsschrift* der Eov. (1515) hervor. Vgl. meine Besprechung in der Unterhaltungsbeilage der Schlesischen Zeitung Nr. 14 vom 16. Februar 1926.

) HRE. Vorwort S. IV.

3) Gegenüber dem Versuch O, Clemens (Theol. Lit. Z. 1985, Sp. 302), die schweren Bedenken gegen Huttens sittliches Leben zu entkräften, kann höchstens zugestanden werden, daß in den späteren Jahren seines bewegten Lebens seine vorherrschende Leidenschaft das Karten- und Würfelspiel war; doch zeigen die derben Aeußerungen über die ita- lienischen Dirnen, die er einen der Obscuri in einem Briefe aus Rom tun läßt. wie vertraut er mit diesen Dingen war (Bömer II, 156f. Eov. II, Nr. 89). Daß er dieses Schreiben gerade aus Bom datierte, war in den dortigen Verhältnissen nur zu gut begründet, wie auch aus den Triaden hervorgeht.

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wie von Erasmus beeinflußten „Philosophie Christi“. Ein derartiger sittlich- religiöser Rationalismus, abseits von aller Mystik, war auch der Grundzug der Weltanschauung des Crotus, so daß man wirklich nicht sagen kann, daß die sitt- liehen Anschauungen dieses Kreises nicht frei von „Leicht- fertigkeit“ waren!) Schärfste Kritik wurde freilich an der Verkommenheit und Unwissenheit der Geistlichen, an den Uebergriffen der Kurie und den Spitzfindigkeiten der scho- lastischen Theologie geübt. Doch hat sich Crotus, der arme Klosterlehrer, damit erst später, gehoben durch das kühne Auftreten seines Jugendfreundes Luther, und auch dann nur unter Hinweis auf das durch ihn erneute evangelische Ideal. der Kirche hervorgewagt. Da er „bis mindestens Juni 1516“ in Fulda geblieben ist“), so hat er auch die immer pein- licher werdenden Verhältnisse, den Streit zwischen dem Abte und dem Kapitel, den Kleinkrieg mit Hessen und Henne- berg, die schließliche Empörung der Landstände ertragen, bis die schmähliche Flucht Hartmanns (9. März 1516) und. die darauf folgende Verwirrung den Aufenthalt ganz un- leidlich machte. Da er dem gestürzten Oberhaupt näher gestanden hatte als den rebellischen Prälaten, mußte er bei der Roheit, mit der die Umgebung Hartmanns behandelt. wurde, froh sein, von den Regenten Urlaub zu erhalten und später auf seine Vikarie zurückkehren zu dürfen®). Von Italien aus soll er nun spätestens zu Anfang des Jahres 1519 jene von ihm verfaßten deutschen Triaden versandt haben, dureh die Hutten zur Abfassung seiner schärfsten gegen den Mißbrauch der päpstlichen Gewalt gerichteten Schrift an- geregt wurde‘).

Die ältere schon von Böcking und Strauß vertretene Auffassung ging dahin, daß auch eine lateinische Fassung dieser satirischen Sprüche von Crotus herrühre. Doch wurde bald nachgewiesen, daß diese nur einen Auszug aus dem ,Vadiseus^ darstellt, was auch von den 50 Triades gilt, die in einer Handschrift den in den Niederlanden ent- standenen „Lamentationes Petri“ angeschlossen sind") Die

1) Bömer I, 76 nach dem Vorgange Kampschultes.

5) Bümer I, 76.

5) Am 11. Juni 1515 schreibt er aus Fulda: „Non licet abesse sscerdotio.“ Böcking III, 548 sq.

) D. Fr. Strauss, Ulrich v. Hutten, hrsg. von O. Clemen. Leipzig 1914. 8. 226: „Die Dreiheiten seines witzigen Freundes reizten ihn.“

5) Abgedruckt von O. Clemen in der ZKG. XIX (1899), 446 fl. Die 45 Sprüche bei Böcking IV, 262 sqq.

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Annahme war verführerisch, daß „hier die Triaden in der Originalform vorliegen, so kurz, präzis und bissig, wie sie der gewandten Feder des Crotus entstrümt waren und Hutten zu jenem Werke inspirierten“. Ganz abgesehen davon, dab die Herkunft der deutschen Sprüche dabei unerklürt bleibt, ist die stillschweigende Voraussetzung durchaus zutreffend, daß ein Humanist wie Crotus einen satirischen Einfall nicht deutsch und auch dann nicht in dieser unbehilflichen Form zu Papier gebracht hätte. Auch rein sprachlich hätte er sich etwas gewandter ausgedrückt, wie die Briefe des alten Raubritters Ulrich von Hutten aus dem Jahre 1514 nicht von seinem literarisch gebildeten Sohne herrühren konnten!), der einige Jahre später die hochdeutsche Schriftsprache mit leidlicher Ausdrucksfähigkeit handhabte.

Auch J. Freund muß in Kapitel III über „den Autor der deutschen Triadensammlung“ von vornherein feststellen, daß in den seiner Meinung nach gegen 1519 entstandenen Sprüchen ein ganz anderer Ton herrscht als in den gleich- zeitigen, ernst und sachlich gehaltenen Briefen des Crotus an Luther?) Gleichwohl klinge eine Stelle des Schreibens vom 16. Oktober 1519 „wie eine gedrängte Inhaltsübersicht der Triadensammlung“: „Deutschland ist blind, so lange es in seinem Irrtum beharrt und seine Gelehrten nicht laut und öffentlich gegen die verderblichen Sitten auftreten, die Rom uns mitteilt, und das arme, unwissende Volk über die römischen Betrügereien aufklären, wenn es bisher so oft unter religiösen Vorwänden beraubt worden ist durch Pallien- gelder, Taxen für Bestätigung der Bischöfe und Türken- steuern®).“ Aber das sind landläufige Klagen, die ebenso wenig eine Beziehung auf die Triaden verraten wie die Mitteilung des Lutheraners Justus Menius in seiner Streit- schrift gegen Crotus, daß dieser, der in Fulda sein Lehrer war, ein strenges Urteil über das kanonische Recht gefällt habe; lächelnd habe er bemerkt, diese Bücher der Romanisten (die Dekretalen und ihre Kommentare) seien nicht wert, den Mauleseln der Kardinüle als Streu hingeworfen zu

1) Vagantenzeit S. 141f. Ein großer Teil der Übersetzungen seiner besten lateinischen Werke rührt dabei von Martin Butzer her.

2) Vgl. meine Erläuterung in ZKG. XXV, 432 fl. und Brecht B. 183f. Daß Crotus bei kurzem Aufenthalt in Rom so intime Ein- blicke in die Denkweise der päpstlichen Umgebung tun konnte, er- klärt sich aus seiner Einführung durch einen seit 20 Jahren in einem hohen Amte beschäftigten Landsmann, Joh. Fabri aus Fulda, den Propst der Gothaer Stiftskirche. ARG. XXII, 2221.

5) Freund S. 28. Enders, Luthers Briefwechsel II, 208, Z. 134 fl.

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werden. In den Triaden aber sei öfters von den geputzten Maultieren und Rossen der Prälaten die Rede!), über die sich jedoch auch andere romfeindliche Schriftsteller wie Wimpfeling zu ereifern pflegten. Auch die Bemerkung des Menius führt nicht weiter, daß Crotus schon früh seinen Freund Hutten dazu angetrieben habe, die reisigen Bischöfe mit allerhand Sticheleien anzugreifen und dabei die Rede- freiheit des römischen Pasquillus nachzuahmen. So wenig, wie daraus mit Böcking zu schließen ist, daß Hutten den „Pasquillus exul“ verfaßt habe“), wird damit bewiesen, daß Crotus die deutschen Triaden in Italien niedergeschrieben und als Gegengabe für die Epigramme Huttens an diesen geschickt habe. Wunderlicherweise soll dieser dann bei der Ausarbeitung seiner Satire ein gedrucktes Exemplar und noch dazu einen Nachdruck benutzt haben! Es liegt also nicht der Schimmer eines Beweises für die Urheberschaft des Crotus an dieser kleinen Flugschrift vor. Richtig ist nur, daß Hutten sie in einem der zahlreich vorhandenen Nachdrucke kennen gelernt hat, zumal sich kaum mit Be- stimmtheit feststellen lassen soll, daß der Urdruck unter ihnen erhalten ist“).

Auch der Brief des „Eubulus Cordatus“, den Freund mit Böcking für ein „Bruchstück aus dem damaligen Brief- wechsel des Crotus mit Hutten“ ansieht“), enthält nur all- gemeine Anspielungen auf die Klagen des Nikolaus von Clemanges aus der Zeit des Schismas sowie über Alexander VI. und Julius II. Wenn Menius von den vielen Dialogen, Epigrammen und Satiren spricht, mit denen Crotus und Hutten gemeinsam die Romanisten angegriffen hätten, so können wir bestimmt sagen, daß der Löwenanteil Hutten gebührt). Auch hat sich nur noch in einem Falle gemein- same Arbeit an einem satirischen Einfalle nachweisen lassen.

1) Auch von Brecht S. 166 zu Unrecht als besonders bezeichnend für die Manier des Orotus hervorgehoben. l

*) Dessen Verfasser nach O. Clemen (Beiträge zur Reformations- geschichte. Berlin 1900, I, 7ff.) in dem Schlettstadter Humanisten- kreise zu suchen ist.

3) Freund S. 16.

) S. 29. Er stammt vielmehr ebenfalls aus dem Schlettstadter Kreise und zwar von dem Pfarrer Paul Phrygio. Vgl. meine Unter- suchung in der Ztschr. f. die G. des Oberrheins XIII (1898), 114 Anm.5. 275 Anm.8.

. 9) Brecht bedauert (S. 151f.), daß Menius nicht zwischen beiden Verfassern unterscheidet und läßt sich durch diese Bemerkung dazu anregen, Crotus eine ganze Reihe anonymer Flugschriften beizulegen.

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Bei ihrer letzten Zusammenkunft (Ende August 1520 in Fulda), als Hutten schon gebannt war und durch die höchste geistliche Behörde von Mainz verfolgt wurde, haben sie ihre Gedanken über eine „Oratio de brachio Domini contra brachium saeculare“, also eine Berufung auf das Gericht Gottes gegenüber dem ungerechten Vorgehen des geistlichen und weltlichen Gerichts gegen Luther und seine Anhänger ausgetauscht. Hutten hatte noch im Dezember daran ge- arbeitet und die Schrift an Crotus nach Erfurt geschickt, der sie dort zum Druck befördern sollte. Doch hat er sie vorsichtigerweise vernichtet. Das „Coneiliabulum theo- logistarum“, bei dessen Abfassung durch Crotus ein gewisser Einfluß Huttens sich geltend gemacht haben soll?), gehört mit den tübrigen „sieben Dialogen“ Nikolaus Gerbel zu. Noch weniger zulässig ist es, wenn Freund?) die „Pugna Pietatis et Superstitionis“ aus diesem Verband herausnehmen und Crotus zueignen will; die dafür vorgebrachten Gründe sind hinfällig. Die von Brecht ebenfalls für das Eigentum des Crotus erklärte „Oratio de virtute clavium“ rührt viel- mehr nach einem vollgiltigen Zeugnis von dem Schlettstadter Pfarrer Phrygio (Seidensticker) her*) Der „Dialogus de facultatibus Romanensium* endlich ist aus dem Kreise der Kölner Erasmianer hervorgegangen und wurde von Jakob Sobius verfaßt“), als dort der Nuntius Marino Caracciolo seinen Handel mit päpstlichen Gnadenerweisen aufs neue eröffnete, mit dem er schon 1518 die Reichsstände zu einer entrüsteten Beschwerde gereizt und jetzt den Neid seines Kollegen Aleander hervorgerufen hatte.

Brecht hat sich überhaupt in seiner Erstlingsarbeit zu sehr auf die literarisch-stilistische Prüfung der Denkmäler be- schränkt und außer den bibliographischen Hilfsmitteln, wenn sie auch der höhern Kritik gegenüber zurücktreten müssen, die geschichtlichen Verhältnisse zu wenig berücksichtigt. Vor allem aber hat er das Verhalten des Crotus zu der lutherischen Bewegung und ihren tieferen Zielen nicht scharf

!) HR. S. 192, 266, 269. Vgl. unten seine Haltung während seines Rektorats.

1) Brecht S. 212,

3) S, 81ff.

*) Kalkoff, Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521. Halle 1897, S. 66 fr. 72, 79.

e) ARG. I (1904) 59f. Zugleich in Erinnerung an die Geschäfts- führung des Ablaßkommissars und Nuntius Gian Angelo Arcimboldi, der schon seit 1514 in Norddeutschland umherreiste. Kalkoff, Briefe, Depeschen u. Berichte vom Wormser Reichstage. Halle 1898, S. 89, 80f,

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genug ins Auge gefaßt. Er spricht etwa bei Zuweisung des „Tractatulus solemnis de arte et modo inquirendi . . . haere- ticos“, den er mit großer Sorgfalt und Feinheit analysiert, von dem Verfasser als dem „Enthusiasten“ Crotus, der „mit der ganzen Würme seiner leichtbegeisterten Seele" Luthers Partei nahm!) Zutreffend ist dabei, daß Crotus in nach- drücklichen Aeußerungen, jedoch nur in vertraulichen Briefen die entscheidende Wichtigkeit des Schriftprinzips betont, dessen Berechtigung und dessen Folgerungen dem geschulten Philologen und Doktor der Theologie klar vor der Seele standen. Nun soll er im Vertrauen auf die zunehmende Bibelkunde der Laien den Sieg der evangelischen Lehre vorausgesehen haben, so daß er „mit souveräner, ver- nichtender Satire, die jedoch mit den alten Mitteln nicht mebr die alte Harmlosigkeit verband, gegen die boshafte Heuchelei der Gegner“ vorzugehen wagte. Aber eine der- artige Aktivität widerspricht dem Wesen des zwar scharf beobachtenden, aber bei aller Spottsucht quietistisch zurück- haltenden Mannes, noch dazu bei einem so heiklen Thema wie der Tätigkeit der Inquisition „secundum consuetudinem Romanae euriae4^?) Und schon im Titel wird der Angriff auf den Dominikanerorden angekündigt, und mit den schärf- sten Waffen der Ironie werden seine führenden Männer, der Palasttheologe Prierias und der furchtbare Ketzerrichter

1) A. a. O. S. 182.

1) Nebenbei geht doch aus der Erwähnung der Satire in Luthers Brief an Spalatin vom 81, Dezember 1519 (Enders II, 286f, Brecht, S. 180ff.) hervor, daß Crotus von diesen beiden nicht für den Ver- fasser gehalten wurde: der spätere Breslauer Reformator Joh. Hess, der etwas eher als Crotus aus Italien zurückgekehrt war, würde ihn diesem seinem bisherigen Reisegefährten dorthin geschickt haben, wenn Spalatin nicht die Zurückgabe an Luther versäumt hätte. Daraus geht aber für den Unbefangenen weiter hervor, daß die Schrift auch für Crotus eine Nenigkeit bedeutete. Aus Gründen der höheren Kritik verbietet es sich anch, Crotus auf bloße chronologische Möglich- keiten, eine vielleicht schon im Januar 1520 erfolgte Rückkehr tiber die Alpen, hin zum Verfasser des ,,Eccius dedolatus“ zu machen. Denn dieses Werk entfernt sich durch seine dramatische Anlage, seine volks- tümlich derben Züge, seine leidenschaftliche, jugendlich ausgelassene Sprache und innige, religiöse Empfindung ebenso sehr von den Stil- mitteln and dem ganzen literarischen Bilde des Crotus, wie diesem ein so offener Angriff auf Dr. Eck, dessen Einfluß er soeben in Rom beobachtet hatte, bedenklich erscheinen mußte. Er taucht erst Anfang Apri in Bamberg auf, nachdem er vorher in Nürnberg nur eben vor- gesprochen hatte, soll aber nun schon Anfang Februar dort diese

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Hochstraten angetastet. Wie schwerwiegend diese Bedenken sind, geht auch aus der Vergleichung des „Tractatulus“ mit dem ersten Teil der Eov. und einem Sehriftehen hervor, das man als die einzige der von Brecht vorgeschlagenen Schriften dem Meister der mimischen Satire zuerkennen möchte, der „Oratio funebris in laudem Johannis Cerdonis*!) Hier wird die scholastische Manier zu predigen verspottet, die Crotus nach dem Zeugnis des Menius schon in Fulda bei seinen Notizen aufs Korn zu nehmen pflegte. Es war auch der dort gewonnene Einblick in die Büchervorräte der adligen Kapitelherren, der ihn zu der satirischen Schilderung der Bibliothek dieses Banausen anregte, der in seinem Epikureer- tum ebenfalls den Fuldaer „Mönchen“ ähnelt, während die Humanistenfeindschaft wie in den Eov. den Kölnern heim- gezahlt werden sollte. Die mit allen Mitteln jener Satire ausgestattete Selbstironie des naiven Redners weist ebenso deutlich auf die Verfasserschaft des Crotus hin wie „die Harmlosigkeit und Liebenswürdigkeit“ des Ganzen, das „nur zum Lachen, nicht zum Zorn“ reizen will und seinem Stoffe nach eine Ergänzung des größeren Werkes darstellt. Gegen das Bild der „geistigen Verfassung“ des Crotus, wie es Brecht gezeichnet hat, erhebt auch Merker?) Einspruch: er sei bisher als der „Feuergeist“ gedacht worden, der „mit leidenschaftlicher Begeisterung“ die neue Lehre annahm und in Wort und Schrift zu verbreiten suchte. Die vier Briefe des Crotus an Luther sind nun zwar nicht auf den „huma- nistischen Ehrgeiz“ zurückzuführen, mit dem etwa Hutten sich an Pirkheimer und Erasmus herandrängte, und auch nur in bestimmten Grenzen auf „wirklich innere Anteilnahme an Luthers Reformtat“, sondern, wie Crotus das im Eingang warm und schlicht ausführt, auf die von ihm treu bewahrte Jugendfreundschaft, die ihn auch zu der in dem letzten Briefe betonten Sorge um Luthers Sicherheit veranlaßt. Auch in dem vertraulichen Briefe an den gemeinsamen Freund, den Erfurter Reformator Joh. Lange, vom 9. August 1521 bekennt er: „Multos annos mihi Lutherus carus fuit,

Satire vollendet haben, deren Gestalten man nur mit denen der „tenebricosi patres" der Eov. zu vergleichen braucht, um die Unmöglich- keit einer gemeinsamen Herkunft einzusehen. Gegen O. Clemen in seinen Besprechungen des Merkerschen Buches, ZKG. XLII (1923) 446f. u. Theol. Lit. Z. XLVIII (1923), 442f.

1) Brecht S. 158 fl. Wenn S. 161 von der „kümmerlichen Jugend des Cerdonis“ gesprochen wird, so ist das zweite Wort als Vaters- name zu verstehen von dem Nominativ „Cerdo“ (gemeiner Handwerker).

2) A. a. O. S. 203 fl.

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sed carior nune ob liberatam ab eo rudem plebem a quadam tyrannide“ ). Und wie weit er dem Vorgehen Luthers gegen die kirchlichen Zustände im Innersten Beifall zollte, hatte er soeben bei Ablauf seines Rektorats in der Erfurter Matrikel mit den lapidaren Worten bezeugt: „qui primus post tot saecula ausus fuit, gladio sacrae scripturae Romanam licentiam iugulare^?). Und wo er den Sitz dieser „frechen Willkürherrschaft“ findet, vor deren räuberischen Zugriffen und machtgierigen Entstellungen der evangelischen Lehre die „rudis plebecula^ bewahrt werden müsse 3), das spricht er in jenem ersten Briefe aus Bologna scharf genug aus: Fui nuper Romae ... vidi veterum monumenta, vidi cathe- dram pestilentiae"; der Anblick jener hat mich erquickt, das andere hat mich empört“). Er empfindet also die Bedruckung der Gewissen durch die unfehlbare Lehre und die Ausbeutung der Deutschen dureh den Mißbrauch der päpstlichen Allgewalt besonders bitter als Sohn des armen, verwahrlosten Volkes. Es ist richtig, daß er von „den eigentlichen Glaubenslehren“ Luthers nicht redet, aber er feiert ihn doch durchweg als den unerschrockenen Vertreter der evangelischen Wahrheit, wie er auch den feierlichen Empfang des Gebannten in Erfurt mit den Worten rechtfertigt: „Wir hielten es trotz Luthers Ablehnung für unsere Pflicht, dem Worte Gottes unsere Verehrung zu bezeigen, dessen Verteidiger er ist“)“. Auch die Aeußerung des Menius tiber das lässige Verhalten des Crotus gegen vaterländische und kirchliche Pflichten, seine Gleichgültigkeit gegen allgemeine Nöte geht also zu weit, wenn er behauptet, daß dieser sich jeder Sorge um das öffentliche Wohl in selbstsüchtiger Ruhseligkeit und leicht- lertiger Spötterei zu entschlagen suchte ). Richtig ist es ja wieder, daß er sich nicht so bald zu fruchtbarer Mitarbeit oder gar selbstvergessener Hingebung aufraffen konnte. Aber dann hat er sich doch zur Uebernahme des Rektorats in Erfurt bestimmen lassen, um wenigstens die äußere Rube zwischen den unheilbar verfeindeten Parteien aufrecht zu erhalten). Die Mahnungen zur Mäßigung und Vorsicht, die er am 5. Dezember 1520 an Luther richtete, waren

) C. Krause, Epistolae aliquot Nr. XI, S. 10, HRE. S. 79. 2) HRE. S. 64.

*) Vgl. oben S. 122.

*) Enders II, 207, Z. 101f.

5) Crotus an Joh. Hess, 31. Mai 1521. HRE. S. 68,

) Böcking, Hutteni opera II, 457.

) HRE. S. 62ff.

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einesteils echte Beweise einer alten Zuneigung und einer weitreichenden Kenntnis der geheimen Machenschaften seiner Gegner auch unter den ritterlich- räuberischen Prälaten ?). Zugleich entsprangen sie aber auch dem stillschweigenden Einvernehmen mit Vertretern der erasmischen Kirchenpolifik, die von Capito und auch von Joh. Lange vertreten wurde und die den endgültigen Sieg der Wahrheit von ihrer weiteren Verbreitung und ihrem allmählichen Erstarken in den Gemutern erwartete.

Keinesfalls kann Crotus in dieser Stimmung die leiden- schaftlich zur Tat drängenden Schriften des „Abydenus Corallus“ verfaßt haben!), die überdies gerade in der Zeit seines Erfurter Rektorats entstanden sind. Dieses aber wurde ihm am 18. Oktober 1520 übertragen, als man nach den stürmischen Vorgängen bei der von der theologischen Fakul- tät beschlossenen Veröffentlichung der Verdammungsbulle eine unparteiische Persönlichkeit brauchte, um Überhaupt eine Wahl zustande zu bringen. Er trat sein Amt mit dem Vorsatze an, unter Zurückstellung seiner nach Luthers Seite binneigenden Ueberzeugung sich eine maßvolle und gerechte Handhabung der Geschäfte zu ermöglichen. Dennoch wurde er 1521 nach Ablauf seiner halbjährigen Amtszeit für den Anfang Oktober 1520 noch unter seinem Vorgänger er- :schienenen Aufruf an die Studenten, jene „Intimatio Er- pburdiana pro M. Luther“ verantwortlich gemacht. Da fragte er in jenem an Joh. Lange gerichteten Schreiben“), ob er bei aller seiner Liebe zu Luther und aller Dankbarkeit Mr seine Befreiungstat das Recht gehabt habe, andern diese Ueberzeugung aufzudrängen und seine amtliehe Stellung zur Geltendmachung seiner privaten Bestrebungen zu benutzen. ‚Zumal er gewußt habe, wie viele Mitglieder der Universität zweifellos die große Mehrheit des bepfründeten Lehr- körpers auf der entgegengesetzten Seite standen. „Darfte ich mich unter solehen Umständen auf Seiten der Partei

1) Man kann jetzt feststellen, daß jener Kanonikus, der, selbst ein „robustus centaurus“, sich öffentlich und in Gegenwart des Crotus rühmte, es sei ihm ein leichtes, Luther zu raubea und an den Papst auszuliefern, dabei an die Beihilfe des Ritters Hektor ven Mörlas, des Feindes 4e Kurfürsten von Sachsen, gedacht hat. Es könnte der Sprecher auch sehr wohl der Bruder Hektors, einer der Fuldaer Kapitelherren, gewesen sein. Vgl. Vagantenzeit nach dem Register und ARG. XXII, 236f. Enders III, 9, 35 ff. und Depeschen Aleanders S. 237.

) Merker S. 205.

) Vgl. oben S. 126f.

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rückhaltlos betätigen, durch deren Auftreten die unerhörte Willkürherrschaft der römischen Machthaber schon viel von ihrem Ansehen eingebüßt hat, während ich mir in den übrigen Fragen (den dogmatischen) nicht gern ein Urteil beilegen möchte?“ Man möge also ihn und sein Rektorat aus dem Spiele lassen; er werde sich sonst zu verteidigen wissen). Daraus wie aus der Unterdrückung der im Sommer 1520 gemeinschaftlich mit Hutten entworfenen Flug- schrift geht hervor, daß er in dieser ganzen Zeit sich auch an dem literarischen Kampfe nicht beteiligt hat.

Dazu kommen die Bedenken, die gegen die Beweiskraft der von Brecht zusammengetragenen stilistischen Aehnlichkeiten und sprachlichen Gleichklünge geltend gemacht werden?). Auch die Uebereinstimmung des Inhalts in der antischolastischen oder antikurialen Polemik, wie sie etwa für die „Abhängig- keit“ der Schrift Luthers „an den christlichen Adel“ von der „Irias Romana“ angeführt wird, ist bis in die land- làufigen Ausdrücke hinein wenig tiberzeugend. Und gerade in der Stilisierung der lateinischen Schriften humanistischer Richtung macht sich eine weitgehende Achnlichkeit bemerk- bar. Endlich ist auch in stilpsychologischer Hinsicht die „kultivierte, aber im Grunde rhetorisch reflektierte^ Aus- ‚drucksweise des Crotus mit der impulsiven, dramatisch bewegten Sprache der „sieben Dialoge“ unvereinbar. Bei aller Feinheit, mit der Crotus die mimische Satire handhabt, entbehrt er doch der „schöpferischen Phantasie und plastischen Darstellungskunst“, die sich in den Schriften des Nik. Gerbel

1) Krause a. a. O.: „Quo animo cum sim, an ob id universos mecum in eam sententiam trahere debui et privatos affectus per publicum magistratum efferre, praesertim cum mihi constaret, quam multi in communi nostra schola tuerentur partem diversam? Ego vero in ea disputationis parte exsultarem, qua Romanis dominatoribus in- audita licentia vires nonnihil perdidit, in ceteris non admodum curiosus iudex?“ Der Sinn des letzten Relativsatzes ist klar, wenn auch im Wortlaut eine Verderbnis vorliegt; es ist wohl zu lesen, ,quae... inauditae licentiae“...

3) Merker (S. 206 fl.) möchte nach Berücksichtigung dieser Be- denken dem Crotus immerhin noch drei der von Brecht besprochenen Schriften belassen; doch müssen, wie oben ausgeführt wurde, der „Processus* und der „Tractatulus“ aus andern Gründen ihm ebenfalls abgesprochen werden. Übrigens macht O. Clemen in der Theol. Lit. Z. 1928, Sp. 442f. und in der ZKG. XLII, 444 f. dieselben Einwände gegen einen Teil der Beweisführung Merkers geltend: es handle sich vielfach um Ausdrücke und Gedanken, die Gemeingut oder ältere Überlieferung waren.

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offenbart; vor allem ist dessen leidenschaftliche Teilnahme an den religiösen Fragen des von Luther entfachten Kampfes dem Schriftsteller Crotus fremd, der sich stofflich nur im Rahmen des Reuchlin'sehen Streites bewegt.

Auch nach Brechts Urteil!) hätte nun J. Freund „nach- gewiesen“, daß die deutschen Triaden ursprünglich von Crotus in Italien niedergeschrieben und an Hutten gesandt wurden. Er wollte damit „seinen Landsmann in möglichst amüsanter, pointierter Form über die Mißstände in Rom aufklären“, obwohl er wissen mußte, daß dieser alles das aus eigener Anschauung kannte. „Trotz alles heimlichen Ernstes lachen sie mehr, als daß sie ztirnen“; tatsächlich aber überwiegt die Entrüstung, und der Witz kommt nur recht mühselig zum Vorschein. „Das formale Prinzip der Triaden, drei meist heterogene Dinge priamelhaft?) zusammen- gekoppelt“, soll den „anmutigen Ueberraschungen Crotischen Witzes in den Eov. entsprechen, entstammt aber einer längst üblichen volkstümlichen Gattung, die auch bier nicht be- sonders geistreich gehandhabt worden ist. Nach den Be- merkungen über die äußerlichen Verhältnisse, Straßenbild, Sitten und Lebensweise der Einwohner, müsse Rom den Deutschen damals „höchst fremdartig und unbehaglich“ ge- wesen sein, was jedoch Tausende von ihnen nicht gehindert hat, sich dort lebenslänglich festzusetzen. Indem Brecht bedauert, daß die Triaden das einzige deutsche Werk seien, das wir von Crotus besitzen, findet er, daß deren volks- tümliche, epigrammatiseh zugespitzte Form ähnlichen Ele- menten in den Eov. entspreche. Er habe sich hier „ganz als nationaler Schriftsteller im Sinne Huttens“ gezeigt. Seine drei deutschen Briefe an Herzog Albrecht von Preußen aus den Jahren 1530— 1532 gestatteten keine zuverlässigen Schlüsse auf seinen deutschen Stil, der jedoch für diese kurzen Sprüche als Beweismittel kaum in Betracht kommen könnte; nur seine gewohnte Anschaulichkeit und Urbanität sei durch die späteren trüben Erfahrungen noch nicht völlig verdrängt worden. Weiter sieht Merker, wenn er bemerkt, daß Crotus die „sieben Dialoge“ nicht verfaßt haben könne, weil hier „deutsche Wortfloskeln und kleine sprichwörtliche Sätzchen

1) A. a, O. 8. 165 f., 948.

2) Über die Vorgeschichte dieser literarischen Form im 15, Jahr- hundert verbreitet sich W. Uhl unter Hinweis auf sein Buch über „die deutsche Priamel“ (Leipzig 1897) in einer Besprechung der Freund- schen Dissertation (Ztschr. f. deutsche Philologie XXXVIII (1906), 26611), ohne an deren Ergebnissen zu zweifeln.

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eingestreut sind, was sich mit der „geheiligten lateinischen Zunftsprache des strengen Humanisten“ nicht vertrage. Der Reisebericht des Magisters Sehlauraff in den Eov. rührt ja auch nicht von Crotus her. Vor allem aber künne er diese Sätzchen nicht geschrieben haben, da er als geborener Thüringer auch in jenen späteren Briefen seine mittel- deutsche Mundart nicht verleugne, während hier der ober- deutsche, im besondern alemannische Ursprung unverkennbar sei!) Und dieser macht sich auch in dem Wittenberger Druck der Triaden noch bemerkbar’).

Freund hat sich nun das Verdienst erworben, die ältesten Drucke der deutschen Triaden zu sammeln und durch typographische Studien ihre Herkunft festzustellen“). Sie zerfallen deutlich in zwei Gruppen, von denen Freund die in Quartformat für die älteren glaubte erklären zu müssen. Sie rühren von Joh. Grunenberg in Wittenberg, von Martin Landsberg in Leipzig und von Jörg Nadler in Augsburg her. Den Wittenberger Druck mit einem statt- lichen Titelbilde, das einen Adler mit zwei Wappenschilden, in dem einen das SPQR, in dem andern den doppelköpfigen

1) Merker S. 2091,

*) So müßte, wie mein verehrter Freund, Herr Professor Dr. Alfred Götze, festgestellt hat, m Triade 12 statt ,Eselsehluff^ von dem Thüringer Crotus geschrieben worden sein: ,Eselschlippe" (Schlupf- winkel, Gügchen) da -ff in diesem Worte das Mhd. Wörterbuch, 2. Aufl. II, 407 und das Grimmsche Deutsche Wörterbuch IX, 839 mur in streng oberdeutschen Texten nachweisen; „schluff“ wird von. Herm. Fischer im Schwäb. Wb. V, 961 auf die südlichen Landschaften dieses Sprachgebiets beschränkt. Tr. 24: „gefrenß“ (Fransenwerk) weist das DWb. I, 2, 2153 nur aus dem oberdeutschen Westen nach. Tr. 80: „kluffe“ (Nadel) ist kein ostmitteldeutsches Wort; in dem „Sprachschatz“ des Erfurters Stieler (1691) wird es nur aus lexikalischen Qnellen gebucht; im DWb. V, 1261 wird die k-Form nur aus Hessen, der Pfalz, Nürnberg und Salzburg nachgewiesen; der oberdeutsche Bereich bei Fischer III, 718. In Tr. 84 würe der Druckfehler ,luchen* nicht in den Wittenberger Druck gekommen, wenn nicht in der ober- deutschen Vorlage „leuchen“ (Leichen) gestanden hätte; das DWb. VI, 619 belegt „leuch“ aus dem Alemannen Dasypodius und dem Donauwörther Seb. Frank, H. Fischer (IV, 1181) den Singular ,leucht" aus Stuttgart 1598, das Schweiz. Idiotikon III, 1016 „Leuchten“ aus Bern 1784. Bei Mitteldeutschen wie Crotus sind Formen mit -eu- nicht nach- gewiesen. Die ursprüngliche Form „leuchen“ hat sich erhalten in dem Nachdruck von 1560 (Freund S, 15; Böcking I, Index bibliograph. p. 51 sqq. Nr. 8).

5) Kap. I, S. 8.

9*

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Adler zeigt, hielt er für den Originaldruck, den er deshalb auch vollständig wiedergegeben hat. Aber schon W. Köhler!) erkannte, daß der Straßburger Druck des Joh. Knoblauch nicht von dem Wittenberger abhängig sein könne, da der letztere offenbare Mißverständnisse des ursprünglichen Wort- lauts aufweise?. So paßt in Tr. 7 das „verwuste“ (ver- wüstete) Kirchen, das auch durch Huttens Uebersetzung ge- sichert ist, recht gut zu den beiden ersten Gliedern: „alte Turm, vorgiftig®) Wurm“, jedenfalls besser als „schändliche Kirchen“. Dieses soll einen dieser Gruppe der Triaden ganz iremden „reformatorisch-polemischen Gedanken“ vertreten‘), der dann aber erst durch den Wittenberger Drucker luthe- rischer Schriften hineingetragen worden ist. Noch deutlicher ist dessen einfaches Versehen in Tr. 46: es sei ein Jammer, daß „der Florenzer secke die Christenheit regiere“, während der Straßburger Druck von der „seckt“ spricht, wie Hutten in der Trias Romana und Crotus in dem Briefe vom 16. Ok- tober 1519 von der „factio Florentina“, die den einträglichen AblaB für die Verstorbenen durch Luther gefährdet sehe“). Freund hatte geglaubt, daß „Sekte“ nur im religiösen Sinne gebraucht werde, was jedoch keineswegs zutrifft, und wollte die Stelle umschreiben: „es sei ein Jammer, daß die Mediceer mit ihren Säcken die Welt regieren“, während der Volks- mund dann wohl von ihrem „Säckel“ oder „Beutel“ ge- sprochen hätte. Obwohl sich Köhler mit der Verfasserschaft des Crotus nicht unbedingt einverstanden erklärt®), möchte er einen Urdruck, eben den Straßburger, annehmen’). Für

) Theol. Lit. Z. XXV (1900), 118 fl.

9) Vgl. oben den von Götze festgestellten Fall.

) „vergift“, giftig. A. Götze, Frühneuhochdeutsches Glossar. 2. Aufl. Bonn 1920. S. 77.

) Freund S. 13 f.: „Kirchen, in denen Gott in einer schämens- werten, schmachvollen Weise gedient wird“. Aber auch Köhler stellt fest, daß die polemische Zuspitzung in den deutschen Triaden sekundär sei, was wenigstens für den ersten Teil zutrifft.

5) Enders II, 207, Z. 119 ff.

*) Sie sei möglich, aber nicht sicher zu beweisen.

?) Vgl. Freund 8.16. Für Luther ist nach Köhler der Witten- berger oder Leipziger Druck in Betracht gekommen. Huttens Ab- hängigkeit von den Triaden sei erwiesen. Daraus erkläre sich nun die Berührung zwischen Luthers Schrift „an den Adel“ und dem »Vadiscus^, Er habe gegen Knaake (Weim. Ausg. VI, 381 ff.) gezeigt, daß Huttens Schrift dem Reformator sehr wohl bekannt sein konnte, doch erwühne er sie gerade in der Zeit der Abfassung seines eigenen Werkes nicht und die Anordnung des Stoffes sei verschieden. Doch

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die Entstehung des Schriftchens ist jedoch zunächst nur von Wichtigkeit, daß es auch den ersten Drucken nach aus dem Südwesten Deutschlands stammt, auf den seine Sprache hinweist.

Da nun Crotus nicht der Verfasser war, so brauchen die Triaden auch nicht erst in den Jahren seines italienischen Aufenthalts entstanden zu sein, wenn sie auch 1519 schon in Deutschland verbreitet sein mußten, um von Hutten im „Vadiscus“ benutzt zu werden. Freund hat nun durch Ver- gleichung mit Huttens Werk gezeigt, wie wenig sich die deutschen Triaden im ganzen für dessen satirische, anti- klerikale Absicht eigneten, wie sehr er sie bei dieser „ten- denziósen Verschärfung“ ) umgestalten mußte. Es geschah in erster Reihe durch die Wahl stärkerer Ausdrücke. So- dann ist die Zusammenstellung der drei Teile meist so will- kürlich, daß sie sich den gewöhnlichen Priameln nähert. Mitunter ist aber auch ein witziger Eindruck erzielt worden, indem das dritte Glied eine überraschende Steigerung oder den voraufgehenden harmlosen Worten gegenüber erst die satirische Spitze des Pfeiles bringt, wie Tr. 5: dreierlei braucht man, wenn man in Rom etwas erreichen will, viel Geld, viel Empfehlung und Lügen. Diese Kunst der .gradatio" hat Hutten mit guter Wirkung durchzuführen gesucht. Doch hat ihm oft die rechte Kraft der Erfindung gemangelt. So hat er mehrere harmlose Sprüche, die das Stadtbild oder die Sitten der Römer betreffen?), durch abs- trakte, moralisierende Weisheit ersetzt, die recht fade aus- gefallen ist, wie die Sätze: Drei sind aus Rom verbannt:

seien nun die Parallelen ungezwungen zu erklären, wenn sie beide eine gemeinsame Quelle benutzt hätten; das wenige, was sich in dieser nicht finde, sei der Zeitstimmung entlehnt. Da die Triaden „ohne sachliche Ordnung“ aneinandergereiht seien was nicht völlig zu- trifft —, so hätten Luther wie Hutten ihre Entlehnungen ver- schieden geordnet, was jedoch Hutten gar nicht beabsichtigt hat (vgl. seinen Ausruf: „Was Ordnung! als ob in solcher Verkehrtheit Ordnung wäre“! Strauß-Clemen S. 296). Wenn also die „Abhängig- keit“ Luthers von der Trias Romana sich auf eine äußerliche Anregung, eine drastische „Vergegenwärtigung eines Teiles der kirchlichen Schäden“ beschränkt, so hat daran auch der zweite Teil der Triaden Anteil, den Luther schon vor dem Erscheinen der Huttenschen Schrift gekannt haben wird. Vgl. Vagantenzeit S. 68 fl. Doch handelt es sich auch hier um so allbekannte Dinge, daß von einer eigentlichen Quelle für Luthers Schrift nicht geredet werden kann.

1) A. a. O. S. 21 ff.

) Vgl. unten S. 142 fl. die betr. Gruppe der Sammlung.

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Einfalt, Mäßigkeit und Reinheit; drei fehlen, werden aber um 80 dreister zur Schau getragen: Frömmigkeit, Treue und Unschuld; drei werden in Rom zugrunde gerichtet: das gute Gewissen, der Eifer für den Glauben und der Eid!) Und auch davon abgesehen, findet Freund mit Recht „die Konzeption der Huttenschen Neuschüpfungen wenig originell“; Bie seien fast stets naheliegende Weiterführungen eines durch die Vorlage gegebenen Gedankens. Seine eigenste Erfindung liegt in dem Satze vor, daB der Papst, der früher nur zwei Sehwerter, das geistliche und das weltliche, führte, sich nun, wie statt der einfachen eine dreifache Krone, auch ein drittes Schwert beigelegt habe, mit dem dieser Hirte die ihm von Christus anvertraute Herde zu scheren pflege. Diese ihm besonders gelüufige und wichtige Wendung gegen den Papst fehlt in der volkstümlichen Quelle; doch ist die Ver- wendung eines Schwertes zum Scheren der Schafe nicht eben geschmackvoll“). Und nun soll Crotus diesen Gedanken Huttens aufgenommen haben, wenn er am 28. April 1520 an Luther schreibt: „pro gladio scripturae succedit gladius carnificis?)^; und er soll sich weiter als Verfasser der „Pugna Pietatis“ verraten, wenn er die Verfolger des Evangeliums ausrufen läßt: „Laßt uns die Herde nicht nur scheren, sondern schlachten und zerreißen wie Wölfe und Bären!“ Denn das sei eine „Anspielung auf die Idee von den drei Schwertern“, die in den Worten des „Vadiscus“ anklinge: „Man soll die Schafe Christi weiden, aber nicht stehlen, schlachten und verderben!“ ). Aber dieses Bild ist so weit verbreitet“), daß es nichts beweist, Auch spricht Crotus hier wie in den oben“) angeführten Stellen von dem Schwerte des Wortes Gottes und auch nicht vom Papste, sondern von dem Mißbrauch, den die scholastischen Gegner Luthers mit der ihnen durch die Inquisition verliehenen Gewalt treiben. Er redet da von der Pflicht des echten Theo- logen, mit dem Schwerte des heiligen Geistes (Ephes. 6, 17) die Sache der Wahrheit zu verteidigen und für das Seelen- heil des Bruders sein Leben einzusetzen; jetzt aber sei die furchtbarste Tyrannei, die unter den Christen herrsche, die der Theologen und Mönche, besonders der mit der Ver-

1) Böcking IV 171, 3; 177, 11; 147, 1 u. K.

) Böcking IV 251,17. Freund S. 26.

5) Freund S. 82. Enders II 887, 86. Böcking I 887, 30.

*) Bücking IV 573, 27; 221, 13.

5) Es ist z.B. ein Lieblingsausdruck Lax. Spenglers; Kalkoff, Die Reformation in der Reichsstadt Nürnberg. Halle 1926. S. 84 f., 73f.

*) S. 127.

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folgung der Ketzer betrauten Dominikaner; statt göttlicher Erleuchtung finde man bei ihnen nur Finsternis und heil - lose Gehässigkeit; statt des Lichtes christlicher Tugenden speien sie Feuer (Vergil, Aen. VII, 281) und statt des Schwertes der hl. Schrift handhaben sie das des Henkers, statt des göttlichen Wortes verbreiten sie sophistischen Dunst; und statt des Geistes der Nächstenliebe beherrscht sie tod- dringender Haß, mit dem sie gegen ihre Mitchristen wüten, wie Hochstraten wenige Jahre vorher den holländischen Arzt Herman von Rijswijk auf den Scheiterhaufen gebracht habe). Die Stelle zeigt auch, daß Crotus in seinem Verständnis für die höchsten Ziele der evangelischen Bewegung nicht nur weit über den naiven Spielereien der Triaden, sondern auch über der kurzsichtigen und bei aller Leidenschaft kleinlichen Kampfesweise Huttens stand. Wenn man also das Wort „Vadiscus“ als den „wandernden Beobachter“ deuten will“), so hat Hutten mit diesem seinem Berichterstatter nur sich selbst oder die unbekannten Romfahrer meinen können, von denen seine Vorlage herrührt.

Diese dentschen Triaden gliedern sich nämlich auf den ersten Blick in zwei nach Form und Inhalt verschiedene Gruppen, die verschiedenen Gesellschaftskreisen mit ihren deutlich ausgesprochenen Lebensanschauungen und Interessen entstammen. Die erste größere Hälfte ist eine Reihe priamelhaft knapper Sprüche gemischten Inhalts, der sieh auf das Stadtbild, die Lebensgewohnheiten und Sinnesart der Italiener, endlich auf das Treiben der Kurialen und der Romfahrer bezieht. Der zweite Teil besteht im wesentlichen aus breiter ausgeführten, nur mühsam in Ternionen gefaßten Sätzen. Diese behandeln die seit den großen Konzilien in vielen Staatsschriften niedergelegten, von zahlreichen Schriftstellern wiederholten „Beschwerden der deutschen Nation“ über die Uebergriffe und Ränke der Kurie. Jene erste Gruppe ent- hält zum Teil die Beohachtungen der schlichten Pilger, er- gänzt durch die Ansichten ortekundiger Landsleute aus der deutschen Kolonie in Rom, teilweise aber die Urteile der an der Kurie in Pfründenprozessen oder wegen Bestätigung ihrer Würden und Zahlang der Taxen sollizitierenden Kleriker. Bei den einen sind daher italienische, bei den andern wie im

1) Zwinglis Werke, hrsg. von Egli u. Fiusler VII 411 Anm. 2. Kalkoff, Reformation in Nürnberg S. 80.

*) Freund S, 81. Uhl a. a. O. S. 269 mit seiner abwegigen Zu- stimmung zu der von Freund behaupteten „Wechselwirkung zwischen Hutten und Crotus."

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zweiten Teile lateinische Worte eingestreut; dort finden sich abfällige Bemerkungen über die äußeren Zustände der Hauptstadt der Päpste und die Gesinnung der Welschen; hier wird an der Kurie, jedoch nicht ausdrücklich am Papst- tum, Kritik geübt und im zweiten Teile auch der nationale Gegensatz zwischen den römischen Machthabern und dem deutschen Volke hervorgehoben. Da hierbei auf die Florentiner angespielt wird, die unter Leo X. besonders in der Finanzgebarung der Kurie maßgebend waren, wie der Kardinal Lorenzo Pucei, der Leiter des Ablaßgeschäfts, der Kardinal Francesco Armellini und der Vizekanzler Mediei?), so kann diese kleine kirchenpolitische Abhandlung erst nach 1515 geschrieben worden sein, als diese Nepoten und Gtinst- linge des Papstes mit ihrem Anhang sich schon bei aller Welt verhaßt gemacht hatten. Da der Ablaß auch in diesem Teile wie in den volkstümlichen Sprüchen nur nebenbei erwähnt wird?), kann das Auftreten Luthers nicht zu näherer Bestimmung der Entstehungszeit benutzt werden. Wohl aber dürfte die dreimalige Erwähnung des Mißbrauchs, der von der Kurie mit der Türkengefahr getrieben wurde, um Steuern, Zehnten und Ablässe ausschreiben zu können, auf den Reichs- tag von Augsburg (1518) hindeuten.

Der Kern dieses Teiles der Triaden liest sich wie eine Bearbeitung der zehn „gravamina nationis Germanicae", die der Kanzler Martin Mayr 1457 im Namen des Erzbischofs von Mainz dem Enea Silvio entgegenhielt®) und die Jakob Wimpfeling seinem 1510 für Maximilian I, entworfenen anti- päpstlichen Gutachten einverleibte, 1515 aber veröffentlichte“). „Drei Dinge sind in Rom zu wenig" (kann man nicht genug bekommen): „Bischofsmäntel“ (zur Erhebung der Pallien- gelder) „Papstmonate“ (um die in den ungeraden Monaten des Jahres durch Tod erledigten Pfründen besetzen zu können) „und Annaten* (über deren Erhöhung und rücksichtslose

!) Vgl. ARG. I, 388 ff. und etwa die Bemerkung Lnthers über den „Geiz der Florentiner" in seiner Denkschrift vor der ersten Unter- redung mit Miltitz (Anfang Januar 1519). Münchener Luther-Aus- gabe I, 321.

2) In Tr. 51 ist von dem Geldgewinn aus dem „Ablaß zu Kirchen- bau“ die Rede, und damit ist zweifellos der Ablaß zum Neubau von St. Peter gemeint, den schon Julius II. hatte verkünden lassen. Pastor, Gesch. der Päpste III (1899), 774 f.

5, Vagantenzeit S. 228f,

*) Jos. Knepper, Jakob Wimpfeling. Freiburg 1902, S, 260f., 299 ff. Kalkoff, J. W. und die Erhaltung der katholischen Kirche in Schlett- stadt. Ztschr. f. die G. des Oberrheins XIII, 110f.

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Eintreibung von jeher Beschwerde geführt wurde. Tr. 39- u. Grav. 6); „drei Dinge hasset Rom: das Jus patronatus,. die freie Elektion^ (zu den Stellen der Stiftskirchen und den Bischofsämtern) „und daB die Deutschen noch einen Pfennig haben“ (Tr. 40 u. Grav. 2 u. 3: das Wahlrecht der Prälaten: wird durch Besetzung der Stellen kraft päpstlicher Provision- mißachtet, selbst wenn es durch teuer bezahlte Privilegien- gesichert ist); „drei Dinge sind in Rom schrecklich zu hören: ein Concilium generale, die Reformatio“ (der Kirche, vorab der Kurie) „und daß die Deutschen sehend werden“ (Tr. 41 u. Grav. 1: die Päpste halten sich nicht an die Dekrete der Konzilien); „drei Dinge sind Rom leid: der Fürsten Einigkeit, des Volkes rechter Verstand und dab ihre Büberei erkannt wird" (Tr. 42); „drei Räuber über alle Räuber sind in Rom: Pergament, Wachs und Blei)“ (Tr. 43: an den päpstlichen Bullen und andern Urkunden mit den um hohe Summen käuflichen Aemterverleihungen und sonstigen Gnadenerweisungen); „drei Dinge wären heilsam für Rom: des Kaisers und der Fürsten Ernst, aller Christen Ungeduld und des Türken allerschärfste Rute“ (Tr. 44)?); „drei Werke der Barmherzigkeit treibt Rom Überaus: reiche Klöster und (besser: als) Kommenden verwüsten, alle weltlichen Lehen (Pfründen) und Stifte verderben und mit unträglichen (un- tragbaren) Gesetzen die Seelen verdammen“ ) (Tr. 45 u. Grav. 4: die höheren Benefizien, die Dignitäten und Prä- laturen, werden den Kardinülen und Protonotarien reserviert, d. h. die Abteien werden, um das Verbot der Pfründenhäufung zu umgehen, den Kardin&len in der Form von Kommenden übertragen, so daß sie durch ihre Agenten ausgebeutet werden können, und die Pfründen an den Stiften, bes. die Chorherrn- stellen, behält sich der Papst vor, um sie seinen Beamten, den „Kurtisanen“, zu verleihen, die ebenfalls nur die Ein-

) Gemeint ist das Bleisiegel der Bullen und das Wachssiegel der andern Urkunden (nicht ,eine bleierne Kapsel, in der letzteres verwahrt wurde", Freund 8. 23),

5 Jesaias 10,5. In diesem Sinne hatte auch Luther schon in den „Erläuterungen zu den AblaGthesen" ausgeführt, daß man nicht zum Kriege gegen die Türken aufrufen dürfe, da Gott diese als eine Rute unserer Sünden gesandt habe. Kalkoff, Forschungen zu Luthers römischem Prozeß. Rom 1905, S. 192 ff. Weim. Ausg. I, 584 f. Münch. Ausg. I, 97f. Bulle „Exsurge“, Art. 84.

*) Ein Lieblingssatz Luthers, der z. B. in der „Babylonica“ einen flammenden Protest erhob gegen die Tyrannei der willkürlichen und äußerlichen Satzungen, mit denen der Papst die Gewissen beschwere. Weim. Ausg. VI, 537. Münch. Ausg. II, 150.

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künfte beziehen, sich aber um das Gedeihen dieser Kirchen nicht bekümmern); „drei Dinge sind kläglich (wie im Mhd.: führen Klage) über Rom: daß die Florenzer Sekte die Christenheit regiert, daß sie den Papst als einen Kauz (Lock- vogel) aufsetzt!) und daß die Deutschen glauben, daß es ihnen mit dem türkischen Kriege Ernst sei* (Tr. 46 u. Grav. 9: unter dem Vorwande des Türkenzugs werden Zehnten eingetrieben, doch geschieht nichts gegen den Erbfeind der Christenheit); „drei sind der Anschläge zu Rom, um Geld hereinzubekommen: der Zug gegen den Türken, der Ablaß zum Kirchenbau (von St. Peter) und fakultates; drei lassen sich zu Rom nicht dreinreden: der Papst, der Ablaß und eines jeden nützliche Bosheit“ (Selbstsucht; Tr. 511. u Grav. 8: unter Widerruf früher gewährter Ablässe verleiht der Papst (gegen Bezahlung) neae, wodurch viel Geld ver- geudet wird, so daß die Laien über den Klerus murren): „drei Dinge hält man zu Rom für Wahrheit: der Römer Heiligkeit, der Welschen Weisheit und der Deutschen Un- witz^ (Tr. 53 u. Grav. 10: Prozesse, zu deren Entscheidung es doch auch in Deutschland gelehrte und gerechte Richter gibt, werden vor die Rota Romana gezogen); „drei Dinge sind zu Rom eine Ware, mit der man handelt: Christus, geistliche Lehen und Weiber" (Tr. 54 u. Grav. 7 in Wimpfe- lings Fassung: die kirchlichen Aemter werden Unwürdigen (gegen Geld) verliehen, die mehr zur Führung von Mauleseln als von Menschen geeignet sind); „drei Dinge wären za Rom am besten: Verminderung der Gesetze?), der Aemter Abgang und eine völlige Umkehrung“ (umfassende Reform; Tr. 55 u. Grav. 5 gegen die Verleihung zahlloser Anwart- schaften auf dieselben Aemter, die überdies unter den letzten Päpsten wie durch Leo X. derartig vermehrt worden waren, daß ihr Abbau zu den stehenden Forderungen der Kirchen- politiker gehörte). Ferner hatten die verkäuflichen Titel, Gnaden, Dispense and Vorrechte, mit denen die Legaten and Nuntien ausgertistet wurden, um die Kosten ihrer Sendung auf die Gläubigen abzuwälzen, in der letzten Zeit so viel böses Blut gemacht, daß der Kardinal Kajetan 1518 „sine

1) Vgl. Götze, Glossar 8. 182 und Freund 8. 15, der nachweist, daß Hutten den Ausdruck mißverstanden hat, indem er ihn mit „dem Papste schmeicheln^ wiedergab; dabei aber hat er ihn mit der Redens- art „den Kutzen streichen“ (d. h. den Pelz, die wollene Jacke), was im Eccius dedolatus vorkommt (Merker S. 210), verwechseit. Luther sagt in der Schrift an den deutschen Adel: „die lieben Heiligen zu Geldkutsen aufsetzen“, Weim. Ausg. VI (1888), 448, 25.

) Nach dem alten Satze: in corruptissima civitate plurimae leges.

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tacultatibus“ nach Deutschland geschickt wurde, um die Zulassung des Kreuzzugablasses und des Türkenzehntens durch den Reichstag nicht zu gefährden), der sich dann doch tiber die Fakultüten des Nuntius Caraeciolo besehwerte.

Demselben Gesichtskreis gehüren auch noch die unter die volkstümlichen Sprüche versprengten Triaden an: ,drei Dinge sind nötig zu Rom sollieitanti: viel Geld, viel Für- schrift und Lügen (5); drei sind Bürger zu Rom: Simon, Judas, populus Gomorrhae“ (21). Doch klingen inmitten dieser kirchenpolitischen Kritik auch Töne sittlich-religiüser Entrüstung an, wie denn mitten unter jenen Gravamina mit ihrem nationalen Grundton sich die Klage findet: „drei Dinge sind es, damit Rom alles unter sich bringt (sich unterwirft): Gewalt, mitunter aber jetzt auch eine simulata sanctitas und astutia“ (Tr. 50), offenbar eine Anspielung auf die mit Schein- heiligkeit und List, mit geheuchelter Milde und Hinter- haltigkeit gepaarte Machtpolitik der beiden Medici, Leos X. und seines Vetters, des Vizekanzlers. Diese hatten soeben das Laterankonzil mit seinen Reformbeschlüssen abgehalten und dann die angebliche Kardinalsverschwörung zur Be- lestigung des päpstlichen Absolutismus, zur Plünderung der Beschuldigten und zu einem großartigen Verkauf von Kardi- nalshüten benutzt (1517). Und eine weitere Anspielung auf einen gerade in Deutschland viel Anstoß erregenden Konzils- beschluß enthält die 38. Triade, die an der Spitze der ganzen Abhandlung steht: „drei Dinge glaubt Rom nicht fast (ernst- lich): der Seelen Unsterblichkeit, der Toten Auferstehung und die Hölle mit den Teufeln.“ Auch Luther spottete wiederholt darüber, daß der Papst für nötig befunden habe, die Unsterblichkeit der Seele durch das Dekret vom 19. De- zember 1513 ausdrücklich feststellen zu lassen. Man tiber- sah dabei aber, daB die Bulle sich gegen die Lehre der Paduaner Schule richtete, die im Anschluß an Averroes, bzw. Alexander von Aphrodisias die individuelle Unsterblichkeit leugnete. Die Frage war wieder lebhaft erörtert worden, als Pietro Pomponazzi 1516 sein Buch ,de immortalitate animae" veröffentlichte und nun 1518 zum Widerruf genötigt wurde). Die Deutschen hatten ihn eben damals in Bologna als akademischen Lehrer kennengelernt. Dieselbe Stimmung eines kirchlich treuen deutschen Priesters spricht sich auch aus in Tr. 29: „drei Dinge sieht man selten zu Rom: alt

1) Kalkoff, Kardinal Kajetan auf dem Augsburger Reichstage. Qu. u. Forsch. aus italien, Archiven X (1907), 226 fl.

*) Pastor, Gesch. der Püpste IV, 1 (1906), 562. Vagantenzeit S. 287.

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Gold, den Papst und humilitatem“; denn Leo X. ritt so oft als irgend möglich nach seinem Jagdschlosse La Magliana und verlebte dann in Rom nur seine Nächte in rauschenden Vergnügungen; die Messe hörte er in der Sixtina oder anderen dem Volke nicht zugänglichen Kapellen seiner Paläste, und der bei seinen Öffentlichen Aufztigen entfaltete Prunk ließ allerdings apostolische Einfachheit und christliche Demut ver- missen. Wenn es dazu in der vorhergehenden Triade heißt: „drei Ding küsset man zu Rom, Hände, Backen und altaria", so ist die Uebergehung der „osculatio pedum sanetissimorum“ wohl auf die Ehrfurcht vor dem Papsttum zurückzuführen, die dem Verfasser auch nicht gestattete, dessen Vertreter persönlich ftir die Mißbräuche der Kurie und seiner floren- tinischen Landsleute verantwortlich zu machen. Auch die zwischen diesen Beschwerden stehenden Sätzehen: „drei Dinge sind in Rom große Sünde: Armut, Furcht (bescheidenes Auftreten) ) und Frömmigkeit; drei helfen den Leuten fort zu Rom: Geld, Kühnheit und Hoffart; drei Dinge lernt man zu Rom: nimmer fasten, luxurieren (ausschweifend leben) und Ungehorsam“ (Tr. 47—49) sind auf diese Gesinnung zurückzuführen. Bei diesem sittlich lehrhaften Zug des zweiten Teiles empfiehlt es sich nun, für den Schluß, den Hutten eben deshalb nicht verwenden konnte, denselben Ver- fasser anzunehmen, der dann auch das Ganze redigiert hat: „drei haben dies geschrieben: Ernst, Not und Wahrheit; dreierlei Nutzen gibt das Büchlein: Erfahrung, Lehre und Warnung; drei sollen jedermann vor Rom behüten: Lernung (Belehrung) des Uebels, Verletzung der Gewissen und Fahung?) (Kenntnisnahme) böser Exempel“ (Tr. 56—58). Und so dürfte es unumgänglich sein, sich als Verfasser eine Persönlichkeit wie den alten Eiferer um die Reform der Kirche und gegen die Ränke der Kurtisanen, den Pädagogen Wimpfeling vor- zustellen, auf den auch der Straßburger Urdruck hinweisen würde. Dieser ließ bei Eröffnung des Wormser Reichstags seine Sammlung von anstößigen römischen Anekdoten“) dem Nuntius Aleander durch den kursächsischen Sekretär Spalatin vorweisen, um die Ueberheblichkeit dieses Sendlings der Kurie zu strafen und die romfeindliche Stimmung der Reichs- stände zu verstärken. In den begleitenden Bemerkungen ordnet er an, daß das Schriftchen mit der „Apologia Christi pro Luthero" im Falle der Abwesenheit Spalatins an Hatten

1) Vgl. Freund S. 18 gegen Huttens Zusatz: timor dei.

*) Nach Götze, Glossar S. 72 alemannisch.

) Kalkoff, Wiiapfelings letzte lutherfreundliche Kundgebung. Ztschr. f. die G. des Oberrheins XXXV, 1ff. bes. S. 11, 14ff.

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nach der Ebernburg weiterbefördert werde, mit dem ihn sonst keine persönlichen Beziehungen verhanden, der aber von den deutschen Triaden einen so nachdrücklichen Ge- brauch gemacht hatte. Auch in den beiden neuen Schriftchen war das Leitmotiv, die „Laster der Stadt Rom“ unter vor- sichtiger Schonung des regierenden Papstes aufzudecken, und in jener Sammlung von schimpflichen Histörchen waren auch die Gewährsmänner, die sie aus Rom mitgebracht hatten, namhaft gemacht. Jahrelang hatte der Schlettstadter Rat auf Anregung \Wimpfelings in Rom prozessiert und „solli- zitiert“ unter Aufwendung ansehnlicher Summen, um durch Zusammenlegung der kleinen Pfründen an ihrer Pfarrkirche und andere Reformen eine Besserung der kirchlichen Ver- hältnisse herbeizuführen!). Dabei hatte ein lebhafter Verkehr mit der Kurie stattgefunden, wo man die Fürsprache von Landsleuten benutzte und sich u. a. auf die eines geborenen Schlettstadters, des päpstlichen Leibdieners Joh. Man?), ver- ließ. Wimpfeling selbst war infolge seiner Fehde mit den Augustinern nach Rom zitiert und nur durch die Verwendung angesehener Deutscher bei Julius II. vor dem Banne gerettet worden (1506) ). Jedenfalls ersieht man aus diesem Beispiel, wie eine solche Sammlung volkstümlicher Beobachtungen über römische Verhältnisse in Deutschland zustande kommen konnte.

Denn die einzelnen Sprüche sind zwar gewiß vielfach durch Pilger oder sonstige Romfahrer nach der Heimat ge- bracht worden, aber entstanden sind sie, wie schon die italienischen Worte zeigen, unter den zahlreichen in Rom seßhaften Deutschen. Und dabei kommen weniger die Ge- bildeten in Betracht, die als Sekretäre und Schreiber, als Advokaten und Prokuratoren mit der Kurie zu tun hatten‘), als die Handwerker, besonders die Bäcker und Schuster, die eigene Zünfte bilden, Gildehäuser, Trinkstuben und Hospize unterhalten konnten. Alle aber waren an den berühmten kirchlichen Einrichtungen, der Nationalkirche S. Maria dell’ Anima mit ihrer Bruderschaft, an dem Campo santo dei

1) Vgl. Knepper a. a. O. S. 810ff. Jos. Gény, Die Reichsstadt Schlettstadt und ihr Anteil an den religiösen Bewegungen der Jahre 1490—1586. Freiburg 1900. Kap. II und meine Arbeit tiber Wimpfe- ling u, Schlettstadt.

*) Vgl. über ihn Gény S. 62 Anm, 4 u. Z. f. G. des Oberrheins XIII, 266.

) Knepper S. 195f,

*) Vgl. etwa die Einleitung zu meiner Arbeit über „Livin v. Velt- deim“, ARG. XV (1918), 30ff.

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Tedesehi und dem Hospital S. Spirito interessiert!) Die in allen diesen Kreisen herrschenden Anschauungen haben ihren Niederschlag in jenen Sprüchen hinterlassen, die meist dem Standpunkt von „Gevatter Schneider und Handschuhmacher“ entsprechen.

Da heißt es von dem AeuBeren der Stadt: „drei Dinge befestigen Rom: tiefe Gräben, hohe Türme, ganze Mauern“ (Tr. 36) und schon mit scharfer Kritik: „drei Dinge zieren Rom: krumme Gassen, alte Fenster, kein Ordnung“ (Tr. 37), Aehnlich klingt es in den Tr. 12 und 7: „dreier Dinge sind viele zu Rom: Eselschluff (Schlupfwinkel), tüchene Fenster, zerteilte (zerrissene) Hosen; drei Dinge hat Rom am meisten: alte Türm, giftige Würm und verwüstete Kirchen“. Das Mittelglied dieses Spruches wird weiter ausgeführt in Tr. 13: „dreierlei falsche Fische gibt man zu Rom: Frösche, Kanker und Skorpione“; die beiden andern werden wiederholt in dem Satze: „drei Dinge findet man in Rom in allen Gassen: heilige Stätten, zerbrochene Säulen und putanas.“ Auf die Lebensgewohnheiten und das sittliche Verhalten der Römer gehen Sprüche wie: „drei Dinge sind bloß zu Rom: Hosen, Wams und fides; drei Dinge sind gemein zu Rom: reiten, (durch) Gitter sehen und Briefe tragen; drei Dinge tut das Volk zu Rom: Messe hören, Kollation machen (schmausen), schalanzen?) gehn; drei Dinge ißt die Gemeinde zu Rom: Menester (Suppe), Zwiebeln und Knoblauch; drei sind Klosterspeise: Salat, Pitanzlein®) und pocce di Venere (Pfirsiche) )^ (Tr. 15—19). Harmlos lauten auch noch Sätze wie Tr. 25 u. 34: „drei Dinge will jedermann haben zu Rom: kurze Messen, gute Münze, bon tempo (faule Zeit); drei läuten Glocken zu Rom: Paläste, Leichenbegängnisse and Saumrosse,^ Ebenso beschäftigt man sich gern mit dem Aufzug der Reitenden in den Straßen, wenn es heißt: „drei Dinge haben viel Gefräns (Fransen): Mannsgurtel,

1) Vgl. H. Böhmer, Luthers Romfahrt. Leipzig 1914. S. 95f., wo die gesamte reichhaltige Literatur berücksichtigt ist, während das Schriftchen A. Hausraths (M. Luthers Romfahrt, Berlin 1894) in der Tat als unkritisch zu verwerfen ist. Die mittelalterliche Pilgerliteratur wie die Mirabilia Urbis Romae (hrsg. von G. Parthey. Berlin 1869) kommt hier nicht in Betracht,

») Eigentlich ,schalazen^ (müfiggehen) aus dem Griechischen »Scholazein", Götze, Glossar S, 164.

) Freund S. 19. Götze S. 84: von pitantia, die verbesserte Speiseration, die zuzeiten den Mönchen geboten wurde, ein Fisch- oder Fleischgericht.

) Freund S. 19: wörtlich „Venusbrüste“.

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welsche Taschen und Roßzäume“; doch wird diese Beob- achtung schon bissiger, wenn es (Tr. 14 u. 2) heißt: „drei sind wohl gekleidet zu Rom: Pfaffen, Maulesel und meretrices;. drei sind köstlich gehalten zu Rom: Frauen, Rosse und Briefe.“

Dies führt schon auf die aus aller Welt in Rom zu- sammenströmende Menge und ihre Zusammensetzung: „drei sind ganghaftig zu Rom: allerlei Volk, allerlei Münz und allerlei Sprache; drei tragen mancherlei Farbe: Mönche, Frauen und Knechte; drei sind groß: Herren, Schälke und Steine; drei sind ohne Zahl in Rom: Kluffe (Stecknadeln) ), Pfaffen und Schreiber“ (Tr. 20, 22, 35, 36). Aus diesem Kreise der gebildeten Romfahrer, der Kleriker, stammen nun die sittlichen Werturteile, die auf die kirchenpolitische Ten- denz des zweiten Teils vorbereiten. Sie äußern sich zunächst: über den Zweck ihres Aufenthalts: ,drei Dinge bringen einen jeden nach Rom: Gewinn, Wunder und Freiheit" (d. h. der Wunsch, Freiheiten, also Privilegien, Dispense, Indulgenzen. (Ablässe), Provision auf Pfründen und dergl. zu erlangen); denn „drei Dinge halten Rom in Würden: Heiltum (Reliquien), Papst und Ablaß“ (Tr. 9 u. 1). Dabei machen sie bald die Erfahrung, daß „drei Dinge teuer sind zu Rom: Aemter, Recht und Liebe", daß Rom „drei Dinge vor aller Welt vor- aus hat: alte Gebäude, Papst und Geiz“, und daß „drei Dinge verboten sind aus Rom hinwegzutragen: Heiltum °), Stein und Andacht“ (Tr. 27, 26, 33). Bei allem Sollizitieren aber „fördern drei Dinge: Geschenke, Gunst und Gewalt“ (Tr. 31; vgl. oben Tr. 5), während die maßgebenden Personen „drei Dinge nicht gern tun: beten, zahlen und weichen am Wege“ (ausweichen; Tr. 32). Und dieser Hochmut der Kurialen spricht sich auch in ihrem glänzenden Auftreten und in ihrer Genußsucht aus: denn „drei Dinge sind im Brauch zu Rom: fleischliche Wollust, köstliche Kleidung, niemandes achten“, aber „drei sind im Bann: fasten, feiern (die kirchlichen Feiertage gebtihrend begehen) und die Wahr- heit sagen“ (Tr. 10 u. 11). Doch haben auch die Machthaber selbst keinen leichten Stand: denn „drei schädlicher Schleifen

1) Diese Anspielung lautet bei Hutten (IV, 289, 15): „scortis, sacerdotibus et seribis.“ Freund S. 21.

» Vgl. die Bemühungen des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, die päpstliche Genehmigung zur Uebertragung von Reliquien nach Wittenberg zu erlangen. Kalkoff, Ablaß und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu W. Gotha 1907. 8. 70, Im Januar 1518 hatte man in der seit 1365 nicht geöffneten Kapelle Sancta Sanctorum, einem Teil des ehemaligen Lateranpalastes, einen großen Schatz der ehr- würdigeten Reliquien gefunden.

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(Schleppen) hat ein jeder Kardinal (Tr. 23): am Mantel, am Gesinde, am Intrad (mittellat.: intrata, Einkommen), d. h. er muß, um seinen hohen Stand zu wahren, ein großes Gefolge unterhalten und einen Aufwand treiben, der seine Einkünfte verschlingt). Mit den übeln Eigenschaften der Bewohner aber stimmt das Klima der Stadt nur zu sehr überein: denn „drei Dinge sind zu Rom nicht selten: Teurung, böse Luft (Malaria) und Untreue“ und geradezu „wohlfeil sind drei: Fieber, Pestilenz und arme Leute“, so daß es kein Wunder ist, wenn man „gewöhnlich drei Dinge von Rom mitbringt: böses Gewissen, bösen Magen und leeren Sückel" (Tr. 8, 3 und 4) Und dazu pflegten außer den Taxen und Trink- geldern (propinae) in den „teuern Aemtern", der Datarie, der Pünitentiarie, der Camera apostolica und bei der teuern Rechtsprechung an der Rota Romana (Tr. 27) auch die mehr- fach erwähnten „Frauen, putane oder meretrices?) ein gut Teil beizutragen. Denn Rom war vor allen Hauptstädten Europas gekennzeichnet durch die ungeheure Anzahl fremder Dirnen, unter denen die Florentinerinnen und Spanierinnen der Zahl nach vorangingen?) Ueber diese und ähnliche Uebelstände am Sitze des Papsttums pflegte sich gerade Wimpfeling bei jeder Gelegenheit mit lebhafter Entrüstung ‚auszusprechen. Aber besonders die Uebereinstimmung des in sich geschlossenen kirchenpolitischen Teiles der Triaden mit seiner Betonung des nationalen Gesichtspunktes und seiner Hinneigung zu lutherischen Gedanken berechtigt dazu, an der Autorschaft des Verfassers der „Germania“ und der „Apologia“ festzuhalten®), bis ein besser begründeter Vor-

1) Nach dem Einwohnerverzeichnis von 1526 (ed. D. Gnoli im Archiv. della società Romana di storia patris XVII (1894), p. 387 hatten die 21 in Hom residierenden Kardinäle durchschnittlich einen Hausstand von 150 Köpfen. ZKG. XXXIII, 257 Anm. 2.

») Neben dem italienischen Worte „cortigiana“ (Kurtisane) war damals auch der beschönigende Ausdruck „donne de buon tempo“ «vgl. Tr. 25) üblich.

3) Genaue Angaben bei Böhmer S. 99ff., wo in erster Reihe das Einwohnerverzeichnis von 1526 zugrunde gelegt ist; das weniger vollständige von 1517 liefert ähnliche Ergebnisse.

*) Zunächst hatte W. den Brief des Erasmus an den Erzbischof von Mainz nachdrucken lassen mit einer Widmung an den Bischof Christoph von Basel, der sich beim Papste für die evangelische Lehre Luthers verwenden sollte. Z. f. d. G. d. Oberrheins XIII, 117. Auf die Hand eines humanistischen Literaten deutet auch die ver- suchte oder geplante Einordnung „des römischen Sittengemäldes“ mit dem kirchenpolitischen Kern „in den Rahmen einer Terenskomödie“

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schlag gemacht wird. Die Zahl der Männer, die schon in den ersten Jahren der lutherischen Bewegung so antikuria- listisch zu schreiben wagten, ist nicht so groß, wie man wohl bisher anzunehmen pflegte!).

Crotus war jedenfalls an dieser Grundlegung der „Trias Romana“ ebensowenig beteiligt, wie an einer kirchlichen und politischen Verschwörung mit Hutten und Luther oder auch an dem vermeintlichen „Sieg des Erfurter Humanismus“ während seines Rektorats. Es wurde schon erwähnt, wie dieses nur als ein Notbehelf bei seinem zufälligen Aufenthalt in der Universitätsstadt zustande kam, nachdem vierzehn Tage vorher die Studentenschaft unter der Führung des Justus Jonas sich gegen die von den Theologen und Juristen beschlossene Veröffentlichung der Bulle „Exsurge“ aufgelehnt hatte. Seinem Vorsatz, den Frieden zwischen den Parteien wenigstens äußerlich aufrecht zu erhalten, hat Crotus dann Rechnung getragen, indem er die bald darauf durch Aleander erwirkte Requisition des Kardinals Albrecht von Mainz „dilatorisch behandelte“ und so wirkungslos machte?); im Senat wagte man die Studenten nicht noch einmal herauszufordern und

hin (Freund S. 12, Böcking IV, 265); das Wort „Calliopius“ am Ende erinnert an die Unterschrift der Terenzhandschriften: „Calliopius recen- suit“; ebendaher stammen die Ausdrücke „Argumentum et Prologus“ für die kurzen Reimpaare der wohl von dem Drucker herrührenden Ankündigung sowie das Wort „Scoena“ über dem Text. Dabei er- innert man sich, daß Wimpfeling 1480 die erste Komödie nach dem Muster des Terenz verfaßt hatte, den „Stylpho“, in der er einen un- wissenden, tölpelhaften Pfründenjäger verspottete, der in Rom eine Anwartschaft erworben hat, bei einem Examen aber als völlig un- tauglich zur Verwaltung einer Pfarre erfunden und dann als Schweine- hirte untergebracht wird. Knepper S. 35 fl. Es ist wichtig, daB sich die Ueberschrift ,Scoena^ gerade auch in dem Straßburger Druck findet; sie ist aber keinesfalls durch einen Herausgeber hinzugesetzt worden, dem die Sprüche „selbst für ein Flugblatt zu kahl“ vorkamen, sondern sie befand sich auf dem Blatte des Manuskripts, das der Ver- fasser aus dem Entwurf einer Komödie herausnahm, weil ihm die kirchenpolitische Lage die schnelle Veröffentlichung dieser satirischen Einlage wünschenswert erscheinen ließ. Am nächsten liegt es wohl, an eine von Wimpfeling geplantc Uebersetzung des „Stylpho“ (bei Terenz: Stilpo) zu denken, wobei er die Szene, in welche die Triaden eingeschoben werden sollten, noch nicht bestimmt hatte. 1) Vgl. das Vorwort zu HRE. 3) Vgl. HRE. S. 04 f. Archiv für Heformationsgeschichte. XXIII. 1/2. 10

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verwies die Sache an das „concilium generale“, in dem alle Graduierten vertreten waren. Hier aber war der Wider- spruch der mit Jonas verbündeten „Baccalaureen und Magister“, die seit einigen Monaten als „Verkündiger (professores) der evangelischen Wahrheit" aufgetreten waren, so stark, daß die Vollziehung des päpstlichen Urteils hinausgeschoben wurde. Dann sorgte Capito dafür, daß Albrecht als Ordinarius der Stadt und Kanzler der Universität die Angelegenheit auf sich beruhen ließ. Der feierliche Empfang Luthers war dann, ganz abgesehen von der persönlichen Freundschaft und Ver- ehrung, die Crotus ihm bewahrt hatte, ebenfalls ein Zu- geständnis an die Öffentliche Meinung der Studenten wie der Bürgerschaft. Es wurde, bei Zurtickhaltung der beiden höheren Fakultäten, gefördert durch die kursächsisch ge- sinnten Häupter der städtischen Regierung, die bald darauf in Rom als Anhänger Luthers auch dem Namen nach be- kannt waren. Ueber den Inhalt seiner Begrtißungsrede !) wissen wir weiter nichts, als was der biedere Eobanus Hessus in seinen Distichen eingeschmolzen hat?): man freue sich, den von Angesicht zu sehen, der als „einziger Kritiker der Verderbnis aufgetreten sei, (unice perfidiae censor), die zur- zeit den christlichen Glauben fast zugrunde gerichtet" habe. Das ist derselbe Gedanke, zu dem sich Crotus bald darauf mit seiner Eintragung in die Matrikel bekannt hat, nur daß er vor der Öffentlichkeit Rom, d. h. den Papst und die Kurie, aus dem Spiele lieb und nur auf die herrschende scholastische Theologie zielte. Als dann in den nächsten Tagen die Ex- kommunikation eines an der Einholung des Hüresiarchen beteiligten Kanonikus infolge der Drohungen der Studenten von dem Dechanten des Severistifts zurückgenommen werden mußte, bestrafte der Rektor die Anstifter. Die am 10. bis 12. Juni 1521 erfolgten Ausschreitungen gegen die Wohnungen der Stiftsherren, das „Pfaffenstürmen“, gingen von der Bürgerschaft, von den von der Klerisei in der Revolution von 1509 bis 1516 genasführten Handwerkern, aus. Die wenigen „martinianischen“ Studenten, die sich daran be- teiligten, standen jetzt unter der Disziplinargewalt eines Rektors aus den Reihen der altkirchlichen Partei, der jedoch nicht gegen sie vorzugehen wagte. Und so hatte Crotus alles Recht, sich auf das schürfste dagegen zu wehren, daß man nachträglich ihn und sein Rektorat mit dem Tumult gegen die Verdammungsbulle und dem Aufruf des Jonas in Verbindung gebracht hatte.

1) HRE. Vorwort S. V. *) Vgl. etwa Einert S. 65 f.

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Er tat es von Fulda aus, wo die Patronatsbehörde ihm keinen längeren Urlaub bewilligen wollte. Denn „ein Lehr- amt“ hatte er an der Universität Erfurt 1520 nicht über- nommen“); er hatte als Rektor nur die Aufsicht tiber Bursen und Kollegien im Einvernehmen mit dem Senat zu hand- haben und einige Verwaltungsgeschüfte zu besorgen, wofür er aus Gebtihren und Geldbußen eine karge Entschädigung bezog. So war es wirklich ein Opfer, das er dem Gemein- wesen brachte, mit dem ihn nur die Erinnerung an seine Studienzeit verband. Engere Beziehungen zu den erasmisch, dann lutherisch gerichteten jüngeren Gelehrten hat er dabei nicht angeknüpft, und mit der vielgerühmten Reform des akademischen Unterrichts hatte er schon deshalb nichts zu tun, weil sie schon im Frühjahr 1519 von Jonas bei Antritt seines Rektorats eingeleitet worden war?). Diesem stand als Vorbild dabei die seit 1517 in Wittenberg durchgeführte Reform?) und als höchstes Ziel das „collegium trilingue“ des Erasmus in Löwen als Grundlage eines humanistisch vertieften Studiums der Theologle vor der Seele. Bei dem finanziellen Unvermögen des Patronats, der tiefverschuldeten Stadt, sollten die Mittel für die sieben neuen Lehrstellen durch Ersparnisse an den bei den Prüfungen tiblichen Gast- mählern aufgebracht werden. So wollte man einen ver- besserten Unterricht im Lateinischen und in der Rhetorik erreichen, den im Griechischen und Hebräischen aber erst einführen. Die Mitglieder des vorberatenden Ausschusses der Artistenfakultät waren wohl selbst bereit, in diesem Sinne zu arbeiten. Obwohl ihre Namen nicht überliefert sind, läßt sich doch feststellen, daß es die Freunde der beiden führenden Männer, des Jonas und des Augustiners Joh. Lange, des bewährten Gräzisten, waren, also außer dem Poeten Eobanus sein Bruder in Apollo Euricius Cordus, die späteren Theologen Johannes Draco, Joachim Camerarius und der Philologe Petrus (Petreius) Eberbach. Auch der Mediziner Georg Sturz stand ihnen nahe. Aber von dem Einfluß des Mutianus Rufus auf diese Gelehrten oder aut ihr Unternehmen kann keine Rede sein. Vielmehr sprach sich Jonas gerade damals scharf tiber seine Untätigkeit aus: er hatte darauf gerechnet, ihn zur Mitarbeit heranziehen zu können und beklagte sich nun am 19. Juli 1519 bei Lange,

1) So noch A. Bömer 8. 78.

*) HRE. S. 86f.

5) Vgl. W. Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg. Halle 1917. Kap. III: Luthers Anfünge und die Umwandlung der Universität, bes, S. 96 ff.

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daß Mutian, je mehr er imstande sei, vielen zu nützen, sich um so weniger dazu verstehen wolle. Er liege da verborgen in seiner Höhle und verzehre sich in Unzufriedenheit mit sich selbst. Quintilian behaupte nur zu treffend, daß der Geist in der Vereinsamung verkümmern müsse, so daß man eine solche widersinnige Lebensführung, die sich der Tätig- keit im Angesicht der Welt entziehe, durchaus verurteilen müsse). Die Reform des vorbereitenden Unterrichts scheiterte dann an der Mittellosigkeit der Neuerer und dem passiven Widerstand der in den Kollegien beamteten Dozenten, ehe sie noch die theologische Fakultät beeinflussen konnte, wo die Inhaber der Lektoralpfründen ebenfalls ihre lebens- längliche Unzugänglichkeit bekundeten. Und se waren schon in dem Sommer vor dem Eintreffen des Crotus jene führenden Männer, vor allem Jonas selbst, mit ihren Schülern, den späteren evangelischen Pfarrern von Erfurt, zur Theologie übergegangen, hielten Vorlesungen tber paulinische Briefe und bestiegen die Kanzeln unter reger Beteiligung der ge- samten Studentenschaft und der Gemeinden. An alledem war Crotus unbeteiligt. Die Verödung der Hochschule aber war dann die Folge jener Rückständigkeit der ansässigen Dozenten und der Kurzsichtigkeit des regierenden Bürgertums, in dessen Kreisen besonders nach den Stürmen des Bauern- kriegs die altkirchliche Gesinnung die Oberband gewann, während die große Mehrheit der Bevölkerung unter der Führung Joh. Langes dem evangelischem Bekenntnis treu blieb. Die Studentenschaft aber folgte ihrem die Geister bannenden Lehrer, dem feurig beredten Jonas, nach Witten- berg?); seine bedeutendsten Geführten, Joachim Camerarius und Eobanus Hessus, gingen wenige Jahre später nach Nürnberg), und auch Crotus ist nie wieder nach Erfurt zurückgekehrt, wo er ohnehin nur eine unbedeutende Rolle gespielt hat.

Man wird also künftig in dem Thüringer Humanisten, von dem wir in der Tat nur wenig wissen, nicht mehr „den größten satirischen Geist des Reformationszeitalters und einen Hauptvorkämpfer der lutherischen Lehre“ erblicken dürfen). Es ist zwar zu hart geurteilt, wenn von seinem „herzlosen Egoismus“ oder seinem „Zynismus“ 5) gesprochen wird, durch

1) Krause a. a. O. Nr. XX, S. 21.

*) Vgl. Friedensburg a. a. O. S. 144ff,

*) Reformation in Nürnberg S. 124.

*) Vgl. Merkers treffende Aeuferungen über die Erledigung der „Crotusfabel“ neben der der Huttenlegende. A. a. O. S. 211.

5) Bómer S. 104.

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den er selbst in dem „Mutianischen Kreise“ aufgefallen sei, der ja auch bei weitem nicht so bedeutend oder so gefährlich war, wie bisher angenommen wurde. Auch hat Crotus bei seinem klaren Blick die Tragweite des unter seinen Augen sich abspielenden Kampfes erkannt und der Seelengröße Luthers seine Huldigung nicht versagt. „Eine große und starke Persönlichkeit“ war er allerdings trotz seiner treffenden Satire nicht; doch wer wollte dem bescheidenen Manne daraus einen Vorwurf machen!

Ulrich von Hutten ein Bücherdieb? Von Otto Clemen.

Zu den Beschuldigungen, die Paul Kalkoff in seinen beiden Huttenbüchern (U. v. H. und die Reformation 1920, Huttens Vagantenzeit und Untergang 1925) gegen den Ritter erhebt, gehört auch die, daß er in der Zeit Herbst 1519 bis Frühjahr 1520, als er von der väterlichen Burg Steckel- berg aus Fulda besuchte, aus der dortigen Klosterbibliothek drei wertvolle Handschriften gestohlen habe. In meiner Besprechung des zweiten Huttenbuchs, Theologische Literatur- zeitung 1925, Sp. 302, hatte ich eingewandt: man müsse doch wenigstens mit der Möglichkeit rechnen, daß Hutten die Rückgabe vergessen oder verschoben habe, bis es zu spät war. Ich führte zwei analoge Fälle an: Reuchlin hat aus der Baseler Dominikanerbibliothek vor 1519 einen Athanasiuskodex entliehen, der erst im Todesjahr des Ge- lehrten dahin zurückkehrte Und die Zwickauer Ratsschul- bibliothek besitzt eine aus dem Kloster Lehnin stammende Sachsenspiegelhandschrift, die 1533, wie der im Berliner Geh. Staatsarchiv noch vorhandene Leihschein beweist, von dem Kanzler Albrechts von Mainz, Kaspar von Barth, auf zwei Monate entliehen ward. In einem Aufsatz im Archiv für Refor- mationsgeschichte 22, 212 hat jetzt Kalkoff den Vorwurf des Bücherdiebstahls gegen Hutten in der schärfsten Form wieder- holt; 267? hat er gegentiber der von mir versuchten Ent- lastung des Ritters dreierlei geltend gemacht: 1. der Hinweis auf Reuchlin sei irrelevant, weil der Band „doch vielleicht noch auf seine Anweisung hin“ wieder in Basel eingetroffen sei; 2. Hutten habe seinen späteren Aufenthalt in Fulda Ende August 1520 nicht zur Rückgabe der Handschriften benutzt; 3. als unverbesserlicher Spieler und Schulden- macher, schließlich als ein Erpresser und Straßenräuber, verdiene Hutten nicht das einem harmlosen Gelehrten ge- währte Vertrauen.

Der von mir hoch verehrte Breslauer Gelehrte möge es mir nicht verübeln, wenn ich dagegen eine Duplik erlasse. ad 1: ebenso könnte man von Hutten vermuten, daß er in einer letztwilligen Verfügung die Rückgabe der Hand-

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schriften angeordnet habe. Der Unterschied wäre dann nur der, daB diese Anordnung Huttens nicht ausgeführt wurde bzw. nicht ausgeführt werden konnte. ad 2: Hutten kam jenes zweitemal allerdings auch wieder von Steckelberg aus, wo er vielleicht die Handschriften deponiert hatte, nach Fulda, aber inzwischen konnte er unmöglich Zeit ge- funden haben, sie zu benutzen oder gar auszuschöpfen: An- fang April traf er in Bamberg mit Crotus zusammen, im Mai fuhr er den Rhein hinunter: Mainz, Boppard, Köln, dann Löwen, Brüssel, von wo er ca. 1. August zurückreiste, rheinaufwärts; am 8. August war er in Gelnhausen, am 15. auf Steckelberg, am 28. in Fulda. Seitdem ist er nicht wieder nach Fulda gekommen. ad 3: Der Herausgeber des Archivs für Reformations- geschichte äußert in seiner Besprechung des Kalkoffschen zweiten Huttenbuchs 22, 315 sehr richtig, daß „von einer abschließenden Würdigung Huttens als Gesamterscheinung durch Kalkoff nicht die Rede sein könne“. Wir müßten aber sowieso den Fall isoliert von der von Kalkoff vertretenen höchst ungünstigen Beurteilung des Ritters betrachten. Denn es wäre natürlich ein circulus vitiosus, wenn man argumentieren wollte: Hutten war ein Lump, wie u. a. aus dem Bücherdiebstahl hervorgeht, also ist ihm der Bücherdiebstahl zuzutrauen!)

Die drei Handschriften, die Hutten aus der Fuldaer Klosterbibliothek gestohlen haben soll, befanden sich später im Besitze des kurpfälzischen Leibarztes Joh. Lotzer in Heidel- berg?). Das ergibt sich aus einem Schreiben des Joachim

T) Uebrigens verstehe ich die Stelle bei Kalkoff nicht recht, daß Hutten ,das einem harmlosen Gelehrten gewührte Vertrauen nicht verdiene“. Meint er das Vertrauen, das der damalige Fuldaer Biblio- thekar Kalkoff stellt Vagantenzeit 110 effektvoll den ,armen Kon- ventualen* dem „Mitglied der kapitalfähigen Geschlechter“, dem „adligen Literaten“ gegenüber Hutten gewährte, indem er diesen unbeaufsichtigt in der Bibliothek arbeiten und die drei Handschriften mitnehmen ließ, oder meint er das Vertrauen, das wir Hutten, wenn er nicht ein Lump wäre, schenken könnten, daß er nämlich beabsichtigt habe, die Codices zurückzugeben?

?) Vgl. über ihn Bossert, Blätter f. württemberg. Kirchengesch. 1,58f.; Hermelink, die Matrikeln der Univ. Tübingen 1, 166; Förste- mann-Günther, Briefe an Desiderius Erasmus von Rotterdam 1904, 384. Joh. Sinapius, der Nachfolger des Simon Grynüus in Heidelberg (vgl. über Sinapius Fórstemann-Günther S. 422), widmete ihm unterm 17. Febr. 1530 eine am 15. von ihm gehaltene Rede, die im Mürz bei Setzer in Hagenau erschien: Adversus ignaviam et sordes eorum, qui litteras humaniores negligunt aut contemnunt eo quod non sint de pane lucrando (Zwickauer Ratsschulbibliothek 21. 12. 87,8. Leipziger Universitäts-

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Camerarius an Moritz von Hutten, datiert: Speyer 29. April 1529 (neugedruckt bei Böcking, Opera Hutteni 2, 446). Camerar schreibt da: Ich erinnere mich, daß Du einst mit mir über die Bücher Deines Stammesgenossen Ulrich sprachst, „quos haberet redemtos ex praeda medicus Locerus“, und daß Du beabsichtigtest, durch Erstattung der Erwerbskosten an den Arzt die Bibliothek zu Deinem Eigentum zu machen. Als ich nun aber nach Speyer kam, teilten mir einige Buch- händler mit, daß Froben mit Lotzer über gewisse Hand- schriften verhandelt hätte, um sie abzudrucken. „Inter eos nominabatur Quintilianus, Plinius et Marcellus, qui res medicas scripsit.“ Ich tat denen, die mir das sagten, sogleich Deine Absicht kund, sodaß, als sich das herumsprach, Lotzer zögerte, die Bücher zu zerstreuen. Nachher kam zu mir der Buch- händler Setzer aus Hagenau und sagte: „Kennst Du den Moritz von Hutten?“ „So gut wie mich“, antwortete ich. Darauf erzählte er mir die Geschichte von den Büchern und bat mich, Dich zu ermahnen, nicht zuzulassen, daß die Bücher Deiner Familie entfremdet würden. Er hoffte nämlich, daß, wenn Du sie erlangtest, Du sie niemand lieber als mir zur Edition mitteilen wtirdest, und daß er dann den Druckauftrag (und Verlag) erhalten würde. Am Druck des Marcellus rechne er 30 Goldgulden oder wenigstens nicht viel weniger zu verdienen; die würde er gern Dir zahlen, um Dir den Ankauf zu erleichtern, und sich mit dem Vorteil begnügen, durch diese Edition das Renommée seiner Firma zu heben. Wir halten aus diesem interessanten Briefe fest, daß Lotzer damals Bücher (oder die Bücher) Ulrich von Huttens besaß, und zwar hatte er sie „ex praeda^ zurückgekauft, und daß man ihnen drei Handschriften: Quintilian, Plinius und Marcellus zurechnete. DieStellehatschonKalkoffundvorihmGregorRichter, Fuldaer Geschichtsblätter 8, 39? verwertet. Richter hatte auch schon unsere Briefstelle mit einer Stelle in Huttens Vorrede vom 27. Mai 1520 zu seiner Veröffentlichung „De schismate extinguendo“ kombiniert. Es war das eine Sammlung anti- kurialistischer Schriften, die Hutten auf jener Reise rhein- abwärts kurz zuvor bei einem trierischen Zollbeamten in Boppard entdeckt hatte. Hutten meint, sie verdienten es durchaus, ediert zu werden, wenn sie sich auch an Wert nicht vergleichen ließen „cum iis, quos in Fuldensi nuper bibliotheca blattis et cariei inveniens eripui: Plinio, Solino,

bibliothek Philos. 502). Vgl. Hugo Holstein, Joh. Sinapius, Gym- nasialprogramm Wilhelmshaven 1901, S. 7. Strauß, Richter und Kalkoff kennen Lotzer nicht und nennen ihn Locher bzw. Lochner.

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Quintiliano, Marcello medico. Richter weist ferner darauf hin, daD in dem erhaltenen Katalog der Fuldaer Bibliothek aus der zweiten Hülfte des 16. Jahrhunderts abgesehen von Solins „De situ orbis terrarum et de mira- bilibus mundi“ diese Codices nicht mehr verzeichnet seien. Und nun schließt er: „Man darf wohl gegen ihn selbst bis zu einem gewissen Grade den Vorwurf erheben, den er Aeneas Silvius machte“ (nämlich in der Vorrede zu „De unitate ecclesiae conservanda“, daß Silvius die Fuldaer Biblio- thek „jämmerlich geplündert“ babe) Man beachte, wie vorsichtig sich Richter noch äußert und wie zuversichtlich und leidenschaftlich Kalkoff die Anklage auf ganz gemeinen Bücherdiebstahl gegen Hutten erhebt!

Die Quintilianhandschrift ist in Lotzers Besitze schon früher festzustellen. Am 9. Dezember 1524 schreibt Melan- chthon an Camerar (Corpus reformatorum I 687): „Simon ex Heidelberga scribit se in Quintiliano recognoscendo diu iam esse, rem extrahi medici culpa. Et tamen liberaliter pollice- fur proximis nondinis sperare se missurum recognitionem." Der Simon, der aus Heidelberg an Melanchthon geschrieben hat, daß er schon lange mit der Kollationierung der Quin- tilianhandschrift beschäftigt sei, ist natürlich Grynäus, und unter dem medicus, der die Verzögerung der Arbeit ver- schulde, ahnen wir Lotzer. Die Sache wird aber erst völlig klar aus der Vorrede, die Camerar aus Nürnberg am 30. Juni 1526 an Daniel Stibar gerichtet und seiner im April 1527 bei Setzer in Hagenau erschienenen Quintilian- ausgabe (M. Fabii Quintiliani institutionum liber decimus sie emendatus, ut praeterquam paucis admodum in locis nihil a studiosis requiri possit; Zwickauer RSB. 2. 10. 20) voran- gestellt hat. Camerar klagt da tiber die Fehlerhaftigkeit der bisher bekannten Handschriften, die alle auf einen Archetypus zurückgingen, nümlich auf den Codex, ,quem Pogius Floren- tinus ex iugis Helvetiorum annis abhine non minus C in Italiam asportavit,^ Er (Camerar) habe „olim“ einen Codex erlangt, der offenbar aus einem andern sehr verbesserten aber von einem höchst eselhaften Abschreiber kopiert war; dieser Codex habe ihm mehrere glückliche Konjekturen ermöglicht,” Und nun fährt Camerar fort: Ante vero annos duos, cum comes eruditissimi viri Philippi Melanchthonis e patria in Saxonas redeuntis Eitelpergam venissem nosque Locerus Medicus vir clarissimus domum suam abduxisset ac inter alia humanitatis offieia exposuisset Bibliothecam suam loeupletatam Huttenicis voluminibus de praeda, ut ipse aiebat, redemptis, incidimus divinitus in vetustissimum codicem Quin- tiliani, sed tamen, uf nihil est ab omni parte beatum, man-

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cum, desyderabantur enim medii quatuor libri. ostendi statim Philippo ae mox aliquot deprauatissimis locis, quos memoria retinueramus, inspectis vidimus esse bene emaculatos. Quare postea omnibus rebus posthabitis hac de caussa Eitelpergam proficisci quaesivi, sed cum fortuna pertinacissime adversaretur, exoravimus Simonem Grynaeum, qui Eytelpergae bonas literas nune docet, ut Aldinum exemplum secundum illud antiquum eorrigeret. eam correctionem ante aliquot nuper menses adeo Grynaeus nobis misit . . . Ein Buch daraus legt Camerar jetzt Stibar als Kostprobe vor.

Wir fassen zusammen: Camerar, der Melanchthon aut seiner Reise nach Bretten (ab Wittenberg 18. April 1524; in Fulda empfingen die Reisegenossen die erste bestimmte Kunde von Huttens Tod) begleitet hat, besuchte auf der Rückreise in Heidelberg mit Melanchthon den Arzt Lotzer. Dieser zeigte ihnen „bibliothecam suam locupletatam Huttenicis voluminibus de praeda, ut ipse aiebat, redemptis." Hier stießen Sie auf einen sehr alten, leider defekten Quintiliankodex mit gutem Texte. Da Camerar nicht selbst zur Kollationierung der Handschrift noch einmal nach Heidelberg reisen konnte, hatte Grynáus die Gefülligkeit, ihm eine Kollation zu be- sorgen, die aber erst ea. Ende April 1526 in Nürnberg ein- traf. Wir halten vor allem fest: Schon Mai 1524 war die Bibliothek Lotzers in Heidelberg bereichert durch „Huttensche Bände“, die jener „aus der Beute zurückgekauft“ hatte, und zu ihnen gehörte eine sehr alte Quintilianhandschrift?).

Den sowohl in Camerars Briefe an Moritz von Hutten als auch in seiner Vorrede an Daniel Stibar begegnenden Ausdruck, daß Lotzer die Huttenschen Bücher „aus der Beute zurückgekauft“ habe, wird man mit David Friedrich Strauß?) so verstehen miissen, daß sie zu der Kriegsbeute

1) Jetzt verstehen wir auch, weshalb gerade Setzer 1529 Camerar zusetzte, auf Moritz von Hutten einzuwirken, daß er die Bücher seines Stammesgenossen aus der Lotzerschen Bibliothek erwürbe: er war schon vor Jahren durch Camerar von dem Wert einzelner Stücke dar- aus unterrichtet. Setzer hat 1529 anch ans Huttens Nachlaß dessen Dialog Arminius veröffentlicht. Aus dem vorangestellten Gedicht des Eobanus Hessus, datiert: Nürnberg August 1528, an dessen Schluß (Böcking 2, 440) dieser meint, der erste Dank des Lesers gebühre dem Ulrich, der zweite dem Moritz von Hutten, der dritte dem Joachim Camerarius, dürfte hervorgehen, daß Moritz von Hutten das von Setzer und Camerar gewünschte Geschüft tatsächlich abgeschlossen, d. h. dem Arzt Lotzer die Huttenschen Bücher abgekauft hat. Vgl. neuestens Karl Ried, Moritz von Hutten 1925, 17f.

*) Ulrich von Hutten. Nenausgabe des Inselverlags, S. 460.

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gehörten, die nach der Eroberung der Sickingenschen Burgen, besonders der Ebernburg, im Mai 1523 in die Hände der Fürsten fiel. Aus der Versteigerung derselben muß Lotzer die Huttenschen Bücher erworben haben!)

Nach alledem bleibt die Möglichkeit durchaus offen, daß Hutten die Handschriften aus Fulda nur mitgenommen hat, um sie zu benutzen und nach Benutzung zurückzugeben, daß er aber nicht dazu kam, sie zu verwerten, und daß er durch seine wechselvollen Schicksale, seine Irrfahrten und Fehden und schließlich seinen Tod fern der Heimat ver- hindert wurde, sie zurückzugeben. In dubio pro reo! Ein so ausgemachter Lump war Hutten nicht, daB man ihm das nicht zubilligen dürfte!

Beachtet man nun aber endlich, daß Hutten selbst in jener Vorrede vom 27. Mai 1520 meldet, daß er in der Fuldaer Bibliothek den Plinius, Solinus, Quintilianus, Mar- cellus medicus gefunden habe, dann hat es doch alle Wahr- scheinlichkeit für sich, daß Hutten in der Tat jene Hand- schriften nur zur Benutzung und späteren Rückgabe mit- genommen hat. Hätte er sie gestohlen (etwa, um sie weiter- zuverkaufen?), dann hätte er durch jene Vorrede die Oeffent- lichkeit und die Polizei auf seine Spur gewiesen. Ob Hutten moralisch oder unmoralisch war, mag zweifelhaft sein, dumm aber war er sicher nicht!“)

1) Bei Sickingens Untergang war Hutten in Mühlhausen. Bei seinem Tode auf der Uferau hinterließ er nach Zwinglis Zeugnis keine Bücher, keinen Hausrat, nur eine Feder.

*) Unhaltbar ist m. M. n. die von Kalkoff, Vagantenzeit 110 hin- zugefügte Beschuldigung: Hutten habe seinen Diebstahl vertuschen wollen, indem er den Zustand der Fuldaer Bibliothek als verwahrlost hinstellte und den Aeneas Silvius beschuldigte, die Bibliothek „jämmer- lich geplündert“ zu haben. 1. Wenn Hutten (in der Vorrede zu „De unitate ecclesiae conservanda") schreibt, er habe seine Funde gemacht, wührend er die ,im Staub vergrabene, von Moder und Unrat gans entstellte Klosterbibliothek durchstöberte“, so sind das stereotype Redensarten, wie sie die Humanisten lieben, wenn sie von ihren For- schungen und Entdeckungen in Archiven und Bibliotheken reden. 2. Daß die Fuldaer Bibliothek feucht war und die Bücher darunter litten, bestätigt der Kölner Nuntius P. A. Carafa, der 1627 im päpst- lichen Auftrage die Abtei Fulda visitierte und aus dem angegebenen Grunde die Verlegung der Bibliothek in einen anderen Raum anordnete (Richter a. a O.). 8. Aeneas Silvius konnte doch nicht verantwortlich gemacht werden für das spätere Fehlen von Handschriften, deren Vor- handensein 1519 oder 1520 konstatiert worden war.

Mitteilungen.

Zeitschriftenschau.

Allgemeines. Einen von ihm unlängst erworbenen Tafel- katechismus aus dem 15. Jahrhundert veröffentlicht und würdigt Ph. Meyer in ZKG. 44 (NF. 7), 2 S. 206—218.

Auf einen kostbaren Reformationssammelband in der Lü- becker Stadtbibliothek weist W. Jannasch in ZKG. 44 (NF. 7), 8 S. 498f, hin. Am kostbarsten ist eine die Wiedertäufer in Münster betr. Schrift von 1582, von der bisher nur ein Exemplar (in London) nachgewiesen ist.

„Ungedrucktes von Bugenhagen, Melanchthon und Cru- ciger“ aus der Kirchenbibl. von St. Nicolai in Berlin teilt mit Er- läuterungen H. Becker in ZKG. 44 (NF. 7), 2 S. 276—981 mit.

R. Baerwald, Verfasser eines Buches über die Schlacht bei Frankenhausen (Mühlhausen 1925) bespricht in Thür. Sächs. Z. f. G. u. K. 14 (Jahrg. 1935) S. 1—62 kritisch „die Niederwerfung der sozialen Revolution in Thüringen im Mai 1525". Das Haupt- verdienst am Siege der Fürsten wird mit Recht der Einsicht und Feldherrngabe des Landgrafen Philipp von Hessen zugeschrieben; auf der anderen Seite wird Müntzers Eintreten für die Rechte des armen Mannes gebührend gewürdigt.

„Die Politik Kaiser Karls V. am Trienter Konzil im Jahre 1545“ beleuchtet auf Grund der Aktenveröffentlichungen von v. Druffel-Brandi, des Preuß. Histor. Instituts in Rom (Nuntiatur berichte) und der Görres-Gesellschaft (Concilium Tridentinum) Joachim Müller in ZKG. 44 (NF. 7) 2 S. 225—276 und 8 S, 3888—47. Dazu kommen Exkurse über das sog. „Tadelsbreve“ Pauls IIL, zu den geheimen Abmachungen zum Friedensvertrag von Crópy und über den Anteil der einzelnen päpstlichen Legaten an der Konzils- korrespondenz von 1545. Die Untersuchung bestätigt die Auffassung des Konzils als kaiserlichen Schreck- und Drohmittels gegen Rom und den deutschen Protestantismus und Vorwandes für die Offensive gegen den letzteren.

St. Ehses (+) behandelt in RöQSchr. 82 S. 148—156 ein in Bruchstücken erhaltenes Briefregister Angelo Massarellis, das einen gewissen Ersatz für die aus der Zeit des Staatesekretariats Dandinos (unter Julius III.) verlorenen Nuntiaturkorrespondenzen gibt.

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Persönliches. O. Albrecht, Aus der Werkstatt der Wei- marer Lutherausgabe (Theol StKr. 98/99, 1926, 1 S. 88—141) gibt zu den Bünden, an denen er mitgearbeitet hat, dem Katechismus- band (80I) dem Liederband (35) und dem neuesten (4.) Bibelband, eine sehr beachtliche, reichhaltige Nachlese, enthaltend Nachtrüge, Ergänzungen, Berichtigungen, kritische Durchblicke und Ausblicke, auch Wünsche und Anregungen.

Über Luthers Vorlesung über den Galaterbrief von 1516/17 handelt J. Ficker in ThStKr. 98/99, 1 8. 1—17; ebendort S. 18—82 Gerh. Schulze über Luthers Galaterbriefvorlesung von 1631 und den gedruckten Kommentar von 1535.

In ZKG. 44 (NF. 7), 4 S. 582—594 verteidigt E. Kohlmeyer die Ergebnisse seiner ,Entstehung der Schrift Luthers an den christl. Adel“, 1922 (s. Archiv XX 1/2, S. 69) gegen W. Köhler (in ZfRechtsgesch. XLIV, kanon. Abt. VI S. 1ff) und z. T. auch gegen Holls Kritik (in den Ges. Aufsützen I).

Nachtrüge zu seinen Untersuchungen über „Luthers römischen Prozeß“ bietet P. Kalkoff in ZKG. 44 (NF. 7), 2 S. 213—225.

A. de Haas betrachtet in Theol. Arbeiten aus dem wiss. Prediger- verein d. Rheinprovinz NF. H. 21, S. 119—128 „die Luthertat der Begründung des deutschen ev. Pfarrhauses...“ nach ihrer bibl. Begründung, geschichtl. Entwicklung und ethischen Wertung.

„Luthers letzte Lebenstat“, nämlich seinen Versuch, die Streitigkeiten zwischen den Grafen von Mansfeld zu schlichten, be- handelt R. Stammler in Z. f. system, Theol, Bd. 2, Heft 4 (1925).

In ZVKG. Prov. Sachsen 21, 1/2 S. 88—89 veröffentlicht und bespricht K. Pallas einen unbekannten Brief Hz. Heinrichs von Sachsen an Luther aus Freiberg v. 5. Áugust 1639 (Antwort auf Luthers Schreiben vom 25. Juli = Enders Kawerau 12, S. 212f.). Der Brief ist in gleichzeitiger Abschrift im Dresdener HStA. erhalten; er handelt von der ersten Visitation im Herzogtum.

In ZWestprGV. 65 (1925) S. 5—70 schildert H. Freytag (1) Antonius Bodenstein „Ein Theoiogenleben aus dem Jahrh, der Ref.“ B. ist kein Großer der Zeit, aber von Bedeutung als Schüler der Leucorea, der im Osten für die Ref. wirkte. Eigentümlich ist ihm die versóhnliche Denkart gegenüber Andersglüubigen.

In Bil. f. Württ. KG. NF. 29, Heft 8/4, S. 286—250 druckt G.Bossert von Brenz einen Brief an Ungenannt vom 17. Mai 1531 und eine Predigt über das Abendmahl von 1547 (aus dem Regensburger Stadtarchiv) ab, beide für Brenz' dogmatische Richtung von Bedeutung.

Kneller, C. A, Zur Erhebung des ersten deutschen Kirchen- lehrers, erörtert die Bedeutung des Canisius und seiner Erhebung zum Kirchenlehrer für die katholische Welt, in Z. kath. Theol. 49, 1925, S. 481—496. Den nämlichen würdigt Joh. Metzler als Er- neuerer des kath. Schul- und Erziehungswesens, in Schule und Er- ziehung 13, 2 S. 81—117.

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Die „noch unbekannte reformationsgeschichtliche Denkschrift des Augsburger Stadtschreibers Georg Frölich“ aus dem Anfang 1547, die Fr. Roth in BBK. 32, 2, S. 70—87 bespricht und aus dem städtischen Museum in A. abdruckt, behandelt die Frage, ob Augsburg sich dem Kaiser unterwerfen solle, nach „für“ und „wider“, doch ao, daß die Meinung des Vf., mannhaftes Ausharren, deutlich durchklingt.

In „Das Bayerland", Jg. 37, 1, S. 25—27 veröffentlicht Fr. Sol- leder einen Schuldbrief der Gebrüder v. Rosenberg für den Ritter Florian Geyer v. J. 1522. Der Brief zeigt, daß letzterer recht vermögend war, spricht also gegen die Auffassung, als sei Florian aus Not zu den Bauern gegangen.

Den badischen Pfarrer Nikolaus Hoeniger von Künigshofen würdigt besonders als Schriftsteller P. Albert in ZGORh. NF. 39.

Als Sonderdruck aus der Z. f. G. u. A. Ermlands, Bd. 22 (156 8.) liegt vor: Fr. Buchholz, Die Lehr- und Wanderjahre des Erm- ländischen Domkustos Eustachius von Knobelsdorf (1519—71). Ein Beitrag zur Kulturgesch. des jüngeren Humanismus und der Re- formation (Braunsberg 1925). Kn. blieb, obwohl er u. a. in Witten- berg studiert hatte, von den reichen Pfründen gehalten, die ihm die Heimat gewährte, Gegner der Ref, und betätigte sich als solcher in seinem Bistum.

Gotthard Münch, Das Chronicon Carionis Philippicum. Ein Beitrag zur Würdigung Melanchthons als Historiker, (in Sachsen und Anhalt, Jahrb. der HK f, Prov. Sachsen und Anhalt I S. 199—283), erörtert die Lebensgesch., Stellung und Bedeutung Joh. Carions (+ 1537) und untersucht dann, was in der ursprünglichen (deutschen) Fassung der Weltchronik von 1582, die er eingehend würdigt und auf ihre Quellen untersucht, jedem der beiden Verfasser zukomme, um sich darauf der Besprechung der Fassung von 1558 und ihrer Wirkungen zu- zuwenden. Den Ertrag seiner eindringenden Untersuchungen für Mel als Historiker faßt M. besonnen dahin zusammen, daß Melanchthon, der in seinen geschichtlichen Anschauungen noch allzu schwer an dem Erbe der Vergangenheit zu tragen hatte, nicht der Wegbereiter der Geschichtsschreibung der Zukunft sein konnte. Gleichwohl bleibt die großartige Geschlossenheit und der tiefe Ernst zu bewundern, mit denen Mel. in dem Chronicon, dem klassischen Werke der humanistisch- reformatorischen Geschichtsschreibung, den erhabenen, für alle Zukunft wertvollen Ideen der altchristlichen und mittelalterlichen Geschichts- metaphysik noch einmal Ausdruck verliehen hat.

Einen Brief Melanchthons an Erasmus Eber von Nürnberg vom 1. 1. 1531 betr. M’s Arbeit an der Apologie und Nativitäten (u. &. Luthers) druckt nach Abschr. Vogel in Z. f. Bayr. Kirchen- geschichte (der Nachfolgerin der BBK) I, 1 S. 8—5.

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Julius Köstlin.

Julius Köstlin, dessen Name diesem Hefte vorangestellt ist, er- blickte, einer altwürttembergischen Pfarrersfamilie entstammend, vor 100 Jahren, am 17. Mai 1826, als Sohn eines Arztes in Stuttgart das Licht der Welt. Auf dem dortigen Gymnasium vorgebildet ward er, durch Familienüberlieferung fast mehr als durch eigene Neigung auf das theologische Studium hingewiesen, 1844 Tübinger Stiftler. Aber schon seine erste literarische Leistung, die preisgekrönte Schrift über „Charakter, Ursprung und Glaubwürdigkeit des Matthäus-Evangeliums“ (1816) zeigt den Jüngling im erwühlten Studium fest verankert. Um dieselbe Zeit war es auch schon, daß er sich unter Einfluß seines Lehrers Beck dem Studium Luthers zuwandte. Im Herbst 1848 be- stand K. die Kandidatenprüfung und erhielt daraufhin ein Vikariat in Calw; doch schon 1849 treffen wir ihn in den Rheinlanden, Eng- land, Schottland, in Norddeutschland, in Berlin, endlich in Österreich und den Alpenländern auf der ,Kandidatenreise", die ihm eine reiche Fülle danernder Eindrücke übermittelte; die wissenschaftliche Haupt- frucht war ein Buch über die Schottische Kirche (1852), Daran schloß sich die erste Lutherschrift Köstlins: „Luthers Lehre von der Kirche“ (1853). Zwei Jahre später eröffnete sich dem Verf., der, seit 1850 Stadtvikar in Stuttgart, 1853 als Repetent in Tübingen angestellt worden war, durch die Berufung nach Göttingen als außerordentlicher Professor und zweiter Universitütsprediger die akademische Laufbahn, die ihn dann nicht wieder losließ. Sie führte ihn 1860 als ordent- lichen Professor der systematischen Theologie nach Breslau und von dort zehn Jahre spüter in die Lehrstelle für Systematik und Neues Testament an der Hochschule in Halle, wo sich sein übriges Leben abspielte. Er starb hier am 12. Mai 1902, fast 76jührig, nachdem er in den letzten Jahren altershalber von der Lehrtütigkeit und der Mehrzahl seiner sonstigen Stellungen und Ämter, nicht jedoch vom literarischen Schaffen, zurückgetreten war. Von seinen zahlreichen, verschiedene Gebiete der Theologie bereichernden Werken gedenken wir hier nur der kirchengeschichtlichen, d. h. reformationsgeschicht- lichen. Unter ihnen steht an erster Stelle Köstlins „Leben Luthers“. 1869 übernahm er es, für die Sammlung „Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche“ den Reformator zu behandeln. 1875 erschien das zweibändige Werk, das dann im Jubiläumsjahr 1883 neubearbeitet ein zweites Mal und gleich darauf ein drittes Mal ausging, hernach noch in vierter (Titel-) Ausgabe- Eine erneute Umarbeitung begann K. 1901, ohne sie jedoch zum Ab- schluß zu bringen. Köstlin hat das große Verdienst „als erster den gesicherten Rahmen der äußeren Lebensverhültnisse Luthers fest- gestellt und dessen gesamte schriftstellerische Lebensarbeit in diesen eingefügt zu haben“. Er ward damit der unbestrittene Führer in der von vielen Seiten neu einsetzenden Lutherforschung, an der er auch

d 160 in

selbst tätig mitzuarbeiten fortfuhr, u. a. durch eine illustrierte Volksschrift über Luther, durch eine Festschrift im Jahre 1883 wie durch zahlreiche Einzelbeitrüge (vorwiegend in den ,Theol Studien und Kritiken“, deren Mitherausgeber er war); auch für Herzogs Beal- enzyklopädie lieferte er belangreiche Beiträge. Köstlin steht ferner an den Anfängen der großen sogen. Weimarer Lutherausgabe. Seine Anregung ist es gewesen, die dem Pfarrer Knaake Muße und Gelegen- heit verschafft hat, nach langjührigen Sammlungen und Vorbereitungen Hand an das Werk zu legen; auch hat K. letzterem die unumgüngliche Hilfe des preußischen Staates zugeführt. In die vom Ministerium zur Leitung berufene Kommission trat bald auch Köstlin ein. Der erste Band erschien im Lutherjahr 1883. Gleichzeitig trat auch unser „Verein für Reformationsgeschichte“ ins Leben. Es verstand sich, daß Köstlin da nicht beiseite stehen konnte. Er nahm an der Gründungs- versammlung in Magdeburg (13. Febr. 1888) teil und wurde der erste Vorsitzende der jungen Gründung, ein Posten, den er bis 1901 bei- behielt. Sein Andenken im Vereine und bei allen Freunden und Förderern der Reformationsgeschichte lebendig zu erhalten sind auch diese Zeilen bestimmt.

Im patriarchalischen Alter von 84 Jahren ist in Stuttgart am 29. November 1925 der Pfarrer a. D. und Beformationshistoriker Dr. phil. u. theol. h. c. Gustav Bossert zur ewigen Ruhe ein- gegangen. Das „Archiv“ verliert in ihm und betrauert aufrichtig einen seiner geschätztesten Mitarbeiter, dem es eine größere Anzahl gehaltvoller, längerer wie kürzerer Beiträge, zumal zu den Bänden 9—17 verdankt. Einige noch ungedruckte, von B. aufgespürte Reformatorenbriefe verwahren wir noch in unserer Mappe. Mit der Erforschung nicht nur der Württembergischen, von der er ausgegangen ist, sondern auch der allgemeinen Reformationsgeschichte bleibt Bosserts Name untrennbar verbunden. (Vgl. die Gedenkechrift „Blätter der Erinnerung an Gustav Bossert, D. theol, Dr. phil., Pfarrer, geb. Tübingen am 21. Oktober 1841, gest. Stuttgart 29. No- vember 1925“. 28 S. 89)

A

Druck von C. Schulse 4 Co., G. m. b. H., Gräfenhainichen.

Zwei Wiener evangelische Stammbücher aus der Zeit der Gegenreformation.

Mitgeteilt, eingeleitet und erläutert von Georg Loesche.

Ueber die Brauchbarkeit, ja Wichtigkeit alter Stamm- bücher oder Philoteken als Zeugnisse des Innenlebens der Besitzer und Einzeichner und für kulturgeschichtliche Zwecke braucht man heute keine Worte mehr zu verlieren). Von dem Hintergrund, der Umschicht, den Eigentümern der hier in Betracht kommenden beiden aus Wiener Schatzkammern ans Licht gezogenen Handschriften, diesen selbst, ihrem Zu- stand und ihrem Wert habe ich bereits an anderer Stelle?) ausführlich gehandelt, ohne daß die Mitteilung der Inschriften selbst dort möglich war. Diese sollen nun hier zu ihren: Recht kommen, wobei nur das Notwendigste als Einführung wiederholt sei. Die zwei nach Bedeutung und Erhaltung sehr verschiedenen Stücke führen uns nach Hernals, heute 17. Bezirk Wiens, im 16. Jahrhundert eine Herrschaft im Besitz eifriger lutherischer Adliger, so daß sie eine Zeit lang ein wahrer Hort und Schutz der gereinigten Lek-e hieß.

I. David Steudlins Stammbuch.

Mag. David Steudlin (1587—1637), Sohn des Super- intendenten in Heidenheim (Württemberg), folgte 1618 einem Rufe nach Hernals, konnte aber wegen der Kriegsnöte zu- nächst nur bis Linz a. D. gelangen; erst 1620 trat er sein dorniges Amt an. In dem für den österreichischen Pro- testantismus so schweren Schicksalsjahre 1625 mußte er ab- ziehen und begab sich nach Inzersdorf, ebenfalls eine Weile

1) Vgl. Loesche, Ein steirisches Exulanten-Stammbuch. In „Fest- gabe des Histor. Vereins f. Steiermark“. 1917. Dazu: Loesche, Zur Geschichte des Protestantismus in Ober-Osterreich, In „Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich“. 45 (1924), 62/71.

3) „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien.“ 1923. 8. 28/38. 4°,

Archiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 8/4. 11

162 2

eine Burg des Evangeliums, von wo er ebenfalls nach zwei Jahren scheiden mußte; er starb nach Führung des Pfarramtes in Backnang (Böttcher S. 1086) von 1628 1632, alsOberpfarrer in Kempten, schon 1637, der nach zeitgenössischem Urteil eines lüngeren Lebens würdig gewesen würe. Wie es kommt, dab Sich seine Philoteke in Wien befindet, in der ,Sammlung von Plastik und Kunstgewerbe", ist nicht festzustellen. Sie ist im ganzen vorzüglich erhalten, beim Einbinden ist einiges weggeschnitten, mit 173 meist farbigen Bildern, deren künst- lerischer Wert allerdings nicht groß ist. Die später vor- gebundenen Prunkstücke zeigen Steudlins Bild und einige andere Darstellungen; dann in prüchtiger Zierschrift 30 latei- nische Distichen und 234 lateinische Hexameter, nebst einem „Epos“, mit schwülstiger Ausdeutung jener Abbildungen. Dann folgen die Einzeichnungen von sächsischen, pfülzischen, württembergischen Fürsten, besonders viele Adlige mit be- rühmten altösterreichischen Namen, hohe und niedere Be- amte und Offiziere, Juristen, Mediziner, Amtsbrüder, Kauf- leute, Gevattern, Verwandte, Beichtkinder, nur zwei Frauen; eine Pfingstversammlung in acht Sprachen. Manche Stücke sind obne Datum, sogar obne Namen, eins nur mit Wappen. Hippokrates, Cicero, Plautus weisen auf humanistische Bildung; neben die Bibel treten Josephus und Augustin, niemals Luther, über den nur einmal (Nr. 78) ein begeistertes Urteil begegnet. Die damals beliebten Buchstabenrätsel lassen sich nur unsicher auflösen. Der Ton des Ganzen ist sehr ernst und religiös, doch selten mit einem wärmeren Hauch, auch mit wenig Bedachtnahme auf Krieg und Ver-

folgung. 1»)

1627. Rege me Domine verbo tuo. [*) Vgl. Psalm 119, 116, nicht nach der Vulgata.] Johann Wilhelm zu Sachsen.

m[anu] p[ropria]. [Schönes Wappenrund.]

Pietas ad omnia utilis. [1. Timotheus 4, 8] Friedrich Wilhelm zu Sachsen. m. p. Altenburg. III. 1639— 1669].

2. 1634. Christi[?] memor sitis. Johann Friedrich Pfaltz- graue. (1614— 1644. Pfalz-Hilpoltstein.) 3. 1634. En Dieu ma consolation. Sophia Agnes Pfalz- gräuin. 1) Die Bezifferung zur besseren Übersicht und zu Verweisungen

vom Herausgeber. 3) Alles in [] vom Herausgeber.

3 163

4. Leopold Friedrich. MUSICA [Mea Uniea Spes (S. Nr. 72. II. 6. 58. 60) Jesus Christus Amen]. [Vgl. E. Heydenreich, Handbuch der praktischen Genealogie, 2 (1913), 193.]

5. | Sibylla gebohrene und vermählte Herzog[in] Zw[ei- brücken]. 6. 1625. Trawe Gott, thue recht, scheu niemandes. [Lipper- heide S. 710. Siehe Nr. 37.] Wilhelm Herzog zu Sachsen Jülieh Cleve und Berg. m. p.

7. Quaeris in his terris, ecelesia pressa, salutem? Suspice, nam in caelis res tua salva manet.

Moritz Herzog zu Geppingen [Böttcher 1136]. S. Nr. 60. 6. Juli.

8.

1621. In Deo faciemus virtutem. Ningun a virtud ay fan perfeía, que no tenga vituperadores y maldicentes. Julius Friedrich Hertzog zu Württemberg [= Brenz- Weiltingen 1617—1635. Vgl. Nr. 17. 129].

9. |

[Prüchtiges, ganzseitiges Wappen; darin oben:] Miseri- cordia Dec nitor. [unten:] Carll Herr zu Limpurg deß Hey- ligen Rómischen Reichs Erbschenk vnd Semperfreier. [Karl zu Limburg-Schmiedefeld, 1608— 1631. Kneschke 5, 544.] m. pa.

10.

[Halbseitiges etwas kleineres Wappen wie bei N. 9; oben:! Memento mori et non peceabis. [unten:] Joachim Gottfridt Herr zu Limpurg [Joachim Gottfried zu Limburg- Gaildorf, 1619—1651].

11.

Christus levabit Beatos lacrymis, En Dieu mon Es- perance. [Wappen wie Nr. 9 und 10 in anderem Rahmen.] Christianus-Ludovieus Baro Limpurgicus [= Schmiedefeld, 1631—1650].

12.

Ut pia fata volunt, constat diuina voluntas.

Sie fiat, eneniat, quod, Deus alme, jubes. [Wappen.] Julius Graue zue Hardegg In Wien den 15. Octob. ie

164 4

[Vgl. Wisgrill 4, 135. Wurzbach 7, 353. Kneschke 4, 195. Kuefstein s. v. S. Nr. 41.]

13.

Nemo tam bonus, uf in eo non sit aliquid mali. Nemo fam malus, ut in eo non sit aliquid boni. Tout vient a poinct, qui peut attendre. [Krebs S. 166. Schrimpf Nr. 12. Wappen wie Nr.9—11.] Ehrlich gelebt, selig gestorben.

Ist auf Erden daB beste erworben. Johann Wilhelm [von Limburg, Mitregent 1639. 1650—1655].

14.

[Prächtiges fast ganzseitiges Bild: Die Hirten im Stall vor der hl. Familie] Ye größer Noth, ye nähnerst Gott. [Lipperheide S. 666.] Adam Zimmermann A. 1625. Den 29. April.

15.

[Fast ganzseitiges Bild: Daniel in der Lówengrube. S. Nr. 66.]

Nusquam tuta fides, si CHRISTO fidere nescis,

Sola fides CHRISTO fidere tuta fides.

Debitae observantis jucundaeque recordationis ergo ad- modum reverendo doctissimo et clarissimo Domino Possessori m. pr. reliquit Viennae [Name unleserlich].

16.

[Fast ganzseitiges Bild: Die hl. Familie auf der Flucht.] Spes alit exules. In honorem admodum reuerendi et dilectissi. mi Domini Possessoris amici colendissimi haec paucula appingi euravit Michael Rorer junior Vienn.-Austrius. 20. die Julij 1625. [Verschiedene Geistliche des Namens Rorer, doch kein Michael, bei Raupach, Presb. S. 152 f. Wiedemann 4. s. v. S. Nr. 122.]

17.

JToos ord dum, ad amussim. Fein Richtig. Mysteria Dei sunt credenda non serutanda. Ergo Ne curiosus quaere caussas Omnium. Quaecumque Libris vis prophetarum in- didis, Afflata Coelo, plena veraci Deo. Nec operta sacra supparo silentij Irrumpere aude. Sed prudenter praetere. Nescire velle, quae Magister maximus. Docere non vult erudita iuscitia est. Reverendo Dei mystae Domino M. Davidi Steudlino Sympatriotae Wurttembergico apposuit Ioan. August. Assum [Illustrissimo Duci Wurttembergico Dr. Dr. JULIO FRIDERICO. [Vgl. Nr. 8. 129] a Consiliis ex secretis. [Vgl. Württembergische Kirchengeschichte 1893. s v.] Viennae. Anno MDCXXI M. Decembri.

5 165

18. 1629. Die Hand des Herrn kan alles ändern. [Wappen]. Vietor von Althan Freyherr. [Wissgrill 1, 116. 1602— 1654. Kneschke 1,59. Kuefstein s. v.]

19. 16 A[nno] C[hristi] 28. Christum lieb haben ist mer dan alleB wissen. [Epheserbr. 3, 19. Wappen wie Nr. 18.] Quintin von Althan Freyherr. [Wissgrill 1, 82.]

20. 1629. Mit Gott vnndt guetem Gewissen. [Wappen.] Zu gueter gedechtnuß schrib diß in Wien 19. Aprilis Anno vt supra Ott Teuffel Freyherr. [Wissgrill Mnser. s. v. Kneschke 9, 173. Kuefstein s. v. S. Nr. 31. Ein Otto Chr. v. Teuffel, ev., war bis 1688 in Oesterreich.]

21.

1624. Glückh vnnd Vnglückh kombt alles von Gott. [Wappen.] Hannß Friderich Frh. zu Herberstein. [Vgl. Wiss- gril 4, 263. Wurzbach 8,328. Anzeiger S. 161. Kneschke 4, 318. Kuefstein s. v. Clauß. S. 240. Schrimpf Nr. 70, 10. S. Nr. 34] Geschrieben in Wien d. 4. Julij.

22.

1629. [Wappen.] Adolff Herr von Puchaim Frh. [Wissgrill. Mnser. s. v. Kneschke 7, 268. Kuefstein s. v. S. Nr. 37.] I. pr.

23. |

1629. Qui perseuerauerit usque ad finem saluus erit. [Ev. Matth. 10, 22. Wappen] lIucundae recordationis ergo haee apposuit Viennae in Austria inferiore 4 Juli] Anno ut supra Rudolphus B[aro] à Greussen in Waldt [Greiß oder Greißen zum Wald. Vgl. Wissgrill 3, 393. Kneschke 4, 26. Kuefstein s. v.]

24.

[Wappen.] 16 A[nno] 34. Pensa Poi fa. Hanns Graff zu Wolkhenstein vnnd Rodenegg. [Vgl. Wurzbach 58, 70. Kneschke 9, 601. Kuefstein s. v.] m. p.

25.

Mortuus vivam. [Wappen.] Sig. Adam Herr von vnndt zu Traun Herr auf Maisse [Maissau, N. O.] unnd Praunsperg Rm. Kay. M. Rat vnnd Kammerer, [1573 1638. 1623 n. ö. Verordneter, dann Ferdinands II Kämmerer und Obersthof- meister. Vgl. Wissgril, Moser. s. v. Wurzbach 47, 24. Kneschke 1, 4. Kuefstein s. v. Clauß S. 280. S. Nr. 35,88.

166 6

26.

1629. Georg Jacob Frh. zu Auersperg. [1586—1649. Wissgrill 1, 266. Kneschke 1, 142. Kuefstein s. v. Wappen.] Frumentum Christi sum et per dentes bestiarum immolor ut mundus panis inveniar. [Ignatius, Bischof von Antiochien, gest. 110/117, Brief an die Römer Kap. 4] Andre H. zu Auersperg [1597 1632. Wissgrill 1, 280. Kneschke 1, 142] schrieb dil in wienn d. 26 Junij 629.

27.

1628. Psalm [111, 10.] Initium sapientiae timor Domini [Wappen] Hanns Wilhelm von Greissen Fhr zu Waldt. [S. Nr. 23] Rom. kay. Mt. Rat vnnd beysitzer der n. öst. Land- rechten. Wien d. 13. Dez. An. ut s[upra].

28.

1629. Deus. Der Mensch ist Nichts. Gott Nur allein, der mueß alles ihn allem seyn. [Wappen.] Bartlme von Dietrich- stein Freyherr zu Hollenburg, Erbschenkh ihn Kürnthen [1579— 1635, wanderte nach Nürnberg aus. Wissgrill 2, 936. Vgl. Wurzbach 3, 298. Kneschke 2, 492. Clauß S. 233. Sehrimpf Nr. 9.] sehrib dies zu Wien den 21. Junii zu frdl. Gedechtnuß.

29.

Peregrinemur igitur non vt Aranei sed vt Apes. [Wappen.] Siegfried Adam von Windischgrätz Freyherr schreibe diB in Wien den 27. May Anno 1629. [Wissgrill, Mnser.s. v. Vgl. Wurzbach 57, 49. Kneschke 9, 580. Kuefstein s. v. S. Nr. 32.]

30.

16 Cum Deo et die 29. [Wappen.] Paul Kheuenhüller zu Aichelberg [Kärnten] Freyherr [später in schwedischen Diensten, 1586—1655. Wissgrill 5, 92. Wurzbach 11, 222. B. Czerwenka, Geschichte des Geschlechts. 1867. Ad. Wolf, Geschichtliche Bilder aus Osterreich. 1 (1878), 165. Kneschke 5,90. Kuefstein s. v. Clauß S.244]. Wien 21. Junii. Anno ut supra.

31. 1629. Gott wirds wenden. [Wappen wie Nr. 20.] Teuffel.

32. 1629. [Wappen wie Nr. 29, nur größer.] Friedrich von Windischgrätz. [Eifriger Lutheraner, gest. 1649. Wissgrill, Mnser. s. v. Wurzbach 57, 49.] m. p.

33. 1628. Patienta dat Victoriam. [Wappen.] Carl Rhisl Frayher schrib diß zu frdl. Gedächtnuß in Wien den 26. Martij.

7 167

34. 1627. [Wappen wie Nr. 21.] Ferdinand Freyherr zu Herberstein [S. Nr. 21] schreibt diß zu frdl. Gedechtnuß.

35.

Memento mori et non peccabis, [Binder Nr. 1830. Wappen.] Ich, Maximilian Herr Georg Traun [S. Nr. 25, 188.] schrieb dies zu freundlicher gedechtnus Ihn Wienn den 24. Augusti.

36.

1627. Constanter et sincere. [Krebs S.32.] Ecclesia militans sub cruce. [Wappen.] Gundackhar Herr zu Polhaimb Frhr. [Wissgrill, Mnser. s. v. Wurzbach 233, 62. Kneschke 7, 207. Kuefstein s.v. Clauß S. 271.] der Rom. Kay. M. Reichshofrath Camerer vnnd der Herrn Stendt in Osterreich Verordneter. Traurig mit dem [sic!] Traurigen. [Sirach 7,38.] Auxilium a superis. [Vgl. Krebs S. 22.]

37. 1628. Thue Recht, Furcht Niemand, allein Gott. [S. Nr. 6. 73. Wappen.] Bernhardt von Pfuechaimb [S. Nr. 22., Obrister Erbtruchsäs In Oesterreich ob vnd vnder der Ennß. Rom, Khai. Maj. Camerer.

38. 1629. [Wappen] Hartmann von Landau Freyherr. [Wissgrill 5, 412. Kneschke 5, 370. Kuefstein s. v.]

39. 1629. Viuit post funera virtus. [Vgl. Schrimpf Nr. 3 S. II, Nr. 22, Wappen] Sigmundth Frhr. v. Teuffenbach. [Kneschke 9, 175. Kuefstein s. v. Schrimpf S. 10. Clauß 8. 290.]

40.

1629. Spero facendo. IS. II Nr. 34. Wappen] Pil- grambh Zintzendorf Freiherr Obrister Erbschenkh In Oesterreich ob der Ennß. Röm. Khay. May. Cämmerer vndt N. O. Regimentsrath [Wissgrill, Mnser. s. v. Wurzbach 60, 164. Kneschke 8, 502, Schimon S. 306. Kuefstein 3, 2. 49. 316, Sehrimpf Nr. 1. fff. S. Nr. 45].

41. 1629. M. G. V. H. [Etwa: Mit Gott unsre Hoffnung. 8. Nr. 47. 114. II, Nr. 33 Wappen.] Ehrenreich Fh. zu

168 |

Khainach [1573—1642. Verheiratet mit Margarate Gräfin v. Hardegg. S. Nr. 12; beide lutherisch, saßen als Tolerierte“ auf ihrem Gut Enzersdorf im Langenthal. Wissgrill 5, 9. Kneschke 4, 623. Kuefstein s. v.] m. p.

42,

1629. [Wappen.] Hannß Joachim Herr von Traut. mannstorff. [1596 1650. Wissgrill, Mnser. 8. v. Warz- bach 47, 73. Kneschke 9, 259. Kuefstein s. v. Clauß S. 280.] m. p.

43. 1629. Haud dolor est maior quam cum violentia mortis Unanima soluit corda ligata manu. [Wappen.] Diß schreib ich zu guetter gedechtnuß in Wien den 28. März A. ut supra. Hannß Ludwig Geymann Frhr. | [gest. 1630. Wissgrill 3, 312. Kuefstein s. v. S. Nr. 46]. m p.

44. | [Wappen. Darin oben geteilt:! MGG BG [Etwa: Mit Gottes Gunst Behalt Geduld.] Geduldt ihn teurer Zeit. Die hülff des Herrn ist nicht weit. [Name unlesbar.

45. Christo DVCE 1629. [Wappen.] Dieses schreib ich zu freundlicher] gueter Gedächtnuß in wien, den 28. Maij Anno vt supra. Aug. v. Sinzendorf Freyh. [S. Nr. 40]

46.

1629. MS [Etwa: Manibus Saerum oder Memoriae Statuit.|] Quid tum? Fido Deo. [Wappen.] Dieses schreibe ich zu freundlicher Gedechtnuß in Wien den 28. Mai Anni ut supra. Hanns Paul Geymann Freih. zu Galspach und Trattenegg, Herr auf Wall und Wiltenhag. [gest. 1655. S. Nr. 43.]

4T.

G[ott] M[eine] Hoffnung, geschrieben Wien 27. Sep- tember 1628. [Wappen.] Hannß Jörger Frh. [Wissgrill 4, 500f. Wurzbach 10, 229. Kneschke 4, 585. Kuefstein 8. v. Clauß S. 243.] m. p.

48.

A. N. G. W. [ Etwa: Alles nach Gottes Willen. Krebs

S. 12. Wappen.] Helmhart Jörger. [Vgl. Nr. 47. 49.]

49. 1628. Deo et Patriae. [Wappen.] Hannß Maximilian Jürger Fh. [1620 geächtet und seiner Güter beraubt, dann

9 169

begnadigt und wieder in seinen Besitz eingesetzt, lebte noch ruhig 1639. Wissgrill 4, 508. S. Nr. 47f.]

50.

1629. Non sunt saneti, qui sanctorum loca occupant, sed qui doctrinam illorum sequuntur. [Wappen.] Hanns Helfreich Jörger Frh. geschrieben in Wien 20. April [S. Nr. 47. ff. 51].

51.

16 A. P. [Anno Persecutionis oder nur p. Chr.] 28. In Deo mea consolatio. HannB Septimius Jörger Frh. 1594 - 1662, Exulant in Nurnberg seit 1629 mit Familie, verheiratet mit Anna Potenziana Hofmann von Strechau. GPrO. 5. S. Nr. 47 —50.] m. p.

52.

1629. Gott allein die Ehre! [Ganzseitiges Wappen.] Ferdinand Jacob Herr von Weltz vnndt Freiherr auf Eber- stein [1602—1655. Wissgrill, Moser. s. v. Kuefstein s. v. Vgl. Wurzbach 54, 255. GPr.O. 93].

53.

Wie lang Gott will. 1629. [Ganzseitiges Wappen.] Hans Ernreich Geier von Osterburg auf Karnabrunn. [Hans Adams Sohn aus zweiter Ehe, wurde katholisch. Wissgrill 3, 294. Kneschke 3, 508. Clauß S. 237. S. Nr. 67. 72f.]

54.

Un bel morir tutía la vita honora. [Ganzseitiges Wappen.] Joachim Frh.zu Braunegg. 1634. [Vgl. Kneschke 2, 29.]

55.

1630. Plus penser que dire. Hie mihi nefarius esto, qui leviter rupit in execrabile bellum ... Fürstl. Württem- bergischer Landhofmeister. 31. Julii.

56.

1634. Abenszar chi mal szar mai verra mai giungera [Für gewiß ausgeben, was man schlecht weiß, wird niemals etwas erreichen.] In Ulm 13. Junii, Kessler von Kessel. [Vgl. Schimon S. 112.]

57.

[Ganzseitiges Bild: Kaiser mit Kurfürsten.] Omnia spe Florent Hoe disponente Jehova. Calendis Jannarij Chri[sti] 1625. Non solum bonae memoriae ergo, sed etiam pro huius novi anni et nune indiete publici conventus felici auspicio

170 10

votiuam banc picturam apposuit Viennae Hannß von Zeidler, Hofmann genannt von Berbistorf [Loesche, Die böhm. Exulanten in Sachsen 1923 s. v.], Serenissimi Johannis Georgii elec- toris Saxoniae consiliarius et deputatus Residenz in Aula Caesaria. m. p.

58. 16 V. V. J. [Etwa: Votum vovit Jehovae] 22. Muro illo qui tuti sumus aheneo, nil conscire sibi, nulla pallescere culpa si quem metuamus. Beniamin Buwinck- hausen [Bouwinghausen] a Wallmerode [1568 1638. Kneschke 1, 604, in Diensten Friedrichs I von Württemberg 1593 —1608] feliciter dulces labores et in iis cordatam constantiam et diuinos successus cum officiorum perpetua oblacione precatur Stuttgardiae 14. May.

59.

1630. Gott went Alless zum besten. Friderich von vnd zum Hirschhorn [mit dem das Geschlecht erlischt. Kneschke 4, 385]. K. R. M. Ehrbdruxef.

60.

In acie pro patria qui exciderunt in perpetuum per gloriam vivere intelligere.

Gott, hilff mihr erwerben

Ehrlich zu leben vnd seligh zu sterben. Göppingen [wo Steudlin um 1620 den Sauerbrunnen benötigte]. [Böttcher. S. 1136 S. Nr. 7. 71]. den 7. Juli. Bode von Bodenhausen [Kneschke 1, 508] m. p. Anno 62 [Rest abgeschnitten].

61.

Plautus in Rnt. [Rudens] Act. 1 Sc. 2. [I, 2, 27. V. 115.] ‚Et impudicum et impudentem hominem addecet molestum ultro advenire ad alienam domum cui debeatur nihil; sed face. Et respice ad illud in pseud. [olus] Act. 2 Se. 3 [II, 3 V. 681 f.]J. ‚Bene ubi quod consilium discimus accidisse; hominem ca[u]tm eum esse declaramus, stultum illum, cui vertit male! Quocirca ex eventu non ex voluntate omnia tandem cum nostro deo laudabimus. Cum officiorum per- prompta oblacione Reverendissimo domino possessori luben- tissime nomen adposuit Georg von Plieninger [Kneschke 7,183] Göppingen[S.Nr.60]. In Ficedulis [Schnepfenjagd]. 8. Aug. 1630. [Daneben figurenreiches Märtyrerbild.]

62. 16 S[igillum] 28. WIie] G[ott] w[ill. [Wappen.] Zu freundtlicher gedüchtnu schreib dib Christoff Tayffer [? Teufel] inn Wien den 21. Julii,

11 171

63.

Torquemur, trahimur: toleramus tetra, taremus. Tanta tamen tollet tortura triumphum. [Wappen.]! Wolff Niclaß von Grüentall zu Achleitthen vnd Reinsperg. [Kneschke 4, 68. Clauß S. 240.] Rom. K. M. Reichshoffsrath schrib dis zum gedechtnuß zu Wien den 23. Juli 1627.

64. [Wappen.] 1629. Zu freundlicher gedächtniß geschrieben zu Wienn. 21. Juli 1629. "Wolff Steger [von Ladendorff. Wissgrill, Moser. s. v. Kneschke 8, 610. Kuefstein s. v.].

65.

E[mblema.] 1628. Sey getreu biß an den Todt. [Offenb. Joh. 2, 10. Wappen.] Adhuc celum volvitur. Maximilian Hoë von Hoönegg. Rom. K. M. Rath vnd Regent des Regiments der n. ö. Landte. [Wissgrill 4, 349. Wurzbach 9, 187. Kneschke 4, 396.]

66.

1628. Gedult bringt Hoffnung. (Wander 1, 1402. Wappen.] Georg Caspar Herr v. NeuhauB zu Stadlkhirchen, Hoheneck Frh. auf Hürtenstein [1553— 1631. Wissgrill, Mnser. s. v. Kneschke 6, 486. Kuefstein s. v.].

67. 1628. Post nubila Phoebus. [Büchmann S. 415. Schrimpf Nr. 95. Wappen.] Hans Adam Geyer von Osterburg zu Intzersdorff vnter dem Wienerberg 28. Oct. [S. vorn. Nr. 53.]

68. Crescit sub pondere Palma 1629. [Wappen.] Zu freund- lichem Angedenken. Wien 9. Aug. Georg [von] Schütter [und zu Klingenberg. Wissgrill Mnser. s. v.].

69. 1628. Nubecula cito transitura. [Wappen.] Amandus Frh. Gewaih. 10. Laetabor in Deo Domino meo. [Psalm 104, 34 ‚delec- tabor.] 1628. Hannß von Crottenbach.

71. TANN mw mpn [Proverb. 10, 28] Ludwig Hohenfelder

[vielleicht Sohn des Matthias Hohenfelder, Keller in G., welcher letzterer öfters im Kirchenbuch vorkommt; Auskunft des G. Stadtpfarramtes], geschrieben zu Göppingen. [S.Nr.60f., 89f, 110, 117, 196. Vgl. Clauß S. 241.)

172 12

12. 1628. Spes mea Christus [S. Nr. 4 II Nr. 6, 37]. Georg Sig. Geyer v. Osterburg. [S. Nr. 53, 67, 73.]

73. 1627, Ehre Gott, thue Recht, fürchte Niemand. [S.Nr.6, 37. Wappen.] Christoff Geyer von Osterburg. [S. Nr. 72.]

74. 1629. Trauren vertreibt Lachen. Gedult vberwinndt alle Sachen. [Lipperheide S. 259. Wappen. Hanns Stubenfoll Oberst. [Wissgrill, Mnser. s. v. Kneschke 9,98. S. Nr. 75.]

75. Auxilium a Domino. [Psalm 121, 2.] Vespera jam venit, nobiscum, Christe, maneto. [Ev.Luk.24,29.] Exstingui lucem ne patiare tuam. [Wappen.] Haec debitae obseruantiae et honoris ergo Lubens meritoque apposuit Michael Stubenfoll senior. [S. Nr. 74.] Viennae Austr. 2. Oct. A. 1629. i

7. Oct. 1628. Aspetar e non venier Asseruier e non gradier Star in letto e non dormier [Wappen.] Diß schreib ich. . . zu freundlichem sondern gedachtniß wolmeinendlich seinem guten Herrn vnd Freund. Wolff Stubenfoll. [S. Nr. 74 f.

77. 1629. Hang Rudolff von Eltershouen. [Kneschke 3, 96.)

78.

Wolffgangi Seueri Cäs. Maie. informatoris [Schiefer, Loesche, Mathesius, Luthers Leben in Predigten. 2. A. 1906. S. 531 zu 197, 32]. Iapeti de gente prior maiorque Luthero

Nemo fuit sed nec credo futurus erit. In honorem Reuerendi Vivi authori[ta]te, doctrina et Virtute praestantissimi Domini Dauidis Steudlini nune temporis Ec- clesiae Backnangensis. [S. vorn S. 2.] Antistiti primario et fidelissimo amico et affini suo colendo scripsit haec Ludo- vicus. Leipzig. Monasterii Murhartensis [ehemalige Bene- dictinerabtei Murrhardt in Württemberg]. Abbas Euangelicus 24. Octobris a. 1631. 25

1628. [Kleine Bleistiftzeichnung, Strauch und Bäumchen darstellend.] Tandem fit surculus arbor. Rien sans Dieu. Hanns Wolff Khneyssel [Kneisl] zu Hagging [Hacking. Wissgrill 5, 174. Kneschke 5, 154. Kuefstein s. v. Wappen].

Sono tre cose da merier.

13 173

80.

Suffre aia baras [Dulde, bist du vollendet hast. Wappen.] Gesch[rieben] zu freundlicher guter gedecht[nus] in Wienn d. 8. April 1628. Rud. Wolzogen [Wissgrill, Mnser. s. v. Kneschke 9, 602. Kuefstein s. v. GPr.O. s. v. S. Nr. 81].

81. Non timetur occasus, quia venit Oriens ex alto. Luc. 1,78. Wien. 10. April 1628. Paul Wolzogen [Hans Paul wanderte 1628 aus, gest. 1658 zu Hof in Vogtland S. Nr. 80.]

82.

Anfang Bedenckhs. [Wander 1, 80. Wappen]... zu frfeun]dlichem angen[ehmen] Gedecht[nuß] in Wien d. 12. Jan. A. 1629. Matheus Lehner [zum Freysitz Kettenhof än der Schwechat 29. März 1624 unter die Ritter aufgenommen. Joh. Jakob verkaufte Kettenhof und wanderte des Glaubens wegen 1642 nach Hamburg aus. Wissgrill 5, 450. Kneschke 5, 441. Kuefstein s. v.]

83.

Auf gut Glücks wil ichs wagen. [Wappen.] Dem edlen hochgelehrt und Ehrwirdigen H. Pf. zu Kempten [S. vorn S. 2] hab ich Dieterich May [vgl Kneschke 6, 183] des hoch- lóblichen Vernerischen Regimentes [2 Kürassier-Regimenter Vernier; vgl. Wrede, Geschichte der K. u. K. Wehrmacht. 3, 2, 447, 492. Freundlicher Hinweis des Ost. Kriegs- archives in Wien] bestalter Cornet zum immerw[erendem] Gedechtnuß mein Wappen und Namen hierin malen lassen. 11. Juli 1636.

84.

Spero meliora. [Wappen.] Wien 9. Juni 1629. Jonah Hilprandt [Hillebrand zu Ober-Ranna und Arndorf, 1620 geächtet. Wissgrill 4, 330].

85.

Tolerabilius vivitur sine pecunia quam sine amiois Fidentem nescit deseruisse Deus Fortuna minus blanda hamata. D.F.P.M.M.J.E.V.P. [Etwa: Donum fero perpetuum memoriae Magistro illustri et venerabili Pastori] letzten Juli 1629. Ajax Hilpranndt [S. Nr. 84] zu Walterskirchen [Kuefstein s. v.] Wien 9. Juni 1629. Carl Hilprandt und Bernhard Hilprandt.

86. 1634. Gott Freiheit vnd Ehr Auff dieser weld nichts mehr ieh such und begehr.

174 l 14

Alles vergeht, Tugend besteht (Wander 1, 47. Wappen. Joachim von Bocke [Kneschke 1, 494] Capitanius Schata- litzkischen Regiments. A. 1634, 9. Oct. zu Memmingen. [Böttcher S. 927. Vgl. auch Wrede, Geschichte der K. u. K. Wehrmacht 2, 657. 3, 2, 766, 779. Freundlicher Hinweis des Osterr. Kriegsarchives in Wien].

87. Wem schadt mein Unglickh? vnglickh kan sich wenden, freyhe dich deßwegen nit vber mich, es kann vor abent zu dir auch nahen sich. [Wappen] Johann Georg Luetzing v. Rottemberg. Capitain 6. Dez. 1634.

88. Antidotum vitae patientia. [Wappen.] Wien 9. Juni A. 629. Thobias Prach.

89.

lratus Devs si quos ad poenas trahit, eis plerumque mentem auferre solet.

Si jeunesse grauetait [?] et vieillesse fumoit

Jamais l'homme faute n'aurait. In jucundam recordationem et amicitiae signum. Göppingen 8. Juli 1629. [S. Nr. 60, 61, 71, 90, 196]. Carl Sigmundt von Berlichingen. [Kneschke 1, 3565.]

90. Dominus providebit. [Vgl. Genesis 22, 8 S. II Nr. 19. 1632. Haec amicae recordationis causa. Göppingen [S. Nr. 89. 13. Juli Burchardt von Weiler [Kneschke 9, 506].

91.

Omnia gyrant nec quicquam stabile ac firmum. [Wappen.] Zum stets wehrenden Gedächtnis vnnd auß sonderi[icher] Zu- neigung. Kempten. Friedrich von Pröck Capit[ain]. [Vgl. Kneschke 7, 259.] A. 1634, 5. Sept. [S. Nr. 92.]

92. onverhofft kompt offt [Wander 4, 1487. S. Nr. 107, 162. Wappen mit anderem Rahmen als Nr. 91.] Kempten. 5. Sept. Joachim von Proyk [S. Nr. 91].

93. [Zwei ganzseitige Bilder. 1. Wappen, dartiber: Daniel in der Lówengrube, unten wilde Tiere.] Ora et labora

15 | 175

[Binder Nr. 2440]. [2. Uppige, prassende Tischgesellschaft; rechts oben klein: Lazarus mit seinen Schwären wird ge- schlagen, dabei oberhalb: Lazarus im Himmel, der reiche Maun in der Hölle; rechts unten ein Bild, offenbar Henkel] Lazarus Henkel senior [S. II Nr. 96. Die auf den Vor- namen hin gewählten Abbildungen stimmen schlecht zu der Nachricht, daß Lazarus Henkl zu Donnersmark, der Patronat und Vogtei von dem früh evangelisch gewordenen Gföll an sich gerissen, als auf den Befehl von 1604 der katholische Pfarrer eingesetzt war, die katholisch gewordenen Unter- tanen teils bei Nacht teils bei Tag in Ketten, Banden und Eisen legen und samt den Weibern ins Gefängnis setzen ließ. An ein Geäff ist hier im Stammbuch nicht zu denken. Wiedemann 3, 409 f. Kuefstein s. v. S. Nr. 95. 100.] Viennae A. 1624 Men. Jun. die 12.

[Ganzseitiges Bild: David und Jonathan reichen sich die Hände, um die sich aus dem Himmel von Gott her eine Kette schlingt; links zwei Krieger. Umschrift:] Jonathas [Vulgataform] admiratione virtutum Davidis inducitur ad foedus eum ipso jungendum 1. Reg. XVIII [= 1. Sam. 18. In den Ecken vier Rundbildchen; oben links:] Hoc mea vota ferunt [mit Totenschädel, Kranz und Schlange, Phönix mit:] Multis seruire molestum [mit Landschaft. Unten links:] Morior tecum orior [mit Baum: rechts:] Fac, quae tua sunt [mit Pflügendem. Zwischen den Rundbildern oben: Engel mit Schwert und Kreuz. Unten:] M. Joannes Mülbergensis [Raupach 5, 127. Wiedemann 3, 589, 596. 4, 29. Vgl. II Nr. 44.] haec fieri curavit Viennae in die Concordiae et Constantiae [18. Febr.] A. 1621.

95.

[Großes Bild mit 19 Personen, die Auferweckung des Lazarus darstellend.] Quien estropiza, si non eae el camino. adelante [spanisch: Wer strauchelt, wenn er nicht auf dem Weg vorwärts fällt?! Aus Christi Munde gehen die Gold- buchstaben :] Lazare, veni foras. [Ev. Joh. 11, 44.] Adiu- torium meum a Domino qui fecit coelum et terram [Psalm 121, 2] Lazarus Henkel d. Junge. [S. Nr. 93.] Wien 3. Juli 1624.

96. Laus Deo Anno 1635. 26. Januar. In Angst, Kreutz vnd wiederwertigkeit z Wierdt erkandt die bestendigkeit. [Wappen.] Dem

176 16

Ehrwirdigen Herrn David Steudlin Superintendens in der Stadt Kempten. Gottlob von vnd Egerbergk maior.

97,

Non incominciare ma il perseuerare e degno di lode J. e. R. D. D. S. M. a. [Etwa: Jesus est Redemtor, Dominus Deus Salus Mea] G. B. D. U. Etwa: Gratiam Benedictus Dat Ultro] E. N. C. Etwa: Elogium Nostrum Christus] I. D. F. U. [Etwa: In Deo Fortitudo Mea]. M. Joh. Busch Vra[censis, aus Urach]. Württfembergensis s. d. Im Totenbuch zu Urach: Joh. Martin Busch, 50j. Präzeptor hier, 75 Jahre alt weniger 13 Tage, begraben 28. 10. 1685. Seine Witwe Helena, 76 J. 7 Mon. alt, 31. 10. 1689. Gütige Auskunft des H. Stadtpfarrer Dr. Maier in Pfullingen.)

98. Ollzeit Frieden mit Freiden. [Wappen. Kempten. 2. Nov. 1634. [Unleserlich.]

99.

[Ganzseitiges Bild. Wappen mit Kanonen und Trommeln.] Joh. Reitter, Ihr. F. D. Erzherzog Leopolt [G.Pr.O. s. v.] be- stölter haus vnd velt zeigwardt in Thirol [Kneschke 7, 447] 20. Juni 1635.

100.

[Ganzseitiges Bild: Skt. Georg tötet den Drachen.] Za Gott meine Hoffnung. Wienn, 26. Aug. 1624. Geörg Henkel. [S. Nr. 93.]

101.

Assai ben balla

A chi fortuna suona. [= Wer das Glück hat, führt die Braut heim.]! Joh. Baptista Meinenhard von Loss?! Ehrenhausen. Capitain.

102. Geduld in Khreiz hat hohes Lob Schwöbt allen glickh vnd vnglickh ob. [Wappen.] Kempten. 1. Nov. 1634. Johann Damian von Hummelsberg Leitenant. 103. Alles was Gott will. [Wappen.] Kempten. 11. Nov. 1634. Job. Jakob von und zu Raidegg Leitenant.

104. [Zwei ganzseitige Bilder. 1. In einem Kranz:] Munere susceptam bene rem gessisse beatam est, Laudandam ef superis aedificasse domum.

17 177

Sed numeros implet cunofos, cui contigit haeres Et studij compos patrii et officii. [In den vier Ecken außerhalb Bänder mit Inschriften ; oben links:] Consumor miserum, flammas dum nutrio, lignum; Offieium in damno est, nil benefacta juuant. [rechts] Ut candela perit, nobis dum lumina praestat, Sie medicus, ciues dum fouet, ipse cadit, [Unten links:] Porto domumque meam mecum meaque omnia, multis Regibus hoe ipso ditior et potior [rechts:] Astra regunt homines, sapiens dominabitur astris Ex poterit notis cautior esse malis. [2. Rundbild mit fünf Personen, Umschrift:] ^ Davidi aegrotanti consulunt medici et Filius Salomon Rex salutatur. I. Reg. IL [Außerhalb an den vier Ecken Sonderbilder von Engeln gehalten mit Insehriften; oben links:] Dum nutrio consumor. [Altar mit Opferflamme. Oben rechts:] Aliis inservuiendo consumor. [Brennende Kerze. Unten links:] Omnia mea mecum porto. [Büchmann S. 334. Schnecke mit Haus; unten rechts:] Sapiens dominabitur astris. [Ein Ritter in Sternen auf der Weltkugel. Zwischenschild unten:] V[iro] rev[erendo] clarissimo Domino M. Dauidi Steudlin compatri suo aetatem suspiciendo hoc affectus illibati monumen reliquit. Vien. 20. May 1626. M. Judex D. [viel- leicht Nachkomme des Joh. Judex, Raupach 5, 73. Wiede- mann 3. s. v.].

105. [Die Seite füllend: In einem goldgrünen Kranz:] Virtus vera bonos aequat sanctoque ligatos Coniungit certae foedere amicitiae Participesque facit vitae sociosque malorum Cummuni tutos vivere consilio. Benedictus Arias Montanus. [An den vier Ecken außerhalb Sprüche in Bändern; oben links:] Serpentem cernis cernis lepidamque columbam, Haec tibi sint curae vivere si bene uis. [Rechts:] Aspera quam sors sit multorum viuere sensu Hoc draco sangui fluens monstrat et ipse docet. [Unten links:] Quem junxere dii seruabunt sidere fausto Sie tibi iunetus ego tecum orior morior. [Rechts:] Quae mea sunt pagam, corui crocitate uel ultrá Non ictus curo, lingua maligna, tuos.

106. [Zwei Seiten füllendes Stück. 1. Links im grünen Kranz:] 1661. [Dies Stück muß also lange nach Steudlins Tod ein- gefügt sein. S. Nr. 195.]

Arehiv für Reformationsgeschichte. XXIII. Bjt. 19

178 18

O Mensch gedenk wie gar ungwiß

Dein Leben hie auf Erden ist;

Ist doch dein Leben und dein thun

Nicht anderst als wie ein Wisenblum.

Sobald sie nun der Wind anruhrt,

Von stund an bald Ihr Kraft verliert, [Psalm 103, 15 f.]

Heut bist du noch frisch und gesund,

Bald todt und ligst in dem Grund.

Drumb denkh ans end, du mußt davon,

Es sey gleich lang oder kurtz gethan.

Darumb befilch dich Gott allzeit,

Das du fein christlich seyst beraith

Und wohl zu bestehen für Gottes gericht,

Welchem du kanst ergehen nicht. [Außerhalb in vier Bändern, oben links:] Main Vertrauen steht [oben rechts:! In Christo allein. [Unten links:] Bartholomeus Schletzer, ainer löbl. n. ö. Landschaft bestalter Apotheker. [2. Rechts: Seltsames ganzseitiges Bild, ein mit Menschen gefüllter Halbzirkus, Altar mit Obelisk; Teufel und Engel mit nackten Gestalten an Seilen.] In Wienn. [An den Ecken vier Sinnbilder.]

107.

[Zwei Seiten füllend. 1:] 1627. [Auf dem Band links:] Ohnverhofft [Band rechts:] Khompt offt. [S. Nr. 92. 161. Im goldgrünen Kranz Wappen. Links Band:] Daniel Hauff. Kay. kh. May. Diener. [Kneschke 4, 442. 2: Im Hintergrund von Wettern bedrohte oder brennende Stadt. Schlacht. Vorn David mit Kriegern. ln den vier Ecken Bilderchen. Links David die Harfe spielend, wobl Bildnis Steudlins, vgl. Nr. 132, belustigend durch sein aufgedunsenes Gesicht; es gibt aber ein viel besseres Bild von ihm im Besitz von Pf. Dopplinger in Gmunden.]

108. [Zwei Seiten füllend. 1. Jesus in Gethsemane. 2. David rüstet sich zum Kampf mit Goliath. Vier Eckbilder, Pelikan- gedanke.] Dieterich Dach.

109. [Zwei Seiten füllend 1:] Exodi am XIII] vnd XV [In sehr zierlicher Umrahmung: Israel wird geführt bald Drucken durchs roten Meeres gewalt. Der König zeucht mit seiner Schaar Hinein vnd muß ersaufen gar.

19 179

Moses vnd das ganze Israel Die fangen an zu singen schnell Ein Lobgesang vnd Liedlein schon l Dem Herrn, das er je Guets hat than. Geschrieben in Wien. Durch Johann Meltzer. Rom. Kay. May. Hofkriegs Cantzlei - Verwanten Anno QVO Vere s Vos LIberabis De Vs aMaLIs[1623].

I esus M: Le Aem oannes eltzer inzensis ustriacus. [Vgl.

Kneschke 6, 227.] 110.

Non uis nec numerus semper bona causa triumphat, Interitum proprium nemo expectare tenetur. Reverendo Domino [ete.] 15. Maij. 1622. Zacharias Langjar U. I. D. [Utriusque juris doctor] et consiliarius Württembergicus nune Göppingae [S. Nr. 71.] habitans. l

111.

Omnibus amissis teneam te, Iesule, Obscurum stabulum tutum erit hospitium. [Wappen.] Memoriae ergo apposuit Viennae Ratisbonam abiturus 28. Sept. 628. Matthias Reichart. I. U. D. [Vgl. Kneschke 7, 409.] ;

112.

Non nisi certanti pulchra corona datur [2. Timoth 2, 5.] 1628. [Wappen.] Theologo Nobilissimo Domino M. Dauidi Steudlino fautori et amico quondam nune ef in posterum Raro Charo hane prolixi adfectus humilem aram in sacello Mnemosynes erigebat Viennae Austriae Patriae 21. Xbris Anni qui supra. Benedictus Falkpaum D. [Dieser Name war abgeschnitten und wurde wieder angeklebt.]

113.

Forsan in ignota sors mea floret humo. [Wappen] Accipe vir reuerende ef olarissime Affinis honorem et quae tibi Posonio scribo et mitto, absens licef, tamen praesenti semper sperans breui nos Dei gratia invicem visuros. Cal. Aug. 1629. Wolf Kieffel. I. U. Licent[iatus] olim Viennae Austriae Advocatus Caes[areus] nune Reipublieae Posoniensis a consiliis. [J. Sehrüdl J. Pfeifer, Geschichte der ev. Kirchengemeinde A. L. zu Pozsony Preßburg. 1906. S. Nr. 114, 142.]

114.

Gott meine Hoffnung. [Wappen.] Ich Andre Spindler [Kneschke 8, 566.] hab dió dem Herrn M. Dauid Steudlin

12°

180 20

gewesen[en] Euangelischen Prediger zu Herrnalß zu fr[eund]- lichem gedechtnuß geschrieben. Actum Pressburg. 10. Aug. A. 1629. [S. Nr. 113.]

115.

Deus ut ex nihilo mundum creauit, ita in nihilum redigit prius et summe humiliat quem valt regenerare. Besold [Prof. d. Rechte in Tübingen, trat 1630 zur katholischen Kirche über. Wappen.] Scripsit sua manu celeberrimo Theologo Domino M. Dauid. Steudlin compatri ef fautori suo [in] aeviternum honorando et amando omnem precatur prosperitatem et sui memoriam commendat, Vienna Tubingam abiturus 6. Oct. A. 1628.

116.

Unum est necessarium. Luc. 10 [V. 42]. Unum est ad Christi subsidere crura necesse. Caetera sunt curae damna, zcapepyc, nihil. Christophorus Fürer ab Haimendorf [Kneschke 3, 388] ad Sac[ram] Caes[aream] Maiestatem Reip[ublicae] Noribergensis Legatus memoriae ac benevolentiae causa. L[ibens] M[erito] scripsit Viennae Aust[riae]. 26./16. Octob. À. 1622.

117.

In manibus lehovae sortes meae. Reuer[endissim]o D[omi]uo M[agistr]o Dau[idi] Steudlin amico suo honorando et suspiciendo in memoriam ae recordationem jucundam adposuit Göppingen [S. Nr. 60, 71, 89, 110.] 11. Juli 1629. Hieronymus Walch. Md. D. et Physic[us]. Ibid, m. p.

118.

[Ganzseitiges Bild, wohl das gelungenste von allen: Landschaft mit Kriegern und vorn einem Betenden. Gideon, Richterbuch K. 6. £] Rev[erendissimo] et doct[issimo] viro D[omi]no M[agistro] D[auid] Steudlin, Past[ori] Eccl[esiae] in Hernals meritissimo sympatriosae suo char[issimo] hanc Gedeonis historiam in perpetuum amoris vinculum pingi curauit, X Viennae Austriae 5. Dec. A. 1622, Ieremias Pistorius dietus Pfister nune temporis diuersis Principibus et statibus sacr[i] Romani] Imp[erii] a consiliis et causis agendis in aula Caesarea.

119. [Ganzseitiges Bild. Schlachtendarstellung mit friedens- freundlichen Jungfrauen.] Hieremias Staininger Augustanus. Viennae Alustriae] 22. Oct. Allten] S[tiles] 1623.

21 181

120. [Ganzseitiges Bild: Johannes der Täufer in der Wüste.] Ohne Ains Jn Dreyen [Dreieinigkeit] Kan mich nichts erfreuen. Hans Lulehner.

121.

1634. Omnia eum Deo [Wappen] Hans Conrad Kepler

von Leytren [?], Rittmeister. 123.

Quaevis terra doctos alit. [Wappen.] Hoc in perp[etuam] debitae obseru[antiae] signum adposuit Viennae 18. Maij Valentinus Rorer M[ed.] D[octor] et Aulae Imperialis Medicus. [Vgl. Kneschke 7, 560. S. Nr. 16].

123.

Hippoerates. Totus homo ex Nativitate Morbus est. [Wappen mit Pelikan] Memore mente Benevolaque manu. Viennae IV. Julii 1629. Wilhelmus Rayger, M[edicinae] D[oetor] ef illust[rium] P. P[atronorum] Inferioris Austriae Physicus.

124,

L[ex Corp. jur. eivil.] bona fides 31 $ 1ff. (Digestorum Lib. XVI, Titulus IIII deposfiti. Si duorum servus sit qui deposuit, unicuique dominorum in partem competit depositi. Dazu gegen Schluß als fragmentum 31 in der Ausführung: Tryphonius libro IX Disputationum:] Hane probo esse justitiam, quae suum cuique ita tribuit, ut non distrahatur ab ullius personae justiore repetitione, [d. h. daß es (das Seine) nicht durch berechtigte Ansprüche irgend jemandes entzogen werden kann. -— Freundliche Auskunft von Herrn Hofrat Dr. Lippert in Wien]. Rev[erendissimo] et clariss[imo] Viro D[omi]n[o] Da[uidi] St[endlin], ecclesiae Backnangensis Pastori vigi- lantissimo Dom[ino] Af[ini] et Fautori suo singulari honoris et amoris ergo L[ibens] m. p. Christophorus Sehmidlin Kneschke 8, 242.] Supremi senatus Ducatus Wirtembergensis Secretarius. Stutgardiae Calend. junii 1631. IS. Nr. 125.]

125.

[Prunkvolles ganzseitiges Bild, ein Kriegslager dar- stellend; in einem Zelt, dessen Zipfel gehoben werden, ein schlafendes Paar, rechts drei Krieger, links ein Krieger mit Kelch? links unten Wappen.] Wie's Gott gefällt. Rev. adm[odum] atque elariss. vir[o] Dno M. D. St. Theol. vigi- lantissimo ae celeberr[imo] affini et fautori suo, plur[imum] honorando. Stutgardiae 2. Martii 1631. Dauid Schmidlin [S. Nr. 124] D[oetor] Aduocatus juratus. |

182 22

126.

Cicero ad Quirites post reditum [Sept. 57]: Mihi quidem quod potuit vis et injuria et sceleratus hominum furor detrahere eripuit et abstulit; quod uero viro forti adimi non est, id mihi manet et permanebit [Wappen. Unterschrift verblichen].

127. Leuiter ex merito quicquid patiare ferendum est, Quae venit indigne poena dolenda venit.

Deo et Tempori. Tandem bona causa triumphat. [Bild der Gerechtigkeit, Jungfrau mit Kranz, Spießrutenlaufen einer mit] Bona causa [bezeichneten Mürtyrergestalt durch eine Gasse von 14 Männern, die teils bezeichnet sind, wie] testes falsi, Advocati imperiti, judices iniusti.

Veritas premitur sed non opprimitur.

Flectere si neqneo superos Acheronta morebo. [Äneis 7, 312.] Tu ne cede malis sed contra audentior ito. [Ebd. 6, 95.] Gott gibt im Unglück ihm ein Muet

Das es auch manchem wehe thut. Sat cito si sat bene. [Binder Nr. 3025.] Audaces fortuna juvat. [Terent. Phormio 1, 4, 26.]

Niemand reißt ihn auß seiner Hand

Es were den der Fürst im Land. Fama diffamabit Sed tandem fiet Justitia

Vil Vogel Sein, die hassen mich.

Ich bin ein Kautz [mit Abbildung], der nicht fürcht sich. Calumniare audacter, nam semper aliquid haeret Sive per fas aut nefas [Binder Nr. 399].

Ob ich schon hab der Neider viel, So geschieht doch, was Gott haben will.

128.

Minor sum D[omine] cunctarum miserationum tuarum. Gen. 32 [V. 11] Psalm 111 [Bild: Landschaft; ein Geist- licher [Steudlin?] zeigt auf eine Höhle, über der in Flammen Sonne und Mond stehen. Wappen. Unterschrift erloschen.]

129. 1621. 24. Nov. pm | 59y Spes et labor Haeo > -

Steudlino apud Vienn[enses] ecclesiastae. Johannes Küsterus phlysiclae et medicinae doctor Illustrissimi Ducis Julii Friderici [S. Nr. 8. 17.] Wirtenb[er]gensis. Una gula omnium prope morborum mater et medicorum nutrix. [Bild. Hippoerates und Hermes reichen sich über dem Altar der Hygiea die Hände.]

23 183

| 130. YEAR AN Tim Rp Dar m Tn Alvay Errıxaklloouaı v0» xígiov xal ix iv Ey9gGv uob 06o915couat Y a O [18, 4 In einem schwarzen Doppelkreis:] Laudibus assiduis dominum uenerabor ef hostis qui noceaf tanto vindice nullus erit. Psalm 18 [V. 4. Im Kreis:] Ecce Cnaeniades [der Sohn Cnaena's, 1. Reg. 22, 24] colaphos infringere vati Veridieo coram regibus andet atrox. Cum cultore suo sic fraudum nescia uirtus Caeditur Austriacas inter et ante fores. Elias Ursinus [Steudlins Amtsbruder in Hernals; Wiedemann 4, 30, 142. Vgl. II Nr. 49] L[aureatus] P[oéta] Caes[areus] m. p. Fac ea quae moriens facta fuisse velis. [S. Nr. 135.]

131.

[Ganzseitiges Bild mit zwei Darstellungen aus der Tobias- geschichte mit Bezug auf den Vornamen des Einzeichners; Fangen des Fisches und Heilung des blinden Vaters durch Auflegung der Fischgalle.] Reverendo M. David Steudlin Pastori Eeclesiae in Hernals vigilantissimi Tobias Schaffer Austriacus. "Viennae 22. Junij 1624. Ä

132.

Herrn M. Dauid Steudlinus. Hail. Reichstatt Kempten Pfarrer. Meinem hochgeehrten geliebten Herrn Geuatter. Anno 1623 d. 30. Dec. H. V. D. [Etwa: Hoc vouit Dornin. In prächtigem Blumankranz steht Steudlin mit seinem auf- gedunsenen Gesicht, S. Nr. 107. 157, wallendem Haar, Voll- bart, Kranz und blaurotem Gewand als David mit der Harfe]. Sabina Hans Ulrich Dornin [Frau des Bürgermeisters, Kunst- liebhabers und Sammlers Raimund Dorn, geb. König, ihr Sohn Hans Ulrich. S. Nr. 137.]

133. 1627. In vngluck trag eines Lewen mueth, Er kans wider machen guet [Großer grüngoldner leerer Kranz.] Sebastian Hölzl, ainer Ehrsamen niederösterreichischen Landschaft Diener. 20. Sept.

134, Frangitur haud ullo vir fortis cachinno sortis. Fide Deo, mundum despice, tutus eris. No ay de Principes fauor Quien embidia non osa morder [Leider! Wen Fürstengunst zügelt, wagt nicht zu beißen.]

184 | 24

Rev. omni eruditione ac virtutum exercitatissimo Theologe nec non evangelicae puritatis et constantiae assertori laudatissimo Domino M. D. Steudlin nunc Backnangentium vigilantissimo honoris et amoris singularis monumentum Stuttgard. 7. Mai 1631. Henricus Hiller.

135.

[Ganzseitiges Bild: Auf einem Thron zwei Türken, vor denen zwei Streitende; dahinter ein Bischof mit Gefolge.| Elias Ursinus [S. Nr. 130] Conariensis Saxo [Raupach 5, 196] Gregi Diuino qui inter Hernalsina vireta pro tempore pascitur a sacris concionator et Poeta Laureatus Caesareus clarissimo Domino collegae doctissimo hoc synceri reliquit amoris monumentum 4. Cal. Octobr. a passione Christi e ecolesiae 1623. m. p.

136. [Ganzseitiges Bild: Dreieinigkeit; anbetender Mann; eine Frau; ein Lamm. Wappen ohne eine Zeile.]

137. Portando Il Male Sperando Il Bene Il tempo passa la Morte Vienne. [Wappen.] Meinem hochgeehrten sunder gunstigen vnd geliebten Geuattern. Kempten 1635. 7. Jenner. Hans Ulrich Dorn IS. Nr. 132].

138.

[Der Anfang ist abgeschnitten.] In gedult trag Jeder sein Creutz gern Solchs wirdt Im Ewig belohnt werden. [Wappen] gewesenem Pfarrer zu Hernals und Inzersdorf hochgeehrten Herrn Seelsorger und Beichtvater. 21. Aug. 1629. Geschrieb. bei St. Ulrich vor dem Burke[Burglthor bei Wien. [Heute Bez. Neubau. Marcus der ander Euangelist, der reichlich außbreitet Mirakhel groß von Jesu Christ, damit Er hat geleitet, zum Glauben bracht, das er allein gerecht vnd fromb thuet machen. Denn Gottes worth bleibt Ewig stahn, die welt thuet weinen oder lachen. [Großes Bild: Markus mit dem Löwen.] O Mensch, glaub dem Herrn auß Hertzen grundt, bekhenne Ihn mit deinem Mund und preib Ihn mit der That; thu Ihm fleißig deine Pflicht, wie dich sein Worth vnterricht, so wierdt Er mit seiner Gnad dir beystehen in aller Noth. Den 11. August 1629.

139. Wer Im nichts böses ist bewußt Der lebt wol und stirbt mit Lust [Wappen.] Dav. Steudlin, Predigerzu Wackhun. [Backnang.] Wien 10.Julii 1629. [Unterschrift abgeschnitten.]

25 185

140. Derr Herr fueret Seine Heullügen wunderbar [Psalm 4, 4. Bild: Jakobsleiter, Genesis 28, 12.] Durch düsse Jacobs Leider Lang Darauf die Engelen gottes auf vnnd wider gan stügen die lieben Altvetter all Durch den glauben zu des Himmels Sall. Den kein ander weg in den Himmel nit ist, AlB durch düsse Laidter, welche bedeut Jesu Christ. Eben auf düssem weg beger ich auch zu gahn Zu meinem Herr Christo in des Himmels Dran [Thron]. Der Herr stärke vnd begleidte mich auf dessen Pan. Georg Zeller. [Vgl. Wiedemann 3, 432, 467 (1576).]

141.

Matth. 2, 13. Fuge in Agyptum et esto ibi, usque dum dicam Tibi [Ein Bildchen ist ausgeschnitten.] ^ Meo longe eharissimo Domino M. D. Steudlin] Paulus Schuberthus [1615, ausgewandert 1622]. Iglavia patria, exul, pí[ro] t[empore] Ecclesiae Lutheranae Semproniensis [Odenburg S. II Nr. 57.] pastor et vicinarum communiarum senior. Sempronii in Ungaria 22. Dec. 1628 [Jahrbuch 9, 156. Ztschr. d. Ver. f. die Geschichte Mährens und Schlesiens 17, 152 S. Nr. 142, 166.)

142.

Actor. 14V.22. Per multas tribulationes intrabimus in regnum Dei. Meo desideratissimo Domino M. D. Steudlin Austria exulanti p[ropter] verbi diuini veritatem. M. Johann Hagius Iglawiensis Moravus pro tempore diuini Ministerii Sopronii [Odenburg] Hungariae 28. Jan. 1629. [Vgl. Nr. 113f.]

143. Spes confisa Deo nunquam confusa recedit. Des Gerechten Hoffnung vnd Verlangen Erfüllt Gott, ist nie lühr außgangen. [Wappen nebst zwei Frauen mit einem Kreuz] Joachim Sthör. R.K.M. Diener [Kneschke 9, 53] und Expeditor bei Dero Hofkriegseanzlei in Wien, geschrieben den 10. Aug. 1628.

144. Spem contra inspem. Seelenangst ist eine große noth Wenn sich verbirgt der liebe Gott.

186 | 26

Halt an, wanck nicht, dein Zuversicht

Laß Gott seyn, gewiß, Er lest dich nicht. [Wappen.] Paul Klewen Megapolitanus. [Mecklenburger] R. K. M. alter Diener und Conzipist bei der Hofkriegskanzlei. 12. Nov.

145. In Christo die ewige Frewdt. 1628. [Wappen.] seinem Beichtvater. [Name abgeschnitten.]

146. Apostelbild mit Engel, Buch, Feder, Tisch, Tinte.] Matheus folget Christ dem Herrn thuet seinen Zoll nicht mehr begehrn. Rueff' dich nun Gott zu seinem Ambt So volg Ihm auch, Laß ander allsampt. [Ohne Datum und Namen.]

147. A.B.C.D.E.F. [Etwa: Allen bringt Christus den ewigen Frieden. Wappen.] Michael Wölffingg [Kneschke 9, 595. Bild, die h. Familie in einem Boot auf der Flucht.]

148, | Gott wird die rechte Zeit allen Betrangten zuhelfen. [Wappen.] Ferdinand Grabner, [Vgl. Wissgrill 3, 369. Kneschke 3, 611. Wiedemann 4, s. v. Kuefstein s. v.] K.R.M. vnd weiland Maximilians [IIL, 1558 —1618 des eifrigen Ketzerverfolgers] Erzherzog zu Osterreich Maister Teutschordens und hochseligster gedächtnis hinterlassener Hofpfenigmeister. Wien. 17. 8. 1629. [Vgl. J. Egger, Ge- schichte Tirols 2 (1876), 315.]

149.

Arma militiae nostrae non sunt carnalia. [2. Cor. 10, 4. Wappen] Viennae Austriae 25. Maij 1629. Georgius Karla Reiffenstein Kneschke 7, 427] Excel[si] Regiminis Austriae [ad]vocatus,

150.

Cum tribularer clamavi ad Dominum et ipse me exaudiuit. Ps. 119 [118,5. Nicht Vulgafatext.] Miseria toleramur, felicitate corrumpimur. [Wappen.] Jo. Jacob Agricola [Kneschke 1, 23] Aerarii prouincialis Ducatus Wurttembergici Quaestor. 9. Juli 1632.

151. [Landschaftbild mit Wappen.] Fürstl. Württembergischer Stiftsverwalter zu Backhnang Leonhardt Kornn 6. Febr. 1630.

27 187

152.

[Ganzseitiges Bild, einen Reiterzug darstellend; links Opferdarbringung, rechts: Tanz ums goldene Kalb. Exod. 32. Wappen! bab ich Ellias Lotter der Jungere Burger und Handelsmann zu Augsburg diesses main Wappen nüben der historia machen lassen. Dem Pfarrer zu Backnang m[einem] Schwager. 11. Nov. 1629. An Gottes Sägen ist alles gelegen [Wander 2, 2. Schrimpf Nr. 46. S. Nr. 153.]

153. | [Ganzseitiges Bild: Himmelfahrt des Elias. Wappen]. Elias Lotter 11. Nov. 1629.

154.

[Ganzseitiges Bild, ohne Namen und Datum. Links Schlangen in der Wüste; in der Mitte Dreieinigkeit und Engel. Der Gekreuzigte; rechts der Auferstandene mit Maria Magdalena. Unten: Menschen, Leichen, Teufel.]

155.

Es will gelitten, gestritten vnd gekempffet sein. [Be- achte den Namen!] 1628. [Wappen.] Leide dich als ein guter Streitter oder Khempffer Jhesu Christi, vnd so Jemand auch Khempffet, wird er doch nicht gekrönt, Er Khempff den recht. 2. Timoth. 2. [V. 5.] Michael Khempff von St. Annaberg vnd Handelsmann in Wienn. m. p.

156.

Drey Ding welch fur Auge gesteldt

Regiern fast die gantze Weldt,

Dan Feder, Wachs vnnd Pergament

Stiften viel guets vnnd auch Elendt.

Ders recht braucht, drob empfindet frewet,

Ders Mißbraucht Jammer vnnd Leydt. [Umsehrift:] Imperat et servit 1629. [Drei Frauen, ein Hund, fünfzackige Krone, Ente] Esaj III Cap. [V. 12—14.] II. [IV. 8 ff.] XXXIV IV. 4 ff.! meinem hochgeehrten Herrn Beichtvater. Wien 13. Juni 1629. Jac. Hollenbach

157.

Saltuariorum piissimus. [Ganzseitiges Bild; Bäume mit Tier und Wappenschild; links ein dicker Mann, Steudlin ähnlich [S. Nr. 132, mit Gewehr, rechts Frau mit Sichel; Jagdbild. Wohl Beziehung auf das geistliche Wild, vor dem St. schtitzt.] Backhnang 9. 1. 1630. [Unleserlich.] Johanniter.

188 28

158, Aus Leiblicher Hitz, gefängekhnus vnd Noth Halff mir allein der liebe Gott. Dem ich mich noch ergebenn thue Biß er mich bringt zur ewigen Ruhe. - Dem Ehrwürdigen best[allten] Prediger 24. Okt. 1625. Connrad Beitler. 159. Nach Herrn Beuelch man nicht soll leben So sie wider Gott vndt Sein Wort streben. Geörgen Rösch. 160. Mein Gott! Aineß bitt Ich auff Erden Geldt vndt guett Laß mir nit zu lieb werden. Dan so ich daß zeittlich lieber hab Dan dich so weichst du von mir ab. Blasiuß Wagner.

161.

[Ganzseitiges Bild, die Hochzeit zu Cana darstellend.

Ev. Joh. 2.] Vor allen gässten Christum Jad Wenn noth herdringt, so denkt er dein. Solchs dir wirdt gewißlich sein khein schad. Vnnd schenkht dir endlich guetten wein. Hingeht die Zeitt, her khumbt der Todt. O Mensch bedenkhs vndt fürchte Gott.

[Wappen, über dem neun kleine Wappen; links ein Kaiser, rechts Iustitia mit Wage und Schwert.] Adam Plaim- stingl [Kneschke 7, 164], kais. Hofkellermeister dem Pfarrer zu Hernals und Jnzersdorf,

meinem lieben Beichtvater aus christlichem aufrichtigem Gemuet.

Erwigs dann wags.

Gott vermags vnd hats. 31. Juli 1629. [Wappen.]

162. Allaiu Gottes Gnad Mich erhalten hat. WaB Gott Will, das gschech allzeith. Unuerhofft khombt offt. [S. Nr. 92, 107.] Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn. [Philipp. 1, 21. Wappen] Ich (der Zeit noch) ainer 1öbl. Landschaft Jn Osterreich unter der Enns Buchhalter dem gewesenem hochgeliebten Evangelischen Prediger zu Hernals und Inzersdorf Meinem Herrn und Seelenhirten. I Unterschrift abgeschnitten.]

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163.

Non in parvis rebus Deus propitius auxilium afferre solet, Sed tum potissimum, quaudo spei superest minimum Josephus, l. 2 Antiq. c. 6 [Wappen.] eeclesiae Campidonensis [Kempten] antistiti. Ulm Aug. 1633. Chunradus Dietericus S[acro] S[anctae] Theologiae D. Eoclesiarum Ulmanarum Superintendens. [Gest. 1639. Württemberg. Kirchengeschichte 1893 S. 464.]

154. Non audax timidusque nimis sis Dama leoni, Hic pavida ardenti te sociata monet. Sey nit zu keck, sondern furcht dich, Welcher steht, sehe wol für sich. 1. Cor. 10 [V. 12. Wappen.]

Ioan. Ludovic. Geitzkofler August[anus] doctae disser- tationis] Theologicae de historia David ex 2. Sam. 12 institutae [autor] praesens superius distichon Patris sui beati Lucae [Krones, Handbuch der (Geschichte Österreichs 5 (1879), s. v. Jahrbuch 19, 268. Kneschke 3, 472.] epi- taphium Annaeo insitum sibi in memoriam revocare una eum pictura in signum amicitiae haud fictae relinguere voluit. 26. Nov. 1627. [Ganzseitiges Bild, Wappen und Nathan vor David, Musikinstrument, Noten.]

165. Herr Dein will geschee! 1628. [Wappen.] Franz Pöschl, Diener und Salzschreiber, Wien 21. Sept.

166.

1629. Mein Gott hat seinen Engl gesandt, der den Lewen den Rachen zugehalten hat, das mir khain Laidt ge- than baben. Danfiel] 6, IV. 23 Zeichnung: Daniel in der Grube mit fünf Löwen. [S. Nr. 15. Beachte den Namen l Aus herzlicher Lieb und stets immerwährenden gedachínuB. Odenburg [S. Nr. 141] in Hungarn. 26. Juni 1629.

Daniel Glentzmann 167.

Allein in der verfolgungs noth

Erquiekhen thuet das gaistlich Brot. Psalm 55, 23.]

Würff dein Anliegen vff den Herren,

Der würdt dich versorgen vnd würdt den

gerechten nicht öwiglich in Vnruehe lassen. 1631.

M. David Steudlin. Lehrer des reinen euangelischen Worts, Pfarrer zu Backhnang, seinem jetzigen Seelsorger. [Ganz- seitiges Bild: David mit den Schaubroten; 1. Samuel. 21.] Von dem exulierenden König und Propheten Dauid Backhnang am h. Christabend. Vertriebener Maulbronnischer [Böttcher S. 1076] Verwalter Christoff Mung.

190 30

168. Respice finem. Deus Fortitudo et spes noster. 1629. [Wappen.] Ioh. Bapt. Kuttner a Künitz. R. K. M. Hofdiener in Wienn. [Kneschke 5, 331] Tag Jakobi [25. Juli].

169.

Was sein soll, schickht sich woll.

Alles naeh Gottes willen. [S. Nr. 173, 197. Vom Wappen je links und rechts zwei Sprüche:] Gott verletzt durchs Kreutz sein Kind. Gott verbindt vnd hülfft auch geschwindt. Gott hülfft nach seim allweißen Rath. Gott allezeit gnädig geholffen hat. A. 1629. Hanns Pinnikhen. Burger und Hof- handelsmann in Wien.

170. Glückh richt, was vnglükh bricht. Wappen.] Dan Dürnperger d. jungere. Handlsmann.

171.

[Die erste Zeile ist abgeschnitten.] Aus Genaden nim- mermer vergeht Sondern bleibet bestendijehlich durch Gottes genadt verharet sie ewiglich. [Wappen.] Meinem boch- geehrten gewesenen Herrn Pr. zu Hernals. 28. Juli 1629. Hans Eckersberger. [Kneschke 3, 20.]

172. Nusquam tuta fides. [Wappen.] Maximilian Trapp zu Bisein, Churburg und Schwanburg.

173.

Alles nach Gottes willen. [S. Nr. 169, 197 Stickerei. Wappen.]! Josaphat Weinlin burger vnd Gerichtschreiber Publicus [S. Nr. 81] zu Kempten 1634. [S. Nr. 174. Wohl Sohn des 1603 gestorben M. Josaphat W. aus Tübingen.]

114. [Bunte Seidenstickerei:] Christus mit den zehn Jung- frauen. Matth. am 25. Kap. Dise fünf kluegen Janckfrawen Soll ein frombs herz wol beschawen Vnd volgen Irem Exempl. So kombt es auch in disen Tempel Zum Ewigen vnd Seeligen Leben. Das woll vns Gott der Vatter geben Durch Christum unsern Preutigam Den sollen wir loben allesam. Johanna Weinlini (von Lindau) [S. Nr. 173.] 1635.

31 191

175.

Sunt humana nihil semper caelestia spectes.

Illa breui pereunt, haec sine fine manent. | M. Ernestus Jacobus Steinauer olim monachus Franciscanus nunc pastor in Lampoldzhausen Württemberg, 1629 1635 laut Orts chronik J. Der stärkste Trieb eines Frauenzimmers ist die Begierde zu gefallen. [Stickerei: An fürstlicher Tafel wird dem Fürsten von einem Geistlichen ein Schriftstück Be- gnadigungsgesuch ? überreicht; ein Mann hinter vergittertem Fenster. Eine Kapelle mit einem Geistlichen davor.]

176. Trau Gott hilff. Joachim Hochfelt, kais. Hofbarbier und einer lóblichen Landschaft bestallter Chirurg.

177.

Zu Gott vnd Ehre kehrt mein billichs begern. 1629. [Wappen.]! Seinem hochvertrauthen auch viel geehrten Herrn. Wien 2. Mai. Hanuß Ragell. [Vgl. Kneschke 7, 325.] R. K. M. Diener.

178.

Alle Ding vergengkhlich. A. 1628. [Wappen.] Meiuem lieben Herrn und Freund in Wien. 4. Nov. 1628. Jacob Reusch. [Vgl Kneschke 7, 464.] R. K. M. Diener.

179.

Herr, warumb trittestu so fern vnd verbirgst dich zur Zeit der noht? Auf, Herr, erhebe dein handt vndt vergiß der elenden nicht. [Psalm 10, 1. 12. Wappen.] Zu immer- währender gedechtnuß und Danksagung auch wegen ofters empfangenen Trosts der Seel. Datum tempore exilii 19. Aug. 1629. Volemarus Thilo, ciuis ac pharmacopeius in Wien hujus eiuitatis, so lang Gott will.

180. Verzage nicht im Kreize dein Naehm Regen khombt gewiß ein Sonnenschein. [S. Schrimpf Nr. 26. Wappen]

Zuuor gethan vnd hernach bedacht

Hat manch ein großes h[erz, abgeschnitten] laidt gebracht, Wienn. Peter Paul [29.Juni] B. A. D. E. [Etwa: Bedenk allezeit dein Ende. Birdlme Felber. [Vgl. Kneschke 3, 220,]'

181. Augustinus, Non licet diem praesentem bene transigere, nisi cundem tibi postremum illuxisse statueris. [Wappen.]

192 32

Wien 19. Juni 1629. Melchior Bullinger. [Vgl. Kneschke 2, 130.] Ex privilegio C[aesaris] Majestatis oreatus et juratus Notarius publicus.

182.

Bernhardus [Set. von Clairvaux, 1090—1153. II. Nr. 16.] Non est uir fortis cui non crescit animus in ipsa rerum difficultate. "Viennae 24. Junii 1629. [Wappen.]! Hanns Christof Löffler. [Vgl. Kneschke 3, 606.]

183. Tandem patientia uictus. Wappen.] PreBburg.9. Aug. 1 629. Carl Randolph von Freihausen.

184. Gott mein Trost vnd Sterkh. [Wappen.] Preßburg 10. Aug. 1629. Thobias Zehenthofer.

185. Gratia DEJ constans hominum vero mutabilis et vana 1628. Wien. [Wappen.] Hanns Jacob Eppele. Kai. Vitz- dombamtsverwalther. Wissgrill, 2, 423. Kneschke 3, 129.]

186.

Gott mein Trost. Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? [usw. Römerbr. 8, 35f. Wappen mit Pelikanen]. Hanns Christoff Schuller am Freyhoff zu Enzersdorff. R. K. M. Diener. 31. Okt. 1628. [Vgl. Kneschke 8, 353. Kuefstein s. v.]

187.

Praecedit labor succedit honor. Wer stirbt, ehe er stirbt, der stirbt nicht, wann er stirbt. [Wappen.] Melchior Geringer. Rm. K. M. Hofdiener und Hofkriegszahlamtsver- walter. Viennae. 24. Sept. 1628.

188, Laetetur cor meum vt timeat nomen fuum. Psal. 86 [V. 11. Wappen. Wien 20. Juni 1629. G. Ludwig Brys- mann. Traunerischer [S. Nr. 25. 35] Sekretarius. [Vgl Kneschke 2, 97.] 189. Apo[calypse Joh.] 2 [V. 10:] Esto fidelis vsque ad mortem et dabo tibi coronam vitae [Wappen.] Wien. 16. Junii A. 1629. Hann8 Wilhelmb Verkhauff.

190. Non est mortale quod opto. [Schrimpf Nr. 81 II Nr. 49. Wappen.] Gratae memoriae [ete.]. Viennae 14. Aug. 1628.

33 193

Esajas Jessensky a Jessen majore. [Kneschke 4, 564. Schimon S. 103.] 191.

Der Christen herz auf Rosen geht,

Wenns mitten vnterm Creutze steht. [Der Vers ent- spricht Luthers Wappen. Wappen.] Genes. [49, 18.] Herr, Ich wahrt auff dein heil. Meinem hochgeehrten H. Seelsorger und Beichtvatter weilland zu Hernals vnd Inzersdorf. 27. Sept. 1628. Christoph Schmid von Brennsburg. [? Schimon S. 331.]

192.

1628. Gott mein Trost. [Wappen.] Georg Platz, R. K. M.

Diener [Kneschke 7, 174.]

193.

Glaub, Lieb, gedult, hoffe. [Wappen.] Peter Stoeckhmayer. K. R. M. Diener und Obrister Hofpostmeister Ambtsverwalter. Wien 24. Dez. 1628.

194.

Mit Gottes Hilff. [Wappen.] R. K. M. Math. gewes. Diener Jacob HaaB. Wien 7. Mürz 1629. [Kneschke 4, 118. Schimon S. 16.)

195.

Odi ergo tanqſuam] infernalem pestem ilam qui dicit aliud ore aliud gerit in praecordio. Ut pia fata volunt, Sic pia vota valent. [S. Nr. 198. Wappen.] Stuttgart 7. Maij À. 1683. [S. vorn S. N. 106.] Amico suo et in Christo fratri plurimum dilecto Domino Georg[io] Frederico Steudlino nepoti [Vgl. II Nr. 218.] seulpsit [Schneidteehnik] M. Jo. Jacob Köll- reutter S[anctae] Thfeologiae] St[udiosus] No[bilis] Ju[ristae] Schafalickii Inf[ormator.]

196.

Vanitas vanitatum et omnia vanitas [Kohelet 1, 2. 12, 8. Wappen] Góppingen [S. Nr. 71. 110. 117. 198.] 4. Jul. 1634 Daniel Widman ap[ud] Nordlingensens Judieii et scholar- chiatus assessor.

197.

Alles nach Gottes willen. [S. Nr. 169. Wappen.] Matthias

Greither von Kempten. Kempten 18. Sept. 1634.

198. Komb Fried Erlöß Hoffnung. Ut amnium omnium eonfluxus in Oceanum [Kohelet 1, 7] sio aerumnarum in hoc praesens seoulmm. [Wappen.] Ut pia fata volunt Sie pia vota valent. [S. Nr. 195.] Güppingae.

Arohiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 3/4. 18

194 34

IS. Nr. 196.] 5. Juli 1634. Christoph Kern. Amberga-Pala- tinus [Böttcher S. 903] exul. p[ro] t[empore] consili et quaesturae praefeetus Oetingae. [Böttcher S. 936.]

199. 1629. Zue Gott allain Mein Hoffnung. [Wappen.] R. K. M. Diener und Zeugwarth des Haubt Zeugwesens in Wienn. Hanns Hainpuecher. [Vgl. Kneschke 7, 270. Kuefstein s. v.]

200. 1629. Hindurch wie Gott will, Dem Teuffl zum widersphill. [Wappen.] Franz Dapp RK M gewester Zimendter Von der weldt zwar versthofner Aber von Gott nicht verloßner 1629. 21. Februarij.

201.

1628. Principium et finem D EVS dirigat. [Wappen.] Dem wohlerwürdigen edlen und hochgelerten D. St. gewesenen Prediger zu Hernals und Inzersdorf. Wien 28. Sept. Hohen- werkh RK M. Proviantmeister.

202. Ich erwarte Freudt Nach dieser Zeith. [Wappen.] Mathias Schmelzern von Wiltmanßegg [Kneschke 8, 232. Schimon S. 230] RKM Rath. 203.

Omnia Deo fortunae nihil. Humana vita est alea in qua vincere tam fortuitum est quam necesse perdere. Viene uno à dar en una gran prosperidan y por esso es de animo valeroso y prudente no desesperare en los trabajos si non venier y esperar los successos prosperos pues no ha de ser perpetua la tempessad. [Oft kommt einer aus einer großen Gefahr in großes Glück, und darum zeugt es von ktihnem Mut und Klugheit, nicht zu verzweifeln bei nicht zu be- wältigenden Arbeiten und auf die günstigen Erfolge zu hoffen; nicht immer wird Sturm sein.]

Reuerendissimo ac doctissimo domino possessori hoc sui mnemosynon relinquebat Campidoni [Kempten] 23. Aprilis 1635. Georg Willesen genannt Anholt.

II. Stammbuch des Schulrektors Burkhard Brödersen.

Die evangelischen Stände taten ziemlich viel für das Schulwesen, wenngleich lange nicht genug im Verhältnis zum Bedürfnis und zu ihren Kräften. Von einer ev. Schule

35 195

in Hernals hören wir zum erstenmal durch das Stammbuch eines sonst auch unbekannten Mannes. Aus den Ein- zeichnungen (1613— 1629) erhellt, daß er einige Zeit in Graz weilte; von seinen Wittenberger Studientagen her umgab ihn ein herzlicher Freundeskreis; er selbst fehlt in der dortigen Matrikel. Anders als bei Steudlin begegnen uns nur wenige Adlige und Beamte, sondern Professoren, Geistliche, unter denen Steudlin, Juristen, Mediziner, etc., die in sieben Sprachen den Besitzer, z. T. in hohen Tönen feiern und Klassiker, Bibel- und Kirchenlehrer, meist sehr ernst zu Worte kommen lassen. So bezeugen beide Stamm- bücher in den Schrecken der Gegenreformation und des 30]. Krieges eine erfreuliche Höhenlage von Bildung und Gemüt in führenden Kreisen.

Das Album befindet sich in der Nationalbibliothek in Wien (Codex 15398) und gehört zu den Philotheken, für deren Gebrauch man beliebte Bücher durchschiessen ließ, hier die, damals dafür bevorzugten, z. T. halb vermoderten, zwei Bände Icones clarorum vivorum 1591.

E In silentio et spe. Az Ur az en üdvóssegen. [Magyarisch: Der Herr ist mein Heil. Ps. 27,1.] Comes Emericus Thurzo de Arwa. [Rektor in Wittenberg. 30. Juni 1616; in Ungarn vergiftet. Kneschke, 9, 223.]

2.

1627 Gott Begnade Hoffnung. Wolff von Prangkh zu Pux vnd Reinthall. [Vgl. „Adler“ 10, 49. Kneschke 7, 235. Clauß 222. S. Nr. 23.]

3.

16 C[hristi anno] 21. Ty oeavsov [S. Nr. 76. Büchmann S. 330] Credo Deo me remque meam et spe fallo dolorem. Euentus pia fata dabunt - - secundos. Melae [Mell, Mele, Mellm, Gmöll, Gut östlich nächst Trofeiach (Leoben) S. Nr. 5, 6, 55, 108.] seripsi 2. Aprilis Nicolaus Sigmar à Schlüsselberg [Kneschke 8, 226.]

4.

Est sapientis opus, cum possit, nolle nocere; est proprium stulti et posse et velle nocere. Bartholomeus Reusnerus D.

b. 16 S[alutis sc. anno] 20. Sola virtus nobilitat. Wan ich schon hob des Croesi Guet, Von stambes wer des höchsten bluet, Het Absolon sein schöues Haar, 13*

196 86

Auch Ciceronis wolredenheit gar,

Vnndt nicht die hult der Dama mein,

Muest ich bey Allen der unglückhseiligst sein. Meel [S. Nr. 3 6.] 4. Jan. Wolfgang. Adamus Goldi a Lampodine in Senfftennico. [Gold von Lampoding zu Senften- eek, verwandt mit den Rauchenbergers. S. Nr. 6. Wiss- grill 3, 350. Kneschke 3, 582.]

6. 1621 Spes mea Christus. [S. Nr. 37, 53, I 72]. Le

juste viura de foy [Galat. 3, 11.]

Sorg und Sorg nicht gar zu vil,

Es geschicht doch, was Gott haben wil. Stephan Rauchenperger, Loserth, Fontes 60, 312, 795] zu Hanfelden an der Meel. [Hahnfelden, eine halbe Stunde vom Markt Zeyring. Kneschke 7, 359. S. Nr. 22, 29, 3, 5, 22, 108.] den 13. Aprilis.

A Jova principium a Jova finis erit. [Büchmann S. 371] 1620. Joh. Adam Söll ab Aichperg. [Kneschke 8, 518.]

8. Wie Gott will. [S. Nr. 103, 165, 173, 197.] 29. Der. 1625 zu Ebendorf. [Topogr. 2, 3981f.] Sim. Schrötl. [S. Nr. 9]

9. In literis et armis, [Krebs, S. 16, 10]. Ebendorf IS. Nr. 8.] 1624. 29. Dec. Reichartus Schrötl v. Schröten- Stein. [Kneschke 8, 346.]

10.

Hieronymus, [S. Nr. 106.] Nulli te unquam generis nobilitate praeponas. Haec Georgius Gtildenstern L[iber] B[aro] suecus humanissimo D. possessori scripsit Vitebergae. 2. Febr. A. 1615. [Kneschke 4, 92.]

11. Sapiens dominabitur astris. Caspar Szunyogh L[iber] B[aro] Hungariae. 4. Febr. 1615. Vitebergae.

12. Augustinus. In hoc praesenti seculo non sunt nisi tria haec: Nasci, laborare, mori. Leonh. Hutterus D. [1563—16106. RGG 3, 215. Friedensburg s. v.]

13. Picus Mirand[ola 1462—1494. RGG 4, 15841. Major in erratis bonitatis gloria nestris Et dare non dignis res mage [— magis] diqua Deo est.

37 | 197

Fridericus Balduinus D. [1575— 16237. Professor in Witten- berg 1604. Friedensburg s. v.] Witteberg. 15. Juni 1613.

14.

Plautus. Virtute ambire oportet non favitoribus. Ergo Beschaffen vnverschlaffen. Adamus Winddorferus. Comes Palatinus Caes[arius] et civ[icus] Rom. Imp. scripsi Viennae Austriorum. 7. Aug. Anno Christi MartInUs LUtherUs reDI. [1617] Laetare.

15.

O. T. C. I. u. D. C. [Etwa: Ob testimonium caritatis in memoriam domini carissimi] Psalm 1. IV. 6.] Novit Dominus viam justorum. xodrsı & kxeig [Offenbar. Joh. 3, 1] Helvicus Garthius D. [1579—1619; seit 1613/4 an der Kreuz- kirche in Prag. Jahrbuch 20, 69.] 30. April/10. Mai Anno 1616.

16.

Bernhard [S. Nr. 40 I, Nr. 182] serm. 15 in Canti- [ca Canticorum, 1135ff.] Jesus in ore mel, in aure melos, in corde jubilus. Manus Thobiae Winteri [Jahrbuch 20, 73] Micropragensibus [Prag, Kleinstadt] a concionibus sacris apposita in vigiliis Ascensionis Dominicae A. 1616.

17. Omne bonum consilium a Domino. [Vgl. Jakobusbr. 1, 17.] Erasmus Unruh. J.U.D. [1576—1628 Friedens- burg s. v.] et Prof. P[ublieus] Witeb. pro tempore Reotor. Anno 1613.

18. Lyra [Nieol. v. L. e. 1270—1340. RGG. 3, 2446]. Cum Dei iustitia semper currit misericordia, Wolfg. Franzius.th.D. [1564 —1628. Friedensburg s. v.]

19.

Dominus providebit. IS. Nr. 44. I Nr. 90.] Daniel Semertus D. et med. prof. Witebergae [1532/37, bahnbrechend. Friedensburg s. v.].

20.

Hippoer[ates]. .Mrdi»: undev vrregogäv. Tob. Tandler D. Anat. ac Botan. P. P. Witebergae [Gest. 1617. Friedens- burg s. v.] scrib. 3. Febr. A. Chr. 1615.

21. Gloria Fortitudinem sequitur [Cicero, Tuse. 1, 45] Haec paucula praeceptori suo semper honorando in felicem dis-

198 38

cessum apponebat. Graecii 10. Sept. Anno 1624. Georgius Fridericus Speidelius a Vattersdorf in Neuhoven. [Kneschke 8, 552. 9, 467. Clauß S. 278. 280. S. Nr. 25.]

22.

Viuit post funera virtus. [S.I Nr. 39.] Haec in memo- riam ef pignus non fucati amoris ornatissimo et doctissimo viro Domino Burchardo Brödersen scripsit hoc Johannes Fridericus Rauchenpergerus in Hanfelden. [S. Nr. 6, 29.] Graecii 8. Dezember A. 1626.

23. Nube solet pulsa clarior ire Dies [Ovid. Trist. 2, 147]. In perpetuam sui memoriam hoc Domino possessori adponebat. Guolfgangus Andreas a Prank. [S. Nr. 2.] Gretii 20. Octobr. Anno 1627, 24. Pie recte et circamspecte. 31. Jan. anno 1619. Wite- bergae soribebat Wolfgangus Hirschbach. U. I. D. et prof. [Gest. 1620. Friedensburg s. v.]

25. Viva che vince. Nec uni nec omni. In jucundam sui memoriam haec scribebat. Graetii 22. Aprilis. Anno 1621. Sebastianus Speidl von Vattersdorf zu Neuhoven. IS. Nr. 2 1, 110.

26. Omnia sunt hominpm tenui pendentia filo. Valentinus Guielmus Forsterus U. I. D. et prof. publ. scrib. Witeb. [1574—1620. Friedensburg s. v.]

27. Jevgóg gılocopog lodFeog. Georg. Weckerus D. Witeb. 2. Feb. A. 1615. [1566 —1633, Friedensburg s. v.]

28.

Damascenus. [Chrysorrhoas. gest 754 RGG. 3, 602.] Nulli credendum est etiam studioso medico nisi aetatem habenti et experto. Ingenium naturale medici cum paruo artis fundamento naturam adjuuat, innaturale contrarium. Philippus Henschelius Medicus superioris Styriae. [Phil Henisch 1609—1620 in Leoben. Fossel, Geschichte des ärztlichen Standes in Steiermark im 16. u. 17. Jahrh.] 30. Aug. Anno Domini 1620. m. pr.

29. Prosperam non inflent animum nec aspera frangant. Sed fidei invietae gaudia vera juvent. In jucundam sui

39 199

memoriam haec paucula adsoribebat die 20. Martii Anno 1621. Maximilian Rauchenperger zu Hanfelden. [S. Nr. 6, 22.]

30. Jehova Adonai Sehalamaeha [791?W. Jehova der Herr

dein Heil. S. Nr. 1]. Burckardus nostras Brödersen poscit amica dum dextera camoenulas, die quid agat, lector? Ni- mium transcribit amori Koberi Brüdersen meus, Pergat in exhaustis complere favoribus orbem Burchardus, et quid inde? die! Paulatim ad coelos conscendet tramite recto bonis cunctis frater pius. In laudatissima totius Austriae Basilica Austropolitanea Herrenales amica manu exarabam Thobias von Kober in Koberstburgek senior. [Kneschke 5, 173.] Miles et Medieus Anno fatali et fatuali [wegen der Gegen- reformation] 1622. 10. Julii stylo nouo.

31. Pindar:: óvag &v9owzoc M. Erasmus Schmidt. [1570 bis 1637] Graec. Prof. Witt. [Friedensburg s. v.]

32. Olor&ov xoi &Anibéov, Adamus Theod. Siberus ó dnrwe [Prof der Beredsamkeit in Wittenberg. Friedensburg s. v.].

33.

Spes mea in Deo est. [S. I, 41, 47, 114] D. L. M. [Etwa: Dedit libens merito oder loco monumenti.] Jacobus Martini prof. Log. et phil. Prof. publ. [Friedensburg s. v.] Witteb. 2. Martii 1615. m. p.

34.

Iuravi et constitui servare praecepta altissimi. [Vgl. Ps. 119, 106.] In silentio et spe. [S. I Nr. 40.] erit forti- fudo vestra [Jesaj. 30, 15]. Deproperaui haee manu ad- modum amica infra positus ad conservandum amicitiae vin- culum et in honorem perpetuum Possessoris. Anno Deiparae 16232. 13. Juli Augustinus Kiefnerus Ratisponensis jam in Valle Rosarum minister.

3b.

Non minus Iegihus quam armis respublica defenditur. Michael Lederus. [Vgl. Friedensburg s. v.] scribe[bat] Witeb. 20. Junii anno 13.

36.

Mein Anfang vnd ende steht in Gottes Händen. Meinem

lieben Vettern Bu. Brodersen. [Name unleserlich.] 23. Nov. 1617.

200 40

37. Dum vivo spero, spes mea Christus erit. [S. I Nr. 4, 73; Il. 6, 58.] agnato suo B. B. Dauid Georgius Brüdersen die 24. Nov. stil. v[eter.] 1617. Insingen [?].

38.

Vita breuis, ars longa [Seneca, de brevitate vitae, Büchmann S. 345.] Ernestus Hettenbach D. Dr. med. p. p. in eoll[egio] med[ieorum] senior [1552 —1617. Friedens. burg s. v.] Vuitteb. 16. Junij 1613.

39.

Mediis tranquillus in undis [Binder Nr. 1821.] Omnia nos Christi vita docere potest. Hieremias Scholtz M[one- mentum, emoriam] P[osuit] ^ Vien. scrib. 12. Maij A. 1618. [S. Nr. 47.]

40,

Bern[ardus, S. Nr. 16]. Multi multa sciunt et se ipsos nesciunt, Alios inspiciunt et se ipsos negligunt. Balthasar Meisnerus Ph. D, et Moralium Prof. scrib. Witt. die XX Junii 1613. [1587—1626. Friedensburg s. v. Wotschke, B. Meisners Beziehungen zu Schlesien 1916, ,Korrespondenzbl. d. V. Í Gesch. d. ev. Kirche Schlesiens“.]

41.

Tutior agna lupos inter quam vir bonus inter malos quorum nüsquam non maxima turba. Johannes Wanckelius. Histor. Prof. P. Witteb. scribeb. [Friedensburg, s. v.] 3. Id. Febr. [I I.] MIb] Vni VInDICta [1615. Rómerbr. 12, 19].

42. Pingue dabo sacrum nec macrum sacrificabo. Sacrificabo macrum nec dabo pingue sacrum.... Henrieus Wechterus Erfurtensis Diaconus Thermensium [?] 29. Apr. A. 1616.

43. Si Deus pro nobis, quis contra nos? [Rómerbr. 8, 31. S. Nr. 53.] Ambrosius Rhodius D. Mathem. p. p. [1577 —1633. Friedensburg s. v.] Witteb. A. 1615. Jan. 30. 0 44. Genes. 22. [V. 7. f.] Cumque bis providebit [S. Nr. 19, 46, 65; I Nr. 90. Haec sui memoriam Domino professori hue inseruit M. Ioan. Mülberger [Vgl. I Nr. 94] eccles. Herren- alsinae con[cionator] jam jam patriam repetiturus 7. Juni 1633.

41 201

45. Psal. Ar) [39, 6.] Hare ovumavroa uaraudıns M. Tobias Tilemann. pub. math. Prof. Witteb. [Friedensburg s. v.] d. 21. Jun. A. 1613.

46. Gen. 22, [V. 8. S. Nr. 44, 65.] ^N" DYrloR Duce spiritu

Luce verbi. Per aspera ad astra [S. Nr. 61, 73 Büch- mann S.398.] Haec humanissimo Domino Possessori apposuit Dauid Steudlinus Haidenheimio Wurttenbergensium p[ro] tfempore] Hernalsensis Aulae * * pastor 14. Jun. 1623.

47. | Fer firme facilis fiet fortuna ferendo. Dies schreib ich Ambrosius Scholtz [S. Nr. 39. Rom. K. M. Diener meinem guten Freund Bv. Brödersen. Wien 16. Jun. 1623.

48. Mortalium vita ortus labor et mors. Anton. Krós. Med. D. Witeberg den 31. Jan. 1615 [1583—1637. Friedensburg s. v.]

49.

Non est mortale, quod opto. [S. I Nr. 190.] Pro more, honore, amore. Elias Ursinus [S. I Nr. 130] ecclesiae Hernalsianae pro tempore a sacris concionibus haec paucula 6. Cal. Julij [26. Juni] ae miseriae inseruit 1623.

50. Fata viam inveniunt. [Aneis 10, 113.] Lucas Beck- mann Ph. Dr. et Prof. [Friedensburg, s. v.] Witteb. seripsit.

51.

Nij wars Öixalwg yoenyogeite [vgl. 1. Petrusbr. 6, 8] xai [xvoio] dovAsvovreg Röm. 12, 11] xal un ovoxnuazi- decde vi olov. [Röm. 12, 2]. Ioh. Rodenberch Antuerpius [1572 1617. Friedensburg s. v.] S. S. Th. Lic[entiatus] Serib. Wittenb. 17. Aug. 1615.

52.

Ps. 31 [V. 2.] In te, Domine, speravi non confunda in. aeternum. Domino Possessori scribebat Witebergae. Cal] Mart. A. 1615. Christianus Kronbergk. I. U. L[icen]t[iatus [Findet sich nicht in der Matrikel.]

53. Ad summum ventum est, nec post meliora sequentur, Adveniet donec Filius ipse Dej. So hoch ist kommen der Wellet Lauff, Das kein Bósserung wird folgen darauff

202 42

Bis Gottes Sohn kom zum Gericht. Fürwar sonst wird es bösser nicht. Arma gregis Domini laerymaeque precesque. Sumito principium a Christo Christi omnia plena Omnia et in Christo nomine finis erit. Christe, seqar, quocumqne vocas, tu dirige gressus. Duetus ab aethereo flamine tutus ero. Quiequid erit tandem mea spes est unica Christus [S. Nr. 6]. Huic vivo, huie morior caetera curo nihil. Quos anguis dirus tristi mulcedine pavit Hoe anguis mirus Christi dulcedine lavit. Labe mea morior, sanguine vivo tuo. Auß meiner Schuldt stirb Ich, Durch Christi Blut leb ich. Vivit Jesus. Vivit in excelsis Christus nec vivere vellem Si non Johannes [= Gott ist gnädig! viveret ille meus. Fata viam invenient aderitque vocatus Jesus, In Jovae summa sunt mea fata manu. Gott vnd das Glückh Wird geben Weg vnd Sigkh IESUS Mensch vnd Gott Wird helffen auß aller Noth Sit Christus vitae scopus et sit meta salutis Non errat, vitae cui scopus ille placet. Das einige Zil des Lebens fein Soll Christi erkenntnus und Ehrung sein. So gehestu ohne Wirrung herein, Befelst sie Gott, gehest dort im himel ein. Partibus a nostris vbi stat Divina potestas, Quis? Quae? quod nobis tum nocuisse potest? [S. Nr. 43.] Linzii 10. Febr. 1620. Joann. Stickherus.

54. Seneca. Regitur fatis mortale genus Nec sibi quicquam spondere potest firmum aut stabile. Ogni parola non vuol risposta. Memoriae causa reliquit haee Viennae politissimo domino possessori Hermann Schwartz ludicii provincialis in superiore Austria advocatus. Anno 1617 12. Julii.

55.

Ihn Lieb und in Leid mein Hoffnung zu Gott steht. Armut, Hunger und Durst versucht Einen, der wandern tut, Dies schreib ich Konrad Würmel meinem viel geliebten Herrn [Stief-] Sohne Burekh. Brodersen. An der Möll [S. Nr. 36.] 26. Aug. 20.

43 203

56. Glück hat Neidt. [Wander 1, 1734.] Zeit lernt er- kennen die Leut. Wien 1623. 27. Jun. Hofkriegszahlamts- verwandter [— Angestellter] Dauid Ender der Jüngere.

57. [Hier beginnt der zweite Band ‘Icones’, s. vorn S. 195]. Qui bene vivit, bene finit. Wer stets lebet nach Gottes Wort, der wird genesen hie vndt dort. Joa. Harlesius Vareiseus [Vogtland] Discedens Sempronio [S. Nr. 141.] amoris et favoris declarandi ergo apposui Georgio Müllero meo clarissimo conterraneo et condiseipulo [Vgl. Nr. 62, 77. Aus diesen Eintragungen erhellt, daß außer Brodersen noch ein anderer das Album besessen und benutzt hat.] A. 1639. 15. Julij. 58

Tuum lesa Auxilium Volo. Auxilio mihi semper opus. Non auxiliantis Auxilium misera sorte requiro hominis. Auxilium sed, Christe, tuum volo, gratius unquam Auxilio nil hoc auxiliantis erit. Ergo mihi optato ne desit auxiliator Auxilio auxilium quando requiro tuum. M. I. V. N. P.L. Etwa: Monumentum istud viro nobilissimo posui libenter. MUSICA [S. I Nr. 4] Amico possessori Burchardo suo percharo amicitiae ergo amica manu scriptitabat Christophorus a Newhaus Nobilis [Kneschke 6, 486]. Hermun- durus S. S. Theol. Stud. Viennae Austriae d. 3. Jun. 1616. [Hoheneck, Oberösterr. Stände 1732 2, 3, 445.]

69.

Medicinam facimus non vt mortem vitemus, sed vt eam integra sanitate expectemus; usque adeo ne mori miserum. Ad futuram candoris et amoris gratiosi memoriam abiturienti Domino Possessori amico suo gratissimo qualemcumque manus amico ac benevolo notam adponere voluit. Johan. Olhafius Med. cand. Graeci 22. April 21. [Findet sich nicht in der Grazer Universitätsmatrikel.]

60.

Medium tenuere Beati [Binders Nr. 1824]. Denn: Zue wenig oder zuviel Ist des Teuffels Ziel. Hinc adeo Christus Matth. 10. [V. 16] nos admonet, vt simus prudentes sicut serpentes et simplices sieuti columbae. Spes mea unica Christus. [S. Nr. 58.]] Erudita pietate et fundamentali doctrina ornatissimo viro domini Burchardo Brodersenio scholae Hernalsensis Rectori p[ro] t[empore] maxime discreto

204 Ä 44

hane amicitiae statuam erexis sua manu propria M, Henricus Gerhardi Ecclesiae Dei minister zu Schiltern N. O. Wiede- mann 5, s. v. Jahrbuch 24, 188.] 14. Junii A. Chr. 1622.

61. D.J.O. [Etwa: Dominus Jehova Omnipotens.]

Magnipotens mea cuncta videt mea cuneta gubernat,

Si hic me defendit caetera curo nihil. Sed me defendet quia pauperis ipse fidelis

Cuiusvis tutor perstitit usque Deus. Per aspera ad astra. [S. Nr. 46, 73.] In gui memoriam apposui M. Joh. Jacob Cnaus Sulza-Wuirtebergicus p[ro] tfempore] Pastor Bernsteinensis. 12. Jun. A. 1623.

62. e Virtus sorte potentior. Haec pauca amicitiae cansa adscripsit nobili ingenuo atque erudito Domino Burckhardo Brodersen amico suo dilectissimo amicitiae ergo Gregorius Rüdigerus Pharmaceutices Stud. Graetz. 27. Sept. 1627. [Findet sich nicht in der Grazer Universitütsmatrikel.]

63. Fortunam superat virtus prudentia fatum. Curat honestatem justitiamque Deus. Balthasar Mensius Saxo Witte[bergae.] A. Christi 1615. 2. Mart. aetatis 77.

64.

Seneca. Ante amicitiam iudicandum, post amicitiam vero credendum est. Amoris et benevolentiae contestandae gratia ornatiss[imo] nec non doctiss[imo] Domino B. Brod- ersen. Gratii V Id. Octobr. 1627. Andreas Ferner Ratis- ponensis.

65.

Seneca. Hoc majores nostri questi sunt, hoc nos querimur, hoc posteri nostri querentur, eversos esse mores, regnare nequitiam, in deterius res humanas ef in omne nefas labi. Symb[olum]: Dominus providebit [S. Nr. 46]. Eruditissimo Domino possessori, Adelpho adelphikos hoc amicitiae monumentum reliquit Viennae d. 17. Deo. A. VIDe- bis sl DeVs tibl proVIDebIt [1621.] Ferdinandus Reuterus Dirnerutensis [Dürnkrut] Austriacus.

66. In Deo semper vivimus. Haec paucula ad perpetuam sui recordationem nobili atque perdocto viro Domino B. Br. amico meo dileetissimo benevolentiae ergo scrib[ebat].

45 205

Tobias Reisnerus pharmaceuticae studiosus. Graetii die 27. Sept. 1627. [Findet sich nicht in der Grazer Universitäts- matrikel.] 67. Quid, Burcharde, manum petis! en illabere pectus Trado tibi; aeternum sum tuus esto meus!

Viennae 24. Jan. 1626. Michael Crusius e Hungarus IS. I. Nr. 113.]

68. Amico fratri suo et candido Zacharias Maier Ambergensis Palatinus Studiosus Viennae 30. Maii 1623.

69.

Nosse naturam sapientia magna, semetipsum maior, Jehovam et quem misit Jesum Christum [Ev. Joh. 17, 3] maxima. Ergo, o Deus, da mihi nosse te et nosse me. Politissimo humanissimo florentissimo Domino Amico et fratri amantissimo et fidelissimo. Viennae 21/31 Maii 1623. Daniel Müller Plavio-Variscus [Plauen im Vogtland].

10.

Mouens manum ad aratrum et respiciens retro non est aptus ad regnum Dej [Luc. 9, 62, nicht Vulgata] Jo. Christophorus [Unleserlich] Friburgensis Brisg. noviter con- versus in Hernals.

71.

Nosse triunum nosse seipsum vera non simulata philo- sophia. Samuel Schmuck. Stud. Viennae. 24. Jan. 23. [Samnel Schmuck Sleussingensis immatrikuliert in Alt- dorf 11. Sept. 1620. v. Steinmeyer, die Matrikel der Universität Altdorf 1912. 1, 163. 2, 508. Freundliche Mitteilung des Herrn Hofrats Dr. Goldmann in Wien].

12. Dum spiro spero [Binder, S. 878]. Joa. Reull. Leoba- Styrus, Phil. et Med. D. in Hernals. 7. Oct. 1622.

13. Jova Proteetore per ardua ad ardua [wohl statt aspera. S. Nr. 46, 61]. Viro juveni Domino B. B. Styriam relin- quenti inque Austriam redeunti. Jo. Phluggius Angermünde- Marchicus. Gratii Styrorum. 21. Aug. 1624.

74. Ti P ny MINOR [Ps 12, 7. Die Rede des

Herrn ist lauter.] Vieunae M, Mathias-Gigerus Basiliensis. 12. Junij 1622.

206 46

75. Duleia non sentit, nisi gustet amara, beatus Quisquis amaritiam temperat Ambrosia. Viennae. 3. Cal Febr. [30. Jan.] 1626. Nicol. Hoff- kommius. Phil. Stud.

76. Mirificas Domini tandem cognoseite leges In quibus exercet, quos amat ipse suos. Virtute durant parta. Petrus Campanus Mariaemonti Misnie[us]. Exul. 4. Apr. Anno DeUs Creator noster JUVa nos per X[ristu]M J[esum. 1627.]

11.

Nosce te ipsum [S. Nr. 3] Aut sumus auf fuimus

aut possumus esse quod hic est. Viennae 24. Jan. 1623. Joh. Speckner. Witteb. Saxo.

78.

Credula vitam spes fovet et melius cras fore semper ait. 28. Sept. 1616. Joh. Bernicius Pegavia - Misnicus [Pegau] St[ud.].

79.

Tristia si pateris, perfer, sors tristia solvet.

Saepe premente Deo fert Deus alter opem.

Jacobus Grunerus, minister ecclesiae Christi in Kaltenbrunn. Sanctae Trinitatis 1624.

80.

A multis saepe hominibus laudari laxat animi vigorem et cursum impedit. Witteb. 22. Jun. 1613. M. Sigismundus Evenius Facult. phil. adjunetus. Stip. Beham., antedesignatus Scholae Halensis rector. [Geb. in Naun i. d. M., inskribiert in Wittenberg 23. April 1602, 1613 Rektor des Gymnasiums in Halle a. S, 1622 in Magdeburg, 1633 in Regensburg, später Weimar, gest. hier 1639. Beham kommt als Be- sitzer einer größeren Anzahl von Büchern in der Wittenberger Bibliothek vor. Vielleicht warf er eine Summe für Dis. putationen aus; heute besteht kein B.-Stipendium mehr.]

81.

Multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit [Horaz, Epist. 2, 413], Qui studet optatam cursu contingere metam. Etenim Nemo sine pulvere Victor. Cypr. Kinner Philos. stud. Viennae Juni 1623. [Die Wiener Matrikel ist zurzeit un- zugünglich.]

47 l 207

82. [Gregor.] Nazianz. [ens. 329—c. 390.] Aon &mdvrwv xal vélog elòͤc vat [0] vov Heov. David Dithmarus Wold- torffiensium [Woltersdorf| pastor 17. Aprilis 1615.

83.

Semper cogites tria praesentia: Vitae praesentis brevi- tatem, salvandi difficultatem, salvandorum paucitatem. Semper cogites tria praeterita: malum commissum, bonum omissum, fempus amissum. Semper cogites tria futura: Mortem, quia nihil horribilius, iudicium, quo nihil terribilius, poenam in- ferni, qua nihil intolerabilius. Viro juveni B. Br. theol. Studios. fratri populari suo dilectissimo Joh. Werdenius Bruns[wicensis]. Witteb. 1617. [In der Matrikel 19. Sept. 1614 als Joh. W. Brunopolitanus.]

84.

Thales [von Milet, 625—545]. Amicorum absentium aeque ac praesentium oportere meminisse, amicitia enim est animorum conjunctio, quos non dirimit locus. Diogenes Laertius [e. 220 p. Chr. S. Nr. 110.) lib. 16 1 [Apophtegmata 1618 S. 44]. Witteb. d. 5. Oct. A. 1614. M. Conradus Albinus Rudelstadensis Thuringus. [In der Matrikel 5. Mürz 1611. C. A. Rudolph stadensis Thuringus.]

85. Augustinus. Oratio justi clauis est coeli, Ascendit oratio. Descendit Dei miseratio. B. Theol. Studioso. Viennae 19. Jun. 23. Samuel Hastmannus Thuring. S. S. Theol. Studiosus.

86.

David Gallus. Palatin. Witteb. 15. März 1615. [In der Matrikel 7. Okt. 1610. D. G. Baindensis Pal.] Collo- quium Mariae cum Christo in cruce pendente. Fili! quid mater? Degis? Sum. Cur ita pendes? Solvo pendendo, quod Adam commisit edendo.

87.

Qui in amore frigent, igne sacro ut incalescant digni sunt. 16. Cal. Apr. (17. März] 1615. Phil. Rihelius, Au- gustanus.

88. Ergo, libelle, venis, cui committetur amoris Arrha. Veni, nam te mittit amica manus. Quam te semper amo, quam semper deligo, sic me Diligis, inque oculis ore in amante geris.

208 18

Qui te cognorim, cur me Burcharde rogabis? Et qui candoris signa decora tui? Candidulum ipse tuum pectus sorutere et habebis Quod petis. O salve rursus ave atque vale. 17. Mart. 15. Witteb. Caspar Devitius. Pasewalc. Pomeran. [In der Matrikel 17. Apr. 1614.]

89. 26. Apr. 1617. Joh. Klinckbart Duderstadensis. Viennae.

90.

Hugo Iv. Set. Victor? 1097—1141]. Mala mea pure mala sunt et mea sunt. Bona autem mea neque bona neque mea sunt. Adam Prösselius Luppurg. [Lupburg] pala Witteb. 16. Mart. 1615. [In der Matrikel Juni 1161.]

91.

Christ. Ritter. 18. Apr. 1616. commensali suo. [In der Witt. Matrikel Mai 1612, Mansfeldensis.] Menander [343—293. ed. Meinecke 1823. S. 219]. 7 uà» owua q tre deνẽEe v xaxüc yoceía low» largoö, 08 viv Wuxnv giiov.

92. Vincere cum possis, interdum cede sodali Obsequia quoniam dulces retinentur amici. Commensali, Witteb. 17. Mart. 1665. Theod. Mebelius Ilmenau. Thuring. [Nicht in der Matrikel.]

93.

Henricus Blomenbergius. P.Peinensis. Saxo. [S. Nr. 101.] 1615. Plautus Epid[ieus] Is amicus est, qui in re dubia re juvat, ubi re opus est Plautus Trin[ummus I. 2, 16. bzw. 5,4]. Omnibus amicis quod mihi est cupio esse idem.

94. Fide, Deo, mundum despice, disce mori. Contubernali olim. Leop. Holdefreundt. Quedlinburg. 6. Jd. Martii [10.] 1615. [Wittenb. Matrikel 27. Mai 1613.]

95. Ecce cupis nomen fibi poni: en dextra fidesque Pura fides, constans dextera nonne satis? 20. Mart. 1615. Andreas Wegener.

96. Augustinus. Non omnis, qui parcit, amicas est. Neo omnis, qui verberat, inimious. Melius est omm severitate dili-

49 209

gere, quam cum lenitate decipere, Commensali in indissolubile amoris vinculum. Witteb. Barthol. Henckelius. Misnicus. [S. I Nr. 93 s.d ] [In der Matrikel 12. April 1612. B. H. Martis- purgensis (Merseburg)].

97. Sic illaesa malis constat pulcherrima virtus Laurus ut est diris integra fulminibus, Commensali. Witteb. 19. Mart. 1615. Thomas Schwind- pergerus Waxenbergensis Austriae. [In der Matrikel 13. Sept. 1614.] | 98. Cum fortuna fauet, caveto tolli, Cum fortuna tonat, caveto mergi. Commensali Witeb. 19. Mart. 1615. Daniel Grueberus Eysenstadiensis Pannonius. [In der Matrikel 13. Sept. 1614.]

99. Sic itur ad astra

Spinas Rosas Arma F Cortices Nucleum

Per 4 procellas ad f Portam Montes Altum Virtutem Gloriam.

Et Quis ad Augusta nisi per Angusta? Commensali et commilitoni. Viteb David Rudolphus Gryphishagensis [Greifswald] Pom. 1615. [Fehlt in der Matrikel.]

100. Conscientia tua utere pro lucerna in omnibus actionibus iuis. M. Petrus [Name unleserlich].

101.

Gerson [1363—1429.] Excelsa est patria, humilis est via. Ergo qui quaerit patriam non recuset viam. In ami- eitiae nunquam intermoriturae foedus. Alex. Wichmannus Peinensis Saxo [S. Nr. 93. 105]. 14. Nov. 1615 Witteb.

102.

Euripidis Hecuba [V. 1299.f.]

iv toig xaxoig yàp &yaJol cagéczato! gio, c d aŭF Exaor Eze ꝙllorg.

Buchananus George 1506—1582. RGG 1, 1374. J. Loserth, Die protestantischen Schulen der Steiermark im 16. Jahrh. 1916 s. v. S. Nr. 111] in ps. 55 [V. 7. 23.] eleganter: Tu tui euram Domino relinque. Is tuos gressus reget, is dolores

Archiv für Reformationsgesohichte. XXIII 5/4. 14

210 50

leniet iustumque ope sublevabit rebus In arctis. Witeb. 21. Jul. 1615. Joach. Neander Heliopolitanus March. [Solt- wedel Mark Brandenburg. In der Matrikel 26. Mai 1615. J. N. Soltquellensis March.]

103. Discipulis divi sunt regna parata Lutheri In coelis, monachis tartara nigra manent. Vulgi fugias consortia rasi ° : In Christum vitam si bene credis habes. Viennae 3. Jan. Andreas Jungdorfnensis Marchicus.

104.

Quid autem stultius quam (ut primum copiis facultatibus opibus possint) caetera parare, quae parant pecuniam, equos, famulos, vestes, gloriam, vasa pretiosa, amicos non parare, optimam et puleherrimam vitae supellectilem. Cicero [Laelius de amicitia 55.] Witeb. 1615. 15. Sept. Michael Gädiceus R[h]einsbergensis, Marchicus.

105.

Vita hominis subiecta est sorti et morti, sors vincenda est patienti, Mors fidei constantia. B. B. affini suo Henricus Bussius Peinensis [S. Nr. 93. 101], pastor Sehmiedenstensium [Schmieden.] 21. Nov. 1617.

106. Hieronymus [S. Nr. 10.] Vera amicitia diu quaeritur, raro inuenitur, diificillime servatur. Witteb. 15. Sept. 1615. Henricus Pistorius Cellensis. [Nicht in der Matrikel.]

107.

Si quid turpe feceris cum voluptate Voluptas perit, turpitudo manet; si quid honeste feceris cum labore, labor perit, honesías manet. Ludolphus Bussingius Kloppenburga Westfal. 8. Dec. 1617.

108.

Con tempo et con la paglia maturebono i nespoli [Mit der Zeit und mit Stroh reifen gut die Mispeln Mit der Zeit pflückt man Rosen]. Libertas inaestimabilis res est. Andreas Sötzinger. [Jahrbuch 20, 14f. Clauß S. 228—388. Viennae Austr. 9. Febr. 1621. In Meel prope Trafejan. [S. Nr. 3. 5. 6.]

109.

[Zeile mit Noten.] Gregorius Holensteiner Rorbacensis

Austriacus. 1621.

51 211

110.

Diogenes Laertius [S. Nr. 84. Ebd. S. 54. Solon] Amicos ne cito para, quos autem paras, ne repudia. Symbolum. Memento mori, nunquam peccabis. Graecii, 22. April 1621. Michael Meinwardus Jun[iorum] [S. Nr. 21] Weinen Speideliorum p[ro] tempore] praeceptor.

111.

Ultimus et primus curet in honore pares. Buchanan [S. Nr. 102]. Ps. 101. Pietas simplex, quibus est amori, hos amo, ampleetor, video libenter His mihi seros sociis senectus impleat annos. B. Brod. p t. ludi Hernals. Rectori. Georgius Florianus Pape Vinariensis Thuring. pastor, gregis Christi quae eligitur in oppido Hungariae Leutmanspurg Pridie Cal. Aug. 1622.

112. Ito bonis avibus, quo te, Burcharde, voluntas Divina et superum fata suprema trahunt. At nostri (oro) memor maneas et pristini amoris Sic non disjunget nos tuns ille abitus. B. Brod. "Viennam abiturienti Joh. Christoph Schickfusius Marchicus. 113.

Ultimus claudit januam. Horat. Non si male nunc ef olim sio erit. Qui semel malus semper praesumitur talis. Colberg, Pomer. 12. Juli 1622.

114,

Auf dem Innendeckel steht ‚umgedreht, daher: Sic erunt primi novissimi et novissimi primi. [Matth. 19, 30.] Cane pridie, quotidie. Ne quid agas hodie, cuius te poeniteat postvidie. Singnoten: Orat bis qui corde canit. Matth. Müllerus p. t. Ludimoderator et Tenorista in Hernals. 10.Juni. 1623.

Verzeichnis der Abkürzungen.

Adler Heraldische Ztschrft. Adler 1870/90. Anzeiger Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit. 2. Bd. 1855. Binder W. B., Novus Thesaurus Adagiorum Latinorum. 2. A. 1866. Büttcher C. J. B., Germania Sacra 1874. Büchmann G. B., Geflügelte Worte. 25. A. 1912. Clauß H. C. Ein Nürnb. Verzeichn. öst. Exulant. v. J. 1648. Beitr. z. bayr. Kirchengesch. 18 (1907), 226/47, 271/90.

Friedensburg W. F., Gesch. d. Univers. Wittenberg. 1917. GPrÖ. = Loesche, Gesch. d. Protest. in Österreich. 9. A. 1931.

14°

212 52

Jahrbuch = J. d. Gesellsch. f. d. Gesch. d. Protestant. in Österreich.

Kneschke K., Adelslexikon 1859/61.

Krebs—G.K., Mottos und Devisen. 1896.

Kuefstein Graf K., Studien z. Familiengesch. 2 (1911), 8 (1915).

Lipperheide=Fr. Frh. v. L. Spruchwürterbuch. 1907.

Loserth=J.L., Fontes Rerum Austriacarum. 1906 f.

MVGDB-— Mitteil. d. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen.

Raupach K., Evang. Österreich (1732) 1741. Die Bünde werden fortlaufend benummert.

RGG = Religion in Geschichte und Gegenwart. 1909 ff.

Schimon Sch., Der Adel v. Böhmen u.s.w. 2. A. [1904].

Sehrimpf Ein steirisches Epulanten-Stammbuch (Schr. in Beiträgen z. Erforschung steirisch. Geschichte. 1917 Nr. 8.

Topogr.=T. v. Nieder-Üsterreich. Seit 1877.

Wander Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexikon. 1867 f.

Wiedemann W., Geschichte d. Reformation und Gegenreformation

im Lande unter der Enns. 1879/81.

Wissgrill W., Schauplatz d. landskss. Nied.-Öst. Adels vom Herren- u. Ritterstande v. XI. Jahrh. bis auf jetzige Zeiten. 1794/1809. Fortsetz, in „Adler“ 1870/90. Schluß: Muskpt. im n,-d. Landesarchiv in Wien.

Wurzbach =C. v. W., Biographisches Lexikon d. Kaisertums Oester- reich. Seit 1855.

* * *

Nachtrag.

Zwischen II 11 u. 12:

Hieronymus. Nulli te unquam generis nobilitate praeponss. Haec Georgius Guldenstern Suevus scripsit Vitaebergae 1695.

Zwischen II 29 u. 80:

Sontem et insontem deus castigat. M. Laurencius Fabricius, Vitebergae Hebraicae linguae professor anno 1615 die 2 Martii [Friedensburg s. v.].

% * *

Der Schriftleiter der „Mitteil. d. Ver. f. Geschichte der Stadt Wien“, in denen, wie erwähnt, die ausführlichere Einleitung zu diesen beiden Stammbüchern erschien, Herr Dr. Kallbrunner, Oberarchivar im Hofkammerarchiv zu Wien, hatte die Güte, für die Druckprüfung die beiden Wiener Handschriften nochmals zu vergleichen, wofür ihm auch an dieser Stelle verbindlichst gedankt sei.

GL Königssee, Bayern.

Die Kontroverse über die Stellung

Friedrichs des Weisen zur Reformation’). Von Anni Koch. I

Die Behandlung der hier zur Untersuchung gestellten Kontroverse nimmt ihren Ausgangspunkt zweckmäßig von der bereits 1881 erschienenen Arbeit Theodor Koldes über Friedrich den Weisen und die Anfänge der Reformation“). Zum erstenmal hat hier ein namhafter Gelehrter eine von den Darstellungen älterer Forscher wesentlich und bewußt abweichende Auffassung vertreten und diese ebenso in späteren Schriften) wie auch in seiner Lutherbiographie*) zwar etwas gemildert°), aber doch immerhin aufrecht erhalten.

) An gebräuchlichen Abkürzungen kommen zur Anwendung: E. A. Dr. Martin Luthers sämtliche Werke, Erlangen Frankfurter Ausgabe, op. lat. var. arg. D. Martini Lutheri opera latina varrii argumenti, Enders Ernst Ludwig Enders: Dr. Martin Luthers Brief- wechsel. Frankfurt (Main) 1884ff. C. R. = Corpus Reformatorum, hsg. von Karl Gottlieb Bretschneider, Halle 1834, Balan Petrus Balan: Monumenta Reformationis Lutheranae. Regensburg 1884. A.D. Paul Kalkoff: Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichs- tage 1521. 2. Auflage, Halle 1897. R. A. Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Gotha 1893ff. Plan. Ber. = Des Kursüchsischen Rathes Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521—1523, gesammelt von Ernst Wülcker, bearbeitet von Hans Virck, Leipzig 1899. A. R. G. = Archiv für Reformationsgeschichte. V. R. G. = Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Z. K. G. = Zeit- schrift für Kirchengeschichte. St. Kr. = Theologische Studien und Kritiken. R. E. = Realencyklopüdie für protestantische Theologie und Kirche. H. Z. Historische Zeitschrift.

) Theodor Kolde: Friedrich der Weise und die Anfänge der Reformation. Erlangen 1881.

3) Theodor Kolde: Luther und der Reichstag zu Worms 1521. V. R. G. 1. 1883. Derselbe: Friedrich der Weise R. E. 6 Leipzig 1899. 8. 279— 283.

4) Theodor Kolde: Martin Luther, 2 Bände, Gotha 1884. |

5) Vgl. Kolde: Fr. d. W. u. d. Anf. 8.37 Z. 17f. mit Kolde: R. E. 6 S. 283 Z. 56 ff. u. Anf. S. 37 Z. 8ff. mit R. E. 6 S, 288 Z. 49ff.

214 54.

Kolde ist der Meinung, daß Friedrich sich stets nur der Person, nie aber der Sache Luthers angenommen habe?) und daß er bis an sein Ende „ein guter Sohn der römisch-katho- lischen Kirche“ geblieben sei?. Die Stellungnahme des Kurfürsten zu Luther und seiner Lehre glaubt er durch den Hinweis auf die Gerechtigkeitsliebe Friedrichs und sein Interesse für den Aufschwung und die Blüte seiner Universität hinreichend begründen zu können).

Ein Jahr darauf wandte sich Julius Köstlin gegen diese Auffassung Koldes, indem er darauf hinwies, daB das Ver- halten Friedrichs „ohne eine innere und warme, wenn auch dogmatisch keineswegs fixierte und präzisierte Teilnahme für die Sache, nämlich für das von Luther vorgetragene Evangelium, unbegreiflich und unverantwortlich wäre“ 4). Jedoch zu einer eigentlichen Kontroverse über die Stellung Friedrichs des Weisen zur Reformation ist es damit noch nicht gekommen, wie deun auch die Entgegnung Köstlins gelegentlich der von ihm mitgeteilten Briefe vom kursächsischen Hofe an A. Tucher in Nürnberg nur beiläufig erfolgte.

Unser Thema wurde dann erneut angeschnitten von Max Lehmann, der in Widerlegung einer These Hausraths“) 18995) und wieder 19117) die Auffassung Koldes noch ver- schärfte und so die „schwankende Haltung“ des Kurfürsten zu verstehen glaubte. Auf Einzelheiten seiner Beweisführung soll später eingegangen werden.

Inzwischen erschienen in rascher Folge Paul Kalkoffs Forschungen zur Reformationsgeschichte, die sich im wesent- lichen um zwei zentrale Fragen gruppieren: um den Verlauf von Luthers römischem Prozeß und um die Entstehung des Wormser Edikts. Durch die Bloßlegung und Entwirrung aller jener feinen Fäden der Diplomatie und Politik, die in der Hand des Kurfürsten zusammenliefen, und die sich durch ihn zu einem klug durchdachten Netz politischer Berechnung und Ausnutzung aller sich für seinen Schützling bietenden Vorteile gestalteten, wurde zugleich das Bild, das wir von

1) Kolde: Fr. d. W. u. d. Anf. S. 26. 2) ebd. S. 36.

3) ebd. S. 16, 19, 25, 27.

4) Julius Küstlin: Briefe vom kursächsischen Hofe an A. Tucher in Nürnberg aus den Jahren 1518—1523. St. Kr. 1882 S. 701.

5) g. S. 81 dieser Arbeit.

5) Max Lehmann: Luthers Verhör vor dem Wormser Reichstage von 1521. Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-historische Klasse 1899. S. 165—181.

7) Max Lehmann: Luther vor Kaiser und Reich. Historische Aufsätze und Reden. Leipzig 1911, S. 12—37.

55 215

Friedrich und seiner inneren Stellungnahme zu den Schick- salsfragen der Reformationszeit bisher gewonnen hatten, in eine wesentlich schärfere Beleuchtung gerückt und erfuhr eine Vertiefung, die einen Zweifel an der in den Grund- motiven bereits von Ranke vertretenen Auffassung eigentlich völlig ausschloß. Und so konnte denn Arnold Oskar Meyer gelegentlich einer Rezension des von Kalkoff 1922 ver- óffentlichten „Wormser Reichstages“ in voller Würdigung der Lebensarbeit dieses unermüdlichen Forschers sagen: „Unter allen Ergebnissen der K.schen Forschung ist keins unanfechtbarer begründet als dies: Kurfürst Friedrich war nicht nur der auf den Ruhm seiner Universität bedachte, sonst aber innerlich kühle Beschützer Luthers, sondern er war sein Uberzeugter Jünger, dem das Gebot des Gewissens höber stand als weltlicher Nutzen; ein gewiegter Diplomat zwar, der seinen Kampf für Luther mit allen Künsten und Kniffen zu führen wußte, aber zugleich ein ganzer Mann und Held, der in Glaubensfragen Menschenfurcht nicht kannte und an Wagemut Luther nichts nachgab“ !). Das letzte Wort schien gesprochen zu sein.

Um so mehr überraschte es, als in der Zeitschrift für Kirehengeschichte 1923 Elisabeth Wagner, eine Schülerin Max Lehmanns, das Problem „Friedrich der Weise und Luther“ von neuem aufrollte?) und eine „Nachprüfung“ der „Aufstellungen“ Kalkoffs vornahm, die nach der reichlich selbstgefällig vorgetragenen Meinung der Verfasserin von den in jahrelanger ernster Forscherarbeit erhärteten Ergebnissen Kalkoffs eigentlich nur das Zugeständnis einer gewissen Konse- quenz übrig läßt, die jedoch auf falschen Prämissen aufbaut. In einer Rezension der Wagnerschen Arbeit hat Max Lehmann dem Urteil seiner Schülerin, das er „ebenso gründlich wie gerecht“ nennt, voll und ganz zugestimmt?).

Wenn man von Koldes oben erwähnter Arbeit absieht, die wohl gelegentlichen Widerspruch, aber bis auf Kalkoffs Forschungen keine irgendwie systematische Widerlegung er- fahren hat“), so wird in dem Wagnerschen Angriff das

1) A. O. Meyer: Der Reichstag zu Worms. Deutsche Literatur- zeitung 48. Berlin 1922, Sp. 906.

2) Elisabeth Wagner: Luther und Friedrich der Weise auf dem Wormser Reichstag von 1521 Z. K. G XLII, 1928 N. F. V. S, 381—390 [Abkürzung: E. W.)

3) H. Z. 129, 1924, S. 688—584.

) Zu erwähnen wäre etwa der feinsinnige Aufsatz von Hans Virek: Friedrich der Weise und Luther. Deutsch-evangelische Blätter XXIX. N. F. IV. Halle 1904 S. 725—788.

216 56

kontroverse Thema zum erstenmal in einen größeren Rahmen gestellt, der freilich noch viel zu eng ist, um der Fülle des Quellenmaterials auch nur einigermaßen gerecht werden zu können. Vor allem aber fehlt den Untersuchungen E. Wagners der tragfähige kritische Unterbau, der die Folgerungen zu rechtfertigen imstande wäre, die sich für die Verfasserin aus jener sachlich verfehlten, im Ton zugleich höchst bedauer- lichen „Nachprüfung“ ergeben haben. Unendlich peinlich berührt die Art, in der sie die „Grundsätze methodischer Kritik“ ins Treffen führt und ihre eigene kritische Uber- legenheit durch den Hinweis auf Bernheims Lehrbuch stützen zu müssen glaubt!)! und das einem Forscher gegenüber, der wie kein anderer sonst für diese Periode die „entsagungs- vollen Pfade quellenkritischer Einzelarbeit?) gegangen ist, ohne daB ihm ,die jahrelange Arbeit am Mikroskop" ,den Blick für die lebendigen Krüfte des geschichtlichen Lobens getrübt hat?)“. Leider kann man E. Wagner diesen weiten Blick oder auch nur das Bestreben, ihn sich zu eigen zu machen, nicht nachrühmen.

Es könnte hiernach den Anschein erwecken, als ob eine Auseinandersetzung mit den in ihrer Abhandlung vertretenen Thesen sich von vornherein erübrigen müßte, sobald man sie nur den Ergebnissen der bis ins kleinste vordringenden Forscherarbeit Kalkoffs gegentiberstellte. Bedauerlicherweise hat es sich jedoch gerade in jüngster Zeit gezeigt, daß die Gefahr einer Verdunkelung der bisweilen schwer durchdring- baren aber grundgediegenen Forschungen Kalkoffs durch den dilettantischen aber in der Form gefälligen Aufsatz E. Wagners vorzuliegen scheint. In fitissiger Sprache wird hier mit einer auf den ersten Blick verblüffenden Selbstverständlichkeit die „verfehlte Auffassung“ Kalkoffs abgetan, so daß selbst ein so ernster und für Luthers Geist so tief empfänglicher Forscher wie Gerhard Ritter sich täuschen lassen und in seinem 1925 erschienenen Lutherbuch*) das Tatsachenmaterial in Wagnerscher Beleuchtung reich kritiklos übernehmen konnte“). Das Interesse Friedrichs an seiner Universität und ihrem berühmtesten Lehrer wird erneut hervorgeholt und in den Vordergrund geschoben. Der Kurfürst selbst ist wieder der

1) E. W. S. 877.

2) Paul Kalkoff: Der Wormser Reichstag von 1521. München und Berlin 1929, S. 5.

3) A. O. Meyer H. Z. 119, 1919 S. 494.

*) Gerhard Ritter: Luther, Gestalt und Symbol. München 1925.

5) Vgl. Die Kritik Kalkoffs in der Schlesischen . Nr. 263 vom 7. Juni 1925.

57 217

„schwerfällige“ „alte Herr“, der erste in der langen Reihe ,kirchenfrommer, von theologischen Beratern und Beicht- vätern gelenkter Fürsten ),“ und die „geheime Geschichte“ der Wormser Tage soll „noch immer in vielem unergründet“ und „nach der ausgiebigen Erörterung gerade der jüngsten Zeit erst recht strittig und zweifelhaft“ sein?).

Es ist begreiflich, daß die oft überladene Gelehrsamkeit Kalkoffs sich schwer durchsetzt, zumal er sich bisweilen da- durch Blößen gibt, daß er aus den Quellen mehr heraushört, als sie mitteilen können. Um so bedauerlicher aber wäre es, wenn die glatte Oberflächlichkeit der Wagnerschen Ab- handlung mehr als einen Augenblickserfolg davontragen sollte. Ihre verfehlte Grundtbese zu widerlegen, ist Zweck und Ziel dieser Arbeit.

Kalkoff selbst charakterisiert das, was in erster Linie gegen die Arbeitsweise der Verfasserin geltend gemacht werden muß, treffend, indem er betont, daß sie alle früheren Nachweise über das Verhalten Friedrichs seit Beginn des Ablaßstreites ebenso beiseite läßt wie die Zeit vom Wormser Reichstage bis zum Tode des Kurfürsten®). Hier ist in der Tat der entscheidende Punkt, an dem die Kritik einsetzen muß!), und wenn E. Wagner ihre Einseitigkeit, die sie als solche gar nicht zu empfinden scheint, sogar selbst heraus- stellt), so spricht sie das Urteil über ihre „Nachprüfung“ im Grunde schon aus, bevor sie diese noch begonnen hat. Und fast komisch wirkt es, wenn sie am Schluß ihrer Arbeit Kalkoff den Vorwurf macht, daß er sich „durch Verzicht auf Ausnutzung des gesamten Materials der Möglichkeit einer Kontrolle der Quellen durcheinander begebe?)". Es sei noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt: Man kann nicht über die Stellung Friedrichs des Weisen zu Luther reden wollen, wenn man eine Periode ihres gemeinsamen Lebens und Kämpfens und sei es vielleicht auch die bedeutungs- vollste herauslöst aus dem kontinuierlich dahinflutenden Leben von Vergangenheit und Zukunft. Auch nicht ein- mal hält E. Wagner es für nötig, den Blick rückwärts zu wenden und sich die Frage vorzulegen, was vor diesem

) Ritter: S. 62. 2) ebd. S. 84 f.

3) Paul Kalkoff: Friedrich der Weise, dennoch der Beschützer Luthers und des Reformations werkes. Z. K. G. XLIII, N. F. VI, S. 180; vgl. a. derselbe: Friedrich der Weise und Luther. H. Z. 182. 1925, S. 29—42.

9) So auch: Johannes von Walter: Friedrich der Weise und Luther. Rektoratsrede Rostock 1925. S. 11. Anm. 7. 5) E. W. S. 385, Z. 1iff. *) ebd. S. 390.

218 58

Höhepunkt in der Geschichte der Reformation bereits ge- schehen ist. Kein Wunder, daß ihr daher aus „Mangel an Material“ ) ein abschließendes Urteil über die persön- liche Stellung des Kurfürsten zu Luther nicht gelungen ist, was sie jedoch an anderer Stelle nicht hindert, die „Grund- lage der Kalkoffschen Konstruktion“?), d. h. die Wertung Friedrichs als Protektor Luthers, für „zur Gentige geprüft“ und „gefallen“ zu erklären.

Aus den angeführten Gründen soll daher zunächst die Zeit vor dem Wormser Reichstag, soweit sie für unser Thema in Betracht kommt, dargestellt werden, wobei der Briefwechsel Luthers stärker heranzuziehen ist, als das für Kalkoff, der von anderen Fragestellungen herkam, nötig war. Seine Beweisführung läßt sich dadurch auch nach dieser Richtung hin unterstreichen.

II. |

Zunächst aber gilt es zwei Vorfragen zu beantworten.

In den Arbeiten Koldes?) wie auch in einer späteren Schrift Köstlins‘), spielt die Auffassung eine Rolle, daß Friedrich der Weise selbst dann noch bei seinen Heiligen und Reliquien geblieben wäre, als Luther schon lange seine Ablaßthesen an die Wittenberger Schloßkirche geschlagen hatte, ja, daß die Erwerbung von neuen Reliquien bis in das Jahr 1522 nachweisbar sei.

Schon 1893 hatte Kawerau gelegentlich einer Rezension der Köstlinschen Arbeit die Frage aufgeworfen, ob die Reliquieneinkäufe dem Kurfürsten wirklich noch „persön- liches Bedürfnis oder nur Maske gewesen seien, um nach außen hin als gut katholischer Fürst zu erscheinen*5) Die Widerlegung, bzw. Erklärung dieser Vorgänge gab dann aber erst Kalkoff in seinem 1907 erschienenen Buch über „Ablaß und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg“). Es ist bezeichnend, daß E. Wagner diese Untersuchung, deren Ergebnisse für die Deutung des Ver- hältnisses zwischen Friedrich dem Weisen und Luther von grundlegender Bedeutung sind, völlig übergeht.

1) E. W. S. 389. 2) ebd. S. 887, Anm. 3.

3) Kolde: Fr. d. W. u. d, Anf. S. 19, S. 98f, S. 38, und der- selbe: Luther II, S. 114.

*) Julius Kóstlin: Friedrich der Weise und die Schloßkirche zu Wittenberg. Wittenberg 1892. S. 57ff.

5) Gustav Kawerau: Dtsch. Lit. Z. 1893. Sp. 1584—1586.

*) Paul Kalkoff: Ablaß und Reliquienverehrung an der Schloß- kirche zu Wittenberg unter Friedrich dem Weisen. Gotha 1907.

59 219

Kalkoff hat nachgewiesen, daß die Vorgeschichte jener beiden Ablaßprivilegien, die Miltitz im Herbst 1519 zu- sammen mit der goldenen Rose übergab, bereits in das Jahr 1512 zurückreichte!) und daß die in die Jahre 1519 und 1520 fallenden Erwerbungen von Reliquien entweder auf früher angeknüpfte Beziehungen zurückgingen, oder daß es sich um Angebote handelte, die ohne Zutun Friedrichs erfolgten?). Eine demonstrative Beseitigung des gesamten Ablaß- und Reliquienwesens schon in den ersten Jahren der jungen Bewegung wird überdies niemand voraussetzen, der das Bild jener „zwar vorsichtig zuwartenden, aber doch von vornherein grundsätzlich nach den evangelischen Lehren Luthers bemessenen Handlungsweise“ ) des Kurfürsten nur einmal in sich aufgenommen hat. Ganz abgesehen davon, daß doch auch der Verzicht auf mühsam errungene materielle Vorteile wahrlich nicht gering einzuschätzen ist, hat Kalkoff ferner darauf hingewiesen, daß der Kurfürst zu eben der Zeit, als der Wert der römischen Gnaden für ibn zweifelhaft wurde, sich um ein tieferes Verständnis der von Luther in den Mittelpunkt gestellten Heilsfragen bemüht hat“).

Die Briefe des Reformators aus dem Winter 1517/18, in denen er auf Anfrage Spalatins bald über das rechte Schriftstudium®) handelt, bald über gute Werke und den Wert des Ablasses®) oder auch über die Heiligenverehrung ), sind nun freilich insofern umstritten, als hier die Frage ein- greift, ob man diesen Briefwechsel als „ein Denkmal des ununterbrochenen Gedankenaustausches zwischen Friedrich und seinem Doktor“) werten darf, d. h. ob und wie weit Spalatin als das ,Spraehrohr*?) seines Landesherrn anzu- sehen ist. Jedenfalls muß mit Kalkoff darauf hingewiesen werden, daß man sich lange durch Uberschätzung ie) dieses zwar theologisch gebildeten, aber doch in jeder Hinsicht recht untergeordneten“ 11) Mittelsmannes den Zugang zu dem Verständnis der Stellung Friedrichs Luther gegenüber er-

1) Kalkoff: Abla6 S. 12—24. 3) ebd. S. 66—84. 3) ebd. S. 91. *) ebd. S. 87—50.

5) Enders I, Nr. 59. 6) ebd. Nr. 62.

7) ebd. Nr. 56. 5) Kalkoff: Ablaß...S. 45.

) Vgl. v. Below H. Z. 116, S. 418; E. W. S, 839,

10) So Berbig: Georg Spalatins Verhältnis zu Dr. M. Luther dis zum Jahre 1518. Neue kirchliche Zeitschrift 16, 1905. S. 801ff. u. S. 841 ff. und Adolf Hausrath: Aleander und Luther auf dem Reichstage zu Worms. Berlin 1897, S. 37.

H) Paul Kalkoff: Luther und die Entscheidungsjahre der Refor- mation. München und Leipzig 1917. S. 7; vgl. a. derselbe: H. Z. 182, S. 81.

220 60

schwert hat. Diese Auffassung wird auch von Theodor Lockemann in einer guten Dissertation über , Technische Studien zu Luthers Briefen an Friedrich den Weisen“ ) ver- treten. Spalatin, der „die Vermittlerrolle, solange er sein Amt bekleidete, auf das rühmlichste durchgeführt und dem Reformator persönlich wie der gesamten neuen Bewegung mit Takt, Einsicht und Unverdrossenheit unschätzbare Dienste geleistet hat“,?) schneidet bei ihm freilich besser ab als bei Kalkoff, dessen Urteil über den ,braven", „durch und durch mittelmäßigen“?) Hofkaplan nicht gerade freund- lich lautet. Ein Argument, das Kalkoff in diesem Zusammen- hang anführt*) macht vor allem stutzig: Das ist die Tat- sache, daß Aleander, dieser gewiegte Menschenkenner, Spalatin nie einer Erwähnung gewürdigt, ihn anscheinend nie umworben hat, was er doch gewiß nicht unterlassen haben würde, wenn er ihm entscheidenden Einfluß auf die Entschließungen seines Herrn zugetraut hätte.

Im Anschluß an Lockemann ist ferner darauf hinzu- weisen, daß der Briefwechsel zwischen Luther und Spalatin schon deswegen nicht nur ihren persönlich-freundschaftlichen Beziehungen gedient haben kann, weil er mit dem Weg- gang Spalatins vom Hof merklich abnimmt. Wenn man nun auch in Einzelfällen, wie etwa bei der Anfrage, ob man den Türkenkrieg aus der Heiligen Schrift billigen könne“), das Interesse des Kurfürsten an dieser Frage fast mit Händen greifen kann, so wird es sich in vielen Fällen wohl kaum einwandfrei feststellen lassen, wie weit die Auf- forderungen und Anregungen, von denen wir hören, auf den Kurfürsten selbst zurückgeführt werden dürfen, zumal die Briefe Spalatins fast alle verloren (wenn nicht absichtlich vernichtet!) sind und nur ihren Reflex in den Antwort- schreiben Luthers finden. In welchem Umfang der Brief- wechsel dennoch zur Erhellung des inneren Verhältnisses Friedrichs zu Lutber und seiner Lehre herangezogen werden kann, das muß sich jeweils aus dem Zusammenhang der einzelnen Schreiben mit den Ereignissen und aus inneren Wahrscheinlichkeitsgründen ergeben. Hier soll nur kurz auf zwei Stellen hingewiesen werden, die ein Beleg dafür sind, daß für den Reformator der Wunsch Spalatins mit

1) Theodor Lockemann: Technische Studien zu Luthers Briefen an Friedrich den Weisen. Leipziger Dissertation 1913.

3) ebd. S. 45f.

3) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 7 u. S. 85/36.

4) Kalkoff: Z. K. G. XLIII. S. 198 u. H. Z. 188, S. 31.

) Enders I Nr. 125.

61 221

dem Friedrichs völlig identisch ist. Lutber will die von der Bulle verdammten Artikel in einer Schrift verteidigen »... Bicut scripsisti, et a me peti intelligo", so heißt es in dem Brief an Spalatin vom 29. November 1520!), und wenn es hier noch zweifelhaft erscheinen könnte, ob die Auf- forderung zu dieser Verteidigung tatsächlich vom Kurfürsten ausgegangen ist, so erhebt ein späteres Schreiben Luthers an Staupitz diese Vermutung zur Gewißheit. Dort lesen wir nach einer warmen Würdigung der Verdienste Friedrichs die Worte „. .. cuius jussu Assertiones istas utraque lingua edo“ :). Es ist dies ein Fall, bei dem ein direkter, un- bedingt stichhaltiger Naehweis gefübrt werden kann. lm Verlauf dieser Arbeit wird es sich zeigen, daB er nicht isoliert dasteht.

III.

Das erste uns überlieferte Urteil Luthers über seinen Landesherrn nach dem Thesenanschlag spricht davon, daß der Kurfürst ,miro affectu, solidis his studiis theologiae" ihn und Karlstadt im Hinblick auf die bevorstehende Heidel- berger Disputation seines Schutzes versichert habe und zwar, wie Luther ausdrücklich betont, „non rogatus“, und daß er es auf keinen Fall dulden werde, „ut me ad Urbem trahant’). Kolde*) hält allerdings Luthers Auffassung von der wunder- baren Zuneigung des Kurfürsten zu seiner Theologie für einen Irrtum und glaubt das Verhalten Friedrichs wieder mit seiner Gerechtigkeitsliebe und der Sorge für seine Uni- versität begründen zu können. Es soll keineswegs bestritten werden, daß diese Motive vor allem für den Anfang wahr- scheinlich mit in Rechnung zu stellen sind, klingt doch das zweite in Friedrichs Schreiben an Staupitz aus dem April 1518 deutlich an, wenn er diesen ersucht, dafür Sorge zu tragen, daß der Doktor „an dem wir dan fast gut gefallen und sein nit gern lang von der universitet und seiner lection geratenn * „ufs erst wider alher kom und nit vortzogen noch aufge- halten werde daran“.°) Unzulässig aber ist der Versuch Koldes, aus diesen Momenten das gesamte Verhalten Friedrichs in der Sache Luthers ableiten und erklären zu wollen. Auf diese Frage ist noch einmal zurückzu- kommen,“) nachdem angesichts der Rolle, die der Kur-

1) Enders II Nr. 868, S. 585, Z, 8f.

*) Enders III Nr. 898, S. 85, Z. 78f.

*) Enders I No. 68. 4) Kolde R. E. 6 8. 281.

5) Theodor Kolde: Die deutsche Augustiner-Kongregation und Johann von Staupitz. Gotha 1879. 8.814, Anm. 1.

^) g. 8. 68 dieser Arbeit.

222 62

fürst in dem von der Kurie eingeleiteten Verfahren spielt, die Konstruktion Koldes ad absurdum geführt sein wird.

Das bereits erwähnte Tatsachenmaterial, die Zusicherung an Luther und die Aufforderung an Staupitz, wozu noch Empfehlungsschreiben an den Bischof von Würzburg!) und an den Heidelberger Hof?) hinzukommen, gewinnt nun da- durch noch verstärkte Bedeutung, daß es sich auf Grund des von Kalkhoff geführten Nachweises?) entgegen den älteren Darstellungen*) nicht um den gewöhnlichen, unverfänglichen Besuch des Kapitels handelte, sondern daß die Kurie bereits Sehritte unternommen hatte, um Luthers Vorführung in Rom zu veranlassen.

Bald darauf erfolgte dann aueh das erste Warnungs- signal aus Rom durch das Breve Leos X. an Friedrich vom 23. August 1518." Man gibt sich an der Kurie zwar noch den Anschein, als ob man es nicht glauben könne, daß Luther, dieser „filius iniquitatis“, in begründetem Vertrauen auf den Schutz des Kurfürsten seine ketzerischen Lehren verbreite, aber es klingt doch bereits der Ton an, der sich dann in immer schärfer werdenden Ausdrücken durch alle Kund- gebungen der Kurie Friedrich gegenüber hindurchzieht, dies- mal freilich noch in Form einer Ermahnung: ,Neque solum culpam evitare, quod facis, nulla enim adhuc (!) in te nostro judicio culpa est, sed etiam suspicionen fugere huius cul- pae —*. Der Kurfürst solle daher Luther an den Le- gaten ausliefern, damit er ,in potestatem ef judicium huius sanctae Sedis“ abgeführt werden könne. In dem gleich- zeitigen Breve Leos an Cajetan*) wird bereits mit dem Interdikt gedroht, mögen die ,prineipes* daher wohl auf der Hut sein!

Freilich, alles dies mutet uns nur wie ein Vorspiel an, in dem die Gegner sich zum erstenmal ihre Waffen zeigen, ohne sie jedoch zu kreuzen. Erst dann, als Luthers Ange- legenheit hineingezogen wird in die großen reichspolitischen Kämpfe für die der Augsburger Reichstag von 15187 den

1) Enders I No. 76.

3) ebd, No. 78 S, 192 „ihr habt by Gott einen kystlichen Credenz*.

*) Paul Kalkoff: Forschungen zu Luthers römischem Prozeß. Rom 1905, S. 43ff. und derselbe: Zu Luthers römischem Prozeß. Gotha 1912, S. 80 ff.; vgl. a. Karl Bauer: Die Heidelberger Disputation Luthers Z. K. G. XXI, 1901, S. 283 ff. u. 299ff.

1) So z. B. Julius Köstlin: Martin Luther, sein Leben und seine Schriften, 2 Bände, 4. Auflage, Berlin 1889 I S. 185 und Kolde: Aug. Congr. 8. 313.

5) op. lat. var. arg. II S. 3852—3854. e) ebd. S. 854—858. -

) R. A. IS. 91ff.

63 223

Auftakt bedeutet, geht der Vorhang hoch, und das große Drama hebt an, in dem germanischer und römischer Geist miteinander ringen.

Fast wäre es der Kurie schon damals gelungen, ein Reichsgesetz zu erwirken, das die Vollstreckung des päpst- lichen Verdammungsurteils gewährleistet hätte. Ueber die Gründe, die das kaiserliche Schreiben an Leo X. vom 5. August!), als dessen Verfasser Cajetan anzusehen ist,?) zur Folge hatten, ist hier nicht zu handeln. Uns interessiert sein Inhalt vor allem insofern, als der Hinweis auf die „errorum suorum defensores et patronos, etiam potentes“ doch wohl nicht ganz ohne Seitenblick auf Friedrichs Ver- halten erfolgt sein dürfte. Und sicher hat man diesen Wink an der Kurie verstanden.

Jedoch, die päpstlichen Diplomaten wollten gleichzeitig auch ein anderes Mittel nicht unversucht lassen. Wenn man hört, daß der Papst in einem Konsistorium vom 3. Sep- tember?) ankündigte, er wolle dem erlauchten Herzog Friedrich die goldene Rose schicken, so ist es wirklich nicht schwer, hinter dem reichlich unbestimmten „nonnullis de causis“ den wahren Grund zu erraten, den Kalkoff völlig zutreffend als eine „feingewählte Bestechung“) bezeichnet.

Doch sollte es sich bald herausstellen, daß der Kurfürst unbeirrt den Weg verfolgte, auf den Luther selbst ihn hin- gewiesen hatte, wenn er ihn schon am Tage nach dem Ein- treffen der Zitation") aus Rom bat, dafür zu sorgen, daß seine Sache „ad partes Alemanniae“ überwiesen werde?) Indem Friedrich dies bei Cajetan durchsetzte, brach er der Instruktion des Legaten, die in dem erwähnten Breve Postquam ad aures vom 23. August”) enthalten war, die Spitze ab. Wenn dieses bestimmte, daß Luther im Falle der Verweigerung des Widerrufs nach Rom auszuliefern sei, so konnte der Reformator jetzt auf Grund der neuen durch Friedrichs Eintreten ge- schaffenen Situation auf seinem „revocare non possum“ be- harren, ohne daß Cajetan, ganz abgesehen von der „väter- lichen Milde®)“, die er dem Kurfürsten für das Verhör Luthers zugesagt hatte, es wagen durfte, gegen den ketzerischen

1) op. lat varg. arg. II S. 349—350.

2) Kalkoff: Forschungen S. 135—150.

2) ebd. S, 56. 1) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 69,

5) Rekonstruiert von Karl Müller: Luthers römischer Prozeß Z. K. G. XXIV 1908 S. 59f. 6) Enders I Nr. 86,

) op. lat. var. arg. II S. 854—858.

* Vgl. Enders 1 Nr. 100 8. 246 Z. 9f., Nr. 105 S. 270 Z. 49f., Nr. 106 S. 278 Z. 17f., Nr. 112 S. 985 Z. 61f.

224 64

Mönch einzuschreiten. Die Fürsorge Friedrichs, die sich in der Ausrüstung Luthers mit einem Empfehlungsschreiben an Cajetan!), der Vermittlung eines Rechtsbeistandes?) und der Beschaffung des kaiserlichen Geleitbriefes®) ausspricht, soll hier nur kurz angedeutet werden. Der größte Nachdruck ist vielmehr zu legen auf die Antwort des Kurfürsten“) an Cajetan, der in seinem Brief vom 25. Oktober“) die Forderung an Friedrich gerichtet hatte, Luther entweder nach Rom zu schicken oder ihn wenigstens aus dem Lande zu verweisen. Der Kurfürst betont in seinem Schreiben an den Kardinal, das doch durchaus als eine offizielle Kundgebung aufgefaßt werden muß, mit allem Nachdruck, daß Luther noch nicht widerlegt sei, und daß man ihm daher eine Disputation vor einer Universität gestatten müsse, und das nachdem die päpstliche Entscheidung über Wesen und Kraft des Ablasses durch Veröffentlichung der Bulle Cum postquam vom 9. November bereits erfolgt war?)! Fragen wir uns, wie es kommt, daB der Kurfürst diesmal aus seiner sonst stets ge- übten Zurückhaltung heraustriti, so dürfen wir doch wohl den Eindruck, den der Brief Luthers vom 19. November’) zweifellos auf ihn gemacht haben muß, nicht zu gering ver- anschlagen. Ebenso wie der Reformator unter Hinweis auf die Heilige Schrift den Satz vom Glauben in den Mittel- punkt seiner Verteidigung stellt, so verlangt auch der Kurfürst, daß man Luther auf Grund der Schrift seines Irrtums über- führen möge. Gleichzeitig wird Pfeffinger beauftragt, sich beim Kaiser für Luther zu verwenden „— quod sibi turpe sit dimittere te non auditum, qui paratus sis edoceri et corrigi)“ und so solle denn Luthers Sache „durch unver- dächtige in Deutschland verhüret werden“)“. Das war deut- lieh genug, und die Kurie konnte niebt lünger im Zweifel sein, wessen sie sich von Friedrich zu versehen habe. Wenn der Erlaß der Bannbulle, den Cajetan bereits in seinem Brief an den Kurfürsten angedeutet hatte le), trotzdem vorläufig unterblieb, so häugt das mit den Wahlverhandlungen zu-

1) Enders I Nr. 105 S. 269 Z. 2. 3) St. Er. 1882 S. 692,

3) Conrad Cordatus: Tagebuch über Dr. Martin Luther 1587, hsg. v. H. Wrampelmeyer. Halle 1885 Nr. 811,

*) Enders I Nr. 117. 5) ebd. Nr. 105.

*) A. R. G. IX S. 142ff.

7) Enders I Nr. 118.

) ebd. Nr. 194 S. 827 Z. 79ff.

) Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Akta und Documenta Leipzig 1720 II S. 550—653.

10) Enders I Nr. 106 8. 271, Z. 106.

65 225

sammen, die mit dem Tode Maximilians am 12. Januar 1519 in eine neue Phase treten!). |

Der Kurfürst wird nun „Thronkandidat und Verteidiger des apostolischen Stuhles“), Luther erhält plötzlich ein huldvolles Schreiben des Papstes“), durch das dieser seinem „dilecto filio“ goldene Brücken zu bauen versucht, und der ganze Segen von Gnadenbeweisen, mit dem Miltitz in Rom ausgerüstet ist, ergießt sich tiber den kursächsischen Hof“). Alles scheint vergeben und vergessen zu sein, ja, die Krone und sogar den Kardinalshut für einen seiner „Freunde“, „welchen e. ef. g. wil“), hat man Friedrich zugedacht, um ihn durch diese „Diplomatie des Zuckerbrotes“ ) gefügig zu machen. Unterdessen gefällt Miltitz sich in der Vermittlerrolle, die er sich selbst beigelegt hat, obwohl ihn niemand ernst nimmt, und die Kurie sich sein Treiben nur so lange gefällen läßt, als es in ihre Pläne paßt. Auf die Darlegung dieses tragi- komischen Zwischenspieles kann um so eher verzichtet werden, als die Beweiskraft der Kalkoffschen Untersuchungen“) hier absolut durchschlagend und von der Forschung anerkannt ist. So betont auch Hans von Schubert in seiner „Vor- geschichte der Berufung Luthers auf den Wormser Reichs- tag“, dab ganz abgesehen von dem Urteil über Miltitz als Persönlichkeit vor allem darauf hinzuweisen sei, dab dieser „windige Geselle“ dem Kurfürsten den unschätzbaren Dienst geleistet habe, „sich bei seinen eigenen Plänen mit dem Namen der Kurie decken zu könnens)“. „Miltitz glaubte zu schieben und wurde doch von der überlegenen Diplomatie Friedrichs und seiner Räte geschoben?)

Doch mit der Wahl Karls am 28. Juni ist diese Episode plötzlich wie ausgewischt. Zunächst hat man freilich, wie Kalkoff vermutet !“) aus Gründen des politischen Taktes, die Sache Luthers noch eine Weile ruhen lassen, wobei

1) Vgl. R. A. J S. 143 fl. 3) Kalkoff Z. K. G. XXV S. 899—430.

3) Enders I Nr. 168.

*) Vgl. Kalkoff: Forschungen S. 180ff. „Die Fakultäten Miltitzens“ (Beilage).

5) R. A. I S. 828 u. 824; s. a. A. D. S. 58, Augsb. Chron. V S. 146f. u. Kalkoff: Worms. Reichst. S. 55 u. Anm. 2.

*) Kalkoff: Z. K, G. XXV S. 280.

7) s. vor allem Paul Kalkoff: Die Miltitziade. Leipzig 1911,

5) So noch Plan. Ber. Nr. 152 (16. II. 23).

?) Hans von Schubert: Die Vorgeschichte der Berufung Luthers auf den Reichstag zu Worms 1521. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 1912, 6. Abhandlung 8.7.

10) Kalkoff Z. K. G. XXV 8. 420.

Archiv für Beformationsgesehichte. XXIII. 5/4. 15

236 66

Miltitz mit seinem eitlen Gebaren recht nützlich war. Aber dann besinnt man sich wieder auf den „filius iniquitatis“, und mit größter Unbefangenheit heißt es „das Bebestliche heylikeyt Groß ferwonttret das diße sache In sulchenn langen forzogk kommet“!), Gleichzeitig ergehen auch wieder die ersten scharfen Drohungen „vnd mocht in Ew. Curffl. Gn. Landen groß irthum darawß fulgen mit interdicten vnd andern geistlichen censuren“?2). Bald aber schlug man in Rom im Konsistorium vom 9. Januar 1520 eine noch bei weitem schärfere Tonart an, die auf die gefährdete Lage Friedrichs blitzartig ein krasses Schlaglicht wirft. Er, der noch vor kurzem der Verteidiger des apostolischen Stuhles war, wird nun zum „inimicus religionis*?) gestempelt. Die Nachrichten von diesem Vorgehen gelangten bald nach Witten- berg‘). Von dem Widerhall, den sie dort weckten, legt das stolze Wort Melanchthons Zeugnis ab „Nos omnia ingenti animo expectamus“°),, Aber der Höhepunkt war damit immer noch nicht erreicht, es mußte noch das „Ultimatum“ ) aus Rom erfolgen in Gestalt von zwei durch die Kurie inspi- rierten Briefen’), die am 6. Juli in Lochau einliefen, und von denen der des Kardinals Rafael Riario in dem Vorwurf gipfelte, Friedrich könne „hunc ipsum hominem ab tanto errore revocare" „poterit autem, quantum voluerit et libuerit. Wenn Kalkoff nun in bezug auf die Antwort- schreiben des Kurfürsten?) sagt, „es waren im wesentlichen Luthers Worte, die dann von Spalatin unter der Anleitung des Kurfürsten in nur wenig Überarbeiteter Form an den Papst weitergegeben wurden“ ), so ist auch das ohne Zweifel richtig. Schon Kolde!9) hat die gleiche Vermutung ausge-

) Ernst Salomon Cyprian: Nützliche Uhrkunden Leipzig 1718 I S. 408f.

2) ebd.

3) ebd. II S. 168 ff., s. a. Aloys Schulte: Nachtrag zu den römischen Verhandlungen über Luther. Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken hsg. vom kgl. Pr. hist. Institut in Rom. Rom 1904, Band VI, S. 174f. (Bericht des Melchior von Watt.)

4) Enders II No. 285 S. 858, No. 298 S. 383 und C. R. I col. 163; vgl. ferner das eingeforderte Rechtsgutachten bei Kolde: Fr. d. W. u. d. Auf. S. 41 Beilage II.

5) C. R. I col. 160. ^, Kalkoff: Z. K. G. XXV S. 4501f.

7) ebd. S. 587f. Beilage 1 und S. 591 Beilage 2.

5) op. lat. var. arg. II S. 851, ebd. V S. 7—10; s. a. die Entwürfe Z. K. G. XXV. S. 593f. Beilage B und 4.

?) ebd. S. 455 und die Textvergleicbung S. 508f.

1) Kolde: Fr, d. W. u. d. Anf. S. 20, Anm. 8.

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sprochen, und vor allem hat Luther selbst seine Ratschläge als für diesen Zweck bestimmt aufgefaBt!) Beachtenswert in Friedrichs Briefen ist die Forderung der Widerlegung Lutbers auf Grund von „veris ac firmis argumentis et per- spicuis testimoniis Scripturae" im Gegensatz zu dem „solo ecclesiasticae potestatis terrore"?) hatten doch der Kur- fürst und sein Schützling nachgerade genug von diesem „terror“ zu spüren bekommen! Und dabei ist nachdrücklich zu betonen, daß Friedrich alle diese Gefahren freiwillig auf sich genommen hatte, denn mehr als einmal versicherte Luther, daB er den Kurfürsten um keinen Preis in seine Sache hineingezogen sehen wolle, „ne innocentem Principem in meam quoqne invidiam involvant“ 2). Ebenso ist der Plan, Wittenberg für einige Zeit zu verlassen*), von Luther selbst?) nicht etwa von Friedrich ausgegangen, und wenn dieser dann auch die zeitweilige Entfernung seines ktlhnen Professors für ratsam hielt“), so ist doch schließlich das Bleiben Luthers zweifellos auf Wunsch des Kurfürsten er- folgt’), Nie hat dieser es seinem eigenwilligen Schützling nachgetragen, wenn er durch irgendeinen vorschnellen Schritt seine Pläne durchkreuzte. Wie weitherzig Friedrich dachte, zeigt sich besonders deutlich daran, daß er zur selben Zeit, als Luther gegen seinen Willen die Augsburger Akten ver- öffentlichte,®) jenen berühmten Brief an Cajetan vom 18. De- zember schrieb, von dem Luther voller Dank bekennt „Bone Deus, quam cum gaudeo eas (literas) legi et religi, sciens quam sint fiducia plenae et tamen mira modestia conditae““). Und wahrlich: oft genug hat man es versucht, dieses Ver- trauen des Kurfürsten zu seinem Reformator zu erschütteru,

wie Luther selbst es ausdrückt ,— ex prudentissimo et acerrimi judicii Principe nobis quendam facere Pilatum “10

1) Enders II No, 893 S. 432, Z. 16 ff. u. S. 488 Z. 53 fl.

2) op. lat. var. arg V S. 9.

3) Enders I No. 62, s. a. No. 50, 64, 88, 91, 112, 116 II No. 332, 323. 4) Vgl. Kalkoff: Forschungen S. 163 fl.

5) Enders I No. 112 S. 299, Z. 544, No. 114 S. 304, Z. 11ff.

6) ebd. No. 120 S. 817, Z. 51 f.

) ebd. u. No. 116 S. 308, Z. 4f.

8) ebd. No. 119 u. 123, s. a. No. 85 u. 89.

Das in den Augsburger Akten so scharf angegriffene päpst- liche Breve an Cajetan war Luther auf der Rückreise von Augsburg durch Spalatin, der es sich wahrscheinlich durch Bestechung verschafft hatte, zur Verfügung gestellt; vgl. Enders I No. 106 S. 278, Z. 28 ff.

*) Enders I No. 128 S. 824, Z. 25 ff. 19) ebd. No. 112 S, 294 Z. 380 fl., vgl. a. No. 115. 15*

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So berichtet auch. der soeben aus Italien zurückgekehrte Crotus Rubianus im April 1520 ,In nulla re tantopere exercent ingenium sancti patres, quam quod animum Friderici principis abs te alienent —*!). Wir haben von diesen Bemühungen bereits gehürt. Ja sogar eine so untergeordnete Persünlich- keit wie Miltitz gibt dem Kurfürsten mit gewohnter Wichtig- tuerei zu bedenken, „ob her Martinus sich getrautte die lenge mit seynem anhang khegen der heiligen Römischen Kirichen za beschützen“, und nach Aufzählung einer Reihe von abschreckenden Beispielen heißt es dann „also das die heilige Kiriehe allezeit tryumphirt hat und obgelegen ist“). Man kann es im römischen Lager einfach nicht fassen, dab Friedrich den ihm von seinen Vorfahren vererbten Ruhm und seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzt, und das alles „propter unum fraterculum“ 8). Daß die Lehre Luthers seinem Beschützer das Herz abgewonnen haben könnte, daran hat man wohl kaum gedacht, lagen doch Gewissens- bedenken und Ringen um der Seele Seligkeit den meisten der römischen Höflinge weltenfern.

Wenn wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Auffassung Koldes zurückkommen, so ist es nun doch wohl hinlänglich klar geworden, daB nicht Luthers , Person" als „Zierde der Universität“, sondern die „Sache“, d. b. die Lehre des Reformators, Friedrichs sonst schlechthin unbegreifliche Haltung bedingt haben muß‘). War doch der „berühmte Professor“ im Grunde nichts anderes als ein von der Kirche ausgestoßener und gebannter Ketzer, der nach dem Urteil der höchsten kirchlichen Autorität längst auf den Scheiterhaufen gehörte! Und der Kurfürst wußte das, wußte es schon lange vor dem Eintreffen jener beiden Briefe aus Rom, die Kalkoff das Ultimatum der Kurie ge- nannt hat. Wenn Lehmann daher meint, „die erste Ahnung

1) Enders II No. 800, S. 392, Z. 200ff.

2) Cyprian II S. 184—137.

3) Enders I No. 105 S. 272, Z. 113 ff.

*) Vgl. hierzu: Friedrich an Erasmus in einem Brief vom 14. V. 19 ,Quod enim hactenus in Saxonibus nostris degit, non tamen homini quam causae dedimus, nihil minus unquam conati quam ut dignos premiis poena premeret. Neque Deo omnipotente juvante committemus ut nostra culpa innocens quispiam sua querentium impietati dedatur.^ P.S. Allen: Opus Epistolarum Des. Erasmi Rotero- dami III (1517—1519) Oxonii 1913, S. 578, 17 und Leidener Aus- gabe III col. 512 B.: Brief des Erasmus vom 17. X. 19: „Dux Saxoniae Fridericus ... huius unius praesidio substitit Lutherus." „Id ait se causae dedisse verius quam personae.“ |

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von dem, was kommen würde, beschlich den Kurfürsten im Frühjahr 1520 —“!), so ist diese Auffassung nach allem bisher Ausgeführten als völlig verfehlt abzulehnen. Richten wir unsere Aufmerksamkeit abschließend nun noch einmal auf die Briefe Luthers an den Hof, so fällt auf, daß in den Schreiben an Spalatin der Dank für ein kurfürstliches Geschenk?) häufig wiederkehrt. Gerade in den kritischen Jahren 1519 und 1520 hat Friedrich es sich stets angelegen sein lassen, auch für das materielle Wohlergehen des Reformators Sorge zu tragen. Dieser weiß das wohl einzuschätzen, aber mehr noch ist er seinem Landesherrn dankbar für all die Mühe, die Friedrich durch ihn gehabt, für alle Gefahren, die er um seinetwillen auf sioh genommen hat, wie es in einem Brief vom 27. März 1519 heißt, in dem Luther dem Kurfürsten seine Operationes in Psalmos zueignet?) Und Friedrich nimmt diese Widmung freundlich auf, ja läßt sie in die Welt hinausgehen‘)! Wir hören, daß Luther die Predigt, die er Ende September 1518 auf der Reise nach Augsburg in Weimar gehalten hatte’), auf Verlangen des Hofes aus dem Gedächtnis aufzuschreiben verspricht?) Er sagt auf Befragen seine Ansicht über einige Psalmen’), erklärt neutestamentliche Stellen, wie etwa die Worte Joh. 15,5 „sine me nihil potestis facere**), und äußert sich auf Drängen Spalatins über seine These vom Primat des Papstes“). Für den Kurfürsten schreibt er auf dessen Wunsch eine Postille!?) und berichtet gewissen- haft von dem Fortschritt, den seine Arbeit macht!!), der man gewiß schon mit Ungeduld entgegensah. Endlich sei hier noch auf die wundervolle Trostschrift, die „Tessaradecas eonsolatoria^!?) hingewiesen, die den kranken Kurfürsten aufrichten und innerlich festigen sollte. Freilich, auch schon in dieser frühen Zeit fehlen die Schattenseiten nicht ganz, die dann vor allem während der Wittenberger Unruhen Luthers Verhältnis zum Hof trüben sollten. Aber im all-

1) Lehmann: Luthers Verhór 1899, S. 176 u. derselbe: Luther vor Kaiser und Reich. 1911. S. 20.

1) z. B. Enders II Nr. 242, 248, 257, 802, 345.

*) Enders I Nr. 166, S. 482.

4) So schon Köstlin: Schloßkirche S. 41 fl.

5) op. lat. var. arg. I, S. 226ff.

?) Enders I Nr. 125. 7) Enders II Nr. 259. 8, ebd. Nr. 297; s. a. I Nr. 147, 148, II Nr. 847.

?) Enders II Nr. 170. 20) ebd. Nr. 241.

1) ebd. Nr. 243, 246, 269, 312. 12) ebd. Nr. 214; op. lat. var. arg. IV S. 132ff.

330 70

gemeinen muß doch gesagt werden, daß das von Lehmann!) in Abrede gestellte „feste Band“ zwischen dem Kurfürsten und Luther „wie es geschlossen wird durch gemeinsames Streben, gemeinsame Überzeugung oder gegenseitige Neigung", den stürksten Belastungsproben standgehalten hatte und da- für bürgte, daß Luthers Sache, soviel Menschenmacht sie fördern konnte, auch weiterhin in treuen Händen lag.

Man hat nun freilich gemeint, es hieße Luther etwas von seiner Größe nehmen und die sieghafte Kraft seiner Lehre unterschützen, wenn man ihn und sein gewaltiges Werk hineinstelle in den Alltag, in das Auf und Ab der Politik und Diplomatie mit all ihren Mitteln und Mittelchen, die doch oft nur allzu menschlich sind. Von dieser Auf- fassung müssen wir uns frei machen. Sie ist unhistorisch und widerspricht dem, was Menschenlos auf Erden ist. Vielmehr ist es undenkbar, wie Luther ohne den Schutz des Kurfürsten ,auch nur für seine Person dem Schicksal hätte entgehen können, das alleinstehenden Kämpfern für Wahrheit und Recht nur zu oft beschieden gewesen ist“).

IV.

Dieses Wort gilt auch für die zweite große Phase des gewaltigen Ringens, in die wir nunmehr eintreten, um in der Auseinandersetzung mit E. Wagner das Wort von dem „treuen Eckhard“?) zu bewahrheiten, als der Friedrich uns bisher erschienen ist.

Eine kurze Besprechung der Wahlverschreibung Karls V. von 1519*) ist unerläßlich, handelt es sich doch hierbei um die Frage: kämpfte Friedrich der Weise in der Sache Luthers, wie Kalkoff es nennt, „auf dem Boden des Reichsrechts®),*

1) Lehmann: L. vor Kais. u. Reich. 1911. S. 19.

) Kalkoff: Der Worms. Reichst. S. 420. 3) ebd.

4) R. A. I. S. 864—876. Artikel 17 (S, 871) „Auch die churfursten, fursten, prelaten, grafen, herren vom adel, auch ander stende und under- than des reichs mit rechtlichen oder gutlichen taglaistungen auBerhalb Teutscher nation und von iren ordenlichen richtern nit dringen, er- fordern noch furbescheiden, sonder si alle und jeden insonders im reich laut der guldin bullen, auch wie des heiligen reichs ordnungen und ander gesetz vermugen, beleiben lassen.“

Artikel 24 (S. 873). „Wir sollen und wellen auch furkomen und kains wegs gestatten, daz nu hinfuro jemants hoch oder nider stands, churfurst, furst oder ander, on ursach, auch unverhort in die acht und aberacht gethan, bracht oder erclert werde, sonder in solchem ordenlicher proceß und des heiligen Römischen reichs vor aufgerichte satzung in dem gehalten und volzogen werden.

5) Kalkoff: Z. K. G. XXV. S. 543 fl.

71 : 831

bzw. hat er an der Gestaltung dieses Rechtes selbst tätigen Anteil genommen? Sachsen ist erwiesenermaDen an dem Zustandekommen und der Fassung der Wahlverschreibung hervorragend beteiligt gewesen. Die Forschungen Waltz'!) sind hierfür grundlegend. Die eigentlich strittige Frage ist nur die, ob und wie weit sich der Einfluß des Kurfürsten als dureh Rücksicht auf Luther bedingt nachweisen läßt, Kalkoff sagt in seiner Erwiderung auf den Wagnerschen An- griff?): „Daß der Kurfürst dabei auch an Luthers Schicksal gedacht hat, läßt sich natürlich nicht beweisen, aber noch weniger bestreiten ?).“ Darüber hinaus etwas festzustellen ist unmöglich. Nur auf einen Punkt soll noch kurz hin- gewiesen werden. E. Wagner betont, daß der Artikel 17 der Wahlverschreibung gar nicht auf Luthers Fall passe. Bei Anklage wegen Ketzerei sei auf Grund des kanonischen Rechtes, das durch die Wahlkapitulation nicht aufgehoben wird, der Papst die oberste Instanz. Das ist richtig. Nur darf dieser Einwand nicht erhoben werden, um zu beweisen, daß Friedrich sich gar nicht auf die Artikel der Wahl- verschreibung hätte berufen können. Denn daß er tat- sächlich den Papst nicht als oberste Instanz in Luthers Sache anerkannte, erhellt doch genugsam aus der Tatsache, daß er immer wieder auf ein Schiedsgericht zurückkommt, wie er denn in der Antwort, die er den päpstlichen Nuntien geben läßt, fordert, daß Luther ,aequis, eruditis piis et non suspectis judicibus, sub fide publica sufficiente securamento et conductu libero, locis non iniquis [commissa] audiatur et agnoscatur*)". Wenn E. Wagner hier auch nur das Zu- geständnis einer „gewissen Parteinahme“ ') macht, so hat sie doch den Widerspruch, der in dem Verhalten des Kurfürsten gegenüber dem Gebot der Kirche liegt, nicht Übersehen. Denn ähnlich wie schon früher Kolde?) kann auch sie es nicht bestreiten, „daß der Vorschlag eines unparteiischen Schiedsgerichts, nachdem der Prozeß Luthers in Rom zum Abschluß gekommen und der Papst sein Urteil gesprochen hatte, eine Abweichung von der streng kirchlichen Auffassung bedeutete, die die sofortige Bestrafung des Ketzers ver- langte?).^ Dieser Punkt ist noch lange nicht genug beachtet.

3) Otto Waltz: Die Wahlverschreibung Karls V. in ihrer Genesis. Forschungen zur deutschen Geschichte X. Göttingen 1870 8. 215—233; vgl. a. Paul Kalkoff: Die Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V. Weimar 1925 S. 251ff, 2) E. W. S. 889—348.

3) Kalkoff: Z. K. G. XLIII S. 185 und neuerdings: H. Z. 189 S. 86.

) op. lat. var. arg. V. S. 244—248, 5) E. W. S. 388.

) Kolde R. E. 6 S. 281f. 7) E. W. S. 887.

232 79

Er macht doch zum mindesten skeptisch gegen Kolde und Lehmann, die immer wieder von Friedrich als von dem ge- horsamen, mittelalterlich frommen Sohn der katholischen Kirche sprechen. Von „Gehorsam“ kann in diesem Fall und daß er nicht vereinzelt dasteht, haben wir bereits ge- sehen doch wirklich nicht die Rede sein! Was die Frage angeht, ob Friedrich der Weise oder Luther etwa den Ver- such gemacht haben, die Wahlverschreibung zugunsten des Reformators anzuwenden, so muß die von Kalkhoff aufgestellte“) und auch gegen E. Wagners Einwand?) aufrecht erhaltene?) Behauptung, daß die Anrufung des kaiserlichen Schutzes in dem Brief Luthers an Karl V.* „nur eine höfliche Umschreibung für die Mahnung an eine kaiserliche Pflicht“) sei, entschieden abgelehnt werden. E. Wagners Einwand besteht durchaus zu recht, daß ein mit dem Tode Bedrohter die Rechtstitel, die ihm gesetzmäßig zustehen, zweifellos für sich in Anspruch nehmen wird®). Es ist nicht einzusehen, warum die Berufung Luthers auf den vom Kaiser beschworenen Wahlvertrag „undenkbar“ gewesen wäre’).

Mit der Ablehnung dieser Kalkoffschen Auffassung fällt nun aber keinneswegs die Tatsache, daß der Kurfürst sich im übrigen jederzeit „mit allen Mitteln reichsständischer Diplomatie“) der Sache Luthers angenommen hat. Der Be- weis für diese Behauptung ist im folgenden zu erbringen.

Luthers „oblatio sive protestatio“®) erhebt ebenso wie sein Brief an den Kaiser die Forderung eines Schieds- geriehts. Die Erwähnung der genannten Schrift in einem Brief des Kurfürsten an Tetleben!?) beweist zwar nicht, dab Friedrich sie veranlaßt hat 11), doch wird der starke Ein- fluß des Hofes auf Luthers ,Erbieten^ schon dadurch deut- lich, daB es Friedrich sicher bereits im Entwurf vorgelegen hat!?2), Es wurde Spalatin von Luther zugleich mit dem Brief an den Kaiser zunüchst zur Verbesserung!*) und dann

1) Kalkoff: Z. K. G. XXV S. 553. Y E. W. S. 342f. ) Kalkoff: Z. K. G. XLIII S. 186. 4) Enders II Nr. 343. 6) Kalkoff: Z. K. G. XXV. S. 558. 6) E. W. S. 848.

) Kalkoff: Z. K. G. XLIII. S. 186,

) Paul Kalkoff: Die Entstehung des Wormser Edikts, Leipzig 1913. 8. 7.

9) op. lat. var. arg. V. S. 4ff.

10) ebd. S. 7 ff. u. Z. K. G. XXV. S. 596.

11) E. W. S. 838 gegen Kalkoff Z. K. G. XXV. S. 505 fl.

12) Gegen E. W. S. 888, die hier zu Unrecht ein Fragezeichen setzt; vgl. die diesbezügl. Stellen unter Anm. 10.

13) Enders II Nr. 840 u. 341.

78 233

endgültig im Druck!) übersandt. Ebenso sind Luthers Schreiben an einige der hervorragendsten Reichsfürsten auf Drängen des Hofes entstanden „Ego, nisi tu sic urgeres, rem totam Deo committerem"?), Diese Tatsache dürfte selbst dann noch genügen, das Eingreifen Friedrichs in Luthers Entschließungen deutlich zu machen, wenn auch die gut begründete Vermutung, daß der Kurfürst Luther zu seiner „oblatio sive protestatio^ aufgefordert habe, nicht zum lückenlosen Beweis erhoben werden kann.

Umstritten ist die Frage, ob in der Kölner Unter- redung zwischen Friedrich dem Weisen und Karl V. im November 1520 über Luther und seine Angelegenheit ge- handelt worden sei. E. Wagner verneint sie mit aller Ent- Sehiedenheit*). Kalkoff bleibt ihren Ausführungen gegen- über bei seiner Behauptung, daB der Kurfürst nicht gesäumt habe, ,seine erste Begegnung mit dem jungen Kaiser zu benutzen, um ihm eine Zusage über die Anhörung Luthers vor Vollziehung des Bannes durch die Reichsacht abzu- gewinnen“ ).

Die vier Beweisstellen Kalkoffs, deren Stichhaltigkeit E. Wagner zu widerlegen sucht"), mögen vorweggenommen werden:

1. Eine Flugschrift, als deren Verfasser Heinrich von Zütphen und der Prior von Gent, Melchior Mirisch, von Clemen °) bereits 1903 nachgewiesen wurden), berichtet:

„Dum Martinus Caracteolus et Hieronymus Aleander, summi Pontificis Oratores, apud Carolum Imperatorem, Rom. Pontificis nomine contra Martinum Lutherum interpellarent, ferunt Imperatorem Carolum eis mox ex tempore, nullo consulto, respondisse: Audiamus antea hac in re Patrem nostrum Fridericum Ducem Saxoniae etc. deinceps Pontifici respondebimus 5)".

2. An zweiter Stelle steht die Nachricht des Augs- burger Stadtschreibers Dr. Peutinger:

„er werd bericht, wie wohl k. Mt. der universitet von Lewen

uff ier anlangen Luthers biecher zu verbrennen —, solle doch her- 1) Enders II Nr. 844. 3) ebd. Nr. 362. S. 510 Z. 81f. 3) E. W. S. 352.

) Kalkoff: Z. K. G. XLIII S. 188, s. a. Z. K. G. XXV S. 548 fl.

5 E. W S. 848—322.

6) Otto Clemen: Beiträge zur Reformationsgeschichte. 3. Heft. Berlin 1903. S. 91f.; vgl. a. Paul Kalkoff: Die Anfänge der Gegen- reformation in den Niederlanden. V. R. G. 21, 1903 IT, S. 108, Nachtrag.

) Gegen E. W.s Vermutungen und Ausführungen S. 344 ff.

5) op. lat. var. arg. V. S. 249; vgl. Kalkoff: Z. K. G. XXV. S. 549 u. E. W. S. 844—347.

234 14

nach ier Mt. uff des Kurfürsten von Sachsen bericht gesagt haben: ‚man solle dem münch rechts, wie er sich erpiett gestatten'!).*

3. Dasselbe wird in einem ohne Angabe des Datums und Nennung des Adressaten geschriebenen Brief des Eras- mus berichtet, in dem sich folgende Angabe findet:

„Dux Saxoniae cum ageret cum illo (Carolo V) de Luthero, hoc accepit responsum: non damnabitur Lutherus nisi auditus “).

4. Endlich lesen wir in einer Depesche Aleanders vom 8. März 1521:

„Aus diesen und ähnlichen ganz vertraulichen und privaten Äußerungen habe ich denn geschlossen, daß sie seit einigen Monaten, besonders seit der Unterredung des Kaisers mit dem Kur- fürsten von Sachsen in Köln sich immer mit der Absicht ge- tragen haben, die lutherische Frage politisch zu verwerten ).“

Soweit der Quellenbefund. Vier völlig voneinander un- abhängige Zeugnisse berichten nahezu das gleiche! Man fragt sich: sieht E. Wagner das denn nicht, oder will sie es nicht sehen? Auf ihre Ausführungen im einzelnen einzugehen, ist nicht der Mühe wert. Um die Argumentations- weise der Verfasserin kurz zu charakterisieren, genügt es, darauf hinzuweisen, daß nach ihrer Darstellung die Notiz des Erasmus auf die nachfolgende Korrespondenz Friedrichs mit dem Kaiser bezug nimmt, von der Erasmus Kenntnis gehabt haben soll“). Daß diese Behauptung doch erst ein- mal bewiesen werden müßte, scheint der Verfasserin nicht io den Sinn gekommen zu sein. Auch sonst gibt sie in jedem Fall ihrer These zuliebe stets der weniger wahr- scheinlichen Möglichkeit den Vorzug“) und baut auf diesen falschen Prämissen weiter, ohne auch nur den Versuch zu machen, die verschiedenen Quellen zusammenfasend zu werten.

An der Unumstößlichkeit des von Kalkoff hinsichtlich der Kölner Unterredung geführten Nachweises kann aueh der Einwand nicht irre machen, daß das Schreiben der kaiserlichen Räte an den Kurfürsten vom 27. November*) auf

) Jahrbuch des .historischen Vereins Dillingen IX, 1897. A. Schröder: Die Verkündigung der Bulle Exsurge S. 165f.; vgl. Kalkoff: Z. K. G. XXV. 8. 583 ff. u. E. W. S. 847—849.

2) Erasmi opp. ed. Clericus, Leiden. 1703, Appendix III col. 1890; vgl. Kalkoff: Z. K. G. XXV S. 549 u. E. W. S. 349—850,

3) A. D. S. 115 (Balan S. 131). (Ich zitiere die Aleander-Depeschen nach der Uebersetzung Kalkoffs unter Angabe der betreffenden Stelle bei Balan.) *) E. W. S. 350.

5) ebd. S. 847, Z. 9ff., S.349, Z. 1ff. u. Z. 17ff.

*) R. A. IL S. 466, Anm. 2.

(9 235

keinerlei voraufgegangene ,Abmachungen* bezug nehme!) Daß die Räte oder auch der Kaiser selbst die Unterredung „sicherlich“ erwähnt haben müßten, ist doch nur eine Ver- mutung! Im Gegenteil: es wäre seltsam, wenn sie berührt worden wäre. Denn da der Kurfürst nach der Unterredung seine Fürsprache für Luther schriftlich wiederholt hat, so war das Gegebene, daß die Antwort der kaiserlichen Kanzlei sich an dieses Schreiben hielt, den aktenmäßigen Nieder- schlag der Unterredung, statt an die Unterredung selbst.

Nachdem nun E. Wagner ihre Untersuchung dahin ab- geschlossen hat, daß sie ihre Verwendung des Kurfürsten für Luther beim Kaiser in Köln in Abrede stellt, leitet sie den zweiten Teil ihrer Arbeit mit der Feststellung ein: „Es sei nochmals ausdrücklich hervorgehoben, daß Friedrich der Weise in dem verlorenen Brief Luthers Bitte um ein Schieds- gericht bei Karl V. befürwortete und damit ein nicht geringes Gewicht zugunsten des Reformators in die Wagschale warf. Die Folge war, daß der Kaiser den Kurfürsten aufforderte, Luther mit auf den Reichstag zu bringen).“ Man horcht erstaunt auf! Wozu all die Mühe? Was die eine Hand zu nehmen sucht, muß die andere notgedrungen wieder geben! Man fragt sich, ob es nötig war, den (noch dazu mißlungenen) Nachweis zu führen, daß der Kurfürst mit dem Kaiser nicht über Luther gesprochen hat, wenn gleich darauf zu- gegeben wird, daB er sofort nach der Kölner Begegnung deswegen an ihn geschrieben hat! E. Wagner verfügt eben nicht über die Fähigkeit, Teilergebnisse zusammenzu- schauen; von hier aus erklärt sich vielleicht auch die zeit- lich zu eng begrenzte Problemstellung, die bereits eingangs bemängelt werden mußte.

Weshalb hat nun der Kurfürst in seinem Brief vom 20. Dezember?) die kaiserliche Aufforderung*), Luther mit sich auf den Reichstag zu bringen, abgelehnt? Kalkoff nimmt mit Recht an, daß Friedrich, gekränkt durch die in- zwischen erfolgten Bücherverbrennungen, seine Einwilligung aus diesem Grunde versagte“). Seine Worte „wu Luther nicht het angesehen werden wollen, mein solt doch in dem verschont wurden sein“®) sind, wenn auch weniger in der Form, so doch der Sache nach eine entschiedene Verwahrung gegen das Vorgehen des Hofes. Das Schreiben an die kaiserlichen Räte vom 14. Dezember‘) ist inhaltlich damit

1) E. W. S. 350 fl. *) ebd. 8. 852. 3) R. A. II. S, 470,

) ebd. S. 466.

5 vgl. Kalkoff: Z. K. G. XXV. S. 547, Anm. 8 u. Kolde: V. R. G. 1 S. 30. 9) R. A. II. S. 472. )) ebd. S. 466, Anm. 2.

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völlig übereinstimmend. Die Anspielung auf den inzwischen verübten Vergeltungsakt ist hier ganz deutlich. Bereits seit längerer Zeit war der Kurfürst von Luthers Absicht unter- richtet durch einen Brief Spalatins vom 3. Dezember.“) „Doctor Martinus hat decret und decretales zusammen ver- ordent, dieselben zu verbrennen, sobald er in glaublich er- fahrung kompt, das sie zu Leyptzig sein bucher sich unter- standen zu verbrennen. Steet wol darauf, das er die bullen auf der cantzell offentlich verbrennen werd, wenn sich die myssgunstigen irer ubung und handelung nit massen werden.“ Die Verbrennung geschah am 10. Dezember?). Der Kurfürst hätte sie also noch verhindern, zum mindesten den Versuch dazu machen können?), hat er doch oft genug durch Ver- mittlung Spalatins eindämmend gewirkt. Aber nichts der- gleichen geschah“). E. Wagner erwähnt diese Tatsache nur beiläufig, legt ihr also anscheinend keine Bedeutung bei. Wenn sie nun gar die Ausflucht des Kurfürsten, daß er sich Luthers Lehre zu vertreten, „nie angemast“ “), zum Ausgangs- und Angelpunkt für die Deutung des kurfürstlichen Schreibens macht‘), so beweist sie damit nur, daß Kalkoff Recht hat, wenn er sagt’): „Auch mit der offiziellen Sprache jener Zeit, dem Zeremoniell oder gar den selbstverständlichen Künsten des Dissimulierens, der politischen Fiktion ist die Verfasserin zu wenig vertraut.“ Aber abgesehen davon, trifft sie ein Vorwurf, der weit schwerer wiegt. Sie sieht es überhaupt nicht, daß Friedrich dieselbe oder eine ähn- liche Ausrede schon wer weiß wie oft gebraucht und sie ebenso oft durch sein Tun widerlegt hat. Und so entstehen denn aus ihrer Interpretation des Briefes „aus sich heraus“ in der Tat „Widersprüche zu dem, was wir sonst über das Verhalten des Kurfürsten wissen**). Auf ähnliche Schwierig-

1) Otto Waltz: Epistolae Reformatorum I S. 122, Z. K. G. II, 1878.

3) Enders III Nr. 375. 3) s. Köstlin: Luther I. S. 406.

) Entschieden muß die neuerdings von Kalkoff H. Z. 132, S. 39 vertretene Auffassung abgelehnt werden, daß Friedrich, indem er bereits den Nuntien gegenüber mit Vergeltungsmaßregeln Luthers drohte, den ,Akt vor dem Elstertor", der ,ohne seinen vorherigen Wink“ „unmöglich“ war, selbst veranlaßt hätte. Kalkoff gibt bei dieser und ähnlichen Gelegenheiten seinen Gegnern bequeme Angriffs- punkte, von denen aus sie morsche Stützen in Nebenfragen seiner Beweisführung leicht zu Fall bringen können, und indem diese zusammenbrechen, glaubt der unkundige Leser, das ganze Gebäude stürze ein, 5) R. A. II. S. 470.

©) Vgl. für diesen ganzen Abschnitt E. W. S. 352 fl.

) Kalkoff: Z. K. G. XLIII. S. 186f. ) E. W. S. 354, Anm. 2.

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keiten stößt auch die Deutung der kurfürstlichen Weigerung im Sinne Lehmanns!) als „Strafe für die Verbrennung der Bannbulle.“ Die Auffassung E. Wagners, daß der Kurfürst sich nicht öffentlich für die Sache des Ketzers habe ein- setzen wollen:), ist völlig verfehlt, da die Verfasserin in Friedrichs angeblicher Gleichgültigkeit und schwankender Haltung die Motive dieser Zurückhaltung erblickt. Da wir gesehen haben, daß weder von Gleichgültigkeit noch von Schwanken die Rede sein kann, bleibt für die wahren Motive des Kurfürsten nur die Erklärung übrig, daB Fried- rich, abgesehen von der Entrüstung über die ihm persönlich zugefügte Kränkung, es schon deswegen ablebnen mußte, Luther ohne kaiserliche Zitation! mit sich auf den Reichstag zu bringen, weil er nur in der nach außen hin geschickt durehgeführten Rolle eines unparteiisehen Neutralen die Interessen des Reformators wirkungswoll zu vertreten imstande war. Durchschaute man seine Haltung doch so schon mehr als ihm lieb sein konnte. Während das Urteil Aleanders über den Kurfürsten zunächst relativ günstig lautete?), ist er nach nicht allzulanger Zeit der „Basilisk **), der „sächsische Drache“ 5)!

Inzwischen änderte die kaiserliche Diplomatie ihre Taktik. Aleander erhielt den Auftrag, einen Mandatsentwurf zu verfassen, der dem Gesamtstaatsrat in einer Sitzung vom 29. Dezember vorgelegt wurde). Am 5. Januar traf Friedrich in Worms ein. Er muß unmittelbar darauf persönlich seine Verwendung für den Reformator beim Kaiser erneuert haben, denn schon am 25., als Luther in einem Brief an den Kurfürsten sein Erbieten unter Beifügung einer Kopie wiederholte, kann er sagen „Und bin von Herzen erfreuet, daß Kaiserl Maj. die Sache zu seiner Kaiserl. Maj. nehmen will?).“ Auf die anläßlich dieser Unterredung ge- machten Zusagen bezieht sich auch Friedrichs Kanzler Brück in seinen Verhandlungen mit Glapion®) und der kursächsische Rat Bernbard von Hirschfeld in einem Brief an Tucher vom 30. Januar 1521°). Sie ist also als unbedingt gesichert an- zusehen, und ebenso steht es fest, daß der Kaiser das Mandat

1) Lehmann: Luthers Verhör 1899. S. 178.

3) Vgl. hierzu die Kritik von Walters a. a. O. S. 17, Anm. 5 unten.

*) A. D. 8. 28 (am 6. XL.) und noch S. 41/42 (Mitte Dezember) (bei Belan S. 29/80). *) A. D. S. 58 (am 18. XIL) (Balan S. 89).

5) A. D. 8, 163 (am 15. IV. 91) (Balan S. 164).

*) Vgl. Kalkoff: Die Entsteh. d. W. Ed. Beilage S. 801f.

7) E. A. 58 S. 56 ff. 95) R. A. II S. 490,18 u. 491,1.

) St. Kr. 1882 S. 697f.

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vom 29. Dezember vorläufig beiseite legen ließ. Aleander wußte, woher ihm diese Hemmung kam „— immer wieder wird uns die Ausfertigung hintangehalten durch die geheime Begünstigung Luthers von seiten des Kurfürsten von Sachsen!),“ so klagt er Anfang Februar, und ebenso hatte Friedrich bereits am 16. Januar an seinen Bruder geschrieben: „Das man alle tage, alls ich bericht wird, wider Doctor martinus Rad held, Inen in ban vnd acht zcu thuen vnd auff das hochste Inen zcu verffolgen. Das thuen dye mit den rothen huttlein vnd dye Romher mit Irem anhang —*)* Man wuDte also auf beiden Seiten recht gut, wo der Gegner stand.

Ebenso deutlieh sollte bald darauf die Meinung des Kaisers an den Tag treten. Aleander berichtet uns, daß dieser Luthers Oblatio, die ihm von dem Hofmarschall Herzog Johanns, Nickel, Ende zum Stein, wahrscheinlich am 6. Februar überreicht wurde, zerriB und zu Boden warf?). Es ist zwar nicht gesagt, daB dies „im Beisein von Hofleuten und Reichs- fürsten*)" geschah, aber das „publicamente“®) Rafael de Medicis?) (nicht eines „Unbekannten“ “) ist damit noch nicht aus der Welt geschafft. Wenn E. Wagner es einerseits ablehnt, von einer Ueberreichung der oblatio „im Namen des Gesamt- hauses der ernestinischen Herzöge“ zu reden *) diese Formu- lierung Kalkoffs ist in der Tat etwas reichlich volltónend so vermutet sie doch andrerseits, daß es sich um eben dasselbe Exemplar des lutherischen Erbietens gehandelt habe, das der Reformator seinem Landesherrn mit dem Brief vom 25. Januar?) geschickt hatte. Herzog Johannn muß demnach unbedingt in Uebereinstimmung, ja im Auftrage seines Bruders ge- handelt haben.

Trotz dieses Vorfalles scheint man am kaiserlichen Hof noch die Hoffnung gehegt zu haben, daB man dem Kurftirsten ein Zugeständnis in der Sache Luthers abringen oder ihn durch falsche Vorspiegelungen zur Preisgabe des Reformators bewegen könne. Nur so erklären sich die Verhandlungen

!) A. D. S. 72 (Balan S. 99).

3) Carl Eduard Förstemann: Neues Urkundenbuch Ham- burg 1842. S 5, s. a. S. 8 (No. 12).

3) A. D. S. 78f. (Balan S. 108).

*) Kalkoff: Z. K. G. XXV. S. 556 u. E. W. S. 359.

5) Balan S. 52.

6) Paul Kalkoff: Briefe, Depeschen und Berichte über Luther vom Wormser Reichstage 1521. V. R. G. 59, 1898. S. 71, Anm. 70 u. S. 80 Anm. 98.

7) E. W. S. 858, ) ebd. u. Kalkoff: Z. K. G. XXV, S. 566ff.

*) E. A. 53 S. 56 ff.

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wischen dem kaiserlichen Beichtvater Glapion und dem sächsischen Kanzler Brück Anfang Februar 1521!) Von vornherein ist klar, daß die Initiative zu diesen Besprechungen nicht, wie noch Kolde meinte:), vom Kurfürsten ausgegangen ist. Die Vorschläge werden durchweg von Glapion gemacht, Brück zeigt sich zurückhaltend, der Kurfürst ablehnend.

Aus der „Nachprüfung“ E. Wagners“) soll nur ein Punkt herausgegriffen werden, von dessen Deutung freilich alles abhängt. Sie wirft die Frage auf: Warum verhielt sich Friedrich dem Beichtvater des Kaisers gegenüber, der doch eine höchst einflußreiche Persönlichkeit war, so schroff und ablehnend? Hatte er nicht selbst ein unparteiisches Schieds- gericht für Luther gefordert? Warum betrat er nun nicht die gemeinsame Basis, die sich ihm in so überaus günstiger Weise bot? Wenn die Verfasserin auf diese Fragen eine Antwort suchte, so hätte sie sich nur nicht von vornherein den Weg dadurch verbauen dürfen, daß sie sagte: „es ist hier nicht der Ort, den Charakter Glapions zu untersuchen *).“ Denn gerade von der Enträtselung dieser Persönlichkeit hängt es doch ab, ob die gemachten Vorschläge als ernst und ehrlich gemeint anzusprechen sind, oder ob man sie mit Kalkoff°) als versuchte „Ueberrumpelung“ anzusehen hat. Kalkoff ist es auch gewesen, der völlige Klarheit in das Verhalten Glapions gebracht und ihn als Werkzeug Aleanders überzeugend nachgewiesen hat?) Die Meinung der älteren Forscher neigt im allgemeinen im Anschluß an Ranke*) da- zu, bei Glapion keine „Heimtticke“ anzunehmen, Man schreibt ihm Reformgedanken zu, wie etwa Kolde?) es tut, der aller- dings gleichzeitig von seinem maßlosen Ehrgeiz zu reden weiß. Auch Köstlin®) meint, daß es Glapion ernstlich um eine „friedliche Beilegung“ zu tun gewesen sei, wozu es allerdings wenig paßt, daß er ibn kurz vorher als doppel- züngig charakterisiert hat. Lehmann ie) lehnt eine Entscheidung

A. II S. 4778. ) Kolde: V. R. G. 1 S. 32. . W. 8, 860—865; vgl. hierzu vor allem: Kalkoff: D. Worms.

. W. S. 361. ) Kalkoff: Z. K. G. XLIIL S. 197. . B. Worms, Reichst. S, 216, 246f.; Entscheidungsjahre 8. 210f.; die Anfänge der Gegenref. S. 16; V. R. G. 59 8. 8 u. Anm. 6. ) Leopold von Ranke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Re- formation. 7. Auflage, Leipzig 1894 ! S. 883. ) Kolde: V. R. G. I S. 32—34. ) Köstlin: Luther I S. 422ff. 10) Lehmann: L. vor Kaiser u. Reich. 1911 S. 25f.

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ab. Die Auffassung Kalkoffs wurde dagegen schon von Baumgarten?) vertreten, und sie findet, auch wenn man von den Zeugnissen der Zeitgenossen?) ganz absieht, ihre beste Bestätigung bei Aleander. Man kann wohl kaum ein schwerer belastendes Urteil über Glapion fällen, als dieser päpstliche Diplomat es getan hat und das mit der ganzen zynischen Schärfe, über die er verfügt: „Der Beichtvater hat durch die ihm vom Papste erwiesenen Gefälligkeiten in den römischen Dingen um vieles billiger denken gelernt als vorher und leistet uns gute Dienste: man sieht, wie Wohltaten ihre Früchte tragen*).“ Und nicht lange darnach kann er ihn als zuverlässigsten und unersetzlichen Mitarbeiter?) bezeichnen, der sich allerdings seiner Unentbehrlichkeit voll bewußt ist und daraus höchst ungeniert Kapital zu schlagen versteht. Daß Friedrich in dem Annäherungsversuch eines solchen Mannes keine Gewähr für ein unparteiisches Schiedsgericht Kalkoff bezeichnet es vielmehr zutreffend als „höfisches Inquisitionstribunal“ ) erblicken konnte, dürfte verständlich sein. Aleander mußte einsehen, daß er es beim Kurfürsten mit einem Manne zu tun hatte, an dem die römische Ueber- redungskunst völlig wirkungslos abprallte, und so schrieb er denn unmittelbar nach dem Abbruch der Verhandlungen „— wir dürfen nicht mehr hoffen, ihn durch gütliches Zureden umzustimmen ).“ |

Indessen war das Mandat gegen Luther und seine An- hänger durch das Einschreiten Friedrichs in Worms Anfang Januar 1521 nur hinausgeschoben. Aleander war weiter- hin unermüdlich am Werk. Im Anschluß an seine Ascher-

1) s, dazu A. O. Meyer: Deutsche Lit. Zeit. 1922, Sp. 902—903. 3) Hermann Baumgarten: Geschichte Karla V. Stuttgart 1885 I . 992, Anm. 2.

3) Luther: Enders III No. 548; Spalatin: R. A. II S. 540 u. Anm. 1. Eberlin von Günzburg bei Paul Kalkoff: Ulrich von Hutten und die Reformation. Leipzig 1920 S. 568; Erasmus bei V. L. von Seckendorff: Ausführliche Historie des Luthertums Leipzig 1714 8. 322; vgl. a. Commentarius de Lutheranismo Leipzig 1694 lib. I gect. 37 8 88e.

*) A. D. S. 88, vgl. &. Anm. 1 (Balan S. 27).

5) A. D. S. 56 f. (Balan S. 88f.); vgl. a. A. D. S. 62 (Balan S. 43); A. D. S. 63 (Balan S. 46); A. D. S. 88 (Balan S, 61); A. D. S. 188 (Balan S. 144); A. D. S. 137 f. (Balan S. 105); A. D. S. 166 (Balan S. 165) A. D. S, 168 (Balan S. 172); A. D S. 181, 220 (Balan S. 228); A. D. 8. 234 (Balan S. 243) u, die Breven bei Balan No. 66,87.

6) Kalkoff: Worms. Reichst. S. 948.

7) A. D. 8. 87 (Balan S. 57) am 14. II. 21.

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mittwochsrede vom 13. Februar!) wurde den Ständen am folgenden Tage der Entwurf eines Ediktes zur Beratung vorgelegt“). Daß die Opposition Friedrichs während der ständischen Verhandlungen?) sehr heftig gewesen sein muß, geht aus der Mitteilung Aleanders hervor, „daß die Kur- fürsten von Sachsen und Brandenburg nahezu handgemeiu geworden wären“). An diesem Bericht ist festzuhalten, wenn auch Lehmann?) meint, daß nar der Leichtgläubige wiederholen werde, was der Nuntius vom Hörensagen be- richte. Aber es ist doch wahrlich nicht einzusehen, warum dieser sich ein Gerücht aus der Luft gegriffen haben sollte, bei dessen Mitteilung ihm alles andere als behaglich zu- mute war, bittet er doch dringend um Geheimhaltung jenes vertraulichen Berichtes?). E. Wagner erhebt überdies den Einwand?, „daß dieser Zornesausbruch sich schlecht zu dem stillen, vorsichtigen Wesen des Kurfürsten reime“. Ganz abgesehen davon, daB sich doch nicht alles im Wesen eines Menschen „reimen“, d. h. auf eine bestimmte Formel bringen lassen muß, ist in diesem Fall die Erregung des sonst so zurückbaltenden Diplomaten psychologisch durch- aus verständlich®), wenn man sich klar macht, daß jetzt der entscheidende Endkampf in dem durch Jahre hin- gezogenen Ringen begann. Dazu kommt noch, daß als

1) R. A. II S. 494 fl.; vgl. a. A. D. S. 85 fl. (Balan S. 56f.).

3) R. A. II, S. 507fl.

3) vgl. hierzu: Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 217f.; Entsteh. des Worms. Ed. S. 118f.; E. W. S. 865—370.

) A. D. S. 98 (Balan S 72); s. a. A. D. S. 101 (Balan S. 77); von Walter, a. a. O. S. 15 zieht an dieser Stelle den Bericht Aleanders heran, daß „der melancholische und stumpfsinnige Mann“ gebrüllt hätte „wie zehn Stiere", ala es sich um Roms Ansprüche handelte. Es liegt hier ein Irrtum vor, denn die Aeußerung Aleanders bezieht sich nicht auf Friedricb, sondern auf den Pfalzgrafen: vgl. A. D. 8. 149 (Balan S. 154f.) mit A. D. 8, 97 (Balan S. 74).

5) Lehmann: L. vor Kais. u. Reich. 1911 S. 22.

*) Mit Recht macht von Walter a. a. O. S. 15 Anm. 8 darauf auf- merksam, daß jedesmal die Frage zu stellen sei: cui bono ist die Falschmeldung erfolgt?

7) E. W. S. 867.

) Vgl. hierzu von Walter: a. a. O. S. 17 , so weit sollte man als Historiker die eigene psychologische Erwägung im Zaum halten können, daß man es vermeidet, es mit Friedrichs Charakter für unvereinbar zu halten, wenn er, wo’s hart auf hart ging, auch einem kurfürstlichen Kollegen gegenüber ans Schwert faßt“ (gegen E. W. S. 367),

Archiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 5/4. 16

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Gegenspieler Friedrichs gerade der Brandenburger genannt wird, von dessen „edler Dreistigkeit^?) wir auch später bei der Scheinannahme des erschlichenen Ediktes hören. Überdies irrt E. Wagner, wenn sie meint, daß Kalkofl Friedrich dem Weisen eine bis zur „Handgreiflichkeit gehende Aktivität“ beilege. Vielmehr handelt es sich hier um einen nur momentanen Zornesausbruch weiß Kalkoff sonst doch wahrlich genug von dem „vorsichtigen Temporisieren“ des Kurfürsten zu reden. So erkennt denn auch Aleander in der ständischen Antwort vom 19. Februar?) „die geheimen Anschläge des Sachsen, der die Sache hinausschieben möchte“ 3).

Ebenso hat Friedrich bei der Ablehnung des sogenannten ,Vernichtungsmandates**) vom 2. März seine Hand zweifellos im Spiel gehabt sei es durch direkte Beeinflussung, die natürlich quellenmäßig nicht faßbar ist, oder auch nur da- durch, daß die Stände sich nunmehr ihrer Antwort von 19. Februar als Basis bedienten, um das erwähnte Mandat zu Fallzu bringen. Es erschien dann, freilich in abgeschwächter Form, am 10. März als sogenanntes ,Sequestrationsmandat" °), aber, wohlverstanden, als ErlaB des Kaisers, ohne Be- fragen, geschweige denn Zustimmung der Stünde.

Was die Tatsache betrifft, daB Geleitbrief und Zitation vom 6. Mürz?) erst am 15. naeh Wittenberg abgingen, so ist der Auffassung E. Wagners’) zu folgen, daß diese Ver- zögerung hinlänglich dadurch erklärt ist, daß Karl V. den Kurfürsten aufforderte®), Luther von sich aus auf den Reichs- tag zu zitieren, eine Aufforderung, die dieser natürlich ab- lehnte“), ablehnen mußte, nicht aus „Zurückhaltung“, d. b. aus Furcht, sich für Luthers Sache einzusetzen, sondern ganz einfach deswegen, weil er der Zitation Luthers die „reichsrechtliche Grundlage“ nicht entziehen wollte, für die er sich soeben eingesetzt hatte, und die doch zum mindesten geführdet schien, wenn die Berufung durch ibn selbst und

!) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 271.

2) R. A. II S. 514ff.

3) A. D. 8.95 (Balan S. 73); vgl. A. D. S. 106f. (Balan S. 79f.) und Kolde: V. R. G. 1 S. 85; vgl. a. Georg Spalatin: Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte, hsg. von Neudecker und Preller, Jena 1851. S. 25f. Vergleich mit Quintus Fabius Cunctator, der „der Römer heftigen und sieghaften Feind, den Hannibal, so viel Jahre aufhielt, bis endlich Hannibal aus Italien wieder rücken mußt“.

) R. A. II S. 520ff. 5) ebd. S. 529ff.

*) Enders III Nr. 406 und 406. ) E. W. S. 872.

*) R. A. II S. 527f. 1. 9?) ebd. 2.

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nicht auf Grund eines kaiserlichen, bzw. reichsständischen Erlasses erfolgte.

Auf die Angaben Aleanders!) von einer Abänderung des Geleitbriefes und neuen Forderungen Friedrichs ist schon deswegen kein großes Gewicht zu legen, weil das, worauf es hier ankommt, der Einfluß des Kurfürsten auf das Er- scheinen Luthers vor dem Reichstag, durch die vorangehenden Untersuchungen bereits hinlänglich gesichert ist, und der oben angeführte Grund der Verzögerung tiberzeugend und ausreichend zu sein scheint. Wie dem auch sei der Bericht Aleanders ist jedenfalls nicht mit dem Einwand E. Wagners aus der Welt zu schaffen, daß der Kurfürst, wenn er A gesagt habe, nun auch B hätte sagen müssen)), denn tatsächlich hatte er sich doch, worauf Kalkoff mit Recht hinweist?), keineswegs mit den Beschlüssen der Stände „solidarisch“ erklärt. Er hatte nur zu erreichen versucht, soviel im Augenblick erreichbar war. Wenn Friedrich am 8. April an seinen Bruder schrieb: „weld got, ich kund martinum zeu der byllickaid was gutes ausrichten, esz sold an mir nicht mangel haben“), so hat er durch die Tat bewiesen, daß ihm das Eintreten für seinen Professor eine Herzenssache war.

Es ist daher völlig unbegreiflich, wie E. Wagner beim Rückblick auf die Wormser Verhandlungen über Luthers Berufung, die Behauptung aufstellen kann, daß „Kurfürst Friedrich sich völlig passiv zu dem Erscheinen des Refor- mators vor dem Reichstag verhalten“ habe“). Man kann kaum anders als mit Kalkoff®) urteilen, daß die Verfasserin meist an „untergeordneten oder auch mißverstandenen Dingen“ klebt, und daß daher ihr Urteil über das Verhältnis Friedrichs zu Luther notwendig ein einseitiges, ja ein verzerrtes sein muB.

Daß bei dem Verhör Luthers am 17. und 18. April die Fragestellung an beiden Tagen die gleiche gewesen ist, hat Lehmann’) nachgewiesen. Kalkoff pflichtet ihm darin 3 Auch tritt er für die Zuverlässigkeit des Fürsten-

t) A. D. S. 120 (Balan S. 137£) und A. D. S. 126 (Balan 8. 140); vgl. hierzu Kalkoff: A. D. S. 121, Anm. 1, Entscheidungsjahre S. 227, Z. K. G. XLIII S. 204f.

2) E. W. 3. 372 u. 377, 3) Kalkoff: Z. K. G. XLIII S. 204.

4) Förstemann S. 15.

5) E. W. S. 372 u. 377.

6) Kalkoff: Z. K. G. XLIII S. 204

7) Lehmann: Luthers Verhör 1899 S. 168ff.

$) Kalkoff: Z. K. G. XXV S. 599, Anm. 3 u. Worms. Reichst. S. 338 Anm. 3.

16*

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bergischen Berichtes ein!), aaß Luther „mit fast nidder- gelassener stim^?) gesprochen habe. Bei der Erörterung der Frage, ob Luther bei seinem ersten Erscheinen vor dem Reichstage seine Bitte um Bedenkzeit auf Anweisung des Kurfürsten ausgesprochen habe, muß von vornherein betont werden, daß jeder Beweis für diese von Hausrath?) erst- malig vertretene, von Kalkoff“) dann wieder aufgenommene Behauptung fehlt. Weder Aleander, noch irgendeiner der in Worms anwesenden Gesandten deuten eine solche Ver- mutung auch nur an, während der päpstliche Nuntius doch sonst stets geneigt ist, eine Intrigue des schlauen Sachsen anzunehmen. Allerdings muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die Spuren irgendwelcher Abmachungen zwischen Luther und dem Kurfürsten, bzw. seinen Räten, sorgfältig vernichtet sind, aber auf eine derartige Vermutung läßt sich eine historische Darstellung natürlich nicht aufbauen. Gegen eine Beeinflussung von seiten des Hofes sprechen vor allem die Worte Luthers, die sich in einer eigenhändigen Nieder- schrift über sein Verhör finden. Innere Gründe haben ihn bewogen, um „Bedacht und Aufschub“ zu bitten, „auf dab ich, dieweil ich mundlich dargeben solt mein Antwort nit etwa aus Unvorsicht zu viel oder zu wenig mit meins Gewissens Verstürung handelte, hab ich solebs aus S. kai Majt. erlangt“®). Luther hätte sich also andernfalls, wie Lehmann sagt, „Zeit zum Bedenken erbeten, ohne Bedenken zu hegen“), ein Zug, der sich freilich sehr schwer dem Charakterbilde des unerschrockenen Kämpfers einfügen würde, der dann am folgenden Tage „vil zu kune“?) war. Die von Kalkoff vertretene Auffassung ist daher abzulehnen.

Wie weit die „Verschlagenheit des Sachsen“®) bei dem Ersuchen der Stände vom 20. April?) im Spiele gewesen ist, wird sich im einzelnen kaum ausmachen lassen 10), zumal

1) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 235. *) R. A. II S. 863.

*) Adolf Hausrath: Luthers erstes Verhür zu Worms. Deutsche Rundschau 18, Juni 1896 u. derselbe: Aleander und Luther S. 246 fl., 355 ff. u. Luther I S. 427.

) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 235; V. R. G. 59 S. 84, Anm. 113; H. Z. 182 S. 40.

5) Enders III Nr. 423; vgl. a. R. A. II S. 548,

© Lehmann: Luthers Verhör 1899 8. 181.

7) Spalatin: Annales Reformationis bei Tentzel, Leipzig 1718 S. 49.

*) A. D. S. 181 (Balan S. 194.) 0) R. A. II S. 598f.

10) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 241 ff. u. Z. K. G. XLIII, S. 9071. E. W. S. 880ff.

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Aleander noch andere Motive angibt!) die die Bitte, der Kaiser möge Luther vor einem Ausschuß von Gelehrten ver- hören lassen, verständlich machen könnten. Daß der Kurfürst an den erwähnten Verhandlungen nicht teilnahm, ist nicht weiter verwunderlich, sondern erklärt sich aus der Vorsicht, die jetzt mehr als zuvor durch die Lage der Dinge geboten war. Sie ist alles andere als „Apathie“ ), die auch darin nicht erblickt werden kann, daß Friedrich dem Beschluß der Stände vom 30. April keinen weiteren Widerstand entgegen- setzte, denn das ständische „guetbedunken“ war doch in dieser Antwort an den Kaiser ausdrücklich vorbehalten“). Daß es dann nicht eingeholt wurde, ist eine andere Sachc.

Was die vorzeitige Abreise Friedrichs angeht, so hat Kalkoff zwar nicht gesagt, daß dieser sich „nur durch schleunige Abreise der Verhaftung von Seiten des Kaisers zu entziehen vermochte“ ), er spricht vielmehr davon, daß „schwerlich im Ernst daran gedacht werden konnte, das päpstliche Urteil alsbald durch Verhaftung des Ernestiners zu vollziehen“), aber andrerseits sieht er den Kurfürsten doch in einer sehr bedrängten Lage, so daß er nur mit Mühe im letzten Augenblick den „Kopf aus der Schlinge“ zu ziehen vermochte. Es muß hier die Frage aufgeworfen werden, ob es wahrscheinlich ist, daß der Kaiser sich in dem Augenblick, in dem er sich anschickte, Deutschland auf längere Zeit den Rücken zu kehren, den mächtigsten Fürsten des Reiches und seinen Anhang zu Feinden gemacht haben sollte. So gesichert war seine Lage doch keineswegs! Auch dürfte ihm die Trag- weite der lutherischen Ketzerei, die für ihn nur eine besondere Form des Aufstandes war?) keineswegs klar gewesen sein. Der Brief des Herzogs Erich von Braunschweig an seine Gemahlin“) erwähnt zwar, daß der Kurfürst „an erlaubnus vom reichstage abgeschieden“ sei, aber der Briefwechsel zwischen Friedrich und dem Kaiser, bzw. dessen Sekretär Hannart?), den ich nicht mit Kalkoff für eine „Finte“ °) zu halten vermag, deutet doch keineswegs auf eine feindselige Haltung hin. Kalkoff selbst hat in einer seiner früheren Unter-

1) A. D. S. 182 (Balan S. 193). 2) E. W. S. 885.

3) R. A. II S. 893,16 u. 8. 898,16.

*) E. W. S. 888 u. S. 886ff.

5) Kalkoff: Entscheidungsjahre, S. 268; vgl. a. Worms. Reichst. S. 380 ff., besonders S. 404 ff.

6) Vgl. Kervyn de Lettenhove „Commentaires de Charles-Quint“ 1862 S. 18.

) R. A. II S. 942. s, Fürstemann S. 781f.

*) Kalkoff: Z. K. G. XLIII S. 183.

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suchungen die Vermutung ausgesprochen, daß der „ver- schlagene Fürst“ sich durch seine plötzliche Abreise „einen nach dem Gewohnbeitsrechte des Reiches durchaus zulässigen Vorwand“ sichern wollte, „um das nun einmal nicht mehr zu verhindernde Aechtungsdekret gegen Luther und seine Anhänger nicht ausführen zu müssen“ 1). Hierin ist viel eher der Grund für die beschleunigte Abreise zu erblicken. Von einer Gefährdung des Kurfürsten kann dagegen aus den oben angeführten Gründen nicht die Rede sein. Der Iuhalt des verlorenen „ansuchen und erbieten“ Friedrichs, das in dem genannten Brief vom 28. Mai?) erwähnt wird, hat sich wahr- scheinlieh mit der Verwahrung vom 18. August 1524?) gedeckt, „Ir. Mt. wolle vnser diser sachen halben, souil den Luther vnd sein handlung betrifft, gnediglich verschonen. Darauf dan Ir. Mt. vns derselben Mandat keins zugeschickt, sondern vns in den bisher gnediglich vnbeschwert gelassen“. Diese Tatsache, daB man es bis in den Sommer 1524 nicht gewagt hat, dem Kurfürsten das erschlichene Edikt zuzustellen, muß mit aller Schärfe betont werden.

Wir fassen zusammen: daß das Urteil des Papstes nicht iu einen „rechtsverbindlichen Beschluß der Reichsstände“ umgesetzt werden konnte, ist, wie Kalkoff“) mit Recht hervor- hebt, allein dem Einfluß Friedrichs des Weisen zu danken, „jenes klugen und treuen Mannes, der seit den ersten Tagen den Schild seiner reichsfürstlichen Politik über Luther und seinem Werk gehalten hat“.

Nachdem wir so auf Grund des äußeren Ganges der Ereignisse ein Urteil über das Verhältnis des Kurfürsten zu Luther gewonnen haben, legen wir uns erneut die Frage nach den Motiven seines Handelns vor. Wenn man seine Briefe vom Wormser Reichstag an seinen Bruder Johann?) liest, so ist man in einer Hinsicht befremdet. Vergebens sucht man, um nur das Wichtigste zu nennen, nach einer Widerspiegelung des Eindruckes, den das Auftreten Luthers vor Kaiser und Reich bei ihm zweifellos hervorgerufen hat. Versetzen wir uns aber in die zurückhaltende Art dieses verschlossenen Charakters und fragen uns, wieviel Friedrich seinem Bruder anvertrauen wollte oder auch bei der Unsicherheit des brieflichen Verkehrs mitteilen Konnte), so gewähren seine Briefe, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, dennoch einen

1) Kalkoff: Z. K. G. XXV, S. 563f.

2) R. A. II S. 951 f. (Förstemann S. 80.) 3) Fürstemann S, 217. ) Kalkoff: Entscheidungsjahre S. 288.

5) Fürstemann S. 5ff.; vgl. hierzu von Walter a. a. O. S. 16 f. 9 Von Walter S. 16 u. Anm. 1.

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wertvollen Einblick in sein Verhältnis zu Luther und dessen Lehre, von deren Wahrheit er tief durchdrungeu war ließ er sich doch auf der Fahrt nach Worms von Spalatin aus Luthers Schriften vorlesen i). Wenn er immer wieder betont: „Der almechtig got gebe, das eB gudt werde“), er „fuge eB nach seynen genaden zcu vnBerm besthen*?), „eß sthett bey got“), so ist das doch noch lange nicht ,Ergebung in ein nieht abzuwendendes Schicksal", wie Lehmann) meint, der darauf hinweist, daß Friedrich Astrologe war, „und wer in den Sternen liest, wird allezeit geneigt sein, die Dinge an sich herankommen, seine Umgebung auf sich wirken zu lassen“. Ein Eingehen auf diese Behauptung, die jede Aktivität Friedrichs in Frage stellt, dürfte sich unter Hinweis auf das oben Ausgeführte erübrigen.

Seine Gegenspieler auf dem Reichstag charakterisiert Friedrich, wie bereits erwähnt, treffend als „dye mit den rothen huttlein vnd dye Romher mit Irem anhang“®), aber er weiß auch, „das nicht allein annas vnd Cayffas wider martinum seyn, sunder pylatus vnd herodes“ ?). Schon früher hatte er Luthers Schriften an seinen Bruder geschickt®): „dor Inn e. I. ffyl selezams dynges fynden werden. Der almechtig got gebe, das eB gudt werde, dan warlichen komen dynge an tagk, dye ffyl leuthe verbergen.“ Wir wissen auch, daß der Kurfürst bereits 1519 ein Buch kaufte, „dorinnen Doctor Martinus Predigk" und es „aldo zu Grime verschankt" ). Ebenso sendet „er, der Reichsfürst“, jetzt die auf seinen Wunsch verfaßte Verteidigung gegen die Bannbulle!?), „die Schrift des bereits mit der Reichsacht bedrohten Ketzers", an Tucher in Nürnberg, ,weil wir Euch für einen guten Lutherer vermerkt"!!. Hierzu stimmt auch die durch Aleander überlieferte Aeußerung Friedrichs dem Kurfürsten von Brandenburg gegenüber „es dünke ihn doch gar selt- sam, daß unser Glaube so lange des Lichtes ermangelt habe, das Martin uns gebracht, und in dem wir zum Leben ge- langen“ 12). Da E. Wagner diesen Bericht nicht ableugnen .

1) Spalatin: Annalen S. 38f.

2) Förstemann S. 2 (No. 2). 2) ebd, S. 5 (No. 8).

*) ebd. S, 18 (No. 20)

5) Lehmann: Luthers Verhör 1899 S, 178 u. 179.

©) Förstemann S, 5 (No. 8). ) ebd. S. 16 (No, 24)

5) ebd, S. 2 (No. 9).

) Christian Gottlob Lorenz: Die Stadt Grimma, Leipzig 18561 8.615. 10) g. S. 61 dieser Arbeit. 11) Köstlin: St.-Kr. 1882. S. 698. 15) A. D. S, 211 (Balan S, 208).

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kann, hilft sie sich, indem sie der Auffassung Lehmanns) bei- tritt, nach der Friedrich sich „der Tragweite der lutherischen Ketzereien“ nicht bewußt gewesen sein soll. Ganz abgesehen davon, daß alles, was wir bisher über sein Verhalten ge- hört haben, diesen Satz unbedingt widerlegt, sei hier noch auf zweierlei hingewiesen: einmal auf die Bulle Exsurge?), die ausdrücklich die „fautores et receptatores“ Luthers nennt, und dann auf Friedrichs eigenes Urteil bald nach dem Wormser Verhör: „ich acht, man wird Inen verjagen vnd vertreyben, vnd wer sych nuhen merken lest, das er doctor martinus gudts gan, der ist ain keczer —“?®), und so wünscht denn Aleander dem „verruchten Sachsen“ freund- lichst, daß er nur recht bald das Genick brechen möge!‘) Aber Friedrich ist überzeugt „dye warheit Bolle an Tag komen“ ê), denn „eB ist gots werck vnd nicht der Mensehen**). Sein Standpunkt ist der eines festen Ver- trauens auf Gott, „der wird Bunder zchweyffel dye gerechtig- kaid nicht verlassen“ ^).

Abschließend fragen wir endlich nach einem Urteil des Re- formators über seinen Landesherrn aus dieser Zeit. Lehmann) faßt den Brief Luthers an Spalatin vom 4. November 1520?) als einen Reflex der für den Reformator ungtinstigen Stimmung, in die die Bannbulle den Kurfürsten versetzt haben soll Tatsächlich bezieht sich Luthers Mahnung „ut discas non confidere in Principibus, et desinas pendere in judicio hominum —* wohl nicht auf Friedrich, denn die Er- wähnung der „principes“ ist doch recht allgemein gehalten und erfolgt überdies in Anlehnung an ein Psalmenwort!^). Mit größerer Wahrscheinlichkeit ist vielmehr an die unter Zustimmung des Kaisers erfolgten Bücherverbrennungen in

1) Lehmann: Luthers Verhör 1899 S. 174.

3) op. lat var. arg. IV S. 268 ff.; für die Tatsache, daß Friedrich die Uebersetzung der Bulle durch Spalatin veranlaßt hat, d. h. daß er sich an die Oeffentlichkeit zu wenden entschloß, vgl. Paul Kalkoff in Z. K. G., N. F. 8, 1926. Der „Unmut über die Behandlung der Sache durch den Papst“ sollte auch beim „gemeinen Mann" entfacht werden.

3) Förstemann S, 15 (No. 23). ) A. D. S. 218 (Balan S. 209f.).

5) Förstemann S. 8 (No. 12). e) ebd. S. 16 (No. 24).

7) ebd. S. 15 (No. 28).

8) Lehmann: Luthers Verhór 1899. S. 177; s. a, Ritter a. a. O. S, 77.

?) Enders II. No. 862, 10) Pg. 118, 8, 9. Vers 9: „Es ist gut, auf den Herrn vertrauen, und nicht sich verlassen auf Fürsten; vgl. a. Ps. 146,8 u. 2, 2.

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den Erblanden zu denken, durch die die „spes Germanorum" !) zu nichte wurden?) Aber wie dem auch sei: wir sind im Besitz eines Lutherwortes, das klar und gerecht in sachlicher und zugleich warmherziger Würdigung das hervorhebt, worin Friedrichs Größe in seinem Kampf für die evangelische Wahrheit liegt: ,Princeps noster, ut prudenter et tideliter, ita et constanter agit**). In der Tat: allein der Klugheit und Treue des Kurfürsten und nicht zuletzt seiner Beständigkeit verdanken wir es, daß „Luthers religiöse Ueberzeugung ausreifen und sich im Herzen der Nation fest- setzen konnte“ ).

Damit ist die Auseinandersetzang mit E. Wagner im wesentlichen beendet. Ich wiederhole: man kommt nicht dadurch zur Klarheit tiber ein historisches Problem, daß man Teilergebnisse, die man sich gleichsam mit der Lupe in der Hand erarbeitet hat, aneinanderreiht ohne Rücksicht aut Kontinuität und inneren Zusammenhang, der freilich quellen- mäßig nicht immer greifbar ist. Aber der Historiker soll ja auch mehr sein als Quellenkritiker! Gerade das kongeniale Verständnis ist es, durch das Kalkoff mag seine Auf- fassung in Einzelfragen immerhin anfechtbar sein zu der Be- urteilung Friedrichs des Weisen kommt, die ihm allein gebührt.

V.

Es soll nun im folgenden versucbt werden, das bisher gewonnene Bild dadurch zu ergänzen, daß wir der Entwicklung weiter nachgehen bis zum Tode des Kurfürsten. Kalkoff hat diese Zeit, soweit sie für unser Thema in Betracht kommt, vor allem in einer Schrift und dort nur unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt in den Bereich seiner Forschungen gezogen). Wir sind daher neben den älteren Lutherbio- graphien vor allem angewiesen auf eine Nachprüfung des Kampfes um das Karlstadt-Problem, den Hermann Barge®) und Karl Müller’) in scharfer Gegensätzlichkeit durch-

! Bei der Deutung Lehmanns bleibt der Satz: „Gaudeo te aliquando videre vanas spes Germanorum —“ besiehungslos. N) s. a. Kolde: V. R. G. 1, 8. 18f. ) Enders III No. 898 S, 85, Z. 72. ) Kalkoff: Forschungen S. 171. 5) Paul Kalkoff: Das Wormser Edikt und die Erlasse des Reichs- regiments und einzelner Reichsfürsten. München und Berlin 1917. h *) Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt 2 Bünde, Leipzig 1905. 7) Karl Müller: Luther und Karlstadt. Tübingen 1907 (weitere Literatur über diese Kontroverse findet sich an den entsprechenden Stellen dieser Arbeit.)

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gefochten haben. Wenn man auch von einer eigentlichen „Kontroverse“ über unser spezielles Thema insofern nicht mehr reden kann, als bei den Auseinandersetzungen zwischen Barge und Müller die Persönlichkeit Karlstadts durchaus im Mittelpunkt steht, so wird doch tiber die Stellung Friedrichs zu den „frühreformatorischen Vorgängen in Wittenberg“ und, besonders von Kawerau?) und von Bezold?), über sein Ver- halten zu Luthers Rückkehr von der Wartburg lebhaft dis- kutiert, so daß sich von hier aus eine Vertiefung unserer bisherigen Auffassung ermöglichen läßt.

Der neue Zeitabschnitt, in dessen Behandlung wir ein- treten, beginnt mit Luthers Gefangennabme und seinem für die deutsche Reformation so segensreichen Wartburgaufenthalt. Bereits am 28. April schreibt der Reformator an Lucas Cranach: „ich laß mich einthun und verbergen, weiß selb noch nicht, wo „muß ich doch guter Leut Rath nicht verachten “0 Kalkoff ist der Ansicht, daB der Kurfürst schon im März Luthers Zufluchtsstätte mit seinen Räten genau erwogen habe“). Der päpstliche Nuntius be- richtet dementgegen, Friedrich habe vor einer zahlreichen Versammlung von Fürsten versichert, er könne jeden Eid schwören, daß er nichts um jene Sache wisse“), freilich: Aleander glaubt ihm das nicht! Da die Frage, ob der Kurfürst nur für Luthers Sicherung im allgemeinen oder auch für die Wahl eines bestimmten Zufluchtsortes Sorge getragen habe, für unser Problem verhältnismäßig wenig bedeutet, mag sie offen bleiben. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Ausführungen Kalkoffs sich jedenfalls nicht auf Luther stützen können: , neque enim, ubi sim, Principes ipsi sciunt ®),

Bevor der Reformator nun aber für geraume Zeit vom Kampfplatz verschwand, richtete er noch zwei Schreiben an den Kaiser?) und an die Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reichs?), die insofern von besonderer Bedeutung sind,

) Gustav Kawerau: Deutsche Lit. Zeit 1898 Sp. 1584—1586 u. derselbe: Luthers Rückkehr von der Wartburg nach Wittenberg. Neu- jahrsblätter, hsg. v. d. Hist. Komm. für d. Prov. Sachsen u. d. Hxgt. Anhalt, Halle 1909.

2) Friedrich von Bezold: Luthers Rückkehr von der Wartburg Z. K. G. XX, 1900. S. 1861f.

3) E. A. 58 S. 64f.

) z. B. Entstehung d. Worms. Ed. S. 184, Anm. 1.

5) A. D. S. 285 ff. (Balan S. 244); vgl. a. Förstemann S. 17 (Nr. 25), S. 19 (Nr. 29).

) Enders III Nr. 444. 7) ebd. Nr. 427. ) ebd. Nr. 428.

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als sie wiederum auf Verlangen des Hofes’) verfaßt wurden und wieder, wie schon so oft, ein Verhör vor unverdächtigen und unparteiischen Richtern forderten. Damit bricht diese Linie ab, die wir von den ersten Zusammenstößen der Kurie mit Luther und seinem Beschützer bis hierher verfolgen konnten, und gleichzeitig wandelt sich das Bild, indem wir uns nunmehr zunächst den Wittenberger Vorgängen während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg zuwenden müssen. Bereits im Sommer 1521 beginnt die Opposition gegen die Messe, insbesondere ihre Auffassung als „Opfer“. Die von Luther in der Schrift an den Adel und in der „Baby- lonischen Gefangenschaft“ vertretenen Anschauungen drängen nach Umsetzung in die Praxis des kirchlichen Lebens. Luther ist mit den geplauten Aenderungen, besonders was die Privat- messe angeht, grundsätzlich einverstanden?). Die Ausübung irgendeines Zwanges war freilich nicht nach seinem Sinn. Der Standpunkt des Kurfürsten ist von vornherein klar: „Freiheit der akademischen Erürterungen über die schwe- benden Fragen, aber keine praktischen Neuerungen, weil sie die Quelle von Unruhen werden könnten“ s). Die Forderung des Universitätsausschusses vom 20. Oktober „— solchen misbrauch der messen in e. kf. g. landen vnd furstenthumen bald vnd sleunig abethun **) muß daher auf eine ablehnende Antwort stoßen: „— weil das ein grosße sache ist vnd das gantz commun gemeiner Christenhait betriefft,

das jr euch jn dem nit vbereylet —* „— das nichts furgenomen, noch vnderstanden werde, daraus zwispeldigkait, Auffrur vnd beschwerung erfolgen mocht —*5). Als es

dann Anfang Dezember trotzdem zu Tumulten und Aus- schreitungen kam), verlangte der Kurfürst sofortige Bestrafung der Schuldigen, und als eine „eintrechtige antwort“ “) von Universität und Kapitel nicht zustande kam, verbot er am 19. die Aenderung der Messe; nur die Disputationen durften fortgehen, aber „— mit einer oristlichen vnd ver- nunftigen maß“®), Daß Friedrich dem einzelnen die Freiheit des Handelns keineswegs beschränken wollte, ergibt sich aus zwei Briefen, die beide im Januar 1522 geschrieben sind. Der eine berichtet, daß der Kurfürst dem Stiftsherrn Amsdorf für den Ausfall an Einkünften, den dieser durch 1) Enders III Nr. 499. 3) ebd. Nr. 449, S. 208. 3) K. Müller: L. u. K. S. 10. 4) Nikolaus Müller: Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. 2. Auflage, Leipzig 1911 Nr. 16, S. 39. 5) ebd. Nr. 20, S. 52. *) ebd. Nr. 32. 7) ebd. Nr. 34 S. 76. *) ebd. Nr. 56 S. 124 ff.

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eigenmächtige Einstellung der Messe erlitt, Ersatz aus seiner Kammer versprochen babe !), und aus dem andern erfahren wir, daß die Heirat des Pfarrers von Lochau „sciente et ferente principe“ erfolgt sei”). Gerade diese Einzelzüge sind für Friedrichs ganzes Verhalten typisch.

Der Beschluß des Rates, die Bilder zu beseitigen, führte zu neuen Unruhen. Das Tumultuarische des Vorganges hat den Kurftirsten tief erregt, und so greift er denn erneut ein, diesmal durch seinen Rat Einsiedel. Es kommt zu den so- genannten Eilenburger Verhandlungen?), bei deren Beurteilung wir zum erstenmal zu der Kontroverse Barge-Müller Stellung zu nehmen haben. Barge betont zwar, daß der Kurfürst der Sache des Evangeliums nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber gestanden habe“), aber indem er die „Angst vor dem Nürnberger Reichsregiment^5) zum Leitmotiv für Friedrichs ganzes Verhalten macht, verbaut er sich von vornherein das Verständnis für alle weiteren Schritte, die der Kurfürst in dieser Sache tut.

Bevor der Nachweis für diese Behauptung erbracht werden kann, muß zunächst die Frage nach der Stimmung am Reichsregiment und nach der Entstehung und Bedeutung des Mandates vom 20. Januar 15299) beantwortet werden. Wieder sind hierfür die Forschungen Kalkoffs als grundlegend zu nennen. Er hat in seiner Untersuchung über die Mitglieder des Reichsregiments in ihrer kirchlichen Haltung ?) überzeugend dargelegt, daß das Regiment gerade in jenen Monaten nicht die schlechthin „katholische“ Behörde war, die den Kurfürsten zu rücksichtsloser Unterdrückung der evangelischen Bewegung im Sinne des Wormser Edikts zu nötigen beabsichtigt hátte*). Dasselbe Bild ergibt sich aus den Planitz-Berichten. Während Barge diesen Tatbestand völlig in den Hintergrund treten läßt, geht er gleichzeitig bei der Interpretation des reichs- regimentlichen Erlasses fehl, wenn er von ihm als von einem „geharnischten Mandat“ ) spricht. Mit Kalkoff!9) ist darauf

. 3) Theodor Kolde: Die Wittenberger Unruhen. Z. K. G. V, 1882 S. 331.

2) Gustav Kawerau: Der Briefwechsel des Justus Jonas, hsg. von der Hist. Komm. der Prov. Sachsen, Halle 1884, 1. Teil S, 83.

3) vgl. K. Müller: L. u. K. Anhang 2, S. 208 fl.

4) Barge: K. I S. 899.

6) Hermann Barge: Luther und Karlstadt in Wittenberg. H. Z. 99, 1907 8. 299.

*) Hermann Barge: Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522. Leipzig 1912 Nr. 2.

) Kalkoff: Worms. Ed. S. 8—19. 5) ebd. S. VI.

) Barge: H. Z. 99 S. 297. 10) Kalkoff: Worms. Ed, S. 20ff.

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hinzuweisen, daß es sich entgegen der Auffassung älterer Forscher!) keineswegs um eine Vollstreckung des Wormser Edikts handelt, und daß jener Erlaß daher nicht gegen die evangelische Bewegung als solche, sondern vielmehr zunächst nur gegen ihre Auswüchse gerichtet ist. Luthers Name wird überhaupt nicht genannt, das Wort „Ketzer“ sorgfältig ver- mieden. Die Neuerungen, die man in Wittenberg vorgenommen bat, werden zwar entschieden abgelehnt, aber zugleich ver- weist man auf ein Konzil, auf dem „solcher sachen halber ein bedechtliche, wolerwogne, gegrunte, gewisse erklerung, entorterung und determinacion furgenommen und beslossen werde“. Im tübrigen sollen Predigt und gütliche Ermahnung der Anwendung von Strafen vorangehen.

An dieser Stelle ist auch auf den Briefwechsel des Kurfürsten mit dem Bischof von Meißen?) hinzuweisen, der durch das Mandat vom 20. veranlaßt wurde, und der nach Barge Friedrichs Angst vor dem Reichsregiment noch verschärfte. Barge formuliert seine These dahin, daß der Kurfürst dem Bischof das Recht gegeben habe, „die Autorität der Papstkirche wiederherzustellen“?),, Demgegenüber muß mit Köhler?) betont werden, daß Friedrichs Schreiben als „höflich in der Form, aber inhaltlich sehr nichtssagend“ zu beurteilen ist. Mochte der Bischof immerhin, predigen, mochte er es mit einer Zitation der angeklagten Pfarrer versuchen das Recht dazu lag zweifellos auf seiner Seite. Aber darüber hinaus werden seinem Vorgehen sofort feste Grenzen gezogen, indem das kurfürstliche Schreiben die im Falle des Nichterscheineus verlangte Auslieferung jener Pfarrer mit einer zu nichts verpflichtenden Wendung ttber- geht‘) und schließlich ablehnt®).

Noch deutlicher tritt der Standpunkt Friedrichs in dem ungefähr gleichzeitigen Brief an den Merseburger Bischof zutage: „— E. g. wollen Ir. Churfl. vnd f. g. mit dießer suchung verschonen —“. Der Bischof möge sich vielmehr

1) vgl. z. B. Kolde: L. II S, 44; Banmgarten: Gesch. Karls V. 1I 8. 226,

2) K. Pallas: Briefe und Akten zur Visitationsreise des Bischofs Johannes VII. von Meißen im Kurfürstentum Sachsen 1522. A. R. G. V, 1908, S. 217—819.

*) Barge: K. I. S. 480.

*) Walther Kóhler, gelegentlich einer Nachprüfung der Karlstadt- Kontroverse in „Göttingische gelehrte Anzeigen“, 174. Jahrgang Nr. 9, Berlin 1912 S, 530,

5) A. R. G. V. Nr. 8 S. 249.

9) ebd. Nr. 88 S. 801 f. u. Nr. 88 S. 808f.

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so verhalten, daß „die Ere gots vnd die Liebe des negsten gesucht vnd sich niemancz vnbillicher beschwerung zu be- klagen habe“!),

Auf Grund dieser Nachprüfung muß es abgelehnt werden, das oben erwähnte Eingreifen des Kurfürsten als die „Ein- leitung einer weit ausholenden katholisch-kirchlichen Re- aktion^?) zu bezeichnen, wie denn auch mit Köhlers) und Kalkoff?) nur ein mittelbarer Einfluß des Mandates auf die Entschließungen Friedrichs anzunehmen ist. Bezeichnend scheint vielmehr ein Satz aus der bereits erwähnten In- struktion für Einsiedel®) zu sein: „Wer billich bedacht, das dennoch noch gar vil sind, die noch nicht in einem Rechten glauben beuestigt; vmb der kranngken willen muß man dennoch ein gedullt tragen.“ „Es ist genug auff ein malh auff den Rocken gewuntten"9) An eine Wiederherstellung der früheren kirchlichen Zustände denkt Friedrich keines- wegs. Man soll „Phillipus“ fragen, „wie es jm doch allent- halb gefall“ ).

Dem Reichsregiment gegenüber zieht der Kurfürst sich nach langem „Temporisieren“ auf die Briefe an die beiden Bischöfe zurück und versichert ganz allgemein, daß er sich als ein „christlicher Mensch“ halten wolle“). Wie er über das Regiment dachte, geht deutlich aus der ironischen Be- merkung hervor: wenn man sich doch um alles soviel kümmern möchte, wie um Luthers Sache! das wäre sehr nützlich, „dan wir haben noch nit gehort, das vom regiment etwas sonderlichs ausgericht oder gehandelt worden were“).

War es bisher unsere Aufgabe, die Haltlosigkeit der Behauptung Barges von einer durch den Kurfürsten ge- förderten „katholisch-kirchlichen Reaktion“ zu widerlegen, so haben wir uns im folgenden mit der Weiterführung dieser These zu beschäftigen, die Friedrich nicht nur in den Dienst jener Reaktion stellt, sondern zugleich Luther „als deren Exekutor“ 10) von der Wartburg nach Wittenberg zurück. kehren läßt.

An dieser Stelle setzt die bereits erwähnte Kontroverse Kawerau von Bezold ein, deren Betrachtung wir uns

) Förstemann S. 86. 3) Barge: K. I S. 408.

3) Köhler: a. a. O. S. 529, *) Kalkoff: Worms. Ed. S, VIII.

5) N. Müller nimmt an, daß Einsiedel selbst der Verfasser sein könnte. Dann gibt dieser aber zum mindesten die Auffassung des Kurfürsten sinngetreu wieder.

6) N. Müller: Die Witt. Bew. Nr. 92 S. 191 u. 193.

7) ebd. S. 192. ®©) Plan. Ber. Nr. 54, 2. 9) ebd. Nr. 15,5.

10) Barge: K. I S. 408

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zunächst zuwenden müssen, da Barge zu ihr Stellung nimmt und sie nach der oben angedeuteten Richtung hin ausbaut. Vor allem handelt es sich um die Interpretation der kur- fürstlichen Instruktion für den Eisenacher Amtmann Johanu Oswald!) Daß sie identisch ist mit der „Schrift und gnädigs Bedenken“, die Luther nach seinem Brief vom 5. März?) noch am 28. Februar, also am Abend vor seinem Aufbruch, erhielt, ist durch die Ausführungen von Bezolds überzeugend nachgewiesen?) Es fragt sich: was hat der Kurfürst gewollt, als er jenes Schreiben verfaßte? Kawerau liest aus seinen Worten den Notschrei heraus: „komm', aber komm' gegen meinen Willen!“‘) In seiner späteren Schrift“) schließt er sich dann von Bezold an, der in dem Brief des Kurfürsten ein Bekenntnis seiner Ratlosigkeit erblickt, und betont seinerseits stark die Unentschlossenheit Friedrichs, „die aus dem Abwägen des Für und Wider nicht heraus- kommen konnte". Barge steht der von Kawerau 1893 ver- tretenen Auffassung nahe ). Er spricht von einer verklau- sulierten Einwilligung“ Friedrichs, natürlich auf Luthers eigene Gefahr hin. Dieser hätte sich jedenfalls, „wenn er als Exe- kutor der Vorschriften des Reichsregiments auftrat, so vor- teilhaft, wie es unter den augenblicklichen Verhältnissen irgend denkbar war“, wieder eingeführt”).

Sehen wir uns die Instruktion selbst an. Daß, wie Barge es ausdrückt, aus jeder Zeile „die Angst vor den möglichen Folgen des Mandats vom 20, Januar“ spricht“), wird, ganz abgesehen von allem bisher Ausgeführten, schon dadurch widerlegt, daß der Kurfürst erklärt, vor einem rechten Kreuz habe er kein Entsetzen. Freilich: er ist sich nicht klar dartiber, ob das, was in Wittenberg geschehen ist, „von Gott sein sollte“ ), und daher bittet er den Reformator um seinen schriftlichen Rat. „Denn S. Chf. G. wolle je nicht gerne etwas thun oder vornehmen, das Gottes Willen und seinem heiligen Wort zu entgegen sein sollt“ 10). Von Luthers Kommen rät er ab ,— daß er sich noch zur Zeit in keinen Weg wiederum dahin thun sollt —“ 1). Friedrichs Ratlosigkeit bezieht sich also nur auf die Wittenberger Zustände. Müller bezeichnet seine Stellung zu Luthers Rückkehr mit Recht

1) Enders III Nr. 484,

2) E. A. 53 S, 104 ff. 3) v. Bezold: Z. K. G. XX S. 202ff. *) Kawerau: Dtach. Lit.-Z, 1898, Sp. 1586.

5) Kawerau: Luthers Rückkehr 1902 S. 44,

©) Barge: K. I S. 482 Anm. 258. ) ebd. S. 483 f.

*) Barge: H. Z. 99 S. 302. ) Enders III Nr. 484 S. 295. 10) ebd. S. 293 11) ebd. S. 294.

256 96

als „durchaus einheitlich“ 1). Er hat sie nicht gewünscht), konnte siein diesem Augenblick auch gar nicht wünschen?), was freilich ein Sich-Beugen unter die Einsicht dessen, „der dieser hohen Sachen erfahren“, nicht ausschließt, denn,. wie von Bezold es fein ausdrückt: „Luther war für ihn längst zum berufenen Küudiger des göttlichen Willens, zur Autorität in den höchsten und schwersten Fragen geworden“ ). Es geht daher nicht an, im Sinne der Koldeschen Richtung von einem Schutz des Kurfürsten nur für die Person, nicht aber für die Sache Luthers zu sprechen. Sie stehen beide auf einem und demselben Boden und fühlen sich eins in dem- selben Glauben, wobei natürlich keineswegs verkannt werden soll, daB in dem Glauben des Kurfürsten ein Ungentige, ein „Noch nicht“ liegt, wie Luther es frei und unerschrocken ausspricht: „Wenn E. K. F. G. gläubte, so würde sie Gottes Herrlichkeit sehen; weil sie aber noch nicht gläubt, hat sie auch noch nichts gesehen“ ). Friedrich entbietet ihm darauf seinen „gnädigen Gruß“!®)

Wenn wir noch einmal auf die Auffassung Barges zurtick- greifen, so ist zu betonen, daß er den Kurfürsten wie auch den Reformator in gleicher Weise vor den „Wagen der katholischen Reaktion“ ) eingespannt sein läßt, insofern also beide, wenn auch von verschiedenen Motiven herkommend, als Vertreter des gleichen Standpunktes charakterisiert, den er dahin zuspitzt, daß Luther zwar „bona fide“ handelte), in Wahrheit aber doch der ,Geschobene* war, der die Rolle spielen mußte, die der Kurfürst ihm zugedacht hatte. Es würde den Rahmen dieses Themas sprengen, wenn in Wider- legung Barges die Frage erörtert würde, in welchem Sinne sich Luthers erste Arbeit in Wittenberg gestaltete, und ob die Auffassung von ihm als dem „Mandatar des Reichsregiments“ *) stichhaltig ist. Barge sieht eben nur „Katholiken und Evan- gelische in feindlicher Spannung“ sich gegenüber und weiß nichts von jener andern Welt, ,die dem Evangelium freundlich gesinnt war oder noch gewonnen werden mochte, die aber an dem gewaltsamen raschen Vorgehen der Wittenberger

1) K. Müller: L. u. K. S. 98f

3) vgl. hierzu die Aussagen Friedrichs: Enders III Nr. 490 S. 808 Z. 35 fl., Luthers: E. A. 68 S 110 u. Melanchthons C. R.I Nr. 905.

3) Die Motivierung hierfür gibt von Bezold: Z. K. G XX, S. 207fl.

4) ebd. 5) E. A. 58 3. 109. ) Enders III Nr. 486.

7) Barge: K. I S. 489.

*) Hermann Barge: Zur Genesis der frühreformatorischen Vor- günge in Wittenberg. Hist. Vierteljahrsschrift 17, 1. 1914 8. 20.

?) Barge: K. I S. 438.

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Anstoß nehmen konnte, weil sie innerlich von den alten Ordnungen nicht loskam“!), Wie wahrhaft weise hatte doch Friedrich gehandelt, wenn er gewiß auch mit Rücksicht auf die scharfen Augen Herzog Georgs am Reichsregiment aber doch vor allem im Hinblick auf die „Schwachen“ die junge Bewegung davor bewahrte, sich in Aeußerlichkeiten zu verlieren, die einem neuen System des Zwanges bedenklich nahe kamen. Und wieder sehen wir den Kurfürsten und den Reformator Seite an Seite stehen, schlug doch Luther pach seiner Rückkehr von der Wartburg eben dieselben Wege ein: ,Die Sache ist wohl gut an ihr selbs, aber das Eilen ist zu schnelle. Denn auf jener Seiten sind auch noch Brüdere und Schwestern, die zu uns gehören, die müssen noch herzu gebracht werdet. Der Glaub' soll stet und fest stehen, aber die Liebe muß und mag sich lassen lenken, wie man siehet, daß siehs schicken will nach des Nächsten Nothdurft^?). Und an einer andern Stelle derselben Predigt des Invocavit-Sonntages heißt es: „Ihr solltet Gott zuvor mit Ernst drumb gebeten haben, und die Oberkeit dazu genommen haben, so wüßte man, daß es aus Gott geschehen wäre“ 3).

Die noch folgenden drei Jahre des Zusammenwirkens zwischen Friedrich dem Weisen und Luther können hier nur in ganz großen Linien weniger gezeichnet als angedeutet werden.

Es ist ein ergreifendes Bild: auf der einen Seite der Reformator, der, wo es um den Glauben geht, Rücksichten nicht kennt: „was gehet uns der Kurfürst in solchen Sachen an!“*) und auf der andern der alternde Fürst, dem dureh tausend Rücksichten die Hände gebunden sind, dem Luther immer wieder dazwischen fährt, wenn er gerade mühsam einen Ausgleich geschaffen, eine drohende Gefahr abgewendet hat. Er weiß „der man zu Nürenberg feihert nicht“ ); er muß es mehr als einmal hören, daß man darnach trachtet, ihn „umb die cuhr zu brengen“ ). Aber all das macht ihn nicht irre in der unerschütterlicehen Treue, mit der er an Luther um des Evangeliums willen festbält. Wohl hören wir ihn sagen, daß ihm „die verdrißlichen buchlein nie gefallen“), wohl äußert er sicb besorgt, Luther „werd die sach von neues verderbt und den Rein angezundt baben“®), aber nie findet er ein hartes Wort. immer bat er ein offenes Ohr für die vielen Wünsche des Reformators.

1) K. Müller: L. u. K. S. 103.

3) E. A. 28 8. 911. 3) ebd. S. 218. 4) E. A. 53 S8. 179. 5 A. R. G V S. 345, Nr. 5 |

6 Plan. Ber. Nr. 132, 8; s. a. Nr. 200, 2. D ebd Nr. 66, 1. e) ebd. Nr. 180.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 3/4. 17

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Ein tiefes Gottvertrauen spricht aus seinen Briefen: „der almechtig Got mack alle sachen nach seinem gotlichen willen wol uns armen sundern zu besten schicken, wan er wil. Dar umb so ist nichts bessers, dan unsern willen ganz in den seinen zu setzen und inen machen lassen 1)“. Als er von Maßnahmen der Kurie, von „pollen und mandata“?) hört, äußert er, man müsse „solchs und anders, das uns in diser sach mit unschuld aufgelegt und zugemessen wirdet, unserm hergot bevelhen‘®),

Das bedeutet nun aber keineswegs einen Verzicht auf die Ausnutzung der Machtmittel, die ihm zu Gebote stehen, und die Planitz in wahrhaft meisterhafter Weise geltend zu machen weiß ganz im Sinne seines hohen Herrn. Man hält Herzog Georg immer wieder mit nichtssagenden Worten hin „man wolde es aber besehen und was pillich alsdan darinnen vorfugen“‘) und dabei bleibt es. Ein päpstliches Breve an Erzherzog Ferdinand hatte Friedrich in nicht mißzuverstehender Weise zu den Fürsten gerechnet, die „lieber der Lutterischen finsternis, dan dem crist- lichen liecht, und dem irtomb, dan der warheit nachfolgen wollen“®). In den offiziellen Kundgebungen, die er als Landes- herr und nicht als Privatmann schreibt, kann er freilich nicht darüber hinausgehen, zu versichern, man solle ihn „nimermher anders befinden, dann als einen cristlichen menschen“ e), aber in seinen vertraulichen Briefen an Planitz macht er kein Hehl daraus, wie er zu „evangelium und wort gots^?) steht. Man solle ihn doch nicht deswegen anfechten, „daz das heilige evangelium in unsers brudern und unsern landen diser zeit mer dan zuvor gepredigt werd 1), denn es „steht zu besorgen wo das wort gotes ver- hindert wirdet, das al ding, mit was vorsichtigkaid und rat die beschlossen, umbstoßen werden “)

Aber noch war es nicht so weit, noch war es nicht gelung en, das deutsche Volk unter das Joch jenes furchtbaren Ediktes zu beugen, das römischer Geist ersonnen hatte, und dem die spanische Weltmacht ihren Arm zu leihen entschlossen war. Leber die ersten gefährlichsten Jahre war das Refor-

1) A. R. G. V S. 805.

2) Plan. Ber. Nr. 95, 2

3) H. Virck: Nachtrag zu den Berichten des Kursächsischen Rates Hans von der Planitz Z. K. G. XXVII 1906 S, 204.

) Plan. Ber. Nr. 63, 2. 5) ebd. Nr, 180, Beilage.

9) ebd. Nr. 84,2; vgl. a. S. 869 Anm. 8, Nr. 152, 158, 168 u. Nr. 135,2 u. S. 813 Anm. 1.

?) ebd. Nr. 141,7. *) ebd. Nr. 136, 4. *) ebd. Nr. 120, 3.

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mationswerk hinweggerettet. Denn wenn auch jener dritte Reichstag von Nürnberg den Ständen die Befolgung des Wormser Edikts zur Pflicht machte ,sovil inen muglich“ ), 80 bedeutete diese Einschrünkung von vornherein den Verzicht auf seine Durchführung. Es war, wie Planitz einst anläßlich der Türkenhilfe sagte, „allein auf ein pappir gemalt“ ). Blicken wir noch einmal auf den Briefwechsel Luthers, so überrascht die große Anzahl von Schreiben, in denen der Reformator sich in diesen Jahren z. T. an den Kurfürsten, meist aber an Spalatin wendet, um Fürbitte für ibm nahe- stehende oder in ihrer Not zu ihm kommende Menschen ein- zulegen“). Sein Drängen und sein Eifer, wenn es ihm um eine Sache zu tun ist, haben zuweilen etwas Rührendes und zeugen von dem tiefen Vertrauen, das er in die Herzensgüte seines Fürsten setzen durfte. „Eure Kurfürstl. Gnaden solle gewiß sein, daß ich den Mann nicht werde also lassen, ich werde ehe selbs für ihn betteln, und wo das nicht will helfen, auch rauben und stehlen, allermeist dem Kurfürsten zu Sachsen, was ich am nähesten finde", und mit einer schalkhaften Wendung heißt es dann: „ich wollt dennoch von E. K. Gn. ungehänget sein, wenn ich schon allen Heiligen ein Kleinod raubet in solcher Noth“*). Diese Bittschreiben hören auch dann nicht auf, wenn die Vorsicht und das Zaudern des Hofes Luther zu harten Worten fortreiBen, wie das besonders bei den Verhandlungen über die Aufhebung des Wittenberger Stiftes der Fall ist. Man kann eben, wie Lockemann®) mit Recht betont, „Luthers Verhältnis zu Friedrich vom Standpunkt des ersteren aus angesehen nieht durch nur eine stets gültige Formel“ bestimmen wollen. Aber in einem wußten diese beiden so ungleichartigen Kämpfer sich immer wieder zu finden: in der Liebe zu dem reinen Gotteswort des Evangeliums, das Luther seinem Volke. neu erschloß. Eilig läßt er den Kurfürsten an diesem kost- baren Schatz teilnehmen. Bereits im Mai 1522 übersendet er den Matthäus), im September dann das ganze Neue Testament’). Von Friedrich aber hören wir, daB er dem guten Lutherer“ in Nürnberg schon Anfang November das Werk des Reformators hat zukommen lassen, und daß er in einem Brief an Tacher vom 14. Dezember erfreut äußert: „Daß Ihr Euch unterstanden, dasselb Buch auszulesen, hören wir gern; aber weil ihr uns so lang ohne Antwort gelassen,

1) R. A. IV S. 608. 3) Plan. Ber. Nr. 59,9. 3) vgl. Enders III, IV, V. *) E. A. 68 S. 180f. 5) Lookemann: a. a. O. S. 44. 6) Enders III Nr. 538.

7) Enders IV Nr. 574 u. 575. 17*

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haben wir besorgt, man möcht vielleicht dasselb Buch zu Nürmberg verboten haben, als dann an andern Orten mehr auch mag geschehen sein“ !).

Die evangelische Gesinnung, die sich in diesen Worten ausspricht, hat Friedrich dann auch im Sterben bezeugt: „Darnach empfingen auch ibre Chf. G. das hochwürdige Sakrament des wahren Leibs und Bluts unsers lieben Herrn und Heilauds vermöge seiner heiligen Einsetzung ganz und gar in beider Gestalt mit solcher Andacht, Ernst und Innig- keit, dab wir alle weinten, soviel unser darbei waren“). Zu seinen Lebzeiten hatte er stets als Fürst handeln müssen, das „nur- Mensch- sein“ war ihm selten beschieden. Es gehört vielleicht mit zu den Opfern, die das Leben von ihm forderte, daß ihm im Herzen eine Sache brannte, die er nur schützen konnte, indem er sein Inneres verschloß und ganz „Fürst“ war, bis ibm dann die Todesstunde das volle Bekenntnis zu Luther und seinem Werk freigab.

Was die deutsche Reformation an Friedrich dem Weisen gehabt hat, das hat niemand schöner ausgesprochen als Luther selbst. Uebermannt vom Schmerz klagt er: „O mors amara non tam morientibus quam iis quos relinquunt mortui vivos" ), und als seine Gedanken dann in die Zukunft schweifen, da kommt ihm die ganze Schwere des Verlustes erneut zum Bewußtsein. Gott hat das „Gefäß“ zerbrochen, möge er nur „den Schatz und das Gut“ nicht auch wegnehmen“), denn „bie liegt das Häupt, das Friede hat gehalten“ ').

Wir stehen am Schluß. Ein letztes Urteil bleibt uns zu fällen übrig, und es kann nur dieses sein, daß wir Friedrich dem Weisen den huhmestitel eines „Schirmherrn der Reformation" im Vollsinn des Wortes zuerkennen nicht nur dürfen sondern müssen.

1) St. Kr. 1882 8. 700.

5) Spalatin: Fr. d. W. Leben S. 65, s.a. S. 30; vgl. E. A. 58 8. 808 u. E. A. 30, S. 423

3) Enders V Nr. 921. *) E. A. 17 S. 184.

5) ebd. S. 191. Virck, Dtsch. evg. Blätter XXIX stellt Friedrich den Weisen und Luther Kaiser Wilhelm I. und Bismarek gegenüber.

Der Trübauer Superintendent Satbauch. Von Theodor Wotschke.

Iglau, Znaim ^, Sternberg, auch Olmütz nennt Loesche in seiner glänzenden Geschichte des Protestantismus iu Oesterreich als Horte des Luthertums. Er hätte noch Trübau hinzufügen können. Früh gewann bier die Reformation Wittenberger Gepräges Boden. Schon am 29. Juli 1534 ließ sich ein Trübauer Stadtkind, Johann Briller, in der Elb- stadt einschreiben. Bedeutungsvoll aber wurde für Trübau das Studium von Johann Satbauch oder Satpogius an der Leucorea seit Sommersemester 1538. Denn nach seiner Rückkehr, bald Pfarrer und Superintendent in seiner Vater- stadt, entfaltete er eine gesegnete Tätigkeit und gewann die ganze Stadí und Umgegend für die Reformation. Die Schule baute er aus zu einer evangelischen Bildungsstätte. An sie berief er im Einverständnis mit dem Rate der Stadt zum Rektor Paul Eckel, einen Sohn des Schwenckfelders Fabian Eekel, der von 1538— 1546 Pfarrer in Glatz war, nach dessen Tode 1570 Wenzel Faber, einen gebornen Trübauer, der 1559 im Alter von 17 Jahren auf seinen Rat nach Goldberg gegangen war, dann in Wittenberg studiert und schließlich seit 1565 Eckel im Unterrichte unterstützt hatte?). Den Bürgerkindern, denen die Stadtschule nicht genügte, empfahl er die höheren Schulen in Brieg und Breslau®), vor allem aber in Goldberg). Mit den Refor- matoren stand er in ständigem Briefwechsel. Häufig sandte er ihnen Berichte, und konnte von Melanchthon und Bugen-

1) Vgl. Tb. Wotschke, Des Znaimer Pfarrers Stumpf Briefe an Meisner in Wittenberg. Zeitschrift des Deutschen Vereins für die Geschichte Mährens 1918.

5) Am 4. Mai 1572 in Wittenberg für Wassatitz in Oesterreich ordiniert.

3) Florian Nerger aus Trübau oder Neustadt in Mähren, 1558 in Brieg, 1556 in Breslau, seit dem 4. Oktober 1557 in Wittenberg, dort am 26. Oktober 1561 für Grosan ordiniert.

4) Hierhin gingen aus Trübau etwa 1562 Bartholomäus Bohm, am 9. Oktober 1569 für Neusiedel ordiniert. Obwohl er 1565 und 1588 an der Leucorea studiert hat, bietet die Universitätsmatrikel seinen Namen nicht. Ferner besuchten aus Trüban das Goldberger Gymna-

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hagen sich mancher Antwort freuen. Seit dem 30. April 1563 studierte an der Leucorea Martin Marisch aus Mähren. Da er arm war, trat er als Famulus in die Dienste des Professors der griechischen Sprache, Veit Oertel, gewöhnlich Windsheimer genannt. Als Marisch an Satpogius, dem er zu Danke verpflichtet war, Ende 1563 Ebers Schrift vom heiligen Abendmahle schickte, bestimmte er die ange- sehensten Lehrer der Hochschule, Paul Eber, Georg Major, Kaspar Cruciger den Jüngeren, Paul Crell, Veit Oertel in das Buch kurze Lehrworte über das heilige Abendmahl, über die Gegenwart Christi im Sakrament einzutragen. Natürlich war der Trübauer Superintendent darüber hoch erfreut. Er schätzte die Autographen, noch mehr aber das klare Bekenntnis zur lutherischen Abendmahlslehre. Die Behauptung der Flacianer, die Wittenberger hätten die Gegenwart Christi im Sakrament aufgegeben, schien ihm widerlegt. Auch die Pastoren der Umgegend, denen er das Buch zeigte, bekundeten ihre Freude. Am 27. Februar 1564 schrieb Satbauch seinen Dank nach Wittenberg.

Noch ein besonderes Anliegen drückte ihm die Feder in die Hand. Schon lange ist bemerkt worden, daB Flacius im Oesterreichischen besonders viele Anbünger gehabt hat. Zu erklären wußte man es nieht. Zuletzt hat noch von Walther in der Besprechung der Geschichte des Protestan- tismus in Oesterreich von Loesche die Frage aufgeworfen, die noch eine Antwort heische: „Worauf beruhte der sehr starke Einfluß der Flaeianer im österreichischen Protestan- tismus im Reformationsjahrhundert 1)?“ Hier muß ein eifriger Anhänger des lllyrikers gelebt haben, der für diesen ge- worben, gegen die Wittenberger gearbeitet, unter den Pastoren und Adligen wider sie Stimmung gemacht, gegen die Philippisten eingenommen hat. Ich kann ihn auch nennen, Christoph Reuter, seit 1555 Schloßprediger bei Leopold Grabner zu Rosenburg und Pottenbrunn am Kamp. Im Jahre 1559 war er gegen einige Anhänger Calvins auf- getreten, hatte ihre Berufung auf die Augustana samt der Behauptung, daB diese gar nicht von der leiblichen Gegen- wart Christi im Abendmahl rede, zurückgewiesen und mit

sium 1562 Johann Krüger, der im April 1564 mit einem Hardeggschen Stipendium nach Wittenberg ging, hier sieben Jahre studierte, Magister wurde und am 15. Juli 1571 sich für Günzdorf ordinieren ließ, gleich- falls 1562 Wenzel Satpogius, wohl ein Sohn des Superintendenten, seit dem 8. Mai 1566 in Wittenberg und am 12. September 1572 hier ordiniert,

1) Vgl, Theologische Literaturzeitung 1928 S, 41.

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etlichen österreichischen Adligen Melanchthon zur Ent- scheidung angerufen, dieser natürlich nur zurückhaltend geantwortet!) Reuter erkannte, daß Melanchthons Abend- mahlslehre nicht mehr mit der lutherischen identisch war. Er schloß sich seinen Gegnern an, gab auch 1562 in Verbindung mit dem treuen Flaciusfreunde Nikolaus Gallus ein Glaubensbekenntnis in Regensburg heraus?), tat Gallus und Flacius, der Anfang 1562 in Regensburg Zuflucht ge- sucht hatte, in Oesterreich und Steiermark eine weite Tür auf?) Bis nach Mähren schickte er seine Konfession und rief auch bier zur unverfälschten Lehre Luthers zurück. Selbst hier nicht ohne Erfolg. Der Graf Wolfgang Theoderich von Hardegg auf Letowitz*) übergab 1563 Reuters Be- kenntnis dem Trübauer Superintendenten und bat um seine Widerlegung. Satbauch entsprach dem Wunsche. Seine Arbeit schickte Hardegg an Reuter, der sie mit Spott und Hohn abtat?) Da Satbauch viel daran lag, ein Urteil aus maßgebendem Munde zu erhalten, sandte er jetzt seine Ent- gegnung samt dem Reuterschen Bekenntnis nach Wittenberg an Eber und bat um seine Ansicht. Nach anderthalb Jahren mußte er sein Gesuch erneuern und wieder eine Abschrift der Reuterschen Konfession an Eber senden, weil die erste in Wittenberg verloren gegangen war?) Nur das Drängen des Oertelschen Famulus Martin Marisch bestimmte ihn jetzt zu schreiben. Da Hardegg inzwischen verstorben und die Flaeianer in Mähren ruhiger geworden waren’), hätte er am liebsten die Auseinandersetzung mit Reuter nicht weiter ver-

1) Vgl. Loesche, Luther, Melanchthon und Calvin in Oester- reich-Ungarn, S. 150 ff.

9) Bekenntnis und Rechenschaft der Lehre des Glaubens und der Predigten Christoph Reuters.

3) Kawerau zitiert in der Realenzyklopädie VI, 368 in dem Artikel Gallus die Worte aus Chytrüus ,totius viciniae, Austriae et Stiriae, ecclesias emendavit, doctrina et consiliis suis pie et fideliter erudiit et gubernavit."

*) Sein Sohn Johann seit dem 5. Juni 1572 Student in Wittenberg.

) Vgl. Beilage 1.

*) Vgl. Beilage 2.

?) Doch behielten sie anscheinend Einfluß, und der Gegensatz gegen die Philippisten in Wittenberg wurde auch später in Mähren hie und da empfunden. Es gibt doch zu denken, daß Joh. Adelphus, Wenzel Parmenian und Joh. Martinides unter dem 24. Oktober 1590 an den Rostocker Stadtsuperintendenten Simon Pauli sich wenden und ihn bitten, den ins Pfarramt berufenen Johann Gelasinus zu ordi- nieren. Vergl. Chytraeorum epistolae S. 782.

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folgt. Sie ruhte auch hinfort, obwohl Reuter im Herbst 1565 noch einmal in Mähren erschien und den gerade krank liegenden Grafen Hardegg von neuem für sich zu gewinnen suchte. Bis in den November d. J. hinein wartete Eber mit seiner Antwort. Ihre Verzögerung scheint den Trübauer Superinten- dent etwas verletzt zu haben. Als Wenzel Satpogius 1565 Goldberg verließ und im Mai nach Wittenberg ging, erhielt er Empfehlungsschreiben an Georg Major, nicht an Eber.

Noch bemerke ich, daß Flacius selbst im Sommer 1563 Oesterreich durchreist, nach Handschriften für sein kirchen- geschichtliches Werk gesucht, aber natürlich auch für seine Lehre geworben hat!) In Wittenberg empfand man wobl, daß Oesterreich an den Flacianismus verloren zu gehen drohe, aber es fehlte an geeigneten Kräften, sie zur Gegenwehr dort- hin zu senden ?).

) Eber unter dem 15. Okt. 1563 an einen Ungenannten: „Illyricus praetextu profectionis institutae in patriam perreptavit totam Stiriam, Austriam et vicinas regiones adhuc conquirens libros ad aureum illad opus historiae, plus auri tamen quam codicum secum Ratisponam ad- vexit, ut aiunt". '

1) Eber an den Dresdener Hofprediger Ambrosius Claviger unter dem 17. Mai 1563: „Mitto ad vos scriptum doctoris Jacobi Andreae, ex quo cognosces, quatenus probet confessionem nostram et quam anxie quaesitis argumentis conetar tueri sui magistri navroroniav, quod valde sum miratus. Mitto etiam literas Austriacas, quibus a me petitur, ut mittam aliquem idoneum ministrum verbi ad d. Adamum Hofman ba- ronem, quo in loco si aliquis recte institutus, pius et cum moderatione acris, evangelii doctrinam sine corruptelis et illis Flacii subtilitatibus et cıiminationibus aliorum docuerit, plurimum prodesse per totam Austriam, Stiriam et vicinas regiones poterit, eo quod ad istum dominum potentem multi alii barones saepe commeant et ispe in aula imperatoris et regis maxima, ut audio, autoritate imprimis valet. Sin autem ali- quis ex factione Flacica illic regnum obtinuerit, id quod Gallus laborat, sicut ex ipsius epistola cognosces, cuius copiam una mitto, facile cogi- tare potes, quantum mali sit conciliaturus illis ecclesiis assidua condem- natione harum. Quare valde anxie laboro, ut aliquem idoneum doctorem eo mittam retinens mecum per aliquot iam dies tabellarium ea de causa cum baronis literis ad me missum. Sed quo circumspicio diutius, eo minus invenio aliquem, cui talis functio tali in loco committi possit tuto. Omnium nostrum iudicio maxime aptus foret Basilius Camerhofer multis de causis. Sed vos ita inclementer tractatis nos, si rogati aliis quoque ecclesiis, id quod semper antea quoque factum est, consulendum censemus, ut sicut fundulos, variolos, lepusculos, aviculas etiam prope- modum antea communes omnibus per vos capere nemini licet impune ita existimatis vos dominos esse ministrorum ecclesiarum vestrarum

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1. Johann Satbauch an Paul Eber).

Reverendissime vir, clarissime domine doctor! Fuit hoc meum perpetuum non solum studium, sed magna simul conso- latio, ut, quoties se preberet occasio, ecclesiarum nostrarum eonstitutionem theologis Witebergensibus, praeceptoribus meis observandis, significarem, non ut inde gloriolam aliquam captarem, sed partim ut illi agnoscentes magnam gratiam, quam deus ecclesiis in hoc obscuro angulo Moraviae inter tot sectas et tyrannidem pontifieiam colligendo, gubernando et defendendo eas contulit, una nobiscum ei gratias agerent a6 pro propagatione eiusdem sanae et incorruptae doctrinae efiam ad nostros posteros simul orarent, partim ut testaremur nos esse membra verae ecclesiae Christi sonantes et discentes non aliam doctrinam, quam quae in seriptis propheticis et aposto- lieis continetur eo modo, quo eam in schola Witebergensi ab eleetis Christi organis, Luthero, Philippo, Pomerano et aliis, divina favente clementia didieimus. Nee frustraneum quidem hoc studium meum fuit, sed aliquoties d. doctor Pomeranus et d. Philippus etiam seripto gratulati sunt nobis eam felici- tatem et ad constantiam hortati sunt. Quibus hoc tempore successit et accessit nova consolatio ex schola vestra.

Cum enim quidam studiosus in hoc nostro oppido natus, eximii viri doctoris Winshemii senioris famulus, libellum reverendissimae tuae dignitatis de coena domini ad me mittere statuisset, impetravit a. R. D. T. primum, deinde a d. Georgio Maiore, Paulo Crellio, Casparo Crueigero, Vito Winshemio seniore et filio etc., ut inscriberetis singuli dicta ac pleraque de vera eorporis et sanguinis Christi in coena praesentia, quod non solum maximam mihi et reliquis harum ecclesiarum ministris voluptatem ef singulare gaudium attulit, sed simul rumorem illum de schola vestra per malevolos apud nos sparsum sedavit et ad abolendum eum porro valde erit utile. Pro quo beneficio ego omnibus et singulis maximas, quas possum, ago gratias. Licet enim nos ministri hic persuaderi nunquam potuimus talem inconstantiam in laudatissimam scholam vestram tam brevi temporis

adeo, ut qui semel suam operam vobis ad tempus addixerit, ei nefas sit, extra territorium vestrum pedem movere. Quare neque indicare illi hanc conditionem audeo neque scio, quomodo illis ecclesiis sitien- tibus sinceram evangelii doctrinam prospici queat. Sumus etiam rogati superintendentem Stetinum mittere in locum defuncti M. Pauli Rhodae et officialem in Luben Lusatiae inferioris, ad quas functiones etiam non reperimus idoneos. Ita crescit penuria docentium, neque quisquam cogitat serio de tempestivo remedio.“

1) Die drei Briefe sind der Gothaer Landesbibliothek entnommen.

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spatio potuisse cadere, tot ac tantis verae Christi ecolesiae columnis superstitibus ac calentibus adhuc cathedris templi et scholae pia et sana doctrina summorum luminum in ecclesia praeeeptorum nostrorum charissimorum, doctorum inquam, quos divina clementia post peraetos labores hine evocavit et ad meliorem vitam transtulit, tamen re vera multis magni etiam nominis persuasum hoc fuit, maxime priusquam scriptum illud R. T. D. vulgatum esset, unde nobis non exiguus dolor accessit. Suspicor autem flacianos non mini- mam operam impendisse, ut rumor ille sparsus pro vero haberetur et cotidie augeretur, qui et ipsi nobis et doctrinae sanae incipiunt struere insidias. Conciliant sibi astu magnatum veritatis cupidorum animos, in illorum aulas se insinuant, ecclesiam Witebergensem omnibus modis contempti- bilem etf exosam reddere cupientes.

Edidit confessionem suae fidei quidam Christophorus Reuter, quam ex Nicolai Galli officina profectam esse multa sunt indicia, eam R.D.T. transmitto, si apud vos nondum habetur. Hio nullibi reperitur venalis, sed baronibus et nobilibus Moraviae communieatur bie thesaurus secreto et plerique suscipiunt, quod ad Augustanam confessionem et doctrinam Lutheri incorruptam provocet. Iussus fui ego anno superiori a magnifico d. comite in Hardegg (fratre eius comitis!), cuius nomen in causa divortii venerandi viri Joannis Hofmanni?) studiosis Witebergae innotuit) iudicium meum de ea confessione scripto comprehendere, quod tandem ipsi Reutero oblatum fuit, sed, bone deus, quibus rhonchis et sannis explosum! Cum igitur, clarissime d. doctor, praeter omnem spem scribendi occasio nunc data sit, ausus sum ad R. D. T. illad ipsum iudicium germanice in gratiam d. comitis scriptum una cum confessione Reuteri mittere ac quantum possum submisse oro, ut aliquando R. T. D. sententiam suam de utroque ad me brevibus saltem perseri- "here velit. Sic sentio, ut in eo scripto iussus pro mea tenuitate me declaravi. Si erro, paratissimus sum meliorem ex schola ef ecelesia vestra profectam sententiam amplecti. Flacia- norum insanos clamores nil moror. Bene et feliciter in domino valeat R. D. T. ac eeclesias nostras sibi commendatas habeat. Datae Triboviae, oppido Moraviae in finibus ad silvam Gabretam sito, die paenultimo Februarii a. 1564 T. R. D. addictus Ioannes Satpogius, pastor ecclesiae Triboviensis.

1) Joh. Friedrich von Hardegg. Er gewährte manchem begabten Jüngling die Mittel zum Studium im Wittenberg,

) Vgl. Georg Buchwald, Wittenberger Ordiniertenbuch Nr. 1018 und 1063,

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2. Joh. Satbauch an Paul Eber.

Salutem in Christo! Reverendissime d. pastor! Scripsi aliquando ad V. Exc. et una misi scriptum quoddam, quo sen- tentiam meam de confessione Christophori Reuteri iussus ab illustri d. comite Volfgango Theodorico in Letowicz compre- henderam neque tamen temeritate quadam impulsus, sed ab ipso d. comite instigatus et quodammodo coactus feci, eumque flaciani, quibus illud videndi copia facta fuerat, indignius tractassent, prorsus videbatur necessarium de eo V. Exc. iudicium requirere, Sed quia tandem mitiores facti et deus pium comitem ex hae vita evocavit, non institi neque ab eo tempore ad V. Exe. quiequam literarum dedi. Porro popularis meus Martinus, qui in schola vestra apud eximium d. doctorem Vinshemium famulum agit, non desinit me instigare, quo denuo ad. V. Exc. scribam et exemplum illius seripti in loeum prioris, quod periit, mittam, eo quod eupiat mihi V. Exc. gratificari. Quod igitur felix et faustum sit, mitto, quantum habeo, confessionem Reuteri typis excusam ab eo tempore non vidi, exemplar autem, quod antea miseram, d. comes tradidit. ludicium de ea ex cartis, ex quibus antea íransseripseram, denuo íransseripsi. Sic sentio, si quid erro, paratus sum meliorem ex schola vestra sententiam profectam amplecti. Oro autem Exc. V., ne meam, si ita videbitur, importunam flagitationem mihi male vertat. Seio me seribere ad occupatissimum, denique ipse meae tenuitatis mihi conscius sum. Si tamen hine aliqua ad ecclesiam utilitas in his nostris locis provenire possit, facile vel brevi aliquo saltem amico responso contentus ero. Certo etiam scio multos bonos viros de nostrarum ecclesiarum statu et constitutione in dominio Triboviensi apud V. Exc. fecisse mentionem, quae ut nune pie constitutae sunt, sic etiam ad posteros nostros perdurent, deum toto pectore oro. Bene valeat Exc. V. Triboviae 3. Augusti 1565. V. Exc. reverenter eolens Joannes Satpogius, pastor ecelesiae Triboviensis in Moravia.

3. Joh. Satbauch an Paul Eber.

Gaudeo tandem tuae rev. paternitati contigisse videre ef legere scriptum meum, quod indesinens studium, quod fuit in illustri d. comite in Hardeg p. m., cognoscendi veritatem inter tot corruptelas non iam simplicis textus sacrae scripturae, sed lueubrationum quoque horum hominum, quos deus nostro tem- pore ad illustrationem et explicationem eiusdem et uberem verbi propagationem excitavit, cuius generis etiam confessio llae Ruteri est, quam aliquando una cum scripto illo non

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mea sponte, sed eiusdem d. comitis instinctu et iussu ad tuam rev. pat. misi ipso d. comite, cui dono data fuerat, libellum offerente et, ut cum censura illa mea coniunctum mitterem, mandante, Sed cum nescio quo easu utrumque simul perierat, quod adhuc apud me supererat, post obitum domini, cuius pietatis memoria mecum erit semper, denuo mittere volui. Fuisse autem tuae rev. pat. gratum, id quod ex responso intelligere potui, valde me et alios pios confirmat. Cum alter d. comes, qui adhue superstes est, defuncti frater, prae- terito autumno ex colica decumberet, venit ad ipsius celsitu- dinem Reuterus consolaturus ef plenius in via salutis ipsum instructurus. Statim enim initio orationis suae dixerat se ideo venire, quod videret viam dei in his locis non pure doceri. Haberet igitur d. comes rationem suae salutis. Sed accepit a pio domino tale responsum, quo cognovit ipsum neque de puritate doctrinae neque de sua salute quicquam dubitare nec opus habere alia diversa doctrina vel instrue- tione ab ea, quam cotidie audiat et, quantum per vim morbi possit, legat ipse in libris nostrorum. Itaque ille tunc dis- cessit nescio quid de grano sinapis, cui, si similem fidem habeant discipuli Christi, nil illis esse impossibile commen- tatus, quod magis ad eversionem quam confirmationem fidei facere potuisset. Ab eo die non est reversus. Subseribo autem voto tuae rev. pat. et deum oro, ut quod filius dei in agone suo oravit, benigne praestet, videlicet ut in ipso unum simus. Dissipet gentes, quae bella volunt, vulnera ecclesiae sanet et docentium una eum auditorum animos in vera pietate coniungat. Datae Triboviae 11. Decembris 1565.

Nachtrag zu S. 264 Anm. 8.

Unter dem 9. Juli 1563 empfiehlt Eber dem Baron Hofmann Veit Nuber aus Bayern, ,mit seinem Weib und dreien Kindern aus Danzig hierherkommen, um in dieser Universität zwei Jahre zu bleiben auf eines ehrbaren Rats der königl. Stadt Danzig Unkosten, der er im heiligen Predigtamt zwei Jahre treulich gedienet, aber von den un- ruhigen Flacianern also geplaget, daß er mit Bewilligung und ehrlichem Zeugnis und stattlicher Zehrung und Verehrung eines ehrbaren Rats abgefertiget“.

Ein Melanchthonfund. Von Wilh. Gdußmann.

Unter dem reichen Handschriftenbestand, über den die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart verfügt, be- finden sich neun Foliobände in Leinwand, die Herzog Karl Eugen von Württemberg im Jahre 1786 aus dem Nachlaß des Professors, Propsts und Oberbibliothekars Hermann von der Hardt in Helmstedt, 1660— 17461), erworben hat. Sie enthalten die umfangreichen Vorarbeiten des fleiDigen Ge- lehrten zu einem groß angelegten Quellenwerk über das Basler Konzil, das ein wtirdiges Seitenstück zu seiner grund- legenden Urkundensammluug tiber das Konstanzer Konzil abgeben sollte. Die einzelnen Nummern der genannten Bände waren bis jetzt noch nieht katalogisiert. Der nicht geringen Mühe hat sich erst in letzter Zeit der Beamte der Bibliothek, Professor Dr. K. Löffler, unterzogen. Hiebei stieD er im sechsten Bande, Cod. theol. et philos. Fol. 79 6. Bl. 306 ff, auf vier lose beigebundene Schriftstücke aus der Reformationszeit, darunter zwei Originalkonzepte von Phil. Melanchthons Hand. Um Inhalt und Herkunft genauer zu bestimmen, wurden sie mir zur Prüfung vorgelegt. Ich nahm sie gründlich durch und fand bald, daß sie sich mit der Vorbereitung auf das von Papst Paul III. für den 23. Mai 1537 nach Mantua ausgeschriebene Konzil?) be- schäftigen.

Das erste Stück trägt wohl die Ueberschrift: „Augustae 1530. Articali de quibus non convenit nobis cum adversariis“?),

1) Näheres über Hermann von der Hardt ADB X, 595 fl.

2) Konzilsbulle vom 2, Juni 1586 Concilium "Tridentinum, IV, 211, deutsch Walch XVI, 2814 ff., dazu WA L,162ff. und Pastor. L. v. Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters 5. 4 Freiburg i. Br. 19011f. V, 57ff

*) Gedruckt CRII, 877f. und Schirrmacher, Fr. W., Briefe und Akten zu der Geschichte der Religionsgespräches su Marburg 1529 und des Reichstages zu Augsburg 1530, Gotha 1876. 252f. Deutsch Walch XVI, 1091.

270 110

Es stammt also von dem Reichstag zu Augsburg 1530 und verzeichnet, von Ph. Melanchthon selbst mit vielen Korrek- turen entworfen, die dreizehn Hauptpunkte, über die man sich in den Ausschußverhandlungen nicht verständigen konnte. Trotzdem läßt sich gut begreifen, wie dag Verzeichnis unter die Akten zum Konzil von Mantua geraten ist. Nichts lag näher, als die Verhandlungen zwischen der römischen Kurie und den Evangelischen da aufzunehmen, wo sie in Augsburg abgebrochen worden waren. Der Gedanke tauchte noch auf dem Religionsgespräch zu Hagenau auf und fand in D. Jobann Eck einen entschiedenen Vertreter!) So war es denn eine Sache der Vorsicht, die Zusammenstellung den Akten zum Reichstag von Augsburg zu entnebmen und sich mit ihr für das angesagte Konzil zu rüsten. Denn wenn sie auch als Grundlage der zu erwartenden Verhandlungen zurückgewiesen werden sollte, so konnte sie doch immer noch zur Klärung der Sachlage dienen, da sie die wichtigsten Streitpunkte, die beide Teile voneinander trennten, kurz und scharf hervorhob.

Bei der zweiten Nummer, einer pünktlichen Abschrift der Kanzlei, handelt es sich blo um ein Bruchstück, deu Schluß jenes undatierten Gutachtens über die Beschickung des Konzils, das CR III, 136 ff. unter dem Titel: „Ein ander Bedenken, das Concilium belangende", abgedruckt ist und hier einem ungenannten Verfasser zugeschrieben wird. Da- gegen hat H. Virck in seiner aufschlußreichen Arbeit: „Zu den Beratungen der Protestanten tiber die Konzilsbulle vom 4. Juni 1536"?) auf eine Reihe von Aussagen hingewiesen, die es sehr wahrscheinlich machen, daß das Gutachten von dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen selbst herrührt, der es anfangs Januar 1537 nach Empfang der Schmalkal- dischen Artikel niederschrieb, um seinen alten ablehnenden Standpunkt von neuem zu bekräftigen. Diese Annabme hat G. Mentz in seinem großen Werk über „Johann Friedrich den Großmütigen“ bestätigt). Die neuentdeckte Abschrift, die mit CRIII, 138, Z. 17 beginnt, liefert keinen weiteren Anhaltspunkt,

Das dritte Aktenstück, gleichfalls eine Reinschrift der Kanzlei, ist vollständig. Seine Ueberschrift lautet, wie auch in dem Original des Weimarer Gesamtarchivs oder in dem Abdruck CRIII, 258 ff, zu lesen steht: „Des Churfursten zu

1) CRIII, 1054 ff., dazu RE? VII, 888 fl.

3) ZKG XIII, 487 ff.

3) Mentz, G., Johann Friedrich der Großmütige. 1503— 1554. Jena 1908ff, I, 2, 118, Dazu WA L,169.

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Sachsen &, unsers gnedigsten herrn, ungeferlichs und an- fengklichs bedenken.“ H. Virek schenkt der Ueberschrift, für deren Richtigkeit auch innere Gründe sprechen, vollen Glauben!), während G. Mentz, wie früher schon C. G. Bret- sehneider, zurückhaltender ist und die Verfasserschaft des Kurfürsten bloß als wahrscheinlich bezeichnen möchte. Er stützt sich dabei nicht allein auf die Tatsache, daß kein Konzept von der Hand des Kurfürsten vorliegt, sondern nimmt auch an den vielen juristischen Fachausdrücken An- stoß, von denen das Bedenken durchsetzt ist?) Ein Datum fehlt. Doch finden sich in dem Text verschiedene Zeit- angaben, aus denen hervorgeht, daß das Aktenstück um die Jahreswende 1536—37 abgefaßt ist. Am 24. Dezember 1536 war der Kurfürst mit dem Landgrafen Philipp von Hessen in Eisenach zusammengekommen, um den geplanten Bundestag von Schmalkalden vorzubereiten. Ihre Beratungen führten zu dem Beschluß, den evangelischen Ständen eine bestimmte Fragenreihe vorzulegen und sie zu ersuchen, ihren Vertretern eine schriftliche Antwort auf diese Punkte für den an- beraumten Konvent mitzugeben. Die eingelaufenen Rat- schläge wurden später gesammelt und jedem der anwesenden Bundesmitglieder ein umfassender Auszug daraus zugestellt?). Eine Vergleichung zwischen diesem Auszug und unserem Gutachten ergibt die zweifellose Tatsache, daß letzteres nichts anderes ist als die Antwort des Kurfürsten auf die in Eisenach vereinbarten Fragen. Seine Abfassung ist dem- nach frtihestens in die allerletzten Tage des Dezember 1536, wahrscheinlicher aber, wie schon C. G. Bretschneider vorschlug, in den Januar 1537 zu setzen“).

Die letzte Nummer, ein vielfach verbessertes und durch- strichenes Originalkonzept aus Melanchthons Feder mit dem Kanzleivermerk: ‚Domini Philippi Melanchthonis scriptum‘ und der Ueberschrift: „Daß die Keiser macht haben concilia

1) ZKG XIII, 503 ff. und WA L, 169.

*) Mentz, Johann Friedrich. I, 2, 113.

3) Zusammenkunft in Eisenach Mentz, Johann Friedrich. I, 2, 110f. und Kücb, Fr., Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Grofmütigen von Hessen. Leipzig 1904. I, 280. Der Auszug aus den eingegangenen Ratschlägen Weimarer Gesamtarchiv. Reg. H. Fol. 124. Nr. 56: „Auszug aus aller stend ubergebene ratschleg uf die zu- geschickte artikel“, dazu Küch, Politisches Archiv. I, 281, Mentz, . Johann Friedrich. I, 2, 118 f. und Winckelmann, O., Politische Korre- , spondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation. Straß-

burg 1882£f. II, 409 ff. ) ZKG XIII, 503 fl.

P

272 112

auszuschreiben. Anno 1536“, ist CR III, 134 ff. unter dem Titel: „Von den coneiliis, Bedenken Phil. Mel.“ wieder- gegeben. Auch hier wird das Bedenken in das Jahr 1536, und zwar Ende August, verlegt. Daran ist jedenfalls so viel richtig, daß das Aktenstück in das Anfangsstadium der Vor- beratungen zu verweisen ist. Mag es nun mit den ur- sprünglichen Befürchtungen zusammenhängen, die päpstliche Konzilsbulle sei gar nicht ernst zu nehmen, Paul III. müsse vielmehr erst durch den Kaiser zur Einlösung seines Wortes gezwungen werden, oder mag es durch die seltsame Lieblings- idee des Kurfürsten, ein protestantisches Gegenkonzil ein- zuberufen, veranlaßt worden sein!): so spät, wie H. Virek will, der sogar an den Januar 1537 deukt, ist es keines- falls entstanden. Da Melanchthon Anfang September 1536 eine Reise nach Süddeutschland in die alte Heimat antrat, von der er erst im November zurückkehrte“), müssen wir vielmehr vermuten, er habe das Bedenken noch vor dieser Reise, also wie C. G. Bretschneider annimmt, Ende August 1536 niedergeschrieben. Denn davon kann wohl keine Rede sein, daß er das Gutachten bloß deshalb auf- setzte, damit auf dem Sehmalkaldener Konvent auch ftür diese Frage eine kirchengeschichtliche Unterlage vor- banden wäre,

Sämtliche Stücke zeigen Spuren einer älteren Blätter- zühlung. Daraus folgt, daß sie einer größeren Aktenreihe entstammen. Doch wollte es uns trotz aller Bemühungen nicht geliugen, das Archiv festzustellen, dem sie ursprünglich angehörten. C. G. Bretschneider, der in den verschiedenen Archiven recht gut zuhause war, hat jedenfalls keines der neuentdeckten Aktenstücke gekannt. Er bringt sie wohl zum Abdruck, aber nicht nach den Originalen, sondern nach recht fehlerhaften Kopien. Wir glauben deshalb nichts Ueberflüssiges zu tun, wenn wir die einzelnen Stücke im folgenden der Reihe nach wiedergeben. Doch wird es zweckmäßig sein, noch einige Bemerkungen vorauszuschieken.

Wann Melanchthon die „Articuli de quibus non con- venit nobis cum adversariis“ zu Papier gebracht hat, läßt sich nicht mehr mit voller Sicherheit ausmachen. G. Coelestin bringt sie mit dem Versuch in Zusammenhang, den der

1) Zweifel an der Konzilsbulle BE XI, 4ff. oder CRIII, 97 ff. Das protestantische Gegenkonzil CRIII, 127., Mentz, Johann Friedrich. I, 2, 108ff. und Köstlin, J., Martin Luther“. Berlin 1908, II, 878ff.

2) Melanchthons Reise nach Süddeutschland CR IIT, 159 ff. und Schmidt, C., Philipp Melanchthon. Elberfeld 1861. 991.

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Kanzler des Erzbischofs von Lüttich, Aegidius a Plackery, nach dem Scheitern der Ausschußverhandlungen unternahm, Melanchthon doch noch durch eine ihm befreundete Persönlich- keit, deren Name nicht weiter genannt wird, nach K. E. Förste- mann soll es Professor Otto Beckmann gewesen sein, der als Gesandter des Bischofs von Osnabrück am Reichstag teilnahm zur Nachgiebigkeit zu bewegen!). J. Aurifaber vertritt dieselbe Auffassung und weiß sogar den Tag zu nennen, an dem Melanchthon, statt, wie man eigentlich von ihm erwartete, persönlich mit dem Kanzler in Verbindung zu treten, ihm die nicht verglichenen Artikel schriftlich über- reiehen ließ: es ist der Sonnabend nach Aegidii, 3. Sep- tember 1530?) D. Chyträus dagegen hat eine andere Er- klárung. Er glaubt, die Artikel seien aus den Friedens- unterhandlungen hervorgegangen, die Truchseß Georg von Waldburg und der badische Kanzler Dr. H. Vebus unter Zustimmung des Kaisers vom 10. September 1530 an mit den evangelischen Ständen führten“). Hieran ist zweierlei nicht zu bestreiten. Einmal, daß die erste Forderung der Unterhändler war, die Artikel, über die man sich verständigt babe, sollen ebenso verzeichnet werden wie die andere, über die keine Einigkeit erzielt worden sei. Und dann, daß Melanchthon diesem Verlangen wenigstens insoweit nachkam, als er die bestrittenen Punkte in deutscher Sprache zu- sammentrug*) Da aber diese deutsche Liste nicht bloß breiter ausgeführt, sondern auch um einen Satz, den Artikel 6: „Daß die heyligen sacrament nicht gerecht machen on glawben, ex opere operato“, vermehrt ist, so liegt die Ver- mutung nahe, daß die lateinischen Artikel älter sind. Nimmt man dazu noch die lateinische Sprache, sowie die Tatsache, daß Melanchthons Niederschrift ein bloßes Konzept ist, so kommt der ersten Hypothese größere Wahrscheinlichkeit zu. Melanchthon mag eine Reinschrift der lateinischen Artikel dem Lütticher Kanzler zugestellt haben. Unbedingte Ge- wißheit können aber erst neue archivalische Nachforschungen

1 Coelestinus, G., Historia comitiorum anno M, D. XXX. Augustae celebratorum. Frankfurt a. O. 1597, III, 66 ff, Förste- mann, K. E, Urkundenbuch za der Geschichte den Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Halle 1833 ff. IT, 380.

3) Schirrmacher, Briefe und Akten. 2521. 532

5$ Chytraeus, D., Historia Augustanae Confessionis. Frank- furt a. M. 1578. 8171f.

% Fórstemann, Urkundenbuch. II, 415 fl. 481. 461 ff. Archiv für Reformationsgeschichte. XXIII. 8'4. 18

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schaffen!) Die lateinischen Artikel sind mehrfach gedruckt, zuletzt CR II, 377f. und Schirrmacher, Briefe und Akten. 252 f. Zwischen den einzelnen Rezensionen be- stehen keine sehr großen Unterschiede. Höchstens, daB die von J. Aurifaber recht nachlässig kopiert ist. Den authen- tischen Text bietet nun Melanchthons Originalkonzept.

Von dem zweiten Stück liegt eine vollständige Rein- schrift im Weimarer Gesamtarchiv, Reg. H. Fol. 123. Nr. 56. Gedruckt CR III, 136 ff. H. Virck liefert dazu einige Nach- träge und Verbesserungen, ZKG XIII, 501f. Hier auch der Beweis, daß das Gutachten von niemand anders als von dem Kurftirsten selbst herrühren kann, sowie der Versuch, das Datum auf Anfang Januar 1537 nach Eingang der Schmal- kaldischen Artikel festzulegen).

Von dem dritten Stück sind zwei weitere Reinschriften vorhanden: Weimarer Gesamtarchiv. Reg. H. Fol. 123. Nr. 56, ZKG XIII, 503 und Ebend. Reg. H. Fol. 99. Nr. 42. Vol. IV. Mentz, Johann Friedrich. I, 2, 113. Gedruckt CR III, 258 ff, Verschiedene Textverbesserungen von H. Virck, ZKG XIII, 503. Unter den Zeitbestimmungen des Gutachtens, die H. Virck ins Feld führt, ist die Bezugnahme auf die Eisenacher Tagung, 24. Dez. 1536, entscheidend. Die zwei anderen Angaben sind, wie derselbe richtig bemerkt, nur als ungefähre zu betrachten“)

Von der letzten Nummer existiert, soweit bis jetzt festgestellt werden konnte, keine amtliche Reinschrift. Ge- druckt nach einer ungentigenden Kopie CR III, 134 ff. Durch beides gewinnt Melanchthons Originalkonzept an Bedeutung“).

I. Die nichtverglichenen Artikel vom Reichstag zu Augsburg 1530.

Papierhandschrift in Folio. Originalkonzept von Ph. Melan- chthon, vielfach korrigiert. Alte Foliierung: Bl. 36—38. O. Dat, Augustae 1530.°)

Articuli de quibus non convenit nobis cum adversarijs.

1. De iustificacione, quod eoram Deo iustificemur fide in Christum, non propter opera nostra seu merita praecedencia aut sequencia, sed per graciam.

1) Die von Berbig, G., Acta comiciorum Augustae ex litteris Philippi, Jonae et aliorum ad M. L. Halle a. S. 1907. 42 f. veröffent- lichte Zusammenstellung: ,In sequentibus non convenit inter adver- sarios et nostros", such BE XVII, 272ff., gehört nicht in diesen Zu- sammenhang.

) ZKG XIII, 501f, *) ZEGXIII, 503 ff. ) ZKGXIII, 501.

5) Vermerk der Kanzlei.

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2. Quod etsi bona opera necessario facienda sint, tamen non sint meritoria graciae ac iusticiae. Sed fides appre- hendat graciam.

3. Quod in confessione non sit necessaria enumeracio peccatorum.

4. Quod eciamsi contricio est necessaria, tamen propter eam non remittantur peccata, sed per fidem qua credimus absolutioni aut evangelio. ldeo necesse est ad contricionem accedere fidem, quae consoletur in contricione et credat remitti peccata.

5. Quod satisfactiones canonicae non sint necessariae ad remissionem poenae.

6. Quod ad veram unitatem ecelesiae non sit necessaria similitudo tradicionum humanarum’). [BI. 2.]

7. Quod cultus instituti ab hominib,us sine mandato et verbo Dei ad promerendam graciam adversentur evangelio et obscurent gloriam meriti Christi.

8. Quod vota et religiones monasticae institutae, ut sint eultus ad promerendam graciam utiles, adversentur evangelio.

9. Quod etsi tradiciones ecclesiasticae, quae sine peccato servari possunt et factae sunt propter bonum ordinem in ecelesia, servandae sint propter caritatem advitanda scandala, famen non ita sentiendum sit, quod sint cultus ad salutem necessarii. Nec habent ius episcopi onerandi conscientias tali cultu. Ideo qui omittunt tradiciones illas extra scandalum, non peccant.

10. Quod cum invocatio sanetorum nullum habeat testi- monium ex scripturis, res sit incerta et periculosa et maxime obseurans gloriam Christi, quem scriptura proponit nobis ut mediatorem et propiciatorem.

XI. Quod prohibentes dari utramque speciem faciant eontra institucionem sacramenti, sine autoritate scripturae.

XII. Quod prohibentes coniugium sacerdotibus faciant eontra mandatum Dei, quo praecipitur, ut ad vitandam forni- eacionem unus quisque habeat uxorem suam.

XIII. Quod missa non sit opus, quod applicatum aliis mereatur eis graciam ex opere operato. [Bl. 3.] Sed quod cena Domini sit sacramentum, sicut tota ecclesia confitetur, per quod sumenti offertur gracia, quam non assequitur sumens per opus operatum, sed per fidem, si eredat ibi offerri sibi graciam et remissionem peccatorum.

1) Von der Kanzlei nachgetragen: „sed consensus de evangelio

et usu sacramentorum", 18*

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II. Ein ander Bedenken, das Coneilium belangende.

Papierhandschrift in Folio. Reinschrift der Kanzlei. Alte Foliierung: Bl. 48a. O. Dat. Gedruckt CR III, 136ff. Bruch- stück, beginnend CR III, 138. Z. 17.

. . . , halben beschwerlich sein wolt, die bekendnis ihres glaubens fur dem concilio nit zuthun, so beschwerlich wolt es den fursten und stenden auch sein. Welchs aber one zweifel die theologi selbst nit rathen werden. Darumb so den landschaften, so gotlichs wort angenomen, die oberkeit und prediger uf ein mhal benomen solten werden, wurde leichtlich zu bedenken sein, obs auch nicht der lehr gotlichs worts, unterhaltung der prediger und gotlicher dinst!) ein zerruttung und verhinderung wurde verursachen. Deßgleichen daneben fride und recht fallen wurde und wurden entwider wider unter das bapsthumb gerathen oder daraus ein gantz turekisch und heidenisch wesen werden und folgen, welchs ye zu erbarmen, auch sonder zweifel Got mehr ungefellig den,n gefellig sein wurde.

Derhalben zurathen, dass man sich nit allein [mit] dem, 80 man mit appelirn, reeusirn und andern billigen wegen furnehmen und gebrauchen mag, understehe das concilium zu verhindern und keins weges in das werk komen lasse, auch dass unsern predigern gar nicht gestattet, sondern ge- wert werde, dasselbige zu besuchen, auch ursach im druck, wie seinigen?) bedacht, werde offentlich angezeigt, dass es nit gescheen mag.

So mochten auch mitler zeit, so damit lange wolt ver- zogen werden, die personen, so itziger zeit die sachen aus gotlichem willen und ordenung getrieben und treiben, ab- gehen, daraus dan auch allerley beschwerung, wie zuver- muten, wollen erfolgen.

III. Bedenken des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen über die Beschickung des nach Mantua aus- geschriebenen Konzils. Papierhandschrift in Folio. Reinschrift der Kanzlei. Alte Foliierung: Bl. 485—525, O. Dat.

DES CHURFURSTEN ZU SACHSEN &, UNSERS GNEDIG- STEN HERRN, UNGEFERLICHS UND ANFENGKLICHS BEDENKEN.

Der bapst gehet durch sein ausschreiben des concilij und zufurderst durch das ersuchen, so ehr durch seine bothen 1) Nach „dinst“ ist einzuschalten als Korrektur des Kurfürsten

Johann Friedrich von Sachsen: ,erzihung der iugent", ZKG XIII, 501. 3) Richtig: „wie sie mugen, bedacht“, ZKG XIII, 501.

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bey disem theyl gleichwie bey denen, so seines theyls sein, thun lest, als uf einen weg betriglich und vermeint damit die christlichen stende in sein concilium zu fhuren und sich denselbigen unvermarkt vorwandt und unterworfen zu machen, auch dieselben stende von iren lerern, predigern und doctorn zusondern, domit ehr und das concilium deste leichter und unbeschwerlicher wider die lerer und prediger in seinem vor- haben schliessen [möchte]. Dan er weis wol, dass sich die stende dieses theyls von den predigern auf Key. M. reichstag zu Augsburg nit haben wollen sondern lassen?) Wo er nu solchs mit seinem anhang nit trennen mocht, kan er wol achten, dass ihme nach seiner meinung zu schliessen und fort- zufahren beschwerlicher furfallen wolte, vermeint aber solche trennung damit auszurichten, dass ehr die christlichen stende?), so ihme anhengig, das concilium zu besuchen oder beschicken, gleich achtet. Gibt also ein speckeln in mund. Dan wurden die christlichen stende bewilligen, das concilium zu besuchen oder zu beschicken, wie dan sein nuntius des elar antwort begerth, so willigten und approbirten sie tacite und schwei- gend, dasselbige sein concilium domit ader durch ihr be- suchen und beschicken uf die meinung. wie sein edict juris interpretation zu verstehen ist, zu halten,

Das ist, wie er solch edict als ein bapst und vermeints haupt der kirchen und vicarius unsers herrn Christi, als das die wort desselben edicts genug anzeigen, gethan. So ge- stunden ihm die christenlichen stende durch dieselbe be- willigung und beschiekung solcher hocheit und primats und volgendes alles gewalts und rechten, des sich die bepste in der kirehen [Bl. 2.] und uber die christenheit anmassen. Darumb doch die lehr der christlichen stende und irer prediger mit dem bapstumb streitet. Darzu wurden ihnen vieleicht ihre rechtmessige exception, der sie sich gegen solchem bepstlichen concilio zu seiner zeit zu gebrauchen hetten, als dass das bapstumb angezeigter streitiger artickel halben parth verdechtig und darin nit determinirn noch ur- teylen mocht, dadurch abgeschniten. Darauf doch dieses theyls, als der sich nichts guts noch cchristlichs durch das ausgeschriben concilium vermuten mag, grossen glimpf bey der welt hoffen will.

1) Näheres über diese Versuche und ihre Ablehnung bietet Gussmann, W., Quellen und Forschungen zur Geschichte des Augs- burgischen Glaubensbekenntnisses. Leipzig und Berlin 1911. I, I, 86 ff,

.*) Hinter ,stende" ist einzusetzen: ,noch nit fur ketzer oder an- henger ihrer prediger und lerer, sondern den andern weltlichen stenden“, ZKG XIII, 508.

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Denn obwol der eitirte durch sein erscheinen vor dem citirenden gericht sich solcher und dergleichen exception nit begibt, so ist doch des bapst ediet und seines uuntij ansuchen kein dringliche itacion noch insinuation, sondern ein ad- hortation, soviel die weltlichen stende anlanget Ob die gleich zu dem concilio darauf nit kemen, so wirt ires nicht comparirens und schickung halben darumb nit ad poenas contumatiae propter solam non comparentiam, als gegen den geistlichen prelaten besehee, den geboten wirt und cifirt worden, notig und dringlich zu dem concilio zu komen, wider sie nit procedirt. Weyl nu kein drangsal da ist, so mochten auch berurte und dergleichen exception und defension darauf nit stadt haben.

Ferner, so hetten auch die christlichen stende in dem fal keinen zutrit, vor sich und die ihren, die sie zum con- cilio schicken wolten, genungsame versicherung und assecu- ration zu begheren, als in alwegen von nothen sein wolt, dieweyl das schriftliche keyserliche glayt zu Constantz aus dem vermeinten grunde gebrochen, dass man ketzern geleit zu halten nit schuldig). Dan solte uf solch ehrlich ver- mhanen und adhortation, domit sich der bapst gegen den ehristlichen stenden ebenso freundlich als gegen den andern erzeigt, ein sterker geleit oder desselben versicherung be- gerth werden, dan die andern stende nach gewonlicher weis begeren mochten, so wurde der bapst und das concilium darwider furwenden, man hette den christlichen stenden gleich den andern mit der adhortation die ehr gethan. Wolten sie das concilium darauf nicht besuchen noch?) be- schicken, so mochten sie es lassen. Das concilium wurde nichts deste weniger vermuge des bapsts ausschreibens procedirn und fortfharen, und was dan daruber widerwertigs *) gehandelt, wurde bey der welt mit der christlichen stende unglimpf ein gros ansehen haben.

Solt auch vor das dritte soleh concilium zu besuchen oder zu beschicken gewilligt werden, so wurde der bapst die christliche stende arglistig und behende dohin furen, dass sie sich vor mitglieder des concilij doch nit ferner dan mitzurathen ad consulendum macheten. Wan nu gleich in solcher mitberathschlagung das beste zu Gottes [ehr] und christlicher einikeit und de modo procedendi non sus- pecto nec partiali von irentwegen furgewendet, so wurden sie und die ihren doch allewege durch das mehrer, des bapstes

) Die Literatur verzeichnet RE? VIII, 472ff, XXIII, 6631. 2) Richtig: ‚oder‘, ZKG XIII, 508. ) Richtig: ,widerige', ZKG XIII, 503.

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cardinel, bischofe, prelaten, auch Key. M., konige, poten- taten, fursten und stende des andern theils, mit den mehrern uberlenget!) Zudem, obgleich etzliche frome stende und leute im haufen des concilij sein wurden, die gern seghen?), dass uf billiche wege und zu einikeit gehandelt, so wurde doch nichts bey den mehrern von geistlichen und weltlichen erhalten werden, dan mit grosem des bapsts vortheyl und merglichem nachteyl und gefhar der christlichen stende. Und darzu stunde der schlus und determination in den sessionibus alwegen bey dem bapst und seinen geistlichen prelaten.

So kunden die christlichen stende darüber nit zuruck. Man wurde ihnen auflegen, sie weren in dem concilio gleich andern christlichen stenden ermhanet worden, hetten das concilium in seiner form und substantz durch ihr erscheinen oder beschicken approbirt, weren in den beratschlagungen gleich andern pntentaten gewest, aber was der grose theyl der christenheit gerathen und das concilium darauf deter- minirt oder erklert hette, dem wolten sie nicht geleben, sondern nu abermals widersetzig werden.

Zum vierden, so wurden dadurch aus angezeigten ur- sachen die [Bl. 3.] christliche stende und ire predicanten und lehrer getrent sein, das doch uf dem reichstage zu Augsburg nieht fur guth angesehen. Es ist auch die con- fession doselbst sembtlich bescheen. Den weyl sich die christliche stende dem concilio einmhal als mitconsulenten aggredirt?®) und anhengig gemacht, mochten sie sich darnach nit mehr fur parth machen oder achten, sondern wheren dem concilij rechten nach schuldig, dem meherern zufolgen. Die predicanten aber wurden darnach geplagkt und für das eoncilium eitirt oder vieleicht ihnen strack mandirt werden, von ihrer lehr als von zuvor erklerten ketzereyen abzustehen, bey penen, auch execution wider sie, auch wider ihre ad- herenten, das wheren alsdan die christliche stende selbst. Es were auch dem bapst und seinem concilio damit die bhan leichter gemacht, sonderlich zu solchem furhaben, auch mit mehrerm glimpf, zukommen*). Dann wie im concilio zu Constantz gescheen, weyl die Bhemen ihre lerer allein in der verantwortung der lehr stehen haben lassen, ob sie wol viel schrift an das concilium gethan, so hat es kein

1) überstimmt.

2) gähen,

*) Richtig: „aggregirt“, ZKG XIII, 508.

*) Hinter „zukomen“ ist einzuschalten : „dann so die christenlichen stende und ire predicanten bei ainander als part plieben“, ZKG XIII, 508.

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ansehen gehabt, sondern ihre lerer seindt verbrandt worden)). So wurde es hie auch zugehen.

So wolt auch vieleicht sorglich und puntlich?) sein, wen man neben berurter bewilliguug, das concilium zube- suchen oder zabeschicken, gleich viel protestation und er- clerungen anhinge, ob damit berurt pericula und fherlikeiten zuvorwharen. Dan bemelte bewilligung on alle protestation zu thun, weis der Kurfurst zu Sachsen seiner c. f. g. theyls gantz und gar nit zurathen.

Und wiewol hierbey widerumb zu bedencken sein mochte, solten die christliche stende das concilium zu beschicken abschlagen oder nit beschicken und daruber durch das con- cilium etwas determinirt und beschlossen werden, das inen und ihren predicanten zuwider, so wurde der bapst und das concilium sagen, sie weren gleich andern stenden und poten- taten zu dem concilio vormanet, darumb sie ihr notturft darin hetten reden und anzeygen mugen. Nun weren sie aber aussen blieben und wolten doch gleichwol uber des concilij orterung oder determination in ungehorsam verharren ete So wil doch solcher unglimpf so gros nit zu wegen sein, als die ferlikeiten, die, wie gemelt, darauf stehen, als dass sich die christliche stende solten nach des bapst meinung einfuren lassen. Dan gewislich thut ebr die erliche an- suchung durch seinen boten den christlichen stenden nit zu guth, sondern auf solche list, wie vorstehet, oder ein andere.

Bapst Clemens lies neben Key. M. gesandten vor vier jharen artickel umbfuren, wie sich die christliche stende des concilij halben vorpflichten sollen?). Dieweyl aber dieselben abgeschlagen, lies der itzige bapst Paulus tertius dureh seinen nuntium Paulum Vergerium vorm ihar sich vornehmen, als wolt ehr ein unverstrickt concilium ausschreiben‘) So nu

1) Wie oben, RE*VIII, 479 ff. XIII, 663 f.

?) sorgfültig und pünktlich,

3) Die Artikel lateinisch: Rom. Caesareae Maiest. oratoria et pontificii nuncii commemoratio ad Ducem Jo. Fridericum Saxoniae Electorem de habendo concilio generali. Articuli ab eodem nuncio eidem Electori exhibiti etc. Wittenberg MDXXXIII, mit Vorrede von Ph. Melanchthon, CR II, 667 ff, deutsch Walch XVI, 2288 fl. Dazu BEIX,312ff., WA XXXVIIT, 280 fl., Maurenbrecher, Katho- lische Reformation. I, 864 ff., K óstlin, Luther. II, 281f, Pastor, Päpste. IV, 2, 471 fl. und Mentz, Johann Friedrich. I, 2, 16 fl.

) Die Äußerungen des päpstlichen Nuntius P. P. Vergerio CR II, 982 ff. oder Walch XVI, 2292 fl. Dazu BE X, 267ff, WAL, 163 fl., Köstlin, Luther. II, 270 fl., Pastor, Päpste. V, 36 fl. und Mentz, Johann Friedrich. I, 2, 72 fl.

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das ausschreiben bescheen, befindet sich, dass sein meinung arglistig und heimlich eben dohin und uf die weise und meinung im grunde gericht, wie bapst Clementis artickel.

Solten sich aber die christliche stende lassen vermercken, dass sie des bapsts betrug vorstehen, und solchs noch zur zeit an tag komen und lautbar werden lassen, so wil es auch allerley sorgfeldikeit und nachdenken auf ihm haben.

Erstlich, dass den christlichen stenden wolt ufgelegt werden, man wolt kein concilium leiden. Zum andern solte der bapst wol uf den weg gerathen, dass er sich zu erhaltung mherers glimpfs bey der welt erbothe, dass er und seine geistlichen in solchem concilio nit allein solten noch wolten zu definirn oder voces decisivas haben, sondern ehr wolte solche decisivas voces den weltlichen potentaten, als keyser, konigen, fursten und andern, auch den ernanten christlichen stenden selber geben und sie nit zu urteylen zugelassen haben, wie seiner recht ausleger darvon schreiben, dass es auch den leyen voces decisivas geben mag, welchs ihm ein merglicher zufal!) und, so die christliche stende solchs anzunhemen und das concilium zu [Bl. 4.] beschicken abgeschlagen wurden, es ihnen fur der welt merglichen unglimpf und abfhal?) bringen wolt. Und wolte dennoch das ausgeschrieben con- eilium von den christlichen stenden darauf gantz nit anzu- nhemen noch zu bewilligen sein. Dan gleichwol wuste der bapst, dass er, geistliche und weltliche, so im concilio sein werden, zusamen gerechnet, die meherern stimmen nach seinem gefallen zu determinirn und die christliehe stende in noth fur der welt zufuren haben wurde. Und in summa, S0 wil kein behelf so wenig abzuleynen sein durch die bapstische parthey, als das, was die parcialitet anlanget.

Darzu mochte so viel mehr zum concilio, wo der bapst der christlichen stende beschwerung vormerckte, geeylet und den christlichen stenden ufgelegt werden, als wurden sie da- mit in offenbarem ungehorsam befunden und hetten scheu, ibre ler vor dem concilio zu vortedingen, so doch bisher alwegen nach einem concilio geschrien und gerufen wehre worden. Über das mochte der keyserliche stylstandt, der bis uf ein concilium angestalt?), durch die christliche stende selbst hiemit aufgehoben oder ihnen dasselbe dadurch wollen ufgeleget werden.

1) Beifall. 2) Tadel. |

3) Gemeint ist der Nürnberger Religionsfriede vom 28. Juli 1532, RE XIV, 212 fl. samt seiner Ergänzung, dem Wiener Vertrag vom 22. November 1535, M en t z, Jobann Friedrich. I. 2, 57 fl, Winckel- mann, Politische Korrespondenz. II, 820ff. und ZKG XI, 245 fl.

282 122

Darzu behelt man den glimpf und vortheil, vorzuge sich das concilium, so bestande in mitler weyl der keyserliche friede und stilstandt. Erfolgete es gar nit, so hetten die christliche stende gegen dem andern teyl alwegen den fur- worf zu gebrauchen, der bapst hette ein concilium aus- geschrieben, des man auf diesen theyl gewartet, bey ihner were auch kein mangel gewest, sondern bey dem bapst.

Aber nachdem aus vorangezeigten ursachen den christ- lichen stenden kein weg sicherer sein wil, dan dass sie sich als parth sampt ihren predicanten achten lassen und bapst und concilium fur den andern parth haben und angeben, so helts der Churfurst zu Sachsen dafur, dass die christliche stende uf dem weg beruhen theten, dass sie das concilium sampt ihren predicanten nicht besuchen noch beschicken oder solehs zu thun willigen wolten, anders dan wo sie das con- cilium fordern und citirn wurde, dass sie sich erboten, alsdan uf genungsame und bestendige versicherung und assecuration ire oratores und procuratores zuschicken, ihre notturft gegen dem concilio furzuwenden, auch sich dermassen zuvornemen lassen, wie es dieselbe ihre notturft erfordern wurde.

Damit wuste der bapst und sein hauf noch nit, was die christliche stende thun und furbringen wolten oder nit, und ihnen mochte auch nit ufgelegt werden, dass sie des concilij nit wolten gewertig sein. Und welcher gestalt gemelte stende uf solchen weg dem keyserlichen oratori und bebstischen nuntio, wan ihre werbungen vormarckt und gehort, sovil die besuchung des concilij anlanget, uf diese meinung antwort zu geben sein solt, wirde darauf leichtlich zubedencken und zuschliessen [sein].

Dis wil hochgedachter Churfurst vor s. o. f. g. bedencken uf den andern und dritten artickel haben anzeigen lassen.

Im fhal, dass die christlichen stende dorauf als die, 80 das concilium ihrer lere und furgenomenen verenderung halben beschuldigen wolt, in vermeinter rechtlichen gestalt wurden eitiert werden, so will itzt zu bedencken sein, wie man genungsam und vorsichert geleit suchen und erlangen will und im fall, dass es entstunde, ob man one genungsam vorgleitung und versicherung schicken oder auch die predi- canten will ziehen lassen.

Item, so das gleit, genugsam versichert, erlangt oder nit erlangt und man gleichwol wurde schicken wollen, wie man von aller christlichen stende wegen von gelerten und ungelerten schicken wolle und wer die geschickten sein sollen.

Damit wollen s. c. f. g. uf den vierdten artickel anzeigung gethan haben.

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Den funften artickel achten s. c. f. g. aarfur, dass durch die anzeigung, so uf die vorigen artickel gescheen, s. c. f. g. sich domit hierauf auch vornemen lassen. Dan dieweyl gegen den christlichen stenden [BI. 5] durch solche mandat als parth durch das concilium gehandelt wolt werden, so mochten ihnen ihre defension, die naturlichs rechtens ist, nit benomen sein. Und was man der partialitet verdachts und anders halben, auch propter locum concilij non ritum neque aptum furbrengen wolt, das were in solchem fhal auch furzuwenden und mehr. Widerumb kein possessorium in solchen sachen nit fur- gewant werden und dass der bapistisch theil zuvor selber die kirehen der geraubten gotliehen lere und ceremonien, auch gueter restituirten und nicht ein staube in der christlichen stende augen anzeigen, do in iren mit eitelm unrecht im grossern grosse balcken steckten, wider ire aigen recht und Gots wort.

Welcher gestalt, auch mit was protestation des bapstes oder concilij vormeinte rechtliche mandat oder citacion solten anzunemen sein, davon der sechste artickel meldet, in dem wyl der Churfurst zu Sachsen s. c. f. g. bedencken weiter anzeigen und sich, wan der andern christlichen stende be- dencken auch vormerckt, myt ihnen freundlich und gnedig- lich vergleichen.

IV. Ph. Melanchthons Gutachten über Kaiser und Konzil.

Papierhandschrift in Folio. Originalkonzept von Ph. Melan- ohthon, vielfach korrigiert. Alte Foliierung Bl. 54—59a. O. Dat. Domini Philippi Melanehthonis seriptum?).

DASS DIE KEISER MACHT HABEN CONCILIA AUSZUSCHREIBEN. Anno 1536.

Dass zu allen zeiten, so oft es der christenheit von noten ist, die keiser und iede konig jn yhren landen schuldig sind, coneilia zu erfordern, und solchs die christlichen keiser, auch ander konig erstlich jn übung gehabt, wie sie schuldig gewesen, beweisen viel guter bewerter exempel, wie volget, und wollen allein von rechten christlichen bewerten con- cilijs reden.

Anno 1. Constantinus, der Erst, hat one bepstlich er- 324. laubnis oder zuthun das christlich und gros Concilium Nieenum ausgeschriben und gefordert?).

1) Vermerk der Kanzlei. 9) Konzil von Nicaea 325, Hefele, J. C. v., Conciliengeschichte“. Freiburg i. Br. 1873 ff, I, 252 ff.

284

350.

370.

383.

433.

452.

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[2.] Der selbig Constantinus hat auch ein concilium gen Tyro, unangesucht den bapst, erfordert und dazu ein ernste straf angehengt, welcher bischof nicht jn das concilium khomen wurd, der solt sein bistumb verlohren baben ').

3. An disen Constantinum ist auch von den con- cilien appellirt, als von Tyro, von Rom und von Are- late, und hat ehr die sachen selb verhört, neben andern tuchtigen personen, wie seine edicta selb beweisen?).

4. Constantius hat das christlich Concilium Sardicense erfordert. Und wie wol etlich ander concilia ernach gehalden den Arianis zu gut, so sind sie doch durch den keiser erfordert. Aber derselbigen ist nicht not zu erzelen, als zu Mediolan, Antiochia, Arimino und Seleucia, Sirmio’).

5. Valentinianus hat das christlich concilium, Illyri- cum genannt, berufen“). [Bl. 2.]

[6.] Theodosius hat das Concilium Constantino- politanum ausgeschriben, darin der Bischof von Con- stantinopel presidirt hat, und meldet des concilij schrift, dass sie uf erforderung des keisers zusamen khomen sind )).

[7.] Theodosius, der Ander, und Valentinianus, der Ander, haben das Concilium Ephesinum ausgeschriben wider Nestorium. Es hat auch jn disem concilio presi- dirt Cyrillus, der bischof von Alexandria, und hat man noch dass ausschreiben uud acta concilij 9.

[8.] Martianus hat das Concilium Chalcedonense ausgeschriben wider Eutychen und hat man noch das selbig ausschreiben bey den decreten, die da gemacht

sind ?).

1) Konzil von Tyrus 885, Hefele, CG I, 401 ff.

2) Konzil von Rom 313, Hefele, CG I, 199 ff., von Arles 314,

a. a. O. I, 901 ff.

3) Konzil von Sardica 343, Hefele, CG I, 533 ff., von Mailand 355,

a. a. O. J, 652 ff., von Antiochia 341, a. a. O. I, 502 ff. von Rimini und Seleucia 359, a. a. O. I, 697 ff., von Sirmium 851, a. a. O. I. 641 ff.

*) Concilium Illyricum 375, a. a. O. I, 741 ff. 5) Konzil von Konstantinopel, zweite ökumenische Synode, 381,

a. a. O. II, 1ff.

) Konzil von Ephesus, dritte ökumenische Synode, 431, a. a. O.

II, 141 ff.

) Konzil von Chalcedon, vierte ökumenische Synode, 451, a. a. O.

II, 410 ff.

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551. [9.] Justinianus hat das ander Constantinopolitanum universale concilium ausgeschriben wider Anthemium !).

670. II0.] Constantinus, der Ander, hat das drit Constanti- nopolitanum concilium ausgeschriben wider die Mono- theletas ?).

Also ist diese weise, concilia auszuschreiben, gehalden bid nach Carolo und sind daneben viel nationales Synodi gewesen, die christliche und notige sachen gehandelt, die one des bapsts vorwissen gehalden: als Antiochena wider Samosa- tenum, Alexandrina wider Arium durch Athanasium, Milevi- tana dureh Augustinum wider Pelagium, Gangrensis jn Galatia wider die Mareioniten. Und haben die konig viel nationales Synodos gehalden one vorwissen des bapsts: als in Hispania sind viel Toletanae Synodi durch den konig ausgeschriben, nemlich durch Sesenandum, Reccesvinthum, Eringium. [Bl. 3.] Item, Ludovicus, der Erst, konig zu Frankreich, hat ein national Synodum gehalden zu Orleans anno domini 512).

Ernach hat Carolus auch etlich Synodos gehalden: nem- lich zu Mentz, zu Remis, zu Turon. Ludovieus Pius hat auch gehalden zu Ach, welche alle one bepstliche bevehl oder vor- wissen gehalden “).

Darnach haben die bepst verboten, one yhr vorwissen coneilia oder national Synodos zu machen, domit sie yhr hoheit seer gesterkt haben, und den bischoven yn andern konigreichen gewehret, yhnen einzureden, dadurch viel jrthumb eingerissen, dieweil die bisehof und ander haben sweigen mussen.

Dass aber der bapst nicht macht gehabt, solchs zu ver- bieten, scheinet aus den alden canonibus, welche geboten,

1) Konzil von Konstantinopel, fünfte ökumenische Synode, 538 a. a. O. II, 854 ff.

3) Konzil von Konstantinopel, sechste ökumenische Synode, 680, a. a0. III, 249 ff.

*) Synoden von Antiochia 264—69, Hefele, CG I, 185 ff., von Alexandrien 362, a. a. O. I, 727 ff, von Mela 416, a. a. O. II, 113 fl., von Gangra ca. 855, a. a. O. I, 777ff., von Toledo IV 633, unter König Sieenand, a. a. O. TIT, 66f. und Gams, P. B., Die Kirchengeschichte von Spanien. Regensburg 1862 fl. II, 2, 90ff., von Toledo VIII 653 unter König Receswinth, Hefele, CO III, 91 f. und Gams, KGSp II, 2. 126 fl., von Toledo XII 681 unter König Erwig, Hefele, CG III, 286 fl. und Gams, KGSp II, 2. 168ff, von Toledo XIII 683 unter demselben Hefele, CG IIT, 290 ff. und Gams, KGSp II, 2, 172 ff., von Orléans 511 unter dem Frankenkönig Chlodwig, Hefele, CG II, 661 ff.

*) Die Reformsynodon von Mainz, Rheims und Tours 818, Hefele, CG III, 756 ff., die Reichssynode von Aachen 817, a. a. O. IV, 9 ff,

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dass nicht allein ein ieder bischof die seinen jarlich, zusamen fordern soll, sondern dass jn allen landen die bischof selb zusammen khomen und concilia halden. Und ist davon ein ernste constitutio gemacht jn Synodo Chalcedonensi, wie die selbig noch stehet jn den decreten des bemelten concilij und ist 19. constitutio: [Pervenit ad aures nostras et hoc, quod in provinciis constituta episcoporum concilia minima cele- brentur et quod inde multae, quae correctione opus habent, ecclesiasticae res negligantur. Statuit igitur haec sancta synodus, secundum patrum regulas bis in anno in unum con- venire per singulas provincias episcopos, ubi singula quae emerserint, corrigantur. Qui vero noluerint convenire epis- copi, constituti in suis civitatibus et cum hoc maxime in sui corporis sanitate consistentes, etiam omnibus aliis urgen- tibus et inexcusabilibus negotiis liberi sunt, licere eos faternae caritatis admonitionibus eorripi]!).

1) Mansi VII, 389f., dazu RE? XIX, 262 ff., XXIV, 556 f.

Thomas Müntzer als Prediger in Halle. Von Otto Schiff.

Einer der dunkelsten Abschnitte in Thomas Miintzers Leben ist die Wanderzeit, die zwischen seiner Flucht aus Zwickau (16./17. April 1521) und seiner Niederlassung in Allstedt (etwa Frühjahr 1523) liegt. Wir wissen, daß er im November 1521 in Böhmen seine vergeistigte Kirche durch Wachrufung alter taboritischer Erinnerungen auf- zurichten versucht hat und deshalb aufs neue verjagt worden ist!). Im folgenden Jahre finden wir ihn wieder in der mitteldeutschen Heimat. In den Monaten Juli bis September bestand er in Nordhausen neue Kämpfe‘). Zwischen Nord- hausen und Allstedt aber klafft eine Lücke in seiner Lebens- geschichte. Und doch hat kein Geringerer als Martin Luther ein Zeugnis hinterlassen, das uns auf Müntzers Fährte leitet. In seiner Schrift „Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“ (1533) berichtet der Reformator?): „Was hat der arm mensch Thomas Muntzer gethan, da er im lande umbherstreich und seiner untugent ein nest sucht? Er hats bekand noch zu Alstet guten leuten, wie er zu Halle sey inn einem Kloster caplan gewest und habe des morgens die frue messe den nonnen muesse halten. Da sey er oft unwillig gewest und babe die wort der wandelung aussen gelassen und eitel brot und wein behalten. Wolt da zu noch gar wol gethan haben und rhuemet sich zu Alstet und sprach: Ja solcher un- geweyheter herr goetter (so nennet er die oblaten) habe ich wol bey zweyhundert gefressen.“

1) Für den böhmischen Aufenthalt sind außer den gangbaren Quellen auch die tschechischen heranzuziehen, nämlich Scriptores rerum Bohemicarum III, 445—446 u, 449 (deutsch bei Palacky, Gesch. von Böhmen Bd, V, Abt. 2. Prag 1867. S. 442) und Bartholomaeus von St. Aegidius, Chronik von Prag im Reformationszeitalter. Latein. Ausg. von C. Höfler. Prag 1859. S. 102. Vgl. J. Th. Müller, Gesch. d. böhmischen Brüder Bd. 1. Herrnhut 1922, S. 399 Anm. 299.

3) Seidemann, Thomas Münzer. Dresden 1842, Beilage 18. u. 19.

3) W. A. 38, 218.

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Man hat dies Zeugnis angezweifelt und geglaubt, es beziehe sich nicht auf Halle, sondern auf Beutitz!), den einzigen Ort, wo sich Müntzer als Seelsorger an einem Frauenkloster nachweisen ließ. Aber der Beutitzer Aufenthalt fällt in die Jahre 1519/1520 und nicht in die Zeit, da er „im Lande umberstrich“. Einen Schritt weiter führt der Brief, den Müntzer am 19. März 1523 aus dem „Elend seines Vertreibens“ an ungenannte Freunde gerichtet hat“). Darin findet sich die Klage: „Ich habe zwene gulden von der domina den ganezen winter.“ Mit der „domina“ dürfte die Aebtissin eines Frauenklosters gemeint sein. Verbindet man diese Stelle mit Luthers Zeugnis, so ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, daß Müntzer im Winter 1522/23 Seel- sorger an einem Frauenkloster in Halle gewesen ist. Die Wahrscheinlichkeit wird zur Gewissheit, wenn man die Akten heranzieht. Das Magdeburger Staatsarchiv bewahrt die Ge- ständnisse einiger Bürger von Halle, die der Teilnahme an den Unruhen von 1525 beschuldigt und deshalb teils im Dezember 1525, teils im Februar 1526 auch ,Muntzers halben“ befragt wurden?). Ich lasse ihre wichtigsten Aus- sagen im Wortlaut folgen:

l. Aussage Hans Mollers vom 16. Dezember (Sonnabend nach Lucie) 1528.

„Im uffstehen der pawern ab im Muntzer nicht ge- schrieben. Sagt, er babe ynhen wol gekant. Er sei aber mit ymhe uneins gewest. Das das war sey, referirt er sich uff Gorgn Gortheler, Paul Rimer und Michel den Schencken vorm Steinthor, das Muntzer in Gorge Gorthelers hausse gesagt, er sehisse ym yn seynen goth, propheten und bibel. Dorumb habe er ynen geschulden, sprechend: Seytt yr ein evangelisch prediger? Das euch ditz und jhens ankomme.“

2. Aussage Georg Gorthelers (steht zwischen Aussagen vom 16. und 19. Dezember 1525).

1) Seidemann S. 5, dem die Herausgeber der Lutherschrift in Neudrucke deutscher Literaturwerke des 10. u, 17. Jahrh. Nr. 50, S. 25, A. 1 und in W. A. 88, 218 Anm. 8 folgen. Dagegen hat G. Knuth. Geschichte der Kirchengemeinde von St. Georgen. Halle 1891. S. 94 25 die Lutherstelle richtig gewertet und durch Jovius (s. unten) gestützt.

3) Seidemann Beilage 25.

3) Vgl. den mir durch das Staatsarchiv zu Magdeburg gütigst zugänglich gemachten Band „Acta betreffend die Reformation der Stadt Halle Vol. I. 1524—26“ (Rep. A. 2. Nr. 791), besonders fol. 81 v (Moller), 38 v (Gortheler), 48 r (Buchler), 51v (Gortheler) 98r und v (Kreitz).

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„Muntzers halben. Saget, er habe mit ym gessen vor izweyen jaren ungeverlich, als er zw Sanet Gorgen prediger gewest, dessgleichen Hans Moller.“

3. Aussage des Fechtmeisters Leonhard Buchler vom 22. Dezember (Freitag nach Thomae apost. 1525.

„Muntzers halben. Saget, er habe ynen wol gekanth, aber kein gemeinschafft mit ym gehabt, yme nichts zue- geschrieben und kein brief von yme entpfangen. Es habe sich aber ungeverlieh begeben, das er hinfur an marckt habe gehen wollen. Szo ist Gorge Gortheler am laden ge- standen, ynen zu yme hineyn geruffen und eynen brieff vom Muntzer uff eyn halben Bogen geschrieben, welcher an die von Manssfelt, gehalthen. Die underschrifft sey gewest: Thomas Muntzer mit dem schwert Gideonis. Und den habe er zu sich gnomen, anheim in seyn hauss getragen. Aber uber etzlich tage dornach hatt Gortler denselbigen widderumb holen lassen.“ (Hierzu bemerkte Gortheler, er wisse nicht, woher er das Schreiben empfangen und was darin ge- standen habe.)

4. Peinliche Aussage des Steinmetzen Ulrich Kreitz vom 5. Februar (Montag nach Purificationis Marie) 1526. „Was er bey den bawern zu schaffen gehabt. Sagt, eyn Steinmetz, Hans Biber genant, hab yme die brieve von Meister Valtin dem pollirer bracht. Dorauff er sich gehin Northaussen begeben, doselbst eyn zeyt langk gearbeyt. Indem hab sich begeben, das die bawern uffgestanden und vor Ebeleben getzogen. Do sey er zu ynen pauren getzogen, yr wessen zu besichtigen und desselbigen tages widder gehin Nordhaussen komen. Muntzers halben. Sagt er hab denen wol gekant, den er hab ynen woll horen predigen zu Sanct Georgen. Spricht, Muntzer sey za yme kommen und ynen gefraget, von wan er her were. Dorauff er geantwort: Ich byn von Halle und wil auch widderumb dohyn. Do hab Muntzer gesagt: Sage meynem gn. h. an, wyr wollen balt bey yme seyn und den ablas mit yme aussteylen. Die bauptleuth hab er nit gekant, hab sunst mit Muntzer adder denn bawern nichts zu schaffen gehabtt."

Aus den mitgeteilten Aussagen ergibt sich mit Sicherheit, daß Miüntzer wenige Jahre vorher als Prediger an der Georgenkirche gewirkt hatte. Da diese dem Frauenkloster Marienkammer in Glaucha vor Halle inkorporiert war!) versah Müntzer allerdings, wie Luther angibt, die Selsorge an einem Hallenser Nonnenstift. Die von Gortheler gegebene

1) v. Dreyhaupt, Ausführl, diplomat,-histor. Beschreibung des Saal- Creyses Th. 1. Halle 1749. S. 802.

Archiv für Reformationsgescichte. XXIII. 8/4. 19

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Zeitbestimmung „vor tzweyen jaren ungeverlich“ würde etwa auf den Dezember 1523 führen; tatsächlich ist Müntzer jedoch schon im Frübjahr 1523 nach Allstedt übergesiedelt, und. der Dienst bei der Domina fällt in den Winter 1522/23- Die Zeitangabe ist also nicht ganz genau; im übrigen erweisen sich die Aussagen als zuverlässig. Was Müntzer zu Hans Moller über die Bibel geäußert hat, stimmt vollkommen zu einer Stelle seiner „Protestation odder empietung“: „Ab du auch schon die biblien gefressenhets, hilfft dich nit.“ So roh die Form dieser Aeußerungen ist, so wenig darf man vergessen, daß Müntzer nicht die Bibel treffen wollte, sondern den Buchstabenglauben. Der von Leonhard Buchler erwähnte Brief mit der Unterschrift „Thomas Müntzer mit dem Schwert Gideonis“ ist keine Er- findung; wir besitzen zwei Briefe mit dieser Unterschrift, die an die Mansfelder Grafen gerichtet und am 12. Mai 1525 geschrieben sind!) Auch Ulrich Kreitz hat die Wahrheit gesprochen, wenn er schildert, wie er von Nordhausen zu den aufständischen Bauern gereist und in Ebeleben mit Müntzer zusammengetroffen sei; ohne Zweifel begleitete er die Nordhäuser Abgesandten, die Müntzer und seinen Haufen am 30. April 1525 in Ebeleben anfsuchten und sie baten, in Nordhausen christliche Ordnung zu schaffen und die deutsche Messe einzuführen?) Die vier Genannten haben ihre Haltung während der Unruhen sämtlich mit Verbannung gebüßt?).

Auf die Erfolge, die Müntzers eindrucksvolle, werbe- kräftige Beredsamkeit auch in Halle erzielt haben wird, fällt hie und da ein Streiflicht. Die Familienpapiere des Geschlechts von Selmenitz, die der thüringische Chronist Paul Jovius um die Zeit des dreißigjährigen Krieges ver- arbeitet hat, bezeugen, daß die Witwe Felicitas von Selmenitz das Abendmahl in beiderlei Gestalt zum erstenmal aus Müntzers Hand im Georgenkloster heimlich empfangen habe“).

) Luther W. A. 18, 369ff u. 871ff. Buchler (auch Puchler) ist dieselbe Persönlichkeit, der Luther am 11. Dezember 1523 über die Anbetung des Sakraments schrieb; vgl. E. A. 53, 297,

3) E. G. Förstemann, Kleine Schriften zur Gesch. d. Stadt Nord- hausen. I. Nordhausen 1855. S. 86. Das Datum ergibt sich aus Müntzers Brief an die Salzaer (Forschungen zur dentschen Gesch. 14, 581).

*) Herzberg, Gesch. d. Stadt Halle. Bd, 2. Halle 1891. S. 58 (nach einer Chronik). Vgl. Summarische Beschreibung vonn anno etc. 18 biss uff etc, 41 incl, belangendt erczbischoff Albrecht... (Haupt- staatsarchiv Dresden, Loc. 8948).

*) Jovins, Genealogie derer von Selmenitz, (Kreysig, Beyträge zur Historie derer Sächs. Lande. Th. 2, Altenbg. 1755. S. 106). Über

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Wenn der Chronist den Vorgang in die Christnaeht des Jahres 1523 (statt 1522) setzt, so bat er sich entweder ge- irrt oder das Jahr nach mittelalterlicher Weise mit Weihnachten eröffnet. Ein Hallenser Küster Engelhard Mohr sprach Müntzer in einem Briefe vom 31. März 1523!) seinen Beifall über dessen Lehrtätigkeit in Halle aus, die offenbar damals be- reits ihr Ende gefunden hatte. Aber wichtiger war die Be- ziehung, die Müntzer mit dem Goldschmied Hans Hujuff aus Halle, einem der Künstler des Landesherrn, Kardinal- Erzbischof Albrecht, anknüpfte; denn Hujuff ist es gewesen, der zwischen Müntzer und den Zürcher Täufern als Binde- glied gedient hat. Unter der Nachschrift des Briefes, den Konrad Grebel von Zürich und seine Gesinnungsgenossen am 5. September 1524 an Müntzer richteten, findet sich auch die Unterschrift „Hansz Huiuf, din lantzman von Hall“, Aus dem Briefe geht hervor, daß Hujuff, der als Mitbürger und Mitbruder bezeichnet wird, noch vor kurzem bei Müntzer gewesen war. Er ist vermutlich auch identisch mit dem zweimal erwähnten „Bruder“, der bei Müntzer freundliches Gehör gefunden und den Zürchern über dessen Lehren be- richtet hatte. Soeben hatte Hujuff aus der Heimat Luthers Streitschrift gegen Müntzer und zugleich briefliche Mitteilungen über diesen empfangen. Sicherlich hat Hujuff Müntzers An- sichten nur so weit gebilligt wie der alle Gewalt verwerfende Tünferkreis, dem er angehörte und in dessen Schicksal er bei der Verfolgung von 1525 verwickelt wurde?).

Daß Müntzer, dessen Ruf schon durch die Zwickauer Vorgänge schwer belastet war, an einem Kloster in der zeitweiligen Residenz des ersten deutschen Kirchenfürsten Anstellung fand, erklärt sich aus der religiösen Gährung im Erzstift Magdeburg, der unsicheren Haltung des Erzbischofs. Schon im August 1522 hatte ein Kaplan von St. Georg,

die späteren Beziehungen der Felicitas zu Luther vgl. E. A. 58, 442; vielleicht bezieht sich auch E. A. 60, 178 auf sie.

1) Seidemann 8.3. Anm. 2.

2) Der Brief vom 5. September 1524 bei Cornelius, Gesch. des Münsterischen Aufruhrs. Buch 2, Lpz. 1860. Beilage 1. P. Wappler, Th. Müntzer in Zwickau. (Progr. Zwickau 1908). Anm. 176 deutet „Hall“ in der Unterschrift Hujuffs auf Hall in Tirol. Die Hujuffs waren aber in Halle a. S. ansässig; vgl. Herzberg a. a O. 2, 808. Über Hujuffs künstlerische Tätigkeit für Albrecht vgl. P. Redlich, Cardinal Albrecht von Brandenburg und das neue Stift zu Halle. Mainz 1900. S. 800., Über Hujuffs Verflechtung in die Zürcher Tüuferverfolgung vgl. Egli, Actensammlung zur Gesch. d. Zürcher Reformation. Zürich 1879. Nr. 674. 692. 890.

19*

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wahrscheinlich Müntzers Vorgänger, sich verheiratet und sich nach Wittenberg begeben!) Um Neujahr 1523 entstanden gefährliche Unruhen gegen das Kloster Neuwerk, die vielleicht mit Münizers Anwesenheit in Halle zusammenhingen ). Immerhin dürfte sich Müntzer, des heimatlosen Umher- streichens müde, in seiner öffentlichen Wirksamkeit mehr zurückgehalten haben, als sonst seine Gewohnheit war. Dafür spricht die angeführte Nachricht, daß die evangelische Abendmahlsfeier mit Felicitas von Selmenitz heimlich statt- fand, und vor allem die Tatsache, daB Müntzers Hallenser Wirksamkeit in der Ueberlieferung nur so schwache Spuren hinterlassen hat. Aber wenn er sich öffentlich zurückhielt, fragt es sich, ob er nieht im Geheimen für die Ideen ge- wirkt hat, die er in Zwiekau uud Prag gepredigt hatte. Ich versuche, auf diese Frage eine Antwort zu geben, bin mir aber bewußt, daß sie vorläufig nieht streng erweisbar ist.

In dem Gestündnis, das Müntzer am 16. Mai 1525 kurz vor seiner Hinrichtung ablegte, findet sich eine wichtige Stelle?):

„Zu Aschersleben und Halla, do habe er in der jugent, alss er Collobrator gewest, auch eyn verbunthnus gemacht; dor inne seyn Peter Blinde zu Aschersleben, Peter Engel, eyn kirehner zu Halla, Hans Buttener und Cuntz Sander doselbest am steynthore. Ist widder bischoven Ernsten hoch- Joblichen gedechtnus gewest."

Wenn diese Aussage richtig ist, so verschiebt sie das gesamte Bild von Müntzers Entwicklung. Alles, was wir Bonst von ihm wissen, spricht dafür, daß er von der Refor- mation zum chiliastischen Sehwürmertum und von diesem zur revolutionáren Geheimbündelei gelangt ist. Jene Aussage aber setzt seine erste Verschwörung gegen die Obrigkeit in die Zeit vor Luthers Tat, in die Regierungszeit des Magde- burger Erzbischofs Ernst, der schon am 3. August 1513 ge- storben ist. Das Geständnis, das durch die Folter erpreßt ist, hat mir daher von jeher Zweifel erregt. Der oben ge- fübrte Nachweis, daß Müntzer fast ein Jahrzehnt nach dem

1) Bericht des Propsts Demuth an Albrecht vom 21. Aug. 1523 (v. Ledeburs Allgem. Archiv für d. Geschichtskunde des Preuß. Staats Bd. 1. Berl. 1830. S. 101).

23) Mainzer Domkapitelsprotokolle Bd. 4, Bl. 664r, dat 7. Jan. 1523: „Item so het sich auch zu Hall ein uffruer erhabn, also das etlich in der stat umb drey oder vierhundert sich entbert und das closter zum Newen Werk zurstoern oder irs gefallens beschedigen wölln eto.“ (Gütige Mitteilung des Staatsarchivs Würzburg).

3) Seidemann Beilage 44 (= S. 154—155).

133 293

Tode Ernsts noch einmal in Halle geweilt hat, legt nun einen Gedanken nahe, der die Schwierigkeit löst. Ich vermute, daß die Verschwörung in Mtüntzers zweiten Hallenser Aufent- halt fällt, und daß er sie in den ersten zurückverlegt hat, um statt seiner noch lebenden Mitverschworenen nur Tote nennen zu können’). In der Tat ist nach den Hallenser Akten des Magdeburger Staatsarchivs keiner der von ihm Genannten verhört worden, obwohl sein Geständnis durch den Druck verbreitet wurde. Wenn meine Vermutung zu- trifft, so fügt sich der Hallenser Anschlag in Müntzers Ent- wicklung passend ein: Zwischen dem Aufruf an die Böhmen und dem Bund von Allstedt steht die Verschwörung gegen Kardinal Albrecht. Waren die Beschwerden gegen seinen Vorgänger Ernst, den Unterdrücker der städtischen Unab- hängigkeit?), weltlicher Art, so beleidigte Albrecht, der skrupel- lose Renaissancefürst, der große Unternehmer des Ablaß- und Reliquiengeschäfts, das religiöse Empfinden, das in Thomas Müntzers Leben stets die treibende Kraft war?). Wir blicken in Müntzers Seele, wenn er dem Steinmetzen Kreitz im Bauern- lager von Ebeleben zurief: „Sage meinem gnüdigen Herrn an, wir wollen bald bei ihm sein und den Ablaß mit ihm austeilen!“

1) Vielleicht nannte er daneben auch einen falschen Namen. Der Kirchner Peter Engel könnte eine leichte Verschleierung des oben (8. 291) erwähnten aeditnus Engelhard Mohr sein.

n Vgl. Hertzberg a. a. O. Bd, 1. Halle 1889. S. 513ff.

3) Über Müntzers Entwicklung vgl. in erster Reihe H. Böhmer, Th. Müntzer und das jüngste Deutschland (Allg. ev.-luth. Kirchen- zeitung Jabrg. 1928, Nr. 8—18).

Eine vorreformatorische Disputation über die iustificatio. Von Otto Clemen.

Dem Vordereinbanddeckel des Foliobandes 35. 3. 6 der Zwickauer Ratsschulbibliothek!) eingeklebt fand sich ein Leipziger Disputationszettel, dessen Mitteilung sich verlohnt. Den Drucker konnte ich nicht feststellen. Die Disputation wurde vermutlich 1502 oder etwas später abgehalten von Matthäus Hennig aus Großenhain, den Bruder des Meißener Dechanten Joh. Hennig, immatrikuliert W. 1489, bacc. W. 1494, mag. W. 1497, cursor 1499, sententiarius 1501, lie. theol. 1602, dr. theol. zwischen 1505 und 1507, noch 1521 Mitglied der theologischen Fakultät“). Das Thema ist die iustificatio bei Paulus stand also damals schon im Vorder- grunde des Interesses.

Subseriptam questionem cum suis conclusionibus et corre- larij Egregius et eximius vir Matheus Hennigk Haynensis arcium optimarum philosophie et sacre theosis professor proxima die veneris ordinarie disputabit Mane hora oetava:

) enth. Antoninus Florentinus, Summa theologica. Repertorium. Pars I. Straßburg, Joh. Grüninger 28. Sept. 1490. HC. 1248, 1. P. 458.

) Felician Geß, Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1, Leipzig 1913, S. 54. Vgl. ferner über ihn Brieger, Die theologischen Promotionen auf der Universität Leipzig 1428—1589, Leipzig 1890 (Dekanatsprogramm), S. 64. G. Buchwald und Theo Herrle, Redeakte bei Erwerbung der akademischen Grade an der Universität Leipzig im 15. Jahrh., Leipzig 1921 (= Abband- lungen der philol. hist. Kl. der Süchs. Akademie der Wissenschaften 81. Bd. Nr. 5), S. 12. Über Joh. Hennig vgl. Geß S. 33. Brieger S. 58, Machatschek, Gesch. der Bischöfe des Hochstiftes Meißen, Dresden 1884, Reg. s. v. Neue Mitteilungen aus dem Gebiet hist, antiquarischer Forschungen 19, 408, 422, Flugschriften aus den ersten Jahren der Beformation 1, 93. Zeitschrift des Vereins für Kirchengesch. in der Provinz Sachsen 6, 48.

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Utrum lustificatio impij, que motus est liberi arbitrij a statu peccati ad actus iusticie consecutionem, In doctore gentium beato Paulo praecesserit pro aliquo temporis vel nature momento gratie infusionem.

Articulus primus de iustificationis imposi- fione eiusque significatione,

Conclusio Prima.

Liberi arbitrij rectitudo, iustificatio impij in homine dicta, que in adultis necessario requirit contritionem, À culpa tum et a gehenne ignis supplicio et a venialibus purgatorij pene debitis importat liberationem.

Correlarium Primum. | Vocatio anime interior peccatoris, que ad finem pertingit, ex parte vocati apte dieitur impij iustificatio. Recte igitur praeparationem hominis nocentis assumit, per quam deo appropinquare potest affectu atque desiderio.

Correlarium Secundum.

Etsi tota impij iustificatio originaliter stet in gratie in- fusione, qua et per arbitrium movetur et culpa remittitur, Non famen a gratia vel fide vel charitate, sed a iusticia, que totam rectitudinem dicit, nomen sortitur.

Articulus Secundus de iustificationis causa- tione et perfectione.

Conelusio Secunda.

Culpe remissio non est vocatio movens inferius exci- fansque mentem in peccati detestationem nec est iustificatio. Immo vocatio remissionis est causa. rectificatio enim respicit $erminum motus, uf esse iustum ad motum autem in gratie infusionem est vocatio!).

Correlarium Primum,

Vetus lex non effecit, sed ceremonialibus figurabat ver- bisque promittebat iustificationem. Sacerdotes igitur antiqui non iustificabant, sed tantum, qua iustificabantur, significabant fidem,

Correlarium Secundum.

Homo licet a deo glorioso principaliter, a passione Christi meritorie iustificetur, Ecclesie tamen sacramentis uf instrumento et fide illud coniungente deo impius rectificatur.

1) Ich habe die Interpunktion des Originals beibehalten, der Satz ist mir unklar,

296 136

Articulus Tertius de iustificationis ordine atque modificatione.

Conelusio Tertia.

Liberi arbitrij motus contra peccatum in iustificatione ordine nature sequitur motum fidei in deum et gratie in- fusionem. Bene igitur in doctore gentium Paulo ae quolibet reo iustificato (quamvis omnia in eodem sint instanti) prae- cessit culpe remissionem.

Correlarium Primum.

lufusio gratie in iustificatione et culpe remissio diffe- rentes secundum terminos numero sunt unus actus. Gracie tamen infusio et culpe remissio inquantum mutationes differunt realiter sunt omnino idem ut motus.

Correlarium igitur finale et responsivum in praesenti questione Est conelusionum et correlariorum assertio cum debita modificatione.

Dominorum In Lectorio Theologorum.

Ein Brief des Zwickauer Rats an Luther. Von Otto Clemen.

In einem Nachlaß fand sich das Originalkonzept des folgenden Briefes des Zwiekauer Rats an Luther vom 21. Mürz 1527:

Vnnsere gantz willige Dinste zuuorn! Wirdiger, acht- parer und hochgelarter, großguustiger her und furderr, Wir haben ewr a w sehreyben von wegen Paulen Ecksteyns vnsers Mitburgers vmb hulffe vnd stewer zu widrvffrichtunge seynr Nahrunge ıc. sambt weythern Inhalts heren lesen und vernohmen, glauben gentzlich, Ecksteyn werde euch bericht haben, Als ab Er nytt auß vnartt addr Mißbrauch, sundr auß zufalh vnd gottliche schickunge In schedden vnd armute salte kommen seyn. Wir aber vnd Neben vns vil leuthe wissen, das zum tayle woll anders, Sunderlieh ab Es an yme!) solte bewandt gewest, das yme von fursten?), herren vnd andren leuthen (gegen welchen Er sich aber gar vn- dangkbar do vmb beweist) hulffe vnd furderung, mhr dan zur gnuge, bescheen sey, So Er das woll hette prauchen wollen, wy Er durch Etzliche seyne freunde vilmals dr wegen treulich verbbarnet :x. Nach deme abr solche leuthe, als ecksteyn vnd seyn hauffe ꝛc., Nur von Mussig- gange, teglichem schlemmen, prassen vnd stocken, als er pflegett, gnugk haben, nytt arbeytten wollen“), wy sie woll thun konten vnd auß gotlichem befelche, ynen selbst, Iren weyben vnd kinden zu guthe :c, thun solten, Ab so denn entlich gebrechn vnd armutte do auß eruolge, Solten*) sie billicher ynen selbst?) dy vrsach zu messen dan gotliche schickunge x. In deme beschuldigen. Derhalben, groß- gunstigr, lieber her doctor, Ab wir‘) an vns halten, Euch ewrr furbette zu dyesem male?) angetzeigter vrsachn nyit gewehren wurden, Als wir one das Auß christlichr pflicht

1) yme (het) 2) fursten (vnd)

3) wollen (als) *) statt Mechten 5) gelbst (zuuor, e) willen (gerne)

) werden (vns)

298 138

auch vmb der selben ewrr furbette willen?) zuthun genaygt vnd gerne thetten, wollen wir vns bey Ewrr À w gentzlich versehn, werden?) sols In kaynem vnguthem von vns ver- mergken, sundr vns dyse vnsre anttwordt widr vmb auch zu guthe halten?), do mitte auch one das*) den leuthen nytt vrsach®) hyedureb gegeben (wy gewißlich volgen wurde) vnnutze denen?) zu bereden. Wolten wir Eurr achparkeit’), deren wir sunsten In allem Moglichen dinstlichen willen vnd gefalln zuertzaigen nif alleyne gantz gevlissen, Sundern auch williger dan willigk ıc.®), zu vnserr entschuldigungh hyemitte nytt vnangetzaiget lasen. Datum dornstags Nach Reminiscere (21. März) Anno c. xxvijten

Dem wirdigen Achtbarn vnd hochg herrn Martino luther dr heyligen gotlichn schrifft doctorj Ecclesiasten ꝛc. zu witten- bergk vnserm großgunstigen herrn und furderr

Der Zwickauer Rat lehnt also „diesmal“ eine Fürbitte Luthers für einen Zwickauer Bürger Paul Eckstein ab. Luther habe sich von diesem einreden lassen, er sei „aus Zufall und göttlicher Schickung“ in Armut und Elend hinein- geraten, während er es doch selbst durch Müßiggang und Schlemmen und Prassen verschuldet habe. Hilfe und Förderung sei Eckstein schon mehr als genug von Fürsten, Herren und andern Leuten widerfahren; er habe sich aber undankbar und unwiirdig gezeigt.

Merkwürdig, daB Luthers Brief, in dem er für Eckstein eingetreten war, sich nicht im Ratsarchiv erhalten hat. Vielleieht war er gar nieht an den Rat, sondern an Eckstein gerichtet, der ihn im Rathaus vorzeigen sollte.

Im Lehnbuch II d. a. 1536 Bl. 64b findet sich folgender Eintrag: 1. virtel fur der Stadt Paul Eckstein Tuch- macher von dem Haus Geschoß VIII gr. In der Türken- steuerliste von 1542 wird erwähnt: Paul Eckstein, wohnt vfim Silberhof, hat drei Hausgenossen; der Wert seiner Güter beträgt 150 fl. Im Ratsprotokoll 1542—43 Bl. 14b steht unterm 29. Nov. 1542 folgender Ratsbeschluß: „Paul Eckstein. Nachdem er auff dem Weinkeller vnd sonsten Inn den Zechen hie vnd anderswo vbel vom Radth vnd den

1) wir (angetzeigter vrsachn) 3) male (und)

3) sundr halten am Rande nachgetragen

) one das eingefügt 5) vrsach (gegeb)

*) Oder douon? Ursprünglich folgte: zu classen odder zu reden ?) achparkeit (zur antwortt)

e) Ursprünglich folgte: zur anttwort vif ewr schreiben gethan schreyben und zu vnserr entschuldigung hyemitte

139 299

Radtspersonen redet, einen hie, den andern dort beschmitzet vnd sonderlich neulich Inn der Weinstuben Inn gegenwart Hrn Hansen Vilberers, Paul Fellers vnd Hansen Fellers ge- sagt, er wolle nicht sterben, es musse noch dis Jahr ein Radherr zur Staupen gehauen werden, Als sol er erfordert werden, das er diesen Radherrn namhafftig anzeige, wo nieht, sol er vmb dieser schmehewort mit einem thurm gestraft werden und heraus nicht komen, er zeige dann den Radthern an oder thue dem Radth einen billigen abtrag.^ Diese Abbitte leistete Eckstein am 9. Dezember.

Wir sehen: Eckstein ist wieder zu Wohlstand gelangt. Im übrigen war er ein Trunkenbold und Maulheld. Luther hat, wie öfters, in seiner grenzenlosen Gutmütigkeit den Klagen eines heruntergekommenen Mannes Glauben geschenkt und für ihn Fürbitte eingelegt, ohne sich nach den wirklichen Verhältnissen zu erkundigen und die andere Partei zu hören.

Huttens Bücherraub. Von Paul Kalkoff.

Um von dem romantischen Huttenbilde wenn auch der ,ritterliche Reformator", der „nationale Held“ von ernsten Kirehenhistorikern wie W. Kóhler und O. Clemen selbst auf- gegeben worden ist noch etwas zu retten, wird die „Be- sehuldigung", er sei „ein Bücherdieb“ gewesen, grell be- leuchtet), während nur von einem ,Bticherdiebstahl*?) ge- sprochen wurde. Jene weit bedenklicher klingende Stigmati- sierung Huttens wurde ebenso vermieden wie die Zusammen- fassung seiner negativen Eigenschaften mit der Bezeichnung als ,Lump*. Die hypnotisierende. Wirkung dieser Schlag- worte auf Fernerstehende wird noch verstürkt durch die An- deutung einer „leidenschaftlichen“ Gehässigkeit, während an anderer Stelle zugegeben wurde, daß es sich für mich nur darum handelte, die Größe und Reinheit des Reformations- werkes und seines Urhebers von dem Eindruck einer nach- teiligen Legendenbildung zu befreien. Dabei lag nichts ferner und war von vornherein überflüssig, von dem an- gedeuteten „eirculus vitiosus^ Gebrauch zu machen, da der ungünstigen, ja vernichtenden Tatsachen so viele sind, daß es auf den Fuldaer Bücherdiebstahl gar nicht ankommt. Gleichwohl móchte ich, um der suggestiven Wirkung jener Ueberschrift und dem bei der sentimentalen Stimmung weiter Kreise zu befürchtenden Schlusse weil Hutten kein „Bücher- dieb“ war, so ist alles andere ihm Nachteilige ebenfalls er- funden vorzubeugen, das Zugestündnis machen, das auch Schillers Kapuziner seinen kriegerischen Zuhörern macht: das siebente Gebot?

Ja, das befolgt Ihr auf das Wort, Denn Ihr tragt alles offen fort!

Doch zur Hauptsache! Alle diese Dinge, wie selbst die

Erpressungen, nicht an „Kurtisanen“, sondern an harmlosen

) O. Clemen in dieser Ztschr. XXIII, 151 ff. 2) Huttens Vagantenzeit S. 108ff., „effektvoll“ verschärft durch den Ausdruck: „Anklage auf ganz gemeinen Bücherdiebstahl".

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deutschen Klerikern, die Verstümmelung der Dominikaner, der StraBenraub an den Aebten, Spielwut und sonstige Aus- schweifungen können im Stile des Straußischen Romans als „Ritterstückchen“, als atavistische Belastung des buchonischen Junkers, als Reminiszenzen seiner Vagantenzeit aufgefaßt werden. Sie sind auch von mir stets als Bagatelle behandelt und nur als Hilfsmittel der von meinen Gegnern vermißten psychologischen Motivierung an Stelle der angeblich von mir tibereilten „moralistischen“ Aburteilung herangezogen worden. Denn es galt, drei furchtbare Tatsachen subjektiv einigermaßen verständlich zu macben: Huttens Verrat an Luther durch Beteiligung au der Intrige, durch die er um das Geleit des Reichstags betrogen werden sollte; seinen Verrat an der evangelischen Sache und der nationalen Frei- heit, der Freiheit vor allem der Wissenschaft und des ge- schriebenen Wortes, durch Schweigen tiber das erschlichene Wormser Edikt'), zumal den Presse- und den Zensurerlaß; endlich das Attentat auf Erasmus mit all dem schlimmen Drum und Dran, obwohl auch hier der Hintergedanke der Erpressung, die Gemeinschaft mit einem Eppendorf u. a. nur von nebensächlicher Bedeutung ist*) Unerläßlich war die quellenmäßige Darstellung dieser Vorgänge von unberechen- barer kirchenpolitischer Tragweite auch vom Standpunkte der engeren Lutherforschung als Erklärungsversuch zu dem Urteil des Reformators über Hutten: „ein stolzer, frecher,

!) Vgl. etwa die entrüsteten Äußerungen des Zwickauer Schul- mannes Neander (Kalkoff, Entstehung des W. E. Leipzig 1918. S. 288 fl., 291ff.), das Urteil des Herzogs Georg von Sachsen oder die Klagen des Prüdikanten Rot-Locher, ARG. XXIV (1927). Viel zu wenig be- achtet wurde bisher, daß Hutten trotz der Anfkündigung des kaiser- lichen Dienstes (28. Mai 1521) an der dem Beichtvater Glapion, dem Beauftragten Aleanders, am 6. April gegebenen Zusage festgehalten und die Polemik gegen das Papsttum und die katholische Kirche ein- gestellt hat, Da der „Neu-Karsthans“ nicht von ihm herrührt, so bleiben für die Jahre nur einige wütende Ausfälle gegen die Kurti- sanen, die reisigen Bischöfe, die trunkenen Domherren, den Wormser Domprediger und das vermeintlich lutherfeindliche Reichsregiment übrig als einen Ausschuß der adelsfeindlichen Fürsten. Die Androhung des Bannes hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.

) Dabei wird die verräterische Haltung des im Mainzer Dom- kapitel und in der erzbischöflichen Regierung organisierten Adels bei der „Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V.“ bei Seite gelassen, da Ulrich hier zunächst nur als Nepot des Hofmeisters Frowin in Betracht kommt, Aber warum ist der Herold der nationalen Ehre auch hierbei 80 schweipsam gewesen?

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frevler Mensch“. Wenn es also ein Schlagwort sein muB, so ist das Wörtchen „Lump“, in dem ein nachsichtiges Ver- ständnis für Willensschwäche, Beschränktheit und widrige Schicksale mit anklingt, in diesem Falle nicht angebracht; denn gewiß, „dumm war Hutten nicht“ und auch kein Schwächling; aber er war, national gedacht, ein Schädling und kirchenpolitisch ein Frevler.

Das aber führt in Abgründe des Scelenlebens hinein, neben denen ein einmaliger „Bücherdiebstahl“ kaum in Be- tracht kommt. Hier können nur die von Georg Sauermann angedeuteten!) Verwtistungen der dunkelsten Periode seines Vagantenlebens weiterhelfen. Auch die in den Kreisen der adligen Studierenden übliche Ungebundenheit mit allem Ueber- mut und gelegentlicher Roheit?) reicht nicht aus, diese sitt- lichen Defekte zu erklüren. Um so schwerer ist es, sich ein Bild von dem Treiben Huttens zu machen wührend der Zeit von seinem unfreiwillig beendeten Aufenthalt in Leipzig (Herbst 1507) bis zu der höfischen Begrüßung des neuen Erzbisehofs in Mainz (Herbst 1514), die nur dureh das un- schöne Abenteuer von Greifswald, den kurzen Aufenthalt in Rostock, Wittenberg und Wien und die nichtssagenden Notizen über seinen ersten Aufenthalt in Italien unterbrochen wird. Das völlige Abreißen der „poetischen“ Versuche, die unter dem wohltätigen Einfluß des Aestikampianus in den „Querelen“ zu anerkennenswerter Reife gediehen waren, legt die Be- obachtung nahe, daß schon der „Nemo“, der im Frübjahr 1510 in Erfurt gedruckt wurde, den Beginn eines Abstiegs be- deutet, der durch die versifizierte Metrik von 1511 nur etwas verlangsamt erscheint. Angesichts der „oft direkt wörtlichen“ Entlehnungen aus Cicero in seinen Reden gegen Ulrich von Württemberg. wäre es erwünscht, wenn auch für diesen Fall einer etwaigen Abhängigkeit von seinen Vorgängern nach- gegangen würde“).

Bei der bewundernswerten Spannkraft seiner Natur und dank nepotistischer Begünstigung wurde ihm ein Aufstieg ermöglicht, bei dessen vielversprechender Entwicklung der Mißbrauch der Fuldaer Gastfreundschaft als einmaliger Rück- fall übersehen werden könnte. Und so tat auch G. Richter, der die endgültige Entfernung der drei Codices feststellte,

1) Vagantenzeit nach dem Personenverzeichnis.

3) Nach den Akten der Universität Freiburg geschildert in einem „Nachtrag zur Huttenlegende“, der voraussichtlich in der Hist. Viertel- jahrschrift erscheint.

s) Strauss-Clemen, U. von Hutten S. 498f. Vagantenzeit S. 118 Anm.

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wohl daran, sich „noch vorsichtig zu äußern“, obwohl auch ihm vorgehalten wird, er „meine“ zu Unrecht, daß Hutten die Originale nicht in Abschriften seiner Bibliothek ein- verleibt habe, wie D. Fr. Strauss es sich zurechtgelegt hatte, sondern gestohlen!) Aber Richter sah Hutten sonst noch in der herkömmlichen romantischen Verklärung und auf dem Hintergrund der großen mittelalterlichen Ueberlieferung des Benediktinerstifts als den von golttesfürchtigen Eltern ge- opferten, dureh Gewühnung an die klósterliche Bestimmung gebundenen künftigen Mönch. Von der Verwahrlosung des Ordens in den Hünden des rüuberischen buchonischen Adels, den furchtbaren Zuständen unter dem kaiserlichen „Kurtisanen“ Hartmann wie unter den ohnmächtigen Regenten des Kapitels weiß er nichts, obwohl er die Chronik eines der Kapitel- herren, des Apollo von Vilbel, anführt. Angesichts dieser Verhältnisse, bei denen die Abtei um ganz andere Besitz- tümer als ein paar Handschriften betrogen und beraubt wurde, inmitten der ererbten Anschauungen dieser Sippen der Hutten, Eberstein, Thüngen, Stein von Liebenstein, der nächsten Vorfahren des Literaten, ist es richtiger, von einem Bücherraub zu sprechen. Dieser aber wird durch die „stereotype Redensart“ nicht gemildert, wenn Hutten sich noch ein Verdienst daraus macht, daß er die Bände vor dem Verderben durch Staub und Moder gerettet habe, denn die Räume mochten feucht sein, aber die Bibliothek war, entgegen der durch ihn veranlaßten Auffassung, wohl. geordnet und würdig ausgestattet, so daß schon das „Finden“ der besonders merkwürdigen Stücke keine besondere Mühe- waltung bedeutete. Dabei ist der gesamte literarische Nach- laß Huttens von solcher unehrlichen Rhetorik durchsetzt. Endlich ist die gegen Aeneas Silvius vorgebrachte, aus der Luft gegriffene Beschuldigung darauf berechnet selbst- verständlich nicht, diesem auch die Schuld an dem Ver- schwinden der bis 1520 vorbandenen drei Bände zu- zuschieben wohl aber sich als den sorgsamen Freund der Sammlung hinzustellen, den der Verdacht, sie dauernd schädigen zu wollen, nicht treffen könnte, Daß er die Auf- findung der Handschriften öftentlich erwähnte?) und dann

1) Strauss-Clemen S, 502,

2) Die Sorge, daß er damit „die Polizei auf seine Spur weisen konnte*, kam für ihn nicht in Betracht, denn in ganz Franken wie im Kurfürstentum Mainz gab es Edelleuten gegenüber (, Ritter" ist Hutten so wenig gewesen wie Sickingen) keine solche Instanz: „his omnia licent impune", sagte Erasmus in seiner Satire auf den „Ritter ohne Ross“

(Vagantenzeit S. 12).

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doch die Zurückgabe bei den sich noch darbietenden Ge- legenheiten unterließ, erklärt sich aus der räuberischen Sehainlosigkeit, mit der er dann auch seine Erpressungen betrieb. Diese seine Handlungsweise und Geistesverfassung wird nun weiter dadurch verständlich gemacht, daß man in den maßgebenden Kreisen der Abtei, unter den Regenten wie später unter dem jugendlichen Abt, Grafen Johann von Henneberg, nicht daran dachte, das Vermißte zurück- zufordern. Aber noch besser oder schlimmer! Aus jenem Hinweis auf das Eigentumsrecht der Fuldaer Bücherei hätten doch der Arzt Lotzer, der Buchhändler Setzer, der Domherr Moritz von Hutten und der fromme Camerarius entnehmen müssen, daß es sich hier nicht um einen wohlerworbenen Besitz Ulrichs handeln konnte, den man seiner Familie zu erhalten versuchen müsse. Auch mußte man annehmen, daß die Reichsabtei dem gutgläubigen Käufer den an die kurfürst- liche Kasse gezahlten Preis ersetzen und auch das eine Stück dem Buchdrucker für die augebotene Summe zur Veröffentlichung leihen würde. Nebenbei bemerkt, ist es durchaus nicht sicher, daß dieser Bücherbesitz Huttens bei der Einnahme der Ebernburg, wo er ihn „deponiert“ habe, dem Kurfürsten in die Hände fiel und nun von dem Heidelberger Arzte „ex praeda" erworben wurde. Hutten teilt vielmehr selbst mit, daß er seine „Bücher und Kleider“ von dort auf einem gemieteten Fuhrwerk habe fortschaffen lassen, vermutlich mit der Bestimmung nach Mülhausen, nachdem er aus Basel bald fortgewiesen worden war. Dabei fiel alles den streifenden Reitern Ludwigs V. zur Beute, die Vergeltung für den an den zwei oder drei Aebten begangenen Straßenraub üben sollten, und wurde in Heidelberg ver- steigert, um mit dem Erlös die geplünderten Prälaten schadlos zu halten. In dem Entwurf einer Flugschrift, in der Hutten seine Untat mit dem Fehderecht zu verteidigen suchte, klagte er darüber, daß vor der Habgier des Kurfürsten „nicht einmal die Liberien mehr sicher seien: wer sei je so viehisch grob gewesen, daß er sich nicht des Raubes an so ehrwürdigem Gut enthalten hätte“ 1)! Er selbst aber hatte seinen Raub in Sicherheit bringen wollen, wobei angesichts seiner Mittellosigkeit, der er durch jenen Erpressungsversuch, durch gewerbsmäßigen Betrieb des Würfel- und Karten- spiels und ähnliche Mittel abzubelfen suchte, es doch das erträglichste gewesen wäre, die Codices zu verkaufen oder sich den Abdruck durch einen Verleger bezahlen zu lassen,

!) Hutten u. d. Ref. S. 471 fl. Vagantenzeit S. 847 f,

145 305

Dennoch würden wir „das einem harmlosen Gelehrten gewährte Vertrauen", daß er die seltenen Werke nach ge- höriger Benutzung zurückgegeben hätte, wenn nicht widrige Umstände und schließlich der Tod ihn daran gehindert hätten“), auch ihm nicht vorenthalten, wenn eben auch nur eine „Möglichkeit offen bliebe“, daß er imstande gewesen wäre, sie in wissenschaftlichem Sinne zu „verwerten oder gar auszuschöpfen“. Welche langwierige, Fleiß und Scharf- sinn erfordernde Arbeit nun allein bei der Kollationierung der Quintilianhandschrift zu leisten war, welche gründliche Kenntnis der bisherigen Ueberlieferung des Textes und ihrer Schwächen vorausgesetzt wurde, um den Fund durch treffende Konjekturen für die endgültige Feststellung des Textes aus- zunutzen, das lehren die sich jahrelang hinziehenden Be- mühungen des Grynäus und Camerarius. Wäre Hutten fähig oder auch nur willens gewesen, etwas Aehnliches zu leisten ? Die Frage muß verneint werden, nachdem jetzt sein Ver- hältnis zu der Livius-Ausgabe von 1518 klargestellt ist. Denn an dieser war Hutten nur durch Abfassung der schwülstigen und servilen Widmung an den Kardinal Albrecht beteiligt, während Erasmus es sich nicht nehmen ließ, das Verdienst der beiden tüchtigen Philologen Karbach und Angst um das Gelingen des schwierigen Werkes unter Verwertung einer neu aufgefundenen Handschrift in einer Vorrede gebührend anzuerkennen?). Nicht einmal zu einer nennenswerten Mit- arbeit an den von Joh. von Schwarzenberg geplanten Ueber- setzungen war Hutten zu bewegen.

Und so hat ihn Erasmus bei allem konventionellen Lobe seiner stilistischen Fähigkeiten immer nur als eine Art enfant terrible behandelt, so daß auch der Versuch seiner Rettung durch Annahme einer „platonischen Humanistenfreundschaft“ zwischen ihm und dem Oberhaupt der Gelehrtenrepublik?) als mißlungen zu betrachten ist. Dabei kam u. a. zum Vorschein, wie geringschätzig ihn ein wahrer Freund und Junger des Erasmus, der feurig beredte, vom reinsten Eifer für die Sache Luthers erfüllte Justus Jonas behandelt hat. Dieser fand es 1519 nicht der Mühe wert, ihm in Mainz

1) Zu der Frage Clemens S. 151 Anm. 1 ist noch zu bemerken, daß Hutten sich um den Mönch, der die Bibliothek zu hüten hatte, solbstverständlich nicht bekümmert hat. Von „Fehden“, die ihn am Arbeiten verhindert hütten, kann doch im Ernste nicht gesprochen werden.

*) Vagantenzeit S. 208 fl.

3) W. Kaegi, Hutten und Erasmus. Hist, Vierteljahrschrift XXII 1924) 200—278. 461—514; dazu mein Nachtrag zur Huttenlegende a.a O.

Archiv für Reformationsgeschichte. XXII 8/4. 90

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einen Brief des Meisters auszuhändigen. Die ebenso „dumme“, als wütende Schimpferei, mit der sich Hutten dafür rächte, ist ein weiterer Beweis dafür, daß er unter ernsten Gelehrten nur eben geduldet wurde, weil man seine Wildheit und Roheit fürchtete; aber brauchbare Mitarbeit hat man von ihm nicht erwartet. Seine „Herzensfreunde“, Crotus und Eoba- nus Hessus, vernichteten seine ihnen zur Drucklegung an- vertrauten Schriften!) und schwiegen nach Luthers Vorbild bei seinem Tode.

1) ARG XXIII, 128f. Hutten u. die Ref. S, 489f. Vaganten- zeit S, 348. Auf die von Hajo Holborn in der D. Lit.-Z. 1926, Sp. 1598 ff. gelieferte Besprechung der „Vagantenzeit“ brauche ich nicht näher einzugehen, nachdem ich in der Z. für die G. des Oberrheins N. F. 40 (1926), 458 gezeigt habe, mit welchen gründlichen Kenntnissen der junge Gelehrte an die Kritik meiner Arbeit über „die Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V.“ herangetreten ist.

Mitteilungen.

Neuerscheinungen.

Im 2, Teil des dritten Bandes seiner, „Vom Mittelalter zur Reformation“ benannten „Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung“ gibt K. Burdach eine Einführung in das Gesamtwerk, worin er den Plan und Gang seiner Studien und ihren inneren Zusammenhang lichtvoll entwickelt. Weiter enthält der Band die erste Hälfte von „Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit“. Berlin, Weidmann 1926, IX, LXVIII, 262 S, (M. 21,—)

Die neue (2.) Auflage von Joh. Loserths Schrift über „H u 8 und Wiclif", die, zuerst 1881 erschienen, seit langem vergriffen ist, entsprieht um so mehr einem Bedürfnis der Wissenschaft, als, dank zumal Loserth selbst, die große Wiclif-Ausgabe der Wyclif-Society in der Zwischenzeit vollendet worden ist, So hat die 2. Hülfte des Buches „Der Wiclifismus in den Schriften des Huß“ eine vollständige Umarbeitung (die allerdings das Ergebnis der Untersuchung kaum be- rührt) erfahren; auch der erste Teil „Der Wiclifismus in Böhmen“ weist zahlreiche Veränderungen auf. Vier Exkurse bringen auf Grund der Wiclif-Ausgabe erwachsene Einzelforschungen. München und Berlin, R. Oldenbourg. VI, 252 S. 1925, M. 9,50. Bei diesem Anlaß sei auf ein 1924 von der Kostnickà Jednota (dem Zentralverband der Evan- gelischen der Tschechoslowakei) in Prag herausgegebenes Huß-Album mit 32 vortrefflichen Bildertafeln und erläuterndem viersprachigen Text hingewiesen.

Von den „Schriften des Vereins fürRefurmations- geschichte“ liegen vier Hefte bedeutsamen Inhalts vor:

1. Die aus der Schule von Alfr. Schultze-Leipzig hervorgegangene Abhandlung von F. H. Löscher, Schule, Kirche und Obrig- keitim Ref.-Jahrhundert. Ein Beitrag z. G. d. sächs. Kirch- schullehens (Nr. 188; 175 S., 1925) führt, ausgehend von der Ausein- andersetzung zwischen Kirche und Schule über das „Kirchschullehen“ in der Gegenwart auf die Wurzeln unseres Volksschulwesens zurück und zeigt, wie der protestantische Dorfküster der Vorgünger des deutschen Volksschullehrers geworden ist; sie begründet ferner ge- schichtlich wie rechtlich den engen Zusammenhang der Volksschule mit der Kirche. Die entscheidende Wirksamkeit Luthers auf dem Gebiet der Erziehung tritt in helles Licht.

2. Hjalmar Holmquist, Die Schwedische Reformation 1593—1581 (Nr. 189; 146 S., 1925), aus dem Schwedischen von 1922, soll eine Reihe nordischer Reformationsgeschichten, die der Verein dar- zubieten plant, anführen. Die Reformation Schwedens, das als erstes selbständiges abendlündisches Reich endgültig mit der Papstkirche

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brach und nach außen hin als evangelisch auftrat, wird auf nationale und wirtschaftliche Ursachen und auf die Macht einzelner Persönlich- keiten (vor allem des Olavus Petri) zurückgeführt. Den Mittelpankt der Darstellung bildet „Schwedens wichtigster Reichstag" (von Västeräs 1527) mit den Vorbereitungen und seinen Auswirkungen. Der Schluß gibt einen Ausblick auf die innere Umgestaltung unter Einfluß des allmählichen Durchdringens des evangelischen Geistes.

8. E. Stracke, Luthers großes Selbstzeugnis 1545 über seine Entwicklung zum Reformator historisch-kritisch unter- sucht (Nr. 140; 186 8., 1926). Verfasser würdigt, von der Luther- forschung bisher Versäumtes nachholend, die berühmte Vorrede Luthers von 1545 zum ersten Bande seiner lateinischen Schriften, diese wichtige Quellenschrift, als Ganzes, so zwar, daß er zunächst den allgemeinen Charakter der Vorrede feststellt, dann L’s an der Fülle primärer Quellen leichter zu kontrollierende Angaben zu seiner äußeren Ge- schichte untersucht, um endlich, mit dem Maßstab des hierdurch ge- sicherten Urteils über den Wert des Ganzen, sich den Abschnitten über die innere Entwicklung zuzuwenden. Als Ergebnis zeigt sich, daß die Vorrede bei manchen Irrtümern doch eine gute Geschichtsquelle ist, die unser Wissen über Luther bis 1521 in einer Reihe von Punkten ver- mehrt, vor allem aber auch für das entscheidende Erlebnis an Römer 1,17, wo sie das einzige authentische Quellenzeugnis ist, einen ausgezeichneten historischen Wert hat, Mit Recht betont Verfasser auch, wie L. in der Vorrede die konservative Linie in seiner Entwicklung aufzeigt.

4. W. Stolz e, Bauernkrieg und Reformation (Nr. 141; 127 8. 1926) zeigt nach einem sehr lehrreichen, viel Neues bietenden Kapitel über „Der gemeine Mann und seine Bestrebungen vor der Reformationszeit“ insbesondere die allgemeinen Zusammenhänge auf, in denen auch das einzelne erst seinen Platz findet. So wird die Stellung Zwinglis, Karlstadts, Müntzers scharf beleuchtet. Die ganze Bewegung aber erscheint in enger Verbindung mit der Reformation; der gemeine Mann hätte sich, urteilt Verfasser, ohne die Störung der Reformation durch Bestrebungen, die Kirche religiös und politisch in ihrem alten Bestande zu erhalten, nicht erhoben. Ganz verkehrt er- scheint die neuere politische Ausdeutung des Bauernkrieges. Um was es sich in diesem handelte, war der Fortgang der Reformation, die hier ihre Feuerprobe zu bestehen hatte und auch bestand.

l Martin Luther, Sexualethische Anweisungen, herausg. von G. Schneider, Pfarrer. Kanderu (Baden), Jul. Umbach, 1926 (— Fr. Dorsch, Sexualpsychologie. Dokk. z. G. der Sexualität, Bd. 2), 87 S. Es werden hier geboten: Luthers „Predigt vom ehe- lichen Leben", „Das 7. Kapitel S. Pauli an die Römer“ und die,, Hochzeits- predigt“, dazu noch den „Tischreden“ entnommene ergänzende Aus- sprüche über Ehe, Ehescheidung, Ehebruch u. dgl. m. Einleitend wird L.s Stellung zum Geschlechtsleben besprochen; indem er die Aufgabe stellt, den sinnlichen Trieb zum sittlichen zu gestalten, er-

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hebt sich L. hoch über die mechanische Lösung des Katholizismus, der, zwei Klassen von Christen schaffend, der einen das geistlich- göttliche Werk der Keuschheit, der anderen das fleischlich-weltliche Werk der Ehe überwies.

Heinrich Böhmer, Der junge Luther. Mit 39 Ab- bildungen nach Holzschnitten und Kupferstichen des 16. Jahrh. Gotha, Flamberg-Verlag (1926?) 892 S. M. 9,—, geb. in Leinen M. 12,— (— Deutsche Führer I).

Im Gegensatz zu den beiden Theorien, die die moderne Persün- lichkeitsforschung beherrschen, der Theorie der Vererbung und der Umweltstheorie (die beide für Luther nicht anwendbar sind) erblickt B. die eigentliche Aufgabe der Biographie darin, jenes „nicht mehr analysierbare, immer in Bewegung und Fluß befindliche geheimnis- volle und doch immer deutlich wahrnehmbare“ „Etwas“, das das Wesen der Persönlichkeit ausmacht, zu erfassen und seine Wirkungen zu schildern. An den Kern des Wesens Luthers aber führen uns als Quellen seine eigenen schriftlichen Kundgebungen, die sämtlich „Bruch- stücke einer großen fortlaufenden Konfession“, d. h. mit stärkstem inneren Anteil geschaflene und ganz von der Stimmung des Augen- blicks durchdrungene Äußerungen seines mächtigen Selbst sind. Da- her genügt es, ihn zu hören.

Und der Verf. versteht es vortrefflich, uns Luther vernehmen zu lassen. Das Elementare und Wuchtige dieser einzigartigen, von einem Punkte aus belebten und getriebenen Entwicklung hat er in groß- artiger Plastik herausgearbeitet, man glaubt, was B. fesselnd schildert, selbst mit zu erleben. Auch die Gedankenwelt des Reformators ent- faltet sich gleichsam vor unseren Augen in und an seinen Äußerungen und Schriften. Sorgfältig wird den Mithandelnden in dem großen Drama ihr Platz angewiesen, den kleinen Gegnern des großen Mannes oft mit beißender Ironie. Die Darstellung endet naturgemäß, möchte man sagen mit der Verdammung L.'s in Worms „in die Region der Vögel und der Luft“ und die Entführung nach der Wartburg; denn in der nämlichen Weise wie bis dahin läßt sie sich eben nicht fortführen. Von Einzelheiten sei lediglich beispielsweise auf die Würdigung der Vaterlandsliebe Luthers und ihrer Bedeutung im Gesamtrahmen seiner Erscheinung hingewiesen (S. 810). Was Kurfürst Friedrich betrifft, so zeigt sich auch bei Böhmer, wie L. es ganz wesentlich dem klugen Verbalten seines Landesherrn zu danken hat, wenn er seinen Werde- gang bis 1521 ungestört vollziehen konnte (ein weltgeschichtliches Ver- dienst des Wettiners!) Vernichtend ist das Urteil über Dr. Eck, in dessen sämtlichen hinterlassenen Schriften sich kein Wort finde, das nicht von andern schon vor ihm und zwar besser gesagt worden sei.

Das Werk richtet sich an weitere Kreise und ist deshalb mit Recht ohne Anmerkungen, die den Fluß der Darstellung nur stören könnten, geblieben; seiner wissenschaftlichen Höhe tut das selbstver- ständlich keinen Eintrag.

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Den „Einfluß der Erfurter Humanisten auf Luthers Entwicklung bis 1510“ behandelt ein Schüler Kalkoffs, Lic. Martin Burgdorf, in einer Breslauer philosophischen Doktordissertation von 1925, die leider nur in kurzem Auszug vor- liegt. Verf. bestreitet Scheels These, daß der Erfurter Humanismus auf Lutber ohne Einfluß geblieben sei; nach B. haben die Erfurter Humanisten Lutber zwar nicht aus der Babn geworfen, aber ihn lang- sam und sicher auf die neue Balın der Forschung hinübergeleitet.

L. Fischer, Veit Trolmann von Wemding, ge- nannt Vitus Amerpachius, als Prof. in Wittenberg (1530—1513) Stud. u. Darst. aus d. Geb. d. Gesch., hera. von t H. v. Grauert X, 1. Freiburg, Herder. X, 215 S. M.10,—. Nicht ein vollständiges Lebensbild Amerpachs gibt der Verf, sondern be- schränkt sich auf die Jahre, in denen A. Professor an der Leucorea war. Bekanntlich ist A. der einzige der ordentlichen Lehrer der Lutherhochschule, der das Evangelium verlassen hat und zum Katholizis- mus zurückgekehrt ist, ohne freilich dann in den literarischen Kampf gegen seine einstmaligen Gefährten stärker einzutreten. Die Unter- suchung über ihn ist um so dankenswerter, als Verf. sich bei seinem etwas heiklen Gegenstand im ganzen erfreulicher Unbe- fangenheit befleißigt. Über die letzten Gründe des Zwiespalts A.'s mit den Wittenbergern und seiner Abkehr von ihnen läßt uns Verf. freilich mebr oder minder im Stich. Schließlich lag es doch daran, daß A., der vom Humanismus kam, der Wittenbergischen Theologie innerlich fremd blieb. Es war gekränkte Humanisteneitelkeit und Eifersucht, die ihn besonders mit Melanchthon entzweite, gegen dessen Einfluß in W. er natürlich nicht aufkommen konnte. Ein Anhang, der etwa den dritten Teil des Umfangs des Ganzen einnimmt, bietet Briefe und Dokumente, gedruckt und ungedruckt, Auszüge aus Amer- bachs Schriften, endlich eine Bibliographie seiner Werke, soweit sie bei seinen Lebzeiten (+ 1557) erschienen sind. Verf. möchte für seinen Helden dessen Familiennamen Veit Trolmann wieder zur Geltung bringen. Ich denke, wir lassen es bei dem eingebürgerten „Amerpach“, wie wir ja auch ganz allgemein von Karlstadt, Brück (auch etwa Paolo Vero- nese, Correggio usw.) sprechen, obne daß jemand daran Anstoß nimmt,

In den Reformationsgeschichtlichen Studien und Texten Heft 43/44 und 45/46 behandeln in verdienstlicher Weise Karl Ried „Moritz von Hutten, Fürstbischof von Eichstätt (1539—1557) und die Glaubens- spaltung“ und Hans Foerster, „Reformbestrebungen Adolfs III. von Schaumburg (1547—1556) in der Kölner Kirchenprovinz“. Wir sehen Fürstbischof Moritz ohne wesentlichen Erfolg bemüht, durch Reform der Geistlichen und Bekämpfung zahlreicher Mißstände, auch Durch- führung des Interims, dem Protestantismus, der von verschiedenen Seiten her sein Stift bedroht, entgegenzuwirken. Zu gleicher Zeit nimmt Erzbischof Adolf von Köln die kirchliche Reform auf Diözesan- synoden, Provinzialkonzilien und mittels Visitationen im Geiste

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Groppers vor; die ins einzelne eingehenden Darlegungen Foersters lassen deutlich den Grad der Verwahrlosung erkennen, der das Kirchenwesen am Niederrhein anheimgefallen war und die Schwierigkeiten, mit denen der Erzbischof zu kämpfen hatte. Deutlich tritt zutage, wie nötig L.’s Reformation war und wie sehr sie mittelbar auch dem Katholizismus zugute gekommen ist. Münster, Aschendorff 1925, XII, 198 S. (M. 8) und IV, 126 S. (M. 5).

In der nämlichen Sammlung Heft 47/48 verbreitet sich J. B. Götz über ,das Pfarrbuch des Stephan May in Hiltpoltstein (Mittelfranken, Diöz. Eichstätt) v. J. 1511“, das bestimmt war, das Einkommen des Pfarrers und sein Rechtsverhältnis zu seinen Hilfs- kräften zu verzeichnen, aber auch manche Notizen über die gottes- dienstlichen Verhältnisse enthält. Der Bearbeiter behandelt danach den liturgischen Gottesdienst, den Seelengottesdienst, die pfarrliche Tätigkeit, das Einkommen des Pfarrers und dessen Hilfskräfte. Daran schließen sich ausgewählte Texte aus dem Pfarrbuche selbst. Wir erhalten hier einen Einblick in die wirklichen Verhältnisse eines kleinen Landstädtchens mit rein bäuerlicher Umgebung und einem kleinen Dorfe als Filiale am Vorabend der Reformation. Münster, Aschendorff 1926, IV, 204 S. M. 8,50.

P.Kalkoff,Humanismusu. Reformationin Erfurt (1500— 1530) hebt auf dem Grunde der allgemeinen Zustände in der Stadt die Bedeutung hervor, die in Stadt u. Universitüt Erfurt das Luthertum gewonnen hat, zu dem die jüngere Erasmische Richtung des Erfurter Humanismus im geheimen Einvernehmen mit Erasmus selbst i. J. 1519 überging. K.’s Darstellung gipfelt in der Würdigung der Tätigkeit des Justus Jonas u. Johann Lange für das Luthertum. Die Zurückdrängung ihrer Bestrebungen hat zwar letzteres in der Stadt nicht ausgerottet, die Universität aber bald zu voller Bedeutungslosigkeit heruntergebracht. Die Intimatio Erphurdiana pro M. Luthero von Anfang Oktober 1520 wird abgedruckt. Halle, Buchh, des Waisenhauses 1926. VI. 988.

„Die Reformation in der Reichsstadt Nürnberg nach den Flugschriften ihres Ratsschreibers Lazarus Spengel“ bildet ebenfalls den Gegenstand eines Buches P. Kalkoffs (Halle, Buchh. d. Waisenhauses 1926 IV, 180 S.). Die Abhandlung ist, wie alles, was von K. kommt, reich an Anregungen; aber seine Annahme, daß die von ihm herangezogenen Schriften sümtlich von Spengler herrühren, bleibt nicht nur unbewiesen, sondern ruft starke Zweifel hervor, Auch vermißt man den soliden Aufbau aus den Nürnbergischen Quellen. Es ist zu bedauern, daß K. das Erscheinen der seit langem vorbereiteten großen Veröffentlichung H. v. Schuberts über den Nürnberger Rats- schreiber nicht abgewartet hat.

K. Schellhaß’ gründliche Studie über die geistlichen Wirren im Bistum Konstanz um das Jahr 1580, deren größter Teil in der Ztschr. f. G. des Oberrh., Jahrg. 1917 und 1918, erschien, ist, um ein 6. Kapitel vermehrt, unter dem Titel ,Gegenreformation im

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Bistum Konstanz im Pontifikat Gregors XIII“ als Buch erschienen (Karlsruhe, G. Braun, 1925. XIX, 359 S). Den Hauptinhalt bilden die Visitationen des Nuntius F. Ninguarda und die Zustände in den Klöstern der Diözese, auf die durch die Absetzung zweier Abte ein grelles Licht fällt. Schellhaß’ aktenmäßige Darstellung entwirft von jenen Verhältnissen und den handelnden Personen packende dramatisch bewegte Bilder.

Die Abhandlung von H. Garrelts, „Die Reformation Ostfrieslands nach der Darstellung der Lutheraner v. J. 1698 nebst einer kommentierten Ausgabe ihrer Berichte" zerfällt in 3 Teile. Zu- erst gibt Verf. die Reformationsgeschichte Ostfrieslands im Grundri& bis 1579; im 2. Teil behandelt er die über diese Reformation am Ende des 16. Jahrh. entstandenen Berichte von luth. u. ref. Seite, um im 3. eine Kritik der Darstellung der Lutheraner zu bieten. Daran schließt sich endlich ein Abdruck dieser Darstellung und der übrigen wichtigsten Dokumente. Das Ganze ist ein schützenswerter Beitrag zum Kampf zwischen Luthertum und Calvinismus im Reformationszeitalter bzw. zum Vordringen des Calvinismus in die lutherischen Gebiete; die Bedeutung der Arbeit reicht somit über das rein Ortliche hinaus, (= Abhh. und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands Heft 22/28. D. Friemann, Aurich 1985, XVI, 194 S.) M. 4,50.

L. von Muralt, Die Badener Disputation 1526 (— Quellen und Abhh. zur Schweiz, RG. III), eine von W. Köhler angeregte Arbeit, behandelt die Geschichte der katholischen Reaktion gegen Zwingli bis 1526, in der Schweiz und außerhalb, und zwar legt Vert. besonderes Gewicht darauf, das Zusammenwirken zwischen der süd- deatschen und der schweizerischen katholischen Gegenwehr klarzu- stellen. Es sind auf deutscher Seite bcsonders die Regensburger Ver- bündeten von 1524, die gegen Zwingli wirken; Joh. Eck erscheint dem Verf. als Urheber des Planes der Badener Disputation; ganz klar treten dann jene inneren Zusammenhänge darin zutage, daß das Ver- dammungsurteil gegen Zwingli von 1527 wörtliche Entlehnungen aus dem Regensburger Edikt zeigt. Des weiteren schildert Verf. eingehend den Verlauf der Disputation nnd verbreitet sich über die viel angefochtene Haltung Zwinglis zu dieser. Leipzig, Heinsius Nachfolger 1926 XI, 167 S. M. 6,60.

Als erster Band der vom Verlage Chr. Kaiser-München veran- stalteten Calvin-Textausgabe ist erschienen: Jo. Calvini Opera selecta ed P. Barth vol. I. (XI, 580 S. 1926.) Er enthält außer einer kurzen praefatio des Herausgebers Schriften von 1588 bis 1541, darunter die Christianae religionis Institutio von 1536, die Articuli eclesiastici, catechismus, confessio fidei von 1539 und Sadolets Brief an C. nebst der Responsio von 1589. Jedem Stück geht eine kurze Einleitung vorauf; am Rande der Texte sind die Seiten des betreffenden Bandes der Opera im Corp. Ref. vermerkt. Bandpreis M. 18,50; geb. M. 15,50, bei Sub- skription M. 11,— und M. 18,—.

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H. Nestler, „Die Wiedertüuferbewegung in Regens- burg. Ein Ausschnitt aus der Regensb. Ref.-Gesch.“ (Regenab., Habbel, 1926, 148 S.). Der Nachdruck liegt auf der Veröffentlichung der Wiedertäuferakten des Regensburger Stadtarchivs (82 Nrr., 1527 bis 1584). Vorher wird gleichsam einleitend die Gesch. des Regens- burger Wiedertüufertums im Reformationszeitalter gegeben.

Die „Gedenkschrift zum 400-jährigen Jubiläum der Mennoniten oder Taufgesinnten 1525—1925“ (hrsg. von der Konferenz der süddeutschen Mennoniten E. V., Ludwigshafen 1925; 287 S), mit Vorwort von Christian Neff, bringt eine Sammlung wert- voller geschichtlicher Aufsätze, besonders aus den Anfängen des Täufer- tums, darunter S. 9—18 E. Crous, Das rel.-kirchl. Leben des aus- gehenden MA. im Spiegel der Einblattdrucke des 15. Jahrh.; S. 19 bis 47 B. Unruh, Die Revolution und das Täufertum (das ev. Täufer- tum hatte keine direkten Beziehungen zu und Zusammenhünge mit der sozialen Revolution); S. 48—04 W. Kühler, Die Züricher Täufer; S. 65— 133 Chr. Neff, Konrad Grebel (Führer der Schweizer Bewegung + 1526); S. 184—177 J. Loserth, Studien zu Pilgram Marbeck, Vor- arbeit zur Ausgabe der „Verantwortung M.s gegen Schwenkfeldts 1542 erschienenes Judicium" (entstanden 1544—1546); S. 177—282 Chr. Hege, Ausgabe der neuaufgefundenen Vermahnung Marbecks von 1542. Den Schluß (S. 282—287) macht ein Überblick Chr, Heges über die Verbreitung der Mennoniten auf der ganzen Erde: rund eine halbe Million, wovon die Hülfte in den Vereinigten Staaten und etwa ein Fünftel in Rußland und Sibirien (in Deutschland 12500).

Die von Hans Fehr unter dem Titel „Massenkunst im 16. Jahrhundert“ aus den Sammlungen des Züricher Joh. Jak. Wick (1522— 1588) ausgewählten und veröffentlichten, 112 Flugschriften entnommenen Abbildungen (meist Holzschnitte) werfen auf die Belange und den Geschmack (oder Ungeschmack) der Zeitgenossen der Refor- mation, ein bezeichnendes Licht. Aberglaube (Astrologie) und Behagen am Schrecklichen (Mordtaten, Hinrichtungen, Türkengreuel usw.) stehen im Vordergrunde. Eine Anzahl der Flugschriften bezieht sich un- mittelbar auf die kirchlich-religiósen Kümpfe der Zeit. Den Wert des Dargebotenen steigern die einführenden allgemeinen Bemerkungen und die zu den einzelnen Bildern gegebenen Erläuterungen. Denkmäler der Volkskunst hrsg. von W. Fraenger Bd. I. Berlin, Herb. Stuben- rauch 1924, 121 S. u. 86 Tafeln in 4°, geb. M. 10,—.

Auf die das Interesse des Politikers wie auch des Kirchenhistorikers stark in Anspruch nehmende umfangreiche Veröffentlichung von Zaccaria Giacometti, Quellen zur Gesch, der Trennung von Staat und Kirche, (seit 1789) sei hier wenigstens kurz hingewiesen. Tüb., Mohr 1926. XXIV, 736 S. M. 21,—, geb. M. 24,—.

Zu dem in Heft 87/88 S. 819 angezeigten Faksimile- Nendruck des Enchiridion von 15836 ist nachzutragen, daB es sich bei der erw&hnten Ausgabe, wie diese selbst nicht erkennen lüft, um einen

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Ausschnitt aus der i. J. 1905 von O. Albrecht-Naumburg veran- stalteten Ausgabe handelt, der auf S. 1—128 kritische Untersuchungen des Herausgebers vorangehen, die auch die anderen von Nickel Schirlentz gedruckten Ausgaben einbeziehen. Das Enchiridion ist ein von Albrecht einst aufgespürtes Unicum (jetzt Eigentum des polnischen Staates), ebenso die gleichfalls faksimilierte Katechismustafel von 1529. Näher handelt darüber der Genannte in WA 80I (1910) uud in den Schriften des Vereins f. RG. 121/122 (1915). Der Verlag bat den Preis der vollständigen Ausgabe geb. von M, 8,— auf M. 4,— herab- gesetzt; außerdem ist die Abteilung „Enchiridion“ allein (S. 125 bis Schluß) für M. 2,50; die Katechismustafel allein für M. 1,50 zu be- ziehen; beides eignet sich für knatechetische, kirchen- und kunstge- schichtliche Sonderstudien.

Zeitschriftenschau.

Allgemeines. Auf die Notwendigkeit einer planmäßigen Bestandsaufnahme der Flugschriften der Reformationszeit weist H. Becker in ThStKr. 98/99 (1926) Heft 2 S. 281—285 hin. Er regt an, daß die Kommission zur Erforschung der Gesch. der Ref u. Gegenref. sich dieser Aufgabe mit Unterstützung durch die deutschen und auslündischen Akademien unterziehe.

Über landesherrliche AblaBpolitik vor der Reformation der Ablaß mehr und mehr auch den Laiengewalten zugute kommend handelt J. Hashagen in ZKG. 45 (NF. 8), 1 S. 11—22.

Mit vollem Recht bezeichnet Steinlein H, Grisars „Der deutsche Luther im Weltkrieg und in der Gegenwart* (1925) als eine aus- gesprochene katholische Tendenzschrift, die mit Wissenschaft nicht das geringste zu tun hat. Den schürferen Ton gegenüber dem drei- bändigen (ebenso unwissenschaftlichen) Hauptwerk des Jesuiten führt Steinlein ganz ansprechend auf Grisars Ärger darüber zurück, daß das erwähnte Hauptwerk bei der warmen Lutherstimmung in der Vor- kriegszeit und im Kriege selbst nicht hat durchdringen können. Gerade Grisar wird somit, schließt St., „zu einem Zeugen für L.'s un- verwüstliche Lebenskraft und unvergüngliche Gegenwartabe- deutung“. NkirchlZ. Juni 1925 S. 419— 436.

Gegen P. Kalkoffs Behauptung von einer förmlichen Wahl Friedrichs des Weisen zum römischen König (vgl. diese Ztschr. 22 S. 815f.) macht G. Wolf in ZKG. 45 (NF. 8) 1 S. 22—26 gewichtige Bedenken geltend, hebt aber auch die Verdienste der bez. Schrift K.’s hervor, die uns insbesondere eine lebendige Vorstellung von der habs- burgischen Wahlarbeit und den dabei beteiligten Personen übermittle.

Zu den (in dieser Ztschr. Jahrg. 22 S. 818 erwühnten) Kontro- versen zwischen den Jesuiten und den kritiachen (katholischen) His- torikern über Bellarmin bietet S. Merkle wertvolle ,Grundsützliche und methodologische Erörterungen zur Bellarminforschung“ (ZKG. 45,

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NF. 8, 1 S, 26—73), bei denen natürlich die Ordensmänner schlecht abschneiden. Es ist bemerkenswert, daß, wie der Verf. mitteilt, das Histor. Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, für das er seinen Aufsatz bestimmt hatte, davon „Unannehmlichkeiten befürchtete“.

In HZ. Bd. 132 S. 29—42 kommt P. Kalkoff auf das Thema „Friedrich der Weise und Luther“ zurück, um nochmals die unver- günglichen Verdienste klarzulegen, die der Kurfürst durch seine klage und standhafte, dabei opfermutige Verteidigung Luthers uud seiner Lehre gegen die höchsten Gewalten der Christenheit sich um die be- ginnende Reformation erworben hat, Ja, in gewissem Sinne und in den dem Zeitalter angemessenen Schranken hat Friedrich durch dies Verhalten der Gesamtheit des deutschen Volkes die Glaubensfreiheit erstritten, indem er die Forderung aufrecht erhielt, daß in Glaubens- fragen keine Mehrheitsbeschlüsse gefaßt werden dürften.

Persönliches. In Th. St. Kr. 96/97 (1925) Heft 2 8.318—322 veröffentlicht und erläutert O. Albrecht zwei noch unveröffentlichte versprengte Konzepte Luthers. Es sind die in Stuttgart befindlichen beiden eigenhündigen Zettel, auf die in WA 9 S. 171 hingewiesen worden ist. Sie gehüren anscheinend den 80er Jahren an.

W. Dersch veröffentlicht und erläutert in Geschichtsbll. f. Waldeck u. Pyrmont 23 (1926) S. 91—95 zwei Briefe des Antonius Corvinus an Gf. Wolrad II. v. Waldeck von 1537 u. 1547; sie handeln besonders von C.’s Schriften, die er Wolrad schickt.

„Des Schweidnitzer Pfarrers Droschke (seit 1550) Lehr- u. Wanderjahre* behandelt Th. W o t s ch ke in Corresp.-Bl. d. V. f. Gesch. d. ev. Kirche Schlesiens XVIII Heft 2. S. 191—207, indem er besonders bemüht ist, D.'s etwas widerspruchsvolle kirchliche Haltung zu erklüren.

Einen Briefwechsel zwischen Paul Eber und dem Pfarrer zu Merlitzschkendorí Karl Kaiser v. J. 1560 über ein angebl. Mirakel, das sich in der Pfarre des letzteren zugetragen hatte, ver- öffentlicht Th. Wotschke in ZVKG. Prov. Sachsen 21 H. 1/2 S. 90—92. Der Nümliche bespricht ebenda S. 93—96 einen über die Pfarrbesetzung in Holzdorf (Diözese Prettin) i. J. 1574 ent- standenen Konflikt zwischen zwei Bewerbern und dessen Lösung.

In Polemik gegen Kalkoff behandelt W. Kaegi außerordentlich weitschweifig, aber wohl kaum ganz einleuchtend „Hutten u. Erasmus: Ihre Freundschaft u. ihr Streit“. HVjSchr. 30 S. 200—278, 161—514.

„Valentin Paceus, seine Entwicklung vom protestantischen Führer (Reformator in Querfurt) zum altgläubigen Konvertiten“ behandelt in erschöpfender Weise H. G. V oig t in ZVKG, Prov. Sachsen Jahrg. 29 (1926) Heft 1/2, S. 1—25.

Einige Notizen über Andreas Seydenschwanz aus Rothen- burg, Verf. eines Totentanzgedichtes von 1517, teilt P. Schatten- mann in Zbayr KG. I (1926) Heft 4, S. 201 f. mit.

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Über den Mystischen Spiritualismus Valentin Weigels bandelt eingehend Lic. Hans Maier in Schlatters u. Lütgerts Beitr. z. Förder. christlicher Theologie, Bd, 29, Heft 4, S. 389—495.

Landschaftliches, In den Heimatblättern „Vom Bodensee zum Main“ Nr. 28 behandelt unter Heranziehung ungedruckten Materials Karl Seith, Das „Markgräflerland und die Markgräfler im Bauernkrieg d. J. 1526" (mit zeitgenöss. Abbildungen).

Über den an eine Predigt des Franziskanerguardians Joh. Wintzler vom Kloster Lenzfried bei Kempten geknüpften letzten Versuch, den Katholizismus in der Reichsstadt Memmingen zu retten, berichtet Th. W o tsch k e unter dem Titel „Eine Memminger Kontroverspredigt von 1524" in ZbayrKG. I, Heit 2/3, S. 146—155; mit Nachtrag Heft 4, S. 256.

Über den flacianischen Erbsündenstreit in Regensburg (1572ff.) handelt auf Grund der Wechselschriften Loy in Zbayr KG. I, Heft 1, S. 6—29; Heft 2/3, S. 67—95. Über die örtliche Bedeutung hinaus- gehend gibt er einen Beitrag zur Charakterisierung des Theologen- geschlechts aus dem Zeitalter der Konkordienformel.

Über Reformatorenschriften in der Kreisbibliothek in Regens burg berichtet Th. Trenkle in BBK. 32, 8 S. 134—139.

Ein Aufsatz H. Kühns „Zur Reformationsgeschichte Lau- ingens" (in Jahrb. des HV. Dillingen, Jahrg. 86, 1923, S. 41— 54) gibt auf Grund eines Sammelbandes des Münchener Hauptstaatsarchivs nühere Nachricht über das ref. Wirken des Lauinger Augustinerpriors D. Kasper Ammer und seines Schülers, des Mönchs Jakob Augspurger.

Seine Auszüge ,aus Gunzenhüuser Visitationsakten des 16. Jahrh." schließt Clauß durch Auszüge, die das kirchliche Leben in den Gemeinden betrachten, in BBK. 32, 2 S. 87—96 ab.

In „Alt-Gunzenhausen. Beiträge z. G. d. Stadt und des Bezirks“, Heft 2, hrsg. von Eidam u. Clauß bietet Clauß in dem Aufsatz „Die mittelalterl. Gesch. d. Stadt und Pfarrei Gunzenhausen“ aus dem Stadtbuch (im St.A. Nürnberg) Näheres über den letzten kathol. und ersten ev. Pfarrer von G., Leonhard Lüsner. Ebendaselbst behandelt Clauß die Gunzenhüuser Gegend im Bauernkrieg auf Grund der Ansbacher Bauernkriegsakten im Bamberger Staats- archiv. An einen dritten Aufsatz im gleichen Heft anknüpfend gibt K. Schornbaum in BBK. 32,3 S. 142f. aus den Eichstätter Domkapitelschen Regestbüchern im Nürnb. StA. Notizen zur Ein- führung der Ref. von Obermógersheim bei Gunzenhausen und weist für weiteres auf die Ansbacher Konsistorialakten hin.

Als Beitrag zur Kenntnis der religiösen Einstellung des bayrischen Adels am Ende des Mittelalters beschreibt und veröffentlicht L. Theobald das Heiltum- (Reliquien-) und das Ablaßbuch, des aus Niederbayern stammenden, 1519 als letzter Sproß seines Geschlechts ver- storbenen Degenbart Pfeffingers, Rates Friedrichs des Weisen; die Vorlage befindet sich im städt. Museum zu Mühldorf: BBK. 82,2 S.49— 70.

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In seinem Aufsatz „Wolfsteinische Kirchenordnungen, Katechismen und Gesangbücher“ in BBK. 32,4 S. 154—179, nimmt M. Herold den Ausgangspunkt von den Zeiten der Reformation, stellt deren Anfänge im Wolfsteinschen Gebiet fest und bespricht die im Pfarrarchiv zu Sulz kirchen erhaltenen Schriften des dortigen Superintendenten M. Thomas Stieber (Kirchenordnung, Katechismus u. a. m.).

In Frisingia Jg. 2, 1925 S, 3—17 schildert Joachim Birkner das Bistum Freising in den ersten Jahren der Ref.

Im ersten Jahrgang (1925) der vom Verein für Pfälzische Kirchengeschichte herausgegebenen Blätter für Pfälz. Kirchengesch. handeln E. Mayer über die Einführung der Ref, in Kaisers - lauter n und Th. Zink über die Ref.-Gesch. des Kuseler Landes.

Seinen Vortrag zur 400-Jahrfeier der hess. Ref. „Die Anfänge der Reformation in Hessen“ verüffentlicht W. Dersch in Oberhess. Blätter, Marb. 1926, Nr. 32— 35, SA, 31 8.

Die Geistlichen der Naumburger Domkirche von der Ref. bis zum 30jähr. Kriege behandelt Br. Kaiser in ZVKG. Prov. Sachsen 22 (1926 Heft 1/2 S. 74—116), Voran stehen Nik. Medler und als letzte katholische Domprediger Joh. Thoi, Joh. Lanther und Wolfg. Löhner. Die Reihe der ev. Domprediger eröffnet dann Kaspar Löhner usw.

Über die Zeitzer Stiftsgeistlichen zur Zeit der Reformation gibt E. Wollesen mancherlei Aufschlüsse auf Grund des im Zeitzer Ephoralarchiv befindlichen „Gebrechenbuchs“, in dem das Ergebnis der Visitation Nikolaus’ von Amsdorf v. J. 1542 niedergelegt wurde: ZVKG. Prov. Sachsen 21, 1/2, S. 13—31.

,Untersuchungen über die Anfünge der Ref. in Górlitz und der Preng Oberlausitz“ (I) beginnt A. Zobel in N. Lausitz. Mag. 101 (1925) S. 133—188.

Auf Grund der Rechnungen der Ämter Plauen und Vogts- berg von 1525 und 1526, deren einschlügige Posten mitgeteilt werden, gibt E. Pietsch Beitrüge ,Zur Geschichte der Bauernunruhen des J. 1525 im sächsischen Vogtland“: Mitt. V. f. Vogtl. G. u. A. zu Plauen i. V. Jg. 84 S. 29—54.

»Wahres und Sagenhaftes vom Klostersturm und der Auflösung des Barfüßerkonvents in Torgau“ (1525 ff.) scheidet auf Grund des Torgauer Ratsarchivs Agnes Bartscherer in ZVKG. Prov. Sachsen 22 (1920) H. 1/2 S. 52—738.

Eine quellenmäßige kritische Geschichte der kfl. Schloß- und Universitätsbibliothek zu Wittenberg von 1512—1547 bietet E. Hildebrandt in Ztschr. f. Buchkunde Jahrg. II (1925) S. 35—42, 109—199 u. 157—188 dar. Er schildert die Gründung der Bibl, die Erwerbungen, die Kataloge, den Inhalt, die Unterbringung und Aufstellung nebst dem Bucheinband, die Benutzung, die Finan- zierung, die Beamten. Endlich erörtert Verf. den Charakter der Bibl,

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ob fürstlich oder Univ.-Bibl., eine Frage, die dann ja der Kurf. 1547 praktisch löste, indem er die Bibliothek der ihm verlorenen Uni- versität entzog. Ein Literaturverzeichnis ist beigefügt.

In der ZGesfNieders. KG. Jahrg. 99/80 (1924—1925) veröffent- licht F. Cohrs: Christoph Fischer d. ült, Einfältige Form, wie man im Fürstent. Lüneb. alle Ordinanden zu examinieren pflegt, 1575.

Seinen früheren Aufsätzen zum Calenbergischen Reformationswerk läßt Ad. Brennecke in Z. d. Savigny Stiftg. f. Rechtsg., kan. Abt, 1925 S. 62—160 eine Abhandlung über „das Kirchenregiment der Her- zogin Elisabeth während ihrer vormundschaftlichen Regierung im Fürsten- tum Calenberg-Göttingen“ folgen. Zur Eingliederung in eine Vor- geschichte des hannoverschen Klosterfonds bestimmt, die der Verf. schreibt, hat die Abhandlung auch selbständige Bedeutung als ein neues territoriales Beispiel für die Entwicklung des reformatorischen landeskirchlichen Kirchenregiments.

„Die Zustände in Dithmarschen zur Zeit Heinriche von Zütphens (+ 1525)" behandelt C. Rolfs in Jb. d. Ver. f. Dithmarscher Landeskunde Bd. 5 S. 7—28.

Ausland. G. Loesche, Protestantische Kirche und Kultur in Österreich-Ungarn vor und nach dem Weltkriege beleuchtet im Anfang übersichtlich das Verhalten der Monarchen gegen- über den Bekennern des Evangeliums. Kyrkohistorisk Arsskrift XX V (1925) S. 113—188.

Der Joh. Loserth zum 80, Geburtstage (1. Septb. 1926) darge- brachte 47. Band des Jahrb. d, Ges. f. d. Gesch. des Prot. in Österreich bringt aus der unermüdlichen Feder G. Loesches eine neue hochwertige Gabe zur Kirchengeschichte Österreichs, nämlich reich- haltigste, vorwiegend ins 16. Jahrh. fallende „Archivalische Beiträge z ur Ges ch. des Täufertums unddes Protestantismus in Tirol“, ein erschütterndes Drama von unmenschlicher Grausamkeit und Tücke auf der einen, und todesmutiger Treue auf der andern Seite, Dazu 2 Beigaben: G. Bossert (+), Hans Ungnads Stellung zu Schwenekfelds Schriften; und A. Bergmann, Brief Kf. Augusts von Sachsen an die Stände in Krain (1584) über in Wittenberg ber- gestellte Drucke der Bibel und anderer christlicher Bücher in sla- wonischer (windischer) Sprache. Wien, Manz (Leipzig, J. Klinkhardt) 1926 XII, 186 8.

„Die Franziskanerobservanten Johannes Nasus und Michael Alvarez und die Gründung ihrer Ordens provinz Tirol i. J. 1580“ behandelt quellengemäß in seiner bekannten objektiv-sorg- fältigen Art Karl Schellhaß in Qu. Forsch. aus ital. A. u. B. XVIII (1926) S. 271—310.

Unter dem nicht ganz zutreffenden Titel L'inspiration francaise dans le protestantisme hongrois würdigt Lajos Rácz in Revue des études hongroises et finno-ongriennes Jahrg. 3 Nrr. 3—4 (SA) S, 1—4 Albert Szenczi-Molnar (geb. 1571), der, vorwiegend in

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Deutschland lebend, 1607 ein Psalterium Ungaricum verfaßt und Calvins Institutionen 1624 ins Ungarische übersetzt hat.

Als „das große Jahrzehnt der Schweizer Reformation" behandelt in Reformiertes Jahrbuch 1925/26 S. 37—58 W. Hadoru die Zeit vom Amtsantritt Zwinglis am Münster zu Zürich (1. Januar 1519) bis zum ersten Kappeler Frieden (1599). Auch Zwinglis Verhältnis zu Luther wird eingehend erörtert.

In ZKG. 45 (NF. 8) 2, 243— 276 setzt W. Köhler seine Mit- teilungen ,Aus Zwinglis Bibliothek" fort und teilt die Rand- glossen zum Pentateuch mit, die sich in der als „Zwinglis Hausbibel“ bekannten Bibel finden und einen ausgezeichneten Einblick in Zw.'s exegetisches Können, insbesondere seine Kenntnis des Hebräischen geben.

Die Untersuchung von H.Dörries „Calvin und Lefèvre“ (in ZKG. 44 (NF. 7) Heft 4 S. 544—581) führt zu dem Ergebnis, daß L.’s biblischer Humanismus nicht fähig war, die mächtige Eigen- art Calvins zu beeinflussen; soweit Übereinstimmung zwischen beiden Männern obwaltet, ist sie äußerlich und berechtigt nicht zu Schlüssen auf die Herkunft der calvinischen Sonderart.

Im Bull. Soc. hist. prot. franç. 74 (1925) handelt J. Pannier über die reformierten Gemeinden Laon und Crépy, deren Anfänge bis in die frühen 20er Jahre 16, Jahrh. zurückreichen.

Antoinette Amati, Cosimo I e i frati di San Marco schildert die Verfolgungen, die die Mönche, in denen der Geist Savonarolas fortlebte, nach der Errichtung der Mediceischen Herrschaft über Florenz erlitten. Arch. stor. ital. 81. (1923, erschienen 1925).

In den Memorie domenicane (Firenze 1926) fasc. 2 behandelt P. Paschini. Fra Tommaso Stella predicatore e vescoro domini- cano e Gerolamo Muzio. Beide Münner sind als Gegner des Vergerio (dem Stella 1548 im Bistum Capodistria nachfolgte) und Be- kümpfer des Luthertums in Oberitalien bekannt.

An der Hand der Wittenberger Matrikel geht Th. Wotschke den polnischen Studenten nach, die dort, besonders im 16. Jahrhundert, studiert haben, Mehr als 500 Polen, die in W. aus- gebildet worden sind, bezeugen die Bedeutung der cathedra Lutheri, für das geistige Leben Polens, vor allem für die reformatorische Welle, die durch das Slawenland ging und dem Volke, das bis dahin nur kümmerliche Anfünge eines nationalen Schrifttums aufweisen konnte, auch ein goldenes Zeitalter seiner Literatur schenkte. Mit Anhang von 2 Briefen ehemaliger poln. Studenten an Paul Eber. Jhrb, für Kultur u. Gesch. der Slawen NF. Bd. 2 Heft 2, S. 169—200.

Unter dem Titel Zur Studiengeschichte der Lubischiner Grafen Latalski bringt derselbe ebenda Heft 1 S. 19—25 allerlei aus dem Studentenleben in Leipzig um 1558 und in Straßburg gegen Ende des 16. Jahrh.

In den SB. der Gesellschaft der Wiss. zu Krakau von 1925 (SA. 28 S.) teilt F. M. Bartos die Vorrede der 1520 in Augsburg

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zuerst veröffentlichten Schrift des Polen Ulricus Velenus (Velensch) Mnichoviensis, eines Anhängers Luthers, in der die Überlieferung von Petri Märtyrtod in Rom für eine Legende er- klärt wird, aus dem Zwickauer Ex. der ursprünglichen Ausgabe mit und gibt Nachrichten über den Verf. und die Geschichte dee Schriftchens (in polnischer Sprache, mit französ. Zusammenfassung am Schluß; deutscher Auszug in der Prager deutschen Presse vom 23. Mai 1925),

In ,Deutsche Blütter in P olen, Monatshefte für den geistigen Aufbau des Deutschtums in Polen“, Jhrg. 1926 S. 397—400 gibt Th. Wotschke Beitr. zur Ref. in Bromberg.

In Abhh. des Herder-Instituts zu Riga Bd. 1 Nr. 4 (37 S.) handelt O. Pohrt über die Frömmigkeit Livlands zu Beginn der Reformation mit vier Kunsttafeln (Riga 1925).

Aus einem Sammelband der Stadtbibliothek von Beval, der außerdem Nachschriften einer Predigt und eines Kollegheftes Melanch- thons enthält, teilt O. Greifenhagen das Tagebuch des aus Reval stammenden Wittenberger Studenten Peter von Halle mit (1532—38), das einige reformationsgeschichtliche Nachrichten ent- hält: Beiträge zur Kunde Estlands Bd, XI, Heft 1/2, S. 1—17.

Das Buch- und Kunstantiquariat von Jos. Kösel und Fr. Pustet (München) sendet uns eine Anzahl von Probelieferungen eines groß- zügigen, auf etwa 100 Lieferungen berechneten Katalogunternehmens „Das 16. Jahrhundert", das eine reichhaltige Sammlung von Originaldrucken (eingeteilt in Illustrierte Bücher, Reformation und Gegenref., Humanisten und Neulateiner) mit zahlreichen Nachbildungen der Titelholzschnitte und bildlichen Zutaten verzeichnen soll. (Sub- skriptionspreis M. 0,50 für die einfache, M. 1,— die doppelte Lieferung bei Abnahme von mindestens 10 fortlaufenden Heften).

450 Hss. zur „Literatur der Reformation“ (d. h. Quellendrucke) verzeichnet Jacques Rosenthals Katalog 84 (93 S. 4%). Für die älteren (bis 1530) ist versucht worden, Druckerei und Druckort zu bestimmen; auch die Art des Buchschmucks ist bezeichnet und der Inhalt tunlichst angedeutet. Dazu Verzeichnis der Druckorte und Drucke sowie ein Sachregister.

Zu Heft 89/90 S. 157.

Der dort erwähnte (von D. Pallas in ZVKG. als unveröffentlicht mitgeteilte) Brief Herzog Heinrichs v. Sachsen an Luther ist nicht un- bekannt; er steht bereits bei Enders 18 S. 40ff.

O. Albrecht.

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