ae Fibrarp of the Museum COMPARATIVE ZOÖOLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, Dounded bp pridvate subscription, in 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. En = / % ; Y ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN, IN VERBINDUNG MIT MEHREREN GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON D:. JOHANNES MÜLLER ORD. ÖFFENTL. PROF. DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGL, ANAT, MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS ZU BERLIN. Jahrgang 1857. Mit neunzehn Kupfertafeln. "BERLIN. VERLAG von VEIT ET COMP. AH vun on een BERN et. NOTDAAUF, „N BECK ANERT ak KIHREIT Aw APR R ya NT Vera r Inhaltsanzeige. Seite. Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im Jahre 1856.. Von K. B. Reichert in Breslau. .. . ... 1 Ueber einige Zellen mit verdickten Wänden im Thierkörper. Von Dr. Fürstenberg in Eldena. (Hierzu Taf.l.).. .... 1 - Ueber Knorpelzellen. Von J. Lachmann. (Hierzu Taf. I.). . 2 Versuche über Muskelreizbarkeit. Von A. W. Volkmann... 27 Der Nahrungsdotter des Hechteies — eine kontraktile Substanz. Sendschreiben an Herrn Geheimrath Professor Dr. J. Müller vonsRa BB Reicheri m a. 2..2n REN SE AT RE 46 Ueber die Eifollikel der Vögel, namentlich der Tauben und Hüh- ner Von H- Hoyer-in Breslau... . 2. EN A Die Krystalle in den Malpighischen Gefässen der Hals. Von 3a Schloessberger in Tübingen >. 0 ...... a Ueber den Einfluss, welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. Von Felix Hoppe... ...... ee 0 Bemerkungen über das Antrum Pylori beim Menschen und einigen Thieren. Von Prof. Dr. Andr. Retzius. Aus dem Schwe- dischen übersetzt von Dr. Fr. Creplin ..... R 74 Beiträge zur vergleichenden Histologie der Milz. Von Di Theo don Billrochr (Eiierzufbat--UIh)e 2 0 mu n 88 ' Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Neritina fluviatilis. Von Edouard Claparede aus Genf. (Hierzu Taf. IV—VII) . 109 Ueber die Fische, welche Töne von sich geben und die Enste- hunszdieser Done: VonJoh. Muller „2... .... 249 Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. Von Dr. F. Runde ee see ee: SER er Ye 2.1280 Leber die Elastieität feuchter elastischer Gewebe. Von Dr. Wilh. Wundt . . ® } . [} ® E ® [ . [ [ . . E} [I . . o [} 298 Bemerkungen über Trachelius ovum E. Von Prof. Gegen De aur IN. GE) a. ae a ae er . 909 Die Nervi spheno-ethmoidales.. Von Prof. H. Tall. in Tü- bingen. (Hierzu Taf. IX. Fig. 1-5.) ...... ee le Ueber eine gegliederte Verbindung des Knorpels mit dem Knochen der ersten Rippe. Von Prof. H. Luschka in Tübingen. (Eiierzuskar IX.9E13.6) . 202.2. - oo 327 Ueber den Rippenursprung desZwerchfelles, von Prof. H.Luschka - me lirbingem) (Hierzu. Tat. x). st... nr else 088 Zur Lehre von der Verknöcherung des primordialen Knorpels. on Bear Baiunsın Babingen. 2 su. eu. nel. 347 Seite. Ueber Dieyema Kölliker. Von Dr. med. G.R. Wagener. (Hierzu Mal. SI —-AIVyean u. 202% sn an ze: Ueber einen neuen Entwicklungsmodus der Ophiuren. Von Dr, A. Krohn. (Hierzu Taf. XIV.B) ........ . 8369 Beiträge zur Anatomie der BRODBIeN; Von N. icberrit (Hierzu Ta XV)... ... Ueber Hydatına senta. Von Dr. eis "ne in "Tübingen. PR KENETZUF DALE VD ee . a GR an er SOME 404 Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindeper ches, Von Dr. E. Klopsch. (Hierzu Taf. XVIL).. . 2 20a Se Hand und Fuss. Von Ludwig Fick in Marburg .,.... 435 Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte der Pteropoden und Heteropoden. Von Dr. A. Krohn. Biriefliche Mitthei- lung an' den Herausgeber 7. UI Ad Ueber die Gewebe des Flusskrebses. Von Dr. Ernst ER (Hierzu: Tafel XVII. RZIRYNN 2 el N: or, Ueber einige Zellen mit verdickten Wänden im Thierkörper. Von Dr. FÜRSTENBERG in Eldena. (Hierzu Taf. I.) Die Knochenzellen. Die Natur der sogenannten Knochenkörperchen habe ich schon seit längerer Zeit zu erforschen gestrebt, und wurde ich durch ihre Uebereinstimmung mit den sternförmigen Hohl- räumen in den kugelförmigen, eiförmigen oder cylindrischen ete. Zellen, welche in manchen Pflanzentheilen, wie z. B. in den Schalen der Nüsse etc. sich finden, zuerst auf die Ver- muthung geführt, dass diese sogenannten Knochenkörperchen nur die inneren Hohlräume von ebenso verdickten Zellen seien, deren äussere Membran die Fortsätze des Hohlraumes um- geben, ohne ihre Gestalt zu theilen. Bei den Pflanzen ist die Natur der sternförmigen Hohlräume leicht nachzuweisen, da die Membran der Zellen, der sie angehören sowohl, wie die Verdiekungsschichten leicht zu erkennen sind. Bei den Knochenkörperchen ist dies nicht der Fall, wir können bei trocknen so wenig, wie bei frischen Knochen nicht die den Knochenkörperchen zugehörigen Zellenmembranen unterschei- den, es musste daher meine Ansicht, dass die Knochenzellen ganz so gebildet sind, wie die verdickten Zellen der Frucht- schalen, und dass die sternförmigen Hohlräume derselben sich ebenso verhalten wie die Knochenkörperchen, eine Hy- pothese bleiben. Als ich aber bei fortgesetzter Untersuchung der harten Schalen von Früchten solche fand, die ohne das Anwenden von Reagentien ebenfalls die, die Hohlräume um- Müller'’s Archiv. 1857. 1 2 Fürstenberg: Ueber einige Zellen fassende Zellenmembran nicht erkennen liessen, wie dies, wie ich gefunden, bei vollständig ausgebildeten Kernen des Isa- bella Weines der Fall ist, wodurch dünne Schnitte von diesen, durch das Mikroskop betrachtet, ungemein den dünnen Schnit- ten von Thierknochen gleichen; ja ich kann sagen, dass von all’ den Pflanzen, die ich in dieser Beziehung untersucht habe, keine eine so grosse Achnlichkeit mit den Thierknochen wahr- nehmen liessen, wie diese, und da ich bei diesen durch die Ein- wirkung von Reagentien die Zellenmembran sichtbar machen konnte, so schien mir meine Ansicht nicht mehr eine Hypo- these bleiben zu sollen; es veranlasste mich, die so grosse Uebereinstimmung zu Versuchen auch bei den Knochenzellen die Zellenmembran durch Reagentien hervortreten zu machen. The ich noch zu diesen Versuchen schritt, wurde ich an gut gelungenen Schliffen von Pferdezähnen die Zellen der Knochensubstanz der Zähne gewahr, Zellen, die ich auch am Cement der Backenzähne des Rindes und Schafes, besonders an den Stellen, wo das Cement an den Schmelz grenzt, wahr- genommen habe. Man sieht hier die einzelnen Zellen mit ihrem sternförmigen Hohlraum sehr deutlich, ja ich erkannte bei den durch das Schleifen geöffneten Zellen den sternförmigen Raum im Innern als Hohlraum, der bei frischen Zähnen mit einer Flüssigkeit erfüllt ist. An den weiter von der Grenze entfernt liegenden Kno- chenkörperchen war die Membran ihrer Zellen ebenso wenig wie bei den Knochen zu erkennen, sie musste aber, da die am Schmelz gelegenen Theile des Cements diese Zellenmem- bran wahrnehmen liessen, auch an dem übrigen Theile des Cements vorhanden sein. Ich versuchte nun durch Einwir- kung verschiedener Reagentien auf dünne Scheibcehen des Ce- ments die Zellenmembran jener Zellen hervortreten zu lassen, Versuche, die mir vollständig gelungen sind. Nachdem ich so im Oement diese Knochenzellen nachgewiesen, suchte ich durch eine gleiche Behandlung diese auch an feinen Knochen- schnitten nachzuweisen, Ich prüfte zunächst Fötus-Knochen, und verwandte hierzu das Armbein eines 7‘ langen Rinds- fötus, an diesen sowohl wie an frischen und trockenen Kno- mit verdickten Wänden im Thierkörper. 3 chen vollständig erwachsener Thiere konnte ich durch das gleich näher mitzutheilende Verfahren die Zellenmembran einer jeden Knochenzelle hervorrufen. | Behandelt man nämlich feine Schnitte von Fötusknochen, oder von vollständig ausgebildeten Knochen mit verdünnter Schwefelsäure, so tritt die Zellenmembran durch Aufquellen um jedes Knochenkörperchen so hervor, dass die Knochen- zelle als deutlich abgegrenzte Zelle wahrnehmbar wird. Das so behandelte Knochenschnittchen erscheint dann nur aus Zellen gebildet; bei den Fötusknochen, wo ohne Anwendung der verdünnten Schwefelsäure die Membran ursprünglicher Knorpelzellen nicht mehr wahrgenommen werden kann, tritt diese Membran mehrere Knochenzellen umfassend durch das Behandeln des Knochenschnittes mit verdünnter Schwefelsäure . deutlich hervor, wie dies in Fig.1. 1. abgebildet ist. Bei voll- ständig ausgebildeten Knochen ist die Knorpelzellen- Membran höchst selten noch nachzuweisen, ich habe nur in einem Falle eine solche gesehen. Es gleichen die mit verdünnter Schwe- felsäure behandelten Knochenschnitte den Abschnitten oben angeführter Pflanzentheile sehr, unterscheiden sich aber wesent- lich von jenen durch die Anordnung der Zellen. Man kann nun auf folgende Art die Runochenschnitte mit der verdünnten Schwefelsäure behandeln: entweder befeuchtet man das auf ein Objectglas gebrachte Knochenschnittchen mit einigen Tropfen destillirten Wassers, und fügt, nachdem man das Glas unter das Mikroskop gebracht, eine ganz ge- ringe Menge Schwefelsäure hinzu. Betrachtet man nun das Knochenfragment, so sieht man gleich nach erfolgter Einwirkung der Schwefelsäure die Zel- lenmembran deutlich um das Knochenkörperchen hervortreten; störend wirken bei der Betrachtung des Objects die Blasen der entweichenden Kohlensäure und die sich sehr schnell bil- denden Gypskrystalle, durch letztere wird das Präparat in kurzer Zeit so verdunkelt, dass man nichts von der Structur desselben wahrnehmen kann. Die Gypskrystalle sind dadurch, dass man das Knochenfragment kurze Zeit in destillirtes Was- ser bringt, leicht zu entfernen, nach deren Entfernung dann 1* 4 Fürstenberg: Ueber einige Zellen die Structur desselben deutlich sichtbar wird und so erscheint, wie ich es in Fig. 1. u. 2. gegeben habe. Zweitens kann man das Knochenfragment, ehe man es auf das Objectglas bringt, der Einwirkung verdünnter Schwe- felsäure aussetzen, indem man es !,—1 Stunde in verdünn- ter Schwefelsäure liegen lässt, sollten sich dann noch Gyps- krystalle im Präparate zeigen, so bringt man das Präparat nur kurze Zeit in destillirtes Wasser. Sollten nach der angeführten Behandlung des Knochen- schnittes die Zellen noch nicht deutlich genug erscheinen, so kann man denselben mit etwas Jodtinctur tingiren, für den Geübteren jedoch ist dies Tingiren überflüssig. Acetum concentratum wirkt ähnlich wie die verdünnte Schwefelsäure auf die Zellenmembran, doch treten die Zellen nicht so deutlich hervor, wie nach Anwendung der letzteren, weil die Essigsäure nicht so energisch auf die Zellenmembran und Verdickungsschichten einwirkt. Schon bei grade durchfallendem Lichte sieht man die so hervorgerufenen Zellen deutlich, noch deutlicher gewahrt man sie bei schief einfallendem Lichte. Behandelt man. frische Knochenschnitte mit verdünnter Schwefelsäure, so wird der Zelleninhalt, d.h. der im Hohl- raum der Knochenzelle, den sogenannten Knochenkörperchen enthaltene Zellsaft, der bei frischen Knochen durch seine stark lichtbrechende Eigenschaft so sehr in die Augen fällt, dass er keinem Beobachter entgehen kann, durch die Einwir- kung der Schwefelsäure in eine aus dunkelen Molekülen be- stehende Masse umgewandelt und büsst seine lichtkrechende Eigenschaft ein. Dieser so umgeänderte Zelleninhalt ist ent- weder zu einem Ganzen der Gestalt des Hohlraumes ent- sprechenden Fornı vereinigt oder bildet, was eben so häufig statt hat, mehrere kleine rundliche, den Kernen ähnliche Kör- per, die sich an der Zellenwand angelagert finden. Einen Kern habe ich weder in den frischen noch trocknen und mit verdünnter Schwefelsäure behandelten Knochenzellen wahr- genommen. wit verdicekten Wänden im Thierkörper. 5 Die Knorpelzellen. Betrachtet man den feinen Schnitt irgend eines bleibenden Knorpels, z. B. eines Gelenkknorpels durch das Mikroskop, so sieht man hier gewöhnlich 2, oft auch mehrere etwas längliche, elliptische Zellen an einander gelagert, denen in geringer Entfernung ähnliche Gruppen von Zellen folgen. Die Membran der Mutterzelle dieser Gruppen von Zellen ist in der Mehrzahl der Fälle, namentlich bei den älteren nicht mehr zu erkennen, und erscheinen daher diese Gruppen von Tochterzellen in eine homogene Substanz eingebettet. Be- handelt man das Schnittchen eines Knorpels mit verdünnter Schwefelsäure oder Chromsäure, so tritt die Membran der zu jeder Gruppe von Toochterzellen gehörigen Mutterzelle deut- lich hervor; man gewahrt dann, dass der ganze Knorpel aus dicht aneinander gelagerten Mutterzellen besteht, eine Lage- rung, die so innig ist, dass von einer Zwischensubstanz auch hier keine Rede sein kann. Lässt man die verdünute Schwe- felsäure, aus 1 Theil Schwefelsäure und 10 Theilen Wassers, mehrere Stunden auf solche Knorpelschnitte einwirken, so lösen sich die Membran und die Verdicknngsschichten der älteren nach Einwirkung der Schwefelsäurelösung hervorge- tretenen Mutterzellen auf, die vor Einwirkung der Säurelösung sichtbaren Mutterzellen und die Tochterzellen bleiben isolirt liegen. Diese leichte Auflösbarkeit der Membran und Ver- diekungsschichten der älteren Mutterzellen in verdünnter Schwefelsäure ist auch der Grund, wesshalb die Zellenmem- bran dieser alten Mutterzellen nicht sehr lange nach Einwir- kung stärkerer Schwefelsäure-Lösungen sichtbar bleibt. Wen- det man eine Lösung von 1 Theil Schwefelsäure auf 25 Theile Wasser zur Hervorrufung der Membran der Mutterzellen an, so tritt diese nach und nach hervor und bleibt auch so her- vorgetreten längere Zeit wahrnehmbar, ausser der Membran der Mutterzellen sind auch die Verdickungsschichten an den jüngeren Mutterzellen und den Toochterzellen so deutlich sicht- bar, dass diese keinem Beobachter entgehen werden. Noch deutlicher werden die Zellenmembran und ihre Schichten durch das Tingiren mit Jod. 6 Fürstenberg: Ueber einige Zellen Aehnlich wie diese Knorpel verhält sich auch der Kno- chenknorpel, den man erhält, wenn man einem Knochen durch verdünnte Chlorwasserstoffsäure die Erdsalze entzieht und sodann durch Wasser die Säure und Erdsalzlösung entfernt. Lässt man auf feine Schnitte dieses Knochenknorpels ver- dünnte Schwefelsäure, bestehend aus 1 Theil Schwefelsäure und 10 Theile Wasser, 12 — 14 Stunden einwirken, so werden die Zellenmembran und die ältern Verdickungsschichten der Knochenzellen so erweicht, dass ein auf das Schnittchen ausgeführter gelinder Druck genügt, die sogenannten Kno- chenkörperchen zu isoliren; diese sind dadurch, dass die Mehrzahl keine Spur von Tüpfelkanälen wahrnehmen lässt, den jüngeren Knochenzellen fast gleich. Die Zahnbeinzellen. Den Knochenzellen nahestehend sind die ebenfalls zu deu indurirten Zellen gehörenden Zahnbeinzellen, sie besitzen wie jene im Innern einen Hohlraum, der mit dem der anliegenden Zellen communieirt, sie sind direct mit den vor und hinter liegenden, und durch seitliche Fortsätze des Hohlraumes, den Tüpfelkanälen der Pflanzenzellen entsprechend, mit den neben ihnen gelegenen Zellen vereinigt. Es kommen an dem Wur- zeltheile der Zähne Zahnbeinzellen vor, die dadurch schon in ihrem äusseren Erscheinen den Knochenzellen gleichen, dass der sternförmige, etwas in die Länge gezogene Hohl- raum nicht mit dem einer anderen Zahnbeinzelle zu einer Röhre verschmolzen ist, sondern es tritt dieser nur durch Ausläufer, die Tüpfelkanäle, mit denen der anliegenden Zahn- beinzellen in Communication. Durch die Eigenschaft der Zahn- beinzellen, sich zu strecken oder vielmehr in die Länge zu wachsen, unterscheiden sie sich wesentlich von den Knochen- zellen. Untersucht man Zähne eines Foetus, an dem sich die Scehmelzkuppe erst gebildet hat, so findet man die Zahnbein- zellen in grosser Menge dicht au dem Schmelz gelegen. Die Zellen haben eine eigenthümliche länglich runde Form, sind an dem der Zahnpulpa zugewendeten Ende abgerundet, be- mit verdickten Wänden im Thierkörper. A sitzen aber an der einen Seite dieses abgerundeten Endes gewöhnlich noch eine kleine Verlängerung an der sich eine andere Zahnbeinzelle angelagert findet; nach dem dem Schmelze zugewendeten Ende zu vermindert sich der Durchmesser der Zelle immer mehr und mehr, und endet in einer an der einen Seite gelegenen Spitze, und zwar so, dass die eine Seite grade aufsteigt, die andere aber in einer schrägen Richtung an diese herantritt; an diese schräge Seite der Zelle lagert sich die neben und etwas höher gelegene Zelle an. Die Zahn- beinzellen sind von ziemlich constanter Gestalt und Grösse, der Längendurchmesser varürt zwischen 0,035 — 0,045 Mm., ihre Breite zwischen 0,0034 und 0,0075 Mm. Die Membran dieser Zeilen ist dünn, durchsichtig und structurlos, ihr Inhalt scheint etwas strengflüssig zu sein. Im Innern einer jeden Zelle finden sich 3-4-6 Tochterzellen, deren Länge zwi- schen 0,0013 und 0,0063 Mm. variirt, und die gewöhnlich so eine hinter der anderen gelagert sind, dass ihr Längendurch- messer mit dem der Mutterzelle in einer Richtung verläuft, nur selten sieht man einzelne der Tochterzellen schräg gegen die Wand der Muttelzelle geneigt. Die Zahnbeinzellen liegen so aneinander gelagert, wie ich es in der Fig. 3 gegeben, man sieht hier schon mehrere Zel- len hintereinander gelagert, ohne dass es zur Bildung einer Zahnröhre gekommen ist, eine Bildung, die erst später ein- tritt. Durch die Beschaffenheit und Lagerung der Zellen scheint mir die Art und Weise, wie die Röhrenbildung von Statten gehen muss, vorgeschrieben zu sein. Es muss, wenn sich hier aus den Zellen die Zahnröhren bilden sollen, ein ähnlicher Vorgang, wie bei der Bildung der Spiralgefässe in den Pflanzen Statt haben: Wir wissen, dass hier die Zellen ähnlich wie bei den Zahnbeinzellen oben und unten schräg an einander gelagert sind, und dass an diesen Stellen später durch Schwinden der Wände die Communication zwischen den Zellen entsteht; ein ähnlicher Vorgang muss auch bei der Bildung der Zahnröhren aus den Zahnbeinzellen Statt haben; es spricht hierfür nieht nur der Bau und die Lagerung der Zellen, sonderr anch die fertig gebildete Zahnröhre. Betrach- 8 Fürstenberg: Ueber einige Zellen ten wir eine Zahnröhre genau, so finden wir, dass sie nicht in grader Richtung verläuft, sondern vielmehr einen geschlän- gelten, wellenförmigen Verlauf wahrnehmen lässt, ein Verhalten, wodurch wir verhindert werden, eine Zahnröhre in ihrem gan- zen Verlauf an einem Za".nschliffe verfolgen zu können, stets ist die Röhre an verschiedenen Stellen geöffnet, ja selbst durch das Schleifen ganz entfernt, so dass wir bei genauer Betrachtung nur einzelne Theile der Zahnröhre wahrnehmen können. Ich will hier beiläufig noch bemerken, dass bei allen den Gebilden, denen gestreckte Zellen zur Grundlage dienen, wie Zellgewebe u. dergl. wir diesen geschlängelten, welligen Verlauf, der aus solchen Zellen gebildeten Fasern finden, und zwar, weil hier die Anlagerung der Zellen an und hin- tereinander ebenso wie bei den Zahnbeinzellen an den schräg abgeflachten, meistentheils spitz zulaufenden, etwas seitwärts von der Mittellinie der Zellen gelegenen Enden erfolgt. Sehr deutlich sieht man dies Verhalten bei den in der Entwicke- lung begriffenen Bindegewebszellen. Für die Annahme Kölliker’s, dass eine Elfenbeinzelle ein ganzes Zahnkanälchen liefert, kann ich keinen Grund ein sehen, vielmehr treten nach meinen Beobachtungen viele Zel- len zur Bildung jeder einzelnen Röhre zusammen. In Betreff der sogenannten Grundsubstanz des Zahnbeines kann ich auch der Ansicht Kölliker’s „dass dieselbe nicht aus den Zahnbeinzellen entsteht, sondern entweder eine Aus- scheidung dieser Zellen oder der Zahnpulpa, ähnlich einer Intercellularsubstanz * nicht beistimmen. Es ist bei dem Zahn- bein ebensowenig wie bei den Knochen und Knorpeln, von welchen ich es bereits dargethan, eine Grund- oder Inter- eellularsubstanz vorhanden, die vermeintliche Intercellularsub- stanz des Zahnbeines besteht aus den indurirten Zahnbeinzel- len in deren Innerem Hohlräume, die untereinander verschmel- zen, die sogenannten Zahnröhren oder Zahnkanälchen, ver- laufen, mit verdiekten Wänden im T'hierkörper. 9 Schon seit einer Reihe von Jahren habe ich die in der Botanik über die Entwickelung und Bildung der Zellen ge- wonnenen Resultate auf die Entwickelung der Zellen im thie- rischen Körper anzuwenden gesucht, indem ich glaubte an- nehmen zu dürfen das die für die Entwickelung und Bildung der Pflanzenzelle geltenden Grundsätze auch für die der thie- rischen Zellen massgebend sein müssten, kurz, dass der Vor- gang in beiden nach bestimmten gleichen Principien erfolgen muss. Denselben gewiss richtigen Weg haben ja anch Vir- chow, Remak u. A, mit so vielem Erfolge betreten. So sehr ich also dafür stimme, dass die über die Ent- wickelung etc. der Pflanzenzelle gewonnenen Thatsachen auf die der thierischen Zelle übertragen werden, um so mehr, da die Beobachtungen dieser Vorgänge bei deu Pflanzen nicht mit so vielen Schwierigkeiten verknüpft sind, als dies bei der thierischen Zelle der Fall ist, so sehr muss ich mich gegen das Uebertragen solcher Lehren, die keineswegs sicher be- gründet sind, oder gar auf zu geschraubter, man möchte sa- gen, alles Natürliche entbehrenden Hypothesen beruhen, er- klären. Ferner halte ich dafür, dass Hypothesen und Benen- nungen, die in der Botanik schon längst abgethan, nicht noch zur Verwirrung der Begriffe beibehalten werden dürfen, da hierdurch nur der ohnehin schon grosse Ballast von haltlosen Hypothesen und Namen ohne Ursache vermehrt wird. In Bezug auf das Erstere will ich nur den durch M ohl in die Botanik eingeführten Primordialschlauch erwähnen, ein Organ der Pflanzenzelle, wie ihn Mohl bezeichnete, über dessen Vorkommen und Eigenschaften die Botaniker durchaus noch nicht einig sind, ja worüber Mohl mit sich selbst noch nicht einig zu sein scheint. 1844 wagt Mohl es noch nicht, ihn als ein Organ der Zelle zu bezeichnen, hält ihn für eine körnige Haut, die den Zelleninhalt zunächst umgiebt. 1855 hält er den Primordialschlauch nicht mehr für eine Membran, sondern für eine Schleimschicht. Diese von verschiedenen Botanikern schr bestrittene Meinbran, zeigt sich bei den Pflan- zenzellen, wie Mohl angiebt, nur dann, wenn Substanzen auf die Zellen und ihren Inhalt eingewirkt haben, die den 10 Fürstenberg: Ueber einige Zellen letzteren coaguliren, oder ihm Wasser entziehen, und ein Einschrumpfen desselben herbeiführen; es zeigt sich bei so behandelten Zellen dann eine körnige membranartige Schicht um den in seinem Volumen verringerten Zelleninhalt, eine Membran, die bei alten inhaltslosen Zellen nicht mehr wahr- zunehmen ist. Dieser Primordialschlauch wurde nun, um über Schwie- rigkeiten in der Entwickelung etc. der Zellen zu helfen, auch als ein Theil der thierischen Zelle angenommen, aber es wurden dem Primordialschlauch der thierischen Zelle nicht die von Mohl dem Primordialschlauch der Pflanzenzelle beige- legten Eigenschaften mitgegeben, nein, man ging gleich wei- ter, und liess den Primordialschlauch aus einer derben Mem- bran bestehen und ertheilte ihm verschiedene Fähigkeiten. So hat Virchow und Kölliker, um die eigentliche Natur der sternförmigen Knochenkörperchen zu erklären, den Pri- mordialschlauch in Anwendung gebracht, und sagt Letzterer in dem Handbuch der Gewebelehre pg. 81 über die Bildung der Knorpelzellen Folgendes: „Bei den Knorpelzellen betrach- tet man ganz ähnliche Vorgänge, wie wenn Pflanzenzellen unter Bildung von Porenkanälchen verholzen. Es verdickt sich nämlich die äussere secundäre Zellenmembran oder die Knorpelkapsel durch an ihre innere Fläche neu sich ansetzende Ablagerungen in der Art, dass in derselben enge Kanäle of- fen bleiben, in welche der zugleich sternförmig auswachsende Primordialschlauch mit zarten Fortsätzen hineinragt. Während dann Kalksalze in die verdickte Knorpelzelle sich ablagern und dieselbe verknöchert, durchbrechen die Ausläufer des Primordialschlauches die Knorpelkapsel ganz, bahnen sich selbst in der ebenfalls ossifieirten Grundsubstanz Wege und setzen sich endlich mit den Ausläufern anderer Knorpelzellen in Verbindung, so dass ein ganzes Netz der Ausläufer der Primordialschläuche, welche ihre Zellennatur beibehalten, in- nerhalb der ossificirten Knochensubstanz entsteht.“ Bei den Eigenschaften, die Mohl dem Primordialschlauch beigelegt, ist der von Kölliker gegebene Vorgang der Bil- dung der Ausläufer doch nicht recht möglich, zumal da der mit verdickten Wänden im Thierkörper. 11 Primordialschlauch von Mohl diesen Namen erhalten hat, weil mit ihm die Zellbildung beginnt. Nehmen wir einen Primordialschlauch in der thierischen Zelle an, und legen ihm die von Mohl demselben beigeleg- ten Eigenschaften bei, so können wir mit Hülfe desselben doch noch nicht die Membran, welche die von Virchow entdeckten sternförmigen Knochenzellen umgiebt, als den Primordialschlauch bezeichnen, es ist diese Membran aber auch nicht der Primordialschlauch der Knochenzellen. Entzieht man einem Knochen die Kalksalze durch ver- dünnte Salzsäure, und unterwirft man feine Schnitte davon einer Betrachtung durch das Mikroskop, so sieht man die Knochenzellen sehr deutlich, sie unterscheiden sich in der Form wenig von den Knochenkörperchen eines nicht mit Säure behandelten Knochens. Es umgiebt diese Knochen- körperchen bei ausgebildeten Knochen nun nicht eine Mem- bran, der sogenannte Primordialschlauch nach Kölliker, sondern man sieht hier deutlich bei den mit Säure behandel- ten Knochen mehrere Schichten, mindestens 2, oft aber auch 3—4. Die Knochenkörperchen vollständig ausgebildeter Kno- chen lassen, nachdem durch Säure die Erdsalze entfernt wor- den sind, nur wenig von den Ausläufern erkennen, dahinge- gen sind sie an den Knochenkörperchen der ebenso behan- delten Foetusknochen deutlicher sichtbar. In Fig. 4 u. 5 sind die Knochenkörperchen, so wie ich sie unter anderen in einem frischen mit verdünnter Schwefelsäure behandelten Metacar- palknochen vom Schafe gefunden habe; man sieht hier sehr wenig von den Tüpfelkanälen, wodurch die Zellen vielmehr den Tochterzellen der Knorpelzellen gleichen, ferner sieht man deutlich die aus mehreren Schichten bestehende, einen Hohlraum, das sogenannte Knochenkörperchen , umschlies- sende Membran. Im Innern dieses Hohlraumes gewahrt man das zu einem bald mehr rundlichen, bald mehr länglichen, in Form dem Hohlraume ähnliches Agglomerat von dunkelen Molekülen, zu dem der Inhalt der Zellen durch die Einwir- kung der Säure zusammengeschrumpft ist. An diesem Agglo- ınerat müssten wir nun, wollten wir Mohl folgen, den Pri- 12 Fürstenberg: Ueber emige Zellen mordialschlauch der Knochenzellen suchen und zwar als eine Schleimhaut oder feinkörnige Membran. Ich kann die den Hohlraum umschliessende Membran nur als die zuletzt gebildeten Verdickungsschichten der Knochen- zelle, oder der Knochenkapsel nach Kölliker betrachten. Um sich hiervon zu überzeugen, braucht man nur das durch verdünnte Salzsäure seiner Erdsalze beraubte und durch Was- ser von der Salzsäure befreite Knochenschnittchen mit ver- dünnter Schwefelsäure zu behandeln und mit Jodtincetur zu tingiren, man sieht dann, ganz ebenso wie bei den nur mit verdünnter Schwefelsäure behandelten Knochenschnittchen, dass die sternförmigen Knochenzellen Köllikers nur die von den jüngsten Verdickungsschichten umgebenen Hohl- räume der eigentlichen Knochenzell n sind; oder aber, man lässt Chromsäure auf Schnittchen des durch Salzsäure von den Erdsalzen befreiten Knochens einwirken, um die Umrisse der Knochenzelle und den in ihrer Mitte befindlichen Hohl- raum, das Knochenkörperchen, deutlich erkennen zu kön- nen. Man benutzt hierzu die trockene krystallisirte Chrom- säure, von der einige Krystallfragmente in einem auf dem Objectglase gebrachten Wassertropfen aufgelöst, und in welche Lösung sodann das Präparat gelegt wird. Die Widerstandsfähigkeit der jüngsten Verdickungsschicht der Knochen- und Knorpelzellen gegen dıe Einwirkung der ver- dünnten Chlorwasserstoff- und Schwefelsäure ist eine bedeu- tende, wie ich dies bereits bei Betrachtung der Knorpelzellen angeführt habe. Ich führte dort an, dass nach längerer Ein- wirkung.der verdünnten Schwefelsäure die älteren Verdickungs- schichten und dieMembranen der Mutterzellen aufgelöst würden, die Tochterzellen jedoch die Membranen und die Schichten, aus denen sie bestehen, deutlich erkennen liessen. Innerhalb dieser Membran finden wir dann den durch Einwirkung der Säure coagulirten Inhalt gewöhlich zu einem Agglomerat dunkeler Moleküle vereinigt, das zuweilen in grösserer, zuweilen nur in geringer Entfernung von der Zellenmembran gelegen ist. Dieser Zelleninhalt, der sowohl wie die Schichten der Zellenmembran sehr deutlich nach dem Tingiren mit Jod- mit verdickten Wänden im 'Uhierkörper. 16 tinctur hervortreten, müsste nun, um mit Mohl zu reden, von dem Primordialschlauch umgeben sein. Es ist mithin die von Kölliker und Virchow als Pri- mordialschlauch der Knorpel- und Knochenzellen aufgeführte Membran, die den Zelleninhalt umgebende jüngste Ver- diekungsschicht der Knochen- und Knorpelzellen-Membran, daher nur ein Theil der Knochenzelle und deshalb die Be- zeichnung dieses Theiles als sternförmige Knochenzelle nicht statthaft. Hat man sich für die Uebertragung der in der Physiologie der Pflanzen geltenden Principien auf die Physiologie des thierischen Körpers entschieden, so darf man, um consequent zu sein, nicht die Bezeichnungen Knochen- und Knorpelkap- seln beibehalten, es vermehrt die Beibehaltung dieser Be- zeichnungen nicht nur die schon ohnehin grosse Menge der- selben, sondern trägt, was noch nachtheiliger ist, zu einer Verwirrung der Lehre über die Zellbildung bei, einer Lehre, die meiner Ansicht nach, so klar und leicht fasslich als nur irgend möglich hingestellt werden muss, Abbildungen. Fig. 1. Schnittchen aus dem Armbeine eines 7° langen Rinds- foetus, 425 Mal vergrössert. 1. Ursprüngliche Knorpelzelle mehrere Knochenzellen ent- haltend. Fig. 2. Schnittchen aus der frischen Rippe eines Schweines, 300 Mal vergrössert. Fig. 3. Zahnbeinzellen vom Backenzahne eines 22 Wochen alten Rindsfoetus, 800 Mal vergrössert. 1. Zahnbeinzellen in der Lage. . Zahnbeinzellen durch Druck etwas von einander entfernt. . Eine einzelne ganze Zahnbeinzelle. Zahnbeinzelle an deren oberem Ende eine andere ange- lagert ist. Fig. 4 Knochenzellen aus dem Metacarpalknochen eines erwach- senen Schafes, dem mit verdünnter Chlorwasserstoffsäure die Erdsalze IS} Pc 14 Fürstenberg: Ueber einige Zellen etc, im Thierkörper. entzogen und von dem ein Theil hierauf mit verdünnter Schwefelsäure, ein anderer Theil mit Chromsäure behandelt wurde, 500 Mal ver- grössert. a. Membran der Knochenzelle, b. sogenanntes Knochenkörperchen , ce. Zelleninhalt. Fig. 5. Knochenzelle von demselben ebenso behandelt und 800 Mal vergrössert. a. Membran der Knochenzelle, b. sogenanntes Knochenkörperchen , c. Zelleninhalt. J. Lachmann: Ueber Knorpelzellen. 1) Ueber Knorpelzellen. Von I. LACHMANN. (Hierzu Taf. II.) Da aer Streit über die Zellennatur der sogenannten Binde- gewebssubstanz noch immer nicht ganz beendet zu sein scheint, da besonders noch immer Viele trotz der vortreffllichen Ar- beiten Virchow’s und Hoppe’s die Knochen- und Knorpel- körperchen nicht als Zellen betrachtet wissen wollen und die durch längere Behandlung der Knochen oder Knorpel mit Salzsäure oder durch Kochen im Papinschen Digestor er- haltenen Membranen nur für die innersten Schichten der die Knochen- oder Knorpelhöhlen umgebenden Grundsubstanz ansehen, so scheint es mir nicht ungerechtfertigt, noch ein- mal ein Enchondrom in dieser Hinsicht zu beschreiben, ob- gleich schon Virchow!) ein solches für diese Frage benutzt hat, da mir das mir zu Gebote stehende Object die Frage über die Zellnatur und die Entwickelung der in Rede stehen- den Elemente noch sicherer zu entscheiden scheint, als dies mit dem von Virchow beobachteten der Fall war. Das Enchondrom befindet sich im hiesigen anotomischen Museum, die von demselben angefertigten Präparate sind zum Theil schon vom Herrn Geheimerath J. Müller früher untersucht, und dieser hatte die meisten der zu beschreibenden Thatsa- chen schon daran beobachtet, vertraute mir aber gütigst die weitere Untersuchung und Mittheilung des Beobachteten an. Von dem gröberen Bau der Geschwulst abstrahirend, der 1) Verhandlungen der phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg 1850. pg. 195 u. £. 16 J. Lachmann: ja seit J. Müller’s erster Beschreibung 1836 hinlänglich be. kannt ist, will ich nur den Theil der mikroskopischen Unter- suchung mittheilen, der über die Natur und Entwickelung der Knorpel- und Knochenkörperchen Aufschluss ertheilen kann. Ich will mit der Beschreibung der Knorpelhöhlen, ihrer nächsten Umgrenzung und ihres Inhalts, also mit den Knorpelkapseln Virchow’s oder Knorpelzellen der meisten Autoren, beginnen und erst später auch auf die Zwischen- substanz zwischen denselben Rücksicht nehmen. An den meisten Stellen enthielt die chondringebende Grundsubstanz des Enchondromknorpels Hohlräume, Knor- pelhöhlen, Fig. 1-5 a. von bald mehr runder, bald mehr ellipsoidischer oder eiförmiger, oft selbst sehr lang gestreck- ter Gestalt. Sie waren von einer derben Membran b., Knor- pelkapsel Virchow’s, eingeschlossen, welche sich deut- lich von der umgebenden Substanz, mit der sie übrigens fest zusammen hing, unterschied, und enthielten im Innern einen sie nicht ausfüllenden, rundlichen oder ovalen Körper Fig.l.c., dessen Farbe bei den lange in Weingeist gelegenen Präparaten bräunlich war. Dieser Körper wurde von J. Müller!) und den meisten Autoren als Kern der Knorpelzelle, von Vir- chow als eigentliche Knorpelzelle angesehen. Der In- halt der bräunlichen meist an der Oberfläche gerunzelten Körper, die wir vorläufig mit dem von Vielen gebrauchten Ausdruck Knorpelkörperchen nennen wollen, war trüb, mehr weniger körnig und enthielt in manchen Parthieen des Enchondroms viele kleine und grosse Fetttröpfchen. ?) Statt dieser rundlichen Körperchen kamen in vielen Knor- pelhöhlen solche mit strahligen oft verästelten Fort- sätzen vor.°) Fig. 2,5u.6c. Die Fortsätze reichten meist 1) Ueber den feineren Bau und die Formen der krankhaften Ge- schwülste 1838. pg. 35. 2) Siehe J. Müller l. c. T. III. Fig. 5. 3) Beschrieben zuerst von J. Müller l. ce. pg. 35. T. III. Fig. 8. dann von Al. Schaffner in einer Inaugural-Dissertation von 1845, von J. Vogel, Pathol. Anatomie pg. 149. T. X. Fig. 8., besonders aber von R. Virchow I. c. Ueber Knorpelzellen. 7 bis an die Kapsel der Knorpelhöhle, doch waren auch ein- zelne kürzer; unregelmässig gestaltete, mehr oder weniger zackige Zwischenformen zwischen den runden und den ra- diirten Körpern waren nicht selten: z. B. in Fig. 6 A.1). Die radiirten sowohl, als die rundlichen oder eiförmigen Körperchen lagen meist einzeln, bisweilen aber auch zu zwei (Fig. 5 A) in ihrer Knorpelhöhle, nur von Flüssigkeit um- geben, nicht in feste Masse eingebettet. Wenn die einfache Beobachtung der geschlossenen Höhlen nicht genügte, dies mit Sicherheit zu bestimmen, so wurde es durch die nicht selten erfolgte mechanische Isolirung derselben erwie- sen. Waren nämlich bei der Präparation zufällig Knorpel- höhlen angeschnitten, so traten meist die darin enthaltenen Körperchen heraus, und man fand in der Flüssigkeit sowohl rundliche als radiirte in dieser Weise isolirte Körperchen, Fig. 3 und 4, letztere bisweilen noch, wie Fig. 4 C, mit einem oder mehreren der Fortsätze an dem Rest der ange- schnittenen Kapsel b hangend. Die radiirten Körper hatten meist bei der Isolirung einen Theil ihrer Fortsätze einge- büsst, doch kamen wiederholt solche vor, über deren Iden- tität mit den radiirten Knorpelkörperchen kein Zweifel sein konnte. Häufig sah man auch durch den Schnitt geöffnete und entleerte Höhlen, wie in Fig. 6 B, so dass es sicher war, dass man es hier mit Höhlen zu thun hatte, welche von einer derben meist mit der Umgebung innig zusam- menhängenden Membran umgeben waren undin einer Flüssigkeit ein oder zwei rundliche oder radiirte Körperchen enthielten. Der anatomische Werth dieser Körperchen konnte nun entweder der von nur durch den Alkohol geronnenem In- halt der Höhle, oder der von Zellkernen, oder endlich von ganzen Zellen sein. Die Ansicht, dass sie nur der geron- nene Inhalt der Knorpelhöhlen sei, wird schon durch den bald zu beschreibenden Uebergang in ebenso gestaltete in die Grundsubstanz eingebettete Knorpelkörper unwahrschein- 1) Vergl. J. Müller in diesem Archiv 1845 pg. 39. Müllers Archiv. 1857. 2 18 J. Lachmann: lich gemacht, durch die vom Herrn Geheimerath J. Müller gemachte Beobachtung derselben in frischem Enchondrom vollständig widerlegt. — Ob die isolirbaren Körperchen aber Aequivalente von Zellen oder nur von Zellkernen waren, schien schwerer zu entscheiden, da man nur selten undeut- lich eine blasse, zarte Contur um die braune Masse verlau- fen sah, welche man für die abgehobene dünne Membran der Zelle hätte halten können. Fig. 3 e. Waren die Körperchen Zellen, so lag sicher die feine Membran dem durch den Al- koholzusatz coagulirten Inhalt dicht an, in diesem sah man bisweilen einen oder zwei rundliche Körper d in Fig. 1, 2, 3. 4 A und C, welche Kerne mit einem oder gewöhnlicher mit zwei Kernkörperchen zu sein schienen. Da sie bei der trüben Beschaffenheit und der braunen Farbe der gan- zen Körperchen nicht deutlicher zu sehen waren, als ich sie gezeichnet, und sie in vielen Körperchen gar nicht erkannt wurden, so möchte ihre Anwesenheit allein nicht hinreichen, die betreffenden Körperchen für kernhaltige Zellen anzuse- hen, sondern hierzu erst noch die Untersuchung eines ganz frischen Enchondroms erforderlich sein, wenn man nicht auch im normalen Knorpel, bei dem man, wenn er ganz frisch ist, sehr schön die Kerne als rundliche mit einem Nucleolus versehene Bläschen in den Knorpelhöblen liegen sieht, ihn undeutlich oder ganz unerkennbar machen kann, wenn man durch Zusatz von Alkohol oder einer concentrirten Kochsalz- oder Zuckerlösung den Inhalt der Knorpelhöhle um ihn zu- sammenschrumpfen lässt. Bei frischem Knorpel ist si- cher der mit Nucleus und Nucleolus versehene In- halt jeder Knorpelhöhle eine mit einer sehr dün- nen Membran, welche nichtmitder Wand derKnor- pelhöhle verbunden ist, versehene Zelle, an der man Endosmose- und Exosmose- Versuche wie an jeder anderen freien Zelle machen kann. Bringt man zu einem ganz’ fri- schen Knorpelschnitt, dessen Oberfläche aber noch nieht an der Luft ausgetrocknet sein darf, sondern dessen Höhlen man noch vollständig von dem flüssigen oft einige Fettiröpf- chen und kleine Körnchen, sowie einen oder zwei Kerne Ueber Knorpelzellen. 19 mit Kernkörperchen führenden Inhalt ausgefüllt sieht, wie Fig. 12 A und Bl, eine ziemlich eoncentrirte Kochsalz - oder Zuckerlösung, so sieht man den Inhalt der Knorpelhöhle um den Kern zusammenschrumpfen und diesen verhüllen, so dass nun ein geschrumpftes dunkles Körperchen in einer mit Flüs- sigkeit gefüllten Höhle liegt, Fig. 12 A u.B2. Da die Koch- salz- oder Zuekerlösung nicht wohl eine Coagulation im Höh- leninhalt hervorbringen kann, so führt diese Beobachtung schon zur Ueberzeugung, dass derselbe von einer feinen Mem- bran umgeben sei, welche durch exosmotisch aus derselben erfolgten Wasseraustritt zum Collabiren gebracht werde. Von der Richtigkeit dieser Ansicht überzeugt man sich leicht, wenn man nun den Knorpelschnitt in destillirtes Wasser legt, wo man das vorhin geschrumpfte Körperchen wieder aufquellen und den Kern wieder deutlich hervortreten sieht. Durch abwechselndes Behandeln mit Kochsalz- oder Zuk- kerlösung und reinem Wasser kann man so das- selbe Knorpelkörperchen zu wiederholten Malen zusammenschrumpfen und sich wieder ausdehnen, den Kern unkenntlich und wieder vollkommen deut- lich werden sehen!), so dass an dem Vorhanden- sein einer Zellmembran, an der Zellnatur des Kör- 1) Fig. 12 A stellt die Veränderungen einer Knorpelzelle vom Frosch bei zweimal nach einander bewirktem Schrumpfen und Wie- deraufquellen dar, B die von zwei anderen kleineren, ebenfalls vom Frosch, welche in dicht an einander grenzenden Höhlen liegen, gleich- falls unter zweimal abwechselnd geschehenem Zusatz von Zuckerlö- sung und reinem Wasser. Al und B1 ist das ursprüngliche Ausse- hen der in der Höhle liegenden Zellen, man unterscheidet keine sie umgebende Membran; A 2 und B 2 sind dieselben Zellen nach Zuk- kerzusatz, die vorhin sehr deutlichen Kerne sind in den geschrumpften Körperchen nicht mehr erkennbar, treten aber nach Behandeln mit reinem Wasser, wo die Zellen wieder zu A3 und B3 aufquellen, wieder deutlich hervor. Neuer Zusatz von Zuckerlösung macht sie wieder schrumpfen A4 und 5, B4; in reinem Wasser quellen sie wieder A 6 und 7, B5. Die Zelle quillt nicht immer vollkommen zu ihrer ursprünglichen Grösse auf, sondern bleibt bisweilen etwas klei- ner, so dass sie ihre Höhle nicht vollkommen ausfüllt. 9% = N 20 J. Lachmann: perchens nicht mehr gezweifelt werden kann. Sind so die Knorpelkörperchen des normalen Knorpels Zellen, so können wir nicht umhin, auch die runden und radürten des Enchondrom als solche zu betrachten, auch ihnen eine be- grenzende Membran zuzuschreiben, besonders da die radiä- ren Fortsätze hohl zu sein scheinen. Haben wir so die Zellnatur der in mit Flüssigkeit gefüll- ten Hohlräumen, deren Wand aus einer dicken Membran be- steht, gelagerten Knorpelzellen bewiesen, so bleibt uns zu- nächst der Nachweis der Identität dieser mit den in homo- gene Grundsubstanz gebetteten radiirten Knorpel- und Kno- chenkörperchen, Wie schon J. Müller in seiner Abhandlung über das En- chondrom schrieb, kommen auch Knorpelkapseln vor, deren radiirtes Körperchen, die Knorpelzelle, sich mit ihren Aus- läufern nicht auf die Höhle der Kapsel beschränkt, sondern sich über die dicke Begrenzungshaut in die Grundsubstanz erstreckt. Fig. 7 und Fig. 4C. Ein deutliches Ausbuchten der Kapselwand, wie es Virchow hier schildert, konnte ich nicht entdecken, ich sah die Fortsätze der Knorpelzelle ein- fach in der homogenen oder schwach granulirten Grundsub- stanz verlaufen. Dieses Auswachsen der Fortsätze macht die radiirten Knorpelzellen den sogenannten Knochenzellen allerdings noch ähnlicher und sie gehen auch durch diesel- ben, wie diese, Anastomosen mit den Fortsätzen der Nach- barkörperchen ein, doch bleibt dabei noch immer der Kör- per der Knorpelzelle von der dicken Kapselmembran durch Flüssigkeit getrennt, welche beim entwickelten Knochen nicht vorhanden ist, wo dieser Raum vollkommen mit homogener Masse gefüllt und keine Kapsel zu erkennen ist. Dieser Unter- schied wird dadurch ausgeglichen, dass sich in der Knorpel- höble feste beim Kochen Chondrin gebende Masse ablagert, meist schon ehe die Knorpelzelle die Kapselwand durchbrochen hat. So findet man nicht selten Knorpelkörperchen, welche wie die bisher geschilderten in einem deutlich von einer dicken Kap- selmembran umgebenden Raum liegen, wo aber der Inhalt zwischen Knorpelzelle und Kapselmembran durch leicht ge- Ueber Knorpelzellen. Pal körnte, halb oder ganz feste Masse gefüllt ist. Fig. 8. Von diesen, bei denen der Inbalt der Kapsel noch ein von dem der Umgebung sehr verschiedenes Aussehen besitzt, bis zu solchen, wo derselbe nicht mehr von der Grundsubstanz zu unterscheiden, Fig. 10, wo auch die Kapselmembran voll- kommen undeutlich geworden oder gar nicht mehr zu erken- nen ist, kommen alle Zwischenstufen vor, z. B. Fig. 9. Wir haben so alle Uebergänge von dem Knor- pel, in welchem die rundliche Knorpelzelle in einer von deutlicher Kapselmembran ausgekleide- ten Höhle liegt, bis zu dem, welcher sich anato- misch vom soliden Knochen nur durch den Man- gel an Haversischen Kanälen unterscheidet, ge- funden, und glauben den Beweis geliefert zu ha- ben, dass die radiirten Knochenkörperchen dieses ‘osteoiden Knorpels durch Veränderung der rund- lichen Knorpelzellen entstanden sind, deren Zell- natur wir bewiesen haben, dass also wohl kein Zweifel sein kann, dass die Membran, welche man durch Behandeln dieses Knorpels mit Salzsäure etc. isoliren kann, wirklich als die Membran die- ser als Zellen zu betrachtenden Körper, nicht als innerste Schicht der sie einschliessenden Grund- substanz zu betrachten ist. Ist es nun erlaubt, die Entwickelung des normalen Kno- chens, welche wegen des rascheren Verlaufs aller Verände- rungen an den Elementen des ossifieirenden Knorpels schwe- rer alle Stadien erkennen lässt, als in ähnlicher Weise vor sich gehend zu betrachten (und hierfür scheinen die meisten Angaben über Verknöcherung zu sprechen), so möchte der Verknöcherungsvorgang etwa in folgender Weise vor sich gehen: Die rundliche Knorpelzelle wächst in sich verästelnde hohle Fortsätze aus, die bis an die oft aus einer derben Membran, Kapsel, gebildete Wand der sie enthaltenden Höhle treten und sich endlich noch über dieselbe hinaus verlängern, In solchem Knorpel, in welchem vorher die 22 J. Lachmann: Knorpelzelle ihre Höhle ganz ausfüllte, bildet sich während dieses Auswachsens in Fortsätze oder vor demselben durch Vergrösserung der Höhle und Verkleinerung der Zellen ein Zwischenraum zwischen der Wand der Höhle, also der Kap- sel, und der Zelle!). Zugleich oder bald darauf tritt nun in diesem anfangs von Flüssigkeit erfüllten Zwischenraum eine Veränderung ein: es lagert sich feste Masse in demselben ab, entweder in der ganzen Höhle zugleich auftretend oder von der Peripherie nach dem Centrum vorschreitend. (Auf diese Weise scheinen mir die Angaben der Autoren über die Bildung von Porenkanälchen zu deuten, auch im Enchondrom findet man Thatsachen für das peripherische Beginnen der Ablagerung von fester Substanz in der Kapselhöhle; man findet nämlich Höhlen mit deutlicher Kapselmembran, wel- che in ihren äusseren Parthieen schon von fester Substanz gefüllt sind, zunächst dem Körper der radiirten Zelle aber noch Flüssigkeit enthalten.) Damit, dass die Kapselmem- bran immer undeutlicher wird (dies geschieht oft schon vor dem Auswachsen der Zelle in Radien), dass der Inhalt der Kapsel der umgebenden Grundsubstanz ähnlicher wird, die sich verlängernden Fortsätze einer Zelle mit denen der be- nachbarten Anastomosen eingehen, wird der Process been- 1) Ich fand radiirte frei in ihrer Höhle liegende Knorpelzellen so- wohl an der Össificationsgrenze von langsam ossificirendem Frosch- knorpel, als auch im Bereich der Össification des Knorpels einer jun- gen Katze, in letzterem Falle war die die Höhle umgebende Grund- masse schon verkalkt, im ersteren nicht, beim Frosch sah man in ein- zelnen Fällen in der Höhle mit der radiirten Knorpelzelle ein oder zwei kleine Kalkkrümelchen. Dass diese radiirten Knorpelzellen nicht durch Einwirkung von Reagentien oder Austrocknen und Zusammen- schrumpfen entstanden waren, dafür gab mir die Vorsicht bei der An- fertigung der ganz frischen Schnitte vom frischen Knorpel und der vollkommen umgeänderte Zustand der die radiirten Zellen umgebenden runden Bürgschaft, auch unterschieden sich diese radiirten Zellen von den durch Reagentien etc. erhaltenen collabirten, oft unregelmässige Fortsätze führenden, durch grössere Regelmässigkeit und mehr norma- les, nicht so geschrumpftes, dunkles Aussehen, so dass der Kern in ihnen meist noch zu sehen war. Ueber Knorpelzellen. 23 det, der bei der Verknöcherung noch die Abweichung zeigt, dass während desselben die Grundsubstanz des anfangs Chon- drin gebenden Knorpels sich in Kalksalze führende, Glutin gebende Masse umwandelt, dass gleichfalls die in der Knor- pelkapsel auftretende feste Substanz nicht ein Chondrin ge- bender, sondern ein Glutin gebender, mit Kalksalzen ver- bundener Stoff ist. Die Verkalkung tritt bald ausserhalb, bald innerhalb der Kapsel zuerst auf. Es bleibt uns nun noch die Ermittelung des histologi- schen Werthes der Kapselmembran und der Grundsubstanz, in die sie eingebettet, welchen wir bis jetzt ganz unberück- sichtigt gelassen haben. Im fertigen Knorpel und Knochen sehen wir die homo- gene Grundsubstanz die Intercellularsubstanz zwischen den Knochen und Knorpelzellen bilden, anders ist dies im in der ‘ Bildung begriffenen Knorpel. Von einem Theil derselben sa- hen wir schon, dass er als Inhalt der Knorpelkapseln ent- stand, und müssen ihn, da ich glaube, es mehr als wahr- scheinlich machen zu können, dass die Knorpelkapsel die Mutterzelle der Knorpelzelle ist, als veränderten Zellinhalt ansehen. Dasselbe gilt nun auch von der je eine oder meh- rere Kapseln umgebenden Grundsubstanz. Wir finden näm- lich Kapseln, welche zu zwei (Fig.5 A und B) oder mehr in einer gemeinschaftlichen von einer äusseren Kapselmembran (Fig. 5 £) umschlossenen Höhle liegen, die von Flüssigkeit, wie in dem gezeichneten Falle, oder von fester Masse aus- gefüllt ist, und bei denen wohl kein Zweifel sein kann, dass sie dasselbe Verhältniss zu den eingeschlossenen Kap- seln, wie diese zu den in ihnen liegenden Knorpelzellen hat. Schon diese Beobachtung einer oder mehrerer Kapseln, frei in einer Höhle liegend, macht die Annahme unwahr- scheinlich, dass die Kapseln etwa nur der innerste verän- derte Theil von Intercellularsubstanz sei, und drängt zu der Ueberzeugung, dass sie veränderte Zellmembran sei, die durch bald zu beschreibende Zwischenstufen zwischen Knor- pelzellen und Kapseln befestigt wird. Statt mehrerer inne- rer Kapseln kann eine äussere Kapsel auch nur eine innere 24 J. Lachmann: Kapsel einschliessen und selbst wieder von einer noch wei- ter aussen liegenden allein oder mit anderen eingeschlossen werden !). Wie der Inhalt der inneren Kapseln, anfangs von der umgeberden Masse sehr verschieden, dieser allmählich gleich wird, so geschieht dies auch mit dem der äusseren Kapseln, so dass die meisten äusseren Kapseln einen wenig oder gar nicht von der Grundsubstanz verschiedenen Inhalt einschlies- sen; die äusseren Kapseln selbst werden gleichfalls immer undeutlicher, zuletzt gar nicht mehr zu erkennen ?). Der grösste Theil, wo nicht der ganze Knorpel ist so als aus dem Inhalt ältester Mutterkapseln hervorgegangen anzusehen, deren Membranen allmählich, während sie zu- gleich immer weiter ausgedehnt wurden, ihrem Inhalt immer ähnlicher wurden. Wir haben nun noch die oben erwähnte Zwischenstufe zwischen Knorpelzellen und Knorpelkapseln anzuführen, um unsere Ansicht, dass die letzteren aus ersteren durch endo- gene Zellbildung entstanden sind, zu stützen. In einigen, freilich sehr vereinzelten Fällen wurden radiirte Knorpelzel- len, Fig. 11 c, in Höhlen beobachtet, welche von einer mit radiären Fortsätzen versehenen Membran b umgeben waren, welche letztere wieder in einer von einer Kapselmembran £ umschlossenen Höhle lag. Da die Fortsätze der äusseren Membran nicht alle denen der Knorpelzelle entsprachen, so 1) So umgeben in Fig. 2 noch drei äussere Kapseln £, #4, £“ die die Knorpelhöhle begrenzende Kapsel, in Fig. 1 und 3 nur je eine äussere £ die innere b. In Fig. 2 umgiebt eine Kapsel #° zwei Kap- seln 3 und C b, von denen die eine © direct eine Höhle mit Knorpel- zelle enthält, während die andere $ in ihrer Höhle zwei innere Kap- seln, die eine mit einer, die andere mit zwei radiirten Knorpelzellen enthält. 2) Fig. 6 zeigt die Derivate zweier äusseren Kapseln, die Kapsel- membranen sind geschwunden, der ehemalige Kapselinhalt ist noch leicht von der umgebenden Masse zu unterscheiden, die eine enthielt drei, die andere sechs Tiochterkapsen, von denen eine B angeschnit- ten ist und ihren Inhalt entleert hat. Ueber Knorpelzellen. 25 konnte sie nicht wohl die abgehobene Menıbran dieser sein, sondern musste als selbstständige Membran entweder der Membran einer Knorpelzelle oder einer Knorpelkapsel ent- sprechen. Mochte sie nun eine Kapselmembran sein, welche, während sie eine Knorpelzelle enthielt, in Fortsätze ausge- wachsen war, also sich wie eine Knorpelzelle verhalten hatte, oder mochte sie eine radiirte Knorpelzelle gewesen sein, welche durch endogene Zellbildung eine neue Knorpelzelle hervorgebracht hatte, also zur Kapsel geworden war, so bil- dete sie jedenfalls ein solches Zwischenglied zwischen Zellen und Kapseln, dass wir mit Berücksichtigung der schon er- wähnten Gründe wohl die Kapselmembranen als nach der Bildung von Tochterzellen im Innern verän- derte Zellmembranen von Knorpelzellen ansehen müssen. Nach den mitgetheilten Beobachtungen würde sich also der Entwickelungsgang des Knorpels kurz in folgender Weise darstellen lassen. In den ursprünglichen Bildungszellen des Knorpels (mögen sie nun durch Zwischensubstanz getrennt sein oder nicht) entwickeln sich durch endogene Zellbildung neue Zellen, Knorpelzellen oder Knorpelkörperchen, die Membranen der Mutterzellen sind damit zu Knorpelkapseln geworden; während die neuen Knorpelzellen durch endogene Zellbildung gleichfalls zu Kapseln werden und ihre Membra- nen sich dabei oft bedeutend verdicken '), hat sich zwischen ihnen und der Membran ihrer Mutterzelle feste, Leim ge- bende Substanz abgelagert; der Raum innerhalb der Mem- bran ihrer Mutterzelle ist dadurch vergrössert, diese selbst wird undeutlicher. In gleicher Weise schreitet der Prozess fort, indem stets die frühere Knorpelzelle durch endogene Zellbildung zur Kapsel wird, und dadurch und mit der Ein- lagerung von fester Substanz in die Kapseln der ganze Knor- pel wächst. Im ossificirenden oder sich osteoid umbildenden 1) Dies scheint nicht immer der Fall, häufig scheinen sie vielmehr sehr früh mit der Grundsubstanz so zu verschmelzen, dass sie kaum oder gar nicht mehr von ihr zu unterscheiden sind. 26 J. Lachmann. Ueber Knorpelzellen. Knorpel tritt endlich ein Zeitpunkt ein, wo gewisse Knor- pelzellen nicht mehr Tochterzellen hervorbringen, sondern in Strahlen auswachsen, und wo die oben geschilderten Ver- änderungen im übrigen Knorpel vor sich gehen. Erklärung der Figuren. Fig. 1—11 stellen Knorpelzellen und Kapseln aus dem Enchon- drom vor, a bedeutet bei allen Figuren die Höhle, welche die Knor- pelzelle ce einschliesst, b ist die Kapsel der Höhle, d der Kern der Knorpelzelle, £, #', # sind äussere Kapseln. Fig. 1. Eine rundliche Knorpelzelle mit doppelter Kapsel. Fig.2. Eine radiirte Zelle von vier Kapseln eingeschlossen. Fig.3, Eine rundliche aus der angeschnittenen, von doppelter Kapsel umschlossenen Höhle hervortretende Zelle, deren Membran e ein wenig vom coagulirten Inhalt abgehoben ist. Fig.4. Drei isolirte radiirte Zellen, die eine C mit ein paar Fort- sätzen noch an dem Rest ihrer grossentheils weggeschnittenen Kapsel, die von denselben schon überragt wurde, festsitzend. Fig.5. Eine ältere Kapsel mit Tochterzellen verschiedener Ge- nerationen. : Fig.6. Die Abkömmlinge zweier Mutterzellen, deren Membranen nicht mehr zu erkennen, die eine mit 3, die andere mit 6 Tochter- kapseln. Fig.7. Eine radiirte Zelle, deren Fortsätze über das Gebiet ihrer Mutterzelle ausgewachsen sind. Fig. 8. Eine Knorpelzelle, deren Kapsel von fester Substanz aus- gefüllt ist. Fig. 9. Eine solche, bei der auch die Kapselmembran geschwunden. Fig. 10. Eine solche mit der benachbarten anastomosirend, der Inhalt der unkenntlich gewordenen Kapsel ist nicht mehr von der umgebenden Masse zu unterscheiden. Fig. 11. Eine Knorpelzelle in einer radiirten Kapsel, letztere wie- derum von einer Kapsel umschlossen. Fig. 12 zeigt die Veränderungen, welche bei abwechselnder Ein- wirkung von Zuckerlösung und reinem Wasser an ein paar Knorpel- zellen vom Frosch vorgingen. A 1-7 zeigt die Veränderungen der einen, B1l-5 die zweier anderer. A. W. Volkmann: Versuche über Muskelreizbarkeit. 97 Versuche über Muskelreizbarkeit. Von A. W. VOLKMANN. Die Versuche, welche den Inhalt der nachstehenden Ab- handlung ausmachen, sind in den Berichten der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften schon mitgetheilt worden. Der Wunsch, mich über einige wichtige Punkte aus- führlicher auszusprechen, als dort geschehen, veranlasst mich, auf den schon einmal behandelten Gegenstand zurückzukom- men. Indem meine Untersuchungen sich an die Arbeit E. We- bers über Muskelbewegung aufs engste anschliessen, scheint es angemessen, an den Standpunkt, welchen dieser ausge- zeichnete Forscher einnahm, in der Kürze zu erinnern !). Bekanntlich leitet Weber die Bewegungserscheinungen der Muskeln zunächst von der Elastieität ab, während er einge- steht, dass die Elastieität schliesslich von dem Einflusse des Lebens abhänge. Anlangend den ruhenden Muskel, so ist er einem Stück Kautschuk vergleichbar. Verändert man seine natürliche Form, beispielsweise durch Dehnung, so reagirt er mit einer elastischen Kraft, welche der Zugkraft gleich- kommt, und beseitigt man hierauf diese Zugkraft wieder, so kehrt er aus der ihm aufgezwungenen Form zu seiner na- türlichen zurück. Mittelst dieser Verkürzung kann er ruhende Körper in Bewegung setzen, er kann also auch ein Gewicht heben, und die Kraft, die er hierbei entwickelt, ist einer- seits von dem Unterschiede der natürlichen und der künst- 1) Vergl. Muskelbewegung in R. Wagners Handwörterbuch der Physiologie B. III. Abth. 2. 28 A. W. Volkmann: lich hergestellten Länge des Muskels abhängig, andererseits von dem Elastieitätsmodulus. Was ferner den thätigen Mus- kel betrifft, so suchte Weber zu zeigen, dass in diesem die eben geschilderten Verhältnisse sämmtlich wiederkehren. Er behauptet nämlich, dass die verkürzte Länge und vermehrte Dicke, welche den thätigen Muskel auszeichnen, nichts an- ders als Eigenthümlichkeiten seiner natürlichen Form sind. Diese natürliche Form sucht der Muskel mit Hülfe elasti- scher Kräfte zu erhalten, wenn er sie hat, und er sucht sie herzustellen, wenn er sie nicht hat. Die Verkürzung, wel- che man an einem Muskel bemerkt, wenn man ihn reizt,, ist ein derartiger Act, wo der aus dem Zustande der Ruhe in den Zustand der Thätigkeit übergegangene Muskel die kurze Form herstellt, die ihm unter den neuen Verhältnissen, in die er eingetreten, allein die natürliche ist. Bei dieser Auf- fassung der Sachlage versteht es sich von selbst, dass die Kraft des sich contrahirenden thätigen Muskels von ganz „analogen Bedingungen abhängen müsse, wie die des unthä- tigen Muskels, welcher nach Beseitigung einer vorübergehen- den Dehnung zu seiner normalen Länge zurückkehrt. Die Hubkraft hängt also ab: einerseits von dem Unterschiede der natürlichen Länge des thätigen und der des ruhenden Mus- kels, oder von der Üontractionsgrösse, und anderseits von der Elastieität. Der Einfluss der letzteren wird sofort klar, wenn man bedenkt, dass das Gewicht, welches dem Muskel anhängt, die Fasern ausdehnt, und dass eine derartige Deh- nung der Contraction Abbruch thut, wo nicht gar sie auf- hebt. Je weniger dehnbar der Muskel ist, ein um so grös- seres Gewicht wird er zu heben im Stande sein, und der Muskel ist um so weniger dehnbar, je grösser seine Elasti- eität ist. x Sollten nun die Muskelbewegungen nach der hier vorge- tragenen Ansicht geordnet und in ihrer Abhängigkeit von den Gewichten, welche sie zu heben befähigt sind, untersucht werden, so wurde nothwendig die Form und Elastieität zu- nächst der unthätigen und dann der thätigen Muskeln, unter Ausschliessung aller zufälligen Einflüsse zu messen, denn in Versuche über Muskelreizbarkeit. 99 der That sollten ja alle Bewegungen und alle aus diesen resultirenden Leistungen der Muskeln nur Folgen der Ver- änderung sein, welche die natürliche Form und die Elas- ticität der Faser beim Wechsel von Ruhe und Thätigkeit zu erleiden hat. Anlangend die natürlichen Formen, so liessen diese sich messen, die natürliche Form des unthätigen Muskels unmit- telbar, die des thätigen Muskels mittelbar durch Bestimmung der Contractionsgrösse. Letztere von der Länge des ruhen- den Muskels abgezogen, giebt die natürliche Länge des thä- tigen Muskels. Die elastischen Kräfte wurden nur nach ih- ren relativen Werthen bestimmt, und aus dem gemessenen Werthe der Dehnbarkeit abgeleitet, was zulässig ist, da die elastischen Kräfte der Dehnbarkeit umgekehrt propor- tional sind. Bei derartigen Messungen trat die Nothwendigkeit her- vor, auf den Einfluss der Ermüdung Rücksicht zu nehmen, von welcher die Muskelfunctionen merklich abhängen. We- ber ordnet daher seine Versuche, in welchen er mit ver- schiedenen Gewichten operirte, in der Weise, dass er die Belastung des Muskels in der ersten Hälfte der Reihe mit jedem neuen Versuche um ein Bestimmtes vermehrte, in der zweiten Hälfte dagegen um dasselbe Quantum verminderte. War nun beispielsweise eine Reihe von fünf Versuchen in der Weise ausgeführt worden, dass der Muskel successive 10 gr. 20 gr. 30 gr. 20 gr. 10 gr. zu heben hatte, so schiene jetzt das mittlere Ergebniss des 2ten und 4ten Versuches, desgleichen das des lsten und öten mit dem Ergebnisse des öten vergleichbar, denn man wird annäherungsweise anneh- men dürfen, dass die Ermüdung mit der Zeit gleichmässig fortschreite, in welchem Falle der in der Mitte stehende Ste Versuch von der Ermüdung in mittlerem Maasse behaf- tet ist. Liegen nun 2 Versuche in gleicher zeitlicher Dis- tanz vor und hinter ihm, wie etwa ein Ister und ein dter Versuch, so ist die Einwirkung der Ermüdung in jenem an- näherungsweise um eben so viel geringer, als in diesem 30 A. W. Volkmann: grösser, als im 3ten Versuche, wodurch die Reduction dersel- ben auf ein gemeinsames mittleres Maass ermöglicht wird '). Ich habe nun dieselben Fragen, welche Weber behan- delt, unter Anwendung verschiedener Experimentalmethoden ebenfalls behandelt, und habe, je nach der Verschiedenheit der Methoden, die ich benutzte, sehr verschiedene Ergeb- nisse bezüglich der Grösse der elastischen Kräfte erhalten. Ich habe gefunden, dass die Dehnbarkeit, und folglich auch die elastische Kraft der Muskeln, selbst dann beträchtlichen Veränderungen unterliegen können, wenn alle die Umstände constant sind, von welchen Weber die Elasticität abhän- gig machte. Meine Versuche werden daher jedenfalls zu der Frage nöthigen, wie sich die von mir beobachteten Er- scheinungen mit der von Weber aufgestellten Lehre verei- nigen lassen. Unter den verschiedenen Methoden, welche ich benutzte, um über die Dehnbarkeit der Muskeln, und somit über die elastischen Kräfte derselben, Aufschluss zu gewinnen, war die erste eben dieselbe, welche Weber anwendete. Der ru- hende Muskel wird lothrecht aufgehangen, bezüglich seiner Länge gemessen und, nachdem er durch ein angehangenes Gewicht gedehnt worden, zum zweiten Male gemessen. Be- 1) Freilich gelingt die Elimination der Ermüdung mit Hülfe der eben beschriebenen Methode nur unvollkommen, und in manchen Ver- suchsreihen, obne nachweisbaren Grund, viel weniger als in anderen. Will man also, um verschiedene Beobachtungen unter einander ver- gleichbar zu machen, dieselben auf eine Ermüdungsstufe zurückführen, so muss man sich im voraus überzeugt haben, dass der Fortschritt der Ermüdung im Verlaufe der Versuchsreihe ein regelmässiger ist. Man wird also untersuchen müssen, ob, unter übrigens gleichen Um- ständen, die halbe Summe der Muskellängen eines Isten und öten Versuches der Länge im ten Versuche, desgleichen ob die halbe Summe eines 2ten und 6ten Versuches dem Werthe des 4ten u. s. w. gleich ist. Von der Nothwendigkeit einer solchen Untersuchung kann man sich leicht überzeugen, wenn man die Versuche Webers am A Muskel (a. a. O. Seite 74) durchgeht, welche die Elimination der Ermüdung nicht erlauben, während dieselbe am C Muskel (ebend. 75) recht brauchbare Resultate giebt. Versuche über Muskelreizbarkeit. 31 zeichnet man die ursprüngliche Länge mit | und die durch die Belastung vergrösserte Länge mit L, so ist L-1=D, wo D die Dehnung bedeutet, und D/1 ist die Dehnbarkeit des ru- henden Muskels für das in Anwendung gebrachte Gewicht p. Es kommt nun darauf an, auch die natürliche Länge und die Dehnbarkeit des thätigen Muskels zu bestimmen. Weber nimmt an, der unbelastete Muskel stelle im Zu- stande der Thätigkeit seine natürliche Form her. Ist das richtig, so braucht man nur den ruhenden Muskel zu reizen, und die Höhe h, bis zu welcher sein unteres Ende erhoben wird, zu messen, dann erhält man durch die Subtraction I-h die gesuchte natürliche Länge des thätigen Muskels, sie heisse 4. Um endlich die Dehnbarkeit des thätigen Muskels zu messen, verfuhr Weber in folgender Weise. Er belastet den ruhenden Muskel wieder mit dem Gewichte p und reizt ihn. Die Hubhöhe h‘ wird gemessen und von der ursprüng- lichen Länge des belasteten und ruhenden Muskels =L ab- gezogen. Man erhält auf diese Weise L-h’=4, wo 4 die Länge des belasteten aber thätigen Muskels bedeutet. Von diesem Werthe zieht Weber die Länge des unbelasteten thä- tigen Muskels ab und betrachtet den Unterschied 7-7 =D!‘ als die Dehnung, welche der thätige Muskel durch das Ge- wicht p erlitten hat. Unter diesen Voraussetzungen ist end- 4 lich die Dehnbarkeit des thätigen Muskels. 4 Benutzt man das eben beschriebene Verfahren zur Mes- sung der in Frage kommenden Grössen, so kommt man zu dem paradoxen aber constanten Resultate, dass die Dehn- barkeit des thätigen Muskels grösser und folglich seine ela- stische Kraft kleiner ist als die des ruhenden Muskels. Die organischen Kräfte machen sich einer Zweckwidrigkeit schul- dig. Der thätige Muskel soll nämlich Gewichte heben, er soll sie durch Vermittelung elastischer Kräfte heben, und diese Kräfte werden in dem Momente, wo sie in Anwen- dung kommen sollen, d.h. in dem Momente, wo der Mus- kel aus dem Zustande der Ruhe in den der Thätigkeit über- geht, vermindert. 32 A. W. Volkmann: Ich habe das Verfahren Webers, welches ich der Kürze wegen die a Methode nennen will, einer gewissen Modifica- tion unterworfen, und habe dadurch eine zweite oder b Me- thode erhalten. Weber reizte den Muskel, nachdem er ihn vorher belastet und durch die Belastung über sein normales Maass verlängert hatte. Die an unserem Skelette angebrach- ten Muskeln werden aber durch die Art ihrer Befestigung vor jeder Ausdehnung über ihr normales Maass geschützt. Die Länge des ruhenden Muskels ist also, gleichviel ob er belastet oder unbelastet ist, constant =l. Um dieses Ver- hältniss beizubehalten, brachte ich unter dem lothrecht auf- gehangenen Muskel eine passende Stütze an, auf welcher das Gewicht ruhte. Im Uebrigen wurde der Versuch ganz nach den Angaben Webers ausgeführt. Ich reizte also den beladenen Muskel, bestimmte seine Länge im Momente der grössten Contraction, zog von dem gefundenen Werthe die Länge des thätigen aber unbelasteten Muskels ab und be- trachtete die gefundene Differenz als die durch das Gewicht bewirkte Dehnung. Die Versuche lehren, dass der beladene Muskel bei Anwendung der b Methode sich stärker verkürzt als bei Anwedung der a Methode. Wird demnach die We- bersche Ansicht festgehalten, so ist die Dehnung des b Mus- kels geringer, folglich seine Dehnbarkeit auch kleiner, dage- gen seine elastische Kraft grösser. In einer Versuchsreihe am Zungenmuskel des Frosches, in welcher p den Werth von 10 Gramm hatte, ergaben sich je nach Anwendung der einen oder anderen Meihode folgende Werthe: Länge des Muskels Beobachtung. | Belastung, | ruhend. thätig. Methode. 1 0 Gramm 55 Mm. 39,4 Mm. — 2 10 5 Homan ıE 492 ,„ b 3 102, 2 Lee 65,6. 5 a 4 10 5 aaa 5 52,95 „ b 5 10 5 133 ANSTATT a 6 10 n 59,85 „ 53,95 » b 7 re DO 60 a 8 Tore 605 , 545 , b 9 10 13:07, 69,75 „ a 10 10 2 GT 56,05 „ b 11 0 5 60:97, 44,4. Versuche über Muskelreizbarkeit. 33 Nachträglich ist zu diesen Versuchsreihen zu bemerken, dass der Muskel nicht mit Hülfe eines anhaltenden Reizes zu anhaltender Contraction, sondern durch Inductionsschläge zu Zuckungen veranlasst wurde. Die äusserst feinen Mes- sungen der Muskellängen wurden, trotz der Schnelligkeit der Bewegung, dadurch möglich, dass ich, unter Zuziehung des Kymographion, die Contractionen graphisch dargestellt hatte. Schon ein flüchtiger Blick auf die Tabelle lehrt, dass der Muskel im a Versuche viel weniger contrahirt, oder, nach Webers Auffassung, viel stärker gedehnt ist, als im b Ver- suche. Zieht man aus allen Beobachtungen die mittleren Werthe aus, so erhält man folgende: Dehnbarkeit des ruhenden Muskels = 0,228 Dehnbarkeit des thätigen a Muskels = 0,618 Dehnbarkeit des thätigen b Muskels — 0,278 Die Dehnbarkeit des thätigen Muskels ist also, wie Weber angab, grösser als die des ruhenden Muskels, aber der Un- terschied ist zufolge der b Methode viel geringer als nach Angabe der a Methode. Eine dritte Methode, welche ich in Anwendung brachte, bestand darin, dass ich den unbeladenen Muskel reizte und ihn im Momente der grössten Verkürzung belastete. Meine Absicht ging dahin, zu ermitteln, um wieviel der thätige Muskel unter solchen Umständen verlängert oder gedehnt werde. Man sieht leicht, dass dieses Verfahren, welches der Kürze wegen mit c bezeichnet werden mag, dasselbe ist, welches Weber (a. a.©. pg. 111) als das einfachste zur Bestimmung der Dehnbarkeit, aber gleichzeitig als ein prak- tisch unausführbares bezeichnet. Das Wahre ist, dass die Messungen, um welche es sich handelt, ohne Zuziehung des Kymographion unüberwindliche Schwierigkeiten bietet. Wenn man einen Muskel mit Hülfe des Neffschen Ap- parates anhaltend reizt, so contrahirt er sich anfangs auffal- lend rasch, dann immer langsamer, bis die Contraction gänz- lich unmerkbar wird. Schlägt dann die contractile Bewegung in die expansive über, so ist die rückgängige Bewegung an- fangs wiederum unendlich langsam und wird nur allmälig Müllers Archiv. 1857. e 3 34 A. W. Volkmann: etwas schneller. Im Allgemeinen ist aber die retrograde Be- wegung eine äusserst träge, indem der anhaltend gereizte Muskel wohl eine halbe Stunde gebraucht, um aus der stärk- sten Verkürzung zu der Länge, die er im Zustande der Ruhe hatte, zurückzukehren. Um eine ungefähre Vorstellung von dem Bewegungsvorgange zu geben, will ich annehmen, der Cylinder des Kymographion vollende eine Umdrehung in drei Secunden. Dann würde die Muskelkurve während der er- sten Umdrehung etwa bis zum Scheitelpunkte aufsteigen, sie würde während der zweiten Umdrehung approximativ auf die- ser Höhe verharren, also eine merklich gerade Linie bilden, und würde während der dritten und während aller folgenden Umdrehungen äusserst langsam abwärts sinken. Man erkennt also aus der Richtung der Linie, welche der Muskel ver- zeichnet, den Grad seiner Verkürzung, und hat, wenn diese ihr Maximum erreicht, ungefähr 3 Sekunden Zeit, um das Gewicht anzuhängen, welches die Dehnung des thätigen Mus- kels bewirken soll. Diese Zeit ist für einen geübten Expe- rimentator ausreichend den Versuch auszuführen. In dem Augenblicke, wo man den lothrecht hängenden Muskel an seinem untern Ende belastet, entsteht eine steile Senkung der Kurve, und in dem Momente, wo die Dehnung der Fleischfasern vollendet ist, nimmt die Kurve ihren vorigen, nahezu horizontalen Verlauf an, Die nachstehende Figur re- präsentirt den Abschnitt der Kurve, in welchem die, durch die Dehnung des Muskels, bewirkte Senkung der Kurve ein- tritt. Die Kurve wird von A gegen A’ hin gezogen, wäh- A © A rend der Muskel sich im Zustande der grössten Contraction befindet. Im Momente der Belastung wird die Deflection bei D hervorgebrächt. Durch die plötzliche Einwirkung des Ge- Versuche über Muskelreizbarkeit. 35 wichtes wird der Muskel im Uebermaass expandirt, so dass die Kurve bei a’ eine merkliche Welle bildet und dann erst in der Richtung BB‘, parallel A A‘, ihren normalen Verlauf fortsetzt. Das Vorhandeusein dieser Welle ist darum sehr schätzbar, weil hierin ein Beweis liegt, dass die Dehnung vollendet ist, und weil die genaue Messung der Dehnungs- grösse dadurch erleichtert wird. Man errichtet auf der hal- ben Höhe der Welle eine Senkrechte a’a, bis zur Berüh- rung mit der Waagerechten A A’ und erhält hiermit die ge- suchte Grösse der Dehnung des Muskels = aa. In einer Versuchsreihe, welche wiederum am Zungenmus- kel des Frosches, unter Anwendung eines Gewichtes von 10 Gramm, angestellt wurde, ergaben sich folgende relative Werthe der Dehnbarkeit: im ruhenden Muskel 0,382 im thätigen a Muskel 0,872 im thätigen b Muskel 0,527 im thätigen ce Muskel 0,390 wobei zu bemerken, dass hier wie oben die störenden Ein- flüsse der Ermüdung nach Weber's Methode schon elimi- nirt sind. Bei Anwendung der ce Methode war die Dehnbarkeit und folglich die Elastieität des thätigen Muskels nicht geringer als die des ruhenden. Dies Resultat verdient um so mehr Beachtung, als bei dem eben beschriebenen Verfahren der Längenunterschied des belasteten und unbelasteten Muskels eine viel unzweifelhaftere Dehnung ist, als in den vorherge- henden Versuchen. Endlich habe ich noch eine 4te oder d Methode angewen- det. Ihre Eigenthümlichkeit besteht darin, dass das Gewicht dem Muskel in dem Momente angehangen wird, wo seine Kraft der des Gewichtes gleich ist. Um dies auszuführen verfahre ich in folgender Weise. Der lothrecht aufgehangene Muskel ist, wie schon in den früheren Versuchen, an seinem unteren Ende mit einem ziemlich langen Haken verbunden, an welchen das Gewicht angehangen werden kann. Das Ge- wicht aber ist mit einem langen haarnadelförmigen Henkel 3* 36 A. W. Volkmann: _ versehen und kann, mit Hilfe der schon erwähnten Stütze, eine derartige Stellung bekommen, dass der am untern Mus- kelende befindliche Haken den Henkel erst fasst, wenn der Muskel sich bereits mehr oder weniger contrahirt hat. Ge- setzt der Muskel hebt in dem ersten Versuche das Gewicht noch beträchtlich, so schraubt man die Stütze und mit ihr das Gewicht etwas höher, und sieht zu, ob auch dann noch das Gewicht gehoben werde. Auf diese Weise lässt sich durch tatonnement die Länge des Muskels finden, bei welcher der Muskel das Gewicht eben nur trägt, also nach Weber’s Auffassung: die natürliche Länge des thätigen Muskels, ver- mehrt um die Dehnungsgrösse.. Wir haben diese Summe oben mit -Z bezeichnet, die natürliche Länge des thätigen Muskels aber mit A. Nun ist 1—ı die Dehnung im dVer- suche. Die relativen Werthe der Dehnbarkeit waren in einer Versuchsreihe am Zungenmuskel des Frosches folgende: für den ruhenden Muskel = 0,208 für den thätigen aMuskel = 0,673 für den thätigen dMuskel = 0,107 Hieraus ergiebt sich, dass die Dehnbarkeit des thätigen Mus- kels unter Umständen grösser ist als die des ruhenden. Um die, im Vorstehenden erörterten Resultate noch an- schaulicher zu machen, will ich auf nachstehende Linearzeich- nung verweisen. Man denke sich in der horizontalen Linie AB die obern Enden unserer lothrecht aufgehangenen Mus- keln befestigt. Die von dieser Waagerechten ausgehenden Senkrechten repräsentiren die Längen der Muskeln, und zwar r die des ruhenden Muskels, a die des unbeladenen thätigen Muskels, bei Anwendung der aMethode, b die des unbelade- nen thätigen Muskels, bei Benutzung der bMethode u. s. w. Die Linien a, b, c, d, sind sämmtlich gleich lang, weil sie die Längen eines und desselben Muskels unter ganz gleichen Bedingungen, nämlich bei Null Belastung, bei constantem Reize und nach Elimination der verschiedenen Ermüdungs- einflüsse darstellen. Die punktirte Fortsetzung der Senkrech- ten bezeichnet die Dehnung, welche die Muskel durch An- hängung eines überall gleichen Gewichtes p erlitten haben, Versuche über Muskelreizbarkeit. 37 und entsprechen in ihren Längen den Weber’schen Dehnungs- grössen. Die Summe der ausgezogenen und punktirten Linien rp, ap, bp, ep, dp, entspricht demnach der Länge der be- lasteten Muskeln während das Verhältniss der punktirten Li- nien zu den ausgezogenen die Dehnbarkeit giebt. Man übersieht nun mit einem Blicke, wie die Länge des thätigen Muskels, trotz der gleichen Belastung, in jedem Ver- suche eine andere ist, und wie die Grösse der Dehnbarkeit in der Richtung von a nach d abnimmt. A r a b c d B p p x ‘Wir wollen nun untersuchen, in wie weit sich die neuen Er- fahrungen mit Weber’s theoretischen Ansichten vereinigen lassen. Zunächst ist klar, dass die Versuche der aMethode, deren sich Weber ohne Ausnahme bediente, über das Ver- hältniss der elastischen Kräfte des thätigen Muskels zu denen des unthätigen nichts Allgemeingültiges aussagen. Die von Weber gefundenen Verhältnisse haben im günstigsten Falle nur für die a Methode Gültigkeit, also für eine Methode, 38 A. W. Volkmann: welche die Muskelbewegung unter Bedingungen bringt, welche unter den natürlichen Verhältnissen nicht vorkommen. Gehen wir nun zu der Frage über: warum fällt die Länge des beladenen thätigen Muskels je nach Anwendung unsrer 4 Experimentalmethoden verschieden aus? Nothwendig muss in jeder dieser Methoden ein Umstand besonderer Art mitwirken, welcher die Resultate ändert, gleichwohl haben wir die in Vergleich gestellten Versuche an einem und dem- selben Muskel angestellt, haben überall dasselbe Gewicht und denselben Reiz angewendet, und sind bemüht gewesen, die Einwirkungen der Ermüdung nach der von Weber empfoh- lenen Methode auszugleichen. Aber diese Bemühung ist er- folglos geblieben, denn offenbar ist der einzige Umstand, welcher die von uns angewendeten Methoden unterscheidet der, dass dem Muskel bei jeder derselben ein andres Maass von Arbeit zugemuthet wird, womit denn selbstverständlich auch ein verschiedener Grad von Anstrengung und Ermüdung gegeben ist. Vergleichen wir beispielsweise den a und b Versuch, so ist einleuchtend, dass in letzterem die Arbeit eine geringere ist, als in ersterem. Im aVersuche nämlich ist der ruhende Muskel über sein normales Maass ausgedehnt, er muss also das ihm anhängende Gewicht bis zu einer gewissen Höhe heben, bevor er die Länge wieder gewinnt, welche er von vornherein hatte. Durch diese Arbeit entsteht eine Ermüdung, die dem bMuskel erspart wird. Wiederum ist im cVersuch die Arbeit geringer als im bVersuche.e Der Muskel contrahirt sich nämlich ohne be- lastet zu sein, und ist daher der Mühe des Hebens gänzlich enthoben. Seine Arbeit beschränkt sich darauf, nach erlang- ter Verkürzung das ihm angehangene Gewicht zu tragen, und zwar während der äusserst kurzen Zeit, in welcher die Elas- tieität und die Zugkraft sich ausgleichen. Unter so günstigen Umständen wird der cMuskel weniger als der bMuskel und sehr viel weniger als der aMuskel ermüdet. Was endlich die dMethode anlangt, so gewährt sie dem Muskel dieselben Vortheile wie die cMethode, aber sie führt eine nochmalige Versuche über Muskelreizbarkeit. 39 Verminderung der Arbeit herbei, indem durch die Kunst des Experimentes die Dauer der Periode, in welcher Blastieität und Zugkraft sich ausgleichen, verkleinert, also auch die Zeit verkürzt wird, in welcher die sich contrahirende Faser das Gewicht zu tragen hat. Man sieht aus dem eben Erörterten, dass die verschiedenen Werthe der Dehnbarkeit, auf welche wir in unsern Unter- suchungen gestossen, mit den Principien der Elasticitätstheorie nicht in Widerspruch stehen. Denn die Verschiedenheit der von uns wahrgenommenen Werthe lässt sich auf Differenzen der Ermüdung zurückführen, und Weber hatte ausdrücklich anerkannt, dass die elastischen Kräfte, von welchen die Muskelbewegungen zunächst ausgehen, als abhängig vom Lebenseinflusse und namentlich von der Ermüdung zu denken seien. Hiernach könnte es scheinen, dass die von mir beobach- teten Thatsachen nur specielle Beispiele für eine in ihren Grundsätzen schon fertige Lehre bildeten, Indess ist ihre Bedeutung, so viel ich sehe, eine andere und für die Kritik des vorhandenen Erfahrungsmaterials ziemlich wichtige. Weber behauptete, dass die Muskelbewegungen zunächst aus den elastischen Kräften ableitbar wären, gab aber zu, dass diese wieder unter dem Einflusse des Lebens stünden. Sein letztes Ziel musste nun sein, das Gesetz der in den Muskeln wirksamen Elastieität zu finden. Nach diesem Ziele hinstrebend, machte er seine Versuche mit Hilfe der aMe- thode, die oben beschrieben wurde. Er constatirte die Ab- hängigkeit der Muskellänge von den Zugkräften, indem er die Einwirkungen der Ermüdung soviel als thunlich eliminirte, denn er ging von dem vollkommen richtigen Grundsatze aus, dass die bei verschiedener Belastung der Muskeln ermittelten Werthe der Dehnbarkeit gar nicht vergleichbar sein würden, wenn nicht der Einfluss der Ermüdung in allen Fällen derselbe wäre. Weber hoffte vergleichbare Versuche zu erhalten, wena er den Einfluss der Ermüdung auf verschiedene in der Zeit- folge angestellte Versuche ausgliche. Er abstrahirte von der 40 A. W. Volkmann: Ermüdung, die in jedem Versuche entsteht, wahrscheinlich weil er annahm, dass ein bemerkenswerther Einfluss von hier aus nicht zu erwarten stehe. In der That ist der Unterschied der Muskelkräfte, welcher sich in 2 successiven Versuchen darstellt, sehr gering, und so könnte es scheinen, dass die, während der Zeitdauer nur eines Versuches entstandene Er- müdung noch kleiner sein müsse und vernachlässigt werden dürfte. So ist es aber nicht, wie meine Erfahrungen bewei- sen. Vielmehr tritt in jedem Versuche eine schnell fortschrei- tende und sehr beträchtliche Ermüdung ein, eine Ermüdung, die in dem nächstfolgenden Versuche nur darum nicht merk- lich ist, weil die, zwischen je zwei Contractionen stattfindende Ruhe eine fast ebenso vollständige als merkwürdig rasche Wiederherstellung der verbrauchten Kräfte vermittelt. Weber eliminirte die kleinen Ermüdungseinflüsse, welche von einem Versuche auf den nächstfolgenden übergehen, und liess die grossen Einflüsse unberücksichtigt, welche innerhalb der Grenzen einer und derselben Oontractionsperiode sich geltend machen. Es sind nämlich bei Weber nicht eliminirt die Er- müdungseinflüsse, welche von dem Heben verschiedener Ge- wichte momentan abhängen. Wir wissen, dass Ermüdung sowohl das Verkürzungsvermögen, als die elastischen Kräfte der Muskeln vermindert, und da das Heben grosser Lasten mehr ermüdet, als das Heben kleiner, so wird, wenn der Muskel ein schweres Gewicht hebt, diese Verminderung in schnellerer Progression vor sich gehen, als wenn er ein klei- nes hebt. Mit andern Worten: ein schwer belasteter Muskel ist im Maximum der Üontraction ein ganz anderer Körper als ein leicht belasteter. Aus dem Vorstehenden dürfte sich ergeben, dass die W e- ber’schen Versuche nicht nur mit den meinigen, sondern auch unter sich selbst unvergleichbar sind. Hieraus würde denn weiter folgen, dass sich jene Versuche zur Ableitung allge- meiner Schlüsse über die Dehnbarkeit der Fleischfasern, und über den relativen Antheil, welchen die elastischen Kräfte einerseits und die Contractilität anderseits an den Leistungen der Muskeln haben, nicht benutzen lassen. Versuche über Muskelreizbarkeit. 41 Ich will nun auf einige Fälle aufmerksam machen, in welchen die im Vorhergehenden gewonnenen Erfahrungen be- rücksichtigt werden müssen. Freilich würde ich kaum zu’ viel sagen, wenn ich behauptete, dass diese Berücksichtigung überall stattfinden müsse, wo es sich um Erscheinungen der Contractilität handelt, denn von welcher Seite man auch die Muskelbewegung betrachten möge, immer werden die Dimen- sionen der beladenen thätigen Muskeln mit in Frage kommen, und gerade die Abhängigkeit dieser Dimensionen von dem Gange der Versuche ist es, auf welche ich aufmerksam ge- macht habe. Soll demnach aus Experimenten an Muskeln etwas gefolgert werden, so ist die unabweisliche Vorfrage die, nach welchem Prineipe die Versuche veranstaltet wurden. Von den 4 Methoden, welche ich beschrieben habe, sind bereits 3 von verschiedenen Beobachtern in Anwendung ge- nommen worden. Aber Niemand, scheint es, hat geahnet, dass jede derselben zu Resultaten besonderer Art führe und folglich in gewissen Beziehungen ganz unvergleichbar mit den übrigen sei. Untersuchen wir zunüchst die viel besprochenen Versuche Schwann’s,') so findet sich bei einer genaueren Analyse der- selben das wohl den Meisten Unerwartete, dass sie in die Kategorie meiner d Versuche gehören. Denn obschon der doppelarmige Hebel, dessen Schwann sich bediente, mit mei- nen gehenkelten Gewichten keine Aechnlichkeit hat, so ist doch sein Verfahren dem meinigen in dem wesentlichen Um- stande gleich, dass der sich verkürzende Muskel mit dem zu hebenden Gewichte erst dann in Conflict kommt, wenn die contractile Kraft, die er ausübt, und die Zugkraft, die vom Gewichte ausgeht, sich im Gleichgewicht befinden. Bei einem derartigen Verfahren wird also die Länge eines Muskels ge- messen, dessen Verkürzung durch eine seiner Contractilität gleiche Expansionskraft plötzlich unterbrochen wird. Schwann misst also, wie ich im dVersuche, die Länge des thätigen Muskels unter Bedingungen, bei welchen die Ermüdungseffecte 1) Joh. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen. II. S.59. I 42 A. W. Volkmann: so klein als möglich, man könnte sagen unnatürlich klein sind. Dieser Ausdruck findet seine Rechtfertigung in dem Umstande, dass dem Muskel durch die Kunst des Experimen- tes eine ermüdende Arbeit erspart ist, welche ihm unter nor- malen Verhältnissen jedes Mal zufällt. Man wird nicht verkennen, dass dies Beachtung verdiene. Schwann war der Ansicht, dass die Muskeln durch elastische Kräfte wirkten. Um diese Kräfte kennen zu lernen, stellte er die vorerwähnten Versuche an. Nun kann nicht gleich- gültig sein, dass die Werthe der Dehnbarkeit, die er erhielt, unter dem Einflusse der ganz eigenthümlichen und ungewöhn- lichen Bedingungen seiner Experimentalmethode stehen. Während Schwann in seinen Versuchen dem Muskel eine Arbeit ersparte, die er unter natürlichen Verhältnissen jedes Mal hat, muthete Weber, im aVerfahren, demselben eine Arbeit zu, die er unter normalen Verhältnissen nicht hat. Indem nun die Arbeit, oder genauer gesagt die durch die Arbeit bedingte Ermüdung, die elastischen Kräfte influenzirt, können Schwann und Weber, welche beide eben diese Kräfte suchen, unmöglich dasselbe finden. Endlich hat Weber ausser der aMethode auch die bMe- thode benutzt, offenbar unter der Voraussetzung, dass beide zu gleichen Resultaten führten, was nicht der Fall ist. Er versuchte nämlich die sehr interessante Frage zu lösen, wie gross das Maass der Muskelkraft für einen Quadratcentimeter- Querschnitt sei, und verglich zu dem Zwecke die Muskeln des Frosches mit denen des Menschen (a. a. O. 8. 87). Die Versuche am Frosche sind mit Hülfe der aMethode ausge- führt, die Versuche am Menschen dagegen mit Hülfe der bMethode, denn sie sind an lebenden Personen ausgeführt, deren Muskeln, wie oben gezeigt wurde, nach dem Principe des b Verfahrens wirksam sind. Dass solche, nach verschie- denen Methoden angestellte Experimente keine vergleichbaren Resultate geben können, dürfte ans dem Vorausgeschickten schon klar sein, und wären noch Zweifel übrig, so dürfte die Erörterung des Punktes, zu dem ich jetzt übergehe, dieselben zu lösen dienen. Versuche über Muskelreizbarkeit. 43 Die von mir erläuterten 4 Experimentalmethoden influen- ziren die für die Muskellehre so wichtige Frage nach dem Nutzeffecte. Bekanntlich ist der Nutzeffect, oder die Arbeits- grösse, das Product aus dem Gewichte p und der Höhe h, bis zu welcher es gehoben wird, also hp. Wendet man zur Erresnng der Muskeln anhaltenden Reiz an, so ergiebt sich, wie es scheint ohne Ausnahme, dass die Contractionsgrössen oder Hubhöhen unter dem Einflusse der aMethode grösser ausfallen, als unter dem der bMethode. Natürlich sind nun auch die Nutzeffecte des aMuskels grösser. Ich will die Un- terschiede, welche nach Maassgabe des Experimentalverfah- rens eintreten, an einer Versuchsreihe zeigen, aus welcher die Ermüdungseinflüsse nach der von Weber empfohlenen Weise schon eliminirt sind. Zum Verständniss der nachstehenden Tabelle bemerke ich, _ dass wo sich in der Columne der Experimentalmethode keine Angabe findet, von der Benutzung einer besonderen Methode eben nicht die Rede sein konnte. Wenn nämlich entweder ein unbeladener Muskel, oder aber ein beladener im Zustande der Ruhe gemessen wird (in letzterem Falle, um die Deh- nung der unthätigen Faser zu ermitteln), so können die Ver- suchsmethoden, welche auf die Effecte der Ermüdung Bezug nehmen, gar nicht in Frage kommen. Versuche am Zungenmuskel des Frosches. Länge des Muskels —— ————— 11 202000 7m EEE ——— {| | —__ Methode. Belastung. ruhend. thätig. Nutzeffect. — 0 Gramm | 53,75 Mm. | 283,2 Mm. — — 5 ; 59,990 5 — | —_ a 5 “ 59,99. 33,79 5 129 Mmgr. b 5 5 Ber. 32,05 5 NED —_ 10 \ 61,45 „ — — a 10 . 61,45, , 44,15 „ 183 5 b 10 e Doslons 38,39 „ 154 — 15 % | 28 „ — — a 15 5 62581005 93,09, 1720, b 15 5 Dozole, 45,2 , 12852547, En 20 5 | 63,45 „ — — a 20 ® INesAbanE CODE 59 N SD | 20 a Sa DE ey , 44 A. W. Volkmann: Man übersehe nicht, dass die Nutzeffecte, welche bei An- wendung der aMethode gewonnen werden, nur dem Scheine nach grösser sind, als die gegentheiligen. Zufolge der Me- chanik unsrer Bewegungsorgane kommt Alles darauf an, dass das bewegliche Ende eines Muskels dem unbeweglichen ge- nähert werde, und die Grösse des Nutzeffeetes wächst dem- nach, bei gleicher Belastung, mit dem Grade der gegenseitigen Annäherung beider Enden, oder mit der Grösse der Verkür- zung der normalen Muskellänge. Die vorhergehenden Ver- suche haben aber bewiesen, dass der bMuskel, bei gleicher Belastung, sich mehr verkürzt, als der aMuskel, und folglich ist auch sein Nutzeffect grösser. Diese Behauptung ist mit den Resultaten der eben vor- gelegten Tabelle nur scheinbar in Widerspruch. Wenn die Physik den Nutzeffeet als das Product des Gewichtes in die Hubhöhe definirt, so hat die Physiologie hinzu zu setzen, dass unter Hubhöhe das Maass der Verkürzung des Muskels, im Vergleiche zu seiner Länge im Zustande der Ruhe, ver- standen werde. Denn wenn im aVersuche der ruhende Muskel durch ein angehangenes Gewicht verlängert wird, und wenn nochmals, bei eintretender Erregung, die Verkürzung erfolgt, so ist klar, dass der Theil der Contraction, welcher die vorausgegangene Dehnung wieder ausgleicht, nur eine Störung des bezweckten Nutzeffectes wieder gut macht, nicht aber positiven Vortheil bringt. Wir wollen die Hubhöhe, durch welche die normale Länge des Muskels um ein Bestimmtes verkürzt wird, mit h‘ bezeichnen. Dann ist der Nutzeffect im physiologischen Sinne = h’ p. Wenn wir nun aus denselben Versuchen, aus welchen vorher der scheinbare Nutzeffeet =hp berechnet wurde, jetzt den wirklichen = h‘p ableiten, so ergiebt sich folgendes: revidirte Werthe der Nutzeffecte: bei Belassung mit bei Methode a bei Methode b > Gramm 100 Mmgr. 113,5 Mmegr. 10 N 90 5 154,9 > 15 » 1,325; 12825.» 20 3 — 15,7!) „ 27,0 4 1) Das. negative Vorzeichen besagt, dass der Muskel trotz seiner Versuche über Muskelreizbarkeit. 45 Indem nun die am Skelete angebrachten Muskeln, wie mehrmals bemerkt, nach dem Prineipe der bMethode wirken, ergiebt sich, dass der Mechanismus des Skelets, welcher jede Dehnung der ruhenden Muskeln durch die Gewichte verhin- dert, die Nutzeffecte begünstigt. Diese Betrachtung ist meines Wissens neu und erläutert die oben gemachte Bemerkung, dass bei Schätzung der Muskelkräfte, für je ein Quadratcen- timeter Querschnitt, die mit a und b bezeichneten Methoden nicht promiscue gebraucht werden können. Contraction nicht einmal die Länge wieder gewonnen, die er unbe- lastet von vorn herein hatte, und dass also, mit Bezug auf den Zweek der Bewegung, ein Arbeitsverlust entstanden ist. 46 K. B. Reichert: Der Nahrungsdotter des Hechteies — eine kon- traktile Substanz. Sendschreiben an Herrn Geheimrath Professor Dr. J. Müller von K. B. REICHERT, Im vorigen Jahre hatte ich Ihnen mitgetheilt, dass die Be- wegungen des befruchteten Hechteies weder nach den Er- scheinungen, noch nach den Ursachen mit den sonst bekann- ten Rotationen der Embryonen zu vergleichen seien. Die Bewegung des befruchteten Hechteies giebt sich hauptsächlich als ein Hin- und Herschwanken der nur leicht auf dem Boden der Höhle gestützten Dotterkugel zu erkennen und tritt be- reits während des Furchungsprocesses auf; die Ursache der Bewegung musste in der leichten Verrückung des Schwer- punktes der Dotterkugel gesucht werden; auf die Verrückung des Schwerpunktes influirten nach meiner Ansicht äussere Erschütterungen und die durch Entwickelungsvorgänge herbei- geführte Veränderung in der Vertheilung der Massen an der Dotterkugel; für die Fortdauer der Bewegung glaubte ich das Anprallen der leicht beweglichen Dotterkugel an die elastischen Wandungen der Höhle in Anspruch nehmen zu müssen. Meine diesjährigen Studien über die Entwickelung der Fische haben mich zur Entdeckung der kontraktilen Eigenschaft des Nah- rungsdotters befruchteter Hechteier geführt. Durch diese Beobachtung wird nicht nur der leicht zu konstatirende Nach- weis einer Substanz bei den Wirbelthieren gegeben, die, wie die Sarcode wirbelloser Thiere (z. B. der Polythalamien), zähflüssig ist und von Vacuolen — nach dem Verhalten des in Weingeist erhärteten Nahrungsdotters zu urtheilen — röh- Der Nahrungsdotter des Hechteies. 47 riger Beschaffenheit durchsetzt wird, sondern auch die Ur- sache erkannt, durch welche fortdauernd der Schwerpunkt der Dotterkugel verrückt und der eigenthümliche Rhythmus in den Schwankungen bedingt ist. Schon in meinen Mittheilungen über die tubulöse Beschaf- fenheit des in Weingeist erhärteten Nahrungsdotters befruch- teter Hechteier habe ich angeführt, dass an der Oberfläche .der Kugel nicht selten Erhöhungen und Unebenheiten sicht- bar werden. In diesem Frühjahr hatten die vorübergehenden Verzerrungen der Zellen in der Umhüllungshaut, desgleichen die Runzeln und Falten an der letzteren, so wie die vorüber- gehende Annäherung der Fettkörnchen und sonstiger Bläschen auf der Oberfläche der Nahrungsdotterkugel meine Aufmerk- samkeit in Anspruch genommen. Es war mir aber nicht möglich gewesen, über die Erscheinungen ins Klare zu kom- men; Sie wissen, Hochzuverehrender Lehrer, man sieht bei mikroskopischen Beobachtungen gar leicht den Wald vor den Bäumen nicht. So viel aber liess sich übersehen, dass ausser den Schwankungen des Eies noch andere Bewegungsverhält- nisse an der Dotterkugel obwalteten, und die Einsicht in die- selben wurde mir erst mit Hilfe der Lupe gewährt. Ich be- obachtete einen Embryo, dessen Herz sich zusammenzuziehen begonnen hatte. Der Embryo lag, mit dem Rücken mir zu- gewendet, auf der Nahrungsdotterkugel und umfasste dieselbe als Halbring derartig, dass anfangs nach der rechten und linken Seite ganz gleiche Abschnitte des Nahrungsdotters sichtbar waren. Nach einer Minute bemerkte ich, dass so zu sagen der Rücken des Embryo bis nahe zum linken Pole herübergerückt war, und dass etwas später dieselbe langsame Bewegung vom linken Pole zum rechten Statt fand u. s. £. In etwa fünf Minuten bewegte sich so der Rücken des Em- bryo an der Dotterkugel von einer Seite zur anderen, und umgekehrt. Da diese Umlaufszeit der Bewegung des Embryo- Rückens mit derjenigen übereinstimmt, innerhalb welcher das Hin- und Herschwanken oder das Hin- und Herwälzen der ganzen Dotterkugel absolvirt wird, so lag es nahe, daran zu denken, dass die erstere Bewegung nur scheinbar durch die 48 K. B Reichert: letztere hervorgerufen sei. Bald jedoch überzeugte ich mich, dass dies nicht der Fall war. Wenn nämlich der Embryo- Rücken sich nur scheinbar bewegte, so musste das Lagever- hältniss desselben zur Nahrungsdotterkugel, die im Bauche des Embryo Platz genommen hatte, bei allen Schwankungen unverändert sich erhalten. Ursprünglich lag nun der Embryo- Rücken so, dass gleiche Abschnitte der Nahrungsdotterkugel zu Seinen beiden Seiten hervortraten. Bei der Bewegung des Embryo-Rückens nach Rechts oder Links änderte sich dieses Verhältniss in der Art ab, dass jedes Mal derjenige Abschnitt der Nahrungsdotterkugel allmälig an Umfang abnahm, nach welchem der Embryo-Rücken sich hinzog, und dass in glei- chem Maasse der entgegenstehende Abschnitt im Volumen sich vergrösserte. Gleichzeitig bemerkte man, dass der Em- bryo-Rücken, welcher bei seiner Lage im grössten Kreise der Dotterkugel etwa die halbe Peripherie einnahm, bei seiner Bewegung nach den seitlichen Polen hin mit Kopf und Schwanz sich allmälig näherte und mehr oder weniger zum vollkommnen Ringe abschloss. Es war nunmehr un- zweifelhaft, dass ausser dem Hin- und Herschwanken der ganzen Dotterkugel noch eine zweite Bewegung an derselben vorlag, die sich vorläufig durch eine seitliche Verschiebung des Embryo-Rückens an der Nahrungsdotterkugel aussprach, Einen Schritt weiter gelangte ich bei Untersuchung eines älteren Embryo, der, auch im grössten Kreise der Nahrungs- dotterkugel liegend, mit Kopf und Schwanz sich nahezu be- rührte. Die Bewegung des Embryo-Rückens ist hier von geringem Belange; die Länge desselben bietet offenbar zu viel Hindernisse dar. Desto deutlicher trat eine andere Er- scheinung hervor. In Uebereinstimmung mit dem Hin- und Herschwanken des ganzen Embryo und der geringen Ver- schiebung seines Rückens, zog vollkommen rhythmisch von einem seitlichen Pole zum andern und umgekehrt eine kreis- förmige Furche oder Einschnürung. Die Erscheinung nahm sich ganz so aus, als ob am Bauche des Embryo, der den wenig veränderten Nahrungsdotter enthielt, eine peristaltische Bewegung Statt habe, die an den seitlichen Polen desselben Der Nahrungsdotter des Hechteies. 49 ihren Ausgangs- und Endpunkt besass. Gelangte die Ein- schnürung in die Nähe eines Poles, so erhob sich derselbe warzenförmig über das Niveau der Bauchfläche; darauf glich sich allmälig der Vorsprung aus, und die Einschnürung ver- folgte ihren Weg zurück nach dem entgegengesetzten Pole. In der Gegend des Embryo-Rückens entzog sich die Ein- schnürung dem Blicke; man bemerkte aber an der Verschie- bung desselben, dass sie im Vorwärtsrücken etwas auf die Ver- änderung seiner Lage an der Dotterkugel einwirkte, dann auf der andern Seite zum Vorschein kam und zum entgegenge- setzten Pole fortging. Aus dieser Beobachtung ergab sich, dass die Bewegungen des Embryo-Rückens nur secundär er- folgen, und dass vielmehr in den Bestandtheilen des Bauches eine peristaltische Kontraktion, die von einem seitlichen Pole zum andern rhythmisch fortzieht, vorliege. Als Bestandtheile des Bauches lassen sich bei vorliegen- den Embryonen unterscheiden: die epitheliumartige Umhül- lungshaut zu äusserst; darunter eine dünne Schicht von Zellen, die sich wenigstens später unzweifelhaft als eine Fortsetzung der Outis zu erkennen giebt; eine Zellenschicht, die sich un- mittelbar unter der Wirbelsäule entlang zieht; endlich die Hauptmasse, welche gleichsam die Höhle des Bauches anfüllt, der Nahrungsdotter. Es stand nunmehr die Frage, welchem von den genannten Bestandtheilen die Eigenschaft der Kon- traktilität zuzuschreiben sei, wobei nach den vorhandenen Umständen nur die Umhüllungshaut, die Fortsetzung der Cutis am Bauche und der Nahrungsdotter in Betracht gezo- gen werden konnten. Mit Hilfe des Mikroskops bemerkt man die Erscheinungen, deren ich oben gedacht habe. Grade da, wo die Kontraktion oder Einschnürung Statt hat, erhoben sich allmälig Runzeln der Umküllungshaut, etwa vorhandene Fetttröpfchen rückten dicht an einander, in der Umgebung bildeten sich feine Faltenzüge, und die Zellen der Umhüllungs- haut wurden oft auffallend in die Länge gezerrt. Der sonst durch seine Durchsichtigkeit so ausgezeichnete Bauch des Embryo wurde entsprechend der Einschnürungsfurche dunkel gezeichnet; an den seitlichen Polen, wo sich die Kontraktion Müller’s Archiv. 1857. A 50 K. B. Reichert: im Vorsprunge koncentrirte, trat ein sehr markirter dunkler Fleck auf. In dem Grade, als an Ort und Stelle die Kon- traktion und zwar ganz allmälig wieder abnahm, also Dilatation eintrat, gewann der Bauch des Embryo wieder seine Durch- sichtigkeit. Aus den Runzeln, Falten, Zerrungen der Um- hüllungshaut glaubte ich schliessen zu dürfen, dass diese Hülle an der peristaltischen Kontraktion zunächst nicht betheiligt sei; desgleichen sprachen auch kaum irgendwelche erhebliche Umstände dafür, dass die darunter liegende Zellenschicht in dieser Beziehung von Bedeutung sei; dagegen wurde meine Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den Nahrungsdotter ge- richtet, zumal die unmittelbar auf seiner Oberfläche befind- lichen Fettkügelchen so augenscheinlich bei jeder Kontraktion und Dilatation ihre Lage veränderten. Die Entscheidung war nun leicht und sicher zu treffen. Da die beschriebenen Kon- traktionen so offenbar durch die Formveränderung des im Allgemeinen kugelförmigen Embryo’s den Schwerpunkt ver- rücken und dadurch die rhythmischen Schwankungen der ganzen Dotterkugel unterhalten mussten, so war vorauszu- setzen, dass dieselben Kontraktionen auch zur Zeit des Fur- chungsprozesses auf die rhythmischen Schwankungen des befruchteten Hechteies ihren Einfluss ausübten. Hier aber liegt der Nahrungsdotter noch unbedeckt und frei vor uns, und darum musste die Entscheidung ebenso leicht, als sicher ausfallen. Es liessen sich nun auch in der That die Kon- traktionen und Dilatationen des Nahrungsdotters der im Fur- chungsprozess begriffenen Hechteier sowohl mittelst der Lupe, als mit Hilfe des Mikroskops ganz deutlich verfolgen. Bei Anwendung der Lupe markirten sich die Zusammenziehungen und Erweiterungen des Nahrungsdotters besonders deutlich durch die Formveränderungen in der nahezu kugelförmigen Gestalt des letzteren. Da der Bildungsdotter gerade an der- jenigen Stelle den Nahrungsdotter bedeckt, wo später der Embryo-Rücken liegt, so wurden zunächst an den später sogenannten seitlichen Polen, die hier vollkommen frei sind, die Vorsprünge auffällig. Bei genauer Beobachtung liess sich dann auch die von einem Pole zum anderen, ganz langsam Der Nahrungsdotter des Hechteies. 51 hin- und herziehende Kontraktionsfurche verfolgen, durch welche die Nahrungsdotterkugel vorübergehend zu zwei glei- chen oder ungleichen Kugelabschnitten eingeschnürt wird. Dieselben Formveränderungen des kugelförmigen Nahrungs- dotters wurden auch mit Hilfe des Mikroskops erkannt; da- gegen fehlte jene dunkleZeichnung an den Kontraktionsstellen, die besonders durch die Runzeln der Umhüllungshaut und durch die Aneinandernähernng der Fettkörperchen, die gegen- wärtig unter dem Bildungsdotter liegen, hervorgerufen wird. Gewöhnlich machte sich die Kontraktionsstelle durch eine feine granulirte Zeichnung an der äusserst durchsichtigen Dotterkugel bemerkbar; desgleichen sah man die auf der Oberfläche des Nahrungsdotters mehr oder weniger zahlreich vorkommenden lichten Bläschen und kreisförmigen Zeichnungen bei jeder Kontraktion und Dilatation in Bewegung gerathen. Der Nahrungsdotter des Hechteies erweiset sich demnach als eine kontraktile Substanz, die der morphologischen Beschaffenheit nach am mei- sten der sogenannten Sarcode wirbelloser Thiere gleicht, und an welcher nach einem bestimmten Rhythmus peristaltische Bewegungen auftreten. Durch die Zusammenziehungen und Erweiterungen des Nah- rungsdotters wird die kugliche Form desselben verändert, der Schwerpunkt in einem gewissen Rhythmus verrückt und die Schwankung oder sogenannte Rotation des in der Entwicke- lung. begriffenen, befruchteten Hechteies fortdauernd unter- halten und auch wahrscheinlich eingeleitet. An den befruch- teten Eiern hiesiger Cyprinoiden habe ich bisher keine Spur einer Kontraktion des Nahrungsdotiers wahrnehmen können. Gleichwohl finden sich auch hier Vacuolen in dem Nahrungs- dotter vor, und auf die röhrige Form dieser Vacuolen bei dem befruchteten Hechteie möchte ich kein grosses Gewicht legen, weil die Röhrenform der Vacuolen in der Sarcode wirbelloser. Tbiere nicht bekannt ist. A*® 52 H, Hoyer: Ueber die Eifollikel der Vögel, namentlich der Tauben und Hühner. i Von H. Hoyer in Breslau. Eine der ersten gründlichen Untersuchungen über die Eihäute und den Inhalt im Eifollikel der Vögel hat uns Dr. Th. Schwann in seinen „Mikroskopischen Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin 1839* S. 59 u. a. mitgetheilt. Er unterscheidet am Eifollikel zunächst nach aussen die Kap- selmembran; alsdann auf deren Innenfläche eine Epithetial- membran, bestehend aus Pflasterepitel; sie gehört zur Kapsel und verbleibt auch darin nach dem Austritt des Eies,. Zum eigentlichen Ei gehört die nun folgende strukturlose Dotter- haut, die weder mit der Epithelialmembran, noch mit der auf ihrer Innenfläche befindlichen zelligen Membran inniger zu- sammenhängt, sondern von beiden sich leicht trennen lässt. Die letztere zellige Hülle nennt er allerdings eine Membran, doch lässt er es dahingestellt, ob es wirklich eine Membran ist, indem es möglicherweise nur eine Ablagerung von Zellen oder Bläschen, die durch irgend eine Zwischensubstanz mit einander verkittet sind, sein könne. Die drei ersteren Häute: Kapsel, Epitelialmembran und strukturlose Dotterhaut finden sich sowohl bei Follikeln von '/, Linie, als auch von ',—?/, Zoll Durchmesser; die zellige Membran ist nur in den kleineren Follikeln einfach; auf ihreInnenfläche wird eine körnige Schicht abgelagert, aus der, wie Schwann vermuthet, die späteren Zellen der Dotterhöhle hervorgehen. Bei den grösseren Fol- Ueber die Eifollikel der Vögel. 53 likeln von '/),—°/; Zoll Durchmesser soll die zellige Haut aus zwei Schichten bestehen, von denen die äussere blos körnig ist und keine Zellen mehr zeigt, die innere aber aus platten eckigen Zellen besteht, die wie eine Art Epitel zur äusseren Schicht sich verhalten. Auf diese innere Schicht folgen end- lich kleine gelbe Dotterkugeln, die noch kleiner sind, als die Zellen der Zellenschicht, die jedoch nach Innen zu ailmälig grösser werden, bis sie die gewöhnliche Grösse der Dotter- kugeln der Dottersubstanz erreichen. Bei ausgetretenen oder zum Austritt ganz reifen Eiern verschwindet auch die innere Schicht, so dass die Dotterkugeln unmittelbar auf die äussere umgewandelte Schicht der Zellenhaut folgen. In neuester Zeit hat Dr. H. Meckel v. Hemsbach in der „Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie von v. Siebold und Kölliker“ 3. Band, eine Arbeit veröffentlicht über „die Bildung der für partielle Furchung bestimmten Eier der Vögel im Vergleich mit dem Graafschen Fellikel und der Decidua des Menschen.* Auch Meckel unterscheidet bei allen Vogel- eifollikeln die Kapselmembran und auf diese folgend und ihr angehörig die Membrana granulosa oder Epithelialmembran. Doch fehlt nach ihm in den kleineren Follikeln die von Schwann und allgemein sogenannte Dotterhaut des reifen Vageleies; desgleichen fehlen die Zellen der Dotterhöhle und Dottersubstanz, die Reichert später unter dem gemeinschaft- liehen Namen „Nahrungsdotter* zusammengefasst hat. Nach Meckel ist in den kleinsten Follikeln nur jener Bestandtheil des Vogeleies vorhanden, den man bei mehr entwickelten Eiern für das Keimbläschen gehalten und so benannt hat. Indem Meckel somit dieses Keimbläschen mit dem einfachen Ei des Säugethieres identifieirt, nennt er die Membran des- selben die Zona pellucida; er unterscheidet ausser dem kör- nigen Inhalt des Bläschens noch einen besonderen Bestand- theil, das eigentliche Keimbläschen mit Keimflecken. Der Inhalt dieses „Eies“ nach Meckel sell sich zur späteren Keimschicht oder dem Bildungsdotter des ausgebildeten Vogel- eies verwandeln. Seine Zona pellueida und Keimbläschen scheinen nach seinen Untersuchungen schon zeitig hinzu- 54 H. Hoyer: schwinden; dagegen lässt er den Nahrungsdotter und die Dotterhaut als Umlagerungsschichten um das von ihm soge- nannte Ei unmittelbar aus den Zellen der Membrana granu- losa hervorgehen, indem namentlich sich auch die sonst ganz strukturlose Dotterhaut aus den verklebten Zellen bilden soll. Das Eigelb der reifen Vogeleier ist hiernach nieht mehr den einfachen Eiern anderer Thiere zu vergleichen, sondern ein Compositum aus dem eigentlichen Ei und mehrfachen Um- hüllungsschichten, die theilweise aus dem Eifollikel herstam- men und mit dem corpus luteum der Säugethiere gleichgestellt werden. Ich habe nun unter Anleitung und gütigster Beihülfe des Herrn Prof. Staatsrath Dr. Reichert eine Bearbeitung dieses Gegenstandes unternommen und folgende Resultate an Ei- follikeln, hauptsächlich von Sperlingen, Tauben und Hühnern gewonnen: Die Eifollikel von jeder Grösse und jeder Stufe der Ent- wickelung bestehen zunächst nach aussen aus einer Kapsel- membran von Bindegewebe. Die Innenfläche der Kapsel ist ausgekleidet von einer Epithelialmembran, Membrana granu- losa, die bei den kleinsten Follikeln nur aus einer einfachen Lage von Pflasterepitel besteht, bei den grösseren jedoch aus mehreren Lagen, wie man am besten aus Querschnitten ge- kochter Eifollikel ersieht. Die Membrana granulosa hängt nur lose zusammen mit der Kapsel, so wie mit der darauf folgenden strukturlosen Dotterhaut (nach Schwann und anderen Autoren). Presst man einen Follikel irgend welcher Grösse, so dass er platzt, so tritt zunächst die Dotterhaut mit dem Inhalt heraus, und erst bei mässig verstärktem Drucke folgt derselben die Mem- brana granulosa nach. — Die Dotterhaut habe jch bei Ei- follikeln jeglicher Grösse, und zwar immer an die Mem- brana granulosa unmittelbar anliegend gefunden; es war stets dieselbe strukturlose glashelle Membran. Nie jedoch befanden sich zwisehen ihr und der Membrana granulosa Dotterbläs- ehen. Bei sehr kleinen Follikeln, deren Kapsel unter gelin- dem Drucke platzte, liess sich oft der Inhalt herauspressen, Ueber die Eifollikel der Vögel. 55 ohne dass die Dotterhaut riss und die von ihr eingeschlossene Flüssigkeit herausfloss. Die Dotterhaut markirte sich dann durch eine sehr zarte doppelte Contour, welche am Rande des herausgepressten Eies einen schmalen lichten Saum ein- schloss, von dem dunklen granulösen Inhalte. Bei grösseren Follikeln, deren Kapsel nicht geöffnet werden kann, ohne dass auch die Dotterhaut gleichzeitig zerrissen wird, erkennt man die Dotterhaut auf gleiche Weise an einer Falte der herausgepressten Eihülle. Wäscht man letztere behutsam ab» zur Entfernung des körnigen, das Bild verunreinigenden Ei- inhaltes, und behandelt sie mit Essigsäure und Jodtinktur, so sieht man die Dotterhaut als eine zarte strukturlose, schwach gelblich gefärbte Membran, vorzüglich an solchen Stellen, wo sie isolirt und gefaltet ist. Oft jedoch bleibt die Dotterhaut beim Pressen des Follikels in der Kapsel zurück, alsdann lässt sie sich als eine feine doppelte Contour am Rande einer Falte der umgestülpten Kapsel erkennen. End- lich bleibt die Dotterhaut zuweilen auch an der herausge- pressten Membrana granulosa hängen; auch hier wird sie an einer Falte der umgestülpten Membran oder mittelst Jod und Essigsäure erkannt. Auf Qnerschnitten gekochter Follikel, die man erst trocknen muss, um sie bequem zu schneiden, und die dann mit’einer sehr verdünnten Kalilösung zu behandeln sind, damit die. Theile wieder aufquellen, verräth sich die Dotterhaut ebenfalls.durch doppelte Contouren, welche einen lichten Saum einschliessen. Zuweilen jedoch verschwindet die innere Contour in dem granulösen Inhalt; doch bleibt der lichte Saum fast stets deutlich zu sehen. Das Verhalten der auf die Dotterhaut nach Innen folgen- den Schichten ist bei Follikeln von verschiedenen Entwicke- lungsstufen ein ganz verschiedenes. — Die kleinsten Tauben- eifollikel, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, zeigten einen Durchmesser von '\,—-1%; Mm. Bei diesen Follikeln, die ich niemals isolirt zu sehen bekam, sondern stets umge- ben von einem dichten Stratum von Bindegewebe, worin die- selben eingebettet sind, konnte ich nicht am Rande die Con- touren und noch weniger die Struktur der verschiedenen 56 H. Hoyer: Membranen erkennen. Es war eine deutliche Gränze nur zwischen der Kapsel und dem Inhalt wahrzunehmen; es sah aus, als ob eine dünne Schicht von sehr feinkörniger Masse auf der Innenfläche der Kapsel abgelagert wäre. Der innere Raum erschien ganz hell. Ob derselbe vom Keimbläsehen eingenommen wird oder von einer Flüssigkeit, liess sich nicht entscheiden, da ein so kleiner Follikel wegen des umgebenden Bindegewebsstratums durch Druck nieht zum Platzen gebracht werden konnte. Follikel von Hühnern von !4; Mm. Durch- messer erschienen ganz in derselben Weise, nur waren die Körnchen der körnigen Masse bedeutend grösser und sahen aus wie feine Fetttröpfehen. Der Durchmesser des Eichens betrug '/,, Mm. Erst in Follikeln von %—Y; Mm. liess sich eine deutliche Gränze zwischen Kapsel und Epitel wahrnehmen. Die Struktur des letzteren erschien so, wie die des Pflasterepi- tels auf Querschnitten. Die Contouren der Dotterhaut waren nicht erkennbar, doch liess sie sich leicht nachweisen an dem herausgepressten Inhalt der Follikel auf die vorher angege- bene Weise. Das Innere der unversehrten Follikel sehien ganz von grobkörniger Masse erfüllt zu sein und war ganz dunkel, nur an der Stelle, wo das Keimbläschen lag, zeigte sich ein bellerer Fleck. Das Keimbläschen schien stets ex- centrisch und zwar dicht an der Dotterhaut zu liegen, doch befand sich zwischen ihr und dem Keimbläschen immer eine Lage von körniger Masse, Presste man einen solchen Follikel leise mit dem Deckgläschen, so trat das Keimbläschen. deut- licher und schärfer hervor; liess der Druck nach, so wurde es in seinen Umrissen auch wieder undeutlicher. Wurde der Druck auf einen solchen Follikel bis zum Platzen desselben verstärkt, doch musste dies leise und vorsichtig geschehen, so trat der Inhalt heraus, eingeschlossen von einer Membran, die aus zusammengeklebten Körnchen zu bestehen schien. Presste ich stärker, so platzte auch diese Membran und eine helle Flüssigkeit trat heraus, untermischt mit zahlreichen, sehr feinen Körnchen. Das Keimbläschen blieb von jener körnigen Membran umhüllt. Amı Rande der auf diese Weise Ueber die Eifollikel der Vögel. 57 zusammengepressten Membran sah man nun gewöhnlich, na- mentlich bei Zusatz von etwas Wasser, wie sich eine glas- helle strukturlose Membran von der körnigen Schicht abhob, oder man sah wenigstens eine feine Oontour, welche einen feinen lichten Saum am Rande der Falte der körnigen Mem- bran abgränzt. Man ersieht also hieraus, dass die körnige Masse von der Dotterhaut umschlossen ist. Dass die körnige Masse eine Art Membran bildet, ersieht man an dem Flottiren derselben bei bald verstärktem, bald verringertem Drucke auf das Deckgläschen an solchen Stellen, wo sich die Dotterhaut von ihr stärker abgehoben hat. Fügt man zu einem solchen Präparate Essigsäure, so wird die körnige Membran gewöhn- lich augenblicklich gelöst, so dass man unter dem Mikroskope plötzlich gar nichts sieht, indem auch die Dotterhaut durch- sichtiger wird und ihre Oontouren an Schärfe verlieren; fügt man alsdann Jodtinktur hinzu, so tritt die Dotterhaut deut- licher wieder‘ hervor und man erkennt sie in ihrer ganzen Ausdehnung, da der körnige Inhalt nun verschwunden ist. Ganz ähnlich verhalten sich Follikel von ),—', Mm. Durchmesser, nur sieht man bei diesen am Rande schon ziemlich scharf die Gränze zwischen Kapsel und Membrana granulosa. Die Dotterhaut jedoch ist durch die Kapsel hin- durch nicht zu erkennen, zumal ein solcher Follikel sich nicht platt genug drücken lässt, um die Contouren der verschiede- nen Membranen deutlich darzustellen, ohne dass er platzt und der Inhalt heraustritt. Das Verhalten der auf die Dotterhaut folgenden granulirten Schicht ist ganz gleich dem vorher be- schriebenen. Mit einer sehr verdünnten Lösung von kausti- schem Kali behandelte Querschnitte von gekochten und ge- trockneten Follikeln zeigen ganz dieselbe Aufeinanderfolge von Schichten, wie ich sie bei frischen Eiern gefunden: Kap- sel, Membrana granulosa, Dotterhaut, an dieser anliegend eine granulirte dunklere Masse von Fetttropfen ähnlichen Körnern, an die sich das wasserhelle Keimbläschen anschliesst; der übrige Raum ist mit einer hellen geronnenen Masse an- gefüllt, die eine Unmasse von sehr kleinen hellen Körnchen enthält. 58 . H. Hoyer: In Follikeln von 2 Mm. Durchmessern besteht der Iuhalt aus kleinen hellen Bläschen mit einem Kern, der einem Fett- tropfen ähnlich kontourirt ist; sie sehen ganz so aus, wie die Kugeln der Dotterhöhle in den späteren Entwickelungs- stadien des Follikels.. Die Schicht an der Dotterhaut besteht gleichfalls aus kleinen Bläschen, von denen mehrere Schich- ten übereinander gelagert zu sein scheinen; Durchmesser der- selben beträgt !/4s, Mm. Der Inhalt dieser Bläschen ist fein granulirt; der Durchmesser der darin enthaltenen Körnchen varüirt von !/, Mm. bis zur Unmessbarkeit. Hat man eine Falte der Dotterhaut, so erscheinen die Bläschen der auf ihrer innern Fläche abgelagerten Schicht als eylindrische Zel- len, indem vermöge der optischen Täuschung die Contouren der aufeinander gelagerten Bläschen zu einem Bilde ver- schmelzen, welches die Gestalt einer eylindrischen Zelle dar- bietet. Dieselbe Erscheinung zeigt sich auch auf Querschnit- ten gekochter und auf die oben angegebene Weise behandelter grösserer Follikel. Alle die bei Follikeln dieser Grösse angeführten Theile finden sich auch in Follikeln bis zu dem Durchmesser von 7 Mm., wo dieselben anfangen, sich mit einem gelblichen In- halt anzufüllen. Hier ist es jedoch schwer, an frischen Fol- likeln die auf der Innenfläche der Dotterhaut abgelagerten Schichten deutlich zu erkennen, da sie zu mächtig sind, als dass die Falten der Dotterhaut ein klares Bild geben könn- ten. Am besten erkennt man noch die Schichtung auf Quer- schnitten gekochter Follikel. Man sieht da Kapsel, mehrfach geschichtetes Epitel, Dotterhaut; auf diese folgend helle, doch mit einem körnigen Inhalt versehene Bläschen, dann kleine gelbliche, durch Druck polyedrisch umgestaltete Bläs- chen von ganz demselben Aussehen, wie die Kugeln der Dottersubstanz, nur bei Weitem kleiner nach der Dotterhaut zu, nach Innen zu aber an Grösse allmälig zunehmend, bis sie als wahre Kugeln der Dottersubstanz erscheinen. Von da an werden sie weiter nach dem Centrum zu wiederum kleiner und heller; statt des granulirten Inhalts erscheinen grössere Körner, dann nur 1, 2 bis 3 kernähnliche Körper, Ueber die Eifollikel der Vögel. 59 bis schliesslich die gewöhnlichen Kugeln der Dotterhöhle auftreten, Letztere füllen den übrigen inneren Raum des Follikels ganz aus. Ganz gleich ist das Verhalten der noch grösseren Follikel, nur zeigen sich hier mehrere abwechselnde Schichten von Kugeln von der Form der Kugeln der Dotterhöhle und der der Dottersubstanz; und dann werden die Bläschen an der Dotterhaut bei zunehmender Grösse der Follikel immer un- deutlicher; sie erscheinen immer mehr granulirt; man sieht auf dem vorletzten Stadium der Entwickelung des Follikels nur noch eine feine, gelbliche, granulirte Schicht zwischen der Dotterhaut und den Kugeln der Dottersubstunz; und end- lich beim vollständig entwickelten Ei scheinen die gelben Dot- terkugeln unmittelbar an der Dotterhaut anzuliegen. Was nun das Keimbläschen anbetrifft, so schien es mir überall, wo ich es aus dem Follikel unversehrt herausgepresst, rund, wasserhell und durchsichtig. Da man es aber nie iso- lirt bekommt, sondern stets nur anhängend an der auf die Dotterhaut folgenden Schicht, so sah es aus, als ob der In- halt granulirt oder wenigstens einige Körnchen darin enthalten wären, indem man den dem Bläschen anhängenden Theil der Membran, der vermöge seiner Schwere stets auf der untern Seite des Bläschens befindlich ist, durch das Bläschen hin- durch erblickt und für dessen Inhalt ansieht. Dass jedoch das Keimbläschen an sich vollständig klar und durchsichtig sei, davon scheint der Umstand Zeugniss abzulegen, dass man dasselbe auf Querschnitten gekochter Follikel stets mit einem klaren, durchsichtigen und körnerfreien Inhalt findet. Auf solehen Querschnitten sieht man das Keimbläschen auch nie von einer dichteren Schicht von Körnern oder Bläschen, sondern nur vom gewöhnlichen Inhalt umgeben. Um die Struktur der Keimscheibe zu erkennen, machte ich durch gekochte und etwas eingetrocknete Eifollikel einen solchen Durchschnitt, dass dieselben zugleich mit der Keim- scheibe halbirt wurden, und nahm feine Schnitte von der Schnittfläche an der Stelle, wo die Keimscheibe an der Dot- terhaut lag. Ich fand nun an der Dotterhaut unmittelbar eine 60 H. Hoyer: Ueber die Eifollikel der Vögel. körnige Schicht, die nach den Rändern und dem Innern der Keimscheibe zu in kleine Bläschen von der Gestalt der Dot- terkugel überging. Weiter seitlich und nach Innen zu wurden diese Bläschen immer grösser und grösser, bis sie nicht mehr zu unterscheiden waren von den Kugeln der Dottersubstanz. Eine sichere Grenze zwischen Keimscheibe und Eisubstanz liess sich also nicht wahrnehmen. Genauere Untersuchungen über die Verhältnisse der Keim- scheibe an frischen Eifollikeln, so wie über die Schichten an der Innenfläche der Dotterhaut bei fast ganz entwickelten Follikeln, konnte ich wegen Mangel an eierlegenden Hühnern in. der vorgeschrittenen Jahreszeit nicht mehr anstellen. Die Massbestimmungen bei Follikeln von verschiedenen Entwickelungsstufen beziehen sich alle auf Hühnereifollikel. Die Vergrösserungen, bei denen ich gearbeitet, waren ge- wöhnlich 120, selten 200, und nur zur Erkennung der Zellen uud kleinen Bläschen 500. Aus diesen meinen Untersuchungen ist mir die Ueber- zeugung geworden, dass die bisher sogenannte Dotterhaut des Vogeleies (Eigelb) schon ursprünglich an den kleinsten, für uns sichtbaren Eiern vorhanden ist, dass dieselbe dann mit dem ganzen Ei an Grösse zunehme, und dass der ganze Dotter, und also auch die Kugeln des Nahrungsdotters, als ursprünglich vorhandener, wachsender und allmälig sich um- wandelnder Inhalt dieser Dotterhaut gegeben sei; überhaupt, dass das Eigelb der Vogeleier dem primitiven Ei anderer Thiere gleichzustellen sei. Die Veränderungen jenes Theiles des ursprünglichen Ei- inhalts, der später zur Keimscheibe (Hahnentritt) wird, habe ich in allen einzelnen Phasen zur Genüge nicht übersehen können; doch muss ich nach meinen Beobachtungen die An- gaben Meckel’s sehr bezweifeln, dass diese Keimschicht den körnig gewordenen Inhalt des Keimbläschens darstelle, da ich zu keiner Zeit eine solche Verwandlung des homogenen flüssigen Inhalts wahrgenommen habe. J. Schlossberger: Die Krystalle in d. Malpighisch Gefässen ete. 6] Die Krystalle in den Malpighischen Gefässen der Raupen. Von J. SCHLOSSBERGER in Tübingen. Untingst übersandte mir Prof. Leuckart auf einem Uhrglas eine kleine Menge einer gelblichen aus eingetrockneten Schläu- chen bestehenden Masse, die Malpighischen Gefässe der Ei- chenspinnerraupe. Das Mikroskop wies als Inhalt dieser Schläuche zahllose, glänzende und ungefärbte krystallische Körperchen von sehr verschiedener Grösse nach, doch selbst die grössten kaum von der gewöhnlichen Grösse der im menschlichen Harn vorkom- menden (Quadratoctaöder von kleesaurem Kalk. Die meisten waren isolirt; hie und da bemerkte man auch Krystallhaufen, in welchen die einzelnen Kryställchen durch ein amorphes oder häutiges Bindemittel unter einander zusammenhingen. Die iso- lirten Körperchen liessen immer nur eine Fläche erkennen, welche allermeist quadratisch, in einzelnen Fällen oblong er- schien. Von Octaödern liess sich nichts entdecken. Sie waren unlöslich in Wasser, Alkohol und Aether, eben so unlöslich in Essigsäure auch bei längerem Stehen oder beim Erwärmen. Mit Salpetersäure unter schliesslichem Zusatz von Ammoniak eingedampft gaben sie keine Spur einer Murexid- färbung. Verdünnte Salz- oder Salpetersäure lösten ohne Auf- brausen den grössten Theil von ihnen auf, die Lösung wurde durch Ammoniak stark gefällt, die Fällung war unlöslich in Essigsäure. Mit Vitriolöl übergossen entwickelten sich Gas- bläschen und es schossen Büschel von Gypsnadeln an. Beim Erhitzen auf dem Platinblech wurden sie gebräunt, ohne zn schmelzen, und brausten dann mit Säuren auf. Es konnte nach Obigem kein Zweifel obwalten, dass die Körnchen wesentlich aus kleesaurem Kalk bestanden, und es ist sicher nicht ohne Interesse, im menschlichen und 62 J. Sehlossberger: Die Krystalle in d. Malpighisch. Gefässen etc. Insecten - Harn, nachdem schon von Anderen die Harn- säure auch in letzterem aufgefunden, einen zweiten Bestand- theil, vielleicht als Abkömmling der letztern Säure, nämlich die Oxalsäure als gemeinschaftlich vorhanden kennen zu lernen. Wurden die Kryställchen auf dem Objectträger mit ver- dünnten Mineralsäuren zusammengebracht, so zeigten sie ein sehr eigenthümliches Verhalten. Es erschien eine dunkle Hal- birungslinie quer durch die ganze Fläche, häufig auch eine zweite auf der ersten senkrecht stehende, so dass die Fläche in vier Felder getheilt wurde. Endlich schmolzen sie auch von den Rändern ein, lösten sich aber häufig nur theilweise auf, indem ein ganz kleines Körnchen oder höchst dünnes Blätt- chen, offenbar von organischer Materie herrührend, hinterblieb. Wurden die Kryställchen vorsichtig erhitzt und dann mit dem Mikroskop betrachtet, so hatten viele die ursprüngliche Form beibehalten, aber den Glanz und die Durchsichtigkeit einge- büsst und eine gelbliche Färbung angenommen. Ich lasse da- Lingestellt, ob die beschriebenen Körper als echte Krystalle, oder aber als eine Art von Afterkrystallen oder Inerustationen aufzufassen sind und erinnere dabei nur an die Thatsache, dass auch die im Thierkörper gebildeten Krystalle von kohlensau- rem Kalk (z. B. die Gehörsteinchen) allermeist beim Auflösen einen organischen Stoff hinterlassen, häufig auch durch gebo- gene Flächen sich vom mineralischen Kalkspath unterscheiden. Ob dievon H.Meckel (Müll. Arch. 1846 pg. 44) in den Mal- pighischen Gefässen der Raupe von Sphinz convolvuli und die von Leydig (Müll. Arch. 1855 pg. 466) in den Nierenkanälen von Bombyx rubi und Julus beschriebenen Krystalle mit denen unseres Falles chemisch identisch sind, wage ich nicht zu ent- scheiden, da beide Beobachter keine chemischen Anhaltspunkte dazu mittheilen. Ersterer schildert die Kryställchen von Sphinz convolvuli als quadratpyramidalisch, theils weiss, theils aus zwei weissen und einer mittlern rothen Schicht bestehend. Die von Leydig gesehenen Krystalle waren Octaöder und es dürfte darum schon sehr wahrscheinlich sein, dass dieselben gleich- falls aus oxalsaurem Kalk zusammengesetzt waren. F. Hoppe: Ueber den Einfluss, welchen der Wechsel ete 63 Ueber den Einfluss, welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. Von Ferıx HorPpe. Es ist bekannt, dass selbst ein plötzlicher mässiger Wechsel ‚des Luftdruckes ohne Nachtheil von Thieren ertragen wird; mag dieser Wechsel in einer Verringerung oder Steigerung des Druckes bestehen. Ueberschreitet jedoch dieser Wechsel gewisse Grenzen, so treten Verhältnisse ein, welche plötz- lichen Tod zur Folge haben, Eine trächtige Ratte auf dem Recipienten der Luftpumpe, in eine Atmosphäre von 150 Mm. Quecksilber höheren Druck als der äussere Luftdruck (zusammen 908 Mm. Hg.) gebracht, gab kein Zeichen irgend welcher Störung in ihrem Befinden, und als durch die comprimirte Luft die Glasglocke plötzlich losgerissen wurde, und der Luftdruck innerhalb und ausser- halb der Glasglocke sich ins Gleichgewicht setzte, erschrak das Thier, blieb aber sonst wohl, auch bei mehrmaliger Wie- derholung des Versuches. So viele Beispiele von Verletzungen durch einseitige plötzliche Druckvermehrung vorliegen, Sprengung, des Trom- melfelles, Bruch der Rippen etc. durch Expansion der durch vorüberfliegende schwere Geschosse comprimirten Luft, scheint doch kein Beispiel allgemeiner plötzlicher hoher Steigerung des Druckes und dadurch verursachter Todesfälle vorzuliegen, ausser den Explosionen von Grubengas in Bergwerken. Bei diesen letzteren sind aber die Verhältnisse sehr complieirt und Sectionsberichte fehlen. Dass das Verweilen in sehr compri- 64 F. Hoppe: Ueber den Einfluss, mirter Luft keinen Nachtheil für Menschen bringt, dafür zeu- gen die Versuche mit Taucherglocken und besonders die Steinkohlengruben bei Douchy, Depart. du Nord, und zu Chälone an der Loire in Frankreich, in welchen die Arbeiter unter einem Druck von 2 bis 4 Atmosphären arbeiten müssen. Durch eine Schleussenvorrichtung werden hier die Arbeiter beim Anfahren in nach und nach dichtere Luft gebracht. Die Aerzte T.J.J. Watelle und A. Gu£&rard!) berichten, dass beim Anfahren der Arbeiter nie Unfälle vorgekommen seien, dass dieselben aber beim Verlassen der Gruben hier und da einträten. Die Section der plötzlich beim Herausgehen Ver- storbenen hat nach ihrem Berichte nichts Abnormes gezeigt, als Blutfülle des Gehirns und der Lungen. Untersuchungen über die Ursache des Todes der Thiere, welche einer schnellen Erniedrigung des Luftdruckes auf dem Recipienten der Luftpumpe ausgesetzt wurden, haben mir, wie ich glaube, genügenden Aufschluss über diesen plötzlichen Tod gegeben. Als eigentliche Ursache des Todes dieser Thiere wird in den wenigen Bemerkungen, die ich über diesen Gegenstand in Handbüchern der Physiologie und Physik finde, der Mangel an Sauerstoff angegeben. Es lässt sich hiergegen im Allge- meinen nichts einwenden, wie aber dieser Mangel an Sauer- stoff hervorgebracht wird, darüber habe ich keine Andeutung gefunden. Ein wichtiges Moment: das Freiwerden von Gasen aus dem Blute innerhalb der Gefässe, scheint ganz übersehen zu sein. Die bei obigem Experimente benutzte Ratte ertrug das schnelle Sinken des Luftdruckes bis auf 50 Mm. Quecksilber- druck ohne bemerkbare Zeichen von Schmerz oder Unruhe. Bei etwa 50 Mm. Druck traten plötzlich Convulsionen ein, sie sprang wild hin und her und fiel ohnmächtig um. Als schnell Luft hinzugelassen wurde, erholte sie sich bald wieder. Eine Wiederholung des Experimentes gab ganz dasselbe 1) Ann. d’Hygiene. Avril 1854. C. Schmidt’s Jahrbücher. 1854. N0.,.8.,., Bd. ;83.,Pp.::227. welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. 65 Resultat, und zwischen 40 bis 50 Mm. Druck trat Tod ein. Bei der Oefinung des Thorax und des Pericardium ohne weitere Gefässverletzung, als die der vasaintercostalia und mammaria, war durch die Wandungen der v. cavae und des rechten Vor- hofs und Ventrikels mit grösster Deutlichkeit die Gegenwart eines reichlichen Volumens von Gas in diesen Gefässen zu erkennen, und dasselbe trat durch einen Einstich in Blasen hervor. Das rechte Herz war im Uebrigen gespannt mit Blut erfüllt. Eine junge, etwa 3 Wochen alte Katze wurde auf den Recipienten unter eine tubulirte Glasglocke gebracht. In den Tubulus war eine Glasröhre eingesetzt, welche in eine feine Oeffnung auslief, so dass während des Auspumpens der Luft aus der Glocke durch diese feine Oeffnung fortdauernd neue Luft zuströmte, und zwar so viel, dass bei schnellem Eva- euiren gerade ein Druck von 36 Mm. Quecksilber erhalten werden konnte. Während bei den früheren Experimenten eine kleine über Quecksilber abgesperrte Luftsäule als Maass des Druckes gedient hatte, benutzte ich jetzt und zu den späteren Ver- suchen ein kleines Barometer, welches 140 Mm. Druck noch ablesen liess, und dessen Angaben genau geprüft waren. Die Temperatur der Katze in der Achselhöhle, 10 Min. lang gemes- sen, betrug 34° ©. Beim schnellen Evacuiren wurde die Katze bald unruhig und suchte nach Luft. Bei 50 Mm. Druck Con- vulsionen und Ohnmacht, durch schnelles Zulassen von Luft beseitigt; sie erholte sich wieder vollständig. Als der Ver- such wiederholt wurde, traten an dem beschriebenen Punkte dieselben Symptome ein, und ein Verweilen !/, Min. lang auf einem Drucke von 40 Mm. liess die Katze nicht wieder aus der Ohnmacht bei Luftzutritt erwachen. Bei der sogleich vorgenommenen Section fand sich etwa 0,3 Cem. Luft in den vv. cavae, rechtem Vorhofe und Ventrikel schon durch die Wandungen hindurch deutlich zu erkennen. Einige Luftbläschen im linken Vorhofe. Grosse Venen und rechtes Herz gespannt mit Blut gefüllt, das linke Herz fast leer. Das Blut war noch vollkommen flüssig, die Arterien Müller’s Archiv. 1857. p) 66 Felix Hoppe: Ueber den Einfluss, contrahirten sich noch spontan, die Ventrikel nur auf Reizung. Lungen fast luftleer, gesund. Nirgends eine Gefässruptur zu finden. Das Gehirn anscheinend normal. Zwei Schwalben, deren Verhalten einzeln untersucht wurde, zeigten ganz gleiche Erscheinungen; beide starben bei 120 bis 125 Mm. Druck binnen weniger Secunden. Vor dem Tode traten dieselben Symptome ein, wie bei den früheren Thieren. Sie sassen ruhig, öffneten zuweilen den Schnabel; bei etwa 130 Mm. traten erst Convulsionen ein. Bei beiden ergab die Section ein paar kleine Luftbläschen. Das rechte Herz sehr mit Blut überfüllt, des linke fast leer. So wie bei jenen Säugethieren, war das Blut des linken Herzens sehr hell- roth, also noch sauerstoffhaltig. Marchand überzeugte sich bereits, dass Frösche durch Erniedrigung des Luftdruckes nicht getödtet werden können. So wie bei den warmblütigen Thieren, wird durch Expansion der Darmgase der Darminhalt nach unten oder nach oben und unten entleert. In der Nähe des Kochpunktes der Flüs- sigkeiten ihres Körpers werden sie zuweilen unruhig und ver- fallen zum Theil in Ohnmacht. Beim weiteren Evacuiren schwillt bekanntlich ihr Körper durch Expansion des sich entwickelnden Wasserdampfes hoch auf, und dabei entwickelt sich Wasserdampf in Blasen aus Mund und After. Sie er- tragen aber diesen Zustand mehrere Minuten und erholen sich beim Zulassen von Luft vollständig. Diese Beobachtungen macht man am deutlichsten an Fröschen, die durch Erwärmung in dem Sonnenscheine oder dergl. auf höhere Körpertemperatur gebracht sind, als die Temperatur der Zimmerluft. Die wärmsten Frösche, welche ich zu den Versuchen benutzte (32° C. Körpertemperatur), zeigten die tiefste und anbaltendste Ohnmacht. Zwei Frösche, im Zustande der Ohnmacht schnell geöffnet, hatten keine Luftbläschen im Herzen. Eine Blindschleiche verhielt sich während des Evaecuirens ganz ruhig, bei etwa 30 Mm. Druck schwoll sie auf, schloss ‚die Augen, blieb regungslos liegen. Es wurde bis 22 Mm. der Druck erniedrigt und einige Minuten auf diesem Drucke welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. 67 gelassen ohne Nachtheil für das Thier, es war nachher eben so wohl, als vor dem Versuche. Der Einfluss, welchen der Wechsel des Luftdruckes alles Uebrige gleichgesetzt hat, ist also für die drei Klassen von Thieren sehr verschieden. j 1. Die Vögel sterben schon viel früher als der Kochpunkt des Blutes erreicht wird; die Säugethiere sterben bei einem den Kochpunkt des Blutes wenig übersteigenden Drucke, und die Amphibien sterben nicht beim Kochpunkte ihres Blutes. 2. Bei den warmblütigen Thieren entwickelt sich Gas in- nerhalb der Blutgefässe mit dem Blute bei schneller Ernie- drigung des Luftdruckes. Bei Amphibien wurde dies nicht bemerkt. Wenn es sich nun darum handelt, zu entscheiden, ob der Mangel an Sauerstoff oder die Entwickelung von Gas in den Blutgefässen die Ursache der Convulsionen, Ohnmacht und des Todes sei, ist allerdings nicht zu verkennen, dass der bei so geringem Druck in dem arteriellen Blute noch re- stirende Sauerstoff, an dessen Vorhandensein das Leben ge- knüpft ist, nur sehr gering sein kann und in kurzer Zeit gänz- lich verbraucht werden muss. Dagegen fand sich aber das arterielle Blut bei den Sectionen jener Thiere noch ganz hell- roth, besonders deutlich bei den Schwalben, während dieser Unterschied des venösen vom arteriellen Blute bei Tod durch Erstickung verschwindet. Das bei der Katze im Herzen gefundene Gasvolumen be- trug bei gewöhnlichem Luftdrucke 0,3 Cem., bei einem Drucke von 40 Mm. Quecksilber würde dieses Gas 5,7 Cem. Raum eingenommen haben, wenn die Gefässwandung der Expansion der Luft keinen Widerstand geleistet hätte. Dies Volumen übertrifft bei weitem das der Höhle des atrium und Ventri- kels. Da der Druck des Blutes in den grossen Venenstäm- men am geringsten ist, so musste hier zuerst Gas entwickelt werden, und so erhielt dann das Herz grösstentheils Gas ar- statt Blut. Die Wirkung der Herzcontraction und der Ge- fässwiderstände, die Circeulation, ist aber abhängig von der Incompressibilität der enthaltenen Flüssigkeit; wenigstens muss F 5“ 68 F. Hoppe: Ueber den Einfluss, die Geschwindigkeit der Bewegung des Blutes in den Arte- rien mit dem Zunehmen der Grösse der Elasticität der ge- pumpten Flüssigkeit abnehmen, da das Volumen der geför- derten Flüssigkeit um so kleiner ausfällt, je stärker es com- primirt werden muss, um in die Arterien eingetrieben wer- den zu können. Das Herz übt nun auf seinen Inhalt einen 100 Mm. über- steigenden Druck aus. Stand nun die Luft in den grossen Venenstämmen unter 50 Mm. Druck, so wird sie auf ein Drittel ihres Volumens comprimirt werden müssen, um in die Arterien eintreten zu können, und somit eine bedeutende Ver- langsamung der Circulation hervorgerufen. Wenn nun auch diese Verlangsamung in Verbindung mit dem geringen Sauer- stoffgehalte des Blutes und der Ungleichheit des Effectes vom rechten und linken Herzen den Tod zur Folge haben müss- ten, so könnte dies doch kein plötzlicher Tod sein. Dieser plötzlich eintretende Tod muss also Folge eines andern Um- standes sein und zwar ist das ohne Zweifel kein anderer, als die Verstopfung der Lungencapillaren durch Luftbläschen und hierdurch bedingtes Aufhören der Circulation. Das linke Herz pumpt sich und die Lungenvenen leer und erhält keine weiteren Blutmengen: die Circulation hört also plötzlich auf. Das rechte Herz füllt sich dagegen mit Luft und Venenblut. Allerdings lässt sich die Verstopfung der Lungencapilla- ren mit Luft nicht durch das Auge erkennen, sie folgt aber nothwendig aus den Verhältnissen, da die Cohäsion des Blut- serum kein Luftbläschen durch die Lungencapillaren treten lässt, wie man sich durch Luftinjeetion leicht überzeugen kann. Blutextravasate treten in der Lunge nicht ein, da der Rf- fect des Herzens geringer ist wegen der Compressibilität der Luft, wie oben entwickelt ist. Wird unter diesen Umständen der Atmosphärendruck schnell wieder hergestellt, so wird die Luft im Herzen und den Gefässen wieder auf ein entsprechend kleineres Volu- men gebracht und das Absorptionsvermögen des Blutes eben so entsprechend vermehrt, die Luft wird absorbirt und die ganzen Symptome verschwinden; das Thier ist wieder lebend welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. 69 und gesund. Hat jedoch Gerinnung des Blutes begonnen, oder ist die ausgeschiedene Quantität Gas zu bedeutend, als dass sie vom anliegenden Blute gleich wieder absorbirt werden könnte, so bleibt natürlich das Thier todt. Das Blutkörperchen-arme Blut der Amphibien hat ohne Zweifel ein geringeres Absorptionsvermögen für Gase als das der Säugethiere und besonders der Vögel, und eine Hinderung der Circulation hat bei diesen Thieren nicht die plötzlichen Folgen als bei den warmblütigen Thieren. Lässt man durch langsames Evacuiren den Druck sich allmälig senken, so tre- ten die Symptome des Sauerstoffmangels deutlich hervor als angestrengtes Respiriren der 'Thiere. War nun wirklich der verminderte Druck und nicht der Sauerstoffmangel die Todesursache, so war beim schnellen Hinzulassen von Wasserstoff statt atmosphärischer Luft eine kurze Erholung der Thiere wahrscheinlich. Ein Meerschweinchen fiel beim schnellen Sinken des Luft- druckes bei etwa S0 Mm. Druck plötzlich in Convulsionen hin, es wurde jetzt Wasserstoff hinter die Glocke geleitet aus einem Gasometer; das Thier begann angestrengt zu athmen und lebte auf diese Weise etwa noch 2 Minuten. Ein junges Meerschweinchen fiel bei 77 Mm. in Convulsionen um; es wurde reines Sauerstoffgas hinzuströmen gelassen; es erholte sich vollständig, fiel aber beim schnellen Evacuiren genau bei 75 Mm. um, erholte sich wieder beim 2ten Einströmen von Sauerstoff, fiel beim 3ten Evacuiren wieder bei 75 Mm. Druck um; es wurde jetzt atmosphärische Luft zugelassen, und als es sich wieder erholt hatte, wieder schnell evacuirt bis 75 Mm. Druck, wo es ebenso in Ohnmacht fiel, aber durch wieder einströmende Luft gerettet wurde. Das erstere Meerschwein zeigte bei der Section keine Gas- blasen im Blute; das venöse und arterielle Blut zeigten beide braunrothe Farbe, in den Lungen fanden sich braunrothe Flecke, welche entweder von ungleicher Blutvertheilung oder Capillarhämorrhagie herrührten; im Herzen und den grossen Venen viel Blut aber nicht in solch strotzender Fülle, als in den früheren Experimenten. Nach diesem Befunde ist ein- 70 F. Hoppe: Ueber den Einfluss, leuchtend, dass der Tod dieses Thieres durch Mangel an Sauerstoff bedingt gewesen ist. Das Thier erholte sich bei der Herstellung des Luftdruckes durch Resorption der in den Gefässen entwickelten Luft; die Respiration, die wieder kräf- tiger eintrat, konnte jedoch nur das bewirken, dass der Was- serstoff eingeathmet den Sauerstoff des Blutes zum Theil austrieb und selbst an seiner Stelle vom Blute absorbirt wurde, soweit der im Blute enthaltene Sauerstoff nicht in dieser kur- zen Frist von den Organen verbraucht war. Bei dem jungen zweiten Meerschwein traten die Symp- tome plötzlicher Asphyxie bei demselben Barometerdrucke ein, mochte das Thier in Sauerstoff oder in atmosphärischer Luft sich befinden. Wenn man annimmt, dass bei 75 Mm. etwa !/,, der Luftmenge in der Glocke noch restirt, so würde sich das Thier beim lsten Hinzulassen von Sauerstofigas in 92 pÜt. Sauerstoff haltender Luft befunden haben und beim 2ten Hinzulassen in 99 pCt. haltiger. Wenn die Menge des Sauerstoffes in einem bestimmten Volumen atmosphärischer Luft, bei 75 Mm. Druck — 15,75 war, so hatte es in der 90 pCt. Sauerstoff haltender Luft in demselben Volumen 67,5 davon und das Tbier würde bei diesem verminderten Drucke noch so viel Sauerstoff in jedem Athemzuge aufnehmen, als in einer Atmosphäre von gewöhnlichem 760 Mm. Luftdrucke bei 8 bis 9 pCt. Sauerstoffgehalt. Einen so geringen Sauer- stoffgehalt bei gewöhnlichem Atmosphärendruck vertragen die Thiere aber längere Zeit und Regnault und Reiset haben bei noch geringerem Sauerstoffgehalte Kaninchen und Hunde athmen lassen, wenn auch bei 6,4 pCt. und 5,1 pCt. Sauer- stoffgehalt Athmungsbeschwerden sich einstellten !). Bei 75 Mm. Druck erhielt aber das Thier nur soviel Sauerstoff in jedem Athemzuge, als in einer 2 pÜt. sauerstoffhaltigen At- mosphäre. Da nun nichtsdestoweniger bei diesem Drucke von 75 Mm. Quecksilber die Aphyxie. eintrat, mochte das Thier sich in Sauerstoft oder in atmosphärischer Luft befin- 1) Regnault et Reiset: Recherches chimiques sur la respiration ete. Paris 1849, pg. 97, 100 et 101. welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. 7] den, so kann nicht der Sauerstoffmangel diese Asphyxie her- beigeführt haben, sondern die plötzliche Verminderung des Druckes, und man kann hiernach als erwiesen ansehn: dass bei schneller und bedeutender Erniedrigung des Luft- druckes eine Entwickelung von Gas in den grossen Venen- stämmen stattfindet, dass diese Gasblasen den Nutzeffect der Herzthätigkeit verringern, die Lungencapillaren verstopfen und somit unmittelbaren Tod durch Aufhebung der Circulation bedingen ohne weitere anatomische Läsion; dass jedoch eine bald folgende entsprechende Erhebung des Luftdruckes die Resorption des Gases, Wiederherstellung der Circulation und somit vollkommene Gesundheit zurückbringt. Der Punkt, bei welchem die Entwickelung von Gasen im Blute stattfindet, wird bestimmt: durch die vorhergehende Grösse des Druckes, die Temperatur des Thieres und die ' Absorptionskraft oder Adhäsivkraft des Blutes für Gase, wel- che von dem Blutkörperchengehalt der Flüssigkeit abzuhän- gen scheint. Das mit der Erniedrigung des Luftdruckes eintretende ver- ringerte Absorptionsvermögen des Blutes für Sauerstoff mag nicht- ohne -Einfluss auf das Befinden von Menschen sein, welche hohe Berge besteigen. Die an sich anstrengende Ar- beit des’Steigens, noch vermehrt durch das geringere Haften der Gelenke erfordert bedeutenden Aufwand von Muskelthä- tigkeit; diese ist abhängig von der Sauerstoffzufuhr, da ohne diesen kein Stoffumsatz also keine Kraftentwickelung stattfinden kann. Hat nun das Blut geringeres Absorptionsvermögen für Sauerstoff, so wird es auch bei beschleunigter Circulation den Muskeln weniger Sauerstoff in jeder Zeiteinheit bieten können, als unter normalem Luftdrucke; es tritt also Man- gel an Proviant, schnelle Ermüdung ein, welche durch kurze Rast gehoben ist, aber eben so schnell wieder erscheint. Bei Erhöhung des Luftdruckes muss sich das Absorptions- vermögen des Blutes für Gase entsprechend steigern, das Blut enthält viel Sauerstoff, es tritt erhöhte Wärmeproduction, 72 F. Hoppe: Ueber den Einfluss, Verringerung des in einer bestimmten Zeit geathmeten Luft- volumen ete. ein. Die Angabe von Pravaz!), dass in sehr comprimirter Luft weniger Kohlensäure als bei gewöhnlichem Luftdrucke ausgehaucht würde, ist vielleicht aus dem geringen Luftvo- lumen erklärlich, mit dem er experimentirte. Für geringere Erhebungen des Luftdruckes giebt er constante allgemeine Intensitätsvergrösserung des Stoffwechsels an. Wird jedoch nach einiger Zeit, welche ein Thier in einem erhöhten Luftdruck zugebracht hat, dieser Druck schnell er- niedrigt, so dass die Lungenthätigkeit den Ueberschuss der Gase nicht entfernen kann, so muss Gas in den grossen Ve- nenstämmen selbst sich entwickeln und die oben beschriebe- nen Synıptome herbeiführen. So wird es sich mit den in jenen französischen Kohlengruben beobachteten plötzlichen Todesfällen ohne anatomische Läsion verhalten. Ueber beobachtete Entwickelung von Gas in den. Blutge- fässen durch schnelle Veränderung des Luftdruckes habe ich, von Hrn. Prof. Haeser auf das Gütigste unterstützt, in der Litteratur keine Bemerkung finden können. Dagegen finden sich zahlreiche Fälle von plötzlichem Tode durch in die Ve- nen eingedrungene Luft, und hier hat schon Bouillaud bei seinem Berichte über Amussats Versuche in dieser Bezie- hung die Verstopfung der Lungencapillaren durch Luft als Todesursache bezeichnet. Interessant erscheinen auch die Fälle, wo durch Contrac- tion des Luft enthaltenden Uterus Luft in grosse durch Ein- reissen des Parenchyms bei Placentalösung geöffnete Venen eingepresst wird, wie Popp und Herrich?) einen Fall er- wähnen, ohne eine Erklärung dafür zu geben. S Die zahlreichen Fälle sogenannter spontaner Luftentwik- kelung in den Blutgefässen sind gewiss zum grössten Theil i) Pravaz: Essai sur l’emploi med. de l’air comprime, Lyon 1850. 2) Popp und Herrich: Der plötzliche Tod aus inneren Ursa- chen, 1848, pg. 96. welchen der Wechsel des Luftdruckes auf das Blut ausübt. 73 € unzuverlässig, indem die Section bei bereits vorgeschrittener Fäulniss unternommen wurde. Wenn auch diese Entwicke- lung durchaus nicht unmöglich erscheint, so würde sie doch nur dann stattfinden können, wenn plötzliche chemische Pro- zesse im Blute erregt werden könnten, die eine Gasentwik- kelung zur Folge haben. In den meisten dieser Fälle wird von Convulsionen kurz vor dem Tode nichts erwähnt; nur im Falle 10 von Popp und Herrich sind diese Symptome hervorgehoben. 74 Fr. Creplin: Prof. A. Retzius Bemerkungen über Bemerkungen über das Antrum Pylori beim Men- schen und einigen Thieren von Prof. Dr. Andr. Retzius. Aus dem Schwedischen !) übersetzt von Dr. FR. CREPLIN. Viele Schriftsteller über Anatomie nehmen in die Beschrei- bung des menschlichen Magens einen Theil in der Nähe des Pförtners unter der Benennung Antrum Pylori (Pförtnerhöhle, Cul de sac pylorique) auf; Viele erwähnen ihn nicht, An- dere seiner nur sehr flüchtig. Ich war lange mit Dissectio- nen ‘menschlicher Leichname beschäftigt gewesen, ehe ich dieser Partie eine genauere Aufmerksamkeit widmete. Seit- dem fand ich bei Untersuchungen von Thiermägen, welche für einfache gehalten werden, dass der Pförtnertheil eine ganz eigne Abtheilung ausmache und dass er bei den mei- sten Vertebraten einen eignen, von dem des übrigen Magens verschiedenen Bau besitze. Vor mehreren Jahren (1839) un- tersuchte und beschrieb ich (in den K. Vetenskaps- Akade- miens Handlingar [übers. in diesem Archive, 1841]) den Bau des Magens bei einigen pflanzenfressenden Nagern; späterhin fand ich auch beim Menschen Mal über Mal gewisse, fast regelmässige Auftreibungen in dieser Gegend, und so auch in vielen Fällen eine bestimmte eigne Abtheilung, welche ich keinen Grund hatte für eine krankhafte Bildung zu halten. Die Benennung Antrum Pylori schien mir anzudeuten, dass 1) S. Öfversigt af K. Vet.-Ak’s. Förhandl. Mai 1855. das Antrum Pylori beim Menschen und einigen Thieren. 75 der Ursprung des Namens sich auf Beobachtungen gründete, welche Aehnlichkeit mit meinen eigenen hätten, und ich nahm mir deshalb vor, jenem nachzuspüren. Ich fand dann, dass Cruveilhier (Traite d’Anatomie deser. T. III. pg. 281), wel- cher die Sache fast aus demselben Gesichtspunkte als ich selbst ansah, Willis diese Benennung zuschrieb, und auch, dass Haller (Elem. Physiol. T. VI. Lib. XIX. Sect. 1. $ 5, Ventriculi figura) das Werk und die Stelle eitirt, wo Willis sich des Namens bedient. Seinestheils äussert jedoch Hal- ler a.a. ©. darüber: „non raro aliqua strietura quasi divisus* (hier eitirt er Morgagni und mehrere Fälle von Mägen, welche durch Strieturen getheilt gewesen), „maxime poste- rius, tum paulo cis pylorum, unde tune antri aliqua imago naseitur (Willis), quam aliqui clarissimi viri nimis fecerunt.“ Das Werk von Willis, in welchem die Benennung An- trum Pylori vorkommt uud ihren Ursprung zu haben scheint, ist seine Pharmaceutica rationalis sive dia- tribe de medicamentorum operationibus in cor- pore humano etc. Cap.lI. Partium, intra quas me- dicamentaoperari incipiunt, descriptio, ususetaf- fectiones. Die, wie es mir scheint, wichtigste Stelle, wel- che den fraglichen Theil berührt, ist die, in welcher der Vf. von der Bestimmung des Pylorus redet, wo es heisst: „Py- lori munus est, non tantum contenta affatim et simul in magna copia ad intestina transmittere (quod quidem in ca- tharsi et diarrhoea frequenter facit), sed potius chylum satis eonfeetum in sinum suum excipere, aliquamdiu continere et dein paulatim et per minutas portiones excernere. Enim vero hujus Antrum longum et capax quidem in ventri- eulo recessus et diverticulum esse videtur, in quod massae chylaceae portio magis elaborata et perfecta secedere et inibi manere queat, donee alia crudior et nuperius ingesta in ventriculo fundo plus digeratur“ ete. Man ersieht aus dieser und auch aus mehreren anderen Stellen in demselben Werke, dass Willis viel Gewicht auf diese Abtheilung des Magens gelegt hat. Bei einer flüchtigen Betrachtung scheint der Magen des 76 Fr. Creplin: Prof. A Retzius Bemerkungen über Menschen ein ganz einfach gebauter, konischer Sack zu sein, aus dessen Form der Anatom nicht viel zu erlernen haben möge. Denkt man jedoch an die künstlichen Verrichtungen, welche dieser Sack sowohl bei den Thieren als beim Men- schen auszuführen hat, und an die mehrfachen Abtheilungen und merkwürdigen Bildungsformen, die er bei einer grossen Anzahl von Thieren darbietet, ferner an mehrere schwer zu erklärende Verhältnisse während Gesundheit sowohl als Krank- heit, so gelangt man bald zu der Ueberzeugung, dass in die- sen dem Anscheine nach einfachen Bau sehr kunstreiche An- ordnungen niedergelegt sein müssen. Es ist vorzüglich dies, was mich zu dem Wunsche veranlasst, hier dem fraglichen Theil eine grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden. So viel ich mich erinnern kann, hat kein Schriftsteller neuerer Zeiten den Pförtnertheil des Magens besser beschrie- ben, als Oruveilhier (a. a.O.). Nachdem er vom Pförtner selbst gehandelt hat, sagt er: „ÜO’est au voisinage de ce re- treeissement (pylore), & un pouce environ, que l’estomac, se recourbant fortement sur lui-m&me, forme du cöte de la grande courbure un coude tres prononce, coude de l’estomac, et presente une ampoule, laquelle repond a une excavation in- terieure, designee par Willis sous le nom d’autre du pylore etc. — ll n’est pas rare de voir une seconde ampoule & cöte de la premiere, et une troisieme, mais plus petite, du cöte de la petite courbure, par le fait du coude que deecrit l’esto- mac. ÜCes ampoules, & peine appreciables chez un grand nombre de sujets avant l’insufflation, deviennent tres dis- tinctes, et m&me, chez quelques sujets, tres considerables par la dıstension“ etc. Nach meiner Erfahrung kommt diese Partie hauptsächlich unter drei Formen vor. Die eine Form ist die in der eben angeführten Beschreibung von Cruveilhier geschilderte, die audere, bei welcher der Theil mehr in die Länge aus- gezogen ist, wird von Willis (a. a. O.) erwähnt, indem er sagt: „antrum longum et capax“; die dritte, welche die das Antrum Pylori beim Menschen und einigen Thieren. a7, konische genannt werden kann, ist die, bei welcher die hier von Cruveilhier so benannten Ampullen (welche ich in unserer Sprache bubblorna [deutsch: Blasen, blasenartige Auftreibungen] genannt habe) sowohl, als deren Begren- zungen wenig ausgezeichnet sind und der Theil mehr ko- nisch ist. Fig.1. stellt die kurze Form des Pförtnertheils beim Menschen vor. d* die tiefe Strietur im Arcus minor — d eine schwache Ein- biesung im Arcus major links von der grossen Krümmung — e Ein- biegung an der grössern Auftreibung ed* im Arcus minor — e* ent- sprechende Einbiegung im Arcus major — fe, fe* die kleine Abthei- lung der Pars pylorica, zunächst dem Pylorus — ff die Pförtnerstrie- tur — g die grosse Krümmung (le coude de l’estomac) — h der An- fang des Duodenums, fast flaschenförmig erweitert (Antrum duodeni mihi) — kk das Ligamentum pylori, vornehmlich von longitudinalen Muskelfasern gebildet. In der ersten oder kürzern Form (Fig. 1.) ist der Pfört- nertheil an der Basis ziemlich eben so breit vom Arcus mi- nor an bis zum Arcus major, als er lang ist, hat zwei Auf- treibungen gegen den A. minor (Fig. 1, fe, ed*) und meistens eine gegen den A. major hin (fe*), ausser der grossen Krüm- mung (Fig. 1, g). Die erste Auftreibung im A. minor wird nach dem dickern Ende zu von einer tiefen Strietur (d*), welche der genannten grossen Krümmung gerade gegenüber steht, „coude de l’estomac“, und am schmälern Ende von einer seichtern Strietur, welche sie von der andern, dem Pförtner zunächst liegenden Auftreibung trennt, begrenzt. Die Auf- treibung im A. major ist vom „coude de l’estomac“ durch eine seichte Strictur abgesondert, die oft nur eine zur Hälfte rundum gehende Vertiefung ist; diese Auftreibung ist gemein- 78 Fr. Creplin: Prof. A. Retzius Bemerkungen über hin etwas grösser, als die entsprechende am A. minor, und grenzt so wie sie an den eigentlichen Pförtner. Dieser ganze Theil des Magens ist gewöhnlich mit einer sehr dieken Muskelhaut versehen. Es ist eigentlich die eir- culare Schicht der Muskelwand, welche dem Pförtnertheile seine überwiegende Dicke verleiht. Die äusseren, längslau- fenden Muskelfasern liegen hier, beinahe wie am Kolon, zu Bändern angehäuft (Fig. 1,kk), einem an der vordern, einem an der hintern Seite. Diese Bänder sind jedoch nicht, wie beim Kolon, deutlich begrenzt, sondern nur dickere Ansamm- lungen von Muskelfaserbündeln, welche nach vorn und hinten dünner werden, um sich über den ganzen Umkreis auszu- breiten. Diese Aehnlichkeit mit den Taeniae Valsalvae beim Kolon, zuerst, wie es scheint, von Helvetius (Sur la digestion) wahrgenommen, rief die jetzt abgeschaffte Benennung Ligamenta pylori hervor. Auch Winslow (Exposition anatomique de la structure du corps humain) hat ihnen seine Aufmerksamkeit geschenkt. Er äussert nämlich über sie: „Le long du milieu de chaque face laterale de la petite extremite il y a une Bande tendineuse ou ligamenteuse large de trois ou quatre lignes, qui se ter- mine au pylore.“ (Tr. du Basventre, $. 61). Er meint jedoch, dass sie aussen auf der Muskelhaut liegen, und hat darin zum Theile Recht, wie ich weiterhin zu zeigen suchen werde. Wie am-Kolon ist auch hier der Pförtnertheil des Magens zusammengerunzelt; durch die Kürze und Stärke jener läugs- laufenden Muskelfasern bilden sich die eben erwähnten Auf- treibungen, welche an die Haustra beim Kolon erinnern. Wie am Kolon sieht man sehr oft zu den Seiten des Längs- bandes die eirculären Muskelfasern über die Auftreibungen in Bögen hinüberlaufen, welche unter den beiden Runzelstel- len dicht zusammengedrängt, aussen am Boden der Auftrei- bungen aber weiter getrennt sind, je nachdem die letzteren mehr oder weniger Ausdehnung haben. In vielen Fällen sieht man diese Stellen glänzend, wie eine glatte, sehnichte Aponeurose, welches auch mehrere Schriftsteller bemerkt haben. Ich habe mehrmals diesen glän- das Antrum Pylori beim Menschen und einigen Thieren. 79 zenden Theil untersucht und befunden, dass er, wie Wins- low angedeutet hat, aus einem dünnen, sehnichten Gewebe in der Peritonealhaut besteht, welche hier mit Fasern von elastischem Gefüge reich versehen ist. Diese sehnenartige Bildung, welche beim Menschen so unbedeutend entwickelt ist und nicht selten fehlt, erhält doch dadurch eine grössere Wichtigkeit, dass sie stark ausgebildet bei mehreren Thieren vorkommt. Im äussersten, gegen den Pförtner grenzenden Theile des Magens ist die Muskelhaut am allerdicksten; die längslaufen- den Muskelfasern bilden hier wieder eine dichte, den ganzen Theil gleichmässig bekleidende Schicht, sowie am unteren Theile des Mastdarms. Dieser kleine Theil des Magens zu- nächst am Pförtner macht gleichsam eine kleine Abtheilung für sich aus und ist nach meiner Erfahrung derjenige, wel- cher am wenigsten zu fehlen pflegt. Der Magen eines Weibes von mittleren Jahren, um die lange Form des Pförtnertheils beim Menschen zu zeigen. a Oesophagus — b Cardia — c Mitte des Magensackes — d die Strieturen am An- fange des Antrum pylori — e Antrum pylori — ff Pylorus — g Duodenum — h Antrum duodeni — ii Ansatzstelle des Omentum majus — k Ligamenta pylori. s0 Fr. Creplin: Prof A. Retzius Bemerkungen über In der langen Form (Fig. 2.) sieht diese Abtheilung des Magens wie ein Darm aus und wird bisweilen irrig für einen Theil des Duodenums gehalten. (In mehreren, mir zur Un- tersuchung übersendeten Mägen war sie weggeschnitten.) Sie kommt am meisten bei Weibern vor. Sie hat mehrentheils nur eine Auftreibung am Arcus minor (fd), dagegen aber zwei am A. major, deren hintere die durch eine deutlichere Strietur (d) vom übrigen Theile des Magens gesonderte grosse Krümmung ist. In der dritten oder konischen Form ist gewöhnlich die grosse Krümmung gleichsam näher an den Pförtner gerückt und die grössere Auftreibung im A. minor klein. Die übri- gen beiden, dem Pförtner zunächst liegenden Auftreibungen sind klein, besonders die im A. minor, und die kleine, dem Pförtner zunächst liegende Abtheilung mehr ausgezeichnet, als bei den vorigen Formen. Beim neugeborenen Kinde, dessen Magen mehr ge- rundet ist, habe ich diese Auftreibungen oder Strieturen nicht gesehen. Aber hier ist doch der dem Pförtner zunächst lie- gende Theil des Antrum zu einer kurzen cylindrischen Röhre von etwa 1 Centim. Länge mit dicken Wänden ausgebildet, deren Dicke vornehmlich von einem mächtigen Cirkelmuskel- Gürtel herrührt. Die Valvula pylori ist weniger ausgebildet, als gewöhnlich bei Erwachsenen, die Muskelwandung am dicksten an der dem A. major zugehörenden Theile. Was das Verhalten dieser Theile bei den Thieren betrifft, so bieten sie, wie wohl bekannt ist, eine grosse Mannigfal- tigkeit und grosses Interesse dar; viele ausgezeichnete Ana- tomen haben ihnen ihre Aufmerksamkeit geschenkt; aber es ist eben auch hier noch Vieles zu beobachten. Ich erlaube mir hier nur einige wenige Bemerkungen an- zuführen. das Antrum pylori beim Menschen und einigen Thieren. 81 Der Magen von Ursus arctos. kk. die starke Magensehne. Der Magen eines Bären (Ursus arctos), welchen ich im verwichenen Sommer zu untersuchen bekam, zeigte die oben angeführte Sehne sehr stark entwickelt (Fig. 3, kk). Die tiefe Strietur ist von diesen Sehnen so zusammengezogen, dass die beiden Seitenwände derselben fast an einander lie- gen und dass somit eine tiefe Grube gebildet wird. Die kleine dem Pförtner zunächst liegende Abtheilung ist ausgezeichnet und mit besonders dicken Wänden ausgerüstet. Beim Ueber- gange des Magens in. das Duodenum findet sich keine Val- vel, kein eigner Sphincter pylori; dagegen ist hier, eine kleine Strecke hinter dieser Stelle, die Muskelwand in einer Aus- dehnung von 3 Decimetern über 1!) Decimeter dick. Diese Dicke wird fast ganz und gar von circulären Muskelfasern gebildet, welche zu mehreren Schichten mit dicken Bindege- webscheiden verbunden sind. Ungeachtet dieser Dicke ist gerade hier, an der Innenseite des A. major, gleich innen vor der Stelle, an welcher sich der Magensack endigt, eine tiefe Grube, einem kleinen Teiche gleichend. Diese kleine Müller’s Archiv, 1857. 6 8 Fr. Creplin: Prof.. A. Retzius Bemerkungen über Grube, welche auswendig kaum bemerkt wird, ist hier an der Innenseite im A. major fast so gross wie eine Wallnuss und hat dünnere Muskelwände; um ihren Rand gehen Cirkel von Fleichfasern. Der vordere Rand dieser Grube kann als eine halbmondförmige Klappe bildend betrachtet werden, wel- che auf ihre Weise der Valvula pylori entsprechen dürfte. Die längslaufenden Muskelfasern, ‚welche aussen um die cir- culären gehen, machen nur eine dünne Schicht aus. — Die Drüsenhaut in dieser Gegend hat ausgezeichnet grosse, netz- förmige Gruben, deren Scheidewände in lange, schmale Zot- ten (Plicae villosae) auslaufen. Die Dicke derselben Drüsen- haut, welche für ungefähr der Tiefe der röhrenförmigen Drü- sen gleich erachtet werden kann, beträgt nahe 2 Millimeter. Die Drüsen selbst sind hier nach den Enden hin sehr ge- theilt; die blinden Enden sind kolbenförmig. Im übrigen Theile des Magensackes fehlen die Plicae villosae; die Röh- rendrüsen sind viel feiner, kürzer und in Bündel geordnet. — Der Uebergang in das Duodenum wird, wie eben erwähnt ward, durch keine Klappe oder Schliessmuskel bezeichnet, doch ist eine deutliche Grenze in der Drüsenhaut sichtbar, an welcher die netzförmigen Gruben aufhören. Aussen an dieser Grenze beginnen grosse Brunner’sche Drüsen, Lie- berkühn’sche Follikel und sehr kleine Zotten, welche dem unbewaffneten Auge kaum sichtbar sind. Anstatt einer Val- vula pylori und eines kurzen Sphincters fungirt hier unfehl- bar die mächtige Muskelschicht, gleichwie im Oesophagus, als Schliessapparat des Magensackes. Beim Hunde und bei der Katze besteht die Pförtner- Abtheilung aus einem sehr schmalen und langen Theile, wel- cher fast dem in Fig. 2. gleicht, aber eine tiefe Strietur und eine starke Biegung gegen den A. minor hin hat. Auch hier findet sich die kleine Grube gleich innen vor dem Pförtner; auch hier bildet deren vordererRand einen halbmondförmigen Wulst, welcher der Valvula pylori zu entsprechen scheint; eine andere solche giebt es nicht. Beim Hunde (nach Be- obachtungen von einem grossen Newfoundländer) existirt eine das Antrum pylori beim Menschen und einigen Thieren. 83 Stelle, etwas nach innen vom Pförtner, an welcher die eir- culäre Muskelschicht dicker und 1 Centim. breit ist. Beim Hunde kommen zwei ganz eben solche Sehnen über der tiefen Strietur im A. minor, zwischen dem Pförtnertheil und dem übrigen Magensacke vor; dieselbe Bildung findet sich vermuthlich auch bei mehreren anderen Raubthiergat- tungen. Beim Seehund ist das Antrum pylori besonders gross, merkwürdig und aufs Deutlichste bestimmt, aber sehr ein- fach. Die einzige von mir untersuchte Art ist Phoca an- nellata Nilss. Der Maegn von Phoca annellata N. a Oesophagus — b Cardia — c Corpus ventriculi — d grosse Krümmung des Magensackes — d* die der Krümmung entsprechende tiefe Strietur — f Uebergang des Magens in das Duodenum — ‘g Duodenum — k die Pförtner- höhlung mit dicken Muskelwänden. Der Magen ist hier durch eine constant engere Stelle zwi- schen der grossen Strietur und der grossen Krümmung deut- lich {in zwei Theile getheilt. Der grosse Theil des Blind- sackes tritt als ein kurzer, abgestutzter Kegel in den Oeso- phagus ein, dessen Längsfalten hier endigen (b). Der grosse Blindsack ist unbedeutend. Die Drüsenhaut bildet nur Quer-, keine Längsfalten. Diese Falten sind in der Pförtner-Ab- tbeilung sehr klein. Diese (Antrum pylori) hat dickere Mus- kelwände, als der übrige Theil. Die grosse Dicke rührt von 6* 84 Fr. Creplin: Prof. A. Retzius Bemerkungen über den Ringmuskelfasern her. Eine Valvula pylori ist nicht vorhanden; aber die Ringmuskelschicht ist vorzugsweise dick an der Stelle, an welcher diese Klappe sonst vorkommt. Im Uebergange des Magensacks in das Duodenum beiindet sich eine kleine Grube, wie beim Bären, dem Hunde und der Katze. Die vor dieser stehende Strictur ist das Einzige, was einer Valvula pylori entspricht. Ligamenta pylorica, wie beim Hunde und Bären, scheinen nicht vorzukommen. Die Längsfasern sind, wie es scheint, gleichmässig ausgebreitet; aber unter dem Peritoneum liegt eine glänzende Fascia, welche, wie bei der Katze, weit aus- gebreitet ist. Für diesen Pförtnertheil passt, wie für den mehrerer an- derer Raubthiere, Duvernoy’s Benennung, ,„Boyau pylo- rique“ ganz gut. Im vergangenen Winter, in welchem unsere Märkte reich- lich mit Hasen versehen waren, benutzte ich die Gelegenheit, den Magen dieser Thiere zu untersuchen und machte dabei einige, wie mich dünkt, bemerkenswerthe Beobachtungen hin- sichtlich des Pylorustheils. Der Magen von Lepus borealis. a Oesophagus — b Cardia — e Corpus Ventriculi — d eine schwache Zusammenziehung in A. minor — d* Zusammenziehung im A. major, welche die grosse Krümmung (Coude de l’estomac) vom übrigen Theile des A. major trennt — e Strietur im A. minor in der Grube der kleinen Pfört- nerhöhle — ff Pförtner — g der engere Theil des Duodenum — h der erweiterte Anfang des Duodenum — k Sehne des Magens, fast der bei den Vögeln u. dem Krokodile gleichend. das Antrum Pylori beim Menschen und einigen Thieren. 85 Die oben vom Bären beschriebene Sehne ist beim Hasen gerundet vierkantig, sehr deutlich, etwas an die Sehne im Vogelmagen erinnernd (k). Die grosse Krümmung des A. major (Coude de l’estomac) ist wenig vorspringend, nach bei- den Seiten hin begränzt. Die in den vorhergehenden Raub- thiermägen tiefe Strietur (d), welche ihr (der Krümmung) im A. major entspricht, ist wenig ausgezeichnet. Auch die darauf folgende (e), welche an die kleine Abtheilung zunächst dem Pförtner gränzt, ist auswendig wenig ausgezeichnet, springt aber in die Höhlung des Magens als eine Falte vor, deren beide Lamellen mit einander beinahe verwachsen sind. Diese Falte ist, mitten unter dem A. minor, 1 Cent. breit. Auch im A. major erscheint oft eine bedeutende Querfalte von Binde - und Schleimhaut in der Innenseite des Hasenmagens. Zwi- schen d und e im A. minor ist nur eine kleine Auftreibung; die zwischen e und dem Pförtner, f, ist dagegen sehr gross und fest. Die kleine Abtheilung des Antrum pylori, welche innerhalb dieser Auftreibung liegt, ist beim Hasen besonders ausgezeichnet. Wenn der Magen noch frisch ist, so hat diese kleine Abtheilung (ffe) eine eigene, von der im Uebrigen ver- schiedene, dunkelrothe Farbe, ist an allen Seiten gerundet und sehr dünnwandig. Die Drüsenhaut in diesem Theile hat ausserordentlich grosse Netzgruben und grobe Villositäten; — die Röhrendrüsen sind auch länger und gröber, als in der grossen Cavität des Magensacks. Auch hier ist es die eireuläre Muskelfaserschicht, welche dem Theile seine Gestalt und sein eignes Ansehen verleiht. Sie liegt hier wie ein Gürtel von etwa 2!/ Cent. Ausdehnung, von der Strietur bis zur Gränze des Duodenum, und in der Nähe des letztern hat sie beinahe 2 Millim. Dicke. Die aussen liegenden längslaufenden Mus- kelfasern umgeben die Röhre vollständig. Auch hier besteht die Valvula pylori nur aus einer halbmondförmigen Falte, welche an derselben Seite, wie der A. major, liegt. Es ist deutlich, dass dieser kleine musculöse Theil demselben zusam- mengezognen Theil entspricht, welcher bei den Raubthieren die kleine Pförtnerhöhle ausmacht. Dass er derjenige Theil des Magens ist, in welchem die Thätigkeit in der Verdauung 86 Fr. Creplin: Prof. A. Retzius Bemerkungen über gröberer, holzartiger vegetabilischer Theile am grössten ist, davon habe ich mehrere Male mich überzeugt , wenn ich eben getödtete Winter-Hasen öffnete, deren Magen voll von zer- kauten Zweigen war. R Beim Tümmler, Delphinus Phocaena, macht der Pförtner- theil den von Cuvier (Lec. d’Anat. comp., T. III, 1ste Ausg.) s. g. dritten Magen aus, wogegen der vierte Magen ein Theil des Zwölffingerdarms ist. Magen von Delphinus phocaena. aa Oesophagus — bbb erster Magen — cc Drüsenmagen -— dd Pylorus-Magen oder An- trum pylori — ee Duodenalsack oder Antrum duodeni — f Gal- lengangöffnung — ggg Längsfalten welche von der Gallengangöffnung ausgehen — h pylorus — i Röhrenförmige Verbindung zwischen dem Pylorusmagen und dem Drüsenmagen — k enge Oeffnung des ersten Magens in den Drüsenmagen. Dass die Valvula pylori eben so wie der Ringmuskel des Pförtners, so oft bei den Thieren fehlt, lässt sich nur dadurch erklären, dass der kleine äussere Theil des Antrum pylori eine so mächtige Schicht von Ringmuskelfasern besitzt, welche natürlich, wie im Rectum oder wie im Oesophagus, sich in dem einen Ringe nach dem andern, oder auch in einer länge- ren Ausdehnung, schliessen kann, je nachdem es die excito - motorische Thätigkeit erfordert. Auch vom Duodenum kann man sagen, dass es eine eigene Höhle habe, welche wahrscheinlich ihre eigene Verrichtung hat. Ich habe geglaubt, dass dieser Theil einen eigenen Namen das Antrum Pylori beim Menschen und einigen Thieren. 37 haben müsse, und ihn Antrum oder Atrium duodeni ge- nannt. Der Anfang dieses Darmtheils ist nämlich, sowohl beim Menschen, als auch bei einem grossen Theile der Säuge- thiere, oft besonders gerundet, ermangelt an der Innenseite der Valvulae conniventes, hat kleine Villi, grosse Brunner’sche und Lieberkühn’sche Drüsen. Beim Tümnler ist diese Höhle so eigenthümlich, dass sie, wie eben erwähnt, für eine Ab- theilung des Magens gehalten wurde. Ich schliesse für dies Mal diese Betrachtungen über das Antrum pylori mit der Bemerkung, dass dasselbe an den Mus- kelmagen der Vögel erinnert, welcher meiner Ueberzeugung nach nichts Anderes, als ein kunstvoll ausgebildetes Antrum pylori ist. Im Vorhergehenden ist bereits angedeutet, dass die hier bemeldeten Sehnen wahrscheinlich dieselbe Bildung seien, wie die bekannte Sehne am Magen der Vögel; dass diese Sehnenbildung bei den Krokodilen vorkommt, ist lange bekannt; dass sie auch am Magen des Silurus Glanis und wahrscheinlich bei mehreren Fischen Statt finde, habe ich bei einer andern Gelegenheit zu zeigen gesucht. (S. Förhandl. vid de Skand. Naturforskarnes 3dje möte, i Stockholm 1842, p- 695: „Om Magens byggnad hos slägtet Silurus” [deutsch in der Isis v. J. 1845, S. 455.]) -- Sie findet sich sonach in allen vier Ordnungen der Rückgrathsthiere, obzwar allgemein nur bei den Vögeln. 88 Theodor Billroth: Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. Von Dr. THEODOR BILLROTH. (Hierzu Taf. III.) Es ist zu verwundern, dass die vergleichende Histiologie der Milz nicht schon früher von Anatomen und Physiologen mit grösserer Energie angegriffen ist; man ist sich lange klar, dass dies Organ mit der Blutbildnng im innigsten Zusammenhange stehe, und es scheint nahe zu liegen, dass dieser Connex wahr- scheinlich bei niedern Wirbelthieren leichter aufzufinden ist, als grade beim Menschen, auf dessen Milz bis in die neueste Zeit sich die grössere Anzahl von Forschungen concentrirt hat. Seitdem es ferner unzweifelhaft geworden, dass speciell die Bildung oder der Untergang der rothen Blutkörperchen in der Milz Statt finde, durfte man mit den kühnsten Erwartungen an die Untersuchung der Milz der Frösche, Salamander und dergleichen Thiere mit grossen Blutkörperchen gehen. Wenngleich ich mir voraussagte, dass ich mit diesen Un- tersuchungen nie zu Ende kommen könnte, da dieselben bald zu einem Punkte gelangen mussten, wo nur der vergleichende Anatom von Fach und das Experiment weiter helfen konnten, so liess’ich mich dennoch durch das Interesse des Gegenstan- des hinreissen, diese Untersuchungen anzufangen, deren Resul- tate hoffentlich andere Forscher anregen mögen, dieselben weiter fortzuführen. Es waren besonders die Elemente der Milzpulpe, und von diesen wieder die spindelförmigen Zellen, welche meine Auf- merksamkeit fortwährend in Spannung hielten, und deren con- Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 89 stantes Vorkommen in allen von mir untersuchten Milzen für ihre wichtige Bedeutung sprach. Ich will zunächst die Re- sultate meiner Beobachtungen hinsetzen, indem sich daran die früheren Ansichten bequemer und kürzer anschliessen lassen. — Amphibien. Untersucht man die Milz von Fröschen und Salamandern frisch, so findet man wenig Erfreuliches: feine körnige Mole- kularmasse, weisse und rothe Blutkörperchen, Gefässe, zu- weilen feinste dünne Fasern netzartig verbunden; Essigsäure- zusatz macht auch diese Elemente völlig unklar. Legt man frische Froschmilzen in Lig. Ferri sesqui- chlorati (ein Reagens welches, so weit mir bekannt, zuerst von Führer für die Untersuchung der Milz empfohlen wurde) und verdünnt denselben so, dass die Flüssigkeit unge- fähr die Farbe von Madeira oder Malaga hat, so findet man das Präparat schon nach 1-2 Stunden zur Untersuchung ge- eignet; doch kann man dasselbe auch viele Tage in dem ge- nannten Reagens liegen lassen, sogar Monate lang darin con- serviren. Die Milz wird dunkelbraunroth und zeigt auf dem Durchschnitt eine Menge kleiner, grauer, unregelmässiger Stel- len: die weissen Milzkörper. Die Consistenz darf nicht zu fest sein, da das Gewebe sonst bröcklig wird, doch muss das Präparat fest genug sein, um feine Schnitte machen zu können. Man wird an solchen Milzen alle zelligen Elemente, besonders auch die Blutkörperchen wohl erhalten finden, nur etwas zu- sammengeschrumpft. Folgende Struktur ist jetzt leicht zu erkennen: die rothe Milzpulpe besteht aus einem feinen caver- nösen Netzwerk mit Maschen von 0,012 —- 0,016 Mm. Durch- messer (Fig. 1. A.); in diesen Maschen liegen vorwiegend rothe Blutkörperchen, die sich jedoch herausdrängen lassen, so dass man erkennt, dass die Fäden des Netzes theils sehr fein sind, theils etwas breit und flach, zuweilen wie feinste un- terbrochene Membranen. Die Knotenpunkte der Fasern sind ziemlich dick und enthalten gewöhnlich einen ovalen mit 2-4 und mehren Kernkörperchen gefüllten Kern; andere Knoten- punkte sind dünn, nur durch den Zusammenstoss der Fäden 9 Theodor Billroth: gebildet. Setzt man dem Präparate einen Tropfen sehr ver- dünnter Essigsäure zu, und wartet nun ab, bis die Blutkör- perchen aufquellen und ihre Farbe verlieren, so ist das Ge- webe so erweicht, dass es sich aus einander drücken lässt; hiebei trennen sich die Balken des Netzwerks und zwar so, dass die Knotenpunkte mit den Kernen jetzt als isolirte stern- förmige Zellen mit mehr oder weniger vielen und langen feinen Fortsätzen erscheinen und frei herumschwimmen (Fig. 1. B.). Was die schon mit freiem Auge als Milzbläschen erkann- ten graulichen Stellen betrifft, so sind dies unbegrenzte, un- regelmässig ästige den Arterien anliegende Parthieen, in wel- chen die rothen Blutkörperchen fehlen und durch weisse er- setzt sind; sie sind jedoch im Wesentlichen ebenso gebaut wie die rothe Pulpe; nur die Maschen des cavernösen Gewebes sind wenigstens um die Hälfte enger, die Kerne in den Kno- tenpunkten kleiner, die Fortsätze der isolirten Sternzellen kürzer. Diese Struktur kann nicht als ein Kunstprodukt angesehen werden, die feinen Fasern und Kerne der Knotenpunkte sind alle so exact in ihren Contouren, dass sie nicht durch Gerin- nung entstanden sein können. Man kann die geschilderten Verhältnisse noch auf eine an- dere Weise und viel schöner zur Anschauung bringen, nem- lich durch Injection mit heisser farbloser Leimlösung; dies fand ich zuerst zufällig bei misslungenen Injectionsversuchen mit der Gerlach’schen Injectionsmasse; der Farbstoff hatte sich in die Gewebe diffundirt und die Gefässe waren mit farb- losen Leimeylindern gefüllt. Von der Milz liessen sich leicht feine Schnitte machen, und die cavernöse Struktur der Pulpe, wie ich sie vorher schon kannte, trat aufs schönste hervor. Es ist mir nur einige Male gelungen, zuweilen von den Venen, zuweilen von den Arterien aus die Froschmilz auf diese Weise zu injieiren; beides hatte den gleichen Effekt; das cavernöse Netz hatte sich gefüllt und die Maschen waren um das Dop- pelte des Durchmessers, ‘welchen man an den Liq. Ferri - Prä- paraten erkennt, ausgedehnt. Das Netz der Milzbläschen war Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 91 dabei nicht nur nicht ausgedehnt, sondern stark comprimirt, mit Ausnahme der in ihnen verlaufenden Blutgefässe. Während die Milz beim Frosch stets eine runde Form hat, so ist die des Wassersalamander lang und platt; an den Lig. Ferri- Präparaten erkennt man auf Durchschnitten leicht die Milzbläschen theils als runde Körnchen, theils als unregelmässig geformte grauliche Masse, welche reichlich die Hälfte des Parenchyms einnimmt. Feine Abschnitte durch verdünnte Essigsäure etwas erweicht zeigen das cavernöse Netz der Milzpulpe mit eminenter Klarheit; die Maschen sind hier grösser als beim Frosch (Fig. 2. A.); sie haben einen mittleren Durchmesser von 0,02 - 0,025 Mm. Ich empfehle dies Objeet besonders denjenigen, welche sich von der Existenz dieses Netzwerks rasch überzeugen wollen. Die Kerne in den Knotenpunkten sind nicht so häufig wie in der Froschmilz, die durch Druck sich lösenden Sternzellen mit sehr langen Fortsätzen versehen (Fig. 2. B.). An einem leidlich gelungenen Injeetionspräparat sah ich die Maschen von 0,05—0,1 Mm. Die Milzbläschen haben auch hier keine Membran, wenngleich sie sich ziemlich scharf von der rothen Milzpulpe abgränzen; ihr Maschenwerk ist enger, doch übrigens ebenso wie das der übrigen Milz (Fig. 2. A. a.). Von besonderer Wichtigkeit war es nun, das Verhältniss der Gefässe, besonders der Blutcapillaren zu dem cavernösen Maschenwerk zu ermitteln; dass sie sich in dasselbe öffnen mussten, lag auf der Hand, da, wie oben bemerkt, einerseits die rothen Blutkörper überall zwischen dem Balkennetz liegen, und letzteres sich von den Blutgefässen aus injieiren lässt. Wir pretendirten daher zu sehen, wie und wo die Oeffnungen in den Capillaren liegen möchten. Dies ist uns nicht ganz nach Wunsch gelungen , wenngleich es keinem Zweifel unter- liegt, dass auch dies zu Tage kommen muss, wenn ein Meister der Injection die Sache noch einmal in die Hand nähme. Ich sah die Auflösung der Capillaren in das cavernöse Netz selten besser als ich es in Fig. 1. A. a. dargestellt habe. Man konnte den Gefässcanal noch einige Zeit lang verfolgen, bis er sich 9 Theodor Billroth: in dem Netzwerk verlor, ohne dass man den Rand der Capil- largefässmembran, das Ende des Gefässrohrs sehen konnte. Querschnitte mit Blutkörperchen strotzend gefüllter Ge- fässe sieht man an Lig. Ferri-Präparaten häufig, und erkennt daran mit Leichtigkeit, dass die feinen Balken des cavernösen Netzes mit der Gefässmembran unmittelbar im Zusammenhang stehen (Fig. 2. A. b.). Dass die Arterienenden in das cavernöse Netz ausmünden, die Venenanfänge aus demselben entspringen, scheint mir zweifellos. Weniger einfach ist die Sache mit der weissen Milzsub- stanz und ihrem Verhältniss zu den Lymphgefässen. Letztere glaubt man oft genug zu sehen, d. h. man sieht ziemlich dicke, mit farblosen Zellen gefüllte Canäle mit äusserst dün- ner, zuweilen kernhaltiger Membran; aus solchen bestehen nicht selten ganze Partien der weissen Substanz. Sieht man sich diese Cylinder genauer an, und sucht namentlich ihren Inhalt näher zu erforschen, so wird man gewahr, dass sie wiederum in ihrem Innern aus einem engmaschigen Fasernetz zusammengesetzt sind, und nicht selten in ihrer Achse ein Blutgefäss enthalten. Kurz es sind dies keine reinen Lymph- gefässe, sondern schlauchförmige Malpighische Körper. Diese bilden jedoch nicht allein die weisse Milzsubstanz, sondern es ist ausserdem noch eine nicht genau begrenzte weisse Milz- substanz vorhanden, deren Netzwerk uumittelbar in das der rothen Milzpulpe übergeht (Fig. 2. a.). Ich komme auf diese Verhältnisse, denen Leydig am nächsten auf der Spur war, noch wieder bei den Vogelmilzen zurück, und wiederhole hier nur, dass ich keine als gewöhnliche Lymphgefässe anzuerken- nende Gefässe mit Sicherheit nachzuweisen im Stande war. Ausserdem habe ich Milzen von verschiedenen Arten Eideehsen und Kröten, von der Natter und von einer Schildkröte untersucht. Diese stehen in Bezug auf die Darstellbarkeit des cavernösen Netzes der Milz von Fröschen und Salamandern ausserordentlich nach und schliessen sich in dieser Hinsicht mehr den Fischen an. Die frische Unter- Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 93 suchung giebt sehr negative Resultate; wir wenden uns daher gleich zu den Lig. Ferri-Präparaten. Die Milzen der Eidech- sen und der Natter, erstere länglich weiss graugelblich, letz- tere rund, enthalten fast ausschliesslich weisse Milzpulpe; trotzdem, wenn deutliche Gefässe zu erkennen, stellen sich diese immer als Blutgefässe dar; die Oberfläche zwar höckrig, die Schnittfläche fein körnig, doch aber die einzelnen Körn- chen nieht von einer Membran umgeben. Ein sehr enges feines Maschenwerk, noch feiner wie die der weissen Milzpulpe beim Salamander, ist ohne Schwierigkeit darstellbar, auch die ein- zelnen Sternzellen leicht isolirbar, doch aber das Ganze nur erst leichter verständlich, wenn man an oben beschriebenen Objeeten sich überzeugt hat. — Injectionspräparate habe ich leider nur von Fröschen und Salamandern machen können; es mangelte mir an Zeit bei jedesmal zugegangenem Material, so wie an den gehörigen Apparaten. Die Milz einer einheimischen Schildkröte war dick rund- lichoval, zeigte auf dem Durchschnitt eine Menge verschieden geformter weisser Körper, die weisse und rothe Milzpulpe un- ungefähr zu gleichen Theilen. Das Netzwerk schön ausge- bildet, in Bezug auf Durchmesser der Maschen zwischen Frosch und Eidechse; in Bezug auf das Verhältniss der weissen Milzsubstanz zu den Gefässen schienen noch beson- dere Verhältnisse obzuwalten, deren Ermittlung mir nicht ge- lungen ist; jedenfalls zu weiteren Untersuchungen zu empfehlen. Die Milz der Kröten enthält vorwiegend rothe Milzpulpe, ist aber meist so klein, dass sie wenig zu diesen Unter- suchungen geeignet ist; das cavernöse Netz habe ich nicht allein an Milzen ausgewachsener Thiere, sondern auch von Larven mit hintern Extremitäten sehr deutlich gesehen; es ist sehr eng. - Nur bis auf die besprochenen Strukturverhältnisse traue ich den künstlichen Präparaten ; die darauf sich gründenden physiologischen Hypothesen will ich am Schluss zusammen- fassen. Dass bis so weit die angewandte Methode nicht irre leitet, davon hoffe ich, wird sich jeder überzeugen, der es 94 Theodor Billroth: will; dass natürlich ein Präparat besser ausfällt wie das an- dere, dass man eine Uebung in den richtigen Mischungsver- hältnissen für verschieden grosse Milzen gewinnt, und nicht die ersten Objecte so ausfallen wie ich sie gezeichnet habe, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Fische. Die Milz des Karpfen, Schlei, Plötzen, Hecht habe ich wiederholt untersucht; sie zeigen weder in ihrem äusseren Verhalten noch in ihren feineren Strukturverhält- nissen sehr erhebliche Unterschiede, nur etwa dass die Milz beim Hecht eine mehr herzförmige Gestalt hat, während sich die der übrigen Fische mehr länglich, zuweilen gelappt (Karpfen) darstellt, und dass beim Karpfen und Schlei sich am häufigsten goldgelbe Pigmenthaufen, und Pigmentkörnchen in den Zellen finden. In keiner dieser Milzen fand ich eine Andeutung Malpighischer Körper mit freiem Auge sichtbar, wenngleich an den mikroskopischen Präparaten hie und da einzelne Stellen mit mehr weissen, andere mit ausschliesslich rothen Blutkörperchen sich vorfinden. Das Auffinden des cavernösen Netzes ist hier zuweilen recht schwierig, im Allgemeinen muss man die Präparate etwas mehr erhärten, dann sehr feine Schnitte machen und jeden Zusatz von Säure hier vermeiden, weil die feinen Fasern dadurch meistens schon zerstört werden ; ebenso ist hier durch Manipulationen nichts zu erreichen; dies kann recht müh- sam werden, man darf es nicht an Geduld fehlen lassen. Von den besten Bildern, welche ich erzielte, habe ich eins von der Plötzenmilz in Fig. 5 dargestellt. Man sieht das Netzwerk mit Kernen in den Knotenpunkten sehr deutlich, zwei Gefässe verlieren sich in demselben; die isolirbaren Zellen sind klein, sternförmig mit kurzen Fortsätzen (Fig. 5. a.) der Enge des Netzes entsprechend, dessen Maschen einen Durchmesser von 0,005 Mm. haben. Von dem Verhältniss der weissen Milzpulpe zu den Ge- fässen, wie es Leidig bei Fischen beschreibt, habe ich bei den genannten Flussfischen ‘nichts finden können, doch wie Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 95 schon erwähnt beim Frosch und Salamander, auch bei man- chen Vögeln, wie weiter unten zu besprechen ist. In den Milzbalken beim Schlei habe ich deutliche Muskel- faserzellen gesehen; isolirte Muskelfasern zeigen sich bei den Lig. Ferri-Präparaten häufig, wenn man dieselben etwas mit Säure unter dem Mikroskop manipulirt, doch stammen sie meist von den Gefässen. Im Ganzen ist mir die Untersuchung der genannten Fisch- milzen wenig lohnend erschienen. Vögel. Es sind unter den von mir untersuchten Vogelmilzen einige, welche eigenthümliche Verhältnisse darbieten, wie die Milz einiger Schnepfenarten, des Wasserhuhns und einer Ohreule. Im Allgemeinen zeichnen sich die Vogelmilzen dadurch aus, dass sie ausserordentlich deutliche rundlich ab- gegrenzte, dem freien Auge als deutliche weisse Körnchen erscheinende Milzkörperchen besitzen, und dass diese nicht selten vorwiegend die Substanz der Milz zusammensetzen. Die Milz des Wasserhuhns ist ganz und gar durch und durch weissgelblich, enthält wenige und enge Blutgefässe. Das mikroskopische Präparat fällt, so wie es etwas zertheilt ist, auf durch dunkle, rundlich ovale, auch höchst unregel- mässig biskuit-kleeblatt-förmig geformte Körper, welche in die übrige Milzsubstanz in Menge eingelagert sind, und mit Gefässen innig zusammenhängen. Erst nach längerer Mani- pulation durch Wegschwemmen der freien Zellen gelingt es diese Körper zu isoliren, selten jedoch so weit, dass man die Oberfläche der Körper frei sieht, meist hängt derselben eine Menge von Zellenmassen an (Fig. 3. a. b.). Der grösste Theil dieser Körper, besonders alle kleineren unregelmässig geformten, enthielt eine Menge feinster Fettkörnchen, wo- gegen andere grössere runde völlig frei von Fett waren (Fig. 3.c.); der Durchmesser der ersteren betrug 0,05—0,08 Mm., der letzteren 0,1—03 Mm. Anfangs glaubte ich, dass diese beiden Arten von Körper von einander zu trennen seien, doch fanden sich so viele Mittelstufen und so viel Gradationen 96 Theodor Billroth; des Fettgehalts, dass kein wesentlicher Unterschied zu sein scheint. Die feinere Struktur dieser Körper anlangend, so bestehen sie aus Membran und Inhalt; die Membran erscheint zuwei len völlig strukturlos, zuweilen aber sehr deutlich feinfasrig und kernhaltig (Fig.3. c.) Der Inhalt besteht aus kleinker- nigen, fein granulirten, runden und verästelten Zellen. Die Gefässe gehen zum grössten Theil durch diese Körper hin- durch, und verzweigen sich in denselben, so dass die Aeste aus den Körpern wieder hervortreten; man kann auch das Verhältniss so auffassen, dass die Körper um die Theilungs- stellen der Gefässe liegen; nur in seltenen Fällen liegt das Gefäss dem Körper an, immer aber so, dass die Kapsel des letzteren mit der Gefässhaut innig zusammenhängt (Fig. 3. c.). Was die Gefässe selbst betrifft, so war ich sehr geneigt, sie für Lymphgefässe oder auch wohl für solide Milzbalken zu halten, bis ich mich jedoch überzeugte dass es Blutgefässe sind, da ich in ihnen oft genug die rothen Blutkörperchen sah; — es reissen diese Gefässe übrigens sehr leicht an ihren Ein- und Austrittsstellen ab, so dass es zuweilen den An- schein gewinnt, als wenn sie sich an der Innenfläche der Kapsel inserirten (Fig. 4. a.).. — Inden Schnepfenmilzen finden sich dieselben Körper; die Milz enthält hier jedoch auch eine geringe Menge rother Milzpulpe. Die Körper sind im Allgemeinen grösser, und da sie nur selten eine geringe Menge Fettkörnchen enthielten, waren die Inhaltszellen hier meist deutlicher. Bei einer Ohreule, deren Milz gross, rund und fast schwarz war, mit unzähligen weissen eingestreuten runden Körperchen, fanden sich dieselben zusammengesetzten Kapseln, doch noch viel grösser als bei den vorigen Thieren, zuweilen bis 0,5 Mm. im Durchmesser (Fig. 4. a... Die rothe oder hier schwarze Milzpulpe enthielt eine enorme Menge schwar- zes Pigment. In den überwiegend meisten Fällen erschienen die ge- nannten Kapseln unzweifelhaft geschlossen; sie begleiteten zu- weilen das Gefäss eine kurze Strecke röhrenförmig (Fig.4.a.x.) Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 97 und setzten sich dann nicht selten sofort in eine daranlie- gende Kapsel fort. War die Umhüllungsmembran an einer Stelle geplatzt, so liess sich der Inhalt wenngleich schwierig herausdrücken, und dieser bestand aus denselben Elementen, wie der übrige Theil der Milz, die rothe oder weisse Milz- pulpe; in welchem näheren Verhältniss das durchtretende Blutgefäss zu den Elementen des Inhalts stand, konnte ich nicht herausbringen. Die Milzpulpe bestand aus denselben Elementen, wie bei andern von mir untersuchten Vogelmilzen. Bei der Taube ist die Milz hellroth länglich, die weisse Substanz überwiegend; bei der Krähe und Elster langge- streckt gross, mit dunkelrother Pulpe und vielen weissen Körperchen, ähnlich beim Kibitz; bei verschiedenen Finken- und Meisen-Arten klein, länglich, stets mit ausgezeichnet deutlichen weissen Körperchen ungefähr zu gleicher Masse mit der rothen Substanz. Was nun die Milzsubstanz der letztgenannten Vögel, so wie die der ersteren ausser den beschriebenen Kapseln be- trifft, so war an ihr mikroskopisch kein erheblicher Unter- schied rother und weisser Pulpe aufzufinden; die ganze Masse bestand aus einem sehr feinen und sehr engen Netzwerk, das wieder durch isolirbare sternförmige Zellen zusammengesetzt war (Fig. 4. b), am meisten ähnlich dem gleichen Gewebe bei den Fischen, doch die Gefässe kaum so deutlich heraus- zufinden. Das schwarze Pigment in der Eulenmilz lag theils in den Sternzellen, theils in isolirten, schwarzen, unförm- lichen Klumpen; ob dies normal oder pathologisch ist, weiss ich nicht zu sagen, da ich nur ein Exemplar zu untersuchen Gelegenheit hatte. Kommen wir jetzt auf die Bedeutung der oben beschrie- benen Kapseln um die Gefässe zurück, welche wir in der Milz der Eule, des Wasserhuhns und der Schnepfe fanden, so lag bei dem ersten Auffinden dieser Organe nahe, dass sie als kleinste Malpighi’sche Bläschen aufzufassen seien; weun dies auch zum Theil richtig sein möchte, so entsprechen sie doch nicht völlig den genannten Organen bei den Säuge- thieren, da diese dort allein die weisse Milzsubstanz bilden, Müller's Archiv, 1857. 7 98 Theodor Billroth: während bei den Vögeln ausserdem noch eine grössere Menge davon vorhanden ist, und jedenfalls nur ein Complex dieser Kapseln ein mit freien Augen sichtbares Milzkörperchen dar- stellt; sie sind also nur als Theile der weissen Milzsubstanz zu betrachten. Dass sie um die Blutgefässe fest angeschlos- sen sind, und weder in sie hinein, noch aus ihnen heraus Lymphgefässe treten, lässt sich bei ihrer relativen Kleinheit leicht übersehen. Ihr Inneres scheint, den herausdrückbaren Sternzellen nach zu schliessen, ebenso construirt zu sein, wie die übrige Milzpulpe. Wie sollen nun die in ihnen lie- genden weissen Blutkörperchen in den Kreislauf gelangen? Dass man die Kapseln einfach platzen lässt, wenn sie voll sind, scheint mir doch eine fast zu grob mechanische An- schauung; möglich wäre es, dass das durchtretende Blutge- fäss Oeffnungen im Innern der Kapseln besitzt, durch welche die eventuell neu gebildeten Körperchen aus dem Follikel di- rect in den Blutkreislauf gelangen; dies ist nur eine Hypo- ihese; ich habe Nichts gesehen, was diese Annahme noth- wendig machte, und sehe mit Freuden einer besseren: Auf- klärung entgegen. Dass die weisse Milzsubstanz der Frösche und Salaman- der, welche die Blutgefässe scheidenartig umgiebt, in diesen Kapseln ihr nächstes Analogon habe, scheint nahe zu lie- gen, vielleicht ist dort bei fortgesetzten Untersuchungen dem Verhältniss der Gefässe zu deren Umhüllungscylinder näher zu kommen. Der starke Fettgehalt der genannten Kapseln beim Was- serhuhn ist möglicherweise pathologisch, wenngleich ich ihn in zwei Individuen in gleicher Weise vorfand. Muskelfasern in den Milzbalken habe ich bei keinem der untersuchten Vögel mit Sicherheit darstellen können. Säugethiere. Nach den mitgetheilten Untersuchungen ging ich von Neuem mit grosser Hoffnung an die Milz der Säugethiere und besonders des Menschen. Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 99 Untersucht habe ich Milzen vom Maulwurf, von der ‘Maus, Ratte, Fledermaus, vom Fuchs, Kaninchen, von der Katze, vom Menschen, alle zuerst frisch, dann an erhärteten Präparaten. Alle diese Milzen zeigten deut- ‚liche Malpighische Bläschen, theils mit unzweifelhafter Kapsel rund oder oval, theils ohne Kapsel als ästige weisse Stellen, um Theilungen der Gefässe abgelagerte weisse Milzpulpe; dies scheint mir auch beim Menschen vorzukommen; an menschlichen Milzen, wo die weissen Körper recht entwickelt sind, besonders bei solchen Individuen, die durch carcinöse Kachexie zu Grunde gegangen sind, habe ich die weisse Substanz sehr häufig in Form verästelter Figuren verbreitet gesehen, ausserdem aber auch runde Körper, letztere mit deutlicher , erstere mit höchst zweifelhafter Membran. Allen diesen Milzen waren im Gegensatz zu denjenigen der übrigen Wirbelthiere die deutlichen Spindelzellen eigen, welche beim Menschen so lange schon bekannt sind und sich gefallen lassen mussten, bald diesem bald jenem Gewebe zu- geordnet zu werden. — Nach den vorstehenden Mittheilungen ist man leicht geneigt, diese den sternförmigen Zellen bei den übrigen Wirbelthieren gleichzusetzen, und man würde nun ein Netz erwarten, welches aus jenen Spindelzellen zu- sammengesetzt ist, und damit würden wir dann mit den fakti- schen Beobachtungs-Resultaten übereinstimmen, welche Füh- rer durch seine Untersuchungen an normalen und patholo- gischen menschlichen Milzen gewonnen hat. Was a priori dagegenspricht ist, dass bei der Grösse der betreffenden Zellen das Maschenwerk sehr weit sein müsste, und aus den vorstehenden Untersuchungen schon zu übersehen ist, dass die Weite dieses Maschenwerks im Allgemeinen dem Durch- messer der betreffenden Blutkörperchen adäquat ist. Folgendes habe ich an einigen menschlichen Milzen, die mir im Ganzen noch am geeignetsten erscheinen, gesehen. Die rothe Milzpulpe besteht aus einem Netzwerk feiner, blasser, sehr leicht zerstörbarer Fasern, die Maschen sind je nach dem Blutreichthum der Milz sehr verschieden gross im Durchschnitt von 0,01— 0,009 Mm., also wenig grösser als 7% 100 Theodor Billroth: ‘bei den Fischen. In den Knotenpunkten dieses Netzes sind sehr wenig Kerne enthalten (Fig. 6.); die stärkeren Balken werden durch die zuweilen leicht isolirbaren Spindelzellen mit dicken seitlich angehefteten oder in der Mitte liegenden Zellkörpern gebildet (Fig. 6.), diese Zellen setzen die mikros- kopisch diekeren Balken des Netzes zusammen, und liegen hier meist dicht aneinander; sie bilden also nicht unmittelbar das feinste Maschenwerk der Milz, sondern dienen mehr als solidere Stützen desselben. Führer’s Abbildungen halte ich für richtig, doch die körnige Zwischensubstanz, welche er abbildet, ist das zerfallene Netz feinster Fasern, welches den gleichen cavernösen Netzen bei den übrigen Thieren ent- spricht. Die Darstellung dieser Verhältnisse hat mir viel Mühe ge- macht, und ich bilde mir daher ein, dass sie schwer ist, Für dieses feinste Netzwerk ist nämlich die Methode noch nicht vollkommen genug, es wäre eine bessere sehr wünschens- werth, Weiche Milzen, in denen die Spindelzellen sich leicht isoliren, eignen sich eben deshalb schlecht. Die Abbildung ist nach einem Präparat von der ziemlich derben Milz eines dreijährigen atrophischen Kindes genommen. Die Präparate müssen ziemlich derb sein, die Schnitte so fein wie irgend möglich; einen unermüdlichen Messerschleifer muss man stets zur Hand haben, da die erste Schärfe der Messer bei diesen Präparaten in sehr kurzer Zeit verloren geht. — Sieht man zwischen den Spindelzellen viel körnige Substanz, so ist das Präparat ungeeignet. Zusatz von Säure und Druck verdirbt hier Alles; sieht man die erwähnte Struktur nicht sofort bei einfacher Anfeuchtung des Objects mit Wasser, so ist gleich ein neues Präparat zu machen. Das kann sehr langweilig werden, bis endlich eine glückliche Stunde kommt, wo alle Präparate gelingen. — Sieht man an solchen Präparaten die etwa isolirten Spin- delzellen genau mit guten Mikroskopen an, so wird man finden, dass die Kräuselung der Zellfortsätze, die immerhin sehr häufig ist, zuweilen nur eine scheinbare ist; nicht selten sind es kurze Fortsätze, wo die feinsten Fasern abgerissen Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 101 sind (Fig. 7.); sehr selten sieht man Zellen wit mehr Fort- sätzen; es muss eine Methode gefunden werden, wo man diese Zellen auch als Sternzellen darstellen kann, wie bei den andern Wirbelthieren. Ueber den letzten Uebergang der Gefässe bleibt man im Unklaren; vielleicht kann auch hier Injection mit farbloser Leimlösung helfen bei geeigneten Milzen. Die weisse Milzsubstanz ist im Wesentlichen ebenso con- struirt wie die rothe, und die Struktur hier wie in den Lymph- drüsen leichter zu erkennen; die Spindelzellen scheinen mir hier entschieden seltner zu sein, die Maschen grösser; letz- teres kann zufällig sein, die Durchmesser der Maschen schwanken auch hier je nach Inhaltsmasse. Ueber das Ver- hältniss der Lymphgefässe habe ich keine neue Thatsachen beizubringen. Resume. Entwicklung der rothen Blutkörper, Hypothesen. Fassen wir das Gesammtresultat vorstehender Untersuchun- gen zusammen, so glauben wir durch dieselben nachgewiesen zu haben, dass das Parenchym der Milz aus einem feinen cavernösen Netzwerk besteht, in welches wahrscheinlich die Arterien schliesslich frei ausmünden, aus welchem die Venen entspringen; dies ist deshalb wahrscheinlich, weil man die Blutkörperchen zwischen diesem Netz vorfindet, und weil dasselbe von Venen und Arterien aus injicirbar ist. Ein gleiches feines cavernöses Netz besteht in der weissen Milzsubstanz, welche bei den höheren Wirbelthieren, beson- ders den Säugethieren in den meisten Fällen von einer nach- weisbaren Kapsel umgeben ist. Bei den Vögeln stehen diese Kapseln nicht mit Lymphgefässen in Verbindung. Bei den Amphibien ist die weisse Milzsubstanz nicht scharf von der rothen abgegränzt; auch bei manchen Fischen ist dies nicht der Fall (Leydig). — In Betreff der älteren Litteratur ist Kölliker’s histiolo- gische Bibel nachzusehen; ich berühre hier nur die neusten veröffentlichten Ansichten, 102 00 Theodor Billroth: Bleiben wir: bei den rein anatomischen Daten, die nicht streng genug von den physiologischen Deutungen zu trennen sind, stehen, so bestätigen dieselben in einiger Hinsicht die Beobachtungen Führer’s (Arch. f. ph. Heilk. 1854. p. 149.), andrerseits das Postulat Kölliker’s ( Gewebelehre 1855. p. 473): „Sollte die Darstellung, die ich vom Gefässsysteme gegeben habe, sich nicht als zutreffend erweisen, was ich jedoch nicht glaube, so bliebe nichts anderes übrig als an- zunehmen, dass in der Milz Capillaren und Venen- anfänge nicht direct zusammenhängen, sondern frei in der Pulpa ausgehen und dass: das Blut ohne bestimmte Bahnen ebenso durch diese sich be- wegt, wie der Chylus nach den neuesten Erfah- rungen durch die mit Zellen und Capillaren ge- füllten Alveolen der Lymphdrüsen.* Auf eine ähn- liche anatomische Anschauung scheinen auch die Ansichten von Hlasek (Disquisit. de struct. lienis. Dorp. 1852.) hin- auszuzielen, dessen Originalarbeit mir leider nicht zu Gebote stand. Ob aber wirklich in der Milz des Menschen und vieler Thiere gar keine Venenräume existiren (Kölliker 1. c. p. 474) und der Zusammenhang von Venen und Arterien in 'ge- wöhnlicher Weise sich macht, scheint mir nicht so zweifel- sohne, doch gebe ich zu, dass derselbe neben dem .caver- nösen Netz möglicherweise noch möglich sein möchte. Die Ansichten von Gray auch die von Förster stehen dem Resultate meiner Beobachtungen schon sehr nahe, Die spindelförmigen und sternförmigen Zellen, welche wir als Elemente des cavernösen Netzes nachgewiesen haben, haben bisher besonders dreierlei Deutung gefunden; die Sache lässt sich so einrichten, dass jeder mit seiner Ansicht Recht behält. Einige haben sie für organische Muskelfasern ge- halten: diese können das cavernöse Netz also als Fort- setzung der Muskelfaserhaut betrachten. — Andere nennen sie Gefässepithelien; sie mögen dasselbe als Fortsetzung der innern Gefässhaut ansehen. — Führer nennt sie Capillar- zellen, weil er sie für Elemente des Capillargefässsystems hält; auch das mag sein; die Sache bleibt dieselbe. — Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz, 103 Dass das eavernöse Netz Contractilität besitzt, ist nicht erwiesen (wenigstens nur bei sehr wenigen Thieren); dass seine Fasern sehr elastisch sind, geht aus den verschiedenen Durchmessern bei verschiedenen Individuen gleicher Art, so wie aus der Ausdehnbarkeit durch Injection hervor. Auf diese Elastieität wäre dann auch die rasche Volumenszunahme der Milz in pathologischen Fällen zu beziehen, dann eben nur durch stärkere Blutanhäufung (wie die Erection des Penis) bedingt. Dass in der rothen Milzpulpe die rothen Blutkörperchen gebildet werden, wie die Lymphkörper in der Alveolarsub- stanz der Lymphdrüsen, dürfte.in dem Nachweis der glei- chen Strukturverhältnisse eine neue Stütze gefunden haben, doch eine schwache, weil hier bei dem Verfolg von Zellen- entwicklungsstadien künstliche Präparate völlig zu verwer- fen sind; man verfährt in dieser Beziehung nicht sorgfältig genug; um einen neuen Beweis zu liefern, wie man sich bei solchen Präparaten täuschen kann, will ich hier einer Beobach- tung episodisch erwähnen, die ich in Betreff der Blutkörper- chentheilung gemacht habe. In meiner Abhandlung: Unter- suchungen über die Entwicklung der Blutgefässe 1856. p. 7. habe ich erwähnt, dass ich eine Theilung der bereits im Kreislauf befindlichen Blutkörperchen nie mit Sicherheit habe nachweisen können, trotzdem dieselbe von Remak gesehen und von Kölliker bestätigt ist; ich glaubte mit Reichert, dass hier die Täuschung durch die Neigung der Blutkörper- chen zusammenzukleben, entstanden sei. Herr Dr. Remak hatte die Güte mir mitzutheilen, dass er noch neuerdings diese Theilungsformen aufs Evidenteste an Natterembryonen gesehen habe, die er seit langer Zeit in chromsaurem Kali vortrefflich conservire. Ich konnte seine Ansicht über den Werth einer solchen Beobachtung nicht theilen, wenngleich ich jetzt zugeben muss, dass die Täuschung nicht durch das Zusammenkleben entstanden ist. Durch einen glücklichen Zufall erhielt ich ein Weibchen eines gefleckten Landsala- manders, Welches viele ungefähr 4 Mm. lange Embryonen 104 Theodor Billroth bei sich trug. Die Blutkörperchen enthielten zum grossen Theil noch Dotterkügelchen, wenngleich sie bereits schon gelblich gefärbt waren; andere waren jedoch vollständig aus- gebildet. Nachdem ich einen Tropfen höchst verdünnter Essigsäure zugesetzt hatte, wie es Remak zur Darstellung der Kerne empfiehlt, und nach einiger Zeit das Object wieder ansah, fand ich die schönsten Theilungsformen vor, wie sie in Fig. 8 dargestellt sind. Ich war höchst überrascht durch diesen Befund und glaubte schon sehr voreilig einem Beob- achter wie Remak entgegen getreten zu sein, bis ich bei Wiederholung dieser Untersuchungen aus den runden Formen auf Einwirkung des Reagens vor meinen Augen die genann- ten Theilungsformen entstehen sah; ich machte den gleichen Versuch mit chromsaurem Kali und erzielte denselben Er- folg; die Täuschung liegt hier also nicht am Zusammen- kleben, sondern am Reagens; ich kann mir nun auch erklä- ren, dass Herr Dr. Remak eine Theilung einer Blutzelle in 4 Zellen gesehen hat, wie ich es aus mündlicher Mitthei- lung erfahren habe. Die Veränderung der Blutkörperchen auf genannte Reagentien geht so vor sich, dass die Dotter- kügelchen sich mehr auf einen oder zwei Punkte concentriren und der übrige Theil des Blutkörperchens sich unregelmässig aufbläht. In andrer Hinsicht waren mir die genannten Embryonen noch lehrreich; es fanden sich nemlich in dem Blute ausser- ordentlich verschieden geformte und verschieden grosse Blut- körperchen vor; ein Theil war völlig rund, mit einem runden Kern, welcher das ganze Blutkörperchen fast ausfüllte, übri- gens völlig homogen gelb ohne Dotterkügelchen; von diesen bis zu den ovalen ausgebildeten Körperchen verschiedene Ent- wicklungsstufen, indem der Kern sich verkleinerte, das Blut- körperchen oval wurde (Fig. 9). Dies bestärkte mich noch mehr in der von mir vertretenen Ansicht, dass die rothen Blutkörper im Embryo gleich als solche gebildet werden, nicht aus farblosen hervorgehen, wie dies auch von sehr vielen Forschern seit längerer Zeit behauptet ist. Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 105 Dies ist eine Cardinalfrage für die Blutkörperchenbildung in der Milz, die, wenn sie dort vor sich geht, wahrscheinlich auf dieselbe Weise auftritt, wie im Embryo. Dies angenommen, würden wir für die Bildung der Blutkörperchen die weisse Milzsubstanz vollständig ausschliessen und letztere dem Lymph- gefässsystem allein zuweisen können. — Für die Bildung der rothen Blutkörper in der Milz ist bisher wenig Positives an- zuführen. Wenn bei Thieren mit ovalen Blutkörperchen, diese anfangs rund und mit grossem Kern auftreten, so würde dadurch die Untersuchung noch erschwert, da dann die Un- terscheidung von den Lymphkörpern misslich werden kann. Ich glaube an Injectionspräparaten öfter rothe Blutkörper in den Zellen des cavernösen Netzwerks gesehen zu haben; an Lig. Ferri-Präparaten kommt dies auch vor sowohl in den Sternzellen, als in den Spindelzellen (Fig.1.B.b. 2. B.b.); in Milzen von Hühnerembryonen vom 18 —20sten Tage sah ich an frischen Präparaten mehre Mal verästelte Zellen, deren Körper sich beim Schwimmen als geplatzte Hülsen darstell- ten, wo etwa das Blutkörperchen herausgefallen sein könnte; das Pigment in den Sternzellen des cavernösen Netzes möchte ich für nicht befreite und am Ort der Entstehung entartete Blutkörperchen halten. — Dies Alles kann und soll nichts Positives beweisen, wenngleich ich nicht läugnen will, dass es mir die moralische Ueberzeugung gegeben hat, dass aus dem cavernösen Netz als feinstem Gefässnetz die Blutkör- perchen hervorgehen, vielleicht durch Sprossenbildung. Nur neue Untersuchungen durch alle Thierklassen, und Experi- mente können hier zum Ziele führen; die vergleichende Histiologie hat die grösste Zukunft, sie wird hoffentlich in dieser Hinsicht mehr zu Tage fördern, als die Blutkörper- chenzählungen und anderes modernes mathematisches Ge- bahren. — Wenn normaler Weise die rothen Blutkörperchen in der rothen Milzpulpe gebildet werden, wo entstehen sie, wenn die Milz extirpirt wird? Nach Führer in den Abdominal- lymphdrüsen; diese Versuche sind gewiss zunächst wieder aufzunehmen; zugleich aber auch bei niedern Thieren, wie 106 Theodor Billroth: von Moleschott bei Fröschen weiter zu verfolgen, wo keine Lymphdrüsen bekannt; ob dort andere Blutdrüsen vika- riiren uud in welcher Weise? Moleschott’s Schlussfolge- rungen sind so vielfach und von so gewichtigen Seiten ange- griffen, dass ohne neue Untersuchungen kein Urtheil möglich. In Betreff der weissen Milzsubstanz ist es zweifel- haft, ob die umkapselten Körper von den nicht streng be- grenzten Theilen zu trennen sind; vorläufig liegt kein Grund dazu vor. Bei völlig analoger Struktur und Inhalt dieser Organe und der Alveolarsubstanz der Lymphdrüsen, scheint es zweifellos, dass auch in diesem Theil der Milz Lymph- körperchen gebildet werden. In einigen Vogelmilzen habe ich mit Bestimmtheit, wie erwähnt, geschlossene Follikel gesehen, die nur Blutgefässe durchtreten lassen, nicht mit Lymphgefässen in Verbindung stehen, und die Hypothese aufgestellt, dass die Elemente, aus diesen Follikeln durch Mündung der Gefässe innerhalb der Kapseln direct in den Kreislauf gelangen mögen; dann wäre die Nothwendigkeit eines Lymphgefässsystems nicht einzusehen; vielleicht fehlt ein solches bei vielen niedern Wirbelthieren und die s. g. Lymphgefässe, welche die Blutgefässe umgeben, sind mög- licherweise keine einfachen Gefässe, sondern röhrenförmige Lymphdrüsensubstanz. Wie bei den niedersten Thieren ohne Darmkanal Blut und Nahrungsflüssigkeit gleichzusetzen ist, so wird wahrscheinlich in aufsteigender Reihe die Ausbildung des Blutgefässsystems allmählig complicirter werden, je nach Bedürfniss und Construction des Gesammtorganismus, bis endlich bei den höheren Wirbelthieren zweierlei Gefässsysteme nothwendig werden wegen immer complieirterer Nahrung, wobei aus letzterer erst gewisse Stoffe extrahirt werden müs- sen, diese als solche auch nicht brauchbar sind, sondern erst als Chylus, dann als Lymphe verwandt werden können. Es würden danach auch erhebliche Unterschiede in dem Bau der Milz, besonders dem Verhältniss weisser und rother Pulpe zu Blut- und Lymphgefässen zu erwarten sein. Hiermit muss das Auftreten und der allmählig complieirtere Bau der ‘ Beiträge zur vergleichenden Histiologie der Milz. 107 Excretionsdrüsen, besonders der Niere, wahrscheinlich auch der Leber, in abhängigem und innigstem Zusammenhange stehen; in dieser Hinsicht sind demnächst auch chemische Untersuchungen durch die gesammte Thierreihe erforderlich. Auch die pathologische Histiologie und Chemie muss hier weiter eingreifen, besonders sind Untersuchungen der Abdo- minallymphdrüsen bei Milzkrankheiten,, zumal bei vermutheter Insufficienz der Milzthätigkeit aufzunehmen; demnächst ge- naue Harnanalysen bei Milzkrankheiten und Beachtung der Leberfunktion. Ich veröffentliche diese Untersuchungen, wohl wissend, dass sie sehr unvollständig sind, doch in der Hoffnung, die Mussestunden, welche mir bei meiner praktisch chirurgischen Thätigkeit bleiben, nicht ohne Nutzen auf den besprochenen Gegenstand verwandt zu haben, Berlin, im August 1856. Wie ich aus neueren Versuchen ersehe, ist für die Milz der Säugethiere die langsame Erhärtung in dünner Chrom- säure, und die Aufklärung der feinen Schnitte durch Gly- cerin besser als die oben erwähnte Untersuchungsmethode. Berlin, im December 1856. Erklärung der Abbildungen. Vergrösserung ungefähr 500. Fig. 1. A. Cavernöses Netz aus der Froschmilz durch Injection dargestellt. — DB. Sternförmige Zellen dieses Netzes isolirt. — Fig.2. A. Cavernöses Netz aus der Salamandermilz. Lig. Ferri-Präparat. — B. Sternförmige Zellen dieses Netzes isolirt. Fig.3. a. b. c. Kapseln aus der Milz eines Wasserhuhns mit durchtretenden Blutgefässen. Lig. Ferri-Präparat mit nachträglichem Zusatz von verdünnter Essigsäure. Fig. 4. a. Zusammengesetzte Kapsel aus der weissen Milzsubstanz einer Ohreule. b. cavernöses Netz aus derselben Milz. Präparat wie 3. Fig. 5. Cavernöses Netz aus der Milz des Plötzen, Lig. Ferri Präparat, 108 TheodorBillroth: Beiträge z. vergleichenden Histiologie etc. Fig. 6. Cavernöses Netz aus der rothen Milzpulpe eines Kindes. Lig. Ferri-Präparat. Fig. 7. Isolirte Spindelzellen aus einer sehr weichen menschlichen Milz. Lig. Ferri-Präparat. Fig. 8. Blutkörperchen aus Salamanderembryonen nach Zusatz ver- dünnter Essigs., Theilungsformen simulirend. Fig. 9. Verschiedene Entwicklungsstufen der Blutkörperchen aus denselben Embryonen ohne Zusatz. — Edouard Claparede: Anatomie u. Entwicklungsgeschichte ete. 109 Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis von EDOUARD ÜLAPAREDE aus Genf. (Hierzu Taf. IV — VID.) A. Anatomischer Theil. Seit Cuvier seine klassischen Untersuchungen herausge- geben hatte, haben sich mit Ausnahme von Quoy und Gai- mard, Souleyet, Leydig nur Wenige an die Anatomie der Otenobranchier gemacht. Manche Gattungen unter diesen Mollusken wurden sogar ohne triftigen Grund hin und her geworfen, um bald zu den ächten Otenobranchiern, bald zu den Scutibranchiern gezogen zu werden. Dieses betrifft na- mentlich die Gattungen Turbo, Trochus, Dauphinula, Pha- sianella, Rotella, welche nach Quoy und Gaimard's Angaben!) nicht getrennten Geschlechtes wie die genui- nen Ctenobranchier, sondern Zwitter sein sollen, eine An- gabe jedoch, welche auf keiner zuverlässigen Beobachtung zu fussen scheint, da diese Anatomen keine frischen Thiere, sondern bloss einige auf ihrer Weltumsegelung gesammelte Spiritusexemplare untersuchten. Man fühlt sich daher um so geneigter, einen von Quoy und Gaimard in der Deu- tung der inneren Organe begangenen Irrthum zu vermuthen, als sie bei jedem Individuum weibliche Geschlechtstheile er- 1) Voyage de la Corvette l’Astrolabe. Zoologie par Quoy et Gaimard. Tome III. 110 | Edouard Claparede: kannten, bei keinem einzigen aber selbst die geringsten Spu- ren eines männlichen Apparates entdecken konnten, eine Be- obachtung, in Folge deren sie annahmen, dass genannte Gattungen, welche übrigens im Bau des Herzens eine ge- wisse Aehnlichkeit mit den Haliotiden, Fissurellen, Emargi- nulen u. s. w. darzubieten scheinen, den Scutibranchiaten an- zureihen seien; welche bekanntlich von Cuvier für Zwitter erklärt wurden'!). Seitdem wir aber durch die genauen und auf mikroskopischer Prüfung der Organe gestützten Unter- suchungen verschiedener Anatomen, wie Rud. Wagner, Erdl, Milne Edwards, Lebert, Robin, erfahren haben, dass Cuvier’s Angaben in Bezug auf die Geschlechter der Scutibranchiaten dadurch irrthümlich geworden sind, dass Cuvier sich mit einer makroskopischen Untersuchungsweise begnügte und selten andere Vergrösserungsgläser als eine gewöhnliche Lupe zu Hülfe nahm, so stehen die Turbo, Trochus, Dauphinula, und verwandten Gaitungen verein- zelt da, und die Vermuthung dürfte wohl auftauchen, dass die von Quoy und Gaimard als weibliche Geschlechts- theile gedeuteten Organe, sich bei der mikroskopischen Prü- fung, des Inhaltes als wirklicher, weiblicher Apparat bei ge- wissen Individuen, und als männliche Werkzeuge bei den anderen möchten erkennen lassen. Diese Vermuthung liegt um so näher, als Cuvier zwei unter den genannten Gat- tungen selbst untersuchte und geschlechtliche Unterschiede bei denselben wahrgenommen zu haben scheint. Er hat zwar die Weibchen allein beschrieben, erwähnt indessen auch die Männchen, und übrigens ist es nicht zulässig, anzunehmen, dass ein so genauer und gewissenhafter Beobachter wie Cu- vier den wichtigen Umstand hätte verschweigen können, dass er kein einziges Mal bei seinen Untersuchungen auf ein männliches Individuum gestossen sei, Im Voyage de l’Astrolabe haben Quoy und Gaimard eine Anatomie, der Gattung Nerita gegeben und erkannt, 1) Cuvier. Memoires pour servir & l’histoire et a l’anatomie des -Mollusques.: Paris-181%, — Anatomie de l’Haliotide, de la Fissurelle, de l’Emarginule. a. " Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 111 dass die hierher gehörigen Thiere getrennten Geschlechtes sind. Trotzdem aber scheint diese Beobachtung bis jetzt von vielen Malacologen übersehen worden, und die Annahme all- mälig in die Wissenschaft eingedrungen zu sein, dass die Neriten hermaphroditisch sind. Noch im Jahre 1853 führt Philippi!) als Hauptunterschied zwischen Ctenobranchiaten und Scutibranchiaten an, dass letztere Zwitter sind, und er lässt dieselben aus den Haliotiden, Fissurellen, Emarginulen, Turbonen, Trochus und Neriten zusammengesetzt sein. Es war eigentlich kein Grund da, um die Neriten als herma- phroditisch anzusehen, da kein einziger Beobachter, so viel wir wissen, denselben Geschlechtsunterschiede mit Bestimmt- heit abgesprochen hat. Der Ursprung des ganzen Irrthums scheint aus einer beiläufigen Bemerkung Souleyet’s herzu- rühren?), welcher meint, die Neriten hätten dem Anschein nach in dem anatomischen Bau viel mehr Aehnlichkeit mit den Turbonen und Trochus als mit den ächten Ctenobran- chiaten. Dass eine solche Analogie wirklich existirt, er- scheint höchst wahrscheinlich, um so mehr, als der zierliche, höchst zusammengesetzte Bau der Reibmembran bei Neritina eine grosse Aehnlichkeit in der Form und der Zusammen- setzung mit demselben Organ bei Trochus, Phasianella, Ro- tella u. Ss. w. zeigt, wieich aus Loven’s trefflichen Zeichnungen ersehe?). Aber da die Neriten bestimmt getrennten Ge- schlechtes sind, so dürfte man in diesem Umstand einen neuen Grund finden, um daraus zu schliessen, nicht dass die Neritinen hermaphroditische Scutibranchiaten, sondern umge- kehrt, dass alle Scutibranchiaten, deren geschlechtliche Ver- hältnisse noch zweifelhaft oder unerforscht sind, wahrschein- lich keine Zwitter sind ‘®). 1) Philippi. Handbuch der Malacozoologie. Halle 1853. p. 201. 2) Voyage autour du monde sur la corvette la Bonite. Zoologie par Eydoux et Souleyet. 1841. T. II. p. 567. 3) Öfversigt af Kongl. Vetenskaps-Akademiens Förhandlingar. 1847. Tab. VI. 4) Gray hat eine kurze Anatomie der Gattung Rotella gelie- fert, (On the animal of Rotella Annals and Mag. of nat. history. 112 Edouard Claparede: Im vorigen Jahr erschien in Frankreich ein Werk von Moquin-Tandon!) über die Land- und Süsswassermol- lusken, worin auch eine kurze anatomische Beschreibung der Neritina fluviatilis zu finden ist. Leider hat der Verfasser zu oft die frühere Litteratur unberücksichtigt gelassen; und so auch hier, wo er Quoy und Gaimard’s Untersuchungen ignorirt, und nicht zu ahnen scheint, dass Meinungsverschiedenheiten in Betreff der Geschlechtsverhältnisse bei den Neriten ge- herrscht haben. Die Gattungen Nerita und Neritina sind so nahe ver- wandt, dass es wohl für Viele zweifelhaft erscheinen möchte, ob dieselben berechtigt sind als wirkliche Gattungen neben einander zu bestehen. Das mit grosser Mühe aufgetriebene Unterscheidungsmerkmal, die Zähnchen nämlich, die sich bei den Neritinen, d. h. den süsswasserbewohnenden Species nicht finden sollen, fehlen auch bekanntlich beı vielen Seearten?). Die Vermuthung lag also nahe, dass die Anatomie die voll- kommenste Uebereinstimmung im inneren Bau der beiden fraglichen Gattungen nachweisen würde. Merkwürdiger Weise jedoch, weicht die anatomische Beschaffenheit der von Quoy und Gaimard im Voyage de l’Astrolabe untersuchten ächten Nerita vom inneren Bau der Neritina fluviatilis so gänz- lich ab, dass die Trennung der beiden Gattungen, falls die genuinen Neriten mit der von Quoy und Gaimard Vol. XII. 1853. p. 159) nimmt aber auf die Gesehlechtstheile keine Rücksicht. — Die Beobachtungen von Fairbank aus Bombay (Annals of the Lyceum of New-York, May 1853) über denselben Gegenstand, kenne ich nur aus einem Citat; er scheint aber ebenfalls den Ge- schlechtsverhältnissen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. 1) Histoire naturelle des mollusques fluviatiles et terrestres de France par Moquin-Tandon. 1855. 2) Die spirale Furchung, welche den Neriten eigenthümlich zu sein schien, soll ebenfalls bei vielen Neritinen vorkommen. — Trotz der ungeheuren Aehnlichkeit der beiden Gattungen, haben sich manche Conchyliologen nicht gescheut, die Neritinen in sechs Untergattungen zu theilen. S. Recluz. Notice sur le genre Nerite in Petit’s Journal de Conchyliologie, 1850. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatili. 113 zergliederten Art, und die übrigen, d. h. die Neritinen mit unserer Neritina übereinstimmen sollten, mehr als gerecht- fertigt erscheint. Verschiedene Conchyliologen versuchten in der letzten Zeit die Neritina fluviatilis in mehrere Species zu zerspal- ten und in derselben sogar zwölf bis dreizehn verschie- dene Formen zu unterscheiden!), ein Versuch, den wir als einen gewagten bezeichnen möchten, so lange die aufgefun- denen Unterschiede nur in geringen Gestaltverschiedenheiten oder in gewissen Abweichungen in der Zeichnung und Farbe der Schale bestehen. Moquin- Tandon’s Beobachtungen aber, die ich erst als die meinigen beinahe zu Ende waren, kennen lernte, weichen in manchen Stellen, namentlich in Betreff des Verdauungskanales und ganz besonders des Ner- vensystemes so sehr von den weiter unten dargestellten Ver- hältnissen ab, dass man nothwendiger Weise, wenn sich die Angaben des französischen Anatomen bestätigen sollten, ganz verschiedene, früher unter dem alten Begriff Neritina fluvia- tilis verwechselte Species in der That unterscheiden müsste. Vorläufig aber wollen wir diese Speciesfrage dahin gestellt sein lassen. Die von mir untersuchten Neritinen wurden ohne Aus- nahme im Tegeler See zwei Meilen von Berlin gesammelt, wo sie auf Steinen und Holzpfählen in grosser Anzahl vor- kommen. Sie gehören, wie überhaupt die in der Havel und in den Spree - und Havelseen vorkommenden Neritinen, — so weit es nur möglich &ewesen ist, mich in diesem Wirr- warr von Species zurechtzufinden, der als ächte Neritina flwviatilis bezeichneten Form an, und wurden von Stein ge- treu abgebildet?). Sie kriechen besonders gern auf den Schalen von Tichogonia Chemnitzü Fer. (Dreissena polymorpha Van Ben.) herum und scheinen ein zu ruhiges Wasser nicht 1) Recensement des Neritines de la France continentale par Re- eluz. Journ. d. Conchyl. 1852. 2) Friedrich Stein. Die lebenden Schnecken und Muscheln der Umgegend Berlins. Berlin 1850. Tab, III. fig. 6 Müllers Archiv, 1857. 8 114 Edouard Claparede: vertragen zu können, wesswegen sie wahrscheinlich in der Spree dicht beiBerlin, wo der Fluss sehr unrein ist und äusserst langsam fliesst, nicht vorkommen, während sie schon ein Paar Meilen oberhalb der Stadt (Dömmeritzsee, Flackensee, Kalk- see u.s. w.) und unterhalb derselben in der Havel ziemlich häufig gefunden werden. In der Gefangenschaft leben sie meistens, trotz eines häufigen Wechsels des Wassers nur eine sehr kurze Zeit. In den Seen sieht man, dass sie vor- zugsweise die Stellen wählen, wo sie dem Wellenschlag aus- gesetzt sind, und bleiben da ein wenig unterhalb der Wasser- linie, so dass sie beim Sturm leicht entblösst werden. Eine genauere Beschreibung der anatomischen Verhält- nisse bei Neritina flwviatilis möchte nach Moquin’s Vorarbei- ten wenigstens theilweise überflüssig erscheinen, aber wie gesagt weichen unsere Beobachtungen an manchen Stellen beträchtlich von einander ab, und ausserdem scheint Moquin- Tandon seine Zergliederung nach CGuvier’scher Art und Weise gemacht zu haben, so dass er im Allgemeinen die mikroskopische Prüfung der Organe vernachlässigte, woraus manche Irrthümer und Täuschungen entstanden sind. — Um das Thier unverletzt zum Seziren zu bekommen, erscheint das stückweise Abbrechen der Schale mittelst einer kleinen Zange das zweckmässigste Verfahren. Leydig und Andere, selbst schon Lister, rühmen sehr für die gröbere Anatomie, und Leydig selbst für das histologische Studium derselben, das Kochen des Thieres in siedendem Wasser, eine Methode die ich leider nicht in Anwendung gebracht habe. 1. Von der Hautbedeckung. Die äussere Haut der Neritina fluviatilis trägt wie gewöhn- lich bei den andern Mollusken ein Flimmerepithelium, welches beinahe auf der ganzen freien Oberfläche verbreitet ist. Flim- merlos sind nur die Ommatophoren an der Spitze und die Fühler, oder wenigstens verhalteu sich die Wimpern auf letz- teren ganz eigenthümlich. — Bekanntlich sind die Fühler die- ser Schnecke nicht einziehbar, wohl aber zusammenziehbar, so dass sie sich bedeutend verkürzen können, indem zahl- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatiliss 115 reiche Falten der häutigen Bedeckung derselben sich bilden, wodurch der ganze Fühler eine scheinbar gegliederte Be- schaffenheit annimmt. Seitlich nach aussen gerichtet, trägt der Fühler das Auge auf einer besonderen, gesonderten Er- habenheit, die man als augentragenden Fortsatz, Ommatophor bezeichnen kann. Dieser Fortsatz fimmert ringsum bis auf den Scheitel, welcher der Bindehaut anderer Thiere ent- spricht und unbeflimmert ist. Nach Moquin-Tandon sollte der Fühler selbst auf seiner ganzen Oberfläche flimmern, nur wäre die Bewegung während der Zusammenziehung viel langsamer und träger, dennoch vermochten wir nicht bei wie- derholter Untersuchung, dasselbe wahrzunehmen, Die äussere Hautfläche wurde immer zwar glatt und unbehaart, wohl aber mit spärlichen, längeren Stacheln oder Borsten besäet gefunden, welche überall zerstreut, sich jedoch auf der äusser- sten Spitze zahlreicher zeigten (Fig. 8). Am meisten Aehn- lichkeit schienen diese Gebilde mit der eigenthümlichen Be- waffnung zu haben, welche Max Schultze auf der Haut verschiedner Turbellarien (Microstomeen, Macrostomum u. s. w.) zuerst entdeckte. Es sind starre, spitzige Borsten, welche die Flimmereilien an Länge namhaft übertreffen, und manch- mal an der Spitze wie zerfasert — ähnlich wie die oft zer- faserten Schleppfüsse bei Stylonychien — erscheinen. Diese Beschaffenheit führte auf die Vermuthung, ob nicht diese dicken, spitzen Borsten aus zusammengebackenen, dünneren Flimmereilien entstandene Truggebilde wären. Niemals aber konnte ein Bild gefunden werden, welches für diese Ansicht zu sprechen schien, und wir mussten daher annehmen, dass die mitunter zerzausten Spitzen gewisser Borsten irgend eine Verletzung erlitten hatten. Möglicherweise könnten diese Gebilde in einer gewissen Beziehung zu den Tastempfin- dungen stehen. Leydig!) führt im Embryonalleben der Paludina vivipara an, dass die Wimperhärchen am Fühler und vielleicht noch an anderen Hautgegenden stellenweise 1) Leydig. Ueber Paludina vivipara. Zeitschrift f. wiss. Zoo- logie. II. Band 1850. p. 151. 116 Edouard Claparede: \ länger werden und wie auf Warzen stehen, was aber nur ein vorübergehender Zustand ist. Dies ist aber etwas ganz Anderes, denn während Leydig’s längere Wimperhärchen wahre Flimmercilien sind und in Uebereinstimmung mit dem übrigen Epithel schlagen, so sind die Borsten auf den Füh- lern der Neritinen, für gewöhnlich wenigstens vollkommen starr und unbeweglich. Der Mantel ist schwarz und färbt leicht beim Anfassen ab. Moquin-Tandon !) bemerkt einfach in Bezug auf den- selben, dass dessen Farbe einförmig kohlschwarz, ohne irgend einen Fleck oder Punkt ist. Indessen besteht, wie es von selbst verständlich ist, dieser gefärbte Ueberzug aus einem regelmässigen Pigmentpflaster. Das auf der freien Hautfläche des Thieres vorhandene Flimmerepithel wird nämlich an dem der Schale dicht anliegenden, schwarz gefärbten Manteltheil durch ein nicht flimmerndes Pflasterepithel ersetzt, dessen 0,0065 bis 0,013 Mm. breite Zellen, von den Pigmentkörnchen oft so angefüllt sind, dass weder die Zellkerne noch die Zellwände sichtbar sind. An den meisten Stellen jedoch er- scheinen die Grenzen der vieleckigen Zellen als helle, durch- sichtige, ein helles Netz bildende Linien, und hie und da, wo die Färbung weniger intensiv ist, zeigt sich sogar in jeder Zelle ein runder heller Kern (Fig. 1). Die Zierlichkeit dieser Pigmentschicht steht dem schönsten Pigmentpflaster in der Chorioidea der höheren Thiere keinesweges nach. Weder über die Schleimdrüsen noch über die Drüsen, welche das Gehäuse absondern und in dem Mantel wahr- scheinlich stecken, wurde etwas ermittelt; wir haben übrigens vernachlässigt, unser Augenmerk auf diesen Punkt beson- ders zu richten. Die mikroskopische Struktur der Schale zeichnet sich durch recht interessante Eigenthümlichkeiten aus. Auf ihrer Ober- fläche verbreitet sich eine dünne Oberhaut, mit zelliger Struk- tur, wie man dies an mit Säuren ausgezogenen Schalen recht schön sehen kann (Fig. 4). Diese Zellen sind sehr klein, 2) Moquin-Tandon. A.20. p. 27. Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Neritina fluviatilis.. 117 indem sie einen Durchmesser von 0,0039 bis 0,0052 Mm. nicht übertreffen, und es konnte kein Kern darin nachge- wiesen werden. Das Epidermispflaster macht daher den Ein- druck eines zierlichen Balkennetzes, um so mehr, als die Zellwände eine beträchtliche Dicke besitzen. — Zur Unter- scheidung der Art und Weise, wie der Kalk in der Schale eingelagert ist, wurden Schliffe in mehrfachen Richtungen gemacht. Bei den Schliffen, die so weit wie möglich der Schale tangentiell geführt wurden (s. Fig. 5), kamen ein- ander parallele Streifen zum Vorschein, welche dem Durch- schnitt eben so vieler Zuwachsschichten entsprechen. Die- selben sind natürlich bald breiter, bald schmäler, je nach- dem der Schliff die Schichten in einer mehr oder weniger schiefen Richtung traf. Die dünnsten Streifen, also diejeni- gen, wobei der Schliff sich am meisten der senkrechten Ebene näherte, besassen noch immer eine Dicke von etwa 0,015 Mm. Diese Streifen sind meistens am Rande etwas gezackt, was wohl einfach daher rühren mag, dass beim Schleifen bald hier bald dort, etwas mehr von dem ungemein dünnen Rande weggenommen wurde, womit sich jede Schicht, in Folge der grösseren Neigung der Schliffebene, auf die nächstfolgende stützt. Eine helle Schicht alternirt stets regelmässig mit einer dunkleren, eine Erscheinung, welche einfach in einer überaus feinen Streifung ihren Grund hat, womit diese Schichten- durchschnitte ausgezeichnet sind, und deren Richtung in jeder Schicht immer eine andere als in der nächstfolgenden ist. Dadurch wird natürlich die Menge der durchgehenden Licht- strahlen in jeder Schicht eine verschiedene. Die Richtung der parallelen Streifung ist in allen dunklen Schichten die- selbe und wiederum in allen hellen, so dass die Streifen der dunklern Schichten mit denjenigen der helleren immer den- selben Winkel bilden. Die Streifung ist ohne Zweifel der optische Ausdruck sehr feiner, die Anwachsschichten zusam- mensetzender, und schräg gegen die Ebene derselben ver- laufender Lamellen. Es tritt dieselbe nicht sehr leicht her- vor und ist überhaupt nur bei sehr starken Vergrösserungen 118 .‚Edouard Claparede: sichtbar; bei Anwendung der schiefen Beleuchtung aber stellt sie sich immer heraus. Die Betrachtung von Schliffen, die so weit wie thunlich senkrecht auf die Schalenoberfläche geführt worden sind, lässt zuerst eine grobe Unterscheidung in zwei Lagen, eine innere und eine äussere zu. Diese beiden Schichten waren übrigens auch, obgleich ungüustiger, am tangentiellen Schliff wahrzunehmen. Die äussere Lage (Fig. 6. A), welche eine Dicke von 0,03 bis 0,04 Mm. erreicht, lässt keine deutliche Struktur erkennen, der grösste Theil derselben wird übrigens dunkel und undurchsichtig dadurch gemacht, dass der Farb- stoff, welchem die Schale ihre Färbung verdankt, darin ein- gelagert ist. Die innere bei weitem diekere Lage (gegen 0,17 — 0,20 Mm. in dem Rücken der Schale) ist farblos und sehr durchsichtig (Fig. 6. B),. Man kann in derselben zweier- lei Schichtungen und parallel laufende Streifungen, und noch ausserdem eine dritte, in einer anderen Richtung laufende Streifung unterscheiden. Sowohl die Schichten wie die mit ihnen parallelen Streifen sind stets sehr schön ausgeprägt; das dritte Streifungssystem tritt auch nicht selten scharf her- vor. Die Schichten kreuzen einander unter einem sich gleich bleibenden Winkel. Jedes Element des Schliffes gehört na- türlich zugleich den beiden Schichtungssystemen und deren Streifung an; fast niemals aber treten die beiden Schichtungs- systeme und deren Streifung an derselben Stelle mit gleicher Deutlichkeit hervor. Dadurch entsteht gleichsam das Bild eines Flechtwerkes flacher, breiter, sich kreuzender Fasern (Fig. 6). Das dritte Streifungssystem besteht aus feinen, der Schalenoberfläche parallel verlaufenden Linien. Hie und da sind dieselben etwas stärker ausgeprägt. Wenn man sich diese ganze Anordnung überlegt, so er- scheint als das Wahrscheinlichste, dass die mit einander einen Winkel bildenden Streifungssysteme, welchen die hel- leren und dunkleren Streifen des tangentiellen Schliffes ihr besonderes Aussehen verdanken, ganz einfach die Intersek- tionslinieu der Schliffebene mit den beiden Hauptsireifungs- systemen sind, welche auf dem senkrechten Schliffe zum Vor- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 119 schein kommen. Die feinen Linien, welche auf dem senk- rechten Schliffe mit der Schalenoberfläche beinahe parallel laufen, wären dann die Anwachsstreifen und also mit den Begränzungslinien der helleren und dunkleren Streifen auf dem tangentiellen Schliff eines und dasselbe; nur sind die- selben auf dem ersten Schliff sehr nahe an einander gerückt, weil sie von der Schliffebene beinahe senkrecht durchschnitten werden, während sie auf dem anderen viel mehr von einan- der weichen, weil sie gegen die tangentielle Schliffebene viel stärker geneigt sind. Dabei würde allerdings unerklärt blei- ben, warum auf dem tangentiellen Schliff immer nur das eine Streifungssystem zwischen je zwei Anwachsstreifen, und zwar alternirend bald das eine, bald das andere zum Vor- schein kommt. Ebenfalls kann man sich nicht wohl darüber Rechenschaft geben, warum die Streifung allein und nicht zugleich auch die Schichtung des senkrechten Schliffes auf dem tangentiellen erscheint. Die Brüche der Schale finden immer in den Richtungen der verschiedenen Streifungssysteme statt, so dass letztere der Ausdruck von drei Spaltungsebenen sind. Auch sind die Schalenbrüche, wenn sie nicht mit den Anwachsstreifen zu- sammenhalten, immer gezackt, weil sie alternativ dem einen und dem anderen Spaltungssysteme folgen. Ausser den besprochenen Eigenthümlichkeiten zeigen die Schliffe aller Richtungen zierliche, etwa 0,0020 Mm. breite Kanäle (Fig.5 und 6). Es nehmen dieselben mitunter die ganze Schalendicke ein, aber am zahlreichsten sind sie immer in der Gegend, welche der Oberfläche am nächsten liegt. Ihr Verlauf ist sehr complieirt; sie sind nicht selten verzweigt und meist vielfach gewunden, obgleich sie sich auch mitunter eine lange Strecke hindurch ganz gerade fortsetzen. Sie lie- gen in allen erdenklichen Ebenen, so dass man bei jedem Schliffe Kanäle trifft, welche sich in der Schliffebene befin- den, während andere dieselbe unter allen möglichen Winkeln treffen, und einige sie senkrecht durchboehren, so dass man gerade ins Lumen des Kanales selbst hineinsieht. Wenn die Schale mit Essigsäure ausgezogen wird, so bleiben die Ka- 120 Edouard Claparede: Ä näle in der organischen Substanz zurück, und da jetzt die Schale in Folge des Schwundes der kalkigen Substanz zu- sammenfällt, so erscheint das Netz noch dichter. Man möchte dann glauben, es handelte sich um ein Netz Hygrocroeisfäden oder sonstiger kleiner Algen. Die Thatsache, dass diese Ka- näle an manchen Stellen so zahlreich vorhanden sind; dass man vor lauter Kanälen gar nichts von der Schalenstruktur sehen kann; dass ferner an anderen Stellen die Kanäle nur spärlich erscheinen und oft ganz fehlen; dass namentlich der innere septumartige Processus der Schale, welcher zum An- satz eines Muskels dient, gar nichts Aehnliches zeigt; dass endlich die Kanäle, wo sie vorhanden sind, immer in den Schichten sitzen, die der Oberfläche am nächsten gelegen sind, und dass sie namentlich in der äusseren, anscheinend struktur- losen Schalenschicht sehr zahlreich sind; das Alles führte uns auf die Vermuthung, dass diese Kanäle der Schale keines- weges angehören, sondern das Werk eines bohrenden Ge- schöpfes sein müssen. Freilich wer hätte daran gedacht, dass ein Bohrwurm (allerdings wahrscheinlich kein Wurm) 0,0020 Mm. breite Kanäle in einer Schneckenschale bohrt! - Das Thier- chen muss sogar sich innerhalb der Kanäle eine Röhre bilden, denn wenn man eine durch Säuren ausgezogene Schale zer- reisst, so werden oft die Kanäle aus der Schalensubstanz her- ausgezogen und liegen isolirt mit eigenen Wandungen da. Wir kennen den von Carpenter!) unter dem Namen „tubular structure‘“ beschriebenen Schalenbau aus eigener An- schauung nicht. Aber beinahe möchte man vermuthen, dass die kleinen von ihm bei Lima, Plagiostoma und andern Pecti- niden beobachteten Schalenkanäle, welche durch die Ver- schmelzung von hinter einander in Reihenfolge gelagerten Zel- len erzeugt werden sollen, eine ähnliche Ursache haben. In diesem Falle würden sie freilich nicht mehr zur Unterscheidung 1) General results of microscopical inquiry into the minute structure of the skeletons of Mollusca etc. by Will. Carpenter. Ann. and Mag. of Nat. Hist. XII. 1843. p. 377, und Report of the fourteenth meeting of the british Association p. 13 — 14. Plat. 9. Fig. 20 — 22. und Pl. 18. Fig. 40 — 41. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 121 von Gattungen dienen können, wieÖarpenter wollte. Diese Kanäle weichen jedoch von denjenigen der Neritinenschale dadurch ab, dass sie ziemlich immer in derselben Schalen- schicht bleiben sollen, und dass nur selten einige von der einen Schicht in die andere übergehen. Diese Kanäle erinnern sehr an ähnliche, welche von Rose!) in fossilen Schuppen von verschiedenen Ganoiden und Cyeloiden gefunden und von ihm ebenfalls einem bohrenden Schmarotzer zugeschrieben wurden. Bei lebenden Fischen wurde vergeblich danach gesucht. Was für Organismen diese ungemein kleinen bohrenden Wesen sein können, kann kaum vermuthet werden. Man denkt dabei unwillkührlich an die Clionen, welche sich in der Dicke der Schale vieler See- muscheln nach allen Richtungen ausbreiten, aber man kann sich kaum Spongien vorstellen, welche die kleinsten Monaden und selbst gewisse Vibrionen an Grösse nicht übertreffen. Falls diese Wesen eine harte Schale oder Spicula besitzen, so dürfte man hoffen, irgendwo denselben im Lumen der Kanäle zu begegnen; dies ist aber noch nicht vorgekommen, und die Kleinheit des Gegenstandes lässt kaum eine Hoffnung zu. Der Deckel zeigt eine durchaus andere Beschaffenheit als die Schale, und es ist hier von den einander kreuzenden Schichtungs- und Streifungssystemen der letzteren keine Rede. Mit blossem Auge betrachtet zeigt bekanntlich dieser Deckel nahe an seinem hinteren Rande, eine auf der linken Thierseite gelegene Gegend, von wo aus deutliche Streifen gleichsam wie Radien ausgehen. Es sind dieselben etwas sinuös gestaltet. Der an der Columella angrenzende Deckelrand ist verdickt, während der entgegengesetzte, convex gebogene sich ganz ausserordentlich verdünnt, so dass man schon daraus schliessen könnte, dass das Wachsthum an diesem Rande stattfindet. So ist es auch in der That, und die Anwachsstreifen, die nicht besonders ausgesprochen sind, die sich aber auf Flächen- 1) On the Discovery of Parasitic Borings in Fossil Fish -scales. — Transactions of the mieroscopical society of London. Vol, III, 1854. p- 72 Plat>T. 122 Edouard Claparede: schliffen zu erkennen geben, laufen mit dem Schalenrücken ziemlich paralle!. Die Radialstreifen zeigen sich aber immer viel deutlicher als die Anwachslinien, daher der Irrthum Moquin-Tandon’s, der die ersten für die letzteren hält und darauf eine ganz eigenthümliche Theorie über die Schnelligkeit des Schalenwachsthumes entwirft. Ausser diesen beiden Streifungen, die man geradezu als grob bezeichnen kann, kommt auf den Flächenschliffen eine andere, zierlichere, von ganz eigenthümlicher Art vor. Man möchte dieselbe noch lieber eine Faserung als eine Streifung nennen. Sie wird auf der ganzen Deckeloberfläche gefunden, nur am dünnen röth- lichen Saume nicht, welcher dem Schalenrücken angrenzt. Dieser Saum ist der jüngst gebildete Schalentheil. Diese An- ordnung wird mit einem Male klar, wenn man einen Quer- schliff des Deckels betrachtet (Fig. 2). Man kann nämlich in demselben zweierlei Schichten , eine äussere und eine innere unterscheiden. Die äussere Schicht (Fig. 2. a) erstreckt sich auf die ganze Schalenoberfläche, indem sie überall ziemlich gleich (etwa 0,0065 bis 0,0073 Mm.) breit bleibt, und nur dicht am vorderen, dem Schalenrücken angrenzenden Rande sich verdünnt. Die innere Schicht (Fig. 2. b) ist am hinteren Deckelrande eirca 0,15 Mm, dick, und wird allmälig dünner nach dem convexen vorderen Deckelrande zu, bis sie ein wenig vor diesem Rande selbst vollständig verschwindet. So entsteht am convexen Deckelrande der röthliche Saum, wel- cher einzig und allein der äusseren Schicht angehört. Diese Schicht zeigt keine wahrnehmbare Struktur und in ihr allein sitzt die gelbröthliche Färbung, wodurch der Deckel sich aus- zeichnet. Die innere dickere Schicht allein ist faserig, daher hört auf dem Flächenschliff die feine Streifung etwas vor dem convexen Rande auf. Auf dem Durchschnitt der inneren Schicht (Fig. 2. b) nimmt man zuerst die sehr deutliche, faser- ähnliche Streifung wahr, und zwar verlaufen die Streifen so, dass sie in der mittleren Deckelebene ziemlich mit dieser Ebene selber zusammenfallen, und von da aus sowohl nach der äusseren, wie nach der inneren Deckelfläche zu diver- giren, indem sie sich, je weiter man nach dem convexen Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatlli. 123 Deckelrande zu schreitet, von der Mittelebene entfernen. Ausserdem sind noch auf dem Querschnitt gebogene, bald dunklere, bald hellere Streifen sichtbar, deren Convexität nach dem convexen Deckelrande gerichtet ist, und welche wohl der Durchschnitt der Anwachsstreifen sein werden !). — Ganz eigenthümlich erscheint der Deckel, wenn er mit Säu- ren behandelt wird. Die organische zurückbleibende Sub- stanz zeigt nämlich eine herrliche Faserung, deren Anord- nung mit derjenigen der eben beschriebenen faserähnlichen Streifung des Schliffes übereinstimmt. Nur ist sie weit fei- ner, obgleich eben so scharf. Auf dem Schliff konnte man faserähnliche Streifen von 0,0040 bis 0,0052 Mm. Breite und darüber unterscheiden; andere waren auch viel dünner. Am ausgezogenen Deckel treten die Fasern viel herrlicher her- vor, weil die anderen dem Kalke hauptsächlich angehö- renden Streifen beinahe verschwunden sind, und dabei zeigt sich, dass die Fasern überall eine gleichmässige Dicke von etwa 0,0009 Mm. besitzen (Fig. 5). Es handelt sich hier um keine blosse Streifung, sondern um eine wirkliche Fa- serung, denn heim Zerzupfen der organischen Substanz des Deckels mit Nadeln bekommt man immer einige isolirte Fasern. Die Richtung der Fasern in der Deckelfläche lässt sich sehr leicht beobachten. In der Gegend der Längsachse des Deckels verlaufen sie ziemlich wie diese Längsachse selber, nur etwas gebogen, und zwar so, dass die Concavität nach dem hinteren geraden, der Oolumella angrenzenden Rande zu gerichtet ist. Von dieser mittleren Achse aus verändert sich die Richtung der Fasern allmälig nach beiden Seiten so, dass sie den vorderen convexen Rand unter einem ziemlich spitzen, und den hinteren geraden unter einem rechten Winkel trifft. Es ist ein sehr interessantes und so viel wir wissen, bis jetzt nicht beobachtetes Faktum, dass eine Schale und der 1) Die von mir benutzten sowohl Deckel- wie Schalenschliffe wur- den von Herrn Dr. Oschatz zu Berlin (Stallschreiberstrasse 33) mit grosser Sorgfalt angefertigt, und es können solche bei ihm vorrätbig gefunden werden, 124 Edouard Claparede: ihr zukommende Deckel einen von einander so durchaus ver- schiedenen Bau darbieten. Die Verschiedenheiten sind so ungemein gross, dass man daraus auf eine ganz verschiedene Modalität der Bildung schliessen darf, denn nicht nur die An- ordnung des Kalkes ist in beiden, der Schale und dem Deckel, eine ganz andere, sondern auch die Beschaffenheit der organischen Grundsubstanz, welche bei der einen mit der Ausnahme der Epidermis keine wahrnehmbare Struktur zeigt, bei dem anderen aber ein eigenthümliches faseriges Gewebe darstellt. Dies ist namentlich wichtig als ein trif- tiger Beweis gegen diejenigen, welche behaupten, der Deckel sei nichts anderes als die zweite Valve der Schale. Dieses Faktum allein spricht mehr gegen eine solche Ansicht, als die von Gray!) angestellten Betrachtungen über ein Paar verletzte und wieder ergänzte Deckel von Fusus und Pleurotoma haben dafür sprechen können. In diesem morphologischen Streite möchte Loven’s Ansicht ?), dass der Deckel das Analogon des bei den Lamellibranchiern vorkommenden Bys- sus sei, noch die wahrscheinlichere erscheinen. Indessen dürfte man wünschen, dass auch diese durch bessere Gründe, als bis jetzt geschehen, unterstützt würde. Dass der Deckel, wie Moquin-Tandon meint, durch den Mantelrand gebildet werden soll, braucht nicht einmal widerlegt zu werden. Diese Bildung gehört ganz und gar dem Fusse an. 2. Von dem Nervensystem. Das Nervensystem von Neritina fluviatilis wurde schon von Moquin-Tandon zergliedert und abgebildet. Die Beschrei- bung desselben aber so wie die beigefügte Figur weichen so sehr von den Verhältnissen des Nervensystemes bei der von uns untersuchten Neritinenform ab, dass wir uns nur schwer den Grund dieses Unterschiedes klar machen können, da es 1) Dr. Gray. On the Reproduction of a lost part of an Opercu- lum. Annals and Mag. of natur. History. 1854. Vol. XIII. p. 419. 2) S: Loven. Bidrag till kännedomen om utvecklingen af Mol- lusca acephala lamellibranchiata. Stockholm. 1848. p. 96. a Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fuvlatiis: 125 kaum wahrscheinlich erscheint, dass zwei so verwandte viel- leicht als Species oder gar als Racen nicht einmal zu unter- scheidende Formen ein von einander so abweichendes Cen- tralnervensystem besitzen sollten. Nach Moquin-Tandon besteht der Schlundring aus zweien, durch eine dicke Commissur verbundenen Ganglien, woraus Schenkel hervorkommen, welche den Oesophagus umfassen und sich in eine unter demselben gelegene und einen Kreis bildende Ganglienmasse begeben. Solch eine Anord- nung bietet nichts Befremdendes dar, da ganz ähnliche Ver- hältnisse bei Physa, ‚Planorbis, Lymnaeus sowohl wie auch bei vielen Scutibranchiaten und auch bei gewissen Pteropoden vorkommen, und in der That verhalten sich die gröberen Verhältntnisse bei Neritina ebenfalls so; aber die feineren Specialitäten im Bau und der Anordnung des Nervencentrums, welche die bei Berlin vorkommende Neritina darbietet, stim- men mit Moquin’s Darstellung nicht mehr überein. Nach diesem Forscher nämlich würde der Nervenring, welcher durch die untere Ganglienmasse gebildet wird, aus acht ziemlich gleich grossen Ganglien oder Anschwellungen be- stehen. Diese Anschwellungen, welche so nahe au einander gerückt sein sollen, dass man dazwischen liegende Commis- suren eigentlich nicht unterscheiden kann, theilt er folgender- massen ein: 1. dicht unter der Speiseröhre die beiden „Gan- glions sous- oesophagiens auterieurs“; 2. diesen gegenüber die „Ganglions sous-oesophägiens posterieurs*; 3. den letzten zur Seite, links und rechts, die „Ganglions sous -oesophagiens moyens“; 4. endlich zwischen jedem Ganglion sous -oesopha- gien auterieur und dem Ganglion sous -oesophagien moyen derselben Seite ein Nebengangliou (Ganglion supplementaire). Die diesen unteren Nervenring mit den oberen Ganglien ver- bindenden Schenkel bestehen jederseits aus einer langen ein- fachen Commissur, und aus jedem Knoten, sowohl aus den oberen, wie aus den unteren dem unter dem Oesophagus ge- legenen Ring angehörenden Ganglien gehen Nerven ab, welche an Durchmesser ziemlich gleich sind. Die oberen Schlund- 126 Edouard Elaparede: ganglien übertreffen die einzelnen Knoten des unteren Ringes an Grösse beträchtlich. Unsere beigegebene Figur (Fig. 7) giebt eine treue Dar- stellung des Nervensystemes der im Tegeler See vorkommen- den Neritina, und dieses Bild entfernt sich, wie man gleich sehen wird, von Moquin’s Beschreibung ganz ungemein. Die oberen Ganglien (a) liegen ziemlich weit von einander, nahe an der Basis des Fühlers, also unfern des augentragen- den Fortsatzes, und werden durch eine verhältnissmässig dicke Commissur (b) verbunden, welche der oberen Schlund- wand dicht anliegt. Aus der vorderen Seite jedes obern Ganglions gehen zwei Nerven schräg nach aussen ab, deren einer bedeutend dicker als der andere ist. Der dickere (c) versorgt den Fühler; der andere dünnere (d) ist der Sehnerv. Diese Ganglien, die man als eigentliche Hirnganglien be- zeichnen kann, bilden eine Art Pyramide, oder vielmehr einen Kegel, dessen Spitze nach einwärts gerichtet ist. Mehrere kleinere Nervenäste gehen in der Nähe dieser Spitze ab und versorgen den Schlund und die verschiedenen Mund- theile, bis wohin sie jedoch nicht mit Bestimmtheit verfolgt werden konnten. Von der dicken nervösen Commissur ent- springen gar keine Nerven. Die seitlichen Schenkel (e), die den Oesophagus Une send von den oberen Schlundganglien zur unteren Ganglien- masse verlaufen, sind jederseits doppelt, wie dies bei vielen Heteropoden, Pulmonaten, Ütenobranchiaten u. s. w. schon beobachtet wurde, und nicht einfach wie Moquin-Tandon wissen will. Die untere Ganglienmasse selber bildet einen kleinen Kreis, worin man zwei sehr ungleich grosse Ganglien- paare und dazwischen liegende Commissuren zu unterscheiden hat. Das vordere Paar (f) besteht aus zwei birn- oder kol- benförmigen, an der Basis durch eine kurze, ziemlich dieke Quercommissur verbundenen Anschwellungen, welche den oberen Schlundganglien an Grösse meist gleich sind, oder dieselben mitunter gar übertreffen. Die das hintere Paar bildenden Knoten (g) sind weiter auseinandergerückt, wo- durch eine längere und dünnere Quercommissur entsteht und Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatiliss, 127 sie sind ausserdem vier oder fünf Mal kleiner als die vor- deren Ganglien. Die seitliche Oommissur, welche jederseits ein vorderes mit einem hinteren Ganglion der Unterschlund- ringmasse verbindet, ist dick und kurz, doch bedeutend länger als die Quercommissur, wodurch die beiden vorderen unteren Nervenknoten mit einander verbunden sind. Aus jedem der letzterwähnten Ganglien gehen ein dicker und mehrere dünnere Nerven ab, welche den Fuss versorgen, so dass man diese Knoten als Ganglia pedalia bezeichnen könnte. Diese Benennung wäre jedoch ungenügend, insofern als diese vorderen Ganglien ein anderes Organ, und zwar ein Sinnes- organ, die Gehörbläschen nämlich, versorgen (h). Der Hör- nerv entspringt an der Basis des Knotens und an der inneren Seite des Nervenringes, welcher durch die auf der Bauchseite gelegene untere Ganglienportion des Schlundringes gebildet wird, gerade an der Stelle, wo der Knoten in die seitliche Commissur übergeht. Diese Ursprungsstelle des Hörnerven befindet sich der Stelle gerade gegenüber, wo der ent- sprechende, aus dem oberen Hirnganglion kommende, dop- pelte Schenkel in die untere Ganglienmasse eindringt. — Was für Organe von den Nerven versorgt werden, welche aus den kleineren, unteren, hinteren Ganglien und aus der Eindringungssstelle der Schenkel in die vorderen unteren Ganglien entspringen, konnte nicht ermittelt werden. Mög- licherweise begeben sich erstere in die seitlichen, das Thier an die Schale befestigenden Muskeln und in die untere Haut- muskelschicht. — Der unter dem Oesophagus gelegene klei- nere Ganglienring liegt auf der Bauchfläche der Speiseröhre so an, dass er in eine wagerechte Ebene zu liegen kommt, indem die grossen birn- oder kolbenförmigen Ganglien nach vorn, und die kleineren dreieckigen nach hinten gerichtet sind. Unsere Darstellung der Beschaffenheit des unteren, dicht an der Speiseröhre liegenden Ringes, hat, wie man sieht, mit der Mo quin’schen Beschreibung soviel wie gar keine Aehnlichkeit. Als Bürgschaft aber der Richtigkeit der unse- rigen können wir sehr hübsch erhaltene Präparate aufweisen, wo keiner selbst die geringsten Spuren einer Eintheilung in 128 Edouard Claparede: acht ziemlich gleich grosse Nervenknoten entdecken könnte. An diesen Präparaten sieht man nicht nur die beiden äusserst ungleichen Ganglienpaare, sondern auch deren Zusammen- hang mit den Gehörbläschen, welche von Moquin-Tandon gänzlich übersehen wurden. Von unserer Beschreibung noch weit abweichender haben Quoy und Gaimard!) das centrale Nervensystem einer grossen Nerita dargestellt. Leider unterliessen diese Schrift- steller die Art anzugeben, welche sie zum Gegenstand ihrer Untersuchungen nahmen. Möglich ist es zwar, dass die An- ordnung des Nervensystemes bei den Neriten und Neritinen eine ganz verschiedene ist, jedoch hätte man kaum erwarten dürfen, dass die beiden fraglichen Gattungen in Bezug auf den Schlundring nicht die geringste Aehnlichkeit besitzen sollten, Dieses Organ stellt nach Quoy und Gaimard’s Abbildung einen einfachen, hier und da kaum wahrnehmbare Anschwellungen zeigenden, mehr weniger ovalen Ring dar, woraus eine gewisse Anzahl dünner, gleich dicker Nervenäste entspringen. Von zwei grösseren Nervenknoten oberhalb der Speiseröhre ist gar keine Rede; ebenso wenig von einer unter derselben gelegenen, grösseren Ganglienmasse. Der an dieser Stelle bei Neritina vorkommende untere Ring, der ebenfalls bei so vielen Pulmonaten, Sceutibranchiaten, Ptero- poden u.s. w. vorhanden ist, wurde von Quoy und Gai- mard gar nicht gefunden. Der Nervenring der Nerüa, wel- che von diesen Beobachtern untersucht wurde, wäre also viel einfacher gebaut, als das entsprechende Organ der meisten anderen ÜOephalophoren. Wir müssen gestehen, dass wir kaum den Gedanken abwehren konnten, ob nicht Quoy und Gaimard bei ihrer Zergliederung den unter der Speiseröhre gelagerten zweiten Ring von dem Hauptring abgerissen haben sollten. Freilich ist es eine unmassgebliche Vermuthung, und neuere Untersuchungen werden dieses Räthsel lösen müssen. Wäre übrigens unsere Vermuthung begründet, so würde nichts destoweniger der auffallende Umstand übrig bleiben, dass die 1) Voyage de l’Astrolabe, Tome III. Art. Nerite. Anatomie und Entwicklungsgeschichte ‚der 'Neritina fluviatilis. 129 grossen oberen Schlundganglien bei der von Quoy und Gai- mard untersuchten Nerita gänzlich fehlen, denn ihre Zeich- nung lässt keine Anschwellung, nicht einmal die geringste, in dieser Gegend merken. Ob alle ächten Neriten dasselbe Verhältniss zeigen werden, sollen hoffentlich spätere Beobach- tungen lehren. Bezüglich der feineren Struktur des centralen Nerven- systemes wurde nichts Erwähnenswerthes beobachtet, Die Untersuchung ist hier keinesweges so leicht wie bei so vielen Gasteropoden, wo die Zusammensetzung der Hirnganglien aus schönen Nervenzellen gleich ins Auge springt. Bei den Neritinen zeigen sowohl die Nervenknoten, wie die Commis- suren des Schlundringes eine gelbliche blasse Färbung und eine scheinbar homogene Beschaffenheit. Nur selten glückt es Einem, bei Sprengung oder Zerreissung des Neurilems ein paar sehr undeutliche Ganglienkugeln wahrzunehmen, und gewöhnlich verwandelt sich bei diesem Versuch die Ner- venmasse in einen unförmlichen, unkenntlichen Teig. Die gelbliche Farbe rührt von kleinen Pigmentkörnchen her, welche auf dem ganzen centralen Nervensystem zerstreut sind, ohne in besonderen Zellen eingeschlossen zu sein. Diese gelbliche Färbung ist übrigens mitunter kaum vorhan- den und jedenfalls niemals so intensiv, wie sie bei verschie- denen Planorben, Physen, Limnaeen u. s. w. gefunden wird, auch nicht wie die rothe Färbung beim Nervensystem der Pa- ludina vivipara. In Betreff des Eingeweidenervensystemes sind auch nur sehr unvollständige Beobachtungen vorhanden. Als dahin ge- hörig können wir nur einen sehr kleinen Knoten anführen, den wir beständig in der Basis der Kieme, neben der Kiemen- vene gefunden haben, und welcher dasselbe, wie die von Moquin-Tandon gefundene, und von ihm für das Herz er- klärte kleine Anschwellung der Kiemenvene, sehr wohl sein könnte. Mit Sicherheit können wir zwar nicht behaupten, dieses Organ sei nervöser Natur, da wir immer nur eine körnige Substanz darin fanden, und niemals so glücklich waren, Ganglienzellen in demselben ausfindig zu machen. Müller's Archiv, 1807. 9 130 ailnsi ' Edeuard Claparede: Dieser Knoten aber zeigt dieselben gelben Pigmentkörnchen an der Oberfläche, wie das centrale Nervensystem, und es gehen Ausläufer von ihm nach der Kieme und der Gegend des Schlundkopfes und der Speicheldrüse ab. Ein sympathi- sches Nervensystem aber, wie es bei so vielen Oephalophoren bekannt ist, konnte nicht gefunden werden, was wir einzig und allein der Kleinheit des Gegenstandes und unserer eigenen Ungeschicklichkeit zuschreiben wollen. 3. Von den Sinnesorganen. Tastorgane. Als Tastorgane sind hier wie bei den meisten Gasteropoden zwei Fühler vorhanden, Dieselben sind nicht hohl oder wenigstens nicht auf die Weise, dass sie wie ein Handschuhfinger aus- und eingestülpt werden könnten, wie dies bei den Helicinen und Limaeinen geschieht, wohl aber sind sie wie bei den übrigen Kammkiemern zu- sammenziehbar. Unter der Lupe erscheint der Fühler im Zustande der Contraktion wie gegliedert (Fig. 8), wie schon angegeben wurde. Unter der dicken Fühlerhaut wird die Muskelschicht durch eine undeutliche Queer- und viel deut- lichere Längsfaserung angedeutet. In der Mitte des Organes verläuft der aus dem oberen Schlundganglion entstandene Tastnerv und erstreckt sich, allmälig dünner werdend, bis zur Fühlerspitze. Neben dem Nerven zeigt sich ein heller Raum, der wohl einem Blutraum entsprechen dürfte. Die Oberfläche des Fühlers ist, wie schon angedeutet, flimmer- los, wohl aber mit kleinen, starren Borsten besetzt, welche -mit breiter Basis aufsitzen, sich aber schnell verjüngen und sehr spitz endigen. Diese Organe haben, wie gesagt, eine auffallende Aehnlichkeit mit der eigenthümlichen Hautbewaft- nung vieler Turbellarien und gewisser Infusorien (Stentoren). -Ob vielleicht diese Borsten beim gewöhnlichen Zustande voll- kommen zurückgezogen bleiben und erst bei der Zusammen- ziehung des Fühlers oder sonstiger Veranlassung hervor- springen, konnte nicht festgestellt werden. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine eigenthümliche, mit den Nessel- organen . vieler niederen Thiere vergleichbare Bewafinung, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 131 welche zur Selbstvertheidigung in Anwendung gebracht wird — was zwar ein gauz neues Faktum unter den Mollusken wäre —, oder um eine besondere, das feine Gefühl vermit- telnde Vorrichtung, die von den meisten anderen Mollusken entbehrt wird. Letztere Hypothese möchte noch die wahr- scheinlichere erscheinen. | Gehörwerkzeuge. In seiner Anatomie der. Neritina fluviatilis erwähnt Moquin-Tandon kein Wort von den Ge- hörblasen. Dennoch sind sie bei dieser Schnecke sehr leicht zu finden. Krohn!) stellte schon die Norm auf, dass wo der Schlundring ausser den oberen Knoten noch mit unteren versehen ist, die beiden Hörbläschen immer auf den letz- teren oder in deren Nähe zu finden sind, und demgemäss finden sich auch die Gehörwerkzeuge bei Neritina innerhalb des kleinen Nervenringes, welcher durch die unter‘ der Speise- röhre gelegene Ganglienmasse gebildet wird. | Krohn zuerst hat den Zusammenhang der Gehörkapseln mit dem Nervensysteme, und zwar bei Paludina vivipara ge- funden?). Aus der dickeren Commissur nämlich, die jeden unteren Schlundringknoten mit dem oberen seiner Seite ver- bindet, und zwar nicht weit von dem unteren Knoten soll bei Paludina ein kurzer Nerv entspringen, der sich gegen das Bläschen herabsenkt, seine äussere zellige Membran durchbohrt und auf der innern sich in zwei Aeste zu theilen scheint. Leydig bestätigte dieses Verhältniss der Gehör- kapseln zum Nervensystem bei Paludina, und verfolgte noch weiter die Theilung des Nerven in mehrere Aeste, ohne dessen Endverbreitung sehen zu können. Sonst erscheinen bei den meisten Cephalophoren die Gehörbläschen gänzlich ungestielt und sitzen den Ganglien dicht auf, oder wenigstens sind sie nur sehr kurzgestielt. Bei Neritina sind die Gehör- bläschen (Fig. 7.h) durch einen mittelmässig langen Stiel mit der hinteren Seite des grossen birn- oder kolbenförmigen Nervenknotens des unteren Nervenringes verbunden, nahe an 1) Froriep’s Neue Notizen. XIX. 1842. S. 311. 2)’ A. 2.0. 9# 132 Edouard Claparede: der Stelle, wo derselbe in die seitliche Commissur übergeht. Dieser Stiel kann aber nicht wie bei Paludina als ein Nerv, sondern nur als eine hohle, röhrenförmige Verlängerung der birnförmigen Kapsel aufgefasst werden. Beweise hiefür folgen weiter unten. Die Hörbläschen sind auf der inneren Seite mit einem schönen, aus polygonalen Zellen bestehenden Epithel ausge- kleidet. Dieses Epithel ist bei den ausgewachsenen Exem- plaren meist sehr schwer zu sehen; nicht so aber bei den jungen Embryonen, wo dasselbe gleich in die Augen fällt, indem es ein sehr regelmässiges, die dicke Kapsel beklei- dendes Pflaster bildet (Fig. 51). Jede Zelle ist mit einem deutlichen Kern versehen. Bekanntlich giebt schon Kölliker an, er hätte nicht bei allen Mollusken die Wimperhärchen sehen können, die zuerst von ihm und Rud. Wagner in den Gehörkapseln der Cephalophoren entdeckt wurden. In Betreff der Pah:dina vivipara hat Leydig trotz der sorgfäl- tigsten Untersuchungen keine Cilien wahrnehmen können, obgleich er selbst isolirte Epithelfetzen aus der Gehörkapsel soll vor den Augen gehabt haben. Nichts desto weniger erscheint es höchst wahrscheinlich, dass überall, wo zitternde Bewegung vorkommt, Flimmerhaare als Bewegungsursache vorhanden sind. Vielleicht gehörten die von Leydig unter- suchten Epithelfetzen einem erwachsenen Thiere an, wo in der That keine Flimmercilien im Gehörorgane zu erwarten sind, da wir gerade durch Leydig erfahren haben, dass die grossen Otolithen in den Hörkapseln der erwachsenen Palu- dinen regungslos daliegen und nur die kleinsten Steinchen eine leichte Bewegung erkennen lassen, welche letztere eine einfach molekuläre Erscheinung wohl sein möchte. Aber die kleinen Ohrsteine in der Ohrblase ungeborener Paludinen zeigen nach Leydig zitternde Bewegungen, bei diesen also würden sicherlich Flimmerhaare zu finden sein. Bei den Em- bryonen der Neritina sind die Cilien auf den Epithelzellen sehr leicht wahrzunehmen, und erhalten den Otolithen in be- ständiger Bewegung. Bei den jungen noch ziemlich durch- sichtigen Exemplaren wurde unsere Aufmerksamkeit durch Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 133 einen ziemlich langen, nach aussen gerichteten, stets vorkom- menden Fortsatz in Anspruch genommen, der sich bald als ein hohler Stiel zu erkennen gab. Das Flimmerepithel er- streckte sich in denselben hinein (Fig. 50); denn wenn die Zellen nicht sehr deutlich erschienen, so war doch die flim- mernde Bewegung in demselben meist unverkennbar, Bei älteren, der Beobachtung weniger günstigen Embryonen, wurde wohl der Stiel stets wahrgenommen, dessen Lumen und Be- flimmerung aber nicht mehr, so dass wir anfangs meinten, das Vorhandensein eines röhrenförmigen Stieles sei nur eine provisorische Larveneinrichtung. Wir hätten uns gern über- zeugen mögen, dass das centrale Nervensystem ursprünglich eine Höhle enthält, und dass das Gehörbläschen eine ein- fache Ausstülpung dieser Höhle darstellt, wie dies etwa bei den höheren Thieren der Fall ist. Auf diese Weise hätte der Kanal eine ganz einfache Deutung gefunden. Der Stiel aber, an der Ursprungsstelle aus der Hörkapsel stets sehr deutlich, wird immer schwieriger wahrzunehmen, indem er weiter nach aussen tritt, und endlich verschwimmt er ganz und gar zwischen den Parenchymzellen des Leibes. Bei kei- nem Embryo konnte selbst die leiseste Andeutung eines Ner- vensystemes entdeckt werden, so dass wir für diese Bildung der Hörbläschen durch Ausstülpung nichts Beweisendes an- führen können. Wohl aber ist zu bemerken, dass man sich nur schwierig die Existenz eines Sinnesorganes ohne Nerven- system vorstellen kann. Wenn das Nervencentrum erst sehr spät, erst nach dem voilendeten Embryonalleben erscheinen sollte, warum würde sich das Gehörorgan schon in der frühe- sten Zeit bilden, zu einer Zeit, wo keine Empfindung zur Wahrnehmung gelangen kann? Wahrscheinlicher erscheint es, dass hier wie bei den höheren Thieren die erste Anlage des Nervensystemes schon bei der ersten Differenzirung des Embryos auftritt, dass wir aber dieselbe aus verschiedenen Ursachen nicht wahrnehmen können. Desshalb möchten wir nicht die Hypothese fahren lassen, dass die Ohrblasen sich wirklich durch Ausstülpung aus dem centralen Nervensystem zu einer Zeit bilden, wo letzteres zwischen den embryonalen 134 Edouard Claparede: Parenchymzellen nicht deutlich hervortritt. Diese Ansicht wird schon von Siebold ausgesprochen !), indem 'er sagt, dass bei denjenigen Gasteropoden, deren ‚untere Schlund - Ganglien zu einem Ring verbunden sind, z. B. Limnaeus, Planorbis, Physa, Succinea, Bulimus, Ancylus, die Gehörkapseln an der hinteren Seite der beiden vorderen grossen Ganglien zwei blasenförmige „Hervorstülpungen“ bilden. Diese Aus- drucksweise beruht aber wahrscheinlich mehr auf einer Vermu- thung, als auf entwicklungsgeschichtlichen Beobachtungen. Auffallend genug hat Frey die Entwickelung der Gehörwerk- zeuge bei Limnaeus stagnalis, Physa fontinalis und Paludina impura, verfolgt”), und das erste Auftreten derselben unter der Gestalt eines einfachen, anfangs otolithlosen Bläschens ohne die geringste Andeutung eines Stieles beobachtet. Gleich- wohl existirt bei Limnaeus auricularis und mehreren anderen ein zwar kurzer, doch unverkennbarer Stiel. Ob derselbe hohl ist, steht freilich dahin.°). 1) Handbuch der vergleichenden Anatomie p. 216. 2) Archiv für Naturgeschichte. 1845. p. 217. 3) Dieser Aufsatz war schon vollendet, als unsere Aufmerksamkeit auf eine höchst interessante Beobachtung Kölliker’s bei Loligo und Sepia geleitet wurde. Dieser Forscher entdeckte nämlich bei den Embryonen genannter Cephalopoden einen Gang oder Kanal, der mit den Hörbläschen in Verbindung steht. Dieser Kanal war in seinem Inneren mit sehr langen Wimpern besetzt, die noch geraume Zeit nach der Trennung der Bläschen vom Körper die lebhaftesten Schwingungen vollführten. Nach Kölliker’s Beschreibung stimmt offenbar dieser Gang mit dem bei Neritina eben behandelten Kanal vollkommen über- ein. Ueber den weiteren Verlauf desselben hat Kölliker nichts mehr ermittelt wie wir. Er gewann nur die UVeberzeugung, derselbe stände mit keinem anderen Theile, wie etwa der Speiseröhre, in un- mittelbarer Verbindung. Die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit dem Gehirne wird nicht in Betracht gezogen. Kölliker vermuthet, dieser Gang communieire mit der Aussenwelt, sei also die erste An- deutung einer Tuba Eustachii. Wir halten für unsere Pflicht, dabei zu bemerken, dass Kölliker’s Hypothese uns manche halbvergessene Beobachtungen ins Gedächtniss zurückrief, die gegen einen Zusam- menhang der Gehörbläschen mit den Ganglien zu sprechen schienen. Einigemal ‘nämlich glaubten wir, bei ausgewachsenen Neritinen Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 135 In den erwachsenen Neritinen findet sich der Stiel wieder (Fig. 9), und ist bei jedem Exemplar gleich zu erkennen, obgleich die Existenz eines Kanales in demselben nicht so leicht hervortritt, da das Schlagen der Flimmerhärchen, ohne Zweifel der Undurchsichtigkeit allein wegen, nicht. wahrge- nommen wird. Jedoch ist die Höhle des Stieles noch immer vorhanden. Nicht selten nämlich trifft man einige der klei- neren, weiter unten zu beschreibenden Hörsteinchen inner- halb des röhrenförmigen Stieles, und jedenfalls gelingt es fast stets, durch einen leisen vermittelst des Deckplättchens ausgeübten Druckes, den Inhalt der Hörkapsel in denselben theilweise hinüberzutreiben. An dem Perenniren der Höhle in dem Bläschenstiel ist also nicht zu zweifeln, und derselbe ist mithin mit dem bei Paludina nachgewiesenen mehrfach verzweigten Hörnerven nicht mehr direkt vergleichbar, oder vielleicht stellt der Ohrblasenstiel der Neritina im Vergleich zum Hörnerven der Paludina eine entwicklungsgeschichtlich niedrigere Stufe vor, etwa wie die ursprünglich hohlen Seh-, Riech- und Gehörnerven der Säugethierembryonen im Verhältniss zum definitiven Zustande derselben. Die Ohrblasen der Neritina bestehen aus einer eigenen, ziemlich (etwa 0,0026 Mm.) dicken Kapsel, in welcher keine deutliche Struktur erkannt wurde, und deren innere Ober- fläche, wie gesagt, mit dem Flimmerepithel bekleidet ist. Bei den Embryonen ist diese Membran in der Gegend, welche nach der Mittellinie des Thieres zu sieht, ziemlich dünn, den Kanal sich quer über das Ganglion hinweg fortsetzen zu sehen, und selbst Steinchen in dieser Fortsetzung des Ganges wahrzunehmen. Schon damals hatten wir daran gedacht, ob dieser Kanal nicht mit der Aussenwelt zusammenhing; da wir jedoch kein solches Bild mehr trafen, so hatten wir diese Hypothese fahren lassen. Kölliker'’s Beobachtung macht uns die Sache wieder zweifelhaft. Künftige Be- obachtungen werden uns hoffentlich darüber das Richtige lehren. Bei den erwachsenen Tintenfischen und Loliginen konnte Köl- liker keine Spur von einem von den Gehörkapseln ausgehenden Gange entdecken. — S. Kölliker’s Entwicklungsgeschichte der Cepha- lopoden. Zürich 1844. p. 105 — 106. 136 Edouard Claparede: nimmt aber nach aussen bis zu der Stelle, wo sie in den Stiel übergeht, an Dicke beträchtlich zu. Was die Otolithen betrifft, so müssen wir die Embryonen und die erwachsenen Thiere auseinander halten. Bei den ersteren ist stets ein einziger, grosser, blasser, runder Oto- lith vorhanden (Fig. 60 und 61), welcher keinesweges, wie man erwarten dürfte, aus kohlensaurem Kalke besteht, denn er zeigt unter Einwirkung von Säuren kein Aufbrausen, son- dern quillt nur auf und wird durchsichtiger, ohne sich selbst bei einem längeren Verbleiben in Essigsäure aufzulösen. Durch Druck wird er flacher, breiter und zerfällt allmälig in kleine, runde, sehr blasse Körperchen oder zähe Tröpfchen, welche bald zerfliessen und sich auflösen. Bei den erwach- senen Thieren ist oft dieser blasse, embryonale Otolith vor- handen (Fig. 9. a), oft aber auch nicht; stets indesen findet man in jeder Ohrblase eine gewisse Menge kleiner, unregel- mässig eckiger, stark lichtbrechender Steinchen, deren An- zahl sehr verschieden und sogar oft fünf oder gar zehn Mal grösser in dem einen als in dem anderen Ohrbläschen eines und desselben Thieres ist. Man findet mitunter ihrer bis 180 oder gar 200 und darüber in einer Hörblase. Diese Un- gleichheit in den beiden Gehörorganen erinnert an das merk- würdige Verhalten derselben bei Cio, wo nach Krohn’s Be- obachtungen!) die beiden Ohrblasen der Larve anfangs gleich sind, wo aber sehr bald die linke regelmässig ein übermässi- ges Uebergewicht über die rechte erlangt und mit zahlreichen Otolithen sich füllt. Einmal fanden wir eine Neritina , deren eine Ohrblase eine Menge (gegen 200) runde, 0,0063 Mm. im Durchschnitt grosse, grün gefärbte Otolithen und ausser- dem namentlich im Stiel die gewöhnlichen kleineren eckigen Steinchen, während die zweite nur letztere enthielt. Die grüne Färbung hat weiter nichts Auffallendes, da sehr oft die bei Neritina den Kieferapparat ersetzende Membran, die Radula, und namentlich die vorderen Flügel derselben sowohl 1) Beobachtungen aus der Entwicklungsgeschichte der Pteropo- den etc. Müller’s Archiv, 1856. Heft V. p. 515. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fuviatilis. 137 wie die Cysten der in diesen Schnecken vorkommenden Schmarotzer schön grün gefärbt sind. Dass mehrere Oto- lithenformen bei gewissen Schnecken vorkommen, wurde schon von Krohn!) erwähnt. Bei Doris, Tritonia, Eolidia z.B. findet man nach seinen Angaben ovale, an den Enden zugespitzte Steinchen, welche die Mehrzahl der Otolithen bilden, dann kommen andere von geringerer Grösse und in minder beträchtlicher Anzahl vor, die mehr weniger krystal- linisch sind. Ausserdem aber giebt es noch zuweilen eine Ueberzahl von ungemein kleinen krystallinischen Körnchen, die mit ihren Facetten an einander gefügt die Flächen der zweiten, selten der ersten Art, dicht bedecken. In Säuren lösen sie sich mit Aufbrausen auf und geben hiernach auch von Seiten ihrer chemischen Bestandtheile ihre Verwandt- schaft mit den Otolithen zu erkennen. Nicht so aber bei Neritina. Die Steinchen bieten bei derselben keine deutliche krystallinische Zusammensetzung dar; ihre Grösse schwankt zwischen 0,01 und 0,001 Mm., manche sind noch bedeutend kleiner. In Essigsäure lösen sie sich nicht auf, so dass an kohlensauren Kalk nicht zu denken ist und ebenso wenig an kleesauren Kalk, da Salzsäure sich ebenfalls wirkungslos er- weist. Die Möglichkeit, dass diese unregelmässigen eckigen Körperchen aus Fett bestehen, war zwar vorhanden, der Versuch aber, dieselben in Alkohol oder in Aether aufzu- lösen, war vergeblich. Von der mikrochemischen Seite lässt sich also in Bezug auf diese räthselhaften Körperchen nichts Positives sagen. Leydig beschreibt bei Paludina Muskeln, die auf den Spannungsgrad der ganzen Gehörblase einwirken können. Es konnte bei Neritina nichts Aehnliches gefunden werden, denn bei den Embryonen sind die Hörblasen mitten zwischen den Parenchymzellen eingebettet, und beim erwachsenen Thiere schienen sie ziemlich frei innerhalb des unteren Nervenringes zu liegen. 1) Froriep’s Neue Notizen XIV. p. 310. 138 Edouard Claparede:; Gesichtswerkzeuge. Die Ommatophoren zeigen sich ‚unter der Gestalt eines an der Seite und der Basis des Fühlers gelegenen rnndlichen Höckers, in dessen Parenehym der Aug- apfel eingebettet liegt. Dieser Höcker flimmert an der Ober- fläche, wie der freie Theil des Thieres überhaupt, nur auf dem Scheitel desselben ist die Haut unbeflimmert, sehr ver- dünnt und kann als Conjunctiva betrachtet werden. Der eigentliche Augapfel wird durch eine aus zwei Schichten be- stehende Sclera (Fig. 8. a) eingehüllt, welche sich unter der Bindehaut ebenfalls sehr verdünnt, und eine Hornhaut dar- stellt. Die Cornea und Conjunctiva haben jedoch zusammen- genommen eine ziemlich beträchtliche Dicke, so dass die Angabe von Moquin!), die Hornhaut sei bei Neritina kaum wahrnehmbar, nicht gerechtfertigt erscheint. Die innere Schicht der Sclera ist meistens etwas röthlich gefärbt. Beide Schich- ten werden nach der Eindringungsstelle des Sehnerven all- mälig dünner und verlieren sich endlich in der äusseren Oon- tour desselben, so dass sie ihm eine Art Neurilem bilden. Die Chorioidea ist kohlschwarz und erscheint bei starker Ver- grösserung, wenn sie zerzupft wird, aus kleinen, runden, mit Pigmentkörnchen erfüllten und mit einem deutlichen Kern versehenen Zellen zusammengesetzt (Fig. 8. A). Es besitzen dieselben eine durchschnittliche Breite von 0,005 bis 0,0038 Mm. Der ganze Augapfel ist nicht rund, sondern birn- oder krei- selförmig, und so auch die Chorioidea. Dieselbe bildet einen Kegel, dessen unter der Hornhaut gelegene Basis verhält- nissmässig breit ist, der sich aber sehr schnell nach hinten zu verjüngt und ziemlich spitz endigt. Bei vielen Exemplaren gelingt es Einem nicht, eine Lücke in dem vorderen Theil der Chorioidea zu entdecken, bei anderen aber ist die breite Pupille deutlich wahrzunehmen. — In Bezug auf die brechen- den Medien hat Lespes behauptet, dass alle kopftragenden Mollusken eine Krystalllinse in ihrem Auge besitzen, nur Neritina fluviatilis nicht, und Moquin-Tandon?) hat sich 1) A.2a.0. p. 141. 2) A. a. 0. p. 142. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis: 139 dieser Ansicht angeschlossen, was ihn übrigens nicht davon abhält, auf seinen Tafeln das Auge einer Neritina fluviatilis mit einer deutlichen Krystalllinse abzubilden und dieselbe als solche in der Erklärung zu den Tafeln zu bezeichnen. Wenn Moquin-Tandon Lespes’s Irrthum in seinen Text auf- genommen hat, so hat er indessen auf seinen Tafeln Recht, denn das Neritinenauge ist mit einer unverkennbaren Linse (Fig. 8. ec) versehen. — Moquin erwähnt hinter dem Auge einen schwarzen Fleck von länglicher Gestalt, welcher wie ein zweites Auge aussehen soll. Die bei Berlin vorkommen- den Neritinen bieten nichts Aehnliches. 4. Von dem Verdauungsapparat. Der Mund der Neritina flwviatilis ist kieferlos, und der Eingang in die Mundhöhle wird durch eine einfache runde Oeffnung in einer wulstigen Lippe gebildet. Zwar bildet Moquin-Tandon zwei Kiefer ab, aber was er als zwei gezähnte und getrennte Kieferstücke aufgefasst hat, sind Theile einer weichen, chitinartigen, mit starken Längsfalten versehenen Membran, welche die Mundhöhle bekleidet und sich leicht abpräpariren lässt. Diese Längsfalten erscheinen von hellröthlich brauner Farbe und verleihen der Mundöft- nung die Fähigkeit, sich sehr bedeutend zu erweitern. Mo- quin-Tandon hält mit St. Simon die vermeintlichen Kie- fer von Neritina für knorpelig und beschreibt, wie der Oberkiefer gross, gebogen, an beiden Enden abgerundet und mit 6 oder 3 Rippen versehen sei, während der untere kleiner sein soll, u.s.w. Da jedoch Troschel’s Vermuthung !), dass eine solche Membran wie die eben beschriebene zu finden sei, sich verwirklicht hat, so kann man mit ihm die ganze innere Wandung des Mundeinganges mit einem ein- zigen Kiefer vergleichen. Die Bewegung dieses Mundapparates wird durch eine ge- wisse Anzahl von Muskeln vermittelt, die sich an die faltige 1) Ueber die Mundtheile einheimischer Schnecken. Archiv für Na- turgeschichte. 1836. 140 Edouard Claparede: Membran einerseits und an zwei Knorpelstücke andererseits ansetzen. Letztere sind zwei rundliche ovale Scheiben (Fig. 10), deren eine rechts und die andere links von der Mundtasche liegen und keinen anderen Zweck haben, als einen festen Ruhepunkt für die Bewegungen der Lippe abzugeben. Durch Verkürzung der sich zwischen der faltigen Mundmembran und den Lippenknorpeln ausspannenden Muskelfasern wird die Mundöffnung bedeutend erweitert, während bei Erschlaf- fung derselben die Zusammenziehung der Ringfasern der Lippe den Schluss der Mundöffnung herbeiführt. Bei erwach- senen Individuen sind diese Knorpelstücke gegen 0,23 Mm. lang und 0,17 Mm. breit. Ueber die mikroskopische Be- schaffenheit derselben werden wir gleich bei Veranlassung der Zungenknorpel zurückkommen. Die Reibmembran wurde schon von Troschel, Loven und Moquin-Tandon untersucht. Sowohl die Abbildung, welche bei viel zu schwacher Vergrösserung und bei unrich- tiger Auffassung der Verhältnisse der Chitinplatten zu ein- ander gemacht wurde, wie die Beschreibung des letzteren, sind vollkommen unbrauchbar. Troschel!) hat eine sehr genaue Beschreibung und ziemlich gute Abbildung der Neri- tinenzunge gegeben, und Loven’s Darstellung?) ist ganz unübertrefflich. Die grösste Analogie hat nach Loven’s Fi- guren die Reibmembran der Neritina mit derjenigen von Trochus, Phasianella, Rotella, Haliotis, Emarginula, wesswegen er alle diese Gattungen in eine Gruppe unter dem Namen Trochina zusammenfasst. Es stimmt diese Gruppe mit Tro- schel’s Rhipidoglossaten überein. Natica, die man früher der Schale wegen mit Neritina zusammenwarf, hat der Zeich- nung des schwedischen Anatomen nach eine ganz andere Radula. % Nach Loven’s vorzüglicher Darstellung können wir eine genauere Beschreibung dieser zierlichen Reibmembran unter- 1) A.a. 0. 2) Öfversigt af kongl. Vetenskaps-Akademiens Förhandlingar. Stock- holm 1847. Die Reibmembran von Neritina auf Tab. VI. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 141 lassen, und nur beim hinteren Ende derselben längere Zeit verweilen, welches merkwürdiger Weise nicht nur von Mo- quin-Tandon, sondern auch von Troschel und selbst von Loven übersehen wurde. Die Reibmembran ist bekanntlich in eine Scheide eingeschlossen, aber die verschiedenen Theile derselben, wie sie Loven abbildet, liegen nicht in einer Ebene. Die sieben Chitinplattenreihen der Rhachis sitzen in Längslinien auf der oberen Fläche, so zwar, dass die unpaa- rige Mittelreihe (Fig. 26. a) tiefer und horizontal, und die beiden folgenden (ce, d) jederseits nach der Seite zu allmälig in die Höhe steigen, während die vierte (e) schräg nach aussen und abwärts sieht; die zahlreichen Häkchen (Loven’s Uncini), welche Querreihen bilden, deren eine von jedem Glied der Rhachis wie eine Rippe abgeht, nehmen die Seiten und die untere Fläche der Zunge so ein (Fig. 26. f), dass nur der mittlere Theil der unteren Fläche davon frei bleibt. Die durch die Häkchenreihen gebildeten Rippen bilden also einen Bogen, welcher aber nicht gerade unterhalb des ent- sprechenden Rhachisgliedes zu liegen kommt, sondern schräg nach unten und hinten läuft, so dass er eine gewisse An- zahl Glieder unter einem ziemlich grossen Winkel schneidet. Diese Schrägheit wird um so bedeutender, als man weiter nach hinten gelegene Zungentheile betrachtet. Wenn also die Rhachis auf der oberen Fläche aufhört, d.h. wenn man das letzte Glied derselben erreicht hat, so hört die Radula auf der unteren Fläche noch keinesweges auf, da die schiefen nach unten stehenden Häkchenrippen sich schräg nach hinten noch eine ganze Strecke verlängern. Dadurch bleibt der letzte hinterste Theil der oberen Fläche der Zunge von der Radula entblösst, und an deren Stelle nimmt man nur eine fleischige, durch eine mittlere tiefe Furche in zwei Längswülste getheilte Masse wahr (Fig. 27). Diese Wülste sind durch Pigment- körnchen röthlich braun gefärbt, welche auf deren Ober- fläche Querstreifen bilden. Letztere sind gegen die Achse nur wenig geneigt, und schneiden also die auf der Unterfläche der Zunge verlaufenden Häkchenrippen unter einem ziem- lich grossen Winkel. Der vordere Theil der Wülste ist be- 142 Edouard Clapartde: deutend verdickt und stellt sich wie zwei ebenfalls röthlich gefärbte Höcker dar. In der Substanz des Organes konnten nur körnige Kügelchen unterschieden werden, wovon es sich nicht einmal sagen lässt, ob es Zellen oder Zellkerne sind. Merkwürdig ist es, dass dieses hintere Ende der Zunge von den meisten Beobachtern gar nicht erwähnt wurde. Es möchte daher kommen, dass vielleicht dieselben, um die Reibmembran reiner zu bekommen, zu Reagentien ihre Zu- flucht nahmen, wodurch die weichen, leicht vergänglichen Theile zerstört wurden. Nicht selten zerfliessen beim Ver- dampfen des Wassers die beiden eben beschriebenen Zungen- wülste unter dem Druck des Deckplättchens, und es bleibt nur ein unkenntlicher Teig übrig, und überhaupt ist das Or- gan sehr zart und vergänglich. Die einzigen Beobachter, welche diesem Zungentheil ihre Aufmerksamkeit schenkten, sind Lebert'!) und Allmann ?). Ersterer nannte denselben die hintere Zungenpapille und gab eine Beschreibung dieses Organes bei Patella?), wo es eine weissgrau gefärbte, halbdurchsichtige, an ihrem Ende leicht concave Papille darstellen soll. Nach Lebert gehört die „Endpapille der Hakensaite“* ganz der Scheide an, und das ist bis zu einem gewissen Grade richtig, sie gehört aber zugleich der Reibmembran selbst an. Troschel in der eben erschienenen ersten Lieferung seines Werkes über das Ge- biss der Schnecken) behauptet zwar, die Reibmembran stecke mit ihrem hinteren Ende völlig frei in der Zungenscheide, ohne mit derselben verwachsen zu sein, was wir durchaus bestreiten. Dabei giebt er richtig an, der in der Zungen- scheide steckende Zungentheil thue zum Verkleinern der Nah- rung keinen Dienst, er sei gleichsam die Reserve, um die im Dienst untauglich gewordenen Vormänner zu ersetzen, 1) Beobachtungen über die Mundorgane einiger Gasteropoden. Müller’s Archiv 1846. 2) On the anatomy of Acteon. — Annals and Magazin of Natural History. Vol. XVI. 1845. p. 147. 3) A.a.O. p. 438 —439. Taf. XI, Fig. 5. 4) Das Gebiss der Schnecken. Erste Lieferung. Berlin 1856. p. 19. Anatomie und Entwleklungsgeschiehte der Neritina fluviatilis. 143 und in dem Grade, wie sich vorn die Platten abnutzen, schiebe sich die Membran nach vorn vor, und bilden sich am Hinterende neue Glieder nach. Wie diese Bildung vor sich geht, davon erwähnt aber Troschel nichts. Die Reib- membran steckt in der That mit ihrem hinteren Ende in der Zungenscheide nicht vollkommen frei, sondern dieser hintere Theil ist in der Substanz selbst des eben beschriebenen Or- ganes eingebettet. Andererseits geht dieses Organ nach hinten in die Zungenscheide über, wie Lebert bei Patella richtig angab. In dieser Lebert’schen Endpapille sehen wir die Matrix der Reibmembran. Auf deren vorderem und oberem Theil erscheinen die Reibplatten zuerst als kaum wahrnehm- bare, farblose, höchst durchsichtige Plättchen. Von Anfang an haben diese Plättchen dieselbe Breite wie später und werden gleich auf ihrer ganzen Oberfläche abgesondert. Der vordere Theil der oberen Fläche der Endpapille bildet die Hauptplattenreihen (die Rhachis), die Seiten und die untere Fläche übernehmen die Bildung der Seitenhaken. Wozu aber die Spaltung der Papille, der Mittellinie nach, bei Neritina von Nutzen sein kann, das ist uns nicht klar geworden. Lebert soll nichts Aehnliches bei Patella gefunden haben, wie auch bei sonst keiner anderen Schnecke. Bei manchen Gattungen ist diese Papille in der Breite sehr entwickelt, so z.B. bei Patella nach Lebert, und bei Pomatias (P. ma- eulatum), wie wir finden. Lebert hatte schon die Ansicht aufgestellt!), die Scheide der Chorda (Reibmembran) stehe mit der Bildung und der immer neuen Sekretion der Platten in näherer Beziehung; dass aber gerade diese hintere Papille die Matrix derselben sei, hatte er nicht geahnt. Allmann indessen, welcher dieses Organ bei Actaeon unter dem Namen „lingual sac* beschrieb, vermuthete schon, dass die Zungen- platten von demselben gebildet werden. Erwähnenswerth ist noch, dass die Chitinplatten der Reib- membran und namentlich die vorderen Stücke derselben mit- unter wunderschön grün gefärbt sind, 1) A. 2.0. p. 457. 144 Edouard Claparede: Der Zungenapparat bei Neritina zeichnet sich durch vier Knorpelstücke aus, die ein die Reibmembran tragendes Ge- rüst bilden. Loven scheint dieselben nicht gesehen zu haben, oder erwähnt wenigstens dieselben nicht, was Keinen Wunder nehmen darf, da er seine Aufmerksamkeit in der schon eitir- ten Abhandlung der Reibmembran ausschliesslich schenkt. Auffallender ist der Umstand, dass Troschel bei seiner ausführlichen Beschreibung des ganzen Apparates unserer Schnecke diese Organe ganz verkannte und für Muskeln hielt.!). Indessen fallen die Zungenknorpelstücke, wenn man eine Neritina gleichviel von oben oder von unten aufschneidet, durch eine eigene blasse, bläuliche Farbe sogleich ins Auge. Moquin-Tandon hat sie zuerst als Knorpel aufgefasst, ohne sie jedoch genauer zu studiren. Er merkte nicht ein- mal, dass ihrer vier vorhanden waren, und prüfte sie mikros- kopisch nicht, denn die histologische Beschaffenheit der Knor- pel behandelt er sehr flüchtig, indem er nur sagt, diese Körper seien kaum „poncetues.“* Ueberhaupt giebt Moquin-Tandon nicht viel auf die Wahl solcher Bezeichnungen, da er.die Reibmembran selbst „knorpelig* und die Zähnchen darauf „kreideartig* nennt?). Quoy und Gaimard haben bei Nerita einen ganz ähn- lichen Zungenknorpelapparat wie wir bei Neritina gefunden. Sie scheinen die knorpelige Beschaffenheit erkannt oder viel- mehr geahnt zu haben, denn von mikroskopischer Unter- suchung ist auch bei ihnen keine Rede. Ob die Beziehung dieses Apparates zur Reibmembran ihnen entgangen ist, ist nicht ersichtlich, da sie ausser der Zeichnung denselben kaum erwähnen. Der Zungenknorpelapparat besteht aus zwei Knorpel- stücken jederseits, welche eng an einander gefügt gleichsam ein Ganzes bilden. Jeder Complex von zwei Knorpelstücken 1) „Die Zunge selbst ist wie bei den Potamophilen zwischen zwei rundliche Muskeln eingewachsen.“ — Ueber die Mundtheile etc. a. a. O. p. 275. 2) Ara. 0. p. 36 und 37. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. ]45 bietet die Gestalt eines länglichen Dreieckes dar, dessen Basis nach hinten und dessen Spitze nach vorn gerichtet ist; eine wellenförmige, der Quere nach verlaufende Scheidelinie trennt die beiden sehr ungleich grossen Knorpelstücke von einan- der. Das vordere, das hintere an Grösse weit übertreffende Stück (Fig. 11. a) bildet selbst wieder ein längliches Dreieck, dessen kleinste Seite nach hinten sieht, während die äussere, nach vorn etwas convex werdende die grösste Länge erreicht. Unweit von der vorderen Spitze erhebt sich ein Höcker (b), der sich kegelförmig zuspitzt und mit einer verhältnissmässig nicht sehr breiten Basis dem Knorpelstück aufsitzt. Dieser Höcker ragt nicht senkrecht über die Knorpeloberfläche her- vor, sondern neigt sich gegen dieselbe hin, indem er sich schräg nach vorn und innen richtet. Die Gestalt des hinteren Knorpelstückes (Fig. 11. ec) gleicht einem unregelmässigen Oval, dessen wellenförmig gebogene, nach vorn sehende Seite in die Basis des vorderen dreiseitigen Stückes hinein- passt, während die Spitze der eiförmigen Figur nach aussen gerichtet ist. Die beiden symmetrischen Knorpelstückeomplexe liegen im Grunde der Mundhöhle, und zwar so, dass deren hintere Theile ziemlich weit von einander abstehen, während die beiden Spitzen sich nach vorn zu einander nähern und sich fast berühren. Dadurch werden die beiden spitzigen Höcker so an einander gebracht, dass ein beinahe vertikaler, drei- eckiger Raum entsteht, dessen Basis durch den vorderen Theil der Oberfläche der beiden Knorpelstücke und die beiden anderen Seiten durch die Innenseite der beiden nach vorn und innen geneigten Höcker gebildet werden. Dieser drei- eckige Raum nimmt das vordere Ende der Reibmembran auf, deren Seitenflügel (Fig. 11. e) sich auf die Knorpelstücke stützen. Eine grosse Anzahl von Muskeln setzt sich an die beiden Knorpel fest und vermitteln die verschiedenen Be- wegungen, wozu die Zunge befähigt ist. Leider wurden wir durch die Kleinheit des Gegenstandes verhindert, das Spiel dieser Muskeln genauer zu prüfen. Wir wollen noch erwähnen, dass ein breites Muskelband sich zwischen den Müller’s Archiv, 1857. 10 146 Edouard Claparede: beiden Knorpeleomplexen erstreckt, indem es dieselben wie durch eine dichte Membran verbindet. Die Fasern verlau- fen in diesem Muskelband einander genau parallel der Quere nach, d. h. also senkrecht auf die Richtung der Zungenachse. Die dadurch bezweckte Bewegung ist offenbar ein Aneinander- rücken der beiden Knorpelcomplexe und zugleich auch bis zu einem gewissen Grade ein Auseinanderweichen der beiden Höcker. Wozu aber eine derartige Bewegung dienlich sein könne, ist uns nicht klar geworden. Ebensowenig ist der Zweck des Zerfallens der beiden Knorpelsysteme in je zwei Stücke recht begreiflich. Ob die Möglichkeit einer Bewegung oder Verschiebung beider Knorpelstücke aufeinander durch dieses Gelenk erreicht ist, steht dahin. Es stellt eine Art Synarthrosis dar, welche jedenfalls durch die Elasticität der Bandmasse allein eine Bewegung gestatten könnte. Das vordere Zungenknorpelstück hat bei Neritinenexem- plaren mittlerer Grösse eine Länge von 0,915 Mm. und an der breitesten Stelle eine Breite von 0,476 Mm. Es nimmt allmälig nach vorn zu an Breite ab, und endigt mit einer stumpfen Spitze. Der Höcker dieses vorderen Stückes ist etwa 0,264 Mm. lang und an seiner Basis 0,159 Mm. breit. Das hintere Knor- pelstück hat von vorn nach hinten einen Durchmesser von ungefähr 0,265 Mm., und misst in der (uere 0,476 Mm., wie die breiteste Stelle des vordersten Knorpelstückes. Für sehr grosse Exemplare müssen alle diese Zahlen etwas erhöht wer- den. Somit wären sechs Knorpelstücke — die beiden Mund- oder Lippenknorpel nämlich, welche wir oben erwähnten, und die vier Zungenknorpelstücke — bei der Neritina fhwiatilis vorhanden. Lippenknorpel, d.h. solche, die aus wirklicher Knorpelsubstanz bestehen und innerhalb der fleischigen Lippen- masse ganz verborgen bleiben, indem sie zum Muskelansatz allein dienen, wurden bei Cephalophoren, so viel uns bekannt, bis jetzt nicht beobachtet. Dass sie anderswo noch vorkommen werden, scheint kaum zweifelhaft und möchten wir nament- lich deren Vorhandensein bei Nerita für höchst wahrschein- lich halten. Die von Quoy und Gaimard abgebildeten, mi- kroskopisch nicht näher untersuchten Zungenknorpel bei Ne- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 147 rita stimmen der Gestalt nach mit dem Zungenknorpelapparat der Neritina vollkommen überein. Jederseits sind auch hier zwei Knorpelstücke vorhanden, denn man kann das auch als Scheidelinie der beiden Stücke deuten, was zuerst in der Zeichnung als der perspektivische Ausdruck der Basis eines Knorpelstückes erscheinen möchte. Ob die beiden Höcker des vorderen Knorpelstückes auch bei Nerit« vorhanden sind, kann man aus der Quoy - Gaimard’schen Zeichnung nicht ersehen. Eine zwischen den beiden Knorpelcomplexen ge- spannte Membran verbindet dieselben bei Nerita, der Dar- stellung der französischen Anatomen nach; jedoch hätte sich höchst wahrscheinlich diese angebliche Membran unter dem Mikroskop nicht als Knorpelsubstanz, sondern als ein dünner platter Muskel erwiesen. Es ist offenbar das straffe quere Muskelband, das wir eben auch bei Neritina erwähnten und welches wir auch der Straffheit wegen mit dem blossen Auge für Knorpel hielten. Ueber das Vorhandensein von Zungenknorpeln bei anderen Schnecken finden sich in der Litteratur vielfache Angaben, welche jedoch meistens unbeachtet blieben, so dass Siebold in seinem Handbuch der vergleichenden Anatomie das Vor- kommen von Knorpeln bei Cephalophoren nicht einmal er- wähnt. Selbst Cuvier hat schon einigemal in seinen vor- trefflichen Beobachtungen der Zungenknorpel Erwähnung ge- than. So z. B. in Bezug auf Buccinum undatum ') bemerkt er, dass die Zunge auf zwei längliche Knorpeln gespannt ist, die verschiedene Bewegungen auszuführen im Stande sind. Bei Patella?) fand er jederseits der Zunge einen knorpligen aus zwei Stücken bestehenden Körper. Seitdem haben Delle Chiaje, Valenciennes, Quoy und Gaimard, Mo- quin-Tandon u. A. m. aber namentlich Osler und Le- bert die Zungenknorpel verschiedener Schnecken mehrfach gesehen und abgebildet, so dass wir die Ansicht aufstellen dürfen, dass bei allen Cephalophoren die Zunge sich auf 1) Memoire sur le grand Bucein de nos cötes, p. 9. 2) Memoire sur l’Haliotide, le Sigaret, la Patelle etc. p. 17. 10* 148 Edouard Claparede: ein oder mehrere Knorpelstücke stützt, die zum Ansatz verschiedener Muskeln behufs der Bewegung derselben dienen. Wenn wir flüchtig die verschiedenen Schneckengruppen durchmustern, so finden wir, dass die Zungenknorpel schon fast bei allen gefunden wurden. Unter den Ctenobranchiaten zuerst wurden die Knorpel von Buceinum undatum ausser von Cuvier noch von Souleyet'!), Valenciennes?) und Lebert?°) gesehen. Valenciennes namentlich hat eine schöne Abbildung derselben geliefert. Delle Chiaje*) be- schreibt sie bei Buccinum (Dolium) Galea als zwei bernstein- artige, hornartige Schüppchen, die eine halbmondförmige Ge- stalt besitzen. Ihr Verbältniss zur Zunge beweist, dass diese Organe wohl dasselbe sind wie die fraglichen Knorpel, nur würde Delle Chiaje’s Beschreibung beinahe daran zweifeln lassen, dass sie aus Knorpelsubstanz bestehen, wenn nicht Troschel’) dieselben wieder gesehen und als Knorpel bezeichnet hätte. Souleyet‘) fand die Zungen- knorpel bei Pyrula tuba, und Leiblein”) bei Murex bran- daris, wo er dieselben als zwei runde kieferartige Gebilde bezeichnet. Unter den mit Neritina verwandten Gattungen wurden sie von Quoy und Gaimard?) bei Nacicella beob- achtet. Es sind hier gerade wie bei Neritina ihrer vier (aus Irrthum werden in der Erklärung zu den Tafeln fünf ange- geben). Die Figur muss aber wahrscheinlich umgedreht werden, 1) Voyage autour du monde sur la corvette la Bonite. Zool. p. Eydoux et Souleyet. 1841. T. II. p. 616. 2) Archives du Museum d’Hist. nat. T. V. PI.XXV. fig. 6. 3) Beobachtungen über die Mundorgane einiger Gasteropoden a a.O. 4) Jos. Xav. Poli’s Testacea utriusque Siciliae eorumque histo- ria et anatome. 1826. T. III. Pars altera p. 41. Tab. L. fig. 2 et3. — „Binae squamulae, semilunares, corneae.“ 5) Das Gebiss der Schnecken. Berlin 1856. Tab. I. fig. 9. 6) A.a.0. T.D. p. 616. 7) Heusinger’s Zeitschrift für organische Physik (Beitrag zu einer Anatomie des Purpurstachels). Bd. I. Eisenach 1827. p. 12. Tab.1. Fig. 7, o. 8) A.a. O. PI. 58, fig. 31, von Navicella elliptica aus Guam, Bour- bon etc. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 149 da die kleineren Knorpelstücke wohl die hintersten sind, wie bei Neritina. Bei Turbo scaber scheinen sie von Souleyet gesehen worden zu sein, ohne dass er besonderes Gewicht darauf legte. Sie sind nämlich in einer seiner Zeichnungen!) sehr kenntlich abgebildet, obgleich er nirgends im Texte davon spricht und dieselben nicht einmal mit einem Buch- staben auf seinen Tafeln bezeichnet. Troschel?) bildet sie bei Turbo Sarmaticus ab, wir vermuthen aber, dass unter den noch am einzigen paarigen dargestellten Knorpelstücke hän- genden Muskelfasern das hintere kleinere Knorpelstück ver- borgen blieb. Die Zungenknorpel von Trochus wurden von Osler?°) in seiner vortreffllichen Abhandlung beschrieben. Er hält dieselben für knorplige Kiefer, und giebt an, dass sie sich vermittelst eines Ligaments wie ein Buch öffnen und schliessen. Es ist dieses Ligament nichts Anderes, als das quere Muskelband, das wir bei Neritina kennen lernten. Mit dem hinteren Theile jedes Knorpelstückes ist ein anderes kleineres durch ein Ligament verbunden, also gerade wie bei Neritina. Bei Littorina littorea, die ebenfalls von Osler ®) studirt wnrde, ist die Uebereinstimmung mit Neritina noch schlagender: auf die Knorpel ist die Reibmembran gespannt. Die Knorpel selbst stecken in einer dieken Grundlage (in a thick base) gerade wie eine Eichel in ihrer Schale und von jedem geht ein Processus ab, der mit den Anderen wie ein Guckloch (loop) bildet, wodurch die Zunge durchgeht. Diese beiden Processus sind offenbar denen ganz ähnlich, die wir bei Neritina trafen und die Eichelschale ist ganz einfach das hintere Knorpelstück. Dass Osler dessen knorplige Natur nıcht erkannte, muss nicht befremden, da er das Mikroskop 1) A.a.O. Atlas. Pl. 38. fig. 3 u. 4. 2) Das Gebiss der Schnecken. Tab. 1. Fig. 15, 3) Observations on the anatomy and habits of marine testaceous mollusca by Edw. Osler. — Trans. of the Roy. Soc. of London 1832. p. 497. Pl. XIV. Fig. 1, 2, 3 von T. crassus. A)rIbid. p. 502. BI. XIV. Rig. 7. 150 Edouard Claparede: nicht zu Hülfe nahm. Bei Janthina hat Delle Chiaje!) sehr grosse Zungenknorpel abgebildet und selbst den cellulösen Bau derselben auf den Tafeln angegeben. Trotzdem aber erkannte er ihre Beschaffenheit nicht, da er dieselben ganz einfach als zwei elliptische, etwas dicke Körper bezeichnet, welche mit den Cotyledonen einer Bohne Aehnlichkeit haben. Derselbe hat ebenfalls bei Cypraea (C. pyrum)?) die Zungen- knorpel abgebildet. Er hat sich nur darin vergriffen, dass er meinte, diese Knorpel bildeten eine die Zunge einschlies- sende Kapsel. Bei Paludina wurden sie von Lebert®) und Moquin-Tandon*) beobachtet. Lebert giebt ihrer zwei an, während Moquin vier Stücke gefunden haben will und er hat wahrscheinlich darin Recht. Unter den Ooriocellen wurden sie von Bergh ’°) bei Onchidiopsis und Marsenina ge- funder und schon vorher hatte Delle Chiaje °) dieselben bei Sigaretus gekanüt. Auch bei den s. g. ächten Seutibranchiaten und zu- erst bei Haliotis tuberculata wurden die Zungenknorpel von Delle Chiaje”’) und Lebert°) beobachtet; ebenfalls .bei Parmophorus von Quoy und Gaimard °); unter den Cyelo- 1) Memorie sulla storia e notomia degli animali senza vertebre del Regno di Napoli. 1843. — Dupliei corpi ellittiei, alquanto crassi, emulanti i cotiledoni della faba. I. S. 106. Tab. LXVIII. Fig. 12. 2) Poli’s Testacea utriusqne Sieiliae. — T. III. Pars altera. Tab. XLV. Fig. 27, Q. „Ligula theca cartilaginosa inclusa.* S. 14. 3) A. a. ©. p. 442. 4) Ar a)0N1p.,39:= PIHXTE, Pig: YU1O: 5) Bidrag til en Monographi af Marseniaderne. Kjöbenhavn 1853. Tab. I—IV. — Es ist sein sattelförmiger Körper (det saddelformige Legeme). 6) Memorie sulla storia e notomia ete. — „Lamina cartilaginosa divisa in due lobi“ p. 112. Der Abbildung nach (Tab. LXXIX. Fig. 10) sind aber 4 Knorpelstücke vorhanden. 7) Poli’s Testacea utriusque Siciliae T. III. Tabl. LV. fig. 29— 31. — So ersehe ich wenigstens aus den Tafeln, denn das in der Königl. Bibliothek zu Berlin befindliche Exemplar entbehrt den Text zu den Tafeln Lbis LVII. 8) A. a. O.p. 405. O)RA=2..0.0B1 69, Rrazalble Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilie. 151 branchiaten bei Chiton von Osler'!) und Middendorff?) bei Patella von Cuvier ®), Delle Chiaje), Osler’) und Huxley®). Cuvier gab bei Patella vulgata zwei Systeme von je zwei Knorpelstücken an; den Abbildungen nach scheint Delle Chiaje im Ganzen nur zwei Knorpelstücke gesehen zu habeu; Osler verzeichnet ihrer neun und Huxley wie Cuvier nur vier. Es sind in der That acht vorhanden (Fig. 18.). Dieselben vier Knorpelstücke wie bei Neritina existiren nämlich auch bei Patella vulgata, nur sind die hin- teren (Fig. 18.a.) bedeutend dicker und mit einem stumpfen Fortsatz nach Aussen versehen. Der äussere Rand der vor- deren Stücke (b.), die ausserdem verhältnissmässig viel län- ger als bei Neritina sind, ist sehr verdickt. Dabei kommen noch vier Knorpelstücke hinzu: zuerst auf dem vorderen Hauptstück (Osler’s lateral jaw) zwei dünne dreieckige knorplige Platten (e.), die etwa denselben Platz einnehmen, wie die beiden höckerigen Fortsätze bei Neritina. Es sind dies in der That nichts anderes als diese Höcker selber, da sie hier in Betreff der Radula gerade dieselbe Rolle wie bei Neritina spielen, nur sind sie bei letzterer dem vorderen Knorpelstück angewachsen, während sie bei Patella geson- derte Knorpelstücke bilden. Endlich sind noch zwei Knor- pelstücke vorhanden (d.), deren jedes an der äusseren Seite des einen Hauptknorpelstückes und an dem vorderen Theil desselben ansitzt. Sie sind ziemlich genau kegelförmig. Die Basis des Kegels aber ist nach vorn und die Spitze nach hinten gerichtet. Osler will noch ausserdem ein neuntes Stück gefunden haben, welches vor den anderen zu finden 1), A. a. ©. p. 506. Fig. 11—12. 2) Beiträge zu einer Malacozoologia Rossica. Petersburg 1847. p. 61. Tab. VIII. Fig. 2, und Tab. V., Fig. 5 und 6. — Es sind seine s. g. Bewegungsblasen. 3) Memoire sur l’Haliotide, le Sigaret, la Patelle etc. s. 17. 4) Poli’s Testacea utriusque Siciliaee T.III. Tab. LVI. Fig. 22. Ebenfalls nur nach der Abbildung. 5), A a.:0..p.-906. Pl. XIV. 6) On the Morphology of Cephalous Mollusca. Transaect. of the Roy. Soc. of London. 1853. Part I. S. 29. 152 Edouard Claparede: sein soll und von ihm der obere Kiefer (upper jaw) im Ge- gensatz zu seinen seitlichen Kiefern benannt wurde. Es ist dies aber der wirkliche Oberkiefer, welcher nicht aus Knorpel besteht, sondern eine hornartige Beschaffenheit (wahrscheinlich Chitin) darbietet. Es wird auch dieses Stück ein Mal von Ösler als knöchern (bony) bezeichnet. Huxley hat leider Osler's Abhandlung nicht gekannt und machte aus den Knor- peln a und b (Fig. 18.) ein einziges Stück. Die beiden Knor- pel c hat er dabei übersehen !). Bei der zierlichen Patella pellueida finden wir die Zungenknorpel ganz gleich gestaltet. Unter den Tectibranchiaten hat Delle Chiaje die Zun- genknorpel bei Pleurobranchus und Pleurobranchidium abgebil- det, aber verkannt, indem er dieselben lobi ossei oder calcari nennt 2). Bei Aplysia ?) dagegen erwähnt er zweier „Knorpel, die aber ihrer Lage nach unmöglich Zungenknorpel sein kön- nen. Es sind wohl die Kiefer. — Unter den Gymnobran- chiaten wurden die Zungenknorpel von Lebert‘*) bei Doris gefunden und von Delle Chiaje °) ebenfalls bei Doris und ausserdem bei T'ritonia (er hielt sie aber für hornartig). Bei der letztgenannten Gattung wurden sie auch von Alder und Han- cock ®) als „semicartilaginous body“ erwähnt. Unter den Ap- neusten wurden sie von Nordmann’) bei Tergipes und von Delle Chiaje®) bei Aeolidia gesehen, wo letzterer aber die- 1) A.a.O. Plate V. Fig. 14. 2) Memorie sulla storia e notomia etc. S.49 u. 53. Tab. LI. Fig. 6yue id. 3) A.a.O. „Due semilunari cartilaginei.“ S. 62. 4) A.a. 0. p. 450, bei Doris tuberculata. 5) Memorie sulla storia e notomia ete. „Due semicircolari e bis- lunghe lamine cornee mascellari, le quali occultano la lingua.* S.23. Tab. XLIII. Fig. 14. Ob die Papillen, die von Delle Chiaje bei Thetys erwähnt werden (bocca con proboscide carnosa, internamente proveduta di papille quasi pyramidali. S. 34.) hierher zu rechnen sind, steht dahin. 6) A monograph of the british nudibranchiate mollusca. Part. VII. 1855. 7) Versuch einer Monographie von Tergipes Edwardsii. Petersburg 1844. p. 14. Tab. I. F. 8. a. 8) Memorie sulla storia ete. p. 23. Pl. Tab. LXXXVII. Fig. 12. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 153 seinen wiederum für hornartig erklärte. Hancock und Embleton!) haben sie noch als ‚‚two corneous plates‘‘ bei Aeolis papillosa beschrieben. Auffallend ist, dass bei Tergipes Edwardsii der einzige unpaarig vorhandene Zungen- knorpel eine runde Scheibe darstellt, welche wie ein abge- flachtes Amylumkorn geschichtet ist. Leider theillt Nordmann über die histologische Beschaffenheit desselben nichts mit. Obgleich die Pulmonaten so oft und von so verschiedenen Forschern untersucht worden sind, so ist doch die bei ihnen vorkommende Knorpelplatte beinahe allen entgangen. Nur bei Stiebelund Moquin - Tandon?) finden wir hierüber einige sehr mangelhafte Angaben. Bei Testacella ?) hat letz- terer eine ganz riesig grosse Knorpelplatte gefunden. Auch bei Limax marginatus *) und Vitrina major ’) hat er die Knor- pelplatte abgebildet, aber sehr ungenau, da er dieselbe ver- stümmelte und nur den kleinsten vorderen Theil derselben wahrnahm. Bei allen von uns untersuchten Pulmonaten ist ein einziges Knorpelstück vorhanden, welches aber nach tinten gegabelt ist, so z. B. bei Clausilia parvula (Fig. 20), Pupa secale (Fig. 21), Limazx agrestis (Fig. 22), Helix candi- dula, Helix carthusianella (Fig. 23), Heliv hispida, Vitrina pel- lueida (Fig. 24), Aneylus flwviatilis (Fig. 25), Ancylus lacu- stris ©), Suceinea amphibia ete. Die Gestalt dieser Knorpel- 1) On the anatomy of Eolis. — Annals and Magazine of Natural History. Vol. XV. 1845. p. 4. Bl. I. Fig. 4. a, 9,a. Pl. II. Fig. 5 und 7. 2) Troschel hat zwar schon früher die Knorpelplatte bei den Limacinen gekannt, aber ihre wahre Natur verkannt, indem er die- selbe mit dem Namen eines „trogäbnlichen Muskels“ belegte. — S. Ueber die Mundtheile ete. a. a. ©. p. 259. — Die „Cartilago hyoidea,* welche Stiebel bei Limnaeus erwähnt, wird aber wohl den Zungen- knorpel bedeuten. — Limnaei stagnalis anatome. Gottingae 1815. p. 22. 3) A.a. O. Pl. V. Fig. 2. von Testacella haliotidea. Ay Ara. 0, Bl EII-HRHe.NT. 5) A.a. O. Pl, VI. Fie. 17. 6) Troschel hat ebenfalls der Knorpelplatte von Ancylus la- eustris gedacht, aber ihre Natur wiederum verkannt, indem er darin zwei kugelige Muskeln sehen wollte, die der Zunge als Stütze dienen. 154 Edouard Claparede: platte variirt je nach den Gattungen, jedoch unbedeutend, und man darf wohl vermuthen, dass bei allen ächten Pulmonaten diese Form herrschen wird. Die Pulmonata operculata , wenigstens diejenigen, welche getrennten Geschlechtes sind (die Gattung Ampullacera Quoy ist bekanntlich Zwitter) weichen in Betreff der Zungenknorpel von den ächten Pulmonaten sehr ab, und nähern sich den Ote- nobranchiaten an, wie dies zu erwarten war, da die ganze Anatomie dieser Thiere darauf hinweiset, dass sie gar nichts mit den Pulmonaten zu schaffen haben. Die Knorpelstücke von Oyclostoma elegans wurden schon von Brard'!) gekannt, welcher dieselben als ‚‚knöchern‘‘ bezeichnete. Moquin- Tandon?) hat sie wieder gesehen. Es sind ihrer nicht zwei, wie Brard wollte, sondern vier gerade wie bei Neri- tina und Navicella. Das vordere grössere Stück ist platt ge- drückt und dessen äusserer Rand leistenartig verdickt. Die innere Seite ist mit einem spitzen Fortsatz versehen und die Platte läuft nach vorn zu ebenfalls in eine Spitze aus. Das hintere Stück ist sehr klein. Bei Pomatias maculatum sind gleichfalls vier Knorpelstücke vorhanden. Die vorderen grösseren Stücke (Fig. 19. a) sind stark nach innen gekrümmt und die innere Kante derselben ist in eine Art Rinne ausge- höhlt. Bei Ampullaria hat Troschel?) zwei durch Muskeln bewegliche Knorpelstücke gefunden. Vielleicht würde eine nähere Prüfung noch ausserdem zwei hintere kleinere bei der- selben nachweisen können, wie die Analogie vermuthen lässt. Unter den Heteropoden hat Troschel @) neuerdings die paarigen Zungenknorpel aus Carinaria mediterranea abgebildet. Es sollen ausserdem bei diesem Thiere über dem hinteren S. Ueber die Mundtheile etc. a. a. O. Diesen Irrthum hat er übrigens in seinem eben erschienenen Werke wieder gut gemacht. 1) Histoire des coquilles terrestres et fluviatiles qui vivent aux en- virons de Paris. Paris et Geneve 1815. p. 105. 2) A.a.0. p. 498. Pl. XXX VI. Fig. 2. 3) Anatomie der Ampullaria urceus. Archiv für Naturgeschichte. 1845. p. 207. 4) Das Gebiss der Schnecken. p. 18. Tab. I. Fig. 1. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 155 Binde der Knorpel jederseits noch zwei viereckige Scheiben mit abgerundeten Ecken liegen. Ob dieselben ebenfalls knor- peliger Natur sind, wird nicht angeführt. Schon früher hatte Cavolini') diese Knorpel der Carinarien gekannt, aber die- selben für fleischig gehalten. Huxley ?) erwähnt auch zweier eiförmiger Knorpel bei Füroloides Desmarestii und bei At- lanta ?) giebt er an, der Mechanismus der Zunge sei gerade derselbe wie bei Füroloides, so dass man daraus schliessen dürfte, dass die Zungenknorpel auch bei den Atlanten vor- kommen. Es blieben demnach beinahe nur die Pteropoden übrig, bei denen nichts von Zungenknorpeln nachgewiesen worden wäre. Vielleicht auch fehlen sie bei manchen derselben. Die Zunge bleibt ja bei den Hyalaceen nachGegenbaur’s Angaben *) auf einer niederen Stufe stehen, indem selbst kein muskulöser Apparat zum Hervorstrecken der Zunge vorhanden ist und bei den Oymbulien soll an der Stelle der Reibmembran nur noch ein leichter Vorsprung zu finden sein °), der anstatt der Zähne bloss verhsrnte Epidermiszellen trägt. Bei den Clioideen zwar ist die Reibmembran viel mehr entwickelt, aber Gegenbaur hat bei ihnen auch keinen Knorpel beobachtet. Somit wäre also dargethan, dass die Anwesenheit von Zungenknorpeln bei den Cephalophoren ein ziemlieh durch- greifendes Faktum ist, ein Satz, der schon neuerdings von Troschel aufgestellt wurde. Es würde noch zu wünschen sein, dass man nachweisen könnte, diese Knorpel seien ebenso gut zum Zweck der Klassifikation zu verwerthen, wie die Reibmembran selbst. Leider steht uns das Material nicht zu 1) „Corpora bina lateralia, carnosa, intra collum seu cavitatem oris locata, quae exerentibus maxillis valde conferunt.* — Handschriftliche Bemerkung von Cavolini. S. Delle Chiaje’s Memoria sulla sto- ria etc. p. 69. 2), JA.)a. 0. np. 3. 3) Aura O4 paar 4) Untersuchungen über die Pteropoden und Heteropoden. Leipzig 1855. p. 7. 5) A.a.0. p. 47. 156 Edouard Claparede: Gebote nnd wir müssen uns nur mit spärlichen Andeutungen begnügen. Bei Neritina, Navicella, Littorina, Paludina, Cyclos- toma, Pomatias besteht der Zungenknorpelapparat aus einem paarigen Complex von je zwei Knorpelstücken, deren hin- teres im Vergleich zu dem vorderen sehr klein ist. Bei Trochus ist der Apparat ganz derselbe, nur hat sich ein Pro- cessus des vorderen Knorpelstückes abgelöst und steht als eigener Knorpel da. Dieses Verhältniss wird wohl überall bei den Ctenobranchiaten und Pulmonata operenlata dasselbe sein. Bei gewissen Cyclobranchiaten (Patellen) ist der Ap- parat ganz ebenso zusammengesetzt, nur kommen noch zwei seitliche Knorpel hinzu, und die beiden Processus bleiben getrennt wie bei Trochus. Zwar soll bei anderen (Chitonen) nach Middendorff der Apparat nur aus zwei Knorpeln zusam- mengesetzt sein, und in Uebereinstimmung mit dieser Angabe finden wir in der That bei einem kleinen Chiton (C. margi- natus Penn.) von der norwegischen Küste jederseits nur ein Knorpelstück. — Bei den Pulmonaten verschmelzen nach vorn die beiden Hälften des Apparates und das hintere Knor- pelstück verschwindet; dadurch entsteht eine unpaarige, mitt- lere, nach hinten gegabelte Knorpelplatte. Wir können leider die meisten bisherigen Beobachtungen nicht zum Nutzen der Classification benutzen, da gewöhnlich auf die Anzahl der Knorpelstücke keine Rücksicht genommen wurde. Ueber die mikroskopische Beschaffenheit der Zungen- knorpel besitzt die Literatur ein nur sehr unzureichendes Material. Die meisten Schriftsteller, die auf jene Organe Rücksicht nahmen, belegten zwar dieselben mit dem Namen Knorpel, aber nur der Oonsistenz wegen. Ueberhaupt wurde mit der Bezeichnung „knorplig* ein arger Missbrauch ge- trieben: so wird z. B. die ganze Zunge von Ouvier!) be- zeichnet, und viele haben es ihm nachgesagt, selbst in der letzten Zeit, denn Moquin-Tandon nennt noch immer die Zunge eine knorpelige Platte?). — Der erste, der sich auf 1) Memoire sur la limace et le colimagon. p- 16. 2) A.a. 0. p. 36. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis.. 157 eine mikroskopische Untersuchung der Zungenknorpel ein- liess, war Lebert. Er erkannte, dass sie bei Buceinum un- datum‘) aus Zellen bestehen, die den Pftanzenzellen oder den kernhaltigen Zellen der Chorda dorsalis einiger Batrachier- embryonen nicht unähnlich sind. Diese Zellen sollen gruppen- weise zusammengestellt sein, und zwischen den einzelnen Gruppen soll sich die Intercellularsubstanz befinden. Bei Haliotis fand Lebert?) die Knorpelplatte nicht aus wahrem Knorpelgewebe, sondern vielmehr aus einer knorpelähnlichen Fasermasse, ähnlich wie das „von den Franzosen unpassend fibro-cartilage genannte Gewebe.“ Im Jahr 1844 be- schrieb Valenciennes?°) bei Gelegenheit der bei den Ce- phalopoden vorkommenden Kuorpel auch die Zungenknorpel von Buccinum undatum, deren Entdecker er zu sein glaubte, und gab eine Abbildung des Gewebes derselben bei 300maliger Vergrösserung. Huxley bei Firoloödes Desmarestiü giebt an, dass die eiförmigen Zungenknorpel aus hellen, diekwandigen, dem Knorpel etwas ähnelnden Zellen besteht). Bergh hat dieses Gewebe bei Onchidiopsis und Marsenina untersucht). Es soll dasselbe nach seinen Angaben an Faserknorpel be- trächtlich erinnern, indem es aus ziemlich grossen, sich zer- theilenden, netzförmig verbundenen und in einander geschlunge- nen Fasern bestehen soll. Die Maschen des Gewebes sollen mit einer feinkörnigen Masse erfüllt sein und ausserdem einige grössere Zellen enthalten, worüber die Fassern mehr ange- sammelt und zusammengedrängt sind. Der Abbildung Bergh’s nach möchten wir beinahe vermuthen, diese netzförmig ge- schlungenen Fasern seien nichts Anderes, als die Wandungen 1) A.a2. ©. p. 442. 2) A.a.0©. p. 450. 3) A. a. O. Pl. XXV. Fig. 7. 4), A2a.,.0p. 31: 5) Bidrag til en Monographi af Marseniaderne af Rudolph Bergh. (Besonderer Abdruck aus kongl. Danske Videnskabernes Selskabs Afhandlinger. öte Raekke. 3die Bind.) Kjöbenhavn 1853. — S. 54. Tab. III. Fig. 23. 158 Edouard Claparede: der weiter unten bei Neritina, Cyelostoma u. 8. w. zu beschrei- benden Knorpelzellen. Der Dürftigkeit dieser verschiedenen Angaben allein fällt es zur Last, dass der mikroskopische Bau der Zungenknorpel noch so wenig bekannt ist und dass Troschel in der eben erschienenen ersten Lieferung seines Werkes über das Ge- biss der Schnecken den Satz ausspricht, dass bei allen Schnecken die Zungenknorpel aus demselben zellen- ähnlichen Gewebe bestehen. In der That muss man zwei bis drei Varietäten im Bau dieser Knorpel unterscheiden, deren wir die erste gleich an einem Beispiel, unserer Neri- tina nämlich , kennen lernen wollen. Am meisten Aehnlichkeit hat die Knorpelsubstanz sowohl der Lippen- wie der Zungenknorpel der Neritina mit dem Froschknorpel, obgleich sie durch die grossen geräumigen Zellen und verhältnissmässige Grösse der Zellenhöhlen viel schöner und zierlicher erscheint. Es ist keine Intercellular- substanz vorhanden, oder wenigstens ist dieselbe so spärlich vertreten, dass man kaum hie und da ein geringes Ausein- anderweichen der Zellwände wahrnimmt. Betrachtet man ein fertiges, d. h. in der Vermehrung nicht mehr begriffenes Knor- pelstück, so glaubt man viel weniger ein thierisches als ein Pflanzengewebe vor den Augen zu haben, wie Lebert schon bei Buccinum bemerkte. Die Zellwände sind hell, brechen das Licht ziemlich stark; die Zellen erreichen eine Breite von 0,017 bis 0,050 Mm. Sie legen sich dicht an einander und um- schliessen einen meist klaren und ziemlich durchsichtigen In- halt und der runde Zellkern tritt gewöhnlich nicht gleich her- vor. In vielen Fällen jedoch zeigt sich letzterer ohne An- wendung von Reagentien ganz deutlich, es tritt indessen der- selbe iu den ausgewachsenen Zellen niemals so leicht und so klar, wie in den jungen, in der Bildung noch begriffenen hervor. Diese Zellen sind dieselben in den Lippen- wie in den Zungenknorpeln, nur ist zu bemerken, dass sie gewöhn- lich in dem Höcker der vorderen Zungen - und in den Lippen- knorpeln bedeutend kleiner sind. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 159 Die in der Vermehrung begriffenen Neritinenknorpelzellen sind sehr zierlich anzuschauen. Zuerst waren wir geneigt, eine gewöhnliche endogene Zellenbildung anzunehmen, aber die constant wahrgenommenen Bilder liessen sich kaum mit einer solchen Anschauungsweise in Einklang bringen. Viel wahrscheinlicher erscheint es, dass eine einfache Theilung durch Bildung von Scheidewänden innerhalb der Mutterzellen vor sich geht. Man sieht die erste Andeutung einer Zellen- theilung als eine feine kaum sichtbare Linie auftreten, welche quer durch die Zelle läuft und die Wand derselben senk- recht trifft. Die zwischen den beiden so gebildeten Tochter- zellen entstandene Scheidewand nimmt allmälig an Dicke zu und eine neue Theilung tritt bald hernach ein, indem sich eine feine Linie, welche die beiden neu entstandenen Tochter- zellen in der Quere genau halbirt auf die Scheidewand senk- recht setzt. Dadurch bilden sich in den beiden Tochterzellen je zwei Enkelzellen. Dieser Prozess wiederholt sich noch ein paar Mal und man trifft nicht selten solehe Urmutterzellen, welche durch eine vier Mal wiederholte Bildung von Scheide- wänden in sechszehn Tochterzellen zerfallen sind. Der An- blick dieser getheilten Mutterzellen wird dadurch sehr merk- würdig, dass jede Wand eine ihrem Alter entsprechende Dicke besitzt. Die Wände der Mutterzellen, die wir abge- bildet haben (Fig. 13.) erscheinen sehr dick, weil die Grenz- linie zwischen je zwei benachbarten Mutterzellen noch nicht sichtbar ist, und die Dicke der Membran desshalb doppelt erscheint. Die Mutterzelle, welche einen Durchmesser von 0,037 Mm. besitzt, wird von einer ziemlich dieken Scheide- wand, worauf sich eine zweite, beinahe gleich dicke gesetzt hat, in vier gleiche Quadranten getheilt. In jedem so gebil- deten Quadrant zeigt sich eine der zuerst erschienenen genau parallele Scheidewand, deren Dicke bedeutend geringer ist als die des Kreuzes, welches durch die beiden ersten Scheide- wände gebildet wird. Endlich wird jede der auf diese Weise entstandenen acht Zellen durch eine neue, noch erheblich dünnere, oft kaum wahrnehmbare Scheidewand halbirt. Die durch die letzte Theilung gebildeten sechszehn Enkelzellen 160 Edouard Claparöde: besitzen einen Durchmesser von 0,0094 Mm., und sind ziem- lich regelmässig viereckig. Eine jede zeigt aber in der Fo- kalebene des Mikroskopes vier ungleich dicke Seiten, denn die eine ihrer Wände gehört der ersten Generation, eine zweite der zweiten u s.w. an. Da ausserdem jede Tochter- zelle der letzten Generation einen rundlichen deutlichen Kern besitzt, so ähnelt die ganze Urmutterzelle einem Schachbrett mit den Schachfiguren auf den Rauten (Fig. 13). Das Ver- halten der Kerne bei der Theilung konnte leider nicht be- lauscht werden. Das Bild bietet übrigens nicht immer eine solche Regelmässigkeit, doch sind die Störungen nicht ‘be- trächtlich, und wenn die Theilung in 16 Tochterzellen nicht sehr häufig, so sind die Beispiele eines Gitters von vier oder acht Tochterzellen in einer Mutterzelle immer zahlreich vor- handen. Mitunter theilt sich eine Tochterzelle erst später als die Zellen derselben Generation, und dadurch entstehen, wie begreiflich, leichte Störungen der Regelmässigkeit. Wie schon angedeutet, so erscheinen die Scheidelinien zweier benachbarter Urmutterzellen nicht, so lange die Spuren der Theilung noch vorhanden sind. Dasselbe gilt von den in den Mutterzellen entstandenen Tochterzellen. Die Scheide- wände bilden alle zusammen ein Balkennetz, wo nirgends ein Balken doppelt, oder der Länge nach gespalten er- scheint. Erst wenn die Tochterzellen der letzten Genera- tion gross gewachsen sind und im Durchschnitt einen Durch- messer von 0,017 bis 0,030 Mm. erreicht haben, tritt der Mittellinie nach eine Spaltung in den Balken ein, und jede Zelle bekommt dadurch eine von derjenigen der benachbarten Zellen mehr oder weniger deutlich abgegrenzte Membran. Zugleich runden sich die Winkel der viereckigen Zellen ab und eine geringe Menge Zwischenzellensubstanz tritt hie und da an der Stelle auf, wo die abgerundeten Ecken von vier be- nachbarten Zellen zusammentreffen (Fig. 12). In den meisten Fällen jedoch ist keine Spur von dieser Intercellularsubstanz vorhanden und die Wandungen der Zellen bleiben eng mit einander verbunden. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 161 Zur Untersuchung des Neritinenknorpels ist es sehr wich- tig, sich sehr dünne Schnitte der Zungenknorpel verschaffen zu können. Dies wurde durch eine Methode erreicht, die wir zuerst von Herrn Sanio zur Durchschneidung von klei- nen Pflanzentheilen in Anwendung bringen sahen. Der Knorpel wird auf einer kleinen Stearinstange durch Frhitzung der- selben befestigt, und mittelst eines scharfen Rasirmessers wer- den dünne Schnitte durch die Stange geführt, bis man einen Schnitt durch den kleinen Knorpel bekommt. Stearin eignet sich ganz besonders zu diesem Zwecke, weil der Hitzegrad, wobei dasselbe schmilzt, dem Knorpel keinen Eintrag thut. Ursprünglich besteht der Zungenknorpel bei den Neritinen- embryonen aus 0,002 bis 0,008 Mm. grossen, dicht aneinander gedrängten Zellen, welche eine grosse Aechnlichkeit mit den Zellen haben, welche das ganze embryonale Mantelparenchym bilden, dieselben verwandeln sich allmälich in die charakteri- schen grossen Zellen des Neritinenknorpels. Beiläufig wollen wir bemerken, dass einige in einer Mischung von Glycerin und Alkohol aufbewahrte Präparate sich trefflich erhalten haben, während sich bei anderen, welche in Chlorcaleium eingeschlossen wurden, die meisten Zellwände, vielleicht nur einer schlechten Zubereitung der Lö- sung wegen nach wenigen Monaten aufgelöst hatten. Merk- würdiger Weise haben sich bei den letzteren in jedem Stück die Höcker des vorderen Zungenknorpels ganz herrlich er- halten, während die übrigen Theile des Knorpelapparates gänzlich oder beinahe gänzlich verschwunden sind. A priori kann man jedenfalls vermuthen, dass der Neri- tinenknorpel beim Kochen wenig oder gar keinen Leim geben werde, da neuere Untersuchungen gezeigt haben, dass die leimgebenden Gewebe nicht, wie man früher glaubte, durch Umwandlung ihrer Zellen, sondern durch Umbildung der Zwischenzellensubstanz den Leim erzeugen, und wir sahen eben, dass der Neritinenknorpel so zu sagen keine Intercellu- larsubstanz enthält. Ganz ähnlich wie bei Neritina und vielleicht noch günsti- ger zur Beobachtung sind die Zungenknorpel bei Cyclostoma Müller’s Archiv. 1857. 11 162 Edouard Claparede: elegans gebildet. Feine Durchschnitte derselben sind sehr leicht entweder auf Kork oder auf einer Stearinstange herzu- stellen, und man kommt ohne Schwierigkeit dazu, Schnitte zu bekommen, welche nur eine Zellenschicht enthalten, was die Beobachtung sehr erleichtert. Diese Zellen sind bald ganz durchsichtig, bald wie mit grossen, hellen Körnern oder Tropfen erfüllt (Fig. 14. a), welche die Beobachtung stören; dagegen aber kann man sich durch Anwendung von Essig- säure helfen. Bei Essigsäurezusatz trübt sich zwar der Knor- pelschnitt dadurch, dass eine wahrscheinlich eiweisshaltige Substanz in den Zellen niedergeschlagen wird. Dieser Nieder- schlag löst sich indessen allmälig in der Säure selbst wieder auf und die Präparate werden so durchsichtig wie man nur irgend wünschen kann. Dieses Verfahren ist namentlich sehr zweckmässig, wenn man keinen Schnitt, sondern ein ganzes unverletztes Knorpelstück untersuchen will. Noch besser ge- langt man zum gewünschten Resultate durch Anwendung einer concentrirten Kochsalzlösung anstatt der Essigsäure. Dabei werden die Zellen so schön und klar, dass man glauben möchte, sie seien nur mit reinem Wasser erfüllt. Aber sobald man das Knorpelstück auswäscht und in destillirtes Wasser legt, so bildet sich wieder ein Niederschlag in jeder Zelle und das Präparat ist gerade so undurchsichtig wie zuvor. Man kann durch Kochsalzlösung den Niederschlag wieder auf- lösen und durch destillirtes Wasser niederschlagen so oft man will. — Die Zellen sind meist ziemlich regelmässig sechseckig, so dass ihre Wandungen in der Fokalebene des Mikroskopes ein zierliches, hexagonales Balkennetz bilden. Ihr Durch- messer schwankt meist zwischen 0,026 und 0,0039 Mm. Der helle, runde, wandständige Kern erreicht eine Breite von 0,0054 bis 0,0082? Mm. Die Wandungen der aneinander grenzenden Zellen sind innig mit einander verbunden (Fig. 14), so dass es durch kein Mittel gelang, dieselben zu trennen. Die durch- schnittliche Breite eines Balkens — es ist ja nichts Anderes als der Ausdruck für je zwei verschmolzene Zellenwan- dungen — ist etwa 0,0022 Mm. Concentrirte Kochsalz- lösung, welche beim Knorpel der höheren Thiere eine Ablö- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 163 sung der Zellmembran von der s. g. Kapsel herbeiführt, macht, wie gesagt, bei Cyelostoma die Zellen nur durchsich- tiger und den Zellkern deutlicher. Durch Säuren wurde nichts mehr erreicht. Die Zellentheilung geht gerade wie bei Neritina vor sich, nur ist das Bild weniger regelmässig, indem sich zuerst eine mittlere Scheidewand in der Zelle bildet und an- dere mehrere sich in den verschiedensten Richtungen darauf setzen (Fig. 15). Das erste Zeichen der Theilung ist auch hier eine zarte Linie, die quer durch die Zelle läuft. Diese Linie wird allmälig dicker und scheint stets in die Substanz der Mutterzellwand selbst direkt überzugehen. Nicht selten werden Zellen mit mehreren Kernen getroffen. Ob das ein der Thei- lung vorangehendes Stadium ist, steht dahin. Die jungen Tochterzellen sind meist sehr unregelmässig, die einen drei-, die anderen vier- oder fünfeckig, aber dadurch, dass sie an Grösse zunehmen und dabei einen Druck auf einander aus- üben und in den umgebenden Mutterzellen Widerstand finden, nehmen sie allmälig eine ziemlich regelmässig sechs- mitunter nur fünfseitige Gestalt an. Die Zellentheilung scheint im vor- deren Theile des vorderen Knorpelstückes am lebhaftesten vor sich zu gehen, und wird überhaupt nur in der oberflächlichen Schicht angetroffen. Für die Annahme einer Zwischenzellen- substanz oder einer s. g. Knorpelkapsel scheint kein Grund vorhanden zu sein. Bei Pomatias maculatum ist der Knorpelbau ganz derselbe. Die Zellen haben etwa den gleichen Durchmesser, nur erreicht die Dicke zweier benachbarter und mit einander verwach- sener Zellwände kaum 0,0010 Mm., so dass hier noch weniger an die Möglichkeit einer Grundsubstanz zu denken ist. Bei Patella vulgata und pellucida, Bythinia impura und similis sind die Knorpel auch nach demselben Typus beschaffen, eben- so bei Buccinum undatum — wenn man nach Valenciennes Abbildung schliessen darf — und wahrscheinlich bei vielen an- deren Otenobranchiaten. Aber bei keiner von uns unter- suchten Gattung zeigte sich der Zellenbau so ausgezeichnet schön, wie gerade bei Cyclostoma und Neritina. 11 * 164 Edouard Claparede: Eine zweite Knorpelform finden wir bei gewissen Pulmo- naten, namentlich bei Vitrina (Fig. 16). Es sind hier keine grossen Zellen wie bei den vorigen Gattungen vorhanden — ohne dass hierbei die Kleinheit des Thieres in Betracht kommt, da Pomatias maculatum nicht grösser als Vitrina pel- lueida ist, und dennoch eben so grosse Knorpelzellen besitzt wie Cyclostoma elegans — sondern kleine, polygonale, 0,0052 bis 0,010 Mm. breite, mit einem scharfen Kern versehene Zel- len. Es haben dieselben keine Regelmässigkeit in der Gestalt: viele sind sechseckig, aber beinahe eben so viele fünf-, vier - oder dreieckig. Der Hauptunterschied zwischen dieser Form und der vorigen liegt ausser der Kleinheit der Zellen in der abgeflachten Gestalt derselben. Da ausserdem die benach- barten, mit einander verschmolzenen Zellwände nur eine un- messbare Dicke besitzen, so macht das Ganze vielmehr den Eindruck eines Epithelial- als eines Knorpelgebildes. Bei einigen Schnecken geht übrigens diese Knorpelform in die andere über, so z. B. bei Ancylus, wo der vordere Theil der Knorpelplatte und namentlich die Commissur zwischen den beiden Hälften derselben den gleichen Bau wie der Vitrinen- knorpel darbietet, während die Knorpelzellen nach hinten zu schwellen, grösser werden und den Schein einer Epithelial- schicht einbüssen. Die dritte Knorpelform endlich kommt bei vielen Pulmo- naten, namentlich den Heliceen vor. Wir haben dieselbe von Helix carthusianella abgebildet (Fig. 17). Hier ist eine mit zahlreichen Knorpelkörperchen besäete Grundsubstanz vor- handen. Diese Knorpel sind zur Beobachtung sehr ungün- stig: sie sind sehr weich und daher zur Herstellung von dünnen Schnitten wenig brauchbar. Dabei sind sie undurch- sichtig und ertragen keinen Druck. Am leichtesten zu unter- suchen sind noch solche Knorpelstücke, die ein Paar Minuten lang in Essigsäure gekocht wurden. -— Die Knorpelkörper- chen werden meist in der Froliferation getroffen. Die Thei- lung des Inhaltes scheint sehr unregelmässig vor sich zu gehen, so dass man gewöhnlich in derselben Mutterzelle Toch- terzellen von den verschiedensten Grössen findet. In jeder y Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fuviatilis. 165 ist ein ovaler Kern zu sehen. Die grössten Knorpelkörper- chen erreichen bei Heliz carthusianella einen Durchmesser von etwa 0,03 Mm. Bei vielen anderen Helixarten, so z.B. bei der gewöhnlichen Gartenschnecke (H. pomatia) scheint die Grundsubstanz faserig zu sein, so auch bei Pupa, Clau- siia u.s.w. Diese Knorpelform wird wahrscheinlich mit dem Gewebe übereinstimmen, was Lebert bei Haliotis mit einem Faserknorpel verglich. Wahrscheinlich herrscht sie mit der vorigen bei den Pulmonaten durchweg; dass sie aber auch bei anderen Ordnungen vorkommen kann, zeigt eben das Beispiel von Haliotis. Bemerkenswerth ist die That- sache, dass derschöne, einemPflanzengewebe durchaus ähnelnde Knorpelbau nur bei den Gattungen gefunden wurde, die keine einfache Knorpelplatte wie die Pulmonaten, sondern einen Knorpelapparat von mehreren Knorpelstücken besitzen. Bei vielen Pulmonaten scheint die eigentliche Knorpel- substanz nur die äussere Schicht der Zungenknorpel zu bil- den, während das Centrum jedes Knorpelstückes durch eine besondere Masse eingenommen wird, worin keine Knorpel- substanz zu erkennen ist. Bei manchen, so z. B. Ancylus fluviatilis und Vitrina pellucida ist sogar schwarzes Pigment in dieser Substanz eingelagert. Schon bei Chiton hatte Mid- dendorff') die Knorpel hohl gefunden, daher auch der Name „Bewegungsblasen,* den er denselben gab. Huxley?) will ebenfalls eine Höhle im Knorpel von Patella gefunden haben und Troschel?°) stimmt ihm bei. Wir können je- doch dieselbe im Hauptknorpel nicht finden, wohl aber im seitlichen, vorderen Knorpelstück (Osler’s lateral jaw). Da wir aber nur Spiritusexemplare untersuchten, so wollen wir kein grosses Gewicht darauf legen. Bei Chiton (C. marginatus Penn.) bildet jedes Knorpelstück einen an beiden Enden abgerundeten, mit Flüssigkeit prall gefüllten Schlauch. Die Schlauchwandungen sind an und für 1) A. a. ©. p. 61. 2) A.a.0. p. 59. . 3) Das Gebiss der Schnecken, p. 18. 166 Edouard Claparede: sich sehr dünn, aber an gewissen Stellen, den Ansatzstellen der Muskeln, bedeutend verdickt. Diese Verdickungen wer- den durch mehrere Schichten von, der erst beschriebenen Knor- pelform angehörenden, Knorpelzellen gebildet. Es sind die- selben klein, unregelmässig und sehr dünnwandig. Der übrige Theil des Schlauches wird durch eine einzige, durch- sichtige Zellenschicht gebildet, deren Zellen ähnlich, aber etwas grösser, regelmässiger nnd mit einem sehr deutlich hervortretenden Kern versehen sind. Das Vorkommen von ächtem Knorpel im Zungenapparat der Cephalophoren möchte wohl darauf hinweisen, dass die- ses Gewebe auch anderswo bei diesen Thieren vorkommen kann. Bis jetzt ist es nicht bekannt. Die anscheinend knor- plige Lage in einer Magenabtheilung von Paludina vivipara soll nach Leydig') aus einer homogenen Substanz bestehen und dabei bemerkt derselbe, dass kein Gewebe bei Paludina vor- komme, welches mit Knorpel übereinstimme! Man muss auch hinzufügen, dass er in seiner Abhandlung die Zungen- knorpel nicht erwähnt. Mit dem von Moquin-Tandon am Magen der Bytkinia angegebenen Knorpelstreifen wird es sich wohl wie bei Paludina verhalten. Ob es auch bei den Aply- sien und den Bullen?) der Fall sein wird, steht dahin. Bei der Muskulatur der Zungenknorpel wollen wir uns nicht aufhalten, da sich Osler und namentlich Midden- dorff, Huxley und Troschel damit ausführlich befasst haben. Neben dem Zungenapparat mündet jederseits in den Schlundkopf bei Neritina der Ausführungsgang der Speichel- drüse. Die beiden Speicheldrüsen liegen dicht hinter dem Zungenknorpelapparat an den beiden Seiten der Speiseröhre und umgeben dieselbe gewöhnlich so vollkommen, dass die 1) A. a. O. p. 190. 2) Delle Chiaje giebt nämlich bei Bulla eine dreifache Bewaff- nung des Magens an, die er für knöchern hält: ,„Stomachus e tribus osseis constat valvis, muscularibus lacertis sese junctis.“ P. 29. Tab. XLVI. Fig. 26—27, von Bulla aperta; und von Bulla Columnae: P. 25. Tab. XLVI. Fig. 21. — Poli’s Testacea utriusque Siciliae. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fuviatilis. 167 beiden Drüsen wie zusammengewachsen erscheinen. Mit dem blossen Auge betrachtet, zeigen sie sich als ein schwammiges, graulich weisses Organ. Der Ausführungsgang der Drüse flimmert, wie das Epithel des Schlundkopfes selbst, und es dringt derselbe unter den Schlundring, bevor er die Wandun- gen des Schlundes durchbohrt. Vom Sehlundkopf an läuft die Speiseröhre ziemlich ge- rade von vorn nach hinten und mündet in einen grossen unter der Leber und der Geschlechtsdrüse gelegenen Magen. Letzterer stellt einen grossen geräumigen Sack dar, welcher sich schräg von hinten und rechts nach vorn und links er- streckt. Er zerfällt in zwei durch eine kaum wahrnehmbare Einschnürung von einander geschiedene Theile. Der hintere Theil (Fig. 28h.) welcher Fundus ventriculi heissen mag, bil- det einen breiten Blindsack, welcher nach vorn in den vor- deren etwas engeren Theil (h‘) übergeht. Letzterer erreicht beinahe den hinteren Zungenknorpelkomplex, so dass die Speiseröhre (g.) der vorderen Abtheilung des Magens auf der rechten Seite dicht anliegt und sich in dieses Organ eben- falls auf der rechten Seite in den Magen einsenkt, an der Stelle, wo die beiden Abtheilungen durch die leichte Ein- schnürung von einander geschieden sind. Ganz nach vorn und in der linken Thierhälfte befindet sich der Pylorus. Der aus dem Magen entspringende Darm biegt gleich nach hinten, klappt sich um, indem er eine grosse Schlinge (k., auf der Figur umgelegt) bildet, welche unter dem Magen und der Speiseröhre zu liegen kommt, geht nach links wieder um den Pförtner und die Leber herum, wendet sich nach oben, läuft über den vorderen Theil des Magens und der Leber nach rechts hinweg und befindet sich dann dicht unter dem Boden der Kiemenhöhle. Der an dieser Stelle zum Mastdarm werdende Darm (l.) läuft unter einer grossen, gelben, weiter zu beschreibenden Drüse (d.), neben der Ruthe beim Männchen und der Scheide beim Weibchen hinweg, und mündet auf der rechten Thierhälfte und an der inneren Seite der Geschlechts- öffnung nach aussen. Der After(m.)befindetsich demnach unter dem Dachrande der Kiemenhöhle, nahe an der Stelle, wo derselbe 168 Edouard Claparede. auf der rechten Seite in den Boden der Kiemenhöhle über- geht. — Der Darm ist also, wie man sieht, vielfach gewun- den und vier oder fünf Mal so lang wie die Speiseröhre oder gar noch mehr. Moquin-Tandon hat ganz andere Längenverhältnisse der verschiedenen Abtheilungen des Speisekanales bei der von ihm untersuchten Neritina angetroffen. Er bildet nämlich die Speiseröhre eben so lang und selbst viel länger und da- bei viel mehr gewunden als den Darm ab; er sagt sogar von derselben !), sie sei geschlängelt und bilde ziemlich ver- wickelte Windungen, während wir dieselbe stets ganz gerade gestreckt gefunden haben. Der Magen soll nach ihm sehr lang gestreckt und schmal sein und keinen Blindsack nach hinten bilden. Ob diese Verschiedenheiten in einem specifi- schen Unterschiede der untersuchten Thiere ihren Grund haben, lasseu wir dahin gestellt sein. Da aber die Auseinanderwick- lung des vielfach geschlängelten Speisekanals keine so leichte ist, so können wir nicht umhin zu vermuthen, dass Moquin- Tandon sich verführen liess, den Darm mit der Speiseröhre zu verwechseln. Noch weit abweichender ist der Tractus intestinalis von Nerita nach Quoy und Gaimard’s Darstellung ?). Hier ist gar kein Magen vorhanden und der Darmkanal ist überall gleich dünn. Er läuft zuerst gerade von vorn nach hinten bis zur Leber, krümmt sich dann nach rechts und beschreibt einen vollkommenen Kreis, indem er von rechts nach links über den Schlund hinweggeht, und nachdem er das Herz durchbohrt hat, die Stelle wieder erreicht, wo er zuerst nach rechts einbog. Von dieser Stelle an läuft er in gerader Linie bis zum After, welcher sich auf der rechten Seite, einwärts von der Geschlechtsöffnung befindet. Dass Quoy und Gai- mard den Magen hätten übersehen können, wenn ein solcher wie bei Neritina bei ihrer Nerita vorgekommen wäre, ist nicht anzunehmen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es bleibt 1) A. a. O. p. 22. 2) A. a. 0. Anatomie uud Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 169 nur noch zu wissen, ob sich alle ächten Neriten in dieser Beziehung wie die von Quoy und Gaimard untersuchte Species verhalten. Der Magen bei Neritina befindet sich ganz auf der untern Fläche des Thieres. Wenn man das Thier von unten auf- schneidet, so trifft man unmittelbar unter der Haut und dem zugehörigen Muskellager die vorher beschriebene Darm- schlinge (Fig. 28 k.) mit der in ihrer Scheide eingeschlossenen Reibmembran (f.) und beim Lüften derselben erblickt man sogleich den Magen und die an seiner rechten Seite gelegene aber etwas mehr in der Tiefe verborgene Speiseröhre. Die in der Scheide eingeschlossene Reibmembran liegt etwas nach rechts gebogen, zwischen der Leibeswandung einerseits und der Darmschlinge andererseits: nicht selten geht sie gerade durch die Schlinge durch, Nur sehr behutsam darf man den Ma- gen anfassen und von der über ihm liegenden Leber- und Ge- schlechtsdrüse abpräpariren, da die Speiseröhre und das Darm- rohr mit der grössten Leichtigkeit an der Stelle abreissen, wo sie in den Magen übergehen, Der Magen fällt bei diesem Abreissen nicht zusammen, sondern die Oeffnung bleibt als ein klaffendes Loch zurück. Merkwürdig sind die verschiedenen Zeichnungen, die sich auf der Magenoberfläche zeigen. Zuerst sieht man eine ziem- lich breite Linie, die sich von der Cardia aus direct bis zum Pförtner erstreckt, und sich sogar eine ganze Strecke weit auf den Darm verlängert. Lange glaubten wir in derselben eine Höhlung wahrzunehmen, aber vergebens suchten wir auf sorgfältig gemachten Querschnitten des Magens nach dem Lumen derseiben, und diese Raphe stellte sich als eine ein- fache gleichmässige Längsfalte heraus. Senkrecht auf diese Längsfalte setzen sich eine grosse Anzahl von regelmässigen, zu einander parallelen Querfalten, welche rings um den vor- deren engeren Theil des Magens laufen. Diesen Falten ent- sprechen auf der äusseren Oberfläche regelmässige, durch ein schwarzes Pigment gebildete dunkle Streifen. Auf dem Fundus ventriculi oder Magenblindsack endlich befindet sich eine eigenthümliche Figur, die uns lange sehr räthselhaft 170 Edouard Claparede: blieb und die wir noch nicht mit Bestimmtheit zu deuten wagen. Es ist dies ein schön weisses kammförmiges Or- gan (Fig. 28. i.), das sich von der Cardia aus auf der untern Magenfläche nach rechts und hinten bis zur Leber erstreckt. Sowohl die Raphe wie die Zähne des Kammes bilden auf der äusseren freien Oberfläche des Magens deutliche Erha- benheiten, die durch eine milchweisse Färbung gegen die schwarzbraune Farbe des Fundus ventriculi stark abstechen. Die Zähne des Kammes sind nach links gerichtet und sehr regelmässig gestaltet. Je näher man der Leber kommt, um so kürzer und schmaler werden die Zähne des sich mit der Curvatur des Magens krümmenden Kammes. Vergeblich ver- suchten wir mehrmals das Organ von dem Magen abzuprä- pariren, was sich übrigens durch die Lagenverhältnisse leicht erklären lässt. Wenn man nämlich den Magen vorsichtig aufschneidet, so sieht man, dass das kammförmige Organ auf der inneren Magenfläche ebenso hervorspringt, wie auf der äusseren und hier auch die gleiche milchweisse Färbung be- sitzt. Das Organ ist in der That in der Magenwand selbst eingebettet. Unter dem Mikroskop zeigen die entsprechenden Stellen der Magenwand eine drüsige Beschaffenheit, ohne dass es möglich gewesen wäre, einen Ausführungsgang irgendwo aufzufinden. Der ganze Magen flimmert wie der Oesophagus und das kammförmige Organ ist gleichfalls auf der Innen- fläche des Magensackes bewimpert. Bei keiner Schnecke wird etwas Aehnliches, so viel wir wissen, in der Litteratur angegeben, und vergebens suchten wirin Souleyet’s vortreff- lichen Abbildungen nach ähnlichen Gebilden. — Ueber die- ses räthselhafte Organ wollen wir noch anführen, dass wir dasselbe bei einigen wenigen Exemplaren, vielleicht der Kleinheit wegen, vermissten. Die Magenwände besitzen eine Dicke von 0,047 bis 0,056 Mm. und bestehen aus zwei leicht darstellbaren Mem- branen, deren äussere muskulös ist, während die innere durch ein aus sehr kleinen (0,017 Mm. langen) Zellen bestehendes Cylinderepithel gebildet wird. Ausser dem Pylorus und der Cardia befindet sich am Magen eine dritte’ Oeffnung, für den Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatiliss 171 Ductus hepaticus nämlich. Dieselbe ist auf der oberen Ma- genfläche nicht sehr weit von der Cardia gelegen. Der ver- hältnissmässig ziemlich weite Lebergang reisst sehr leicht ab und seine Ansatzstelle an den Magen bleibt als ein rundes klaf- fendes Loch zurück. Nach Siebold’s Angaben !) sollen sich die aus den Leberlappen heraustretenden Gallengänge bei den meisten Cephalophoren zu zwei bis drei oder mehreren Aus- führungsgängen vereinigen, welche in den Darmkanal mün- den; trotzdem aber konnte bei Neritina nicht mehr als ein einziger Lebergang aufgefunden werden. Der Darm ist eylindrisch und zeigt in dem dem Pförtner angrenzenden Theile viele Längsfalten und durch Pigment kohlschwarz gefärbte Längsstreifen. Der Flimmerüberzug setzt sich im ganzen Darmrohre bis zum After fort. In der Nähe der Afteröffnnng sind wiederum zahlreiche Längsfalten vorhanden, aber der ganze unterste Theil des Darmes ist wie die Speiseröhre vollkommen pigmentlos. In dem Magen wurden nur selten Nahrungsstoffe ange- troffen, vielleicht weil die in der Gefangenschaft anfbewahr- ten Neritinen nur ausnahmsweise fressen. Die vordere en- gere Magenabtheilung war fast stets mit einer dicklichen, zähen, durch die Galle bräunlich grün gefärbten Flüssigkeit erfüllt. Die Fäces bilden niemals Kothballen im Darme, son- dern einen einförmigen, halbflüssigen Brei, worin fast aus- schliesslich Diatomaceenschalen als feste Bestandtheile gefun- den wurden, so dass die Neritinen vorzüglich von mikrosko- pischen Organismen zu leben scheinen. Unter den dem Darmkanal angehörigen Drüsen haben wir schon die Speicheldrüsen abgehandelt. Als Galle abson- derndes Organ ist eine Leber vorhanden, welche verhältniss- mässig nicht so sehr entwickelt ist, wie bei den meisten an- deren Cephalophoren. Sie liegt dem Magen auf und kann sogar nur schwierig von demselben abpräparirt werden. An- dererseits greifen die Leber- und Geschlechtsdrüsenfollikeln so in einander, dass die beiden Drüsen ohne Zerreissung von 1) Handbuch der vergleichenden Anatomie. p. 326. 172 Edouard Claparede: einander nicht getrennt werden können. Die Leber liegt so zu sagen zwischen dem Magen und der Geschlechtsdrüse und besteht aus zwei ungleich grossen Lappen. Die Gestalt des Gehäuses bei Neritina ist eine solche, dass das in der letzten Windung liegende Stück des Thieres wie ein Zapfen an der rechten Thierseite hängen bleibt. Dieser Zapfen wird durch einen Lappen (Fig. 28 b‘.) der Geschlechtsdrüse gebil- det, worunter ein Leberlappen (e‘), als eine dünne, braune von der Geschlechtsdrüse nicht zu trennende Schicht zu sehen ist. Es ist dies der zweite kleinere Leberlappen; der erste grössere (c.) ist der dem Magen aufsitzende. Die Bildung der Galle in den Leberzellen findet nach dem von Meckel gegebenen Schema statt. Jedoch trifft man nicht bei Neritin«a wie bei vielen Planorben, Limnaeen u. s. w. gewisse Zellen, welche ausschliesslich Gallenfett und andere nur Gallenstoff enthalten. Es ist dies nur der seltenere Fall. Vielmehr schien es, als ob die beiden Stoffe zugleich mit wenigen Aus- nahmen in jeder Zelle gebildet würden. Noch eine andere Drüse findet man bei Neritina, worüber sich jedoch nur wenig sagen lässt. Diese Drüse zeigt, je nach den Individuen die verschiedensten Entwickelungsstufen. Bei manchen Exemplaren umhüllt sie nicht nur die ganze untere Fläche des Magens, nebst der Speiseröhre und den Speicheldrüsen, sondern sie drängt sich noch überall zwischen die Organe, hüllt den ganzen Darın ein und erstreckt sich bis an die Basis der Kieme, und in die Nähe des Afters. Bei anderen Individuen beschränkt sich ihr Gebiet auf die Gegend der Cardia und des kammförmigen Organs, indem sie Fortsätze zwischen die Zähne des letzteren einschiebt. Bei anderen endlich glückt es nicht trotz des eifrigsten Su- chens, die geringste Spur der Drüse zu entdecken. Beim auffallenden Lichte erscheint diese räthselhafte Drüse schön milchweiss, wie eine Fettemulsion: Unter dem Mikroskop findet man in den Drüsenschläuchen sehr feine, stark licht- brechende Körnchen, welche oft eine Molekulalbewegung zeigen. Am ehesten liesse sich diese Drüse als Niere deu- ten, da kein anderes Organ sich vorfindet, welches eine Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 173 solche Rolle beanspruchen dürfte, nur ist auffallend, dass ein solches Verhalten der Niere bei keinem Cephalo- phoren bekannt ist. Bei keinem sieht man dieselbe bald eine fabelhäfte Grösse annehmen, bald bis zum Verschwinden ab- nehmen. Sekretbläschen sind in den Drüsenzellen nicht vor- handen. Der Inhalt wurde zwar auf Harnsäure durch Mu- rexidfärbung nicht geprüft, da die Kleinheit des Gegenstandes eine solche Prüfung kaum gestattete, dass aber die winzigen farblosen, in der Drüse vorhandenen Körnchen den abgeson- derten Harn darstellen sollten, möchte nicht sehr wahrschein- lich erscheinen, wenn man dieselben mit den Harnconcre- menten der Pulmonaten z. B. vergleicht. Moguin-Tandon spricht bei seiner Neritina von einer Drüse, die er mit dem Namen Präcordialdrüse belegt, und welche Ouvier’s Schleimdrüse und der Niere vieler anderen Schriftsteller entsprechen soll. Er wählt diesen Namen, weil die Function dieses Organes doch nicht mit Bestimmtheit er- wiesen ist und der Name Präcordialdrüse zu allen Hypo- thesen die Thür offen lässt. Leider bezieht sich Moquin- Tandon fast nirgends in seinem Texte auf seine Abbildun- gen und er braucht oft eine ganz andere Terminologie im Texte selber und in den Erklärungen zu’den Tafeln. So auch hier: nachdem er in dem Buche von der Präcordial- drüse gesprochen hat, ohne deren Lage näher zu beschrei- ben, erwähnt er kein Wort mehr davon in den Erklärungen zu den Tafeln. In den letzteren ist im Gegentheil von einer Schleimdrüse (Organe de la glaire) die Rede. Letztere soll am Magen liegen und könnte sehr wohl mit unserer fragli- chen Niere ein und dasselbe Organ sein. Ob es auch Mo- quin’s Präcordialdrüse ist, blieb freilich ungewiss, denn dieser Name passt für diese Drüse äusserst wenig, welche sich, — wenn sie nicht ganz besonders entwickelt ist — vom Her- zen sehr weit entfernt befindet. Der Name würde viel besser für eine andere dem Geschlechtsapparat unzweifelhaft ange- hörige Drüse passen, welche in der Nähe des Afters und des Herzens liegt und auffallenderweise bezeichnet wieder- um Moquin-Tandon auf der Tafel diese Drüse beim Weib- 174 Edouard Claparede: chen als Schleimdrüse. Auf den Tafeln sind also zweierlei Schleimdrüsen vorhanden , obgleich keine einzige im Texte vorkommt, wodurch Einem die Sache nicht vollkommen klar wird. Freilich wäre es möglich, dass die letztere zwischen Herzen und After liegende Drüse allein von Moquin-Tan- don gesehen und Schleimdrüse auf den Tafeln und Präcor- dialdrüse im Texte genannt worden wäre, denn bei der Ab- bildung des Tractus intestinalis, wo derselbe eine „Schleim- drüse* neben dem Magen zeichnet, hat er die grosse gelbe Drüse zwischen dem Herzen und dem After nicht einmal angedeutet, und bei einer anderen die weiblichen Geschlechts- theile betreffenden Figur kommt diese grosse gelbe Drüse allein als „Schleimdrüse“ vor, während die andere ausge- lassen ist. Es scheint aber kaum möglich, dass Moquin- Tandon diese gelbe neben dem Herzen und dem After lie- gende Drüse allein als Schleimdrüse aufgefasst und dieselbe einmal aus Versehen neben dem Magen gezeichnet habe, denn er hätte dann keine Schleimdrüse (d. h. Präcordial- drüse des Textes, wahrscheinliche Niere) beim Männchen ge- funden, wo er die entsprechende Drüse als Prostata bezeich- net. — Nach Moquin-Tandon’s Aussage soll Pouchet eine anatomisch-physiologische Monographie der Neritina flu- viatilis verfasst haben, hat aber dieselbe nicht herausgegeben. Pouchet’s Untersuchungen sollen die „Präcordialdrüse“ zu ihrem ganz besonderen Gegenstand genommen und mit Ge- wissheit nachgewiesen haben, dass dieses Organ eine den Kalk absondernde Drüse ist. Es hätte jedenfalls für Mo- quin-Tandon ein Grund mehr sein müssen, um diese Drüse nicht Schleimdrüse zu nennen. Wie dem auch sei, so er- scheint das Ergebniss von Pouchet’s Untersuchungen im höchsten Grad zweifelhaft. Seine Präcordialdrüse ist offenbar entweder die eben behandelte, räthselhafte Drüse, oder die weiter zu beschreibende gelbe Drüse, welche zwischen Her- zen und After liegt, aber weder die eine noch die andere enthält jemals eine Spur von Kalk. Das zur Bildung der Schale gebrauchte Material wird zweifelsohne durch die äussere Manteloberfläche, oder deren vorderen Rand allein Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina Auviatilis. 175 und nicht durch eine innere, zwischen den Eingeweiden ver- borgen liegende Drüse abgesondert. Quoy und Gaimard haben zwischen den Windungen des Darmkanals bei Nerita kein der bei Neritina beschrie- benen Drüse entsprechendes Organ abgebildet, auch nicht besprochen. 5. Vom Circulations-System. Ueber den Kreislauf von Neritina können wir leider bei- nahe gar keine Beobachtungen aufweisen. Die Kleinheit des Gegenstandes, welche das Präpariren sehr erschwert und an- dere ungünstige Verhältnisse setzen dem Beobachter fast un- überwindliche Hindernisse in den Weg. Lange Zeit wurde vergeblich nach dem Herzen gesucht, obgleich man a priori die Stelle hätte beinahe angeben können, wo es liest, nämlich an der Basis der Kieme. Die Kieme liegt quer durch die Kiemenhöhle, die Spitze auf der rechten, die Basis auf der linken Seite. Dicht unter der Basis derselben und dem Bo- den der Kiemenhöhle liegt der hintere Theil der schon er- wähnten, grossen, gelben, dem Geschlechtsapparat angehöri- gen Drüse und das unter derselben hinweglaufende Darm- rohr. Kieme, Boden der Kiemenhöhle, Drüse und Darm sind so innig mit einander verbunden, dass sie ohne Ver- letzung von einander nicht wohl abpräparirt werden können. Da wurde natürlich das Herz gesucht, aber wie gesagt, nicht gefunden. Moquin-Tandon zeichnet das Herz als zwei sehr kleine Anschwellungen an der Kiemenvene, die er als Vorhof und Herzkammer deutet. Trotzdem konnten wir an der angegebenen Stelle nichts Aehnliches finden, wohl aber einen kleinen durch Pigment gelb gefärbten Knoten, den wir schon als ein möglicher Weise dem Eingeweidenerven- system angehöriges Ganglion besprachen, Unsere Aufmerksamkeit wurde dann auf eine von Sou- leyet gegebene Abbildung vom Herzen des Turbo scaber ') 1) Voyage de la Bonite. Pl. XXX VII. Fig, 14. 176 Edouard Claparede: geleitet. Bei diesem Thiere bildet die Kiemenvene eine An- schwellung, deren Ränder wie gefranzt erscheinen: es wird diese Anschwellung durch eine leichte Einschnürung von einer zweiten beträchtlich grösseren geschieden, welche den Darm umfasst?), und von Souleyet als eigentlicher Herz- vorhof gedeutet wird. Endlich grenzt diese Anschwellung an eine dritte längliche, welche in ein dünnes Gefäss übergeht. Es sind dies nach Souleyet die Herzkammer und die Aorta. Da sonst eine gewisse Verwandschaft zwischen Turbonen und Neritinen nicht zu verkennen ist, so lag die Vermuthung nahe, ob nicht auch bei den letzteren ein ähnliches Verhält- niss zu finden sei. In der That wird das Herz bei Nerita nach Quoy und Gaimard’s Untersuchungen vom Darm durchbohrt. So scheint sich wenigstens die Sache aus ihrer Abbildung herauszustellen, denn sie sprechen diese Ansicht mit einer verdächtigen Vorsicht aus, indem sie im Texte sa- gen: das Herz sei einfach, hinten und nach links gelegen; dessen Kammer umgebe das Ende der Darmschlinge, welche den Anschein habe, als ob sie dieselbe durchbohrte (son ventricule embrasse la fin de !’anse intestinale qui a l’air de le traverser). Wirklich durchbohrt auch bei Neritina der Darm ein eigen- thümliches Organ, welches leicht übersehen werden kann — weshalb Moquin-Tandon dasselbe nicht bemerkte — weil es mit dem Boden der Kiemenhöhle so innig verbunden ist, dass es leicht für die unterste Schicht desselben gehalten werden kann. Mit etwas Aufmerksamkeit lässt sich dieses Organ unverletzt vom Boden der Kiemenhöhle abpräpariren und bietet dann ein schwammiges Aussehen dar. Man kann die Kiemenvene (Fig. 29k.) verfolgen, wie sie sich in dieses Organ (h) senkt und in demselben verschwindet. Es war nicht möglich, zwei einem Vorhof und einer Herzkammer 1) Auf der Erklärung zu den Tafeln wird irrthümlich das Heız als vom Darm eingeschlossen („le coeur enveloppe par l’intestin“) an- gegeben, während dasselbe umgekehrt vom Darm durchbohrt wird. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 177 entsprechende Abtheilungen zu unterscheiden. Unter dem Mikroskop wurde die Beschaffenheit des Organs nicht viel deutlicher. Unverkennbare Muskelfasern waren hie und da darin vorhanden, doch nicht diese trabekelähnlichen Stränge und geflechtartig angeordneten Muskelbündel, die man in der Herzsubstanz erwarten durfte. Ausserdem waren im Par- enchym des Organes deutliche Drüsenfollikel vorhanden, doch waren dieselben möglicher Weise vom Boden der Kie- menhöhle abgerissen worden. OR Wir bedauern sehr, dass wir die zu untersuchenden Thiere nicht in kochendem Wasser tödteten, ein Verfahren, welches von Leydig: bei Paludina vivipara sehr gerühmt wurde. Bei Cyclostoma elegans, wo die Struktur des Her- zens beim frischen Thiere nicht im geringsten zu erkennen war, haben wir in der That diese Struktur gänzlich hervor- treten sehen, sobald die Thiere in kochendes Wasser ge- taucht wurden. Dieses einfache Mittel hätte uns gewiss bei Neritina gleiche Dienste gethan. Kein einziges Mal glückte es, das Herz beim ausge- wachsenen Thiere schlagen zu sehen. Das Abbrechen der Schale und die Spaltung der Kiemenhöhle sind Verletzungen welche die Neritinen nicht zu überleben scheinen, wenigstens wurden niemals Lebenszeichen wahrgenommen, nachdem eine solche Operation vorgenommen worden war. Ein glückli- cheres Ergebniss gewährte die Untersuchung junger, aus der Eierkapsel eben ausgeschlüpfter Individuen. Einige unter denselben besassen ausnahmsweise eine ziemlich durchsich- tige Schale, die das Beobachten des Tkieres unter schwacher Vergrösserung ohne Abbrechen der Schale gestattete. Es zeigte sich dann, dass das pochende Herz gerade an der Stelle des eben besprochenen Organes lag und wir nehmen daher keinen Anstand, dasselbe als Centrum des Bluteirceu- lationsapparates zu bezeichnen und zweifeln nicht daran, dass sowohl gewisse Reagentien, wie auch das Kochen einen tie- feren Blick in die mikroskopische Struktur der Herzwandun- gen gestatten würden. Müllers Archiv. 1857. 12 178 Edouard Claparede: Vom Blutgefässsystem wurde, ausser den Kiemengefässen, nichts wahrgenommen, Die Kleinheit des Gegenstandes mag zur Entschuldigung dienen. Dieses Durchbohrtsein des Herzens vom Mastdarm bei Turbo, Nerita und vielleicht Neritina, deutet wiederum auf eine Verwandtschaft hin, welche die überraschende Aehnlich- keit der Reibplatten schon vermuthen liess. Ausserdem er- innern dadurch diese Schnecken an die von Cuvier unter- suchten Seutibranchiaten (Haliotis, Fissurella, Emarginula), bei welchen die Herzkammer ebenfalls vom Darm durchbohrt wird nnd an die Lamellibranchiaten, wo derselbe Fall ein- tritt. — 6. Vom Respirations-System. Die Kiemenhöhle wird durch einen grossen, zwischen dem Mantel und dem Rücken des Thieres befindlichen Raum ge- bildet. Sie ist nicht beinahe vollkommen abgeschlossen, wie die Kiemenhöhle auf dem Vorderrücken der gewöhnlichen Ctenobranchiaten, sondern klafft in der ganzen Länge der zwi- schen dem Mantelrand und dem Rücken befindlichen Furche. Der Eingang in die Kiemenhöhle hat daher die Gestalt eines Bogens, welcher dem Rücken aufsitzt. Merkwürdiger Weise giebt Moquin-Tandon an, dieser Eingang sei auf der rechten Thierseite zwischen Mantelrand und Hals, am oberen vorderen Winkel gelegen und hätte eine ovale und dreieckige (2) Gestalt. Dies beruht offenbar auf einem nicht recht zu be- greifenden Irrthum,. Die Oeffnung klafit zwar mehr an den beiden Seiten als auf dem Rücken und gewöhnlich mehr auf der einen als auf der anderen Seite, doch bald mehr auf der linken, bald dagegen auf der rechten, je nach der Lage und den Bewegungen des Thieres und ein enger Spalt läuft stets bogenförmig von der einen klaffenden Stelle über den Rücken zn der andern hin. Mit einem Worte ist der Ein- gang in die Kiemenhöhle hufeisenförmig und an beiden En- den meistens etwas erweitert. Auf der rechten Seite, dicht unter dem Mantelrand, nahe an der Stelle, wo derselbe mit „ Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 179 dem Vorderrücken verschmilzt, befindet sich die Geschlechts- öffnung und nach innen derselben der After. Nach Moquin’s Angaben zwar wäre die Lage der Geschlechtsöffnung je nach den Geschlechtern eine verschiedene, indem die männliche an der Basis des Tentakels nach innen und nach vorn dersel- ben, die weibliche aber unter dem Mantelrande (sous le col- lier) zu finden wäre. Nichtsdestoweniger war es nicht mög- lich, in der Lage der beiden Oeffnungen einen erheblichen Unterschied wahrzunehmen. Die ganze Kiemenhöhle flimmert. Die unpaarige, drei- eckige, gleichfalls beflimmerte Kieme läuft quer durch die Kiemenhöhle von links nach rechts, indem sie einen der Rückenkurve entsprechenden Bogen beschreibt. Die Basis der Kieme ist an der äussersten Grenze der Kiemenhöhle nach links angewachsen, an der Stelle, wo der Muskel ent- springt, wodurch das Thier an der linken Schalenhälfte be- festigt wird. Da jedoch die Basis der Kieme etwas schräg von vorn und aussen nach hinten und innen gerichtet, und die grosse gelbe, dreieckige, dem Geschlechtsapparat ange- hörige und weiter zu beschreibende Drüse, ebenfalls schräg, aber umgekehrt von rechts und vorn nach links und hinten gelegen ist, so kommen die Basis der Kieme und die Basis der Drüse in der Nähe der Mittellinie zusammen und werden nur noch durch den dazwischen liegenden Boden’der Kie- menhöhle und durch den Darm von einander geschieden. Das Gerüst der Kieme wird durch eine dreieckige Mem- bran gebildet, deren beide Flächen die Kiemenblätter tragen. Letztere sind selbst mehr weniger dreieckige Lamellen, welche der Gerüstmembran mit einer verhältnissmässig sehr breiten Basis quer aufsitzen. Moquin-Tandon!) giebt an, dass er bei einer Neritina von mittelmässiger Grösse zwei und vierzig Kiemenblätter zählte Das mag in der That die durchschnittliche Zahl sein. Selten haben wir ihrer sechs bis sieben und vierzig gefunden. Nur ist dabei zu bemerken, dass Moquin-Tandon den Bau der Kieme nicht beachtete IR, BlOMp: Tal 12* 180 : Edouard Claparede: Mr und dass in der That vier und achtzig anstatt zwei und vier- zig Kiemenblätter vorhanden waren, da die beiden Flächen der mittleren Membran mit einer gleichen Anzahl Kiemen- blätter besetzt sind. Das Minimum haben wir bei einer aus der Eierkapsel erst seit kurzer Zeit ausgeschlüpften Neritina angetroffen, bei welcher die Kieme auf jeder Fläche nur zwei Kiemenblätter besass. Die Anzahl der Kiemenblätter nimmt also mit dem Alter zu und ohne Zweifel erscheinen die neuen an der Basis des Organes, so dass die weniger brei- ten, der Kiemenspitze näher gelegenen die älteren sind. 7. Von den Fortpflanzungsorganen. Wir erwähnten schon am Anfang dieses Aufsatzes, dass die Neritinen von gewissen Schriftstellern wie Souleyet und Philippi z. B., zu den angeblich hermaphroditischen Seutibranchiaten gerechnet wurden, obgleich sie eben so we- nig Zwitter sind wie die anderen in der neuern Zeit. als ge- trennten Geschlechtes erkannten ächten Secutibranchiaten (Emarginula, Haliotis ete.). Philippis Irrthum ist um so merkwürdiger, als Quoy und Gaimard schon einige Jahre vorher die Geschlechtsunterschiede bei Nerita dargethan hatten, eine Thatsache, die Philippi nicht unbekannt ge- blieben ist. Beim Männchen besteht der geschlechtliche Apparat aus einer die Samenelemente bereitenden Drüse, einem langen, sehr gewundenen Ausführungsgang mit zugehörigen accesso- rischen drüsigen Organen und aus Begattungswerkzeugen. Beim Weibchen können ganz entsprechende Abtheilungen des Geschlechtsapparates unterschieden werden. Die geschlechtliche Drüse, sowohl der Hoden beim Männ- chen, wie der Eierstock beim Weibchen, besitzt zu der Brunstzeit einen sehr beträchtlichen Umfang. Sie liegt et- was mehr auf der rechten Seite, nimmt: den ganzen hinteren Theil der Schale ein und drängt die Leber zurück, indem die Follikel beider Drüsen in einander greifen und ohne Zer- reissung nicht zu trennen sind. Diese Drüse besteht wie die Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 181 Leber aus zwei Lappen, von denen der kleinere (Fig. 23 c‘) in der letzten Schalenwindung liegt, und beim entblössten Thiere, wie ein Zapfen an der rechten Seite hängt und der andere grössere (ec) dem grossen Leberlappen aufsitzt. Mit- unter erreicht die Geschlechtsdrüse einen so grossen Um- fang, dass sie beinahe ein Drittel des ganzen Thieres aus- macht. Im Verhältniss zur Leber ist sie also zur Brunstzeit, der einzigen Jahreszeit, wo wir das Thier untersuchten, ganz ungemein gross. Es scheint aber, dass, wenn die eine Drüse zunimmt, die andere dadurch zurückgedrängt wird, so dass der Umfang beider in umgekehrtem Verhältniss zu sein scheint. Wenigstens ist die Leber bei den Exemplaren, welche eine ungemein entwickelte Geschlechtsdrüse besitzen, sichtlich kleiner. Die dünne Schicht Lebersubstanz, welche sonst unter dem kleineren Geschlechtsdrüsenlappen in der letzten Schalenwindung liegt, verschwindet dann beinahe voll- ständig. Der von Quoy und Gaimard bei Nerita abgebildete Eierstock liegt am rechten, von links nach rechts gekrümmten Leberrande und ist im Verhältniss zur Leber ganz ungemein klein (6 oder 7 Mal kleiner nämlich, und etwa der zwanzigste Theil des ganzen Körpers). Wir würden uns diesen Unter- schied leicht dadurch erklären, dass Quoy und Gaimard ihre Nerita nicht zur Brunstzeit untersuchten, wenn sie nicht im Uterus eine grosse Anzahl weisse, rundliche, mit einer harten Schale („oeufs cretac&s*) versehene Eier gefunden hät- ten. Möglicher Weise jedoch sind es die letzten Eier der Jahreszeit gewesen und war der Eierstock schon zusammen- gefallen. Schon mehrfach haben wir einer grossen gelben mehr weniger dreieckigen Drüse (Fig. 23d., 29d., 30a.) Erwäh- nung gethan, die neben dem After (Fig. 29 g., 30h.) zwischen demselben und dem Herzen liegt. Diese Drüse ist hohl und die ganze Höhle flimmert. Anfangs hielten wir dieselbe für eine Niere, um so mehr, als die Anwesenheit einer flim- mernden Höhle im Inneren dafür zu sprechen schien. Beim Männchen war die mikroskopische Zusammensetzung folgende; 182 Edouard Clapareöde: _ Die ganze Drüse besteht aus Zellen (Fig. 29 A. a.), welche meistens mit kleinen rundlichen, oft regelmässig dreieckigen, stark lichtbrechenden Körperchen (b) erfüllt sind. Diese Körperchen sind ausserdem in grosser Anzahl ganz frei, d. h. in. keine Zellen eingeschlossen, vorhanden. Hin und wieder kommen einige mit diesen Körperchen weniger dieht erfüllte Zellen vor, bei welchen ein Kerm durchschimmert. Manche sogar, aber im Ganzen ziemlich selten, enthalten nur ein einziges oder wenige grössere Körperchen; der Kern erreicht mitunter in denselben eine sehr ansehnliche Grösse (Fig. 29 A.c.) und ist mit einem Kernkörperchen versehen, so dass man gern beim ersten Anblick diese letzteren Zellen für Nierenzellen mit ihren Sekretbläschen halten möchte. Solche Zellen sind aber wie gesagt selten anzutreffen, da fast alle mit den Körperchen strotzend erfüllt sind. Die Zellen, welche die innere Höhle bekleiden und mit Flimmer- cilien versehen sind, enthalten auch meist ähnliche runde oder dreieckige Körperchen. Gern hätte man letztere für Harn- concremente gehalten, obgleich sie die gelbe Färbung nicht darboten, welche den Harnconcrementen meist eigen ist. Jedoch zeigte sich bald die Unzulässigkeit einer solchen Hy- pothese, da diese Körperchen in Weingeist sehr leicht löslich sind, und also wahrscheinlich aus einer fettähnlichen Sub- stanz bestehen. Uebrigens ist die mikroskopische Beschaffenheit der Drüse beim Weibchen, wie wir gleich anführen werden, eine andere als beim Männchen, was auf eine Beziehung zwischen derselben und dem Geschlechtssystem hindeuten würde, wenn nicht diese Beziehung durch andere gleich zu besprechende Umstände schon hinlänglich erwiesen wäre. Der Ausführungsgang des Hodens (Fig. 29b.) stellt einen langen dünnen, vielfach gewundenen Faden dar, welcher einen verwirrten Knäuel zwischen Hoden und Drüse bildet. Dieser Faden, der nach dem Hoden zu verschwindend dünn wird und ohne seine schwarze Färbung an der Stelle, wo er aus dem Hoden entspringt, nicht mehr sicht- bar wäre, nimmt gegen sein unteres Ende an Dicke zu und Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 183 bildet einen erweiterten, gewundenen Schlauch (ec), der sich, indem er sich schnell wieder verjüngt, in die Drüse senkt und in derselben verschwindet. Unter der Lupe lässt sich der an dieser verengten Stelle nur 0,034 Mm. breite Aus- führungsgang noch eine kleine Strecke in der Substanz selbst der Drüse verfolgen, hört aber bald auf, indem er ohne Zweifel in die Höhle des Organes mündet. Auf dem vor- deren Theil der Drüse sitzt die Ruthe (e), ein breiter, mit zahlreichen Längsfalten versehener Schlauch, der, so viel wir ermitteln konnten, mit der inneren Höhle der Drüse zusam- menhängt. Diese Drüse, welche schon von Moquin-Tandon ganz richtig gesehen und einfach als ein eiförmiges feinkör- niges Organ beschrieben wurde, wird von ihm als Prostata aufgefasst. — Man hat sich also den Ausführungsgang des Hodens so vorzustellen, dass der gewundene Ductus deferens seinen Inhalt in die Drüsenhöhlung ergiesst, wo sich der- selbe wahrscheinlich mit dem Drüsensekret vermengt und bei der Begattung aus dieser Höhle in die Scheide des Weib- chens ejakulirt wird. Man darf jedoch nicht daraus schliessen, dass die Höhlung dieser s. g. Prostata die Function einer Samenblase übernimmt, denn kein einziges Mal wurden Zoo- spermien in derselben angetroffen. Der gewundene Hoden- ausführungsgang dagegen wurde stets strotzend voll Zoospermien gefunden. Der Same, welcher eine milchweisse zähe Flüssigkeit darstellt, sammelt sich namentlich in der schlauchartigen Erweiterung am unteren Theile des Ductus deferens an, weshalb man dieselbe wohl als Samenbehälter, Samenblase auffassen dürfte. Moquin-Tandon nennt die- selbe geradezu einen Nebenhoden. Er stellt übrigens nicht diesen s. g. Nebenhoden als eine einfache schlauchförmige Erweiterung des Ausführungsganges, sondern als ein beson- deres, unregelmässig eiförmiges Organ dar, welches sich durch einen kurzen hakenförmigen Fortsatz an die Drüse ansetzt. Durch einfaches Auseinanderwickeln bemerkt man je- doch sogleich, dassdie dieseseiförmige Organ zusammensetzen- den Windungen nicht fester mit einander verbunden sind, als die übrigen Windungen des Ductus, — Der ganze Ausfüh- 184 Edouard Claparede: rungsgang, bis’zur Stelle wo er sich.in Moquin’s Prostata einsenkt, wird durch Pigmentkörnchen intensiv kohlschwäarz gefärbt, obgleich die milchige Färbung des Inhaltes, nament- lich im unteren Theile durchschimmert.': Das Innere des Ganges flimmert durchweg. Quoyıund Gaimard haben die inneren ‚Organe der weiblichen Nerita allein abgebildet. Jedoch geben sie ‚an, dass die Hoden an derselben Stelle wie der Eierstock beim Weibchen liegt und dass der Ausführungsgang desselben, gleich‘ wie bei Neritina sehr vielfach gewunden ist. Er soll einen dünnen, zarten Faden darstellen , welcher, nach- dem er in Wasser auseinandergewickelt worden war, eine Länge von circa zwei Fuss erreichte. Es muss daher eine sehr grosse Species gewesen sein, welche diesen Forschern zu Gebote stand, denn der Ductus deferens erreicht bei unserer zwar sehr kleinen Neritina nur eine Länge von etwa 2,5 bis 3 Centimeter. Der Ausführungsgang erweitert sich bei Ne- rita nach unten ebenso wie bei Neritina; gleichwohl konnte derselbe von Quoy und Gaimard nicht bis zur Ruthe:- ver- folgt werden. Letztere soll kurz sein und an der Basis des rechten Fühlers liegen. Bei der weiblichen Neritina kommt eine ganz “ähnliche Drüse, wie Moquin-Tandon’s Prostata bei der männlichen vor. Deren Lagerungsverhältnisse in Beziehung auf den After und den Darm sind gerade dieselben, und das äussere Ansehen ist für das blosse Auge und: die Lupe ebenfalls ganz gleich. Merkwürdiger Weise ist diese Aehnlichkeit Moquin-Tandon gar nicht aufgefallen, oder wenigstens erwähnt er sie mit keinem Worte. Dieses Organ bezeichnet er beim Weibchen auf seinen Tafeln als Schleimdrüse, und wir sahen schon, dass mehrere Gründe vorhanden sind, an- zunehmen, dass dieser Name mit dem im Texte gebrauchten Ausdruck „Präcordialdrüse* ein und dasselbe Organ bezeich- net. Unbequem bleibt freilich für diese Deutung der Um- stand, dass die im Trexte erwähnte Präcordialdrüse, welche wie Moquin selbst angiebt, vielleicht eine Niere ist, beiden -Geschlechtern eigen sein sollte, während die auf der Tafel Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fuviatllis. 185 beim Geschlechtsapparat des Weibchens gezeichnete Schleim- drüse dem weiblichen Geschlecht allein zukommt, da die ent- sprechende Drüse beim Männchen nach Moquin-Tandon als Prostata aufgefasst werden soll. Wie schon früher be- merkt wurde, findet man unter Moquin’s Zeichnungen eine, wo’ eine „Schleimdrüse* auch an der grossen Curvatur des Magens vorkommt, welche der Lage nach fast unmöglich dasselbe Organ sein kann, welches er unter demselben Namen an der Mündung des weiblichen Geschlechtsapparats angiebt. Die Bezeichnung „Schleimdrüse* findet übrigens hier bei den weiblichen Geschlechtsorganen keine Rechtfertigung, da die Neritineneier nicht wie so viele andere Oephalophoreneier in Schleim eingehüllt sind. Es könnte höchstens die Drüse sein, welche zur Absonderung der festwerdenden Eierkapsel- substanz bestimmt ist. Die Lage dieser Drüse ist beim weiblichen Geschlecht gerade dieselbe wie beim männlichen, denn sie ist an der gleichen Stelle in dem Leitungsapparat der Geschlechtspro- dukte eingeschaltet, so dass man sie vielleicht je nach dem Geschlecht als männliche oder weibliche Nebendrüse des Geschlechtsapparates bezeichnen könnte. Eine derartige Be- zeichnung hätte wenigstens den Vorzug, dass sie nichts über die noch räthselhafte Function dieser Organe entscheidet. — Die weibliche Drüse enthält eine flimmernde Höh- lung, wie die männliche. Mikroskopisch untersucht erscheint sie aus ähnlichen Zellen wie die männliche zusammengesetzt, nur findet man in denselben anstatt der bald rundlichen, bald eiförmigen oder dreieckigen Körperchen nur äusserst kleine, nicht messbare, aber ebenfalls stark lichtbrechende Körperchen (Fig. 30 A.). Die chemischen Reactionen sind übrigens dieselben für diese winzigen Körperchen, wie für die grösseren Körperchen der männlichen Drüse. Sie lösen sich ebenfalls in Alkohol auf und bestehen wahrscheinlich aus einer fettartigen Substanz. Ausser dieser Nebendrüse besteht der weibliche Leitungs- apparat noch aus einem Eileiter, einer Gebärmutter und einer Samentasche, L) 186 Edouard Claparede: Der Eileiter (Fig. 30 b.) ist ein dünnwandiger, schmaler, nicht sehr langer Schlauch, der aus dem Eierstock entspringt, zur Nebendrüse herabläuft und sich in dieselbe seukt. Die- ser Schlauch ist schwer zu finden, da er ganz pigmentlos und durchsichtig st und ausserdem sehr leicht zerreisst. In- nerhalb der Nebendrüsensubstanz konnte der Eileiter nicht verfolgt werden, aber zweifelsohne hängt er mit der innern Höhle dieses Organs zusammen. Der Darm läuft von links nach rechts schräg unter der Nebendrüse hinweg. Den Darm entlang, auf dessen Aussen- seite, erstreckt sich die Gebärmutter, deren Grund an den hin- tersten Theil der Nebendrüse grenzt, während die Scheiden- öffnung (Fig. 30 e) dicht neben dem After (h) und nach aus- wärts von demselben liegt. Der Grund der Gebärmutter schwillt zu einer Kugel (f) an, die zwischen der Nebendrüse, dem Eierstock und dem Herzen steckt. Nach unten geht dieselbe in einen dünnen Hals über, der sich allmählig zu einer weiten Scheide (d) erweitert, welche wiederum nach der Mündung zu an Durchmesser etwas abnimmt. Auf der Aussenseite der Scheide entspringt ein schmaler Gang, der nach rückwärts der Scheide eine Zeit lang parallel läuft und dann zu einer etwa wie eine Sanduhr aussehenden doppel- ten Erweiternng (Fig. 30 ec.) anschwillt. Dieses Organ be- sitzt sehr dicke muskulöse Wandungen, wo die Ringmuskel- fasern namentlich sehr entwickelt sind (Fig. 31). Bei jedem Exemplar wurde diese doppelte Anschwellung voll Zoosper- mien gefunden, wodurch dieselbe eine glänzende milchweisse Färbung annimmt. Es ist dies also eine weibliche Samen- tasche. Moquin-Tandon zeichnet dieselbe bei der von ihm untersuchten Neritina als eine einfache, nicht doppelte An- schwellung, und da er ihren Inhalt mikroskopisch niemals untersuchte, so fasst er dieselbe als Begattungstasche auf. Diese Bezeichnung ist jedenfalls nicht ganz richtig, denn die Begattungswerkzeuge sind bei den männlichen Neritinen wie überhaupt bei den Scutibranchiaten nur sehr wenig ent- wickelt, indem sie sich auf eine kurze schlauchartige, wahr- scheinlich jedoch ausstülpbare Ruthe reduciren, welche wohl Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 187 in den vorderen Theil der Vagina eindringen, aber jedenfalls nicht die Mündung der Samentasche in dieselbe erreichen kann. Bei Paludina erwähnt schon Siebold ein ungestieltes Receptaculum seminis, welches mit breiter Oeffnung in den Gebärmuttergrund mündet, aber bei den übrigen weiblichen Kammkiemern und wie es scheint bei den übrigen Oephalo- phoren mit getrennten Geschlechtswerkzeugen wurde eine solche Samentasche nicht beobachtet. Unter der Lupe bemerkt man in der Samentasche von Neritina regelmässig angeordnete, milch weisse Streifen, welche schr wahrscheinlich in einer besonderen Anordnung der Samenelemente in derselben ihren Grund haben. Durch die Undurchsichtigkeit des Gegenstandes wurden wir behindert, die Samentasche selbst unverletzt unter das Mikroskop zu bringen. Beim Eröffnen derselben aber kamen immer die Zoospermien als eine dicke, weisse, unförmliche Wolke her- aus, weil vielleicht die Berührung mit dem Messer der ge- dachten Ordnung Eintrag thut. Obgleich die Möglichkeit der Bildung von Spermatophoren bei Neritina dadurch noch nicht als unbegründet erwiesen schien, so wurde doch ver- geblich in der erweiterten Stelle des Vas deferens beim Männchen danach gesucht. Es bliebe indessen immer mög- lich, dass die Spermatophoren erst in der männlichen Neben- drüse gebildet werden können. Wir werden sehen, dass eine Beobachtung von Quoy und Gaimard bei Nerita, das Vor- handensein von Samenmaschinen auch bei dieser Schnecke nicht unwahrscheinlich macht. Die Anschwellung im hinteren Theile des Uterus ist der Gestalt nach eine regelmässige Kugel (Fig. 30f.). Niemals wurden in derselben Eier, wohl aber immer eine eigenthüm- liche, braune, weiche Kapsel angetroffen. Dieselbe besass eine durchschnittliche Breite von etwa 0,54 Mm., und ent- hielt in vielen Fällen braungefärbte Kalkconeremente. In allen Exemplaren aber wurde entweder ausser den Kalk- stücken oder ganz allein ein eigenthümlicher Stoff gefunden, welcher beim Zerreissen oder Zerdrücken der Uteruskapsel sogleich hervorquoll. Dieser Stoff war dadurch sehr merk- 188 Edouard Claparede: würdig, dass er in den verschiedenartigst gestalteten Gebil- den sich darstellte. Letztere waren immer durch eine dicke, doppelt contourirte ‚Linie nach aussen begrenzt und boten ein mattglänzendes Ansehen dar. Es waren oft zellenartige Formen, worin aber die scheinbare Zellmembran eine be- trächtliche Dicke erreichte. Inwendig zeigten sie meist meh- rere, mitunter bis fünf oder sechs, bisweilen gar noch mehr an- dere zellenähnliche Scheinmembranen, die alle dieselben beiden Contouren zeigten, und zwar so, dass die äussere Contour viel schärfer als die innere hervortrat. Diese Scheinzellen waren in einander geschachtelt. Oft waren zwei oder meh- rere solche Systeme von eingeschachtelten, scheinbar mem- branösen Gebilden von. einer oder auch mehreren gemein- schaftlichen doppelt contourirten Membranen umgeben. An- dere unter diesen Gebilden waren sehr in die Länge gezo- gen, so dass man der doppelten Contouren wegen eine mattglänzende Scheide mit einem durchsichtigen Inhalt hätte geglaubt zu sehen. Dieser scheinbare Schlauch aber war nicht an beiden Enden abgeschnitten, sondern die doppelt contourirten'Wandungen der Scheide liefen in einander über. Dann und wann erweiterte sich das eine Ende des Schlau- ches und in der Anschwellung sassen mehrere in einander geschachtelte Scheinzellen, oder auch enthielt ein solcher Schlauch mehrere andere, die ebenfalls mit Endabschluss ver- sehen waren, Nicht selten bildete eine doppelt contourirte Linie einen Wirrwarr von Schlingen und Krümmungen, um endlich in sich selber zurückzulaufen und im Innern zeigten sich mehrere Knäuel von den sonderbarsten, unbeschreiblich- sten Gestalten, die alle den gewöhnlichen mattglänzenden Anblick darboten. Durch längere Einwirkung des Wassers quellen diese Gebilde auf, behalten aber ihre merkwürdigen Formen. Durch Alkohol und Säuren bleiben sie unverän- dert, höchstens wirken letztere wie das Wasser, indem sie ein Aufquellen verursachen. Wir haben es also hier mit einem eigenen Stoff zu thun, der mit grosser Leichtigkeit in verschiedenen Flüssigkeiten Fort- sätze austreibt, und kugelige oder schlauchartige, aber im- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 189 mer mit Endabschluss versehene Gestalten bildet. Die- ser Stoff stimmt offenbar mit einer namentlich in ‘der pathologischen Anatomie vielfach bekannten und von Vir- chow!) Markstoff, ‚Myelin benannten Substanz über- ein. Sowohl Virchow wie Meckel von Hemsbach?), der auch diesen Stoff beobachtete, vergleichen sehr treffend die schlauchartigen Gebilde mit Nervenröhren, die den Achseneylinder enthalten. Meckel rechnet das Myelin zu seinen Speckstoffen und will es „unter den abgedampften Speckstoffen verschiedener Extrakte und Personen“ gefunden haben. Virchow hat dasselbe in jeder Milz, sowohl vom Menschen wie von Thieren, in der Schilddrüse, in den Lun- gen, im frischen Eidotter vom Huhn, im Eiter, Dr. Sieg- mund ausserdem im Eierstock gefunden. Dieser Stoff soll mit dem Nervenmark chemisch vollkommen übereinstimmen. Bei den meisten Organen der höheren Thiere, welche das Myelin enthalten, kann dasselbe erst nach einer beson- deren Behandlung, namentlich durch Ausziehen vermittelst heissen Alkohols, erhalten werden. Bei unserer Neritina quillt es aber sogleich heraus, wenn die Kapsel aus dem Grunde des Uterus eröffnet wird. Ausser im Nervenmark selber, wurde das Myelin, so viel uns bekannt ist, nur in kranken Geweben der höheren Thiere so ganz frei gefun- den. Das Myelin von Neritina ist eine ganz überaus schöne Form, im Ganzen grösser als sonst. Ueber die Bedeutung dieser Myelinanhäufung können wir kaum eine Vermuthung aufstellen. Ob diese Substanz den Eiern in dem Augenbliek der Bildung der Eierkapsel beige- geben wird, steht dahin. Sie wurde niemals in den Eierkap- seln bemerkt. Beiläufig wollen wir bemerken, dass die Nervensubstanz der Ganglien bei den Neritinen ebenfalls sehr viel Myelin 1) Ueber das ausgebreitete Vorkommen einer dem Nervenmark analogen Substanz in den thierischen Geweben, von Rud. Virchow. Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie. Bd. VI. 1854, p- 963. 2) Annal. der Charite. Bd. IV. S. 269. 190 Edouard Claparöde: enthält, gerade wie das Nervensystem der Säugethiere. Bei Präpa- raten, welchein Alkoholund Glycerin aufbewahrtwurden, haben sich die sonderbarsten Gestalten dieses Stoffes sehr zahlreich vorgefunden. Es wird wohl diese Substanz dem Nerven- system aller Schnecken zukommen, da wir sie ebenfalls beim Schlundring von Cyelostoma, Limnaeus, Physa u. Ss. w., ob- gleich nicht so massenhaft wie bei Neritina wiederfinden. Zwischen dem Uterus und dem Eileiter ist keine direkte Verbindung vorhanden, da letzterer in die Höhlung der Ne- bendrüse mündet und ersterer mit dieser Drüse nicht unmit- telbar zusammenhängt. Es geht aber ein schmaler Gang — der schon von Moquin-Tandon ganz richtig gefunden wurde — von der Samentasche und zwar von der unteren Anschwellung derselben ab und senkt sich in die Substanz der Drüse, wo er ohne Zweifel in die Höhlung derselben mündet (Fig. 31b.). Dieser Gang ist inwendig beflimmert. — Den von den Eiern zurückgelegten Weg vom Eierstock bis zur äusseren Geschlechtsöffnung hat man sich also fol- gendermaassen vorzustellen: Die reifen Eier gleiten im Ei- leiter herunter, bis in die Höhle der weiblichen Nebendrüse, von wo aus ein besonderer Gang dieselben in die untere Abtheilung der Samentasche führt. Da treffen sie mit den Zoospermien zusammen und werden von denselben befruchtet. Ein schmaler Gang bringt dann die befruchteten Eier in die Gebärmutter, wo sie wahrscheinlich erst mit der harten Kap- sel versehen werden. Wie wir weiter unten sehen werden, sind viele Eier (40 bis 60 und oft darüber) in derselben Eier- kapsel enthalten, so dass letztere eine namhafte Grösse er- reicht und man nicht annehmen kann, dass mehr als eine Kapsel zugleich im Uterus gebildet wird. Ob das Myelin bei der Bildung dieser Kapsel sich betheiligt, steht dahin. Be- merkenswerth aber ist die Thatsache, dass in der Myelin- kapsel nicht selten geschichtete, gelblich braun gefärbte, bis 0,068 Mm. breite, solide Körper enthalten sind. Es sind die- selben, welche sich mitunter mit Kalk incerustiren und zu den Kalkceoncrementen Veranlassung geben, die wir schon er- wähnten. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 191 Wie der Hodenausführungsgang, so flimmert auch der Ei- leiter überall auf der inneren Fläche; der Uterus und, wie schon angedeutet, die Höhlung der Nebendrüse ebenfalls. Die Tunica propria der Hodenfollikel erscheint struktur- los, und bekommt durch darauf zerstreute, mit Oeltröpfchen vergleichbare Pigmentkörnchen ein gelbes Aussehen. In den Follikeln findet man zuerst die Epithelzellen selbst (Fig. 32a) des Follikels, die mit einem grossen Kerne und Kernkörper- chen versehen sind. Viele von denselben enthalten zwei Kerne, was wohl eine Andeutung einer bald zu Stande kom- menden Theilung. ist. Ausserdem trifft man zahlreiche 0,0068 bis 0,024 Mm. breite Zellen (c, d, e, f), die Bildungs- zellen der Zoospermien. Dieselben entwickeln sich schaaren- weise in Mutterzellen (b), wie es uns schien durch Theilung des Mutterzellkernes. Dabei ist zu bemerken, dass wir nie- mals den Kern in denselben wahrnahmen, so lange sie in der Mutterzellenoch sassen. Wiebekanntsitzen bei den meisten Cephalophoren die Zoospermien zu Büscheln zusammen, eine Erscheinung, die nach Kölliker’s Darstellung dadurch be- dingt wird, dass ein einziger Samenfaden sich in jeder Toch- terzelle bildet und sich beim Platzen derselben an der wei- chen Masse der aus der Mutterzelle zurückbleibenden centra- len (Eiweiss-) Kugel befestigt. Bei Neritina dagegen werden niemals die Zoospermien zu einem schopfartigen Bü- schel vereinigt, weil nämlich die Mutterzellen sich auflösen und die Bildungszellen auseinandergehen, bevor die Zoosper- mien in den letzteren aufgetreten sind. Die frei herumlie- genden Bildungszellen (ce) besitzen einen deutlichen Kern, welcher sich bald nach einer Richtung hin verlängert und zu einem spiralig gewundenen Faden heranwächst (d, e, f). Desswegen kann man in den ein Spermatozoon enthaltenden Bildungszellen keinen Kern mehr darstellen. Wenn das wandständige Zoospermion einmal fertig ist, so durchbricht das eine Ende desselben die Zellmembran und sieht frei her- vor (g), während das andere in der Zelle zurückbleibt. All- mälig wickelt sich die Spirale auseinander und die Bildungs- zellmembran sitzt nur noch wie eine Kappe auf dem einen 192 Edouard Claparede: Ende des haarförmigen Zoospermions, um bald zusammen- zufallen und hernach vollkommen zu verschwinden. Die-fer- tigen Zoospermien sind einfach haarförmig, ohne Knopf, bil- den bei Einwirkung des Wassers Oesen und Schlingen und besitzen eine mittlere Länge von 0,0738 Mm. Dieser Bil- dungsvorgang stimmt, wie man sieht, mit Kölliker’s Beob- achtungen bei andern Thieren überein ). Die Tunica propria der Eierstocksfollikel erscheint wie beim Hoden strukturlos und ist inwendig mit einem Pflaster- epithel bekleidet, dessen Zellen 0,0068 Mm. etwa breit sind und einen deutlichen Kern besitzen. Die Keimbläschen scheinen ursprünglich nichts Anderes als solche Epithelzellen zu sein, indem sich Dottersubstanz um dieselben ansammelt und sie von der Follikelmembran abhebt. Jedes Ei besteht ursprünglich aus einem der Follikelwandung dicht ansitzen- den Hügelchen, welches durch keine eigene Membran begrenzt wird. Die dieses Hügelchen zusammensetzenden Fett- oder Dotterkörperchen sind sehr verschieden gross und bilden mitunter wie ganz grosse Tropfen. Die deutlich wahrnehm- baren Eierstockseieru angehörenden Keimbläschen besassen einen Durchmesser von 0,010 bis 0,0350 Mm. und waren im- mer leicht isolirbar. Sie waren stets mit einem einzigen, runden, stark lichtbrechenden Keimfleck versehen. Die Fol- likel enthielten Eier in den verschiedensten Entwicklungs- stufen (Fig. 33), während die reifen Eier ausserhalb der Fol- likel an der Stelle, wo der Eileiter aus dem Eierstock ent- springt, angehäuft waren. Diese reifen Eier (Fig. 34a) hatten im Durchschnitt einen Durchmesser von 0,112 bis 0,119 Mm., während die Keimbläschen derselben etwa 0,025 bis 0,030 Mm. breit waren. Selbst an den reifen Eiern liess sich keine deut- liche Membran darstellen. Beim Zerdrücken blieb dann und wann die äussere körnerlose Schicht als eine leere Hülle zurück, zerfloss indessen gleich hernach wie das übrige. 1) Physiologische Studien über die Samenflüssigkeit, von A. Köl- liker. — Zeitschrift für wiss. Zoologie Bd. VII. Heft III. p. 201. — 1855. s Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis, 193 Ganz abweichend von den eben beschriebenen Verhält- nissen ist die von Quoy und Gaimard gegebene Darstel- lung des Baues der Geschlechtsorgane bei den weiblichen Neriten. Sie sahen nämlich rechts vom Herzen das hintere Ende des Mastdarmes, dann weiter nach aussen einen birn- förmigen, grossen Körper, der selbst von einer quergestreif- ten Drüse umgeben wird. Die äussere Mündung dieser Drüse liegt nach unten. Das birnförmige Organ soll hohl sein, und in dessen Höhle sollen sich mehrere kolbenartige an einander gedrängte Körper befinden, die jeder in einen Faden auslaufen, Diese Körper sind fest, anscheinend faserig, und bei Anwen- dung der Lupe erscheinen sie körnig. Noch weiter nach aussen befindet sich die Gebärmutter, woran man zwei Theile, eine birnförmige Tasche nämlich und eine daran grenzende Anschwellung unterscheiden kann, welche eine grosse An- zahl rundlicher weisser Eier enthält. Dieses Organ wird durch einen langen, dicken, gewundenen Eileiter mit dem Eierstock verbunden. Möglicherweise könnte man das birn- förmige, die kolbenartigen Körper enthaltende Organ für das Analogon der Samentasche der Neritinen und die Körper darin für riesig grosse Spermatophoren halten, da wir gese- hen haben, dass nicht unwahrscheinlich auch bei den Neri- tinen Samenmaschinen vorkommen. Auffallend würde dabei der Umstand bleiben, dass dieses Organ halb so lang wie das Thier ist und die Gebärmutter an Grösse weit übertrifft. Nach Quoy und Gaimard’s Abbildung dürfte man ausser- dem den Schluss ziehen, dass das fragliche Organ direkt nach aussen und nicht in die Vagina mündet. Die beiden Abthei- lungen des Uterus sollen von einander vollständig getrennt sein und dürfen also kaum als Theile eines und desselben Organes betrachtet werden. Sonderbar erscheint dabei die Drüse, worauf die fragliche Samentasche ruht, und welche nach Quoy und Gaimard’s Zeichnung beinahe wie eine federförmige Kieme aussieht. Wir könnten sie vielleicht für die Nebendrüse des weiblichen Geschlechtsapparates halten, wenn entweder der Eileiter oder die Gebärmutter in irgend einem Zusammenhange mit derselben stände, was aber nicht der Müller's Archiv. 1857. 13 194 Edouard Claparede: Fall ist. Beim Männchen sollen Quoy und Gaimard keine entsprechende Drüse wahrgenommen haben. Wenn alle Neriten ähnliche Verhältnisse im Bau der Ge- schlechtsorgane besitzen sollten, so würde man in denselben sowohl wie in der Beschaffenheit des Darmkanals — und auch des Nervensystems, falls Quoy und Gaimard’s Darstel- lung desselben richtig wäre, was zwar mehr als zweifelhaft erscheinen möchte — bessere Unterscheidungsmerkmale von den Neritinen finden, als in der Struktur des rechten Schalen- randes, der bei den Neriten gezähnelt und bei den Neritinen zahnlos sein soll. Entwicklungsgeschichtlicher Theil. Die Kapseln, welche gewöhnlich für die Eier der Neri- tinen gehalten worden, sind runde, auf der einen Seite ein wenig abgeflachte, 0,7 bis 1 Mm. breite Kugeln. Sie sind mit einer harten Schale umschlossen, welche von französi- schen Conchyliologen, namentlich Moquin-Tandon als kreideähnlich (er&tac&e) bezeichnet wird, welche jedoch bei Einwirkung von Säuren kein Aufbrausen zeigt. Es werden die Eier der Neriten durch denselben Ausdruck von Quoy und Gaimard charakterisirt, ob mit mehr Recht, steht da- hin. Diese Kapseln bestehen aus zwei, ursprünglich mit ein- ander fest verbundenen, aber später leicht aufspringenden Segmenten, deren oberes grösser ist und eine hemisphärische Kuppe darstellt, während das andere untere etwas flacher gestaltet, und einer Schüssel vergleichbar ist. Nach den An- gaben der meisten Schriftsteller tragen die Neritinen ihre Eier auf der Schale, was aber wahrscheinlich so zu verstehen ist, dass jedes Weibchen ihre Eier auf den Rücken ihrer Nachbarn befestigt, nicht aber, dass es dieselben auf die ei- gene Schale aufklebt. Wenn die Kapseln aufspringen, so bleiben die schüsselartigen unteren Segmente auf dem Scha- lenrücken zurück und mehrfach kommt die Angabe vor, dass die Schale durch die Kapseln corrodirt werde und dass ihre Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 195 Oberfläche mit kleinen napfförmigen Vertiefungen versehen bleibe, welche eben so vielen früher dagewesenen Eiern ent- sprechen. Von verschiedenen Seiten jedoch wurde schon diese letztere Behauptung widerlegt, denn diese Vertiefungen sind nur scheinbar und werden dadurch hervorgebracht, dass die Ränder der schüsselartigen, auf der Schale zurückgeblie- benen unteren Kapselsegmente etwas erhaben sind. Dass die Kapseln auf dem Schalenrücken sitzen sollen, ist jeden- falls für die bei Berlin vorkommende Neritina irrig, ohne dass wir damit wollten gesagt haben, dass diese Angabe für an- dere Lokalitäten nicht genau zutrifft. Wir besitzen selbst Neritinen aus dem Var, auf deren Schale solche Kapseln in grosser Anzahl sitzen. Bei Berlin aber kommt unter zwei- hundert Kapseln kaum ein Stück auf eine Neritinenschale. Die andern sitzen entweder auf Tichogonia Chemnitzi (Dreissena polymorpha) oder auf Steinen. Wo Steine vor- handen sind, da sitzen die meisten auf denselben, wo aber nur Sand vorkommt, da sind die Tichogonien fast ausschliess- lich die Träger der Kapseln, welche jedoch auch dann und wann auf anderen Mollusken, Paludinen, Bythinien, Limnaeen u. Ss. w. vorkommen. Die Kapselsegmente bestehen aus zweien, von einander nicht ganz leicht zu trennenden Membranen, deren innere, zartere, vollkommen farblos, durchsichtig und strukturlos er- scheint, während die äussere dick, gelb und undurchsichtig ist. Am oberen Segmente zeigt mitunter beim ersten An- blick diese äussere Membran eine anscheinend zellenartige Struktur. Bei einer näheren Untersuchung jedoch stellt sich bald heraus, dass diese Beschaffenheit nur eine scheinbare ist, welche dadurch hervorgebracht wird, dass eine Anzahl von Cocconema dicht an einander auf der äusseren Ober- fläche sitzen. Man kommt leicht zur Ueberzeugung, dass es so ist, wenn man Stellen trifft, wo das Cocconemapflaster durch ein Paar andere festsitzende Diatomaceenschalen un- terbrochen wird. Uebrigens kommen Kapseln vor, welche keinen solchen Ueberzug besitzen, und bei diesen wurde keine erkennbare Struktur der äusseren Membran an dem 1332 196 Edouärd Claparede: oberen Segment, wohl aber am unteren wahrgenommen. Am letzteren findet man nämlich stets eine netzartige Struktur, welche dadurch bedingt wird, dass mehr weniger runde oder eiförmige Räume neben einander zerstreut und durch dunk- lere Zwischenräume von einander getrennt sind. Beim ersten Anblick, besonders an den Stellen, wo diese Räume überall ziemlich gleich gross sind, möchte man beinahe glauben, man hätte es mit einem Epithel zu thun. Dies ist aber nicht der Fall: die rundlichen Räume (Fig, 35.) sind keine Zellen, son- dern nur hellere, vielleicht dünnere Stellen in der Kapsel. Es bilden dieselben nicht selten Streifen, welche dadurch gegen einander abstechen, dass die Räume in dem einen Streifen kleiner und in dem angrenzenden grösser sind. Der Durchmesser dieser Räume schwankt zwischen 0,006 und 0,04 Mm. Da jedoch die untersuchten Kapseln auf Tiehogo- nien gesammelt worden waren, so lag der Gedanke nahe, ob nicht diese Struktur vielleicht nur eine scheinbare, ein Ab- druck der äusseren Oberfläche der Muschelschale sei. In der That zeigte die Epidermis der Tichogonien ejne ganz ähn- liche Zeichnung, indessen waren beständig die Räume auf derselben ungemein kleiner als auf den Eierkapseln der Ne- ritinen, so dass die ursprünglich gefundene Struktur letzteren eigen zu sein scheint. Noch erwähnenswerth ist der Umstand, dass das schüs- selartige untere Kapselsegment mit einem 0,06 Mm. breiten horizontalen Rand, etwa wie ein Tellerrand versehen ist. Ein entsprechendes Gebilde findet sich am oberen Segment und beide Ränder legen sich auf einander. Ausserdem ist zu be- merken, dass die gegen einander gekehrten Ränderflächen sehr fein und schräg gestreift oder vielmehr gefurcht sind (Fig, 36.). Die Adhärenz beider Kapselhälften wird zweifelsohne dadurch hervorgebracht, dass jede erhabene Linie der Rand- fläche des einen Kapselsegmentes in eine Furche der Rand- fläche des andern hineinpasst, so dass die beiden Furchen- systeme der beiden Kapselhälften eng in einander greifen. Der früheste von uns beobachtete Entwicklungszustand ist derjenige, wo die Kapseln fünf und vierzig bis sechszig Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis-: 197 Kugeln und darüber enthielten, welche den in Fig. 37. dar- gestellten Anblick darboten. Ob dies Furchungskugeln oder eben so viele gefurchte Eier waren, blieb lange ungewiss. Für die erste Ansicht sprach der Umstand, dass stets ein einziger Embryo sich in jeder Kapsel entwickelte, welcher, ursprünglich winzig klein, allmälig an Grösse zunahm, wäh- rend die Dottermasse in demselben Verhältniss verschwand. Merkwürdig indessen blieb es immer, dass diese fraglichen Furchungskugeln gerade wie gefurchte Eier aussahen. Es waren gelbe durchsichtige, 0,12 bis 0,17 Mm. breite Kugeln, welche aus einer grossen Anzahl kleinerer zusammengesetzt erschienen. Letztere waren vollkommen durchsichtig und klar, indem ihre Oberfläche allein mit kleinen, stark licht- brechenden, übrigens nur sparsam vorhandenen Dotterkörn- chen bestreut war. Mit einem Worte boten diese Kugeln die grösstmöglichste Aehnlichkeit mit einem in dem letzten Stadium der Furchung von Loven abgebildeten Ei der Modiolaria marmorata'), wo man die hellen Kerne, die Dot- terkörnehen und die Dotterhaut allein wahrnehmen kann. Ob eine Haut bei diesen Kugeln vorhanden war, liess sich zwar nicht mit Bestimmtheit erkennen, obgleich eine deut- liche Contour (Fig. 37. a) über die inneren kleineren Kugeln (Kerne) hinwegging. Beim Zerdrücken gelang es mitunter, eine Art leerer Hülle zu bekommen, welche aber gleich dar- auf zerfloss und etwa dieselbe Beschaffenheit wie die Kerne zu besitzen schien. Diese Kerne waren übrigens keine ei- gentlichen Zellen, enthielten keine Kernkörperchen und zer- fielen beim Druck wie Klumpen einer gallert- oder talgartigen Substanz. Loven erwähnt gerade dasselbe von den Kernen bei Modiolaria. Ein anderer Umstand unterstützte noch die Ansicht, dass die in den Kapseln enthaltenen Kugeln vollkommene Eier waren: ihr Durchmesser stimmte nämlich mit demjenigen der 1) Bidrag til Kännedomen om Utvecklingen af Molluska lamelli- branchiata. Kongl. Vetenskaps - Akademiens Handlingar. Stock- holm 1848. Tab. X, Fig. 37, 198 Edouard Claparöde: reifen Eier aus dem oberen Theile des Eileiters ganz und gar überein: man konnte also kaum mit einiger Wahrschein- lichkeit annehmen, dass die Eier auf ihrer weiteren Wande- rung bis zur Scheidenöffnung eine 50 bis 60fach grössere Masse erlangen würden. Wäre auf diesem Wege ein neues Nahrungsmaterial hinzugekommen, so hätte zweifelsohne das- selbe eine ganz andere Beschaffenheit, als der übrige Dotter gezeigt, während die vierzig bis sechszig Kugeln in jeder Kapsel alle einander vollkommen gleich waren. Deshalb neigten wir uns zur Ansicht, dass die Kapseln viele Eier enthielten. Merkwürdig jedoch blieb dabei das Factum, dass unter den vielen in einer Kapsel enthaltenen Eiern stets ein ein- ziges allein zur Entwicklung kam, oder wenigstens, dass nur ein einziger Embryo sich heranbildete.e Wir dachten dann an die sonderbaren Beobachtungen Koren’s und Danielssen’s über die Entwicklung von Buccinum undatum und Purpura lapillus‘). Diese Beobachter zeigten nämlich, wie sich in den Eierkapseln genannter Schnecken immer nur eine weit klei- nere Anzahl von Embryonen entwickelt, als die Zahl der ur- sprünglich vorhandenen Dotter und sie glaubten sich zu über- zeugen, dass jeder Embryo aus der Verschmelzung mehrerer Eier entsteht. Man konnte indessen schon daraus auf eine ganz andere Erscheinungsreihe schliessen, dass die kleinsten beobachteten Embryonen eine nicht viel beträchtlichere Grösse als die ge- furchten Eier besassen, so dass man schon deswegen ver- muthen durfte, der Embryo bilde sich nach der gewöhnlichen Norm, d. h. aus einem einzigen Ei. Glücklicher Weise wurde endlich ein Embryo in der Zeit der Rotationsbewegung ange- troffen. Derselbe stellte ein rundes, auf der ganzen Ober- fläche bewimpertes Wesen dar, dessen Durchmesser 0,112 Mm., d. h. etwa die Grösse nicht sehr dicker Eier betrug. Er drehte sich bald von rechts nach links, bald von links 1) Bidrag til Pectinibranchiernes Udviklingshistorie; af J. Koren og D. C. Danielssen. Bergen 1851. Anatomie und Eutwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. ]99 nach rechts und wiederum in einer mehr schrägen Richtung innerhalb der Dotterhaut (Fig. 38.). Es zeigte sich also da- bei, dess die früher erwähnte, über die Dotterkerne hinweg laufende Contour, einer wirklichen, obgleich ziemlich wei- chen Membran entsprach. Der Inhalt des Embryos bestand nicht mehr aus den durchsichtigen Kugeln mit den feinen Dotterkörnchen darauf, sondern aus einer undurchsichtigen grobkörnigen Masse, einer Art Emulsion mehr oder weniger grosser fettähnlicher Tropfen, worin aber der Unterschied zwischen einer peripherischen und einer centralen. Schicht, welchen man bei den Gasteropodeneiern zu finden pflegt, nicht klar hervortrat, oder wenigstens war die peripherische Schicht im Vergleich zur centralen ganz ungemein dünn. — Bei den meisten Mollusken, deren Larven bekannt sind, nimmt man gewöhnlich an, dass der rotirende Embryo sich mit Cilien bekleidet, welche entweder unter der Dotterhaut gebildet werden und dieselbe durchbrechen, oder einfache Auswüchse der Dotterhaut selbst darstellen; bei vielen auch ist eine solche Haut nicht einmal vorhanden. Bei Neritina ist im Gegentheil der Embryo innerhalb der Dottermembran mit einem Wimperüberzug versehen und dreht sich in der Membran selbst herum. Es ist übrigens keine ganz neue Thatsache, da Loven dasselbe von Cardium z.B. abbildet'). Wie lange die Drehungsbewegungen dauern mögen, wurde nicht beobachtet, da der sorgfältig aufbewahrte Embryo die- selben etwa fünfzig Stunden lang vollführte und starb, ohne aus der Dotterhaut herauszukommen. Niemals waren wir glücklich genug, um einen zweiten in demselben Stadium zu treffen. Ueber die Art und Weise des Dotterfurchungsprozesses wurde also nichts ermittelt. Die vortrefflichen Beobachtun- gen Karl Vogt’s über die Dotterfurchung bei Actaeon wei- chen von denen, welche Lov&n bei Modiolaria, Cardium u. s. w. anstellte, in mehreren Momenten beträchtlich ab, indessen möchte wohl der Prozess bei Actaeon unter das von 1) A. a. O. Tab. XI. Fig. 87- 91. 200 Edouard Claparede: Loven aufgestellte Schema unterzubringen sein, wenn man nur einige Abänderungen in Vogt’s Darstellung vornimmt, welche um so gerechtfertigter erscheinen , als derselbe den ersten Ursprung der peripherischen Kugeln nicht ermitteln konnte. Ohne Zweifel würde der Furchungsprozess bei Ne- ritina ein ganz ähnliches Bild abgeben. Die Folge unserer Beobachtungen führte uns zu einem ganz anderen Resultate als das, welches sich nach Koren und Danielssens Untersuchungen herausstellte, da wir, wie es weiter unten ausgeführt werden wird, zur unumstöss- lichen Gewissheit kamen, dass der sich aus dem einem Ei entwickelnde Embryo die übrigen Eier auffrisst. Dadurch aber nähern sich unsere Beobachtungen denjenigen von Car- penter, welcher die Richtigkeit der Beobachtungen beider norwegischen Forscher bestreitet und behauptet, die Jungen von Purpura lapillus entständen nicht durch Verschmelzung vieler Eier, sondern dass jeder aus einem einzigen Ei heran- gebildete Embryo eine beigegebene Dottermasse auffrisst !). Carpenter behandelt die Frage sehr weitläuftig, ob die von Koren und Danielssen als Eier aufgefassten Körper wirkliche Eier sind, und kommt zum Schluss, dass unter den fünf bis sechs hundert ?) in eine Kapsel eingeschlossenen Körpern nur einige wenige wirkliche Eier (true ova) und die anderen eiähnliche Körper (egg-like bodies), Dotter- sphären sind. Bei Purpura wie bei Neritina gehen alle diese Körper die Furchung ein, sie sollen aber nicht mit einer besonderen Membran umschlossen sein, obgleich Koren und Danielssen eine Dotterhaut und gar ein Chorion daran wollen wahrgenommen haben. Eben so wenig, wie wir bei 1) Carpenter: On the development of the Embryo of Purpura lapillus. — Quarterly Journal of microscopical Science, Trans, of the microsc. Society of London 1854. p. 17. 2) Die beiden (die französische und die englische) Uebersetzungen von Koren und Danielssens Abhandlung sollen nur von „60 Eiern and mehr“ in jeder Kapsel sprechen, während die Originalab- handlung 5 bis 600 und darüber richtig angiebt. S. Bidrag til Peecti- nibranchiernes etc. p. 21. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 201 Neritina, hat Carpenter bei Purpura einen ursprünglichen Unterschied zwischen den sich zu Embryonen entwickelnden Eiern — also seinen „true ova* — und seinen eiähnlichen Körpern finden können. Er war jedoch darin glücklicher, dass er einen Unterschied in der Art und Weise der Fur- chung beider auffand, da während die einen und zwar seine eigentlichen eiähnlichen Körper eine gleichförmige Furchung durchmachen, die anderen sich im Gegentheil zuerst in zwei ungleiche Segmente theilen sollen, deren kleineres wahr- scheinlich der Ursprung der s. g. peripherischen Schicht ist. Diese Beobachtung gehört übrigens Carpenter nicht, son- dern Busk an, der die Entwicklung von Purpura auch stu- dirte und zu demselben Resultate wie Carpenter gelangte und zur Abhandlung desselben mehrfach beitrug. Carpen- ter betrachtet nun die ejähnlichen Körper als von den Eiern verschiedene, blosse Dottersphären, aber der Unterschied zwischen beiden möchte wohl nicht so gross sein, und in der That lässt sich kein anderer angeben, als der des spä- teren Schicksales. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die Genesis beider Gebilde dieselbe ist, dass beide ganz auf dieselbe Weise im Eierstock gebildet werden. Die Furchung der eiähnlichen Körper spricht dafür, dass es wahre Eier sind, da ein solcher Prozess gerade dem Ei eigenthümlich ist, und selbst der von Busk aufgefundene Unterschied in der Furchungsweise möchte wohl nicht so erheblich erschei- nen, da nur gesagt wird, dass manche unter den in der Kapsel enthaltenen eiähnlichen Körpern eine sehr ausgeprägte Ungleichheit der ersten Segmentation zeigen, was nicht die Möglichkeit ausschliesst, dass die anderen eine zwar weniger ausgeprägte aufzuweisen hätten und ausserdem wurde es nicht einmal mit Gewissheit nachgewiesen, dass die ersteren die s. g. wirklichen Eier wahrhaftig seien. Wir halten daher alle in der Kapsel sowohl von Neritina wie von Purpura ent- haltenen Körper für genuine Eier; wodurch aber die meisten in ihrer Entwicklung gehemmt werden, das bleibt freilich ein Räthsel. Das weitere Verhalten der sich nicht entwickelnden Eier 202 Edouard Claparede: scheint bei Purpura und bei Neritina ein verschiedenes zu sein. Nachdem nämlich die unfruchtbaren Dottersphären in den Kapseln der erstgenannten Schnecke die Furchung durch- gemacht haben !), so zeigen dieselben eine entschiedene Nei- gung zum Zusammenfliessen. Sie hängen dann mit Zähigkeit an einander, so dass man nur mit Schwierigkeit die einzelnen gefurchten Kugeln von einander trennen kann, endlich ver- schwinden die Begränzungslinien dieser verschiedenen Kugeln ganz und gar und es bleibt nur ein einförmiges Oonglomerat von kleinen Dottersegmenten übrig. Fin solches Zusammen- fliessen findet bei Neritina niemals statt. Zur Zeit, wo der Embryo auftritt, zerfallen die unfruchtbaren gefurchten Eier in Kugelgruppen, deren jede etwa ein halbes Mal so gross, wie ein ganzes Ei, mitunter jedoch auch kleiner ist. Diese Dottergruppen bestehen meistens aus einer grösseren und mehreren kleineren Dotterkugeln. Niemals aber zeigt sich selbst eine leichte Adhäsion dieser Kugelgruppen an einander und es bleiben dieselben getrennt, bis sie dadurch untergehen, dass sie vom Embryo verzehrt werden. Ob wir gleich sehr viele Eier untersuchten, so fehlten uns doch einige Uebergangsstufen von dem einen Entwick- lungsstadium zum anderen, was sich leicht dadurch erklären lässt, dass die kleinen Kapseln vollkommen undurchsichtig sind und eröffnet werden müssen, bevor man zur Prüfung des Inhaltes vorschreiten kann, so dass man in einer gege- benen Zeit verhältnissmässig viel weniger Eier untersuchen kann, als bei vielen anderen Mollusken. Es sind namentlich die früheren Entwicklungsstadien, welche nur sehr selten angetroffen wurden, weil wahrscheinlich der noch sehr kleine Embryo unter den vielen gleich grossen gefurchten Eieru oft übersehen wurde. Man hätte zwar die Vorsicht beobachten sollen, dass man nur solche Eierkapseln untersuchte, welche an einem bestimmten, gekannten Tag gelegt worden wären, so dass immer sowohl das Alter des Eies, wie der wahr- scheinliche Entwicklungszustand hätten aunähernd bestimmt 1) Carpenter; a. a. O. p. 23. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatiliss 203 werden können. Dies war aber nicht möglich, zuerst weil stets nur eine einzigeEierkapsel auf ein Mal gelegt wird und ausserdem weil die Neritinen in der Gefangenschaft niemals Eier legten. Es gelang nicht einmal, Eier im unteren Theile der Tuba oder in der Gebärmutter zu überraschen. Wahrschein- lich sagte den Thieren das Leben im ruhigen Wasser nicht zu, da sie in diesem Zustandekein einziges Mal frassen. Da- durch ist ein Bild des regelmässigen Entwicklungsganges nach Wochen und Stunden, wie Vogt und Sars bei anderen Mollusken thaten, unmöglich geworden. Diese Regelmässig- keit muss übrigens den äusseren Verhältnissen, Temperatur u. Ss. w. untergeordnet bleiben. Die kleinsten wahrgenommenen Embryonen, welche das Wimperkleid schon vollkommen eingebüsst hatten, stellten einen unregelmässigen Cylinder dar, welcher durch eine leichte kreisförmige Einkerbung in zwei Theile zerfiel; letztere wol- len wir mit den von Vogt bei Actaeon gebrauchten Benennun- gen Kopftheil (partie cephalique) und Unterleib oder eigent- licher Leib (partie abdominale) belegen. Der Kopftheil trägt auf der Rückenfläche eine Erhabenheit, die einen mehr oder weniger deutlich ovalen Wall darstellt und mit schr zarten Wimpern besetzt ist. Es ist dies die erste Spur des Segels, worauf die Cilien ihrer Dünnheit wegen anfangs kaum wahr- nehmbar sind. Dicht vor diesem Segelrudiment an dem vor- deren Ende des Thieres sieht man eine flache Vertiefung, den Mund. Auf der Bauchseite des Kopftheiles, dicht unter der Mundvertiefung, tritt dann bald ein scheibenartiges Organ auf, welches Anfangs sehr schmal und kurz, allmälig nach hinten an Grösse zunimmt. Dies ist die erste Andeutung des noch deckellosen Fusses. Zu dieser Zeit sind die inneren Organe in dem eigentlichen Leibe noch nicht wahrnehmbar. Sehr bald nimmt die das spätere Segel vorstellende Erhabenheit rasch zu, indem sie sich saumartig entwickelt und deren Rand sich mit längeren deutlicheren und zahlreicheren Wimpern besetzt. Dieser Rand wird im Verhältniss zur Segelmembran selber beträchtlich dicker (Fig. 39, 40). In demLeib bildet sich eine geräumige Leibeshöhle (f), worin ein Haufen Bildungsmasse 204 Edouard Clapareöde: als eine Anhäufung verschieden grosser, fettähnlicher Tröpf- chen sich ansammelt (e). Der Fuss (d) stellt ein eiförmiges Organ dar, welches dicke Wandungen und eine innere Höhle besitzt. Letztere scheint mit der Leibeshöhle zusammenzu- hängen. Der Fuss ist noch vollkommen unbewimpert. Die grubenförmige Aushöhlung am Vorderrande hat sich zu einer queren Mundöffnung (b) gestaltet, welche in einen röhrenför- migen Schlauch (c) den eben auftretenden Speisekanal führt. Der Eingang in die Mundhöhle ist ringsum bewimpert und das Speiserohr flimmert von Anfang an auf seiner ganzen Oberfläche, ähnlichwie Sars, Koren, Danielssen, Car- penter, Vogt u.a. m. bei vielen anderen Cephalophoren- embryonen sahen. Wie man sieht, tritt der Darmkanal beim Neritinenembryo gleich früh und selbst vielleicht noch früher wie der Fuss auf, was jedenfalls eine auflallende Erscheinung bleibt. Bei Ac- taeon!) zeigen sich nach Vogt's Beobachtungen die Ver- dauungs- und Assimilationsorgane erst sehr spät, viel später z. B. als die Otolithen und die Schale. Aehnliches wurde von Sars, Loven, Koren und Danielssen u. A. na- mentlich bei Nudibranchiaten gesehen, und bei Buceinum soll sogar nach den Angaben der beiden letztgenannten Forscher das Auftreten des Herzens demjenigen des Speiserohres vor- angehen, was zwar unwahrscheinlich erscheinen dürfte, wenn Carpenter’s Beobachtungen eine Bestätigung finden sollten, dass der Darmkanal bei Purpura lapillus gerade so früh er- scheint wie wir bei Neritina sahen, denn in diesem Falle würde sich wohl Buceinum wie Purpura und Neritina verhal- ten. Denn gerade wie wir bei Neritinenembryonen die Speise- röhre gebildet und beflimmert finden, bevor die ersten Spuren der Gehör- und Sehorgane, der Schale u, s. w. erschienen sind und zu einer Zeit, wo der Fuss kaum bemerkbar ist, so auch soll Carpenter?) die Verhältnisse bei Purpura getrof- 1) Recherches sur l’embryogenie de l’Acteon. Ann. des Sc. Nat. Trois. Serie. VI. 1846. p. 63. 2) A. a. O. pl. II. fig. 8. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 205 fen haben. Aehnlich erzählt Leydig'!) von den Paludinen- embryonen, dass sie schon mit dem Munde, dem After und der Anlage des Schlundes und Darmes zu einer Zeit versehen sind, wo noch keine Spur von einem Ohr vorhanden ist. Dieses schnelle Auftreten der Verdauungsorgane bei Ne- ritinenembryonen ist für die weitere Ausbildung des Thieres höchst bedeutungsvoll. Von diesem Augenblicke an ist er nicht mehr ein blosser unreifer Embryo, sondern muss als eine in der Kapsel frei herumschwimmende Larve betrachtet werden, welche den übrigen Kapselinhalt, d. h. die Schwestereier,, die nicht zur Entwicklung kamen, sich aneignet und auffrisst. Es ist dies keinesweges eine blosse Vermuthung — welche übrigens schon dadurch gerechtfertigt erscheinen dürfte, dass der anfangs winzig kleine Embryo allmälig an Grösse zu- nimmt und endlich die ganze Kapsel ausfüllt, während die übrigen Dotter zurücktreten und schwinden -- sondern eine durch die Beobachtung dargethane Thatsache. Schneidet man die Eierkapseln vorsichtig auf, so tritt der kleineEmbryo her- aus und schwimmt zwischen den zahlreichen Dotterklumpen frei herum. Es sind letztere die schon erwähnten durch das Zerfallen der unfruchtbaren Eier gebildeten Kugelgruppen, welche, sowohl die grösseren wie die kleineren, vollkommen klar und durchsichtig, nur schwach goldgelb gefärbt sind; sie bestehen aus einer homogenen, zähen, fettähnlichen Substanz. Diese Kugeln werden von einer dünnen, farblosen Schicht eines schleimartigen Stoffes eingehüllt (Fig. 40 A.), worin äusserst feine Dotterkörnchen stecken, die gewöhnlich so grup- pirt erscheinen, dass, um so zu sagen, Körnerstrassen auf der Oberfläche der Kugeln entstehen. Dies ist das Nahrungs- material der jungen Neritina. Die Larve schwimmt im Wasser unter dem Mikroscop herum und bald sieht man, wie sie sich einer Dottergruppe nähert und dieselbe durch das Schlagen der Segelwimpern in drehende Bewegungen versetzt, während das Thier selbst stillsteht. Dadurch werden die Kugeln der Mund- öffnung allmälig herangebracht, nicht um -- wie man gern DIATEANO: 206 Edouard Clapareöde: glauben möchte, — mit einem Mal verschluckt, sondern bloss abgeleckt zu werden. Die Kugeln werden fortwährend vor der Mundöfinung gedreht, während das Thier vermittelst seiner Wimpern die Dotterkörnchen der farblosen äusseren Schicht abreisst und verzehrt. Man sieht dieselben in den. trichterförmigen Schlund hineingezogen, wo sie durch den Wimperüberzug in zitternder Bewegung erhalten werden, bis sie die Leibeshöhle erreichen und sich zur Nahrungsmaterial- ansammlung hinzufügen, welche schon da vorhanden ist. Ob- gleich man die Dotterkörnchen einer Kugel in den Schlund beständig hineinwandern sieht, so nimmt doch ihre Anzahl nicht sichtlich ab, so dass man gezwungen wird anzunehmen, dass sich neue Körnchen — wahrscheinlich aus der durchsich- tigen, goldgelben Dotterkugel, bilden, um die verschluckten zu ersetzen. Dieses Fressen der jungen Neritinen innerhalb der Eier- kapseln genügt, um ihre Volumenzunahme zu erklären, denn das Thier hat gegen das Ende des Embryonallebens ein 40- bis 60faches Volumen erreicht. Diese Erscheinung möchte wohl wiederum für Carpenters Ansicht sprechen, welcher ebenfalls die Ingestion von Dotterkörnchen in den Oesophagus von Purpura !) beobachtete. Carpenter bemerkt dabei, man könne nur selten, unter besonders günstigen Verhältnissen, das Aufnehmen dieser Körnchen wahrnehmen. Bei Neritina aber ist die Sache leichter und das Fressen kann ziemlich bei jedem Embryo beobachtet werden, so dass darüber kein Zweifel obwaltet; und nicht nur die beiliegenden Doiter frisst das junge Thier auf, sondern auch fremde Gegenstände, wie Diatomaceen z. B., wenn solche bei der Eröffnung der Kapsel ins Bereich seiner Segelwimpern gerathen. Einige Male sahen wir, wie ein solcher Embryo eine Navicula oder eine ‚Synedra in den Schlund hineinwimperte. Nichtsdestoweniger müssen wir Anstand nehmen, Koren und Danielssen in ihrem Streite gegen Carpenter geradezu Unrecht zu geben, da sich Manches in ihrer Darstellung und ihren Abbildungen findet, 1) A.a. 0. p. 25. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 207 das sich durch ein blosses Fressen nicht wohl erklären lässt. So soll man z. B. in der Leibeshöhle der jungen Buceinum- und Purpuraembryonen eine Dotteransammlung treffen, welche aus lauter unverletzten Eiern besteht. Nun ist die Speiseröhre bei denIndividuen, wo sie schon wahrgenommen wird, soeng, dass die Eier unverletzt unmöglich durchschlüpfen können. Auch findet man in der Leibeshöhle der Neritinenembryonen im entsprechenden Zustande keine Eier, sondern eine blosse Anhäufung mehr oder weniger grosser Körner oder Tropfen, deren Beschaffenheit und Farbe mit der Dottersubstanz über- einstimmen. So grosse Körper wie die Eier selbst würden natürlich die Neritinenembryonen niemals verschlingen können. Dabei jedoch ist bemerkenswerth, dass die aufgefressene Nah- rung sich innerhalb des Embryos nicht ganz selten so zu Ku- geln zusammenballt, dass die skandinavischen Naturforscher wohl hätten verführt werden können, ähnliche Gebilde im Magen der Purpura- und Buccinumembryonen für Eier zu er- klären, was ein sehr begreiflicher Irrthum wäre. Koren und Danielssen sollen zwar auch beobachtet haben, dass die Eier der beiden fraglichen Schnecken sich innerhalb der Kapseln einander nähern und halb und halb zusammen- schmelzen, während sie sich mit einer gemeinschaftlichen Hüll- membran bekleiden, zu einer Zeit, wo keine Spur, weder von der Speiseröhre noch. von der Mundöffnung wahrgenommen wird. Dies lässt sich aber mit Carpenter’s Darstellung unmöglich in Einklang bringen, und wegen der Analogie mit Neritina können wir nieht umhin zu glauben, letztere sei der Wahrheit näher geblieben. Auffallend bleibt jedenfalls Meh- reres in der Entwicklungsweise der beiden von Koren und Danielssen beobachteten Ctenobranchiaten. So z.B. sollen die Eier von Buceinum gar keine Furchung eingehen, was bei Purpura jedoch nicht der Fall ist. Nachdem der Neritinenembryo eine gewisse Grösse er- reicht, eine Speiseröhre und einen Mund bekommen und fremde Dotter aufgefressen hat, erst dann tritt die Schale auf. Bald hernach zeigt sich der Deckel und die Sinnesorgane, Auge 208 Edouard Claparede: und Hörkapsel zugleich. In dieser Zeit hat das Velum seine höchste Entwicklungsstufe erreicht (Fig. 42 und 43) und von nun an nimmt es allmälig ab und tritt stufenweise zurück (Fig. 44 nnd 45). Die Fühler erscheinen zuerst als kleine Höcker neben den Augen und nehmen allmälig zu, so dass sie sich zur Zeit, wo das Thier die Kapsel verlässt, als deut- liche Fühler zu erkennen geben. Wenn das Segel vollkommen geschwunden, die Reibplatte gebildet und der Zungenknorpel- apparat aufgetreten ist, dann erst springt die Eierkapsel auf, und die kleine Neritina tritt aus, um fortan als freie Schnecke zu leben. Sie kriecht auf der Tichogonia herum, deren Schale die Eierkapsel trug und findet darauf die mikroskopischen Organismen, welche ihr anstatt der schon verzehrten Schw ester- dottern zur Nahrung dienen sollen. Wir wollen jetzt auf die verschiedenen Organensysteme des Embryo näher eingehen und zuerst mit der histologischen Beschaffenheit der ursprünglichen Gewebe anfangen. Ein Embryo, der das Stadium des Fressens eben erreicht hat, be- steht mit Ausnahme des Segels und des in der Leibeshöhle an- gehäuften Bildungsmaterials aus einem einzigen Gewebe: so- wohl der Fuss, wie die Leibeswandungen werden durch deut- liche, eirca 0,0026 bis 0,0039 Mm. grosse Zellen (Fig. 56) gebildet, welche mehrfach über einander geschichtetsind. Jede Zelle enthält eine gewisse Anzahl kleine, den Dotterkörnchen ähnliche Körperchen, welche wahrscheinlich auch mit den letz- teren eines und dasselbe sind. Mitunter, besonders bei Essig- säurezusatz, tritt in jeder ein Kern hervor. Sehr bald aber erscheint die ganze Leibesoberfläche mit einem zierlichen Pflasterepithel bekleidet. Letzteres ist vollkommen wim- perlos und obgleich die äussere Haut der Neritinen überall flimmert, so zeigt sich doch das Wimperkleid beim Embryo nicht, oder erscheint dasselbe erst gegen das letzte Stadium des Embryonallebens. Eine Ausnahme macht zwar der Fuss, welcher schon sehr früh beflimmert erscheint, so wie auch das Segel, dessen Wimpern aber den wahren Flimmereilien nicht wohl vergleichbar sind. Andere Cephalophorenembryonen Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 209 sind dagegen auf der ganzen Leibesoberfläche bewimpert, wie z. B. bei Paludina vivipara '). Während die nackten Schnecken im Stadium desEmbryonal- lebens mit einer Schale versehen sind, welche sie erst ziemlich spät verlassen, so führen die Neritinenembryonen in derEier- kapsel ein schon ziemlich selbstständigesLeben, bevor sie eine Schale bekommen. Sie bewegen sich und fressen sogar zu einer Zeit, wo sie noch vollkommen nackt sind. Die erste Spur der Schale wird leicht übersehen, weil dieselbe ursprüng- lich eine vollkommen durchsichtige, dünne, farblose Membran darstellt. Sie sitzt wie eine Mütze dem hinteren Körperende auf und gleicht der Gestalt nach einemNapf. Bei einem circa 0,30 Mm. langen Embryo hatte dieser Napf (Fig. 41) eine Breite von 0,20 Mm. und liess schon eine grosse Anzahl von concentrischen Anwachsstreifen wahrnehmen, wonach man schliessen darf, dass die Schale schon lange bestand, aber der Durchsichtigkeit wegen übersehen wurde. Der Mittelpunkt dieser napfförmigen Schale wird von einem etwas confusen Theil eingenommen, wo keine Zuwachsstreifen, wohl aber mit Vaecuolen vergleichbare hellere Stellen vorhandensind. Dieser mittlere Theil ist wahrscheinlich seiner Zeit die erste auftre- tende Schale gewesen. Von demselben aus gehen radiäre, ab- wechselnd hellere und dunklere, ‚wenig deutliche Streifen bis zum Schalenrande. Diese Schale enthielt noch keine Spur von Kalksalzen und gehörte einem noch augen- und otolithlosen Embryo an, welcher aber schon mit einem feinen Pflaster- -epithel bekleidet war. Erst später tritt der Kalk in der Schale auf und zu derselben Zeit nimmt letztere eine eigene granulöse Struktur an, welche dadurch bedingt wird, dass duuklere, anscheinend dickere Stellen, durch schmale, durch- sichtigere Streifen von einander getrennt sind (Fig. 64). Wie der complieirte Schalenbau des erwachsenen Thieres dadurch allmälig zu Stande kommt, ist nicht wohl einzusehen. Eine ähnliche Struktur wurde schon von Koren und Da- Deleydur..a.a 0..p. 137. Müller’s Archiv, 1857. 14 210 Edouard Claparede: nielssen !) bei der Embryonalschale von Purpura lapillus gesehen und abgebildet. — In der Schale, womit die Aplysien ähnlich wie die anderen Nudibranchiaten, während des Lar- venlebens versehen sind, setzt sich nach Van Beneden’s Beobachtungen ?) kein Kalk ab. Vogt?) erzählt dasselbe von Actaeon. Bei Neritina aber zeigt sich der Kalk, wie gesagt, schon innerhalb der Eierkapsel, und zwar bald früher bald später. Oft giebt schon eine noch napfförmige Schale bei Zu- satz von Essigsäure ein paar Kohlensäureblasen, während in anderen Fällen, eine die Neritinengestalt schon zeigende Schale keine Spur von kohlensaurem Kalk enthält. Bei Buceinum und Purpura tritt der Kalk in der Schale ebenfalls noch innerhalb der Eierkapsel auf, wie Koren und Da- nielssen angeben. Die anfangs napfförmige Schale wächst auf der Rücken- fläche schneller als nach dem Bauche zu und da sich der Em- bryo zu derselben Zeit nach vorn krümmt, und dadurch eine concave Bauch- und eine convexe Rückenfläche bekommt, so biegt sich die Schale, welche der sie ausschwitzenden Leibes- oberfläche dicht anliegt, gleichfalls nach vorn. So entsteht die Schneckengestalt, welche anfangs zwar mehr an eine Nautilus- als an eine Neritinaschale erinnert. Jedoch neigt sich bald die rechte Schalenseite, indem sie fortwächst, etwas gegen die ur- sprüngliche Achse des Thieres, wodurch die Schraubenlinie entsteht, welche der Schneckenschale eigenthümlich ist. So lange die Schale noch napf- oder mützenförmig ist, so bildet deren Oefinung ein regelmässiges Oval, welches oben und un- ten eine gleiche Wölbung besitz. Nachdem aber die erste Windung vollendet ist, nimmt die Schalenöffnung eine Gestalt an, die schon anderswo sehr treffend mit derjenigen eines by- zantinischen Fensters verglichen wurde. Die Anwachsstreifen, welche anfangs bei der einen flachen Napf darstellenden Schale 1) A. a. O. p. 30. Tab. IV. fig. 34. 2) Recherches sur le developpement des Aplysies. Bulletin de !’ Acad. de Bruxelles. T. VII. 1840. p. 239. B) Ar a.10. p, 8% ‚ Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 211 deutlich auftreten, verschwinden beim weiteren Wachsthum allmälig ganz. Beim noch jungen Embryo ist keine Mantelhöhle vorhan- den. Die Schale liegt der äusseren Körperhaut dicht an und letztere bildet keine Falte. Der durchsichtige Schalenrand er- hebt sich so wenig über die angrenzenden Hauttheile, dass er nur schwer wahrgenommen wird. Auch muss man, um die Schale zu studiren, den Embryo der Fäulniss überlassen, welche die Schale frei legt. Bald jedoch bildet sich auf dem Rücken des Embryo, dicht vor dem Schalenrande eine Vertie- fung, eine Art Hohlkehle, welchebogenförmig diesen Schalen- rand entlang quer über den Nacken läuft. Indessen wächst die Schale weiter, indem die Haut, wodurch dieselbe abge- sondert wird, eine erhabene Falte hinter der Hohlkehle bil- det, welche sich von hinten nach vorn über diese Hohlkehle hinwegwölbt. Dadurch entsteht eine Duplikatur der Haut, deren obere Fläche die Fortbildung der Schale übernimmt, während die untere Fläche die Decke eines Raumes bildet, dessen Boden der Nacken des Thieres ist. Dieser Raum, der durch die frühere Hohlkehle oder Hohlrinne, deren Ränder gewachsen sind, gebildet worden ist, stellt die Mantelhöhle vor. Die Kante, wo die obere Fläche der Hautduplikatur in die untere übergeht, ist der Mantelrand. Von diesem aus scheint die Schalenbildung am lebhaftesten vor sich zu gehen. Vogt bemerkt bei Actaeon, dass der Mantel gerade an dieser Stelle derSchaleamstärksten anhaften soll, und da die Schale sich über diese Stelleganzfrei hinweg verlängert, so vergleicht er diesen freien Theil der Schale mit jedem freien Oberhaut- gebilde, z. B. dem freien Theil des Nagels ; er ist sogar über- zeugt, dass die Schalenbildung mit dem Nagelwachsthums- prozessübereinstimmt. !) Indessen kann man sichschwer vor- stellen, wie eine Schale ihren Zuwachs in der hinteren Gegend erhalten sollte, um so mehr , als die Schale in diesem Falle, nach der Mündung zu, an Durchmesser unmöglich zunehmen könnte, 1) A. a. O. p. 52. 14* 213 Edouard Claparede: Der auf die erklärte Weise gebildete Mantel besteht aus den früher beschriebenen 0,0026 bis 0,0039 Mm. grossen Zel- len und dadurch weicht der Neritinenembryo von Actaeon ab, wo die eben gebildete Manteldecke, wie die übrige Haut, nach V ogts Darstellung, aus einer homogenen Substanz be- stehen soll, worin nur einige wenige, rundliche Körperchen eingestreut sind, welche an die Kerne der Embryonalzellen aus der peripherischen Schicht erinnern. Vogt nimmt bei Actaeon an, dass die Zellen dieser letzten Schicht einerseits die Schale und andererseits die Haut bilden, indem sie zu einem homogenen Gewebe zusammenschmelzen, welches nach aussen zu einer Schale erhärtet, während es nach innen gal- lertartig und contraktil bleib. Dagegen hat Leydig bei Paludinaembryonen in Uebereinstimmung mit der Haut- beschaffenbeit bei Neritinenlarven, die Haut aus klaren, zar- ten Zellen mit bläschenförmigem Kerne und einem Kernkör- perchen gebildet gefunden. A. v. Nordmann fand auch bei den Tergipesembryonen den Mantel aus Zellen zusammen- gesetzt, welche aber nicht kuglig wie bei Neritina, sondern länglich und ohne deutlichen Kern waren. Die Mantelhöhle des Embryo ist vollkommen unbe- fimmert, während sie dagegen bei Buccinum und wahr- scheinlich auch bei vielen anderen nach Koren und Da- nielssen’s Angaben von Anfang an mit Flimmereilien be- kleidet ist. Zwar sieht man oft Dotterkugeln, welche von aussen her in die Mantelhöhle eingedrungen sind, in dersel- ben lebhaft rotiren. Niemals indessen konnten wir Wimpern in der Höhle entdecken, und wir mussten daher im Umher- schlagen der Sege!iwimpern und in den Strömungen, welche dadurch im Wasser erregt waren, die Ursache der Bewegung suchen. Bei weiterer Ausbildung des Nzritinenembryo tritt Pig- mentbildung in der Haut auf. Hie und da zeigen sich kohl- schwarze Flecke auf dem Mantel, welche durch eingelagerte Pigmentkörnchen gebildet sind. Die Ablagerung schien nicht in den Hautzellen, auch nicht in den Epithelzellen selbst, sondern zwischen denselben in der Grundsubstanz stait zu Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 213 finden. Bei Embryonen, welche schon zwei Drittel der Eier- kapsel erfüllten, bildete das Pigment gleichsam Maschen aufdem Mantel, ohne dass man hätte sehen können, ob diese Maschen wirklichen Zellen entsprechen oder nicht. Eine besondere Pigmentablagerung findet dicht unter dem Schalenrande statt und zeigt sich als ein schwarzer Streif rings um die Schalen- öffnung herum.. Der Mantelrand, welcher den Schalenrand umsäumt und gewissermassen überwuchert, erscheint unter dem Mikroskop schön weiss, aber dicht hinter demselben findet in den vorgeschrittenen Stadien des Embryonallebens diese Pigmentablagerung statt (Fig. 441‘). Dieses Pigment besteht wie im übrigen Mantel aus feinen Körnchen, welche in keinen Zellen enthalten zu sein scheinen. Vogt erwähnt etwas Aehnliches bei den Larven des Actaeon. Auch er konnte keine Pigmentzellen wahrnehmen, vermuthet aber deren Anwesenheit. Bei Actaeon ging diese Pigmentbildung der Trennung der Schale vom Mantel unmittelbar voraus. Der Fuss ist ursprünglich eine Art Scheibe (Fig. 39 d), die unter dem Munde sitzt. Er besteht aus denselben Zellen wie die Haut und bedeckt sich sehr bald mit einem feinen Flimmerüberzug. Dass der Fuss flimmert, während die übrigen Theile des Embryo wimperlos sind, muss wohl eine Bedeutung in der Oekonomie des Thieres haben und in der That erlangt der Fuss eine grosse Wichtigkeit als Greif- organ. Das Nahrungsmaterial, die zahlreichen Schwester- dottern des Embryos, liegen um denselben herum, müssen aber in den Schlund desselben hineingewimpert werden. Dies geschieht vermittelst des Fusses, der sich rinnenförmig gestaltet und durch die Bewegung seiner Flimmereilien die Dotterkugeln dem Munde zuführt. Dotterkörnchen werden auf diesem Wege von den Kugeln abgerissen und hinunter- geschlürft. Während das Thierchen eine Kugel frisst, oder besser gesagt ableckt, so wird dieselbe in rotirender Bewe- gung erhalten, was sowohl durch die Segel- wie durch die Fusswimpern geschieht. Zu derselben Zeit, wo die Sinnesorgane auftreten, er- scheint zum ersten Mal auf der Rückenseite des Fusses eine 214 Edouard Claparedde: hornartige Platte, die erste Anlage des Deckels. Es ist übri- . gens keine Platte, sondern vielmehr ein Zahn, der zuerst auf- tritt. Es ist dies der Processus, wodurch der Deckel in die Schale eingreift. Dieser Processus erhebt sich nicht gerade senkrecht über die Ebene des späteren Deckels, sondern bil- det mit derselben einen ziemlich grossen Winkel. Er schwillt nach oben zu etwas kolbenartig an (Fig. 59) und geht nach unten in einen Halbkreis über, der in der Deckelebene liegt und eine blosse Verdickung des Deckels ist. Von dem Zahn aus geht ein durchsichtiger, dünner Flügel nach der linken Deckelseite zu und verschmilzt dann mit dem flachen Theil des Deckels. Dieser embryonale Deckel zeigt keine Spur von der faserigen Struktur, die wir bei Gelegenheit des erwachsenen Thieres kennen lernten. Er enthält ursprüng- lich keinen Kalk, ist aber in der Nähe des Zahnes frühzeitig gelbbraun gefärbt, während der vordere Rand vollkommen blass ist. Die Ränder des Fusses sind gewulstet und über- wuchern den Deckel nach dem Rücken zu, so dass in der Profilansicht der Deckel auf beiden Seiten von dem Paren- chym des Fusses bekleidet zu sein scheint (Fig. 44). Die Bewegungen des Fusses wie diejenigen des Thieres überhaupt sind meistens träge, jedoch nehmen sie gegen das Ende des Embryonallebens an Behendigkeit und Munterkeit zu. Bei jedem Stoss, jeder leisen Erschütternng, klappt das Thierchen seinen Fuss um und schliesst auf die Weise seine Schale zu, aber gleich streckt es Fuss und Kopf wieder her- aus, sobald es merkt, dass die Gefahr doch nicht so dro- hend ist. Vogt schreibt dem Fusse bei Actaeon eine sehr wichtige Rolle als Träger des embryonalen Blutkreislaufes: zu. Ab- wechselnd soll dieses Organ anschwellen und wieder zusam- menfallen, wodurch die Flüssigkeit der Leibeshöhle ein- und ausgepumpt wird. Auf die Weise wird der Stoffwechsel er- leichtert, und das Herz findet in dem Fusse für eine Zeit einen Stellvertreter. Leydig soll etwas Aehnliches bei Pa- ludina wahrgenommen haben. — Wir hegen keinen Zweifel darüber, dass ein Austausch von Flüssigkeit zwischen der Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 215 Fuss und Leibeshöhle bei Neritina stattfindet, indessen konn- ten wir keine regelmässigen Expansionen und Zusammenzie- hungen des Fusses wahrnehmen. Es ist hier die Stelle zweier eigenthümlicher Lappen Er- wähnung zu thun, die bei Neritinenembryonen zwischen dem Fusse und dem Munde erscheinen (Fig. 42 p). Sie sind ge- rade wie der Fuss bewimpert, während der übrige Leib noch kein Wimperkleid besitzt, und setzen nach dem Munde zu die bewimperte Rinne fort, wozu sich der Fuss beim Fressen gestaltet. Dieselben werden durch den Brusttheil, d. h. den zwischen dem Kopfe und dem Fusse gelegenen Theil des Thieres gebildet, welcher sich während des Embryonallebens in zwei Flügel auszieht, offenbar um die Zufuhr des Nah- rungsmaterials bis in den Mund zu erleichtern. In den letz- ten Entwicklungsstadien treten allmälig diese Flügel zurück und verschwinden vollkommen. Es sind diese Flügel offen- bar dasselbe wie die Lappen, welche Vogt zuerst an einer Seeschneckenlarve entdeckte, die er deswegen für die Larve von Pneumodermon hielt!), weil er dachte, diese Lappen seien die Anlage der Pteropodenflügel. Seitdem haben Gegen- baur’s Beobachtungen dargethan, dass die fragliche Larve wahrscheinlich keinem Pteropoden angehört. Die Aehnlich- keit mit Neritina lässt ebenfalls vermuthen, es handle sich um eine Gasteropodenlarve, bei welcher diese Brustlappen freilich viel mehr entwickelt als bei den Neritinenem- bryonen sind. Das Segel erscheint zuerst als ein wulstiger Wall, welcher ein mehr oder weniger regelmässiges Oval auf dem Kopftheil des Embryos bildet. Das Oval schnürt sich bald an der Stelle ein, welche der von vorn nach hinten gerichteten Achse entspricht und dadurch entsteht gewissermassen eine Bisquit- form, oder wenn man lieber will, eine liegende Achtfigur. Allmälig erhebt sich der Wall und entfernt sich vom Kopf- 1) S. Vogt’s Bilder aus dem Thierleben. Frankfurt a. M. 1852 p. 292—295, und Beitrag zur Entwicklungsgeschichte eines Cephalo- phoren. — Zeitschr. £. wiss. Zoologie. Bd. VIII. 1855. p. 162. 216 Edouard Claparede: theil, womit er jedoch durch eine dünne durchsichtige Mem- bran verbunden bleibt. Anfangs ist er ganz nackt und wim- perlos, bald aber erscheinen dünne Cilien auf dessen Ober- ftäche, die langsam herumschlagen. Der Wimpersaum läuft also von dem einen Segellappen auf den anderen, wie schon Leydig bei Paludina !) und G egenbaur bei den Pteropoden und Heteropoden angeben. Kurz darauf überschreiten die Wimpern die Länge der zur selbigen Zeit auftretenden Ci- lien des Fusses und des Schlundes und wachsen zu starken Haaren heran. Niemals jedoch erreichen sie eine Länge, die man mit derjenigen der von Vogt beim Segel von Actaeon abgebildeten Cirren vergleichen könnte. Uebrigens ist nicht bei allen Seeformen das Segel mit solchen ungeheuren Cir- ren ausgestattet: bei den meisten trägt der verdickte Saum des Organes, so viel man aus Loven’s, Sars’s, Nord- mann’s und Anderer Abbildungen ersehen kann, nicht über- mässig lange Wimpern, obgleich sie gewöhnlich länger als bei Neritina sein mögen. Bei Buceinum und Purpura sind so- gar die Segelwimpern nach Koren und Danielssen’s Fi- guren verhältnissmässig kaum so lang wie bei Neritinaem- bryonen: sie sind aber nicht allein da, sondern wechseln mit längeren Cilien ab, welche eigentlich allein Vogt’s Cirren entsprechen und die wir mit Sars Schwimmhaare (Svömme- haar) nennen dürfen. Die Membran zwischen dem wulstigen Wall — der fortan den verdickten Segelrand darstellt — und dem Kopftheil des Embryos nimmt nach und nach an Grösse zu, während sich jede Hälfte des Velums nach hinten trichterförmig vertieft. In der Einschnürung des Segels selbst, dicht vor dem vor- deren, nach der Bauchseite zugekehrten Rande befindet sich der Mund. Der Zweck dieser Einrichtung lässt sich leicht erschliessen, denn man begreift wohl, dass dadurch die durch die Segelwimpern erzeugte Strömung die Nahrungstheilchen 1) Dass die Paludinenembryonen ein Rudiment von Velum be- sitzen hat schon Loven vor Leydig gewusst. S. desselben Bidrag til Kännedomen om utvecklingen af Lamellibranchiata. p. 93. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 917 dem Munde zuführt. — Bei den frei im Wasser herumschwim- menden Schneckenembryonen kommt dem Segel eine andere wichtige Function, die Locomotion zu. Hier aber, wo das Tbierchen nur einen sehr beschränkten Raum zur Verfügung hat, verschwindet dieser Zweck fast vollkommen. Die Neri- tinenembryonen können sich zwar mit Hülfe des Segels be- wegen, da man dieselben nicht selten in einem Tropfen Wasser unter dem Mikroskop sich herumtummeln sieht. Dieses Schwimmen ist aber nicht sehr lebhaft, was Keinen Wunder nehmen wird, wenn man bedenkt, dass nicht einmal dieser Wassertropfen dem Embryo in der Kapsel zu Gebot steht und dass er sich nur schwer und langsam zwischen den zä- hen Dottermassen bewegen kann. Der Nutzen des Segels ' als Ingestionsorgan ist also wahrscheinlich viel bedeutender und es spielt dasselbe beim Akt des Fressens eine so wich- tige Rolle wie der Fuss und die Brustlappen, Desswegen bedarf das Thier keiner so langen Segeleirren, wie gewisse sich frei herumtummelnde Seeformen. Wenn die Fühler und Ommatophoren sich heranbilden, so erheben sie sich aus dem Grunde der trichterförmigen, durch die Segelmembran gebil- deten Vertiefung, und letztere sitzt um deren Wurzel, wie ein Kragen um den Hals. Das Segel ist übrigens sehr con- tractil, wird mit grosser Leichtigkeit nach vorn gespannt oder nach hinten zurückgebracht, oder endlich vollkommen zu- sammengeschlagen, während die junge Schnecke sich in ihr Gehäuse zurückzieht. Alle diese Bewegungen werden durch besondere Organe vermittelt, die wir gleich besprechen werden. Der verdickte Segelrand besteht aus einer einzigen Zellen- reihe, wie dies sich schon dadurch kund giebt, dass kleine Einkerbungen zwischen je zwei Zellen nicht selten vorhan- den sind. Durch Zusatz von Essigsäure treten diese Zellen mit einem schönen deutlichen Kern leicht hervor (Fig. 53a). Es sind ovale prall gefüllte, etwa 0,012 Mm. breite Zellen, deren Kern circa 0,008 Mm. an Durchmesser misst. Sie enthalten feine Körperchen, die wohl von den Dotterkörnchen herstam- men möchten, da sie mit denselben die grösste Aehnlichkeit 218 Edouard Clapar&de: besitzen. Sie tragen auf ihrer der angewachsenen Seite ent- gegengesetzten Fläche eine grosse Anzahl Wimpern, die wohl als Auswüchse der Zelle zu betrachten sind. Dadurch wür- den also die Embryonen der Neritina von denen des Tergipes Edwardsü abweichen, bei welchen jede Zelle des Segelrandes eine einzige Wimper tragen soll '). Auf der Segelmembran selbst erkennt man bei Essigsäurezusatz ein Pflaster von unregelmässigen, etwas länglichen Zellen (Fig. 53 b), deren Grösse diejenige der Randzellen sogar etwas überschreitet. Diese Zellen zeigen einen hellen, nicht scharf contourirten Kern, mit eitiem deutlichen Kernkörperchen. Gegenbaur fand übrigens ebenfalls bei Essigsäurezusatz im scheinbar homogenen Gewebe der Segellappen bei den Hyaleaceen ganz ähnliche, zarte Zellen ?.. — In der Dicke der Membran selbst erkennt man ohne Anwendung von Reagentien merk- würdige faserjge Gebilde, welche sich bei näherer Betrachtung sehr bald als die Träger der Beweglichkeit des Segels her- ausstellen. Es sind dies spindelförmige Körper, deren eine Spitze bis zum Segelrande reicht, während die andere nach dem Kopftheil des Embryos zu gerichtet ist. Diese spindel- förmigen Fasern sind in der Mitte etwas angeschwollen (Fig. 48) und kreuzen einander in den mannigfachsten Richtungen. Jeden Augenblick sieht man entweder die eine oder die an- dere Faser in der Mitte an Dicke zunehmen, während sie demgemäss auch kürzer wird: dadurch wird die entsprechende Stelle des Segelrandes angezogen und eingeknickt oder ein- gebuchtet, um sich wieder auszuspannen, sobald die Faser sich wieder verlängert und verschmälert. Nicht selten sind diese Fasern einfach oder gar mehrfach gegabelt, so dass von der mittleren dickeren Stelle mehrere Aeste ausgehen. Bei Essigsäurezusatz erscheint in der Mitte jeder spindelför- migen Faser ein deutlicher, ovaler, 0,005 bis 0,004 Mm, lan- ser Kern, so dass die Fasern selber als Zellen mit einem runden Nucleus in der Mitte zu betrachten sind. Dieselben 1) Nordmann, a. a. O. p. 9. 2) Pteropoden und Heteropoden p. 35. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 219 könnten ihrer Function wegen als embryonale Muskelfasern angesehen werden. — Eine faserige Struktur des Segels wurde schon bei gewissen Schneckenlarven angegeben, ohne dass man :näher*darauf einging. Vogt z. B. bemerkt bei Actaeon '), dass-das membranöse, den verdickten Rand und die Cirren tragende Segel, unzweifelhaft fibrös, namentlich zur Zeit der vollkommenen Expansion erscheint; man sähe dann gerade, schwach markirte und mit der umgebenden Grundsubstanz verschmolzene Fasern, die sich von der Basis bis zum Segelrande begeben, offenbar um denselben zu be- wegen. Allein über die Zellennatur dieser Gebilde hat Vogt nichts angegeben. Gegenbaur’s Darstellung der Beschaf- fenheit des Velums bei den Hyaleaceen ?) hat aber mit. den eben besprochenen Verhältnissen bei Neritina eine auffallende Aehnlichkeit. Nach innen zu fand er im Segel radiär ver- laufende, oft verästelte und mit leichten Anschwellungen ver- sehene Fasern, die sich gegen das Centrum des Velum zu verlieren sollen, und er vermuthet schon, dass die Anschwel- lungen Kerne enthalten könnten. Noch übereinstimmender mit den fraglichen Gebilden aus dem Segel von Neritina sind die Muskelzellen, welche von demselben Forscher in der Schwanz- und Nackenblase von Limax- °) und Clausilienem- bryonen ®) beobachtet wurden und schon früher von Oscar Schmidt?) gesehen worden waren. Vergebens wurde im Segel von Neritinenembryonen nach Gefässen oder sonstigen Kanälen gesucht, die zum Kreislauf einer blutähnlichen- Flüssigkeit hätten dienen können. Koren und Danielssen übrigens, welche früher das Segel bei ge- wissen Schneekenembryonen als Athmungsorgan ansprachen 1) Embryologie de l’Acteon. A. a. O. p. 46. 2) A. a.-O. p. 36. 3) Zur Entwicklungsgeschichte der Landgasteropoden, von Dr. C. Gegenbaur. Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. III. 1851. p. 376 und 377. Tab. X. Fig. 3. 4) Ibid. p. 400. von Clausilia similis Charp. — Auch im Herzen derselben. p. 404, 5) Ueber die Entwicklung von Limaz agrestis. Müller’s Archiv 1851. p. 279. 2320 Edouard Claparede: und Gefässe in demselben wollten gefunden haben !), sollen ihre Meinung dahin verändert haben, dass diese vermeintli- chen Gefässe Bewegungsorgane sind, weil sie dieselben bei Buccinum- und Purpuralarven als deutliche*Muskelfasern er- kannten.!') Es sollen sich mehrere derselben an einander legen und hie und da verästeln. Die Verzweigungen sollen um so häufiger und dünner werden, je mehr die Muskel- röhren sich der Segelperipherie nähern, und indem die fei- neren Aeste einander oft durchkreuzen, soll ein Muskelnetz zu Stande kommen, das dazu dient, die Segellappen nach allen Richtungen zu bewegen. Es sind also diese Muskel- röhren gerade dasselbe, wie die embryonalen Muskelzellen der Neritinen-, Limax- und Olausilienembryonen, nur bemer- ken die norwegischen Forscher in Bezug auf die Beschaffen- heit dieser Muskelröhren, sie seien im Stande, Leydig’s Ansicht über die Muskelstruktur bei Mollusken zu bekräftigen und das Ergebniss ihrer Beobachtungen weiche von Lebert und Robin’s Angaben ab — wie man schon aus dem Aus- druck „Muskelröhren* selbst hätte erschliessen dürfen. Wir selbst können mit Leydig’s Darstellung, bei vielen Mol- lusken wenigstens, überhaupt nicht vollständig einverstanden sein, da wir ausser der wirklich vorhandenen Leydig’schen Röhre noch eine Struktur des Röhreninhaltes, eine feine Längsstreifung finden, welche, wie wir anderswo zeigen wer- den, der optische Ausdruck äusserst feiner Fibrillen ist. Die embryonalen Muskelfasern des Segels sind aber jedenfalls keine solche Röhren, welche durch die Verschmelzung von hintereinander liegenden Zellreihen entstehen sollen, es sind viel mehr einzelne, isolirt für sich dastehende Zellen. Nur hier und da scheinen sich die feinen Ausläufer zweier Zellen zu verbinden, was man vielleicht als die erste Anlage einer sol- chen Röhre deuten könnte. — Ob sonst eine transitorische 1) Bemärkninger til Molluskernes Udvikling. — Nyt Masasin for Naturvidenskaberne. V. Christiania 1848. 2) Bidrag til Pectinibranchiernes Udviklingshistorie p. 15. 16. Tab. II. fig. 23 und III. Fig, 16. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 99] Athmungsfunktion dem Segel zukommt, wie van Beneden!) schon vermuthete, steht dahin. Vogt will nichts davon wissen, weil er lieber dem Fusse eine solche Rolle zuschrei- ben zu müssen glaubt ?). Von der Zeit an, wo die Fühler deutlich werden, nimmt das Segel allmälig an Umfang ab. Der mittlere Theil des- selben schwindet am schnellsten und die beiden Lappen blei- ben als kleine Kragen an der Basis der Fühler zurück (Fig. 45), um kurz darauf vollkommen einzugehen. Die grosse Entwicklung des Segels bei Neritina ist eine höchst interessante Thatsache, da dies das erste Beispiel einer Larvenform bei einer Süsswasserschnecke ist. Zwar wurde schon Aehnliches von Loven bei Paludina entdeckt, und später von Leydig wieder gefunden, aber das Segelru- diment erreicht bei diesem Ctenobranchier eine nur unbedeu- tende Grösse. Ausserdem durchläuft der Paludinaembryo dieses Larvenstadium in den Eihüllen selbst, innerhalb des Mutterleibes, während die junge Neritina als eine vollkom- mene Larve zu betrachten ist, da sie das Ei schon verlassen hat und sich in der Eierkapsel, zwischen den zahlreichen Schwesterdottern frei herumbewesgt. Wir erwähnten schon, dass die Neritinenembryonen sich dadurch anszeichnen, dass der Verdauungsapparat beinahe gleichzeitig mit der Sonderung des Kopf- und Abdominal- theiles auftritt. Auf der vorderen Seite, in der zwischen den beiden Segellappen befindlichen Ausbuchtung bildet sich der Schlund als eine trichterförmige, bewimperte Vertiefung. Leydig°) giebt bezüglich der Paludinaembryonen an, dass bei ihnen die Mundöffnung in Bezug auf das Segel anders gelagert sei, als bei den mit einem Segel versehenen See- gasteropoden, bei welchen sich der Mund zwischen den Se- gellappen befindet, während er bei Paludina unter dem vor- deren Rand des Velums liegt. Das Verhältniss wäre also 1) Recherches sur le developpement des Aplysies. a. a. O. p. 339. 2) Embryogenie de l’Acteon, a. a. O. p. 60. 8) A. a. O. p. 148. 222 Edouard Claparede: bei den Neritinen gerade wie bei den Paludinen und nicht wie bei den Meerschnecken. Indessen möchte wohl der Unter- schied nicht so gross sein und wir finden nirgends die An- gabe, dass der vordere Segelrand zwischen dem Munde und dem Fusse verlaufe, so dass der Mund in der Mitte des Segels gelagert sei. Vogt')sagt zwar bei Actaeon, der Mund liege zwischen den beiden Segellappen, das kann man aber gerade so auflassen, wie die Verhältnisse bei Pa- ludina und Neritina sind. Gegenbaur giebt ausserdem ausdrücklich an, dass bei den Heteropoden ?) der Mund sich aus einer am vorderen Segelrand entstehenden Vertiefung bildet. Bei den Hyaleaceen °) bemerkte er ebenfalls zwi- schen dem Fusse und der vorderen Einbuchtung des Velums das Auftreten der Mundöffnung und überhaupt bei allen Pte- ropoden ?) sah er das Segel oberhalb des Mundes. Damit übereinstimmend befindet sich der Mund der Lamellibrau- chierembryonen vor dem oberen Segelrand. Desshalb neh- men wir keinen Anstand, trotz Leydig’s Bemerkung, eine völlige Uebereinstimmung zwischen den See- und Süsswasser- species in Betreff des Mundes zu behaupten. — Aus der Embryonalmasse sondert sich die Speiseröhre, als ein ge- streckter von vorn nach hinten laufender Kanal (Fig. 39, 40, c.), während sich die Leibeshöhle rund um denselben herum bildet (f) und mit einer klaren Flüssigkeit erfüllt. Die Wandungen der Speiseröhre bestehen aus grossen, mit einem durch Essigsäure leicht darstellbaren Kern versehenen Zellen, die mit denjenigen des werdickten Segelrandes eine grosse Aehnlichkeit haben. Sie enthalten, wie letztere, spär- lich zerstreute, den Dotterkörnehen ähnliche Körperchen, und sind auf der nach dem Lumen der Speiseröhre zuge- kehrten Seite mit dünnen Wimpern ausgestattet. Der hintere Theil des Oesophagus tritt mit einer in der Leibeshöhle an- 1) A. a. OÖ. p. 68: „La bouche est cachee profond&ment entre les deux branches recourbees des organes rotatoires.* 2) Untersuchungen über Pteropoden und Heteropoden, p» 183. 3) Ibid. p. 34. 4) Ibid. p. 100. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 293 gehäuften Dottermasse in Verbindung, welche dadurch an Umfang zunimmt, dass die in den Schlund fortwährend hin- eingewimperten Dotterpartikelehen sich dem schon vorhan- denen Haufen hinzugesellen. Letzterer stellt den künftigen Magen mit der Leber vor und in der That tritt bald eine Sonderung desselben in zwei kuglige Massen ein, deren eine dem Magen (Fig. 42 und 45 e’) und die andere der Leber (e‘‘) entspricht. Erstere allein bleibt mit der Speiseröhre in Verbindung. Anfangs nimmt man keine Membran um den rudimentären Magen herum wahr, indessen erscheint nach kurzer Zeit um die fettähnliche, stark lichtbrechende Dotter- masse ein dünner, heller Saum, welcher dem Auftreten einer umhüllenden Haut zu entsprechen scheint, obgleich in der- selben keine deutliche Struktur erkannt werden konnte. Von der Magen- und Leberperipherie gehen Stränge aus, wodurch dieselben an der Leibeswandung befestigt werden (Fig. 40). Die Leber besteht anfänglich aus verschieden grossen, gel- ben, fettähnlichen Tropfen, welche gegen das Ende des Em- bryonallebens sich in förmliche Leberzellen verwandeln. Niemals aber wurde im Inneren des Organes eine bewimperte Höhle wahrgenommen, wie die von Vogt bei Actaeonlarven beschriebene. Man muss aber dabei nicht vergessen, dass diese Vorrichtung bei Actaeon vielleicht in einem gewissen Verhältniss zum merkwürdigen Bau .der Verdauungsorgane bei den Apneusten steht, und bei anderen Cephalophorenab- theilungen nicht vorkommt. Die Speiseröhre tritt bei den jungen Embryonen als ein dunkler Streif hervor (Fig. 42), weil die feinen, stark licht- brechenden Dotterkörnchen, die vom Thierchen beständig verschluckt werden, das Lumen des Rohres erfüllen. Je weiter aber die junge Schnecke in ihrer Entwicklung fort- schreitet, um so ungünstiger wird sie für die Beobachtung, und von der Zeit an, wo sie etwa zwei Drittel der Eier- kapsel ausfüllt, kann man kaum noch den ersten Theil der Speiseröhre auf der Mittellinie mit den beiden Hörblasen zur Seite entdecken, ohne den weiteren Verlauf verfolgen zu können. Dadurch erklärt sich die Unvollständigkeit der 294 Edouard Claparkde: Beobachtungen. Niemals gelang es uns, den Darm aufzu- ünden. Anfangs ist bestimmt keiner da, und der Verdauungs- apparat (Fig. 39 und 40) beschränkt sich auf den Schlund, die Speiseröhre und die Anlage des Magens mit der Leber, doch muss sich kurz darauf der übrige Theil des Darmka- nales bilden, ob er sich gleich der Beobachtung entzieht. Nicht einmal der After konnte aufgefunden werden, wenn schon wir genau die Stelle hätten angeben können, wo die Oefl- nung sich hätte finden sollen. Die Anwendung von Druck ist nicht zulässig, weil die zarten Gewebe des Embryos gleich dadurch zerstört werden würden und es konnte kein befriedigendes Mittel zum Durchsichtigmachen aufgefun- den werden. — Bei Actaeon entdeckte Vogt den After erst gegen das Ende des Embryonallebens !), und ist überzeugt, dass derselbe sich erst eine kurze Zeit vor dem Ausschlüpfen bildet. Dies dürfte auch auf ein spätes Erscheinen des Af- ters bei Neritinenembryonen schliessen lassen. Indessen soll nach Leydig’s Beobachtungen der After bei Paludinenem- bryonen gleichzeitig erscheinen mit dem übrigen Tractus in- testinalis, und selbst früher als ein gewisser Theil desselben, da er anfänglich durch eine einfache Grube am hinteren Ende des Embryos vertreten ist, welche sich aber bald nach innen vertieft, bis sie auf die Magenhöhle stösst und in die- ser Verlängerung die erste Darmbildung vorstellt. Es möchte daher wahrscheinlich erscheinen, dass die Zeit des ersten Auftretens des Darmes bei den verschiedenen Schnecken eine verschiedene sei. Jedenfalls bleibt es dargethan, dass sowohl der Magen, wie die Speiseröhre sich unabhängig vom übrigen Darm bilden, und eine Zeit isolirt dastehen. Koren und Danielssen haben bei Buccinum‘') die Bildung des Darmes gerade so weit, wie wir bei Neritina verfolgt. Auch sie konnten der Undurchsichtigkeit wegen keinen Anus wahr- nehmen, obgleich sie bei Purpura lapulus glücklicher waren. Erst nachdem der Embryo ziemlich weit in seiner Ent- 1) A. a. O. p.-67. 2) Bidrag til Pectinibranchiernes Udviklingshistorie. p. 16. An Anatomie und Entwicklangsgeschichte der Neritina fluviatilis. 995 wieklung fortgeschritten ist, nach der Bildung der Augen und Gehörkapseln, zeigen sich die verschiedenen dem Schland- kopfe angehörigen Organe. Der Zungenknorpelapparat tritt zuerst auf als zwei diskrete Zellenanhäufungen zu beiden Seiten der Mittellinie und etwas hinter dem Munde. Von der späteren Knorpelstruktur ist noch keine Rede und die beiden Hälften des Apparates (Fig. 47) bestehen aus densel- ben kleinen Parenchymzellen, die wir,;bei Gelegenheit der Mantelbildung erwähnten, nur sind sie an der betreffenden Stelle näher an einander gedrängt *). Diese anfangs undent- lieben und ziemlich rundlichen Zellenanhänfungen werden allmälig schärfer eontourirt, spitzen sich nach vorn zu und bilden dann ein gleichschenkliges Dreieck. Zn dieser Zeit erscheinen die ersten Reibplatten der Zunge. Letztere ist anfangs sehr kurz, kaum so lang wie die Zungenknorpel selbst, und zeigt sich als ein dunkler, nicht scharf begrenzter Streif, worin man die Chitinplatten noch nicht wohl unter- scheiden kann. Nach und nach nimmt die Zunge an Länge za und zugleich treten die verschiedenen Chitinplatienreihen weniger confus hervor. Sogleieh von Anfang an ist die An- zahl der Platten jedes Gliedes- dieselbe, wie beim ausge- wachsenen Thiere. Dabei sprechen wir zwar nor von den Hanptreiben und nicht von den zahlreichen kleinen Seiten- häkchen, die der Kleinheit wegen unmöglich gezählt werden können. Es ist ziemlich wahrscheinlich sogar, dass letztere Anfangs in kleinerer Anzahl vorhanden sind als später. Die Hauptreihen sind aber gleich alle da. Dies hat eine beson- dere Wichtigkeit in Bezug auf eine von Johannes Müller in Messina beobachtete Pteropodenlarve?). Dieselbe besass nur zwei Längsreihen von Zähnchen und es wird desshalb von Müller für wahrscheinlich gehalten, dass andere longi- 1) Nach Kölliker soll ebenfalls der: Kopf-, Ohr-. und Nacken- knorpel der Cephalopodenembrysnen zuerst aus länglichen Zellen, von 0,0045 bis 0,009’' Durchmesser bestehen, die abgesehen von ihrer ‚Grösse, den Embryonalzellen auf ein Haar gleichen. — Köllikers Entwicklungsgeschiehte der Cephalopoden. Zürich 1344. p. 97. 2) Monatsbericht der Berl. Akademie der Wissensch. Oct, 1852. Müller’s Archiv. 1837. 15 226 Edouard Claparede: tudinale Reihen später hinzukommen. Gegenbaur!) spricht zwar von neuen Hakenreihen, die sich den früher gebildeten bei Clausilienembryonen später hinzugesellen: es ist aber nicht ersichtlich, ob er von Längs- oder nur von Querreihen hat sprechen wollen. — Wenn der Neritinaembryo so gross geworden ist, dass er die ganze Eierkapsel ausfüllt und im Begriff ist, herauszuschlüpfen , so ist die Zunge (Fig. 45 r) verhältnissmässig fast so lang, wie beim ausgewachsenen Thiere, und deren Bau ganz scharf markirt. Die Zungen- scheide konnte der Undurchsichtigkeit wegen nicht bemerkt werden. — Zu derselben Zeit, wo die ersten Reibplatten auf- treten, erscheint die Sonderung des Zungenknorpelapparates jederseits in zwei Stücke, ein vorderes grösseres, und ein hinteres kleineres. Der kegelförmige Aufsatz, der beim er- wachsenen Thiere an der vorderen Spitze des grossen drei- eckigen Stückes vorhanden ist, wurde bei den Embryonen nicht erkannt. Die Knorpelstücke haben dann noch immer keine Knorpelstruktur (Fig. 47), sondern bestehen aus 0,002 bis 0,008 breiten, ovalen Zellen, mit. einem körnigen Inhalt (Fig. 47 A), welche in einer nicht sehr reichlichen Intercellu- larsubstanz gelagert sind. Selbst bei jungen Neritinen, die das Larvenleben schon weit hinter sich haben und eine Länge von 1,5 bis 2 Mm. und darüber erreichen, ist die Knorpel- struktur des Zungenknorpelapparates noch nicht deutlich, obgleich die Zellen grösser geworden sind. Die Lippen- knorpel wurden bei den Embryonen nicht einmal gesehen. Ueber die Bildung der Reibmembran findet man bei den verschiedenen Schriftstellern nur sehr wenige Angaben. Dass Vogt in seiner vortrefflichen Darstellung der Entwicklung von Aciaeon nichts davon erwähnt, muss auffallen. Er hat seine Larven bis zum Augenblick verfolgt, wo sie im Begriff waren, ihre provisorische Schale zu verlassen, und es scheint also,. dass die Radula erst hernach, also verhältnissmässig sehr spät bei den Apneusten erscheint. Dafür spricht eben- falls Nordmann’s Angabe, dass er bei Tergipesembryonen 1) Zur Entwicklung der Landgasteropoden. a. a. O. p. 386. Anatomie und Entwieklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 927 die Reibmembran stets vermisste, so lange wenigstens die provisorische Schale noch vorhanden war!), Erst bei einer freien Larve waren einige Zahnplättehen vorhanden ?). Bei einem eben ausgekrochenen Embryo eines anderen Tergipes (T. lacinulatus) fand zwar Max Schultze°) eine schon acht- gliederige Reibmembran, was auf ein etwas früheres Auftre- ten schliessen lässt. Leydig*) zeigt an, dass die ersten Reibplatten der Zunge bei Paludina um dieselbe Zeit sicht- bar werden, wo die ersten Hörsteine in der Ohrblase sich finden. Koren und Danielssen’) geben nur kurz an, dass sie bei Buccinum und Purpura die Zungenbewaffnung beobachteten und zwar zu einer Zeit, die mit dem Erscheinen der Zunge bei Neritina ziemlich zusammenfällt. Endlich hat Johannes Müller die Reibplatte bei Pteropodenlarven beobachtet. Auffallender Weise hat Gegenbaur bei Zimar und Clausilia die Zunge viel früher auftreten sehen, als man es aus der Analogie hätte vermuthen dürfen. Bei Clausilia®) sah er eine Hervorstülpung des Schlundes für die Reibmem- bran (Scheide) schon vor der Bildung des Ohres und des Auges sich bilden, und bei Zimaz”) zeigte sich die Radula selbst früher als der Darmkanal. Man sieht daraus, dass die Zeit, in welche die Bildung der Zunge fällt, je nach den Cepha- lophorengruppen, eine sehr verschiedene ist. — Ueber das Erscheinen der Zungenknorpel ist eine einzige Angabe Tro- schel’s®) vorhanden, der dieselben bei einer der Gattung Natica wahrscheinlich angehörenden Schneckenlarve beob- achtete. Ein einziges Mal wurde bei einem dem Ausschlüpfen nahe MRARANONPN ID: 2) Ibid. p. 9. 3) Wiegmann’s Archiv. 1849. I. p. 269. 4) A. a. O. p. 142. 5) Bidrag. p. 18. } 6) Zur Entwicklungsgeschichte der Landgasteropoden. a. a. OÖ, p. 400 ‚und 402. 7) Ibid. p. 886. 8) Das Gebiss der Schnecken, p. 18. B 228 Edouard Claparede: gerückten Embryo jederseits der Mittellinie ein schmaler lan- ger Schlauch beobachtet. Derselbe enthielt runde Zellen und stark lichtbrechende Körnchen und neigte sich nach vorn gegen die Zunge hin. Wir können diese Schläuche nur als die erste Anlage der Speicheldrüse deuten. Koren und Danielssen!) sahen übrigens die Speichelorgane unter derselben Gestalt, obgleich verhältnissmässig viel früher bei Buccinum und Purpura erscheinen. Hörblasen und Augen erscheinen etwa gleichzeitig, und zwar erst lange Zeit, nachdem der Darmkanal angelegt ist und sowohl der Deckel wie die Schale erschienen sind. Die ungünstigen Durchsichtigkeitsverhältnisse erlaubten nicht, die ersten Anfänge der Gehörorgane mit Bestimmtheit wahrzuneh- men. Zwei Theorien über die Bildungderselben stehen einander gegenüber. Einerseits will Frey ?) die Gehörbläschen beim Embryo von Limnaeus stagnalis zuerst ohne Otolith als ein- fache runde, nur Flüssigkeit enthaltende Kapseln gefunden haben. - Leydig°) stimmt ihm bei, weil er sah, dass die Ohrblase bei Paludina zuerst eine lange Zeit eine einfache Blase mit dicken Wandungen darstellt, und dass man erst dann die Otolithen in den Gehörblasen krystallisiren sieht, wenn die Kalkablagerungen in der Haut begonnen haben. Schmidt‘) und Gegenbaur°) wollen dasselbe bei Limax- embryonen wahrgenommen haben. Andererseits soll bei Actaeon nach Vogt’s Beobachtungen °) zuerst der Otolith in einem Zellenhaufen auftreten: er wird allmälig grösser und erst dann bildet sich um denselben ein heller Hof, die eben auftretende Höhle der Gehörkapsel. Ein paar Mal wurden bei jungen Neritinenembryonen Bilder getroffen, die für Vogt zu sprechen schienen, jedoch möchte wohl die Kapsel, der ungünstigen Verhältnisse wegen, dem Auge entgangen sein. 1) Bidrag p. 13 und 28, Fig. 30, 31 und 36. 2) Wiegmann’s Archiv. 1845. p. 217. 5) A. a. OÖ. p. 139. 4) Schmidt, a. a. O. p. 283. 5) Zur Entwicklung der Landgasteropoden. a. a. O. p. 385. 6A. 2.0. p. 71. Anatomie und Entwiecklungsgesehichte der Neritina fluviatilis.. 299 Auf der anderen Seite hätte fast unmöglich eine leere Kap- sel, wie sie von Frey und Leydig bei Limnaeus und Pa- ludina gesehen wurde, bei den undurchsichtigen Neritinenem- bryonen entdeckt werden können, Wir hatten schon früher Gelegenheit, die Hauptzüge der Bildung der Gehörkapseln mitzutheilen. Sie zeigen sich rechts und links von der Mittellinie als rundliche, mit dicken Wan- dungen versehene Blasen, welche mit dem nach aussen gerich- teten schon besprochenen Gang versehen sind. Die Kapselmem- bran erscheint strükturlos und erreicht namentlich an der nach aussen gewendeten Seite eine beträchtliche Dicke. Leydig!) bemerkt dagegen bei Paludina vivipara, dass die Wände vieler Ohrblasen sich- nach einer Seite hin, und zwar immer gegen die Seite zu verdünnen, wo später der Hörnerv ansitzt. Bei Neritinenembryonen ist ganz bestimmt der Wandtheil verdickt, welcher den Ursprung des hohlen Stieles umgiebt , und nicht verdünnt. Beim ausgewachsenen Thiere aber ver- schwindet diese Verdickung vollständig. Der einzige blasse, in der flimmernden Höhle enthaltene Otolith zeigt wie schon angedeutet, bei Anwendung von Essigsäure kein Aufbrausen, sondern quillt nur auf und zerfliesst beim Druck. Selbst bei ziemlich grossen, schon seit langer Zeit aus den Eierkapseln ausgeschlüpften Neritinen, ist dieser einzige Otolith in jeder Ohrblase vorhanden. Allein später bilden sich die schon früher erwähnten kleinen Steinchen, während der embryonale Otolith verschwindet. Die kleinen Steinchen erscheinen aber niemals vor dem Ausschlüpfen. Erwähnenswerth möchte noch die Thatsache sein, dass wir einmal eine Missbildung trafen, wo drei Gehörkapseln vorhanden waren. Die linke Seite nämlich besass zwei oto- lithführende Bläschen, deren jede mit einem besonderen, nach aussen gerichteten Gang versehen war. Die zitternde Bewe- gung war in allen dreien die nämliche. Was das Auge betrifft, so scheint die Zeit seines Auftre- tens bei den Mollusken nicht immer dieselbe zu sein. Bei 17 Aa 01P1139: 2330 Edouard Claparede: den Actaeonlarven, so lange Vogt!) dieselben beobachtete, fehlten sie durchweg. Bei Paludinenembryonen erscheint das Auge nach Leydig?) unmittelbar nach dem Ohre, sobald nämlich die Fühler aus der Fläche des Velums hervorkeimen. Bei Buecinum und Purpura ?) zeigen sie sich gleichzeitig mit den Gehörblasen und den Speicheldrüsen. Bei Neritinenem- bryonen treten ebenfalls die Seh- und Hörorgane ziemlich zu derselben Zeit auf: bald erscheinen die einen früher bald die anderen. Sonderbarer Weise trifft man nicht so ganz selten, einäugige Individuen, bei denen das eine Auge schon eine ziemliche Grösse erreicht hat und kohlschwarz pigmentirt ist, während noch nicht einmal die erste Spur des andern vor- handen ist. Kurz vor dem Erscheinen des Auges keimt eine warzenförmige Erhabenheit aus der trichterförmigen Coneca- vität jedes Segellappens hervor, welche die erste Anlage so- wohl des Fühlers, wie des augenführenden Fortsatzes ist. Das Auge ist anfangs — übereinstimmend mit den Angaben anderer Beobachter bei verschiedenen Cephalophoren — eine einfache, mit einer hellen Flüssigkeit erfüllte und mit dieken Wänden versehene Blase. In derselben lagert sich schwar- zes Pigment ab (Fig. 52), welches eine mehr oder weniger strahlige Anordnung zeigt, und in der Mitte am dichtesten angehäuft ist. Dass die Pigmentmoleküle in einer Zellen- schicht der Augenblasenwand enthalten seien, wie das von Leydig bei Paludinenembryonen soll gesehen worden sein, konnte nicht konstatirt werden. Niemals wurde eine Kry- stalllinse angetroffen und es scheint daher, dass dieselbe erst nach dem Auskriechen sich entwickelt. Auffallender Weise aber wurde die Linse von Gegenbaur bei Atlanta *) in einem sehr frühen Stadium bemerkt und zwar zu einer Zeit, wo noch gar keine Spur von Pigment in der Augenblase vorhanden war. Die Augen schen dann gerade so wie ein zweites MA. a. 0,7702: 2) A. a. ©. p. 140. 3) Koren und Danielssen. Bidrag ete. p. 12 und 21. 4) Untersuchungen über Pteropoden und Heteropoden, p. 128. Anatomie uud Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 231 Ohrpaar vor dem ersten aus. Derselbe hat ebenfalls eine Linse sehr früh bei Limax !) und Leydig bei Paludina au- getroffen. — Koren und Danielssen?) führen eine höchst merkwürdige Beobachtung bei Buceinumlarven an, in deren Auge sie keine Linse vorfanden, Die Augenblasenwand nämlich soll bei denselben auf der Innenfläche mit feinen Wimpern versehen sein, wodurch die lichtgelben Pigment- körner in Bewegung versetzt werden. Bei Purpura wurden diese Wimpern vermisst. Man dürfte an eine blosse Brown’sche Bewegungserscheinung denken, wenn nicht die Wimpern selbst von den Beobachtern gesehen worden wären. Bei Neritina ist jedenfalls nichts Aehnliches vorhanden. Daraus sieht man wie die Bildung eines Organes bei ähnlichen Gruppen eine äusserst verschiedene sein kann. ‘Die warzenförmige Erhabenheit, in deren Substanz das Auge eiugebettet liegt, nimmt mehr und mehr die Gestalt eines abgestutzten Kegels an, indem sie breiter wird. All- mälig nimmt sie an Durchmesser in der Richtung von innen und oben nach aussen und unten zu: die Augenblase bleibt an dem nach aussen gerichteten Ende der auf diese Weise ver- längerten Erhabenheit und letztere zerfällt dann durch eine mitt- lere Einkerbung in zwei Hügelchen, von denen das äussere zum Ommatophoren, das innere zum Fühler heranwächst (Fig. 43). Die Augenblase eines Embryos, bei welchen die Sonderung der Anlagen des Fühlers und des Ommatophorons eben vor sich gegangen war, besass einen Durchmesser von 0,040 Mm. Der Fühler nimmt viel rascher als das Ommatophor an Länge zu, so dass er dasselbe bald überragt und sich beim aus- kriechenden Embryo als deutlicher Fühler zu erkennen giebt. Die Fühlerborsten wurden niemals bei Embryonen beobachtet. Ueber die Bildung des Nervensystems konnten wir nichts ermitteln. Sars, Loven, Vogt u. A. m. waren bei den von ihnen beobachteten Schneckenlarven nicht glücklicher. Daraus dürfte man jedoch nicht schliessen, dass das centrale 1) Zur Entwicklungsgeschichte der Landgasteropoden. a. a. ©. p. 385. 2) Bidrag p. 12. 232 Edouard Claparede: Nervensystem erst spät auftritt, denn dieSchneckenlarven sind meistens der Undurchsichtigkeit wegen zur Beobachtung sehr ungünstig und das eben sich bildende Nervensystem dürfte sich also sehr leicht dem forschenden Auge entziehen, Des- halb glauben wir kein zu grosses Gewicht auf die Beobachtungen von Leydig, Koren und Danielssen u. A. legen zu müs- sen, die bei verschiedenen Schnecken erst inden letzten Entwick- lungsstadien das Gehirn auftreten sahen. Schmidt ') und Ge- genbaur?) sahen übrigens bei ZLimaw das Nervensystem schon sehr bald nach dem Ohrerscheinen, und Quatrefages will selbst bei gewissen Pulmonaten die Hirnganglien vor allen anderen Organen haben auftreten sehen °). Wie das Nervensystem, so wurde auch das Herz lange vermisst. Bei keinem Embryo gelang es, dasselbe aufzufin- den. Hier kann kaum von der Undurchsichtigkeit als von einem hindernden Umstand gesprochen werden, weil sich das Herz sehr leicht durch die Pulsationen kund giebt, selbst wenn man seine Gestalt nicht unterscheiden sollte. Uebrigens stim- men alle Beobachtungen darin überein, dass das Herz bei den Gasteropoden und den Lamellibranchiern erst sehr spät auf- tritt. Es wurde dasselbe von Sars bei Nudibranchierlarven vermisst. Koren und Danielssen ) waren jedochbei allen von ihnen untersuchten Nudibranchiaten glücklicher. Sie fan- den nämlich dieses Organ bei allen Larven, die sie längere Zeit lebend zu erhalten vermochten und konnten sich über- zeugen, dass dasselbe gleichzeitig mit dem Darmkanal auftritt. Bei Buccinum und Purpura wurde ebenfalls schon ziemlich früh die erste Anlage des Herzens von denselben Beobachtern 5) 1) Oscar Schmidt: Ueber die Entwicklung von Limaz agrestis. Müller’s Archiv 1851. 2) Zur Entwicklung’ etc: a. a. O. p. 884. 3) Memoire sur l’embryogenie des Planorbes et des Limnes. Annales des Se. Nat. T. II. p. 107. 1834. 4) Bemärkninger til Molluskernes Udvikling. Nyt Magazin for Na- turvidenskaberne. V. Christiania 1848. 5) Carpenter (a. a. O. p. 29) behauptet, das contractile Bläs- chen, welches Koren und Danielssen bei Purpura als Herz be- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 233 und schon früher von Grant beobachtet, und Loven!') will in seinen Untersuchungen über ZLacuna, Cerithium, Eulima, Bullaea, Bulla das Herz gleichzeitig mit den Augen haben er- scheinen sehen. Aber man muss dabei nicht vergessen, dass bei den letztgenannten Schnecken die Augen sich erst viel später als bei Neritina zeigen, nämlich erst zur Zeit, wo das Velum nahe am Verschwinden ist, und wenn Stiebel?) das Herz bei Limnaeus stagnalis schon am fünfzehnten Tage), vor der Bildung der Schale pulsiren sah, so ist auch dabei zu be- merken, ‘dass letztere sich bei der Teichhornschnecke viel später als sonst, nämlich lange nach den Eingeweiden bilden soll. Sonst geben alle Schriftsteller an, das Herz erscheine erst sehr spät. Nordmann) sah dasselbe erst bei einer freien Larve von Tergipes pulsiren, welche schon mit einer schreiben, habe gewiss nicht diese Bedeutung; das wirkliche Herz bilde sich erst etwas später als diese Blase und sei tiefer in der Man- telhöhle gelegen; man könne sogar unter günstigen Verhältnissen beide Organe synchronisch pulsiren sehen. — Dabei erlauben wir uns zu bemerken, dass diese Angabe Carpenter’s uns sehr wahrscheinlich dünkt, da die Existenz einer solchen contractilen Blase bei Cteno- branchierembryonen kein ganz neues Faktum ist. Es gebührt die Ehre der ersten Entdeckung derselben — und zwar bei Buccinum undatum — gerade Koren und Danielssen selber (Bidrag til Pec- tinibranchiernes Udviklingshistorie, p. 17. Fig. 16 und 20), welche sie schon als contractile Blase (contractile Blaere) bezeichneten. Diese Blase hat muskulöse Wandungen und geht in einen Kanal über, der in der undurchsichtigen Dottermasse verschwindet. Die skandi- navischen Naturforscher halten sie — ob mit Recht? — für die Niere. Da dieses Organ muskulös ist, so dürfte man es besser. mit den con- tractilen Schwanz- und Nackenblasen vergleichen, die Van Beneden und Windischmann, OÖ. Schmidt und Gegenbaur bei Pulmo- natenembryonen beschrieben haben. i 1) Bidrag till Kännedomen af Molluskernas utveckling. Vetenskaps- Akademiens Handlingar. Stockholm 1839. p. 237. 2) Ueber die Entwicklung der Teichhornschnecke. Meckel’s deut- sches Archiv für Physiologie. 1816. p. 557, R 3) Carus soll sogar das Herz am 8. Tage bei Limaxz wahrge- nommen haben. — Von den äusseren Lebensbedingungen der heiss- und kaltblütigen Thiere. Leipzig 1824. 4) A. a. O. p. 99. 234 Edouard Claparede: Zunge ausgerüstet war und bei einem andern Tergiges (T. la- cinulatus) soll die Bildung des Herzens nachMax Schultze’s') Angaben, vier Wochen nach dem Auskriechen noch nicht an- gefangen haben. Erst bei einer schon etwa 1,5 Mm. grossen, also seit einiger Zeit ausgeschlüpften Neritina wurde das pul- sirende Herz durch dieSchale selbst wahrgenommen. Bei den meisten so weit entwickelten Individuen war die Schale zu undurchsichtig, als dass eine solche Beobachtung statthaft ge- wesen wäre und beim Abbrechen der Schale ging immer das Thier zu Grunde. Das Spiel des Herzens war sehr lebhaft und es schien also wahrscheinlich, dass die erste Anlage des Organes schon ziemlich viel früher erschienen sein mochte. Bei Individuen, welche etwa dieselbe Grösse erreicht ha- ben, wie die eben erwähnten, wurde zum ersten Mal die Kieme auf der linken Seite des Thieres wahrgenommen. Das erste Entwicklungsstadium dieses Organes zu sehen, waren wir nicht glücklich genug, denn die kleinste wahrgenommene Kieme zeigte schon zwei Lamellen jederseits. Diese Kieme besass schon eine lebhafte Contractilität, indem sie sich bald 'nach vorn, bald nach hinten bog, sich verlängerte und wiederum verkürzte, gerade wie bei den erwachsenen Neritinen. — So- viel ist jedenfalls gewiss, dass beim Auskriechen aus der Kapsel die junge Neritina noch keine Kieme besitzt, oder dass wenigstens dieselbe zu dieser Zeit noch vollkommen rudimen- tär, ein kaum sichtbarer Anfang sein muss. Bei Buccinum und Purpura sahen Koren und Danielssen die Kiemen sich gleichzeitig mit dem Herzen bilden, und von dieser Zeit an begann die Rückbildung des Segels, was wiederum dafür sprechen möchte, das letzteres für eine Zeit der functionelle Stellvertreter der Kieme sei. Indessen scheint es nicht un- wahrscheinlich, dass in der ersten Zeit der Austausch von Gasen mit der in Wasser aufgelösten Luft durch die ganze Haut stattfindet, wie dies auch bei den eben ausgeschlüpften Limnaeen und Planorben der Fall sein muss, da Quatre- 1) Wiegmann’s Archiv. 1849. Anatomie und Entwiecklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 235 fagest) bei denselben beobachtete, dass sie erst nach dem Verlauf von 36 bis 48 Stunden nach dem Ausschlüpfen an die Oberfläche des Wassers kamen, um Luft in ihre Lunge auf- zunehmen. — Bei den Larven von Pterotrachaes und Atlanta hat Gegenbaur auch keine Kieme gefunden und wenn die Athmungshöhle bei Fntoconcha mirabilis verhältnissmässig sehr früh erscheint, so fehlen ihr dennoch die eigentlichen Kie- menblätter vollkommen ?). Zur Zeit, wo die junge Neritina ihr freies Leben beginnt, ist noch keine Spur der dem Geschlechtsleben angehörigen Organe vorhanden. Die weitere Entwicklung schreitet noch lange fort bevor die ersten Spuren derselben auftreten. Bei Individuen, die eine Länge von 3 Mm. überschritten haben, erscheint die Nebendrüse des Geschlechtsapparates neben dem After, als ein Haufen gelblicher Substanz. Ueber die weitere Entwicklung des Geschlechtssystems wurde nichts ermittelt. Zum Schluss wollen wir noch die Hauptmomente der Ent- wieklungsgeschichte von Neritina fluviatilis kurz zusammenfassen. Die Eier von Neritina werden zu einer grossen ‘Anzahl (zu 40 bis 60) in gemeinschaftlichen runden Kapseln gelegt. Die Eier erleiden alle den Furchungsprozess; sie stehen aber dann mit Ausnahme eines einzigen in ihrer Entwicklung still und zerfallen in verschieden grosse Dotterklumpen. Der einzige sich entwickelnde Embryo tritt indas Larven- leben zu einer Zeit ein, wo er noch fast keine differenzirte Organe besitzt und bildet sich. zu einem Wesen heran, dessen Entwicklung die grösste Analogie mit derjenigen vieler See- schneekenlarven besitzt. Die Neritina fluviatilis ist also die einzige bis jetzt bekannte Süsswasserschnecke, welche ein wirkliches Larvenstadium durchmacht. Dadurchwird also Lo - vens Vermuthung widerlegt, dass Neritina sowohl wie die anderen Süsswasserformen keine Larve besitzen soll). 1),A.22..0..p..113. 2) Joh. Müller: Ueber Synapta digitata und die Erzeugung von Schnecken in Holothurien, 1852 p. 20. 3) Bidrag till Kännedomen om Utvecklingen af Mollusca lamelli- branchiata. p. 98. 236 Edouard Claparede: Das Larvenleben beschränkt sich auf die Zeit, wo das Thier in ‚der Eierkapsel weilt, d. h. die provisorischen Or- gane (die Segellappen), womit die Lärve ausgerüstet ist, ver- schwinden noch bevor die Kapsel aufspringt. Der junge, Embryo oder vielmehr die Larve nimmt an Grösse zu, indem sie die Schwestereier verzehrt und assimi- lirt, so dass sie gegen das Ende des Larvenlebens den ganzen Raum der Eierkapsel ausfüllt. Dieser Umstand macht zur unumgänglichen Bedingung der Entwicklung, dass der Nah- rungskanal sehr früh und zwar gleichzeitig mit dem Segel und dem Fuss auftritt. Das Embryonal- und Larvenleben kann zur bequemeren Uebersicht in vier Stadien eingetheilt werden. 1. Im ersten Stadium stellt der Embryo eine rotirende, ringsum bewimperte Kugel dar. Er schlüpft wahrscheinlich in dieser Gestalt aus dem Ei heraus. -— 2. Das zweite Stadium erstreckt sich bis zur Bildung der Schale. Die Sonderung eines Kopf- und Abdominaltheiles, die Bildung des Segels, des Fusses und des Speisekanales mit der Leber sind die Hauptmomente dieses Zeitraumes. — 3. Das dritte Stadium führt bis zur Entwick- lung der Sinnesorgane und wird durch die Bildung einer an- fangs napfförmigen, bald aber nautilusähnlich werdenden Schale, und das Auftreten der Mantelhöhle sowohl, wie des Deckels ausgezeichnet. — 4. Im vierten und letzten Stadium erscheinen das Ohr und das Auge, die Zungenknorpel und die Radula. Gegen das Ende desselben schwinden allmälig die Segellappen, während die Fühler an Länge zunehmen und die Neritina werlässt endlich die Eierkapsel. Mit dem Anfang des freien Lebens fällt etwa die Bildung des Herzens und der Kieme zusammen, während die Geschlechtsorgane erst viel später zur Entwicklung kommen. Die Entwicklung der Neritinen wurde von Anfang bis Ende Juli beobachtet. Zu dieser Zeit waren die ersten Stadien der Entwicklung verhältnissmässig nicht gar sehr häufig, und gegen den ersten August kaum noch zu treffen, so dass das Eierlegen wohl schon während des ganzen Junis Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis.. 937 stattfinden möchte. In den letzten vierzehn Tagen des Juli’s fand man schon nicht selten die jungen, eben ausgeschlüpf- ten auf Tiechogonien herumkriechenden Neritinen. Ueber die Dauer der ganzen Entwicklung sowohl, wie der einzelnen Stadien, liess sich nichts ermitteln. Wir konnten nicht ein- mal die Kapseln isoliren, die gleichzeitig gelegt wurden, da sie nur vereinzelt und nicht zu Schnüren vereinigt vorkom- men. Jedenfalls erfordert die ganze Entwicklung einen ziem- lich langen Zeitraum, da wir unter mehreren, drei Wochen lang aufbewahrten Kapseln einige fanden, deren Eier die Furchung zwar durchgemacht hatten, aber noch keinen Embryo enthielten, und nach Verlauf eines ganzen Mo- nats wurden noch die ersten Stadien der Entwicklung gefun- den. Dies stimmt mit den Angaben verschiedener Schrift- steller über andere Mollusken überein. So z. B. erwähnt Sars!) von den Embryonen der Tritonia Ascanü, dass sie erst am 31—36. Tage so weit herangewachsen und so gross geworden sind, dass sie nur mit Mühe im Ei Platz finden. Bei Doris muricata trat derselbe Zustand ebenfalls erst gegen den 36. Tag ein. Koren und Danielssen sahen erst am 11. April das Segel bei Buceinumembryonen ?) auf- treten, die sie schon am 6. März bekommen hatten, und vor dem Ende der neunten oder zehnten Woche verliessen die Purpuraembryonen °) die Eierkapsel nicht. Eine noch län- gere Zeit möchte wohl durch die Entwicklurg der Neritinen in Anspruch genommen werden. Das Stadium der Furchung allein muss ein sehr rasch vorübergehendes sein, da wir viele vollkommen gefurchte, aber niemals ungefurchte, auch nicht in der, Furchung begriffene Eier in den Kapseln fanden. Beim Ende dieses Aufsatzes angelangt, fühlen wir uns gedrungen, unserm hochverehrten Lehrer, Prof. Joh. Müller, der uns immer mit seinem Rath und sonstigen Hülfsmitteln beistand, unsern innigsten Dank hiermit auszusprechen. 1) Entwicklungsgeschichte der Mollusken und Zoophyten. — Archiv für Naturgeschichte. 1845. 2) Bidrag etc. p. 7. 3) Ibid. p. 31. 238 Edouard Claparede: Nachschrift. Vorliegender Aufsatz war schon im Druck begriffen, als wir, die eben erschienene zweite Lieferung der Fauna litto- ralis Norwegiae zu Gesicht bekamen. Es ist in derselben eine Angabe von Koren und Danielssen zu finden‘, wo- nach Lindström beobachtet haben soll, dass Neritina flu- viahilis sich gerade auf dieselbe Weise entwickelt, wie Pur- pura und Buccinum nach den Untersuchungen Koren und Danielssen’s selbst sich entwickeln sollte. Es ist uns sehr angenehm, dass wir die uns bis jetzt unbekannt gebliebene Notiz von Lindström !) dadurch kennen lernten; nachdem wir aber dieselbe durchgelesen haben, können wir nicht um- hin zu denken, dass die geehrten norwegischen Forscher etwas zu sangninisch zu Werke gegangen sind, wenn sie in Lindström’s Angabe eine Bestätigung ihrer eigenen Un- tersuchungen wollen gefunden haben. Es wird zwar vom schwedischen Verfasser gesagt, er hätte manche Vorgänge bei Neritina beobachtet, die auf eine gewisse Verwandt- schaft mit der Entwicklung von Buccinum und Purpura wohl hindeuten möchten, allein von einer Verschmelzung der Eier ist in der ganzen Notiz nirgends die Rede. Lindström giebt an, die Eierkapseln der Neritinen enthalten immer 30 bis 40 Eier ?) und trotzdem entwickle sich jedes Mal ein einziger Embryo, der den ganzen Raum erfüllt. Er stellt aber nicht die Vermuthung auf, dass dieser Embryo durch eine innige Vereinigung vieler Eier entstanden sei, sondern 1) Magister Lindström: Bidrag till Kännedomen om Östersjöns invertebrat-fauna. — Öfversigt af kongl. Vetenskaps- Akademiens för- handlingar. 1855. p. 68—50, 2) Wir haben durchweg eine grössere Anzahl (40 bis 60) Eier in den Kapseln angetroffen; dabei ist aber zu bemerken, dass Lind- ström Exemplare aus der Ostsee beobachtete und es ist nicht un- denkbar, dass dieses Vorkommen in Salzwasser gewisse Modifi- kationen, sowohl im Thiere selbst, wie in weniger wichtigen Momen- ten seiner Entwicklung hervorbringt. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 239 vielmehr, daerneben dem Embryo Ueberreste der gefurchten Eier stets vorfand, wirft er die Frage auf, ob. nicht vielleicht diese Eier dem Embryo als Nahrung dienen (Tjena de möjli- gen till föda ät embryo?). Lindström’s Vermuthung wird also durch unsere Beobachtungen vollständig bestätigt und an eine Bekräftigung der Ansicht Koren und Da- nielssen’s ist hierbei nicht zu denken. —- Nachträglich wol- len wir noch bemerken, dass Lindström schon beobach- tete, dass die Neritinenembryonen mit einem Segel ausge- stattet sind, und dass die Eierkapseln in der Ostsee sowohl auf Algen und Steinen, wie ‚auf Mytilus und andern Schal- thieren vorkommen. Wir wollen diese Gelegenheit benutzen, um noch Einiges über eine Abhandlung von Dr. Carl Semper!) zu bemer- ken, die erst, als unser Aufsatz bereits im Druck war, er- schienen ist. In dieser sonst so inhaltreichen Abhandlung bespricht der Verfasser den Bau des Schlundes und der Zunge bei den Pulmonaten und kommt dabei zu Resultaten, womit wir nicht einverstanden sein können. Nachdem Tro- schel die von ilım früher irrthümlich wegen Mangel an mi- kroskopischer Untersuchung als Muskeln (s. g. trogähnlicher Muskel) bezeichneten Zungenknorpel neulich ganz richtig für Knorpel erklärt hat, indem er die frühere irrige An- sicht zurücknahm, so verfällt wiederum Semper in den alten Irrthum, und erklärt die Zungenknorpel für wirkliche Mus- keln ?). Er giebt an, Lebert hätte bereits den Zungenapparat beschrieben, doch seien sowohl seine Beschreibung wie seine Abbildung so wenig naturgetreu, dass eine neue Darstellung noch gerechtfertigt erscheinen dürfte. Nichtsdestoweniger möchten wir den Lebert’schen Abbildungen und Beschrei- 1) Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmonaten, von Carl Semper, Dr. phil. aus Altona. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Novemberheft 1856. 2) Neuerdings hat wiederum Lacaze-Duthiers die Zungen- knorpel und zwar bei Dentalium entalis richtig erkannt und deren Bau mit Pflanzenzellen verglichen. — Comptes-rendus de l’Acad. des ‘Sciences; Seance du 19. Jany. 1857. 240 Edouard Claparöde: bung eine viel grössere Genauigkeit vindieiren, als Semper geneigt ist und wir möchten sogar behaupten, dass Lebert’s Darstellung uns naturgetreuer dünkt, als selbst die Sem- per’sche. Die von Lebert beschriebenen wahren Knorpel- zellen sollen nach Semper nichts Anderes sein, als Querschnitte von Muskelfasern, deren körnige Achsenstränge ihm auf dem Querschnitt als Kerne dieser Zellen erschienen sind. Diess wäre in der That ein grober Missgriff, allein die Knorpelzellen sind wirklich da, und wenn Lebert selbst seine Beobachtung später zurückgenommen haben sollte, wie Semper angiebt, so würde es uns für Lebert Leid thun.') Wenn Jemand die Zungenknorpel, sei es von Neritina, oder von Cyclostoma, Pomatias, Buccinum, Patella, Chiton u. S. w. einmal gesehen hat, dann kann er nicht begreifen, dass ein Streit über diesen Gegenstand entstehen kann. Semper’s Irrthum rührt einfach davon her, dass derselbe sich auf die Untersuchung der Pulmonaten beschränkte und weder die Ctenobranchier, noch andere Schneckenordnungen in den Kreis seiner Beobachtungen hineinzog. Wie wir nun schon andeuteten, eignen sich die Zungenknorpel der Pulmonaten viel weniger zur Untersuchung, als diejenigen vieler anderen Mollusken. Wir erwähnten, dass bei ihnen eine oft streifige Grundsubstanz vorhanden ist: ob diese Faserung der Grund- substanz eigen ist, oder ob sie dadurch hervorgebracht wird, dass sich einzelne Fasern der sich an die Knorpel ansetzen- den Muskeln zwischen die Zellen der oberflächlichen Knor- pelschicht hineinschieben, ist uns zwar zweifelhaft geblieben; man braucht aber nur ein frisches, gekochtes oder in Alkohol aufbewahrtes Exemplar der eben genannten Schnecken zu untersuchen, um sich auf den ersten Blick zu überzeugen, dass man nur mit Knorpelsubstanz und mit keiner einzigen Muskelfaser zu thun hat. Wenn dieser Punkt einmal ge- wonnen ist, so fällt es nicht schwer, einen richtigen 1) Wir glauben übrigens durchaus nicht, dass man Lebert’s sehr unbestimmt lautenden Satze einen solchen Sinn beilegen dürfe. — S. Ann, des Scienes Nat. 1850 p. 169. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 24] Blick in die histologische Natur der Zungenknorpel bei den Pulmonaten zu thun. Selbst einige Pulmonaten, wie z. B. Vitrina pellucida und sogar einige Helixarten, wie Heliz car- thusianella, lassen über die Knorpelnatur des fraglichen Or- ganes keinen Zweifel zu. Was Semper die beiden seitli- chen (Zungen-) Muskeln nennt, sind also die beiden Schenkel der rinnenartigen Knorpelplatte der Pulmonaten. Wie er sie aus einer Schicht senkrecht stehender Muskelfasern bestehen lässt, bleibt uns unbegreifiich. Er bemerkt zwar, dass bei den Wasserschnecken das Gewebe weniger dicht sei, indem sich hier häufig Bindesubstanzzellen in der Substanz des Or- ganes eingelagert finden sollen. Diese s. g. Bindesubstanz- zellen sind wahrscheinlich gerade die Knorpelzellen und man braucht nur Cyclostoma elegans zu untersuchen, um sich gleich zu überzeugen, dass die drei von Dr. Semper be- schriebenen Formen des s. g. Bindegewebes bei dieser Schnecke reichlich vorhanden sind, dass aber die Zungen- knorpel aus einem ganz anderen Gewebe, nämlich dem von uns geschilderten Knorpelgewebe bestehen. Eine Zellenver- mehrung nach demselben Schema wie in den Zungenknor- peln, findet in dem s. g. Bindegewebe niemals statt» — Der dritte von Semper beschriebene (Zungen-) Muskel ist jedoch wirklich ein Muskel und zwar der die beiden Schenkel der Knorpelplatte der Pulmonaten verbindende Muskel, dessen wir schon früher Erwähnung thaten, Die Darstellung des Fressens und der Speisezerkleinerung, wie wir sie den vortrefflichen Beobachtungen Troschel’s verdanken, scheint uns noch richtiger als die neue von Semper. In Bezug auf die hintere Papille wollen wir ins- besondere bemerken, dass wir nicht für wahrscheinlich halten, dass sie die ihr von Semper zugeschriebene Rolle spielt. Wir haben zwar die hintere Papille der Pulmonaten nicht näher untersucht, sie wird aber wohl ähnlich beschaffen sein und eine ähnliche Function haben, wie bei den Schnecken mit bandförmiger Zunge (wie z.B. Pomatias, Cyclostoma, Ne- ritina u. S. W.), wo sie nicht zum Vorwärtsschieben der Zunge dient, sondern zur Bildung der neuen Plattenreihen. Tro- Müller’s Archiv. 1857. 16 242 Edouard Claparede: sc.hel hat schon ganz richtig angegeben, dass beim Fressen nur der vordere kleinere Theil der Reibmembran in Betracht kommt, wie das auch nothwendig ist, wenn dieselbe die Länge des Thieres erreicht, wie bei Pomatias maculatum, oder noch bedeutend länger ist, wie bei den Patellen. Wo die Papille im hintersten Theile der Leibeshöhle zwischen den Darmwindungen steckt, da kann sie sich nicht bei der Zer- kleinerung der Nahrungsmittel betheiligen. Semper’s Vor- wurf gegen Lebert, er habe die Papille nur oberflächlich erwähnt, dünkt uns etwas ungerecht und wir müssen unsere Ansicht dahin aussprechen, dass unter allen bisherigen Beob- achtungen über die hintere Zungenpapille, die Semper’schen mitgerechnet, die Angaben von Lebert noch immer die na- turgetreuesten sind. Lebert hatte wenigstens das Verhält- niss der Papille zur Zungenscheide sehr richtig aufgefasst, während Semper dasselbe ganz übersehen zu haben scheint. Ebenfalls während dieser Aufsatz gedruckt wurde, er- schien eine Abhandlung von Adolf Schmidt!) über das Gehörorgan der Mollusken, wo der Verfasser denselben Gang an der Gehörkapsel von Heliz vermiculata, Limaz variegatus und Physa fontinalis beschreibt, den wir bei Neritina erwähn- ten. Diese Entdeckung von Adolf Schmidt wird also durch unsere gleichzeitige Beobachtung bestätigt und da wir ausserdem die Existenz dieses Kanales bei Pomatias maculatum mit Bestimmtheit erkannt haben, so erscheint es ziemlich wahrscheinlich, dass derseibe den Cephalophoren im Allge- meinen zukommen wird. Schmidt ist sogar so glücklich gewesen, den Kanal bei Physa fontinalis bis zur äussern Hautbedeckung zu verfolgen, so dass kaum ein Zweifel über dessen Bedeutung als äusserer Gehörgang obwalten möchte. Schmidt hat die Beflimmerung des Kanales nicht wahrge- nommen und sie ebenfalls in den Gehörkapseln vieler Mol- lusken vermisst. Dadurch wurde er zu der sonderbaren Ansicht 1) Ueber das Gehörorgan der Mollusken. — Giebel und Heintz’s Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Novemberheft 1856. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 2943 geführt, dass die Flimmercilien, selbst da, wo sie unzweifel- haft vorhanden sind, das Zittern der Otolithen nicht bewir- ken. Vielmehr meint er, dass letztere Körperchen, „welche einer so specifischen Lebensthätigkeit (Aufnahme von Schall- wellen?) dienen,“ unter dem Einfluss „einer unsichtbaren Kraft des Organismus“ stehen müssen! Es ist wie ein Nach- klang aus der schönsten Zeit der Naturphilosophie! — Er- wähnenswerth ist auch, dass mehrere Ohrsteine, die Schmidt in Glycerin gelegt und in der warmen Stube aufbe- wahrt, sich aufgelöst haben. Der Verfasser versucht diese auffallende Erscheinung dadurch zu erklären, dass sich viel- leicht eine Säure in dem Glycerin gebildet habe. Es möchte indessen noch wahrscheinlicher erscheinen, dass die betref- fenden Otolithen, wie diejenigen von Neritina, nicht aus Kalk, sondern vielleicht aus einer fettähnlichen Substanz be- standen. Zum Schluss wollen wir noch hinzusetzen, dass es uns neuerdings durch die Freigebigkeit des Direktors des Ber- liner zoelogischen Museums, Herrn Geheimerath Lich ten- stein, möglich wurde, eine ganze Anzahl Neriten aus den aussereuropäischen Meeren zu untersuchen. Es hat sich da- bei herausgestellt, dass das Nervensystem der Neriten nicht so einfach gestaltet ist, wie Quoy und Gaimard behaup- ten, sondern mit demjenigen der Neritinen vollkommen über- einstimmt. Dieselbe Uebereinstimmung besteht in Betreff der Gehörkapseln und der Otolithen. Der Deckel zerfällt bei den Neriten, gleichwie bei den Neritinen, in zwei Schichten, deren äussere strukturlos und braun gefärbt ist, während die innere einen faserigen Bau besitzt und mit Kalk inkrustirt ist. Jene Schicht besteht nicht, wie man leicht glauben dürfte, aus Chitin, denn sie löst sich in caustischem Kali auf. — Dagegen weicht allerdings der Bau der weiblichen Ge schlechtsorgane bei den Neriten von Neritina bedeutend ab und Quoy und Gaimard’s Darstellung scheint in dieser Beziehung ziemlich genau zu sein. Einwärts von der Ge- schlechtsöffnung befindet sich links vom Darme und theil- weise auch auf der Rückenseite desselben eine geräumige 16 * 244 Edouard Clapar&de: Tasche, die zweifelsohne mit der Tasche zusammenfällt, welche von Quoy und Gaimard voll „kreideartige Eier“ gefunden wurde. Dieselbe enthält aber bei den untersuchten Neriten keine Eier, sondern grosse, feste, aus concentrischen Schichten bestehende Concremente. Beim ersten Anblick hielten wir dieselben entweder für Harnsäure, oder auch vielleicht für kleesauren Kalk, weil wir neuerdings ein Organ bei Cyelostoma elegans ausfindig machten, welches ganz ähnlich aussehende, aus oxalsaurem Kalke bestehende Con- cremente enthält. Bei der näheren Untersuchung zeigte sich jedoch, dass jene Körper aus kohlensaurem Kalke bestehen. Es zerfallen dieselben bei Anwendung von Druck in conische Nadeln, die nach dem Mittelpunkte zu convergiren. Sie stellen bei der Nerita peloronta Lin. aus St. Croix (Westin- dien) kreideweisse, regelmässig kuglige oder eiförmige Kör- per dar, deren Durchmesser bis 0,08 oder gar 0,12 Mm. be- trägt. Bei der Nerita atrata Chemnitz aus Van Diemens- insel sind die Concremente ebenfalls kreideweiss und kuglig. Die grössten sind etwa 0,05 Mm. breit, aber es kommen noch mehr Solche vor, die nur 0,01 bis 0,03 Mm. gross sind. — Wir konnten auch eine ziemlich grosse Anzahl von Nerita albicilla L. untersuchen, die von Hemprich und Ehren- berg aus dem rothen Meere mitgebracht wurden. Beim Aufschneiden derselben fiel sogleich auf, dass die Tasche an- statt weiss auszusehen, sich durch eine dunkelrothe Farbe auszeichnete. Die Concremente sind in der That bei dieser Species nicht weiss, sondern bräunlich roth. Der concen- trische Bau scheint in denselben deutlicher durch, als bei den vorigen Arten. Ausserdem sind sie nicht sphärisch gestaltet: sie stellen nämlich dicke Scheiben dar, deren Durchmesser im Durchschnitt 0,05 und deren Dicke 0,022—0,024Mm. beträgt. Nicht selten sind die Schichten nicht nur um ein, sondern um zwei, drei oder selbst vier Oentra abgelagert. — Ein ähn- liches Organ geht durchgehends den Männchen ab, so dass man nicht bezweifeln kanu, dass diese Tasche dem weibli- chen Geschlechtsapparat angehört, obgleich es nicht möglich war, der Mürbheit der Spiritusexemplare wegen, mit Be- Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluviatilis. 245 stimmtheit zu erkennen, ob die Tasche in den untern Theil der Vagina oder direet nach aussen mündet. Es erscheint nicht ganz unwahrscheinlich, dass die von Quoy und Gai- mard erwähnten „kreideartigen Eier“ solche Concremente gewesen sind. Die Bedeutung des Organes ist höchst räth- selhaft. Es ist kein Ersatz für die Nebendrüse des Ge- schlechtsapparates, denn diese ist ausserdem vorhanden. Eine ähnliche Abscheidung von Kalkconcrementen kommt sonst, so weit uns bekannt, bei anderen Mollusken nicht vor. Die Bezeichnung „Kalksäckchen* oder „Kalkbeutel* die Swammerdam für die Niere der Pulmonaten gebraucht, könnte hier richtiger angewendet werden. — Es wäre nicht undenkbar, dass zur Brunstzeit kalkhaltige Eierkapseln in der Tasche gebildet werden, während sonst der unver- brauchte Kalk unter der Gestalt von concentrisch geschich- teten Conerementen abgeschieden werde. Jedenfalls bleibt diese Beobachtung höchst interessant, insofern als sie eine anatomische Unterscheidung der Gattungen Nerita und Neri- tina fortan gestatten wird. Bei einer Trochusart (T. turbinatus Born.) aus dem Mit- telmeer, die wir vergleichungshalber untersuchten, fand sich kein Kalkbeutel vor. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Pigmentzellen aus dem Mantel. Fig. 2. Längschliff des Deckels: a. äussere, b. innere Schicht. Fig. 3. Die faserige Schicht des Deckels mit Säuren behandelt. Fig. 4. Oberhaut der Schale. Fig. 5. Tangentieller Schalenschliff, mit Gängen des bohrenden Parasiten. Fig. 6. Senkrechter Schliff mit eben solchen Gängen. A. äussere, B. innere Schicht. Fig. 7. Schlundring. a. Obere Schlundganglien, b. obere Quercom- missur, e. Fühlernerv, d. Sehnerv, e. die doppelten seitlichen Schenkel, f. untere vordere Schlundganglien, g. untere hintere Schlundganglien, h. Gehörbläschen. Fig. 8. Fühler mit Ommatophor. a. Sclerotica (zwei Schichten). 246 Edouard Claparede: b. Choiroidea, e. Linse, d. unbeflimmerte Conjunctiva, f. Fühlernerv, — Fig. 8. A. Zellen der Chorioidea. Fig. 9. Gehörbläschen. a. der noch vorhandene embryonale Oto- lith, b. Kapsel, e. Epithelialschicht. Fig. 10. Lippenknorpel.» Fig. 11. Zungenapparat, a. vorderes, c. hinteres Zungenknorpelstück, b. Aufsatz des vorderen Zungenknorpelstücks, d. Radula, e. deren Flügel. N Fig. 12. Ausgewachsene Knorpelzellen aus den Zungenknorpeln von Neritina fluviatilis. Fig. 13. In der Proliferation begriffene Knorpelzellen von Neritina fluviatilis. Fig. 14. Schnitt durch einen Zungenknorpel von Cyclostoma elegans. Fig. 15. Schnitt durch einen in der Proliferation begriffenen Knor- pel von Cyelostoma elegans. Diese beiden Zeichnungen wurden mit Hülfe der Camera lucida skizzirt. Fig. 16. Knorpelzellen aus der Zungenknorpelplatte von Vilrina pellueida. Fig. 17. Durchschnitt der Zungenknorpelplatte von Helix carthu- sianella mit in der Proliferation begriffenen Knorpelkörperchen. Fig. 18. Zungenknorpelapparat von Patella vulgata. a. hinteres, b. vorderes Hauptknorpelstück, c. der ein selbstständiges Knorpelstück vorstellende Aufsatz, d. vorderes seitliches Stück (Osler's lateral jaw). Fig. 19. Zungenknorpelapparat von Pomatias maculatum. a. Vor- deres, b. hinteres Stück. Fig. 20. Zungenknorpelplatte von Olausilia parvula. Fig. 21. Dasselbe von Pupa secale. Fig. 22. Dasselbe von Zimaz agrestis. Fig. 23. Dasselbe von Helix carthusianella. Fig. 24. Dasselbe von Fitrina pellucida. Fig. 25. Dasselbe von Ancylus fluviatilis. Fig. 26. Senkrechter Durchschnitt durch die Reibmembran von Neritina in der natürlichen Lage. a. Mittelreihe, c. d, e. die drei anderen Hauptreihen, f. Seitenhäkchen. Fig. 27. Hinteres Ende der Zunge. a. Zungenscheide, Fig. 28. Eingeweide von Neritina fluviatilis. a. Deckel, b. grosser, b’kleiner Lappen derLeber, c. grosser, c‘’ kleiner Lappen der Geschlechts- drüse, d. Nebendrüse des Geschlechtsapparates, e. Zungenknorpel, f. Zunge, g. Speiseröhre, h. Magen, i. das kammförmige Organ, k. die umgeklappte Darmschlinge, 1. Mastdarm, m. After. Fig. 29. Männlicher Geschlechtsapparat. a. Hoden, b. Ductus de- ferens, c. schlauchförmige Erweiterung desselben, Samenblase, d. Ne- bendrüse, e. Ruthe, f. Darm, g. After, h. Herz, i. Kieme, k. Kie- menvene. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina Auviatilis. 247 Fig. 29 A. Inhalt der männlichen Nebendrüse. a. gewöhnliche Drüsenzelle, b. Drüsensekret bei 400maliger Vergrösserung, c. die sel- teneren mit einem grossen Kern versehenen Drüsenzellen. Fig. 30. Weiblicher Geschlechtsapparat. a. weibliche Nebendrüse, b. Eileiter, c. Samentasche, d. Scheide, e. Scheidenöffnung, f. kugelige Anschwellung der Gebärmutter, g. Darm, h. After. A. Drüsenzelle aus der weiblichen Nebendrüse. Fig. 31: Die weibliche Samentasche, stärker vergrössert. a. Stiel der Samentasche, b. der sich in die Nebendrüse senkende Gang. Fig. 32. Inhalt des Hodens. a. Epithelzellen der Drüsenfollikel, b. Mutterzellen der Entwicklungszellen der Zoospermien, c—f. Ent- wicklungszellen der Zoospermien in verschiedenen Entwicklungsstadien, g—h. der aus der Zelle auskriechende Samenfaden. Fig. 33. Ein Eierstockfollikel. Fig. 34. a. reifes Eierstocksei, b. isolirtes Keimbläschen. Fig. 35. Ein Stück des unteren Segmentes der Eierkapsel. Fig. 36. Gestreifter Rand eines Kapselsegmentes. Fig. 37. Gefurchtes Ei aus einer Eierkapsel. Fig. 38. Ein in dem Ei rotirender Embryo. Fig. 39—45. Verschiedene Entwicklungsstadien der Larve. Die Bezeichnungen sind für alle Figuren dieselben. a. Segel, b. Mund, c. Speiseröhre, d. Fuss, e. gemeinschaftliche Anlage des Magens und der Leber, e‘ Magen, e“ Leber, f. Leibeshöhle mit den Anhef- tungssträngen der Eingeweide, g. Auge, h. der zum Fühler werdende Höcker, i. Gehörbläschen, k. Schale, 1. Mantelrand, I‘ Pigmentstreif an demselben, -m. Mantelhöhle, n. Deckel, o. Pigmentmaschen des Mantels, p. die beiden Brustlappen, q. Zungenknorpel, r. Radula, y. in die Mantelhöhle zufällig hineingekommene Dotterkugeln. Fig. 39—40. Zwei noch schalenlose Embryonen. Fig. 40 A. Eine der Dotterkugelgruppen, die vom Embryo aufge- fressen werden; a. die dünne, farblose Schicht, worin die Dotter- körnchenstrassen ihren Sitz haben. Fig. 41. Eine noch napfförmige Embryonalschale. Fig. 42. Ein weiter fortgeschrittener die Brustlappen zeigender Embryo. Fig. 43. Ein Embryo mit Deckel und eintretender Sonderung von Fühler und Ommatophor. Fig. 44. Ein Embryo im Stadium, wo die Rückbildung des Se- gels anfängt; der Mantel hat sich zufällig von der Schale abgelöst. Fig. 45. Weitere Rückbildung des Segels, Auftreten des Zungen- apparates. Fig. 46. Embryonale Leibes- und Mantelparemchynzellen. Fig. 47. Embryonaler Zungenapparat. a. vorderes, b. hinteres Zun- 248 Ed. Claparede: Anat. u. Entwicklungsgesch, d. Nerit, ete. genknorpelstück, ce. Radula. A. Die embryonalen Knorpelzellen stark vergrössert. Fig. 48. Embryonale Muskelfasern aus dem Segel. Fig. 49. Der embryonale Processus des Deckels. Fig. 50. Gehörbläschen eines Embryos. Fig. 51. Stark vergrössertes Embryonalgehörbläschen, um ‚das Epi- thel zu zeigen. Der Otolith schimmert durch. Fig. 52. Embryonales Auge. a. Das aus embryonalen Parenchym- zellen bestehende Ommatophor, b. Augenblase. c. Fühler. Fig. 53. Stück des Segels; a. Zellen des verdickten Segelrandes; b. die Zellen, womit die Segelmembran ausgekleidet ist. Fig. 54. Stück der Embryonalschale stark vergrössert, Joh. Müller: Ueber die Fische, welehe Töne von sich geben ete. 249 Ueber die Fische, welche Töne von sich geben und die Entstehung dieser Töne von JoH. MÜLLER. (Nach einem in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 10. Januar 1856 gehaltenen Vortrag.) Dass es Fische giebt, die Töne ausstossen, kann man an manchen Meeresküsten von den Fischern erfahren, welche diese Fische bezeichnen. Die Namen einiger Fische bei den Alten und Neuern, %62xzvf, Knurrhahn, Grondin, Drumfish, Roncador weisen auch deutlich genug darauf hin. Wir dür- fen uns daher nicht wundern, wenn diese Nachrichten früh- zeitig aufgezeichnet worden sind. So alt aber diese Kunde ist, so beruht doch fast alles, was wir bisher darüber erfah- ren haben, auf Aussagen der Fischer und Schiffer. Nur sehr selten ist ein Naturforscher in die Lage gekom- men, selbst eine Beobachtung hierüber anzustellen. Daher ist man noch gänzlich über die Ursache dieser Töne im Dunkel geblieben. Ich habe diesen Gegenstand seit langer Zeit mit Aufmerksamkeit verfolgt, und da ich selbst in den Fall gekommen bin, an drei Gattungen von Fischen, nämlich an Dactylopterus, Trigla und Cobitis das Tönen zu beobach- ten, so habe ich mich entschlossen, die Nachrichten zusammen zu stellen und in wissenschaftlicher Form zu weiterer Anre- gung des Gegenstandes zu übergeben. Ich werde zuerst die Berichte der Alten aus der Zeit vor der systematischen 250 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben Kenntniss der Fische mittheilen und die pisces vocales des Alterthums, so gut es geht, zu bestimmen suchen; sodann werde ich ein systematisches Verzeichniss der bis jetzt be- kannten pisces vocales, mit Angabe der Quellen folgen lassen und zuletzt mit den Beobachtungen über das Tönen der Fische und seine Ursachen schliessen. I. Berichte aus dem Alterthum über pisces vocales. Aristoteles berichtet in der Thiergeschichte !) 4. 9. von 6 Fischen, welche diese Eigenschaft haben. Es sind Avoa, Hoöuıs, 202xvE, zangos, Xalzevs und yelıdav. Die ganze Stelle heisset also: Auch die Fische sind stumm; denn sie haben weder Lunge noch Luftröhre und Kehlkopf. Doch geben diejenigen einige Töne und Geräusche von sich, von denen man sagt, dass sie Stimme haben, wie Lyra und Chromis, denn diese stossen eine Art Grunzen aus; auch Kapros im Flusse Acheloos; ferner Chalkeus und Kokkyx; nämlich jener giebt ein Geräusch wie ein Schnurren, dieser aber einen Ton, wie der Kokkyz (Kukkuk), woher er auch den Namen hat. Alle geben die scheinbare Stimme theils durch das Reiben der Kiemen, denn da sind dornige Stellen, theils aus den Theilen im Bauche. Denn ein Jeglicher von jenen enthält Luft, durch deren Rei- bung und Bewegung sie die Töne hervorbringen. Auch einige von den Knorpelfischen scheinen ein Geräusch zu machen; doch muss man dies nicht Stimme nennen, sondern Schall. Denn auch die Kammmuscheln, wenn sie auf dem Wasser dahinziehen, was man Fliegen nennt, geben ein Geräusch, wie auch die Meerschwalben Chelidon; sie fliegen nämlich ebenso ohne das Meer zu berühren. Denn sie haben breite und lange Flossen. Wie bei den fliegenden Vögeln ist der von den Flossen hervorgebrachte Ton keine Stimme, und so auch bei keinem der andern. Die vocalen Fische, wie die des Acheloos werden noch einmal de anima 2. 8. erwähnt, dass sie mit den Kiemen oder irgend etwas anderem der Art tönen. 1) Ich ceitire nach der Ausgabe von Schneider. und die Entstehung dieser Töne. >51 Bei zweien von diesen aristotelischen Fischen habe ich Gelegenheit gehabt, die Thatsache zu beobachten; es liegt aber daran, von allen, welche Aristoteles genannt hat, so weit es möglich ist, festzustellen, wer sie sind. Ich verweile nur einen Augenblick bei dem, was von den Kammmuscheln hier und Thiergeschichte 4. 4. 4. und wieder 9. 25. 7. gesagt wird. In der vorletzten Stelle heisst es: Einige behaupten, dass die Kammmuscheln fliegen, indem sie auch aus dem Schleppnetz, womit sie gefangen werden, oft herausspringen. Die letzte Stelle sagt: von den Schalthieren und Fusslosen bewegt sich die Kammmuschel am meisten und stärksten, indem sie von selbst flieget. Die Thatsache ist im Allgemeinen ganz richtig. Die schiessende oder springende Bewegung zeichnet die Kamm- muschel vor andern Bivalven aus nnd erhebt sie leicht vom Boden. Plinius, nat. hist. l. 9. 52 sagt: Saliunt pec- tines et extra volitant seque et ipsi carinant. Massarius hat schon einiges Nähere darüber. Massarii Veneti in no- num Plinii librum castigationes et annotationes. Basil. 1537. p- 223. Er erklärt sich gegen das Fliegen der Kamm- muscheln durch die Luft. Et quoniam sua cuique potest esse sententia, ego non existimo pectines volare posse per aöra. Cum enim callo illo interiore ambae testae adeo con- nexae sint, ut difficile divelli queant, non possunt ita libere aperiri, ut volare valeant. Quam ob rem volare hoc in casu pro salire celeriter in modum volatus et discurrere de loco ad locum potius interpretarer. Pectines enim tanta velocitate de- hiscunt, ut ex vehementi repercussione saliant et superjac- tent ut quasi volare videantur. Welches ziemlich richtig ist, wenn man verbessert, dass nicht die Dehiscenz der Schalen durch das elastische Schlossband, vielmehr das musculare Schliessen derselben den Impuls giebt. Diese Art des Schwimmens ist dem Schwimmen der Sepien durch Contrac- tion des sackförmigen Mantels und Austreiben des Wassers zu vergleichen. Olivi hat in seiner Zoologia adriatica Bassano 1792 p. 252 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche 'Töne von sich geben 120 ausführlicher von der Bewegung der Kammmuscheln ge- handelt und angegeben, dass sie aus einer Tiefe von 100 und mehr Fuss bis zur Oberfläche des Wassers sich erheben kön- nen, indem sie beständig das Oeffnen und Schliessen der Schalen wiederholen. Olivi sagt nichts von Tönen, die da- mit verbunden seien, solche könnten aber wohl von dem Zusammenschlagen der Schalen, wie bei den Castagnetten entstehen. Chelidon. Die Stelle von den rauschenden Meerschwalben ist die einzige, wo dieser Fisch von Aristoteles bezeichnet wird. zei al yelıdoves ai Balcrrıcı. Öuoiwg yap zul avıcı neroyre UErewooL o0y AnTousveı ın5 Haharıns. TE Yag nATepUyı@ Eyovoı nAarea zei unxoec. Also ein fliegender Fisch mit brei- ten langen Flossfedern, der beim Fliegen einen Ton hervor- bringt. Die folgende Stelle und der Vergleich mit den flie- genden Vögeln soll dann die Erklärung des Tons geben, den Aristoteles von der Bewegung der Flossen in der Luft ableitet. Im Mittelmeer giebt es zwei fliegende Fische, einen Stachelflosser aus der Familie der Panzerbacken Cataphracti und einen Weichflosser aus der Familie der Scomberesoces, die ich in meiner Abhandlung über die natürlichen Familien der Fische aufgestellt habe, Ezocoetus ezsiliens. Aus dem ‘ Aristoteles allein hat sich bisher nicht bestimmen lassen, welcher gemeint sei, da man von Keinem beider bisher er- fahren hat, dass er eine Stimme habe. Daher waren auch die Bestimmungen der yelıdav Yalaırıa getheilt, welche von Belon und Salviani für den Ezocoetus ezsiliens, von Ron- delet für den Dactglopterus volitans genommen ist, welches auch schon die Ansicht des Gyllius war; denn dieser sagt in seiner Abhandlung von 1533: de gallieis et latinis nomi- nibus piscium massiliensium: Hirundo, Coceix similes sunt. Rondelet hat für seine Meinung das Zeugniss des Speu- sippus bei Athenaeus 7. 2]. angeführt, dass zöxzu£, yslıdov und roiyln Sich gleichen. Cuvier führt für dieselbe Ansicht den Oppian Halieuticon 2. V. 457—459 an, wo er und die Entstehung dieser Töne. 253 oxoenios, zelıdwy und do«zwv als Fische mit Stacheln aufge- führt sind. Einen entscheidenden Beweis für die Erklärung der Che- lidon als Dactylopterus volitans würde man erst erlangen, wenn man beweisen könnte, dass dieser Dactylopterus über- haupt Töne hervorbringt, wie es Aristoteles von Ohelidon aussagt, Und diese Thatsache haben wir im Jahre 1853 aus Sieilien mitgebracht, worüber im dritten Abschnitt zu berich- ten ist. Kokkyx. Vom Kokkyx wissen wir durch Nume nius, dass er roth ist. Gyllius sagt, dass ihn die Marseiller Galline, die Neapolitaner Coechum, die Sicilianer Cochum nennen. Das ist eine Trigla L., deren Arten überall als knurrende Fische, Knurrhähne bekannt sind. Eine weitere Bestimmung einer der rothen Triglaarten auf den Kokkyx, wie sie Rondelet und Salviani versucht haben, ist aufzugeben. Gyllius erzählt, er habe die Fischer gefragt, ob der vorgenannte Fisch einen Ton habe und sie hätten geantwortet, wenn er sich im Netz gefangen fühle, so gebe er eine Art Ton von sich, weiter hätten ‚sie nichts beobachtet. Ferner berichtet Duhamel traite des pEches II. sect. V. Cap. 4. p. 106 von dem Grunzen der Triglen, auch nach den Aussagen der Fischer, die nicht übereinstimmen, da diese Fische nach den einen schon unter dem Wasser, nach den andern nur an der Luft grunzen sollen. Lyra. Die Lyra des Aristoteles ist ganz unbestimmbar, da Aristoteles nichts weiter über diesen Fisch hat. Belon war (er erste, der den Namen Lyra auf den Malarmat unter den Trigliden (Peristedion malarmat) anwandte. I’'hist. nat. des estranges poissons marins. Paris 1551. p. 19. Rondelet hat eine Trigla so genannt wegen des Tönens und der ge- theilten Schnauze, die an die Hörner der antiken Lyra er- 954 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben innere. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass die Lyra un- ter den Triglen versteckt ist. Bei ‚Aelian 10. 11. grunzt die Saura, wird aber mit Chromis, Kapros, Chalkis und Kokkyx genannt und die Saura steht offenbar an der Stelle der Lyra. Chalkeus. Man muss mit Schneider nnd einigen älteren yalxeös wel- ches Schmied bedeutet, nicht yaizis lesen, welcher letztere Name sich auf einen Flussfisch bezieht, während yalxsls ein Seefisch ist. Vergl. Arist. Thiergeschichte 5. 9. 1. und 6. 13.1., wo von beiden ganz verschiedenes in Beziehung auf die Zeu- gung angegeben ist. Auch ist schon im Athenaeus 7. 24. bemerkt, dass yeaizis und yalzsös verschieden seien. Es ist allein des Gyllius Verdienst, welches sich Rondelet und Salvianizu Nutz gemacht, ohne ihn hierbei zu nennen, dass er diesen Fisch mit Wahrscheinlichkeit aus den Namen be- stimmt hat, welche er bei verschiedenenen Nationen führt und das ist in diesem Fall ohne alle Abbildungen möglich gewesen. Gyllius hat nämlich den Chalkeus der Griechen in dem so bestimmt gezeichneten Fisch erkannt, den man in Rom pesce San Pietro St. Petersfisch nennt. Paulus Jo- vius sagt in seiner Schrift: de romanis pisecibus Roma 1524 ce. 26 von der Citula sive saneti Petri pisce: Sunt in utroque latere gemini orbes, qui bina imprimentium digitorum vestigia esse videntur, Paulus Jovius spielt hier auf die Volks- oder Fischersage der Lateiner an, dass dieser Fisch von dem Apostel beim Angeln ergriffen worden und die Eindrücke der Finger behalten habe, obgleich es doch ein Meeresfisch ist. Derselbige Fisch hiess bei den Griechen zu Gyllius Zeit Christopsaron, Christusfisch und wurde in den Kirchen auf- gehängt, Gyllius meint, weil er ehemals Zeus Juppiter ge- heissen habe. Rondelet dagegen uud Salviani erklären diese Benennung der Neugriechen daraus, dass Christophorus durch das Meer schreitend den Fisch mit den Fingern ge- fasst habe. Von diesem Fisch wird ferner berichtet, dass und die Entstehung dieser Töne. 255 er bei den Liguriern Rota, zu Marseille Truäie !), in Spanien Gall heisse. Truöie d. i. Schwein, sagt Gy llius, heisse er, weil er, wenn er gefangen werde, nach dem Zeugniss der Marseiller grunze. Derselbe Fisch wurde nach Gyllius Zeug- niss von den Dalmatiern Faber genannt. Als er sie fragte, warum sie ihn so nennen, antworteten sie, deswegen, weil er alle Schmiedewerkzeuge an sich trage; das habe er so- gleich richtig gefunden. Es sind die Knochentuberkeln längs dem Rücken und Bauche gemeint. Columella sowohl als Plinius behaupten, Zeus und Faber wäre eins und dasselbe. Auf diese Gründe hin sind die Namen Zeus, Faber, Chal- keus auf den St. Petersfisch übertragen, dessen systemati- scher Name noch jetzt Zeus Faber ist. Es verdient noch eine Bemerkung des Paulus Jovius zur Citula oder St. Petersfisch angeführt zu werden. Er sagt nämlich 1. c. cap. 27. Quo autem nomine latini veteres graeci- que illum appellarint, pro constanti affirmare non possum. Quibusdam videtur esse Chalcis de genere Rhomborum apud Oolumellam. Dass Chaleis, der bei COolumella de re rust. l. 8. c. 17 unter andern Fischnamen mit unterläuft, de genere Rhomborum d. h. der flachen Fische, wie sie Colu- mella an einer andern Stelle bezeichnet, sei, ist dort nicht zu lesen. Dagegen rührt diese Deutung von Chaleis von Me- rula her, in dessen Priscarum vocum in libris de re rustica enarrationes die Erklärung steht: Chaleis piscis est de ge- nere rhomborum. Es: bleibt unerklärlich, wie Chaleis zu Jo- vius Zeit, also vor Gyllius bei dem St. Petersfisch ange- führt werden konnte, wenn es nicht etwa Chalceus ist und wenn nicht etwader dalmatischeName Faber oder Fabro damals noch eine weitere Verbreitung hatte. Es liegt wenig daran, des Jovius eigene Meinungen über die Deutung des Chalcis zu erfahren; denn er deutet ihn auf eine ganze Anzahl Fische zugleich. Daher denn auch Gyllius Grund hatte zu sagen: Quod autem quibusdam modo videatur Chaleis, modo Ga- leos, modo Columbus, modo Citharus et Situlus, possem 1) Truege oder Trueue nach Belon. 256 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben amplissime confutare, nisi amarem eos, qni primi conati sunt huie parti Jucem aliquam afferre. Alle Spätern sind dem Gyllius gefolgt, Rondelet und Salvianithun es stillschweigend, obgleich Salviani bemerkt, dass der Fisch in Dalmatien Faber heisse. Rondelet und Salviani bringen auch den Namen Christopsaron an, ja sie führen sogar an, dass der Fisch, wenn er gefangen wird, grunze und es entsteht der Verdacht, dass sie auch dieses nicht direct beobachtet oder selbst von Fischern berichten gehört haben, dass es vielmehr auch nur ein Echo der Nach- richten ist, die Gyllius auf seiner ersten Reise gesammelt und in seinem Werke niedergelegt hat. Chromis. Salviani hat sich mit gutem Grund ganz enthalten, diesen Namen auf einen bestimmten Fisch anzuwenden, der Versuch von Rondelet aber, ihn auf den Oastagno der Proven- galen zu beziehen, ist gänzlich misslungen. Indess hat dieser Castagno dadurch die Namen Sparus Chromis L. und Chro- mis castaneus Cuv. davongetragen. Zu der von Cuvier ge- gründeten Gattung Chromis wurde von ihm auch ein Nilfisch, der Bolty, Labrus niloticus Hasselquist, als Chromis niloticus gezogen, bis ich in meiner Abhandlung vom Jahre 1843 (Monatsbericht) zeigte, dass der Chromis castaneus des Mit- telmeeres zu einer andern Familie von Fischen. als der Chro- mis milotiens des Nils gehört, zu einer Familie, welche von Cuvier ohne Grund mit den Sciaenoiden vermengt worden, und dass der Chromis castaneus Cuv. nichts anderes als eine Art der Gattung Heliases Cuv. ist. Der Chromis des Ron- delet ist daher jetzt Heliases castaneus geworden und ge- hört als solcher zur Familie der Pomacentriden, der Chromis niloticus oder Bolty zur Familie der Chromiden, deren wei- tere Glieder in den Flüssen Südamericas vertheilt sind und welche dem Chromis des Aristoteles wo möglich noch ferner stehen als der Ckromis des Rondelet. Schon durch Gyllius war das Material beschaftt worden, den Nanıen der Alten für den Castagno der Provencalen aus und die Entstehung dieser Töne. 957 zumitteln und es gereicht Salviani und Rondelet zum Vorwurf, dss sie es nicht benutzt haben. In seiner Abhand- lung p. 551 heisst es: de coracino sive corvulo: Cum piscem quem Massilienses vocant Castaneum a colore castaneae pis- catori cuipiam ostendissem, dixit in Corsica, unde ille ortus esset, vocari Corvulum. Cum Neapolitano etiam piscatori demonstrassem, statim respondit, Coraeinum Neapoli vulgo nominari, a quorum probando tam diu judicio me sustinebo, quoad videro, magis similem quem Speusippus in libro si- milium melanuri dicit similitudinem gerere, Hierdurch haben wir erfahren, dass vielmehr der zoorzivoc des Aristoteles, der nach Thiergeschichte 5. 9. 4. ein kleiner Fisch ist, auf den Castagno oder Chromis castaneus Cuv. (Heliases castaneus Müll.) zu beziehen ist, es ist dies die . Ansicht, welche auch von Cuvier angenommen ist. !) Das Verdienst, welches sich Gyllius durch sein kritisches und methodisches Verfahren verbunden mit hinreichender Sachkunde erworben, ist um so mehr hervorzuheben, als seine Methode original und ohne Vorgänger war; denn den Versuch des Paulus Jovius kann man kaum dafür an- sehen. Die grossen Leistungen des Belon, Rondelet und Salviani, welche in der Mitte des 16. Jahrhunderts auf ein- mal fast gleichzeitig auftreten, würden auch unbegreiflich sein wenn nicht Gyllius 20 Jahre früher den Geschmack für die schärfere Erkennung der Naturkörper geweckt hätte. Die damalige Verbreitung der Griechischen Literatur war gewiss sehr wichtig für die Belebung der Geister, aber sie 1) Was den im Athenaeus, Strabo und Plinius erwähnten zweiten Coracinus, den Nilfisch betrifft, der nach Juba bei Plinius auch in einem mit dem Nil zusammenhängenden See des untern Mau- ritaniens nicht weit vom Meer vorkommt, so hat es Cuvier hist. nat. d. poıss. T. V. p. 25 wahrscheinlich gemacht, dass es der Bolty, Labrus niloticus Hasselquist ist. Die Elemente dieser Bestimmung sind die schon geschehene Bestimmung des Castagno, die Aehnlich- keit des Korakinus und Melanurus nach Speusippus und die Aehn- lichkeit des Castagno und Bolty, welche so gross ist, dass Cuvier noch die Gattungen und Familien beider verwechseln konnte. Aelian hat auch Coracinen in der Donau. 14. 23. Müller's Archiv. 1857. - 17 358 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töze von sich geben konnten darin die naturhistorische kritische Methode nicht erkennen, weil sie darin noch nicht zu finden ist. Unter den Ueberlieferungen der Alten über den Chromis des Aristoteles fallen nur 3 für unsern Zweck ins Ge- wicht, seine Stimme, dass er truppweise erscheint und ge- fangen wird, Arist. Thiergeschichte 5. 9.1. und die Bemerkung des Epicharmus im Athenaeus, dass der Schwertfisch und Chromis im Frühling von allen Fischen die besten sind. Die letztere Stelle, welche Rondelet zwar anführt, woraus er aber keinen Nutzen gezogen, passt unter den Fischen des Mittelmeeres, die eine Stimme haben, pisces vocales, nur auf Sciaena umbra s. aquila Ouv., der einer der schmackhaftesten Fische und dadurch wie der Schwertfisch im Rufe ist, worüber die scherzhafte Geschichte vom Parasiten Tamisius bei Jovius zu lesen, die in seine Nachfolger übergegangen ist. Auch passt das truppweise Leben oder .dass er zu den yvro) gehört, durchaus auf Sciaena umbra s. aquila Cuv. Es bleiben nur die Zweifel über die verschiedenen Lesearten, ob zoöuıs oder yo&uıs bei Aristoteles zu lesen ist. ’ Es ist Cuviers Verdienst, dass er die Beziehung des aristotelischen Chromis zur Umbrina der Römer, Scigena umbra seu aquila Cuv. begründet hat; er ist indess zweifel- haft zwischen Sciaena umbra und Umbrina vulgaris Cuv. (Umbrina eirrosa), welche letzte Belon für den Chromis des Aristoteles hält und von der er sagt, dass sie zu Marseille Chrau heisse; auch bezog schon Gyllius den Chromis des Aristoteles auf den Corvo der Venetianer, der von den Liguriern Chro genannt werde. Der Corvo der Ve- netianer ist aber nach v. Martens (Italien) und Nardo (bei Cuvier V. p. 172) Umbrina cirrosa, welche nach Salviani in Rom auch Corvo genannt wird. Von der Umbrina cirrosa weiss man nicht, dass sie truppweise erscheint oder Töne giebt, wie es von der Sciaena umbra gewiss ist. Beide sind Sciaenoiden. Die Synonymie dieser beiden Fische wird noch durch die Namen Umbra, Umbrina verwickelt, welche wieder Ueber- und die Entstehung dieser "Töne. 259 setzungen von ozi«mye« zu sein scheinen. Die Namen Umbra, Umbrina werden aber in den Häfen bald auf Sciaena umbra s. aquwla Cuv., bald auf Umbrina vulgaris Cuv. s. cirrosa angewandt. Von der Umbra, welche Gyllius leider nicht charakterisirt, sagt er, sie heisse bei den Griechen jetzt noch Scion, von der Umbrina cirrosa behauptet Rondelet eben dasselbe und er scheint es nicht bloss aus Gyllius zu haben, denn er sagt: die Neugriechen nennen den Fisch oziov andere unlononorov. Der Name ozieva erscheint schon bei Aristoteles Thiergesch. 8. 20.5. in einer nichts bedeutenden Aussage, dass sie Steine im Kopfe habe, denn das gilt von allen Knochenfischen; hier wird die ozicıya neben yoouıs ge- nannt; was weiter von der ozicıya und Sciaena bei den Alten ausgesagt wird, ist von der Art, dass es hier nicht ange- führt zu werden braucht. Halten wir unsan Aristoteles, so ist seine ozieıwe kein Fisch, der Töne hervorbringt, wohl aber der yoöurs. Daher bleibt die Wahrscheinlichkeit auf der Seite, dass der aristotelische yoows Sciaena umbra s. aquila Cuv. ist. Ob aber die ozi«uve des Aristoteles und der Sciaenoid mit Bartfäden (Umbrina cirrosa) auf einander fal- len, ist nicht mehr auszumachen. Das auf die Töne der Sciaena umbra Bezügliche werde ich hernach besonders im Zusammenhange mit den andern vocalen Sciaenoiden an- führen. Kapros. Der im Acheloos lebende Kapros ist gänzlich unbestimm- bar. Was im Athenaeus 7. 15. aus Aristoteles ange- führt wird, dass Kapros sehr hart und von rauher Haut sei, lässt sich bei Aristoteles nicht wiederfinden, und scheint eine Verwechselung mit einem andern Fisch, da gleich dar- auf eine Stelle aus Archestratus folgt, wo der Kapros in Ambrakia zu kaufen empfohlen wird; auch wird an einer an- dern Stelle der Kapriscus hart genannt. Was Aristoteles vom Kapros sagt, dass er auf jeder Seite nur eine und zwar doppelte Kieme habe, Thiergesch. 2. 9. 4. hat niemals zur Bestimmung desselben dienen können 176 260 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben und sind die so bestimmten Angaben des Aristoteles über die Zahlen der Kiemen bei den Fischen’ überhaupt ganz un- zuverlässig. Dies darf nicht abhalten, dass ein unternehmen- der Geist dereinst die Fische des Acheloos und ihre Lokal- namen nach der Methode des Gyllius sammle. Wir wür- den dann gewiss einige merkwürdige neue Flussüsche erhalten, wie sie schon Dalmatien geliefert hat. Dass Rondelet den Kapros des Aristoteles auf einen Seefisch bezogen, den Capros aper der Neuern, der davon den Namen behalten, ist gänzlich willkührlich. Belon hat für den aristotelischen Kapros einen Fisch abgebildet und beschrieben, den er ausgestopft in Ragusa vecchia gesehen und der in einer Kapelle aufgehängt war, von dem er auch noch einige kleinere Exemplare gesehen hat. Dieser Fisch mit enger Kiemenspalte, dessen Haut nach Belon rauh, mit sich kreuzenden Linien durchzogen ist, ist insofern merkwürdig genug, als es nicht gelingen will, ihn auf eine bekannte Form zu bestimmen; die Beschreibung und zumal die Bemerkung, dass der Fisch Zähne wie ein Mensch habe, würde auf Balistes capriscus passen, womit jedoch die Abbildung wenig stimmt; warum er aber der Kapros des Aristoteles sein soll, ist nicht einzusehen. Denn wir er- fahren von ihm nicht, dass er in einem Flusse vorkomme, er ist vielmehr schon in Belon’s hist. nat. des estranges poissons marins Paris 1551 aufgetreten; eben so wenig ist angegeben, dass er einen Ton von sich gebe und dass er vier Kiemen habe, sagt Belon selbst. Da nun aber die Stimme, das Vorkommen im Acheloos und die Gegenwart nur einer doppelten Kieme das einzige sind, was den Kapros des Aristoteles bezeichnet, so bleibt von dem aristoteli- schen Kapros an dem Fisch des Belon nichts übrig. Salviani hat den pesce balestra d. i. Balistes capriscus L. für den aristotelischen Kapros genommen. Da nun der pesce balestra ein Seefisch ist, so lässt er ihn aus dem Meer in den Acheloos übergehen. Dass der pesce balestra einen Ton von sich gebe, darüber hat er keine Beobachtung und dafür tritt wieder der Kapros des Aristoteles ein. Ein und die Entstehung dieser Töne. 261 Verfahren, welches für die so hoch stehenden Ichthyologen des 16. Jahrhunderts, für Belon, Salviani, Rondelet, charakteristisch ist und in welchen sie hinter dem anspruchs- losen Gyllius zurückbleiben. Dieser handelt auch vom Aper, der eine rauhe harte Haut bat und den er in Venedig auf dem Marcusplatz ausgestopft in opifieis cujusdam offieina hängen gesehen hat. Als er ihn einem Thracier zeigte, sagte dieser, er pflege von seinen Landsleuten Capriscus genannt zu werden und als er eine Abbildung dieses Fisches den Sieilischen Fischern zeigte, erklärten sie ihn für den Porcus. Gyllius aber hat sich wohl gehütet zu sagen, dass sein Aper der Kapros des Aristoteles sei. Die Poikilien des Pausanias. Die Flüsse Arcadiens, Olitor und Aornos sollen nach den Angaben vonMnaseas und Philostephanus bei Athe- naeus 8. 1. Fische enthalten, welche Töne von sich geben wie Drosseln. Die Fische heissen zoızıAda. Dasselbe be- hauptet Clearchus von den Fischen in dem Arcadischen Flusse Ladon. Vergl. Casaub. animadvers. in Athenaeum p. 576. Bei Pausanias heisst der Fluss, worin die norzıAdar mit Drosselstimmen, Aoranios. Pausanias erzählt L. 8: 21. er habe die Fische gefangen gesehen, er habe aber keine Stimme von ihnen vernommen, obgleich er bis Sonnenunter- gang am Aoranios verweilt habe, zu welcher Zeit die Fische am meisten bei Stimme sein sollten. Plinius macht daraus seinen Exocoetus, miratur et Arcadia suum exocoetum, appel- latum ex eo quod in siccum somni causa exeat. Circa Cli- torium vocalis hie traditur et sine branchiis, idem aliquibus adonis dietus. Nach Massarius wurde der Exocoetus zu seiner Zeit, als er danach gefragt, in Arkadien Lychnon ge- nannt. Massarius a. a. OÖ. p. 116. Conrad Gesner vermuthete, dass es sich um den Schlammpeisker handele, der nach Georg Agricola de animantibus subterraneis einen feinen Ton (sonum acutum) von sich gebe. Gesner hist. anim. IV. p. 737. Seit Gesner sind die zorzıldaı von Ar- kadien gänzlich in Vergessenheit gerathen, wenigstens haben 262 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben sich die Ichthyologen ihrer nicht mehr erinnert. Valen- ciennes hat in der hist. nat. d. poissons in dem reichen Artikel über Cobitis ihrer nicht gedacht. Cobitis fossilis würde durch seine Färbung dem Namen norzıJliaı wohl ent- sprechen können. Willugby hist. pisc. Oxonii 1686 p. 119 hat für diesen Fisch aus Nürnberg und Regensburg den Na- men Misgurn oder Fisgurn und sagt aus Baltner’s Manu- seript: Cum nudi jacent aqua destituti sonum sibilum edunt. Marsigli (Danubius IV. Hagae 1726 p. 39.) nennt ihn nach den Deutschen an der Donau Pissgurn und bemerkt, dass ihn andere Peisker oder Beiseker, andere Pfeifker nennen, was er von Pfeifen ableitet, weil der Fisch, wenn man ihn berühre, sich windend, einen feinen Ton (sonum acutum) hören lasse. Der Peisker Cobitis fossilis ist ausser Deutsch- land auch in Ungarn und nach Pallas im südlichen Russland bis zum schwarzen Meer verbreitet. Cobitis taenia, der Steinbisser von Baltner, welcher nach Valenciennes (hist. nat. d. poiss. T. XVII. p. 56) denselben Ton hören lässt, kommt in ganz Europa vor, auch in Spanien, Italien und nach Nordmann am schwarzen Meer. Örthragoriscus des Plinius, Unter den dem Alterthum bekannten tönenden Fischen macht der sehr grosse porcus oder Orthragoriscus der Lace- daemonier den Schluss, der nach dem Grammatiker Apion bei Plinius 32. 9 grunzen soll, wenn er gefangen wird. Rondelet hat diesen Namen auf den von ihm abgebildeten Mole der Marseiller übertragen, der wenigstens auch sehr gross wird und nach Rondelet wie ein Schwein grunzet. Rondelet beruft sich auf sein eigenes Ohrenzeugniss. Als er einst die Felsen im Meerbusen von Agde und die daran sitzenden Schalthiere besehen, so hätten sie einen Orthrago- riscus dort grunzen gehört und zuletzt von den Fischern ge- fangen gesehen und sie haben ihn versichert, sie hätten die- sen Fisch auch sonst grunzen gehört und gefangen. De pise. mar. p. 426. 427. und die Entstehung dieser Töne. 263 II. Systematische Uebersicht der pisces vocales. Die bis jetzt bekannten pisces vocales gehören theils den Fischen mit geschlossener Schwimmblase aus den Ordnungen der Aecanthopteri, und Plectognathi, theils den Fischen mit offener Schwimmblase aus der Ordnung der Physostomi an. In der Ordnung der Acanthopteri gehören sie den Familien der Cataphracti, Sciaenoidei, Scomberoidei, Pediculati, unter den Plectognathen den Familien der Gymnodonten und Sclerodermen, unter den Physostomi den Familien der Silu- roiden und Cyprinoiden an. Cataphracti. Gattung Dactylopterus Lac. Dactylopterus volitans C., Chelidon des Aristoteles. hist. anim. 4. 9. 4. Siehe oben p. 252. Gattung Trigla L. Duhamel, trait&e des p£Eches. II. sect. V. Cap. 4. p. 106. Siehe oben p. 253. Gattung Cotius L. Cottus scorpius L. Cuvier sagt von ihm, dass er ein Geräusch von sich hören lasse, wenn man ihn anfasst oder in der Hand presst. Auch Kroyer erwähnt, dass er knarre, wenn er aus dem Wasser komme. Dieser Fisch, der nicht im mittelländischen Meere beobachtet ist, vielmehr dem Norden angehört, ist ohne Schwimmblase. Sciaenoidei. Gattung Sciaena C. Sciaena aquila C. Duhamel trait& des pöches II. Sect. VI. p. 130. Cuv. Val. hist. nat. d. p. T. V. p. 42. Tönt unter Wasser. Gattung Corvina ©. Corvina ronchus. C. V. T. V. p. 107 heisst zu Mara- caibo el ronco und el roncador. Corvina ocellata C. V. T. V. p. 154. Beardless Drum. Sciaena imberbis Mitchill in Transact. lit. and phil. soc. of New-York T. I. p. 411. 264 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben Corvina dentex C. V. T. V. p. 140. In Schomburgk fishes of Guiana p. Il. p. 136 ist von der nicht hinreichend bestimmten Corvina grunniens bemerkt, dass sie unter Wasser ein Geräusch mache. Gattung Otolithus C. Otolithus regalis C. V. T. V. p. 71. Weak Fish Mit- chill in Transact. lit. and phil. Soc. of New-York. T. I. p. 396. Mittchill führt an, dass er nach Aussagen der Fischer unter Wasser ein dumpfes rumpelndes oder trommelndes Geräusch macht. Gattung Pristipoma C. Pristipoma Jubelimi C. V. T. V. p. 251. Pristipoma crocro C.\V. T. V. p. 264. Hat nach Ple&e seinen Namen von dem Geräusch, das er macht. Pristipoma coro C.V. T. V. p. 267. Pristipoma quoraca Ö. V. T. V. p. 257. (Perca grun- niens Forster. Descriptiones animalium Berol. 1854 p. 294.) Forster sagt, dass der Fisch, wenn er gefangen auf den Strand geworfen wurde, einen grunzenden Ton von sich gab. Gattung Pogonias Lac, Pogonias chromis et fasciatus. Drumfish. Tönt unter Wasser nach Schöpfin den Schriften der Gesellschaft naturf. Freunde in Berlin. B. VIII. p. 158 und Dekay in nat. hist. of New-York p. IV. Albany 1842. p. 80. Mitchill in Transaet. lit. a. phil. soc. of New-York. V. I. 1815 p. 411 bemerkt, dass das Geräusch unmit- telbar nach dem Ausziehen des Fisches aus dem Wasser gehört werde. Scomberovde:ı. Gattung Zeus L. Zeus faber L. Gyllius a. a. O. Siehe oben p. 255. Pediculati. ‘ Gattung Batrachus Bl. Schn. Der Knorrhahn der Holländer auf Java, Cottus grunniens L., gehört derGattung Batrachusvon Blochund Schnei- deran und ist der Batrachus grunniens Bl. Schn. Batra- und die Entstehung dieser Töne. 265 choides gangene vonBuchanan, der ihn an den Mündun- gen desGanges erhalten. Buchanan bestätigt, was der Holländische Name ausdrückte und sagt: wenn man den Fisch erschrecke, so gebe er ein merkwürdiges Kracken von sich. Fishes of the ganges p. 34. Gymnodontes. Gattung Orthragoriscus Schn. Orthragoriseus mola Bl. Schn. Rondelet de pisc. mar. p. 426. 427. Siehe oben p. 262. Gattung Teetrodon L. und Diodon L. Nach Pappe synopsis of the edible fishes at the cape of good hope. Cape Town 1853 p. 8 blähen sich die Tetrodon auf, sobald sie aus dem Wasser gezogen werden und stossen ein Grunzen aus. Sclerodermi. Gattung Balistes L.. Lacepede hist. nat. d. poiss. I. p. 347. 348. Duges traite de physiol. comp. T. II. Montpellier 1838. p. 236, Siluroidei. Gattung Synodontis ©. Tönende Fische im Nil und andern Flüssen Africa’s. Geoffroy St. Hilaire in Description de !’Egypte ed. 2. T. XXIV. p. 318. Cyprinovdei. Gattung Cyprinus L. Cyprinus tinca L. Fabriecius ab Aquapendente in seiner Abhand- lung de brutorum loquela op. omn. p. 326 sagt von den Fischen, welche Ausonius tinca nenne (gewiss die schlimmste Art einen Fisch zu bezeichnen), dass sie ein Geräusch machen, indem sie das Maul öffnend die aneinander liegenden Lippen trennen. Dass Tinca aus dem Wasser gezogen einen Ton von sich gebe, hat auch Cardanus de rer. var. I. VII. e. 38. Cyprinus barbus L. nach Valenciennes hist. nat. d. poiss. T. XV. p. 251. 266 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben Gattung Cobitis L. Cobitis fossiis L. Agricola de animantibus subterraneis. p- 74. Baltner in Willugby hist. pise. Oxon. 1686 p- 119. Marsigli Danubius IV. Hagae 1726 p. 39. Cobitis taenia L. nach Valenciennes hist. nat. d. poiss. T. XVII. p. 56. Siehe oben p. 262. Ill. Beobachtungen über die Töne der Fische. Die erste Frage bei der Feststellung der Thatsachen hin- sichtlich der Töne eines Fisches kann nur diese sein, ob der Fisch seine Töne von sich giebt, nur wenn er aus dem Wasser gezogen ist, oder ob er auch unter Wasser töne, wie es z. B. von Sciaena aquila, Ototithus regalis und Pogonias fasciatus bekannt ist. Wenn aber ein Fisch unter Wasser tönt, so wird er ohne Zweifel auch aus dem Wasser gezo- gen an der Luft tönen; davon haben wir ein Beispiel an Dactylopterus volitans, bei dem das Tönen im Wasser und in der Luft von uns beobachtet wurde. Die von Fischen abgegebenen Töne sind entweder Luft- töne oder Töne von festen Theilen, die durch Reibung der- selben gegen einander entstehen. Im Munde jedes Fisches können, wenn er sich in der Luft befindet, Lufttöne entstehen, gleichviel ob er eine Schwimmblase besitzt, oder nicht, ob die Schwimmblase ge- schlossen ist oder einen Luftgang in den Schlund besitzt. Dagegen kann bei einem Fisch, der unter Wasser tönt, au Lufttöne nur dann gedacht werden, wenn er einen Luftgang der Schwimmblase besitzt und wenn dieser hinreichend weit ist, um Luft plötzlich auszutreiben. Dann muss bei solchen unter Wasser tönenden Fischen, deren Schwimmblase geschlossen ist, wie z. B. bei den pisces vocales aus der Fa- milie der Seiaenoiden und beim Dactylopterus volitans von Lufttönen unter Wasser gänzlich abgesehen werden, da. die Luft ihrer Schwimmblase unter keinen Umständen Töne be- dingen kann. In einem geschlossenen Balg der Schwimm- blase würden nur unter einer einzigen Bedingung Töne der Luft entstehen können, wenn die Luft durch einen im Innern und die Entstehung. dieser Töne. 267 der Höhle angebrachten engen Pass aus einem Theile der Schwimmblase in den andern durchgepresst würde. Derglei- chen kommt aber an der Schwimmblase von Sciaena, Corvina, Pogonias und Dactylopterus gar nicht vor. Die Ursache der Töne dieser Fische unter Wasser kann daher nicht von der Luft und nur von harten Theilen herrühren, wie sich auch von Dactylopterus direct beweisen lässt. Was die pisces vocales betrifft, die nur aus dem Wasser gezogen und nicht unter Wasser tönen, so kann die Erschei- nung in diesem Fall kein so grosses Interesse, wie in dem andern Fall haben. Denn bei einem in der Luft be- findlichen Thiere können die Ursachen zu Lufttönen im Munde sehr mannigfaltige sein. Schon die plötzliche Entfer- nung der an einander gelegten Lippen reicht bei dem Men- schen zur Entstehung des schmatzenden Tones hin. So soll auch Tinca nach Fabricius ab Aquapendente Töne mit den Lippen hervorbringen. Eine ähnliche Art der Tonbildung scheint bei den narkotisirten Fischen in vergifteten Gewäs- sern statt zu finden, nach dem was Spix und v. Martius in Brasilien beobachtet haben. Die Fische kamen zur Ober- fläche, sprangen und gaben mit dem Maule ein Klatschen von sich. Selecta gen. et spec. pisc. Monach. 1829. XIV. Hieher gehört auch die Saugbewegung der Lippen. Sodann kann es bei einem in der Luft befindlichen Fische die Austreibung geschluckter Luft sein b der Menschen. Bei einem der Physostomi kann auch die wie bei dem Rülpsen Austreibung von Luft aus der Schwimmblase Töne veran- lassen. Das bekannteste Beispiel vom Tönen an der Luft geben die Schlammpeisker und überhaupt die Arten der Gattung Cobitis. Niemals hört man die Töne des Schlammpeiskers aus dem Wasser, aber sehr leicht, wenn man das Thier in der Luft mit den Händen hält. Sie klingen sehr hoch, so . dass ich es ganz richtig finde, wenn schon Agricola und Marsigli den Laut als sonum acutum, Baltner als sonum sibilum bezeichneten. Siehe oben p. 261.262. Es ist soetwas zwi- schen dem Ton eineslautbaren Kusses unddem Quiken einerMaus. 268 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben Bei der Beweglichkeit der Thiere und bei der Bedeckung des Mauls durch die Bartfäden hat es mir nicht gelingen wollen, zu beobachten, ob das Maul und was überhaupt bei der Ton- bildung betheiligt ist. Vielleicht rührt der Ton von einer Saugbewegung des Mundes her. Unser Wärter beim anato- mischen Museum, Graff, der die Schlammpeisker seit vielen Jahren täglich um sich hat, versichert, dass sie im Wasser die Gewohnheit haben, sich mit dem Maul an Steinen fest- zusaugen und dass er dies oft bei solchen, die in Gläsern aufbewahrt werden, gesehen habe. Da der Peisker Luft ver- schluckt, so frägt es sich auch, ob die Töne durch Ausstossen verschluckter Luft entstehen. Valenciennes T.XV.p. 251 behauptet, Cyprinus barbus lasse einen Ton unter Wasser hören, wenn man ihn in einem Gefäss eingeschlossen halte und ihn beunruhige und beson- ders, wenn man ihn ein wenig stark in den Händen drücke. Er erklärt das Tönen von dem Entweichen der Luft aus der Schwimmblase. Aber der Luftgang ist bei den Cyprinoiden so eng, dass eine plötzliche Austreibung von Luft aus der Schwimmblase bei diesen Fischen schwerlich Ursache von Tönen werden kann. Man bringt auch keine Töne hervor, wenn man die mit dem Schlund ausgeschnittene Schwimm- blase eines Cyprinus unter Wasser zusammendrückt. Bei mehreren Exemplaren von Barben, welche hier lebend in einem Gefäss mit Wasser während mehrerer Tage beobach- tet wurden, hat es sich überhaupt nicht ereignet, dass Töne ausgestossen wurden, auch dann nicht, wenn die Thiere im Wasser zusammengedrückt wurden. Hr. Lepsius hat meine Aufmerksamkeit auf die pisces vocales des Nils gelenkt, von welchen die Alten nichts be- richten. Der Fisch, den Hr. Lepsius im Sinne hatte, über welchen er aber keine Notizen aufgezeichnet hat, gab die Töne ganz auffällig von sich, als er aus dem Wasser gezo- gen wurde. Es kann dies wahrscheinlich nur ein Synodontis . gewesen sein, von welchen Geoffroy St. Hilaire bestimm- test das Tönen behauptet, und die auch Hr. Peters in und die Entstehung dieser Töne. 269 Mozambique wiederholt hat knurren gehört, als sie aus dem Wasser hervorgezogen waren. Isid. Geoffroy St. Hilaire sagt in der Description de /’Egypte ed. 2. T. XXIV. p. 318 zu Synodontis, dass auf den Synodontis elarias wahrscheinlich der porcus der Alten zu beziehen, weil sie sagen, dass der porcus wie ein Schwein grunze. Da aber der griechische Flussfisch Kapros das Schwein ist, welches grunzet, vom yoroog des Nils bei Strabo lib. XVII. ce. 2. $. 5 aber nichts der Art ausgesagt ist und überdies mit dem Namen yoigos gar verschiedene Fische in verschiedenen Flüssen von den Alten bezeichnet wurden, wie 2. B. Aelian 14. 23 auch unter den Donaufischen die yoioo: erwähnt, so kann ich die Frage von der Identität des Nil- xotoos bei Strabo mit Synodontis ganz bei Seite lassen und in dieser Hinsicht auf die Description de l’Egypte und Va- lenciennes gelehrte Bemerkungen in seiner hist. nat. d. poiss. T. XV. p. 251 hierüber verweisen. . Viel wichtiger sind die Bemerkungen Isid. ee über das Tönen selbst aus den Nachrichten seines Vaters. Er sagt: die Thatsache von einem Fisch, der Töne unter Wasser hören lasse und ähnliche, von neuern Naturforschern gesammelte Beobachtungen, die in Zweifel gezogen und als unbegreiflich fast verworfen worden, seien gleichwohl genau, wie sein Vater constatirt habe. In der That seien diese Töne nicht vergleichlich der Stimme der Luft athmenden Thiere und sie seien allein das Product der Stacheln der Rücken- und Brustilosse in ihren Gelenkgruben. Valenciennes bemerkt zu Synodontis, dass die Erklä- rung von Il. G eoffroy St. H.sehr wenig glücklich sei und von allen physiologischen Prineipien der Production der Töne bei den Fischen entfernt sei. Die Bewegung der Stacheln ge- schehe ohne alles Geräusch. Alle, welche die Naturgeschichte der Fische kennen, wüssten, dass die Töne, welche diese hören lassen, von der Bewegung herrühre, die sie der Luft ihrer Schwimmblase geben können, indem sie einen mehr oder weniger starken Druck auf dieses Organ ausüben. Die Fische, die er dann anführt (solche mit geschlossener Schwimm- 270 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben blase) Sciaena, Trigla, die keine knöchernen Strahlen be- sitzen, die hiezu geeignet wären, hätten meines Erachtens eben so gut als Beispiele angeführt werden können, dass ihre Töne nicht von der Luft der Schwimmblase herrühren kön- nen, da die Luft völlig eingeschlossen ist und unter keinen Umständen in einem geschlossenen mit Luft gefüllten Balge durch mehr oder weniger starkes Zusammendrücken Töne entstehen können, wenn die Luft nicht im Innern der Blase durch eine enge Passage durchgepresst wird, wozu in den Schwimmblasen jener Seiaenoiden und u durch- aus keine Gelegenheit ist. Als ich mit den Herren Bgre und Peters die Sy- nodontis im anatomischen Museum auf diese Frage ansah, so erstaunten wir, dass sogleich bei dem Versuch, den grossen Stachel der Brustflosse zu bewegen, starke knarrende Töne entstanden, welche ihren Sitz in dem Gelenk haben und da- durch entstehen, dass die Gelenkfläche des Stachels auf der Gelenkgrube vibrirend hingleitet, sobald man diesen Stachel addueiren oder abduciren will, welches ohne gleichzeitige leichte drehende Bewegung des Stachels nicht gut geschehen kann. Diese Erscheinung stimmt also gänzlich mit den Angaben von Geoffroy 3t. Hilaire überein. ‘Herr Peters bezeichnet übrigens die Töne, die er bei Syno- dontis gehört hat, die aus dem Wasser gezogen waren, nicht als knarrend, sondern als einen dumpfen Ton, ein Knurren. Ob die Synodontis bei dem Tönen Luft aus dem Luftgang der Schwimmblase austreiben, wie Agassiz ohne Beweis von Siluroiden behauptet, proc. amer. acad. arts a. sc. Vol. II. Boston & Cambridge 1852 p. 238. (Carus) ist noch un- bekannt und wird weiter zu untersuchen sein. Ich wende mich zu den pisces vocales mit ganz geschlos- sener Schwimmblase, wie Trigla, Dactylopterus, Sciaena, Corvina, Pogonias, Otolithus, Pristipoma. Von den Sciaenoiden ist es schon als ganz gewiss anzu- sehen, dass sie unter Wasser tönen. An Dactylopterus vo- litans habe ich eben diese Erfahrung gemacht. Dagegen ist es von den dem Dactylopterus sehr verwandten Triglen und die Entstehung dieser Töne. al noch ungewiss, ob sie auch unter Wasser Töne von sich abgeben. Gyllius erzählt von der Galline der Marseiller, die eine Trigla ist, dass sie nach Aussage der Fischer eine Art Ton von sich gebe, wenn sie sich im Netz gefangen fühle. Du- hameltrait& des pEches II. sect. V. Cap. 4. p. 106 berichtet auch nach Fischern von dem Grunzen der Triglen. Die einen sagten, die Töne höre man schon, wenn die Fische noch im Wasser, die andern, man höre sie nur, wenn die Fische schon herausgezogen sind. Alle neuern Ichthyologen bemerken bei den Triglen, dass sie grunzen, wenn sie aus dem Wasser herausgezogen werden, so z.B. Cuvier, Yar- rell, Kroyer, v. Martens, Risso. Niemand aber sagt, dass der Fisch unter Wasser töne, wie wir es vom Dacty- lopterus erfahren werden. Diese Angaben beruhen übrigens wahrscheinlich überall nicht auf eigener Beobachtung, son- dern auf den Aeusserungen der Fischer. Es ist durchaus nöthig, dass ein Naturforscher Gelegen- heit erhalte, Triglen unter Wasser zu beobachten. Ich selbst bin nur Ohrenzeuge des Knurrens in der Luft gewesen. Die Blankeneser Fischer, deren Bote im Sommer und Herbst oft bei Helgoland liegen, besitzen in ihren Schiffen einen mit der See communicirenden Behälter (vivarium), in dem sie die Fische bis zum Verkaufe lebend erhalten, so dass man bei ihnen Rochen, Zungen und verschiedene andere Fische leben- dig erhalten kann. Da ich bei einer der Excursionen auf der See an einem dieser Schiffe vorbeikommend, dort eine lebende Trigla (gurnardus) vorfand, so kaufte ich sie und bedauerte nur, dass ich ein Gefäss, sie im Seewasser lebend heim zu bringen, nicht bei mir hatte. Ich muss es noch mehr beklagen, dass ich die Gelegenheit zur Beobachtung der Trigla in dem Vivarium der Fischer damals nicht benutzt habe. Die lebende Trigla lag in meinem Boote und ich hörte sie mehrmal laut in der Luft knurren. Jedesmal beim Knurren schwoll der Vorderbauch seitlich hinter dem Schul- tergürtel an und ich fühlte dort mit dem hinter dem Schul- tergürtel angelegten Finger beim Knurren einen Druck. Ich 272 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben konnte durch die Bewegung der Kiemendeckel keinen Ton hervorbringen, weder an dem lebenden Fisch, noch an dem todten. Bei der Section fand ich in der Schwimmblase nichts vor, was die Entstehung von Tönen erklären könnte. Duges hat in seinem traite de physiologie comparee T. il. Montpellier 1838 einen Artikel über die Töne der Fische ohne eigene Beobachtungen an lebenden Fischen und zum Theil mehr fragend als beantwortend. Die Frage, ob der Fisch schon unter Wasser töne oder nachdem er schon in die Luft gezogen ist, wird gestellt, aber sie ist ohne Ant- . wort. Beim Zusammenschnüren der Schwimmblase der Trigla hirundo habe er eine Art Krächzen, das unter Wasser ver- nehmbar gewesen, erhalten und zuletzt die Schwimmblase zum Bersten gebracht. Er bezweifelt, dass die Schwimmblase Antheil habe, die ohnehin dem knurrenden Cottus scorpius fehlt. Viel eher müsse man die Wirkung beim Karpfen er- halten, wegen der Einschnürung zwischen den beiden Schwimm- blasen des Karpfen, wo man aber kein Grunzen zu Stande bringe!). Dug£s leitet das Grunzen in der Luft bei Trigla hirundo vom Austreiben der Luft aus der Kiemenhöhle bei geschlossenem Kiemendeckel am obern Theil der Kiemen- spalte her, hier sei der obere Theil des Deckels bei den Triglen scharf ausgeschnitten, auch bei Cottus; dieser Aus- schnitt sei durch eine halbeirkelförmige häutige Valvel aus- gefüllt. Wenn er bei Trigla die Kiemenhöhle erst erweiterte und dann plötzlich zusammendrückte, so entwich die Luft an jener Stelle und liess die Klappe vibriren, und es sei ein Ton wie Vou oder beim Entweichen mehrerer auf einander folgender Luftblasen wie Crau erfolgt. Ich habe neulich in Cette Triglen auf die von Duges angegebene Weise behan- delt, und mich überzeugt, dass auf diese Art Töne entste- hen können; ebenso leicht erhielt ich Töne in der Luft, wenn ich jene Stelle schloss, die Kiemenhaut an die Wand 1) Es entsteht nur ein Zischen beim Zusammendrücken der vordern oder hintern Schwimmblase, welches ausbleibt, sobald die mittlere Einschnürung zwischen beiden Blasen ganz, geschlossen wird. ..und die Entstehung dieser Töne. 273 der. Kiemenspalte andrückte und dann den’ Kiemendeckel plötzlich abzog. Hier entstand ein Ton in dem Augenblick, als die an der Wand der Kiemenspalte adhärirende Kiemen- haut sich davon entfernte. Ich war aber verwundert, diesmal auch aus dem Unterkiefergelenk durch Bewegung des Unter- kiefers mit Andrücken an die Gelenkfacette zuweilen ein Knarren zu erhalten. Gyllius macht den Fischern an. einer launigen Stelle im Allgemeinen den Vorwurf, dass sienurfür den Erwerb der Fische Ohren haben, für die Stimmen der Fische aber taub seien. Dies kann man von den Fischerjungen in Messina nicht sagen; denn diese verstehen es, aus den Stimmen der Fische Geld zu machen, Die Naturforscher, welehe in Messina gewesen sind, kennen das Geschick und die Anstelligkeit der Knaben an der Marine, Naturgegenstände aus dem Meere herbeizu- schaffen, wozu ihnen ihr scharfes Gesicht und ihr geschicktes Tauchen und Schwimmen nützlich sind. Sobald die zweimal täglich wiederkehrende Strömung des Faro eine Fülle von Meeresgeschöpfen in den Hafen von Messina führt, so fahren sie in den Boten und schöpfen die schwer sichtbaren kry- stallklaren hydrostatischen Medusen und andere Acalephen und so viele andere pelagische Thiere;. sie belagern dann die Treppen der Locanda mit ihren Gläsern und Töpfen, und selbst die kleinsten lernen das Gewerbe, dass sie irgend einen kleinen Fisch auftreiben und sich damit vor den Fenstern derjenigen aufstellen, die für die messinische Jugend eine so glückliche Erscheinung sind und durch Pisch, Pisch! Ru- fen ihre Aufmerksamkeit zu erregen suchen. Da trifft es sich wohl, dass uns einer dieser Jungen mit einem tönenden Fisch in den Strassen begegnet und uns damit verfolgt. Er hält ihn an den langen Stacheln der Kiemendeckel mit beiden Händen schwebend in der Luft und entlockt ihm laute knar- rende Töne, indem er jedesmal. die Kiemendeckel aufsperrt. Dies ist die Chelidon des Aristoteles, Daetylopterus volitans, der nicht, wie Aristoteles.glaubte, mit den Flügeln, sondern vermöge der Gelenke der Kiemendeckel tönt. Einer von unserer Gesellschaft, Hr. Althaus hatte einen solchen Fisch Müller's Archiv, 1857. 18 274 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne Fon sich geben gekauft und brachte ihn lebend in unser Arbeitszimmer. Dieser Fisch gab, als er frei auf der Hand gebalten wurde, das Knarren von sich, indem er dabei jedesmal die Kiemen- deckel weit aufsperrte; gerade in dem Augenblick, als er diese Bewegung machte, erfolgte der Ton. Ich war sehr glücklich, dass der Fisch noch so lebenskräftig war und war sehr gespannt, ihn im Wasser zu beobachten. Wir brachten ihn in ein Waschbecken, das mit Seewasser angefüllt war und wurden nicht wenig überrascht, als er ganz unter Wasser auch hier freiwillig seinen Ton auf dieselbe Weise jedesmal durch aufsperrende Bewegung der Kiemendeckel hören liess und dies von Zeit zu Zeit wiederholte, so dass es gewiss ist, dass die Luft nicht dabei mitspielt. Der Ton ist sehr laut und entspricht dem Ausdruck und Vocal in dem Wort Knarren. Ich bin nicht zweifelhaft, dass der Ton aus dem Gelenk des Schläfenbeins am Schädel kommt. Auch wenn ich einen Dactylopterus orientalis, der in Weingeist aufbewahrt, nach dem Beispiel der Messineser handhabe, so gelingt es mir noch ähnliche Töne zu entlocken. Die Töne scheinen durch ein intermittirendes Gleiten der Gelenkflächen auf einander zu entstehen, wie wenn man mit dem auf einen Tisch aufgesetzten Finger, indem man ihn fe- dernd fortschiebt, ein lautes Schnurren hervorbringt, oder wie das Knarren einer Thür in den Angeln erfolgt. Der Weingeist muss übrigens die glatten Flächen des Gelenks verändern und es ist daraus zu erklären, wenn die Probe an einem in Weingeist aufbewahrten Exemplar des Dactylop- terus volitans des Mittelmeeres schwer und nur zuweilen ge- lang. Dactylopterus besitzt am Kiemendeckel noch eine andere Stelle, welche bei dem Knarren wirksam sein könnte, dies ist die Stelle der Verbindung des Backenknochens mit dem Vordeckel durch Vermittelung eines besonderen kleinen Knochenstücks zwischen beiden, welches man auch durch Bewegung des Schläfenapparates zuweilen zum Knacken bringt. Es ist mir aber viel wahrscheinlicher, dass das Schläfengelenk in der angegebenen Weise die Ursache des knarrenden Tones ist. An der Schwimmblase des Daciylop- und die Entstehung dieser Töne 375 terus ist nichts, was Töne hervorbringen kann. Man kann ihre Beschreibung bei Cuvier und Valenciennes lesen. Sie ist vorn getheilt und ihre beiden Hörner verlängern sich bis unter das Dach des Hinterhaupts. Einige der merkwürdigsten und berühmtesten pisces vo- eales gehören der Familie der Sciaenoiden und den Gattun- gen Sciaena, Otolithus, Corvina und Pogonias an; und von diesen scheint es gewiss zu sein, dass sie nicht blos tönen, wenn sie aus dem Wasser gezogen werden, sondern dass sie wie Dacty- lopterus volitans auch unter Wasser ihre Töne von sich geben. Einer der grössten darunter ist der im atlantischen und mit- telländischen Meer vorkommende Maigre der Franzosen, Seiaena umbra s. aquila Cuv. Er erscheint auch zuweilen in der Nordsee, aber ungewöhnlich; das grosse Skelet der Sciaena umbra im anatomischen [Museum zu Berlin ist von einem Exemplar, das bei Helgoland gefangen worden. Duhamel trait& des p£ches II. Sect. VI. p. 138 sagt von den Maigres, dass sie den Fischern ihre Ankunft durch einen starken Ton ankündigen. Nach Cuvier lassen sie, wenn sie im Trupp schwimmen, ein Grunzen, stärker als die Tri- glen, hören; es sei gekommen, dass 3 Fischer durch dieses Geräusch geleitet, 20 Maigres mit einem Fischzug gefangen hätten. Die Fischer sagen, das Geräusch sei stark genug, um 20 Klafter unter Wasser gehört zu werden und sie legen von Zeit zu Zeit das Ohr an den Rand des Schiffes, um sich nach diesem Geräusch zu richten. Die einen sagen, es sei ein dumpfes Brummen, die andern, es sei vielmehr ein scharfes Pfeifen (siffllement aigu). In der Gegend von La Rochelle nenne man es seiller, so wie man braire von der Stimme des Esels und aboyer von der des Hundes sage. Einige Fischer behaupten, die Männchen machten allein das Geräusch zur Zeit der Brunst und man könne die Fische anlocken durch Pfeifen und ohne Lockspeise. Cuv. Val, hist. nat. d. p. T. V. p. 42. Vom Otolithus regalis sagen die Fischer nach Mitchill, dass er unter Wasser ein dumpfes rumpelndes oder trom- melndes Geräusch mache. Von der Corvina grunniens bei 155% 276 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben Schomburgk fishes of Guiana wird berichtet, ' sie mache ein sonderbares Geräusch unter einem Boot, wenn es in Act Nähe. ihres Aufenthaltes anhält, Die Drumfische in Nordamerika sind Pogonias chromis et fasciatus. Ein Drum oder Drumfisch wurde von Dr, Gar- den aus Carolina an Linne gesandt, der ihn unter dem Na- men Labrus chromis aufführt. Die Gattung Pogonias ist von Lacepede aufgestellt, der einen Drumfisch' Pogonias fas- ciatus nannte. Die Verwandtschaft des Labrus chromis L. mit den’ Sciaenen wurde zuerst von Bloch und Schneider erkannt, welche diesen Fisch im systema ichthyologicum Berol. 1501 als Sciaena chromis anführten. Pogonias chro- mis Cuv. (Labrus chromis L., Sciaena fusca et gigas Mitchill) ist, ein grosser Fisch, der gegen 3!/, Fuss lang; wird. Zum Pogonias fasciatus Lac. gehört Mugil grunniens oder Labrus grunniens Mitch. als Synonym. Die Pogonias kommen auch in Südamerica vor. Wir besitzen ihn aus Montevideo von Sello eingesandt, den gebänderten Exemplaren aus Nordamerica gleichend, die man P. fasciatus genannt und deren Eigenheit als Art noch nicht sicher festgestellt ist. Nachrichten über die Töne der Drumfische haben Schöpf, Mitchill und Dekay gegeben. Siehe oben p. 264. Nach Mitchill wird das Geräusch gehört, unmittelbar nach dem Ausziehen der Fische aus dem Wasser. Nach den andern dagegen geben die Fische die Töne unter Wasser, Schöpf sagt, der Drum heisse so wegen des hohlen dumpfen Tons, welchen er unter dem Wasser von sich giebt. Es pflegen sich diese Fische gern um die Boden der Schiffe zu versammeln und hier höre man in stillen Nächten ihre Musik deutlich und ununterbrochen. Dekay bemerkt, die Fischer vergleichen die Töne, wenn sie durch eine grosse Anzahl hervorgebracht werden, dem entfernten Schall von Trommeln, Wenn der Fisch aus dem Wasser gezogen wird, so schalle es, wie wenn zwei Steine auf einander gerieben werden (rubbed together). Dekay vermuthet, dass die Töne von dem Reiben der grossen Schlundzähne auf einander herrüh- und die Entstehung dieser T'öne. 277 ren, Dies ist auch die Meinung von Duvernoy in Cuvier leg. d’anat. comp. 2. ed. T. 8. Paris 1846 p.818. Beim Dactylo- pterus volitans und Sciaena aquila sind jedoch die Schlund- knochen nur mit Hechelzähnen versehen. Bei Untersuchung mehrerer in Weingeist aufbewahrter Exemplare des Pogonias fasciatus war es mir nicht möglich, durch Bewegung der Kiemendeckel Töne hervorzubringen. Die Schwimmblase des Pogonias, welche Cuvier beschrieben, ist wie bei allen Stachelflossern geschlossen und hat nichts an sich, woraus man die Entstehung eines Tons erklären könnte. Cuvier neigte sich schon zu der Ansicht von Schöpf, welche seitdem durch die Angaben von Dekay vollständig bestätigt worden, und er berief sich auf ein Begegniss, wel- ches dem Schiftslieutenant John White auf seiner Reise nach Cochin-China vorgekommen. J. White voy. to Cochin- China London 1824 p. 187. Es war während der Fahrt auf dem Flusse Donnai in Cochin-China und in dem Becken des Flusses, welches Ngabay oder Siete bocas genannt wird. Unsere Ohren, sagt J. White, wurden durch ein Gemisch von Tönen begrüsst, welche dem tiefen Bass der,Orgel, be- gleitet von dem hohlen Geschrei des Bullfrosches, dem dumpfen Dröhnen einer Glocke und Tönen glichen, welche die Einbildung einer ungeheuren Maultrommel!) zuschreiben würde. DBegierig die Ursache dieses freiwilligen Coneerts zu entdecken, kam ich in die Cajüte, und fand den Lärm, von (dem ich mich bald überzeugte, dass er aus dem Boden des Schiffes kam, gewachsen zu einem vollen und ununterbro- chenen Chorus. In wenigen Minuten ‚wurden (die Töne, die am Steuer des Schiffes begonnen hatten, allgemein ‚durch die ganze Länge des Bodens. Der Dolmetsch, ein christlicher Cochin-Chinese, erklärte das Geräusch von einer Truppe von Fischen von flach ovaler Gestalt wie Flunder, die durch eine gewisse Conformation des Mundes das Vermögen besitzen, an andern Gegenständen in einem wunderbaren Grade anzu- hängen und dem Gewässer der Siete bocas eigen seien. In 1) Cuvier übersetzt Harfe; im Original steht aber Jew’s harpe. 278 Joh. Müller: Ueber die Fische, welche Töne von sich geben dem Maasse, als man den Fluss hinauf fuhr, verminderten sich die Töne und verschwanden zuletzt ganz. Cuvier ist geneigt, auf diese Weise ein Begegniss zu er- klären, welches A. v. Humboldt in der Südsee am 20 Febr, 1803 gegen 7 Uhr Abends erlebte. Alle, so berichtet Cu- vier, waren von einem ausserordentlichen Lärm erschreckt, wie von Trommeln. Man schrieb es verborgenen Klippen zu. Bald hörte man es im Schiff und besonders im Hinter- heil, es war wie das Aufkochen einer Flüssigkeit, Man hörte es successiv an allen Theilen des Schiffes, gegen 9 Uhr hörte alles auf. » Es scheint, dass das Ereigniss dasselbe ist, welches A. v. Humboldt in seiner Reise in die Aequinoctialgegen- den des neuen Continents im 5. Buch Cap. 14 berührt, wel- ches aber von ihm nicht so ausgelegt wird, wie es von Cu- vier geschieht. Es heisst dort: Auf der Südsee während der Ueberfahrt von Guayaquil nach den Küsten von Mexiko. ka- men Hr. Bonpland und ich an Stellen, wo unsere sämmt- lichen Matrosen von einem dumpfen, aus der Tiefe des Oceans aufsteigenden und durch das Wasser mitgetheilten Getöse geschreckt wurden. Es geschah dies zur Zeit eines neuen Ausbruchs des Cotopaxi und wir waren von diesem Vuleane ebenso weit entfernt, als die Entfernung Neapels vom Aetna beträgt. f Bei dem Plan einer weitern Verfolgung des Gegenstandes, der sich in der Form, die er schon erhalten , gewiss noch weiter entwickeln wird, kommt es jetzt unter andern vorzüglich darauf an, ob die überall leicht zugänglichen Triglen schon im Wasser, ohne Berührung der Luft oder bloss, wenn sie aus dem Wasser gezogen werden, grunzen. Man wird sie lebend in Gefässen mit Seewasser beobachten und wenn sie in diesem Fall wie Dactylopterus tönen soll- ten, so werden ihre Bewegungen dabei zu beobachten sein. Dieselben Beobachtungen muss man mit Sciaena umbra. und Pogonias wiederholen. Zur Bestimmung der Tonquelle d.h. des Ortes eignet sich das stethoskopische Verfahren, nämlich die verschiedenen Theile des Fischkopfes mit dem Ohr des und die Entstehung dieser Töne. 279 Experimentators direet in leitende Verbindung durch einen festen Körper zu setzen, in der Weise, die ich zur Prüfung der akustischen Verhältnisse künstlicher Gehörorgane, näm- lich der Trommelhöhlenapparate, anwandte, wobei man die Kette der homologen Schalleiter auch an dem Fisch im Wasser anlegen kann. Das Stethoskop ist wie bei der Prü- fung der akustischen Apparate durch einen Stab ersetzt, der bei verstopften beiden Ohren, die durch einen Stopfen von ge- kautem Papier geschlossen sind, mit dem einen Ende an das Ohr, mit dem andern an den im Wasser oder in der Luft befindlichen Fisch und successiv an die verschiedenen Theile seines Kopfes angelegt wird. Die Kette der festen Theile kann auch zu grösserer Bequemlichkeit gegliedert sein, d. h. aus mehreren durch Gelenke anschliessend verbundenen Gliedern bestehen. 280 Dr. Kunde: Physiologische Bemerkungen über den Scheintod von Dr. F. T. Kvunoe, Wenn wir, nach dem Vorgange Bichat’s, drei Organe als die Lebensheerde im Organismus des Wirbelthieres ansehen, das Gehirn, die Lungen und das Herz, so nennen wir „Scheintod“ denjenigen Zustand, in welchem genannte Or- gane keine sichtlichen Lebensäusserungen mehr erkennen lassen, und in Folge davon die übrigen Organe in denselben Zustand hineingezogen haben. Wir sagen dann auch wohl: das Leben eines solchen Organismus ist latent. Kehrt eines der genannten Organe zur Norm zurück, so kann die Func- tion der zwei anderen wieder frei werden, und der Organis- mus kehrt wieder zum Leben zurück. Wir müssen nun nach den neuern Ansichten statt des Gehirnes die medulla oblongata substituiren, und können dann allerdings die sehr scharfsin- nigen Deductionen Bichat’s im Allgemeinen als richtig aner- kennen. Wir finden dann, dass Scheintod wie Tod auf fol- gende Weise zu Stande kommen: Tod der medulla oblong. n, Lungen Allgemeiner Tod. „ des Herzens Tod der Lungen 2» „ medulla oblong. \ Allgemeiner Tod. „ des Herzens Tod des Herzens „ der medulla oblong. \ Allgemeiner Tod. nn Bunsen Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 281 Einen lokalen Tod des Herzens hat nun Bichät beobach- ten wollen in Folge eines grossen Schreckes, welcher einen Menschen plötzlich tödtete, in andern Fällen glaubte er diese Todesart supponiren zu dürfen, wenn Stichwunden die Aorta getroffen oder ein Aneurysma geborsten war. Die Syncope zählte er ebenfalls hierher, indem er annahm, dass dieselbe ihren ersten Ursprung in einem Stillstande des Herzens habe. So begründete denn dieser Autor seine Behauptung, dass es nur drei Todesarten gebe: Tod durch Apoplexie, As- phyxie und Syncope. Wir würden nicht auf diese, wie es vielleicht scheinen mag, veralteten Ansichten eingehen, wenn wir nicht der Ueber- zeugung wären, dass dieselben, wie Alles, was von dem gros- | sen Anatomen ausgegangen, noch heute einen grossen Werth haben, und zwar, worauf das profanum vulgus ein grosses Gewicht zu legen pflegt, einen sogenannten praktischen Werth. Sehen wir nämlich die Berichte der Sectionsbefunde bei den pathologischen Anatomen nach, so finden wir folgende Ausdrücke: Gehirn blutleer, Gehirn sehr hyperämisch, Lun- gen, Leber, Nieren hyperämisch, dieselben blutleer, Herz schlaff, Herz contrahirt, Herz mit Blut gefüllt, Herz blutleer u. Ss. w. Wir müssen aber gestehen, dass alle diese Aus- drücke im höchsten Grade vage sind, und dass Tausende derartiger Beobachtungen keine Beobachtung an das Licht fördern, wie denn tausend graue Pferde keinen einzigen Schimmel machen. Um in diese alljährlich mit so vieler Mühe und Aufopfe- rung unternommenen Beobachtungen einiges Licht zu werfen, ist es nöthig, den von Bichat eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, und es ist dazu erforderlich, den Zustand der Or- gane bei den verschiedenen Todesarten genau festzustellen. Wir werden dann die Frage zu lösen haben: Wie verhält sich die Blutvertheilung, wenn der deletäre Einfluss primär auf die medulla oblongata, wenn primär auf die Lungen, wenn primär auf das Herz wirkte. Diese Fragen wird man im Stande sei zu beantworten, 282 Dr. Kunde: sobald man Thieren die medulla zerstört oder lähmt, die Trachea zubindet oder das Herz anhält. | In Folgendem soll nun gezeigt werden, dass man. im Stande ist, diesen Anforderungen ‘zu genügen. Die’ Unter- suchungen über die Blutvertheilung, welche sich. hier .an- schliessen sollten, muss Verfasser auf eine günstigere. Zeit versparen, da dieselben sehr complieirter Natur und zeitrau- bend sind. Verfasser veröffentlicht daher nachstehende Ver- suche nur in der Absicht, eine Methode an die Hand zu ge- ben, welche, wie er glaubt, bei physiologischen Versuchen sehr oft wird in Anwendung gebracht werden können, und seiner Unzulänglichkeit sich vollkommen bewusst, wünscht derselbe nur die Mutter des Socrates nachzuahmen, welche, selbst nicht mehr gebärend, dennoch Kunstgriffe zu finden bemüht war, wodurch sie anderen ihre Geburten zur Welt bringen half. Man kann ein Säugethier, Hund, Katze oder Kaninchen auf folgende Weise scheintodt machen: 1) durch einen heftigen Schlag auf den Kopf, 2) durch Zuschnüren der Trachea, 3) durch Compression des Herzens. Erstere Methode ist sehr roh, und führt im he en Falle doch nur dahin, dass das Herz nur wenige Secunden stillsteht. Ich glaube aber, dass, um die Folgen des Todes durch primäre Affeetion der medulla oblong. beobachten zu können, der Tod durch Curare benutzt werden könnte. Da man nämlich nach Vircho w’s Untersuchungen im Stande ist, bei dem durch Curare vergifteten Thiere durch künstliche Re- spiration die Thätigkeit des Herzens im Gange zu erhalten, so folgt daraus, dass es die medulla war, welche zuerst affi- zirt wurde. Ein anderes Mittel, um die medulla obl. ausser Function zu setzen, ist die Wärme. Der zerstörende Einfluss ‚der Wärme auf die Nerven ist durch verschiedentliche Versuche dargethan ‚worden. Eckhard zeigte, ‘dass ein Frosch- nerv in einer Temperatur von 55 bis 60 Grad R. seine Reiz- barkeit fast momentan einbüsste. Ich fand bei Fröschen, welche in einer Temperatur von 35—40 Grad C. längere Zeit verweilend, gestorben waren, die Nerven nicht, mehr. reagi- Physiologische Bemerkungen ‚über den Scheintod. 283 rend; die Muskeln ‘waren in diesen Fällen nicht starr. Bei Fröschen, welche man eine Zeit lang sehr intensiver Sonnen- wärme (30-35 Grad CO.) aussetzte, beobachtete man das- selbe. Du Bois fand, dass in einem Nerven, welcher den Strahlen eines stark. glühenden Körpers ausgesetzt war, der Strom des Nerven sich umkehrte, und dass die normale Strömung wieder eintrat, wenn der: Nerv, in Muskelfleisch gebettet, der Ruhe überlassen wurde. Es bestände demnach der Scheintod der Nerven in diesem Falle in einer verschie- denen Anordnung der Molekule, ganz, wie wir uns dies bei einem magnetischen und einem nicht, magnetischen Eisen denken. Ich habe nun nicht gewagt, bei Säugethieren die Wärme : auf die medulla.oblong. zu applieiren, wohl aber beim Frosche, und hier fand sich denn, dass die Wärme, welche auf Gehirn und medulla eine Zeit lang einwirkte, das Thier in Scheintod versetzte, aus welchem es, in Wasser ge- setzt, nach wenigen Minuten wieder erwachte. Zu dem Ende wurde das Thier in ein feuchtes Tuch ge- hüllt und auf die freigelassene Schädeldecke ein ebenfalls angefeuchteter Leinwandbausch gelegt. Auf letzteren wurde dann ein mit heissem Sande angefülltes Probirgläschen ge- halten. Letzteres wurde gewechselt, sobald es sich .abge- kühlt hatte. Nach längerer oder kürzerer Zeit schwindet nun bei einem solchen Thiere die Sensibilität der Haut, will- kürliche wie Reflexbewegung, Pulsation des Herzens und der Lymphherzen. Setzt man es aber noch zeitig genug in Was- ser, so kehrt es in unverhältnissmässig kurzer Zeit vollkom- men:zur Norm zurück. Der Scheintod durch Zuschnüren der Trachea ist bekannt; ich gehe daher zu dem Scheintod durch Anhalten des Her- zens über. Esist durch Ed. Weber bekannt, dass man das Herz einmal durch Reizung der Vagi, ferner durch: Oompres- sion der Brust zum Stillstande bringen kann; Donders ferner wies nach, dass eine sehr starke Inspiration allein schon ge- nüge, um diesen Effect hervorzurufen. Bei Reizung der N. vagi ist nur der grosse Uebelstand, dass die Wirkung der- selben schnell vorübergehend ist, und bei Sistirung des Her- 284 Dr. Kunde: zens nach den anderen angegebenen Methoden 'hat man ein complieirtes Phänomen vor sich, da man Athmungsbewegung und Herzbewegung nur zu gleicher Zeit unterbrechen kann. Es gelingt nun aber bei jungen Katzen, Hunden, Kanin- chen, und ferner beim Frosche, durch Compression des Her- zens mittelst der Finger, bei unverletztem Thorax nnd ohne Beeinträchtigung der Athembewegungen dies Organ zum Stillstand zu bringen. Das Experiment lässt sich am besten ausführen bei den Katzen, da deren Thorax so gebaut ist, dass man ihr Herz vollkommen isoliren kann, sobald das Thier noch jung und die Rippen sehr nachgiebig sind. Comprimirt man einer Katze mittelst der Finger der rech- ten Hand das Herz, so sieht man, dass im Anfange die Re- spirationsbewegungen vor sich gehen, das Zwerchfell zieht sich zusammen und das Thier schreit. Man beobachtet dann alsbald bedeutende Oyanose der Mund- und Nasenschleim- haut, welche schnell einer vollständigen Blässe Platz macht. Die Athembewegungen hören dann auf, die Pupille erwei- tert sich. Es verschwinden alle willkürlichen und Re- flexionsbewegungen. Auskultirt man jetzt das Herz, welches man freigelassen, so hört man keine Herztöne. Nach Kur- zem erscheint schon der erste Herzton, ihm folgt bald auch der zweite und das Herz tritt wieder in Function. Dann wird eine Athembewegung gemacht, welche allen übrigen Bewegungserscheinungen am Rumpfe vorauszugehen pflegt, und eintritt zu einer Zeit, wo die Cornea noch vollständig unempfindlich ist. Die Schleimhäute röthen sich wieder. Das Thier steht auf, geht gemeiniglich wie ein Betrunkener herum, indem in den meisten Fällen die hinteren Extremi- täten länger gelähmt bleiben als die vorderen und kommt dann nach und nach wieder vollständig zu sich, so dass man sehr bald das Experiment an demselben Thiere wiederholen kann, ohne dass man irgend welche nachtheilige Wirkungen wahrnimmt. Bei Hunden gelingt das Experiment nicht so gut, vor- trefflich aber bei jungen Kaninchen. Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 285 Es ist im sehr, vieler Beziehung. interessant, dass ‚sich auch bei dem Hiob der Physiologie, dem Frosche, dasselbe wiederholen lässt. Zu dem Ende hülle man denselben in ein Tuch, drücke mit dem Daumen der linken Hand auf das Sternum, um das Herz hervorzuschieben und fasse dann. das leicht; zu fühlende Organ zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Man unterscheidet bei einiger Uebung leicht die einzelnen Theile das Herzens und halte nun nicht die Kammern zwischen den Fingern, sondern mehr die Vor- kammern und Gefässe !). Im Sommer, wo die Frösche nicht sehr lebhaft waren, trat meist nach 15 Minuten bereits Schein- tod ein. Später, im September, musste man aber seine ganze Geduld zusammennehmen, um dasselbe Resultat zu erzielen, und that man’ dann besser, das Herz nach durchschnittenem Sternum zu unterbinden. Es schwindet nun, bei sorgfältiger Beobachtung, die Sen- sibilität stets zuerst an den Zehen der hintern Extremitäten und sind dieselben nicht mehr im Stande, Reflexbewegungen einzuleiten, wenngleich die Reizung der Cornea noch Reflexe an den Augenliedern hervorruft. Die Lymphherzen hören sehr spät auf zu pulsicen und kann man ihre Bewegung noch wahrnehmen, wenn das Thier selbst auf Application des elec- trischen Reizes auf die Haut nicht mehr reagirt. Dennoch aber schwindet auch diese Bewegung, und das Thier giebt kein Lebenszeichen von sich. In der Schwimmhaut ist keine Spur von Circulation wahrzunehmen, die Capillaren sind nur sparsam mit an einander geballten Blutkörperchen gefüllt, die Arterien sind fast leer, die Venen zeigen den meisten Inhalt. Lässt man nun das Herz frei, so bemerkt man, wie all- mälig sich der Strom in der Schwimmhaut wieder herstellt, wie Arterien und Capillaren sich wieder füllen, ‘wie der an- fangs ganz langsame Strom immer schneller und schneller wird und endlich zur Norm zurückkehrt, Unter der Zeit ist 1) Durch langes Halten der Kammern zwischen den Fingern der Hand wurde in’ einigen Fällen Wärmestarre erzeugt. Dr. Kunde: aber auch der Frosch vollkommen wieder zu sich gekommen und hüpft, wie vordem, herum. I Dieses Wiedererwachen des Thieres gehört zu den inte- ressantesten Phänomenen die man beobachten kann, und geht oft mit überraschender Schnelligkeit vor sich. Hat man so lange gewartet, bis die Action der Lymphherzen verschwun- den war, so dauert es längere Zeit, ehe das Thier wieder zu sich kommt. Ich führe zur Erläuterung zwei Versuche an. Versuch I. Um 11 Uhr 55‘ Herz comprimirt. „ 12 „ 12‘ Keine Reflexe mehr, „ 12 „ 25° Lymphherzen nicht mehr pul- sirend. Herz freigelassen. »„ 1 „ 5’ Herz und Lymphherzen wieder pulsirend. »„ 93 „ — Status normalis. Versuch II. Um 11 Uhr 35° Herz unterbunden. „ 12 „ 15’ Scheintod. Ligatur gelöst. „ 12 „ 20‘ Beginnende Reflexthätigkeit. „.12 „ 50‘ Status normalis. Setzt man die Compression länger fort, oder löst man nicht die Ligatur, so bleibt das Thier, wie sich von selbst versteht, todt. Untersucht man nun Rückenmark und Ner- ven vermittelst des electrischen Reizes, so findet man 'die- selben gut reagirend. Macht manj gleichzeitig an zwei Fröschen den Ver- such, dass man dem einen’das Herz comprimirt oder unter- bindet, dem andern dagegen das Herz ausschneidet, oder besser nur die Kammern fortnimmt, so stirbt der Erstere_ in kürzerer Zeit als der Letztere. Es giebt davon in seltenen Fällen Ausnahmen, was auf die sehr verschiedenen Tempera- mente der Frösche zu schieben ist. Diese Ausnahmen beste- hen darin, dass die Thiere unter genannten Bedingungen ziem- lich zu gleicher Zeit zu Grunde gehen. Ich berufe mich da- her auf die allgemeine Erfahrung, welche Jeder, der viel mit Fröschen experimentirte,. gemacht haben wird, dass nämlich ein Frosch mit ausgeschnittenem Herzen noch stundenlang Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 2857 fortleben kann, und setze dieser Erfahrung die meinige ent- gegen, dass nämlich dies niemals beobachtet wird, wenn man dem Frosche das Herz unterbindet oder comprimirt. Forschen wir nun nach der Erklärung dieser schnellen Wirkung der Herzcompression, so bedarf es beim Säugethiere wohl nicht vieler Worte, da es an sich klar genug ist, dass das Thier zu Grunde gehen muss, sobald in Folge des Still- standes des Herzens eine der Hauptbedingungen des Lebens fortfällt. Wir können daher mitRecht auf Bichat verweisen, welcher die verschiedenen Momente des allmälig eintretenden Todes in ihrer Reihenfolge zusammengestellt hat, und bemer- ken, dass allerdings, wie Bichat supponirt, aber durchaus nicht bewiesen hat, der Tod durch Stillstand des Herzens sich wesentlich in seinen Erscheinungen von dem durch Asphyxie unterscheidet. Der Sectionsbefund ist nach diesen beiden Todesarten ein total verschiedener, wie sich dies a priori schon denken lässt. ag : Schwieriger wird aber die Lösung der Frage: Weshalb stirbt der Frosch in kürzerer Zeit, wenn ihm das Herz com- primirt, als wenn ihm dasHerz ausgeschnitten wurde? — Wir sollten glauben, der Blutverlust, verbunden mit der Eröffnung der Brusthöhle, müsste gerade umgekehrt, einen schnellen Tod herbeiführen. Diese Meinung wird noch mehr bestätigt durch die von Kilian ermittelte Thatsache, dass nämlich Ner- ven, welche sich in bluthaltenden Theilen verzweigen, ihre Er- regbarkeit länger behalten alsdiejenigen, die sich in blutarmen oder blutleeren Theilen verbreiten. Derselbe Autor zeigte, dass ein Nerv, welcher seine Erregbarkeit eingebüsst hatte, sich in dem bluthaltenden Gewebe in kurzer Zeit wieder er- holte, während der andre Nerv, der von blutarmen Theilen umgeben war, im todten Zustande verharrte. Bei der Unter- bindung des Herzens findet sich aber mehr Blut in den Thei- len angehäuft, als bei dem Ausschneiden des Herzens. Wir haben demnach den nutritiven Effect des Blutes von vorn her- ein auszuschliessen, und werfen die Frage auf, ob nicht eine veränderte Spannung in den Gefässen einen grossen Einfluss auf die Functionen des Nervensystemes ausübe. Bei den 288 Dr. Kunde: Säugethieren lässt sich diese Frage wohl schwer entscheiden, da man nicht im Stande ist, die Spannung, im Gefässsystem. zu ändern, ohne gleichzeitig bedeutende Störungen im der Nutri- tion hervorzurufen. Man kann ferner durch Entziehung, von Blut oder durch Injection desselben, durch Unterbindung von Venen und Arterien, eine verschiedene Spannung; allerdings hervorrufen, _ Im Organismus ‚des Säugethieres sind aber so viele compensatorische Momente in Betracht zu ziehen, dass wir dort unmöglich reine Resultate erwarten können. Anders verhält es sich nun beim Frosche, an. welchem wir, nach gänzlicher Elimination der Wirkungen des Blutge- fässsystems, in so fern die Spannungen in diesem Röhrenap- parate in Betracht kommen, d. h. nach Ausschneidung des Herzens, noch im Stande sind, Untersuchungen. über die Func- tion der Nerven anzustellen. Ein vortreffliches Mittel 'be- sitzen wir dabei im Strychnin. Schneiden wir einem Frosche das Herz aus und bringen ihm dann einige Tropfen einer salpetersauren Strychninlösung (gr. IV. auf ag, dest. 3 11.) auf das Rückenmark, so geräth das Thier, wie bekannt, nach kurzer Zeit in Tetanus. + Oeffnet man einem :Frosche die Wirbelsäule, träufelt dann einige Tropfen derselben Lösung auf das Rückenmark und comprimirt gleichzeitig das Herz, so macht das Thier in manchen Fällen, wenn die richtige Dosis getroffen wurde, gar keine, iu seltenen Fällen, wenn ‘die Dosis zu gross. war, war, schwache Zuckungen, geräth aber niemals in: Tetanus, sondern verfällt, wie jeder andere Frosch, nach einer bestimm- ten Zeit in Scheintod. Lässt man nun das Herz frei, so tritt in Kurzem der Tetanus ein, sobald das Herz angefangen hat, zu funetioniren. Hat man auf der andern Seite einen Frosch durch locale oder innerliche Application‘ der Strychninlösung in Tetanus versetzt und comprimirt nun sein Herz, so. ver- schwindet der Tetanus vollständig, das 'Thier wird scheintodt. Aus diesem Scheintode erwacht es mit dem Wiedereintreten der Herzschläge und damit stellt sich auch, der Tetanus wie- der ein, Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 289 Versuch I.: Ein Froscherhältdurch den Mund 2 Tropfen der salpeters. Strychninlösung, um 10 Uhr 20‘. Vollständiger Te- tanus nach 2 Minuten. Das Herz wird comprimirt. 10 Uhr 40' Scheintod. Herz freigelassen. 10 ,„ 50' Tetanus. 3 „ 40° Tetanus noch immer fortbestehend. Herz comprimirt. „» 595' Tetanus verschwunden. Herz freigelassen. „ 12‘ Tetanus. Herz comprimirt. ‚, 30° Tetanus verschwunden. Herz freigelassen. „ 40‘ Tetanus, der bis um 7Uhr beobachtet wurde. Ich verstehe in diesen Fällen unter Tetanus den Zustand, in welchem ein Frosch bei der leisesten Berührung zusammen- zuckt,eund brauche ich wohl nicht zu erwähnen, dass dieser Tetanus sehr verschiedene Grade haben kann, deshalb aber doch nicht minder als Tetanus aufgefasst wird, wenn auch keine bedeutende Starre, noch bedeutender Krampf vorhanden sind. Im Anfange der Vergiftung trat nun immer sogenann- ter Starrkrampf ein, d. h. die Muskeln zogen sich so stark zusammen , dass sie sich hart anfühlten , später habe ich aber stets die gesteigerte Reflexthätigkeit oder besser die erhöhte Sensibilität in ihrer Erscheinung als tonische Zuekung mit dem Namen Tetanus bezeichnet. Die Frösche sind unfähig, sich Pr I m willkürlich zu bewegen, denn jeder Versuch ruft allgemeine Zuckung hervor, und ein leichtes Klopfen auf den Tisch be- wirkt dasselbe. Ich erwähne dies, um Missverständnissen vor- zubeugen. Verauch ll. Ein Frosch erhält zwei Tropfen Strychnin- lösung durch den Mund. Sobald sich die ersten Spuren der Wirkung zeigen, wird das Herz comprimirt, und das Thier möglichst still gehalten. Es treten keine ferneren tetanischen Zuckungen ein während 5 Minuten. Das Herz wird nun los- gelassen. Allgemeiner Tetanus nach 20 Sekunden. Herz comprimirt während 20 Minuten, Scheintod. Herz freige- lassen. Nach 4 Minuten Zucken der Hinterzehen bei Kneipen des Unterkiefers. Nach 10 Minuten Zucken der Hinterzehen bei Kneipen der Arme. Nach 15 Minuten Zusammenfahren Müller’s Archiv. 1857, 19 290 Dr. Kunde: des Körpers bei Berührung einer beliebigen Hautstelle. Nach 2 Stunden hat das Thier noch immer Tetanus. Versuch III. Ein Frosch erhält einen Tropfen der Strych- ninlösung in die geöffnete Wirbelsäule Dann wird ihm das Herz comprimirt. Nur selten ganz leise Zuckungen des Fro- sches. Scheintod nach 25 Minuten. Das Herz wird freige- lassen. Vollständiger Tetanus nach 15 Minuten, welcher meh- rere Stunden lang fortbesteht. Dieser Versuch wurde jedesmal mit demselben Resultate wiederholt. Versuch IV. Einem Frosche das Herz comprimirt bis zum Scheintode. Eröffnung der Wirbelsäule und Einträufelung von Strychninlösung. Ausschneidung des Herzens. Kein Te- tanus. f Alle genannten Versuche wurden oft wiederholt. Der Tetanus, welcher durch Harnstoff producirt worden (S. meine Arbeit über Wasserentziehung), verschwand , bei- läufig gesagt, ebenfalls durch Herzcompression, um dann wie- der zu erscheinen, wenn das Herz wieder zu schlagen anfıng. — Man wird aus dem Vorhergehenden nicht ohne Grund den Schluss machen , dass die Lähmung der Nerven, durch eine veränderte Spannung im Gefässsysteme hervorgerufen werde. Betrachten wir nun, was im Gefässsysteme vorgeht, wenn das Herz unterbunden oder comprimirt wird, so finden wir, dass das Blut aus den Arterien ausgetrieben, in die Venen überströmt. Es wirken hier Luftdruck und Druck der elasti- schen Arterienhäute beim Säugethiere, der elastische Druck letzterer allein ‚beim Frosche. Der Frosch ist allerdings im Stande durch Schliessen der Stimmritze, nachdem er die Lun- gen mehr oder weniger aufgeblasen, die Wirkungeu des Luft- drucks wesentlich zu moditiziren, dies Moment fällt aber bei der Unterbindung des Herzens fort. Um nun den Effekt des Druckes der Abteniersnnde zu beobachten, unterbinde man beim Frosche den Bulbus aortae. Man findet dann, dass sich Hohlvenensack, Vorhöfe und Kam- mer sirotzend mit Blut anfüllen, während das Herz zu pül- Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 29] siren fortfährt. Das Thier geräth in Scheintod, während das Herz noch stundenlang seine Pulsationen bewahrt. Da nun im Froschherzen kein Klappenapparat vorhanden ist, welcher den Einfluss der Herzcontraction auf den venösen Strom zu pa- ralysiren im Stande ist, so schliessen wir, dass der Druck der elastischen Wände der Arterien ein ziemlich bedeutender sein müsse. Es liegt ein Experiment von Fod&ra vor, welcher sagt: Bei einem mit Strychnin narkotisirten Thiere kann man nach Willen die Convulsionen in diesem oder jenem Theile aufhören machen, wenn man das blossgelegte Rückenmark an der entsprechenden Stelle comprimirt. Es wäre danach also möglich, dass eine vermehrte Span- nung im Venensysteme dasselbe Resultat zur Folge haben könnte, so unwahrscheinlich dies auch auf den ersten Augen- blick scheinen mag. Wenn diese Hypothese richtig wäre, dann müsste die Oeffnung des Rückenmarkkanales nebst seinen Gefässen offenbar diesen Druck aufheben. Man schneide nun aber einem Frosch den Kopf ab, vor oder hinter der Medulla oblongata und comprimire ihm dann das Herz, er wird dennoch die Sensibilität verlieren, die Lymphherzen werden aufhören zu pulsiren, er wird nicht mehr springen, und Alles wird wie- derkehren, sobald man das Herz wieder pulsiren lässt. Man mache folgenden Versuch: Das Rückenmark eines Frosches wird ohne Verletzung der Wirbelkörper und bei. möglichst geringer Blutung durch- schnitten, und die Enden auseinander geschoben, so dass ein Zwischenraum von 1 Mm. zwischen ihnen bleibt. Es finden sogenannte Reflexbewegungen bei Kneipen der vorderen wie hinteren Extremität statt. Nun wird das Herz comprimirt, und die Bewegungen schwinden vorn wie hinten. Das Herz wird freigelassen und der Frosch geräth wieder in den Zu- stand wie vorher. So oft man das Experiment wiederholt, erhält man dasselbe Resultat. Hat man aber einen solchen Frosch scheintodt gemacht und trennt die Wirbelsäule, oder trennt gänzlich die obere von der unteren Körperhälfte, so ne) u 292 Dr. Kunde: kehren mit den Herzschlägen auch die Reflexbewegungen in der oberen Körperhälfte wieder. — Obgleich es nach den Pflüger’sehen Aufklärungen, dieich in jeder Hinsicht zu bestätigen im Stande bin, grausam ist, selbst an enthaupteten Fröschen zu experimentiren; so haben wir uns doch nicht enthalten können (Angesichts der Jäger, Fischer und Austernesser, welche Beine zerbrechen, Unterkiefer luxiren und lebendige Thiere zermalmen, Angesichts der Aal- liebhaber und der bei lebendigem Leibe in siedendes Wasser geworfenen Crustaceen), diese Experimente fortzusetzen. Ich erwähne daher, dass ein Frosch, welchen man während des Scheintodes nach Herzcompression in zwei Hälften theilt, in der oberen Hälfte, in welcher das Herz sich befindet, wie- der in Kurzem Bewegungen zeigt, willkürliche und unwillkür- liche, Athem- wie Augenliderbewegung, und dass man selbst in diesem verstümmelten Thiere Scheintod und Lösung dessel- ben durch Compression des Herzens noch hervorzurufen im Stande ist. Ob das Gehirn vorhanden, ist hierbei ganz gleich. Zur Erläuterung vorhergenannter Thatsachen diene noch folgender Versuch. Einem Frosche wird der Kopf abgeschnitten bis hinter die Rautengrube, ohne Schonung des Unterkiefers, wodurch bedeu- tender Blutverlust entsteht. Compression des Herzens um 2 Uhr 30 Min. Verschwinden aller Bewegungen nebst Pulsation der Lymphherzen um 2 Uhr 45 Min. Das Herz freigelassen. Um 3 Uhr 35 Min. Lymphherzen wieder pulsirend. Herzbewegung zu sehn. Erste Spur von Reflexbewegung. 4 Uhr 25 Min. Sensibilität normal. Das T'hier springt. Wir fügen dem hin- zu, dass auch beim Säugethiere der Effekt der Herzcompres- sion keine Veränderungen erleidet, ob man die Cerebrospinal- flüssigkeit abzapfte oder nicht. Die Thiere verfielen in Schein- tod und kamen wieder zu sich, ob man die membrana obtu- ratoria angestochen hatte oder nicht. Es geht nun aus allem Gesagten hervor, dass wir zwar in Hinblick auf die Experimente, welche mit Strychnin gemacht wurden, annehmen müssen, dass eine vermehrte Spannung im Venensysteme die Nerven zu lähmen im Stande sei, dass wir Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 293 aber auf der andern Seite unmöglich diese Spannung als den einzigen Grund der schnellen Wirkung bei Anhalten des Her- zens ansehen können. Wenn uns daher die Experimente am blutleeren Thiere bewiesen, dass die Strychninwirkung eintrete bei ausgeschnittenem Herzen, dagegen ausbleibe beim bluthal- tigen Thiere mit comprimirtem Herzen, wenn ferner bewiesen wurde, dass die Compression des Herzens ihre Wirkung noch ausüibe bei grossem Blutverluste, Eröffnung der Schädel- und Wirbelhöhle und wir somit nicht mit den bisherigen Erklärun- gen ausreichen, um die schnelle Wirkung der unterbrochenen Herzaction zu verstehen, so sei es mir erlaubt, einer Hypo- these das Wort zu reden, welche von Bichat bereits mit folgenden Worten angedeutet wurde, und welche vielleicht im Stande ist, das Augenmerk auf ein nicht recht beachtetes Ge- biet zu lenken; B. sagt, nachdem er über die Wirkungen des Austrittes von Flüssigkeit in die Hirnhöhle gesprochen; „Nach allem diesen kann man die Behauptung aufstellen, dass eins der Mittel, durch welches das Herz die Erscheinungen am Ge- hirne unter seiner Abhängigkeit erhält, in der fortwährenden Bewegung (mouvement habituel) besteht, welche diesem durch jenes mitgetheilt wird.‘ Wenn wir nun bedenken, dass der Impuls der Blutwelle auf das Gehirn so bedeutend ist, dass er selbst dem Auge sichtbar wird, wenn wir bedenken, dass sich dieser Impuls auf das Centralnervensystem bei den Säugethieren 90-180,000Mal und öfter, innerhalb 24 Stunden wiederholt, so können wir unmög- lich dies Moment als ein gleichgültiges ansehen. Sind es doch nur von aussen kommendeErschütterungen, welche die höheren Sinnesorgane anregen. Wir erinnern nur an die sehr sinn- reiche Erzählung Do ve’s, welcher einen Menschen in ein dunk- les Zimmer stellt, in welchem sich ein schwingender Körper befindet. Im Anfange kann nur das Gefühl erkennen, dass der Körper schwingt, bis die Schwingungen auf 33 in der Se- kunde steigen. Jetzt beginnt das Ohr Kenntniss zu nehmen von der Anwesenheit des schwingenden Körpers; die Schwin- gungen nehmen zu; der Mensch beginnt zu sehen, die Farben des Prisma werden sich in seinem Auge verdrängen , zuletzt 294 Dr. Kunde: wird er eine angenehme Wärme empänden. ‘Wir erinnern ferner an Thatsachen, wo durch grob mechanische Bewegun- gen der Aggregatzustand der Materie wesentlich verändert wird. Hierher gehört das von Liebig eruirte Factum, dass das Schmiedeeisen , aus welchem die Achsen der Eisenbahn- wagen bestehen, durch die fortgesetzte Erschütterung in Guss- eisen verwandelt wird. Hierher gehört die Erscheinung, dass wenn eine verstöpselte, mit schwarzem Zinnober halb ange- füllte Flasche an eine Säge gebunden wird, welche sich in der Minute mehrere hundert Male auf und abbewegt, innerhalb einer Stunde Alles in rothen (erystallisirten) Zinnober ver- wandelt ist. Hierher gehört aber vor Allem die schöne und wichtige Entdeckung von Heidenhain, dass ein Nerv durch fortge- setzte mechanische Erschütterung in Tetanus versetzt werden könne, Heidenhain!) liess ein Elfenbeinhämmerchen die Ner- ven eines Froschschenkels hämmern, und versetzte denselben dadurch in den heftigsten Tetanus und bemerkt: „‚‚Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass in den Primitivfasern mit jedem Hammerschlage eine Welle erzeugt wird, welche die zur Ent- stehung des zuckungserregenden Vorganges nöthige Molekular- bewegung einleitet. Bedenken wir nun, dass Gehirn wie Rückenmark der Säugethiere von knöchernen festen Hüllen umgeben sind, dass diese weichen Organe beim Menschen durchschnittlich 4 bis 5000 Pulsschläge in der Stunde empfangen, so wird es nicht absurd erscheinen, dieser habituellen Bewegung eine grössere Wichtigkeit beizulegen, als es bisher geschehen ist. Ich möchte ferner noch auf ein anderes mechanisches Mo- ment Gewicht legen, das ist der Durchtritt der Blutkörper- chen durch die Capillaren. Man ist im Stande, durch die Manipulation der Herzcompression den Kreislauf in den Ca- pillaren unter den verschiedensten Bedingungen zu beobachten, und da wird es sehr auffallend zu sehen, wie die Blutkörper- 1) S. Physiologische Studien. Berlin 1856. Physiologische Bemerkungen über den Scheintod. 295 chen mit Gewalt durch die engsten Capillaren hindurchgetrie- ben werden. Man kann, je nachdem man das Herz func- tioniren lässt, dieses gewaltsame Durchtreten leicht sichtbar machen. Da wir nun bei allen Wirbelthieren Blutkörperchen vorfinden und das Centralnervensystem von Capillaren durch- zogen ist, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass dies Hindurch- pressen der Blutscheiben, zumal wenn es schnell geschieht, einen sog. integrirenden Reiz abgiebt, der von Bedeutung sein möchte. Denn da die Kraft durch das Product der Masse in die Geschwindigkeit ausgedrückt wird, die Geschwindigkeit in den Capillaren aber nach den Wahrscheinlichkeitsrechnungen immerhin eine sehr bedeutende ist, so muss auch die Kraft, welche ein jedes Blutkörperchen beim Durchtritt durch ein Capillargefäss, dessen Durchmesser den seinigen nicht über- trifft, verliert, an die an das Capillarrohr grenzende Nerven- masse abgegeben werden. Die Blutscheiben wären demnach als Kraftträger des Herzimpulses anzusehen, welche den Choc des Herzens bis zu den innersten Theilen des Nervensystems zur Wirkung zu bringen im Stande sind. Ich erwähne schliesslich noch einer Erscheinung, welche sich an die Beobachtungen von Kussmaul über das Verhal- ten der Iris bei gehemmter oder vermehrter Blutzufuhr an- schliessen. Bei vortheilhaftem Thoraxbaue junger Kaninchen und Katzen gelingt es nämlich, bei einiger Uebung, das Herz plötzlich ganz vollständig zu comprimiren. In diesem Falle bemerkt man dann zuerst eine Verengerung der Iris. Dann treten (bei Kaninchen) bald stärkere, bald. schwächere Rota- tionsbewegungen des Bulbus ein, die Gefässe der Iris ‚werden blutleer, das Innere des Auges blass, nach wenigen Secunden beginnt aber schon die Iris sich zu dilatiren. Sobald die Di- latation eintritt, pflegen leichte Convulsionen sich einzustellen. Die Dilatation der Iris erreicht ihren höchsten Grad, der Bul- bus tritt, hervor bis zum vollständigen Exophthalmos, wenn man die Augenlider ein wenig aus einander hält. Un- terbricht man die Compression des Herzens, so kann die Iris 15-20 Secunden lang in ihrer äussersten Dilatation verharren, und beginnt erst nach dieser Zeit, wenn das Herz wieder zu 296 Dr. Kunde: pulsiren anfängt, sich zu contrahiren, um mit dem Erwachen des Thieres aus dem Scheintode zur Norm zurückzukehren. Ich erwähne nun aber ausdrücklich, dass ich als constantes Phänomen nur die Dilatation der Iris angeben kann, alle übri- gen Erscheinungen lassen sich nicht immer mit Sicherheit her- vorrufen und verweise ich daher auf Kussmaul’s Unter- suchungen. Es sei mir aber gestattet, ein paar Worte hinzu- zufügen, welche bei Beobachtungen über Irisbewegungen zu berücksichtigen sein möchten: Der Effect der Herzcompression ist eine sogenannte Is- chaemie, und es ist klar, dass bei jeder Verminderung des Herzdruckes eine vermehrte Contraction der Arterien eintreten müsse. Da nun, wie Kussmaul zuerst gezeigt, eine Con- traction der Arterien sich schliesslich in einer Erweiterung der Iris kund giebt, so muss ein jeder Einfluss, welcher die Herz- bewegung herabstimmt, in den Bewegungsphänomenen der Iris seinen Ausdruck finden. Tiefe Inspiration ‘wie Exspira- tion vermindern die Druckkraft des Herzens. Es ist daher klar, dass in Folge derselben auch eine Erweiterung der Iris stattfinden müsse. Diese Erscheinung kann man in der That auch an sich selber beobachten. Bei jeder tiefen Inspi- ration erweitert sich die Iris. Diese Dilatation wird sehr be- deutend, wenn mandas Weber’sche oder Donders’sche Ex- periment wiederholt. Ich habe diesen Versuch allerdings nur einmal so weit getrieben, dass ich die Pulsation der a. tempo- ralis nicht mehr fühlen konnte, und erbielt eine bedeutende Dilatation der Iris. Meine Gesundheit erlaubt mir nicht, diese Versuche zu wiederholen, und fordere ich daher kräftigere Männer dazu auf. Es ist ferner bekannt, dass psychische Affekte grossen Einfluss auf die Herzbewegung ausüben. Der Ausdruck ‚‚mein Herz steht still‘“ beruht auf richtiger Erfahrung. Das Herz kann allerdings bei heftigen Gemüthsbewegungen, im Schrecken, in der Angst momentan stillstehen. Es kommt dieser Still- stand dadurch zu Stande, dass eine tiefe Inspiration sich mit einer krampfhaften Contraction der Bauchmuskeln verbindet. Ein Jeder, der sich in grossen Gefahren befunden, und den- Physioiogische Bemerkungen über den Scheintod. 297 noch genug physiologisches Bewusstsein behielt, um sich selber zu beobachten, wird diese Bemerkung bestätigen können. Aus allem Genannten geht hervor, dass man bei Versuchen über den Einfluss der verschiedenen Nerven auf die Bewegung der Iris, welche man an lebenden Thieren anstellt, sehr vor- sichtig sein müsse, und dass die Fälle, in welchen man einen Einfluss des Willens auf die lrisbewegungen beobachtet haben will, mit grossem Bedenken aufgenommen werden müssen. 298 Dr. Wilhelm Wundt: Ueber die Rlastieität feuchter organischer Gewebe von Dr. WILHELM WunxDr. In dem Nachfolgenden theile ich einige Ergebnisse einer Reihe von Versuchen mit über die Elastieität der thierischen Gewebe, insbesondere der Muskeln, die ich im Sommer 1856 in dem physiologischen Laboratorium des Herrn Prof. du Bois-Reymond, von demselben freundlichst mit Rath und That unterstützt, begonnen habe. Bei seinen ähnlichen Untersuchungen ist Wertheim!) zu dem Resultat gelangt, dass die thierischen Gewebe sich von den starren unorganischen Körpern wesentlich darin unter- scheiden, dass die Dehnung, die sie durch Gewichte erfahren, nicht proportional der Belastung wächst, sondern bei steigen- der Belastung abnimmt. Es stimmen damit die speziell für die Muskeln gewonnenen Resultate von Ed. Weber?) über- ein. — Darnach liesse sich also für den Elastieitätsmodulus der feuchten organischen Gewebe kein einfacher, aus einer einzigen Beobachtung zu gewinnender Zahlenausdruck auf- stellen, sondern es müsste derselbe, da er eine von der Grösse der Belastung abhängige variable Grösse ist, aus der Gleichung der Dehnungscurve abgeleitet werden. Die letz- tere Curve stimmt nach Wertheim nahezu mit einer Hy- perbel überein. Es scheint jedoch, dass hiermit dieses Gebiet von Unter- 1) Annales de chimie et de physique, III. ser., A. 21, 1847. 2) Art. Muskelbewegung in R. Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie, Bd. III, 2. Abth. Ueber die Elastieität feuchter organischer Gewebe. 299 suchungen keinesweges als geschlossen betrachtet werden dürfe. Es lassen sich zunächst gegen die Untersuchungs- methode von Wertheim einige Einwände erheben. Erstens hat derselbe seine Versuche an den Geweben schon vor län- serer Zeit gestorbener Individuen angestellt, ein Umstand, der namentlich bei der Muskelsubstanz ins Gewicht fällt, die während des Eintretens und der Lösung der Todtenstarre bedeutende Aenderungen in ihrer Elastieität erfährt. Zwei- tens hat Wertheim, wie es scheint, der Verdunstung nicht vorgebeugt; diese, die, wenn man allmälig von kleineren zu grösseren Belastungen übergeht, die späteren Dehnungen nothwendig verringert, ist selbst bei einer kürzeren Versuchs- zeit für die wasserreicheren Gewebe nicht zu vernachlässigen, da sie bedeutend zunimmt unter dem Einfluss grösserer Ge- wichte, indem diese die Flüssigkeit aus dem Gewebe heraus- pressen. Drittens hat vielleicht Wertheim der besondern Art, in der die Dehnung gespannter Muskeln erfolgt, und die von der durch Gewichte bewirkten Verlängerung starrer Kör- per sehr verschieden ist, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die feuchten organischen Gewebe zeigen nämlich die Eigen- thümlichkeit, dass sie nicht momentan mit der Einwirkung eines Gewichtes sich verlängern und dann in dieser neuen Form verbleiben, sondern sie dehnen sich, wenn die Bela- stung fortdauert, allmälig noch eine lange Zeit hindurch wei- ter aus. Es ist dieses Phänomen dieser sogenannten ela- stischen Nachwirkung bis jetzt nur von Wilh. Weber!) bei Gelegenheit der Untersuchung der Seide genauer studirt worden. Ausserdem, dass durch die nachträglichen Dehnungen leicht Fehler in der Messung entstehen können, da man ja nie absolut genau die momentan gesetzte Dehnung, sondern immer nur irgend eine der ersten Ordinaten der ganzen Deh- nungskurve bestimmen wird, könnte man die Frage aufwer- fen, ob überhaupt eine momentane Verlängerung von. einer weitern Verlängerung strenge abzugrenzen sei, wenn, wie es 1) Poggendorff’s Annalen, Bd. XXXIV. 1835 und LIV. 1841. 300 Dr. Wilhelm Wundt. hier der Fall ist, die erstere in die letztere.unmittelbar über- geht. Wo eine momentane Bewegung in eine kontinuirliche Bewegung übergeht, da kann, vorausgesetzt, dass beide durch dieselbe Ursache veranlasst sind, überhaupt von einer mo- mentanen Bewegung nicht die Rede sein und die Messung der Grösse der Bewegung nach dem ersten Moment hat keine grössere Bedeutung als die Messung jeder beliebigen andern Ordinate der Curve der Bewegung ausser der letzten. Es liesse sich daher nur ein Fall denken, in welchem eine solche strenge Scheidung vollkommen gerechtfertigt wäre, wenn nämlich die spätere Verlängerung durch eine Abnahme des Elastieitätscoefficienten der untersuchten Substanz bedingt wäre, wenn also, wie schon angedeutet, die zweite Bewegung einer andern Ursache ihre Entstehung verdankt, als die erste. Dies wird dadurch widerlegt, dass der gedehnte Körper nach der Entlastung wieder zu derselben Länge zurückkehrt, die er hatte; dabei ist bemerkenswerth, dass, wie W. Weber für die Seide nachgewiesen hat, die zeitlichen Verkürzungen nach der Entlastung in derselben Reihenfolge auftreten, wie die zeitlichen Dehnungen nach der Belastung, so dass der be- treffende Körper zur Verkürzung dieselbe Zeit braucht, die zur Verlängerung verflossen ist. Man kann sich danach vor- stellen, dass jeder Belastung eine bestimmte Lage der Mo- leküle entspricht, in der diese für die vorhandene Belastung im Gleichgewicht sich befinden. Wenn diese Lageänderung nicht momentan geschieht, wie bei den organischen Geweben, so liesse sich daraus vielleicht schliessen, dass in diesen Geweben der Formänderung sich irgend welche Widerstände entgegensetzen, die zu ibrer Ueberwindung eine gewisse Zeit erfordern. Ich möchte das eben Ausgesprochene nur als eine der Entscheidung künftiger Untersuchungen anheimgestellte Frage betrachtet wissen; eine festgestellte Ansicht ist hiernach unmöglich, da die elastische Nachwirkung von physikalischer Seite noch zu wenig berücksichtigt ist. Ich hoffte, durch das Studium der Elasticität der thierischen Gewebe einen weitern Beitrag hierzu liefern zu können und Ueber die Elastieität feuchter organischer Gewebe. 301 begann deshalb die Untersuchung damit, erstens dieendliche Grösse der Dehnung bei einer gewissen Belastung’ festzu- stellen und zweitens die zeitlichen Dehnungen in bestimm- ten Zeitzwischenräumen zu messen. — Bevor ich jedoch zur Mittheilung der hier erhaltenen Resultate übergehe, glaube ich die Methode der Messung, die ich angewandt habe, in der Kürze angeben zu müssen, damit beurtheilt werden könne, in wiefern überhaupt diesen Messungen Zutrauen zu schen- ken sei. Bei Muskeln kleinerer Thiere (wie der Frösche) war der zur Befestigung und zur Belastung des Muskels dienende Apparat ein ähnlicher, wie ihn bereits R. Heidenhain!) zu seinen Versuchen über Muskeltonus angewandt und a. a. O. beschrieben hat. Die zwei grossen Vorzüge, durch welche dieser Apparat sich auszeichnet, sind: erstens die äusserst sichere Befestigung des Muskels mittelst eines stählernen Spiesses, der quer durch das obere Knochenstück gestossen wird, welches man, sowie das untere Knochenstück, an dem der Muskel sich ansetzt, erhält; zweitens die Vermeidung einer jeden Pendelschwankung an der Messungsvorrichtung, ohne dass dadurch ein der Ausdehnung des Gewebes sich widersetzender Reibungswiderstand veranlasst wird, was durch Glimmerflügel erzielt ist, die am unteren Ende des mittelst eines scharfen Hakens am unteren Knochenstück befestigten Stahlstabes befindlich sind und in Oel laufen. In der Nähe seines oberen Endes trägt der Stahlstab eine feine Skala. Dieser Apparat, der gegen 7 Gramme wog, gab für viele der anzustellenden Versuche bereits an und für sich eine zu grosse Belastung ab. Ich verfertigte mir daher für diese fol- gende Vorrichtung: ein etwa °’, Millim. dieker, oben und unten etwas umgebogener Schellackfaden wurde oben in einen kleinen S-förmigen Haken, welcher unverrückbar am Muskel befestigt war, eingehängt, und unten war mit demselben mit- telst Seidenfäden eine kleine Wagschale verbunden; an der 1) Heidenhain, physiologische Studien. I. pag. 37 n. ff. (Taf. I.) Berlin, 1856, 302 Dr. Wilhelm Wundt: Mitte des Bodens dieser letztern waren wieder einige Seiden- fäden befestigt, welche die in einem Oelgefäss schwebenden Glimmerflügel trugen. Für andere Gewebe, die keine so bequeme Befestigungs- punkte darbieten, und für Muskelstücke grösserer Thiere nahm ich zwei Korkscheiben, auf deren sich zugekehrten Flächen die Querschnitte des zu untersuchenden Gewebs- stückes sorgfältig mit Siegellack oder Schellack angeheftet wurden. Die obere Korkscheibe war befestigt, die untere irug eine Oese aus Metalldraht, in welche der sonst ange- wandte Messungsapparat eingehängt wurde. Diese Befesti- gungsweise der Gewebe ist natürlich nur für geringe Bela- stungen berechnet, hier aber ist sie wohl jeder andern vor- zuziehen, weil jede Vorrichtung, die einen Theil des zu be- festigenden Stücks zugleich zusammenpresst, weichere Ge- webe in einen’ nachgiebigen Brei verwandelt. Davon, dass die gemessene Verlängerung nicht von einem Losspringen des Lacks herrührt (was übrigens bei einiger Sorgfalt niemals begegnet), überzeugt man sich im Verlaufe der Versuche da- durch, dass die Verkürzung nach der Entlastung wieder die- selbe Grösse haben muss, wie die Verlängerung. Zur Messung der Verlängerungen wurde ein mit einem vorzüglichen Oberhäuser’schen Okularmikrometer versehenes Mikroskop angewandt, das horizontal an dem Apparat befe- stigt wurde. An der an dem Stahlstab befestigten Skala betrug der Werth eines Skalentheils '/, Millim., und zwischen zwei Theilstriche der äusseren Skala fielen bei der ange- wandten Vergrösserung genau 10 Theile der Mikrometer- skala. Bei der zweiten der angewandten Vorrichtungen nahm man sich an dem Schellackstab irgend eine Marke. Es wurde auf diese Weise möglich Längenveränderungen von 0,02 Millim. direct zu messen, solche von 0,002 Millim. aber, namentlich bei der letztgenannten Vorrichtung, wo die Marke beliebig fein genommen werden konnte, mit ziemlicher Schärfe noch zu schätzen. — Die Ausdehnung, welche die über der Stelle der Messung, gelegenen Theile der Apparate erfuhren, war innerhalb der Grenzen der für jeden derselben angewandten Ueber die Elastieität feuchter organischer Gewebe. 303 Belastungen nicht mehr messbar und machte also keine Cor- rection in dieser Hinsicht nothwendig. Ein unumgängliches Erforderniss ist, das dem Versuch un- terworfene Gewebe vor jeder Verdunstung zu schützen. Ich umgab dasselbe zu diesem Zweck mit einer dicken Lage feuchten Filtrirpapiers, die im ganzen Umfang etwa !/, Zoll von ihm abstand, und die oben durch einen Bausch von dem gleichen Papier bedeckt war, so dass nur unten eine Oeff- nung zum Durchlassen des Belastungsapparates blieb. Diese Vorrichtung konnte durch zeitweises Benetzen mit der Spritz- flasche beliebig lange feucht erhalten werden, und die Ge- webe erhielten sich darin mehrere Tage lang völlig unver- ändert. \ Rücksichtlich der zeitlichen Dehnungen hat die vor- liegende Untersuchung zu k£inem für die Kenntniss der ela- stischen Nachwirkung hemerkenswerthen Resultat geführt, aus dem Grunde, weil die thierischen Gewebe in Hinsicht ihrer Blasticität allzu variable Gebilde sind, so dass die et- waige Gesetzmässigkeit, die in der Grösse der nachträglichen Dehnungen herrscht, bei der Kleinheit derselben überwogen wird von den geringen Schwankungen, die das Gewebe selbst immerwährend in seiner Elasticität erleidet. Ausser diesen geringen elastischen Schwankungen machen aber alle Gewebe nach dem Tode beträchtlichere Elasticitätsveränderungen durch. Diese Veränderengen folgen sich in längeren ..Zwi- schenräumen, es kann: daher nur innerhalb einer, gewissen Zeit die Elastieität als annähernd konstant betrachtet wer- den. Da nun die Dauer der elastischen Nachwirkung wächst mit der Grösse des betreffenden Gewichtes, so ist es klar, dass wir, um die Grösse der endlichen Dehnungen be- stimmen zu können, auf kleine Gewichte beschränkt sind. Die in dieser Hinsicht angestellten Messungen haben das Resultat geliefert, dass die endliche Verlängerung der Gewebe proportionalistdemdehnenden Gewichte. Zugleich geht aus den Versuchen hervor, dass, wenn man ein Gewebe successiv mit gleichen Gewichten belastet, bei jeder spätern Belastung eine grössere Zeit, verfliesst bis die 304 Dr. Wilhelm Wundt: endliche Verlängerung erreicht ist, und dass daher die ersten Verlängerungen bei grösseren Gewichten immer verhältniss- mässig kleiner ausfallen. Wenn wir also z. B. von der Curve der endlichen Deh- nungen AB (s. die Figur), in der 2 Abscissentheile = 1 Gramm naunabunnenchuunue-t name nanmnsl-dahechunnen: TEE, sind, die drei Ordinaten, welche successiv = 0,272 Millim. = 0,254 Millim. und = 0,242 Millim. gefunden wurden, auf eine neue Ordinatenaxe BC projieiren und die Projectionslinien verlängern, so erhalten wir ein Coordinatensystem, in welchem die Ordinaten der Länge auf neue Abscissen, die jetzt die Zeiten bedeuten (1 Abseissentheil = 10 Minuten), bezogen sind. Aus den so gewonnenen ÜÖurven erhellt, dass man schwankende Werthe der Verlängerungen erhalten kann, wenn man successiv belastet und nicht abwartet, bis die ganze Dehnung beendet ist. Es wäre leicht möglich, dass bei Wertheim und Ed. Weber dieser Umstand zum Theil an der Art des Resultates Schuld trüge. Die Grösse, um welche sowohl die Zahlen des der Figur zu Grunde gelegten, an einem Froschmuskel von 27,9 Millim. Länge angestellten Versuchs, als auch die vieler anderen von einander abweichen, beträgt nicht viel mehr als 0,01 Millim., eine Grösse, die nicht nur innerhalb der Grenzen der Beob- achtungsfehler liegt, sondern die auch gegen die ganze Grösse der Verlängerung verschwindend klein ist, so dass die Curve AB in der That .als gerade Linie betrachtet werden kann. Ueberdies ist zu bedenken, dass die Beobachtung niemals fortgesetzt werden konnte, bis die Dehnung absolut Null Ueber die Elastieität feuchter organischer Gewebe. 305 wurde, sondern nur bis sie in einer längeren Zeit (in einer Stunde) keine messbare Grösse mehr betrug oder zwischen Zu- und Abnahme schwankte. Ein hierdurch entstandener Fehler kann aber nur sehr klein sein, da die Dehnungen in der Zeit immer mehr abnehmen. Es schliessen sich wahr- scheinlich die von der Ordinatenaxe BC nach rechts liegenden Curven asymptotisch den Abscissenachsen an und machen da- bei geringe Biegungen nach auf- und abwärts von denselben. ') Da nach dem Gesagten die Grösse der bereits bestehen- den Belastung von Einfluss ist auf die Grösse der momen- tanen Dehnung, so lässt sich diesem leicht vorbeugen, wenn man das Gewebe nicht successiv belastet, sondern vor jeder neuen Belastung wieder zu seiner vorigen Länge zu- rückkehren lässt. Es giebt dies zugleich ein Mittel an die Hand, die Elasticitätscoefücienten der verschiedenen Gewebe mit Leichtigkeit zu bestimmen, eine Bestimmung, die natür- lich sehr langwierig und wegen der äusserst veränderlichen Beschaffenheit thierischer Theile sehr mühsam sein würde, wenn man immer das Ende der ganzen Dehnung abwarten müsste. Denn es ist klar, dass, wenn die nach einer unend- lich kleinen Zeit gemessene Verlängerung der endlichen Ver- längerung proportional ist, man ohne Rücksicht auf die et- waige Bedeutung der letztern, jedenfalls die erstere zur ver- gleichbaren Bestimmung des Elasticitätscoefficienten verwenden kann. Es zeigt sich nun in der That, dass innerhalb gewisser Grenzen der Belastung und von einer und derselben Länge aus bestimmt, auch die mo- mentane Dehnung feuchter Gewebe dem Gewicht proportional ist. Von einigen, dem frisch geschlachteten Tkier entnommenen Geweben folgt hier der für eine Bela- stung zwischen 1 und 10 Grammen und bei einer Tempera- tur zwischen 10 und 15 Grad C. bestimmte Elasticitäts- 1) Am schlagendsten wird der Beweis, dass die Abweichung der oben erhaltenen Zahlen von einander und von der seit dem Beginn des Versuchs verflossenen Zeit abhängt, dadurch geführt, dass wenn man umgekehrt von hohen zu niedrigen Belastungen übergeht, nun die Abweichungen ebenfalls sich umkehren. Müller’s Archiv. 185% 20 306 Dr. Wilhelm Wundt: modulus. Der letztere ist als dasjenige Gewicht in Gram- men, welches die Länge eines Gewebsstückes von 1 Qua- dratmillimeter Querschnitt verdoppeln würde, angenommen worden. Der Querschnitt ist aus der Länge, aus dem abso- luten und dem auf 0 Grad reducirten specifischen Gewicht (zu dessen Bestimmung das Gewebe selbst unmittelbar nach dem Versuch verwandt wurde) berechnet worden: Arterien 3.0). 72,6. Sehne... .... 1.100958. Es ist schon bemerkt worden, dass das Gesetz der Pro- portionalität allerdings nur innerhalb enger Grenzen der Be- lastung gültig ist. Da nun jedes sehr kleine Stück einer Curve einer geraden Linie gleicht, so könnte man die ge- messenen Werthe für die sich sehr nahe gelegenen Ordinaten irgend einer von der geraden Linie abweichenden Ourve hal- ten. Wollte man dies gelten lassen, so würde man übrigens keine regelmässige, etwa einer Hyperbel ähnliche Curve, son- dern eine Curve mit mehreren Krümmungen erhalten. Da- gegen ist es sehr zu beachten, dass die Grenzen, innerhalb derer die Proportionalität gültig ist, um so weiter sind, je frischer die Gewebe zur Untersuchung kommen und je we- niger sie durch bereits vorangegangene Belastungen verän- dert sind, dass hingegen selbst für ein und dasselbe Gewicht zuweilen die Dehnung eine sehr verschiedene ist, wenn eine kurze Zeit verstrichen ist, oder wenn das Gewebe einige Zeit ein grösseres Gewicht getragen hat. Zudem ist auch für die starren unorganischen Körper die Proportionalität der Dehnung nur innerhalb gewisser Grenzen gültig, die sich um so näher rücken, je genauer die Messungsmethoden sind. Eine bedeutendere Belastung bringt wahrscheinlich eine Aen- derung in dem Molekularzustand des Körpers hervor, die mit einer Aenderung des Elasticitätsmodulus verbunden ist. Wenn nun bei den organisirten Körpern sich jene Grenzen um vieles näher liegen, so hat dies eben darin seinen Grund, dass diese Körper weit mehr derartigen Aenderungen unterworfen sind. Ueber die Elastieität feuchter organischer Gewebe. 307 Ich theile bier aus einer grossen Anzahl ähnlicher Ver- suche mit gleichem Resultate einige mit über die durch auf- gelegte Gewichte an verschiedenen Geweben bewirkten mo- mentanen Dehnungen; die Richtigkeit des Angegebenen wird daraus genugsam hervortreten. Nach jeder einzelnen Mes- sung wurde rasch wieder entlastet, so dass der Körper im- mer zur selben Länge zurückkehrte, 1. Arterie (vom Kalb). Länge 36,8 Millim. Temperatur 12° C. Nr. Belastung Dehnung Nr. Belastung Dehnung in gr. in Millim. in gr. in Millim. 1 1 0,120 6 2 0,240 2 2 0,244 M 1 0,120 B) d 0,660 8 2 0,236 4 1 0,110 I d 0,640 9 10 1,340 10 2 0,260 2. Muskel (vom Rind). Länge 49,5 Millim. Temperatur 12,5° C. Nr. Belastung Dehnung Nr. Belastung Dehnung in gr. in Millim. in gr. in Millim. 1 1 0,072 5 5 0,332 2 2 0,118 6 10 0,580 3 1 0,060 7 D 0,080 4 D 0,106 8 5 0,250 3. Muskel (vom Frosch) !). Länge 32,9 Millim. Temperatur 8°C. Nr. Belastung Dehnung Nr. Belastung Dehnung in gr. in Millim. in gr. in Millim. ar 1 0,101 7 10 0,860 2 2 0,180 8 1 0,060 3 1 0,090 b) 2 0,160 4 2 0,160 10 b) 0,440 ö 1 0,080 11 1 0,060 6 5 0,460 12 20 1,360 1) Muskelgruppe des Adduelor magnus und Semimembranosus Cuv. 20* 308 Dr. Wilhelm Wundt: Ueber-die Elastieität feuchter etc. 4. Nerv (vom Kalb). Länge 61,4 Millim. Temperatur 12,5° C. Nr. Belastung Dehnung Nr. Belastung Dehnung | in gr. in Millim. in gr. in Millim. | i 1 0,058 B) 2 0,092 2 2 0,108 6 10 0,440 3 5 0,260 7 1 0,040 4 1 0,044 3 5 0,222 5. Sehne (vom Kalb). | Länge 62,6 Millim. Temperatur 12,5% C. Nr. Belastung Dehnung Nr. Belastung Dehnung in gr. in Millim. in gr. iu Millim. 1 1 0,020 5 10 0,260 2 2 0,040 6 1 0,020 3 B) 0,120 7 2 0,040 4 2 0,040 Zu den Veränderungen, die durch die öfteren Belastungen in der Elastieität hervorgebracht werden, die also in der Untersuchung selber begründet liegen, kommen bei den or- ganischen Geweben noch andere, die diesen eigenthümlich sind, und die wesentlich von der seit dem Tode verflos- senen Zeit abhängen. Die letztern Aenderungen bedingen allerdings zuweilen erhebliche Abweichungen von dem ge- wöhnlichen Gesetz, die für die Untersuchung des allmäligen Todes der Gewebe von Interesse sind, die aber noch eines näheren Studiums bedürfen. Heidelberg, im November 1856. Prof. Gegenbaur: Bemerkungen über Trachelius ovum E. 309 Bemerkungen über Trachelius ovum RE. von ProFr. GEGENBAUR in Jena. (Aus brieflicher Mittheilung an den Herausgeber.) Jena, den 14. Januar 1857. Im verflossenen November kam mir ein Infusorium zu Ge- sicht, welches ich bei der ersten Betrachtung auf Trachelius ovum beziehen zu müssen glaubte, woran ich jedoch bald wieder Zweifel hegte, ohne aber eine bekannte Form auffin- den zu können, mit der eine Uebereinstimmung existirte. Ich konnte dabei nur Ehrenberg und Dujardin zu Rathe ziehen. Die Umrisse stimmten mit Trach. ovum, auch die Gestalt des „Darmes“ verhielt sich im Allgemeinen so wie bei jenem. Die Längsreihen der Cilien sind aber viel zahl- reicher als bei jenem, und unter der Outicula, in der Körper- wandung liegen zahlreiche, in regelmässigen Entfernungen angeordnete Bläschen eingebettet, die bei mittleren Ver- grösserungen fast wie Kerne sich ausnehmen, in der That aber contractile Organe sind. Ihre Zahl schätze ich auf 50 bis 60. Sie sind nicht sphärisch, sondern scheibenförmig, contrahiren sich sehr langsam und von etwa 10, die man gleichzeitig überwachen konnte, fand ich immer nur 1—2 in Thätigkeit. In der Ehrenberg’schen Zeichnung von Trach. ovum findet sich etwas angegeben, was auf diese Organe be- zogen werden kann. Etwas über der Mitte der Körperlänge . liegt eine grosse, reich bewimperte Spalte, welche ich für den Mund ansehe. Sie führt mit einer taschenförmigen, gleichfalls wimpernden Verlängerung in ein feinkörniges, ziemlich die Länge des Thierchens durchziehendes Organ, welches bei den verschiedenen Exemplaren auch eine sehr 810. Prof. Gegenbaur: verschiedene Gestalt besitzt. Es liegt dieser Theil nie in der Mitte des Leibes, sondern immer einer Seite, da wo die Mundspalte sich findet, näher, zum Theil daselbst auch mit der Körperwandung verschmolzen. Zahlreiche Fortsätze aus byaliner oder auch feinkörniger Substanz durchziehen von dem besagten „darmartigen* Organe ausgehend die Leibes- höhle, und verschmelzen mit der hin und wieder beträchtlich verdickten Körperwand. Es sind diese Trabekel contraetil. In der Hauptmasse des vom Munde ausgehenden und mit einem „Darme* verglichenen Gebildes finde ich nicht selten Nahrungsballen eingeschlossen, und zwar stets in der hintern Körperhälfte, nie in der vorderen, wie denn auch die Rich- tung der taschenartigen Spalte nach abwärts geht. Zuweilen waren die Nahrungsballen im stumpfen Körperende ange- häuft. Sie scheinen auch durch dünnere Trabekel passiren zu können, denn nicht selten umschloss ein solcher in der Mitte seiner Länge einen oft beträchtlich grossen Ballen. Ich habe die balkenartige vom Munde aus den Körper durchziehende Substanz „Darm“ genannt, eben weil sich die Nahrung stets in ihr eingeschlossen findet, sonst sei aber kein weiterer Begriff damit verknüpft. Es besteht übrigens zwi- schen ihr und der Substanz der Körperwand keine wesent- liche Differenz. In der die Nahrungsballen einschliessenden Substanz liegt aber noch ein Organ, welches man nach der Siebold’schen Auffassung als „Kern“ bezeichnen müsste. Es ist ein scharf umschriebenes bandartiges Gebilde, an beiden Enden etwas angeschwollen, und aus kleinen, dicht gedrängten Kügelchen zusammengesetzt. Das eine Ende ist meist nach vorn, das andere nach hinten gerichtet. Ob wohl Ehrenberg's band- artige Drüse? Es wiesen alle Individuen dies Organ auf, wohl schwankte Form, Grösse und Lagerung, doch lag es mit seinem mittleren Theile immer zunächst an der Mundspalte, die mit ihrem blindgeendeten Fortsatze daran vorbeizog. Die Mundspalte, resp. das was ich dafür ansehe, ist je- doch nicht die einzige Oeffnung am Körper. Eine viel klei- nere liegt nämlich weiter vorne, etwas unterhalb des beweg- Bemerkungen über 'I’rachelius ovum E. 511 lichen „Rüssels*; dort ist auch die Körperwand stärker ver- dickt, und verlängert sich in einen Trabekel, der entweder mit dem übrigen Trabekelsysteme nur mit einem sehr dünnen Aestchen in Verbindung steht, oder mit seinem Ende an der gegenüberstehenden Körperwand sich irgendwo inserirt. Die Oeffnung fand ich immer von gleichem Durchmesser, die sie umgebenden Oilien schlagen gegen sie. Sie führt in eine anfänglich etwas erweiterte und da starrwandige, dann trich- terförmig zugespitzte, überall wimperlose Röhre, welche häufig zarte Längsfaltungen aufweist; die Röhre setzt sich in den erwähnten Trabekel fort. Es hat diese Oeffnung und ihre Fortsetzung mit der von Ehrenberg beiTrach. ovum angegebenen Mündung nichts ge- mein als die Lage. Ich habe sehr viele Individuen und lange Zeit unter dem Mikroskop beobachtet, aber nie eine Erwei- terung der Oeffnung gesehen; dagegen sah ich, obwohl sel- ten, eine Erweiterung des trichterförmigen Kanalendes, so dass das Lumen der Oefinung nach aussen an Weite gleich- kam. Ich glaube dabei auch eine Oefinung am Ende des Kanales gesehen zu haben, es schien eine Längsspalte, die sich nach einem Momente wieder schloss, und nachdem auch die Wände des Kanalendes sich an einander gelegt, keine Andeutung hinterliess. Die Verbindung des betreffenden Tra- bekelendes oft mit der gegenüberstehenden Körperwand, seine Zartheit, die es oft nur wie einen feinen Faden erschei- nen lässt, die Beständigkeit der Grösse der äusseren Oeff- nung, sbwie der Umstand, dass in der Nähe, überhaupt im vordern Körperabschnitte niemals Nahrungsballen zu sehen waren, liess mich schliessen, dass diese vordere Oeffnung mit der Nahrungsaufnahme nichts zu schaffen habe. Schon bei der Schilderung der Mundöffnung, des „Dar- mes“ und des Trabekelsystemes ist erwähnt worden, dass eine „Leibeshöhle“ vorhanden ist, und das halte ich nicht unwichtig zur Beurtheilung des Werthes dieses Geschöpfes. Die Leibeshöhle enthält niemals Nahrungsstoffe, und wenn diese auch von dem sog. „Darme“ und den Trabekeln aus in erstere hineinragen, so sind sie doch immer von einer 312 Prof. Gegenbaur: Bemerkungen über Trachelius ovum E, deutlich wahrnehmbaren Schicht fein molekulärer Leibessub- stanz umhüllt. Die Leibeshöhle wird von einer klaren Flüs- sigkeit erfüllt, die niemals geformte Theile einschliesst. Ich halte diese Flüssigkeit für Wasser, und muss annehmen, dass dies durch den schon erwähnten Kanal eingelassen wurde. Ich habe solches nicht gesehen, und Fütterungsversuche mit Pigmenten waren ohne Erfolg, da wahrscheinlich die zarten um die kleine Oeffnung stehenden Cilien Molekeln den Ein- tritt verwehren. Dagegen bin ich zur Ueberzeugung gekom- men, dass dennoch Wasser eingelassen wird. Wenn ich nämlich längere Zeit hindurch ein in engem Raum eingesperrtes Thierchen beobachtet hatte, so traf es sich fast jedesmal, wenn ich es abwarten konnte, dass es plötzlich sich stark zusammenzog; die Trabekel verkürzten sich und die ursprünglich volle, pralle Form schrumpfte zu einer unförmig buchtigen und faltigen Masse ein. Ich glaubte nun die Itio in partes erfolgen zu sehen, fand aber bei fort- gesetzter Beobachtung, dass nicht nur kein Theilchen sich von dem geschrumpften, offenbar weit unter die Hälfte ver- kleinerten Körper abtrennte, sondern dass die Thierchen auch fernerhin munter umherschwammen. Wie wenig ein solches Exemplar Schaden gelitten, offenbarte sich, wenn ich es in ein geräumigeres Schälchen brachte, denn gar bald hatte es dann Form und Volum, wie früher, erreicht, und zeigte bei Vergleichung mit vorher gefertigten Abbildungen weiter keine Veränderung, als dass einige Trabekel zusammengeflossen, andere dafür aufgetreten waren. Ich habe diese Beobachtung mehre Male angestellt und fand stets dasselbe. Wie erklärt sich nun die. bedeutende Volumänderung anders als durch Verlust und Wiederaufnahme von Wasser? Prof. H, Luschka: Die Nervi spheno-ethmoidales, 33 Die Nervi spheno-ethmoidales von Pror. H. LuscHakA in Tübingen. (Hierzu Taf. IX. Fig. 1—5.) Einer aufmerksamen Nachforschung ist es ohne Zweifel nicht entgangen, dass die’ Auskleidung der Keilbeinshöhlen und der Siebbeinszellen der Nerven eben so wenig entbehre, als die Haut der Stirnbein- und der Oberkieferhöhlen. ° Allein die Quellen, wenigstens einzelner jener Nerven, haben sich der Beobachtung nicht minder entzogen, als die Bahnen, auf wel- chen sie an die Orte ihrer Bestimmung gelangen. Wenn man die sehr bedeutenden Schwierigkeiten einer. allseitigen objectiven Darlegung der hier in Betrachtung kommenden Verhältnisse aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, dann kann es mindestens nicht befremden, dass über diesen Ge- genstand bisher so wenig ermittelt worden ist. Da ich nicht glauben kann, dass sich viele Fachgenossen der zeitrauben- den Arbeit «unterziehen werden, welche zur eigenen Erzielung des vollen Resultates erforderlich ist, so will ich es nicht unterlassen, zum Behufe einer raschen und leichten Contro- lirung der wichtigsten Thatsachen das Nöthige vorauszuschicken. Nach der bis jetzt geläufig gewesenen Ansicht, geht durch das Foramen ethmoidale posterius nur die Arterie gleichen Namens, ein dünnes Aestchen der Arteria ophthalmica, wel- ches meist unter dem oberen schiefen Augenmuskel an jene Stelle seinen Weg nimmt. Nach den bisherigen, ganz allge- mein gehaltenen Angaben gelangen Zweige des Gefässes in den vordersten Theil der Schädelhöhle zur Dura mater und zum obersten Theile der Nasenscheidewand, sowie in Zellen des Siebbeines. An gut injieirten Köpfen vermag man sich leicht davon zu überzeugen, dass einige feine Gefässchen der 314 Prof. H. Luschka: genannten Arterie vom Foramen ethmoidale postie. aus unter den Seitentheil desjenigen Abschnittes vom Keilbeine ziehen, welcher an das hintere Ende der horizontalen Platte des Siebbeines angrenzt. Durch das hintere Siebbeinsloch treten aber von der Augenhöhle aus auch höchst feine Nerven- fädchen, welche mit den bezüglichen Gefässen in starke fibröse Scheiden eingeschlossen, nachdem sie jene Lücke pas- sirtt haben, von der Dura mater gedeckt, unter den ge- nannten Knochentheil verlaufen, um von dort aus in die Keilbeinshöhle und in hintere Siebbeinszellen einzutreten. Nach Ablösung der harten Hirnhaut wird man sofort über- rascht werden durch verhältnissmässig “starke, fibrös erschei- nende Fortsätze, welche von dem Foramen ethmoidale post. an unter jenen Theil des Keilbeines treten und mit dessen Ab- tragung in weiterer Ausdehnung freigelegt werden. Behan- delt man diese Fortsätze mit Essigsäure, dann wird das Mi- kroskop über ihren Gehalt an Nerven die bestimmtesten Auf- schlüsse ertbeilen. In vielen Fällen wird man sich auch an dem von der Orbita aus hervorgezogenen, gesammten Inhalt des Foramen ethmoidale post. über die Existenz von durch- ziehenden Nerven durch das Mikroskop in kürzester Zeit überzeugen können. Da nun aber in der Regel weder alle Nervi spheno-eth- moidales durch das hintere Siebbeinsloch treten, noch "auch dieses ganz constant vorhanden ist und überdies am Kopf- skelete die feinen Oeffnungen und Kanälchen für den Lauf - der Nerven durch Sonden bezeichnet werden können, so er- mangeln wir nicht, hier einige osteologische Erörterungen anzureihen. Zunächst hat man die Aufmerksamkeit der Lage des Foramen ethmoidale posticum und, im Falle seines Man- gels, der Art des Vorkommens von Ersatzlöchern zuzuwen- den. Es muss als Regel betrachtet werden, dass sich das Foramen ethmoidale posticum am hinteren Ende des oberen Randes der Papierplatte vorfindet und bald ganz im Eth- moidalrande des Stirnbeines liest, bald, und zwar viel häufi- ger von diesem und von der Papierplatte des Siebbeines zu- gleich begrenzt wird, seltener im letzteren allein seine Lage Die Nervi spheno-ethmoidales. 315 hat. Mag diese Oeifnung inzwischen. wie immer angebracht sein, stets führt sie in die Schädelhöhle und unter den seit- lichen Theil desjenigen Abschnittes vom Keilbeine, welcher in der Ineisura ethmoidalis des Stirnbeines, an das hintere Ende der Lamina cribrosa angrenzt. Jener Seitentheil des vorderen Endes der obereu Fläche des Keilbeinskörpers ist nicht gleich dem mittleren Abschnitte desselben — der sog. Spina ethmoidalis — mit der Lamina eribrasa durch eine Naht verbunden, wie allgemein irrig ge- lehrt wird; sondern derselbe besitzt bei allen Menschen einen vorderen freien Rand und hat, in seiner Totalität betrachtet, häufig eine so exquisit flügelähnliche Gestalt, dass ich!) ge- glaubt habe, ihn als „ala minima* des Keilbeines aufführen zu müssen. Oefters werden von jenem freien Rande noch einige, dem Durchtritte der hiniersten Riechnervenfäden dienenden Poren der Lamina cribrosa überlagert. Während der mittlere Theil des hinteren Randes der Siebplatte mit der sog. Spina eth- moidalis meist durch eine Naht in Verbindung, seltener in knöcherner Oontinuität steht, ist es der seitliche Theil jenes hinteren Randes, welcher sich an der Herstellung der oberen Wand einer Cella sphenoidalis des Siebbeines betheiliget. Ohne Ausnahme ünden sich mehrere, höchst feine Oeff- nungen unter jenem Seitentheile des Keilbeinkörpers, welche zu Knochenkanälchen führen, die in die Keilbeinshöhle und in hintere Zellen des Siebbeines ausmünden und durch Ein- führen von Schweinsborsten an jedem sauberen Kopfskelete bezeichnet werden können. In der Siebbeinshöhle trifft man es nicht selten, dass sie am Dache oder an der oberen Grenze der seitlichen Wand eine Strecke weit nach hinten ziehen, ohne jedoch im ganzen Verlaufe eine vollständige knöcherne Wandung zu besitzen. Die Oeffnung, welche bei dem übrigens äusserst seltenen Mangel des Foramen ethmoidale posticum, dieses ersetzt, ist in einer sehr wechselnden Weise jedoch immer so placirt, 1) Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. 316 Prof. H. Luschka: dass die dasselbe durchsetzenden Bestandtheile unter jenen seitlichen Abschnitt des vorderen Randes der oberen Fläche des Keilbeinkörpers gelangen können. Meist findet sich die Ersatzöffnung mehr oder weniger tief unter dem oberen Rande der Papierplatte, in deren hinterster Region, oder liegt in der Sutur, welche durch den Zusammenstoss der Lamina papyracea und des Keilbeinkörpers gebildet wird. Diese beiderleı Oeffnungen oder auch nur eine derselben, pflegen indessen nicht selten auch neben der Existenz eines Foramen ethmoid. postic. vorzukommen, und dem Eintritte des einen oder andern Nervenfädchens in die Keilbeinshöhle dienlich zu sein. Viel häufiger als der Mangel des hinteren Siebbeinloches kömmt eine Ueberzahl von Foramina ethmoidalia vor, in wel- chen Fällen dann meist drei vorhanden sind, von welchen das mittlere gewöhnlich ganz nahe an dem hinteren liegt. Wie ich der, Betrachtung einer grossen Anzahl von Schädeln entnehme, kommen vier Foramina ethmoidalia nur äusserst selten vor. In einem dieser Fälle traf ich die hinterste 'Oeff- nung im oberen Ende einer Naht, welche der sehr grosse Orbitalfortsatz des Gaumenbeines mit einer zwickelförmigen Verlängerung gebildet hat, welche vom Ethmoidalrande des Stirnbeines zwischen den vorderen Rand von jenem und den hinteren Rand der Papierplatte des Siebbeines herabge- wachsen war. Die Nerven der Haut der Keilbeinshöhlen und der hin- teren Siebbeinszellen müssen der Verschiedenheit ihrer Ab- kunft wegen gesondert betrachtet werden. Die einen sind ihrem Ursprung nach von Hirzel erkannt, aber im Laufe der Zeit sehr abweichend beurtheilt worden, die anderen haben sich bis zur Stunde der Beobachtung entzogen, 1. Die Rami spheno-ethmoidales des Nasen- knotens. Nachdem L. Hirzel!) im Jahre 1824 berichtet hatte, dass 1) Zeitschrift für Physiologie von Tiedemann und Trevir. Hei- delberg 1824. Bd. I. S. 228. Die Nervi spheno-ethmoidales. 317 er dreimal einen starken Nervenfaden gesehen habe, „der aus dem Meckel’schen Knoten seinen Ursprung nahm, senk- recht durch die untere Augenhöhlenspalte in die Augenhöhle trat, längs der inneren Wand und am hintersten Theile der- selben, bedeckt vom inneren geraden Augenmuskel, in gerader Richtung aufwärts stieg und sich mit-der Scheide des Seh- nerven, nach seinem Eintritte in die Augenhöhle verband“: ist diese Entdeckung von mehreren Zergliederern zum Gegen- stande näherer Prüfung gemacht worden. Die weitere Mit theilung Hirzel’s, dass esihm einmal selbst gelungen sei, diesen Nervenfaden bis in die Substanz des Sehnerven zu verfolgen, hat einer spätern Verwendung zum Aufbaue einer physiologischen Hypothese nicht entgehen können. Fr. Ar- nold''). nämlich meint: dass, da das Ganglion rhinicum durch Nervenfäden mit den Sehnerven in Zusammenhang stehe, wohl am naturgemässesten durch diese Verbindung das Niesen bei stark auf den Sehnerven und dessen Aus- breitung wirkendem Lichte gedeutet werde Da nun aber, wie gezeigt werden soll, die Ergebnisse einer genauen ana- tomischen Untersuchung nicht zu Gunsten dieser Erklärungs- weise der erfahrungsgemäss bei manchen Menschen wirklich vorkommenden Erscheinung sprechen, so wird man sich noth- wendig zu einer andern Deutung des Vorganges bequemen und namentlich an die Möglichkeit einer Reflexwirkung vom Hirne aus denken müssen. Nach dem Zeugnisse der überaus sparsamen Literatur, welche über die in Rede stehende Entdeckung vorliegt, ver- mochten einige Forscher sich von der Existenz jenes Ner- venfadens überhaupt nicht zu überzeugen, während Andere, die seiner ansichtig wurden, sowohl über den Ursprung, als auch in Betreff der Endausbreitung getheilter Meinung sind. °F. Arnold 2), welcher den Hirzel’schen Faden nunmehr als „Orbitalilamente des Nasenknotens“ aufführt, schildert diese 1) Lehrbuch der Physiologie der Menschen. 2. Thl. Abthl. 1. S. 228. 2) Handbuch der Anatomie des Menschen. Bd. II. Abthl. 2. S. 898. 318 Prof. H. Luschka: als zahlreiche, sehr zarte Fäden, welche aus dem oberen Theile des Nasenknotens kommen, durch die untere Augen- höhlenspalte in die Orbita dringen und sich zur Scheide der Sehnerven und zur Periorbita, sowie vielleicht auch in’s Keilbein begeben. Jener physiologischen Ver- werthung zum Trotze hebt Arnold (a. a. O.) in einer An- merkung hervor, dass er keine Verbindung mit dem Seh- nerven selbst, sondern nur mit dessen Scheide habe nach- weisen können. Nach Valentin’s ') Erfahrungen ist der Ursprung aus dem Nasenknoten mindestens nicht constant, sondern es finden sich in der Regel ein bis zwei Fädchen, welche von der äusseren Seite des Stammes des Oberkiefer- astes, meist nahe dem Ursprunge des Wangenhautnerven, oder aus diesem zum Theile selbst hervortreten. Die Fä- den begeben sich an den Sehnerven, bald nach seinem Eintritte in die Augenhöhle, und zu dem denselben umgebenden Geflechte. Wenn Valentin in Rücksicht auf die letzteren Angaben in einer Note be- merkt: „Wie weit sich jene Fädchen ausdehnen, scheint mir variabel, da sie sich bisweilen ihrer äussersten Feinheit wegen schon bald nach ihrem Durchtritte durch die untere Augenhöhlenspalte in dem Fette dem Anblicke entziehen; bisweilen dagegen an die Unterfläche der Sehnerven em- porsteigen“, so wird daraus gewiss Niemand entnehmen kön- nen, zu welcher, aus eigener Untersuchung hervorgegangener ‚Ueberzeugung der Verfasser in Wahrheit gekommen ist. In Hinsicht auf die Verbreitung jener sog. Orbitalfilamente hat B. Beck ?) von seinen Vorgängern sehr abweichende Resul- tate gewonnen, welchen zufolge sich dieselben theils in der fibrösen Anskleidung der Augenhöhle, theils im Keilbeine verzweigen sollen. Diese Angaben sind jedoch so unbestimmt und allgemein gehalten, dass aus ihnen entschieden nicht ge- folgert werden kann, dass dem genannten Beobachter die 7) Hirn- und Nervenlehre. S. 359. 2) Ueber die Verbindungen der Sehnerven. Heidelberg 1847. 8. 18. Die Nervi spheng-ethmoidales. 319 Endigung jener Nerven in der Haut der Keilbeinshöhlen be- kannt geworden sei. | Nicht allein die Differenzen in den Angaben über einen überhaupt noch wenig erforschten Punkt der Neurologie, ha- ben mich zu einer sorgfältigen Prüfung desselben aufgefor- dert, sondern ganz besonders jene Entdeckung von Nerven- röhrchen, welche ohne Ausnahme mit Gefässzweigen ihren Weg unter dem Seitentheil desjenigen Abschnittes vom Keil- beine nehmen, welcher an das hintere Ende der horizontalen Platte des Siebbeines angrenzt. Nach Feststellung der letzteren T'hatsache wurde die Untersuchung auf den Ursprung und auf die Endausbreitung der überaus feinen, mit blossem Auge kaum erkennbaren, mit dem Messer nur schwer isolirbaren Nervenfädchen hin- gelenkt. Meine gleich anfangs gehegte Vermuthung, dass es zum grössten Theile die so sehr controversen Hirzel'schen Filamente sein möchten, wurde im Verlaufe der Untersuchung auf das Vollkommenste bestätigt. Anlangend ihren Ursprung, so konnte ich mich in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl selbstständiger Beobach- ter davon überzeugen, dass nicht, wie Hirzel fand, nur ein, sondern mehrere, zwei bis drei, feinste, blendend weiss aus- sehende Fädchen vom obersten Theile des Nasenknotens ausgehen, und senkrecht emporsteigend, durch den innersten Theil der Fissura orbitalis inferior ihren Weg in die Augen- höhle nehmen. Die Nervenfädchen sind auch an höchst ab- gemagerten Leichen: so sehr von fetthaltigem Zellstoffe und capillaren Blutgefässen umhüllt, dass man viele Mühe hat, sie rein darzustellen, mitunter sich auch nur unter Anwen- dung von Essigsäure von ihrer Existenz überzeugen kann. Bei der äussersten Feinheit der Nerven wird man vergeblich darnach forschen, einen wie grossen Antheil der Nasenkno- ten an ihrer Bildung habe, und in wieweit unmittelbare Ele- mente vom zweiten Aste des Quintus in sie eintreten. Ge- nug, sie stehen unter allen Umständen, soweit meine jetzigen Beobachtungen reichen, mit dem Nasenknoten im Zusammen- hange. 320 Prof. H. Luschka: In der Augenhöhle verlaufen die Fädchen in der hin- tersten Region von deren innerer Wand meist in der Rich- tung der Sutur, welche den Zusammenstoss des hinteren Randes der Lamina papyracea des Siebbeines mit dem Keil- beine bezeichnet. Sie liegen gewöhnlich nicht auf der Pe- riorbita, sondern sind von deren Gewebe umhüllt, und wer- den zunächst gedeckt vom hinteren Ende des oberen schiefen und des inneren geraden Augenmuskels, sowie durch den eben erst in die Augenhöhle getretenen Theil des Sehnerven resp. dessen Scheide. Mitunter durchsetzen die Nervchen das Gewebe dieser Gebilde so, dass man nur mit der gröss- ten Mühe, und nachdem man den regelmässigen Verlauf und die gesetzmässige Endausbreitung derselben bereits kennen gelernt hat, vor der Täuschung bewahrt bleibt, als finden sie in diesen Gebilden, oder auch im Gewebe der Periorbita ihre Endigung. Die Rami spheno-ethmoidales treten in der Regel nicht ausschliesslich durch das hintere Siebbeinsloch hindurch, son- dern gelangen meist durch mehrere Oeffnungen in die be- züglichen Höhlen. In der Mehrzahl der Fälle sieht man ein Fädchen durch das Foramen ethmoidale postieum, ein zwei- tes durch die Naht hindurch ziehen, welche durch den hin- teren Rand der Papierplatte und durch den Körper des Keil- beines erzeugt wird, indessen ein drittes durch eine höchst feine Oeffnung in der Nähe des hinteren Randes der La- mina papyracea unmittelbar seinen Weg in eine der hinteren Siebbeinszellen nimmt. Alle diese Nervchen werden bei ih- rem Eintritte in die Knochenlücken nebst den sie begleiten- den Blutgefässzweigchen von verhältnissmässig sehr starken fibrösen Scheiden umhüllt. Indem sich die Nerven in die äussere, das Periosteum darstellende Schicht der Ausklei- dung der Keilbeinshöhle und der Oellulae sphenoidales des Siebbeines einsenken, verliert sich ihre Scheide im Gewebe jener Faserhaut, während sie selber in Fädchen zerfallen, die nur durch das Mikroskop an der mit Essigsäure behan- delten Membran erkannt werden können. Sie nehmen eine Feinheit an, dass sie schliesslich nur noch aus wenigen, lose Die Nervi spheno-ethmoidales, 321 an einander liegenden Primitivröhrchen zusammengesetzt er- scheinen. Welches ihre wahre Endigung im Gewebe der Schleimhaut ist, habe ich bis jetzt noch nicht ermitteln können, 2. Der Ramus spheno-ethmoidalis des Augen- nasennerven. Vom Nerv. nasociliaris geht, aber nicht immer an ‘der gleichen Stelle, ein meist nur 0,1 Mm. dickes, kaum 30 Pri- mitivröhrehen enthaltendes Fädchen ab, welches zum Theil in die Keilbeinshöhle, zum Theil in eine der hinteren Sieb- beinszellen dringt, um sich in deren Auskleidung zu verlie- ‚ren. Das Nervchen ist meist in der Augenhöhle so sehr in Fett eingebettet, dass ich stets viele Mühe hatte, über seinen Ursprung und Verlauf Gewissheit zu erhalten. In den meisten Fällen entspringt das Nervenfädchen vom in- neren Umfange des Nasociliaris da, wo dieser Ast des Quintus unter dem hinteren Abschnitte des oberen schiefen Augen- muskels hinwegzieht. Seinen Lauf nimmt das Fädchen im Zellstoffe unter diesem Muskel und gelangt dann über dem Ursprunge des inneren geraden Augenmuskels zum Foramen ethmoidale posterius. Bisweilen geschieht es, dass das Fäd- chen das Gewebe des einen oder anderen oder beider ge- nannten Muskeln durchsetzt, um gleichwohl an seinen Be- stimmungsort zn gelangen. Auf eine derlei Anomalie des Verlaufes ist wohl die paradoxe Angabe einiger Schriftsteller zu beziehen, derzufolge der Augennasennerv dem inneren geraden Augenmuskel Rlemente ertheilt. Seltener entspringt das Nervchen vom Stamme des Nasociliaris kurz vor seiner Abgabe des Nerv. ethmoidalis, oder aus dem Anfange des letzteren Zweiges selbst. Es zieht in diesen Fällen entlang dem oberen Rande der Lamina papyracea des Siebbeines zum Foramen eihmoidale posticum oder zu einem stellver- tretenden Loche in der hinteren Region der inneren Orbital- wand. Unter allen Umständen gelangt das Fädchen in Be- gleitung sehr zarter Blutgefässe und von einer dicken fibrösen Scheide umhüllt in die Schädelhöhle, wo es, von der Dura mater gedeckt, unter jenen Seitentheil des vorderen Randes Müllers Archiv. 1557, 21 322 Prof. H. Luschka: der oberen Fläche des Keilbeinkörpers zieht, um von da aus, ein- oder mehrmal sich spaltend, in die Haut hinterer Sieb- beinszellen und der Keilbeinshöhle einzutreten. Man darf dieses, der Beobachtung bisher gänzlich ent- gangene gesetzmässige Zweigchen der Nasenaugen- nerven nicht verwechseln mit einer zufälligen, in seltenen Fällen vorkommenden Nervenabweichung, der meines Wis- sens A. C. Bock!) zuerst gedacht hat. Es findet sich, so berichtete der genannte Zergliederer, der Ethmoidalnerv bei manchen Subjecten doppelt. In diesen Fällen sind immer mehrere Ethmoidallöcher vorhanden und es tritt dann der überzählige Ethmoidalnerv durch das zweite Foramen eth-. moidale ein, hat anfangs denselben Verlauf wie der gewöhn- liche Ethmoidalis, bleibt aber in seiner weiteren Verbreitung bloss innerhalb der Nasenhöhle. Aus dieser Schilderung wird man leicht entnehmen können, dass es sich hier nicht um die Kenntniss des von mir soeben beschriebenen Zweiges han- delt, sondern nur um zufällige Erfunde eines anomalen Laufes eines Nervenfadens, über dessen Endausbreitung ohnehin nichts Näheres angemerkt worden ist. Wenn ferner Va- lentin?) bei Gelegenheit der Beschreibung des Laufes des Nerv. ethmoidalis dicht unter der Stirnhöhle, die Anmer- kung macht, dass er einmal ein für die Schleimhaut der Stirnhöhle bestimmtes Aestchen jenes Nerven gesehen habe, dass dagegen bisweilen (ich kann bezeugen, dass dies im- mer geschieht) einige Fädchen für die Schleimhaut der Sieb- beinszellen an der inneren Seite des Nerven hervorgehen, so wird schwerlich Jemand diese Angaben auf meine oben er- örterten Wahrnehmungen mit Grund beziehen können. Durch die Untersuchung der Nervenausbreitung im Ge- 'webe der Haut der Keilbeinshöhlen und der Siebbeinszellen wurde ich zugleich auf die Entdeckung der in ihr vorkom- 1) Beschreibung des fünften Nervenpaares. Meissen 1817. S. 18. 2) Hirn- und Nervenlehre $. 344. Die Nervi spheno-ethmoidales. 323 menden Drüsen hingeführt, über welche näheren Bericht zu erstatten ich bier um so weniger unterlassen will, als von anderer Seite her so viel als Nichts über diesen Gegen- stand in Erfahrung gebracht worden ist. Nach den Angaben fast aller Schriftsteller fehlen die Drüsen in den genannten Räumlichkeiten gänzlich. Es lehrt namentlich Sappey'), welcher sich nächst Bowman am angelegentlichsten mit den Drüsen der inneren Nase beschäftigt hat: „Dans les cellules de l’ethmoide on n’en trouve plus aucun vestige. O’est vainement que jai cherche les glandes dans les sinus sphe- noidaux etc.* Krause?) führt dagegen von der Schleim- haut der Keilbeinshöhlen ganz im Allgemeinen an: die Schleimdrüsen seien vereinzelt und sehr klein — glandulae mucosae simplices von Y,—"/,''' Dm. Nach der im allge- meinen Theile seines Werkes (S. 159) von Krause gegebe- nen Beschreibung sind jene Glandulae mucosae simplices einfache, kurze, kolbige Säckchen. Sie sind in ihrem mittleren Theile und Fundus ungefähr gleich lang als breit, jedenfalls nur sehr wenig länglich. Solche Gebilde aber kommen nach meinen Beobachtungen in den bezeichneten Räumen nicht vor, wohl aber theils mannigfaltig verästelte Drüsenschläuche, theils Formen, welche sich dem Typus der traubenförmigen Drüsen annähern. Die Drüsen sind in der Haut jener Höhlen äusserst spar- sam und meist gruppenweise auf nur wenige Stellen ver- theilt, so dass es leicht kommen mag, dass sie, wenn man nicht jeweils die ganze Auskleidung des bezüglichen Raumes durchforscht, ganz vermisst werden. Nur dadurch kann man auf den Ort ihres Vorkommens, der übrigens sehr wechselt, aufmerksam werden, dass man die gesammte Haut mit Essig- säure durchscheinend macht. Die Drüsen erscheinen jetzt als kleine, '/,—1'/, Millim. breite, gelblich weisse Punkte, welche im Gewebe der Knochenhaut jener Höhlen ihren Sitz haben. Von ihnen hat man andere, beim erwachsenen Men- 1) Traite d’anatomie descriptive. Tome III. p. 744. 2) Handbuch der Anatomie. 2. Aufl S, 555. 20% 324 Prof. H. Luschka: schen niemals fehlende, öfter in colossaler Anzahl vorhan- dene, jedoch unregelmässig weissliche Flecken zu unterschei- den, welche aus einer dichten Gruppirung mehr oder weniger deutlich geschichteter Körperchen bestehen, die mit der or- ganischen Grundlage der Hirnsandkörnchen oft nach der morphotischen und chemischen Seite hin die grösste Aehn- lichkeit zu erkennen geben. Alseinfachste Formen jener Drüsenfinden sich Schläuche, die jedoch niemals einfach sind, sondern kolbig beginnend, da und dort meist alternirend gestellte, theils rundliche, knos- penartige, theils mehr in die Länge gezogene Ausläufer be- sitzen, nicht selten aber auch ausgezeichnet verästiget sind. Oefter begegnet man zweitens Formen, welche an die Ge- stalt sehr zusammengesetzter Talgdrüsen erinnern und läng- liche, an ihren Anfängen dicke, kolbige, aber nur lose an einander hängende Acini zeigen, welche dnrch mehr oder weniger verjüngte Enden, zu einem langen, gemeinschaftli- chen Ausführungsgange zusammenfliessen. In diesen münden nicht selten während seines Verlaufes da und dort knospen- ähnliche Schläuche ein. Als die zusammengesetzteste Form fand ich Drüsen, die für den ersten Anblick ganz den Typus der gewöhnlichen acinösen Schleimdrüsen dargeboten haben. Bei näherer Un- tersuchung ergaben sich jedoch insofern Abweichungen, als nicht alle Acini gleichförmig rundlich, sondern höchst man- nigfaltig geformt erschienen, indem sie theils eingekerbt, theils rankenartig gekrümmt, theils schlauchartig in die Länge gezogen, und dabei nicht selten in der Spaltung zu verästig- ten Formen begriffen sind. Viele solcher polymorph gestal- teter Acini vereinigen sich zu längeren Gängen, welche mit einer wechselnden Anzahl ihres gleichen zu einem gemein- schaftlichen Ausführungsgange zusammentreten. Diese For- men stellen also in Wahrheit nichts Anderes dar, als einen Zusammenfluss mehrerer verästigter Schläuche zu einem ge- meinsamen Ausführungsgange. In Betreff des feineren Baues dieser Drüsen vermochte ich an denselben eine strukturlose Grundmembran zu unter- Die Nervi spheno-ethmoidales. 325 scheiden, welche bei älteren Personen mitunter die bedeu- tende Dicke von 0,004 Mm. erreicht, und dabei olashell und gegen Aetzkali und Essigsäure nur wenig empfindlich ist. Als Inhalt dieser Drüsen konnte ich bis jetzt nur eine dunkle moleculare Masse mit einzelnen Zellen, nicht aber ein be- stimmt ausgeprägtes Epithelium wahrnehmen. Bemerkenswerth sind auch an diesen Drüsen, gleichwie an jenen in der Oberkieferhöhle, die, wie es scheint, nicht seltenen Umwandlungen derselben in Oysten, sei es durch nur stellenweise Ausbuchtungen bedingt, oder durch Ausdeh- nung einer ganzen Drüse nach Verschluss ihres Ausführungs- ganges. Zwei in letzterer Weise entstandene Oysten habe ich jüngst in der Keilbeinshöhle der linken Seite eines 21jäh- rigen, übrigens ganz gesund gewesenen Selbstmörders vorge- funden. Die Blasen hatten die Grösse eines Hanfsaamens und enthielten eine schleimartige Substanz. Bei einem 60jäh- rigen Manne sah ich in der Keilbeinshöhle der rechten Seite eine etwas grössere Oyste mit käseartiger Masse angefüllt, und nebstdem einen von der hinteren Wand der Höhle aus- gegangenen polypenartigen Auswuchs. Er war weich, saftig, abgerundet, mit breiter Basis aufsitzend, vom Umfange einer mittleren Bohne. Der manchen sog. Schleimpolypen der Hauptnasenhöhle ähnliche Auswuchs zeigte im Inneren ein sehr lockeres Bindegewebsgerüste, dessen weite Maschen- räume von einer wie gallertartigen Substanz durchsetzt waren. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Senkrechter Durchschnitt der rechten Oberkinnlade und Augenhöhle im geraden Durchmesser. Die bildliche Darlegung der hier in Rede stehenden Nervenfädchen kann nur durch Uebertragung der bezüglichen Nerven von noch mit anderweitigen Weichtheilen ver- sehenen Präparaten auf das entsprechende, in geeigneter Weise her- gestellte Skeletstück zum schnellen nnd leichten Verständnisse ge- bracht werden. In der Tiefe der Flügelgaumengrube sieht man hier den Nasen- 326 Prof. H. Luschka: Die Nervi spheno-ethmoidales, knoten (a). Von dessen oberem Ende gehen zwei Rami spheno- ethmoidales ab, von welchem der eine (b) bei dem der Abbildung zu Grunde gelegten Präparate, ungetheilt durch das Foramen eth- moidale post. getreten ist; der andere (c) aber sich in zwei Fädchen getheilt hat, von welchen eines durch eine feinste Oefinung am hin- tersten Ende der Papierplatte in eine hintere Siebbeinszelle eingetre- ten ist, das zweite dagegen durch die Naht zwischen Keilbeinskörper und Lamina papyracea seinen Weg direkt in die Keilbeinshöhle ge- nommen hat. Mit dem hinteren Ende des Nasenknotens steht der durch die Eröffnung des bezüglichen Knochenkanales freigelegte Vi- dische Nerve (d) im Zusammenhange, während an seinem unteren Ende Gaumennerven (e) zum Vorscheine kommen. Nach vorn erkennt man den Zusammenhang des Knotens mit dem zweiten Aste (£) an der Stelle, an welcher im vorliegenden Falle die Theilung in den N. maxillaris sup. (g) und in den Nervus pterygo-palat. (h) unter Bildung des Plexus spheno- palatinus statthatte. Der Nervus oculonasalis (i) entsendet aus seinem hinteren Ab- schnitte den überaus feinen Ramus spheno-ethmoidalis (k), wel- cher sich durch das Foramen ethmoidale posticum in die Schädelhöhle und von da, unter dem Seitentheile des vorderen Randes der oberen Fläche des Keilbeinskörpers in den Sinus sphenoidalis und in eine hin- tere Siebbeinszelle begiebt. Fig. 2. stellt einen Theil des Daches der Augenhöhle, der Sieb. platte und des Keilbeinskörpers der linken Seite dar. Die Ab- bildung soll das Verhältniss des vorderen Endes der oberen Fläche des Keilbeinskörpers darlegen. Man sieht, dass der mittlere Theil (a) desselben, hier unter Bildung einer Naht, an die Mitte des hinteren Endes der Lamina cribosa (b) anstösst, während der seit- liche Theil (e) die von mir sog. „ala minima“ des Keilbeines einen vorderen, freien Rand besitzt. Unter diesen mündet das Foramen ethmoidale post. aus, und hier finden sich, von hintersten Poren der Siebplatte abgesehen, einige feinste Oeffnungen, welche, im Bilde durch schwarze Borsten ausgedrückt, in die Höhle des Keilbeines und in eine der hintersten Siebbeinszellen führen und den Lauf der Nervi spheno-ethmoidales bezeichnen. Fig. 3. Verästigter Drüsenschlauch aus der Haut der Keilbeins- höhle (200fache Vergr.). Fig. 4. Einfache traubige Drüse mit sehr dicker, hyaliner Wand des Ausführungsganges (aus der Haut der Keilbeinshöhle eines 70 J. alten Mannes. (200fache Vergr.) Fig. 5. Aus vielen Schläuchen zusammengesetzte Drüse aus der Haut einer hinteren Siebbeinszelle. (50fache Vergr.) Prof. H. Luschka: Ueber eine gegliederte Verbindung etc. 327 Ueber eine gegliederte Verbindung des Knorpels mit dem Knochen der ersten Rippe von Pror. H. LuscHkA in Tübingen. (Hierzu Taf. IX. Fig, 6.) Wenn ich die folgende, unter allen Umständen höchst beachtenswerthe Anomalie zur Kenntniss bringe, so geschieht es nicht sowohl der Seltenheit ihres Vorkommens wegen, als vielmehr in Rücksicht auf die festere Begründung eines Ge- setzes bei der Bildung der wahren Rippen, welches noch nicht allerwärts richtig erfasst worden ist. Man hat sich völlig daran gewöhnt, die Knorpel nicht nur der falschen, sondern auch jene der wahren, d. i. mit dem Brustbeine in direkter Verbindung stehenden Rippen, als un- verknöcherte, vergrösserte Reste der primordialen Knorpel- rippen, d. h. als colossal entwickelte Gelenksknorpel der Rippen anzusehen. Und doch ist nichts irriger als diese An- sicht. Bruch!) hat es, wie es scheint, zuerst genau erkannt und bestimmt ausgesprochen, dass die Knorpel der wahren Rippen beim Foetus als gesonderte Knorpelkerne auf- treten. Erst beim zwei Zoll langen Rindsfoetus stossen sie nach Bruch’s Wahrnehmungen einerseits mit dem Brustbeine, andererseits mit den Rippenkörpern zusammen, während da- gegen die Knorpel der falschen Rippen dieses Verhalten nicht zu erkennen geben, sondern von vorn herein in der Bedeutung von Apophysen auftreten. Die Substanz, welche die Uranlage der Knorpel der wah- ren Rippen mit dem Brustbeine und mit den Rippenkörpern 1) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Knochensystems S$. 15. 328 Prof. H! Luschka: Ueber eine gegliederte Verbindung verbindet, ist dasselbe allgemeine Bildungsgewebe, d. h. Bil- dungszellen, welche überall zwischen diejenigen primordialen Skeletstücke eingelagert erscheint, welche auch nach der Ver- knöcherung gesondert, theils in ungegliederter, theils in ge- gliederter Verbindung fortbestehen. Bei ihrem ersten Auf- treten sind die Knorpel der wahren Rippen durch eine deut- lich von ihnen unterscheidbare Zellenmasse nicht weniger von den knorpelig vorgebildeten Rippenkörpern abge- grenzt, als diese durch eine eben solche Masse von den Wir- belkörpern geschieden werden. Mit der letzteren Wahrneh- mung steht Rathke’s!) Angabe insofern im Widerspruche, als dieser Beobachter lehrt: die Rippen wachsen aus der Masse, welche zunächst für die Wirbel als Grundlage dient, strahlenförmig hervor, und sie gliedern sich später erst, in der Weise ab, dass eine Unterbrechung der Knorpelmasse entstehe und sich Bandmasse ausbilde. Wie schliesslich eine Gelenkshöhle zu Stande komme, darüber wird von Rathke nichts berichtet. Als eine bemerkenswerthe Ausnahme wird es von Rathke bezeichnet, dass bei den Schildkröten keine Abgliederung der Rippen von den Wirbein erfolge, sondern dass bei diesen Thieren für immer die Rippen mit den Wir- belbeinen, durch einen unveränderten Theil ihrer ursprüngli- chen Masse, nämlich durch eine echte Knorpelsubstanz ver- bunden seien. Während zwischen den Vertebralenden der primordialen Rippen und den Brustwirbelkörpern beim Menschen durch eine theilweise Verflüssigung der ihren Zusammenhang: ver- mittelnden Bildungszellen Gelenkshöhlen hervorgehen, findet sich dieser Vorgang bezüglich der Knorpel der wahren Rip- pen in der Regel nur zwischen Brustbein und Sternalende des Knorpels der zweiten bis inel. siebenten Rippe, indessen die äusseren Enden derselben mit den Rippenkörpern in un- bewegliche Verbindung treten. “ Für die erste Rippe ist der gesetzmässige Typus, dass 1) Ueber die Entwicklung der Schildkröten. Braunschweig 1848. S. 85 uud 98. des Knarpels mit dem Knochen der ersten Rippe. 329 ihr Knorpel unter völligem Schwunde der an seinen Enden ursprünglich angelagert gewesenen Bildungszellen, mit dem Handgriffe des Brustbeines und mit dem Rippenkörper in einen festen Verband gelangt. In Ausnahmsfällen aber kann es geschehen, dass entweder schon sehr frühe, durch theil- weise Schmelzung von Bildungszellen eine Gelenkshöhle eut- steht, oder erst später, nachdem dieselben vorher eine Um- gestaltung in eine Bandmasse erfahren haben, welche sodann von der Mitte aus zu einer synovialen, von faserknorpeligem Gewebe umschlossenen Flüssigkeit zerfällt. So sehr es mit der Bildungsgeschichte im Einklange stünde, dass die Knorpel aller wahren Rippen unter Um- ständen nieht nur mit ihrem inneren, sondern auch mit ihrem äusseren Ende in eine gegliederte Verbindung treten, so lie- gen Wahrnehmungen dieser zweierlei Articulation nur für die erste Rippe vor. Ueber gegliederte Verbindung des Knorpels der ersten Rippe mit dem Brustbeine hat in jüngerer Zeit W.Gruber!') einen Fall mitgetheilt. Bei einem weiblichen Individuum aus dem vorgerückteren Alter war auf beiden Seiten der Knorpel der ersten Rippe gegen das Brustbeinende hin viel breiter und nahm fast den ganzen Seitenrand des Manubrii sterni ein. Der Handgriff des Brustbeines besass rechterseits eine einfache, linkerseits eine doppelte, durch ein Lig. inter- articulare getrennte Gelenkszelle.. Die Knorpel des ersten Rippenpaares waren durch eine sehr deutliche Kapselmembran mit dem Brustbeine-in Verbindung gesetzt. Ueber gegliederte Verbindung des Knorpels mit dem Kno- chen der ersten Rippe ist bis jetzt, meines Wissens, noch keinerlei Wahrnehmung in der Literatur niedergelegt, und dürfte schon deshalb unsere Beobachtung der Mittheilung werth befunden werden. An der Leiche eines 55 Jahre alten, kräftigen, durchaus regelmässig gebauten Mannes, war auf beiden Seiten der in feste Knochensubstanz übergegangene Knorpel 1) Neue Anomalien. Leipzig 1849. $. 5 330 Prof. H. Luschka: Ueber eine gegliederte ‚Verbindung der ersten Rippe durch sein äusseres Ende mit dem legiti- men Rippenknochen durch ein wahres Gelenk verbunden, mit dem Handgriffe des Brustbeines aber durch eine Art von Synchondrose fester vereiniget. Bei der ersten Betrachtung des seltsamen Erfundes wurde ich nicht sofort auf den Ge- danken geleitet, in ihm eine auf die Entwicklungsgeschichte zurückführbare Gelenksbildung zu erkennen, sondern glaubte eine Pseudarthrose als Folge eines Rippenbruches vor Augen zu haben. Diese Ansicht konnte jedoch nicht als stichhaltig befunden werden, nachdem ich mich von der auf beiden Sei- ten völlig übereinstimmenden Lage und Beschaffenheit des Gelenkes und davon überzeugt hatte, dass auch der beider- seitige Zusammenhang mit dem Brustbeine in’ganz gleicher Weise hergestellt war, abgesehen von der kaum denkbaren Einwirkung einer Gewalt, welche den Zusammenhang auf beiden Seiten an ganz entsprechenden Stellen hätte aufheben können. Die Gelenksverbindung zeigte, obgleich eine nur sehr geringe Beweglichkeit nachzuweisen war, in sehr scharfer Ausprägung, die wesentlichsten Attribute einer Articulation, eine Höhle nämlich, Knorpelüberzüge der an einander gren- zenden Skelettheile und diese zusammenhaltende Faserzüge. Die spaltförmige Gelenkshöhle war von ungleich dicken Knorpelplatten begrenzt, welche eine in maximo nur 1,5 Mm. betragende Mächtigkeit besassen, und eine nicht glatte, son- dern theils mit gröberen Erhabenheiten und Vertiefungen versehene, theils mit zarten Villositäten besetzte Oberfläche hatten. Ihrem feineren Baue nach enthielten die Knorpel- scheiben eine höchst unregelmässig gefaserte, mit den Faser- zügen bis zu den bezüglichen Knochen reichende Grundsub- stanz, welche gegen die freie Fläche hin zahllose Fortsätze von allen möglichen Gestalten producirte, die zum Theil als Träger von Knorpelzellen erschienen und neben Spuren einer synovialen Flüssigkeit die Gelenkshöhle erfüllten. Das Fa- sergerüste enthielt eine sehr reiche Menge kleinerer nnd grösserer Knorpelzellen, von welchen manche ausgezeichnet dicke Wände hatten. In der äussersten Circumferenz erschie- des Knorpels mit dem Knochen der ersten Rippe. 331 nen die Knorpelplatten unter einander verwachsen und waren überdies ausser durch das Gewebe des gewöhnlichen Pe- riosteum noch durch einzelne, deutlicher hervortretende Fa- serzüge fester verbunden. Von einer Synovialmembran oder in die Höhle hereinragenden gefässhaltigen Zellen vermochte ich keine Andeutung zu erkennen, und muss demgemäss die ganze Formation als ein auf halbem Wege der Entwicklung stehen gebliebenes d. h. als ein Halbgelenk bezeichnen. An der Stelle des Zusammenstosses des Knorpels mit dem Haudgriffe des Brustbeines liess sich nach vollständiger Entfernung der Knochenhaut eine unregelmässig wellenförmige, durch ein weisses Fasergewebe bezeichnete Grenzlinie erkennen. Es besteht auch hier kein Con- tinuitätsverhältniss zwischen Handgriff des Brustbeines und erster Rippe, während sich dieses in gewöhnlichen Fällen um so deutlicher ausgesprochen zeigt, je weiter im Rippen- knorpel die Verknöcherung vorgeschritten ist. Jenes Faser- gewebe, welches übrigens eine sehr feste, ganz und gar un- bewegliche Verbindung vermittelte, besass kaum eine Dicke von 1 Millim. und enthielt in einem Fasergerüste von sehr verworrenem Verlaufe seiner Elemente eine bedeutende An- zahl Knorpelzellen von sehr wechselnder Grösse und nament- lich ausserordentlich verschiedener Dicke der Wandungen. Nach den obigen Erörterungen wird es wohl nicht ange- zweifelt werden können, dass die letztere Verbindungsweise das Aequivalent jener zwischen dem äusseren Ende des Knor- pels und Knochens der Rippe vorfindlichen darstellt, und dass sie als diejenige Stufe der Gelenksbildung erscheint, in wel- cher es noch zu keinerlei Verflüssigung gekommen ist. Erklärung der Abbildung. Handgriff des Brustbeines mit den vorderen Abschnitten des ersten Rippenpaares, von einem 55 Jahre alten Manne. Die Knochenhaut ist abgelöst und von den Stellen der Verbindungen des verknöcherten Knorpels (a. a) soviel durch die Feile entfernt worden, als zur ge- 332 Prof. H. Luschka: Ueber eine gegliederte Verbindung ete. nauen Erforschung aller Verhältnisse derselben nöthig erschien. Das zwischen Knochen und Knorpel der Rippe jederseits befindliche Ge- lenk besitzt eiue spaltförmige Höhle (b. b); Gelenksknorpel (e. c. c. e) und Faserbänder, von welchen hier das am stärksten ausgeprägte, am oberen Umfange befindliche (d. d) dargestellt ist. Der Zusammenstoss des Knorpels der ersten Rippe mit dem Hand- griffe des Brustbeines geschieht durch eine Synchondrose durch Ver- mittelung einer düonen, aus dichtem Faserknorpelgewebe bestehenden Substanz, welche sich auf beiden Seiten an der gleichen Stelle in Form einer unregelmässig wellenförmigen, weissen Linie (e. e) präsentirt. Prof. H. Luschka: Ueber den Rippenursprung d. Zwerchfelles 333 Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles von Pror. H. LuscHkA in Tübingen. (Hiezu Taf. X.) Es besteht zwischen dem Rippentheile des Zwerchfelles und dem queren Bauchmuskel eine so innige Beziehung, dass das Verständniss des einen Muskels ohne Berücksichtigung des andern schlechterdings nicht möglich ist. Wenn wir daher die sog. Pars costalis des Zwerchfelles zum Gegenstande einer besonderen Untersuchung machen, so werden wir es nur bei steter Rücksicht auf den Ursprung des queren Bauch- muskels mit Erfolg thun können. Die bei den meisten Schriftstellern überaus mangelhafte Beschreibung des Ur- sprunges der Pars costalis hat ohne Zweifel in der ungenü- genden, nur ganz allgemein gehaltenen Betrachtung dieser Beziehungen hauptsächlich ihren Grund. Folgt man der un- sern Gegenstand betreffenden Literatur, dann erscheint es auffallend genug, dass seit Albin’s noch am meisten mit der Natur übereinstimmender Schilderung, die Angaben der Schriftsteller, mit wenigen Ausnahmen, theils von der Wahr- heit immer mehr abgewichen, theils so unvollständig sind, dass sie keineswegs eine zureichende Vorstellung von den bestehenden Verhältnissen gewähren können. Wenige Bei- spiele werden Angesichts der späteren Erörterungen genügen die Richtigkeit dieser Behauptung festzustellen. Bei J. Fr. Meckel!') beschränkte sich. die ganze Beschreibung auf die Angabe: „der Rippentheil heftet sich immer mit rundlichen, 1) Handbuch der menschl. Anatomie. 1816. Bd. I. S. 460. 334 Prof. H. Luschka: mehr oder weniger deutlich getrennten, bisweilen gespaltenen Zipfeln an die innere Fläche der Knorpel der siebenten bis elften Rippe, die innere Fläche der ganzen zwölften und fliesst gewöhnlich ununterbrochen mit dem ihm von vorn entgegenkommenden hinteren Rande des queren Bauchmus- kels zusammen.“ Nach Hildebrandt-Weber') ist der Rippentheil an jeder Seite mit vier fleischigen Enden an der inneren Fläche der sechs unteren Rippen theils ihres Knor- pels, theils des angrenzenden vorderen Endes ihres Knochens befestiget. Ohne alle weiteren Details wird ferner bemerkt: „es hänge an den vier unteren Rippen die Pars costalis mit dem Transversus abdominis zusammen.“ Krause’s?) Angaben zufolge entspringt der Rippentheil des Zwerchfelles fleischig und dick von der inneren Fläche der 12. Rippe, vom Arcus tendineus fasciae lumbodorsalis, von der inneren Fläche der Knorpel der sechs untersten Rippen vermittelst mehrerer Zacken, die mit denen der MM. transversus abdominis und triangularis sterni zusammenhängen. Nicht förderlicher ist Arnolds?°) Schilderung, wenn er lehrt: „der Rippentheil ent- stehe von der Innenfläche der Knorpel der sechs unteren Rippen, des Körpers der 12. Rippe und des Lendenrippen- bandes „mit breiten, fleischigen Bündeln, welche mit den Zacken des queren Bauchmuskels und des dreieckigen Rip- penmuskels zusammenhängen.“ Indem ich die Ergebnisse eigener, ganz speziell auf diesen Gegenstand gerichteter Untersuchungen darlege, muss ich gleich Eingangs bemerken, dass der sog. Rippentheil des Zwerchfelles in drei ihren Ursprungsverhältnissen nach regelmässig sich ganz verschieden verhaltende Ab- schnitte zerfällt, von welchen der eine mit der 7. 8. 9., der andere mit der 10., 11., 12. Rippe in Beziehung steht, der dritte dagegen mit den drei untersten Intercostalräumen und bisweilen auch mit dem Ligamentum lumbocostale. 1) Handbuch der Anatomie des Menschen. Bd. I. 3) Handbuch der menschl. Anatomie. 2. Aufl. S. 429. 3) Handbuch der Anatomie des Menschen. 1844. Bd. L S. 611. Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. 335 1. Die Pars costalis der 7., 8., 9. Rippe. Es ist bezeichnend für diesen Abschnitt des Zwerchfelles, dass er mit drei, an ihrem Ursprunge gesonderten, breiten, platten, fast durchgreifend fleischig angehefteten Portionen von den genannten Rippen abgeht und normalmässig nirgends mit Elementen des queren Bauchmuskels in Continuität steht, sondern von einer wechselnden Anzahl von Fleischbündeln desselben, gleichwie von Zähnen eines Kammes durchsetzt wird. Die drei Portionen stehen an ihrer unteren Grenze nicht in einer fortlaufenden Linie, sondern er- heben sich terassenförmig über einander, jedoch so, dass jede einzelne im Wesentlichen mit ihrem unteren Rande der Bie- gung des bezüglichen Rippenstückes folgt. Zum näheren Verständnisse der ganzen Anordnung müs- sen wir zuerst eine jede Portion besonders betrachten, so- dann die Gesammtheit in ihrem Verhältnisse zur Nachbar- schaft untersuchen. Die Zwerchfellsportion der 7. Rippe hat beim erwachsenen Menschen eine durchschnittliche Breite von vier Querfingern undist, wenn man den Knorpel der siebenten Rippe in vier gleiche Theile theilt, an den zwei mittleren desselben befestigt. Die Insertion geschieht rein fleischig mit vier platten Bündeln, die am Ursprunge durch drei Spältchen von einander getrennt sind, welche dem Durchtritte von Zacken des queren Bauchmuskels dienen. Das oberste jener Bündel ist das breiteste und läuft in seinem Ursprunge allmälig an der inneren Seite des Knorpels, vom unteren Rande dessel- ben gegen den oberen zurück. Die übrigen Bündel liegen an der inneren Fläche des Knorpels dem unteren Rande näher als dem oberen. Sehr häufig treten einzelne dünne Fleisch- bündelchen über den inneren Umfang der zwischen dem Knorpel der 7. und 8. Rippe befindlichen Gelenksverbindung herab, um sich am oberen Rande des Knorpels der letzteren Rippe zu befestigen. Die Faserung daselbst hat dann meist eine von jener der übrigen Portion etwas verschiedene Rich- 336. Prof. H. Luschka: g, wodurch der Anschein von zweierlei Muskelschichten begründet werden kann. ; Die Zwerchfellsportion der 8. Rippe ist meist nur drei Querfinger breit und zerfällt an der Stelle ihres Ur- sprunges in vier platte Fleischbündel, deren Sonderung eben- falls vom Durchtritte von Zacken des queren Bauchmuskels herrührt. Ziemlich genau entspricht in der Regel die Anhef- tung dieser Portion der hinteren Hälfte des Knorpels der achten Rippe, an deren innerer Fläche sich die Fleischfasern bis hart an die Grenze zwischen Knorpel und Knochen er- tung strecken. Die Zwerchfellsportion der 9. Rippe bietet durch- schnittlich die Breite der vorigen dar und zerfällt auch gewöhnlich am Ursprunge in vier durch Spalten für Zacken des Transversus abdominis von einander geschiedene Bündel. Sehr wesentlich unterscheidet sich aber dieselbe ausnahms- los dadurch, dass sie nicht bloss mit dem Knorpel, son- dern auch mit dem Knochen der Rippe zusammenhängt. Sie entspringt nämlich einerseits von der inneren Fläche ‘der hinteren Hälfte des Knorpels dieser Rippe und zwar in der Nähe ihrer oberen Grenze; andererseits vom Knochen der- selben. Der letztere Ursprung beschränkt sich jedoch auf eine nur daumenbreite Stelle der inneren Oberfläche des :vor- deren Endes jenes Knochens. Während an der siebenten und achten Rippe unter keinen Umständen Elemente des Zwerchfelles mit dem queren Bauch- muskel continuirlich sind, findet es sich dagegen an der neunten Rippe häufig, dass ausser dem soeben beschriebenen Verhalten auch einzelne Bündelchen der beiden Muskeln durch die Vermittelung von ‘Sehnenfäden in einander über- gehen. Die Stelle, an welcher dieses im vorkommenden Falle geschieht, ist an der inneren Fläche des hinteren En- des vom Kuorpel der neunten Rippe gelegen, allwo dann zu- gleich eine- feste Insertion beider und der Uebergang in den ersten Zwischenrippentheil des Zwerchfelles bemerklich sind. Betrachten wir die Gesammtheit des bisher erörterten Zwerchfellsursprunges zur Nachbarschaft, so ergeben sich Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. 337 Beziehungen desselben zur Pars sternalis diaphrag., zum drei- eckigen Brustmuskel und zum queren, Bauchmuskel. Das oberste vom Knorpel der siebenten Rippe abgehende Fleischbündel zieht in schwacher Biegung gegen die Mittellinie, ‚um sich, mit dem Brustbeintheile des Zwerchfelles zu- sammenfliessend, im vorderen Ende des Centr. tendineum zu verlieren. Beide Theile begrenzen mit den einander zugekehr- ten Rändern eine dreiseitige, schief von vorn nach hinten und oben ansteigende Spalte, deren Basis der vorderen Brustwand, deren Spitze der sehnigen Mitte des Zwerchfelles zugekehrt ist. Die Grösse dieser, von lockerem Zellstoffe eingenom- menen Lücke, durch welche Vasa mammaria ihren Weg nch- men, wechselt sehr und ist vor allem vom Grade der Ent- wicklung der Pars sternalis abhängig. Diese stellt in der Mehrzahl der Fälle einen conischen, beim Erwachsenen in maximo zollbreiten Fleischzipfel dar, welcher an der inneren Fläche des Schwertfortsatzes in der Nähe seines unteren Randes entspringt und in den vordersten Theil des Centrum tendineum übergeht. Oefter, zumal bei der Spaltung des Proc. xiphoideus seiner ganzen Länge nach, finden sich zwei deut- lich gesonderte, aber nahe an einander liegende Bündel. Nicht selten fehlt aber die Sternalportion gänzlich, und es besteht an ihrer Stelle eine grössere oder kleinere von fetthaltigem Zellgewebe erfüllte Lücke. Ich muss bei dieser Gelegenheit einer sehr bemerkenswer- then Bildung gedenken, welche ich zwischen Schwertfortsatz und Centrum tendineum bisher schon öfter in ausgezeichneter Stärke und vielmal in unzweifelhafter Andeutung gefunden habe. Es ist ein sehniger, mitunter '/, Zoll breiter Streifen, welchen ich einstweilen Ligamentum sterno-diaphragmaticum nennen will, welcher aus der Faserung des Centrum tendienum hervorgeht und sich im Periost des oberen Endes der hinteren Fläche des Proc. xiphoid. verliert. Der dreiseitige Brustmuskel verdient nicht allein als Vorbild des hier in nähere Betrachtung kommenden Trans- versus abdominis eine besondere Berücksichtigung, sondern Müller’s Archiv, 1857. 223 338 1 Prof. H. Luschka: auch deshalb, weil seine unterste Zacke mit dem Zwerchfelle in einigen Rapport tritt. Bei allem Wechsel im Verhalten bietet der Triangularis sterni einige constante, aber nicht genügend gewürdigte Eigen- thümlichkeiten dar, welche die Beziehungen seiner Zacken be- treffen. Diese sind meist in der Zahl von 5 vorhanden und gehen vom Rande des Brustbeines aus zur 2. bis (incl.) 6. Rippe. Die erste Zacke setzt sich an den unteren Rand des äusseren Endes vom Knorpel der :2. Rippe an; die zweite Zacke an den unteren Rand des Knorpels und Knochens der 3. Rippe, da, wo beide Theile zusammenstossen; die 3. und 4. treten an die innere Oberfläche des Knorpels der vierten und fünften Rippe; die 5., eine fast horizontale Richtung verfol- gende Zacke setzt sich an den oberen Rand des Knorpels und eines kleinen Stückes des Knochens, da, wo beide an ein- ander grenzen, der sechsten Rippe an. Nicht allein durch ihre Richtung und zum Theil ihren Ansatz bildet diese un- terste Zacke den Uebergang zum queren Bauchmuskel, son- dern auch dadurch, dass sie an der Stelle ihres Ursprunges, von der inneren Fläche des Schwertfortsatzes hart an dessen seitlichem Rande, in der Regel mit der Sehnensubstanz der oberstenZacke des Transversus abdominis in Continuität steht. Jene unterste Zacke des dreiseitigen Brustmuskels istes nun, welche über denjenigen Theil des Knorpels der siebenten Rippe hinwegläuft, der vor dem obersten Ende des Rippenursprunges des Zwerchfelles liegt und also an der vorderen Grenze der Spalte ausgespannt ist, welche sich zwischen Pars costalis und sternalis befindet. Der quere Bauchmuskel, insoweiter mit der 7., 8., 9. Rippe in Beziehung tritt, zerfällt in eine wechselnde Anzahl, 9-12 fleischige, platte Bündel, welche jene desZwerchfelles an den oben genannten Spalten durchsetzen, um sich jenseits des Zwerchfellsursprunges an den Knorpeln .jener Rippen, theils an derinneren Fläche, theils an dem oberen Rande dersel- ben anzusetzen. Die Fleischbündel liegen vor ihren Durch- tritte auf denjenigen Abschnitten der Knorpel der genannten Rippen, welche von den Zwerchfellsursprüngen nicht einge- Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. 339 nommen wurden. So kommt es denn, dass man nach sauberer Präparation der Stellen des Zusammenstosses beider Muskel- theile ein wie durchflochtenes Ansehen des Ganzen dar- zulegen im Stande ist. Dieses Verhältniss der beiden Muskeln zu einander war schon B. S. Albin!) bekannt und ist auch von Theile?) namhaft gemacht worden, ohne dass jedoch der Bezirk dieser Anordnung näher angegeben ist. 2. Die Pars costalis der 10., 11., 12. Rippe. Die augenfälligste Verschiedenheit dieses Zwerchfellsab- schnittes von dem vorigen giebt sich darin zu erkennen, dass er mit dem Transversus abdominis zum Theil in Continui- tät steht. Beide Muskeln haben an den bezeichneten Rippen selbstständige, nahe an einander grenzende Insertionen , aber diese sind da, wo sie an einander stossen, durch eine Anzahl theils paralleler , theils gekreuzter Sehnenfäden unter einander so in Verbindung gesetzt, dass das Ansehen von Inscriptiones tendineae bedingt wird. Die meisten dieser Sehnenfäden hän- gen an der inneren Oberfläche der bezüglichen Rippenstellen mit dem Periost und Perichondrium so fest zusammen, dass der theilweise Sehnenverband der Fleischbündel beider Mus- keln nur mit Hülfe des Messers isolirt dargestellt werden kann. Im Näheren betrachtet ergeben sich folgende, im Wesent- lichen gleichbleibende Verhältnisse. An der 10. Rippe ge- schieht der Ursprung in der Regel nur von dem Knochen. Das 1’/, bis 2 Querfinger breite Bündel hängt fleischig-sehnig mit dem Knochen der Rippe, hart hinter seiner Verbindung mit dem Knorpelzusammen, indem er an dessen innerer Fläche schief in der Richtung nach hinten, von dem unteren nach dem oberen Rande emporsteigt. Die Z werchfellspor-- tion der 11. Rippe hat beim erwachsenen Menschen eine durchschnittliche Breite von drei Querfingern und entspringt zum grössten Theile von der inneren Fläche des Knochens, 1) Historia musculorum. Edit. Hartenkeil 1796. p. 270. 2) Muskellehre 1841. S. 210, 186] — % 340 Prof. H. Luschka: nahe an seinem oberen Rande, während meist nur wenige Bündel von der inneren Seite des Knorpels ihren Ursprung nehmen. Das Verhalten des Zwerchfelles zur 12. Rippe ist ausserordentlich variabel. In der grösseren Mehrzahl der Fälle geschieht der Ursprung sehnig mit einem zwei Querfinger brei- ten Bündel vom oberen Rande des Rippenknochens; häufig auch nur von der inneren Seite des Knorpels mit einem kaum fingerbreiten Streifen. Es gehört zu den selteneren Vorkomm- nissen, wenn die vordere Hälfte des Knochens der zwölften Rippe der in diesem Falle sehr breiten Zwerchfellsportion zum Ursprunge dient. Der mit diesen Ursprüngen des Zwerchfelles in Beziehung tretende quere Bauchmuskel setzt sich fleischig-sehnig nach vorn und unten von denjenigen Stellen an der inneren Fläche der genannten Rippen an, von welchen jenes seinen Ausgang genommen hat. Es bleibt zwischen beiderlei Insertionen eine 1/, Zoll lange, der Breite der Rippe entsprechende, von Mus- kelfasern freie Stelle übrig, welche ein sebnenartig-glänzen- des, exquisit gefasertes Ansehen besitzt und welche den Ort des continuirlichen, durch Sehnenbündel vermittelten Zusam- menhanges beider Muskeln darstellt. Diese Sehnensubstanz ist es, welche mit der Faserung der hinteren Aponeurose des Transversus abdominis und damit im Einklange auch mit dem- jenigen Sehnengewebe in Verbindung steht, welches in den drei untersten Zwischenrippenräumen mit den daselbst ent- springenden Zwerchfellsabschnitten in einen theils mittelbaren, theils unmittelbaren Verband gesetzt ist. oO 3. Die Parsintercostalis des Zwerchfelles. Während die meisten Schriftsteller des ununterbrochenen Zusammenhanges zwischen Diaphragma und Transversus ab- dominis, aber freilich nicht mit genauerer Erörterung des Ver- haltens dabei und des Bezirkes gedenken, hat sich, wie es scheint, die Eigenthümlichkeit des Zwerchfellsursprunges in den drei untersten Intercostalräumen der bisherigen Beobach- tung gänzlich entzogen. Es ist hier aber eine Anordnung ge- geben, welche nicht nur in Rücksicht auf das Zwerchfell die “ Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. 341 grösste Aufmerksamkeit verdient, sondern auch über den queren Bauchmuskel neue Gesichtspunkte eröffnet. In den rein ausgeprägten Fällen befindet sich in der Nähe der vorderen Grenze eines jeden der drei untersten Zwischen- rippenräume ein sehniger Bogen, dessen Convexität der Wirbelsäule zugekehrt ist. Dieser bildet die Stelle des Ur- sprunges für eine grosse Summe von Fleischbündeln des Zwerchfelles, welche von den genannten Intercostalräumen ausgehen. Die Anordnung der Bögen unterliegt in der Art einigem Wechsel, dass jener im eilften Intercostalraume nur angedeutetist, andere Male, aber höchst selten, ein vierter Bogen, im achten Rippeninterstitium nämlich , angetroffen wird. Die schönste Ausbildung desselben finde ich immer zwischen dem Knorpel der 11. und 10. Rippe und will ich daher die Be- schreibung desselben dieser Lokalität entnehmen. Der bogige Sehnenstreifen besitzt eine nur schwache Krümmung und eine durchschnittliche Höhe von 3Millimetres. Er besteht, von der änsseren Seite her gesehen, aus rundli- chen, mehr oder weniger dicht gelagerten Bündelchen, welche ihm ein gestreiftes Ansehen verleihen. Im Uebrigen erinnert seine Substanz nach Farbe und Consistenz noch am meisten an Faserknorpel. Er enthält inzwischen nur dicht gelagerte, wellenförmige Bindegewebsfibrillen und zahllose feine, meist isolirte elastische Fasern. Von der inneren Seite her betrachtet erscheint der Bogen, nach sorgfältiger Präparartion, als sehr niederer Saum, an welchen Muskelfasern des Zwerchfelles an- stossen, und vor welchem in der Richtung nach aussen, Seh- nen- und Fleischbündel des Transversus abdominis verlaufen. - Ausgezeichnet deutlich erkennt man den Ursprung von Zwerch- fellsfleisch am hinteren Rande seiner äusseren Seite, an wel- chen zahlreiche Bündelchen theils unmittelbar, theils durch feine Sehnenfädehen an ihn geheftet sind. Seine Befestigung gewinnt der Bogen des zehnten Inter- : costalraumes einerseits an die innere Fläche der Spitze des Knorpels der 11., andererseits an die innere Fläche des hin- eren Endes vom Knorpel der 10. Rippe. Das Verhalten des queren Bauchmuskels zu dieser For- 342 Prof. H. Luschka: mation ist sehr überraschend. Je näher die Bündel dieses Muskels gegen den Bogen herantreten, um so mehr gewinnen sie eine sehnige Beschaffenheit. Diese Sehnensubstanz stellt in Wahrheit eine Fortsetzung des vorderen Endes der hinteren Aponeurose des Transversus dar und steht mit der Sehnen- faserung imZusammenhange, welche an der inneren Seite der drei untersten Rippen Zwerchfell und Transversus abd. in Continuität setzen. Die Sehnenbündel aber, welche zu jenem Bogen gelangen, treten zum grössten Theile über dessen äussere Fläche hinweg und machen ihn auf diese Weise unkenntlich ; zum kleineren Theile durchsetzen sie die Bündel desselben und stellen so mit ihm eine Art von Strickwerk dar. Fast alle Sehnenbündel des Transversus treten aber schliesslich an die äussere Fläche des dem Interstitium entsprechenden Zwerch- fellsabschnittes und in weiterer Folge über die äussere Fläche des Rippenfelles, wo sie als wichtiges Verstärkungsmittel der Fascia endothoracica (Hyrtl) ihre endliche Verwendung fin- den. ‘Daraus aber ergiebt sich die merkwürdige Thatsache, dass der Transversus abdominis auch einen Zug auf diejenigen Abschnitte des Rippenfelles auszuüben vermag, welche an die drei untersten Intercostalräume angrenzen. Der Bogen des neunten Intercostalraumes ist im Ein- klange mit der geringeren Höhe des letzteren gegen seine vor- dere Grenze hin, um vieles kleiner, und meist auch weniger entwickelt. Es ist ferner bemerkenswerth, dass öfter eine grössere Anzahl mit ihm: in Berührung kommender Sehnen- bündel des Transversus ihn nicht durchsetzen oder über ihn hinwegziehen, um an die äussere Fläche des Diaphragma und an die Pleura zu gelangen, sondern eine kürzere oder längere Strecke jenseits desselben in Fleischfasern des Zwerchfelles übergehen. Ausgespannt; ist der Bogen zwischen der Mitte des Knorpels der 10. und dem hinteren Ende des Knorpels der 9. Rippe. ; lm eilften Intercostalraume begegnet man dem Bogen im Falle seiner guten Ausbildung zwischen der Spitze des Knor- pels der 12. und dem hinteren Ende des Knorpels der 11. Rippe. Unter allen Umständen aber geben in diesem Interstitium zahl- Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. 343 reiche vom queren Bauchmuskel herrührende Sehnenbündel Ursprungspunkte ab für Fleischfasern des Zwerchfelles. Oft genug kommt es vor, dass alle im letzten Zwischenrippen- raume entspringende Fleischbündel des Zwerchfelles, aus- schliesslich von dem daselbst befindlichen sehnigen Ende des Transversus ausgehen, über dessen äussere Fläche dann öfters nur andeutungsweise bogigeSehnenbündel gelagert sind. In manchen Fällen, zumal in denjenigen, in welchen der Zwerchfellsursprung der 12. Rippe sehr schmal ist, entspringt ein verschieden breites Fleischbündel des Diaphragma auch von der vorderen Fläche des sog. Lig. lumbocostale meist nahe am unteren Rand des Knochens der zwölften Rippe, über dessen innere Fläche aufwärts steigend, sich dasselbe dann gewöhnlich genau an die unterste Costalportion anschliesst. Es lässt sich dieses Bündel ganz ungezwungen als unterste Intercostalportion erklären, wenn man das Wesen des sog. Lendenrippenbandes näher ins Auge fasst. Um dieses aber thun zu können, müssen wir vor Allem die hintere Aponeurose des queren Bauchmuskels einer genauen Betrachtung unter- werfen. Diese stellt ein Sehnenblatt von sehr verworrenem Faserverlaufe dar, welches zwischen dem unteren Rande der zwölften Rippe, der Darmbeinleiste und den (Juerfortsätzen der fünf Lendenwirbel ausgespannt ist, nach vorn aber unter einer sanften, mit der Convexität nach rückwärts gekehrten Bogenlinie in Fleischbündel übergeht. Wenn man die Ana- logie zwischen Triangularis sterni und Transvers. abd. auf- recht erhalten wollte, dann müsste man in die weisse Linie, dem Analogon des Brustbeines, den Ursprung des letzteren Muskels verlegen, und den Ansatz dagegen an dieRippen und an die ihnen morphologisch verwandten Querfortsätze der Len- denwirbel. Nach dieser Anschauungsweise liesse sich der Transversus als Fixator der sechs unteren Rippen bei der Contraetion des Zwerchfelles betrachten. Ueber die hintere Aponeurose des Transversus werden mehrfach irrthümliche Ansichten gehegt. Manche Schriftsteller lassen sie in zwei Lamellen zerfallen, von welchen die eine an den (uerfortsätzen ihre Befestigung finden, die andere an 344 Prof. H. Luschka:; die hintere Seite des Musc. extensor dorsi communis gelangen soll, die Fascia lumbodorsalis verstärkend. Diese Ausicht beruht ohne Zweifel auf der Wahrnehmung von ‚Sehnenbün- delchen, welche am äusseren Rande des Muse. iliocostalis aus der Faserung der sog. Fascia lumbodorsalis hervortretend da- selbst an das Gewebe der hinteren Aponeurose fest angelöthet sind. Man trifft aber auch von dort herrührende Sehnenbündel, welche nicht an die hintere Aponeurose des Transversus tre- ten, sondern an der äusseren Fläche der zwölften Rippe, nach vorn von der untersten Zacke des Musc. serrat. postic. inf., ihre Befestigung finden. Noch viel irriger ist die Meinung von einer Zerspaltung jener Aponeurose in drei Blätter, wo- bei die an der vorderen Seite des Muse. quadr. lumborum be- findliche, häufig sehnenartig feste Lamelle als von ihr abstam- mend betrachtet wird, während diese in Wahrheit nichts an- deres ist, als ein Theil der queren Bauchbinde. Diejenigen Bündel jener Aponeurose, welche mit den Quer- fortsätzen der Lendenwirbel in Verbindung stehen, strahlen fast alle pinselartig auseinander, in Folge dessen, bei der ge- genseitigen Durchsetzung, eine sehr vielfach gekreuzte Anord- nung der Faserbündel herbeigeführt wird. Vom Querfortsatz des ersten Lendenwirbels geht in der Regel ein stärkerer Faserzug aus, welcher in schwacher, ab- wärts concaver Bogenlinie an die Spitze der zwölften Rippe zieht. Das durch ihm nach unten abgegrenzte Segment der hinteren Aponeurose des queren Bauchmuskels stellt das sog. Ligamentum lumbocostale dar. In Erinnerung an jene Sehnenbögen in den drei untersten Intercostalräumen möchte ich den bogigen Faserzug, welcher zwischen dem Querfortsatz eines Lendenwirbels — einem Rip- penanalogon — und einer wirklichen Rippe ausgespannt ist, mit jenen vergleichen. Damit im Einklange muss das nicht selten vorkommende Fleischbündel des Zwerchfelles, welches vonihm ausgeht, als unterste Zwischenrippenportion gedeutet werden. Als Zwischenrippenportion ist ohne Zweifel auch ein Theil des sog. äusseren Schenkels der Pars lumbalis des Zwerch- Ueber den Rippenursprung des Zwerchtelles. 345 felles aufzufassen. In rein ausgesprochenen Fällen geht dieser ganz kurze Schenkel fleischig-sehnig vom seitlichen Umfange des Annulus fibrosus zwischen dem ersten und zweiten Len- denwirbel ab. Sein innerer, rein fleischiger Rand steigt fast perpendieulär in die Höhe, sein äusserer dagegen stellt einen sehnigen Bogen dar, welcher, mit der Convexität aufwärts ge- kehrt, über den Psoas und Quadratus lumborum, zwischen beiden häufig einen Fortsatz in die Tiefe sendend, gegen die Spitze der zwölften Rippe hin seinen Weg nimmt und hier mit der Faserung zusammenfliesst, welche dem äusseren Rande des Ligamentum lumbocostale angehört. In Rücksicht auf den letzteren Umstand und weil auch dieser Sehnenstreifen zwi- schen dem Lendenwirbel und der zwölften Rippe ausgespannt ist, möchte ich die von ihm abgehende Fleischmasse als Inter- costalportion betrachtet wissen. Die von seiner Convexität abgehenden Fleischbündel steigen über die innere Fläche der hinteren Hälfte des Knochens der 12. Rippe aufwärts, stossen aber sehr häufig nicht unmittelbar an die nach aussen von ihr liegende Zwerchfellsparthie an, sondern es hleibt zwischen bei- den einegrössere oder kleinere, dreiseitige, von Muskelfaserung freie Lücke übrig, die mitunter zur Pforte von Zwerchfells- hernien wird. In Ausnahmsfällen kommt anstatt des dreiseitigen Zwi- schenraumes ein bogenförmiges Muskelbündel vor, welches mit seiner Concavität über der inneren Fläche der zwölften Rippe liegt, nach aussen mit der untersten Rippenportion zu- sammenhängt, nach innen aber an dem seitlichen Umfange des ersten Lendenwirbels durch Sehnensubstanz angeheftet und daselbst vom äusseren Lendenschenkel des Zwerchfelles überlagert ist. M.J. Weber!) hat dieses Bündel als „Portio lumbo-costalis* aufgeführt. Unter zahlreichen, auf die Erforschung des Zwerchfelles gerichteten Untersuchungen ist mir bis jetzt zweimal in ganz übereinstimmender Weise die folgende, sehr bemerkenswerthe 1) Handbuch der Anatomie des menschl. Körpers. Bonn 1839. Bd. I. S. 580. 346 Prof. H. Luschka: Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. Anomalie vorgekommen. Die sonst dem Knorpel der 7. Rippe angehörige Ursprungsportion zerfällt in zwei Theile, von wel- chen der innere mit dem Knorpel jener Rippe gar nicht in Berührung kommt, sondern von der Fascia transversa da entspringt, wo diese neben dem Schwertfortsatze vom oberen Ende des queren Bauchmuskels bedeckt wird, wäh- rend der äussere Theil an der äusseren Hälfte des Knorpels der siebenten, Rippe inserirt. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Die vordere Brustwand und ein Theil der vorderen Bauch- wand von hinten gesehen. A. Brustbein; I.—XII. die Rippen. a.a.a.a.a.a. a. a. Zacken des Musc. triangularis stern. b. Pars sternalis des Zwerchfelles. c. Vordere Aponeurose des queren Bauch- muskels. d. d. d. d. Fleischzacken des Transversus abdominis, welche sich an die 7., 8., 9. Rippe gesondert ansetzen. e. e. Mit dem Zwerch- felle in Continuität stehende Abschnitte des 'Transversus abdominis. f. f. £. Sehnenbögen in den drei letzten Intereostalräumen. 8, g. g. Von den Zacken des Transversus durchsetzte Zwerchfellsportion der 7., 8., 9. Rippe. h. h. h. mit dem Transversus continuirliche Zwerch- fellsportion der 10., 11., 12. Rippe. Fig. 2. Rechte Hälfte der vorderen Brust- und eines Theiles der vorderen Bauchwänd von der hinteren Seite gesehen. Derjenige Ab- schnitt des queren Bauchmuskels ist ganz entfernt worden, welcher mit der Zwerchfellsportion der 7., 8., 9. Rippe in Beziehung steht. A. Brustben. L.—XI. die Rippen. a. Zwerchfellsportion der 7. Rippe. b. Zwerchfellsportion der 8. Rippe. c. Zwerchfellsportion der 9. Rippe. d. Zwerchfellsportion der 10., 11. und 12. Rippe mit dem e. 'Trans- versus abdominis in Continuität stehend. £.f. f. Sehnenbögen der drei letzten Intercostalräume i Fig. 3. . a.. Sehnenbogen im zehnten Intercostalraume, ausgespannt zwischen dem Knorpel der zehnten X. und elften Rippe. XI. Von seiner Convexität entspringen Muskelbündel des Zwerchfelles b. an seine Conceavität stösst der Transversus abd. an c., dessen hier abgelöste Sehnenbündel d. meist über den Bogen wegzutreten pflegen, um an die Brustoberfläche des Zwerchfelles und an die äussere Seite des Rippenfelles zu gelangen. Albert Baur: Zur Lehre von der Verknöcherung ete. 347 Zur Lehre von der Verknöcherung des prımordialen Knorpels von ALBERT BAUR in Tübingen. Eine mikroskopische Analyse’ der bei der Verknöcherung des Knorpels vor sich gehenden Veränderungen hat zwei Fragen zu beantworten. Erstens: wie entsteht die eigenthümliche Struktur der Knochensubstanz aus dem so differenten Baue des Knorpels, und zweitens: wie verhalten sich dabei die Ele- mente des Knorpels zu denen des Knochens. Letztere Frage zumal hat, seit man eine Entstehung des Knochens auch ohne vorangehenden Knorpel kennt, ein doppeltes Interesse gewon- nen. Allein trotz zahlreicher über diesen Gegenstand vorlie- gender Untersuchungen ist die Lehre von der Ossifikation des primordialen Knorpels noch keineswegs als eine abgeschlossene zu betrachten. In der Hoffnung zur Entscheidung der noch. streitigen Punkte etwas beitragen zu können, veröffentliche ich in folgen- dem, aufgefordert von meinem verehrten Lehrer, Herrn Pro- fessor Luschka, die Resultate eigener über die Verknöche- rung des Knorpels, vorzugsweise mit Rücksicht auf die Binde- gewebsfrage angestellter Untersuchungen. Die Entstehung aller nicht knorpelig präformirten Kno- chensubstanz ist zurück zu führen auf die Verknöcherung eines Blastems, das nach den meisten Beobachtern als ein binde- gewebiges anzusehen ist. Es besteht nämlich aus einer noch. undeutlich fibrillären Grundsubstanz, in welcher sich einfache runde Zellen, entsprechend den primären Bildungszellen des 348 Albert Baur: Bindegewebs, den späteren Bindegewebskörperchen, eingestreut finden. Es ist leicht, sich zu überzeugen, dass die Verknö- cherung dieses Blastems in der Art erfolgt, dass seine Inter- cellularsubstanz einfach durch Aufnahme von Kalksalzen all- mälig, ohne scharfe Grenze, die Eigenschaften der Knochen- grundsubstanz annimmt, während die Zellen zu zackigen Kno- chenkörperchen auswachsen. Eine Vermittelung durch Knor- pelelemente findet hier entschieden nicht statt; auch ist von einer vorangehenden Trübung durch abgelagerte Kalkkrümel nichts zu bemerken. Man wird daher diesen Prozess nicht anders, denn als eine directe Verknöcherung des Bindegewebs bezeichnen können. Complieirter ist der Ossifikationsprozess im Knorpel; es findet hier nicht eine einfache Umwandlung der Substanz, sondern gleichzeitig eine totale Umgestaltung der Struktur statt und dies ist es, was eine genaue Verfolgung der histologischen Veränderungen erschwert. Als Objekte dazu eignen sich wohl am besten feine Durchschnitte, welche in verschiedenen Richtungen durch den Verknöcherungsrand der Diaphyse eines möglichst frischen fötalen Röhrenknochens geführt werden. Die zum Theil längst bekannten Vorgänge, welche man hier der Ossifikation vorangehen sieht, bestehen in folgendem: Die vorher gleichmässig vertheilten Knorpelzellen nehmen eine bestimmte, der spätern Knochenstructur entsprechende Ord- nung an, in den Knorpeln der Röhrenknochen stellen sie sich in Reihen, welche auf dem Querschnitt sich als rundliche Gruppen ausnehmen. Zugleich nimmt das Volum der einzel- nen Zellen zu, ihr vorher dunkler, krümeliger Inhalt wird durchsichtig und zeigt einen grossen, blasenförmigen mit Nu- cleolus versehenen Kern. Die Vergrösserung der Knorpelzellen geht aufKosten derGrundsubstanz vor sich, diesich relativ so schr vermindert, dass die Zellen einer Reihe gar nicht, die einzel- nen Reihen von einander nur durch eine dünne Schicht Inter- cellularsubstanz getrennt sind. In der Wand dieser Knorpel- höhlen oder Kanäle beginnt nun eine Ablagerung erdiger Be- standtheile in Form eines dunkeln, grob- oder feinkörnigen Niederschlags. Diese Kalkablagerung bildet scheinbar die Zur Lehre von der Verknöcherung des primordialen Knorpels. 349 Grenze zwischen Knorpel und Knochen, man vermisst aber noch die mikroskopischen Charaktere der Knochensubstanz, nämlich Knochenkörperchen und einehomogene Grundsubstanz. Die Knorpelzellen sind noch unverändert in den mit Kalk in- crustirten Knorpelkapseln enthalten, deren undurchsichtige Be- schaffenheit eben die Verfolgung ihrer weiteren Metamorphose schwierig macht. Diese besteht aber zunächst darin, dass jede Knorpelzelle zum Sitz einer endogenen Zellenproduction wird. Statt des einen blasenförmigen Nucleus, der sich schon als Tochterzelle betrachten lässt, treten nämlich mehrere, ihm gleiche Bläschen auf, welche die Mutterzelle erfüllen und nach ihrem Verschwinden frei werden. Diese demnach dem Kern der Knorpelzellen entsprechende Zellenbrut ist es, welche den Inhalt der verkalkten Knorpelhöhlen ausmacht und den Aus- Sangspunkt aller folgenden Veränderungen bildet. Die That- sache, dass bei der Verknöcherung des Knorpels in den Knor- pelzellen eine endogene Zellenbildung auftritt, — ein Prozess, der wesentlich von der Vermehrung der Knorpelzellen durch Theilung, wie sie beim Wachsthum des Knorpels vor der Ver- knöcherung angenommen wird, zu unterscheiden ist — wurde bisher von allen Beobachtern ausschliesslich zur Bildung der Markbestandtheile des Knochens in Beziehung gebracht, ohne dass ihre Bedeutung für die Entstehung der Knochensubstanz selbst erkannt worden wäre. Während nämlich in der That ein Theil dieser neuen Zellengeneration sich in Blutgefässe, Fettzellen oder indifferente Markzellen umwandelt, findet man immer die peripherischen der verkalkten Knorpelkapsel anlie- genden Zellen mit einer Schicht weicher streifiger Zwischen- substanz umgeben, welche die innere Wand der Knorpelhöhlen auskleidet. Von ächter Knochensubstanz war bis jetzt noch nichts zu sehen: sie bildet sich erst jetzt durch direkte Ver- knöcherung dieses Blastems, das heisst, durch Verwandlung seiner Zellen in Knochenkörperchen, seiner Intercellularsub- stanz in homogene, nicht körnige Knochengrundsubstanz. Hieraus ergiebt sich, dass die erste Knochensubstanz in Form einer jede verkalkte Knorpelhöhle auskleidenden Röhre auf- treten muss, welche auf dem Querschnitt als ein mit einer ein- 350 Albert Baur: fachen Reihe Knochenzellen besetzter Ring sich darstellt. Dieser Knocheneylinder verdickt sich nun von innen aus durch successive Verknöcherung in derselben Weise sich neu aufla- gernder Blastemschichten, so dass jedes Knorpelkanälchen all- mälig durch ein System concentrischer Knochenlamellen mehr oder weniger ausgefüllt wird. Der durchaus gleichmässig con- centrisch lamellöse Bau der Röhrenknochen erklärt sich also daraus, dass im Innern jedes Markkanälchens eine Schichten- bildung und successive Verknöcherung vom Centrum aus ge- rade so vor sich geht, wie bei der Bildung der Rindensubstanz aus dem Periost von der Peripherie aus. Dem Besagten zufolge müssen die einzelnen Röhren neu- gebildeter Knochensubstanz anfangsnoch von verkalkter Knor- pelsubstanz umgeben und von einander getrennt sein. Es wird nun allgemein angenommen, wie es auch den Anschein hat, dass die verkalkte Grundsubstanz des Knorpels selbst allmälig in homogene Knochensubstanz übergehe, sei es dadurch, dass die einzelnen Kalkkrümel in eine homogene Masse zusammen- fliessen, oder dass sie, als eine nur provisorische Kalknieder- lage, vorher wieder resorbirt werden. Darauf ist nun zu sagen, dass die körnige Kalkeinlagerung allerdings verschwindet, aber mit ihr auch die organische Substanz, welcher sie angehörte, dass also die schon vorher begonnene Resorption der Knorpel- grundsubstanz auch nach der Kalkaufnahme weiter geht, um der neuen Knochensubstanz Platz zu machen. Dies lässt sich durch Beobachtung direct beweisen. Behandelt man nämlich einen ossifieirenden Knorpel mit verdünnter Salzsäure und macht an der entsprechenden Stelle Querschnitte parallel dem Verknöcherungsrande, so sieht man bei entsprechender Ver- grösserung die noch aus einer einfachen Schicht bestehenden Ringe des gelblichen, stark lichtbrechenden, von dunkeln Kuochenzellen durchsetzten Knochenknorpels scharf abgegrenzt und abstechend gegen die sie umgebende, ganz farblose, durch Auflösung der Kalkkrümel wieder glashell gewordene Kuor- pelgrundsubstanz, zum deutlichen Beweis, dass hier kein con- tinuirlicher Uebergang, sondern bloss eine Juxtaposition statt- findet. Weiterhin rücken die einzelnen, inzwischen verdickten Zur Lehre von der Verknöcherung des primordialen Knorpels. 351 und geschichteten Knochenringe einander immer näher, bis sie nach vollständigem Schwinden der sie trennenden Knor- pelschicht unmittelbar an einander grenzen. Daraus folgt, dass die Grundsubstanz des primordialen Knorpels an der Bildung der Knochensubstanz keinen Autheil hat, vielmehr trotz der Verkalkung der Resorption anheimfällt. Dieses der Beobachtung entnommene Resultat ist von chemischer Seite längst postulirt, da die Verschiedenheit in der chemischen Constitution zwischen Knochenknorpel und der hyalinen Knorpelsubstanz der Annahme einer Persistenz der letzteren im Knochen im Wege stand. Man musste daher zur Erklä- rung des ÖOssifikationsprozesses entweder eine chemische Umwandlung oder einen molekulären Ersatz der einen Sub- stanz durch die andere zu Hülfe nehmen. Dieser Ersatz aber ist Obigem zufolge nicht ein bloss chemischer, moleku- lärer, sondern ein histologisch nachweisbarer. Die organische Grundlage des Knochens ist anatomisch so wenig als che- misch mit der Grundsubstanz des hbyalinen Knorpels iden- tisch. Letztere ist einer wahren Verknöcherung unfähig: ihre Verkalkung ist ein die Ossifikation zwar meist begleitender, aber wesentlich von ihr verschiedener Prozess. Die im Knorpel auftretende Knochensubstanz ist in den Knorpelhöhlen neugebildet, sie tritt jedoch nicht sogleich als solche auf, sondern es geht ihr die Bildung eines aus ein- fachen Zellen und weicher Intercellularsubstanz bestehenden Blastemes voraus. Dieses Blastem nun stimmt in jeder Be- ziehung mit der verknöchernden Schicht des Periosts und wie diese, mit, unreifem Bindegewebe überein, es muss daher als ein bindegewebiges bezeichnet werden. Seine Ossifikation erfolgt durch Kalkaufnahme der homogen bleibenden Zwi- schensubstanz, durch Verwandlung seiner Zellen in Knochen- körperchen. Auch im Knorpel geht also der Ossifikation eine — hier durch die Knorpelzelle vermittelte — Bindegewebsbildung voran. Bindegewebe ist. also die einzige Grundlage der Knochenbildung. Hiermit: ist für die chemische Uebereinstim- mung des sogenannten Knochenknorpels mit collagenem Ge- 252 Albert Baur: webe der histogenetische Nachweis geliefert und überhaupt die bisher vermisste Einheit in die Genese des Knochenge- webs hergestellt, sofern die Bildung der primären und secun- dären Knochensubstanz auf einen und denselben Prozess zurückgeführt ist. | Der Antheil der Knorpelzelle an dem Verknöcherungs- prozesse besteht darin, dass sie die Mutterzelle derjenigen Zellen ist, welche nachher von verknöchernder Bindesubstanz umgeben und strahlenförmig ausgewachsen die Knochenkör- perchen darstellen. Niemals also verwandeln sich die Zellen des primordialen Knorpels als solche in Knochenzellen. Zahl, Grösse und Anordnung beider ist daher auch keineswegs dieselbe; vielmehr entsprechen einer einfachen Reihe Knor- pelzellen im Knochen alle Knochenkörperchen eines Lamel- lensystemes. Letztere treten auch erst auf, nachdem die Knorpelzellen in der Production von Tochterzellen unterge- gangen sind, so dass man nach einem Uebergang der einen in die andern vergebens sich umsieht. An Objecten dagegen, welche langsam und unvollständig verknöcherndem Knorpel entnommen sind, stösst man häufig auf Bilder, wo innerhalb der noch sichtbaren Contouren einer Knorpelzelle nur ein oder wenige dicht stehende Kno- chenkörperchen sich finden. Hier war die Production der Tochterzellen eine geringe oder auf eine einzige beschränkt. Die Umgebung der endogenen Zellen mit verknöchernder Bindesubstanz erfolgte noch innerhalb der Mutterzelle; ächte Knochensubstanz ist daher auf den Umfang der Knorpelzelle beschränkt, während diese selbst von verkalkter (oder in rhachitischen Knochen, von hyalin gebliebener) Knorpelgrund- “substanz umgeben ist. Solche Bilder gaben zu der Annahme Veranlassung, dass die Knochenkörperchen dem Kerne der Knorpelzellen oder den durch innere Auflagerung verdickten Knorpelzellen selbst entsprechen. Bei der Ossifikation des fötalen Knorpels lässt uns aber diese Auffassungsweise im Stich, während die hier gewonnenen Resultate eine allge- mein gültige Deutung zulassen, obgleich sie mit einer Iden- = Zur Lehre von der Verknöcherung des primordialen Knorpels. 353 tität der Knorpel gelten und Knochenkörperchen überhaupt sich nicht vertragen. Der Verknöcherungsprozess des primordialen Knorpels hat einerseits gezeigt, dass die Knochensubstanz, wie sie che- misch mit der Substanz des Bindegewebs übereinstimmt, so auch histogenetisch einzig auf die Elemente des Bindegewebs zurückzuführen ist; andererseits, dass dem Gewebe des hya- linen Knorpels die Fähigkeit einer directen Verknöcherung abgesprochen werden muss, weil nachgewiesenermassen we- der seine Grundsubstanz noch seine Zellen als solche in den gleichnamigen Elementen des Knochens persistiren. Der Satz, dass eine Knochenbildung in gleicher Weise aus Knor- pel, wie aus Bindegewebe durch Absatz von Kalksalzen in ihre Grundsubstanz, Verwandlung ihrer Formelemente in Knochenkörperchen möglich sei, ist hierdurch widerlegt und somit der Jehre von der Identität des Knorpels mit Knochen und Bindegewebe eine ihrer wichtigsten Stützen genommen. MHller's Archiv, 1857, 23 354 Dr. @ R. Wagener: Ueber Dieyema Kölliker von G. R. WAGENER, Dr. med, Mitgetheilt in der Sitzung der naturforschenden. Freunde am 18. November 1856). (Hierzu Tafel XI.—XIV.) In der Niere oder den s. 2. Venenanhängen der Cephalopoden, theils in die Oberfläche des Organes eingesenkt, theils frei in der die, Anhänge umspülenden Flüssigkeit fand Krohn (s. Frorieps Notizen 1830) eigenthümliche infusorienartige Körper, welche später von Erd] wiedergefunden, abgebildet und beschrieben wurden. (Wiegmann’s Archiv 1843. pag. 162. Bd. I.) Kölliker bestätigte theils die von Erdl gemachten An- gaben, theils erweiterte und berichtigte er sie (2ter Bericht der Zootomischen Anstalt in Würzburg). Namentlich hob er die Thatsache hervor, dass Dicyema (so nannte er die von Krohn entdeckten Parasiten) „zweierlei Keime bildet, die schon im Innern des Mutterthieres, die einen zu infusorien- artigen, die andern zu wurmartigen Embryonen sich gestalten und nie beide zusammen, sondern immer jede Art für sich, in besonderen Individuen zu treffen sind.“ Kölliker entwarf seine Beschreibung besonders nach den Formen, welche er in Octopus macropus und vulgaris zu Messina fand. Die von mir in Triest untersuchten Dieyemen fanden sich in Eledone moschata und Sepia officinalis. 1) Vossische Zeitung 2. December 1856. EHEN HUN OR Fu, RER u Ueber Dicyema. 355 Diese Formen unterscheiden sich in einigen Beziehungen von den von Kölliker gefundenen, so z. B. durch längere Wimpern, etwas anders geformten Kopf ete. Ich kann nicht angeben, ob diese Verschiedenheiten wirkliche Speciesunter- schiede sind. Dicyema ist bis jetzt in folgenden Oephalopoden gefunden worden: Eledone moschata. m eirrosa !). Octopus vulgaris. „„ macropus. Sepiola macrosoma. Sepia offieinalıs. Lohgo sagiltata. In letzterem Cephalopoden fand ich es nicht in Triest, wohl aber Kölliker in Messina. — Die Formen aus Eledone, Sepiola und Octopus haben grosse Aehnlichkeit mit einander. Die Form aus Sepia indess weicht von ihnen sehr ab, wie später anzugeben ist. Dicyema Eledones. Den Kopf dieses Dicyema bildet ein starkes, dicht mit grossen Wimpern besetztes Polster. Mit diesem Organe ist es meist fest in die Oberfläche des Venenanhanges einge- senkt, dessen Zellen das Polster umfassen, indess der Leib frei in der serösen Flüssigkeit der Nierenkapsel flottirt. Bei grossen Thieren ist der Kopf in 4 Felder getheilt, deren Grenzfurchen gerade im Scheitel des Dicyema sich recht- winklig schneiden. Man sieht häufig in jedem dieser Felder einen kernartigen Körper. Auch sieht man doppelte Contouren an ihren Gren- zen. Man kann somit das Kopfpolster als aus 4 Zellen zu- sammengesetzt ansehn. —- Der Leib senkt sich mitten in das Polster ein, mit sanft 1) Ueber diese Dicyema species, welche ich nicht gesehen habe, hat Herr Claparede einige Notizen diesem Aufsatze hinzugefügt. 23 356 Dr. G. R. Wagener: sich abrundender Spitze. Wird der Kopf durch Zufall isolirt, so erscheint er als ein dicker Napf, in dessen Höhlung man deutlich die Furchen sich fortsetzen und kreuzen sieht. Der Inhalt der Zellen besteht meist aus sehr feinkörniger, selten mit einzelnen gröberen Bläschen versehener Masse. — Der Leib des Thieres ist ‚mit langen, aber weitläuftig ge- stellten Wimpern besetzt. Kölliker unterscheidet einfach an ihm eine Leibesböhle und eine Leibeswand. Nach meinen Untersuchungen muss ich die Leibeswand als aus 3 verschiedenen Schichten zusammengesetzt ansehn. Die äusserste sah ich in den meisten Fällen als eine deutlich doppelt contourirte Haut. Unter dieser liegt als mittlere Schicht eine dickere oder dünnere Lage von einer bald fein- bald grobkörnigen, zuweilen gelb gefärbten Masse. In einigen Fällen bestand diese sogar aus grossen gelben, zellenartigen Körpern. Diese Masse sammelt sich an einzelnen Stellen an. Sie bildet dann Knospen (Warzen), wie sie Kölliker nennt. Diese stielen sich und fallen leicht in der Weise ab, dass man kaum oder gar nicht ihre frühere Ansatzstelle am Thiere wieder erkennt. Je grösser ein solcher Auswuchs ist, um so weitläuftiger stehen auf ihm die Wimpern. \ Nach seiner Loslösung zerfällt er sehr schnell. Die Körnchen zerstreuen sich rasch, ohne von dem zum Präpa- “ rate angewandten Meerwasser, wie es scheint, gelöst zu wer- den. — Abgerissene Theile des ganzen Thieres hingegen hal- ten sich noch lange Zeit hindurch frisch und lebendig unter ähnlichen Verhältnissen. Unter den Körnchen zeichnen sich Eins oder mehrere durch ihre Grösse aus. Diese sind meist rund oder oval, zuweilen jedoch fehlen sie. Die Bedeutung dieser Auswüchse oder Warzen ist mir unbekaunt geblieben. — Wie schon erwähnt nennt Kölliker Ueber Dicyema. 357 ‘sie Knospen. Das bis jetzt von ihnen Bekanntgewordene lässt noch die Frage zu, ob sie nicht vielmehr Exerete seien. Ueber das Verhältniss dieser Schicht zum Kopfpolster lässt sich angeben, dass bei kleinen schmalen Exemplaren sich keine Grenzlinie zwischen beiden auffinden liess. Bei diesen grenzte eine seichte Furche den dügneren Leib vom Kopfe ab. Bei grösseren längeren, also wohl älteren Dicyemen, welche besonders deutlich die zellige Struktur des Kopfpol- sters zeigten, erschien die Schicht deutlich abgegrenzt. Die Halsfurche liess eine bis zur Wand der Leibeshöhle durch- gehende doppelte Contour wahrnehmen. Es fanden sich häuäg Thiere, denen die Warzenknospen bildende Körnerschicht fast ganz fehlte. In diesen Fällen lag eine doppelte Contour dicht einer andern auf, welche die Leibeshöhle begrenzte. Hatte die äusserste Doppelcontour durch die knospenar- tigen Warzen einen unregelmässig welligen Verlauf, so zeigt die innerste eine glatte Oberfläche. Beim Zerreissen und Zerdrücken der Thiere lässt sich letztere als eine Haut darstellen. Bei der äussersten Doppel- contour war dies bis jetzt nicht möglich. Die innerste Schicht reicht bis tief in das Kopfpolster hinein, von dem sie die Leibeshöhle vollkommen abschliesst. Der Inbalt der Leibeshöhle ist bei den verschiedenen Individuen verschieden. In einigen findet man kürzere oder längere bewimperte Wesen, welche dem Mutterthiere in allen Theilen sehr ähn- lich sehen. Nur das Kopfpolster erscheint verhältnissmässig kleiner. Kölliker nennt diese „wurmförmige Em- bryonen.* Ö In anderen findet man aber wesentlich anders gestaltete Junge. Diese nennt Kölliker infusorienartige Em- bryonen. — Hier werden diese Bezeichnungen beibehalten. Kölliker hob schon hervor, dass beide Arten Embryonen nie in ein und demselben Thiere vorkommen, In Dieyemen, welche keine Embryonen enthalten, findet 358 Dr. @. R. Wagener: man sehr helle durchsichtige Kugeln (welche Kölliker wohl mit Recht in die Entwicklungsreihe der Embryonen aufnahm). Dieselben Körper finden sich auch mit Embryonen, die eine oder andre Art, untermischt vor. Kommen diese Kugeln ohne Embryonen in spärlicher An- zahl vor, so sieht man an derartigen Dicyemen eine zähe durchsichtige Masse der Wunde entquellen, welche zufällig beim Präpariren durch Querdurchreissen des Thieres entstand. Diese Masse hat die cylindrische Gestalt des Thieres. Auf ihrer Oberfläche kleben die durchsichtigen Kugeln. In den wurmförmigen Embryonen sieht man, wie Kölliker schon angiebt, die Leibeshöhle in Zellen abge- theilt. Er fasste diese Erscheinung als ein Entwicklungssta- dium auf. Diese Zellen liegen aber in einem Gebilde, dass ich mit „Kern“ bezeichnen will. Dieser Kern kommt in den meisten Dicyemen vor. Er ist zuweilen leicht wellenförmig gebogen. Seine Ober- fläche liegt der Leibeswand, namentlich im Schwanze meist eng an. Manchmal erstreckt er sich, wie bei den wurmför- migen Embryonen, so auch bei den erwachsenen T'hieren, vom Kopf bis ganz in den Schwanz. Diese Fälle sind selten. Zuweilen sieht man ihn nur noch in der Mitte des Thieres. Nach dem Kopf und dem Schwanze zu verliert er sich in jene oben erwähnten hellen durchsichtigen Kugeln, welche hier Keimkugeln genannt werden. f Der Kern, der sich isoliren lässt, ist stets durch Quer- linien in anfangs einfache Abschnitte getheilt. Nach dem Schwanze zu werden diese Abtheilungen all- mälig noch durch der Längsaxe parallele Linien getheilt, so dass bis 5 Abschnitte in der Quere neben einander liegen. Entweder legen sich diese dem Schwanzende der inner- sten Haut, welche die Leibeshöhle hier rund abschliesst, eng an, oder sie verlieren sich in einen Haufen von Keimkugeln, welche, je mehr sie sich vom Kerne auf- oder abwärts ent- fernen, an Grösse zunehmen. Die Zwischenräume zwischen Ueber Dicyema. 359 den Keimkugeln vergrössern sich; ihr traubenförmiges An- sehn hört auf. Auf diese Weise erhält man oft in einem Dicyema eine . vollständige Entwicklungsreihe der Embryonen aus dem Kerne. Gelingt es durch Druck den Kern zu isoliren, so sitzen ibm häufig noch die Keimkugeln traubenförmig an. Es ist in solchen Fällen unmöglich, das Ende des Kernes und den Anfang der Keimkugelconglomerate anzugeben, indem die doppelten Contouren der Kernabtheilungen ganz allmälig schwächer werden und bei den ofienbaren Keimkugeln ganz verschwinden. Je. mehr Keimkugeln vorhauden, um so kürzer ist der Kern. Füllen die Keimkugeln das ganze Thier, so sucht man den Kern vergeblich. Der Kern bricht das Licht sehr schwach, weshalb er leicht übersehen wird. Die infusorienartigen Embryonen. Kölliker giebt an, dass die Entwicklungsreihe dieser Embryonen mit einer deutlich gekernten Zelle beginnt. Bei der von mir untersuchten Species aus EZledone mo- schata und Sepia habe ich vergeblich danach gesucht, obwohl mir die Thatsache während der Untersuchung mitgetheilt wurde. ' Wie in der Kölliker’schen Species, so geht auch bei der bier in Rede stehenden die Entwicklung durch eine Art von Furchung der Keimkugel vor sich. 2 dunkle Punkte werden allmälig zu den 2 auf dem Rücken des Embryo liegenden Kalkkörnern. (Kölliker.) Beim vollständig entwickelten Jungen ist die Zahl der- selben nicht beständig. Sie kann selbst an zwölf betragen. In diesen Fällen ist ihre Grösse sehr ungleich. Innerhalb des sich bildenden Embryo macht sich bald ein kernartiges Gebilde bemerklich. Dies erscheint später als schalenförmiges Organ. 360 Dr. G. R. Wagener: Man findet häufig Embryonen in Dicyema, welche ein durchsichtiger Hof umgiebt. Es bildet sich dieser zuweilen unter dem Auge des Beobachters. Mit seiner Entstehung fängt der Embryo an, die Wimpern zu bewegen, Es gelang mir einige Male, die Geburt der Jungen zu beobachten. Das junge Thier macht es erst nach vielen Bemühungen möglich, seinen Körper in leise Schwingungen zu versetzen; je stärker diese werden, um so thätiger werden die Cilien. Es rückt der Leibeswand näher und berührt sie, es treibt die innerste Schicht vor sich her, deren Contour immer dün- ner und dünner wird. Schliesslich verschwindet sie ganz auf dem Embryo. Das Junge befindet sich bald in der Rinden- schicht, die es in derselben Weise durchbohrt. An seiner, der Körperaxe zugewandten Seite stellt sich dabei die Lei- beswand in derselben unmerklichen Weise wieder her, je mehr er sich von ihr abhebt und entfernt. Der Embryo gelangt schliesslich ins Freie, nachdem. er in den letzten Momenten seines Austrittes gleichsam seine Wimpern frei fühlend, eine grössere Thätigkeit derselben entfaltete. Die Durchtrittsstelle des Embryo am Mutterthiere zeigt keine bedeutende Veränderung trotz der nicht geringen Grösse des Jungen. Die innerste Schicht oder die Wandung, der Leibeshöhle ist nach seiner Geburt knieförmig ausgeknickt. Ich sah an ihr auch nicht die geringste Verletzung. — Die äusserste Schicht dagegen zeigte eine unbedeutende Wunde, aus der 2 oder 3 Körnchen getreten waren. Die Embryonen sind nur amı Hinterleibe bewimpert. Kölliker bezeichnet das hierdurch erzeugte Aussehen pas- send als pinselförmig. Der wimperlose Kopf, der sich zuweilen auch mit einer seichten Furche vom Schwanztheile absetzt, trägt unter sei- nem Rückentheile die beiden Kalkkörner. Dicht darunter befindet sich eine radial punktirte, diekwandige Schale, deren Ueber Dicyema. 361 Oeffnung nach der entgegengesetzten Seite sieht, hier das schalenförmige Organ genannt. Beim Tode des Embryo zerfällt die Schale in 4 gleiche Theile. An lebenden Jungen bemerkt man an ihr, ganz wie bei dem Kopfpolster der erwachsenen Dicyemen sich recht- winklig in der Mitte des Schalenbodens schneidende Linien. An den Seiten dieser Schale sind 2 kleine seitliche Erha- benheiten. In der die Schalenöffnung bedeckenden äusseren Haut des Thieres befindet sich eine feine Grube oder Oeffnung, deren Rand entsprechend den Theilen der Schale vierlappig erscheint. i Frei schwimmende Embryonen verloren zuweilen während der Beobachtung die Kalkkörner, indem der sie enthaltende Kopftheil sich allmälig als ein Kügelchen abschnürte, loslöste, liegen blieb und zerfiel. Die Embryonen hatten dabei nichts von ihrer Leibeswand verloren. ,„ Die Kalkkörner zeigten sich dann als etwas abgeplattete Körper, deren convexe Fläche dem Rücken des Thieres zu- gewandt war. Die wurmförmigen Embryonen. Das Verhalten des Kernes zu der Bildung dieser Em- bryonenart scheint durchaus dasselbe zu sein, wie zu der der infusorienähnlichen. Die Keimkugeln beider zeigten eben so wenig Unter- schiede. Doch schienen sich unter denen der wurmförmigen mehr kleinere zu finden. Auch hier fanden sich Keimkugeln, welche wie gefurcht erschienen. Der Mangel der Kalkkörner indess liess auch die Annahme zu, dass hier noch eine secundäre Bildung von Keimkugeln stattfindet. Sind die Schwankungen in der Grösse der infusorienarti- gen Embryonen nur unbedeutend, so sind die der wurmähn- lichen desto grösser. Die grassen Embryonen liegen sämmtlich zusammengerollt in dem Mutterthiere. Ihre Wimpern sind meist unbeweglich. 362 Dr. G. R. Wagener: ' Die kleineren Embryonen dagegen zeigten sich öfters von einem hellen Hof umgeben, lebhaft wimpernd. Grosse Embryonen sah ich mehrere Male in der Rinden- schicht ihrer Mutter ‘liegen, mit regungslosen Wimpern. Die oben schon angeführte Ausknickung der Leibeswand deutete auf eine stattgehabte Geburt hin. Die Gestalt der wurmförmigen grösseren Jungen ist ge- nau die der Mutter, das verhältnissmässig kleine Kopfpolster derselben nicht in Rechnung gebracht. Sie sind am ganzen Körper bewimpert. In ihrem Leibe sieht man schon sehr früh den Kern mit seinen Quertheilungen. — Die kleineren Embryonen haben noch keine Kopfpolster. Die durch die Präparation zufällig frei gewordenen Jun- gen hatten häufig keine andere Bewegung als die ihrer Wim- pern. War das Thier gebogen und seine Cilien lebhaft be- wegt, so fuhr es in’ einer Kreislinie unaufhörlich umher, bis ein grösseres Thier oder etwas anderes seinen Weg kreuzte. Dann hing es an ihm wimpernd. Nach Beseitigung des Hin- dernisses aber setzte es den alten Kreislauf fort im ursprüng- lielen Ungestüm. Kölliker giebt l. c. pag. 62 an, dass in der Mitte von Dicyema sich ein Punkt befindet, von dem aus die Bildung der Embryonen nach oben und unten stattfände. — Er nennt diese Punkte Bildungspunkte. Die Thatsache ist richtig. Derartige Thiere kamen mir jedoch nicht so häufig vor, wie sie Kölliker gesehen zu haben scheint. Doch fand ich sie ebenfalls nur bei den in- fusorienartige Embryonen enthaltenden Dieyemen. Mit dieser Erscheinung hängt vielleicht auch zusammen, dass sich öfter kurze dicke Exemplare zeigen, deren Schwanz- ende durchaus unverletzt ist. In ibrem Leibe findet man die Entwicklungsreihe der Embryonen in aufsteigender Ordnung sowohl als auch in absteigender, d. h. der entwickelteste Embryo ist bei einem Dicyema am Kopfende, bei dem anderen im Schwanze. Ueber Dicyerma. 363 Bei jedem Dieyema bemerkt man zu beiden Seiten des Leibes zwei helle durchsichtige Streifen, welche keine Verbindungen unter einander zeigten und am Kopfe und Schwanze sich nicht weiter verfolgen liessen. Einige Abweichungen ihres Verlaufes abgerechnet gehen sie mit der Längsaxe ihres Thieres genau parallel. Contractionen waren an ihnen nicht zu bemerken. Ihr Durchmesser blieb sich bei allen gleich, nur schien er bei einigen Individuen bedeutend und gleichmässig erweitert. Anmerkung. Es erinnern diese gefässartigen Streifen an ein ähn- liches Organ bei den Nematoden. Zerdrückt man z.B. einen Strongylus auricularis, so dass alle Eingeweide heraustreten, so sieht man neben den beiden, in etwas körnige Masse eingehüllten platten hohlen Bändern der beiden Seitenlinien zwei helle, leicht geschlängelte Strei- fen, welche mit eignen Wandungen versehen in, sehr weiten Abständen hie und da einen gefässartig verlau- fenden Zweig aufnehmen, der sich in den benachbarten Geweben bald den Blicken entzieht. Dicyema gracile mihi aus Sepis officinalis unterscheidet sich von dem aus Bledone moschata durch die Gestalt seiner infusorienähnlichen Em- bryonen, durch das kleine, nur aus einem Körnchenhaufen bestehende Kopfpolster und durch seinen dünnen Leib. Die Rindensubstanz zeigte stets die grösseren Körner in der Mehrzahl und die doppelten Contouren der äussersten Schicht fehlten. Warzenförmige Erhebungen derselben fan- den sich selten, Die Rindenschicht bildete nur flache Hügel. Auch hier giebt es 2 Arten von Embryonen. , Die wurmförmigen boten nichts Bemerkenswerthes. Die infusorienförmigen hingegen besassen keine Kalkkörner, kein schalenförmiges Organ. Sie waren am gan- 364 Dr. G. R. Wagener: zen Leibe mit gleich langen Cilien bekleidet. Der Leib war kurz und stak in einem stark entwickelten Kopfpolster '). In ihnen glaube ich einen Kern erkannt zu haben. In denen des Dicyema Eledones sah ich nie einen Kern. Zusatz von Ed. Claparede aus Genf. Im Sommer 1855 wurde ein Dicyema in Vallöe am Christianiafjord von Prof. Johannes Müller, Dr. Joh. Lachmann und mir beobachtet. Dasselbe fand sich an den Venenanhängen der Eledone cirrosa sehr zahlreich vor und zeichnete sich durch manche Merkwürdigkeiten aus. Die Zeichnungen von Prof. Müller, der sich besonders mit die- sem Thier beschäftigt hatte, gingen leider, als das Schiff Norge in der Nähe von Christiansand verunglückte, verloren. So ist es gekommen, dass meine ziemlich unvollständigen Skizzen allein übrig geblieben sind. Diese Dicyemen zeichneten sich dadurch aus, dass ihr vor- derer Theil wie getäfelt erschien; indem sich gleichsam zwei hinter einander gelegene Platten- oder Felderreihen auf den- selben zeigten, welche durch Furchen getrennt waren. Auf der Rückenfläche des Thieres (Fig. 16.) waren immer vier Felder, nämlich zwei vordere und zwei hintere zu sehen. Die beiden vorderen sind dreieckig, mit der Spitze nach vorn und der Basis nach hinten gerichtet. Auf der Mittellinie le- gen sie sich genau an einander. Die beiden hinteren Felder sind grösser und viereckig. — Diese Beschaffenheit lässt sich leicht mit Dr. Wagener’s Beobachtungen in Einklang bringen. Der besprochene vordere Theil unserer Dicyemen entspricht dem sogenannten Kopfpolster des Dicyema Eledones moschatae. Nur sind nicht allein beim norwegischen Dicyema die vier vorderen Felder vorhanden, welche letzterer Species eigen- 1) Ich traf diese Art der Embryonen frei an. In diesem Zustande waren sie leichter zu erkennen als innerhalb der Mutter, in der ich sie zweimal gesehn zu haben glaube. Ueber Dieyema. 365 thümlich sind, sondern dieht dahinter befindet sich ausserdem eine zweite Felderreihe. Das Kopfpolster war niemals be- deutend breiter als der Körper selbst. In der Leibeshöble wurde niemals das kernartige Gebilde wahrgenommen, welches Dr. Wagener eben beschrieb, ohne dass ich damit wollte gesagt haben, dass dasselbe nicht vor- handen gewesen sei; dagegen wurden entweder Embryonen oder die Anlage zu denselben ziemlich in allen Exemplaren angetroffen. Es treten diese Embryonen zuerst als durch- sichtige, helle, runde Körper auf, wie bei den andern Di- cyemen, und es ist nicht schwer, die. Uebergänge von diesen zellenartigen Gebilden bis zu den infusorienartigen Embryonen aufzufinden. Im Innern der letzteren wurden stets zweierlei Organe wahrgenommen: zuerst ein Haufen runder, stark licht- brechender Körper, die wie Fett aussahen (ob Kalkkörner wie bei Dieyema Eledones moschatae?), dann ein rundes, auch ziemlich stark lichtbrechendes Gebilde, welches selbst in einer sphärischen durchsichtigen Hülle eingeschlossen war. Dass letzteres Gebilde ein Saugnapf oder ein Magen, wie Kölli- ker angiebt, oder ein mit einer Oeffnung versehenes schalen- förmiges Organ sei, wie in den von Wagener beobachteten Dicyemen, wurde damals nicht einmal vermuthet. — Sowohl die Embryonen, wie die zellenartigen Körper waren, jedes . Stück für sich, mit einer Membran umgeben. Was ich aber für.eine Membran hielt, ist vielleicht nur der optische Aus- druck einer Höhle im -Wagener’schen Kerne. In gewissen Individuen kamen anstatt der Embryonen an- dere Körper vor. Es waren dieselben wurmförmig, oft ge- krümmt, und liefen nach dem einen Ende zu in eine Spitze aus, während das andere abgerundet war. Diese Körper werden wohl der zweiten Art Embryonen, die von Kölliker und Wagener gesehen worden ist, entsprechen, jedoch waren sie immer vollkommen starr und unbeweglich und niemals bewimpert. Ihr Inhalt war gleichmässig und zeigte niemals stark lichtbrechende Körner. Bei starker Vergrösserung schie- nen sie in eine eigene, dicht anliegende Membran einge- schlossen zu sein. Die wurmförmigen Körper waren stets 366 Dr. G. R. Wagener: in anderen hiarviltn enthalten, als die infusorienartigen Em: bryonen. Neben ihnen kamen aber immer die runden, zel- lenartigen Gebilde vor. Ob sie sich jedoch aus letzteren ent- wickeln, steht dahin. Manchmal waren sie zu fünf oder sechs in einem Individuum enthalten, oft auch war ein einzi- ger vorhanden, der dann nicht selten zwei Drittel der ganzen Länge des sie enthaltenden Dicyema’s erreichte. — Jedenfalls zeichnen sich diese Körper durch ihre zugespitzte Gestalt aus, welche von derjenigen der von Dr. Wagener beobach- teten wurmförmigen Embryonen ziemlich abweicht. Da dieses Dicyema sich durch die Art des s. g. Kopfpol- sters von den bisher beobachteten namhaft unterscheidet, so glauben wir ihm einen eigenen Namen geben zu dürfen nnd zwar Dicyema Mülleri, Cl. et Lachm., da Prof. Müller die Felder an demselben zuerst entdeckte. Figuren-Erklärung, Fig. 1—15 sind sämmtlich 450 Mal vergrössert. Fig. 1. Dicyema Eledones moschatae. a. Kopfpolster. b. Leib. ec. Rindensubstanz. d. Anscheinend solide farblose Körper der Rindensubstanz in Zel- lenform. e. Doppelte Contour der Leibeshöhle. e', Der im Kopfpolster eingesenkte T'heil derselben. f. Kern mit seinen Abtheilungen. g. Keimkugeln. h. In der Furchung begriffene Keimkugeln. i. Sich entwickelte Kalkkörner. k. Schalenförmiges Organ. k'. seitliche Zipfel desselben. l. Vollständig entwickelter infusorienartiger Embryo. x. Kern der Kopfpolsterzelle. Fig. 2. Infusorienförmiger Embryo mit einer grossen Menge von Kalkkörnern. i. Das schalenförmige Organ scheint in Form einer Ku- gel aus der Oeffnung getreten zu sein. Fig. 3. Ein noch anscheinend gesund umher schwimmender Em- bryo. Sein schalenförmiges Organ k. ist in 4 warzenförmige Theile Ueber Dieyema. E 367 zerfallen und statt hinter einer kleinen Oeffnung sieht man es frei im Grunde eines Napfes liegen, Fig. 4—6. Normale infusorienartige Embryonen von verschiedenen Seiten gesehn. y. Die der Oeffnung des schalenförmigen Organes k. entsprechende Alappige Grube oder Oeffnung. Ansicht von der Bauchseite. Fig. 5. von oben gesehn. . Fig. 6. von der Seite. Fig. 7. Dicyema Eledones mit wurmförmigen Embryonen. Be- zeichnung wie in Figur I. Man sieht bei diesem besonders deutlich die Doppelcontouren der innersten und äussersten Schicht des Leibes. Die Kopfform dieser Thiere variirt ungemein. Bald ist sie rund, bald pfeilförmig, bald wie aus 4 langen Lappen bestehend. Bei einigen Thieren war das Kopfpolster sehr dünn und die hin- einragende Leibeshöhle ungemein erweitert. Fig. 8. Stück eines isolirten Kernes mit daran haftenden Trau- ben von Keimkugeln. Fig. 9. Wurmförmige Embryonen. An dem einen hat sich noch nicht das Kopfpolster a. gebildet, man sieht die Abtheilungen des die Leibeshöhle ganz ausfüllenden Kernes £. Fig. 10. Stück aus dem Leibe eines Dicyema mit wurmförmigen Embryonen. d. grosse, gelb gefärbte, zellige Gebilde in der Rindenschicht lie- gend. j o. Warzenförmige, mit gelben runden Körnchen gefüllte Erhebun- gen eben daher. d. Ein sich bildender Embryo. Fig. 11. Stück aus dem Halstheile eines Dieyema, mit wurmför- migen Embryonen, ohne Rindenschicht, mit dünnem Kopfpolster, das das sehr ausgedehnte Leibeshöhlenende bedeckte. c. Rindensubstanz, e. Doppelte Leibeshöhlencontour. q. Farblose, die Leibeshöhle ausfüllende Masse, auf der die Keim- kugeln g. aufsitzen. Fig. 12. Kopfpolster von unten gesehn mit seinen Wimpern w. Der Leib ist aus ihm entfernt. e''. Das Loch in dem der Leib eingesenkt war. r. Die doppelten Contouren der Zellengrenzen. x. Die kernartigen Gebilde in den 4 Zellen. Fig. 13. Dicyema gracile mihi aus Sepia officinalis. Bezeichnung wie in Fig. I. 1. Ein grosser, zusammengerollter Embryo. f. Der Kern liegt frei in der Leibeshöhle und verschwindet nach 368 Dr.G. R. Wagener: Ueber Dicyema. oben und unten in die farblose, zähe, die Leibeshöhle ausfüllende Sub- stanz q. Fig. 14. Wurmförmige Embryonen. Fig. 15. Infusorienartige Embryonen. Fig. 16. 17. Dicyema Mülleri aus Eledone cirrosa. Die Buchstaben wie in der I. Fig. NB. Die letzten beiden Figuren hatte Herr Claparede die Güte, den meinigen hinzuzufügen. Dr. A. Krohn: Ueber einen nenen Entwicklungsmodus ete, 369 Ueber einen neuen Entwicklungsmodus der Ophiuren von Dr. A. Kronn. (Hierzu Tafel XIV. B.) Die Beobachtungen, die ich hier mittheile, sind im Winter von 1855 auf 56, während meines Aufenthaltes in Funchal, angestellt worden. Sie betreffen eine eigenthümliche Ent- wicklungsweise zweier Arten Ophiuren, die sich im Wesent- lichen dadurch auszeichnet, dass der Embryo nicht zu einer pluteusförmigen Larve auswächst, vielmehr schon bald nach dem Abstreifen der Eihülle, zur Umbildung in die radiale Gestalt sich anschickt. Von beiden Arten wurden an einzelnen Tagen, im Laufe des November, December und Januar, sowohl reife, in den Eihüllen eingeschlossene, als auch freie Embryonen mit mehr oder minder deutlicher Sternanlage, auf der hohen See ein- gefangen. Sie wurden jedes Mal in ein zu ihrer Aufnahme bestimmtes Glas eingesetzt, wo sie sich, ohne dass das Wasser häufig gewechselt zu werden brauchte, weiter entwickelten. Erste Art. , Der Embryo, wenn er das Ei verlässt, ist von länglich- ovaler Gestalt, gegen das eine Ende hin verschmächtigt und abgerundet, an dem entgegengesetzten breitern Ende abge- stutzt. | Seine Oberfläche ist dicht mit äusserst feinen Cilien besetzt, mittelst welcher er, fortwährend um die längere Achse sich wälzend, ziemlich rasch im Wasser herumschwimmt. Seine Farbe ist weiss. : Sie hat ihren Sitz in einer unter dem äussern Wimperepithelium liegender Schicht, die aus Zellen mit feinkörnigem Inhalte zu bestehen scheint. Müller’s Archiv. 1857. 94 370 Dr. A. Krohn: An der Umbildung in den Stern betheiligt sich zunächst nur die massivere, beim Schwimmen nach hinten sehende Abtheilung des Embryoleibes, der übrige Theil wird erst nachgehends verbraucht, schwindet so immer mehr und geht zuletzt ganz ein. Das erste äusserlich wahrnehmbare Zeichen der begin- nenden Umbildung ist eine rundliche Vertiefung, die sich kurze Zeit nach dem Ausschlüpfen des Embryo im Oentrum des abgestutzten Hinterendes bildet. Der Embryo wird nun etwas länger und schmächtiger, während sein hinterster Leibesabschnitt sich zunächst auf- treibt und bald darauf zur Gestalt einer schrägen, auf die Achse des Embryo gestellten Scheibe, deren Rand wulstig hervorgehoben erscheint, auswächst. Mitten auf der freien, vom Embryo abgewendeten Seite dieser Scheibe erblickt man die bereits erwähnte rundliche Vertiefung des früheren Hinterendes. Die Scheibe ist die erste Anlage des Sterns, ihre freie, vom Embryo abgekehrte Seite bildet sich: zur Ventralfläche, die Vertiefung zum Vorhofe des künftigen Mundes aus. Die nächste Veränderung ist, dass der Rand der Scheibe sich verflacht und in fünf abgerundete, schwach vorspringende Lappen anszieht (Fig. 1... Auf der freien Seite oder der Bauchfläche des fünflappigen Sterns erblickt man jetzt die knopfförmig vorragenden Anlagen von zwanzig, zu Paaren auf die Radien vertheilten Füsschen. Fünf grössere Paare stehen peripherisch dicht hinter den Lappen des Sterns, die fünf kleinern umgeben die centrale Vertiefung oder den Vor- hof des spätern Mundes. Letztere bilden sich zu den Mund- tentakeln aus. Dicht vor jedem peripherischen Füsschenpaar, sieht man das frei vorragende Ende des Ambulakralkanales. Im Perisom der noch schwach gewölbten Rückseite’ des Sterns unterscheidet man zahlreiche, regelmässig vertheilte, meist dreischenklige Kalkablagerungen. Die Schenkel sind an den Enden gabelig getheilt. Der in den Sternrücken un- merklich übergehende Vorderleib des Embryo erscheint nun schon verkürzt, und schwindet von jetzt an zusehends. Seine Ueber einen neuen Entwicklungsmodus der Ophiuren. 371 Länge beträgt etwa '?/, Millim,, während der Stern 3/; Millim. misst. Das Schwimmen geht noch immer behende, aber ohne die frühern Rotationen vor sich. * Der Stern wird nun, indem seine Lappen sich verlängern und zuspitzen, deutlich pentagonal, er kommt, bevor der ihm anhängende Embryotheil ganz eingeht, unter einem fast rech- ten Winkel auf diesen zu stehen. Ist der embryonale An- hang auf ein geringes Ueberbleibsel reducirt (s. Fig. 2), oder bereits geschwunden, so sinkt der Stern zu Boden, und geht hier seiner ferneren Ansbildung entgegen. Zu dieser Zeit ist der Stern bis auf einen halben Millimeter herangewachsen. Sein Rücken tritt nun deutlicher gewölbt hervor. Die Kalk- figüren im Perisom des Rückens haben nun reichliche Zweige angesetzt. Die eine davon nimmt genau die Mitte. des Rückens ein. In den Ecken des Sterns bemerkt man noch einzelne Kalkstücke von abweichender Form und Disposition. Es sind die Ansätze jenes charakteristischen Kalkgerüstes, das den Endgliedern der Ophiurenarme eigen. Die grössern, in der Peripherie gelegenen Füsschen sind nun geringer Be- wegungen fähig, können sich aber noch nicht festsaugen. Von dem Munde ist noch nicht die mindeste Andeutung vor- handen, wohl aber unterscheidet man im Innern des Sterns den gelblich weissen Magen. Bald darauf sind die grösseren Füsschen schon so weit ausgebildet, dass der Stern sich mittelst ihrer anheftet und fortkriecht. Die Anheftung geschieht mittelst kleiner, vor- streckbarer, konisch-spitzer Papillen, mit welchen die nun kolbig aufgetriebenen Enden der Füsschen besetzt sind. Das Kalkgerüst in den Ecken des Sterns oder den Endgliedern der künftigeu ‘Arme, besteht jetzt deutlich aus mehreren geraden, durch Querbälkchen mit einander verbundenen Stä- ben. Auf der Bauchseite unterscheidet man in jedem Inter- radialraume ein paar netzförmig durchbrochener, bis an die centrale Vertiefung oder die Vorhöhle des späteren Mundes reichender und hier convergirend mit einander zusammen- treffender Kalkplatten. Es sind die Anlagen der späteren Mundeckstücke. Die Kalkfiguren im Perisom des Rückens 24" 372 Dr. A. Krohn: haben sich, in Folge des Anschiessens immer neuer Zweige, so Sehr vergrössert, dass sie sich fast berühren. Dagegen hat sich ihre Zahl durch gegenseitige Verschmelzung sehr ver- mindert. Sie sind nun grösstentheils in Netze mit verhält- nissmässig grossen Maschen umgewandelt. Hat der Stern die Grösse von etwa °/, Millim. erreicht, so nimmt man auf der Bauchfläche, in jedem Radius, schon zwei rudimentäre Stacheln wahr, je einen zur Seite eines ein- zelnen Saugfusses. Das Perisom des Rückens scheint nun wie von einem einzigen Kalknetze durchzogen. Bei schär- ferer Untersuchung löst sich jedoch dieses Kalknetz in sechs rundliche, einander dicht begränzende Schuppen- auf. Eine der Schuppen nimmt genau die Mitte des Rückens ein; ihres ersten Auftretexs ist schon oben gedacht worden. Die fünf übrigen Schuppen liegen rund um jene herum. Einige Zeit später erkennt man endlich auch den Mund in einer randen, bald enger, bald weiter erscheinenden Oeff- nung, die sich im Boden des Vorhofes gebildet hat. Was die unterdess weiter entwickelten Mundtentakeln insbesondere an- langt, so zeigen sie sich in ihren Bewegungen nun nicht min- der rührig als die Saugfüsschen. Von den aufgezogenen Sternen hatten nur wenige das letztgedachte Stadium erreicht, als ein merklicher Stillstand eintrat. Ich fand mich dadurch veranlasst, die Untersuchung auf mehrere Tage auszusetzen. Als ich sie wieder vornahm, überraschte es mich nicht wenig, einen der Sterne auf einer entschieden weiter vorgerückten Entwicklungsstufe anzutref- fen. Er fiel durch seine beträchtlichere Grösse und seine längern und schlankern Arme sogleich in die Augen (Fig. 3). An den Armen liess sich ausser dem nun deutlich abgesetz- ten Endgliede noch ein zweites, kürzeres, offenbar erst in der Bildung begriffenes Glied unterscheiden. Die Stacheln zeigten sich nun viel stärker entwickelt; sie wurden zu Zeiten hin- und herbewegt. Die noch immer frei vorstehenden En- den der Ambulakralkanäle sah ich abwechselnd sich verlän- gern und verkürzen. Die interbrachialen Mundstücke rag- ten nun mit ihren innern Enden oder Spitzen tief in den Ueber einen neuen Entwicklungsmodus der Ophiuren. 373 Vorhof des Mundes hinein. , In Folge der stärkern Ausbil- dung der Hartgebilde erschienen die Maschenräume derselben verkleinert, was namentlich an den Rückenschuppen deutlich in die Augen fiel. Die junge Ophiure, von mattweisser Farbe, maass etwas über °/, Millim. Zweite Art. Diese Spezies stimmt mit der vorigen, hinsichts der Ent- wicklungsphasen, die der Stern von der ersten Anlage an zu durchlaufen hat, fast ganz überein. Nur der Embryo verhält sich ‚eigenthümlich. Abgesehen davon, dass sein breiteres, beim Schwimmen nach hinten gerichtetes Ende gelbroth oder hochroth gefärbt ist, gleicht er anfangs zwar ganz dem der vorigen Art, streckt sich aber bald sehr viel stärker in die Länge und wächst zur Zeit, wenn die erste Anlage zum Stern auftritt, noch eine Strecke weit über diese hinaus. So kommt es, dass man noch in einem spätern Stadium den Embryo in der Gestalt zweier ungleich langer’ Anhänge, von denen der nachgewachsene kürzere beim Schwimmen hintan- geht, über den Rand des nun pentagonalen Sternes vorragen sieht (Fig. 4). Zu dieser Zeit steht der Stern mit seiner Achse schon ganz. rechtwinklig auf dem Embryo, von dem er auch durch seine rothe Farbe grell absticht. ') Bei dem bald darauf beginnenden Schwinden der Embryonalanhänge geht der kürzere zuerst ein. Die Entwicklung liess sich nicht so weit wie bei der er- sten Art verfolgen. Der Stern besitzt, ausser andern ihm mit jener Art gemeinschaftlich zukommenden Characteren, ganz dieselben, mit spitzen Saugpapillen versehenen Füsschen. Er unterscheidet sich, ausser der rothen Farbe, durch seine geringere Grösse. 1) Im Embryo liess sich zuweilen ausser kleineren Kalkablage- rungen, über deren Form und Vertheilung ich nicht ins Klare gekom- men bin, deutlich ein gerader, starker, bis in die beiden Enden rei- ehender Kalkstab unterscheiden, 74 Dr. A. Krohn: Erwägt man zuvörderst, dass. das radiale Echinoderm zu- nächst nur aus einem Theile‘ des Embryoleibes sich ent- wickelt, ferner, dass es: gleich anfangs in einer schrägen Stellung zur Achse desselben auftritt, so unterliegt es, meines Erachtens, wohl keinem Zweifel, dass der Embryo eigentlich die Bedeutung einer Larve habe. Es ist eine Larve, die im Gegensatz zu den pluteusförmigen Ophiurenlarven, den 2 bryonenzustand nicht überschreitet. ?) Mit der gewonnenen Einsicht in ‘den Entwicklungsmodus .der beiden Ophiuren hellt sich nun auch die Abkunft.jenes Seesterns auf, dessen Larve unter dem Namen der wurmför- migen Asterienlarve bekannt ist. (Vergl. J. Müller über die Entwicklung und Metamorphose der Echinodermen. Se- paratabdruck der 3. Abhandl. p. 26, der 4. Abhandl. p.'40, der 6. Abhandl. p. 29). Nach den frühesten von J. Müller beobachteten Entwicklungsstufen scheint es mir nämlich jetzt nicht länger zweifelhaft, dass jener Seestern, trotz der ab- weichenden Form der Larve, nach einem ähnlichen Modus sich entwickelt. An der Umwandlung betheiligt sich nur ein gewisser Leibestheil der Larve — nämlich drei von den fünf Segmenten, welche die Larve ursprünglich besitzt — der Rest — die zwei übrigen Segmente — geht allmälig: ein. ?) Hier- bei stellt sich der Stern auf eine entsprechende Weise recht- winklig zur Larve. Nicht minder gross ist die Uebereinstim- mung, wenn man den Stern, in der spätesten von J. Müller beobachteten Entwicklungsstufe in Betracht zieht. Die Zahl und Disposition der Saugfüsschen und Stacheln ist die näm- liche. Die Saugfüsschen sind an ihren ausgebreiteten Enden mit ähnlichen spitzen Saugwärzchen versehen. Die Enden 1) In einem ähnlichen Verhältniss stehen bekanntlich die Larven von Asteracanthion Mülleri und Echinaster Sarsii zu den Bipin- narien. 2) Beiläufig bemerkt, geht auch bei der Entwicklung derjenigen Asterien, deren Larven als Brachiolaria, Bipinnaria von Triest und Bipinnaria von Marseille bezeichnet sind, der Larvenrest, nach meinen Erfahrungen, nach und nach in der Bildung des Sterns auf, wird also keinesweges abgestossen. Ueber einen neuen Entwicklungsmodus der Ophiuren. 375 der Ambulakralkanäle stehen in gleicher Weise aus den Ecken des Sterns frei hervor. Es ist also mehr als wahrscheinlich, dass der Stern sich zuletzt zu einer Ophiure ausbildet, wie denn J. Müller selbst schon auf diese Eventualität hin- weist (s. die Schrift über den Bau der Echinodermen p. 46). Erklärung der Abbilduugen. Die Figuren 1—3 stellen einzelne Entwicklungsstufen der 1. Art dar. Fig. 1. Der fünflappige Stern mit dem ihm anhängenden, im Schwinden begriffenen Embryo. Ansicht von der Bauchseite. a. Stern. — b. centrale Vertiefung oder Anlage der Vorhöhle des künftigen Mundes. — c. c. Anlagen der Saugfüsschen. — d.d. An- lagen der Mundtentakeln. e. Embryo. Fig. 2. Der bereits pentagonale Stern von der Rückseite, a. Stern. u b. Ueberrest des Embryo. Fig. 3. Die späteste der beobachteten Entwicklungsstufen. An- sicht von der Rückseite. a. a. Die Dorsalschuppen. — b. b. In der Bildung begriffene Armglieder. — c. c. Endglieder der Arme. — .d. d. Die über den Rand der Scheibe hervorragenden Stacheln. Fig. 4. Der bereits pentagonale Stern der 2. Art mit den beiden Embryonalanhängen. Ansicht von der Bauchseite. a. Stern. — b. b. Anlage der Saugfüsschen. — c. Der längere, beim Schwimmen nach vorn sehende Anhang. — d. Der nachgewach- sene kürzere Anhang. 376 N. Lieberkühn: Beiträge zur Anatomie der Spongien von N. LIEBERKÜHN. (Der Gesellschaft naturforschender Freunde mitgetheilt in den Sitzungen vom 6, September und 2. December 1856.) (Hierzu Taf. XV.) Uever den Bau der Schwämme finden sich ausführliche An- gaben in den Werken von Grant. Nach diesem Forscher bestehen die Schwämme aus einem harten Gerüst und aus einer weichen Körpersubstanz, welche von dem Gerüst ge- tragen wird und sich auf demselben so vertheilt, dass auf der Oberfläche der Spongie eine grosse Menge von Oeffnungen, Poren, und im Innern Kanäle entstehen, in welche die Poren unmittelbar hineinführen. Das Gerüst wird von Grant Ske- lett genannt und wenn man diesen Begriff bis auf die Schalen der Vaginikolen ausdehnen. will, so kann freilich auch das Gerüst der Schwämme so heissen. Die Poren sind mit Gruppen von Nadeln umgeben, welche die Wände dieser kleinen Mündungen verstärken und ein zartes Netzwerk über die ganze Oberfläche des Körpers bilden. Die Enden der Kanäle, in welche die Poren hineinführen, finden sich ent- weder in grosser Menge ebenfalls über den ganzen Körper verbreitet vor, oder sie vereinigen sich schliesslich zu einem allgemeinen Ausführungsgang, wie bei Leuconia compressa, wo sich die Ausführungsöffnung der Anheftungsstelle des Schwammes gegenüber befindet. In keinem dieser Theile sind Polypen, noch selbst Wimpern bemerkt worden, obgleich der Analogie gemäss vermuthet werden kann, dass sie als thä- Beiträge zur Anatomie der Spongien. 377 tige Agentien der Wässerströmung nothwendig sind, welche durch die Kanäle beständig hindurchgehen. Es sind keine besondern Blindsäcke oder Mägen vorhanden, welche die Nahrung aufnehmen könnten, die zugleich mit den Wasser- strömen in den Körper gebracht wird. Eben so wenig kom- men Muskeln, Nerven, Sinnesorgane vor. Das Gewebe der Schwämme hielt Grant nicht für contraktil. Die Embryonen bieten während des Schwärmens und einige Zeit, nachdem ihre Entwicklung zu einem fixirten Zu- stande begonnen hat, in ihrem Körper keine bemerkbaren Kanäle oder Höhlungen irgend einer Art dar. Audouin und Milne Edwards haben die Beobachtun- gen von Grant 1823 bestätigt und bei den Tethyen die Poren sich schliessen sehen, wenn die Thiere aus dem Wasser genommen oder anderweitig gereizt wurden. Dujardin hat den Bau der Schwämme nicht näher be- schrieben, sondern nur angegeben, dass sie aus einer Masse von amorphen den Amöben ähnlichen Parzellen bestehen, die sich auf ein Gerüst von Kieselnadeln stützen, die äusser- sten dieser Theile tragen Geisseln wie die Monaden. Laurent, dessen grösseres Werk (Voyage autour du monde sur la corvette „La Bonite“; Zoophytologie, Paris 1844) mir erst jetzt zur Einsicht gelangt ist, giebt an, dass die Spongillen, welche eine Abtheilung der Schwämme bil- den, im ausgebildeten Zustande eiue äussere Haut besitzen, die sich in den röhrenförmigen Fortsatz verlängert; diese Haut selbst hat keine Poren; solche finden sich vielmehr unter der Haut, dıe zunächst eine grosse Höhlung umschliesst, aus welcher die Poren in das gallertige, durch das Nadel- gerüst getragene, von Kanälen vielfach durchsetzte Gewebe führen. Ueber die Vertheilung der Wimpern hat Laurent keine Beobachtungen mitgetheilt. Ueber eine bestimmte Anordnung der Wimpern im Innern des Schwammes berichtet zuerst Bowerbank (On ciliary action in the Spongiadeae. The Transactions of the micro - scopical society of London. Vol. III. 1852). Er sah auf Durchschnitten grosser Stücke von Grantia compressa Zellen 378 N. Lieberkühn: mit Wimperhaaren ‚und bildet grosse Huregelmäshige Hohl- räume ab, die mit Wimpern besetzt sind. Eine gauz andere Auffassung vom Bau der Schwämme giebt neuerdings der Verfasser des den schweizerischen mi- kroskopischen Präparaten beigegebenen Textes. Nach. ibm sind die hornigen Fasern des Badeschwammes die Ver- dauungsorgane, in welche durch hypothetisch angenommene Wimpern die Nahrungssubstanzen hineingetrieben werden, Er‘ berichtet, dass in den hohlen Fasern Polythalamienscha- len und ähnliche Körper vorkommen, wie sie in. den Ver- dauungsorganen der Holothurien gefunden werden. Die äussere Haut, welche die Spongille allseitig umschliesst, wird von den äussersten Spitzen des Nadelgerüstes ‚getragen, welche sie zum Theil nur wenig, zum Theil mehr als eine Nadellänge überragen. An einer Stelle setzt sie sich in den röhrenför- migen Fortsatz fort. Sie besteht aus contraktilen Zellen. Andere Bestandtheile, wie etwa Fasern oder eine struktur- lose, sie umkleidende Membran wurden au ihr bisher nicht wahrgenommen, Die Zellen derselben unterscheiden sich nicht nachweisbar von den Zellen des inneren Gewebes der Spongille. Nur bei den grünen Spongillen enthalten sie ge- wöhnlich weit weniger grüne Körnchen als die Zellen im In- nern des Körpers. Eine Eigenthümlichkeit besitzt jedoch die äussere Haut bei einer Art der Spongillen. Während näm- lich das innere Gerüst aus den gewöhnlichen glatten Nadeln besteht, liegen in der sonst, von Nadeln freien Haut zahl- reiche kleine, mit feinen Zacken besetzte Nadeln, welche bei der Bildung der Gemmulae die Schalen derselben überdecken. Es erinnert dies an. 'eine ähnliche Erscheinung bei einigen Tethyen, welche in der äussern Haut sternchenähnliche Kie- selbildungen tragen, während das innere Körperparenchym von langen Nadeln durchsetzt ist. Der Bau des innern Körpers und sein Verhalten zur äussern Haut ist am vollständigsten zu beobachten an Spon- gillen, welche sich aus ausgeschnittenen Stücken von Spon- Beiträge zur Anatomie der Spongien. 379 gillenmassen entwickelt, haben. Ein, solches möglichst dün- nes und etwa. 3 bis 5 Linien langes und ungefähr eben so breites Stück wird in eine grosse Quantität Brunnenwasser gelegt. ‚Es enthält einen Theil des Gerüstes, dessen Nadel- bündel ‘oft nur eine einzige netzförmige Schicht bilden; die Zwischenräume dieses Gitters sind mehr oder weniger gross, bisweilen nicht mehr mit blossen Augen zu erkennen. Am geeignetsten zur Beobachtung sind Exemplare mit breiten, leicht sichtbaren Maschen. Das Nadelwerk ist. unmittelbar nach dem Herausschneiden mit mehr oder weniger. dicken Lagen von. Gewebe überzogen, auf welchem vielfach abge- rissene Zellen und kleine Gallertstücke umherliegen. Nach einigen Stunden verschwinden diese Unregelmässigkeiten, be- reits zum Theil, und die Gewebsbalken verlieren die Rau- higkeit und werden glatt, so dass es aussieht, als wären sie von einer feinen, durchsichtigen Membran überzogen. Von manchen Stellen gehen dünne Fasern aus und ergiessen sich nach dem benachbarten Nadelbündel hin, von andern sieht man eine ganze Gewebslage wie eine feine Haut hervortre- ten und sich zwischen die Nadelbündel ausspannen:. oft ge- schieht dies zugleich oberhalb und unterhalb eines Gewebs- balkens und es erstrecken sich beide Lagen bis zum näch- sten hinüber, so dass sie eine Höhlung einschliessen. In an- dern Fällen tritt von dem obern und untern Theil eines mit Gewebe belegten Nadelbündels zu einem andern ein dicker Streifen allmälig wie eine Brücke hinüber und breitet sich alsdann in eine dünner und dünner werdende Haut nach bei- den Seiten hin aus, so dass auch auf diese Weise ein Hohl- raum gebildet wird. Nach Verlauf von einem oder einigen wenigen Tagen, ist auf diese Weise das ganze Spongillen- stück mit einer Haut: überkleidet, es ist dies die äussere Haut der Spongille. Selbst schon ehe dieselbe den ganzen Körper umschliesst, erscheinen in ihr hin und wieder mehr oder weniger geöffnete Poren. An einer Stelle sieht man häulig. schon Wasser aus dem Innern ausströmen; solches Loch ist zunächst sehr ausgedehnt, es verengt sich aber all- mälig, und die die Ausflussöffnung unmittelbar begrenzende * 380 Ya N. Lieberkühn: Haut ragt etwas nach aussen mit ihren Rändern hervor, es ist dies der Anfang des röhrenförmigen Fortsatzes, der all- mälig länger wird, bis er die schon früher beschriebene Grösse erreicht hat. Während dessen bilden sich im Innern noch viele dünnere und dickere Brücken von Geweben von einem Nadelbündel zum andern; dieselben sind nicht von Nadeln durchsetzt, manche verlaufen auch von dem innern Parenchym oft mehrfach verzweigt an die äussere Haut. Die beschriebenen Vorgänge finden oft so schnell statt, dass man Streifen von Gewebe und dünne Häute nach we- nigen Minuten an Stellen bemerkt, an denen sich vorher Nichts davon vorfand. Es kann daher die Frage entstehen, ist es eine Neubildung von Gewebe, durch die sich das Spon- gillenstück zu einer Spongille vollendet, oder ist es nur eine andere Anordnung des bereits vorhandenen Materials, wo- durch die Spongille zu Stande kommt, oder ist beides zu- gleich wirksam? Erscheinungen, welche auf Neubildung hin- deuten, habe ich vergeblich gesucht, namentlich fand ich .nicht Zellen mit zweien Kernen oder mit einem in der Theilung begriffenen Kerne vor. Sicher ist so viel, dass sich plötzlich an Stellen der äussern Haut röhrenförmige Fortsätze bilden können, wo ursprünglich keine waren. Ich beobachtete dies bei der Verschmelzung von zwei Spongillen. Bei derselben vereinigt sich, in später aus einander zu setzender Weise, die Körperhöhle der einen mit der der andern und es geht oft der röhrenförmige Fortsatz des einen Exemplares gänzlich ein, und die Wasserausströmung beider Exemplare geschieht allein durch den einen übrig gebliebenen röhrenförmigen Fortsatz. In dem vorliegenden Falle begann nun auch dieser sich zu schliessen, in demselben Moment erhob sich dicht daneben die äussere Haut kegelförmig und kaum war der Fortsatz geschlossen, als die Spitze jenes Kegels sich öffnete und der Wasserstrom hier heraustrat. Nach Verlauf von kaum einer Stunde begann auch dieser röhrenförmige Fort- satz sich allmälig zu schliessen; um seinen Durchmesser von ihm entfernt entstand eine neue kegelförmige Erhebung und öff- nete sich, als die ältere sich schloss; hier strömte nun das Beiträge zur Anatomie der Spongien. 38l Wasser zwei Monate hindurch aus, wo die Spongillen atro- phirend zu Grunde 'gingen. Bei diesen Vorgängen ist wohl nicht eine Neubildung von Zellen anzunehmen. Die Poren, durch welche das Wasser beständig in die Spongillen ein- strömt, hatte ich bisher nur in geringer Anzahl, nämlich bis zu zwei an einem Exemplare wahrgenommen. So findet es sich häufig, oft sind auch die Poren sämmtlich geschlossen und auf solchen Zustand passt Laur ent’s Beschreibung der Spongillen. Häufig fand ich aber die Poren über die ganze äussere Haut in zahlloser Menge verbreitet vor. Es eignen sich zu diesen Beobachtungen die aus ausgeschnittenen Stücken entwickelten Spongillen; man legt sie in ein Glasnäpfeben, wel- ches so viel Wasser enthält, dass der obere Theil des Kör- pers gerade mit Wasser bedeckt ist; eine 200fache Ver- grösserung ist ausreichend. An einzelnen Stellen hat die äussere Haut das Aussehen eines Netzwerkes, in so nahen Zwischenräumen stehen die Poren bei einander; an andern Stellen stehen sie nur ver- einzelt. Ihre Form ist kreisrund oder elliptisch; ihre Grösse ist ausserordentlich verschieden. Die grössten kreisförmigen haben einen Durchmesser von einer halben Nadellänge, die kleinsten sind in der Regel wohl in der Schliessung begrif- fene, Bisweilen wird eine Pore durch einen Fortsatz all- mälig in zwei Abiheilungen getrennt; es fliesst nämlich ein feiner Streifen von irgend einer Stelle der Peripherie zu einer gegenüberliegenden hin und verdickt sich mitunter so, dass man nun nicht mehr eine, sondern zwei Poren vor sich hat. Das Schliessen der Poren geschieht äusserst langsam; in seltenen Fällen sieht man die Bewegung der Substanz direct; der Kreis wird allmälig. kleiner, bis er spurlos verschwindet, nur bisweilen bleibt eine Art Vakuole zurück. Das Oeffnen der Poren geht eben so langsam vor sich. Man bemerkt zuerst ein äusserst feines Loch in der Haut, welches sich mehr und mehr erweitert, bis es die gewöhnliche Grösse, er- reicht hat. In einem frühern Aufsatz (p. 499 Jahrgang 1856 382 © N. Lieberkühn: dieses Archivs) habe ich bereits imitgetheilt, dass junge Spon- gillen am fünften Tage nach ihrer Festsetzung Karminkörn- chen durch ein Osculum aufnahmen. Seitdem habe ich deren bis zu acht an einem solchen Exemplare beobachtet und zwar schon vom zweiten Tage ab; sie waren gleichzeitig geöffnet und lagen meist am Rande der Spongille in dem ganzen Umkreise desselben vertheilt. An einer Stelle befanden sich zwei dicht neben einander; sie sind hier schwierig wahrzu- nehmen, wenn man nicht Karmin in das Wasser bringt. In ihrer grössten Ausdehnung haben sie den Durchmesser einer contraktilen Zelle; sie können sehr lange geöffnet bleiben, so sah ich sie 40 Stunden hindurch. ‘So lange die Poren offen stehen, strömt gewöhnlich Wasser in sie hinein; kommt ein Körperchen, z. B. Karminkörnchen in ibre Nähe, so wird es heftig durch die Oeffnung in das Innere hineinge- rissen; sind die Körperchen zu gross, so bleiben sie oft lange vor dem Eingang hängen. Wenn das Wasser reichlich mit Karminkörnchen versehen ist, so strömen dieselben gleichzeitig durch alle Poren hindurch. Bei grossen Spon- gillen geschieht dies so schnell, dass in wenigen Minuten der ganze Körper schon für das blosse Auge roth erscheint. Dadurch, dass in die Poren, so lange sie offen stehen, Alles hineinströmt, was inihre Nähe kommt und durch seine Grösse nicht verhindert wird, unterscheiden sie sich‘ schon wesent- lich von den Mundöffnungen der Infusorien, bei denen Vieles zurückgeworfen wird, was ihnen die Wimpern zuführen. Die Poren entstehen stets zwischen den Zellen der äussern Haut, und sind an ihren Rändern so dick wie die Haut selbst, die oft nur eine äusserst feine Zellschicht bildet. Die Wimperapparate. Die Wasserströmungen in den Spongillen werden durch besondere Wimperapparate hervorgebracht. Wenn man an einer jungen Spongille, deren Poren und röhrenförmiger Fortsatz offen stehen, die mit dem Wasser einströmenden Karminkörnchen verfolgt, so bemerkt man, dass sie zunächst in eine grosse Höhlung gelangen. Dieselbe umgiebt die ganze Beiträge zur Anatomie der Spongien. 383 ‘ Spongille bis auf die Stelle, wo der röhrenförmige Fortsatz austritt; sie wird begrenzt nach aussen durch die Innenfläche der äussern Haut und nach innen durch das innere Körper- parenchym. Bei Spongillen, die aus ausgeschnittenen Stücken entwickelt sind, strömt das Wasser von der ganzen. Ober- fläche gleichfalls erst in eine sackförmige Höhlung hinein; sie ist zuweilen so eng, dass sie kaum noch wahrgenommen wird, wenn nicht gerade gefärbte Flüssigkeiten hineinströmen. Dass es eine einzige, überall zusammenhängende Höhle ist, sieht man namentlich an jungen Spongillen und zwar am klarsten, wenn nur eine oder zwei Poren offen stehen. Die Körnchen werden dann häufig erst durch den ganzen Um- fang der Höhlung getrieben, ehe sie in das Innere eindrin- gen. Bei jungen Spongillen, welche sich an der Oberfläche des Wassers festgesetzt haben, strömen die Körnchen von unten durch die Poren in die Höhlung ein; bisweilen setzen sich nämlich Schwärmsporen statt auf festen Körpern an der Oberfläche des Wassers fest und entwickeln sich wei- ter; der röhrenförmige Fortsatz ragt hier nicht wie sonst nach oben empor, sondern nach unten ins Wasser hinein und auf dieser Seite beobachtete ich auch die Poren. Durchsetzt wird jener Hohlraum nur an einzelnen Stellen “von Nadeln oder von Nadelbündeln, welche aus dem Innern sich bis zur äussern Haut erstrecken, ferner wird er auch von Streifen oder Lagen von Zellen durchsetzt, die das In- nere mit der äussern Haut verbinden, ohne von Nadeln be- gleitet zu sein. Aus’ der sackförmigen Höhle strömt das Wasser ohne Aufenthalt in viele kleine Kanäle, deren Eingänge man häu- fig erkennen kann, welche in andern Fällen jedoch von un- durchsichtigem Parenchym verdeckt sind. An jungen, einige Wochen festsitzenden Spongillen, deren Gewebe von wenig stark lichtbrechenden Körnchen erfüllt ist, zählte ich acht bis zehn solcher Oeffuungen; sie lagen im ganzen Umfange des Körpers in nicht sehr verschiedener Entfernung von ein- ander. Die Kanäle erkennt man in einzelnen Fällen deutlich, sie verlaufen entweder gerade oder etwas gewunden; ihr Lu- 354 N. Lieberkühn: men ist sehr verschieden und auch derselbe Kanal ist in seinem Anfange oft weiter oder enger als in seinem Verlauf; gewöhnlich lässt sich der weitere Verlauf jedoch nur aus der Richtung erschliessen, welche die eindringenden Körperchen nehmen. Die einströmenden Karminkörnchen dringen schnell in die Kanäle hinein und bleiben in grösserer oder geringerer Entfernung von der Eingangsöffnung plötzlich in kugelför- migen Räumen stecken; diese kugelförmigen Räume sind die Wimperorgane. Die Wimperorgane sind bereits früher von mir beschrieben worden und zwar unter den wimpernden Spongillenstücken, welche man durch Zerreissung des Schwamm- körpers erhält. Es liess sich damals jedoch nicht feststellen, ob es Theile eines zusammenhängenden bewimperten Kanales _ waren, oder ob eine andre Anordnung stattfand. Man sieht durch die Haut die kugelförmig angeordneten, dieht gedrängt neben einander stehenden Wimperzellen hindurch, deren Wimperhaare in die innere Höhlung des Apparates hinein- ragen. Liegen die Behälter der Oberfläche sehr nahe, so fällt die Wimperbewegung öfter sogleich auf und lassen sich bisweilen selbst die einzelnen Haare unterscheiden, liegen sie tiefer oder ist die äussere Haut nicht ganz durchsichtig, so bemerkt man nur ein ununterbrochenes Wogen der langen Win pern. Bei mehr verdeckten Apparaten erkennt man je- doch beides nicht. Ihre Anordnung findet man am leich- testen, wenn sie von Karminkörnchen angefüllt sind, sie lie- gen entweder sogleich am Anfang oder im weitern Verlauf der Kanäle; mit Sicherheit fand ich bisher in einem Kanal nur einen einzigen solchen Apparat. Manche Karminkörn- chen durchlaufen erst eine bedeutende Strecke, oft bis über die Mitte des Spongillenkörpers hinaus, ehe sie in die Wim- perorgane hineingerissen werden. Ihre Eingangsöffnung ist nur in wenigen Fällen sichtbar; liegt sie gerade nach oben, so erscheint sie meist als fast kreisförmig und der Kanal ist hier gewöhnlich enger; in seltenen Fällen strömen die Kar- minkörner durch zwei Einflussöffnugen ein, welche einander gegenüber liegen können; die Einströmung findet dann bald durch das eine, bald durch das andere Loch, bald durch Beiträge zur Anatomie der Spongien. 385 beide gleichzeitig statt. Der Einflussöffnung gegenüber oder in geringerer Entfernung von ihr liegt die Ausflussöffnung; wo diese sichtbar war, unterschied sie sich weder in der Grösse, noch in der Form von jener. Die Zahl der sicht- baren Wimperbehälter ist sehr verschieden; in einzelnen etwa zwei Monate alten Spongillen lagen ihrer so viele in dem Rande des Körpers, dass sie sich fast unter einander berühr- ten; es waren ihrer bei weitem mehr als aus dem grossen Hohlraum wahrnehmbare Kanäle abgingen; es müssen sich also letztere entweder verzweigen, wenn jeder Kanal nur ein Wimperorgan haben soll, oder ein Kanal hat wirklich mehrere Wimperorgane; möglich wäre jedoch auch, dass nur ein geringer Theil jener Kanäle überhaupt in solchem Falle sichtbar war. Am frühesten fand ich die Wimperapparate in einer jungen Spongille, welche sich erst seit einem Tage festgesetzt hatte. Die Zellen waren sehr durchsichtig und die einzelnen Wimperhaare erkennbar. Bei den aus ausge- schnittenen Stücken entwickelten Spongillen beobachtet man öfter nach einigen Wochen leicht die Wimperapparate in zahlloser Menge innerhalb einer aus contractilen Zellen be- stehenden Haut, welche sich unter der äussern Haut ausbreitet und sich theils an ihr anheftet, theils sich in die im Innern befindlichen netzförmig verbreiteten Gewebsbalken fortsetzt. Im Wasser befindliche Karminkörnchen siehtmanhieraus demgros- sen Hohlraum unmittelbar in jene Wimperapparate gelangen. Das Kanalsy stem. Früher ist schon angegeben worden, dass die von den Spongillen aufgenommenen Karminkörnchen schliesslich durch den röhrenförmigen Fortsatz wieder ausgeworfen werden. Es bleibt daher noch übrig, den Weg zu verfolgen, auf wel- chem sie aus den Wimperapparaten, in denen sie öfter viele Stunden stecken bleiben, zu dem röhrenförmigen Fortsatz gelangen. Unter den aus ausgeschnittenen Stücken ent- wickelten Spongillen finden sich bisweilen Exemplare, welche schon für das blosse Auge eine Anzahl sich in den röhren- förmigen Fortsatz vereinigender Kanäle zeigen; bei schwa- Müller’s Archiv. 1857. 25 386 N. Lieberkühn: cher Vergrösserung bemerkt man, dass sich hier über den ganzen Körper ein verzweigtes Kanalsystem ausbreitet, dessen Hauptkanäle schliesslich in dem röhrenförmigen Fortsatz zu- sammentreffen, während die feinern Verzweigungen sich bis an die Oberfläche hin erstrecken. Beobachtet man an einem solchen Exemplar die in dem Wimperbehälter befindlichen Karminkörnchen: so findet man, dass sie sich auf zwei Wegen aus denselben eutfernen; die einen nämlich, und dies ist das häufigere, gleiten ohne Wei- teres in das Kanalsystem hinein und werden sogleich durch das darin fortwährend strömende Wasser zu dem röhrenför- migen Fortsatz hinausgeführt; die andern gelangen in das Parenchym der Spongille hinein und bleiben daselbst stecken. Die Kanäle, welche das Wasser aus den Wimperappara- ten weiter führen, haben anfangs ungefähr das Lumen der Zuführungskanäle und münden entweder sogleich in einen grössern Kanal, oder vereinigen sich zuvor mit andern aus Wimperapparaten kommenden Gängen. Ihre Ausmündungs- stellen sieht man häufig als kreisrundes Loch in der Wand des grössern Kanales und beobachtet auch, wie durch ein solches hindurch fremde Körperchen in den grössern Kanal eintreten. Das Lumen der grössern Kanäle ist sehr verän- derlich, manche erweitern sich auf eine kurze Strecke, um sich sogleich wieder zu verengen. Ist an solchen Stellen gerade die darüber liegende Haut durchsichtig, so sieht es bisweilen so aus, als ständen die Wimperorgane in dem Kanal selbst und bewegten das Wasser in demselben unmittelbar. In Wirklichkeit ist das. aber nicht der Fall. Wenn nämlich Karminkörnchen durch die darüber liegenden Poren einströmen, so gleiten sie nach den verschiedensten Richtungen hin in die Wimperorgane hinein; gleichzeitig aber strömen unter den- selben fremde Körperchen in der einen Richtung jenes grossen Kanales, so dass man unmittelbar über einander oft Ströme in gerade entgegengesetzter Richtung wahrnimmt. Die grössten Spongillen, an denen ich das verzweigte Kanalsystem wahrnahm, hatten eine Länge von !/% Fuss und waren fingerdick. Sie wurden mittelst eines grossen Glases Beiträge zur Anatomie der Spongien. 387 vorsichtig aus dem Wasser hervorgehoben. Die äussere Haut überzog sackförmig den ganzen Körper und stand an vielen Stellen an zwei Linien weit ab und war in nahezu gleichen Zwischenräumen in drei röhrenförmige Fortsätze ausgezogen, aus denen hin und wieder fremde Körperchen mit solcher Heftigkeit herausgeworfen wurden, dass sie bis an die gegen- überliegende etwa zwei Zoll weit entfernte Glaswand gelang- ten. Auf einem grossen Theil der Spongille verliefen drei weite Kanäle, welche in geringen Zwischenräumen Oeffinun- gen, Ausmündungsstellen kleinerer Kanäle, enthielten und sich kurz vor dem röhrenförmigen Fortsatz zu einer einzigen grossen Höhlung vereinigten. Den beiden andern röhren- förmigen Fortsätzen strömte das Wasser aus vielen kleinen, mit blossen Augen kaum erkennbaren Kanälen zu, welche sich ebenfalls vor ihrer Ausmündung vereinigten. In vielen Spongillen ist das Kanalsystem als solches nicht wahrzunehmen; man erkennt nur vereinzelte Höhlungen im Innern des Körpers, welche jedoch zusammenhängen, wie man aus den Körnchenströmungen schliessen muss, die auch hier zuletzt aus dem röhrenförmigen Fortsatz austreten. In andern Fällen sind aber auch nicht einmal Höhlungen und röhrenförmige Fortsätze aufzufinden gewesen, selbst wenn die Spongillen frisch aus dem Wasser genommen wurden. Bei den jungen Spongillen ist ebenfalls von dem Kanalsystem häufig nur die Endigung in dem röhrenförmigen Fortsatz zu beobachten und bei undurchsichtigen Exemplaren auch die- ses nicht. Wie vorher bemerkt wurde, gelangen nach einigem Ver- weilen in den Wimperorganen nicht alle aufgenommenen Körperchen in das Kanalsystem, sondern es gleitet ein Theil in die eigentliche Gewebsmasse des Körpers hinein und bleibt von Zellen rings umgeben lange Zeit darin zurück, nur bis- weilen kamen Fälle vor, wo innerhalb der Zellen selbst Karminkörnchen zu stecken schienen zwischen Kernen und Zellenwand, den Kern rings umgebend. Beim Zerreissen solcher Spongillen liessen sich immer Zellen auffinden, in denen Karminkörnchen sassen. Es ist jedoch schwierig zu 25* 388 N. Lieberkühn: entscheiden, ob die Zellenwand in solchen Fällen unversehrt war. Zuweilen wurden auch Infusorien durch die Poren in den Körper eingeführt; sie geriethen, nachdem sie eine Weile in der sackförmigen Höhle umhergeschwommen waren, durch die Kanäle so in das Körperparenchym hinein, dass sie von allen Seiten eng umschlossen waren; man sah durch das durchsichtige Körperparenchym hindurch das Spiel der con- traktilen Blasen noch etwa eine halbe Stunde lang; nach zwei bis drei Stunden war das Infusorium so vollständig zerfallen, dass sich Nichts mehr von ihm wahrnehmen liess. Der Vor- gang sieht in jeder Beziehung so aus, wie wenn eine Acti- nophrys Sol ein Infusorium gefressen hat. Ganz zu trennen von der Aufnahme fremder Körper durch die Poren ist die Erscheinung, wenn eine Spongille sich so über einen Gegenstand ausbreitet, dass sie ihn von allen Seiten umschliesst, worüber schon in einem frühern Aufsatz berichtet ist. Das Kanalsystem ist kein System von Gefässen mit eigen- thümlichem Bau, sondern es ist gebildet durch eine eigen- thümliehe Lagerung des gewöhnlichen Körperparenchyms. Es gelang wenigstens nirgends, weder an der unversehrten Spongille, noch an einzelnen Stücken, irgend etwas Anderes als die bekannten Zellen als Bestandtheile der Wandungen nachzuweisen. Diese bilden schwächere oder stärkere Lagen zwischen den verschiedenen Kanälen und Höhlungen, theils vom Nadelgerüst getragen theils nicht. Innerhalb solcher Parenchymbalken beobachtet man zuweilen Wimperorgane und ausserdem finden sich in ihnen die unbewimperten und bewimperten Embryonen und die Samenkapseln. Die Wandungen oberflächlicher Kanäle bestehen öfter ausschliesslich aus der äussern Haut, namentlich in der Nähe der röhrenförmigen Fortsätze. Man sieht alsdann unmittelbar unter ihnen die im. Wasser suspendirten Körperchen zu den Fortsätzen herausschwimmen und finden sich weder Wimper- organe noch Poren an solchen Stellen vor. Aus dem eben Mitgetheilten erhellt, dass das ganze Kör- perparenchym der Spongille aus contraktilen Zellen besteht Beiträge zur Anatomie der Spongien. 3839 und letztere nicht bloss das Muskelgewebe vertreten, wie ich im vorigen Aufsatz angegeben habe. Die Fortpflanzungskörper. Es sollen in diesem Abschnitt die in dem grössern Werk Laurent’s enthaltenen Beobachtungen nachgetragen und die früheren durch einige neuere ergänzt werden. Die be- wimperten Embryonen gehen nach Laurent aus innern Knospen hervor und trennen sich stets von dem Mutterthiere, dessen Gewebe in dem Masse atrophirt, als die Abtrennung von den neuen Individuen vor sich geht. Bevor die innern Knospen nicht '/, bis '/, Millimeter an Durchmesser erreicht haben, sind sie in dem Gewebe des Mutterthieres nicht zu unterscheiden; alsdann aber sieht man sie als einzelne weisse Punkte, die sich später in der einen Hälfte aufhellen und mit Wimpern umgeben; zuerst bestehen sie aus Körnern, granules, welche selbst wieder aus feinen Kügeichen, globules, und einer durchsichtigen Flüssigkeit zusammengesetzt sind. Diese Beschreibung passt nicht genau auf die noch unbewimperten Embryonen und deren Keimkörner oder Elementarbläschen, wohl aber auf eine Form der bewimperten Embryonen, welche eben ihr Epithelium verloren haben und sich in solchem Zu- stande öfters im Innern der Spongillen vorfinden, wo sie sich ohne auszuschwärmen so weit entwickelt haben. Solche Exemplare übersteigen an Durchmesser öfters auch '/ Milh- meter nicht und haben ausser fertigen Zellen und vereinzel- ten Keimkörnern auch meistens schon Nadelanfänge. Die Behauptung, dass mit der Ausbildung der Embryonen das Gewebe des Mutterthieres allmählig schwinde, ist nicht be- gründet; wenn man Spongillen mit Embryonen in Gefässen aufbewahrt, so atrophiren sie mit der Zeit; dasselbe geschieht aber auch mit Spongillen ohne Embryonen; mehrfach habe ich jedoch beobachtet, dass Spongillen nach dem Ausschwär- men der Embryonen ohne sichtbare Veränderung fortlebten. Laurent beschreibt unter dieser Rubrik der Fortpflanzung, welche er die erste Art der Reproduktion nennt, eine Repro- duktion par des sortes de caieux, Die Erscheinung, um die 390 N. Lieberkühn: es sich hier handelt, ist folgende. Wenn man Spongillen, die aus ausgeschnittenen Stücken von Spongillen entwickelt sind, Wochen oder Monate lang im Wasser aufbewahrt hat, so zieht sich das Körperparenchym allmählig immer mehr von den äussersten Theilen des Gerüstes zurück und nimmt einen immer kleineren Umfang an; oft ist nur noch die Hälfte des Gerüstes davon bedeckt. Bald sieht man öfters nur noch einen dünnen Streifen der weichen Körpersubstanz, welcher nach und nach in seiner Mitte durchbrochen wird oder in noch mehre Stücke zerfällt. Diese werden gewöhnlich kuge- lig, bevor sie ganz zu Grunde gehen. Oefters trennt sich nur ein sehr kleines kugeliges Stück von der übrigen Masse ab. Zuweilen gelingt es nun, durch Zufügung von frischem Wasser, solche Stücke zur weitern Entwickelung, namentlich zur Erzeugung von röhrenförmigen Fortsätzen, zu bringen. Solche kugeligen Stücke sind es nun, welche Laurent für Fortpflanzungskörper ansieht. Wie wir früher mittheilten, ziehen sich auch die aus Schwärmsporen entwickelten jungen Spongillen häufig zu einer einzigen kugeligen Masse zusam- men, in deren Umkreise viele Nadeln liegen, von denen es öfters zweifelhaft ist, ob sie von der Spongille herausgestossen sind oder nur nach Zurückziehung des Gewebes an ihrer ursprünglichen Stelle liegen blieben. In der Regel gehen nun diese kugeligen Haufen zu Grunde; aber zuweilen lassen auch sie sich durch Wechseln des Wassers aufs Neue zur weitern Entwicklung bringen. Jedenfalls ist dies derselbe Vorgang, wie der vorher beschriebene, nur dass nicht mehre kugelige Stücke dabei gebildet werden. Wenn aber auch mehre lebensfähige Exemplare unter normalen Lebensbedingungen auf solche Weise aus einem Stück hervorgingen, so wäre damit doch noch Nichts für eine besondre Fortpflanzungs- form erwiesen; denn dazu müsste zuvor dargethan sein, dass es nicht bereits eine Colonie von mehreren war, die auf einem gemeinsamen Gerüste sass. Wenn aber Laurent selbst dies nachgewiesen hätte, so handelte es sich zwar um eine Vermehrung, aber es wäre eine Vermehrung durch Theilung, Beiträge zur Anatomie der Spongien. 391 welche Laurent selbst als dritte Fortpflanzungsart aufge- stellt hat. Die zweite Art der Fortpflanzungskörper sind nach Lau- rent die gemmulae, welche er in zwei Abtheilungen theilt; die erste nennt er oeufs de premiere saison, die zweite oeufs d’arriere saison. Die oeufs de premiere saison haben zu Anfang eine durch- sichtige Membran und enthalten in ihrem Innern kleine helle, in einer durchsichtigen Flüssigkeit suspendirte, Kugeln, deren Zellenstruktur Laurent nicht erkannt hat. Später werden die Eier gelb und sind auf ihrer Oberfläche mit zahllosen Punkten bedeckt, welche Laurent für Löcher ansieht. Ausserdem finden sich noch ein, zwei oder drei grosse Lö- cher, die aus den kleinern entstanden sein sollen, und durch welche die zur Spongille werdende Substanz austritt., Die Entwicklung des Inhaltes besteht darin, dass die kleinern Kügelchen durch Zerstörung einer Anzahl von ihnen grösser werden. Hätte Laurent bei Abfassung dieser Schrift die einige Jahre früher erschienene Arbeit von Meyen gekannt, so würde er einen grossen Theil der im Obigen enthaltenen Ungenauigkeiten vermieden haben. Wie namentlich aus sei- nen Abbildungen hervorgeht, versteht er unter diesen Eiern jedenfalls diejenigen gemmulae, welche mit Amphidisken be- setzt sind. Das durchlöcherte Ansehen entsteht durch die auf der Schale aufsitzenden Stäbchen der Amphidisken. Was Laurent als Durchtritt des Inhaltes durch die drei Löcher abbildet, sieht nicht aus, wie das Auskriechen der Spongille. Dies findet vielmehr durch den Porus Statt. Doch berichtet Laurent, lebende Spongillen aus diesen Eiern erhalten zu haben. Die Entwicklungsgeschichte, welche er von dem In- halte dieser Eier giebt, ist durch Nichts gestützt, wie es auch der Natur der Sache’ nach nicht möglich war, da sie so nicht vor sich geht. Was er unter der dreifachen Umhüllungshaut der Eier versteht, lässt sich bei seiner Unkenntniss der Am- phidisken nicht feststellen; die äusserste könnte die Lage der Amphidisken sein und die dazwischen vorkommenden Rück- 392 \ N. Lieberkühn: stände der Bläschen, welche Meyen für eine Schicht von Kalksalzen ansieht; die mittlere die lederartige Schale mit ' dem’ Porus, von der ich noch nicht habe ausmitteln können, ob sie früher vorhanden ist als die Amphidisken; die dritte, welche innerhalb der Schale die eingeschlossene Spongille umgeben soll, habe ich bis jetzt noch nicht gefunden. “ "Die zweite Art seiner Bier nennt Laurent oeufs d’arriere saison. Sie unterscheiden sich von der ersten Art ’erstens dadurch, dass sie etwas grösser sind, zweitens durch ihre dunklere Farbe, drittens durch einen mehr oder weniger her- vorragenden Tubus am Porus, durch welchen das einge- schlossne Thier austritt. Laurent meint hier jedenfalls die gemmulae ohne Amphidisken, an denen die Schalenhaut öfters. am Porus etwas nach aussen. ausgezogen ist. Hier fehlt auch der Schein der Löcher in der Haut. Die Merkmale, welche diese Eier von den erstern unterscheiden sollen, sind nicht Sachgemäss. Beide Formen sind zuerst weiss und später gelb, bei grünen Spongillen öfters gelblichgrün bis dunkel- braun. Beide Formen finden sich sowohl in der spätern als in der frühern Zeit des Jahres. Die dritte Art der Fortpflanzung geschieht durch Theilung, welche Laurent scissiparite genannt hat. Bei jungen Spon- gillen sieht man zuweilen kleine Zellenmassen sich ablösen und eine Zeit lang bewegen. Laurent erklärt solche Stücke für Keime neuer Spongillen. Ich habe niemals die weitere Entwieklung derselben beobachtet. 2) Ausgebildete Spon- gillen theilen sich in zwei oder drei; hierüber ist bereits frü- her gesprochen. 3) Künstliche Theilung ist von Laurent ‘vielfach mit Erfolg ausgeführt; die Theilungsstücke lebten fort und bekamen röhrenförmige Fortsätze. Auch Grant bespricht bereits die Theilbarkeit der Schwämme. Der Verschmelzungsprocess. Es existiren noch keine Beobachtungen darüber, wie gross eine aus einem bewimperten Embryo oder aus einer gemmüla hervorgegangene Spongille werden kann. Wir haben schon früher mitgetheilt, dass Spongillencolonieen auf einem gemein- Beiträge zur Anatomie der Spongien. 393 samen Gerüst so entstehen können, dass viele Spongillen aus ihren gemmulis auskriechen und das vorhandne Gerüst über- ziehen. Dass aber alle grossen Spongillenmassen auf diese Weise entstehen, ist nicht behauptet worden. Es könnte nämlich wohl sein, dass ein bewimperter Embryo eine be- deutende Grösse erreichte, sich alsdann theilte und dadurch vielen gemmulis die Entstehung gäbe. Es wäre dies eine ähn- liche Erscheinung, wie sie bei mianchen Infusorien beobachtet ist, welche sich ineystiren und innerhalb der Cyste mehrfach theilen; es fände aber jedenfalls der Unterschied Statt, dass sich die Spongillen erst theilten und dann incystirten, wäh- rend die Infusorien sich erst incystiren und dann theilen. Laurent fand Spongillen mit einem einzigen röhrenför- migen Fortsatz, welche anderthalb Zoll im Durchmesser haben und bereits gemmulae oder Sporen in ihrem Innern enthielten, Nach seiner Annahme ist eine Spongille ein einzelnes Indi- viduum, wenn sie einen röhrenförmigen Fortsatz besitzt und hat dann ihre vollständige Entwicklung erreicht, wenn sie Fortpflanzungskörper enthält. Darnach soli sie zu Grunde gehen. Die letztere Angabe ist unrichtig; ich habe mehrfach Spongillen sowohl mit einzelnen Embryonen als auch mit zerstreuten gemmulis gesehen, welche nach deren Entwick- lung keine Veränderungen in ihrem Gewebe wahrnehmen liessen. Es finden sich nämlich vereinzelte gemmulae bei vielen grossen Spongillenmassen vor, vielleicht sind diese die Cysten von solchen Schwärmsporen, welche aus dem Mutter- thier nicht ausgeschlüpft sind. Laurent hält das Zusammenfliessen der Spongillen nur für eine enge Berührung ihrer äussern Haut; dieser Vorgang kann allerdings stattfinden; so wie sich nämlich eine Spon- gille auf einer Glasfläche, einer Schneckenschale u. s. w. fest- setzt und ausbreitet, so kann sie dies auch auf einer Spon- , gille thun. Spongillenmassen entstehen nach Laurent so, dass viele Individuen in solcher Weise zusammenfliessen;. die meisten sollen ihre röhrenförmigen Fortsätze behalten und nur die durch die andern gedrückten Exemplare sollen dieselben verlieren, Der eigenthümliche Vorgang, welchen 394 N. Lieberkühn: ich Verschmelzungsprocess nenne, ist von Laurent nicht erkannt worden; wenn es auch richtig ist, dass die aus Schwärmsporen entwickelten oder aus gemmulis ausgekro- chenen Individuen nur einen einzigen röhrenförmigen Fortsatz besitzen, so ist doch keineswegs jede mit einem röhrenför- migen Fortsatz versehene Spongille nur ein einziges Indivi- duum, wie Laurent angenommen hat. Der Vorgang bei diesem Verschmelzungsprocess ist fol- gender. Es wurden zwei Spongillen, welche sich aus aus- geschnittenen Stücken entwickelt hatten, in einem grossen. mit Brunnenwasser gefüllten Glase so nebeneinander gelegt, dass sie sich an einer Stelle eben mit den hervorstehenden Na- deln berührten; der röhrenförmige Fortsatz des einen Exem- plars lag unweit der Berührungsstelle, der des andern an der davon abgewendeten Seite. Am folgenden Tage hingen beide Exemplare so fest zusammen, dass sie bei vorsichtigem Herausnehmen aus dem Gefäss nicht auseinanderrissen. Sie wurden in ein Uhrglas mit Wasser gebracht und bei hundert- facher Vergrösserung beobachtet. An der Berührungsstelle waren die beiden Spongillen (ich bediene mich der Kürze halber für ein Spongillenstück mit einem einzigen röhrenför- migen Fortsatz des Ausdrucks Spongille, ohne damit sagen zu wollen, dass es jedesmal ein einziges Individuum ist) nicht blos mit einander verklebt, sondern es hatte sich hier die Haut beider geöffnet, es communicirte die innere Höhlung der einen durch einen engen Kanal mit der der andern. In der Wandung dieses fast cylindrischen Kanales war nirgend eine Spur der geschehenen Zusammenlagerung zu erkennen. Durch diesen Kanal strömte ununterbrochen Wasser mit grosser Geschwindigkeit hindurch. Es war nämlich der röh- renförmige Fortsatz des einen Exemplars eingegangen und das durch die Poren desselben aufgenommene Wasser strömte durch den Verbindungskanal nach dem offenstehenden röhren- förmigen Fortsatze des andern Exemplars hin und aus ihm heraus. Der eingegangene röhrenförmige Fortsatz war noch zu erkennen an einer Erhabenheit der äussern Haut, in der die Zellen dicht gedrängt beisammen lagen. Am folgenden Beiträge zur Anatomie der Spongien. 395 Tage waren die beiden Spongillen so nahe an einander ge- rückt, dass ihre Nadeln sich durchkreuzten und der Verbin- dungskanal mehr als dreimal so weit war. Es war kaum noch die Grenze beider Exemplare zu erkennen. Als ich sie jetzt an der Vereinigungsstelle wieder auseinander riss und einen Tag in frischem Wasser aufbewahrte, schlossen sich die aufgerissenen Stellen wieder und der eingegangene röhrenförmige Fortsatz des einen Exemplars öffnete sich von Neuem. Es ist nicht eine bestimmte Stelle, an der die Spon- gillen verschmelzen, sondern es kann an jeder geschehen. Die auseinander gerissenen Spongillen legte ich so zusammen, dass sie sich an andern Stellen berührten, wie das erste mal; auch so trat derselbe Vorgang ein; es waren sehr flache Exemplare; als sie mit ihren breiten Seiten auf einander ge- legt wurden, verschmolzen sie nach einigen Tagen so innig, dass die Vereinigungsstelle sich nicht wiedererkennen liess. Ich legte nun viele Exemplare aneinander, deren jedes mit einem röhrenförmigen Fortsatz versehen war. Hier blieben in einem Falle nur zwei von fünf, in einem andern einer von drei übrig, und es strömte das aufgenommene ‘Wasser von dem letzten Exemplar durch das mittlere hindurch und zu dem einen übriggebliebenen röhrenförmigen Fortsatz mit dem Wasser der beiden andern zusammen hinaus, Es ist mir noch nicht klar geworden, ob in den Fällen, wo meh- rere verschmolzene Exemplare ihre röhrenförmigen Fortsätze behalten hatten, ihre äussere Haut gegen einander geöffnet war. Die Verschmelzung geht auch bei Spongillen vor sich, welche Embryonen oder gemmulae oder Samenkapseln ent- halten; zwei Samenkapseln tragende Exemplare vereinigen sich ebenso, wie zwei Embryonen tragende. Aus diesen Beobachtungen lässt sich nirgends eine An- deutung entnehmen, dass der Verschmelzungsprocess der Spongillen irgend wie mit ihrer Vermehrung zusammenhängt. Es ist auch fraglich, ob dieser Vorgang, welchen man auch Conjugation oder Zygose genannt hat, bei den verschiedenen Tieren dieselbe Bedeutung hat. Dass dabei die Leibeshöhlen mit einander communiciren, ist neuerdings von Lachmann 396 N. Lieberkühn: ’ bei einem Carchesinm beobachtet, wo beide Thiere noch ihren Stiel hatten und so zusammenhingen, dass gefressene Substanzen aus der Leibeshöhle des einen Exemplares in die des andern übertraten. Von den Bewegungserscheinungen lassen sich zwei Arten unterscheiden. Die erste Art besteht in Contraktionen des ganzen Körpers oder eines grössern Theiles desselben. Die Bewegungen der ganzen äussern Haut und eines grossen Theiles des innern Parenchyms kom- men selten zur Beobachtung. Die aus ausgeschnittenen Stücken entwickelten Spongillen bleiben in der Regel Monate lang auf dem Boden des Gefässes frei liegen, oder schwimmen auf der Oberfläche des Wassers; nur bisweilen setzen sie sich auf dem Glasboden fest. Es fliesst alsdann gleichsam die äussere Substanz über das Glas hin; man sieht zuerst an einer Stelle des Randes einen kleinen Theil der hellen Masse äusserst langsam hervortreten. Nach einigen Stunden dehnt sich dieser Vorgang über einen grössern Theil aus, und nach etwa einem Tage ist die ganze Spongille in ihrem Umkreise bis zu einem Drittel ihres Durchmessers breit von einer durchsichtigen Masse rings umgeben. Einmal hatte sich ein Exemplar in dieser Weise auf einem Glasnäpfchen aus- gebreitet, welches zur mikroskopischen Beobachtung geeignet war. Auf der dem Glase aufsitzenden Schicht lagen viele vereinzelte Nadeln in der Richtung, in welcher die Fortbe- wegung der Substanz geschehen war; darüber erkannte man die grosse Höhle, in welche die Poren einmünden, die obere Wand der Höhle enthielt zahllose Poren, durch die das Wasser einströmte, zwischen beiden Wandungen lagen dicke und vielgestaltige Parenchymbalken, welche den innern Kör- per mit der äussern Haut verbanden; innerhalb derselben fanden sich vielfach Wimperorgane und Löcher, welche in das Kanalsystem hineinführten. Diese Bewegungen bei der Festsetzung der Spongille waren nie direkt zu sehen, eben so wenig diejenigen, welche vorgingen, als die Spongille sich wieder auf ihr früheres Volumen zusammenzog und von dem Glas- Beiträge zur Anatomie der Spongien. 397 boden ablöste; es wurde dabei der lichte Hof allmählig kleiner und fast unduxchsichtig, so dass man von den innern Theilen nur noch wenig wahrnahm. Dieser Vorgang dauerte zwei Tage, die Spongille lebte darnach noch Wochen lang fort; der röhrenförmige Fortsatz war während alle dem unverändert geblieben, Hierher gehören auch die Bewegungen der sich festsetzenden Embryonen, die Contraktion und Ausdehnung der röhrenförmigen Fortsätze, die Oeffnung und Schliessung der Poren, kurz alle diejenigen Bewegungen, welche den willkürlichen anderer Thiere ähnlich sehen. Dass sie von einem Gewebe ausgeführt werden, welches bisher nur con- traktile Zellen als Bestandtheile gezeigt hat, würde sie mit den Bewegungen der Hydren zusammenstellen lassen, deren Leibesmasse nach Leydig’s Untersuchungen ebenfalls aus contraktilen Zellen besteht, welche sich lediglich bei den Contraktionserscheinungen dieser Thiere betheiligen. Die zweite Art von Bewegungen gehört der einzelnen Zelle als soleher an, welche die verschiedensten Formen in- nerhalb des Gewebes der lebenden Spongille annimmt, ohne dass Gesammtbewegungen daraus resultiren. Diese Bewe- gungen lassen sich an den verschiedensten Stellen des Thieres wahrnehmen, namentlich an den durchsichtigen Wandungen der grossen Kanäle und der röhrenförmigen Fortsätze, bei letztern besonders kann man sie stundenlang beobachten, ohne dass der röhrenförmige Fortsatz nur eine Spur einer Gestaltveränderung zeigt. In manchen der Zellen erkennt man Kern und Kernkörper vollständig klar, während die Umgrenzung der einzelnen Zelle sich oft schwer auffinden lässt. Die Bewegungen sind äusserst langsam und fast nie- mals direkt sichtbar. Es entsendet eine Zelle lange spitze Fortsätze, welche ihren Durchmesser bedeutend übertreffen, eine andere entfernt liegende Zelle schickt ihr gleiche, eben so lange entgegen; es dringen auch Körnchen in die ent- sandten Fortsätze hinein; bald verschwinden die Fortsätze wieder und treten neue an einer andern Stelle der Zelle her- vor, dabei ändert die Zelle selbst beständig ihre Gestalt; wenn sie kugelig war, wird sie eiförmig oder vieleckig, oder ss 398 | Nobmneibeinikiühime breitet sich in eine dünne Scheibe aus; die Kerne von zwei Zellen nähern sich bisweilen so, dass man glaubt, sie gehö- ren einer Zelle an und rücken alsdann bald wieder aus ein- ander; oft sieht man auch nur lange und breite Streifen in dem Gewebe, welche sich spalten und wieder vereinigen, ohne dass man eine Zelle aufzufinden vermag, zu der sie ge- hören. In vielen Fällen gelang es mir nicht, die Kerne und Kernkörperchen in dem Gewebe ohne Zerreissung zu erken- nen. Man nahm oft nur vereinzelte Vakuolen wahr, welche auch in der Wandung des röhrenförmigen Fortsatzes vor- kommen und nicht mit den Poren zusammenhängen. Bei allen den beschriebenen Bewegungen bleibt die Membran im Ganzen dünn; ganz anders ist es, wenn nun einmal eine Gesammteontraktion des röhrenförmigen Fortsatzes eintritt. Seine Haut wird hier zusehends dicker und höckerig durch die mehr und mehr zusammengedrängten Zellen. Die eben beschriebene Art der Bewegung der einzelnen Zellen lässt sich wohl nur in die Gruppe derjenigen Erscheinungen brin- gen, welche möglicherweise bei den farblosen Blutkörperchen vorkommen und neuerdings von Busch bei den Pigment- zellen beschrieben worden sind. Ueber Spongia limbata. Johnston beschreibt diese Spongie folgendermassen: sie ist amorph, gewöhnlich gelappt, faserig-netzförmig, mit brei- ten Maschen, die Fasern sind weich und mit Nadeln ange- füllt, welche an beiden Enden zugespitzt und nur mit dem Mikroskop sichtbar sind; die Nadeln sind etwas gebogen und unter einander gleich gross, sie liegen in der Faser längs der Achse und stehen rechtwinklig auf, wo Anastomosen ab- gehen. Die Farbe des Schwammes ist gelbbraun; er erreicht die Grösse einer Wallnuss; die kleinen Exemplare haben nur ein Loch, die grossen mehrere und zwar eins auf jedem Lappen. Spongia limbata kommt parasitisch auf Korallen und Seegewächsen, bisweilen an der untern Fläche von Stei- nen vor und wurde an der Küste von Devon, von Irland und in dem Hafen von Plymouth beobachtet. M’Colla ist der Beiträge zur Anatomie der Spongien. 399 Meinung, dass Spongia limbata eine einjährige Species ist, weil der Fucus, auf welchem sie wächst, einjährig ist. Fort- pflanzungskörper sind nicht beschrieben. Die obigen Merkmale reichen kaum hin zu einer sichern Bestimmung. Die hier zu beschreibende Sporgie wurde bei Wismar in der Ostsee beobachtet und stimmt in den Haupt- punkten mit der oben genannten überein. Die grössten Exem- plare mit einer einzigen Ausfiussöffnung erreichen die Grösse einer Wallnuss; oft hängen mehre solche so dicht zusammen, dass sie eine gemeinsame Masse bilden, welche mehre Aus- flussöffnungen hat; die kleinsten hatten die Grösse eines Stecknadelkopfes. Die Form ist sehr verschieden, nämlich kugelig, ei- und kegelförmig. Die Ausflussöffnung liegt an dem der Basis entgegengesetzten Ende, ist fast kreisrund und erreicht an 2 Linien im Durchmesser. Unter der Haut sieht man viele kleine Löcher. Die Farbe ist bei frischen Exem- plaren ziegelroth, bei absterbenden braungelb. Sie findet sich auf Furcellarien, Fucus serratus und auf Mytilus edulis; es sieht oft aus, als ginge die Furcellaria mitten durch den Körper hindurch; es ist jedenfalls dasselbe Phänomen, wel- ches wir bei jungen Spongillen beobachtet haben, deren Ge- webe fremde Körper ganz und gar umschliessen kann. Das Gerüst besteht aus einem Netzwerk von hornigen Fasern von ver- schiedener Dicke, in denen der Längsachse nach die Kiesel- nadeln dicht gedrängt neben einander liegen, bei Anastomosen stehen sie unter denselben Winkeln auf, unter welchem er- stere abgehen. An der Oberfläche des Körpers enden die Fasern vielfach frei und ragen hier nur wenig über die Ma- schen hinaus. Auch in diesen Endigungen stecken noch die Nadeln in grösserer oder geringerer Anzahl. Die hornige Substanz der Faser ist durchsichtig, so dass man die Nadeln in ihr leicht erkennt und zeigt hin und wieder eine feine Streifung. Man sieht das namentlich an solchen Stellen, wo die Faser ohne Nadeln verläuft; sie hat hier ganz das An- sehen der Fasern von Spongia officinalis. Die Dicke der ET N. Liedberküha: Fasern erreicht Q 12 Mm. und bleibt sich auf langen Strecken ziemlich gleich. Die Zahl der neben einander hegenden Na- dein in den dicksten Fasern fand ich bis zu eiwa 20 Viele berähren sich nur mit den Spitzen, andere sind näher zu- sammengerüäckt Die Nadeln sind an beiden Seiten zuge- Br Spüzt; die grössten haben eine Länge von Q,13 und eine Dicke von Q007 Mm. Ia der äussern Haut kommen keine besondern Kieselformationen vor. Das Gewebe, Die äussere Haut liess sich nicht als solche erkennen. Röhrenförmige Fortsitze, wie sie bei den Spongillen vorkom- wen, änden sich hier nicht, ansıatt derselben exisürt bei die- ser Spongie steis eine fast kreisrunde Oefinung der Aubhef- tangsstelle gegenüber. Sie führt in einen Hohlraum, welcher sich von der Spitze des Kegels, meist etwas an Durchmesser zunehmend, bis nahe an die Basis erstreckt: in denselben münden viele Kanäle aus; die Ausmündungsstellen; der grös- seren erkennt man mit blossen Augen. Die Kanäle iind von - mehr oder minder starken Gewebsschichten umgeben und E bei verschiedenen Exemplaren weder constant an Zahl, p Lage. Die Einfussöfnungen fand ich nicht auf wegen — Undurchsichügkeit der darauf untersuchten Exemplare. Sie müssen jedoch vorhanden sein, wenn nämlich das Gefäss mit Seswasser, in welchem die Spongien mehrere Tage hiadurch lebend erhalten werden konnien, mit Karmin verseizt wurde, so färbie sich die ganze Spongie in wenig Minuten durch und durch roih. Wenn man ein Theilchen des Gewebes zer- | reisst und bei starker Vergrösserung unter dem Mikroskop | beirachtet, so ündei man als Bestandtiheile bewegliche Zellen, Wimpsrapparaie und deren Theile. Die Zellen sind weit kleiner als bei den Spongillen, sie erreichen einen Durch- messer ven 0,012 Mm. Die Zellenmembran sah ich nicht iselirt, eben so wenig gelang es, den Kern mit Sicherheit wahrzunehmen: es fanden sich im Innern der-Zelle einige grössere, das Licht stark brechende Körnch selten röihlich aussahen und dem Beiträge zur Austomie der Sgongien. 1 leiber; ausserdem fanden sich äusserst feine, wicht mehr messbare Körnchen wor. Die Bewegungen dieser Zeilen sind Bicht von denen der Spong) len unterschieden und dzuern im Segwasser auch etwa so lange fort, wie die der Spongilien im Fluss- oder Brannenwasser. Die Wimperapparate er- scheinen als kugelige, aus vielen kleinen Wimperzeilen ze- Sammengesetzte Gebilde, die grössten erreichen einen Dureh- messer von 0,035 Mm, die einzelnen Zellen 004 Mu. Die Wimperzellen sah ich einige Male sich bewegen, vermag aber nieht zu entscheiden, ob es mittelst einer oder mehrerer Wimperbaare geschah. Die Ausströmungen sind an dieser Spongie leicht zu beob- achten, wenn man sie in ein grosses Gefäss mit Seewasser bringt und einige Zeit rabig stehen lässt; man siekt dann eine dauernde Wellenbewegung auf der Überläche des Was- sers, wenn das Tbier von derselben nicht zu entfernt legt. Aus der Ausflussöffuung werden verschiedene fremde Körper mit grosser Heftigkeit berausgeschlendert, so namentlich Em- bryonen, welche alsdanın mittelst ibrer Wimpern weiter schwimmen. y Contractionuserscheinungen wurden an dieser Sponzie in einer Form beobachtet. Nachdem nämlich die Ti mehrere Tage in einem Gefäss mit Seewasser zuzebracht bai- ten, erhob sich bei einigen der äussere Band der Ausfiuss- mändung in Form einer dünnen durchsichtigen Haut eine oder mehrere Linien hoch, während das Wasser beständig ausströmte. Fortpflanzungskörper, fanden sich in zwei Zuständen vor; die einen waren noch unbewimpert und steckten unbeweglich im Gewebe fest; die andern waren mit Wimpern versehen und schwammen Tage lang in den Gefässen umher. Die unbewimperten Embryonen hatten meist eine kugelige Form und erreichten eiwa den Durchmesser von 2, Mm., einige waren auch oval. Man un- R äne feine strueturlose Umhällungshaut angeordneten Inhalt; bei einigen ist 25 Fe und einen verschiede Müller's Archiv. 1837. 402 N. Lieberkühn: letzterer nämlich in grosse kugelige oder vieleckige Haufen angeordnet, welche bis '/, des Durchmessers des ganzen Embryo erreichen; bei andern sind diese Haufen weit kleiner und in grösserer Anzahl vorhanden, bei noch andern machen ausschliesslich die kleinen Schwammzellen den geformten In- halt aus. Alle diese kugeligen Haufen und Zellen bestehen aus einer eiweissartigen Substanz, in die durch und durch fettähnliche, äusserst feine Körnchen eingestreut sind. Des Ausdrucks Zellen habe ich mich bedient, weil die entspre- chenden Gebilde bei den Spongillen alle Requisite einer Zelle haben. Den Keimkörnern oder Elementarbläschen der Spon- gillenembryonen entsprechende Gebilde fand ich bisher nicht vor. Der ganze Körper ist völlig undurchsichtig und bräun- lieb. Die eben gegebene Beschreibung passt auch auf die bewimperten Embryonen, nur kommen bei ihnen die fertigen Zellen häufiger vor und sind schon vielfach von feinen Na- deln begleitet, welche eine Länge von 0,02 Mm. und eine Dicke von 0,002 Mm. erreichen. Die Wimpern auf der' gan- zen Körperoberfläche sind dicker, als bei den Spongillenem- bryonen und eben so lang, kleine Zellchen dazu liessen sich bei der Undurchsichtigkeit des Körpers nicht unterscheiden. Bildungen, welche den gemmulis der Spongillen entsprä- chen, habe ich nicht beobachtet; bei andern Schwämmen sind sie vielfach bekannt, und sie sowohl, als die bewimperten Embryonen gemmulae genannt worden. Aus dem Mitgetheilten geht schon binlänglich hervor, dass die Spongillen Spongien sind. Figuren-Erklärung. Fig. 1. Junge Spongille. a. Poren. b. Kanäle, welche in die Wimperapparate führen. c. Wimperapparate. d. Oeffnung des röhrenförmigen Fortsatzes; im Grunde die Oefinungen des in demselben ausmündenden Kanalsystems. Beiträge zur Anatomie der Spongien. 403 Fig. 2. Ein Wimperapparat einer Spongille mit Einströmungsloch bei etwa 500maliger Vergrösserung. Fig. 3. Spongia limbata auf Furcellaria fastigiata Kütz. sitzend. (Natürl. Grösse.) Fig. 4. Gerüstfaser mit Kieselnadeln. 550 Mal. Fig. 5. Contraktile Zellen. 550 Mal. Fig. 6. Wimperorgan. 550 Mal. Fig. 7. Bewimperter Embryo. 330 Mal. Fig. 8. ‚ Noch unbewimperter Embryo. Anmerkung. Im Innern der Spongillen kommen nur selten Infu- sorien parasitisch vor. Zuweilen fand ich Podophrya fiva an der Innenfäche der äussern Haut mit dem Stile aufsitzend und mit den Tentakeln in die grosse Höhle hineinragend; in den zum röhrenför- migen Fortsatz führenden Kanälen sah ich wiederholt eine Monade wit einer Art Springborste. Die in meinem ersten Aufsatz ange- führten Infusorien kommen nicht. in den Spongillen, sondern auf ihnen vor; ausser den’ dort genannten fand ich neuerdings noch Amoeba diffluens, Uroleptus hospes , Stentor Roeselii und coeruleus. Bei allen Stentoren machte ich nachfolgende Beobachtung. Ehren- berg beschreibt bei den Stentoren Streifen, auf denen die Wimpern stehen. Zwischen je zwei Wimperreihen verlaufen breitere, durch äusserst kleine, stark lichtbrechende Körnchen ausgezeichnete Strei- fen, welche Oscar Schmidt hervorhebt. Es giebt nun noch ein System von Streifen, welche sich wie Muskeln verhalten, insofern sie mit der von Eduard Weber für die Muskeln beschriebenen Eigenschaft versehen sind, dass sie im Zustand der Ruhe die ge- schlängelte Form annehmen und bei der Contraction sich gerade strecken. Fs sind scharf contourirte körnchenfreie Fasern etwa von der Breite der körnchenfreien Zwischenräume, unterhalb deren sie der Längsaxe des Körpers nach verlaufen; sie setzen sich vorn un- ter dem grossen Wimperkreis und hinten am „Saugnapf“ an; einige von ihnen vereinigen sich während ihres Verlaufs. Am deutlichsten sieht man die bei der Contraction eintretenden Veränderungen, wenn ein farbloser oder wenig farbiger Stentor gerade so liegt, dass man auf den kreisförmigen Saugnapf blickt; man sieht alsdann von sei- nem Umfang im Zustand der Ruhe alle einzelnen Muskeln geschlän- gelt abgehen, in demselben Moment aber, wo sich das Thier zu- saınmenschnellt, also verkürzt, verschwindet die geschlängelte Form vollständig, die Muskeln strecken sich gerade. Alsbald beginnen die gerade gestreckten Muskeln wieder zu erschlaffen und in die geschlängelte Form zurück zu fallen, der Stenior verlänger sich wieder. 26 * A0A Dr. Franz Leydig: Ueber Aydatina senta von Dr. Franz LeyDie in Tübingen. (Hierzu Tafel XVL) Wer von der Literatur über Räderthiere Notiz genommen hat, weiss, dass man längere Zeit hinsichtlich der Geschlechts- verhältnisse dieser Thiergruppe im Unklaren sich befand, denn obschon die neueren Beobachter darin einig waren, dass die Theile, welche Ehrenberg für Hoden, Samenleiter und 8a- menblase erklärt hatte, auf keinen Fall eine solche Bedeutung haben können, so wollte es doch auch andererseits nicht ge- lingen, männliche Geschlechtsorgane und Samenkörperchen zweifellos aufzufinden. Die Entdeckung der wahren Geschlechtsverhältnisse hat der Engländer Dalrymple gemacht (Philos. Transact. 1849). Er wies nach, dass Notommata anglica nicht hermaphrodit sei, sondern getrennten Geschlechts. Darauf lehrte Schreiber dieses die Männchen an einer neuen, der englischen nahe ste- henden Art kennen (üb. d. Bau u. d. system. Stellung der Räderthiere, Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1354) und indem ich den mir durch eigene Anschauung bekannt gewordenen Bau der Rotatorien mit den überlieferten Angaben verglich, musste ich schliessen, ,‚dass auch von anderen Arten bereits männ- liche Individuen abgebildet, aber unter der Firma von eigenen Genera und Species beschrieben sind.‘‘ Und ich sprach unter Anderem aus, essei für mich „über alle Zweifel erhaben“, dass die Gattung Zinteroplea Hydatina das Männchen der Hydatina senta ist. Ueber Hydatina senta. 405 Leider konnte ich damals dieses Rotatorium, welches, wie mehrere Beobachter melden, zu den sehr verbreiteten und ge- wöhnlichen Arten gehört, um Würzburg nicht aufbringen, was um so bedauerlicher war, als durch Ehrenberg’s Schilde- rungen die Aydatina senta gleichsam die Rolle eines typischen Repräsentanten der Räderthiere in den Büchern spielte. Doch hatte ich unterdessen das Vergnügen, von einem andern For- scher meinen Ausspruch bezüglich der männlichen Natur der Enteroplea Hydatina bestätigt zu sehen. Cohn nämlich (üb. d. Fortpflanzung der Räderthiere, Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1855) hatte Gelegenheit dieses Thier zu untersuchen, er fand den Hoden und die beweglichenZoospermien. In diesem Früh- jahr nun, in den ersten Tagen vom März durchfischte ich einen kleinen Tümpel bei Würzburg, welcher im Sommer wasserleer wird und gewann da die Aydatina senta in zahlloser Menge; es bevölkerte das Thierchen um genannte Zeit fast ausschliess- lich das Wasser, denn neben ihm kamen nur vereinzelte Vor- ticellen, hie und da ein Brachionus, sowie Larven von Dip- teren zur Beobachtung. Gegen Ende März hatten sie sich so ausserordentlich vermehrt, dass sie der Oberfläche des Was- sers zunächst eine fast continuirliche graulich weisse Schicht bildeten. Die Znteroplea, welche anfangs ziemlich spärlich sich zeigte, war jetzt ebenfalls so zahlreich geworden, dass auf vielleicht 20-30 Hydatinen eine Znteroplea zu rechnen war. Ich studirte das Thierchen näher und da meine Wahrnehmun- gen nicht in Allem mit denen Cohn’s übereinstimmen, so dürfte es nicht überflüssig sein, über den Bau der Aydatina und der Znteroplea hier einiges mitzutheilen. Es ist unrichtig, wenn gedachter Autor sagt, Aydatina senta „ist eines der grössten Räderthiere‘‘, vielmehr gehört es nur zu den mittelgrossen, denn gar manche andere Arten, Notom- mata myrmeleo z. B. und noch mehr Notommata Sieboldü über- treffen dasselbe um das 3-, 4- und 5fache an Grösse. Derselbe Naturforscher bemerkt zwar gut, dass die Gestalt des Thieres in ihren wahren Umrissen nur dann zu erkennen sei, wenn das Thier frei in hinreichendem Wasser umherschwimmt, allein weder die von ihm gegebene Abbildung noch Beschreibung der e 406 Dr. Franz Leydig: Gestalt der Hydatina kann ich als getreu bezeichnen und na- mentlich entfernt sich seine Abbildung des ,„Wirbel- oder Räderorganes‘‘ noch weit mehr von der Natur als die, welche Ehrenberg geliefert hat, weshalb ich davon eine neue Zeich- nung zu veröffentlichen für nothwendig halte. Was die Ge- stalt unseres Thieres betrifft, so gewahrt man an Individuen, welche beständig sich um ihre Achse wälzend bequem einher- schwimmen, dass der Körper sich in drei Hauptabtheilungen, in ein Kopfbruststück oder Cephalothorax, in einen Leib oder Abdomen und in einen Schwanz gliedert. Das Kopfbruststück erscheint, abgesehen von dem Leibeseinschnitt, besonders auf der Rückenseite vom Abdomen durch eine höckerartige Wöl- bung abgegrenzt, auf welcher die unpaare Borstengrube, unter der Nerven enden, angebrachtist. Doch tritt dieser Höcker des Cephalotkorax nur daun- deutlich hervor, wenn der Magen nicht übermässig voll oder der Eierstock nicht zu sehr ent- wickelt ist; sollte beides der Fall sein, so muss natürlich durch Auftreibung des Abdomens der Höcker mehr oder weniger verschwinden. Das erste oder vordere Dritttheil des Kopf- bruststückes ist durch eine scharfe Furche als Kopf abgesetzt. Der Leib, schwach geringelt, hört auf mit jenem Segment, wel- ches die Kloakenöffnung trägt, dann folgen die Segmente des Schwanzes, deren erstes schon schmäler ist, als das letzte Seg- ment des Abdomens. Der Schwanz verjüngt sich rasch und läuft in einen zweizehigen Fuss aus. Der Rand desKopfes oder des Wirbelorganes (Fig.l.) ist nicht einfach, sondern wird in klarer Weise von zwei Lip- pen gebildet, mit ziemlich tiefer Furche dazwischen. Auf der Rückenseite erhebt sich aus dieser Furche ein in der Mittellinie liegender papillenartiger Vorsprung, dem entsprechend die in- nere Lippe des Wirbelorganes gleichfalls eine Hervorragung erzeugt; die von der inneren Lippe begrenzte Fläche des Wir- belorganes senkt sich zu einer trichterförmigen Vertiefung oder der Mundhöhle ein. Anlangend die Wimperbekleidung, so unterscheidet man leicht einen aus feinen, langen Härchen be- stehenden Cilienbesatz, welcher ununterhrochen um das Räder- organ herumzieht und dem äussern Saum angehört. DieHär- Ueber Hydatina senta. 407 chen schlagen nach auswärts. Merklich davon verschieden sind starke oder borstenähnliche Wimpern, welche zunächst an der innern Lippe des Wirbelorganes stehen und hier eben- falls eine continuirliche Reihe herstellen; eben solche Borsten umsäumen auch den weiter nach innen liegenden, eigentlichen Rand der Mundhöhle und selbst zwischen den beiden bezeich- neten Borstenreihen arbeiten in unregelmässiger Vertheilung Wimpern von der gleichen Stärke, endlich tragen noch die zwei vorhin erwähnten papillenartigen Vorsprünge einen Busch von ungefähr sechs Borsten. Alle die dicken borstenartigen Wimpern schlagen hackenförmig nach einwärts. Die unaufhörliche Bewegung des Thieres, das beständige sich Ein- und Ausstülpen des Kopfendes erschweren nicht we- nig die Beobachtung desselben und um sich von der eigent- lichen Form des Wirbelorganes zu überzeugen, ist es räthlich, die Thiere langsam zu tödten und ohne dass sie sich einstül- pen. Mir diente hierzu eine äusserst schwache Lösung von doppelt chromsaurem Kali, in der sie noch stundenlang um- herschwammen und bei ihrem Absterben ausgestreckt blieben. Dass dann bei der Untersuchung ein Deckglas vermieden wird, ist selbstverständlich. Die äussere Haut (vergl. Fig. 2.) besteht, wie das von andern Räderthieren dargethan wurde, aus zwei differenten Lagen, aus der äussern strukturlosen Cuticula nämlich und aus der darunter gelegenen ‚‚Körnerlage‘‘; ich würde dies nicht mehr der Erwähnung für werth halten, wenn nicht Cohn sagte, dass die von mir beschriebene Körnerschicht bei aus- gewachsenen Individuen der Hydatina kaum als solche zu un- terscheiden sei. Man sieht aber sowohl am frischen Objekte als auch an Thieren, auf die Essigsäure eingewirkt hat, die in Abständen stehenden Kerne der fraglichen weichen Hautlage mit aller nur wünschenswerthen Klarheit, auch liegen bei man- chen Individuen einze!ne Fettpünktchen in dieser Hautschicht. Hinsichtlich der Muskeln mag vorgebracht werden, dass ausser den Längen- und Ringmuskeln, von denen die ersteren die grösste Breite haben und dann ferner eine Differenzirung in helle Rinde und körnige Achsensubstanz (Fig. 1. und 2b.) 408 Dr. Franz Leydig: zeigen, auch verästelte Muskeln zugegen sind und zwar nicht bloss am Kopf, wo sie vor Allem in die Augen fallen, sondern auch in jedem Leibessegment. Sie stellen unverkennbar rami- fizirteZellen vor. In den breiten Längenmuskeln (Fig. 1. u. 2.) bemerkt man mitunter die Körnchen der Achsensubstanz sehr regelmässig gelagert, wodurch man an zart gezeichnete: Quer- streifung erinnert wird. Die Angabe Cohn’s, dass die Sub- stanz der Muskeln zuweilen ‚‚durch Vacuolen schaumig er- schien ,‘‘ kann wohl nur auf veränderte oder todte Muskeln bezogen werden. Vom Gehirn und den davon ausstrahlenden Nerven glaubte ich ebenfalls eine neue Abbildung (Fig. 2e.) geben zu dürfen; dies Organ ist von oben angesehen nahezu viereckig, in der Profillage zeigt es eine ziemlich starke Wölbung nach oben. An die unpaare Grube mit dem Borstenbüschel gehen zwei starke Nerven, ausserdem treten noch zwei Fäden dort- hin, welche muskulöser Natur sind, ich sah sicher, dass sie sich zusammenzogen. Es sind die Fäden, welche Cohn „nach derselben Stelle im Nacken von anderen Herden des Nervensystemes gehen“ lässt. Die Substanz des frischen Ge- hirns zeigt kleine Nuclei, eingebettet in eine homogene Grund- masse, in der überdies noch schärfere Molekule liegen. Die von Cohn „sehr häufig beobachtete, grosse, kreisrunde, 'was- serhelle Blase, anscheinend eine Vacuole,‘* halte ich für ein Zersetzungsproduct; dergleichen Bilder treten in den zarten Geweben niedrer Thiere gern auf, sobald ihre Lebensthätigkeit im Abnehmen begriffen ist. Ueber den Verdauungsapparat willich hinweggehen, da er die Beschaffenheit hat, welche bei anderen Rotatorien, deren Verdauungssystem in Schlundkopf, Schlund, Magen und Darm zerfällt, a.a. ©. ausführlich von mir beschrieben wurde. Nur über die Struktur des Schlundkopfes möchte ich hinzu- fügen, dass die scheinbar schönen Zellen, welche man im flei- schigen Theile zu sehen meint (vergl. Fig. 1a.), die. Quer- schnitte der Muskeln sind und zwar solcher Muskeln, deren Substanz in homogene Rinde und körnige Achse geschieden ist; daher gewahrt man denn auch bei genauerem Zusehen an Ueber Hydatina senta. 409 diesen 'Scheinzellen , dass sie eine helle, scharf markirte peri- pherische Schicht haben, nach innen eine körnigeInhaltsmasse, aus. der ein wasserklarer Kern hervorschimmert. !) Mit Rücksicht auf das „Respirationssystem“ bin ich abermals im Falle, die Berichtigungen, welche Cohn mei- ner Darstellung angedeihen lässt, ablehnen zu müssen. Ich hatte (a. a. ©.) mitgetheilt, dass die sog. Zitterorgane nach ihrer Form zwei Typen repräsentiren, die aber nicht zusam- men in einem und demselben Thiere vorkommen, sondern auf verschiedene Gattungen vertheilt sich zeigen. Die einen näm- lich bleiben gleichweite, ceylindrische Röhren, derärtige hat z. B. Notommata myrmeleo; die andern verbreitern sich am freien Ende und nehmen damit eine etwelche Trompetenform an, z. B. in Notommata centrura, Euchlanis triquetra, Bosphora najas. Cohn belehrt aber, ‚dass ein und dasselbe Zitter- organ je nach der Lage, die eine oder die andere Gestalt zeige‘ und eitirt dazu die von mir gegebene Figur der Notom- mata centrura, wo ebenfalls beide Formen zu sehen seien. Allein unser Autor missversteht hier offenbar die Zeichnungen, denn was er für cylindrische Zitterorgane hält, sind trompe- tenförmige im Längsschnitt gesehen; bei ihrer platten Be- schaffenheit sind sie dann anscheinend cylindrisch. So- bald Hr. Cohn die wirklich cylindrischen,, gleichweiten Röhren, wie sie sich z.B. bei Notommata Sieboldü finden, wird kennen gelernt haben, dürfte ihm die Formverschiedenheit zwischen beiden einleuchten. Die Flüssigkeit, welche den Leibesraum erfüllend die Eingeweide umspült und das Analogon des Blutes vorstellt, enthielt bei Individuen, die reichlich mit Euglena viridis ge- füttert wurden, zahlreiche helle Kügelchen oder Blutkörper- chen von rundlicher Gestalt und ungleicher Grösse. -— Merk- 1) Gegenüber der Angabe Cohn’s, dass im Schlund von Bra- chionus Ciliarbewegung sei, beharre ich auf meiner frühern Aussage, dass der Schlund der Rotatorien nie mit Wimpern ausgekleidet werde; bei Brachionus ist der Schlund sehr kurz und Cohn hat fälschlich die starke Wimperung am Anfange des Magens in den Schlund verlegt. 410 Dr. Franz Leydig: würdig war es hier bei Aydatina senta dieselben Gebilde wie- der anzutreffen, die ich früher einmal vermuthungsweise von Lacinularia als Zoospermien zu deuten versuchte (Zeitschr. f. w. Zoologie 1351) und später in die Reihe parasitischer Bil-, dungen brachte. Es sind scharf conturirte, kuglige Körper, der Rand derselben pelzig wie mit feinem Haarbesatz. Gegen Ende März war die ganze Leibeshöhle vieler Individuen mit diesen Kugeln derartig angeschoppt, dass das Thier bei auf- fallendem Licht stark weiss aussah. Uebrigens schwammen die damit behafteten Individuen eben so munter herum, als die davon freien Thiere. Die kolbigen Körper im Schwanz bestehen aus einer zarten Hülle und einem blass molekulären Inhalt, in welchem man schöne Kerne mit je einem Nucleolus unterscheidet, bei manchen Individuen sind ausserdem kleine Fettpünktchen in wechselnder Menge vorhanden. Ich halte fragliche Organe für Drüsen, die nach Lage und Function den Schwanzdrüsen des Enoplus z. B. entsprechen (vergl. m. Aufs. in Müll. Arch. 1854 Taf. XI., Fig. 12.); sie münden an der Spitze der Fuss- zangen und wie der genannte Wurm ‚sich mit dem Hinter- leibsende fest an das Objectglas heften kann, um den Körper schlängelnd um diesen Punkt herumzuführen ,‚“‘ so kann sich auch die Hydatina mit den Spitzen der Fusszangen, wahr- scheinlich durch die hier hervorgesponnene klebrige Substanz, fixiren. Mir däucht auch bei gewisser aufrechter Stellung der Fusszangen die Oeffnung an ihrer Spitze erkannt zu haben. Der Haarbesatz der ,„„Wintereier,‘ welchen Ehren- berg gegenüber von R. Wagner für eine Alge, Aygrocroeis vestiens erklärt hatte, ist schon an den im Eierstock noch befindlichen Eiern gut wahrzunehmen. Die männliche Hydatina oder die von Ehrenberg auf- gestellte Gattung Enteroplea hydatina (Fig. 3.) ist zwar be- trächtlich kleiner als das Weibchen, hat aber dieselben Kör- perumrisse, selbst das Räderorgan zeigt sich an der Bauch- seite eingeschnitten, wie bei Yydatina senta. Man sieht diese Bildung mit Sicherheit an Thieren, die ohne von einem Deck- glasbelästigt zu werden, sich frei herumtummeln und dabei das Ueber Hydatina senta. 7a Räderorgan von allen Seiten dem Beschauer zukehren. Cohn behauptet fälschlich, es fehle dem Männchen die schief trichter- förmige Einsenkung des Räderorganes. An Thieren, welche in ihren Bewegungen zu ermatten anfangen, lässt sich bezüg- lich der Körperform erkennen, dass die Rückenfläche etwas gewölbt, die Bauchseite mehr flach ist; die noch ganz frischen Individuen sind in fortwährender Contraction begriffen und der Körper erscheint dabei stark längsgefaltet. Die Muskeln, Gehirn sammtden Nerven, contrac- tile Blase mitdenRöhrenund Zitterorganen verhalten sich im Wesentlichen wie beim Weibchen, weshalb davon nicht weiter die Rede sein soll, ich verweise auf die beigegebene Figur 3. Auch die kolbigen Drüsen im Schwanz mangeln nicht, nur giebt sich der kleine Unterschied kund, dass sie am Rande mehrmals seicht eingekerbt sind, was beim Weib- chen nicht der Fall ist. Dalrymple hatte an Notommata anglica, sowie ich sel- ber an Notommata Sieboldii die Erfahrung gemacht, dass den Männchen der Nahrungskanal vollständig fehlt. Die männ- lichen Thiere besassen weder Schlundkopf, noch Kiefern, Schlund oder Magen. Nur ein unregelmässiger Haufen von Zellen wurde als Rudiment des Nahrungskanales angesehen. Von der männlichen ZHydatina meldet nun auch Cohn, dass ihr (der Enteroplea) der Verdauungsapparat ganz und gar in allen seinen Theilen fehle. Nicht einmal die zelligen Rudi- mente der erwähnten Arten von Notommata seien aufzufinden. Mit dieser Auffassung "bin ich indessen nicht ganz einver- standen. Es mangelt zwar, wie bereits Ehrenberg fest- stellte, der Znteroplea das Gebiss und es fehlt überhaupt ein entwickelter Tractus, sowie denn auch niemals eine von aussen aufgenommene feste Nahrung in dem durchsichtigen Thiere beobachtet wird. Aber mit aller Bestimmtheit lässt sich sagen, dass der Nahrungskanal in verkümmerter Weise zugegen ist. Der Theil nämlich, welchen Cohn als sus- pensor testis, Ehrenberg als Darmkanal bezeichnet hat und dender erstere Autor für ein langes und breites Band hält, das von der vorderen Spitze des Hodens entspringe und quer 412 Dr. Franz Leydig: durch die Leibesböhle nach der Stirngegend hinlaufe, ist zwei- fellos ein Rudiment des Nahrungsschlauches (Fig. 3a.), dies zeigt sowohl seine Lage als sein Bau. Wenn man das Thier in der Profilansicht vor sich hat, so zieht das vordere Ende des Darmrudimentes genau nach jener Stelle des Räderorganes hin, wo beim Weibchen die Mundöffnung liegt, hinterwärts, was gleich nachher zur Sprache kommt, erstreckt es sich bis zur Kloakenöffnung. Diefeineren Verhältnisseanlangend, sofin- det man das Darmrudiment, gleich andern der Rückbildung verfallenen Organen nach einzelnen Individuen mehr oder we- niger verkümmert, bald ist es ein heller, faltiger Schlauch, ohne zellige Theile, ein andermal enthält es, was einen deut- lichen Wink abgiebt, unverkennbare Reste der Magenzellen: grosse Blasen nämlich, mit Häufchen solcher gelbbrauner Körner, welche die Magenzellen aller Rotatorien erfüllen. Um die weiteren Beziehungen des rudimentären Darmka- nals zu verfolgen, müssen wir zugleich auf den im hinteren Abschnitt des Abdomens befindlichen Hoden Rücksicht neh- men. Dieses Organ (Fig. 3, 4.c. c.) stellt einen ovalen Sack dar, dessen Wände aber keineswegs, wie Cohn beschreibt, „sehr dick und musculös‘‘ sind, sondern im Gegentheil von einer dünnen Membran gebildet werden. Was genannter For- scher die ‚sehr dieken und muskulösen Wände‘‘ heisst, ist die Fortsetzung des Darmrudimentes, ihm sehen wir den Hoden angelöthet und dadurch kommt eine scheinbare zweite Hülle des Organes zu Stande. Einige bänderartige Fäden gehen von gedachter Umhüllung der Befestigung halber zur Haut. Sie sind aber so wenig contractil (Cohn behauptet auch davon das Gegentheil), als das ganze den Hoden umziehende Magen- rudiment. Der Hoden selbst und sein Inhalt, sowie der Aus- führungsgang und dessen accessorische Drüsen legen die grösste Aehnlichkeit mit dem, was ich von Notommata Sieboldii be- schrieben habe, an den Tag, nur ist Alles, bis auf die Gewebs- theile herab, bei Enteroplea kleiner. Die Zoospermien (Fig. 5) sind wie bei Notommata von zweierlei Art, die einen haben die stabförmige Gestalt und zeigen nichts von Bewe- gung, sind starr; die andern bestehen aus einem vorn und Ueber Hydatina senta, 413 hinten zugespitzten Körper, auf dem sich kammartig eine un- dulirende Membran erhebt. Bei manchen Individuen verhalten sich alle Zoospermien, so lange sie im Hoden eingeschlossen liegen, ruhig und bewegen sich erst, nachdem sie durch Druck herausgefördert und mit Wasser zusammengebracht wurden, dann verlangsamt sich indessen die Bewegung, um bald ganz aufzuhören; ein andermal zeigten dieZoospermien schon inner- balb des Hodens eine wimmelnde Bewegung, Vielleicht erfahren die Zoospermien, sobald sie durch Be- gattung in den weiblichen Körper übergeführt sind, hier eine weitere Entwicklung, wenigstens ist mir auffallend, dass die in der Leibeshöhle einzelner Weibehen herumtreibenden Sa- menelemente an dem einen Ende viel dicker waren, gleich- sam einen abgesetzten Kopf hatten, was bei den aus dem Hoden herausgepressten nie zu Gesicht kam. Die regungs- losen, stäbchenartigen Zoespermien liegen ganz im Einklang mit dem, was bei Notommata wahrgenommen wird, im Hoden zunächst da, wo der Ausführungsgang beginnt und rufen an dieser Stelle durch ihre regelmässige Aneinanderlagerung eine radiäre Streifunghervor. Ich muss es geradezu widersprechen, dass man diese am hinteren Ende des Hodens befindliche „dichte, parallele Längsstreifung‘‘ von „Muskelfasern‘‘ ablei- ten will, man vermag die „‚Streifen‘‘ so gut wie den übrigen Inhalt des Hodens herauszudrücken und kann sich auf diese Weise vergewissern, dass die stäbchenförmigen Zonspermien die Ursache der Streifung waren. Die Wand des Hodens ent- behrt, wie schon erwähnt wurde, der Contractilität, wohl aber lässt sich beobachten, dass der Ausführungsgang zu kräftigen Contractionen befähigt ist, sowie.ich denn auch die dieke Wand desselben und die an letzterer sichtbare Querstreifung auf eine Muskelhaut beziehe, Im Innern des Ductus ist Wimperung zugegen, am längsten sind die Cilien an der Oeffnung und letztere befindet sich am ersten Segment desSchwanzes. Aussen sitzen am Ausführungsgang noch einige drüsige Körper, die man, was auch bezüglich der Notommata geschah, accessori- schen Geschlechtsdrüsen, etwa einer Prostata vergleichen könnte. 414 Dr. Franz Leydig: Bei Enteroplea kommen die gleichen dunklen Körner- haufen vor (Fig. 3, 4b.), welche man bei vielen Embryonen und jungen Thieren der Rotatorien wahrnimmt; sie bilden meist zwei Haufen, doch auch drei, die Körner wechseln über- haupt sehr nach Zahl und Grösse, bald sieht man Haufen kleiner Kugeln, bald sind es einige einzelne grössere Stücke. Ich hatte diese Körner nach ihrem optischen und chemischen Verhalten für Harnconcremente angesprochen und die Ver- muthung geäussert, es möchten solche Anhäufungen von Kör- nern oder krystallförmigen Bildungen, indem sie sich mit Aus- nahme der Männchen nur im Embryo und ersten Jugendzu- stand finden, die Bedeutung einer Primordialniere haben. Cohn dagegen meint: ‚es fällt diese ganze Hypothese mit dem Nachweise, dass bei Znteroplea dieBlase mit den dunklen Körnern durchaus in keiner Verbindung mit dem Darm steht, noch stehen kann, da überhaupt kein Darm vorhanden ist, dass sie vielmehr, was ich ganz zweifellos nachweisen konnte, auf der äussern Wand des Hodens festgewachsen ist.‘“ Und doch kann ich nicht umbin zu bemerken, dass wieschon aus der obigen Schilderung des Hodens erhellt, der Cohn’sche ‚„‚zwei- fellose Nachweis“ ein Irrthum ist. Denn der klare, die dunklen Körner enthaltende Raum ist nicht der eigentlichen Wand des Hodens ‚‚festgewachsen“, sondern jener äussern Hülle, die das Magen-Darmrudiment vorstellt oder richtiger bezeichnet, der helle, die Concremente einschliessende Raum gehört dem ver- kümmerten Nahrungskanal, der sich vom Einschnitte des Rä- derorganes bis zur Kloakenöffnung erstreckt, selber an und Enteroplea verhält sich somit, zwar ganz im Widerspruch mit der von Cohn gegebenen Beschreibung, wie die andern Rota- torien. Meine Ansicht, dass fragliche Körner Harnconcremente seien, wird natürlich durch die bei Enteroplea erkannte Sach- lage nicht stärker gestützt als früher, aber der von Cohn ge- machte Einwurferscheint jedenfalls beseitigt. Die von Weisse zuerst geäusserte Meinung, welche auch Cohn begünstigt, als seien die Körner ein Rest unverbrauchter Dottermasse, muss ich, andere Gründe gar nicht mitgerechnet, schon deshalb ver- werfen, weil die Dotterelemente und die gedachten Körner ® Ueber Hydatina senta, 415 gar keine Aehnlichkeit mit einander haben, sondern ganz ver- schiedene Dinge sind. Zum Schluss mag auch noch Einiges berichtet sein über einen im Magen der weiblichen Hydatinalebenden Parasiten, der bisher unbeschrieben scheint und in die Ehrenberg’sche Familie der Astasiaea oder „Aenderlinge‘‘ zu zählen sein dürfte. Der Parasit war so häufig, dass fast alle Hydatinen, und es kamen doch deren Hunderte zur Untersuchung, wenig- stens einen im Innern hatten, ja es fand sich, dass ganz junge Individuen, deren Magen noch farblos war, bis zu 5 und 6 dieser Geschöpfe beherbergten. Wollte man annehmen, dass es ein Pseudoparasit wäre, der etwa einen Theil der aufge- nommenen Nahrung bildet, ein Gedanke, der sich anfangs auf- drängen kann, so redet doch dagegen, dass man das Thier- chen niemals in einem Zustande antrifft, der nur einigermassen darauf hindeutet, als unterliege es, wie andere gefressene Thiere, Zuglena z.B., der verdauenden Kraft derMagenwände, vielmehr tindet man es immer unversehrt und in kräftigster Bewegung. Unser Thierchen (Fig. 6.) hat die Grösse von Euglena vi- ridis und auch so ziemliche Aehnlichkeit hinsichtlich der Ge- stalt, doch am meisten zeigt es sich der von Ehrenberg ge- schaffenen Gattung Distigma tenax (Proteus tenax bei Müller und Schrank) verwandt. Die Grundlage seines Körpers bildet eine weiche, gallertige Substanz, von der sich keine be- sondere Rindenschicht oder Haut abgegrenzt hat. Im Innern liegen viele fettartig glänzende Kugeln, die verschieden gross und nicht von einfach runder Form sind, sondern bald ge- schichtet bald wie von einer Oeffnung durchbrochen, bald wie mehrfach getheilt erscheinen, manche sehen aus, als ob sie in vier Portionen gefurcht wären. Nach Druck mit dem Deck- glas nehmen sie eine ziemlich intensive, indigo-blaue Farbe an. Wegen dieser fetttropfenähnlichen Körper sieht der Pa- rasit bei auffallendem Licht stark weiss aus. Ausserdem un- terscheidet man nach dem vorderen Körperende zu einen oder zwei helle, kernartige Körper, die selbst wieder einen opakeren 416 Dr. Franz Leydig: Ueber Hydatina senta. Fleck aufweisen. Ganz vorn endlich liegt ein röthlicher Punkt oder „‚Augenfleck“, der eine scharf umschriebene Gestalt hat. Die Bewegungen des Thieres sind sehr lebhaft, namentlich wenn der Magen der Hydatina bei etwa eintretendem Wasser- mangel anfängt, ungewöhnliche Contractionen zu machen, dann sucht es auch wohl aus dem Darm heraus ins Freie zu kom- men und ist ihm das geglückt, so eilt es mit grosser Hast durch seine peristaltischen Zusammenziehungen dsvon. Das Thierchen schwillt an und schnürt sich ein von vorn nach hin- ten in analoger Art, wie man beiMuskelcontractionen niederer Thiere häufig eine verdickte Stelle wellenartig längs des Mus- kels weggehen sieht. Erklärung der Abbildungen. Alle bei starker, ungefähr 300maliger Vergr. Fig. 1. Der Kopf der weiblichen Aydatina von unten, um die Ge- stalt des Räderorganes zu zeigen; a. der Schlundkopf, sollte weiter nach vorn, der Mundöffnung näher gezeichnet sein, b. b. Muskeln. Fig 2. Kopf eines etwas kleineren Thieres von oben; a. Schlund- kopf, b. Muskeln, c. das Gehirn, d. die „Respirationsröhren.“ Fig. 3. Die männliche Hydatina (Enteroplea Hydatina): a. der rudimentäre Darmkanal, dem auch die dunklen Körnerhaufen b. an- gehören, c. der Hode. Fig. 4. Das hintere Ende einer Enteroplea, genau in der Seiten- lage: a. Rest des Tractus, b. der Körnerhaufen (‚‚Harnconceremente‘“), c. der Hoden, d. Ausführungsgang, e. „Prostata.‘ Fig. 5. Zoospermien der Enteroplea: a. die stabförmigen, starren, b. die mit undulirender Membran versehenen. Fig. 6. Das im Magen der weiblichen Hydatina lebende Thier. Es ist nach seinen verschiedenen Contractionszuständen dargestellt. Dr. E. Klopsch: Ueber die umspinnenden Spiralfasern ete, 417 Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Binde- gewebsstränge von Dr. E. Krorsch, Assistenten am physiologischen Institut der Universität Breslau. (Hierzu Tafel XVII.) Als im Jahre 1841 Henle in seinem Lehrbuch der allge- meinen Anatomie die bis dahin bekannten Ergebnisse frem- der und eigener Forschungen auf dem Gebiete der Histologie zum ersten Male nach Veröffentlichung der Schwann’schen Beobachtungen über die Zelle zu einem grossen und glän- zenden Mosaik vereinigte, war es natürlich, dass ein grosser Theil der darin enthaltenen Detailangaben ohne Weiteres als baare Münze in Umlauf gesetzt wurde. Die Autorität grosser Lehrer und genialer Forscher hat zu allen Zeiten etwas Fas- einirendes gehabt, und ähnlich, wie nach Wolf’s Prolego- menen die kritische Durchforschung Homer’s länger als ein Vierteljahrhundert nur die von dem grossen Meister vorge- zeichneten Wege wandelte, — in ähnlicher Weise sahen wir nach Henle’s grosser Arbeit wohl ein Jahrzehent lang seine Gedanken fast unumschränkt über Handbücher und Mono- graphien schalten und walten. Mit dem grossen Strome sei- ner Beobachtungen und Schlüsse schwammen auch seine An- gaben über die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebs- bündel an der Hirnbasis, in serösen Häuten, im Unterhaut- bindegewebe !) etc. in die Reservoirs des histologischen Wis- 1) Henle, Allg. Anat, p. 351. Müller’s Archiv, 1957, ; 27 418 Dr. E. Klopsch: sens hinein, ohne über ihre Berechtigung sonderlich befragt zu werden. Sharpey, Kölliker, Gerlach u. A. bildeten in ihren Handbüchern die umspinnenden Fasern ab und be- sprachen sie, ohne eine Kritik an ihnen zu üben. Leydig (über die Haut einiger Süsswasserfische. Sieb. u. Kölli- ker’s Zeitschr. III. p.4) erwähnt, dass die Bindegewebsbündel in der Lederhaut der Fische von spiralig. verlaufenden Kern- fasern in sehr engen Touren umsponnen werden und be- schreibt in gleicher Weise Bindegewebsbündel, welche beim Aal und bei Cottus Gobio vom Unterhautzellgewebe gerade gegen die Epidermis aufsteigen. Er wiederholt diese An- gaben in seinen Untersuchungen über Fische und Reptilien (1853 p. 34) ohne irgendwelche Zweifel, weder im beschrei- benden Theile, noch in den allgemeinen Schlussbemerkungen: „über die Verhältnisse der Bindesubstanz*, zu äussern. Aber mit dem Wissen wächst der Zweifel! War die widerspruchs- lose Annahme der umspinnenden Fasern einerseits eine Wir- kung der Autorität ihres Entdeckers, so war sie auf der an- dern Seite ebenso eine Folge des Mangels an Beobachtun- gen, welche die Henle’schen in Zweifel zu stellen geeignet gewesen wären. Dieser Mangel wurde allgemach ausgefüllt. Schon im Jahre 1847 machte H. Müller (Bau der Molen p. 82) darauf aufmerksam, dass im Chorion menschlicher Früchte Faserbündel vorkämen, bei denen die Einschnürun- gen vielfache Uebergänge von wahren Fasern, zu structur- losen Scheiden zeigten, wie sie an Muskelfasern vorkommen und die primäre Entstehung solcher fasriger oder membra- nöser Theile scheint ihm durch das Vorkommen deutlicher Einschnürungen bei Einwirkung von Essigsäure auf Blutfaser- stoff erwiesen. Fühlte sich Henle (©. Jahresbericht 1847 p. 46) schon durch diese Bemerkung zu einer Revision seiner Theorie der umspinnenden Fasern aufgefordert, so bedurfte es doch, wie uns scheinen will, erst des erheblicheren An- stosses, den Virchow!) und Donders?) im Jahre 1851 ae über Identität von Knochen-,. Knorpel- u. Bindege- webskörper. Würzburger Verhandl. II. p. 162. 2) Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. III. p. 348. Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 419 mit ihrer Polemik gegen die Kernfasertheorie im Allgemeinen gaben, um eine Aenderung der Henle’schen Ansichten über die umspinnenden Fasern zu veranlassen. Virchow und Donders stellen die Behauptung auf, dass die durch Essig- säure darstellbaren Fasern, welche die Bündel des Bindege- webes und anderer fasriger Gewebe durchsetzen und um- spinnen, nicht aus der Verlängerung und Verschmelzung von Kernen, sondern aus der Verschmelzung faserartig ausge- wachsener oder sternförmig verästelter, den verlängerten Kern genau umschliessender Zellen hervorgehen. Donders erklärte überdies diese von Henle für Kernfasern gehalte- nen umspinnenden Fasern für identisch mit den elastischen Fasern. Henle unterwarf die von Donders und Vir- chow vorgetragenen Meinungen, wie im Allgemeinen, so in Bezug auf die umspinnenden Fasern einer sorgfältigen Kritik und änderte in Verfolg derselben sein Urtheil über ihre Na- tur in mannigfacher Weise. Hatte er früher (Allg. Anat. p. 351) gelehrt, die meisten primären, von Spiralfasern um- wickelten Bündel seien ohne besondere Hülle, und hatte er die in vielfachen Touren dieselben umspinnenden Fasern als ein fremdes, histologisch verschiedenes und von Aussen an die Bündel herantretendes Formelement dargestellt, so inter- pretirte er jetzt (Oanst. Jahresbericht 1851 p. 25) die um- spinnenden Fasern und die von ihnen bewirkte Einschnürung in folgender Weise. Er bespricht die von ihm sogenannten tertiären Bindegewebsbündel der Sehnen. Ihre der Haut der secundären Bündel gleichartige Umhüllungshaut lässt er ın entschieden elastisches Gewebe übergehen. „Man sieht“, sagt Henle, „die Fasern des letzteren sehr gedehnt und deshalb sehr blass und gestreckt von verschiedenem Durchmesser in eng- und weitmaschigen Netzen über die unversehrten, iso- lirten Sehnenbündel verlaufen. Beobachtet man sodann die Einwirkung der Essigsäure, so bemerkt man, wie das lang- sam aufquillende Bündel die Fasern, die dabei nur noch ge- streckter und blasser werden, auf einzelne reifenartige Massen zusammenschiebt, zwischen denen sich das Bindegewebe her- vorbauscht. Dies ist“, fährt er fort, „die Genesis der Fasern, 27* 420 Dr. E. Klopsch: “ ' 3 welehe gröbere Bündel spiralig zu umwickeln scheinen und sich mit meiner Kernfasertheorie von Anfang an nicht ver- tragen wollten. Mit den Bindegewebsfasern sind sie so ge- nau verbunden, dass man selbst durch Längsspaltung der Bündel die von jenen Querfasern bewirkten Einschnürungen nicht aufhebt. Löst man aber die Bindegewebsfasern durch Kochen in Kali auf, so bleiben die einschnürenden Querfa- sern im Zusammenhang mit allen das Bündel durchziehenden Kernfasern zurück, ganz und gar mit dem Ansehen des ela- stischen Gewebes, dunkel, geschlängelt, ästig anastomosirend.* Henle giebt also jetzt die Umspinnung durch fortlaufende Spiralfasern auf und setzt dafür elastische, mit der Hülle der Bindegewebsbündel aufs Engste verbundene Fasernetze, — die Einschnürung bleibt durch Fasern veranlasst. ‘) Wie viel sich gegen diese neue Interpretation der oft erwähnten Er- scheinung eingeschnürter Bindegewebsstränge erinnern lässt, werden wir später auseinandersetzen. Sie hielt auchLuschka nicht ab, in seiner Schrift über den Nervus phrenicus (p. 64) die Entstehung der Einschnürungen an den mit Essigsäure behandelten Bündeln des sogenannten netzförmigen Bindege- webes im Oment. majus auf andere Momente zurückzuführen und die Existenz einschnürender Fasern ganz zu leugnen, nachdem Reichert schon ein Jahr vorher (Jahresbericht in Müller’s Archiv 1851 p. 96) sich gegen dieselben ausge- sprochen hatte. Luschka unterscheidet in seiner Ausein- 1) Die geschilderte Wandlung in der Henle’schen Ansicht über die Spiralfasern fällt wesentlich damit zusammen, dass Henle in Uebereinstimmung mit Reichert die Bildung des elastischen Gewebes durch Verdichtung von bindegewebiger Grundsubstanz, ohne Betheili- gung von Zellen oder Kernen annahm. Sie ist eine nothwendige Con- sequenz dieser Annahme. Um so wunderbarer erscheint es, dass Henle (Canstatt’s Jahresbericht 1855 p. 33) eine Uebereinstimmung seiner Ansichten mit der von Luschka in dessen Schrift über die Adergeflechte des Hirns niedergelegten Schilderung der umspinnenden Fasern statuirt. Luschka kehrt nämlich dort ganz zu der frühesten Henle’schen Theorie zurück. Es scheint danach, als ob auch Henle seine ehemaligen Ansichten ganz oder wenigstens für die. primären Stränge wieder aufgenommen hätte. Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 421 andersetzung drei Klassen von Bindegewebsbündeln, die je nach der Behandlung mit Essigsäure verschiedene Bilder ge- ben. Er fand zuerst Zellstoffstränge mit einem, nach Zutritt von Essigsäure, ausgezeichnet varicösen Aussehen, ohne dass man den wie eingeschnürten Stellen ent- sprechende Faserelemente vorfände. Er nimmt bei diesen Zellstoffsträngen eine von der innern Bindesubstanz verschiedene Umbüllungsschicht an, welche sich zu jener ähn- lich verhalte, wie die membranöse Hülle des Nervenröhr- chens zu seinem Inhalte. Bei einer zweiten Klasse von Bindegewebsbündeln bemerkte Luschka abwechselnd Auf- treibungen und Einschnürungen, von welchen die letzteren wie durch fest angelegte, durchscheinende, zart contourirte Ringfasern entstanden erscheinen. Die Bildung solcher ein- schnürender Ringe führt er auf das durch die Essigsäure ver- anlasste plötzliche Einreissen einer membranösen Umhüllung des Zellstoffbündels an verschiedenen Stellen und in der gan- zen Circumferenz zurück. Hiernach sollen die nunmehr iso- lirten Abschnitte der membranösen Hülle bis zur Dünnheit jener einschnürenden Ringe zusammenschnurren, zwischen denen dann die aufquellende nackte Bindesubstanz hervor- quelle. Bei jener ersten wie bei dieser zweiten Klasse der Bindegewebsbündel also führt er die Einschnürung auf eine umhüllende, ihrer Natur nach vielleicht mit der Substanz des elastischen Gewebes identische Schicht zurück, der er aber bei der ersten Klasse eine grössere Dehnbarkeit zuschreibt, in Folge deren sie sich nur ausbuchte und dadurch das Zell- stoffbündel’varicös erscheinen lasse, nicht aber einreisse und zusammenschnurre. Zu einer dritten Klasse endlich zählt Luschka die eigentlich von Henle beschriebenen Zellstoff- bündel mit scheinbaren, spiraligen Umwicklungsfasern, welche bald in einzelnen Touren und in kürzeren oder längeren Strecken, bald in mehrfachen, ganz dichten, sich vielfach kreuzenden Windungen um das Bündel gelagert erscheinen. Nach den bei der ersten und zweiten Klasse von Zellstoff- bündeln angeführten Beobachtungen der ganz strukturlosen Umhüllung und der aus ihr künstlich hervorzubringenden 422 Dr. E. Klopsch: Ringfaserbildung, hält Luschka auch diese scheinbar um- wickelnden Fasern nicht für besondere Formelemente, son- dern er lässt sie aus dem Zerfallen einer gleichförmig aus elastischer Substanz gebildeten Scheide der Bindegewebs- bündel hervorgehen. Besondere Formelemente in Reihen, die den Einwicklungsfasern entsprochen hätten, konnte er nie zur Anschauung bringen. Schliesslich führt L. gegen Henle’s oben erwähnte Annahme eines elastischen Fasernetzes über die Bindegewebsbündel und die Entstehung der Einschnürung durch Aufeinanderschieben dieser Netzfasern, die ursprünglich ganz gleichartige Beschaffenheit der Scheide an. Trotz dieses entschiedenen Auftretens gegen die Henle’sche Theorie nahm Luschka doch schon im Jahre 1855 in seiner Monographie über die Adergeflechte des Hirns p. 58 die erste und älteste Theorie Henle’s in Bezug auf die umspin-. nenden Fasern wieder auf, ohne eine Vermittlung dieser An- nahme mit seiner früheren, ganz widerspreehenden Ausein- andersetzung zu versuchen. Im Gegentheil, er geht jetzt noch weiter und fügt eine rein teleologische Erklärung des Laufs der spiralig umspinnenden Fasern bei, indem er sie den in der Mechanik gebräuchlichen Sprungfedern vergleicht und die Meinung ausspricht, dass sie die wechselnde Anspan- nung und Relaxation der Arachnoidea je nach der Menge der im Subarachnoidealraum vorhandenen Flüssigkeit vermit- teln sollen. Die von Luschka in seiner Schrift über den Nerv. phre- nieus gegebenen Auseinandersetzungen nimmt Leydig in seinem neuesten Werke (Lehrbuch der Histologie 1857 pag. 30 u. 31) eben so einfach an, wie er früher die Henle’sche Theorie adoptirt hatte. Er fügt dieser Annahme aber den Versuch bei, die Entstehung der scheinbaren Spiralfasern aus einer von ihm aufgestellten Hypothese über die Bildung des netzförmigen Bindegewebes zu erklären. Davon ausgehend, dass die homogene, geschichtete Grundsubstanz des Binde- gewebes durch die Art und Weise, wie sie von den ver- zweigten Bindegewebskörperchen durchsetzt wird, in schein- bare cylindrische Stränge und Bündel abgesondert wird, lässt a N an « Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 423 er auch die isolirten Zellstoffstränge des netzförmigen Binde- gewebes durch Vergrösserung der Bindegewebskörper sich. bilden, mag; man in denselben nun, wie Henle, spaltförmige Lücken oder wirkliche sternförmige Zellen, wie Virchow, sehen. Aus dieser Erweiterung der Henle-Virchow’schen Theorien über das Verhältniss der Bindegewebskörper zu der Grundsubstanz — zieht Leydig nun seine Folgerungen über die Natur der Membranen, die er, wie Luschka im Nerv. phren. einreissen und dadurch scheinbare Spiralfasern bilden lässt. — „Nimmt man“, sagt er, „mit Henle die Bindege- webskörper für spaltförmige Lücken zwischen den Bindege- websbündeln, so müssen die Membranen, welche zu Spiral- fasern zerreissen, lediglich als die elastisch verdichteten Grenzschichten der homogenen Bindegewebsbündel gelten, sieht man hingegen die Bindegewebskörper als sternförmige und mit den Ausläufern anastomosirende Zellen im Bindege- webe an (Virchow), welche die Intercellularmasse zu ey- lindrischen, bänderartigen Strängen absondern, so kann man der elastischen Haut, welche sich zu Spiralfasern zu zerklüften vermag, die Bedeutung einer festgewordenen Zellenmembran beilegen. Mit der von mir oben ausgesprochenen Vermu- thung“, fährt er fort, „dass ähnlich wie am Knorpel die Zwischensubstanz um die zelligen Theile herum zu den Knor- pelkapseln verdichtet, so auch hier am Bindegewebe derselbe Hergang zu statuiren wäre, liessen sich wohl die beiderlei Ansichten mit einander verschmelzen. * Wir können, wie wir weiter unten näher auseinandersetzen werden, der hier von Leydig versuchten Erweiterung der Henle-Virchow’schen Bindegewebstheorie, um die Genese des netzförmigen Bindegewebes zu erklären, — schlechter- dings nicht beipflichten; dem Bestreben des berühmten Histologen aber, die Kritik und das Verständniss der um- spinnenden Spiralfasern, aus der erkannten Natur des netzförmigen Bindegewebes abzuleiten, stimmen wir vollkommen bei. Leydig betritt damit den Weg des einzi- gen Histologen, der. seit langen Jahren die umspinnenden Fasern mit Bewusstsein und auf Grund seiner Theorie 424 Dr. E. Klopseh: der Spiralfasern und des netzförmigen Bindege- webes negirte, den Weg Reicherts. Entscheiden wir uns einerseits mit Virchow und Rei- chert dafür, dass die Spiralfasern integrirende Bestandtheile der Bindesubstanzgebilde sind und speciell die Bindesubstanz- körperchen des Sehnengewebes — so können sie an irgend welchen Bündeln von Bindesubstanz nicht ein von aussen herantretendes, accidentielles und für sich ‚selbstständiges Formelement sein, so muss damit Henle’s Ansicht für uns ihre Geltung verlieren, dass ein Netz von elastischen Fasern (elastische Fasern nach Henle gleich Spiralfasern) über die unversehrten, isolirten, aus Bindesubstanz gebildeten ter- tiären Bündel des Sehnengewebes verlaufe, und dass durch das Zusammenschnurren dieses Fasernetzes die einschnüren- den Fasern gegeben seien. Statuiren wir andererseits mit demselben Forscher, dass das sog. netzförmige Bindegewebe, an welchem vorzugsweise die Einschnürungen durch schein- bare Fasern beobachtet werden, nur ein Structurverhält- niss !) des geformten Bindegewebes ist, nicht aber ein in seiner Textur verschiedenes Glied der grossen Bindege- websfamilie — so müssen alle an ihm zu Tage tretenden Erscheinungen auch nothwendiger Weise unter die allgemei- nen morphologischen Gesetze des parenchymatösen Binde- gewebes und in Einklang mit den Erscheinungen an allen übrigen parenchymatösen Bindegewebsbildungen zu bringen sein, mögen die letzteren auch gar nicht dem Sehnengewebe angehören, wie z. B. die Hüllen der Muskelbündel. Sehen wir, ob vorurtheilsfreie Beobachtungen uns zur Anwendung der Reichert’schen Theorie auf die scheinbar durch Spiralfasern umwickelten Bindegewebsstränge berech- 1) Unter Textur eines Gewebes verstehen wir das Verhältniss, in welchem die letzten organisirten Formelemente unseres Körpers zur Constituirung eines histologisch wohlcharakterisirten Gebildes ver- bunden sind; unter Structur das Formverhältniss, in welchem ein histologisch wohlcharakterisirtes Gebilde erscheint, indem es sich am Aufbau complieirterer Formen betheiligt. Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 425 tigen, ob die Erfahrung mit der Theorie übereinstimmt und ihr somit zur Bestätigung dient. Fragen wir zuerst, ob die Beobachtung lehre, dass die scheinbare Einschnürung von Bindegewebsbündeln überhaupt auf Fasern zurückgeführt werden könne, seien sie nun, wie Henle früher meinte, von Anbeginn an der eingeschnürten Stelle gelegen, oder nach seiner spätern Ansicht erst nach Aufquellen des Bindegewebes reifartig an die Einschnürungs- stelle gesehoben? Unsere Beobachtungen verneinten diese Frage für alle Fälle. Nehmen wir ein Bindegewebsbündel, sei ‚es von der In- nenfläche des Arachnoidealsackes im Gehirn oder Rücken- mark, oder aus dem Omentum majus, oder aus dem Raum zwischen Unterhautzellgewebe und der Epidermis der Fische, oder einen jener zahllosen Bindegewebsstränge aus patholo- gischen Adhärenzen z. B. zwischen dem Peritonäalüberzuge der Leber einer- und des Zwerchfelles andererseits (die letz- teren empfehlen sich sehr zur Untersuchung), so finden wir unter dem Mikroskop Stränge von 0,003 bis 0,040''! Breite, an deren Aussenschicht keinerlei distinguirte Formelemente erkannt werden. Im Innern der Bindegewebsstränge dagegen zeigen sich bei sehr pelluciden Strängen oft schon vor der Behandlung mit Essigsäure Spiralfasern, welche durchaus in der Längsrichtung der Stränge verlaufen, sich schlängeln und . hier und da verbiegen. Die völlige Homogenität der Hülle bleibt aber auch nach dem Zusatz von Essigsäure. Wir sa- hen niemals das von Henle angenommene elastische Faser- netz an der äusseren Schicht der Zellstoffbündel auftreten, wir sahen niemals, dass früher wahrgenommene Spiralfasern durch die eintretende höchst bedeutende, das Zellstoffbündel oft 3—4fach verbreiternde Aufquellung verschoben und so zur reifartigen Einschnürung verwendet wurden. Alle vor wie nach dem Zusatz von Essigsäure beobachteten Spiralfa- sern in dem Zellstoffbündel bewahrten ihre Lage und ihre der Längsaxe der Bündel annähernd parallele Richtung und nachdem die zirkelförmigen Einschnürungen von der verschie- densten Form sich gebildet hatten, sahen wir die vorhandenen 27) ‚426 Dr. E. Klopsch: Spiralfasern bei sorgfältiger Einstellung des Focus stets un- ter der Einschnürungsstelle durchlaufen, ganz abweichend von Henle, der sein elastisches Fasernetz über die unver- sehrten Bündel verlaufen liess. Was sich also von wirkli- chen Spiralfasern (oder, wie Henle und andere wollen, ela- stischen Fasern) in den Bindegewebsbündeln vorfindet und er- kennbar wird, trägt nach unsern Beobachtungen nie zur, Einschnürung bei. Der Zusatz von Essigsäure ändert das Gesammtbild der Stränge, abgesehen von den Einschnürungen, ferner insofern, als in den gröberen von ihnen durch dies Reagenz sehr häufig seine Gefässe und Nerven sichtbar wer- den, die in der Axe der Bündel verlaufen. Nicht selten gelang es mir, von diesen gröberen Bündeln einen Quer- oder Schrägschnitt zur Anschauung zu bringen, namentlich wenn dieselben aus einem Präparate entnommen wurden, was einige Zeit in Chromsäure gelegen hatte. An diesen erschien die Bindegewebsmasse fein concentrisch ge- streift (siehe Fig. 1.), bald so, als wenn sie aus feinen La- mellen zusammengesetzt wäre, bald so, dass das Bild einer continuirlichen Spirallinie entstand und damit eine Hinweisung auf eine coneentrische Schichtung von Bindegewebsmem- branen, um ein Gefäss oder einen Nervenzweig, der die Axe des Öylinders constituirt. Was nun aber die durch Essigsäure veranlassten Ein- schnürungen selbst betrifft, so treten sie in höchst verschie- dener Weise auf. Wir unterscheiden erstens die vollständige eirculäre Einschnürung von scheinbaren Fasern (Fig. 2.), welche bald in einzelnen von einander geschiedenen Ringen, bald in scheinbarer Continuität, in einer auf der Axe des Stranges bald rechtwinkligen, bald schrägen Richtung neben einander oder sich kreuzend die Bündel umschlingen. Bei diesen vollständigen eirculären Einschnürungen ist man in der That anfangs versucht, mit Henle an umspinnende Fasern zu deuken; die optische Analyse spricht aber durchaus da- gegen. Die völlige Strueturlosigkeit der äussern Hülle haben wir bereits als Gegengrund angeführt. Dazu kommt, dass es a priori unmöglich ‚erscheint, bei einer so enormen Verbrei- Ueber die umspinnenden Spiralfasern der. Birflegewebsstränge. 497 terung und Auftreibung der Stränge, wie sie stattfindet, in den tiefen Einschnürungsfurchen elastische Fasern von 0,001 bis 0,002 Linien Breite zu sehen. Die Bilder von Fasern also-sind in jedem Falle, auch wenn wir mit Henle annäh- men, dass auf einander geschobene elastische Fasern die Einschnürung bedingen, nur Trugbilder von Fasern, nur Li- nien, welche durch Aneinanderlegung der Bauschen der auf- geschwellten Bindegewebshülle und die zwischen denselben stagnirende Flüssigkeit (Wasser, Essigsäure) entstehen, wäh- rend die supponirten Fasern im Grunde der Furchen verbor- gen liegen müssten. Henle glaubt die Zweifel an diesen Fasern dadurch zu heben, dass er auf die dunklen Kügelchen verweist (Oanstatt's Jahresb. 1852 p. 30), welche am Rande der eingeschnürten Stellen oft sichtbar werden — „die schein- baren Querschnitte der umspinnenden Fasern.* Auch wir haben diese Kügelchen oft bemerkt, sie aber nie für Durch- schnitte von Spiralfasern halten können, denn einerseits sind sie dazu viel zu gross und andererseits erscheinen sie auch dann in den Rinnen, wenn die Continuität der scheinbaren Fasern rings um das Bündel vorhanden ist. Wir können diese Kügelchen also nur für Körnchen, für Tröpfchen oder Luftbläschen halten, die zwischen den Bauschen des auf- gequollenen Stranges durch Adhäsion festgehalten werden, Aller Zweifel an den spiralig umspinnenden Fasern aber soll nach Henle schwinden, wenn man statt der Essigsäure Kali und Wärme anwendet, weiche das Bindegewebe auflösen und die elastischen Fasernetze leer zurücklassen sollen. Wir ha- ben dies Experiment vielfach angestellt, aber eben so wenig wie Luschka (im Nerv. phren.) und Taube (Dissert. de membran. seros, in cav. cranii. Dorpat 1854) diese elastischen Querfasern sehen können. Spricht nun die optische Analyse nach unseren Beobach- tungen ganz gegen die Einschnürung durch Fasern, welche positiven Elemente haben wir, um die zweifellosen Einschnü- rungen zu erklären? Zunächst die häufig von uns gemachte Beobachtung, dass die scheinbar umspinnenden Fasern in Lamellen einer homo- 428 % Dr. E Klopsch: genen, durch Essigsäure leicht streifig gewordenen Bindesub- stanz ausgehen (ef. Fig. 3... Wir sahen unter Einwirkung der Essigsäure zu verschiedenen Malen die Entstehung sol- cher Lamellen. Sie entstanden durch mehrfaches Einreissen einer äussersten Schicht am Bindegewebsstrange. Die auf- quellende innere Substanz der Stränge drängte die so ent- standenen isolirten Theile der Hülle auf schmale ringförmige Streifen (a. a. a.) zusammen, die bald bei weiterer Auftrei- bung der Stränge in der Tiefe der Furchen zwischen der’ sich aufbauschenden Bindegewebsmasse verschwanden. In man- chen Fällen zerriss aber auch ein solcher ringförmiger, ein- schnürender Hüllenstreifen bei weiterer Ausdehnung der Bündel und das eine seiner Enden ragte nun, entspannt und sich in Folge dessen wieder theilweise lamellös ausbreitend (Fig. 3. b.) in die umgebende Flüssigkeit hinein. Die eben geschilderte Erscheinung ist nur an denjenigen Bündeln der Bindesubstanz von netzförmigem Structurverhältniss sichtbar, in denen die Bindesubstanz weitaus alle übrigen Formele- mente d. h. die in der Axe verlaufenden und entweder noch sichtbaren oder schon ganz in der umgebenden Bindesubstanz aufgegangenen Gefässe oder Nerven überwiegt. Es gehört eine gewisse Mächtigkeit der Bindesubstanz dazu, um die- selbe, wie überhaupt die vollkommen cireulären Einschnü- rungen hervorzubringen. Ueberwiegen dagegen die in einem Bindegewebsstrange vorkommenden Formelemente über die Hülle umgebender Bindesubstanz, so treten ganz verwandte, aber weniger entwickelte Einschnürungserscheinungen auf: l) eine nur partielle Einschnürung, 2) ein nur partielles Ein- reissen. Wir geben das Bild einer solchen partiellen Einschnürung in Fig. 4. Es ist ein zartes Muskelbündel vom Frosch, welches sich wie jene Stränge des netzförmigen Bindege- webes verhält, bei denen die Bindesubstanz nicht absolut jedes andere Formelement überwiegt. Diese zarten Muskel- bündel schwellen auf Zusatz von Essigsäure in Form eines Rosenkranzes auf, und zwischen den bauschigen Hervortrei- bungen zeigen sie das täuschende Bild einschnürender Fasern. Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 429 Dass aber hier bei der Hülle der Muskelbündel spiralige Fasern vorkämen, wird Niemand behaupten, und in jedem Falle würde er dadurch widerlegt werden, dass die Mehrzahl der scheinbar einschnürenden Fasern, nicht über das ganze Bündel sich fortsetzt. Die Erscheinung der partiellen Ein- schnürung ohne Einreissen einer membranösen Grenzschicht aber dürfte sich dadurch erklären, dass bei den Bindegewebs- bündeln, an denen sie auftritt und an den zarten Muskel- bündeln die Grenzschicht des Bindegewebes dehnbarer und viel weniger von der innern Schicht desselben differenzirt ist, als bei denjenigen, welche die vollständige Einschnürung durch zusammengeschnurrte Membrantheile zeigen. Sie platzt in Folge dessen nicht, sondern dehnt sich. nur va- ricös aus. Eine scheinbar durch Fasern veranlasste Einschnürung zeigt sich aber auch bei dem partiellen Einreissen der Grenz- schicht. Auch diese Erscheinung haben die zarten Muskel- bündel mit einem Theil der Zellstoffstränge gemein. Wir bilden in Fig. 5. ein solches Bindegewebsbündel ab, dessen Scheide bei der Behandlung mit Essigsäure nur an einer Stelle eingerissen ist. Durch die eingerissene Stelle quillt der Inhalt des Bündels wie durch eine Bruchpforte hervor, während die Ränder der eingerissenen Scheide als zwei dop- pelt contourirte Linien nach der entgegengesetzten Seite des’ Bündels verlaufen. Auch hier liegt eine Quelle der Täuschung vor für jeden, der nicht unter dem Mikroskop selbst die Ein- wirkung der Essigsäure und die Entstehung der scheinbar so evidenten- Fasern beobachtet. Eine besondere Beachtung verdienen endlich jene Binde- gewebsbündel, die eine mehrfache Art der Einschnürungen zeigen. Die Stränge des Bindegewebes von netzförmiger Struetur bilden nämlich keinesweges immer einfache Stränge, die nur etwa aus feinen Gefässen oder Nerven und der um- lagernden, starken Bindegewebshülle bestehen. Nein, häufig sind sie in eben derselben Weise durch Vereinigung mehrerer primärer Stränge gebildet, wie wir dies an der Sehne in ausgebildeter Weise sehen. Eine gemeinsame Bindegewebs- 430 Dr. E. Klopsch: hülle umschnürt zwei feinste Stränge, eine zweite vereint wieder die beiden vereinigten Stränge mit einem’ dritten; Spiralfasern verlaufen in der Substanz aller Scheiden der primären, wie der secundären und tertiären Stränge, so dass der Durchschnitt derselben vollständig dem Durchschnitt fri- scher Sehnen gleicht. Beobachtet man nun die Einwirkung der Essigsäure auf diese zusammengesetzten Stränge, so er- scheinen, wie in Fig. 6., mehrfache Einschnürungen , totale, die der allgemeinen Hülle des zusammengesetzten Bündels angehören (a. a. a.), partielle (b. b. b.), die sich über zwei secundär vereinigte Bündel erstrecken und endlich (e. c.) solche partielle, die nur an der Hülle eines primären Stran- ges sich gebildet haben. Dass diese Bilder nicht etwa auf eine Täuschung durch blosses An- oder Uebereinanderliegen mehrerer einzelner Stränge beruhten, davon überzeugten wir uns durch die sorgsamste Prüfung und theilen in Fig. 7. noch die Zeichnung eines Bündels mit, bei dem in a. a. a. die Einschnürungen der allgemeinen Hülle, in b. b. die Ein- schnürungen des einen nach oben gelegenen primären Bün- dels besonders deutlich sind. So wenig man nun geneigt sein wird, ein Netz elastischer Querfasern an primären Seh- nenbündeln anzunehmen, eben so wenig wird man diese Ein- schnürungen auf Rechnung solcher Fasern bringen können. Die ganze Reihe unserer Beobachtungen zeigte uns also als Quelle der Einschnürungen nirgends ein elastisches Fa- sernetz, sondern stets die unter dem Einfluss der Essigsäure wechselnde Beschaffenheit einer an den Zellstoffsträngen auf- tretenden Grenzschicht, die bald in verschiedener Richtung einriss und zu einschnürenden schmalen Zügen zusammen- schnurrte, bald sich nur dehnte und dadurch zu rosenkranz- förmigen Erweiterungen und entsprechenden Furchen Anlass gab, bald endlich einriss und durch die Ränder des Risses das Bild umspannender Fasern veranlasste. Kommen verwandte oder älınliche Grenzschichten an Bindesubstanzgebilden vor? Und wie ist ihr morphologisches Verhältniss zu deuten? Das sind die Fragen, die wir uns zunächst zu beantworten haben. Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 431 Zunächst dürfen wir das allgemeine Gesetz, dass das Bindegewebe, wenn es an Organen als umkleidende Hülle auftritt, sich in Schichten von lamellöser Textur ablagert, auch auf das sogenannte netzförmige Bindegewebe anwenden. Denn in diesem Verhältniss, als Organhülle, steht ja auch die Bindesubstanz im netzförmigen Bindegewebe. Sie um- hüllt hier Gefässe und Nerven, wie unsere Beobachtungen und entsprechende Luschka’s evident dargethan haben. Diese Gefässe und Nerven können freilich nicht in jedem, Strange des netzförmigen Bindegewebes mehr nachgewiesen werden; sie können geschwunden sein und zu Bindesubstanz umgewandelt, wie die Umbilicalvene zum Lig. teres, deswe- gen kann aber nicht angezweifelt werden, dass der Ausdruck „netzförmiges Bindegewebe*, wie Reich ert längst erwiesen hat, nur ein Structurverhältniss der Bindesubstanz, eine durch Gefässe und Nerven, denen die Bindesubstanz dient, an deren Aufbau in Netzform sie sich be- theiligt, veranlasste Ausbreitung bezeichnet, nicht aber eine Bindesubstanzform von eigenthümlicher histologischer Genese und besonderer Textur. Die Textur der netzför- migen Bindesubstanz ist dieselbe, wie sie die geformte Binde- substanz des sogenannten Sehnengewebes überall zeigt: sie besteht aus der feingestreiften Grundsubstanz und aus den stets: der Länge nach verlaufenden Spiralfasern (Bindesub- stanzkörperchen des Sehnengewebes). Die an ihr auf Zusatz von Essigsäure erscheinenden Einschnürungen erscheinen da- her auch in gleicher Weise nur weniger ausgebildet an den Sehnenbüudeln und den Bindegewebshüllen zarter Muskel- fasern. Die Bindesubstanz im netzförmigen Bindegewebe ist also nur Organhülle und als solche in Schichten von lamel- löser Textur abgelagert. Diese Schichten haben wir auch an dem von uns oben beschriebenen und (Fig. 1.) abgebil- deten Durchschuitt von Strängen der netzförmigen Bindesub- stanz nachgewiesen. Bei unserer Betrachtung der Einschnü- rungserscheinungen wurden wir aber auf eine Verschiedenheit der äussersten dieser Schichten, der Grenzschicht, von den inneren: Schichten hingewiesen. Luschka nimmt an, dass 432 Dr. E. Klopsch: diese so verschiedenartig sich darstellende Grenzschicht aus elastischer Substanz gebildet sei. Sollte darunter verstanden sein, dass in unserer Grenzschicht ein wirklich elastisches Gewebe, eine Verdichtung der bindegewebigen Grundsubstanz zu netzförmigen Faserzügen vorliege, so müssten wir ‘dem widersprechen. Beziehen wir aber den Ausdruck „elastische Substanz“ auf jene glashellen Membranen, in welche die In- tercellularmasse der Bindesubstanz durch Härtung und Ver- dichtung so häufig übergeht, ohne dass in ihr ein Fasernetz aufträte, so müssen wir der Ansicht Luschka’s durchaus beipflichten. Nach Reichert’s und Zellinski’s Untersu- chungen steht es fest, dass im Bindegewebe neben der leim- gebenden Substanz stets eine mehr oder weniger leucinge- bende vorkommt, und dass insbesondere nach aussen hin die Bindesubstanz sich häufig in Gewebsschichten abgrenzt, aus denen auch bei längerem Kochen 'kein Leim, wohl aber Leucin sich darstellen lässt. Mit diesen leucingebenden, glashellen Membranen, mit diesen zu elastischer Substanz verdichteten Grenzschichten der Bindesubstanz (wie wir sie in der Tunica Desmoursii, der basement membrane, der Tunica propria der Drüsen, dem Sarcolemma, der Primitivscheide der Nerven finden) glauben wir die Schicht an den Zellstoff- strängen des netzförmigen Bindegewebes identificiren zu müs- sen, welche auf Zusatz von Essigsäure die Einschnürungen zeigt. Ganz unhaltbar aber erscheint uns die Theorie, die Ley- dig aufstellt, um die Entstehung dieser Grenzschicht an den Strängen des netzförmigen Bindegewebes und ihre eigenthüm- liche Beschaffenheit zu erklären. Er adoptirt (Histologie p. 31 unten) die Vircho w’sche Theorie, dass die Bindegewebs- körper sternförmige und mit den Ausläufern anastomosirende Zellen seien, welche die Intercellularmasse zu cylindrischen, bänderartigen Strängen absondern, und wendet dieselbe auf das in Strängen erscheinende Bindegewebe an der Arachnoidea des Hirns und Rückenmarks an; die grossen zwischen den Strängen liegenden freien Räume setzt er nach Genese und Bedeutung ganz gleich mit den Bindegewebskörpern oder Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. 4353 den kleinen spaltförmigen Räumen des Bindegewebes. Aehn- lich nun, wie am Knorpel die Zwischensubstanz um die zel- ligen Theile herum sich zu den Knorpelkapseln verdichtet, ähnlich, meint er, hätte sich die Grundsubstanz um die aus- nehmend vergrösserten Bindegewebskörper — (sive Spalt- räume zwischen den Zellstoffsträngen) verdichtet, und so habe die elastische Haut, welche zu Spiralfasern zu zerklüften ver- möge, die Bedeutung einer festgewordenen Zellenmembran. Ja Leydig geht noch weiter. Er bezieht sogar (p. 32) die Einsehnürungen direct auf die queren Ausläufer der durch die Hohlräume vertretenen Bindegewebskörper.. Wir können dieser kühnen Erweiterung der Vircho w’schen Theorie nicht beipflichten. Denn einmal ist die Bindesubstanz an den Strängen des Subarachnoidalraumes nicht blos Intercellular- substanz des Bindegewebes, sondern sie ist Grundsubstanz mit Bindegewebskörperchen, Grundsubstanz mit Spiralfasern (Bindesubstanzkörperchen des Sehnengewebes). Die Binde- substanzkörperchen können darum ficht in den grossen Räu- men zwischen den Strängen gesucht werden; sie liegen deut- lich innerhalb der Stränge selbst und müssen sich dort vor- finden, weil diese Stränge überhaupt wohlgeformtes Binde- gewebe, nur mit einem eigenthümlichen Structurverhältniss sind. Ueberdies hiesse es wohl den Bindegewebskörperchen ein nirgends erwiesenes Wachsthum zutrauen, wenn man sie zu Lücken von !/, Zoll Länge und Breite auswachsen liesse, denn so gross und noch grösser sind in der That oft die Räume zwischen den Strängen in dem Subarachnoidalraum des Rückenmarks. Man sieht ferner die Einschnürungen keineswegs derart erscheinen, dass sie irgendwie für die queren Ausläufer der Bindegewebskörper gehalten werden könnten. Wir wenigstens können uns nicht denken, wie ein solcher Querausläufer die vollständig circuläre Einschnürung eines Stranges bewirken könnte, Fassen wir zum Schluss die Resultate unserer Ausein- andersetzungen zusammen, so ergiebt sich aus denselben, wie wir glauben, Folgendes: Müllers Archiv. 1857. 28 434 Dr. E. Klopsch: Ueber die umspinnenden Spiralfasern etc. 1. Die von Henle angenommenen umspinnenden Spiralfa- sern existiren nicht. Eben so wenig lassen sich die an den Strängen des sog. netzförmigen Bindegewebes bei Behandlung mit Essigsäure erscheinenden Einschnürungen auf ein Netz elastischer Querfasern (Henle) zurückführen. Sie sind vielmehr dadurch veranlasst, dass eine eigen- thümlich charakterisirte Grenzschicht der Stränge bei Be- handlung mit Essigsäure entweder a) partiell einreisse und den Bindegewebsinhalt wie durch eine Bruchpforte austreten lässt, oder b) an vielen Stellen ringsum einreisst und auf schmale Bänder zusammenschnurrt, oder c) sich nur rosenkranzförmig an einzelnen Stellen aus- dehnt. Die eigenthümliche Beschaffenheit dieser Grenzschicht kann nicht aus der histologischen Genese des netzförmi- gen Bindegewebs (urter Anwendung und Erweiterung der Virchow’schen Theorie vom Verhältniss der Bindege- webskörperchen zur Intercellularmasse) abgeleitet werden (Leydig); sondern erklärt sich lediglich daraus, dass die zwischen Arachnoidea und pia mater frei hinziehenden Nerven und Gefässe von Bindegewebe in einfacher oder complieirter Weise umhüllt sind und dass an dieser Um- hüllung die äusserste Schicht elastische Beschaffenheit an- nimmt; also aus dem Structurverhältniss des netzförmigen Bindegewebes. Diese Grenzschicht ist demnach histologisch den elasti- schen glashellen Membranen von grösserer Dichte und Härte gleichzustellen, in welche sich die Grundsubstanz des Bindegewebes so häufig umwandelt. Aehnliche durch den grossen Gehalt an elastischem Stoff ausgezeichnete Bindesubstanzlamellen finden sich mit den an ihnen erscheinenden Einschnürungen eben sowohl an zarten Muskelbündeln, wie an den Bündeln des Sehnen- gewebes und den Zellstoffsträngen, nur bei ersteren in geringerer Mächtigkeit vor. Ludwig Fick: Hand und Fuss. 435 Hand und Fuss von Lupwıe Fick in Marbure. Hand und Fuss. Wenn man berücksichtigt, dass seit langen Jahren die Aus- drücke Hand und Fuss als termini techniei in der zoologi- schen Classification verwendet und die Affen noch immer als Vier-Händer im Gegensatz zu den Menschen als Zweihänder speeifieirt werden, so sollte man vermuthen, es seien die be- treffenden morphologischen Verhältnisse erschöpfend festge- stellt; dennoch verhält sich die Sache nicht ganz so und es möchten die folgenden Betrachtungen über die genauere Be- griffsbestimmung dieser beiden Glieder trotz mehrerer höchst verdienstlicher einschlagenden Arbeiten nicht überflüssig sein. ‚Es lehrt der oberflächliche Augenschein, dass in der Oon- struction der Hand und des Fusses bis zu einem gewissen Grade ein und derselbe Typus herrscht, so wie auch die Lei- stung beider Glieder bis zu einem gewissen Punkte gleich- werthig ist. Ebenso lehrt aber auch die oberflächliche Be- trachtung, dass zwischen beiden Differenzen bestehen, durch welche der gemeinsame Grundtypus in beiden Gliedern in einer besonderen Variation sich darstellt. Diese Differenzen, verschiedene Leistungsfähigkeiten statuirend, stempeln die Hand, wie man sich ausdrückt, zum Werkzeug für das Ergreifen eines Objects, während die specielle Orga- nisation des Fusses diesen als die Stützfläche des auf- gerichteten Körpers signalisirt. Die Fähigkeit, mit Leichtigkeit ein Object zu fassen, welche auch der unteren 28* 436 Ludwig Fick: Extremität des Affen und zwar geradezu auf Unkosten der Qualification des Fusses zur platten Stützfläche des Körpers gegeben ist, hat die Zoologen bestimmt auch der unteren Extremität des Affen eine Hand zu geben. Wie sich diese, aus der oberflächlichen Betrachtung der Lei- stung abstrahirte Bestimmung zu dem inneren Mechanismus verhält, mag in folgendem betrachtet werden. Analogie der Hand und des Fusses. Lässt man zunächst alles unberücksichtigt, was die Diffe- renz zwischen Hand und Fuss statuirt, so lässt sich die fol- gende Analogie beider nicht bestreiten. Es zerfällt von dem Schulter- und Beckengürtel aus jede Extremität in ihrer Längenaxe in 4 auf einander folgende Abtheilungen, von denen jede für sich an der- rückwärts lie- genden Abtheilung bewegt werden kann. Diese 4 Abthei- lungen sind: Oberschenkel und Oberarm, Unterschenkel und Vorderarm, Fuss und Hand, Zehen und Finger. Schneidet man die Phalangen der Zehen und Finger von dem Fusse und der Hand ab, so sind noch alle Bewegungen möglich, welcher die Hand und der Fuss überhaupt fähig sind, ebenso bleiben nach Exarticulation der Hand und des Fusses noch die specifischen Bewegungen des Vorderarms und Unterschenkels möglich u. s. w. Es widerspricht diesem nicht, dass die betreffenden selbstständig arbeitenden Muskelgruppen mit ihren Bäuchen theilweise in einander geschoben und verwachsen, auch an vielen Stellen mit ihren Befestigungspunkten zwischen hete- rologe Abtheilungen eingeschoben sind. Im Verlaufe der Längenaxe zerfällt nun der Finger wie- der in 3, resp. 2 Unterabtheilungen — die Phalangen; die Hand aber und der Fuss theilen sich in die bekannten Un- terabtheilungen von Hand- und Fusswurzel, Mittelfuss und Mittelhand. Hand und Fuss. 437 Es sind aber die Unterabtheilungen der Finger und Zehen mit der Unterabtheilung des Fusses und der Hand nicht gleichwerthig. Es hat nämlich jedes Phalangenglied seinen besondern Muskel-Bewegungsapparat, welcher nach Abzug der peripherischen Abtheilung noch thätig bleibt, wogegen die Unterabtheilungen der Hand in carpus und metacarpus, so wie des Fusses in tarsus und metatarsus, nicht gegen ein- . ander bewegt werden, vielmehr mit der Entfernung des me- tacarpus und metatarsus die den carpus und tarsus bewegen- den Muskelapparate ausser Function gesetzt werden. Da also metacarpus und metatarsus die Bewegungen des carpus und tarsus (wenigstens grösstentheils) mitmachen, so muss die Bedeutung dieser Unterabtheilung anderweitig begründet werden. — Es zerfällt aber endlich der carpus und tarsus selbst in zwei weitere Unterabtheilungen, von denen die eine eben die Verbindung mit dem metacarpus und metatarsus herstellt, aber nur an hallux und pollux activ mit diesen ar- ticulirt, während zwischen ihr und cerus und antibrachium die andere carpus- und tarsus- Abtheilung sich befindet, durch welche die zwischen erus und antibrachium einerseits und metacarpus und metatarsus anderseits möglichen Activbewe- gungen regulirt werden. Neben dieser Gliederung des Extremitätenskelets in der Längenaxe geht wie bekannt die Gliederung der Haupt- und Unterabtheilungen im Querschnitt her, indem in der oberen wie unteren Extremität die erste Abtheilung einfach durch femur und humerus gestützt wird, beide sodann im Unter- schenkel und Vorderarm in zwei Knochen zerfallen, sodann die erste carpus- und tarsusreihe durch 3 Glieder gebildet wird, während die den metacarpus und metatarsus mit carpus und tarsus verbindende zweite Fuss- und Handwurzelabthei- lung aus 4 Knochen zusammengesetzt ist, und endlich am metatarsus wie am metacarpus 5 Zehen und Finger articuliren. Dass patella und os pisiforme diesen beiden Extremitäten gemeinsamen Typus nicht alterire, insofern sie nur Appendi- cularknochen einzelner Abtheilungen darstellen, welche unter Umständen in die Abtheilung einschmelzen, zu welcher sie 438 Ludwig Fick: gehören, ist so sehr allgemein anerkannt, dass es einer Rerht- fertigung nicht bedarf. Die Analogie der Leistung beider Extremitäten findet sich nun, wenn man zunächst von dem Mechanismus absieht, durch welchen sie ausgeführt wird, in folgenden Bewegungs- fähigkeiten. Die ersten Abtheilungen beider Extremitäten sind in den Pfannen ihrer Rumpfgürtel arthrodisch beweg- lich, d.h. sie können einen Bewegungskegel beschreiben, , dessen Spitze (Drehpunkt) in ihren Gelenkköpfen gelegen ist, während in der Basis des Kegels das peripherische Ende der Längenaxe in jeden beliebigen Punkt gestellt werden kann, auch können beide in jeder beliebigen Stellung, die sie innerhalb ihres Bewegungskegels einnehmen, um eine vom Drehpunkte durch die Basis gezogene Längenaxe rotirt werden. Die zweite Abtheilung, Vorderarm und: Unterschenkel sind an der ersten Abtheilung in beschränkter Articulation, im Ginglymus, um eine Queraxe beweglich. Die dritte Abtheilung, der Fuss und die Hand inne wieder arthrodische Bewegungskegel beschreiben, deren Dre- hungspunkte innerhalb der Hand- und Fusswurzel liegen. Ferner bewegen sich die Finger und Zehen abermals in kleineren arthrodischen Bewegungskegeln, deren Drehungs- punkte in den Köpfen der metacarpus- und metatarsuskno- chen liegen, während ihre Phalangengelenke nur ginglymisch beweglich sind. Wenn auch dem Maasse nach sehr ungleich, so können doch wie in der Hand so auch im Fuss. die fünfstrahligen Theile, die Glieder des metatarsus nämlich und die Zehen, in einer ebenen Fläche ab- und adducirt werden, und aus ihrer gewöhnlichen ebenen Durchschnittsfläche nach der Planta hin etwas concav gestellt werden. ° Endlich ist noch beiden gemeinsam die, gleiche Uufähig- keit der Finger und Zehen in ihren arthrodischen Metacarpal- und Metatarsalgelenken, gleich dem Oberarm und Oberschenkel activ um ihre Längenaxe rotirt zu werden. Hand und Fuss. 439 Unterschied zwischen Hand und Fuss. Beide Extremitäten unterscheiden sich zunächst dadurch, dass ähnliche Leistungen in analogen Abtheilungen beider Extremitäten dem Maasse nach verschieden ausgebildet sind, zweitens insofern in der einen Extremität die dem Wesen nach gleichartige Leistung durch einen andern Mechanismus zu Stande kommt, und endlich drittens, indem in jeder Ex- tremität wesentlich verschiedene Leistungen vorkommen. Die verschiedenen Leistungen und Mechanismen des Fusses und der Hand hängen aber mit entsprechenden Constructions- unterschieden im Arm und Schenkel zusammen, weshalb es sich rechtfertigt, wenn trotz der. Ueberschrift „Hand und Fuss“ die Betrachtung sich über die ganze Extremität er- streckt, weil der Unterarm oder Unterschenkelnicht beliebig eine Hand oder einen Fuss zu tragenim Stande ist, vielmehr ebenso durch ihre Construc- tion die Leistung der ihnen entsprechenden End- abtheilung bedingen helfen, wie umgekehrt ihre eigenthümliche Leistungtheilweise durch die Con- struction jener bedingt wird. Als Verschiedenheit der ersten Art fällt zunächst auf, dass der Ginglymus, welcher die Längenaxe der Extremität zwischen Ober- und Unterschenkel, so wie zwischen Ober- und Unterarm bricht, bei den meisten Säugethieren in eine andere Richtung zur Volarfläche der Hand als zur Plantar- fläche des Fusses gestellt ist. — Betrachtet man z. B. das Pferdeskelet, so ist die obere Extremität zwischen humerus und antibrachium nach vorn, an entsprechender Stelle die hintere Extremität nach hinten geknickt. — Sind beide Gin- glymi in Contraction, so entfernen sich die Endglieder der Extremitäten, welche sich nähern bei der Streckung. — Be- kanntlich stellt sich die Sache anders dar bei den Sauriern etc. Es wird als naturgemässe Stellung für die Vergleichung der oberen und unteren Menschenextremität gewöhnlich die der Stellung bei den meisten Säugethieren entsprechende ange- sehen und danach vorn und hinten bestimmt. Es ist dies 440 Ludwig Fick: unrichtig, da es nur auf die Stellung des Menschenarmes an- kommt, um den Parallelismus des Knie- und Ellenbogenge- lenks in ihrer Relation zu vola und Planta so herzustellen, wie er bei den Sauriern im Gegensatze zu den Säugethieren feststehender Charakter ist. Betrachtet man am Menschen die Bewegung des Kletterns, sö arbeiten beide Extremitäten in einer Stellung, in welcher sich der völlige Parallelismus in der Relation des Knie- und Ellenbogengelenks zur planta pedis und vola manus herstellt, wie er bei den Sauriern für alle ihre Bewegungsarten charakteristisch ist. Da nun, wenn man die Muskel- und Nervenapparate bei- der Extremitäten parallelisirt, die Analogien nicht hervortre- ten, wenn man den Knie- und Ellenbogenginglymus oppo- nirt, wie beim Pferde, dagegen sofort in die Augen springen, wenn man die Stellung der Saurier oder die menschliche Kletterbewegung unterlegt, so geht daraus hervor, dass diese letztere. Stellung die dem Grundplan der Extremitätenorga- nisation des Wirbelthieres entsprechende, die Säugetbierstel- lung aber eben eine für sie charakteristische Modification des Grundplans, und endlich die Fähigkeit des Menschen- armes sowohl parallel dem Schenkel, wie demsel- ben gegenüber gedreht, zu arbeiten, eben wieder den Arm des Menschen auszeichnet. Es ist daher unrichtig, die Sache so aufzufassen, als ob die der Kuniestel- lung opponirte Ellenbogenstellung die natürliche des Men- schen sei, sondern es muss eben die Fähigkeit des Menschen- armes, in beiden Stellungen zu functioniren, als charakte- ristisch für ihn der ausschliesslichen Function des Kniegelenks nach der einen Richtung gegenüber gestellt werden. Eine fernere Verschiedenheit der ersten Art zwischen oberer und unterer Extremität liegt darin, dass die Axe des Bewegungskegels, welchen die Hand am Vorderarm be- schreibt, in die Verlängerung der Armaxe fällt, während der Bewegungskegel, welchen der Fuss am Schenkel ausführt, so gestellt ist, dass seine mittlere Axe einen Winkel mit der Schenkelaxe bildet. Die Verlängerung der Schenkelaxe fällt in die Peripherie des Kegels, in welcher der Fuss sich ein- Hand und Fuss. 441 stellt und die Basis des Bewegungskegels des Fusses ist nach innen und vorn gegen die verlängerte Medianebene des Körpers gerichtet, so dass bei Parallelstellung beider Unter- schenkel die Plantarflächen beider Füsse gegen einander ge- richtet werden können. Eine weitere Verschiedenheit der ersten Art besteht darin, dass die Leistungen des metacarpus sowohl, wie der Finger, in der’oberen Extremität dem Maasse nach viel freier ent- wickelt sind, als die entsprechenden in der anderen. Während unbedingt jede Menschenhand so hohl gemacht und ihre Finger so geschlossen werden können, dass ein kleiner Gegenstand in der vola manus vollkommen verborgen werden kann, so können auch bei stärkster Uebung der Hallux und die kleine Zehe des Fusses sich nicht decken. Eine wesentliche Verschiedenheit der zweiten Art ist darin begründet, dass die kegelförmige Bewegung des Fusses an dem Unterschenkel von der entsprechenden Bewegung der Hand nicht nur in Richtung und Maass verschieden ist, sondern durch einen wesentlich verschiedenen Mechanismus ausgeführt wird. Beide Bewegungskegel haben keine kreis- förmige, sondern eine ovale Basis, d. h. die Bewegung des Fusses wie der Hand ist in der Richtung der Flexion und Extension freier, als in den beiden Seitenrichtungen, die oval- förmige Basis des Bewegungskegels ist also mit den Spitzen des Ovals nach Plantar- und Dorsalfläche hin gerichtet. Es rührt dies daher, dass: in beiden Gliedern ein ziemlich be- trächtlicher Ginglymus noch zu .den Gelenken, welche die arthrodische Bewegung ausführen, hinzukommt. Die ganze arthrodische Bewegung aber, in welcher die Hand als totum betrachtet, diesen Kegel mit ovaler Basis beschreibt, kommt bei der oberen Extremität zu Stande, durch eine Arthrodie in der articulatio carpi et antibrachü, zu welcher noch ein nach Dorsal- und Volarfläche gerichteter Ginglymus zwischen prima series und altera series der Öarpusknochen hinzukommt. Diese beiden Carpusgelenke werden durch dieselben Muskeln bewegt (flexores und extensores carpi), welche mit Ausnahme des flex. carpi ulnaris sich an der zweiten Carpusreihe und 442 Ludwig Fick: über dieser hinaus befestigen, so dass man durchaus nicht im Stande ist, eines dieser Gelenke allein zu bewegen und das Maass, in welchem die beiden hier combinirten Gelenke factisch angesprochen werden, nicht von direeten Einflüssen, sondern von den Gegenwirkungen abhängig ist, welche ver- anlassen, dass bei dem Muskelzuge bald beide bis zur Er- schöpfung ihrer Bewegungsmaxima, bald gleich, bald ungleich angesprochen werden. Die Wirkung des flex. carpi ulnaris geht zwar zunächst auf das os pisiforme, durch dessen starke Bandverbindung mit dem hamatum aber nothwendig in dem- selben Grade, wie die der übrigen musculi carpi, auch auf die zweite Carpusreihe. Es wird hierdurch veranlasst, dass dieser Muskel, wenn er allein zieht, weniger als die übrigen musculi carpi den Ginglymus zwischen erster und zweiter Carpusreihe erschöpfen kann. Es ist bei diesem Artieulationsmechanismus noch von Wichtigkeit, dass die lockere Verbindung der Einzelknochen der ersten Öarpusreihbe unter sich, ein ziemlich starkes Wackeln derselben untereinander zulässt, welche Wackelbewegung in dem Gelenk des pisiforme gipfelt. Ferner ist zu bemerken, dass die festere Verbindung der Carpusknochen der zweiten Reihe unter sich die Veranlassung ist, dass ausser den speciellen motores des carpus an der Daumenseite auch noch ein ab- gesonderter Daumenmuskel der extens. pollicis abductorius (bicornis, abductor long. poll.) wegen seines Flechsenstrahles an das multangulum majus im Stande ist, den Ginglymus zwischen erster und zweiter. Öarpusreihe anzusprechen. Die lockere Gelenkverbindung zwischen erster Carpusreihe und antibrachium lässt passiv eine kleine Rotationsbewegung der Hand um ihre Längenaxe zu, welche besonders nach der kleinen Fingerspitze hin ziemlich frei ist, diese Bewegung aber kann durch den Muskelapparat, welcher die Hand im Ganzen bewegt, niemals direct ausgeführt werden. Ganz anders ist der Mechanismus, welcher die kegelför- mige Bewegung des Fusses ausführt. — Hier articulirt bekanntlich mit dem Unterschenkel einzig und allein der aus der Mitte der 3 Tarsusknochen erster Hand und Fuss, 443 Reihe hervorgehobene talus und zwar im sehr freien Gin- glymus, sodann an ihm in einer ganz eigenthümlichen Weise der übrige tarsus, und zwar so, dass unter Mitbenutzung des Ginglymus zwischen talus und crus wiederum ein mit ovaler Grundfläche nach Beug- und Streckseite erweiterter Bewegungskegel durch die Bewegung zwischen talus, navicu- lare und calcareus zu Stande kommt, in welchem zu- gleich noch eine kleine Rotation um eine von der Ferse nach der Fussspitze laufende Längenaxe, durch dieselben Muskeln ausführbar ist. In der Fusswurzel liegt also die Ginglymusaxe hinter dem arthro- dischen Drehungspunkt, während in der Handwurzel das gin- glymische Gelenk vor dem arthrodischen liegt. Auch hier setzt sich kein Muskel an den talus fest, aber hier können alle 3 möglichen Bewegungen, Ginglymus, Seitenbewegung und Rotation eben sowohl isolirt ausgeführt, wie combinirt werden. Als Unterschied der dritten Artendlich tritt sofort entge- gen, dass die Rotation um die Längenaxe, welche der Hand we- nigstens als Activbewegung völlig fehlt, in der bekannten, höchst vollendeten Weise durch die Pro- und Supination des Radius ausgeführt wird, welche in jeder beliebigen Gingly- musstellung des antibrachium am brachium,, in jeder beliebi- gen Stellung des carpus am antibrachium ausführbar, ihre volle Leistung auf die lediglich mit dem Radius in directer Verbindung stehende Hand erstreckt. Kann der Fuss ein klein wenig selbstständig rotirt werden in seinem tarsus, so erweitert sich durch diese sehr geringe Rotation der Bewe- gungskegel des Fusses nicht, während die mit dem Radius geradezu um das feststehende Capitulum der Ulna herum- laufende Hand hierdurch eine ganz ausserordentliche Erwei- terung ihres Bewegungskreises erhält. Es läuft die Rota- tionsaxe des Radius oben durch das capitulum radii, unten durch das capitulum ulnae. Ergänzt wird wiederum die geringe selbstständige Rotationsfähigkeit des Fusses durch die in allen Stellungen — welche nicht die Seitenbänder span- 444 Ludwig Fick: nen — mögliche Rotation des ganzen Unterschenkels im Kniegelenke. Von Wichtigkeit ist hierbei, dass die Rotation der unteren Extremität sowohl im Kniegelenk wie des Fusses in den Tarsusgelenken nur Nebenleistungen derjenigen Muskelgrup- pen sind, welche die übrigen ginglymischen und arthrodischen Bewegungen der betreffenden Abtheilungen ausführen, dass mit einem Worte eine selbstständige Rotationsmusculatur an der unteren Abtheilung der unteren Extremität nicht existirt. — Dagegen wird die Rotation des Radius, wie sie denn auch unabhängig in allen beliebigen Hand- und Armstellungen be- werkstelligt werden kann, durch selbstständige Rotations- muskeln ausgeführt. Bekanntlich sind von den Muskeln, welche die Rotation des Radius ausführen, mehrere nicht reine Rotatorien, sondern haben noch anderweite flexorische Nebenwirkungen (supinator und pronator long.), auch ist der Einfluss des Biceps auf die Supination des Radius eben wohl nur eine Nebenwirkung des unter allen Umständen fleetiren- den, also mit Recht den flexores zugezählten flexor anti- brachii radialis, wodurch auch im Arm eine dynamische Association und Uebergang der Rotation in die Flexion prä- destinirt wird; allein der supinator und pronator brevis blei- ben als specifische Repräsentanten der Rotationsfähigkeit des Radius ohne irgend eine Nebenwirkung; während der einzige Muskel, welchen man als rotator genu ebenfalls ansprechen könnte, der popliteus, immerhin noch eine flexorische Neben- wirkung hätte. Der Muskelsachverhalt wird aber ganz be- sonders hervorzuheben sein, da er das entscheidende Moment für die Organisationstypen der Bewegungsapparate enthält. Da die Formen der Knochen in derselben Species ausser- ordentlich variiren und durch allerlei Momente, welche ausser- halb derselben liegen, modifieirt werden können (man denke nur daran, dass die Länge des Fersenfortsatzes sogar inner- halb der kaukasischen Race um einen vollen Pariser Zoll varüirt, man denke an den Negerfuss u. s. w.), so ist für die specifischen Formen der einzelnen Organisationstypen von den Knochen nur die Form der Gelenkfläche entscheidend. Hand und Fuss. 445 Und auch diese ist bei den einzelnen Subjeeten derselben Species oft sehr verschieden, wiewohl immer nur dem Grade der Entwicklung nach, so dass freilich niemals verschiedene Arten der Articulationsflächen in einander übergehen, ohne eine specifische Aenderung des Organisationstypus anzudeuten. Es können nämlich alle charakteristischen Arten der Gelenke, die arthrodischen allseitig beweglichen Gelenkköpfe, wie die ginglymischen und die rota- torischen einseitig beweglichen Rollflächen, wie endlich die sattelförmigen Gelenkflächen verküm- mernundsichinblosseamphiarthrodische Wackel- gelenkflächen abflachen, bei dennoch gleichge- bliebenem Organisationstypus, aber niemals kann eineder dreigenannten charakteristischen Arten iin dieandere übergehen. Es kann also ohne Veränderung des gesammten Organisationstypus, an der Stelle, welche einen Ge- lenkkopf enthält, niemals eine trochlea oder eine Sattelfläche ste- ben, wohl aber kann jede der 3 Formen unter einer platten Wackelfläche gleichsam versteckt sein. Wenn nun in dieser Beziehung die identischen Gelenkflächen auf nicht wesentlich verschiedene Organisationstypen mit gutem Rechte "schliessen lassen, so bezeichnen dennoch auch die Gelenkflächen den Organisationstypus noch nicht völlig erschöpfend, da z. B. ein arthrodischer Gelenkkopf den Rotationsapparat vielleicht entbehren und ein völlig analog gebildeter denselben haben kann. Um also verschiedene Organisationstypen eines Be- wegungsgliedes erschöpfend zu charakterisiren, wird die Ab- wägung der betreffenden Muskelmechanismen vollkommen un- entbehrlich sein. M Es werden aber für die Analyse der Muskelform folgende Gesichtspunkte festzuhalten sein. 1) Da ein Muskel oft ver- schiedene Bewegungen ausführen kann, so wird zu unter- scheiden sein zwischen Haupt- und Nebenwirkung. 2) Da ein Muskel häufig auf mehrere Gelenke wirken kanf, so wird zu unterscheiden sein, welchen der durch ihn in Bewe- gung versetzten er wesentlich angehört. Es ist 3) klar, dass Muskeln, deren mittlere Zugkraft, wenn man sie in ihre ein- 446 Ludwig Fick: zelnen Componenten auflöst, sich aus vielen verschiedenen, auf einen Punkt zusammenlaufenden Zugkräften componirt darstellt — in der ungleichen Kraftentwicklung ihrer einzelnen Componenten die Fähigkeit haben — Nebenwirkungen ausser ihrer mittleren Wirkung — darzustellen, während dies bei Muskeln, deren sämmtliche Zugkräfte parallel wirken, nicht der Fall ist. — Es ist leicht abzusehen, dass ein der- gleichen aus ungleich gerichteten, aber auf einen einzigen Punkt convergirenden Kräften combinirter Muskel wohl ge- nauer als eine Muskelcombination, denn als eine wirkliche Einheit anzusehen ist, und es wird deshalb einleuchtend sein, dass das Zerfallen von dergleichen Muskelcombinationen in mehrere factisch getrennte Muskeln und umgekehrt das Zu- sammenschmelzen (Verwachsen) mehrerer aus bestimmten Richtungen auf einen Punkt wirkender Muskeln für die Cha- rakteristik eines bestimmten Organisationstypus nur geringere Wichtigkeit hat. Betrachten wir aber in diesem Sinne die ausführende Musculatur der Carpus- und Tarsusbewegungen, so zeigen sich hier folgende wesentliche Verschiedenheiten. Die Muskeln, welche die Hand in der Arthrodie am anti- brachium ®ewegen, sind: die flexores carpi, ulnaris, radialis und palmaris, so wie die extensores carpi, radialis pri- mus, secundus und ulnaris. Die drei letzteren inseriren sich zwar an die ossa metacarpi, jedoch so dicht an ihren Basen, dass die zwei extens. radiales auf die festen Verbin- dungen zwischen metacarpus indicis und medii mit der zwei- ten Carpusreihe gar nicht wirken können, vielmehr auf meta- carpus und zweite Carpusreihe als auf eine Einheit gleichmässig wirken, während der extens. carpi ulnaris die etwas lockere amphiarthrosis zwischen minimus und hamatum allerdings merklich anspricht, bevor seine volle Wirkung auf den carpus zu Stande kommt. Die 3 flexores wirken auf den ganzen carpus mit dem palmaris, welcher an dem ligamentum carpi volare proprium befestigt ist und über dieses hinaus noch die ganze vola anzieht, — auf die feste Verbindung zwischen metacarpus indicis und multangulum minus mit dem flex. carp. radialis, — auf das hamatum (medio des pisiforme) Hand und Fuss. 447 mit dem flex. ec. ulnaris. — Diese 6 Muskeln. reichen voll- kommen hin, um durch ihre concurrirende und alternirende Contraction alle die dem carpus (zwischen ihm und antibrach. sowohl, als zwischen erster und zweiter Carpusreihe) eigenen Bewegungen auszuführen, mit Ausnahme der geringen Rota- tion, welche nur passiv ausführbar ist, wenn man den Radius in einem Schraubstock fixirt und nun die Hand als Ganzes zusammenfassend bewegt. Es können diese musculi carpi aber diese Rotation nicht bewirken, weil die Flechsen der flexoren überall durch die Fascialbänder ganz dicht an die Knochen angeschlossen liegen, während am Füsse die Win- kelstellung der Längenaxe des Fusses zu der Längenaxe des Unterschenkels und der grosse Spielraum, den die Fascial- bänder den Sehnen des peroneus tertius und des tibialis anticus gestatten, dies möglich machen. Die 6 eigenthüm- lichen Carpusmuskeln haben dagegen sämmtlich noch eine Nebenwirkung auf das Cubitalgelenk, da sie über den Vorder- arn bis an den Oberarm zurückspringen und desshalb bei voller Flexorwirkung die Beugung des carpus mit einer Beugung der ulna und umgekehrt verknüpfen. Die vom Arm über die Carpusgelenke wegspringenden Fingermuskeln können zwar ihrer Lage nach eine Neben- wirkung auf die Carpusgelenke ausüben, sind aber nicht zu den Bewegungen in denselben nothwendig. Die völlige Freiheit in der Fingerbewegung bei jeder beliebigen Carpus- stellung beweist, dass auch die Wirkung der Fingermuskeln, welche mit den Carpusmuskeln zusammenlaufen, dynamisch isolirt ist. Die Daumenmuskeln sind aber mechanisch und dynamisch völlig von den Carpusmuskeln getrennt, da die extensores und abductores des Daumen nicht mit den ex- tensores an den humerus zurückgehen, sondern (gekreuzt mit den extensores carpi) nur vom Vorderarm entspringen und nur der flexor pollicis longus gewöhnlich einen ganz kleinen, jedoch isolirten Zipfel an den Oberarm heraufsendet. — Berücksichtigt man, dass der extensor pollicis abductorius, bicornis, von seinen 2 Sehnen die eine an das os multangulum majus, die andere an den metacarpus pollicis befestigt und 448 ' Ludwig Fick: dass man in der That das os multangulum majus mit dem ganzen Daumen exarticuliren kann, ohne die Leistung der Carpusarticulation aufzuheben, so ist charakteristisch für die Carpusleistung, dass siein die Fingerleistung fast gar nicht eingreift und den Daumen auf das Vollkom- menste frei lässt, während sie selbst mit den Lei- stangenim OCubitalgelenk mechanisch verknüpftist. Ganz anders verhält sich die entsprechende Museulatur der unteren Extremität. Den 6 Motoren des carpus ent- sprechen hier: musculus suralis, plantaris long., tibialis anticus, tib. posticus, peroneus longus, brevis und tertius. Von diesen entspricht der tibialis anticus seinem Ansatz nach ge- nau dem extensor pollieis abductorius (abductor bicornis), in- dem er an das os metatars. hallueis und an den Tarsusknochen, welcher den Daumen trägt (os cuneiforme prim.), sich ansetzt. Wollte man jedoch diesen Muskel wegen dieses Ansatzes als Halluxmuskel ansprechen, so würde für die den 3 extensores carpi analoge Bewegung am Fusse allein der peroneus .tert. übrig bleiben, welcher überdies fast ganz mit dem extens. comm. digit. long. verwachsen, weniger Selbstständigkeit als alle übrigen Tarsusmuskeln besitzt. Es würde hieraus die Annahme folgen, dass die Dorsalbewegungen des Fusses lediglich durch die Zehenstrecker und den peronaeus tertius ausgeführt würden, was dem factischen Bestand völlig wider- spricht. Ausserdem aber, dass der blosse Augenschein bei jedem nackten Fusse lehrt, dass der tibialis anticus gerade einer der aller unentbehrlichsten motores für die tarsusbe- wegungen ist, sind wir geradezu genöthigt, ihn als tarsus- muskel anzusprechen, weil ausser ihm gar kein anderer Muskel vorhanden ist, welcher auf der Rückfläche dem wich- tigen Gelenk zwischen talus einerseits und naviculare und calcaneus andrerseits entspricht, welches Gelenk er wegen der festen unbeweglichen Verbindung der zweiten Tarsusreihe unter sich und mit dem naviculare, mit grosser Leichtigkeit in Bewegung setzt. Endlich aber unterscheidet sich der tibialis ant. von dem abd. pollic. long. vollkommen in dem centralen Ansatze, indem der abd. poll. mit den extensores Hand und Fuss. 449 carpi gekreuzt an der ulnarseite des antibrechium entspringt, dagegen der Tibial. anticus auf der Tibialseite inserirt ist. Da der Tibialis anticus also als der ausgiebigste motor unter den Tarsusmuskeln festgehalten werden muss, da er aber gleich- wohl zugleich ein Extensor abductorius hallueis ist, so ist die Sache so zu fassen, dass uns hier in der Verschmelzung eines gemeinschaftlichen Flexor pedis tibialis und Ext. hallueis ab- ductorius zum Muse. tibia. anticus, ein vollkommen specifischer Unterschied zwischen Handdaumen und Fussdaumen, zwischen Hand und Fuss gegeben ist. — Während jede beliebige Carpusbewegung nicht allein den Daumen, sondern sogar sei- nen Träger (Os multang. maj ) völlig frei lässt, so setzt jede Dorsalbewegung des Tarsus eine bestimmte und zwar abductorische (spreitzende) Bewegung des Fuss- daumens fest. — Dasselbe Verhältniss wiederholt sich aber in der Sohlenfläche, indem hier einer der beiden Muskeln (Peroneus long. und brey.), welche dem Flex. carpi ulnaris ungefähr entsprechen, quer durch die Fusssohle bis an den Metatars. hallucis hinläuf. Während also der Tibial. anticus bei allen nach dem Dorsum gerichteten FussbewegungendenHallux in gespreitzter Abduc- tion fesselt, so involvirt jede kräftige Fussbewe- gung nach der Sohlenfläche hin, zugleich eine kräftige adductorische und flexorische Bewegung des Hallux. — Somit ist also das im Handdaumen völlig freie Sattelgelenk zwischen Daumen und Carpus am Fusse nach beiden Seiten hin völlig gefesselt und den Fusswurzel- bewegungen einverleibt und untergeordnet. -—- An der kleinen Fingerseite greift nicht nur der Peroneus tertius gleich dem Ext. carp. ulnaris bis an den dten Mittelfussknochen über, sondern auch der dem Flex. carp. ulnaris theilweise ent- sprechende Peroneus brevis s. secund. Es ist also auch die kleinste Zehe viel vollständiger dem Einflusse der Tarsal- motoren ausgesetzt, als bei der Hand, und ebenso wie die grosse Zehe bei kräftiger Dorsalbewegung in gespreitzter und bei Plantarbewegung in adductorischer Flexion gefesselt. Wäh- rend am peripherischen Ende die Tarsalmotoren in die Frei- Müllers Archiv, 1857, 29 450 Ludwig Fick: heit der Finger viel weiter übergreifen, als an der Hand, ist dagegen rückwärts, mit Ausnahme der zwei Gastrocnemii, der Mechanismus des Kniegelenks vollständig aus ihrem Wirkungs- kreise erlöst. Die Gastrocnemii aber, weil sie doppelt und völlig getrennt sind, unterstützen noch den Mechanismus des Kniegelenks nach beiden Seiten hin, indem sie sowohl die Flexion desselben, wie die Rotation desselben unterstützen können. Die Analogien, welche sich aus der Vergleichung der Wadenmuskeln mit dem Rotationsapparate des Radius ergeben, liegen der nächsten Aufgabe fern und ist desshalb hier nur noch anzuführen, wie durch die Winkelstellung des Fusses zur Schenkelaxe und durch grosse Entfernung der Insertionspunkte der Tarsusmotoren von der Ginglymusaxe des Talus bei den gegebenen Gelenken des Tarsus die arthro- dische und rotatorische Leistung des Fusses, durch die Tarsus- motoren möglich gemacht wird. Wenn wir uns nun endlich zum letzten Unterschied wen- den, nämlich zur Vergleichung des Hand- und Fussdaumens selbst, so ist schon in dem vorhergehenden soeben ein wesent- licher Unterschied angegeben. Es ist zunächst hervorzuheben, dass es falsch ist, wenn man glaubt, die grössere Beweglich- keit des Daumens sei zurückzuführen auf einen specifischen Unterschied zwischen der Gelenkfläche des Daumens am multangulum majus und des Hallux am cuneiforme prim. Beide Gelenkflächen gehören in die Klasse der Sattelgelenke und beide lassen eine allseitige Bewegung zu, in beiden ist die Bewegung nach 2 sich schneidenden Ebenen hin etwas freier als nach den in den Winkeln gelegenen Richtungen. Wenn man bei den meisten Füssen das Sattelgelenk zwischen Hallux und cuneiforme primum sehr abgeflacht fin- det, so ist diese Verkümmerung lediglich die Folge der Fuss- bekleidung und ich habe schon öfter Menschenfüsse beob- achtet, wo dieses Gelenk zwar nicht vollkommen so frei wie bei dem Affenfusse, aber doch bedeutender freier, die Sattel- fläche bedeutend deutlicher entwickelt war, als man gewöhn- lich findet. Analysirt man beide pollex und hallux auf ihre Analogie, Hand und Fuss, 451 so hat man in beiden eine Nagelphalanx, welche durch einen besonderen Beuger und Strecker im Ginglymus bewegt wird, sodann eine andere Phalanx, welche auf dem sehr flachen Ge- lenkkopf des Metacarpus und Metatarsus durch einen compli- eirten Muskelapparat abermals ginglymisch und nicht wie die übrigen Finger auf den Köpfen ihrer Träger (Metac. und Metatars.) arthrodisch bewegt werden. Die combinirten Mus- kelapparate, welche im Hallux wie Pollex sich an die erste Phalanx inseriren, springen nämlich in beiden übereinstimmend über das Os metacarpi und Os metatarsi zurück und bewegen mit der Phalanx zugleich diese Glieder in ihren sattelförmigen Articulationen am Carpus und Tarsus. Dieser Muskelapparat besteht in beiden aus mehreren, jedoch mehr oder weniger verschmolzenen Muskeleinheiten, die aus der ganzen Vola und Planta von den Köpfen des Metacarpus an bis zur ersten Carpus- reihe sich sammeln und nach der Volarfläche der ersten Pha- lanx convergiren. -Sie werden bekanntlich zerfälltin 1) Portio adducens, welche sich vom Metacarpus und Metatarsus und der 2ten Reihe des Carpus und Tarsus sammelt. Bekanntlich zer- fällt diese Portion beim Fusse in die beiden Unterabtheilungen des Adductor longus und transversalis, während man die in derHand gewöhnlich nur biszum Metatars. medii reichende querlaufende Portion (transversalis) mit der schief vom Os capitatum herablaufenden Portion (Adductor long.) zusammen als Adductor bezeichnet. 2) Portio flexoria in beiden Fällen an die beiden Sesambeine sich festsetzend, in beiden Fällen ein kleiner Musculus biceps, dessen einer Kopf mit der Portio adducens verwachsend an das eine Sesambein, während der andereKopf mit der Portioabducens verwachsen andas andere Sesambein sich festsetzt. 3) Ein Portio abducens, welche im Fuss einen Museulus biventer darstellt, dessen flechsige Mitte am cuneiforme befestigt ist, während der zweite Bauch bis zur Ferse reicht. In der Hand reicht die Befestigung des Abducens ans Ligament. carp. volar. — Sodann breitet sich auf dem Rücken der ersten Phalanx bei beiden die Sehne eines beson- deren Extensor brevis aus, der beim Daumen über das Hand- gelenk zum Vorderarm zurückspringt, beim Fusse aber von 29* 452 Ludwig Fick: dem Fussrücken herkommt. — Es ist leicht einzusehen, dass bis hierher in dem Muskelapparat beider, auch in der Wirkungs- weise desselben kein wesentlicher Unterschied stattfindet, da- gegen bleibt, wenn man die beiden Phalangen des Daumen und grossen Zehen exarticulirt, am Os metacarpi pollicis noch ein besonderer Muse opponens pollieis und der Abductor pollieis bi- cornisübrig, welche auch dann noch nach Entfer- nung der Phalangen einer Extensio abductoria und einer Flexio opposita, unabhängig vonallen Handbewegungen, zu Stande bringen können, während am Fusse der Opponens völlig fehlt und der Bi- cornis durch den Tibialis antieus ersetzt wird, mit andern Wor- ten jede selbstständige, von der Bewegung des Fusses im Fussgelenke unabhängige Bewegung des Os metatarsi hallucis fehlt. Vergleicht man nun, nachdem wir gesehen haben, dass keineswegs nur ein verschiedenes Maass einer gleichartigen Bewegungsweise, sondern vollkommen verschieden geartete Gelenk- und Muskel-Mechanismen, den Unterschied zwischen Hand und Fuss, den Unterschied zwischen Daumen und grosser Zehe begründen, die Extremitäten des Affen mit denen des Menschen, so findet sich bei dem menschenähnlichsten aller Affen, dem Simia troglodytes, dessen Fussdaumen äusserlich die meiste Aehnlichkeit mit dem Handdaumen bietet, bei sorgfäl- tigsterPräparation, dass den Füssen dieses Affen kein einziges den Menschenfuss wesentlich charakterisirendes Moment fehlt, dass ebenso dessen Hand in allen wesentlichen Momenten mit dem menschlichen Organisationstypus übereinstimmt. Der Handdaumen ist bei diesem Affen genau ebenso aus dem Be- wegungsapparat der Carpusgelenke losgegeben wie bei dem Menschen, dasCarpusgelenk ist dem menschlichen vollkommen analog, dıe grosse Fusszehe entbehrt, wie bei dem Menschen, des Musculus opponens und Extensor abductorius proprius und wie bei dem Menschen ist dasOs metatarsi hallueis dem tibia- lis und Peroneus longus unterworfen, also die Stellung dessel- ben von den Tarsusbewegungen abhängig, welche auch hier ge- Hand und Fuss. 453 nau wie im Menschenfusse geartet sind, wie bei dem Menschen giebt der Flexor hallueis longus Sehnenzipfel an die anderen Zehen. -— Die Abweichungen sind lediglich Verschiedenheiten in den relativen Maassentwicklungen der einzelnen, die Extre- mitäten combinirenden Momente, oder kleinere formelle Ab- weichungen der einzelnen Factoren, welche ebenfalls keine wesentliche Unterschiede, sondern kleine Variationen eines identischen Organisationstypus darstellen. Da bei dem von mir untersuchten Chimpanse, dessen Grösse mit dem von V rolik beschriebenen (Recherches d’ana- tomie comparee sur le Chimpanse, Amsterdam 1541) ungefähr übereinstimmt, der Muskelverhalt der Fusssohle nicht völlig mit den Vrolik’schen Angaben zusammentrifft, so will ich die abweichenden Muskelconstructionen etwas genauer angeben. In der Fusssohle besitzen alle 4 Zehen deutliche Lum- bricalen und starke Sehnen eines Flexor perforans; mit Aus- nahme des kleinen Zehen, sind auch die übrigen mit Flexores perforati versehen. - Die Art und Weise aber, wie diese Zehen- muskeln sich bilden, gestaltet sich wie folgt. Der Flexor digitorum brevis entspringt an der Ferse, zwi- schen dem Hallux und Kleinzehenballen wie gewöhnlich, liefert aber nur Primus- und Mediusflechsen, welche hier als Flexores perforati regelmässig verlaufen. - Der Flexor digitorum longus hat keine rückwärts laufende Caro quadrata Sylvii, dagegen entspringen an ihm Muskelbäuche, welche nach den 4 Zehen hin verlaufen und zwar 2, welche an Primus und Mini- musalsLumbricales verlaufen und 2 andere, welche an Medius und Tertius als Flexores perforati verlaufen, indem die zum Medius laufende Portion vollkommen mit der Portion ver- schmilzt, welche der Medius vom Flexor digitorum brevis er- halten hat. — Die Fortsetzung der vom Unterschenkel herab- steigenden Flechse spaltet sich in 2 Portionen, welche im Pri- mus und Minimus als Flexores perforantes verlaufen. Die Portion der kleinen Zehe ist noch durch einen kleinen Muskel- bauch ausgezeichnet, welcher gleichsam den nicht losgetrennten Perforatus darstellt. Der Flexor hallucislongus liefertendlich, ausser dem 454 Ludwig Fick: starken Flechsenstrahl für den Hallux, zwei starke als Flexores perforantes verlaufende Strahlen für Medius und Tertius und 3 Lumbricalmuskeln, von welchen der äusserste mit dem Lum- bricalis, welchen der Minimus von dem Flexor digitorum com. long. empfängt, zusammenschmilzt, während die beiden andern an Tertius und Medius vertaufen. In der Hand bemerke ich, abweichend von Vrolik, keinen abgesonderten Extensor pollieis brevis, der durch die Aponeu- rosen des Extensor pollieis longus und abductorius (bicornis) ersetzt wird. Sodann gehen die Muskelbäuche des Extensor digitorum communis so weit am Vorderarm herab, dass der Bauch desExt. indieis proprius mit dessen Ulnarende vollkom- men verschmolzen ist. Wenn dieZehen des Affenfusses in ihrem relativen Grössen- verhältniss weniger den Zehen des Menschenfusses als den Fingern der Hand entsprechen, so ist dies unwesentlich, da der Mechanismus derselben genau dem des Menschenfusses entspricht. Wenn die Bewegung des Hallux am Affenfusse allerdings weiter entwickelt ist, als bei dem Menschenfusse, so ist an der verkümmerten Bewegung des Menschenhallux zum . sehr grossen Theile die Fussbekleidung Schuld, was der Kin- derfuss der Culturvölker, sowie der Fuss der Neger, der Malaien ete. zur Genüge darthun. Wenn die Insertion, des Transversalis plantae etwas weiter beim Affenhallux nach der Zehenspitze hinauf greift als beim Menschenhallux, auch der Ursprung in der Fusssohle etwas mehr der gewöhnlichen Form des Ursprungs des Adducens pollieis als dem Adducens trans- versalis hallueis zu entsprechen scheint, so ist auch dies bei genauer Prüfung der vielfachen und häufig der Affenform so entsprechenden Variation dieser beiden Muskeln bei dem Men- schen eine verschwindende unwesentliche Variation, gegenüber den Verhältnissen, welche die wesentliche Identität desHallux beim Affen mit dem Hallux des Menschen begründen. E. Burdach schliesst seine Abhandlung ‚‚Beitrag zur ver- gleichenden Anatomie der Affen” mit dem Satze: S. 1038: „Es liesse sich nun wohl noch nachweisen, dass die menschliche - Hand auch als Tastorgan den Vorrang vor der des Affen ein- Hand und Fuss. 455 nimmt; indessen genügt schon das Gesagte, um zu beweisen, dass sowohl die vorderen als die hinteren sogenannten Hände der Affen diese Benennun g nicht verdienen”, welchem gegenüber ich meine Betrachtung gerade dahin resumire, dass aus dem Mechanismus der Extremitäten, zwischen Menschen und höheren Affen, ein specifischer Organisationsunterschied nicht abgeleitet wer- den kann; dieser Unterschied alsoin andern Thei- len aufgesucht werden muss. — Da der Affenarm eine wahre Hand und das Affenbein einen wahren Fuss trägt, so würde, wenn heut am Tage ein Mensch mit dem Affenfusse des Chimpanse gefunden werden könnte, dieser Mensch an seiner physiologischen Menschheit durchaus keinen Abbruch erleiden. Vielmehr ist zum Schlusse noch darauf aufmerksam zu machen, dass in dem wesentlichen Mechanismus des Menschen- fusses, selbst wenn die Affenform desselben (Grösse der Zehen, starke Entwicklung der Halluxabduction) noch sosehr zurück- getreten ist, doch immer noch die Adaption zum Kletterwerk- zeug (welche in ihrer einseitigen Entwicklung den Affenfuss charakterisirt) deutlich neben der Adaption desselben zum Geh- werkzeug erkennbar und nachweisbar ist !) 1) In Beziehung auf die Leistungsfähigkeit des Menschenfusses will ich hier beiläufig auf eine Thatsache aufmerksam machen, welche mir ein Officier, der über 20 Jahre in Java, Sumatra, Bali, Borneo etc. im niederländischen Dienste zubrachte, mitgetheilt hat. Wenn im Felde den eingebornen barfüssigen Bataillonen der Sold (in lauter grober holländischer Kupfermünze), aus Mangel an Zahl- tischen, auf dem Erdboden ausgezahlt wird, so ist es sehr gewöhnlich, dass die Soldaten mit der grössten Gewandtheit die ihnen zugewiesene Portion mit den Füssen vom Boden aufnehmen. — Es ist dies aber so wenig eine ungewöhnliche Fertigkeit Einzelner, dass sie vielmehr bei jedem Javanen ohne Weiteres vorausgesetzt wird, und die Zahl- meister diese barfüssigen Soldaten auf den Zahlplätzen auf das Strengste überwachen müssen, um ihr Geld vor der grossen Gewandtheit, mit welcher die — Javanenfüsse Geld escamotiren — zu schützen. Dass Neger, Malaien etc. nicht wie unsere Kinder mit angedrück- ten Knieen, sondern wie die Affen mit abducirten Schenkeln und auf- gesetzter Planta klettern, ist allen, welche in den Tropen gelebt, be kannt. 456 Ludwig Fick: Zum Klettern ist der Fuss des Chimpans& besonders adap- tirt durch die bedeutende Grössenentwicklung der Zehen, welche das Umgreifen eines Objekts möglich macht, wobei es gerade sehr förderlich ist, dass mit dem Aufsetzen in Dorsalbewegung des Fusses, implieite die Finger gespreitzt, und mit der Streck- bewegung (Plantarrichtung) ebenso implieite der Hallux kräftig addueirt wird, wobei es ferner förderlich ist, dass der den Menschenfuss zum Sohlengang adaptirende Musculus quadratus plantae (Sylvii) fehlt. Ferner ist es beim Klettern wesentlich, dass während der Befestigung des Fusses am Object durch kräftige Contraetion aller über das Fussgelenk springenden Muskeln die Rotations- und Ginglymusbewegungen des Knie- gelenks, ohne die das Objekt haltenden Muskelkräfte zu stören, völlig frei der abwechselnden Wirkung der äussern und innern Kniebeuger und des Poplitaeus überlassen bleiben. Ich habe schon an einem andern Orte darauf aufmerksam gemacht, wie man leicht nachweisen kann, dass der Men- schenfuss schon beim gewöhnlichen Gehen und noch weit mehr beidem Laufen und Gehen auf un- ebener Grundfläche eine Greifbewegung mit den Zehen macht, d. h. die Zehen abducirt aufsetzt, und sodann mit addueirten und flektirten Zehen sich erhebt. (Siehe mei- nen Beitrag zur Mechanik des Gehens Müller’s Archiv.) Dieser Gangart gerade entgegengesetzt, zeigt die Fussspur- aller vielzehigen Zehengänger (auch sogar der Sohlengänger) in den beschleunigten Gangarten immer gespreitzte Zehen, die Spur der ruhigen Gangart dagegen adducirte Zehen, was jeder Jäger und Schäfer so genau kennt, dass er aus den Formen der Fussspuren die Gangart bestimmt. Es erklärt sich dies aber darin, dass bei ihnen die Streckung der Fussgelenke, welche eine adducirende Flexion der Zehen ebenso wie bei dem Menschen und Affenfusse involvirt, auf die Fussspur nicht mehr deutlich einwirken kann, da diese Streeckung des Fuss- gelenks nach der Plantarfläche und die gleichzeitige adducirte Flexion der Zehen in den beschleunigten Gangarten der Zehen- gänger erst eintritt, wenn die Zehen den Boden verlassen ha- ben, was aus der Fortbewegung dieser Thiere auf 4 Extremi- Hand und Fuss. 457 täten mit Nothwendigkeit hervorgeht, so wie umgekehrt grade die Fortbewegung des Menscken auf nur 2 Stützgliedern die Nöthigung enthält, besonders bei beschleunigter Gangart die Streckung im Fussgelenke und die derselben immanente Flexio adducens der Zehen zu machen, während der Fuss mit dem Boden noch in Berührung. Dieser Bewegungsmechanismus des Menschen- und Affen- fusses ist aber begreiflicherweise der schnellen Fortbewegung ebenso ungünstig, wie er die Sicherheit der langsameren Fort- bewegung auf unebenem Boden fördert, wie er die kletternde Fortbewegung erst ermöglicht. Daher erklärt es sich, wie alle Völker selbst auf den niedrigsten Entwicklungsstufen das Bedürfniss empfinden, sich eine steife Sohle unter den Fuss zu binden, welche die störende Wirkung dieser Greifbewegung beim beschleunigten Gange theilweise aufhebt, — was bei Klettervölkern (wenn solche Praxis denkbar wäre) natürlich nicht der Fall sein würde. Ebenso ist dieser Nachklang der Adaption des Menschen- fussses zum Kletterwerkzeug und die Unmöglichkeit, mit nur 2 Stützgliedern ein ächter Zehengänger oder Springer zu sein, unter die Ursachen zu zählen, dass andauerndes Laufen so sehr dem Menschenbeine inadäquat ist, dass niemals eine Lebens- praxis sich hat ausbilden können, in welcher andauerndes Laufen die Grundlage der Existenz bildete. Dass der Mensch durch gewaltsame Uebung im Stande ist, auch ausgezeichnet schnell laufen zu lernen, so dass er in der Rennbahn mit dem Pferde concurriren kann, widerspricht dem Gesagten nicht im Geringsten. Der sicher wandelnde, auf unebenem Boden durch Combi- nation der rotatorischen Schenkel-, Knie- und Fussgelenksbe- wegung das Balanciren des Körpers selbst auf einem Beine ermöglichende, im Nothfall kletternde Menschenfuss hat in dieser weder zum Springen, noch Laufen, noch Klettern sehr weit adaptirten beschränkten Vielseitigkeit bedeutende Vor- züge vor dem Affenfusse, der einseitig so sehr zum Klettern adaptirt ist, dass er sogar an der Adaption zum sichern Wan- deln auf glattem Boden einbüsst. & 458 Ludwig Fick: Hand und Fuss. In der Leichtigkeit, die in jedem der 3 Hauptgelenke (im Schenkelgelenk, Kniegelenk und Fussgelenk) mögliche grössere und kleinere Rotation unabhängig von den Stellungen, in welchen diese Gelenke sich gerade befinden, bei fixirter Planta mit einander zu combiniren (beim Balanciren und Klettern in Anwendung), hat die untere Extremität einen Vorzug vor der oberen, welche zwar sehr vollkommen den Radius um die Ulna rotirt, aber bei fixirter Hand die rücklaufende Rotation der Ulna um den Radius, weil in diesem Falle der Humerus mit rotiren muss, nur schwierig und auf Unkosten der Fixation des Ellenbogen- und Schultergelenks ausführen kann. Dr. A. Krohn: Beobachtungen aus der Entwicklungsgeschichte ete. 459 Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte der Pteropoden und Heteropoden von Dr. A. Kronn. Briefliche Mittheilung an den Herausgeber. les bin, von Sieilien zurückkehrend, vor fünf Wochen über Paris hier eingetroffen. Den Winter habe ich in Messina zu- gebracht, also Palermo, wohin ich anfangs zu gehen beab- sichtigte, gar nicht berührt, Ich gab diesen Plan auf, weil das Meer bei Messina, nach vorläufiger Exploration, mir hinlänglichen Stoff zur Ergänzung meiner frühern Unter- suchungen über die Entwickelung der Pteropoden und Hete- ropoden darzubieten schien. In wie weit ich diesen Zweck erreicht, das mögen Sie aus den Beobachtungen ersehen, die ich Ihnen beifolgend mittheile. Cymbuliaden. Von den drei bei Funchal beobachteten auf Cymbulia bezogenen Larven kommen zwei auch bei Messina vor, Die eine ist diejenige, deren Mundhöhle bereits die Anlage der Zunge und der Kiefer enthält, die andere die, deren Flosse mit Chromatophoren versehen ist. Ich glaube nun die sichere Ueberzeugung gewonnen zu haben, dass erstere die Larve der Cymbulia Peronü, letztere die der Tiedemannia neapoli- tana ist. 460 Dr. A. Krohn: Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte Für die Abkunft der ersterwähnten Larve von Cymb. Peronii spricht eben so wohl die röthlich braune Farbe des Mittellappenanhanges bei dem unlängst umgewandelten Thiere, als auch die Zunge, deren Zahnplatten in Form und Dispo- sition fast ganz mit denen der Cymb. Peroniü übereinstimmen. Als Belege für die Abkunft der zweiten Larve von Tiedem. neapolit. brauche ich nur den Mangel der Zunge und der Kiefer, so wie die Anwesenheit von Chromatophoren auf der Flosse, deren Anordnung mit Bestimmtheit auf Tiedem. neapolit. hinweist, anzuführen. Von besonderem Interesse sind die Veränderungen die die Tiedemannia bis zu ihrer vollendeten Gestalt erleidet. Unmittelbar nach der Umwandlung ist zwischen ihr und der jungen Cymbulia, kein wahrnehmbarer Unterschied in Bezug auf die Gestalt. Während aber die junge Cymbulia, ohne wesentliche Veränderungen zu erfahren, heranwächst, verliert die Tiedemannia zunächst den Anhang des Mittellappens, ent- wickelt den künftigen Rüssel, und büsst zuletzt den Mittel- lappen ein, indem derselbe nach und nach sich verwischt und in der Flosse gleichsam aufgeht. Bei der unlängst aus der Larve hervorgegangenen Tiede- mannia ist der Rüssel noch nicht angedeutet. Der Mund liegt, wie bei Cymbulia, in einer Ebene mit der Flosse, mitten in einer rinnenförmig ausgehöhlten Einbucht am Vorderrande der letztern. Die Einbucht, die von beiden Seiten aus gegen den Mund hin an Breite und Tiefe zunimmt, ist von zwei Hautfalten mit wulstig verdickten flimmernden Rändern ein- gefasst. Die eine dieser Hantfalten setzt vor dem Munde, die andere hinter dem Munde, von der einen Seite auf die andere über. (Auf diese eigenthümliche Oonformation der nächsten Umgebung des Mundes bei Cymbula hat schon Souleyet (Voy. de la Bonite, Pl. 15 bis, fig. 20 u. 21) zum Theil aufmerksam gemacht.) Was von dem künftigen Rüssel zuerst sich hervorbildet, ist der Endtheil desselben. Indem dieser als Rudiment unter dem Munde hervorwächst, schiebt er den mittlern Theil der Einbucht vor sich her und hebt ihn gleichsam von der Flosse der Pteropoden und Heteropoden. 461 ab. Auf gleiche Weise gehen, je höher und breiter der her- vorwachsende Theil wird, auch die seitlichen Antheile der Einbucht auf ihn über. Es versteht sich, dass hierbei auch die die Einbucht begränzenden Hautfalten mit herüberge- nommen werden. Hat sich der Endtheil des Rüssels auf diese Weise gebildet, so wächst auch der übrige Theil des Rüssels nach, und es braucht der Endtheil bis zu seiner definitiven Gestalt nur noch in die beiden bekannten rund- lichen Seitenlappen sich auszuziehen. Es sind also die beiden mit schwingenden Cilien versehenen Wülste, die man nach den Beschreibungen von Troschel und Gegenbaur an den Aussenrändern der Rüssellappen ausgewachsener Tiede- mannien wahrnimmt, nichts anderes als die weiter entwickelten oben gedachten Hautfalten, während die rinnenförmige Ver- tiefung zwischen den Wülsten, die von beiden Seiten aus zum Munde führt, der ursprünglichen Einbucht entspricht. Es ergiebt sich zugleich das morphologisch interessante Re- sultat einer vollkommenen Uebereinstimmung zwischen den Mundregionen der Tiedemannia und Cymbulia. Ueber den Zeitpunkt wann die bleibende Schale sich bildet habe ich noch immer keinen Aufschluss erhalten können. Bei Tiedemannien, die nach der Spannweite der Flosse etwa 7 Millim. maassen, gab sich zwar ıhre Anwesen- heit an dem ovalen, scharf contourirten Mantel sogleich zu erkennen, aber es gelang nicht sie zu isoliren, so zart und weich ist sie noch zu dieser Zeit. Was die Larvenschale betrifft, so muss sich das erste Rudiment derselben, der Analogie nach, schon während der Embryonalperiode bilden. Wenn Gegenbaur sie bei Larven, die unlängst die Eihülle verlassen hatten, nicht erkannt hat, so mag dies wohl an ihrer ungemeinen Zartheit und Transparenz liegen. Tiedemannia Scyllae und T. Charybdis Trosch. sind sicher nur junge noch nicht völlig ausgebildete Individuen der Tiedem. neapolit. Clioideen. Die Zahl der von mir beobachteten, zu dieser Abthei- 462 Dr. A. Krohn: Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte theilung gehörenden Larvenformen, beläuft sich auf fünf. Einzelne darunter sind schon theils von Ihnen, theils von Gegenbaur erwähnt. f Bei allen diesen Larven zeichnet sich der vorderste Wimperkranz dadurch aus, dass er durch mehrere, in regel- mässigen Abständen auf einander folgende Lücken unter- brochen erscheint. Zwar hat schon Gegenbaur auf dies eigenthümliche Verhalten des vordersten Cilienkranzes auf- merksam gemacht. Es soll aber nach ihm ausnahmsweise nur bei einer der von ihm untersuchten Larvenformen anzu- treffen sein. Allein es ergiebt sich aus dem Obigem, dass diese Larve, deren ich später besonders erwähnen werde, durchaus keine Ausnahme macht. Bei allen Larven, nur eine ausgenommen, liess sich in jedem Gliede der Reibmembran oder Radula, zwischen den seitlichen Zahnplatten, noch eine Mittelplatte erkennen. Zwei der Larven sind noch besonders durch die Anwesenheit von Zwischenplatten, wie solche den Heteropoden eigen,. aus- gezeichnet. Die Radula setzt im Fortschritt der Entwicke- lung nicht nur immer neue Glieder an, sondern es vermehrt sich nach und nach auch die Zahl der Seitenplattenreihen. Die beiden bei der Gattung Pneumodermon so stark entwickelten Nebensäcke der Mundhöhle, habe ich nur bei drei Larven angetroffen, bei den beiden übrigen dagegen nur eine Gruppe weniger Zähnchen oder Spitzen jederseits neben der Zunge. Eigentliche Kiefer liessen sich nur bei zwei Larven unterscheiden. Bei allen Larven, so wenig entwickelt sie auch sein mochten, war der Fuss, so oft er auch zu fehlen schien, bei einiger Ausdauer doch stets zu entdecken. Es steht dies ganz im Einklang mit meinen frühern Angaben über sein frühzeitiges Erscheinen. lte Larvenform. Es ist die von Ihnen entdeckte Cliolarve, über deren erste Entwickelungsperiode schon meine frühere Mittheilung einigen Aufschluss enthält. Bei Larven, die bereits die vier mit Papillen besetzten Arme entwickelt haben, beläuft sich die Zahl der Seitenplattenreihen der Zunge, der Pteropoden und Heteropoden. 463 auf zwei bis drei jederseits. Die Mittelplatten sind ansehn- liche, dreieckige, mit der Spitze nach hinten stehende Blättchen. Die beiden bereits von Ihnen wahrgenommenen Gruppen spitzer Zähnchen neben der Zunge, scheinen allerdings die An- lagen ähnlicher Kiefer, wie sie der Clio borealis eigen. Ist man aber übereingekommen, nur den Theil der Mundhöhlenbe- waffnung der Clioideen, der dicht vor der Zunge, auf dem Boden der Mundhöhle lagert, als Kiefer zu bezeichnen, so kommt den sogenannten Kiefern der Clio borealis gewiss eine andere morphologische Bedeutung zu. Meiner Ansicht nach können sie nur der beiderseitigen Hakenbewaffnung bei Pneu- modermon entsprechen, mit der sie nach Souleyet (I. e. Pl. 15 bis, fig. 9—11) auch darin übereinstimmen, dass sie in besondern Säcken liegen, aus denen sie zu Zeiten. hervor- gestreckt werden. 2te Larvenform. Diese ist entschieden eine Pneu- modermonlarve, ohne Zweifel dieselbe, die Sie im Monats- bericht 1852 beschrieben haben. Auf sie beziehen sich auch wohl grösstentheils die ausführlichen Untersuchungen von Gegenbaur. Hier findet sich vor der Zunge ein doppelter Kiefer, der in Gestalt und Bau vollkommen mit dem Kiefer einer von Troschel und Gegenbaur als Pneumod. mediter- raneum bezeichneten Species, übereinstimmt. Die bereits von Ihnen gesehenen Mittelplatten der Zunge sind niedrige, bo- genförmig gekrümmte Leisten, an deren freien Rändern ich jedoch nicht vier, sondern blos izwei nach hinten gerichtete Dörnchen oder Zähnchen unterscheiden konnte. Bei Larven mit deutlich angelegten aber noch unbeweg- lichen Flossen, lässt sich bereits das Herz, obwohl in noch schwachen Umrissen, unterscheiden. Später und zwar zu einer Zeit, wo von der künftigen Neben- oder Seitenkieme noch nicht die geringste Andeutung zu sehen, ist es rechter- seits, in der Gegend des mittlern Cilienkranzes, nicht mehr zu verkennen. Ich muss hier anhangsweise einer angeblich neuen, von Gegenbaur aufgestellten Pneumodermonart, nämlich des } 464 Dı. A, Krohn: Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte Pn. ciliatum erwähnen, weil ich dasselbe, trotz seiner bedeu- tenden Grösse, nicht für ein völlig ausgebildetes Thier an- sehen kann. Ich hatte Gelegenheit ein grösseres Exemplar als die von Gegenbaur beobachteten zu untersuchen. Es maass ausgestreckt über 6'' und trug dennoch die unver- kennbarsten Merkmahle einer Larve an sich. Ausser dem hintern Cilienkranze, den Gegenbaur als allein vorhanden angiebt, besass das Thier noch den mittlern Wimperkranz der Larven. Auch zog sich dieser Kranz, gerade.wie nach Gegenbaur bei den letztern, (Pteropod. und Heteropod. Tab. IV, fig 11) um den Aussenrand der noch ganz ebenen, nicht in Blätter gefalteten Nebenkieme herum. Ausser den bereits zahlreichen Seitenplattenreihen (7 jederseits), fanden sich auf der Radula auch Mittelplatten, jede mit drei Zähn- chen, von denen die seitlichen bedeutend länger als das mittlere. Vor der Zunge ein ähnlicher Kieferapparat wie bei der obenerwähnten Pneumodermonlarve, Trotz der ange- zeigten Larvenattribute, besass das Thier doch schon. voll- kommen ausgebildete Zeugungsorgane. öte Larvenform. Sie ist stets grösser als die sub 2 erwähnte Pneumodermonlarve, stimmt aber mit ihr sowohl im Aeussern, als auch durch den Besitz eines nicht weniger langen Rüssels überein. Auch in Betreff der Zungenbewaff- nung ist zwischen beiden kein wesentlicher Unterschied, nur sind die Mittelplatten, statt mit zwei, mit drei meist gleich- langen spitzen Zähnchen versehen. Dagegen ist die Kiefer- bildung anders. Es besteht der Kiefer wie bei Chopsis aus einem Haufen aufgerichteter, dichtgedrängter Spitzen. Ob- wohl diese Larve auf Pneumodermon hinzuweisen scheint, so habe ich doch bei dem grössten mir zur Ansicht gekom- menen Exemplare (von etwa 1'/, Millim.), weder Saugnäpfe noch Hakensäcke entdecken können. Statt der letztern fand sich jederseits eine ähnliche Gruppe wenig zahlreicher kurzer Spitzen wie bei der schon gedachten Cliolarve. Auch zeigten sich die Flossen noch sehr wenig entwickelt. Diese Larve ist bei Messina nicht weniger gemein als die sub 2 erwähnte Pneumodermonlarve. der Pteropoden und Heteropoden. 465 Die beiden nun folgenden Larvenarten, bis zum Ver- wechseln einander ähnlich, zeichnen sich vor den vorher- gehenden nicht nur in Bezug auf den Habitus, sondern auch durch ihre nach einem abweichenden Typus angeordnete Zungenarmatur aus. Die Radula ist nämlich mit Zwischen- platten, denen der Heteropoden ähnlich, versehen. Der Vordertbeil des Leibes ist verhältnissmässig breiter und jeder- seits ın einen nach Aussen sehenden, flachen, spitz auslau- fenden Lappen ausgezogen. Beide Lappen scheinen keines- weges Fühler zu sein. Der mittlere Wimperkranz ist schmäler als der hintere. Die Haut ist pigmentlos und enthält eine viel grössere Menge kleinerer Drüsenbälge als bei den früher beschriebenen Larven. Der Rüssel ist sehr kurz, die Mund- masse viel ansehnlicher und demnach auch die Zunge stärker ausgebildet. Trotzdem besteht die Radula aus einer geringern Menge von Gliedern, deren Seitenplatten viel länger und breiter sind, und so weit meine Untersuchungen reichen, jederseits auf zwei sich belaufen. Der Fuss wird häufig so tief eingezogen, dass er äusserlich nicht wahrzunehmen, und so zu fehlen scheint. Dasselbe gilt auch für die Flossen, die ich nur bei einer dieser Larven entwickelt antraf. Saug- näpfe habe ich bei keiner von beiden gesehen. Bemerkens- werth ist noch, dass der hintere Wimperkranz nicht selten ziekzackförmig geschlängelt erscheint. Diese durchaus tempo- räre Erscheinung beruht auf einer länger andaurenden Oon- traction einzelner Längsmuskelbündel des Leibes, die ihre Insertionspunkte sämmtlich in der Hautdecke, dicht unter dem hintern Cilienkranze haben. 4te Larvenform. Es ist die gleich eingangs erwähnte, schon von Gegenbaur (Tab. V. Fig. 14 u. 15) beschriebene Larve.. Der Radula scheinen auffallenderweise die Mittel- platten zu fehlen. Wie bei den Heteropoden sind die Zwischen- platten mittelst einer langen und verhältnissmässig breiten Basis der‘Reibmembran angewachsen, und endigen mit einer frei in die Mundhöble vorspringenden Spitze oder Zahn, der beim Hervorstrecken der Zunge sich aufrichtet. Die Neben- säcke der Mundhöhle sah ich zwar stark entwickelt, aber Müller’s Archiv. 1857. # 30 466 Dr. A. Krohn: Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte merkwürdigerweise wurde, übereinstimmend mit Gegenbaur, deren Armatur vermisst, | Ich bin sehr geneigt anzunehmen, dass die von Gegen- baur beschriebenen, noch mit dem Wimpersegel versehenen Pneumodermonlarven (Tab. V. Fig. 16 u. 17), deren auch ich in meiner ersten Mittheilung gedacht, nur frühere Ent- wickelungsphasen der eben zur Sprache gebrachten Larve sind. Es gründet sich diese Ansicht auf der, allem Anschein nach, ganz übereinstimmenden Beschaffenheit der Radula. öte Larvenform. Bei dieser sind die. Nebensäcke nicht weniger stark ausgebildet, aber auch stets mit Häkchen versehen. Die Mittelplatten der Radula sind sehr niedrige, bogenförmig gekrümmte Leistchen, mit mehreren, äusserst kurzen, stumpfen Zähnchen auf dem freien Rande. Die Zwischenplatten ähneln denen der vorigen Art, nur ist die Spitze längs dem einen der beiden Ränder sägeförmig ge- zähnelt. Ich habe diese Larve in mehreren frühern Entwickelungs- stufen, wo sie noch das Segel und die Schale besitzt, beob- achtet. Eine dieser frühern Entwickelungsstufen hat auch schon Gegenbaur beschrieben, aber auf Creseis bezogen. (Tab. I. Fig. 4 u. 5). Es ist diese Larve ohne Zweifel identisch mit jener in meiner ersten Mittheilung erwähnten Pneumodermonlarve, welche während der frühesten Entwickelungsperiode eine ganz ebene, fein quergestreifte Schale besitzt. Dass der vorderste Cilienkranz gleichzeitig mit den beiden andern schon während dieser Periode sich bildet, davon habe ich mich nun ganz entschieden überzeugt. Da er aus abge- sonderten Portionen besteht, so übersieht man ihn leicht. Heteropoden. Von den zur Beobachtung gekommenen Heteropoden- larven will ich nur drei Arten erwähnen. Zwei gehören zur Gattung Pierotrachea, die dritte zu Carinaria, mediterranea. Die beiden Pterotrachealarven sind schon in meiner frü- hern Mittheilung angeführt. Die eine ist nämlich die, deren. der Pteropoden und Heteropoden. 467 Abkunft bereits ganz richtig festgestellt wurde, die andere die Heteropodenlarve mit quergerippter Schale, die ich fälschlich auf Carinaria bezog. Ich vermuthe, dass erstere die Larve der Pterofr. mutica, letztere die der Pterotr. coro- nata sei. Sehr merkwürdig ist die Anwesenheit der Fühler bei den Larven der Pterotracheen, worauf auch schon Gegenbaur aufmerksam gemacht. Er gedenkt der ersten Anlage der Fühler bei sehr jungen, aus den Eiern gezogenen Larven. Bei den ausgebildeten Larven sind sie sehr sichtlich ent- wickelt. Unmittelbar nach der Metamorphose ist keine Spur mehr von ihnen anzutreffen. Das Weibchen der bei Funchal beobachteten Firoloidesart, dem die Fühler fehlen, besitzt sie als Larve ebenfalls. Die Gattung Carinaria, die man mit Recht als eine Uebergangsform von den Atlantaceen zu den Firoliden be- trachtet, zeigt auch im Larvenzustande eine Combination der Charaktere beider Familien. Einerseits nämlich schliesst sie sich durch ihre stärker gewundene Schale und ihr in drei Paar Wimpel ausgezogenes Segel den Atlantalarven, anderer- seits durch ihre cylindrische Flossenanlage den Larven der Firoliden an. Völlig ausgebildete Larven der Carinaria habe ich nicht - beobachtet. Die ältesten, die mir der Zufall zuführte, be- sassen eine Schale von etwa °/, Millim. im Durchmesser, mij 21), Umläufen. Am Velum zeigte sich das obere oder hintere Paar der Wimpel noch nicht ganz entwickelt, während die zwei andern Paare sehr lang und zugleich schmal erschienen, Auffallend war die unverhältnissmässige Länge der beiden, längs der einen Seite mit warzigen Erhabenheiten besetzten Fühler, so wie ihre ruck weise erfolgende, sehr starke Ver- kürzung. Die Zunge schien noch nicht angelegt. An der durchweg cylindrischen, lebhaft wie ein Elephantenrüssel sich hin und her krümmenden Flossenanlage, liess sich der künftige Saugnapf noch nicht wahrnehmen. Der ganze Nahrungskanal zeigte sich dunkel purpurroth gefärbt. So weit meine neuesten Beobachtungen über die Ent- 30* 468 Dr. A. Krohn: Beobachtungen aus d. Entwickelungsgeschichte etc, wickelung der Pteropoden und Heteropoden. Von audern niedern Seethieren, die meine Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen, erwähne ich noch schliesslich des Pelidium und der Actinotrocha. Pilidium ist, meiner nunmehrigen, noch fester als früher begründeten Ueberzeugung nach, die Larve oder Amme von Nemertes, in der weitern Bedeutung des Wortes. Actinotrocha ‚ist ebenfalls eine Larve. Sie wandelt sich in einen Wurm um, der wahrscheinlich zu einer tubicolen Anne- lide auswächst. Ich werde nicht ermangeln Ihnen das Aus- führlichere darüber später mitzutheilen. Bonn, den 29. Juli 1857. Dr. Ernst Haeckel: Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 469 Ueber dıe Gewebe des Flusskrebses Von Dr. Ernst HAEcCKEL. (Hierzu Tafel XVIII. XIX.) I. Die einzelnen Gewebe. l. Nervengewebe. Die beiden wesentlichen Elementartheile des Nervensystems, Zellen und Röhren, haben vor andern Wirbellosen beim Fluss- krebs schon mehrfach die besondere Aufmerksamkeit der Beob- achter auf sich gelenkt, da sie sowohl durch beträchtliche Grösse, als deutliche Ausprägung die Nervenelemente der meisten andern Thiere übertreffen und sehr leicht in die Augen fallen. Die Nervenzellen oder Ganglien-Kugeln’ (Fig. Sa, b, c; Fig. 10,- 11, 12) stimmen im Allgemeinen mit den sympathi- schen Ganglienzellen der Wirbelthiere überein, wie schon Helmholtz!) bemerkt, der sie, ebenso wie Hannover’), sehr genau beschreibt. Trotz mannichfacher Modificationen an den verschiedenen Orten, welche namentlich bei Verglei- chung der Zellen im Gehirn, in den Bauchmarksknoten und in den sympathischen Ganglien, auffallen, behalten sie doch überall denselben eigenthümlichen und leicht Kenntlichen Zellen- 1) Helmholtz, de fabrica systematis nervosi evertebratorum. Diss, inaug. Berol. 1842. 2) Hannover, Recherches microscopiques sur le systeme nerveux, Copenhague. 1844, AO uud Dr. Ernst Haeckel: character bei. Jede von ihnen stellt eine mehr oder weniger rundliche, ansehnliche Blase dar, deren zarte Zellmem- bran, oft von einer dichten Bindegewebskapsel eingeschlossen, eine trübe, körnige Flüssigkeit enthält, in der ein sehr grosser, mit einem Kernkörperchen versehener Kern schwimmt. Die Grösse der Nervenzellen beträgt in dem Bauchmark im Mit- tel 0,05 0,15"®, in dem sympathischen Geflecht 0,01 - 0,04”, Viel kleiner sind die meisten im Hirn, welche zum Theil von den Blutzellen an Umfang übertroffen werden. Die grösste Ganglienkugel , die mir begegnete (im ersten Bauchknoten eines grossen Hummers) mass 0,25 im Durchmesser, ihr Kern 0,05, ihr Kernkörperchen 0,012!®. Die Form, bei vielen fast ganz kugelig, wird bei andern durch die Anzahl und Verbindungs- weise der mit der Zelle zusammenhängenden Fortsätze modi- fieirt, bei den unipolaren birnförmig, bei den bipolaren ellip- tisch oder spindelförmig verlängert. Bei diesen setzt sich die Bindegewebs - Kapsel direct in das die Fortsätze umhüllende Neurilemm fort. Die Zellenmembran istzwar äusserst dünn, zart und leicht zerstörbar, namentlich im Gehirn, aber den- noch bei vorsichtiger Präparation meist nachzuweisen, beson- ders im Sympathicus, wo sie an den mit Fortsätzen versehe- nen Zellen das Lumen und den Inhalt beider scharf von ein- ander trennt. Sehr schön tritt sie hier oft als zarte, klare, structurlose, einfach, aber scharf gezeichnete Membran her- vor, wenn naeh längerer Einwirkung von Wasser der körnige Inhalt in Folge diosmotischer Strömungen sich von der Wand abgelöst und als trüber Protoplasmahaufe im Centrum der Zelle zusammengezogen hat. Dieser Inhalt ist immer, auch an den ganz frisch aus dem lebenden Thiere genommenen und unveränderten Zellen dunkel und trübkörnig, nicht, wie Will') behauptet, glashell und erst durch Betupfen mit Wasser, Säu- ren etc. körnig gerinnend. Das trübe, körnige Ansehen rührt von einer Anzahl sehr feiner Körnchen her, die durch ihre Löslichkeit in Aether und kochendem Alkohol sich als Fett- 1) Will: Vorläufige Mittheilung über die Structur, der Ganglien und den Ursprung der Nerven bei Wirbellosen. Müll. Arch. 1844 (p. 76). Ueber die Gewebe des Klusskrebses, 471 tröpfchen zeigen. Sie sind in einer zähen, klebrigen, con- sistenten Flüssigkeit suspendirt, welche eiweissartiger Natur ist, mit Wasser sich nicht mischt, sondern Gerinnsel bildet, und von Alkalien völlig gelöst wird. In gewissen Hirnzellen, in denen auch die Fettkörnchen grösser sind, wird sie durch ein diffuses, gelbbräunliches Pigment leicht tingirt. Ihre Menge ist 'bei diesen oft so gering, dass sich die Membran kaum vom Kerne abhebt. Der sehr charakteristische Kern der Ganglienzellen stellt immer ein sehr ansehnliches, kug- liges Bläschen dar, welches durch seinen wasserhellen Inhalt und die sehr scharf und dunkel, selten selbst doppelt ge- zeichnete Begränzungslinie sehr deutlich von dem dunkeln Zelleninhalt sich abhebt, in dem es meist excentrisch suspen- dirt ist. In den unipolaren Zellen nähert es sich dem dem Fortsatz entgegengesetzten Ende. Seine Grösse beträgt meist den dritten oder vierten Theil, oft auch die Hälfte der Zelle, im Gebirn meist den grössten Theil des Inhalts. Das Kernkörperchen, excentrisch im Kern gelegen, bricht das Licht fast noch stärker als dieser selbst, misst meist 0,002 — 0,008, selten bis 0,012 ”® und scheint selbst wie- der ein Bläschen zu sein, da es bisweilen in seinem Centrum noch ein dunkles, innerstes, rundliches Körnchen zeigt (Fig. 11). Die Nervenröhren oder Nervenprimitivfasern (Fig. 1— 12) weichen viel mehr als die Ganglienzellen von den entspre- chenden Elementen der -Wirbelthiere ab, nähern sich aber noch am meisten den sympathischen Elementen der letztern. Wie bei allen Wirbellosen, so fehlt ihnen auch bei den Decapoden die für die dunkelrandigen, markhaltigen Cerebrospinalfasern der Wirbelthiere charakteristische fettreiche Markscheide und den Inhalt der Nervenprimitivröhre bildet allein eine homogene, eiweissartige, halbflüssige Masse. Zwischen ihr und der ein- fachen, cylindrischen, oder ein wenig zusammengedrückten Röhrenwand sind von Strecke zu Strecke Kerne eingestreut. Was zunächst an den Nervenröhren des Krebses sehr auffällt, ist einmal die grosse Deutlichkeit, mit der sich die einzelnen Röhren wegen des sehr reichlich zwischen ihnen entwickelten 472 Dr. Ernst Haeckel: Bindegewebes auch in den ganz unverletzten Nerven unterschei- den lassen, und dann die ausserordentlich schwankende, in ihren Extremen ganz aussergewöhnliche Grösse des Durch- messers. Die stärksten Röhren finden sich im Bauchstrang, wo sie die colossale Dicke von 0,1 (’/,,'"") erreichen. Im Schlundring eines grossen Hummers fand ich eine einzelne von 0,144" Durchmesser! Die peripherischen Röhren sind ver- hältnissmässig viel dünner, übrigens sehr verschieden, 0,045- 0,015 - 0,005 Y®, zuletzt unmessbar fein. Die sympathischen Röhren sind im Allgemeinen die dünnsten, aber unter sich weniger verschieden. Die Wand (Fig. 2, 3, 9a.) der Primitiv- röhre oder die Nervenprimitivscheide ist an den feinern Cylindern einfach, an den stärkeren doppelt, immer aber scharf und dunkel contourirt, so dass sie sehr deutlich aus dem um- hüllenden matten Bindegewebe hervorschimmert. An den stärk- sten erreicht ihre Dicke 0,002!” und bricht dann das Licht in- tensiv mit gelblichem Glanze. Hinsichtlich ihres übrigen , phy- sikalischen und chemischen Verhaltens kommt sie dem elasti- schen Gewebe der Wirbelthiere am nächsten, reisst wegen ihrer beträchtlichen Festigkeit sehr schwer ein und zieht sich wegen ihrer Elastieität an isolirten und gekrümmten Röhren unter Bildung zahlreicher Querfalten stark zurück (Fig. 2, 3a.). Die der innern Wand der Primitivscheide anliegenden Kerne (Fig. 2, 3, 9ec.), stimmen durch ihre Grösse (0,008 - 0,012 Breite, 0,015 — 0,020” Länge), rundliche oder längliche Form, und fein dunkel gekörnelte Oberfläche, mit den unten zu beschrei- benden Kernen des Neurilemms uud anderen Bindegewebes über- ein, unterscheiden sich aber durch ihre Lage, und desshalb auch Bedeutung. Dass sie in der That innen in der Nerven- röhre, zwischen Primitivscheide und Inhalt, liegen, erkennt man, wenn nach Zusatz von Reagentien dieser gerinnt und von jener sich ablöst (Fig. 6, 7). Der Inhalt der Nerven- primitivröhre ist, wie schon Helmholtz erkannte, eine dicke Flüssigkeit, welche an den unmittelbar aus dem lebenden T'hier genommenen und ohne andern Zusatz, als höchstens etwas Krebsblut ‚betrachteten Nerven, vollkommen homogen, wasser- klar, und leicht glänzend erscheint (Fig. 2, 3b). Bei Anwen- Ueber die Gewebe des Flusskrebses, 473 dung. eines leichten Druckes fliesst die dicke, zähe, klebrige Flüssigkeit aus dem offenen Ende der durchschnittenen Röhre hervor und gerinnt unter den mannigfachsten Formen von Tropfen, Fäden, Körnern etc., während die leere Primitiv- scheide in Falten gelegt zurückbleibt. Besonders schön sieht man dies zuweilen nach Zusatz sehr verdünnter Chromsäure, in welcher der ausfliessende Tropfen (Fig.6) zwiebelähnlich in concentrischen Schichten erstarrt. Auch nach mehrstündigem Liegen in Krebsblut sieht man den ganzen flüssigen Inhalt in Form heller, klarer, äusserst zart gezeichneter Tropfen oder Kugeln erstarrt, welche bald alle gleichen und dann sehr ge- ringen Durchmesser (Fig. 4), bald verschiedenen und grösseren haben (Fig. 5) '). Im letztern Falle ist oft ein kleinerer Tropfen, der zuweilen noch einen kleinsten, dritten einschliesst, in einem grösseren enthalten. Uebrigens scheinen alle diese grös- seren Tropfen erst secundär, durch Verschmelzung und Zu- sammenfliessen der primären, kleinen Gerinnungskugeln zu entstehen. Verbunden werden die Kügelchen durch eine sehr spärliche, klare, flüssige Zwischensubstanz. Auf eine etwas verschiedene Weise und viel schneller kommt die Gerinnung bei den zarteren und blasseren Röhren des sympathischen Ge- flechts zu Stande (Fig. 9). Die Tropfen sind hier immer so gross, dass der Dieckendurchmesser jedes einzelnen das ganze Röhrenlumen erfüllt, und da fast alle durch länglich runde oder elliptische (selten kuglige) Form, einander gleichen, so können sie, hintereinander angereiht, ein ziemlich regelmässig varicöses oder rosenkranzförmiges Bild liefern, welches der von Ehrenberg?’) gegebenen Abbildung zu Grunde gelegen zu haben scheint. Uebrigens scheint zwar dieser ganze, eigen- thümliche Gerinnungsact durch eine Zersetzung des homogenen Röhreninhalts in verschiedene chemische Bestandtheile verur- sacht zu werden, ist aber keineswegs mit der sogenannten 1) Die Tropfen sind in Fig. 4 und 5 nicht dicht gedrängt genug gezeichnet. In der That stehen sie so nahe bei einander, dass sie sich überall berühren und wie ein feines Netz aussehen. 2) Ehrenberg; Beobachtuug einer bisher unerkannten Structur des Seelenorgans. Berlin 1836. tab. VI. Fig. 3—5. 474 Dr. Ernst Haeckel: „„Nervengerinnung‘ an den dunkelrandigen Röhren der Wirbel- thiere zu vergleichen, schon einfach aus dem Grunde, weil das der fettreichen Markscheide Analoge hier gänzlich fehlt. Ganz in derselben Weise, wie die oben beschriebenen vom Flusskrebs, verhalten sich auch die Nervenröhren vom Hum.- mer, von Palinurus quadricornis, Scyllarus aretus und latus, Homola Cuvieri und verschiedenen anderen Brachyuren, welche ich im Herbst 1856 in Nizza zu untersuchen Gelegenheit hatte. Sehr verschieden zeigten sich dagegen die Nerven der auch sonst vielfach abweichenden, interessanten Familie der Cariden, von denen ich mehrere Species von Palaemon, Pasiphaea, Pe- naeus, Nika etc. untersuchte. Sonderbarer Weise finden sich auch bei diesen zarten Thierchen im Bauchstrang ganz ähn- liche colossal dieke Röhren , wie bei Astacus ete., nur dass natürlich hier der unverhältnissmässige Durchmesser der ein- zelnen gegenüber den andern viel zarteren Fasern um so mehr auffallen muss. Die Primitivscheide ist aber hier relativ noch viel dicker, und namentlich stärker lichtbrechend, so dass sie durch ihren gelblichen Glanz sehr in die Augen fällt. Ganz frisch und nur mit Krebsblut behandelt, zeigt auch hier der ganz homogene, wasserklare, flüssige Nerveninhalt, nichts Be- sonderes. Sowie aber ein irgend heterogenes Fluidum, selbst nur Seewasser , verdünnte Chromsäure, Zuckerwasser etc. da- zutritt, geht der Röhreninhalt in kürzester Zeit die sonderbar- sten Veränderungen ein, die sehr von den oben beschriebenen Gerinnungsphänomenen abweichen. Das umgebende Fluidum dringt nämlich vermöge eines starken endosmotischen Stroms mit grosser Heftigkeit in die Röhren ein, mischt sich aber nicht mit der Flüssigkeit in denselben, sondern. bildet Tropfen, welche in dieser suspendirt bleiben; diese Kugeln wachsen durch: weitere Imbibition bald so beträchtlich, dass sie die Röhrenwand, die trotz ihrer Festigkeit sehr dehnbar und ela- stisch ist, überall bruchsackartig oder aneurysmatisch nach aussen vortreiben. Schliesslich ist von der ursprünglichen Cy- linderform der ganz unkenntlich gewordenen Röhren keine Spur mehr zu erkennen. Der ganze Umfang ist dicht mit grös- seren und kleineren Bläschen bedeckt, welche mit birnförmig Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 475 zugespitzter Basis radiär aufsitzend, so dicht wie die Blätter eines dickblättrigen Sedum neben und über einander stehen, und die centrale Axe ganz verhüllen. Die grössten Kugeln übertreffen den Röhrendurchmesser um das 3— 6fache, ent- halten oft 2—4 Bläschen in einander geschachtelt, zeigen aber trotzdem noch deutlich, wenn auch durch die beträcht- liche Ausdehnung sehr verdünnt, den doppelten Contour der ursprünglichen Primitivscheide. Die übrigen Decapoden-Familien haben mir nie eine der- artige Veränderung, wie die Cariden, gezeigt. Wasser wirkt zwar auch bei ihnen sehr rasch zerstörend auf den Nerven- röhreninhalt ein, allein in anderer Weise. Die tropfenförmi- gen Gerinnungen fliessen zuletzt nach längerem Liegen in Wasser zu einer halbfesten, trüben, körnigen Masse zusam- men, welche sich von der collabirten, gefalteten und gerun- zelten, glanzlos gewordenen Röhrenwand ablöst und wie ein Fibrin- oder Eiweiss-Ooagulum in das Wasser heraustritt, ohne sich aber mit diesem sogleich zu mischen (Fig. 7). Eine ähnliche gerinnungsartige Veränderung oder einen körnigen Niederschlag bringen mit einigen Modifikationen ver- schiedene andere Reagentien hervor, so namentlich verdünnte Mineralsäuren, von denen Chrom-:und Salpetersäure sie über- dies gelb färben, Sublimat, Arsenik etc. In concentrirter Es- sigsäure bleibt der Inhalt ganz klar. Kaustische Alkalien lösen die ganzen Nerven ziemlich rasch auf. Aether und kochender Alkohol machen einen trüben körnigen Nieder- schlag, aus dem sie nichts ausziehen. Alle diese Reak- tionen zeigen, dass in dem halbflüssigen Röhreninhalt weder "Fett, noch ein anderes der Markscheide der Wirbelthiere analoges Element sich findet, dass derselbe vielmehr aus einem eiweissartigen Stoff besteht, der wohl mit dem blas- sen Inhalt der marklosen Wirbelthierfasern identisch ist. Da- aber die ganze Inhaltmasse dieser blassen, „grauen“ Nerven- elemente, wohin ‚alle embryonalen Röhren, ein Theil der sympathischen, ferner die des Olfactorius, die Rückenmarks- fasern der Cyclostomen und verschiedene andere Wirbelthier- nerven gehören, nach dem Vorgange von Purkinje und 476 Dr. Ernst Haeckel: Kölliker jetzt ziemlich allgemein dem Axencylinder der markhaltigen Nervenröhren gleichgesetzt wird, so wird ge- wiss auch der eiweissartige Inhalt der Nervenröhren der De- capoden ein Analogon des Axencylinders sein, welcher ohne Zwischenlagerung einer Markscheide direkt von der Primitiv- scheide umschlossen wird; und vielleicht werden einmal alle Nerven der Wirbellosen unter diesem Gesichtspunkt mo fasst werden müssen. Eine wesentlich modifizirte Anschauungsweise über die Nervenröhren der Decapoden würde sich geltend machen müssen, wenn die allgemeinere Verbreitung eines sehr eigen- thümlichen Gebildes nachgewiesen werden sollte, welches bisher nur in einem sehr kleinen Theile ihres Nervensystems gesehen worden ist. Es ist diess das von Remak!') ent- deckte „centrale Faserbündel“, welches nur in den stärk- sten Bauchstrangsröhren vorkömmt, deren Durchmesser !/;,“' übertrifft. „Genau im Centrum ihrer wasserhellen Höhle zeigt sich frisch ein geschlängeltes Bündel überaus zarter Fasern, welches den vierten oder dritten Theil des Röhrendurchmes- sers einnimmt. Jedes Bündel enthält einige 100 Fasern. Sie sind glatt, parallel, obne Zweige und Anastomosen, unter 0,0002“' dick. Bei Verletzung des Rohrs macht das Bündel starke Krümmungen, wobei die Fasern parallel bleiben oder auch aus einander spreitzen. Ebenso kriecht es aus Quer- schnitten oder Seitenspalten der Wand hervor.“ Durch Druck und beim Heraustreten in Wasser zerfallen die Fasern in feine Stiftchen und bilden dann eine eben solche wolkige Masse, wie der Inhalt der andern, feineren Röhren (Fig. 7). Auch die farblose, helle Flüssigkeit zwischen Faserbündel und Wand zeigt ganz dieselben weichen, kugelförmigen Ge- rinnungsprodukte (Fig. 4, 5). Vielleicht kann man daraus schliessen, dass dasselbe Ge- bilde auch bei den feineren Bauchmarksröhren (unter 1%,"') sowie bei den peripherischen Nerven vorkömmt. Bisher war 1) Remak, über den Inhalt der Nervenprimitivröhren (Müller’s Arch. 1843 p. 197). Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 477 freilich alle Mühe, dasselbe hier zu sehen, vergeblich. In- dess darf man doch vielleicht mit Remak annehmen, dass das centrale Faserbündel nur desshalb bei den peripherischen Röhren sich dem Blicke entzog, weil es bei diesen noch ver- hältnissmässig zarter ist. Ist es doch selbst bei den stärk- sten Bauchmarkscylindern so äusserst fein und zerstörbar, dass selbst ein so geübter und genauer Beobachter, wie Rei- chert!), sich wiederholt vergebliche Mühe gab, desselben ansichtig zu werden, und es endlich für ein Kunstprodukt oder eine Verwechselung mit dem Neurilemm erklärte. Auch ich selbst habe sehr lange beim Flusskrebs das centrale Fa- serbündel vergeblich gesucht, obwohl ich es schon in Nizza bei Palinurus, Scyllarus und mehreren Brachyuren sehr schön gesehen hatte. Auch in den kolossalen Bauchmarksröhren der kleinen Ca- riden ‘ist es deutlich ausgebildet und verhältnissmässig leicht zu demonstriren, weil der sehr dünne, durchsichtige Bauch- strang gar keiner Präparation bedarf. Doch kann man es ebenso bei Astacus fluviatilis und marinus leicht und ganz kon- stant sehen, wenn man nur bei der Präparation jeden Druck und Zerrung, sowie den Zusatz von anderer Flüssigkeit, als Blut, vermeidet. Verwechselung mit anderen Gebilden ist, wenn man es einmal gesehen hat, kaum möglich, da ein ganz eigenthümlicher, selbst durch Zeichnung?) kaum ganz getreu wieder zu gebender Charakter diese merkwürdigen Elemente vor allen anderen sehr auszeichnet, namentlich vor den viel gröbern und derbern Fibrillen des Neurilemms, an die man zunächst denken könnte. Auch die Zweifel an ih- rer wirklich nervösen Natur brauchen kaum widerlegt zu wer- den, da die mit denselben versehenen Bauchmarkröhren nur 1) Reichert, Jahresbericht in Müller’s Arch. 1844 p. 194. 2) Die Abbildung, welche Remak (Müll. Arch. 1844, Tab. XII, Fig. 8) davon giebt, kann, obwohl von einem vortrefflichen Zeichner mit besonderer Sorgfalt ausgeführt, doch’ nicht den richtigen Begriff von den centralen Fasern geben. Sie sind so äusserst zart, dass nur eine ganz matte Bleistiftzeichnung, kaum aber Kupferdruck ihren sehr eigenthümlichen Habitus wiedergeben kann. A478 Dr. Ernst Haeckel: durch ihren Durchmesser von den andern sich unterscheiden. Ausserdem kommen auch ganz allmälige Uebergänge zwi- schen diesen und jenen vor, und auch an feinen Röhren glaube ich zuweilen eine Spur eines nur noch zarteren und durchsichtigeren Centralbündels gesehen zu haben. Hinsicht- lich seiner Bedeutung möchte ich Remak beistimmen, der dasselbe zusammen mit der umhüllenden gerinnbaren Flüs- sigkeit (also den Gesammtinhalt auch der dicksten Röhren) dem Axencylinder der Wirbelthiere (bei dem er ebenfalls eine faserige Streifung behauptet) gleichsetzt. Indess ist auch eine andere Deutung desselben möglich, die Leydig') an- deutet, der die centralen Axenfasern ebenfalls wiederholt sah und auch abbildet. Er erblickt in den kolossalen Röhren (die er auch, aber ohne das Centralbündel, bei Käfern fand) Ae- quivalente der dunkelrandigen Wirbelthierfasern, scheint also das Centralbündel allein für den Axencylinder, und die um- hüllende, gerinnbare Flüssigkeit für das Analogon der Mark- scheide zu halten. Für Aequivalente der sympathischen ‚Fa- sern erklärt er die „feinen, granulären Fibrillen“, welche überall in reichlicher Menge zwischen den evident röhrigen, klaren Fasern, in gleicher Richtung mit ihnen. verlaufen ?), und die von den andern Beobachtern, Helmholtz eetc., all- gemein, und zum Theil gewiss mit Recht, für die Bindege- websfibrillen des Neurilemms gehalten worden sind. Schon Hannover bemerkt über diese ganz richtig, ‘dass es sehr schwer sei, zu entscheiden, wieviel von diesen blassen, trü- ben, grauen, leicht geschlängelten, dünnen Fasern auf Rech- uung des Neurilemms, wieviel auf wahre Nervenelemente kom- me°). Eine endgültige Entscheidung. darüber dürfte bei un- sern jetzigen Kenntnissen und Hülfsmitteln mindestens ebenso schwer sein, als bei den allerdings sehr analogen Remak- schen Fasern im Sympathicus der Wirbelthiere, über deren Bedeutung ja noch immer die erfahrensten Forscher eine ent- 1) Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfurt 1857, $ 62, Fig. 33. 2) Leydig ibid. Fig. 33 c. 3) Hannover l.c. Fig. 76d. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 479 gegengesetzte Meinung haben. Wie bei diesen, so findet man auch bei-den Decapoden die mannichfachsten allmäligen Ueber- gänge zwischen den unzweifelhaften Röhren und den dünn- sten, scheinbar soliden Fasern, namentlich an der peripheri- schen Endausbreitung der ersteren, wo sie nach vielfachen Theilungen und Verzweigungen so blass, unbestimmt und fein‘ werden, dass es geradezu unmöglich ist, sie von den Bindegewebselementen zu trennen. Viel sicherer kann eine solche Scheidung im Bauchstrang geschehen, wo, wie unten (siehe Bindegewebe) gezeigt werden wird, die Bindegewebsna- tur zum Theil unzweifelhaft ist. In keinem Falle aber dür- fen diese Elementartheile mit’ dem centralen Faserbündel in- nerhalb der klaren Röhren auf eine Stufe gestellt werden. Ueber die wahre Bedeutung dieses letztern ist endlich noch eine dritte Ansicht möglich, dass nämlich die einzelnen Fi- brillen des centralen Axenbündels die eigentlichen, letzten Kormelemente der Nerven seien, wonach also die bisher als solche aufgefassten Primitivröhren erst wieder gröbere ana- tomische Einheiten, Complexe von Primitivfasern, sein wür- den. Bevor wir auf diese Hypothese näher eingehen, ist es nothwendig, erst die eigenthümlichen Verhältnisse zu bespre- chen, welche die Nervenröhren der Decapoden bei ihrer Aus- breitung im ganzen Körper zeigen. Der peripherische Verlauf der Nervenröhren und ihre Vertheilung in den Stämmen und Aesten geschieht bei den zehnfüssigen (und vielleicht allen) Crustaceen auf eine so ungewöhnliche und sonderbare Weise, die, soviel ich weiss, aller Analogie bei anderen Thieren entbehrt, dass man sich nur wundern kann über den sonderbaren Zufall, der diese so leicht in die Augen fallenden Verhältnisse bis- her den Blicken der vielen Beobachter, die das Nervensystem der Krebse zum Theil so sorgfältig durchmusterten, gänzlich entzog. Keiner von ihnen sagt etwas von einer Theilung der Primitivfasern, und Valentin!) und Helmholtz 1) Valentin, über den Verlauf und die letzten Enden der Ner- ven. Noy. act, nat. cur. 1836, Tom. XVIII, p. 210. 480 Dr. Ernst Haeckel: versichern ausdrücklich, dass sie einfach und unverästelt zur Peripherie verlaufen und niemals, weder in den einfachen Nerven, noch in den Geflechten , eine Theilung eingehen, Und dennoch zeigt jedes Präparat einer Nervenverzweigung, sowohl an den sympathischen Geflechten, als an jedem von einem Bauchmarksganglion abgehenden peripherischen Stämm- chen die schönsten und deutlichsten Gabeltheilungen der ein- zelnen Fibrillen. Alle Nervenprimitivröhren der De- capoden theilen sich wiederholt währendihrer gan- zen peripherischen Ausbreitung, und zwar gehen fast bei jeder Gabelung eines Stämmchens die meisten dasselbe zusammensetzenden Röhren, ebenso wie jenes selbst, in je zwei divergirende Aeste, von gleichem oder verschiedenem Dnrchmesser, aus einander (Fig. 1, 2,8,9). Dadurch, dass diese konstante Verzweigung während des ganzen peripheri- schen Verlaufs stattfindet, unterscheidet sie sich wesentlich von den bei den Wirbelthieren bisher bekannten Theilungen der Nervenprimitivfasern, welche immer entweder nur in den Centren, oder nur vor der peripherischen Endigung erfolgen, und das einzige einigermassen analoge Verhältniss bietet das elektrische Organ von Malapterurus electricus, dessen sämmt- liche Nervenprimitivfasern nach Billharz nur aus der wie- derholten Theilung einer einzigen kolossalen Primitivröhre hervorgehen. Das Fundamentalgesetz der „isolirten Leitung“ dürfte durch diese Ausnahme für die Decapoden vielleicht einen bedenklichen Stoss erleiden, da sich hier die Versorgung weit entfernter Punkte, sowohl in der Haut als den Mus- keln, durch ein und dasselbe Nervenelement, leicht und si- cher demonstriren lässt. Doch kann man sich diess Aus- nahmsverhältniss einigermassen erklären, wenn man auf die physiologischen Eigenthümlichkeiten des Ürustaceenpanzers in Betreff seiner sensiblen und motorischen Leistungen Rück- sicht nimmt. Die zarte, weiche Haut (siehe unten Haut), welche überall unter der harten, äussern Chitinschale der Crustaceen liegt und als deren Matrix anzusehen ist, vermit- telt allein, wie die Ernährung, so auch die animalen Funk- Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 481 tionen der Haut, indem sie nicht nur der Träger der Blut- gefässe und sensiblen Nervenenden ist, sondern auch, indem die Muskeln an ihr, und nicht unmittelbar am Skelett, sich ansetzen. Da nun die Eindrücke der Aussenwelt, bevor sie zur Empfindung gelangen, durch die dicke harte Schale erst vermittelt werden müssen, jeder Eindruck aber, welcher auch nur einen kleinsten Punkt der ganz unempfindlichen, unnach- giebigen Schale trifft, von einem verhältnissmässig grossen Theil der darunter liegenden Hautoberfläche empfunden wird, so wird es nichts schaden, wenn alle diejenigen Hauttheil- chen, die immer gleichzeitig einen auf einen Schalenpunkt gesetzten Eindruck empfinden, auch diese Perception den verschiedenen Aestchen einer und derselben Nervenprimitiv- röhre mittheilen, wodurch dann im Oentrum wieder eine ein- fache Gefühlsempfindung gesammelt wird. Andererseits ist die Einrichtung der passiven Bewegungsorgane, des Hautske- letts, wie bei allen Gliederthieren, der Art, dass nur die fe- sten Chitinringe oder -cylinder unter einander beweglich ar- tikuliren, die einzelnen kleinsten Theilchen eines jeden star- ren Ringes aber nicht ohne gleichzeitige Bewegung aller an- dern ihren Ort ändern können. Bei jeder Bewegung müssen also immer eine grössere Anzahl Muskelbündel gleichzeitig zusammenwirken, und es lässt sich recht gut denken, dass die sämmtlichen Nervenzweige, welche diese nothwendig gleichzeitig thätigen Muskeln versörgen, auch nur von einer einzigen Primitivröhre abstammen. Es würde also weder bei den Muskelactionen noch bei den Gefühlsperceptionen eine allgemeine Verwirrung stattfinden, wie sie beim ersten Blicke auf die weit divergirende Verbreitung verschiedener Aestchen einer und derselben Röhre auf weit entlegene Punkte unaus- bleiblich scheint eintreten zu müssen. Eine ganz andere und vielleicht ansprechendere Erklärung der Röhrentheilungen lässt sich geben, wenn man diese mit dem centralen Faserbündel in Verbindung setzt und dabei der dritten, oben nur angedeuteten Ansicht über den Werth des letzteren sich anschliesst. Beide eigenthümliche Formen, sowohl die Verzweigungen der peripherischen Röhren, als Müller’s Archiv, 1857. 31 482 Dr. Ernst Haeckel: die centralen Faserbündel in den Bauchmarkeylindern, habe ich bei den verschiedensten Decapoden, sowohl Macruren !) als Brachyuren ?), ganz in derselben Weise wiedergefunden. Wenn man nun mit Remak annimmt, dass auch in allen feineren, namentlich auch sämmtlichen peripherischen Röh- ren, das centrale Faserbündel vorhanden ist und nur wegen seiner ausserordentlichen Zartheit und Zerstörbarkeit sich bis- her allen Nachforschungen entzogen hat, so liegt es nahe, die einzelnen Fasern des Axenbündels für die wah- ren, letzten Formelemente der Nerven, die bisher als solche aufgefassten Primitivröhren aber als gröbere Nerven- scheiden, die ganze Complexe von Primitivfibrillen umhüllen, anzusehen. Eine starke Stütze würde diese Hypothese durch die Vergleichung mit der von Leydig (a. a ©.) beschriebe- nen „fibrillären Nervensubstanz“ der Wirbellosen, namentlich der Articulaten, erhalten. Die Aehnlichkeit, welche ein vor- sichtig und ganz frisch untersuchtes Nervenstämmchen eines Insekts und noch mehr einer Arachnide mit einer einzelnen Röhre sammt Faserbündel eines Decapoden zeigt, ist unver- kennbar. Hier wie dort zeigen sich dieselben Bündel äus- serst feiner und zerstörbarer, unverzweigter, paralleler Fä- serchen (bei den Insekten meist noch feiner und mehr un- deutlich körnig, bei den Spinnen deutlicher unterscheidbar). Der einzige Unterschied würde sein, dass die ceylindrische Hülle, welche auch bei diesen Nervenstämmchen aus einer homogenen, nur viel zarteren, mit Kernen innen besetzten Haut besteht, hier unmittelbar das Faserbündel umschliesst, während bei den Decapoden zwischen beiden noch die ge- rinnbare Flüssigkeit angesammelt ist, welche vielleicht nur zum grösseren Schutze des Bündels gegen mechanische Schäd- lichkeiten bestimmt ist. Die Nervenröhrenverzweigungen wür- den sich nach dieser Auffassung natürlich viel einfacher von 1) Astacus, Homarus, Palınurus, Scyllarus. Die Cariden habe ich leider auf die peripherischen Theilungen zu untersuchen versäumt. In- dess findet zweifelsohne bei ihnen dasselbe Verhältniss statt. 2) Homola Ouvieri, Eriphia spinifrons, Portunus depuratus etc. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 483 selbst erklären, da die Röhren, welche wir ursprünglich als Primitivelemente auffassten, nun zum Werthe einer blossen schützenden und zusammenhaltenden Scheide herabsinken, welche die wahren Primitivfasern in Bündel zusammengefasst zur Peripherie leiten. Den einzelnen Fäserchen fiele dann die isolirte Leitung anheim, welche sie, nicht mit der Röhre sich verzweigend, gegen einander selbstständig behaupten würden. Zugleich würde dadurch, wie die auffallende Grösse, so auch die ausnehmend geringe Zahl der Röhren bei allen Decapoden erklärt werden, welche in gar keinem Verhält- nisse zu der unzählbaren Menge von Primitivfasern bei den Wirbelthieren steht. Bezüglich der Histogenese würde man dann annehmen müssen, dass eine einzelne verlängerte Zelle oder eine Reihe verschmolzener Zellen, ebenso wie sie bei den Muskeln bald einer einzelnen Muskelprimitivfaser, bald einem Bündel von solchen den Ursprung giebt, in derselben Weise auch bei den Nerven bald zu einer einzelnen Ner- venprimitivfaser, bald zu einem Bündel von solchen sich dif- ferenzirt, wofür auch viele andere vergleichend histologische Thatsachen sprechen. Wie sehr aber auch diese Auffassung der Primitivröhren als Scheide eines Bündels von wirklichen Primitivfasern in vieler Hinsicht ansprechen mag, so ist doch vor der Hand nicht zu vergessen, dass die fragliche Struktur wirklich gesehen bisber nur in einem sehr kleinen Theile des Nervensystems ist, vielleicht in 6— 10 dicksten Röhren des Bauchstrangs, nicht einmal in den feineren, unter !/,,'' brei- ten, desselben, und nirgends in irgend einem peripherischen Theile (obwohl z. B. in den Scheerennerven recht ansehnliche Röhren vorkommen), nirgends im sympathischen Geflecht. Ich habe zwar bei lange fortgesetzten Untersuchungen hie und da einmal eine äusserst feine längsstreifige Centralmasse auch in dünnen und peripherischen Röhren zu erblicken ge- glaubt, allein nie mit der Sicherheit und Klarheit, mit der sie in jenen kolossalen Fasern zu demonstriren ist, was bei der vollkommenen Durchsichtigkeit der Röhren und der Leich- tigkeit, mit der man sie ganz unversehrt ohne alle Präpa- ration (namentlich an den seitlich von den Bauchknoten ab- ol” 484 Dr. Ernst Haeckel: . gehenden Aesten Fig. 1, 2) untersuchen kann, immerhin sehr auffallend bleibt. Die Verbindung der Ganglienzellen mit den Ner- venröhren, von der grössten Wichtigkeit für die Nerven- physiologie, wird beim Flusskrebs von verschiedenen Auto- ren sehr verschieden angegeben. Valentin und Hanno- ver (l. ec.) nahmen nie den Uebergang einer Zelle in eine Primitivfaser wahr. Helmholtz unterscheidet rundliche oder ovale Zellen ohne oder mit Fortsatz, „welcher immer den Nervenfasern sehr ähnlich sei.“ Remak sah feinere Bauch- marksröhren keulig anschwellend in Ganglienkugeln überge- hen. Bipolare Zellen werden von keinem erwähnt, obwohl sie im Sympathicus nicht selten sind. Die häufigsten sind jedenfalls die unipolaren, namentlich in den Bauchknoten; die apolaren sind wohl Kunstproducte, wie schon Helm- holtz vermuthet. Nur in gewissen Gehirntheilen scheinen sie präformirt zu sein. Eigentliche multipolare, wie sie in den Nervencentren der Wirbelthiere vorkommen, mit mehre- ren, blassen, verzweigten Fortsätzen fand ich niemals; ebenso auch keine Fortsätze, welche nicht in Nervenröhren übergin- gen. Sehr selten sah ich im Sympathicus Zellen mit 3röhri- gen Fortsätzen (Fig. 12). Bezüglich der Art und Weise, wie die beiderlei Nervenelemente sich unter einander verbinden, sprechen die meisten Bilder, die ich beim Flusskrebs sah, nicht wenig für die vielfach bestrittene Ansicht von Bidder und Volkmann, dass die Zeilen in Erweiterungen der Röh- ren eingebettet sind. Man sieht nämlich an ganz frischen und unverletzten Präparaten fast immer den klaren Inhalt der Röhre und den trübkörnigen der Zelle da, wo sich beide an den Abgangsstellen der Fortsätze berühren, durch eine zwar zarte, aber scharfe und deutliche Linie vollständig abgegrenzt, welche seitlich in den inneren Contour der Röhrenprimitiv- scheide übergeht, die ihrerseits ohne Unterbrechung als deut- lich doppelte Grenzlinie die ganze Ganglienkugel umgiebt (Fig. 8, 10, 11, 12). Besonders deutlich war dies Bild an manchen bipolaren Kugeln (Fig. 11), wo es ganz aussah, als ob der Röhreninhalt an einer spindelförmig erweiterten Stelle Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 485 der Röhre durch eine eingelagerte elliptische Blase, deren Wände denen der Röhre innig sich anschmiegten, unterbro- chen und substituirt sei. Auch an den dreilappigen tripola- ven Zellen (Fig. 12) lief der doppelte Röhrencontour ununter- brochen über die .eingeschlossene Blasenmembran fort. Dass letztere wirklich als Zellmembran den Ganglieninhalt um- schliesse und dass dieser keine hüllenlose Masse sei, zeigte sich oft an zufällig oder absichtlich verletzten Zellen, beson- ders des Gehirns, wo der feinkörnige Inhalt aus der gebor- stenen, sehr zarten, aber deutlichen Hülle frei ausfloss.. An den unipolaren Bauchmarkszellen konnte ich fast nie die Grenzmembran sehen, wahrscheinlich weil sie bei der hier nothwendigen eingreifenden Präparation immer verletzt wurde. Der körnige Inhalt schien hier allmälig sich in dem klaren der Röhre zu verlieren. Eine sowohl mit den Angaben aller erwähnten Autoren, als mit meinen eigenen Beobachtungen in starkem Wider- spruch stehende Beschreibung der Nervenzellen des Fluss- krebses gab Will (l. c. p. 76 sq.), welcher bei allen Wirbel- losen zwei, sowohl im Inhalt des Bläschens als der Struktur des Anhanges ganz verschiedene Arten von Nervenkörper- chen gefunden haben will. „Bei der einen Art ist der Zwi- schenraum zwischen Hülle und innerer Zelle durch eine frisch glashelle Masse erfüllt, die durch Wasser etc. körnig ge- rinnt. Sie haben immer einen Anhang, der eine einfache, nie in zwei Zweige gespaltene Röhre darstellt. Bei der an- dern Art liegen in der glashellen Masse viele kleine runde Zellen, in denen kein Kern, wenigstens kein centrischer sicht- bar ist, diehbt an der äussersten Hülle, oft in so bedeutender Anzahl, dass sie sie ganz auszufüllen scheinen. Beim Zer- quetschen treten sie nicht leicht aus, sondern bleiben an der Hülle hängen. Oft hat diese Art mehrere Anhänge, die meist nach einer Seite, zuweilen aber auch nach entgegengesetzter abgehen und längsgestreift sind, besonders an der dieksten Ansatzstelle. Sie sind aus feineu, Jo‘ dicken Fasern zu- sammengesetzt, verästeln sich und zerfallen schliesslich in feine Fasern etc. etc.“ — Von diesen beiden Arten bezeich- 486 Dr. Ernst Haeckel: net die erste allein wirkliche Nervenzellen und zwar die uni- polaren der Bauchmarksknoten, obwohl deren Inhalt, wie wir oben zeigten, auch frisch niemals wasserhell, sondern durch Fettkörnchen getrübt ist. Die Beschreibung der an- dern Art passt so vollkommen und exact auf die unten (beim Fettgewebe) zu beschreibenden Fettzellen, dass Will diese offenbar dabei vor Augen gehabt hat; es ist dies um so si- cherer der Fall gewesen, als die bezeichneten Fettzellen die Ganglien, namentlich die vordersten im Thorax und das Ge- hirn, in dichten Lagen umgeben und bei deren Präparation sich leicht hinzumischen. Sie finden sich ausserdem in den verschiedensten Körpertheilen, namentlich um das Herz. Die angeblichen verzweigten, fibrillären Fortsätze derselben sind gewiss nichts anderes als gewisse Bindegewebsformen gewe- sen, die oft ganz ähnlich aussehen. | 2. Muskelgewebe. Die Muskeln des Flusskrebses, wie aller Artieulaten, zei- gen überall eine sehr deutlich ausgesprochene Querstreifung, sowohl die animalen Muskeln des Stammes und der Extre- mitäten, als die Eingeweidemuskeln (am Darm, den Drüsen etc.). Die letzteren unterscheiden sich kaum durch einige unwesentliche Eigenthümlichkeiten, am meisten noch dadurch, dass die einzelnen Primitivbündel hier weniger deutlich, als bei jenen animalen Muskeln, isolirt und abgegrenzt sind, sondern vielmehr sich verästeln und vielfach mit einander anastomosiren. Den glatten Muskeln der Wirbelthiere ana- loge Fasern fehlen gänzlich, falls man nicht als solche die glatten Ringfasern, welche die elastische Intima der Arterien in diehter Lage umspinnen, gelten lassen will (siehe unten: Gefässsystem). Die feinere Struktur der Muskelfasern lässt sich wegen der bedeutenden Grösse und leichten Isolirbarkeit der con- stituirenden Elementartheile leichter, als bei vielen Wirbel- thieren verfolgen und spricht nicht wenig zu Gunsten der ältern Schwann’schen Ansicht über die Entstehung und der Bowman’schen über die Zusammensetzung derselben. Be- Ueber. die Gewebe des Flusskrebses. 487 kanntlich breitet sich neuerlichst die von Reichert uud Holst aufgestellte Ansicht aus, dass das eigentliche Muskel- elementarorgan die Fibrille ist, welche in ihrer ganzen Länge durch Auswachsen einer einzigen embryonalen Zelle entsteht. Das Primitivbündel oder die Primitivfaser ist danach ein Com- plex von vielen einzelnen, später innig verschmolzenen Fi- brillen oder verlängerten Zellröhrchen, deren jede einzelne einer glatten Muskelfaser oder contractilen Faserzelle äqui- valent ist. Das Sarkolemma ist mithin die erste bindegewe- bige Hülle einer Summe von Primitivfibrillen. Dagegen ist nach der älteren Auffassung von Schwann, die auch Köl- liker vertritt, das wahre Muskelelement die Primitivfaser oder das Fibrillenbündel, welches durch Verschmelzung vie- ler rundlicher oder länglicher, in einer einzigen Reihe hinter einander liegender Embryonalzellen entsteht. Die Fibrillen sind danach der differenzirte Inhalt, das Sarkolemma die Summe der Membranen der linear an einander gereihten Zel- len. Diese letztere Ansicht wird bei den Decapoden vor- züglich durch die eigenthümliche Struktur der Herzmuskel- fasern gestützt. Das Herz des Flusskrebses zeichnet sich schon für das blosse Auge durch seine opake, gelbliche Farbe und sehr weiche, fast gallertige Consistenz sehr vor den übrigen Mus- keln des Körpers aus, welche viel derber, cohärenter, glän- zend, vollkommen farblos und durchscheinend, zuweilen leicht bläulich sind. Die Natur seiner Elemente lässt sich, ebenso wie der Verlauf und die Verflechtung derselben, am frischen Herzen wegen seiner grossen Weichheit und des innigen Zu- sammenhangs der Fasern nur sehr unvollkommen verfolgen. Leicht und in Menge lassen sich aber diese letzteren isoli- ren, wenn man das Herz in verdünnter Essigsäure gekocht oder ein paar Tage macerirt hat. Jede Muskelfaser, einem Primitivbündel entsprechend, stellt dann einen einfachen cy- lindrischen Schlauch dar, umhüllt von einer sehr zarten, schwierig zu isolirenden Membran, dessen Inhalt scharf in zwei wesentlich verschiedene Schichten, eine peripherische und eine centrale, geschieden ist (Fig. 14). Die äussere pe- 488 Dr. Ernst Haeckel: ripherische Zone bildet eine weiche, amorphe, dunkle, durch zahlreiche eingestreute Körnchen getrübte Masse, welche durch eine leicht gelbliche Färbung die Undurchsichtigkeit und Farbe des Herzens bedingt. Der innere centrale Cylinder ist con- sistenter, klarer, durchsichtiger und bald mehr homogen, bald durch mehr oder weniger breite und deutliche Längsstreifen in Fibrillen abgetheilt, welche bisweilen auch zarte Spuren von Querstreifen erkennen lassen. Obwohl die einzelnen Fa- sern bezüglich der Längs- und Querstreifung sehr verschie- den sind, so lässt sich doch eine continuirliche, durch viele Zwischenformen vermittelte Stufenleiter von den ganz homo- genen oder nur leicht streifigen Cylindern bis zu dem ausge- sprochen quergestreiften Fibrillenbündel verfolgen. In der Ceniralaxe jedes Oylinders liegen scharf umschriebene, dun- kel gekörnelte Kerne von bald mehr rundlicher, bald mehr elliptischer oder spindelförmig ausgezogener, oder auch mehr unregelmässiger Gestalt. Ihre Gruppirung geschieht sehr man- nichfaltig, indem sie bald in regelmässigen weiteren Zwischen- räumen (meist dreimal so gross als ihr eigener Durchmesser) von einander abstehen und dem Umfang des Cylinders sich etwas nähern (Fig.14 B), bald aber so dicht gedrängt an ein- ander gereiht sind (Fig. 14 C),. dass eine fast continuirliche Kette von Kernen die Axe durchzieht. In diesem Falle kön- nen die Kerne sowohl mit ihrem Längs - als Querdurchmes- ser einander parallel gerichtet sein. Die Hülle der Muskel- schläuche oder die sehr zarte Primitivscheide ist regelmässig zwischen je 2 Kernen der Quere nach so eingeschnürt und gefaltet, und dadurch zugleich die äussere körnige Zone (nicht aber die überall gleich breite, innere, klare) so unterbrochen, dass die ganze Primitivfaser nur aus einer Linie an einander gereihter und verschmolzener Kugeln oder Scheiben zusam- mengesetzt erscheint. Dass diese die, nicht vollkommen zu gleich breiten Fasern verschmolzenen Reste der ursprüngli- chen Embryonalzellen vorstellen, kann man kaum bezwei- feln, da fast immer ganz regelmässig ein einziger!) centraler 1) Sehr selten auch zwei, offenbar durch Theilung eines einzigen entstanden, Fig. 14 A die obersten. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 489 Kern zwischen je zwei äusseren Einschnürungen der Hülle mitten inne liegt. Wie sehr diese interessante Muskelfaserform für die Scehwann’sche Ansicht spricht, braucht wohl nicht erst ge- zeigt zu werden. Dass dieselbe aber auch für die sehr ver- schiedenen Körpermuskeln vollen Werth hat, wird durch einen Theil der Darmmuskeln, sowie durch mehrere kleine Muskel- paare bewiesen, welche den Magen an den Thorax befestigen und in ihrer Struktur ein vollständiges Mittelglied zwischen diesen letzteren und jenen Herzmuskeln bilden Auch diese Muskeln fallen schon dem blossen Auge durch ihre trübe, leicht gelbliche Farbe auf, wenngleich weniger als das Herz. Durch längeres Verweilen in Wasser, sowie durch Druck zerfällt die gesammte körnige Inhaltsmasse in unregelmässig gestal- tete, wachsähnlich gelblich glänzende, homogene Bröckeln von der Dicke der Röhre und oft von noch bedeutenderer Länge. Mit verdünnter Essigsäure behandelt zeigen sie sich ebenfalls aus den eben geschilderten Elementen zusammen- gesetzt; nur dass diese zum grösseren Theile ihren embryo- nalen Typus schon mehr verloren haben. Die Querstreifung ist ganz deutlich ausgesprochen und die Längsstreifen lösen sich bei der Präparation oft in wirkliche Fibrillen auf, was beim Herzen nicht leicht geschieht. Während in vielen die varicös eingeschnürte, körnige, peripherische Zone und der centrale Kernstrang noch sehr deutlich sind, tragen andere schon den vollkommen entwickelten Charakter der übrigen, farblosen und klaren Muskeln. Da man hier eine vollstän- dige Stufenleiter von den ganz embryonalen bis zu den höchst entwickelten Formen innerhalb eines und desselben Muskels neben einander hat, so dürfte dadurch mindestens für die De- capoden der Nachweis für die Entstehung des Muskelprimi- tivbündels aus einer Kette linear an einander gereihter Zellen sicher geführt sein. Damit ist jedoch nicht bewiesen, dass nicht bei den Muskeln anderer Thiere eine solche verschmol- zene Zellenreihe oder auch eine einzelne verlängerte Zelle nur je einer Fibrille den Ursprung geben könne. Im Gegen- theil kann mau, wie oben auch für die Nerven, namentlich 490 Dr. Ernst Haeckel: die ceutralen Faserbündel gezeigt wurde, beide Möglichkeiten ganz gut neben einander bestehen lassen. Auch die feinere Struktur der Körpermuskeln des Krebses an sich bestätigt die eben aus dem Ban der Herzmuskelele- mente abgeleitete Deutung. Die Primitivfasern dieser glashellen, derben Muskeln isoliren sich ziemlich leicht und zeigen überall deutlich in einem strukturlosen, cylindrischen Schlauch eingeschlossen die quergestreifte Inhaltsmasse und zwischen beiden zerstreute Kerne, sehr analog den Nerven- -röhren, wesshalb man die Primitivbündel auch passend „Mus- kelprimitivröhren* nennen kann. Der Durchmesser derselben ist in den verschiedenen Körpertheilen sehr verschieden; die dünnsten und schmalsten finden sich an den zugleich weni- ger ausgeprägten, anastomosirenden, vegetativen Muskeln des Darms etc. Die Wand der Röhre oder die „Muskelprimitiv- scheide“, das „Sarkolemma“ der Autoren zum Theil '), ist ein vollkommen homogener, glasheller, durchsichtiger Oy- linder, eben so dünn und einfach, als fest und elastisch. In Essigsäure und verdünnten Alkalien unlöslich, nähert er sich dem elastischen Gewebe, bekundet sich als die Summe der Membranen der verschmolzenen embryonalen Zellen und ent- 1) Der Ausdruck „Sarkolemma“ dürfte wohl fernerhin mit Recht auf das zarte, homogene, kernhaltige Bindegewebe beschränkt wer- den, welclies als letzte Ausbreitung des Perimysium internum die ein- zelnen Primitivröhren unter einander verklebt und zu secundären Bün- deln vereinigt. Freilich wurde ursprünglich die eigentliche Primitiv- scheide damit bezeichnet (nach Bowman), für welche aber dieser letztere Ausdruck nach der naturgemässen Analogie mit den Nerven- röhren passender erscheint. Da dieselbe nun in der That nicht binde- gewebiger Natur ist, in jüngster Zeit aber von den Autoren, die sie dafür hielten, nicht nur Bindegewebe in ihrem Sinne mit „Sarkolemma“ bezeichnet wurde, sondern auch das zunächst angrenzende wirkliche Bindegewebe, da endlich von Anderen ganz offenbar die innersten Theile des Perimysium internum darunter verstanden wurden, so dürfte es wohl am passendsten sein, diesem letzteren jenen Namen zu las- sen, wodurch auch die Analogie mit dem Neurilemma richtig bezeich- net würde. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 491 fernt sich dadurch zugleich entschieden vom Bindegewebe. Im Ganzen schwerer als bei Wirbelthieren zu demonstriren, erscheint er ziemlich leicht durch gewaltsame Zerrung eines Muskels, wobei der contractile Inhalt zerreisst und sich nach beiden Enden zurückzieht, zwischen denen der einfache Con- tour der Scheide sichtbar bleibt. Die Kerne (Reste oder Abkömmlinge der embryonalen Zellenkerne) liegen stets an der Innenseite der Scheide, zwischen ihr und denı Inhalt, treten oft mit letzterem aus ersterer hervor, und scheinen zuweilen selbst ganz im Innern der contractilen Masse zer- streut zu Sein, so namentlich an den oben erwähnten weni- ger ausgebildeten Darm- und Magenmuskeln. Durch diese Lage gleichen sie den äquivalenten Kernen der Nervenröh- ren und entfernen sich von den übrigens ganz ähnlichen Ker- nen der umgebenden Bindesubstanz (Fig. 13 b,f). Bisweilen zeigen sie hübsche Theilungen in 2 oder 4 kleinere, noch dicht beisammen liegende Kerne (Fig. 13 d). Die econtractile, quergestreifte Masse, der diffe- renzirte Zelleninhalt, oder das sogenannte Fibrillenbündel, hat durch die ausnehmende Grösse und Deutlichkeit seiner constituirenden Primitivpartikelchen, die bedeutender als bei den meisten Wirbelthieren ist, beim Flusskrebs schon mehr- faches Interesse erregt, und Will') hat darüber nach sehr ausführlichen Untersuchungen eine umfangreiche Abhandlung geliefert. Er kommt zu dem Resultat, dass die Fibrillen nicht perlschnurartige Reihen präformirter Kügelchen sind, die durch Zwischensubstanz an einander hängen, sondern vielmehr ganz gleichmässig dicke Fäden, durch deren Con- traction die (Juerstreifen entstehen, und zwar nicht dadurch, dass sich die Fibrille stellenweis verdickt und in einen vari- cösen Faden verwandelt, sondern dadurch, dass die gerade Form der Fibrille in eine geschlängelte, wellenförmig fort- laufende übergeht. Auch Reichert?) glaubt, dass durch 1) Will, Einige Worte über die Entstehung der Querstreifen der Muskeln, Müll. Arch. 1843 p. 353. 2) Reichert, Jahresbericht in Müll. Arch. 1844 p. 186. 492 Dr. Ernst Haeckel: . Will’s Beobachtungen eine wellenförmige Ziekzackbiegung der Fibrillen bei der Contraction: sicher bewiesen sei, und fügt nur hinzu, dass diese Thatsache eine gleichzeitige stellen- weise Verdickung der Primitivbündel bei der Contraction nicht negire, dass vielmehr Will’s eigene Behauptung für eine solche spreche, nämlich: „dass, wenn bei der Contraction der Muskelbündel eine immer grössere Anzahl breiter Querstrei- fen sich in schmälere verwandelt, die Bürdel selbst überall da um !/, ihres Durchmessers sich verbreitern, wo schmälere Streifen entstehen.“ Nur hinsichtlich dieser letztern Behaup- tung, sowie in dem Punkte, dass die Fibrillen ganz gleich- mässig dicke, nicht varicöse Fäden seien, muss ich Will beistimmen. Dagegen konnte ich von einer zickzackförmigen Wellenbiegung bei der Contraction nichts wahrnehmen und muss überhaupt das Streben, aus dieser die Querstreifung abzuleiten, für verfehlt halten. Die zahlreichen und sehr verschiedenartigen Bilder, welche ich bei vielfacher Behand- lung der verschiedensten Muskeln sowohl von höheren, als niederen Decapoden erhielt, haben mich vielmehr zu der alten, neuerlichst auch von Leydig (Lehrb. p.44) unterstütz- ten Ansicht von Bowman zurückgeführt, dass die Querstrei- furg lediglich durch die eigenthümliche Anordnung der „pri- mitive particles or sarcous elements“ bedingt werde, und dass diese, nicht die Fibrillen, die eigentlichen Elementar- theile seien. Wenn es nämlich einerseits allerdings leicht ge- lingt, an den in Alkohol oder Chromsäure aufbewahrten oder in Wasser macerirten Muskeln, wie bei den Wirbelthieren, die Primitivfasern in Bündel von Fibrillen aufzulösen und die letzteren auf grosse Strecken hin in Menge zu isoliren, so ist dies doch an frischen, unversehrten, nur mit Krebsblut bebandelten Muskeln gar nicht leicht, und andererseits kann man durch vorsichtige Einwirkung anderer Reagentien, wie der verdünnten Säuren, und insbesondere der diluirten Salz- säure und Salpetersäure (wie diess Lehmann, Funke und Leydig auch für Wirbelthiere angeben) die Bowman’schen „Dises* fast eben so sicher zur Anschauung bringen, und durch behutsamen Druck selbst einzelne isoliren und stück- Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 493 weis aus den Röhren hervortreiben. Da also an den ganz frischen, nicht mit Wasser in Berührung gebrachten Fasern die Darstellung der Fibrillen eben so schwierig ist, als die der Scheiben, und die letzteren eben so sicher auf die eine, als erstere auf die andere Art sich darstellen lassen, so ist es wohl am ratürlichsten, nach Bowman die aus beiden schliesslich hervorgehenden „primitive particles* oder Fleisch- theilchen als die natürlichen Muskelelemente aufzufassen, die durch regelmässige Aneinanderlagerung in Länge und Breite die Querstreifung bedingen. Weiterhin muss man dann auch annehmen, dass dieselben durch zwei verschiedene Bindemas- sen vereinigt werden, in der Art, dass die eine, spärlichere Kittsubstanz, die in Wasser und Alkohol löslich, in verdünn- ter Salzsäure unlöslich ist, die Seitenflächen der Fleisch- theilchen der Quere des Bündels nach verklebt und bei der Scheibenbildung erhalten bleibt, während die andere Verbin- dungsmasse, in verdünnter Salzsäure leicht, in Alkohol nicht, in Wasser erst nach langer Maceration löslich, die Grund- flächen der Particles in der Längsrichtung der Faser an ein- ander löthet uad beim Zerfall derselben in Fibrillen die er- steren zusammenhält. Diese letztere Substanz, das Längs- bindemittel, übertrifft die erstere, die man als Querbindemit- tel unterscheiden kann, bedeutend an Umfang, der indess einen sehr variablen Werth hat, was wohl hauptsächlich durch ihr ausgezeichnetes Jmbibitionsvermögen bedingt ist. Während sie nämlich an der frischen Muskelröhre so dünn ist, dass sie nur als einfacher Contour zwischen den Dises erscheint, und so die einfache Querstreifung bedingt !), so quillt sie nach längerem Liegen in Wasser oder sehr ver- dünnter Essigsäure beträchtlich auf, endlich so stark, dass sie Zwischenscheiben, fast von der Dicke der echten Discs, bildet?). In diesem höchsten Grade der Imbibition wird die 1) So an den noch vom Sarkolemm umschlossenen Fasern auf der rechteu Seite in Fig. 13. ai 2) So an den aufgeweichten, zerfallenden, von dem Sarkolemm ent- blössten Bündeln auf der linken Seite in Fig. 13. 494 Dr. Ernst Haeckel: Primitivröbre einer Voltaischen Säule, mit der sie so oft verglichen wurde, erst recht ähnlich, indem sie dann näm- lich ganz aus zweierlei verschiedenen, abwechselnd geschich- teten Platten zusammengesetzt erscheint, wie diess auch schon aus vielen Abbildungen ') bekannt ist. Ganz ähnliche Bilder giebt auch oft der nicht gequollene, aber völlig erschlaffte und erstorbene, sowie der (künstlich oder natürlich) stark ausgedehnte Muskel. Von demselben Bilde sucht auch Will mit Nothwendigkeit die Ziekzackbiegung abzuleiten, indem er die „dunkeln Querbänder für Erhöhungen, die hellen für Ver- tiefungen“ erklärt. Er zeigt, dass von den drei möglichen Arten, auf die sich eine solide Faser verkürzen könne, näm- lich a) durch gleichmässige Verdiekung in der ganzen Länge mit gleichzeitiger Verkürzung, b) durch Bildung von Varieo- sitäten, c) durch Zickzaekbiegung — nur die letztere das obige Bild erklären könne. Dabei geht er aber von der irri- gen Voraussetzung aus, dass die Muskelfaser solid und ho- mogen sei. Da diess nicht der Fall ist, so kann nur die erste von ihm angeführte Möglichkeit (unter a) alle wirklich vor- kommenden Bilder erklären. Dasselbe Bild von zweierlei ver- schiedenen, mit einander abwechselnden Scheiben hat wohl auch Dobie?) bewogen, zwei verschiedene Arten von Par- ticles, heile und dunkele, zu unterscheiden. Doch giebt diese Bezeichnung darum keinen scharfen Unterschied ab, weil je nach der verschiedenen Einstellung des Focus bald die Sub- stanz der echten Fleischtheilchen dunkel und die Längsbinde- masse hell erscheint, bald umgekehrt letztere dunkel, erstere hell; und weil beim wirklichen Zerfall der Faser in Particles das Längs- ebenso wie das Querbindemittel durch Lösung verschwindet. Sicherer kann man zuweilen an Röhren im Zustande der höchsten Ausdehnung, Erschlaffung oder Imbi- bition die zweierlei Scheiben dadurch unterscheiden, dass die wirklichen Sarcous Discs eine zwar äusserst zarte, aber doch 1) So z.B. in Kölliker, Gewebelehre 1. Aufl, Fig. 97 u. 109 A. 2) Dobie, Observ. on the etc. vol. musc, fibre in Ann, of nat. hist, III, 1849. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 495 scharfe und sehr dichtgedrängte Längsstreifung zeigen (als Andeutung der beginnenden Auflösung des Querbindemittels und des Zerfalls in Fibrillen), von der an den Scheiben der ganz homogenen Längsbindemasse nichts zu sehen ist. Auch erreicht die Dicke (Höhe) der letzteren, die übrigens sehr variabel ist, nur selten diejenige der echten Fleischscheiben, welche von 0,002 Mm. zu dem ausserordentlichen Durchmes- ser von 0,010 Mm. beim Flusskrebs steigen kann (Fig. 13 links). Für die Richtigkeit dieser Anschauung von der Ver- bindung der primitive particles spricht auch noch ein ande- rer Umstand, der zuweilen in hohen Graden der Aufquellung eintritt. Wenn sich dann nämlich der Zusammenhang der Fibrillen in Folge der Auflösung des Querbindemittels lok- kert, so können sich die Fibrillen innerhalb des Primitivbün- dels der Länge nach an einander so verschieben, dass Fleisch- theilchen, die ein und derselben Scheibe angehörten, auf ver- schiedene Höhe zu stehen kommen nud mit Längsbindemasse der nächsthöheren oder nächstniederen Scheibe in Berührung treten '). Wird endlich nach sehr lange dauernder Wasser- einwirkung auch die ganz gequollene Längsbindemasse der isolirten Fibrillen gelöst, so findet man nur noch die freien Sarcous elements in der Flüssigkeit zerstreut. Diese stellen dann im Zustande grösster Ausdehnung (bis zu 0,0124 Mm. Länge!) sehr blasse, homogene Stäbchen dar, die bald mehr gleichmässig ansgedehnt, eubisch erscheinen, bald mehr in die Länge ausgezogen, als cylindrische Säulchen eder noch öfter (was wahrscheinlich ihre ursprüngliche Form ist) als sechsseitige Prismen. Das Verhalten derselben bei der Con- traction des Muskels kann man sich dann gemäss der eben geschilderten Zusammenfügung in der Weise erklären, dass alle Partikelchen gleichzeitig kürzer und dicker werden, und dass die, wahrscheinlich elastische, Längsbindemasse, dieser Bewegung folgend, zugleich breiter und niedriger wird. Das feine, verzweigte, canaliculäre „Lückensystem“, 1) So in den mittleren Fasern der linken Gruppe in Fig. 13. 496 Dr. Ernst Haeckel: welches nach Leydig!) die fibrilläre Inhaltsmasse des Pri- mitivbündels in ganz analoger, aber nur viel zarterer Weise durchsetzt, wie das Bindegewebe von dem Netzwerk der vielfach communieirenden Bindegewebskörperehen durchbro- chen ist, sieht man beim Krebs auch an ganz frischen Mus- keln sehr deutlich. Betrachtet man die Primitivbündel von der Oberfläche, so erscheinen die Lücken als sehr feine und dünne, spindelförmige, selten seitlich sternförmig mit Aus- läufern versehene Hohlräume, deren spitze Endausläufer sich zwischen den Fibrillen verlieren. Auf dem künstlichen und noch viel besser auf dem natürlichen Querschnitt zeigen sie sich als einfach rundliche oder ringsum in mehrere feine Spitzen ausgezogene Figuren zwischen den Durchschnitten kleiner Fibrillengruppen, welche früher für die Querschnitte der Fibrillen selbst galten. Niemals aber sah ich „Kernru- dimente in den Knotenpunkten“ ?). Die Kerne innerhalb der Primitivbündel liegen vielmehr fast immer der Innenseite der Primitivscheide genau an. Abgesehen von dem Fehlen der Kerne, sehen die interfibrillären Lücken zwar echten Binde- gewebskörperchen oft sehr ähnlich, und wahrscheinlich ist auch ihre physiologische Bedeutung als saftführender Kanäle zur Ernährung des Muskels und zur Vermittelung seines Stoff- wechsels eine ganz analoge, wie bei jenen, indem sie ein ähnliches plasmatisches Gefässsystem für die Muskelprimitiv- bündel, wie die Bindegewebskörperchen für die bindegewe- bige Intercellularsubstanz, formiren. Allein die morphologi- sche Dignität der letzteren als wirklicher Zellen oder Zellen- rudimente entfernt sie denn doch weit von den interfibrillären Muskellücken, welche durchaus keine Beziehung irgend wel- cher Art zu Zellen haben oder früher hatten, auch innerhalb des contractilen früheren Zelleninhalts nicht wohl haben kön- nen. Vielmehr sind sie eben nur saftlührende Lücken zwi- 1) Leydig über Tastkörperchen und Muskelstruktur. Müller’s Arch. 1856. 2) Leydig, Lehrb. p. 48 Ann. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 497 schen Fibrillengruppen oder, wie Kölliker!) sie nennt: „interstitielle Substanz“. Die Körnchenreihen, welche letz- terer bei Wirbelthieren zwischen den Fibrillen fand, sah ich beim Krebs nicht. 3. Bindegewebe. Das Bindegewebe bietet bei den Decapoden so eigenthüm- liche und von den bekannten der Wirbelthiere so abweichende Struktur- und Formverhältnisse dar, dass es sehr zu bedauern ist, dass dasselbe bisher über alle Gebühr vernachlässigt wurde. Nicht nur kennt man den Zusammenhang der ein- zelnen auffallend verschiedenen Formen desselben noch gar nicht, sondern auch diese selbst sind zum Theil kaum ein- mal erwähnt worden. Den ersteren auszumitteln und einen einheitlichen Gesichtspunkt über die gesammte Formation zu gewinnen, ist mir leider trotz aller Bemühungen nicht ge- glückt?). Ich muss mich daher damit begnügen, die einzel- nen Formen zu beschreiben und wo möglich zu vergleichen. Wenn man nach der jetzt allgemein gültigen Auffassung die Bindesubstanzen als „Gewebe mit Intercellularsubstanz und eingesprengten zelligen Elementen“ charakterisirt, so muss man beim Flusskrebs und in gleicher Weise allen anderen Decapoden °) vor allen 2 Hauptgruppen unterscheiden, de- ren jede wieder in 2 Unterabtheilungen geschieden werden kann, nämlich: A. Bindesubstanzen mit weit vorwiegen- der Grundsubstanz: a) gewöhnliches Bindegewebe, b) gal- lertiges Bindegewebe. B. Bindesubstanzen mit weit über- wiegenden Zellen: c) Zellgewebe. d) Fettgewebe. 1) Kölliker, einige Bemerkungen über den Bau der Muskeln. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1856. 2) Embryonen, die allein diese, wie so manche andere, dunkle, histologische Verhältnisse aufklären können, standen mir leider nicht zu Gebote, da meine Untersuchungen in die Monate October bis April fielen. 3) Brachyuren und wenigstens die meisten Macruren. Die Cariden habe ich leider hierauf nicht untersuchen können. Müller’s Archiv. 1857. 32 498 Dr. Ernst Hacckel: a) Das gewöhnliche Bindegewebe. Es entspricht noch am ersten dem bei den Wirbelthieren unter diesem Namen überall vorkommenden, indem es aus einer formlosen oder verschieden differenzirten Grundmasse und zahlreichen, überall in bestimmten Abständen in dersel- ben liegenden geformten Elementen besteht. Die letzteren sind aber nicht, wie die Bindegewebskörperchen der Wirbel- thiere, Zellen, sondern Kerne. Dieses „gewöhnliche“ Binde- gewebe steht, dem „Zellgewebe“ der Decapoden nicht nur durch seine Struktur, sondern auch durch seine Bedeutung und Function und demgemäss auch durch seine Verbreitung im Körper und sein Verhältniss zu den anderen Geweben schroff gegenüber. Während das Zellgewebe, überall da an- gehäuft, wo ein lebhafter Stoffwechsel stattfindet, bei diesem in hohem Grade betheiligt erscheint, hat das gewöhnliche Bindegew.be zu diesem letztern keine weitere Beziehung, als zu seiner eignen Ernährung nöthig ist. Seine Hauptfunction scheint vielmehr einmal darin zu bestehen, ganze, für phy- sikalische Zwecke bestimmte Apparate für sich allein zusam- menzusetzen, und sodann, die zelligen oder metamörphosir- ten Elemente der übrigen Gewebe zu umhüllen und unier einander zusammenzuhalten, aber auch zu isoliren und ab- zugrenzen. I]. Als alleiniges Constituens ganzer Appa- rate bildet es: 1) die Gefässhäute, und zwar ganz allein das Pericard oder den Vorhof, die Kiemenvenen, Körperve- nen, Capillaren und zum grössten Theil auch die Körperar- terien. 2) Die Sehnen und Bänder. II. Als verbindende Zwi- schenmasse und umschliessende Hülle, sogen. formloses oder intratextuelles (Schlossberger) Bindegewebe for- mirt es: 1) die Hüllen der neben einander gelagerten, speci- fischen Elementarorgane, der Nerven (als Neurilemma und Ganglienfachwerk) und der Muskeln (als Sarkolemma und Perimysium). 2. Die Unterlagen von in einer Fläche epi- thelartig an einander gelagerten Zeilen oder einer einfachen Zellenschicht: Membrana propria der Drüsen und ihrer Aus- führungsgänge, Cutisschicht der äussern Haut, „basement membrane“ des Darmepithels. 3) Die allgemeine Hülle gan- Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 499 zer Organe und die verkittende Zwischenmasse der verschie- densten Theile im ganzen Körper. Die Kerne des gewöhnlichen Bindegewebes bieten an allen diesen verschiedenen Orten keine charakteristischen Verschiedenheiten dar, wie denn überhaupt die Kerne der meisten Gewebselemente des Flusskrebses auffallend wenig verschieden sind. Wesentliche Eigenthümlichkeiten besitzen nur die grossen, wasserklaren Kernblasen der Nervenzellen mit ihrem dunkeln Nucleolus (Fig.10— 12) und die kleineren, aber ebenfalls hellen, oft jedes Körnchens entbehrenden ' Kernbläschen der Blutzellen (Fig. 16—17). Die mehr kugli- gen oder elliptischen, meist biconvexen Kerne des Zell- und Fettgewebes‘ (Fig. 20 und 24), sowie die unregelmässig ge- _ wölbten der Chitinogenzellen (Fig. 22 und 23) sind kaum, endlich die Kerne der Muskelfasern (Fig. 13d) und Nerven- röhren (Fig. 2, 3c) gar nicht von denen des gewöhnlichen Bindegewebes verschieden. Diese letzteren selbst (Fig. 2 e, 15b, f, 13 a, 20 ce) sind im Mittel 0,005 —0,015 Mm. breit, 0,02— 0,03 Mm. lang, und zeichnen sich wesentlich durch ihre Abflachung aus, indem sie stets eine dünne, platte, sel- ten leicht convexe oder concave Scheibe darstellen. Der Rand ist stets sehr scharf umschrieben; oft sieht er aus wie von einer perlschnurförmigen Reihe von Höckerchen ringsum eingefasst und dadurch aufgewulstet. Die Fläche hat ein mattes, durch zahlreiche kleine, dunkle Körnchen getrübtes Aussehen, von denen gewöhnlich keines als Nucleolus durch besondere Grösse ausgezeichnet ist. Die Form der Scheibe ist sehr mannichfach, im Allge- meinen länglich rund oder elliptisch, zuweilen kreisrund (na- mentlich in der Cutis), häufig bipolar verlängert und dann selbst spindelförmig oder endlich stabförmig lineal (so na- mentlich in den Sehnen, Fig. 13). Im letztern Falle werden sie echten Bindegewebskörperchen der Wirbelthiere oft sehr ähnlich. Indess muss ich ausdrücklich hervorheben, dass es mir trotz aller Mühe niemals gelungen ist, eine Zellmembran oder auch nur einen kleinen llohlraum um den unzweifel-, 32° 500 Dr. Ernst Haeckel: haften Kern sichtbar zu machen !). Alle die verschiedenen Mit- _ tel, durch die man bei Wirbeltbieren so leicht die Zellennatur der Bindegewebskörperchen nachweist, leisten hier beim Fluss- krebs gar nichts, was um so auffallender ist, als die ausneh- mende Grösse und der scharfe Contour der Kerne ein Ueberse- hen einer etwaigen Hülle kaum als möglich erscheinen lässt. Auch von sternförmigen verästelten Ausläufern und communieiren- den Kanälchen, durch welche die echten Bindegewebskörper- chen ein plasmatisches Gefässsystem herstellen, ist gar nichts zu sehen. Es bleibt daher vorläufig nichts übrig, als abzu- warten, bis die Entwicklungsgeschichte das Verbleiben der ur- sprünglichen Zellen des Bindegewebes aufgeklärt haben wird. Eine Beobachtung an der Adventitia der Arterien scheint mir darauf hinzudeuten, dass für die Decapoden nicht die allge- mein bei Wirbelthieren angenommene Virchow-Donders’- sche Theorie, sondern vielmehr die Reichert’sche Gültig- keit hat, wonach die Grundsubstanz des Bindegewebes sich aus rundlichen oder länglichen Zellen entwickelt, die mit der von ihnen anfänglich ausgeschiedenen Intercellularsubstanz spä- ter in eine einzige Masse verschmelzen. An jungen Thieren von Astacus nämlich, und noch deutlicher von Palinurus, sah ich die Adventitia der mittelfeinen Arterien (am deutlichsten auf der sogen. „„Gehörblase‘‘), welche später aus lockigem Bindegewebe besteht (Fig. 20 c, d), aus Zellen mit wenig Zwi- schensubstanz zusammengesetzt. Die später scheinbar frei in der gestreiften oder homogenen Grundmasse liegenden Kerne waren von einer zarten, aber deutlichen Membran von rund- lich elliptischer Form umgeben, die ihren Durchmesser etwa um das Doppelte übertraf. Die weiche, helle Intercellular- masse war so gering, dass die hellen Zellen sich mit einzel- 1) Leydig (Müll. Archiv 1855 p. 378) sah in der Cutisschicht „nach Kalilauge Bindegewebskörperchen in Form von länglichen, schma- len Lücken, häufg mit einigen Punkten im Innern, auftreten.“ Ich konnte diess bei wiederholten Versuchen nicht sehen und wüsste es auch nicht mit der Existenz der Kerne (die L. nicht erwähnt) zu ver- einigen. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 501 nen Theilen ihres Umfangs berührten und stellenweis fast das Ansehen eines zusammenhängenden Gefässepithels entstand. ‘ Die internucleare Grundsubstanz des gewöhnlichen Bindegewebes differenzirt sich an den verschiedenen Orten sehr verschieden und variirt dann bedeutend in Dichtigkeit und Ge- staltung. Namentlich zeigen sich bezüglich der letztern die vollkommensten Uebergangsstufen von ganz homogenen zu fibrillär gestreiften Massen. Am einfachsten erscheint sie in der Cutis, d.h. in der sehr dünnen ‚‚basement membrane‘““, welche die Ohitinogenzellen der äussern Haut sowohl als der 'Darmhaut trägt. Hier bildet sie eine weiche, trübe, feinkör- nige, amorphe Masse. Etwas fester, aber noch vollkommen homogen erscheint sie an der membrana propria der Drüsen und ihrer Ausführungsgänge. Im Sarkolemma und Perimy- sium finden sich alle Uebergänge vom Homogenen zum deut- lich Streifigen; ebenso in den allgemeinen Hüllen der Organe, z.B. der’ des Darmrohrs. Im Neurilemma nehmen die Streifen auch schon einen ganz regelmässigen Verlauf, parallel dem der Primitivröhren, an (siehe: Nervensystem) und werden hier von Einigen für wirkliche Fasern, selbst für Remak’sche Ner- venfibrillen gehalten. Hier ist schon zum Theil, noch mehr aber an der Adventitia gewisser Arterien, der Verlauf der Streifen so geschwungen-lockig, wie er für die Wirbelthiere charakteristisch ist. An manchen weicheren Sehnen ist dieser sehr schön ausgesprochen, obwohl Reichert ''), der zuerst das gewöhnliche Bindegewebe des Flusskrebses sehr genau be- schrieb, ihn bei diesem vermisste. Endlich geht die deutliche dunkle Längsstreifung bei gewissen Sehnen in ausgesprochene Spaltbarkeit über, Bedeutend vermehrt wird diese noch durch eine eigenthümliche Verdichtung (Chitinisirung?) der organi- schen Substanz derselben ?) und eine gleichzeitige Infiltration mit Kalksalzen. An einigen Orten geht dann die Spaltbar- 1) Reichert: Vergleichende Beobachtungen über das Bindegewebe, Dorpat”1845 p. 51. i 2) Ueber die angeblich chitinisirten Sehnen siehe unten: Sehnen- und Chitinogengewebe. 502 Dr. Ernst Haeckel; keit so weit, dass man daraus auf eine Zusammensetzung, der scheinbaren ‚, Bindegewebsbündel‘ aus ‚, Fibrillen ““ schliessen könnte. ; Diese kurze Uebersicht, welche durch eine ausführlichere Schilderung der Grundsubstanz an den verschiedenen Orten leicht vervollständigt werden könnte, möge genügen, um zu zeigen, dass eine Reihe continuirlicher Uebergänge von der ganz homogenen oder leicht körnigen durch die zartstreifige zur deutlich spaltbaren Substanz existirt. Diese Stufenleiter, bei Wirbelthieren schwer herzustellen, lässt sich beim Fluss- krebs mit verhältnissmässiger Leichtigkeit verfolgen, wesshalb ihn auch Reichert in seiner classischen, eben eitirten Schrift benutzt hat, um die Praeexistenz von Fibrillen in den Binde- gewebsbündeln zu widerlegen und zu zeigen, dass das fase- rige Ansehen der Grundsubstanz nur durch verschiedene Fal- tungen, Runzelungen etc. hervorgebracht sei. In der That lässt sich auch aus andern Gründen dieser Beweis beim Flusskrebs leicht führen. So kann man z. B. an der sehr zarten, durch- sichtigen Bindegewebslamelle, welche für sich allein die Kie- menvenen und den Vorhof (Fig.15) bildet und die oft sehr aus- gesprochene fibrilläre Streifung zeigt, durch passenden Druck des Deckgläschens oder Spannung die ganze Streifung ver- schwinden machen, und durch Nachlassen der Spannung von zwei entgegengesetzten Seiten künstlich übrillenähnliche Strei- fen in einer diesen beiden Seiten parallelen Richtung beliebig hervorrufen. Auch lassen sich, mit Ausnahme der erwähnten, verkalkten und leichter spaltbaren Sehnen, Fibrillen entweder gar nicht oder nur sehr schwierig und unvollkommen isoliren, obwohl z.B. Will und Helmholtz auch das Neurilemm aus diesen bestehen lassen. Eher gelingt an manchen Orten eine künstliche Darstellung geschichteter Lamellen, durch deren Faltenbildung gewiss zum grössten Theile die scheinbare fibril- läre Streifung bedingt ist. Das gewöhnliche Bindegewebe ist beim Flusskrebs auch der Träger der verschiedenen Pigmente, vielleicht ausschliess- lich, wenn man von der diffusen, an die Kalkerdesalze gebun- denen Färbung des Panzers, sowie von den Pigmentzellen ab- . Ueber das Gewebe des Flusskrebses. 503 » sieht, welche zwischen den chitinogenen Epidermiszellen zer- streut sind. Der grösste Theil der Pigmentmassen ist in dem amorphen, körnigen Bindegewebe der Outis abgelagert. Ein- zelne Zellen finden sich aber auch im Neurilemm, Perimysium, den Arterienhäuten, selbst mitten im Zellgewebe, eingesprengt. Sonderbarer Weise ist das Pıgment meist in weitverzweigte, sternförmige Zellen eingeschlossen, welche sehr entwickelten Bindegewebskörperchen ähnlich und auch wohl aequivalent sind, während man doch diese sonst vergeblich sucht. Ausser den unzweifelhaften vielverästelten Zellen, wo das Pigment innerhalb einer deutlichenMembran um einen hellen rundlichen Kern zusammengehäuft ist, findet man oft auch farbige Kör- nerhaufen, ähnlich um einen Kern gruppirt, ohne dass sich eine Membran nachweisen liesse. Endlich finden sich überall, theils ganz vereinzelt, theils in kleine Häufchen gesammelt, kleinere und grössere freie Körner. So scheinbar frei findet sich namentlich der blaue Farbstoff, der nach Focillon und Leydig aus blauen, in Kali leicht löslichen,, säulchenförmi- gen Krystallen besteht, während der rothe und gelbe, entwe- der fein körnig oder mehr einem gefärbten Oele ähnlich, in Kali unlöslich, meist in Zellen eingeschlossen ist. b. Das gallertige Bindegewebe. Das sogenannte ‚‚Gallertgewebe‘“ oder ‚‚Schleimgewebe ‘“ (Virchow), welches bei den Wirbelthierembryonen eine so grosse Rolle spielt, auch bei verschiedenen Wirbellosen (Qual- len, Mollusken etc.) sehr verbreitet scheint, und aus einem fächerigen Maschenwerk sternförmiger anastomosirender Binde- gewebszellen besteht, in dessen Maschenräume eine struktur- lose Gallerte abgelagert ist, wird von Leydig ') auch für den Flusskrebs angegeben. „In der unter der Schale liegenden weichen Haut sieht man ein grosses Maschengewebe, dessen Gerüst in den Knotenpunkten schöne, grosse Kerne besitzt und in den sehr verschieden grossen Hohlräumen eine helle 1) Leydig, Müll. Arch. 1855 p. 378 u. 398. Vergl. auch Lehr- buch d. Histol. p. 24, 114 und die Abbildung Fig. 57. 504 Dr. Ernst Haeckel: Gallerte einschliesst.‘‘ Ferner soll das Neurilemm ‚da und dort nach aussen in das gleiche, gallertige Bindegewebe‘ über- gehen. Indess gehört dasselbe an diesem letztern Orte ent- schieden zum Zellgewebe, und ist es mir überhaupt schliess-- lich sehr zweifelhaft geworden, ob eine Verwechslung mit die- sem letztern nicht auch sonst stattfand, und ob. wirkliches gallertiges Bindegewebe bei den Decapoden existirt und nicht vielmehr durch das Zellgewebe ersetzt wird, wie sogleich ge- zeigt werden soll. e. Das Zellgewebe. Das Bindegewebe, welches vorwiegend aus grossen , hel- len „Bindesubstanzzellen‘‘ besteht, die nur sehr geringe, halb- weiche Zwischensubstanz zwischen sich lassen, scheint im gan- zen Reiche der Wirbellosen eine weite Verbreitung und hohe Bedeutung zu haben, und verdient jedenfalls weit mehr Be- rücksichtigung und eine gründlichere Untersuchung, als ihm bisher zu Theil wurde. Am häufigsten noch erwähnt wird es aus dem Kreise der Mollusken, insbesondere der Classe der Cephalophoren, wo es vonLeydig'), Gegenbaur’), Cla- parede, Semper’) u.A. beschrieben worden ist. Ganz be- sonders ist hervorzuheben, dass auch der Fettkörper der Insecten zum Theil hierher zu gehören scheint. Doch kann man aus den darüber vorhandenen Angaben keine sichere An- sicht sich bilden, da auch hier der Unterschied von dem Gal- lertgewebe nicht scharf und exact hervorgehoben ist. Bald soll nach Leydig das Fett des Fettkörpers, der immer „fetthal- tige Bindesubstanz“ darstellt, innerhalb der Bindegewebszellen, bald ausserhalb derselben in der Intercellularsubstanz abgela- gert sein*). Bei den Decapoden und in specie beim Fluss- 1) Leydig, Lehrb. d. Hist. $$ 28, 103, 401, Fig. 216 Ba u. a.a.©. 2) Gegenbaur, Pteropoden und Heteropoden p. 206. 3) C. Semper, Beitr. zur Anatomie und Physiol. der Pulmonaten. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1856 Tab. XVI, Fig. 3a, c. 4) Leydig l.c. p.28: „Die Zellen des Bindegewebes füllen sich mit Fett z. B. im Fettkörper der Insecten.“ p. 25: „Im F. einiger I. nimmt sich das Gewebe wie aus grossen, wit hyaliner, weicher Masse Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 505 krebs wird das in Rede stehende Gewebe, das man der Kürze halber wohl am besten mit „Zellgewebe‘ bezeichnet (wel- chen Namen es wenigstens besser als das gewöhnliche Binde- gewebe verdient), kaum erwähnt. Nur Will ') gedenkt des- selben kurz und Hannover’) beschreibt es ausführlicher als eine‘-besondere Hülle des nervösen Bauchmarks. Indess ist diese Beziehung zum Centralnervensystem keineswegs vorhan- den. Es erscheint vielmehr hier, wie im ganzen Körper, nur als Begleiter der Blutgefässe, und zwar bildet es namentlich um die mittleren Arterien (doch nicht an allen Orten) eine sehr dicke, die aus gewöhnlichem Bindegewebe bestehende Adventitia einhüllende Schicht (Fig. 19, 20 e). Ausser dieser unverkennbaren Beziehung zu den Blutgefässen scheint es aus- serdem noch an den Körpergegenden, wo ein besonders leb- hafter Stoffwechsel stattfindet, namentlich rings um den gan- zen Darmkanal, unter der dünnen Cutisschicht ete. angehäuft zu sein. Nirgends aber tritt es als Constituens von physikali- schen Apparaten, oder als bloss verkittende und umhüllende Zwischensubstanz auf, wie das gewöhnliche Bindegewebe. Viel- mehr ergiebt sich schon aus dem Vorkommen an den erwähn- ten Localitäten, dass dasselbe eine viel höhere Bedeutung ha- ben muss und insbesondere chemische Funetionen zu vertreten scheint. In dieser Beziehung könnte man das Zellgewebe der Crustaceen einerseits mit dem Fettkörper der Insecten, ande- rerseits mit den Lymphgefässen der Wirbelthiere und Cepha- lopoden (2?) vergleichen. In Betreff des ersteren ist auf die morphologischen Aehnlichkeiten schon aufmerksam gemacht, welche noch dadurch vermehrt werden, dass ebenfalls oft Fett auch in die Zellen des Zellgewebes,, zuweilen bis zur völligen Ausfüllung, abgelagert wird. Hinsichtlich der Analogie mit den Lymphgefässen scheint mir vor allen die eigenthümliche Lagerung des Zellgewebes um die Gefässe sehr wichtig, in- gefüllten Blasen zusammengesetzt aus.“ Ferner p. 346 Schlussbemer- kung. Dagegen wird an a. O., namentlich p. 341, das Fett als in den Zwischenräumen eines maschigen Balkenwerks liegend geschildert. 1) Willl.c. Müll. Arch- 1844 p. 76. 2) Hannover, Recherches sur le systeme nerveux p. 67 Fig. 76a. 506 Dr. Ernst Haeckel: dem bei Fischen und Amphibien allgemein die Lymphgefässe, bloss aus einer einfachen Bindegewebsmembran bestehend, die Arterien scheidenartig umgeben '), und ein ähnliches, höchst merkwürdiges Verhalten von Leydig auch bei den Öephalo- poden ?) entdeckt worden ist. Ebendahin dürften auch wohl die rings um den Darm an- gehäuften, schön gefärbten „Fetttropfen‘‘ niederer Orustaceen zu setzen sein. In wie weit diese auf morphoiogische Analo- gien basirte Vergleichung des Zellgewebes mit dem Fettkörper und den Lympbgefässen sich auch physiologisch bestätigen wird, muss_eine spätere, gründliche chemische Untersuchung dieser bisher mit grossem Unrecht ganz vernachlässigten ‚„‚Bin- desubstanzzellen‘‘ lehren. Die Zellen selbst (Fig. 19, 20 e, 21) machen sich zunächst durch ihre beträchtliche Grösse bemerkbar , welche für den Durchmesser ungefähr 0,04 - 0,08 Mm. beträgt. Ihre Form ist wegen der ausserordentlichen Klarheit und Durchsichtig- keit meist sehr schwer genau zu erkennen, da immer mehrere sich gegenseitig deckende und in einander greifende Lagen zu - gleich zur Anschauung kommen, so dass man die einzelnen kaum sondern kann. Im Allgemeinen kugelig oder rundlich, bald mehr elliptisch oder länglich, wechselt sie so, wie es überhaupt bei einem Parenchym zu geschehen pflegt, das aus lauter locker verbundenen, durch gegenseitigen Druck ihre Wände abflachenden Zellen besteht. Se ist z. B. das Zellge- webe dem lockern, weichen Parenchym mancher saftreichen Früchte sehr ähnlich. Unter den Geweben der Wirbelthiere lässt sich die Chorda dorsalis mancher Fische damit verglei- chen. Wie bei diesen, ist die Zellenmembran vollkommen homogen und durchsichtig, schwach glänzend, und zwar meist sehr dünn, aber dabei doch sehr fest, zäh und elastisch. Der reichliche, bald mehr dünnflüssige, bald mehr gallertige Inhalt zeichnet sich durch dieselbe vollkommene Durchsichtigkeit, gleich dem klarsten Wasser, aus und enthält meist ausser 1) Leydig, Lehrb. p. 419, 2) Ebend. p. 443. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 507 dem Kern keine geformten Bestandtheile. Nur selten umgiebt ein kleiner Haufen zarter körniger Substanz, gleich dem kör- nigen Protoplasma vieler Pflanzenzellen, den Kern wie ein Wölkchen (Fig. 208). Oefter dagegen, und sehr häufig bei jangen Thieren, erblickt man in jeder Zelle einen Fetttropfen, der bald kaum den Umfang des Kernes erreicht, bald die Zelle so vollkommen ausfüllt, dass für den ersteren kaum Raum übrig bleibt. Aus dem hellen Inhalt hebt sich der Kern (Fig. 20 f) sehr scharf hervor. Er stellt meist ein reguläres Segment einer Kugel oder eines Ellipsoids dar, indem sein einer Pol scharf abgeschnitten eine flache kreisförmige Scheibe bildet, die sehr von der übrigen Kugelfläche absticht (Fig. 21) und als die Theilungsfläche, die von der 'Theilung des Mutterker- nes zurückblieb,, anzusehen ist. Oft findet man die genau ge- genüberliegenden Kerne zweier Nachbarzellen noch mit diesen Flächen einander zugekehrt, zuweilen noch in einer Mutter- zelle beisammen, und endlich sind auch in der Abschnürung begriffene Kerne, sowie solche mit 2 Theilungsflächen, an bei- den Polen, nicht selten (Fig. 20). Die Lage der Kerne, deren matter Inhalt durch viele feine Körnchen dunkel punktirt aus- sieht, ist immer genau wandständig, nie im Innern der Zelle, und sie ist es, die in Verbindung mit der grossen Durchsich- tigkeit und der gegenseitigen Aneinanderlagerung der Zellen eine Verwechslung des Zellgewebes mit Gallertgewebe so leicht möglich macht. Da sich nämlich die einzelnen rundlichen Zel- len nur sehr locker berühren, bleiben überall Zwischenräume zwischen ihnen übrig, die mit einer ebenso hellen, aber wie es scheint dichteren, zähen, weichen Bindemasse ausgefüllt sind. Diese Intercellularräume nun haben meistens eine deut- liche Sternform, indem sie sich zuspitzende Ausläufer zwi- schen je zwei sich berührenden Zellen bis zum Berührungs- punkt hineinschicken und indem diese Ausläufer, die schon an sich grossen, echten „Bindegewebskörperchen‘ nicht unähn- lich sind, unter einander in Verbindung treten, bilden sie ein dem lacunalen Lückensystem der !eizteren sehr ähnliches Sy- stem von zusammenhängenden Intercellularräumen (Fig. 20). Die vollkommen wandständige Lage der Kerne verführt nun 508 Dr. Ernst Haeckel: sehr leicht zu der Täuschung, als ob dieselben nicht innerhalb der Zellen, sondern in den Zwischenräumen liegen, und man glaubt dann um so sicherer, echtes gallertiges Bindegewebe vor sich zu haben. Doch ist es mir gerade wegen dieser leich- ten Möglichkeit einer Verwechslung sehr wahrscheinlich gewor- den, dass letzteres gar nicht bei den Decapoden existirt. Al-. lerdings werden an manchen Orten (in der Cutis, in der mit Fettgewebe gemischten Lage um das Hirn und Herz, sowie um die Arteria sternalis im Sternalkanal ete.) die Zellen sehr klein und zartwandig, und der Kern ist sehr schwer innerhalb derselben zu sehen, da eine weiche, trübe, körnige Masse (Fig. 24 e) rings um sie ergossen ist. Auch scheint der galler- tige Inhalt hier nach dem Zerreissen der Membran frei in Tro- pfenform austreten zu können. Aber dennoch habe ich mich fast immer durch anhaltende Betrachtung und verschiedenar- tige Behandlung eines Objects, das mir eher Gallert- als Zell- gewebe zu sein schien, überzeugen können, dass letzteres allein vorhanden und dass die Kerne nicht in den sternförmigen: In- tercellularräumen, die den Zellen des Gallertgewebes so sehr ähnlich sind, liegen '). Besonders nützlich ist hiebei die Ap- plication des Glycerins und der Chromsäure. Während die meisten übrigen Reagentien, Säuren, Alkalien ete. das Zellge- webe fast gar nicht alteriren, entziehen ihm jene beiden Mittel das Wasser sehr heftig und bewirken ein rasches Zusammen- fallen, so dass der Kern allein in der entleerten Zelle zurück- bleibt (Fig. 21), deren collabirte Membran in viele Falten und Runzeln sich legt. Mit Hülfe der Chromsäure gelingt es über- 1) Leydig selbst (Lehrb. p. 25) konnte oft nicht in’s Reine kom- men über „die locale Beziehung des Gallertstoffes zu den Zellen“ und vermuthet beim gallertigen Bindegewebe von Thetys, der Cephalopo- denhaut, vom Fettkörper einiger Insecten („wo bei den Aeschna-Lar- ven die Gallerte sogar in eigenen Bläschen der Zellen enthalten zu sein schien“), dass die Gallerte hier Zelleninhalt und nicht Intercellu- larsubstanz wäre. — Die ganze Dignität des Gewebes muss aber doch durch diese entgegenstehenden Verhältnisse wesentlich modifieirt wer- den, und es wäre recht wünschenswerth, dass sie recht bald im Zu- sammenhang einer neuen, genauen und consequenten Prüfung unter- worfen würden. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 509 diess, die einzelnen Zellen zu isoliren, was wegen der grossen Zähigkeit, mit der die dichte Intercellularsubstanz die Zellen unter einander verkittet, am frischen Gewebe fast nicht mög- lich ist. d. Das Fettgewebe. Es schliesst sich dem vorigen sowohl hinsichtlich seines Vorkommens, als seiner Bildung an, indem es mit ihm ge- mischt, und durch allmälige Uebergänge scheinbar zusammen- hängend, unter der Cutis, um das Herz und Gehirn etc. sich findet. Nur um die beiden letztern Organe bildet es Schichten von einiger Mächtigkeit; sonst ist es in kleineren Gruppen im Körper zerstreut. Es besteht aus kugelförmigen, seltener läng- lich verzogenen Zellen (Fig. 24), welehe in einer weichen, kör- nigen, trüben Intercellularsubstanz, sich eben nur locker be- rührend, ruhen. Die letztere ist vielleicht selbst eine weiche, homogene Form des gewöhnlichen Bindegewebes (Fig. 24 e), indem man stets freie Kerne darin findet, die freilich auch zu- fällig bei der Präparation hineingelangt sein können. Der Kern (Fig. 24 b) der Fettzelle ist meist eine linsenförmige, bi- convexe Scheibe, immer wandständig und wie die Membran der Zelle (Fig. 24 a) leicht zu unterscheiden, viel leichter als bei Wirbelthieren. Auch besitzt das Fett immer einen viel schwächeren, matten Glanz und desshalb auch nicht die brei- ten, schwarzen Oontouren, wie bei letzteren. Das Fett füllt immer die Zelle in Form von Tropfen fast ganz aus, und zwar bildet es entweder nur einen einzigen, sehr grossen Tro- pfen (Fig. 24 ce) oder einen grösseren und viele kleinere (Fig. 24 d) oder endlich nur sehr viele (10-50-100) ganz kleine, diese aber immer unter einander von gleicher Grösse. Die einzelnen Tropfen scheinen durch eine eiweissartige Substanz getrennt und am Zusammenfliessen gehindert zu werden. Der Kern zeichnet sich unter ihnen dureh dunklern Contour und granulirten Grund aus. Ohne Zweifel sind diess die Zellen, die Will (s. o.) als zweite Species der Ganglienkugeln be- schrieben hat. Durch Aether und kochenden Alkohol wer- den die Fette, besonders leicht nach vorherigem Kalizusatz, 510 Dr. Ernst Haeckel: extrahirt und die leere Zellenmembran bleibt mit dem Kern zurück. — Werfen wir schliesslich noch einen vergleichenden Rück- blick auf die beschriebenen Bindegewebsformen, so können wir sie aus Mangel an Kenntniss ihrer Entstehung nicht unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt bringen. Das Zellgewebe steht dem gewöhnlichen Bindegewebe nicht bloss wegen der sehr überwiegenden Grösse und Ausbildung der Zellen des erstern, sondern vielmehr dadurch, dass bei letzterm über- haupt keine Zellen nachzuweisen sind, schroff gegenüber. Die Pigmentzellen in letzterem, die aber auch sonst überall zer- streut sind, stehen ebenfalls isolirt da. Dagegen ist ein Zu- sammenhang zwischen dem Fett- und Zellgewebe nicht zu ver- kennen. Die grössten Formen des ersteren, wo ein grosser Feittropfen die ganze Zelle erfüllt, sind von denen des letz- teren, wo oft dasselbe der Fall ist, nicht zu unterscheiden, dagegen entfernen sich vom Zellgewebe mehr die kleineren Formen des Fettgewebes. ' 4, Blutgewebe. Das Blut ist weder vom Flusskrebs, noch von anderen Decapoden bisher einer genaueren mikroskopischen und noch weniger chemischen Analyse unterworfen worden, obwohl es namentlich in letzterer Beziehung noch manches Eigenthümliche liefern dürfte. Ausser einer kurzen Notiz bei Carus!) finde ich nur bei Wagner ?) eine Beschreibung der Blutkörperchen des Flusskrebses. Danach sind sie „gross, oval oder rundlich, körnig und dunkel, wie zusammengehalten durch eine durch- sichtige Substanz. Man sieht helle, ringförmige Stellen, und nach Jodzusatz sind sie deutlich mit einem Saum, eine Art Hülse andeutend , umgeben,‘ etc. Das aus dem lebenden Körper genommene Blut stellt eine klebrige, diekflüssige, klare, farblose oder leicht rosige Flüs- 1) Carus, Von den äusseren Lebensbedingungen der warm- und kaltblütigen Thiere p. 80. ! 2) R. Wagner, Nachträge zur vergleichenden Physiologie des Bluts, 1838, p. 40. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 511 sigkeit dar, die in sehr kurzer Zeit gerinnt. Die Gerinnung scheint erst durch die Einwirkung der Luft zn Stande zu kom- men. Wenigstens fand ich das Blut in spontan gestorbenen Krebsen, die in den verschiedensten Zeiträumen nach dem Tode geöffnet wurden, selbst noch nach ‚48 Stunden, volikom- men flüssig. Auch gerinnt ein einzelner Tropfen schon inner- halb. einer Minute, während eine grössere Menge, vor Luftzu- tritt geschützt, langsamer coagulirt wird. Die Gerinnsel sind übrigens sehr dicht und fest. Z. B. verkleben sie zwei an einander liegende Glasplättchen so innig, dass schon nach kur- zer Zeit eine Trennung ohne Zertrümmerung des einen dersel- ben sehr schwer ist. Ein Serum scheidet das geronnene Plasma nicht ab; erst durch Druck lässt sich eine geringe Menge ge- winnen. Sehr auffallend ist dieser grosse Fibrin- (oder Fibri- nogen-?) Reichthnm gegenüber der geringen Menge desselben bei Cephalophoren. Die blassröthliche Färbung des Krebs- blutes haftet, wie bei allen Wirbellosen, an der flüssigen In- tercellularsubstanz. Nach längerem Verweilen an der Luft wurde sie oft dunkler '). - Die Blutzellen der Decapoden (Fig. 16d, 17) kommen im Allgemeinen, sowohl hinsichtlich ihrer relativen Zahl innerhalb der Blutflüssigkeit, als ihrer Struktur, als endlich ihrer besonde- ren vitalen Eigenschaften mit den farblosen Blutkörperchen der Wirbelthiere überein. Jede Blutzelle wird von einer klaren, sehr elastischen Membran umschlossen, welche wegen ihrer ausnehmenden Zartheit oft nur mit Mühe sich erkennen lässt. In der von ibr umschlossenen farblosen, hellen Zellenflüssig- keit schwebt mitten inne ein sehr klarer und durchsichtiger, aber scharf umschriebener, rundlicher oder elliptischer Kern von 0,008 — 0,012 Mm. Breite, 0,010 — 0,024 Mm. Länge. Selten ent- hält er im Innern ein oder einige Körnchen. Dagegen ist er vings umgeben und oft ganz verdeckt von einer Anzahl (meist 1) Einen sehr eigenthümlichen Farbenwechsel des Plasma sah ich an 2 Exemplaren von Homola Cuvieri, wo das beim Austritt aus dem lebenden Thiere ganz farblose Blut innerhalb 8— 10 Stunden allmä- lig grau und zuletzt intensiv schwarz wurde. Auch das hellbläuliche Blut eines Hummers war nach mehreren Stunden dunkler violett. 512 Dr. Ernst Haeckel: 50-580) kleiner, runder, cc. 0,002 — 0,003 Mm. grosser Körn- chen, die nach ihrem dunkeln Glanze Fett zu sein scheinen !). Sie verleihen den Blutzellen ihr vorzügliches Lichtbrechungs- vermögen, vermöge dessen man sie leicht bei Untersuchung der verschiedensten Gewebe herauserkennt. Sehr selten findet man zwei Kerne in einer Zelle. Die allgemeine Grösse und Form der Blutzellen lässt sich nicht bestimmen, da sie in- nerhalb des eirculirenden Blutes in beständiger Veränderung begriffen sind und in ewigem Wechsel die unendlich mannich- faltigen, sogen. „‚proteusartigen oder amöbenähnlichen‘‘ Bewe- gungen und Formveränderungen zeigen, welche von den Rhi- zopoden schon lange bekannt sind und von Lieberkühn ?) bei den amöbenförmigen Körperchen an den verschiedensten Orten, in den Psorospermien-Cysten der Fische ete., wieder- gefunden wurden. Letzterer hat dieselben auch an den farb- losen Blutkörperchen der Wirbelthiere als allgemein verbrei- tete Erscheinung nachgewiesen, und die von Leydig°) bei den verschiedensten Wirbellosen beobachteten, höchst man- nichfaltigen Formen verästelter Blutzellen sind ganz gewiss ebenfalls auf diese amöbenartigen Veränderungen zu beziehen. Dass dieselben nicht durch äussere künstliche Einflüsse, ins- besondere durch Verdunstungsströme der umgebenden Flüssig- keit, hervorgebracht werden, lässt sich, wie Lieberkühn für die Blutzellen des Frosches bewies, ebenso auch beim Flusskrebs leicht zeigen. Wenn man nämlich einen Blutstrop- fen aus dem lebenden Thiere rasch zwischen zwei Glasplatten bringt, diese sogleich mit einer luftdicht schliessenden Schicht von Fett oder Balsam umgiebt und dadurch Luftzutritt und Verdunstung völlig ausschliesst, so dauern die Bewegungen in ganz unveränderter Weise so lange fort, bis die Coagulation sie sistirt. Auch sah Leydig (l.c.) die verästelten Blutzellen innerhalb der lebenden Wirbellosen, und Lachmann sah nach mündlichen Mittheilungen die Bewegungen selbst inner- 1) Aehnliche Körnchen findet man auch oft frei in der Intercellu- larflüssigkeit, doch nicht constant und nur in geringer Anzahl. 2) Lieberkühn, Müll. Arch. 1854. 3) Leydig, Lehrb. d. Hist. p. 451. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 513 halb der Gefässe von Wirbelthieren. Es ist daher wohl nicht zu zweifeln, dass sie eine wirklich vitale Erscheinung, durch Contractilität der Zellen selbst, und zwar wahrscheinlich des Inhalts derselben, bewirkt, darstellen, welche mit den andern Bewegungsacten thierischer Zellen, namentlich mit. denen der Amphibienchromatophoren und mit den von Kölliker') an Bindegewebszellen entdeckten, auf einer Stufe steht. Die sehr veränderliche und vielleicht in stetem Wechsel begriffene, gegenseitige Lagerung der den Kern umgebenden (Fett?) Körn- chen scheint auf eine beständige Veränderung in der Anord- nung der Moleküle hinzudeuten, welche die jene umhüllende, homogene, klare Zellenflüssigkeit zusammensetzen. Diese Strö- mungen, die vielleicht durch den Stoffwechsel, durch den Aus- tausch der in der Intercellularflüssigkeit und der in den Zellen selbst enthaltenen Lösungen luftförmiger oder fester Stoffe, ins- besondere durch die respiratorische Gasdiffusion hervorgerufen werden, bedingen vermuthlich diese auf den ersten Blick so auf- fallenden Contractionsphänomene. Eine Uebersicht der wich- tigeren und gewöhnlicheren dabei vorkommenden Formen giebt Fig. 17. Die Zellen, welche man in einem unmittelbar aus dem lebenden Thier entnommenen Blutstropfen findet, haben meist eine möglichst schmale und lange Form, entsprechend dem engern Durchmesser der Capillaren (Fig, 16), durch den sie sich hindurchwinden müssen. Die Körnchen verdecken dann meist den centralen Kern vollständig, während die beiden lang ausgezogenen und an der Spitze in ein dünnes Knöpfchen an- geschwollenen Enden der spindel- oder sichelförmigen Zelle (Fig. 17 a-d) davon frei bleiben und nur sehr zarte Umrisse zeigen. Ausserhalb der Gefässe verändert sich diese verlän- gerte Form sehr rasch, indem sich die Zelle in ein mehr rund- liches Körperchen zusammenzieht und nun nach verschiedenen Seiten mehrere (meist 3-5, selten bis 12) sehr zarte und ho- mogene, aber deutliche Fortsätze aussendet, die sich zuweilen 1) Kölliker, Gazette hebdom. de medee, et de chirurgie, 1856, No. 45, Bewegungserscheinungen an den Saftzellen im Mantel einer Ascidie, im gallertigen Bindegewebe einer Qualle, und des Kopfes vom Zitterrochen. Müller’s Archiv. 1857. 33 514 Dr. Ernst Haeckel: 0) noch verästeln. Die sehr verschiebbaren Körnchen ziehen sich dann meist vom Kern zurück und lassen ihn frei liegen (e—h). Die Zahl und Form der ausgestreckten Fortsätze wechselt nun beständig, bis die Gerinnung eintritt. Dann er- starren die Zellen entweder in dieser Sternform, oder sie passen ihre Gestalt dem Raume des einschliessenden Gefäs- ses an (Fig. 16), oder, was das Häufigste ist, sie ziehen sich zu einer Kugel zusammen (Fig. 17 ec), in der der dichte Körn- chenhaufe den Kern wieder völlig verhüllt. 5. Chitinogengewebe. Unter der Bezeichnung des Chitinogengewebes!) fasse ich das Leberzugsgewebe zusammen, welches als continuirlich zusammenhängende Decke die gesammte innere und äussere Oberfläche des Körpers der Urustaceen (und wahrscheinlich in gleicher Weise aller Artieulaten) überzieht. Hinsichtlich seiner Function und Verbreitung im Körper entspricht es voll- ständig dem Epithelial- oder Horngewebe der Wirbelthiere, von dem es sich dagegen histologisch bedeutend unterschei- det. Wie dieses letztere, setzt es sich nicht nur unmittelbar von der äussern Haut an den Aufnahms- und Auswurfsöff- nungen des Körpers in die innere Auskleidung des Darwka- nals fort, sondern überzieht auch in ebenso continuirlichem Zusammenhang die Oberfläche der Drüsen, welche sämmtlich entweder auf der inneren (Darm) oder äusseren (Haut) Be- deckung ausmünden und als Einstülpungen derselben in das Körperparenchym betrachtet werden können. Um diese Auf- fassung des Chitinogengewebes rechtfertigen und eine allge- meine Charakteristik desselben geben zu können, ist es vor- 1) Der Name des „Cuticular-“ oder „Epithelialgewebes“ wäre viel- leicht ebenso entsprechend. Nur ist gegen letzteren das einzuwenden, dass auch ausser den hieher gehörigen Epithelialformationen noch ein- zelne Epithelien anderer Natur hie und da im Crustaceenkörper vor- zukommen scheinen. Ich kenne davon nur das unten zu erwähnende Epithel der grossen, den Thoraxraum durchziehenden Muskeln, das allerdings zweifelhafter Natur ist und vielleicht selbst zu den contrac- tilen Elementen gehört. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 515 erst nöthig, die Struktur desselben an den einzelnen, bisher aus einander gehaltenen Theilen zu verfolgen und nach ein- ander zu betrachten: A. die äussere Hautbedeckung, B. die Auskleidung des Darmkanals, C©. das Drüsengewebe. A. Die äussere Hautbedeckung. Die äussere Körperbedeckung zerfällt beim Krebs, wie bei allen Gliederthieren, in zwei scharf geschiedene Schich- ten, welche von fast allen Autoren erwähnt, obwohl fast im- mer falsch gedeutet werd@n. Die äussere, gewöhnlich mit der Epidermis der Wirbelthiere verglichene Hautlage ist ge- fäss- und nervenlos und besteht aus echtem Chitin, welches bei den Crustaceen noch überdiess meist mit einer beträcht- lichen Menge kohlensauren und phosphorsauren Kalks infil- trirt ist. Die: innere, weiche, meist beträchtlich dünnere Hautschicht ist der alleinige Träger der Blutgefässe und Ner- ven, wesshalb sie von den meisten Autoren der Cutis der Wirbelthiere parallelisirt wird. Dass dieser Vergleich nur theilweise richtig ist, wird sich aus der Betrachtung der ein- zelnen Lagen ergeben. a) Die äussere Lage. Die äussere oder oberflächliche Schicht (Fig. 22, 23c) der äusseren Crustaceen-Decke hat bisher vorzugsweise oder fast allein die Aufmerksamkeit der Autoren auf sich gezogen, während die ungleich wichtigere innere Schicht fast ganz vernachlässigt wurde. Sie verdankt diesen ungebührlichen Vorzug vor der letztern einmal ihrer viel bedeutenderen Mas- senentwicklung und dann ihrer grossen Resistenz gegen me- .chanische und chemische Einflüsse, da das Chitin bekannt- lich von verdünnten Mineralsäuren eben so wenig, als selbst von kochenden Alkalien angegriffen wird, und überdiess durch die Kalkinfiltration noch bedeutend an Festigkeit gewinnt. Da nun dieser feste Chitinpanzer an den macerirten und getrock- neten Krustern, wie sie unsere Museen füllen, allein das Haut- skelett zu bilden scheint und die gesammte Körperform allein repräsentirt, wurde er auch von den älteren Untersuchern der 33 * 516 Dr. Ernst Haeckel: Crustaceenhaut allein berücksichtigt, wodurch vorzüglich die falsche Auffassung desselben als eines der Epidermis analo- gen Horngebildes bedingt wurde. Ungeachtet der zabllosen Modificationen, welche die Struk- tur des Chitinskeletts nicht nur bei den verschiedenen Fami- lien und Ordnungen der Crustaceen, sondern auch an den verschiedenen Körpertheilen einer jeden Art erleidet, werden doch fast niemals gewisse wesentliche Eigenthümlichkeiten an demselben, wenn es hinreichend massig entwickelt ist, ver- misst, namentlich eine schichtweise Zusammensetzung aus dün- nen, homogenen, der Oberfläche parallelen Lamellen, welche auf dem Durchschnitt eine sehr regelmässige Streifung dar- bieten; ferner auf denselben zellenähnliche, polygonale Bil- der, welche oft ganz das Ansehen eines regelmässigen Epi- thels zeigen; endlich dieselben vertical in der ganzen Dicke der Schale durchsetzend und deren äussere Fläche mit der inneren verbindend, ein System von zweierlei Porenkanälen, von denen die weit zahlreicheren, sehr dicht gedrängt ste- henden, feineren bloss mit dem die ganze Schale tränkenden Saft!) erfüllt sind, während die an Zahl geringeren und wei- ter aus einander stehenden, gröberen einen Fortsatz der un- teren, weichen Schicht in ihr Lumen aufnehmen und am äusseren Ende in die Appendicularorgane des Skeletts, Haare etc. übergehen. Aus dieser gemeinsamen, im Einzelnen un- endlich variirenden Struktur schloss Valentin ?), der zuerst die Crustaceenschale untersuchte, dass die concentrischen La- mellen aus Zellen (ähnlich denen der Pflanzen) zusammenge- setzt und von kalkführenden Röhrchen durchsetzt seien. La- valle °) dagegen hielt sowohl die Porenkanälchen, als die streifigen Grenzlinien der Lamellen für die Contouren paral- leler Fasern, und glaubte, dass diese, zu vielfach sich kreu- zenden und verwebten Bündeln vereinigt, die Schale allein 1) An getrockneten Schalen enthalten sie natürlich Luft, welche dann in Form feiner, schwarzer Striche dieselbe durchsetzt und von Valentin für Kalk gehalten wurde. 2) Valentin, Repertorium Vol.I, 1836. 3) Lavalle, Annales des Sciences nat. 1847. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 517 eutisähnlich zusammensetzten. Die meisten folgenden Auto- ren, wie Meckel!) und v. Siebold?), verglichen sie mit der Epidermis der Wirbelthiere, und glaubten, dass sie, wie das Horngewebe der letzteren, allein aus Zellen zusammen- gesetzt sei, die zuletzt wegen ihrer innigen Verwachsung und Verdichtung („Chitinisirung“) nicht mehr zu isoliren seien. Eine ganz neue und verschiedene Auffassung derselben wurde endlich von Leydig°) gegeben, der, auf sehr umfassende und sorgfältige Untersuchungen gestützt, nachwies, dass man niemals, weder durch mechanische Präparation, noch durch chemische Reagentien die Zellenbilder der Schale isoliren und zu wirklichen Zellen auflösen könne. Wie diese entstehen und was sie bedeuten, konnte er nicht erfahren; dagegen be- - schreibt er zuerst die beiderlei Porenkanäle sehr genau und erklärt dieselben für Aequivalente der Bindegewebskörper- chen, durch deren Ausläufer die geschichtete Grundsubstanz in cylindrische Massen, analog den Bindegewebsbündeln der Wirbelthiere, abgetheilt werde. Demgemäss erklärt er die ganze Schale der Crustaceen für „chitinisirte Bindesubstanz“. In wieweit diese Auffassung zu billigen sei, wird sich aus dem Folgenden ergeben. b) Die innere Lage. Die weiche, unter dem Panzer liegende dünne Haut (Fig. 22, 23a, b) wurde, wie erwähnt, bisher sehr vernachlässigt, obwohl sie allein der eigentlich lebendige, alle vegetativen Functionen der Haut versehende und in stetem, lebhaftem Stoffwechsel begriffene Theil der Haut ist, während das nur mechanische Dienste verrichtende Chitinskelett selbstständigen Lebens und Stoffwechsels enthehrt und jährlich abgeworfen und durch ein neues ersetzt wird. Nur einzelne Autoren schrieben der inneren Hautschicht eine grössere Bedeutung zu, wie v.Siebold (l.c. p.421), der sie mit einer inneren 1) Meckel, Müll. Arch. IS46. 2) v. Siebold, vergl. Anat. p. 420. 3) Leydig, Müll. Arch. 1855 p. 376. 518 Dr. Ernst Haeckel: Beinhaut vergleicht, welche beim Häutungsprozess den Stoff für die neu zu bildende Decke „schichtweise nach aussen ab- setze“. Noch deutlicher bezeichnet sie C. Sehmidt!) als „Matrix“ des Chitinpanzers, die diesen von innen „wie die dura mater die Schädelknochen“ auskleide. Er beschreibt auch ihre Struktur beim Flusskrebs besser als alle anderen Autoren, und erkannte zuerst auf ihr „eine Schicht dunk- ler, rundlicher, einen scharf umschriebenen, dunkler granu- lirten Kern enthaltenden Epithelzellen, die durch Kali ge- löst werden und aus Proteinstoffen bestehen.“ Darunter folgt „ein Gewebe aus zahlreichen, innig verfilzten Längs- und Querfasern“ ?). Er schreibt jenen Zellen auch die Funetion zu, die Kalksalze aus dem Blut abzuscheiden, und bestätigt diess dureh ein Experiment über die Regeneration der Schale, dessen Deutung im Einzelnen jedoch bezüglich der Zellenbil- dung nieht ganz richtig ist. Leydig zählt die weiche, nicht ehitinisirtte Haut des Panuzers ebenfalls, wie diesen selbst, den Bindesubstanzen zu: „Bei niederen Krustenthieren wird sie fast nur aus mehr weniger deutlichen Zellen zusammen- gesetzt. Bei anderen verwischen sich die Zellenlinien und man hat nur klare Kerne innerhalb einer feinkörnigen Zwi- schenmasse; ist jedoch zugleich Pigment vorhanden, so wird das Bild einer zelligen Zusammensetzung dadurch wieder ähnlich, dass die Pigmentkörner, sich um die Kerne grup- pirend, zellige Bezirke abmarken ?). Bei höheren Krebsen 1) C. Schmidt, Beiträge z. vergleich. Physiolog. ete., 1845, p- 30. 2) Irrthümlich beschreibt Schmidt die Haut als beiderseits mit Epithelzellen bedeckt, indem er die Hautduplicatur, welche den Seitentheil des Brustschildes und das Dach der Kiemenhöhle bildet, als eine einfache Haut betrachtete, aus zwei Membıanen zusammen- gesetzt. Die „glashelle, strukturlose, mit eigenthümlichen Haaren be- deckte, der Intima der Darmwand sehr ähnliche Haut“ (,‚Respirations- membran“, Heusinger, System der Histologie II, p. 254), welche weiter nichts als die unmittelbare Fortsetzung der äussern Chitinschale auf die Wandung der Kiemenhöhle, also das innere Blatt der von der seitlichen Thoraxwand gebildeten Hautduplieätur ist, hält Schmidt für die „innerste Hautlage‘“. 3) Dass diese Zellen ‚Bindesubstanzzellen‘ sein sollten, dürfte, Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 519 (Astacus) besteht sie aus gewöhnlichem oder gallertigem Bin- degewebe“ '). Meine eigenen Untersuchungen haben mich überall in der weichen, innen der Schale anliegenden Haut der Decapoden wiederum 2 Schichten unterscheiden lassen, eine äussere ein- fache Epithelzellenschicht, und eine innere, aus mehr oder weniger festem und homogenem Bindegewebe bestehende Lage von sehr verschiedener Dicke, welche nach aussen zum stüt- zenden Träger („membrana propria* oder „basement mem- brane*) der Zellenlage sich verdichtet, während sie nach in- nen in das Bindegewebe der an der Haut angehefteten (Seh- nen) oder unter ihr liegenden inneren Organe übergeht. Diese meist sehr dünne Bindegewebsschicht, welche auch die Pig- mentzellen und Farbkörnerhaufen, die Nerven und ernähren- den Gefässe der Haut trägt, liesse sich allein mit der Outis der Wirbelthiere vergleichen, während die gewöhnlich auch dazu gerechnete Zellenlage über ihr höchstens mit der Epi- dermis zu parallelisiren wäre. Indess ist die Bedeutung der letzteren doch eine wesentlich andere. Diese einfache Epi- thelschicht ist nämlich die wirkliche Matrix des aussen auf ihr liegenden Chitinpanzers, welcher weiter nichts, als das schichtweise nach aussen abgesetzte und nach Art einer Cu- ticula erstarrte und indurirte Secret jener Zellen vorstellt. Der Kürze halber will ich diese für die ganze Entstehung der Schale so wichtigen Zellen, die auch deren eigenthüm- lichen Bau hinreichend erklären, „Chitinogenzellen“, so- wie die von ihnen allein zusammengesetzte, einfache, auf der bindegewebigen Cutis ruhende Epitheliallage „Chitino- gengewebe“* nennen. Die Natur dieser höchst wichtigen Zellen, die beim Flusskrebs nur Schmidt (l. ec.) erkannt und sehr deutlich beschrieben hatte, ist gerade an vielen Stellen der Haut der höheren Decapoden schwer zu eruiren, wesshalb sie auch wohl hier allgemein übersehen wurden. abgesehen von den andern Gründen, schon durch den absoluten Man- gel jeder Intercellularsubstanz zwischen den vollkommen epithelartig an einander gelagerten Zellen widerlegt werden, 1 1) Leydig, Lehrb. d.‘Hist. p. 114. 520 Dr. Ernst Haeckel: Ihre Membran ist so äusserst zart, weich und leicht zerstör- bar, dabei der Inhalt so trüb und grumös, dass man beide an frischen Objeeten nur bei sehr vorsichtiger Behandlung unterscheidet. Nur die Kerne sind immer sehr deutlich und wurden als frei in einer körnigen Masse liegend für Binde- gewebe gehalten. Sehr passend zur deutlichen und vollstän- digen Darstellung der Zellschicht ist namentlich verdünnte Chromsäure, welche sogar einzelne Zellen zu isoliren erlaubt, während Wasser sie sehr rasch zerstört. Die Chitinogen- zellen selbst zeichnen sich vor anderen Gewebselementen des Krebses durch ihren opaken, trüben Inhalt aus, indem zahlreiche, in einer weichen Grundmasse suspendirte, dunkle, fast fettartig aussehende Körnchen die ganze Zelle so dicht erfüllen, dass die sehr zarte Membran oft kaum zu unter- scheiden ist (Fig. 22a, 23 a). Ihre Grösse beträgt im Mittel 0,015 — 0,025 Mm., kann jedoch an verschiedenen Orten auch zwischen 0,010 und 0,040 Mm. schwanken. Ihre ursprüngliche Form nähert sich dem Kugeligen oder ist wenigstens stark biconvex. Durch gegenseitigen Druck flachen sie sich aber so ab, dass ein dem sogen. regelmässigen Pflanzenparenchym sehr ähnliches polyedrisches Zellgewebe entsteht. Die obere und untere Zellfläche ragen oft so stark convex hervor, dass jene in die Chitinschale, diese in die Cutis eine halbkuglige Vertiefung eindrückt. Der Kern ist immer sehr deutlich und scharf umschrieben; wie die Zellen selbst, dunkel, körnig (Fig. 22 b), (oft mit einem grösseren Kernkörperchen (Fig. 23b), von 0,002 Mm. Durchmesser), übrigens von sehr un- regelmässiger Form, meist 0,012 — 0,020 Mm. gross. An eini- gen Stellen zeichnet sich der Kern durch einen conischen, sichelförmig gekrümmten Fortsatz aus, der ihm wie ein Hörn- chen aufsitzt und so lang ist als er selbst. Die mit diesen versehenen Zellen scheinen sich in das Lumen eines Haares zu verlängern. Doch schicken auch Zellen mit nicht gehörn- tem Kern Fortsätze in die feineren Haare hinein. Noch schwieriger, als die Natur der Zellen selbst, lässt sich bei den Astacinen die innige Beziehung derselben zu dem Chi- tinpanzer erkennen, was dagegen verhältnissmässig leicht bei Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 521 den kleinen, mit durchsichtiger Schale versehenen Thieren aus der Caridenfamilie geschieht. Bevor wir den hier deut- lich sichtbaren Zusammenhang beider Hautlagen erläutern, ist es nöthig, den ganz analogen Bau der Digestionsmembran und der Drüsen zu schildern. B. Die innere Darmbedeckung. Die Auskleidung des Darmkanals zeigt trotz der grossen Mannichfaltigkeit der verschiedenartigsten Anhänge, mit de- nen sie in Form von Haaren, Schuppen, Höckern, Stacheln, Zähnen etc., z.B. im Magen, versehen ist, immer denselben einfachen Bau, der im Wesentlichen ganz mit dem der, auch - mit ähnlichen vielgestaltigen Anhängen besetzten äussern Haut- decken übereinstimmt. Ueberall liegt auch hier unter einer äussern Chitinhaut eine innere Schicht chitinogener Zellen. % a) Die äussere Lage. Die äussere, d.h. die der Oberfläche des Darmrohrs zu- gewendete Lage seiner Auskleidung, die sogen. Intima, wird bekanntlich, wie der äussere Chitinpanzer, jährlich gewech- selt, und stellt eine continuirliche Fortsetzung des letztern vor, den man sich nach innen zurückgeschlagen und einge- stülpt denken kann. Als solche theilt sie auch die Eigen- schaften und den Bau des Panzers, und wie bei diesem, so wurde auch bei ihr die Zusammensetzung aus Epithelialzellen bis in die neueste Zeit behauptet.. Die zellenförmige Zeich- nung, welche auch hier sehr deutlich und oft täuschend zel- lenähnlich ist, veranlasste v. Siebold (l.c. p.451), Meckel (l. ce. p. 20) und selbst C. Schmidt (l. c. p. 30), diese struk- turlose Chitinschicht für das echte, zellige Epithel zu halten. Leydig allein (l.c. p. 444) erkannte ihre wahre Natur als einer Ausscheidung der darunter liegenden Zellen, konnte die zellenähnlichen Bilder nicht als wirkliche Zellen isoliren und macht dabei die richtige Bemerkung, „dass diese Zeichnung gewissermassen der Abdruck der darunter gelegenen Zellen ist, als deren Ausscheidungsproduet doch die homogene In- tima angesehen werden muss!“ Dasselbe fand er bei vielen 522 Dr Ernst Haeckel: anderen Gliederthieren; ich sah es bei Palimurus, Seyllarus und mehreren Oariden. Sehr bemerkenswerth ist dabei noch, dass da, wo diese Outicula eine bedeutendere Dicke erreicht, sie nicht nur, wie das äussere Chitinskelett, verkalkt, son- dern auch sonst vollkommen dieselbe Struktur annimmt. Man findet dann in ganz gleicher Weise die geschichteten Lamel- len, die zweierlei sie senkrecht durchsetzenden Kanalsysteme, den Uebergang der gröberen Porenkanäle in das Lumen der Haare, endlich die ausgeprägt zellige Zeichnung durch alle Schichten hindurch, namentlich aber auf der obersten und untersten. So kann man z.B. einen mit Salzsäure behan- delten Verticalschnitt aus den dicken, verkalkten Platten und Zähnen des Magens geradezu nicht von einem gleichen aus der äussern Schale unterscheiden. b) Dieinnere Lage. Wie die erwähnten verdickten Theile des Magenskeletts dem äussern zum Verwechseln ähnlich sind, so ist diess auch mit der darunter liegenden weichen Hautschicht der Fall, welche an manchen Orten, namentlich am Oesophagus und Magen, der Chitinogenschicht der äussern Haut vollkommen gleicht. Hier ist sie an einigen Stellen so zart und ver- gänglich, dass sie z.B. von Meckel ganz vermisst wurde. Dagegen sind an anderen Orten die Chitinogenzellen viel kla- rer und deutlicher, so namentlich am Darm, wesshalb sie hier schon früher erkannt wurden. Meckel erwähnt sıe als „Schicht der Secretionszellen“ und ebenso Schmidt als „re- producirende Schleimhaut, die die jährlich abgeworfene Ma- gen-Intima neu bilde.* Und dennoch erklären Beide nicht sie, sondern die Chitin-Outieula für das eigentliche Epithel. Dass diese letztere mit ihrer zelligen Zeichnung nur den Ab- druck des eigentlichen Schleimhautepithels bilde, dessen er- starrtes Secret sie selbst ist, wurde, wie erwähnt, erst von Leydig erkannt. Die der Cutis analoge Bindegewebsschicht, welche die Chitinogenzellen trägt, ist nur an wenigen Stellen des Darmkanals so stark entwickelt, wie unter der äussern Haut, so z.B. am Magen, wo sie auch stellenweis pigmen- Ueber die Gewebe des Flusskrebses. - 598 tirt ist und umfangreiche Gefässnetze und Nervenplexus führt. Auch hier besteht sie aus homogenem oder körnigem Binde- gewebe mit eingestreuten Kernen. Dagegen ist sie an ande- ren Stellen, z.B. am grössten Theil des Darms, so zart, dass kaum eine dünne Lamelle als Tunica propria unter der Chitinogenschicht erkannt werden kann, diese vielmehr unmit- telbar der Muskelhaut aufzuliegen scheint. Der deutliche Ueber- gang in die einfache Drüsenstruktur ist hier unverkennbar. C. Gewebe der Drüsen. Das Drüsengewebe ist, wie schon oben erwähnt, von dem allgemeinen Ueberzugsgewebe der äusseren und inneren Dek- ken nicht zu trennen, da es mit demselben in ununterbro- chener Continuität steht und eigentlich nur Einstülpungen desselben in das darunter ‚gelegene Körperparenchym dar- stellt, welche entweder nur zur Vermehrung der secerniren- den Oberfläche oder zugleich zu einer qualitativ modifieirten Secretion gewisser einzelner Stoffe bestimmt sind. Diese Auf- fassung wird nicht nur durch embryologische Erfahrungen be- stätigt, wonach alle Drüsen durch Ausstülpungen der zu- sammenhängenden ‚Zellenlage entstehen, die die gesammte innere und äussere Körperoberfläche des Fötus überzieht, son- dern sie lässt sich beim Flusskrebs auch histologisch ziem- lich leicht beweisen, indem man überall den continuirlichen Uebergang der äussern Haut und innern Darmdecke in die Ausführungsgänge der Drüsen und deren Elemente selbst sicher verfolgen kann. Schr erleichtert wird dieser Nach- weis durch den sehr einfachen Bau aller Decapodendrüsen, die noch dazu in sehr geringer Anzahl vorhanden sind. Vom Flusskrebs kennen wir gegenwärtig mit Sicherheit nur 5 Drüsen, von denen 2, die Krebssteintasche und die Leber, in das Lumen des Darmrohrs, die 3 anderen aber, die grüne Drüse, die Gruppe der Kiemendachdrüsen und die Geschlechtsdrüse direct nach aussen müuden. Das Nähere über dieselben soll unten beigefügt werden; hier soll nur kurz ihre allgemeine Uebereinstimmung im Bau angedeutet werden. a) Die sogen. Tasche oder der Sack, worin sich 524 Dr. Ernst Haeckel: zu jeder Seite des Magens alljährlich vor der Häutung ein Krebsstein bildet, entsteht nach Leydig') einfach da- durch, dass sich die Intima des Magens an dieser Stelle von der darunter liegenden Schicht Chitinogenzellen ablöst. Diese letzteren scheiden mittelst eines lebhaften Exsudationspro- zesses während einer ganz bestimmten, nur kurzen Zeit des Jahres die Krebssteine in vollkommen gleicher Weise ab, wie während der Häutung die gesammte Chitindecke vom darunterliegenden Chitinogengewebe ausgeschieden wird. Es bildet sich nämlich zuerst ein dünnes, homogenes Chitinscheib- chen, welches sich im Bau nicht von anderer Outicula un- terscheidet, und während dieses ringsum durch Apposition neuer Schichten chitinisirender organischer Substanz sich ver- grössert, erfolgt erst secundär vom Centrum aus die Kalk- infiltration. Der dünne, noch nicht verkalkte Saum des wach- senden Krebssteines, der aus den jüngst abgelagerten Chitin- schichten besteht, ist von zahlreichen Porenkanälen durch- setzt. Auch an ausgebildeten, mit Salzsäure vom Kalk be- freiten Krebssteinen sind die concentrisch geschichteten La- mellen sowohl, als die sie senkrecht durchsetzenden Systeme der Porenkanälchen leicht wahrzunehmen. Leydig vergleicht diese Bildung nur mit der Entstehung der verdickten und verkalkten Cuticulargebilde der Darmhaut. Man darf aber dieselbe mit demselben Rechte auch auf die Bildungsweise der ganz analog gebauten Schale anwenden, für deren Theo- rie, so lange die Entwickelungsgeschichte selbst von ihr noch unbekannt ist, dieser locale Prozess als Muster gelten darf, der auch in anderer Hinsicht sehr interessant ist. Ist näm- lich mit der Ablösung der alten Schale und Darmintima der neu gebildete Krebsstein in den Magen igefallen, so erfolgt an der entblössten Exsudationsstelle desselben sogleich wie- der eine neue Ühitinsecretion, welche aber nur eine dünne, nicht verkalkende, neue Intima bildet. Erst nach Jahresfrist löst sich diese wieder ab und die Steinbildung beginnt von neuem. Es wird also hier von derselben Schicht Chitinogen- 1) Leydig, Lehrb. p. 336 Anm. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 525 zellen abwechselnd eine dünne Lage nicht verkalkender In- tima und eine dicke Schicht verkalkenden Krebssteins in je- dem Jahre geliefert. b) Die sehr entwickelten, traubenför- migen Hautdrüsen, welche nach Leydig!) in der Outis- schicht des Kopfbrustschildes, wo dasselbe die Kiemenhöhle überwölbt, liegen und in die letztere einmünden, zeigen sich als unmittelbare Fortsetzungen der sogen. Respirationsmem- bran ?), welche sich in die verschmolzene Cutis der beiden verwachsenen Faltenblätter hineinstülpt. Das homogene Bin- degewebe der Cutis verdichtet sich um die einzelnen Drüsen- bläschen zu einer membrana propria, welche die Schicht der grossen, cylindrischen, granulären Secretionszellen als un- mittelbare Fortsetzung der Chitinogenzellenschicht (der Epi- dermis) trägt, und die über letzterer liegende Chitinhaut setzt sich ebenso zusammenhängend in die strukturlose Outicula der ersteren fort. Ganz dasselbe gilt von der ce) grünen Drüse und der mit ihr zusammenhängenden grossen Blase, ebenfalls einer Einstülpung der äussern Haut, die von dem conischen Fortsatz an der untern Seite des Basalgliedes des äussern Fühlers ausgeht. d) Die Leberdrüse, der vielver- zweigte Blindschlauch, der jederseits hinter dem Pylorus in den Darmkanal mündet, zeigt den Uebergang der 3 Darm- membranen in jeden einzelnen Blindschlauch deutlich, indem jeder eine strukturlose Chitin-Intima, eine ebenso struktur- lose Membrana propria uud zwischen denselben die Lage der Secretionszellen besitzt. e) Die Geschlechtsdrüse ist der einzige Drüsenapparat, dem die Intima, wenigstens zu ge- wissen Zeiten, zu fehlen scheint, so dass die Secretionszel- len des Hodens und Eierstocks frei auf einer strukturlosen Tunica propria sitzen, welche nach aussen in kernhaltiges Bindegewebe übergeht. Uebrigens wird die Chitin -Cuticula nur an den Drüsenelementen selbst, nicht an ihren Ausfüh- rungsgängen vermisst. 1) Leydig, Lehrb. p. 116. 2) d.h. der inneren Lamelle der oben erwähnten Duplicatur des Cephalothorax, welche die Kiemenhöhle überdacht. 526 Dr. Ernst Haeckel: Wenn wir nach dieser Schilderung der allgemeinen Ober- Hächendecke des Decapodenkörpers und ihrer Modificationen in den einzelnen Theilen einen vergleichenden Rückblick thun, so kann die völlige Uebereinstimmung im Bau der inneren und äusseren Körperdecken und ihrer drüsigen Einstülpun- gen wohl nicht verkannt werden. Die wesentlichen Elemente sind in allen drei Abtheilungen die secernirenden „Chitino- genzellen*, welche überall eine einfache, eontinuirliche Epithelialschicht bilden und durch ihre Modificationen an den einzelnen drüsigen Theilen ete. den specifischen Charakter derselben bestimmen. Mit ihrer dem Körperparenchym zu- gewandten (innern) Fläche ruhen sie auf einer mehr oder weniger ausgebildeten homogenen Bindege websschicht, welche, wo sie die gehörige Dicke erreicht, Nerven, Gefässe und Pigmente führt und die Verbindung mit den benachbar- ten Körpertheilen vermittelt. Unter der äussern Hautdecke wird sie zu der oft beträchtlich dicken Qutisschicht, unter dem Darmepithel zu dessen „basement membrane“, nnter den Drüsenzellen zu deren meist sehr dünner „Membrana pro- pria“. Die der Aussenwelt zugewendete äussere Fläche der Chitinogenschicht dient zur Abscheidung der gleich nach ih- rem Freiwerden chitinisirenden und oft auch noch verkalken- den Cuticula, der eigentlichen Chitinmembran, welche an den verschiedenen Stellen eine sehr verschiedene Entwicke- lung erreicht. Auf der äussern Körperoberfläche wird sie zu dem massigen Hautskelett, auf der Darmoberfläche zu deren „Intima*, auf den Drüsenflächen zu der zarten, zu- weilen (Geschlechtsdrüse?) kaum wahrnehmbaren „Outicula“ derselben. Die Unterschiede im Bau aller drei Decken sind also mehr quantitative, als qualitative. Da diese Auffassung des Chitinogengewebes von allen bis- herigen sich entfernt und namentlich mit der von Leydig gegebenen neuesten Darstellung der Ohitinhaut als einer Bin- degewebsformation nicht vereinbar ist, so muss ich schliess- lich noch einmal auf die Hauptbeweispunkte für die erstere Ansicht zurückkommen, obwohl ich hoffe, dass diese schon aus der Beschreibung der einzelnen Theile sich von selbst Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 527 ergeben haben. Da Leydig für die Cuticula des Darms und der Drüsen selbst ihre Entstehung durch Secretion der Epi- thelzellen annimmt, so kömmt es bloss darauf an, die völ- lige Uebereinstimmung jener erstern mit dem Hautskelett darzuthun. Nun ist dieses letztere aber nicht nur bei Em- bryonen und bei niederen Gliederthieren, sondern auch an verdünnten, nicht verkalkten Hautstellen der höheren Deca- poden (z, B. an den weichen Bindemembranen der Gelenke) eine vollkommen homogene, structurlose Chitin-Cuticula, ganz gleich der Drüsen-Intima. Erst wenn sie dicker wird, lässt sie deutliche parallele Schichten erkennen und erst bei noch höherer Entwickelung treten die Porerkanäle in ihr auf. An- dererseits sind die entwickeltsten Stellen der Darm-Intima geradezu nicht von äusseren Skelettpartien zu unterscheiden. So finden sich z. B. in den dicken, verkalkten Magenplatten und Zähnen nicht nur die geschichteten Lamellen mit der zelligen Zeichnung, sondern auch die zweierlei Porenkanäle, von denen die grösseren in das Lumen der Haare überge- hen, ganz in derselben Weise, wie an vielen Panzerstellen, wieder. Sogar in der Drüsen-Intima können, wenn sie sehr verdickt wird, Porenkanäle auftreten !). Somit dürfte die völ- lige Uebereinstimmung im Bau aller dieser echten Ohitin- Membranen und ihre gleiche Entstehung durch schichtweise Ausscheidung, aus dem darunter liegenden Chitinogengewebe wohl nicht mehr zweifelhaft sein. An erwachsenen höheren Decapoden ist diese innige Beziehung allerdings wegen der Dicke und Undurchsichtigkeit der Schale und der zarten, trü- ben Beschaffenheit der Chitinogenzellen schwer direct nach- zuweisen. Dagegen kann man diess unmittelbar bei vielen niederen, kleinen Krustern, unter den Decapoden bei den kleinen, durchsichtigen Cariden, wo ich mich an mehreren Arten der Gattungen Palaemon, Nika, Penaeus, Pasiphaea ete. zuerst davon überzeugte. Hier kann man an den ganz 1) Dahin gehören z. B. wohl .‚die feinen, perpendieulär zur Fläche stehenden Cylinder‘“, welche nach H. Meckel bei Cossus ligniperda die Intima der Sericterien zusammensetzen, 528 Dr. Ernst Haeckel: durchsichtigen, hellen, dünnen Schalen ohne weitere Präpa- ration, bloss durch verschiedene Einstellung des Focus se- hen, dass jedes polyedrische Zellenbild des Panzers in Form und Grösse genau dem Umriss einer darunter liegenden Chi- tinogenzelle entspricht, so dass die Convexität der letztern in die Concavität des erstern hineinpasst. Mitbin entsteht die Zellenzeichnung des Panzers auf die nämliche Weise, wie in der Darm-Intima, durch „Abdruck“ der Chitinogenzellen in die noch weichen einzelnen Secretschichten. Durch diese schichtweise, secretorische Absetzung der Chitinhäute nach aussen erklären sich auch mancherlei andere Eigenthümlich- keiten derselben, wie namentlich der allgemeine Mangel der Flimmercilien bei allen Articulaten !), der jährliche Wechsel der gesammten Chitinüberzüge ?) und vieles Andere. Auch zweifle ich nicht, dass bei genauerer, namentlich histogene- tischer Untersuchung der andern Gliederthiere sich die Be- deutung der gesammten Chitindecken als eines erstarrten Se- crets der darunter gelegenen Zellen ganz allgemein heraus- stellen wird. Für die Flügel, Schuppen und Haare der Le- pidopteren haben diess jüngst die Untersuchungen Sem- per’s dargethan’°). Aber auch an negativen Gründen gegen die Leydig’sche Auffassung der Chitinhäute als chitinisirter Bindesubstanz fehlt es nicht. Die sehr allgemeine zellenförmige Zeichnung bleibt dadurch unerklärt. Die ganz übereinstimmenden und conti- nuirlich in einander übergehenden Decken der Haut und des Darms werden dadurch gewaltsam getrennt. Die für die Ent- 1) Bei den Räderthieren fehlt nach Leydig die wahrscheinlich auch aus echtem Chitin bestehende Cuticula nur in der Hautfurche, wo die Flimmercilien aufsitzen. 2) Leider hatte ich nicht Gelegenheit, diesen höchst interessanten, bisher viel zu sehr vernachlässigten Häutungsprozess zu beobachten. Unzweifelhaft müssen sich daraus die wichtigsten Schlüsse für die Ent- stehung und den Bau der ‚„Chitinmembranen“ ergeben, und zwar si- cherer, als es aus der blossen vergleichenden Betrachtung des fertigen Panzers möglich ist. Auch die Entwickelung des letztern im Embryo ist leider noch nirgends ausreichend beobachtet. 3) Semper, Zeitschr. f. wiss. Zool. Vol. VIII, Heft 3, 1856. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 599 stehung und Bedeutung wirklichen Bindegewebes so wesent- lichen zelligen Elemente lassen sich nirgends darin nachwei- sen. Zwar vergleicht Leydig die grösseren, in das Lumen der Haare sich fortsetzenden Porenkanäle mit Bindegewebs- körperchen. Indess sind diese vielmehr mit einem Fortsatz der Chitinogenzellenschicht ausgefüllt, wie ich sogleich zeigen werde. Auch die Analogie spricht nicht wenig gegen jene Auffassung, da wir sonst nirgends die äusserste Begrenzung des Thierkörpers aus echtem Bindegewebe formirt und noch weniger dieses letztere einem jährlichen Wiederersatz unter- worfen sehen. Dabei sind die sehr wichtigen chemischen Gegengründe noch gar nicht berücksichtigt. Als auf einen Hauptbeweis für seine Ansicht stützt sich Leydig auf den „eontinurlichen Uebergang der Sehnen in das Hautskelett.* Von diesem werde ich unten zeigen, dass er wahrscheinlich eben so wenig existirt, als echte COhitinsehnen. Dagegen erhält unsere Auffassung von dem Chitinogen- gewebe eine wesentliche Stütze durch die Analogie mit dem Pflanzengewebe, wenn man dabei die Mohl’sche Theorie vom Primordialschlauch zu Grunde legt, welche zwar neuerlich mehrfach angegriffen, aber doch noch von den mei- sten Botanikern beibehalten wird. Bekanntlich ist danach der stickstoffhaltige Primordialschlauch die wahre, ursprüngliche Pflanzenzelle und die früher allgemein dafür gehaltene, stick- stofffreie Cellulosemembran ist erst ein secundäres Ausschei- dungsproduct derselben, das schichtweis nach aussen abge- setzt wird. Wie beim Chitinogengewebe der Articulaten ist auch hier die wesentliche primäre, secernirende Zelle ein sehr zartes, weiches, feines Bläschen, oft so schwer nach- weisbar, dass Manche noch jetzt den Primordialschlauch für ein Kunstproduct erklären. Dagegen bildet das erstarrte Se- cret derselben auch hier das feste, zunächst in’s Auge sprin- gende Gerüst und die Masse der ganzen Pflanze, wie es auch beim Chitinskelett der Fall ist. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden besteht aber darin, dass bei der Pflanzen- zelle die sogen. primäre Zellmembran, d.h. die erste vom Primordialschlauch abgesetzte Schicht, im ganzen Umfang des Müller's Archiv. 1857. 34 530 Dr. Ernst Haeckel: letztern, gleichzeitig als geschlossener Sack ausgeschieden wird, und dass dann die secundären Verdickungsschichten auf der Innenseite desselben, also zwischen Primordialschlauch und primärer Membran, sich niederschlagen. Dagegen ist bei der dem Primordialschlauch in vielen physikalischen Bezie- hungen sehr ähnlichen Chitinogenzelle der Secretionsprozess ein durchaus einseitiger, nur von derjenigen Oberfläche aus- gehender, welche der Aussenwelt zugekehrt ist. Desshalb ist hier auch keine der primären Zellmembran analoge Hülle nachzuweisen, welche an der völlig entwickelten Zelle die äusserste Schicht bildete. Höchstens könnte man die oft sogen. Äusserste Outicula des Panzers (Lavalle’s „ober- flächliche Epidermislage“) damit vergleichen, welche in che- mischer Hinsicht etwas von den tieferen Schichten differirt (resistenter gegen concentrirte Säuren ist) und allerdings die erste Ausscheidung der Chitinogenzelle darstellt, an deren Innenseite nachher die secundären Schichten ausgeschieden werden, so dass die zunächst der Zellmembran anliegende immer die jüngste ist. Die Chitinogenzellen bleiben desshalb immer in unmittelbarem Contact, während die Primordial- schläuche schon sehr früh von einander isolirt werden. Of- fenbar ist dieser wesentliche Unterschied durch die Nothwen- digkeit, die Chitindecke jährlich abzuwerfen und durch eine neue zu ersetzen, bedingt. Nicht zu verkennen ist auch die grosse Uebereinstimmung im Bau der Verdickungsschichten, besonders’ was die zellige Zeichnung und die feinen Poren- kanäle betrifft, welche letztere bekanntlich bei den Pflanzen ebenfalls die geschichteten Lamellen senkrecht durchsetzen, sich auch verästeln, erweitern können etc., ganz wie im Chi- tinskelett. Auch deren Function, namentlich ihre Bedeutung für den Gasaustausch, für die Transpiration, für die Re- sorption etc. im Chitinpanzer lässt sich wohl mit der Bedeu- tung vergleichen, die sie in der Pflanzencellulose für den Austausch und die Diffusionsverhältnisse benachbarter Zellen haben !). I) Dagegen lässt sich die sogen. Cuticula der Pflanzen, der nicht Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 531 Eine ganz besondere Berücksichtigung verdient endlich noch die Analogie zwischen den mannichfaltigen Hautan- hängen: Haaren, Schuppen, Warzen, Höckern, Stacheln etc. der Pflanzen und der Gliederthiere. Bei letzteren hän- gen dieselben, wie erwähnt, überall in der Art mit den sog. gröberen Porenkanälen zusammen, dass deren Lumen sich unmittelbar in die Lichtung der hohlen Haare etc. fortsetzt. Bei getrockneten Schalen und oft auch schon beim lebenden, erwachsenen Thier, z.B. bei den glänzend weissen Haaren der Spinnen und Schuppen der Schmetterlinge sind dieselben mit Luft gefüllt. Ursprünglich dagegen sind sie stets durch einen unmittelbaren Fortsatz der Chitinogenzellenschicht aus- gefüllt, dessen secundäres Ausscheidungsproduct erst die äus- sere, von fast allen Autoren allein in Betracht gezogene Chi- tinröhre ist. Ganz wie bei den Appendieularorganen der Pflan- zen kann man auch bei denen der Gliederthiere zwischen ein- und mehrzelligen unterscheiden, von denen jene durch einen papillenförmigen Auswuchs einer einzigen Chitinogenzelle, diese durch einen Fortsatz gebildet werden, der aus melıre- ren solchen zusammengesetzt ist (Fig. 22 d). Bei den höhe- ren Decapoden lässt sich dieser Zusammenhang wieder viel schwieriger nachweisen als bei den niederen Orustaceen, wo man die Matrix der Haare als Fortsatz der Chitinogenzellen- schicht ebenso continuirlich verfolgen kann, wie die äussere Chitinröhre der ersteren als Fortsetzung des äussern Chitin- panzers. Auch hier ist (z. B. bei Sguilla, den Cariden ete”) die Aehnlichkeit mit analogen pflanzlichen Bildungen oft über- raschend, wie man denn überhaupt bei näherem Eingehen auf diese Analogie immer mehr treffende Vergleichungspunkte findet. Auch dürfte in chemischer nicht minder als physika- lischer Beziehung eine Vergleichung der beiden erhärteten Secretionsprodukte noch manche Schwierigkeiten in deren Cellulose enthaltende äussere Ueberzug der Epidermisfläche, der der Porenkanäle stets entbehrt, nicht mit den Chitinhäuten vergleichen, wohl aber sehr gut die oft bedeutend verdickten, unter jener liegen- den ‚‚Cuticularschichten‘‘ der Epidermiszellen. 34* 532 Dr. Ernst Haeckel: Auffassung erläutern. Wenigstens scheint das echte Chitin kaum minder mannichfache Modificationen eingehen zu kön- nen, als die echte Cellulose. — II. Die zusammengesetzten Systeme. 1. Nervensystem. Das Nervensystem des Flusskrebses zeigt schon für das unbewaffnete Auge eine Zusammensetzung aus zwei verschie- denen Substanzen, einer weissen Masse, welche, hauptsäch- lich aus den körnigen Ganglienzellen bestehend, der grauen, und einer farblosen, welche, allein aus den wasserklaren Pri- mitivröhren zusammengesetzt, der weissen Substanz der Wir- belthiere entspricht. Die Zellen sind zur weissen Masse in den 12 Ganglienpaaren des Bauchmarks und dem Gehirn, sowie in den kleinen Knötchen des sympathischen Systems angehäuft und finden sich ausserdem auch hie und da ein- zeln in den Fasernetzen des letztern eingestreut. Dagegen fehlen sie ganz in der peripherischen Körperausbreitung der von dem Bauchmark ausgehenden Nerven und kommen auch in den beiden Längscommissuren des letztern nur selten und ausnahmsweise vor. Dagegen fehlen die Röhren, welche für sich allein die farblosen Stränge sowohl im Centrum als der Peripherie zusammensetzen, in keinem Theile des Nerven- systems gänzlich. Be ; Getragen, geschützt und zu der gröberen Einheit eines zusammenhängenden Systems vereinigt werden die nervösen Elemente durch ein festes continuirliches Bindegewebsge- rüst, welches überall die einzelnen isolirt, das Ganze nach aussen abschliesst und zugleich die ernährenden Blntge- fässe zuführt. Die letzteren werden von einer ziemlich an- sehnlichen Arterie geliefert, welche mitten unter den beiden Längscommissuren verläuft und deren völlige Verschmelzung hindert. Sie löst sich in ein Capillarnetz auf, welches in den letzteren nur spärliche, längliche Maschen bildet, die Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 533 Ganglien des Bauchmarks aber mit einem reicheren Netze umspinnt, namentlich die 6 vorderen. Am schönsten entwik- kelt ist dasselbe auf der Oberfläche des Gehirns, wo esjedes einzelne Ganglion mit zahlreichen rundlich-polygonalen Ma- schen überzieht (Fig. 15). Das Bindegewebe selbst zeigt zahlreich die gewöhnlichen, oben beschriebenen Kerne (Fig. 2e) innerhalb einer matten, homogenen, bald mehr körnigen, bald mehr streifigen Grund- substanz (Fig.2d). Oft, namentlich zwischen den Röhren in der Mitte der Längscommissuren, ist die Längsstreifung, stets parallel den Röhren, so ausgesprochen und continuir- lich, dass man Fasern zu sehen glaubt. Oft ist auch der Verlauf derselben so lockig geschwungen, wie beim Bindege- webe der Wirbelthiere. Dennoch kann man keine Fasern daraus isoliren, wesshalb sie auch wohl nicht für blasse Ner- venfasern, analog den Remak’schen, zu halten sind. Die stärkeren Röhren sind von besonderen dicken Bindegewebs- scheiden (Neurilemm) eingehüllt, welche sich beim Ueber- gang der ersteren in Zellen (Fig. 10) continuirlich in die Kap- seln der letzteren fortsetzen, die aus concentrisch geschich- teten Bindegewebslamellen bestehen. Im Innern weicher, ver- dichtet sich die Bindemasse im Umfange der Stämme und Zweige zu einer festen und derben Hülle, welche am Bauch- strang selbst als besondere Membran sich darstellen lässt. In die Ganglien hinein schickt diese Fortsätze, welche ein ma- schiges, doch nicht sehr ausgesprochenes Fachwerk bilden, in dessen Maschen Zellengruppen zusammengehäuft sind. Pig- ment, in Form dunkelrother, schön verästelter Sternzellen, findet sich im Neurilemm nur ausnahmsweise). Das Zellge- webe, welches Hannover und Will als eine zweite, äussere, besondere Hülle des Bauchmarks beschrieben, steht, wie oben gezeigt wurde, in keiner nähern Beziehung zu diesem, son- dern nur zu den dasselbe begleitenden Gefässen. 1) Das Neurilemm der sympathischen Geflechte von Homola Cu- vieri sah ich mit vielgestaltigen, weissen, gelben, orangefarbenen und purpurrothen Flecken überstreut, die aus schr kleinen, Molekularbe- wegung zeigenden Körnchen bestanden. 534 Dr. Ernst Haeckel: Bezüglich der feineren Gewebsdifferenzen in den verschiedenen Theilen des Nervensystems ist schon oben mehrmals erwähnt worden, dass das Körpernervensystem (das „cerebroventrale*) sich vielfach von dem sympathischen unterscheidet, und dass in jenem wiederum die Zellen des Gehirns von denen der Bauchknoten, die Röhren des Bauch- marks von den peripherischen verschieden sind. Was zu- nächst das Gehirn betrifft, so muss man dasselbe, abge- sehen von den dafür sprechenden physiologischen Eigenthüm- lichkeiten, auch aus histologischen Gründen wohl von den Bauchmarksknoten trennen, obwohl es gewöhnlich nur als der vorderste und grösste derselben angesehen wird. Die acht einzelnen Knötchen, aus denen es, wie Valentin (l.c.) fand, zusammengesetzt ist, sind von einer auch die Gesammt- masse einhüllenden gallertigen Fettgewebsschicht überzogen und vereinigt, aber nur sehr locker unter einander verbun- den. Jedes einzelne der acht Knötchen wird dann noch von einer festen, homogenen, kernreichen Bindegewebsmembran (Fig. 15) umschlossen, welche die Präparation der im Innern enthaltenen Masse sehr erschwert. Diese besteht zum gros- sen Theil aus einer dunkeln, feinkörnigen, weichen Grund- substanz, in der zwischen zahlreichen freien Kernen die Gan- glienkugeln eingebettet sind. Diese weichen sehr von denen der anderen Nervencentren ab und sind durchschnittlich viel _ kleiner und zarter. Eine besondere Kapsel fehlt meist. Die Membran berstet leicht und lässt den sehr spärlichen, oft fast verschwindenden, dunkelkörnigen Inhalt austreten, der oft leicht gelblich pigmentirt ist. Die Kerne sind dunkler, oft körnig und in allen Uebergängen zu den gewöhnlichen Bindegewebskernen zu finden. Da überdem der Inhalt ganz mit der umgebenden körnigen Bindemasse übereinstimmt und die Zellmembran oft fast zu fehlen scheint, so lässt sich schwer die Grenze zwischen echt nervösen und Bindege- webselementen hier ziehen. Auch über die Natur der Fort- sätze kann ich nichts Sicheres sagen, da die meisten Zellen apolar zur Anschauung kommen. Bei manchen unipolaren zeichnete sich der Fortsatz durch grosse Blässe und Zartheit Ueber die Gewebe des Flusskrebses, 535 aus. Ziemlich häufig waren Zellen mit zwei Kernen, ebenso Kerne mit mehreren Kernkörperchen. Die 12 Bauchmarks- knoten, auch der erste, der nach Valentin ähnlich wie das Gehirn aus acht Lappen bestehen soll, zeigen nichts von jenen eigenthümlichen Elementen, sondern nur die gewöhn- lichen, sehr grossen, meist unipolaren Ganglienkugeln, mit schönem, hellem Kern, oft in kleineren Gruppen von 5 bis 10 gehäuft. Doch sind auch sie schwer unverletzt zu iso- liren. Die 11 hinteren Ganglien bestehen aus je zwei sym- metrischen Hälften (der letzte Schwanzknoten nach Valen- tin aus zwei Paaren), die in den Hinterleibsknoten viel in- niger verbunden sind, als in den Brustknoten. Was den Faserverlauf im Bauchmark betrifft, so hat schon Helmholtz beim Flusskrebs ebenso wie Newport beim Hummer gefunden, dass in jedem Verbindungsstrang ein oberer Theil, dessen Fasern, ohne die Ganglienkugeln zu berühren, oberflächlich über dieselben weggehen, von einem untern, dessen Röhren mit den Zellenhaufen in einem innigen Zusammenhange stehen und sich nicht von ihnen trennen lassen, unterschieden werden kann. Von jenen er- steren gehen, von vorn anfangend, an jedem Ganglion einige Fasern zu diesem letztern herunter, so dass also der obere nach hinten immer dünner wird. Zugleich scheint er aber an jedem Knoten wieder durch einige neue von diesem ent- springende Fasern verstärkt zu werden. In dem oberen, ganglienlosen Strang verlaufen auch jene „colossalen Röhren mit dem centralen Faserbündel“, von de- nen weder Remak noch ich jemals eine Verbindung mit einer Zelle sehen konnten. In jeder Hälfte einer jeden Längs- commissur finden sich deren etwa 3 —5; Immer übertrifft aber eine einzige, mehr nach der Mitte zu gelegen, bedeutend die andern, welche dann durch allmälige Uebergänge mit den schmäleren, des centralen Faserbündels entbehrenden Fasern verbunden sind. Uebrigens nimmt ihr Durchmesser vom er- sten Brust- bis zum letzten Schwanzknoten kaum an Dicke ab; doch finden sich im Schlundring meist die stärksten. Die unteren Stränge, vielleicht auch ein Theil der oberen, schei- 536 Dr. Ernst Haeckel: nen innerhalb der Knoten eine theilweise Kreuzung ihrer Fa- sern einzugehen, während innerhalb der Längscommissuren nirgends ein Austausch der streng gesonderten symmetrischen Seitenhälften stattfindet. Uebrigens wird der wichtigste Punkt in der Struktur des Bauchstrangs, die Frage über die Ver- bindung der Röhren mit den Zellen innerhalb der Knoten, sowie der Zusammenhang dieser beiden Elemente mit den von den Knoten abtretenden peripherischen Stämmchen wohl noch lange auf Enthüllung warten müssen, da bisher keiner der erwähnten, verdienten Forscher die dabei hinderlichen Schwierigkeiten zu überwinden vermochte. Gerade beim Ein- tritt in die Ganglien werden die bis dahin so scharf gezeich- neten Elemente blass und matt, und selbst die so sehr her- vorstechenden dicksten Fasern scheinen auf einmal unterbro- chen zu werden. Dazu trübt dann noch die dichte, schwer zu entwirrende Bindegewebsverflechtung und der dunkle Zel- leninhalt die Durchsichtigkeit bedeutend. In den, bisher ganz vernachlässigten peripherischen Nervenstämmen lässt sich der Verlauf der einzelnen Röh- ren ohne Vergleich leichter und sicherer weithin verfolgen, vielleicht bequemer als bei irgend einem andern Thiere die- ser Grösse. Die vom Bauchstrang an die verschiedensten Körpertheile abgehenden Stämmchen treten meist alle aus den Knoten, seltener zugleich auch aus den Verbindungs- commissuren aus. Das letztere scheint häufiger bei jüngeren Thieren der Fall zu sein. Uebrigens ist die Zahl sowohl als . der Austrittsort dieser Nervenwurzeln äusserst variabel. Von den Hinterleibsknoten z. B. (mit Ausnahme des sehr starken letzten, der immer eine weit grössere Anzahl in die grosse Schwanzflosse abgiebt) gehen gewöhnlich au$ der Ganglien- hälfte jeder Seite 2—3 stärkere und eben so viel schwächere Nerven ab, die letzteren aber oft erst weiter hinten aus dem Verbindungsstrang, zuweilen hinter der Mitte desselben. An- deremale können statt dessen 6—8 dünne Fäden vom Kno- ten ausgehen oder diese können in 2 oder sehr selten selbst nur in 1 Stämmchen verschmelzen. Wesentlicher als diese sehr veränderlichen Differenzen Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 537 scheint eine fast constante Vertheilung der dünnen und dik- ken Fasern auf zweierlei Stämmchen zu sein. Gewöhnlich fallen gleich beim ersten Blick jederseits ein oder ein paar sehr durchsichtige, platte Nerven auf, die nur ungefähr 5 bis 15 Primitivröhren halten, diese aber vom breitesten Durch- messer, währeud die beiden andern stärkeren und mehr cy- lindrischen Stämmchen eine viel grössere Anzahl, aber schmä- lere und blassere Röhren besitzen. Während in diesen letz- teren sich theils wegen der dichtern Anhäufung, theils we- Sen der undeutlichern Ausprägung der Elemente der Faser- verlauf nur mit grosser Mühe und unsicher verfolgen lässt, kann man dagegen bei jenen ersteren das Verhalten der ein- zelnen Röhren bis in die feineren Aeste mit der grössten Leichtigkeit und Sicherheit beobachten. Diese bandartigen, flachen Nervenbündel sind nämlich zugleich auch sehr reich- lich mit Neurilemm ausgestattet, so dass die wenigen (meist kaum ein Dutzend, oft nur 3—5) sehr breiten und scharf contourirten, wasserhellen Röhren mit ihrer meist deutlich doppelten Grenzlinie, verhältnissmässig weit von einander ent- fernt, sich auf dem dunkeln, homogenen Bindegewebsgrunde äusserst nett und klar abheben (Fig. 1u. 2). In ihrem ganzen eigenthümlichen Habitus gleichen sie so sehr den colossalen Röhren mit centralem Faserbündel, dass ich, obwohl ich dies letztere vergeblich bei ihnen zu sehen mich bemühte, dennoch glauben möchte, dass sie von jenen ausgezeichneten Elementen abstammen. Auch die oben geschilderten Thei- lungen der Primitivröhren, welche an den stärkeren, dunkle- ren, runden Stämmchen nur schwer zu sehen sind, lassen sich an diesen flachen, dünnen, hellen Bändern leicht bis in die 4te bis 6te Ramification verfolgen. Was noch beson- ders dabei auffällt, ist, ausser der grossen Breite der Röh- renwurzeln und der dem entsprechenden geringen Anzahl, die ungemein grosse Verschiedenheit im Durchmesser nicht nur der dicht an einander liegenden Röhren, sondern auch der verschiedenen Aeste einer und derselben, so dass bald beide Zwillingsäste ganz gleich sind, bald der eine den an- dern um das 10— 1l5fache übertrifft. Sehr häufig entsteht 538 Dr. Ernst Haeckel: auch der Anschein von zurücklaufenden Schlingen, indem ein Röhrenzweig erst weit unterhalb der Abgangsstelle des Astes, für den er bestimmt ist, die starke Mutterröhre verlässt und nun, um in jenen einzutreten, ein ganzes Stück des gemach- ten Weges wieder zurücklaufen muss (Fig. 1,2). Was weiter aus diesen eigenthümlichen Röhren wird, konnte ich leider nicht ermitteln, da die Zweige, wie scharf und deutlich sie auch anfangs sind, doch bald gegen die Peripherie hin durch fortgesetzte Theilungen so schmal und fein, dabei blass und undeutlich werden, dass man sie schliesslich unmöglich mehr von echten Bindegewebselementen unterscheiden kann. , Auch das sympathische Nervensystem bietet beim Flusskrebs kaum minder interessante Verhältnisse, als die eben erwähnten sind, dar. Die gröbere Anatomie desselben ist von Krohn!), Schlemm?) und Brandt?) sehr genau beschrieben, dagegen die feinere, mit Ausnahme von Va- lentin (l.c.), kaum berücksichtigt worden. Die Röhren haben gleich von ihrem Austritt aus dem Gehirn an, sowie nach dem Abgang aus den beiden gangliösen Anschwellun- gen mitten im Verlauf der beiden Schlundringsschenkel (wel- che 3 Stämme die Wurzel des Sympathicus bilden), ihren eigenthümlichen Charakter, die geringe Breite, die Zartheit und Blässe der Scheide, die eigenthümlich varicöse Gerin- nung des Inhalts (Fig. 9). An diesen Merkmalen erkennt man sie leicht in dem ganzen weiten Geflecht wieder, mit wel- chem der Magen von allen Seiten übersponnen ist, und ebenso an den beiden seitlichen Darmnerven, welche, wie Krohn fand, sonderbarer Weise mit einem gemeinsamen Stämmchen vom letzten Bauchmarksknoten entspringen ‘). 1) Krohn, Von den Verdauungsnerven des Krebses. Oken’s Isis 1834, p. 522 Tab. XII Fig 1—4. 2) Schlemm, De hepate ac bile erustacearum, Tab. I Fig. 2; Tab. II Fig. 13. 3) Brandt, Ueber die Eingeweidenerven der Evertebraten p. 7 Tab. I Fig. 1—3. 4) Gauz die gleichen Fasern sah ich auch am Herzen mehrfach au 2—6 vereint, konnte aber ihren Ursprung nicht sicher ermitteln, Ueber die Gewebe des Flusskrebses, ; 539 Nicht minder unterscheidet sie der zwar geringere, aber viel constantere Durchmesser, der bei weitem nicht in ‘solchen Extremen wie im Cerebroventralsystem schwankt. Die aller- meisten Röhren haben nahezu gleiche Breite und dasselbe gilt auch von ihren Bifurcationen, welche desshalb wiederum ein ganz anderes Bild geben (Fig. 8) als die der Körperner- ven. Bemerkenswerth ist dabei auch, dass, während bei letz- teren gewöhnlich die Summe der beiden Zwillingsäste dem Lumen der Mutterröhre gleichkommt, bei den sympathischen Röhren dagegen meist alle 3 (Stamm und beide Zweige) ganz gleich sind. Die gleichzeitigen, massenhaften Bifurcationen fast sämmtlicher Primitivröhren von ganzen Stämmen lassen sich auch hier prächtig mit einem Blick übersehen, und ebenso die wiederholte Theilung einer und derselben Röhre im wei- tern Verlauf verfolgen, wenngleich das blassere, weniger ho- mogene Neurilemm die ebenfalls matter gezeichneten, schmä- leren und dabei dichter gedrängten, auch vielfach sich kreu- zenden Röhren hier weniger scharf hervortreten lässt (Fig. 5). Die sympathischen Ganuglienzellen sind dagegen viel besser als die Gehirn- und Bauchmarkskugeln zur be- quemen und sichern Betrachtung in unverletztem Zustande geeignet, da am Magen, namentlich an der untern und vor- dern Seite, sowie vor dem Oesophagus unten, aber auch an einigen anderen Stellen, mehrere hübsche kleine Ganglien vorhanden sind, die Durchsichtigkeit genug besitzen, um ohne alle Präparation in ihren natürlichen Verhältnissen verfolgt zu werden. Die meisten derselben bestehen nur aus 4—8, bis höchstens 12 Zellen, selten noch mehr. Die Zahl der- selben, ebenso wie ihre Verbindungsweise ist übrigens sehr variabel. Doch scheinen z.B. in dem unpaaren, oben und vorn zwischen den vorderen Muskein an der Magenkante ge- legenen „Magenknoten* (Krohn) constant nur 10 - 12 uni- polare Zellen sich zu finden, welche sehr regelmässig zu 5 bis 6 hinter einander in der spindelförmigen Anschwellung xl obwohl ich vermuthe, dass sie von einer Verlängerung des mittlern, . unpaaren Magennerven kommen. 540 Dr. Ernst Haeckel: jederseits des durchtretenden Stämmchens liegen, dem jede einzelne Kugel eine neue Röhre mit auf den weitern Weg giebt. Ueberhaupt scheinen auch hier die unipolaren Zellen die häufigsten zu sein, wovon man sich viel sicherer als an den Bauchknoten überzeugt (Fig. 8b), doch sind auch sehr deutliche bipolare nicht selten (Fig.8c). Auch einige kleine apolare pflegen gewöhnlich dabei zu liegen (Fig. 3a), von denen ich mich jedoch nie deutlich überzeugen konnte, dass nicht doch ein nur.versteckter Fortsatz vorhanden sei. Viele Kugeln, und diese meist bipolare, finden sich auch mitten im Verlauf der sympathischen Stämme einzelnen Röhren ein- gelegt, und um diese legen sich dann die benachbarten Röh- ren, oft an einem oder beiden Polen sich kreuzend, so her- um, dass es aussieht, als ob eine einzige Rohre schlingen- förmig um die Kugel herum- und wieder zurückliefe. Nach dem Abgange von der Zelle kann sich die zu ihr gehörige Röhre gleich, ebenso wie die andern, wieder verzweigen (Fig. 11), wobei dann die Aeste oft sehr weit divergiren, selbst in gestrecktem Winkel. Eine interessante Form bilden auch die kleinen „einzelligen* Ganglien, welche sich hie und da auf der Magenoberfläche finden, einzelne Kugeln nämlich, die mitten im Verlauf einer isolirten Röhre eingebettet sind. Zuweilen fällt dann die Gabeltheilung der Röhre mit der’Er- weiterung, in der die Kugel liegt, zusammen, wodurch eine tripolare Zelle mit 3 Lappen entsteht (Fig. 12). Die als Fort- setzung des Neurilemms auf die Kugel zu betrachtende Bin- degewebskapsel (Fig. 10) findet sich bei den sympathischen Zellen häufiger und ausgebildeter, als bei den anderen, so dass ihre Dicke oft den vierten Theil oder selbst die Hälfte des Zellendurchmessers beträgt und zahlreiche Kerne, der sphärischen oder elliptischen Oberfläche parallel gekrümmt, die ganze Zeile dicht bedecken. Bisweilen endlich sind 2 bis 3 Zellen verschiedener Grösse ausser ihrer eigenen Kap- sel noch von einer gemeinsamen dicken Mutterhülle (knor- pelzellenähnlich) eingeschlossen. Was die Sinnesorgane anbelangt, so ist bisher nur das Auge der Decapoden auf seinen feinern Bau untersucht, Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 541 und zwar zuerst in dem ‘berühmten Werk J. Müller’s'), zu- letzt in einer sehr ausführlichen Abhandlung Leydig’s?) sehr genau beschrieben worden. Von den übrigen Sinnes- 'organen ist sogar die gröbere Anatomie so gut wie ganz unerledigt und man hat sich noch nicht einmal über die phy- siologische Bedeutung derselben einigen können. Von der feineren Struktur aber, insbesondere dem wichtigsten Theile derselben, der Histologie der specifischen nervösen Appa- rate, ist noch gar Nichts bekannt. Für das Gehörorgan galt früher die „grüne Drüse* und die mit ihr in Verbindung stehende grosse, mit wasserheller Flüssigkeit erfüllte Blase neben dem Magen, von denen unten gezeigt werden wird, dass sie vielmehr einen secretorischen Apparat darstellen. Gegenwärtig gilt für das Gehörorgan meist die Höhlung im Basalstück des innern Antennenpaars, welche nach Farre°) und Leuckart‘) ein Gehörbläschen enthalten soll und früher für das Geruchsorgan 'galt’). Ein sicherer Beweis ist aber weder für das eine, noch für das andere geliefert. 2. Muskelsystem. Die Elementarorgane der Muskeln, die quergestreiften, cylindrischen oder durch gegenseitigen Druck zu prismatischen Säulen abgeflachten Primitivbündel werden zu gröberen Ein- heiten (secundären ete. Bündeln) vereinigt durch ein zusam- menhängendes Bindegewebsgerüst, welches die motori- schen Nerven und ernährenden Blutgefässe zuführt, sowie die Verbindung der Muskeln mit ihren Ansatz- und Ürsprungs- theilen vermittelt. Die innerste, ganz homogene, nur hie und da von Kernen durchsetzte Bindesubstanz, welche als Sar- 1) J. Müller, Vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes, 1826. 2) Leydig, Zum feinern Bau der Arthropoden. Müller’s Archiv 1855 p. 406. 3) Farre, On the organ of hearing in Crustacea. Philosoph. Transact. 1843. 4) Leuckart, Ueber die Gehörwerkzeuge der Krebse. Wieg- mann’s Arch. 1853 p. 255. ; 5) v. Siebold, Vergl. Anat. p. 441. 542 Dr. Ernst Haeckel: kolemma die Primitivscheiden unter einander verklebt, wurde schon oben erwähnt. $ie geht nach aussen in das Perimy- sium internum über, das intermusculäre Gewebe, das die se- cundären Bündel zusammenhält; und diese endlich werden zu gröberen Strängen vereint und nach aussen abgeschlossen durch das Perimysium externum, welches aus einer feste- ren Platte desselben derben, homogenen, mit Kernen durch- setzten Bindegewebes besteht (Fig. 13e). Ein paar grössere, den Thoraxraum frei durchziehende Muskeln sind überdies noch von einem, schon von Reichert kurz erwähnten Epi- thel überzogen, welches aus grossen, planconvexen, rundlich polygonalen, durch gelblich-körnigen Inhalt getrübten, kern- haltigen Zellen besteht und im Profil einen ähnlichen Ein- druck macht, wie die äussere, körnige Schicht der Herzmus- kelröhren. Doch ist mir die rechte Epithelialnatnr dieser viel- leicht selbst contractilen Zellen sehr zweifelhaft, da nicht nur an den übrigen, den Brustraum durchziehenden Theilen das Epithel, welches einer Serosa entsprechen würde, feblt, sondern überhaupt mir ausserdem bei den Decapoden kein Epithel bekannt ist, welches nicht zum Chitinogengewebe gehörte. Die Verbindung der Muskeln mit anderen Organen ge- schieht stets durch Bindegewebe, welches von ganz weichem, homogenem Zwischengewebe alle verschiedenen Zwischenstu- fen bis zur verkalkten und indurirten Sehne durchmachen kann. Sehr leicht und deutlich ist der Zusammenhang der Muskelfasern mit dem Sehnengewebe zu verfol- gen (Fig. 13), wie ihn Reichert ') ausführlich von dem grossen, pinselförmigen Kiefermuskel beschrieb. Dieser ist mit dem einen Ende durch eine lange, dünne, verkalkte Sehne an den Kiefer, mit dem andern durch eine dünne Bindegewebslage an das Rückenschild angeheftet. Die Sehne zerfällt am Ursprungsende der Länge nach in ein trichter- oder fächerförmig sich ausbreitendes Büschel kleiner Sehnen- 1} Reichert, Vergleichende Beobachtungen üb. das Bindegewebe, Dorpat 1845, p. 77. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 543 zweigelchen, deren jedes mehrere fein gestielte Muskelpri- mitivbündel trägt. Gegen die letzteren entfaltet sich das weiche Verbindungsstück zu cylindrischen Schläuchen, dem Sarkolemma im oben angegebenen Sinn, in denen die Mus- kelfasern spindelförmig verschmälert und zugespitzt werden (Fig. 13). Doch kann ich Reichert nicht beistimmen, wenn er jene Sarkolemmschläuche für die Muskelprimitivscheiden selbst erklärt, und daraus einen directen, continuirlichen Ue- bergang derselben in Bindegewebe nachweisen will. Die ei- gentliche, nicht bindegewebige, sondern aus den verschmol- zenen Membranen der Muskelbildungszellen hervorgegangene Primitivscheide liegt vielmehr als die nächste, zarteste Um- hüllung der contractilen Masse, welche das Primitivbündel auch nach dem Herausfallen aus den strukturlosen Bindege- websscheiden des Sarkolemms noch zusammenhält, der in- nern Oberfläche des letztern innig an und wird durch das- selbe mit den benachbarten verklebt. Das Bindegewebe der Sehnen setzt sich daher nur in das zwischen die wahren Pri- mitivscheiden eindringende Sarkolemm und in das Perimy- sium internum et externum continuirlich fort, wie namentlich an den weicheren Sehnen, z. B. der Hinterleibsringe, zu se- hen ist (Fig. 13). Dagegen lässt sich die echte Primitiv- scheide oft auch noch an den aus dem Sarkolemm isolirten Muskeln nachweisen. Doch sind immerhin alle diese Ver- hältnisse so zart, dass ein ganz zweifelloses Bild davon schwierig zu gewinnen ist. Weniger schwierig ist der von Reichert (ibid.) behaup- tete continuirliche Uebergang des Sehnenbindegewebes in den äussern Chitinpanzer zu widerlegen, wenigstens an den mei- sten Stellen. Fast überall lässt sich nämlich zwischen bei- den mit Sicherheit die sehr wichtige Chitinogenmembran nach- weisen, so z. B. auf der Ansatzfläche des pinselförmigen Kiefermuskels am Rückenschild. Die Sehnen setzen sich viel- mehr an die Outisschicht an, in der sie sich verlieren. Na- türlich ist aber gerade an diesen Stellen der innige Zusam- menhang der Chitinogenmembran und der Chitinschicht be- sonders fest, so dass sich die Zellenlage der erstern nur 544 Dr. Ernst Haeckel: schwierig ohne gewaltsame Trennung und dadurch herbeige- führte Zertrümmerung trennen lässt. An einigen Stellen, na- mentlich am Ansatz der verkalkten Sehne an den Kiefer, war es mir trotz vielfacher Versuche nicht möglich, die die Uebergangsstelle bezeichnende COhitinogenmembran zu sehen, obwohl man sie auch hier, als zur Regeneration der Schale beim jährlichen Wechsel durchaus nothwendig, schon a priori als wirklich vorhanden voraussetzen muss!). Dadurch, dass diese secernirende Chitinogenzellenlage die Schale von den Sehnen und Muskelansätzen trennt, wird zugleich der Auf- fassung des Chitinpanzers als „chitinisirter Bindesubstanz“ eine Hauptstütze genommen. Der als bestes Argument da- für aufgestellte continuirliche Uebergang der „chitinisirten“ Sehnen in die Schale existirt nicht. Dazu ist noch die wirk- liche Chitinnatur der sogen. „chitinisirten“ Sehnen sehr zwei- felhaft. Selbst wenn sie aus echtem Chitin beständen, würde das noch nicht viel beweisen, da nach Leydig?) sogar Mus- keln chitinisiren können, Allein wie jetzt unter dem Namen des Chitins bunt durch einander die verschiedensten Stoffe, bloss wegen analoger Löslichkeitsverhältnisse, zusammenge- worfen werden, so ist auch der Begriff des „Chitinisirens® als einer ursprünglichen Gewebsdifferenzirung oder aber einer spätern Erhärtung eines secundär infiltrirten Stoffes, noch so vag und unbestimmt, dass man die oben erwähnten Seh- nen wohl aus dem Kreise der echten Chitinsubstanzen aus- scheiden möchte. Denn abgesehen davon, dass sie nicht mit der Schale continuirlich zusammenhängen, nicht mit dieser jährlich abgeworfen und regenerirt werden, spricht schon die Grundverschiedenheit der Struktur beider entschieden gegen eine Identität. Die sogen. chitinisirten Sehnen bestehen nach Auszug der Kalksalze aus grobstreifigem, leicht der Länge nach spaltbarem Bindegewebe, dessen Kernelemente völlig 1) Einigemal glaube ich eine Spur davon an der Stelle gesehen zu haben, wo die. kurz zuvor auf eine kleine Strecke weich, durchsich- tig, weniger deutlich streiig gewordene Sebne an den harten Chitin- kiefer sich ansetzt. gi 2) Leydig, Lehrb. p. 140. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 545 airophirt scheinen und erst beim Uebergang in das weichere Bindegewebe des Sarkolemms und Perimysiums deutlich wer- den. Sie zeigen nichts von den für die echten Chitinmem- branen charakteristischen Porenkanälen, Zellenabdrücken etc. Endlich scheinen mir auch einige chemische Differenzen vom echten Chitin vorhanden zu sein, die ich aber leider nicht genauer verfolgen konnte. Nach alledem möchte ich die chi- tinisirten Sehnen nicht für wirkliches, echtes Chitin, sondern für eine Bindegewebsmodification halten, welche ausser der Kalkinfiltration noch eine eigenthümliche Härtung und Ver- dichtung der Grundsubstanz erfahren hat, ähnlich wie es nach Reichert beim elastischen Gewebe der Fall ist. Auch Leydig erwähnt (]. c. p. 30) die vollständige chemische und morphologische Uebereinstimmung anderer Arthropodenseh- nen mit den aus elastischem Gewebe bestehenden kleinen Sehnen vom Hautmuskelnetz der Vögel. 3. Hautsystem. Die äussere Haut ist in allen ihren allgemeineren Ver- hältnissen bereits oben ausführlich geschildert worden. Auf die speciellen Modificationen ihres Baues an den einzelnen Localitäten einzugehen, würde hier viel zu weit führen, und soll desshalb nur kurz daran erinnert werden, dass das Chi- tinogengewebe durch die bindegewebige Uutisschicht, in der die sensiblen Nerven endigen, die ernährenden Gefässe ver- laufen und an die die Muskeln sich ansetzen, überall mit den . unterliegenden Organen verbunden wird. Wo sie dicker wird, geht das homogene oder körnig streifige Bindegewebe oft in Zell- (gallertiges Bindegewebe?) und Fettgewebe über. Auch die Pigmentzellen und Farbkörnerhaufen sind reichlich in ihr angehäuft. Bezüglich der ersteren ist zu erwähnen, dass hie und da sehr grosse, weitverästelte rothe Pigmentzellen zwi- schen den Zellen des Chitinogengewebes zerstreut vorkom- men. Auch der Bau der Appendicularorgane wurde schon oben erläutert, ebenso wie der der Drüsen, und gezeigt, dass diese nur innere Einstülpungen, jene; nur äussere Ausstül- pungen der Chitinogenschicht und ihrer Chitin-Cuticula sind, Müller’s Archiv, 1857. 3) 546 ‚Dr. Ernst Haeckel: In die grösseren papillenartigen Anhänge des Skeletts setzt sich auch eine Cutispapille fort. ‘Von den sogen. „chitinisir- ten Sehnen“ wurde gezeigt, dass sie keine unmittelbaren Fortsätze des Hautskeletts sind, wie man sonst immer an- nimmt. Von besonderen Hautdrüsen sind nur die oben unter dem Kiemenhöhlendach erwähnten bekannt. An den ande- ren Körpertheilen wird deren Function gewiss von den drü- sigen Chitinogenzellen versehen. 4. Eingeweidesystem. Da mir über dieses grosse Gebiet ausser den oben mit- getheilten Beobachtungen über das Chitinogengewebe nur we- nige,, vereinzelte Thatsachen zu Gebote stehen, so will ich ausser diesen eigenen Fragmenten der Vollständigkeit halber auch kurz das wenige, von Anderen bisher darüber Mitge- theilte erwähnen. A. Verdauungsorgane. Im: ganzen Darmkanal und seinen Ausstülpungen sind überall die beiden Schichten des Chitinogengewebes und die sie stützende Bindegewebslage nachzuweisen, wie oben ge- zeigt wurde. Auch im Pharynx und Oesophagus, wo nach Leydig') das Epithel den meisten Arthropoden fehlen soll, und im.Magen, wo es Meckel vermisste, ist die Chitinogen- zellenlage vorhanden, nur weniger deutlich und leichter zer- 'störbar als z.B. im Darm. Dass die ungemein mannichfal- tigen Appendicularorgane der Magenintima, die von Oester- len?) sehr genau beschrieben sind, zum Theil sich sehr ver- dicken, verkalken, und dann Porenkanäle enthalten können, und dass auch die Krebssteine in diese Kategorie gehören, wurde schon oben gelegentlich bemerkt, wo auch das Schema der paarigen Leberdrüse gegeben wurde. Einer sehr genauen -histologischen Detailschilderung hat sich dieselbe vor den mei- 1) Leydig, Lehrb. d. Hist. p. 330. 2) Oesterlen, Müll, Arch. 1840 p. 387 Tab. XI. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 547 sten anderen Organen des Flusskrebses durch Karsten !), Schlemm?) und Meckel?°) zu erfreuen gehabt. Der Darm im engern Sinne ist sehr einfach und gleichförmig gebaut. Leydig gab eine Abbildung desselben (l. c. Fig. 176). Das Bindegewebe der Tunica propria, welches das ganze Gerüst desselben bildet, zieht sich nach aussen zwischen den Mus- keln, die eine innere Längs- und äussere Ringfaserschicht bilden, hindurch und bildet um letztere noch eine zarte, lok=- kere Hülle, welche in das Zellgewebe übergeht, das gerade hier auf dem Darm rings um die Arteria abdominalis supe- rior sehr stark entwickelt ist. An der Darmintima, die nach einiger Zeit sich leicht als zusammenhängender Schlauch aus dem Darm auslösen lässt, beschreibt Leydig (l.c. p. 335) „grössere Felder und innerhalb dieser wieder kleinere, wel- che die Abdrücke der darunter gelegenen Zellen darstellen.“ In diesen „grösseren Feldern“, die schon von Geveke‘) als „d parallele Längsreihen von Drüsen“ erwähnt werden, er- kenne ich entwickelte Darmzotten, die analog den unter dem Namen „Reetaldrüsen* bekannten Darmpapillen der Insecten gebaut sind. Diese conischen Zotten von meist eiförmig- el- liptischem Umriss, welche ziemlich dicht gedrängt auf den Längs- und Querfalten des Darms hervorragen, stellen ein- fache Ausstülpungen der chitinogenen Darmhaut in das Darm- lumen dar. Die Outicula derselben ist völlig homogen, ziem- lich dick, mit den erwähnten kleineren, polygonal-zelligen Feldern gezeichnet, deren jedes 3—6 sehr feine, pfriemen- förmige, an der Spitze oft leicht gekrümmte, 0,007 Mm. lange Härchen trägt. Die Chitinogenzellen darunter sind trüber, grösser, mit dunklerem Kern, als die zwischen den Zotten den Darm auskleidenden. In die Axe der bald mehr conisch spitzen, bald mehr flach wallförmigen Zotten setzt sich ein kurzer, dunkler Ausläufer der Bindegewebsschicht fort, der 1) Karsten, Nov. act. nat. cur. tom. 21 p. 295 tab. 18— 20. 1843. 2) Schlemm, De hepate ac bile Crustac. Berol. 1844. 3) Meckel, Müll. Arch. 1846 p. 35. 4) Geveke, De Cancri Astaci quibusdam partibus. Diss. 1817. 33* 548 Dr. Ernst Haeckel: wahrscheinlich Nerven und Gefässe trägt, und unter der Zel- lenlage sich zu einer membrana propria verdichtet. Diese jedenfalls die an sich sehr beschränkte Darmoberfläche be- trächtlich vermehrenden Falten befördern wohl hauptsächlich die Chylusresorption, könnten indessen bei dem Mangel an- derer Darmdrüsen vielleicht auch ein besonderes Darmse- cret liefern, wofür das drüsig modificirte Aussehen .des Epi- thels spricht. B. Respirationsorgane. Jede Kieme des Flusskrebses besteht aus einem pyrami- denförmig gefiederten Stamme, der ursprünglich eine Aus- stülpung der äussern Haut darstellt und daher wie diese von einer Chitin-Cuticula überzogen ist. Der Centralschaft einer jeden Kiemenpyramide enthält 2 dicht an einander liegende, bluterfüllte, weite Kanäle, die seine Längsaxe durchstreichen und an deren Ende zugespitzt in einander übergehen. Seit- lich stülpen sie sich in eine Menge Blindröhrchen aus, von denen das äussere zuführende Blutgefäss viel mehr besitzt, als das innere abführende. Diese cylindrischen Fiederchen, deren Mündungen an einem aufgeschnittenen Gefäss als dicht- stehende Punkte deutlich sichtbar sind, wiederholen im Klei- nen ganz das Bild des Mittelstammes, indem jedes durch eine sehr zarte, an der Spitze fehlende Scheidewand in zwei Gänge zerfällt, durch deren einen das Blut eintritt, durch deren andern es oxydirt wieder ausfliesst. Diese Gänge stel- len aber nicht einfache Gefässe oder eine capillare Gefäss- ausbreitung dar, sondern bestehen aus einem eigenthümlichen spongiösen oder cavernösen Gewebe, welches dadurch zu Stande zu kommen scheint, dass in der ursprünglich soliden, von einer Chitin-Cuticula bedeckten Ausstülpung des Chiti- nogengewebes (durch welche dieses Fiederchen ebenso aus dem Centralschaft, wie dieser aus der äussern Haut, her- vorwächst) nachträglich ein Theil der ursprünglichen Bil- dungszellen untergeht (oder sich in Blutzellen verwandelt). Dadurch entstehen zwischen den zurückbleibenden Chitino- genzellen weite, communicirende Intercellularräume, in de- Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 549 nen nun die Circulation vor sich geht. Was die ersteren be- trifft, so ist ihre Anordnung sehr schwer zu erkennen und auch Leydig'!), bei dem ich diesen eigenthümlichen Bau allein erwähnt finde, nicht ganz klar geworden. Die meisten Zellen sind birnförmig mit dem stielartig zugespitzten Ende an einen kleinen Eindruck der Cuticula angeheftet, mit dem kolbig angeschwollenen Theil, in dem ein deutlicher Kern liegt, nach innen gegen die Axe gekehrt und mit anderen Zellen verbunden. Durch gegenseitige sternförmige Anein- anderlagerung scheinen sie ein schwammartig durchbrochenes Maschenwerk zu bilden, in dessen Hohlräumen das Blut auf der einen Seite zur Spitze der Fieder hinauf-, auf der an- dern hinabsteigt ?). Die Kiemencirculation geschieht also we- sentlich anders, als in den anderen, mit echten Oapillaren versehenen Körpertheilen. Zwar ist dieselbe nicht eigentlich lacunal, indem sie nicht in beliebigen, veränderlichen Zwi- schenräumen des Parenchyms, sondern in fest begrenzten In- tercellularräumen und nach einer bestimmten Stromesrichtung erfolgt. Aber dennoch kann man die beiden zu- und abfüh- renden Gefässe sowohl in dem Centralschaft, als den ganz analog gebauten Fiederchen nicht eigentlich als Kiemen -Ar- terie und Vene unterscheiden. Denn die Oxydation erfolgt nicht an einer bestimmten, einer Capillarausbreitung entspre- chenden Stelle eines jeden Röhrchens, sondern in dessen ge- sammten Intercellularräumen. Ebenso führt von den beiden Gängen des Üentralschaftes nicht der eine zuführende bloss venöses und der andere abführende bloss arterielles Blut, sondern beide enthalten gemischtes, nur der letztere mehr oxydirtes, als der erstere. Jedes Blindröhrchen nimmt ja aus einem der Stämme venöses Blut .auf und führt es rela- tiv arteriell in denselben Stamm wieder zurück, wo es sich mit dem andern mischt und zur vollständigeren Oxydation 1) Leydig, Lehrb. p.385 Anm. 2) In den ähnlichen Kiemenfäden der Squilla mantis schien mir die Anordnung der Zellen in jeder Röhrenhälfte einer spiraligen Wendel- treppe zu gleichen. 550 Dr. Ernst Haeckel: in die weiter vorwärts liegenden Röhrchen tritt. Daher ent- halten die an der Basis des zuführenden Ganges liegenden Blindröhrchen rein venöses, die an der Basis des abführen- den rein arterielles, die an der Spitze der Kiemen, wo beide in einander übergehen, gelegenen aber zur Hälfte oxydir- tes Blut. Mithin ist in jedem Theile der beiden Gänge ver- schiedenes Blut enthalten, je weiter vorwärts, desto höher oxydirt!). 1) Einfacher erscheint die Anordnung der blutführenden Intercel- hılarräume bei den mit flachen, breiten Kiemenblättern versehenen Crustaceen, wo ich sie bei Idothea viridis (Oniscus viridis Slabber) beobachtete. Jedes einzelne Kiemenblatt derselben stellt eine sehr dünne, in Form einer flachen, länglich elliptischen Schuppe entwickelte Hautduplicatur dar. Die beiderseits deren Oberfläche deckende Chi- tinlamelle ist sehr dünn und zart, nur rings am Rande beträchtlich verdickt und mit sehr entwickelten gefiederten Haaren besetzt. Die beiden Platten werden in bestimmter Entfernung aus einander gehal- ten durch eine Anzahl kleiner Parenchyminseln, deren jede aus ca. 3—6 in einer Fläche angeordneten rundlich polygonalen Zellen. be- steht. Diese schienen am freien Rande noch zum Theil von einem homogenen Chitinstreifen begrenzt, oft auch mehrere derselben in eine gemeinschaftliche secundäre Mutterkapsel eingeschlossen, so dass ein ähnliches Bild wie von eingeschachtelten Knorpelzellen entstand. Diese kleinen Parenchyminseln nun sind von einander durch weite Intercel- lulargänge getrennt, die mehr Raum als jene selbst einnehmen und ein communicirendes Röhrensystem bilden, in dem das Blut oxydirt wird. Längs des Randes schienen sie mit einem weiteren Kanal zu- sammenzuhängen, der dem zu- und abführenden Gefäss entsprechen würde. Stellenweis sah es aus, als ob eine zusammenhängende Schicht schöner, grosser, flacher, sehr heller Pfasterepithelien die beiden Chi- tinlamellen innen überzöge, so dass dss Blut nicht unmittelbar zwi- schen letzteren circulire. Indess können diess auch die abgedruckten Bilder der früheren Chitinogenzellen (?) gewesen sein. Dazwischen über das ganze Blatt zerstreut sieht man ausserordentlich schöne, grosse; regelmässig und weit verästelte, schwarze Pigmentzellen mit hellem Kern. Einen ganz ähnlichen Bau zeigten mir auch die sogen. Kie- mendeckel ( Afterfüsse) von Squilla mantis, welche demgemäss wohl ebenso gut als Kiemen functioniren dürften, wie die sog. Kiemenfe- derbüschel selbst. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 551 C. Harnorgane. Als solche dürften wohl am ersten noch die grosse grüne Drüse, welche jederseits hinter der Basis des äussern Füh- lers im Grunde des Cephalothorax liegt, und die mit ihr ver- bundene grosse wasserhelle Blase, welche vorn seitlich neben dem Magen, zum Theil auf ersterer, gelegen ist, an- zusehen sein. Mit vollem Unrecht und ohne 'genügenden Grund wurden beide bisher als Sinnesorgane angesehen, und zwar früher allgemeiu als Gehör-, später dagegen von Farre als Geruchsorgan.. Dass dieselben dagegen sicher ein speci- fischer Secretionsapparat sind, dürfte schon durch die weni- gen folgenden, wenngleich sehr lückenhaften Notizen hin- reichend bewiesen werden. Schon Neuwyler, der diesel- ben zuerst ausführlicher beschrieb !'), äusserte diess vermu- thungsweise. Er fand, dass die grüne Drüse nur aus einem einzigen, darmähnlich gewundenen Schlauch besteht, dessen Innenfläche mit zahlreichen Zöttchen und Bläschen: bekleidet ist, in denen sich bedeutende Arterienäste verzweigen und wel- che die klare Flüssigkeit secerniren, die sich in der wasserhel- len Blase ansammelt. Das Ende des grünen Schlauchs senkt sich in die dunklere, zellenartig gebaute Stelle in der Mitte der Rückenseite und mündet mit der Mitte der letzten Win- dung in die Blase, welche ihrerseits zu einem dünnen Bla- senhals verschmälert in den conischen Fortsatz an der unte- ren Seite des Basalgliedes der äusseren Antenne ausmündet. Der letztere, der sogen. Hörcylinder, ist hohl und an der ‘offenen Mündung mit einem feinen Häutchen überspannt, wel- ches man, obwohl es in der Mitte einen Schlitz besitzt, für das Trommelfell hielt. Bezüglich der feinern Struktur ist schon oben erwähnt, dass das Lumen der grünen Drüse so- wohl als der Blase von einer homogenen Chitin-Outicula aus- gekleidet ist, die sich im Zusammenhang durch den coni- schen, hohlen Fortsatz, der als Ausführungsgang beider Or- gane zu betrachten ist, in den äusseren Chitinpanzer fort- 1) Neuwyler, Verhandlungen der Schweizer naturf. Ges. zu Zü- rich, 1841, p. 176. * 552 Dr. Ernst Haeckel: setzt. Darunter liegt eine einfache Schicht Chitinogenzellen, in der Blase aus( hellen Platten-, in dem grünen Schlauch aus dunkeln Cylinder-Epithelien bestehend. Die Grundlage derselben wird durch faserig -streifiges Bindegewebe gebildet, welches; von der Blasenintima als zusammenhängende Mem- bran sich isoliren lässt und einen kleinen Nerven sowie sehr beträchtliche Blutgefässe zuführt. Letztere bilden daselbst ein reiches, schönes Capillarnetz und sind auch in der’ viel- fach verwebten Bindesubstanz, welche die Windungen ‘des grünen Schlauchs ziemlich fest vereinigt, reichlich vorhanden. Schon diese Thatsachen würden genügen, um dem ganzen Apparat eine secretorische, ‚keine Sinnes-Function zuzuschrei- ben. Dazu kommen nun noch die wichtigen Beobachtungen von Strahl, welcher mir mündlich Folgendes mitzutheilen die Güte hatte: Sowohl die Blase als die Drüse lassen sich vom Ausführungsgang (Hörcylinder) aus mit Quecksilber in- jieiren, was einen continuirlichen Zusammenhang dieser drei Höhlungen beweist. In dem conischen Fortsatz befindet sich ein complieirter Muskelapparat, weleher das Oeffnen und Schliessen des Schlitzes in dem sogen. Trommelfell vermit- telt. Auf mechanische Reizung (Kitzeln etc.) dieses Trom- melfells tritt ‘ein wenig Flüssigkeit aus dem Schlitz ‘desselben hervor. Sowohl die Quantität als Qualität der wasserhellen Flüssigkeit in der grossen ‚Blase ist wechselnd, indem sie bald prall, bald schlaff von ihr ausgefüllt ist und der Inhalt bald ganz dünnflüssig, bald fast von gallertiger Consistenz ist: — Diese Thatsachen, von denen ich die letzte vielfach bestätigt fand, sind wohl ausreichend, um zu zeigen, dass die grüne Drüse ein: besonderes Secretionsorgan ist, welches sein Secret in die Blase und durch den conischen Ausfüh- rungsgang nach aussen ergiesst, dass letzterer. vermittelst des verschliessbaren Schlitzes im Trommelfell willkührlich nach aussen sich‘ öffnen kann und dass die grosse Blase ent- weder einen blossen Secretbehälter bildet, oder. (wofür ihr reiches Gefässnetz sprechen würde) auch noch ein eigenes accessorisches Secret zu dem des grünen Schlauches hinzu- liefert. Bezüglich der weitern Deutung dieses Secretionsap- Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 553 parates fehlen noch sichere Thatsachen. Will und Gorup Besanez') vermuthen Guanin im Blaseninhalt. Harnsäure liess sich nicht darin nachweisen. Ich fand bisweilen, frei- lich nur in sehr seltenen Fällen (unter einigen hundert Kreb- sen kaum zwei- oder dreimal), im Lumen der grünen Drüse kastanienbraune, maulbeerförmige Üoncretionen, die aus amor- phen, kleineren, rundlichen Bröckeln zusammengeklebt zu sein schienen. Alles dies spricht noch am meisten für eine Niere mit Harnblase und Harnleiter, besonders in Verbindung mit dem Umstand, dass sich bisher kein anderer Harnappa- rat bei den Crustaceen nachweisen liess. Denn die Blind- schläuche, welche zwischen Pylorus und Mastdarm einmün- den sollen und von Andern als Nieren ausgegeben werden, suchte ich ebenso wie Meckel und Duvernoy vergebens. % eydig?) will neuerlichst die Nierennatur der grünen Drüse bestreiten und erblickt in ihr das Analogon jener eigenthüm- lichen „Schalendrüse“, die er bei vielen niederen Crustaceen auffand. Indess dürfte diese Analogie wohl schon einfach dadurch widerlegt werden, dass jene Schalendrüse, wie er ausdrücklich versichert, stets einen in sich geschlossenen und in sich zurückkehrenden, gewundenen Kanal darstellt, wäh- rend der einfache, cylindrische Schlauch der grünen Drüse mit dem einen Ende in einen geschlossenen Blindsack aus- läuft, mit dem andern ofien in die grosse Blase ausmündet. D. Generationsorgane. Die männlichen sowohl als die weiblichen Geschlechts- apparate der meisten Urustaceen entbehren noch jeder ge- naueren histologischen Untersuchung. Das einzige, was vom Hoden und Eierstock des Flusskrebses und anderer Deca- poden bekannt ist, scheint der Mangel der allen andern Drüsen zukommenden Chitineutieula zu sein, indem die Se- cretionszellen, aus denen sich Samen und Eier entwickeln, frei auf dem Bindegewebsgerüst der tunica propria liegen, 1) Gelehrte Anzeigen d. Königl. Bair. Ak. d. Wiss. 1848, p. 823. 2) Leydig, Lehrb. p. 466. 554 Dr. Ernst Haeckel: welches meist sehr entwickelt und mit reichlichen Gefässen versehen ist. Dagegen fehlt die Chitinintima nicht auf dem Epitel der Ausführungsgänge, sowohl des Samen- als Ei- leiters. Um die mit Oapillargefässen versehene starke Binde- gewebsunterlage der letztern schlägt sich stellenweis eine nicht bedeutende Muskelschicht und dann nach aussen noch eine zarte Bindegewebslage. Die Eier sind von Rathke') und Wagner, die starren Strahlenzellen des Samens von Henle?) und v. Siebold°), und deren Entwicklung von Koelliker*) beschrieben. 5. Gefässsystem. Bevor wir auf die das Circulationssystem constituirenden Gewebe selbst eingehen, ist es nöthig, erst die gröberen anatomischen Verhältnisse des Kreislaufs der Decapoden zu berücksichtigen. Die erste genauere Darstellung desselben gaben Audouin und Milne Edwards?°). Danach existirte ein vollkommen geschlossener Kreislauf in der Art, dass das Blut aus den Körperarterien in Körpervenen, aus diesen in Kiemenarterien, aus diesen in Kiemenvenen übergehe und dass diese endlich zu einem grossen Stamm jederseits ver- einigt, ebenso direct durch eine seitliche Spaltöffnung in das Herz einmünden, wie die Arterien von demselben ausgehen. Der letztere Irrthum wurde bald die Ursache eines heftigen Angriffes von Lund und Schultz‘), welche nicht nur den gänzlichen Mangel der Kiemenvenen, sondern auch der Kör- pervenen und Capillaren überhaupt, und eine in der That gar nicht vorhandene Analogie mit dem Kreislauf der In- 1) Rathke, de animalium Crustac. generatione 1844. 2) Henle, Müll. Arch. 1835 p, 603. 3) v. Siebold, Müll. Arch. 1836 p. 26. 4) Koelliker, Ueber die Bildung der Samenfäden in Bläschen. Schweiz. Denkschr. Vol. VIII. 1846. 5) Audouin et Milne Edwards, Ann. des sc. nat. tom. XI. 1827. 6) Lund und Schultz, Okens Isis 1830 p. 1225. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 555 secten behaupteten. Dagegen hatten sie das Verdienst, ausser den schon bekannten 6 Arterienmündungen auch die 6 venö- sen Spaltöffnungen am Herzen, sowie die Existenz des ve- nösen Sinus um das letztere, nachzuweisen. Die Unrichtig- keiten ihrer Behauptungen wurden darauf von Krohn!) nach- gewiesen, welcher die von ihnen als „wandungslose Rinnen* hingestellten „canaux branchio-cardiaques“ restituirte, ihren richtigen Zusammenhang mit dem Vorhof erkannte und über- haupt von allen die beste Darstellung des Kreislaufs im Flusskrebs gab. Für ein Körpervenensystem konnte er zwar keine positiven Beweise beibringen, erkannte aber auch mit Recht die negativen von Lund und Schultz statuirten Ge- genbeweise nicht an. Später änderte Milne Edwards?) selbst, nachdem er einen lacunalen Kreislauf bei den Mol- lusken nachgewiesen, seine Ansicht dahin ab, dass das Blut aus den Körperarterien in die Kiemen nicht durch Körper- venen, sondern durch wandungslose Kanäle („vacuities among the tissues“) zurückkehre. Seitdem, namentlich auch seit v. Siebold?) diese Zweifel über ein geschlossenes Gefäss- system der Decapoden mehr urgirt hatte, wurde die Ansicht ziemlich allgemein, dass die Arterien nach längerm oder kürzerm Verlauf plötzlich aufhörend das Blut frei in die Zwi- schenräume des Körpers ergössen, von wo es in wandungs- losen und variablen Gewebslücken sich fortbewege und end- lich in venösen Sinus. zu den Kiemen und dem Herzen ge- lange. Danach fehlen also die Capillaren gänzlich und sogar die Existenz der Venen und feineren Arterien wird geläugnet. Indess ist ein so unvollkommener lacunaler Kreislauf, wenn er auch bei niedern Krustern Geltung hat,: bei den Deca- poden sicher nicht vorhanden, bei diesen ist er vielmehr ebenso geschlossen wie bei den Wirbelthieren. Nur sehr wenige Autoren vertreten noch diese richtige, ältere Ansicht 1) Krohn, Isis 1834 p. 522. 2) Milne Edwards, „Crustaceas“ in Cyclopaedia of anatomy, Vol. I. p. 750. ‘3) v. Siebold. Vergl. Anat. 556 Dr. Ernst Haeckel: L wie Johannes Müller, der schon seit vielen Jahren das vollkommen geschlossene Gefässsystem der Decapoden in seinen Vorlesungen beschreibt und durch schöne Injections- präparate erläutert. Da es mir bei der näheren Verfolgung desselben gelang, auch die bisher übersehenen Capillaren und Venenwände direct nachzuweisen, so sind nunmehr wohl alle bisher noch über den vollkommen geschlossenen Kreis- lauf der Decapoden gehegten Zweifel als gehoben anzusehen. In der Struktur der einzelnen Gefässabtheilungen ergaben sich mir dabei noch folgende Gewebsdifferenzen. Das Herz besteht aus einem dicht verfilzten Gewebe der oben beschriebenen eigenthümlichen Muskelfasern, welche die relativ dünne und weiche Wand des Schlauches, sowie ein feines, netziges Balkenwerk bilden, welches ins Innere desselben vorspringt. Kaum lässt sich als Endocard eine besondere dünne Lamelle des homogenen Bindegewebes nach- weisen, welches das ganze Gerüst des Herzens bildet, und als continuirlicher Ueberzug auch auf die Klappen und die äussere Fetthülle, sowie von hier mittelst der Flügel in das Vorhofsgewebe sich fortsetzt. Der Herzschlauch selbst ist unmittelbar umgeben von einer dichten Hülle reinen Fett- gewebes, welche schon für das blosse Auge als ein matter halbdurchsichtiger, weisslicher Saum um den gelblichen, trüben "Muskel ‚erscheint. Diese Fetthülle, vielleicht verbunden mit gallertigem Bindegewebe (?), bildet auch die kleineren Zipfel und die 6 grösseren, das Herz sechseckig ausziehenden Flü- gelfortsätze, durch welche dasselbe am Rückenschild und an den den Vorhof durchziehenden Schwanzstreckmuskeln be- festigt wird, Sowie endlich auch die dünnhäutigen, halb- mondförmigen Klappenvorsprünge an den 6 venösen Spalt- Öffnungen. Durch diese letzteren (2 obere, 2 untere und 2 seitliche mehr zurückliegende), die sich bei der Diastole Öff- nen, wird das Blut aus dem sinusartigen Vorhof eingesogen, während es durch die 6 arteriellen Mündungen (1 mittlere vordere, 2 vordere seitliche, 2 untere seitliche, 1 mittlere hintere), die bei der Systole geöffnet werden, in die Körper- arterien getrieben wird, Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 557 Die Arterien zeigen sich im Allgemeinen (Fig, 19, 20) aus 3 Häuten zusammengesetzt, einer inneren. elastischen, mittleren Ringfaserhaut und äusseren Adventitia, um welche sich bei vielen als vierte dickste Schicht noch eine ansehn- liche Zellgewebsscheide legt. Die elastische Tunica intima (Fig. 20 a) ist vollkommen homogen, stark lichtbrechend, zeichnet sich durch ihren gelblichen Glanz und den scharfen, dunklen, doppelten Contour sehr vor den übrigen aus und hat grosse Neigung, Längsfalten zu bilden. Ihre Dicke steigt auch an den stärksten Arterien kaum über 0,002 Mm. Ein Epithel habe ich auf ihr ebensowenig, als in irgend einem Theile des Gefässsystems entdecken können. Die vom Blut bespülte innere Oberfläche desselben wird überall durch eine genuine Bindegewebsformation begränzt. Die mittlere Ring- faserhaut (Fig. 20 b) umgiebt das innerste, elastische Rohr in Gestalt einer aus lauter dicht gedrängten, sehr zarten, homogenen Ringen zusammengesetzten Scheide, bald inniger, bald lockerer ihr anliegend. Der Analogie nach müsste man diese klaren, hellen, sehr zart contourirten Ringe allerdings für Muskelfasern erklären, da sie vollkommen mit denen übereinstimmen, welche Leydig') von den Gefässen vieler anderer Wirbellosen, z. B. Helix, als unzweifelhafte Ring- muskeln beschreibt. Doch scheint mir diese Deutung nament- lich desshalb bedenklich, weil alle übrigen Muskelelemente der Articulaten, auch an den vegetativen Organen (z. B. Darm, Samenleiter), deutlich quergestreift sind, während hier nie- mals die Spur von Querstreifen zu erblicken, auch nicht künstlich hervorzurufen ist. Auch ist es mir niemals ge- lungen, die scheinbaren Ringfasern wirklich zu isoliren, so dass man sie vielleicht mit noch mehr Recht für blosse regel- mässige Falten einer elastisch retrahirten Membran halten könnte. Dafür würde ferner sprechen, dass dieselben manch- mal sehr deutlich ausgesprochen, in andern Fällen an dem- selben Arterienstück kaum zu erkennen sind, und dass man sie im erstern Falle durch einen gleichmässig ausgeübten 1) Leydig, Lehrb. p. 437 Fig, 216 Bb. 558 Dr. Ernst Haecckel: Druck fast zum Verschwinden bringen kann. Die nach aus- sen diese Ringhaut umgebende Adventitia (Fig. 19, 20 d) besteht aus einem Bindegewebslager von sehr verschiedener Mächtigkeit. In einigen der grössten Arterien so zart und fein, dass man kaum die homogene oder fein granulirte Zwi- schensubstanz zwischen den zahlreichen zarten Kernen (20 e) wahrnimmt, entwickelt sie sich dagegen an anderen Arte- rien, namentlich denen mittleren Calibers, zu einer so dicken Schicht, dass sie selbst den Durchmesser der letztern über- trifft. Besonders nach aussen zeichnet sich dies Bindegewebe dann oft sehr aus durch den regelmässig lockigen Verlauf _ der scheinbaren Fibrillenbündel, welcher durch die parallele Schichtung der Bindegewebslamellen entsteht. Sehr auffal- lend ist aber immer die Lage der Kerne, welche nicht un- regelmässig in der Grundsubstanz zerstreut sind, sondern meist in regelmässigen Abständen der Ringhaut anliegen. Be- deutungsvoll wird diese Lagerung dadurch, dass oft, nament- lich an jungen Thieren, zwar zarte, aber deutliche Zellencon- touren die einzelnen Kerne umgeben, was, wie oben erwähnt, auf eine Entstehung dieser Bindegewebsformation aus ver- schmolzenen Zellen hinzudeuten scheint. Als vierte, äus- serste Gefässscheide (Fig. 19, 20e) tritt endlich bei vielen Arterien das oben bereits geschilderte Zeilgewebe auf, das am schönsten in diesem Zusammenhang mit den Arte- rienzweigen längs der Ausbreitung der oben auf dem Darm liegenden Art. abdom. super. zu verfolgen ist. An anderen, auch grösseren, Arterien fehlt es aber gänzlich. Uebrigens sind auch jene drei eigentlichen Arterienschichten nicht überall nachweisbar. Die Ringhaut findet sich nur bis zu den mit- telstarken Arterien hin. Die Intima scheint im weitern Ver- lauf derselben immer dünner und blässer zu werden und end- lich mit der ebenfalls sehr schwach gewordenen, aber noch durch zahlreiche Kerne markirten Adventitia zu verschmelzen. Ihre Endausbreitung geht so allmälig in echte Capillaren über. Die Oapillargefässe bestehen aus einer strukturlosen Wand, die etwas dicker als bei Wirbelthieren ist, so dass man bei 400 maliger Vergrösserung deutlich einen zarten, dop- Ueber das Gewebe des Flusskrebses,. 559 pelten Contour unterscheiden kann (Fig. 16a), der in regel- mässigen Abständen von länglich spindelförmigen, blassen, 0,024Mm: langen Kernen unterbrochen wird (b). Ihre Lichtung ist an vielen Stellen (ce) so eng, dass die grossen Blutzellen _ (d) nur eben mit dem kürzesten Durchmesser ihres Kernes, spindelförmig ausgezogen, sie passiren können. Ist das Blut theilweis ausgeflossen, so sinken die elastischen Wände der Capillaren zusammen (Fig. 16) und scheinen dann oft solide Stränge zu bilden, wesshalb sie auch wohl bisher ganz über- sehen wurden. Eine Verwechselung mit dünnen Nervenröh- ren ist nicht leicht möglich, weil sie nie den ganz geraden Verlauf und den überall gleich weiten Durchmesser der letz- tern haben. Das schönste und deutlichste, obwohl nicht im- mer leicht wahrnehmbare Capillarnetz umspinnt in ‘Gestalt eines sehr zierlichen, aus rundlich-polyedrischen Maschen ge- bildeten Geflechts die Oberfläche der Gehirnganglien (Fig.15). Ein schwächer entwickeltes überzieht die vorderen Bauchgan- glien und die (Harn-) Blase; und nur einzelne Maschen sah ich in den grösseren Nervenstämmen, den Muskeln, dem Zell- gewebe, der Bindegewebshülle der Ei- und Samenleiter, der grünen Drüse etc. Die durch den Zusammenfluss der Capillaren gebildeten Körpervenen sind der am schwierigsten zu demonstrirende Theil des Gefässsystems, indem ihre Wandung überall nur aus einer sehr zarten und dünnen Platte des gewöhnlichen, homogenen, kernreichen Bindegewebes (Fig. 15) besteht, und ausserdem so innig mit dem umhüllenden Bindegewebe der Nachbarorgane, dem Neurilemm, Perimysium etc. zusammen- hängt, dass sie nur sehr schwer von ihnen zu trennen ist und oft kaum selbstständig differenzirt erscheint. Wenngleich es nun desshalb kaum möglich ist, die Venen als geschlos- sene, bluterfüllte Röhren auf längere Strecken zu isoliren, so überzeugt man sich doch bei anhaltender Untersuchung der verschiedensten Körpertheile, dass das Blut nirgends in unbestimmten, veränderlichen Lacunen, sondern überall in fest begrenzten Bindegewebsröhren aus dem Körper zurück- kehrt und sich auf der untern Körperseite in mehreren, grös- 560 Dr. Ernst Haeckel: seren Venenstämmen') ansammelt. Im sogen. Sternalkanal scheinen dieselben sämmtlich in einem grossen, weiten Cen- tralsinus zusammenzukommen, von dem in jede Kiemenpy- ramide ein starkes, zuführendes Gefäss (Kiemenarterie) abgeht, dessen zarte bindegewebige Wand ebenfalls eine Fort- setzung der Sinushülle bildet. Der eigenthümliche kleine Kreis- lauf in den Kiemen ist schon oben bei den Respirationsorganen beschrieben worden. | Die weiten Räume, in denen das Blut aus den Kiemen zum Herzen zurückkehrt, sind schon von Krohn (I. c.) so sorgfältig und naturgetreu beschrieben worden, dass ich hier nicht ‘weiter darauf einzugehen, sondern nur zu bemerken brauche, dass ihre Wand aus derselben zarten, durchsichti- sen Bindegewebslamelle (Fig. 15) wie bei den Körpervenen besteht, aber. viel leichter als diese zu isoliren und im Zu- sammenhang zu demonstriren ist. Aus jedem Kiemenschaft geht ein wegführender Stamm (Kiemenvene) durch. das Basalglied an die Innenwand des Thorax und steigt, an die- ser dicht anliegend, in einer Rinne zwischen den Muskelvor- sprüngen, zum Vorhof empor, in den sie, trichterförmig 'er- weitert, unmittelbar unter den grossen im Verhof gelegenen Schwanzstreckern einmündet. So entstehen jederseits 6 grosse „eanaux branchio-cardiaques“, von denen der vorderste durch bogenförmige Gestalt und ansehnliche Grösse ausgezeichnet ist, und von denen Milne-Edwards irrig glaubte, dass sie unmittelbar in das Herz einmündeten. Der durch ihren Zu- sammenfluss entstehende Vorhof, der das Herz, gleich einem Pericard, als ein weiter, zartwandiger Sack locker umgiebt, und von zwei Muskelpaaren (Schwanzstreckern) durchzogen wird, ist durch seine obere Wand mit der Outis des Rücken- schildes verwachsen. Die untere ist eine gläshelle Membran, zwischen den beiden seitlichen Thoraxwänden oben straff aus- gespannt und liegt auf der Geschlechtsdrüse. Wo die Vorhofs- 1) Treviranus (Gesetze und Erscheinungen des organischen Le- bens Vol. I, p. 223) fand bei Crangon 2 deutliche Venenstämme neben dem Bauchganglienstrang, die sich zwischen den beiderseitigen Kiemen- basen zu einem Behälter vereinigten. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 561 wand von den austretenden Arterien durchbohrt wird, schlägt sie sich nach innen, auf deren äussere Oberfläche, um und überzieht, von dieser sich fortsetzend , auch die Aussenfläche des Herzens. Wie die Körper- und Kiemen- Venen, so wird auch der Vorhof nur von einer’ ganz einfachen, dünnen, durch- sichtigen Lage gewöhnlichen Bindegewebes gebildet, welches in einer homogenen, höchstens fein -körnigen oder -streifigen Grundmasse zahlreiche, längliche, granulirte Kerne enthält (Fig. 18). Als Anhang mag hier noch eigenthümlicher parasiti- scher Körper kurz gedacht werden, welche namentlich in der Umgebung des Gefässsystems, demnächst am häufigsten um den Darmkanal herum, aber auch im Bindegewebe der verschiedensten anderen Organe, Muskeln, Nerven etc. in be- trächtlicher Anzahl (zuweilen über 100) und (wenigstens bei den Berliner Spreekrebsen) fast constant vorkommen (Fig.25). Sie bestehen im scheinbar ausgebildeten Zustande (B) aus einer sehr dicken, vollkommen durchsichtigen und strukturlosen, glashellen Kapsel von länglich elliptischer oder lanzettlicher Gestalt, deren innerer Hohlraum, ungefähr von demselben Breitendurchmesser wie die Dicke der Kapselwand, und 4 bis 6 Mal so lang, mit einer Anzahl grösserer oder kleinerer, fett- ähnlich dunkel glänzender Körnchen erfüllt ist. Zwischen die- . ‚sen liegen, im Längsdurchmesser der Kapsel hinter einander angereiht und fast die ganze Breite des Hohlraums einneh- mend, einige wenige (meist zwischen 3 und 6) grosse, blasse, wasserklare, ganz homogene, matt glänzende Kugeln, oft von den dunkeln Körnchen zum Theil verhüllt. Andere Kapseln enthalten nur eine grosse Menge der letzteren, die wieder in anderen (C) zu wenigeren, grösseren Tropfen zusammengeflos- sen erscheinen. Endlich findet man oft Cysten (A), deren Wand viele, zum Theil sehr regelmässige Risse und Sprünge zeigt, ferner an beiden Polen (und zuweilen auch noch beider- seits seitlich) scheinbare Austrittsöffnungen, und deren Hohl- raum entweder völlig leer ist oder nur noch einige kleine Körn- ehengruppen, und oft dazwischen ein wenig blasse, feinkör- nige Substanz enthält. Eine weitere Parasiten - Entwickelung Müller's Archiv. 1857, 36 562 Dr. Ernst Haeckel: konnte ich an diesen Körpern während der Wintermonate (Oc- tober bis April), in denen sie mir zur Beobachtung kamen, nicht wahrnehmen. Im Mittel beträgt die Länge der Kapseln 0,170 Mm., die Breite derselben 0,048, die Dicke der Kapsel- wand 0,012, der Durchmesser der hyalinen Kugeln’ 0,010-0,014, der Durchmesser der dunkeln Körnchen 0,002 — 0,007 Mm. Fassen wir schliesslich die Hauptresultate unserer Unter- suchungen kurz zusammen, so ergeben sich die folgenden Sätze, von denen ausdrücklich bemerkt wird, dass sie nur für den Flusskrebs mit Sicherheit ausgesprochen sind, wahrscheinlich indess für alle Decapoden Gültigkeit haben. ’ 1) Alle Nervenprimitivröhren theilen sich wiederholt wäh- rend ihrer ganzen peripherischen Ausbreitung, und zwar gehen fast bei jeder Gabelung eines Nervenstämmchens die meisten dasselbe zusammensetzenden Röhren in je zwei divergirende Aeste, von gleichem oder verschiedenem Durchmesser, aus einander. 2) Alle Fortsätze von Ganglienzellen gehen in Nervenpri- mitivröhren über, und zwar in der Art, dass der wasserhelle Inhalt der letzteren von dem trübkörnigen der Zellen durch eine zarte Membran getrennt wird, welehe mit der Innenwand der Primitivröhre innig verbunden ist. 3) Ein Theil der Muskeln, am ausgesprochensten das Herz, ist mit Beibehaltung eines embryonalen Typus nicht zu ent- wickelten quergestreiften Fasern ausgebildet, indem der Inhalt der Primitivröhre in eine äussere, trübe, körnige Zone und einen inneren, klaren, längsstreifigen, bei der entwickelteren Faser auch zart quergestreiften Cylinder zerfällt, dessen Cen- tralaxe Kerne enthält, zwischen welchen die zarte Primitiv- scheide zellenartig eingeschnürt ist. N 4) Die Verbindung der Muskeln und Sehnen geschieht in der Art, dass das Bindegewebe der letzteren rings um und zwi- schen den keilförmig zugespitzten Enden der ersteren in das Sarkolemma und Perimysium, nicht aber in die Primitivscheide übergeht , mit welcher letztern es nur durch innige Contiguität verbunden ist. Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 563 5) Das Bindegewebe tritt in zwei wesentlich verschiedenen Formen auf, als verschieden differenzirte Grundsubstanz mit zahlreichen eingestreuten Kernen und als Zellgewebe mit sehr geringer Menge von Intercellularsubstanz zwischen den sehr grossen, wasserklaren, rundlichen Zellen, die auch Fetttropfen aufnehmen können. 6) Die echteChitinsubstanz, welche als continuirliche Decke sämmtliche der Aussenwelt zugewendeten Körperoberflächen, sowie deren Einstülpungen nach innen (Drüsen) und Ausstül- pungen nach aussen (Haare und andere Appendicularorgane) ununterbrochen überzieht, ist die verschieden stark entwickelte Ausscheidung einer continuirfichen Epithelialzellenschicht (Chi- tinogenmembran), welche auf einer Bindegewebsunterlage ruht. Danach sind äquivalent: Chitin- Chitinogen- Bindegewebs- Secret. zelienlage. Unterlage. Aeussere Hautdecke: Skelett. Epidermis. Cutis. Innere Darmdecke: Intima. Epithelium. Basement mem- brane., Drüsengewebe: Cuticula. Secretions- Membrana pro- zellen. pria. 7) Die Sehnen gehen nicht continuirlich in das Hautske- lett, sondern in die Cutis über und sind von jenem durch die zwischen beiden befindliche Chitinogenzellenschicht getrennt. 8) Die grüne Drüse und die mit ihr zusammenhängende, mit wasserheller Flüssigkeit erfüllte grosse Blase, welche beide durch den sogen. Hörcylinder nach aussen münden, bilden einen Seeretionsapparat. 9) Die Blutzellen befinden sich innerhalb des Plasma in beständiger amöbenartiger Bewegung und Formveränderung, und enthalten in einer sehr zarten Membran eingeschlossen einen flüssigen, klaren Inhalt, in welchem um einen centralen, hellen Kern eine Anzahl kleiner, dunkler Körner gruppirt sind. 10) Der Blutumlauf erfolgt in einem vollkommen geschlos- senen Gefässsystem, dessen vom Blut bespülte Innenwand nir- gends von einem Epithel bedeckt ist, sondern überall von Bindegewebe gebildet wird. Die stärkeren Körperarterien be- 564 NN Dr. Ernst Haeckel: stehen aus einer strukturlosen Intima, mittleren Ringhaut, bindegewebigen, Adventitia (bei vielen noch von einer äusser- sten dicken Zellgewebsscheide umhüllt), die Capillaren aus einer strukturlosen, mit Kernen besetzten Membran, die Kör- pervenen, Kiemenvenen und der Vorhof aus einer einfachen, dünnen, homogenen, kernhaltigen Bindegewebslamelle Nur innerhalb der Kiemen kreist das Blut in Intercellularräumen eines aus Zellen gebildeten cavernösen Gewebes. Naehschritt Während des Druckes der vorliegenden Untersuchungen, die im Herbst und Winter 1856/57 angestellt, und deren Grund- züge bereits im folgenden Frühjahre veröffentlicht wurden )), sind zwei Abhandlungen erschienen, die mehrere in denselben erörterte Fragen gründlicher und ausführlicher, als es mir mög- lich war, behandeln, und auf die ich desshalb hier um so mehr verweisen will, als sie jene nicht nur wesentlich bestätigen, sondern auch beträchtlich erweitern. In der einen Schrift: „über secundäre Zellmembranen, Ou- ticularbildungen und Porenkanäle in Zellmembranen‘ ?), er- läutert Kölliker das Verhältniss der Chitinhäute der Glie- derthiere zu der unterliegenden Epithelialzellenschicht und kommt dabei auf sehr verschiedenen Wegen wesentlich zu demselben Resultate, zu dem auch wir geführt wurden, dass nämlich -die ersteren als secundäre Ausscheidungen von letz- teren anzusehen seien. Während aber unsere beschränkten Un- tersuchungen nur auf das. enge Gebiet der Decapoden sich stützen konnten, sind die ungleich umfassenderen Forschun- gen des berühmten Histologen auf das ganze weite Gebiet der 1) In meiner Inauguraldissertation „De telis quibusdam Astaeci flu- viatilis“. März 1857. 2) Untersuchungen zur vergleichenden Gewebelehre, angestellt in Nizza im Herbst 1856 von A. Kölliker. Verhandl. d. phys. med. Ges. in Würzburg, Vol. VIII, 1857, p. 37. Ai Ueber die Gewebe des Flusskrebses. 565 Wirbellosen ausgedehnt, bei deren grösstem Theile derselbe ganz analoge Zellenausscheidungen, wie die Chitinmembranen der Gliederthiere, nachweist. Namentlich erfahren wir, dass auch bei den Mollusken ganz ähnliche Cuticulargebilde sowohl auf der äusseren Epidermis als auf dem inneren Darmepithel sich finden, die aber ihre Entstehung aus den unterliegenden Secretionszellen leichter und sicherer nachweisen lassen, als diess bei den Krebsen möglich ist. Durch diese, im umfas- sendsten Maassstabe ausgeführten vergleichenden Beobachtun- gen einer so bedeutenden Autorität, wie Kölliker, dürfte wohl die Auffassung der Chitindeöken der Articulaten als er- härteter Epithelialausscheidungen jetzt sicher bewiesen sein. Die andere Schrift, von A. Rollett '!), enthält ‚‚Untersu- chungen zur näheren Kenntniss des Baues der quergestreiften Muskelfaser“. Der Verf. ist durch seine zahlreichen Beobach- tungen an den Muskeln verschiedener Wirbelthiere ebenfalls zu der Bowman’schen Ansicht über die Zusammensetzung aus „„primitive partieles‘“ zurückgeführt worden und hinsicht- lich deren Anordnung zu ähnlichen, aber viel weiter greifen- den Ergebnissen gelangt, als uns die Muskeln der Decapoden lieferten. Er fasst den Muskel geradezu auf als aus zweierlei Scheiben aufgebaut, aus einer stärker brechenden Hauptsub- stanz und einer schwächer brechenden Zwischensubstanz. Von diesen scheint die erstere dem zu entsprechen, was wir allein für die echten Primitivpartikelchen hielten, während die andere wohl mit unserer ‚„Längsbindemasse ““ zusammenfällt. Einen besondern Werth erlangt diese Unterscheidung Rollett’s durch die sehr interessante Entdeckung Brücke’s, dass die doppel- brechende Eigenschaft der Muskelfaser nur der Haupt - , nicht der Zwischen-Substanz zukömmt. Auch die übrigen, ausführ- lichen Untersuchungen Rollett’s, die insbesondere das Ley - dig’sche Lückensystem, die Lagerung der Kerne und die (von uns nicht berücksichtigten) Querschnitte der Primitivbündel be- treffen, sind für unsere Angaben über die Krebsmuskeln von 1) Sitzungsberichte d. math. nat. Classe d. Wiener Akad. d. Wiss, 1857 p. 291. 568 Dr. Ernst Haeckel: Ueber die Gewebe des Flusskrebses. Fig. 19. Ein mittelstarker Muskelast der oberen Schwanzarterie. Vergr. 65. c,.d, e, f wie in folg. Fig. nr Fig. 20. Ein Stück derselben, stärker vergrössert. Der Focus ist auf die Grenzfläche der Media und Adventitia eingestellt. a. Elasti- sche Intima. b. Mittlere Ringhaut. c, d. Bindegewebige Adventitia. c. Kerne, auch über der Media im ganzen Umfang sichtbar. d. Strei- fige Grundsubstanz. e, f, g. Zellgewebsscheide. e. Sehr grosse was- . serhelle Zellen derselben. f. Kerne derselben. g. Körniger Protoplas- mahof um den Kern. Vergr. 300. Fig. 21. Eine Zellgewebszelle, mit Chromsäure. Nach Ausziehung des wässrigen Inhalts bleibt die leere Membran gefaltet zurück. Vergr. 300, Fig. 22. Verticalschnitt durch die äussere Haut. a. Chitinogenzel- lenschicht. b. Kerne derselben. c. Aeusserer Chitinpanzer, d, e. Ein Haar. d. Der mehrzellige Fortsatz der Chitinogenzellenschicht in .das Lumen des Haars. e. Die röhrenförmige Chitincuticula desselben. Vergr. 300. Fig. 23. Flächenansicht einer dünnen Stelle der äussern Haut. In e ist der Focus auf die Oberfläche der Chitincuticula, in a auf die der darunter gelegenen Chitinogenzellen mit ihren Kernen (b) einge- stell. Die Umrisse der letzteren entsprechen genau jenen der poly- gonalen Zeichnungen der ersteren. Vergr: 300. Fig. 24. Ein Stückchen Fettgewebe aus der äusseren Schicht um das Herz. Die Fettzellen (a) enthalten ausser einem Kern (b) einen grössern (c) oder mehrere kleinere Fetttropfen (d). Zwischen densel- ben liegt ein wenig verbindende, körnige Masse mit freien Kernen (e). Vergr. 300. Fig. 25. Parasitische Körper aus dem Bindegewebe. B. Kapsel mit hyalinen Kugeln und dazwischen kleinen, dunkeln Körnchen. C. Kapsel mit grösseren, dunkeln Tropfen (Fett?). A. Entleerte und ge- sprungene Kapsel. Vergr. 300. Berlin, Druck der Gebr. Unger ’schen Hofbuchdruckerei, Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im Jahre 1856. Von K. B. REıcHERT in Breslau. Allgemeiner Theil. Die Sarcode-Theorie. — Betheiligung von Abscheidungs- produkten der Zellen an der Bildung von Geweben und an der morphologischen Organisation der Organismen. Unsere Ansichten über die morphologische Organisation nie- derer, thierischer Organismen, insbesondere der Infusorien sind nicht ohne Einfluss auf den Stand der Lehre von der Zelle und dadurch auch auf die Fassung und Deutung der einzelnen Erscheinungen im Gebiete der mikroskopischen Ana- tomie geblieben. Bekanntlich stellte Dujardin gegenüber Ehrenberg die Sarcode- und Vacuolen-Theorie auf. Der ganze Körper niederer thierischer Organismen sollte, mehr im Sinne älterer Naturforscher, aus formloser, beweg- licher, halbflüssiger, thierischer Substanz bestehen, in welche die Nahrungsstoffe eingedrückt würden, und die überhaupt der hauptsächlichsten Liebenseigenschaften, welche Thieren mit bestimmter morphologischer Organisation zukommen, sich zu erfreuen habe. Der Verf. nannte diese Substanz, in wel- cher an beliebigen Orten mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume (Vacuoles) auftreten, „Sarcode*. Die bedenklichen Konsequenzen, welche diese Theorie den Physiologen und vergleichenden Anatomen darbot, dürfen wir hier übergehen und nur das eine Moment hervorheben, dass durch. diese Theorie das wichtige und so durchgreifende Naturgesetz, demzufolge die Geschöpfe der organischen Natur durch Vermittelung der Zelle gezeugt, entwickelt, gebildet werden, für eine Abtheilung und zwar thierischer Geschöpfe eliminirt wurde. Dass der französische Gelehrte daran keinen Anstoss nahm, darf um so weniger befremden, als selbst noch heut zu Tage in Frankreich die Lehre von der Zelle Müller's Archiv. 1857, Jahresbericht. A 2 mehr als ein Spielwerk und namentlich als ein Spiel der deutschen Phantasie, denn als ein Naturgesetz aufgenommen wird. In Deutschland haben mehrere Forscher — und Re- ferent hat sich in gleichem Sinne bereits ausgesprochen, — die Sarcode als eine in Betreff der Struktur und Textur noch unbekannte Substanz betrachtet, deren Entwickelung aus Zel- len in manchen Fällen unzweifelhaft sei, in anderen dagegen sich mit der Zeit werde nachweisen lassen. Anderen For- schern war die Sarcode eine erwünschte Handhabe, die All- gemeingültigkeit der Theorie der Zelle zu beeinträchtigen und wo möglich zu beseitigen. Noch andere Forscher end- lich sind bemüht gewesen, die Lehre von der Zelle nament- lich auf die als Sarcode aufgenommene Leibessubstanz der Infusorien zu übertragen. Lachmann weiset in seiner später zu erwähnenden Arbeit (p. 356) darauf hin, dass hier be- sonders die schon von Meyen ausgesprochene Analogie eines Infusoriums mit einer thierischen oder pflanzlichen Zelle durch von Siebold und Kölliker weiter ausgeführt wurde. Der ganze Infusorienkörper sollte aus einer kontraktilen Zellmem- bran und einem kontraktilen Zellinhalt mit einer besonders kontraktilen Stelle, der „Samenblase* Ehrenberg’s, be- stehen, der von Ehrenberg als Hode betrachtete Körper sei als Kern (nucleus), andere rundliche Körperchen, mochten sie innerhalb des Nucleus oder daneben liegen, seien als Kernkörperchen zu deuten. Die Infusorien hatten aber häufig eine nicht weiter abzuleugnende Mundöffnung, und so erhielten wir eine elementare Zelle, welche mit ihrem Inhalte durch dieses weite, offene Thor frei mit der Aussenwelt verkehrte. Hatten die Ehrenberg’schen Untersuchungen, ‚und zwar, wie sich jetzt zeigt, mit Recht, auf eine complieirtere Orga- nisation der Infusorien aufmerksam gemacht, so wurde uns nunmehr eine Spezies thierischer Schöpfung vorgeführt, die auch im entwickelten Zustande ein einzelliges Wesen dar- stellte und als solche in die Schöpfungsreihe der organischen Natur unterzubringen war. Die Uebertragung der Lehre von der Zelle auf die Sar- code der Infusorien konnte nicht erfolgen, ohne zugleich den Umständen entsprechende Veränderungen mit den Eigen- schaften und mit dem ganzen Begriffe der Zelle, wie er sich an klar daliegenden Beispielen gebildet hatte, vorzunehmen. Diese Rückwirkungen haben sich, begünstigt durch den Nach- weis der Zellbildung um Inhaltsportionen der Mutterzelle, besonders darin zu erkennen gegeben, dass der mehr als: Flüssigkeit geltende Zellinhalt mit neuen Eigenschaften ‚aus- gestattet und gewissermassen zum Hauptbestandtheil der Zelle gemacht wurde. War nach der Schleiden-Sch wann’schen Ansicht von der freien Zellengenesis der Zellinhalt ein Be- standtheil, der nachträglich in die vorgebildete Zellmembran hineintrat, so. wurde jetzt die Membran eine accessorische 3 Hülle des Zellinhaltes, — eine eben nur durch Gerinnung sich bildende Grenzschicht an dem letzteren; die Zelle konnte auch als ein hüllenloses Klümpchen (Furchungskugeln ete.) gedacht werden; der Zellinhalt kann sich dieser Hülle ganz oder auch nur theilweise entäussern und direkt mit der Aussen- welt in Verkehr treten; ihm wurde auch die Fähigkeit sich zu kontrahiren und dadurch beliebig die Form zu verändern, zugeschrieben. Auch das Kernkörperchen, welches so häufig als das unzweifelhafte Produkt einer Differenzirung des Kern- inhaltes nachzuweisen war, erlangte eine freiere, unabhängi- gere Stellung. Die Schwann’sche Ansicht der freien Zel- lenbildung hat sich nun allerdings als ein Irrthum heraus- gestellt; auch wird wohl Niemand behaupten wollen, dass der Begriff der Zelle und das Naturgesetz, das sich in ihr uns ofienbart hat, eine fertige und abgeschlossene Ange- legenheit sei und nicht mehr zu entwickeln wäre. Allein die Geschichte der mikroskopischen Anatomie lehrt gleichwohl, dass man mit der Zelle verfahren hat und noch verfährt, als ob die sonstigen Eigenschaften der Naturgesetze gerade bei ihr ausser Kraft treten und keine Geltung hätten. Für den vorliegenden Bericht wird es genügen, in leichten Umrissen die Sarcode-Theorie, ihre Verarbeitung und ihren Einfluss namentlich auf die Lehre von der Zelle markirt zu haben. Das Gebäude ruht, wie man sich leicht überzeugt, auf zwei thatsächlichen Annahmen: auf der Annahme, — denn, wahrlich, mehr war es niemals, — dass die sogenannte Sarcode formlas und nicht aus Zellen hervorgegangen sei, und dann darauf, dass niedere, aus Sarcode bestehende Or- ganismen, insbesondere die Infusorien einzellig seien. Gegen beide thatsächlichen Annahmen sind im Laufe der Zeit, na- mentlich im Jahre 1856 wichtige Beobachtungen veröffentlicht worden, welche nothwendig einen Umschwung in den herr- schenden Ansichten herbei führen müssen. Durch Joh. Müller (Monatsb. der Königl. Akad. d. W. zu Berlin; 1856, p. 389) und seine Schüler Lieberkühn (Beiträge zur Anat. der Infusorien: Müll. Arch. 1856, p. 20), Claparede und Lachmann (Ueber die Org. der Infuso- rien ete.: Müll. Arch. 1856, p. 540—398) wurde die Einzel- ligkeit der Infusorien mit dem grössten Nachdruck bekämpft. Joh. Müller weiset darauf hin, dass bei einem Infusorium, welches in seiner Gestalt theils mit Lozodes rostrum E., theils mit Trachelius meleayris E. übereinstimmte, parallel dem kon- vexen Rande eine Reihe von Bläschen sich befindet, die konstant ein centrales, rundes Körperchen führen; dass ferner bei den Stentoren öfters, wie auch Lieberkühn, Lach- mann, Glaparede beobachteten, in dem von den Neuern als Kern gedeuteten Organe, der von Ehrenberg so ge- nannten Samendrüse, bewegliche, den Ort verändernde Fäden vorkommen. Der Verf. sah bei Paramaecium aurelia den A* 4 ganzen Inhalt des vergrösserten, sogenannten Kerns in einen Bausch von in Locken gekräuselten Fäden formirt; auch im nicht gefaserten Zustande des Kerns ist derselbe häufig durch Einschnitte in Lappen getheilt, woraus hervorgeht, dass das fragliche Organ doch mehr als der Kern eine Zelle sein müsse. Am ausführlichsten ist die Organisation der Infuso- rien von Lachmann besprochen. Wenn man auch, bemerkt der Verf. (a. a. OÖ. p. 357) a priori das Dasein einzelliger Thiere für möglich halte, so würde man dennoch zu ihnen nicht die grösseren Infusorien, besonders die Enterodelen E., rechnen können, und die kleineren, schwer zu beobachtenden, müssen, bevor nicht Thatsachen dagegen deutlich nachge- wiesen sind, der Analogie nach beurtheilt werden. Die von F. Cohn bezeichnete Cuticula ist nach dem Verf. als die eigentliche Cilien tragende Körperhaut der Infusorien, die sogenannte Zellmembran, Cohn’s Rindenschicht als das kon- traktile Körperparenchym, und die rofirende Masse Inhalt einer grossen Verdauungshöhle oder eines Magens, also als Chymus anzusehen. Das eigentliche kontraktile Körperpa- renchym schliesst die kontraktile Blase ( Vacuole Duj.) und ein mit derselben zusammenhängendes System von Gefässen ein. Das Verhalten der Gefässe beim Spiel der kontraktilen Organe ist von Lieberkühn bei Bursaria flava E. und bei Ophryoglena flavescens E., von Joh. Müller bei Paramaecium aurelia genauer beschrieben worden. Das Körperparenchym enthält ferner häufig Chlorophyll- und andere farblose Ku- geln, in anderen Fällen spindelförmige Stäbchen, aus denen nach Allmann Nesselfäden hervortreten sollen, endlich bei den Vorticellen eine Fortsetzung des Stielmuskels. Eine so komplicirte Substanz darf man wohl nicht als Zellmembran deuten wollen; sie gleicht vielmehr der Substanz des Kör- pers der Turbellarien und Polypen. Die weite Verdauungs- höhle der Infusorien zeigt ausser der Mundöffnung meist auch eine Afteröffnung; ein polygastrischer Verdauungsap- parat nach Ehrenberg lässt sich nicht nachweisen; bei Actinophrys und den Acineten ist jedoch jeder Strahl ein Saugrüssel. Der sogenannte Nucleus steht in nächster Be- ziehung zur Fortpflanzung, doch ist nicht zu entscheiden, ob er als Keimstock oder als Eierstock oder als Uterus zu be- trachten sei, in welchen die vielleicht anderswo (Nucleolus?) gezeugten Keime oder Eier sich weiter entwickeln. Wie schon früher O. Schmidt, so hat sich auch Leydig neuerdings gegen die Einzelliskeit der Infusorien ausgespro-, chen (Lehrb. der Histol. p. 16 ff.). Der zuletzt genannte For- scher, dem wir bereits den Nachweis der Zellen in der Kör- persubstanz (angebl. Sarcode) der Süsswasser-Polypen ver- danken, macht an dem angeführten Orte auch auf anderweitige Erscheinungen aufmerksam, durch die wir auf die Entwicke- lung der Sarcode-Substanzen geleitet werden. So konnte der 5 Verf. in dem Körperparenchym grosser Vorticellen (Epistylis u. A.) bei 780maliger Vergrösserung rundliche, durch Essig- säure schärfer hervortretende Körner vom Habitus der Nuclei wahrnehmen, die mit einer gewissen Regelmässigkeit in eine weiche, helle Substanz eingebettet sind. Das mikroskopische Bild ist ähnlich, wie bei den Rotatorien, Insektenlarven etc., nur dass die Nuclei deutlicher sind. Auch bei den Rhizo- -poden finden sich in einer feinkörnigen Grundmasse viele Kerne, die ausserdem Bläschen einschliessen. (M. Schultze). Desgleichen wird hervorgehoben, dass die oben erwähnten, im Körperparenchym der Infusorien vorkommenden, stäb- chenförmigen Körper dieselben sind, welche bei höheren Thier- gruppen deutlich als Inhalt von Zellen erkannt worden, und dass die kontraktile Substanz im Stiel der Vorticellen mi- kroskopisch vollkommen mit den Muskeln niederer, wirbel- loser Thiere übereinstimmt. So lange die als Sarcode ange- sprochenen Substanzen nicht allerorts in Betreff ihrer Ent- wickelung gekannt sind, werden sich allerdings noch Zu- fluchtsstätten für die Anhänger der Dujardin’schen Theorie vorfinden, zumal so zu sagen der Augenschein zunächst dafür spricht. Allein man darf doch nicht ausser Acht lassen, dass bei vielen, anerkannt aus Zellen hervorgegangenen Substanzen der Nachweis der Zellen-Struktur bei gegenwärtigen Mitteln nicht möglich ist, und dass es dem Fortschritt der Wissen- schaft vielerspriesslicherist, bei räthselhaften und unbekanntenDingendieAnalogieingewissen Gren- zen walten zu lassen oder das „Nescimus“ einfach zu bekennen, als sofort mit Umgehung bekannter Gesetzlichkeiten zu neuen Entdeckungen vorzu- gehen. Eine morphologisch und physiologisch sehr auffällige Sar- code-ähnliche Substanz ist von dem Verfasser in dem frisch fast zähflüssigen Nahrungsdotter des Hechteies entdeckt worden. An in Weingeist erhärteten, befruchteten Hecht- eiern zeigt dieselbe einen tubulären Bau. Die mit Eiweiss- lösung gefüllten zahlreichen Röhrchen haben im Allgemeinen eine parabolische Form und Verlauf, deren Scheitel in der centralen Axe der Nahrungsdotterkugel, in dem sogenannten Scheitelfelde zusammentreffen; deren Schenkel von hier mehr oder weniger divergirend nach der Peripherie der Kugel aus- strahlen (Müll. Arch. 1856; p. 83 fl.). Ref. verweiset hin- sichtlich der Specialitäten. auf die Abhandlung selbst. Die Kontraktionen der Substanz wiederholen sich in einem be- stimmten Rhythmus, indem sie von einem seitlichen Pole der Kugel zum anderen langsam peristaltisch vor- und darauf umgekehrt antiperistaltisch zurückschreiten.*) (Müller’s *) Diese Bewegungen zeigen sich schon zu einer Zeit, wenn der Bildungsdotter noch aus Furchungskugeln besteht. o Arch. 1857, p. 46). Ueber die Genesis der Substanz ist dem Ref. Nichts bekannt und lässt sich daher auch vorläufig nicht mit Kölliker annehmen, dass dieselbe kontraktiler Zellin- halt sei, obgleich sie zugleich mit dem Bildungsdotter von der als Zellmembran gedeuteten Dotterhaut umhüllt wird. Eine zweite Frage von hoher Wichtigkeit sowohl für die mikroskopische als vergleichende Anatomie hat Kölliker durch seine Abhandlung „Ueber die secundären Zellmem- branen, Cuticularbildungen und über Porenkanäle in Zell- membranen*“ (Würzburg. Verhandl. 1857, p. 37—109) von Neuem in Anregung gebracht: es ist die Frage von der Be- theiligung der Abscheidungsprodukte der Zellen an der Bildung von Geweben und an der morpho- logischen Organisation der Organismen. Die Bildung von Körperbestandtheilen durch Abschei- dungsprodukte war, wie bekannt, den älteren Anatomen und Physiologen eine ganz geläufige Vorstellung; man liess die Horngebilde, die Zähne, die Hautgebilde vieler wirbelloser Thiere, die harten Schalen ‘ete. der Eier auf diese Weise sich bilden. Mit der Entdeckung der Zelle nahm diese Angele- genheit eine den Fortschritten der Wissenschaft entsprechende Wendung. Bei den Botanikern trat obige Vorstellung an- fangs weniger in Anwendung. Die Zellstoffmembran der Pflanzenzelle wurde als die eigentliche, aber verdickte Zellmembran angesehen. Wie die Zellmembran durch Intussusception von Molekeln sich erweitere, so verdicke sie sich auch durch Juxtapposition von Molekeln der Fläche nach; die Verdickungsschichten können an die äus- sere oder innere Fläche der Zellmembran sich ansetzen. Durch Hugo Mohl’s Lehre vom Primordialschlauch wurde die Zellstoffmembran der Pflanzenzelle zu einem festen Aus- scheidungsprodukt der durch den Primordialschlauch als der eigentlichen Zellmembran begrenzten Zelle. Dieses Aus- scheidungsprodukt soll nach einigen Autoren an der Innen- fläche, nach anderen an der Aussenfläche des Primordial- schlauchs auftreten. Kölliker meint (a. a. O. p. 106), dass im ersteren Falle der Belag von dem Zellinhalt, im letzteren von dem Primordialschlauch abgeschieden sei. Diese An- sicht ist nicht erwiesen und wohl auch schwer zu erweisen. Sind die Zellstoffhäute aus chemisch veränderten Bestand- theilen des Primordialschlauches hervorgegangen, so sind sie Abscheidungsprodukte desselben und können begreiflicher Weise sowohl an der inneren als an der äusseren Fläche des Primordialschlauches Platz nehmen. Aber die Zellstoff- haut kann auch durch chemische Umwandlung des Zellin- haltes entstanden sein und auch in diesem Falle sowohl an der Innenfläche als auch an der Aussenfläche des Primor- dialschlauches als Belag auftreten, da die Membran der Zelle den Durchgang abgeschiedener Stoffe gestattet. Die Lehre 7 vom Primordialschlauch hatte bei den Botanikern an Stelle der verdickten Zellmembran die Vorstellung von der Bethei- ligung abgeschiedener Stoffe an der morphologischen Orga- nisation in Anregung gebracht. Wenn Ref. nicht irrt, so ist es Schacht gewesen, der bei seinen Untersuchungen über -die Mantelsubstanz der Aseidien darauf hinwies, dass die Ausscheidungsprodukte bei Pflanzen konform der Zelle, bei den Thieren mehr diffus zwischen den Zellen abgelagert auftreten. Bei uns waren durch den Nachweis der Zellen-Struktur in den Hornsubstanzen letztere aus der Reihe der durch Ab- sonderung gebildeten Bestandtheile der Organismen ausge- schieden. Es mag auch bei einigen Forschern sich die An- sicht gebildet haben, dass auch wohl andere Formbestand- theile der thierischen Körper, die man für Absonderungs- produkte gehalten, aus direkter Umwandlung von Zellen hervorgegangen sein mögen. Allein die Kontroverse über die Zahnbildung erhielt sich; ebenso war die Betheiligung der Absonderungsprodukte von Zellen an den Hartgebilden der Mollusken, der Eier nicht in Zweifel zu ziehen. Die Entdeckung der Zelle hat die älteren Vorstellungen zwar modifieiren aber nicht vollständig eliminiren können; auch verdickte Zellmembranen hatten wir in den Dotterhäuten, selbst für die Knorpelzellen wurden sie von Vielen uner- achtet der Einsprache des Ref. beibehalten. In umfassender Weise wurde die Betheiligung der Abscheidungsprodukte der Zellen an der Bildung von Geweben durch den Ref. bei Auf- stellung der Gruppe der Bindesubstanzgebilde (1845) in die Wissenschaft eingeführt, nachdem bereits im ersten Jahres- berichte des Ref. (Müll. Archiv. 1841, p. CLXIX) die An- sicht Schwann’s von der Intercellularsubstanz als einem freien Cytoblastem bekämpft und auf die Abhängigkeit der- selben von den darin befindlichen Zellen hingewiesen worden war. An letzterem Orte heisst es ausdrücklich, man habe sich die zu geformten Bestandtheilen des Organismus wer- dende Intercellularsubstanz gegenüber den sie umgebenden zelligen Gebilden ebenso vorzustellen, wie man sich früher, vor Entdeckung der Zelle, die Abhängigkeit der nicht orga- nisirten Gebilde von den organisirten gedacht habe. Auch der Liquor sanguinis ist vom Ref. in Grundlage embryologi- scher Forschungen stets in obigem Sinne aufgenommen und gedeutet. Es hat nun allerdings zu allen Zeiten Histologen gegeben, — und unter ihnen als Führer solche Forscher, denen man gegenwärtig von gewissen Seiten her so gern den Mantel der Kritik und Unabhängigkeit gegenüber Schwann und der Zellentheorie umhängen möchte, — welche mit aller Konsequenz an dem freien Öytoblastem im Schwann’schen Sinne ‚festhielten, die verschiedene Bedeutung und den ver- schiedenen Werth der um die Zellengebilde gelagerten Sub- 8 stanzen nicht beachteten und sich so die Einsicht in ein, wie sich jetzt herausstellt, sehr einflussreiches Bildungsgesetz un- möglich gemacht haben. Obgleich durch den Ref. die noth- wendige Beziehung und Zusammengehörigkeit der Grund- substanz und der Zellen bei den Bindesubstanzgebilden ge- netisch festgestellt war, so sprach man dennoch von Knor- pelkörperchen etc., die ganz frei und ohne die zu ihnen gehörige Grundsubstanz in heterologe Gewebe eingelagert sein sollten. Es ist wahrlich ein wenig erfreuliches Geschäft für den Berichterstatter, der zugleich den fortschreitenden Gang in der Bewegung der Wissenschaft fest im Auge zu behalten hat, auf alte, gewissermassen verjährte Geschichten und Irrthümer zurückzukommen. Irrthümer sind menschlich, und Jeder hat seinen Theil davon zu tragen. Aber unstatt- haft ist es, alle Irrthümer auf Kosten derjenigen Arbeiten, die unbeirrt den wahrheitsmässigen Gang verfolgt haben, decken zu wollen. Das Urtheil der Geschichte hat einen anderen Maassstab, als den nach der Menge und dem herr- schenden Winde; es wird auch die Assecuranz-Gesellschaften für Lob und Tadel zu würdigen wissen, und Manches, was heut zu Tage als Standpunkt der Kritik und Unabhängigkeit verausgabt wird, dürfte dann in einem anderen Lichte er- scheinen. Doch genug! Gegenüber der geschichtlichen Dar- stellung Kölliker’s (a.a. OÖ. p. 95) kann Ref. nicht umhin, schliesslich hervorzuheben, dass bei uns wenigstens in ge- wissen Kreisen, stets zwischen einer Verdickung der. Zell- membran und zwischen der Betheiligung von Abscheidungs- produkten der Zellen an der Bildung von Geweben und Be- standtheilen des Körpers unterschieden wurde, dass ferner das letztere Bildungsgesetz sowohl vor Entdeckung der Zelle als nach derselben, obschon nicht ohne vielseitigen Wider- spruch anerkannt und in Grundlage genetischer Forschungen in Anwendung gebracht worden ist, und dass endlich dieses Bildungsgesetz wie bereits der Jahresbericht vom Jahre 1854 (p. 83 fl.) auseinandersetzte, erst durch die Lehre vom Pri- mordialschlauch auch in anderen Kreisen sich die Aufnahme errungen hat. Wie dem aber auch sei, der Fortschritt der Wissenschaft kann nur mit Freude eine Abhandlung begrüssen, die in so umfassender Weise einen wichtigen Gegenstand für die Histo- logie und vergleichende Anatomie in Angriff genommen hat, wenn sich auch später manche Bedenken und Zweifel her- ausstellen werden. Der Standpunkt, den Kölliker ein- nimmt, ist derselbe, welchen wir bereits im citirten Jahres- bericht (1354) besprochen haben. Es wird zunächst eine grosse Reihe eigener und fremder Beobachtungen besonders aus der wirbellosen Thierklasse mitgetheilt und daran die allgemeinen Betrachtungen geknüpft, aus welchen wir hier Folgendes entnehmen, ) Der Verfasser unterscheidet: I. Feste Ausscheidungen an einzelnen Zellen. Dahin gehören a) einseitig auftretende Ausscheidungen: Cylinderepithel des Dünndarms vieler Thiere mit verdickter (?R.) freier Wand; die Epidermiszellen von Ammocoetes; Hornzähne der Larven der Batrachier (?R.); isolirte zahn- artige Bildungen an gewissen Cuticularbildungen von Mol- lusken (Acetabularplatten von Sepia, Kiefer von Aplysia ete.); eigenthümliche Fasern an der Dotterhaut der Scomberesoces, Wärzehen und Zöttehen der Dotterhaut der Süsswasserfische; Schuppen der Insekten, Haare, Borsten und Stacheln der Arthropoden, welche um Ausläufer einzelner Zellen sich bil- den. — b) Allseitig sich bildende Ausscheidungen, secundäre Zellmembranen (?R.): äussere Kapseln der Knorpelzellen, Kapseln gewisser Knochenzellen (S. Köll. Mik. Anat. II, 2. p- 82), secundäre Dottermembranen vieler Eier der Fische, äussere Kapseln gewisser Zellen in den cellulosehaltigen Theilen der Tunicaten, die Cuticula der Infusorien. II. Feste Ausscheidungen an ganzen Zellenmassen. Dahin gehören a) einseitige Ausscheidungen auf freien Oberflächen der Epithelien, Outiculae: äussere Outicula der Strahlthiere, Weisswürmer, Anneliden; hornige Gehäuse der Quallenpolypen, Schalen der Mollusken und anderweitige äussere Outicularbildungen derselben (Byssus der Acephalen, Acetabularringe der Oephalopoden); Chitinpanzer der Krusta- ceen, Spinnen, Insekten; Cuticularbildungen im Oesophagus und Magen der Rundwürmer: Cuticularbildungen im Darm der Mollusken (Kiefer, Zunge, Magenzähne, einfache Outi- culae); Outicularbildungen im Darm der Arthropoden (ein- fache Cuticulae „Magenzähne der Krustaceen etc.); Cuticulae (Membr. intimae) gewisser Drüsen der Insekten; Chitinhaut der grösseren Tracheen, welche, wie Semper gezeigt hat, ursprünglich aus Zellen bestehende Röhren sind; Schmelz der Zähne nach der Lent’schen Darstellung (Kölliker be- merkt, dass er auf seinem jetzigen Standpunkte die an der Oberfläche des sich bildenden Schmelzes, zwischen ihm und dem Epithelium der Schmelzmembran vorkommende, weiche, hautartige Lage (M. praeformativa ?R.) am liebsten als jüngste, noch nicht ossifiecirte Schmelzschicht betrachten möchte); die äussere Eihülle der Barscheier, nach Abzug der Röhrchen, die ausgewachsene Zellen der Membr. granulosa darstellen sollen; endlich vielleicht auch die äussere Schicht des Cho- rion der Insekteneier. — b) Einseitige Ausscheidungen an den angewachsenen Flächen der Epithelialformationen, Tunicae propriae (? R.): Strukturlose Membranae propriae von Drüsen (Harnkanälchen, Graaf’sche Follikel, Schweiss- drüsen etc., viele Drüsen von Wirbellosen ); strukturlose Häute unter Epithelien, Basement membrane (intermediäre Haut ete.); die Glashäute des Auges und Labyrinthes. — ’ 10 c) Einseitige (?R.) und allseitige Ausscheidungen an Zellen- komplexen der Bindesubstanz: Grundsubstanz der Knorpel und Knochen, sofern dieselbe nieht von secundären Mem- branen der Zellen gebildet wird; Grundsubstanz vieler For- men von weicher Bindesubstanz (Schleimgewebe, Gallertge- webe höherer und niederer Thiere); Grundsubstanz der cellulosehaltigen Hüllen der Tunicaten; Grundsubstanz des Zahnbeins; eigentliche Scheide der Chorda dorswalis. Mit Wahrscheimlichkeit liessen sich in diese Aufzählung noch aufnehmen: Kiefer der Anneliden, Borsten derselben, die hornigen Penes der Rundwürmer, der Liebespfeil der Schnecken, Krystallstiel der Acephalen, Kauapparat der Ro- tiferen, der Panzer dieser Thiere, der Infusorien, Polytha- lamien, Stachel des Rüssels der Nemertinen, Hacken der Cestoden etc. Der Verfasser ist dann weiter bemüht, die so eben an- gegebenen Bildungen von den gewöhnlichen Drüsen- und Epi- thelialsekreten und von der paremchymatischen Flüssigkeit (In- tercellularflüssigkeit K.) zu unterscheiden und gelangt hierbei zu einem Resultat, das sich nach der obigen Zusammenstel- lung voraussehen lässt. Der Verf. ist nämlich schliesslich der Ansicht, dass zwar gewisse Unterschiede zwischen ge- formten Zellenausscheidungen und Sekretionsprodukten be- merkbar seien, dass aber, wenn man die Verhältnisse nicht einseitig (? R.) auffassen wolle, scharfe Trennungen sich nicht durchführen lassen, da so viele Uebergänge vorlägen. Kölliker weiset hierbei einerseits darauf hin, dass bei den Epithelial- und Drüsensekreten neben den flüssigen auch solche vorkommen, die mehr oder weniger fest werden. Dahin ge- hören die Eihüllen, die im Eileiter, Uterus etc. sich um die Eier absetzen; desgleichen die Kapseln um entwickelte Sa- menelemente bei Decapoden; ferner die Spermatophoren von Cyelops, Ligia, vieler Insekten, Oephalopoden; ebenso die Cysten der Infusorien, Eingeweidewürmer; das Sekret der Spinnorgane, der das Gehäuse secernirenden Drüsen bei den tubicolen Würmern; desgleichen das Gehäuse der Rotiferen zum Theil, der Bryozoen (?), welches in keinem näheren Zusammenhange mit den Thieren steht. Auf der andern Seite werden zwar die charakteristischen Merkmale der ge- formten Zellenausscheidungen darin gesucht, dass sie immer in direktem Zusammenhange mit den Zellen stehen bleiben, die sie erzeugen, an vielen Orten eine besondere Struktur besitzen (Poren) und dass sie endlich vom Momente ihrer ersten Bildung in einer bestimmten, namentlich festen Form auftreten; dass aber diese genannten Charaktere keineswegs durchgreifen. So sei das Email eine geformte Zellenaus- scheidung, welche von den absondernden Zellen sich abtrenne und auf das Zahnbein lege, während das Chorion der Eier an der Stelle liegen bleibe, wo es abgesetzt worden. : Des- 11 gleichen zeige sich an vielen verkalkten Zellenausscheidun- gen, die als Secretionsprodukte gelten, ein röhriger Bau (Acephalen). In Betreff jenes Charakters geformter Zellen- ausscheidungen, nach welchem sie von Anbeginn fest auf- treten sollen, werden keine Ausnahmen beigebracht. Allein, wenn sie wirklich Ausscheidungsprodukte sind, so ist nach des Ref. Ansicht nicht zu zweifeln, dass sie gleichfalls ur- sprünglich flüssig auftreten. In einem solchen halbflüssigen Zustande sah gelegentlich Ref. die Epithelialsäume der Darm- eylinder. Der obigen Auseinandersetzung entsprechend theilt Köl- liker die Extracellularsubstanzen und Epithelialsekretionen ein in: 1. Wahre flüssige Ausscheidungen; 2. erhärtende Se- krete von mehr zufälliger (?R.) Form (Eischalen, Samen- kapseln, Seide, Spinnfäden); 3. Ausscheidungen mit bestimm- ter Form, ohne besondere Struktur, (Cephalophoren-Gehäuse, Panzer und Gehäuse von Insekten, Polypen, Bryozoen ete., Byssus); 4. Wahre geformte Zellenausscheidungen häufig von besonderer Struktur (Einseitige Verdickungen an Zellen, se- eundäre Zellmembranen, Cuticulae und Chitinpanzer, Membr. propriae. - Ebenso wenig als bei den geformten Zellenausscheidungen auf freier Oberfläche (Extracellularsubstanzen K.) und den Drüsensekreten soll nach dem Verf. auch zwischen den In- tercellularsubstanzen und den parenchymatischen Flüssigkeiten keine scharfe Grenze zu ziehen sein; eine Ansicht, die aus der verschiedenen Konsistenz der Grundsubstanz der Binde- substanzgebilde und den Colloidgeschwülsten abgeleitet wird. Was den Bau der geformten Zellenausscheidungen betrifft, so sind dieselben entweder homogen oder lamellös oder in der Richtung der Dicke fasrig (Kiefer und viele Outiculae der Mollusken, Schalen der Acephalen, Zahnschmelz). Von diesen Anordnungen ist der lamellöse aus der schichtweisen Ablagerung, der fasrige in gewissen Fällen durch polygo- nale Zeichnung im Querschnitt ausgezeichnete, durch die Ab- hängigkeit der Absonderungsprodukte von den sie ausschei- denden Zellen der Epithelien zu erklären. Auch der Fläche nach treten in gewissen Cuticularbildungen Fasern auf (Cu- ticulae der Anneliden, Rundwürmer, Chitinpanzer gewisser Insekten), und diese sind wahrscheinlich durch secundäre Spaltung ursprünglich homogener Lamellen entstanden. Sehr verbreitet sind in den geformten Zellenausscheidungen die Porenkanälchen (Darmeylinder vieler Thiere, Epidermiszellen von Ammocoetes und Petromyzon, Dotterhäute vieler Fische, der Holothurien, Chitinpanzer der Krustaceen, Arachniden, Insekten, Schalen vieler Acephalen, Zungenzähne einiger Mollusken, Acetabularringe der Tintenfische, Cutieulae man- cher Anneliden. Diese Poren sind meist unter 000“ dick, verlaufen meistentheils gerade durch die Cutieularbildungen 12 hindurch und verästeln sich selten (einige Arthropoden nach Leydig). Der Inhalt ist eine nicht weiter bekannte Flüs- sigkeit, selten Luft (Eier von Insekten). Die Entstehung der Porenkanälchen wird durch das lokale Ausbleiben der Absonderungsprodukte an der Zellmembran zu erklären ge- sucht. Vielleicht habe auch die Zellmembran selbst Poren, wovon der Verf. Andeutungen wahrgenommen zu haben glaubt. Von den Porenkanälchen sind die Kanälchen in der Grundsubstanz der Bindesubstanzgebilde (Knorpel, Knochen, Elfenbein ete.) zu trennen, die stets von Ausläufern der Bin- desubstanzkörperchen eingenommen werden. Der Verfasser hält es schliesslich auch für möglich, dass die in Rede ste- henden geformten Zellenausscheidungen nicht an der äusse- ren, sondern an der Innenfläche der Zellmembranen abge- schieden sein können (? R.). Aus den obigen Mittheilungen ist wohl kaum zu verken- nen, dass die Abhandlung Kölliker’s eine wichtige Tages- frage für die Histologie und vergleichende Anatomie berührt, und es kann nur sehr erwünscht sein, dass der Gegenstand gleich einem Ferment auf die Thätigkeit der Histologen ein- wirke, und dass namentlich die Entwickelung vieler als ge- formte Absonderungsprodukte hingestellter Gebilde genau ge- prüft werde, da hier bedeutende Lücken vorliegen und der schliessliche Entscheid nur dadurch herbei geführt werden kann. Inzwischen mag es dem Referenten gestattet sein, sich über einige Punkte aussprechen zu dürfen, die in der Behandlung des Gegenstandes wohl begründete Bedenken erregen. l. Zunächst glaubt Ref. seine Einsprache gegen den willkürlichen Gebrauch der Worte „verdickte Zell- membran* und “sekundäre Zellmembran“* erheben zu müssen. Namen, denen bestimmte Begriffe zukommen, sind in der Wissenschaft nicht gleichgültige Dinge; eine Nachlässigkeit im Gebrauche derselben führt schliesslich zur Verschiebung und Ausartung der Begriffe; desgleichen ist es unstatthaft, einer Benennung mit einem bestimmten Begriff einen anderen Begriff unterzulegen. Eine Zellmembran, die durch ein einseitiges oder allseitiges chemisch und morpho- logisch verschiedenes Ausscheidungsprodukt dicker geworden erscheint, ist keine „verdickte Zellmembran oder Zellwand“, welche in allen ihren Theilen chemisch oder morphologisch als etwas Gleichartiges zu denken ist. Die Ausdrücke „se- cundäre Zelle* und „secundäre Zellmembran* sind zuerst von Schwann in die Wissenschaft eingeführt (Mik. Unt. p-. 155); es wurden dieselben auf die, aus mehreren, isolirten, primären Zellen durch Verschmelzung der Wände und Höh- len entstandenen Hohlgebilde angewendet. In obiger Ab- handlung werden diese Benennungen und auch der Ausdruck „primäre Zelle* in einem völlig anderen Sinne gebraucht. 13 Wie man allmälig dazu gekommen, ist leicht zu übersehen. Durch die Entdeckung des Primordialschlauches waren die Botaniker in ein eigenes Dilemma gerathen, und wir sind zum Theil mit hineingezogen. Nach der Lehre von der Zelle soll die der letzteren eigenthümliche Membran „Zellmem- bran“ heissen, und dieser Name war entlehnt von der Zell- stoffhaut der Pflanzenzellen. In dem Primordialschlauch hatte man aber die der Zelle eigenthümliche Membran bei den Pflanzen kennen gelernt, und die Zellstoffhaut trat in die Kategorie eines durch Ausscheidung entstandenen Gebildes. Es kam nun darauf an, die Namen „Zelle*, „Zellmembran“ ete. entweder im Sinne der Lehre von der Zelle festzuhalten, und die alte Zellmembran der Pflanzenzelle, die Zellstoffhaut, mit einem passenden Namen (Zellenkapsel etc.) zu belegen, oder umgekehrt. Hugo Mohl wählte den letzteren Weg, führte den Namen „Primordialschlauch* ein und brachte da- durch die seit Jahren schon in einer bestimmten Nomen- clatur bearbeitete Lehre von der Zelle in die übelste Lage. Um diesem Uebelstande zu entgehen, hat man seine Zuflucht zu einer ganzen Gruppe neuer Namen genommen; man sprach von innerer und äusserer, erster und zweiter, primordialer (primärer) und sekundärer Zellmembran ete. Die ganze An- gelegenheit wurde dadurch nicht besser, sie wurde noch ver- wirrter; ganz verschiedene Dinge wurden unter demselben Namen numerirt, und eingeführten Benennungen mit bestimm- ten Begriffen, wie „primäre* und „sekundäre Zellmembran*“, heteroluge Begriffe untergelegt. Es scheint mir nach dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft nicht mehr gut mög- lich, die Namen „Zelle“ etc. aus der Lehre von der Zelle zu eliminiren; viel leichter und zweckmässiger ist es, für die alte Zellmembran der Pflanzenzelle einen neuen, der Sache entsprechenden Namen, etwa „Zellstoffhülle* oder all- gemeiner „Zellkapsel“ einzuführen. 2. Ein zweiter wichtiger Punkt betrifft die genaue Unter- scheidung und Trennung zwischen Abscheidungs- produkten des reinen Stoffwechsels, des reinen Sekretions- und Ernährungsprozesses einerseits und denjenigen anderseits, welche der morpholo- gischen Organisation angehören. Kölliker hat sich einen Standpunkt erwählt, auf welchem er schliesslich be- kennen muss, dass hier keine scharfen Grenzen zu ziehen seien. Der Verf. hat nur das Moment im Auge, dass die flüssigen oder festen Substanzen, welche in irgend einer Weise an der morphologischen Organisation von Geweben oder an- deren Bestandtheilen der organischen Geschöpfe sich bethei- ligen, Ausscheidungsprodukte von Zellen oder Zellenkapseln sind; es wird dagegen das Hauptmoment und wichtigste Kri- terium vernachlässigt, dass nämlich jene Substanzen als sta- bile und nicht in jedem Augenblick beliebig wechselnde Par- 14 ticipienten in der Struktur, Textur, überhaupt in der mor- phologischen Organisation eines organisirten Bestandtheiles oder auch des Gesammtkörpers der organischen Geschöpfe verwerthet und verrechnet sein müssen. Auf diese Weise ist es geschehen, dass das im ganzen Körper verbreitete thierische Wasser, die etwa zwischen den glatten Muskelfa- sern befindliche parenchymatische Flüssigkeit und die Grund- substanz der Bindesubstanzgebilde, desgleichen der Skelete wirbelloser Thiere und das abfliessende Exkret einer Schleim- haut zusammengestellt und unter eine Einheit subsummirt worden sind. Auf diesem Wege giebt es in der That keine scharfen Grenzen, und es könnten mit aller Konsequenz noch eine Menge andere Exkrete in Betracht gezogen werden. Ref. weiss wohl, dass es einen Standpunkt giebt, auf wel- chem wir von dem bezeichneten Unterschiede absehen und nur die Stoffwechsel -Thätigkeit und die physiologisch -che- mische Seite der Zellen und Zellenkomplexe im Auge be- halten können. — Allein dieser Standpunkt ist nicht der, auf welchem sich die angeregte Tagesfrage befindet, welche in erster Instanz und in ihrer Grundlage der Morphologie angehört. Die parenchymatische Flüssigkeit, die reinen Se- oder Exkrete, mögen sie flüssig bleiben oder fest werden, — und im letzteren Falle entweder amorph, wie das Harz, oder unter Umständen geformt, wie Spinnfäden, auftreten, — sind nicht in ein Gebiet hinüber zu ziehen, auf welchem es sich um die morphologische Organisation eines organisirten Kör- pers handelt. 3. In Betreff der hierher gehörigen Zellausschei- dungen müssen nach des Ref. Ermessen zwei, in der natürlichsten Weise sich abhebende und son- dernde Kategorien und Gruppen geschieden wer- den. Zu der einen Kategorie sind zu rechnen: die Binde- substanzgebilde, das Zellgewebe der Pflanzen, das Blut, vielleicht oder wahrscheinlich gewisse, als scheinbare Ver- diekungsschichten der Eizellmembran auftretende Substanzen (wirklich verdickte Zellmembranen wären gänzlich auszu- schliessen); und zu der zweiten: die an der morphologischen Organisation sich betheiligenden Exkrete der Epithelien. Bei der ersteren Gruppe bildet das Ausscheidungsprodukt mit den Zellen, die sie ausscheiden, ein innig verbundenes, morpho- logisch nicht zu trennendes Ganze; der Begriff des Exkretes tritt ganz in den Hintergrund; die Zelle oder die Zellen mit ihren Abscheidungsprodukten gehen von Anbeginn gemein- schaftlich in den morphologischen Bildungsprozess ein und konstituiren schliesslich morphologische Produkte oder Ge- webe, aus welchen keines der beiden Glieder ausfallen kann, ohne den typisch- morphologischen oder histologischen Cha- rakter des Gebildes zu vernichten. Zellen werden erst zu Blut oder einem Bindesubstanzgebilde, indem sich zwischen 15 ihnen die Intercellular- oder Grundsubstanz absetzt, vorher sind es morphologisch indifferente Zellen. Man darf daher im Sinne der morphologischen Organisation und auf dem systematisch-morphologischen Standpunkte weder von freien Blut- und Bindesubstanz-Körperchen, noch von freier In- tercellular- oder Grundsubstanz des Blutes und der Binde- substanzgebilde sprechen. Die von Schacht hervorgeho- bene Unterscheidung zwischen Gebilden dieser Gruppe, bei welchen das Abscheidungsprodukt mehr konform der Zelle, und denjenigen, bei welchen dasselbe mehr diffus zwischen den Zellen abgesetzt wird, findet ihre vollkommene Begrün- dung. Auch ist es.richtig, dass nicht allein beim Blut, son- dern auch bei den Bindesubstanzgebilden während der ersten Bildung und vor der Veränderung durch das Alter und Krank- heit niemals Zellenkapseln wahrgenommen werden, wie beim Zellgewebe der Pflanzen. (Virchow’s Kapsel der Knorpel- körperchen wird durch eine, erst im Alter oder bei Krank- heit in der ursprünglich homogenen Grundsubstanz eintre- tende Sonderung produzirt; die Angaben über verdickte Zellmembranen der Knorpelkörperchen, desgleichen über Kap- seln der Knorpelkörperchen in normaler Knorpelsubstanz beruhen nach den Erfahrungen des Ref. auf optischer Täu- schung.) Allein es lässt sich mit Rücksicht auf die Eihüllen wohl nicht behaupten, dass in dem angegebenen Unterschiede sich zugleich ein Charakter der pflanzlichen und thierischen Gewebe zu erkennen gebe. — Bei der zweiten Gruppe be- hält das Ausscheidungsprodukt in allen- Fällen nur die Be- deutung eines Exkretes der Zellen, von denen es geliefert wurde, bei. Ob das Absonderungsprodukt von seinen Zellen ganz entfernt und als geformter Stoff zur Eihülle verwendet wird, oder ob dasselbe mit seinen Zellen mehr oder weniger in Berührung bleibt, seine Natur als Exkret, als ein acces- sorischer Theil für das absondernde Zellengebilde tritt überall unverkennbar hervor, das Abscheidungsprodukt und seine Zellen gehen nicht in einen gemeinschaftlichen,, morphologi- schen Bildungsprozess ein, bilden daher auch niemals ein mörphologisch untrennbares und zusammengehöriges Ganze. Daher sind denn auch die Outicularbildungen und Epithelial- säume für den histologischen Charakter der Epithelien nicht zu verwerthen. Wie die Exkrete der Epithelien in chemi- scher Beziehung für den Stoffwechsel im Körper ihre Ver- wendung finden, so werden sie, flüssig oder mehr weniger fest, auch in mechanischer Beziehung als schützende Decke, Stütze, Skelet verwerthet. Es liegt wohl auf der Hand, dass die beiden so eben besprochenen Kategorien oder Gruppen von Gebilden in den organischen Körpern nicht zusammen- geworfen werden dürfen, dass man sie vielmehr, auf dem morphologischen Standpunkte, streng auseinander halten müsse. Eine Kontroverse und Unsicherheiten können da- 16 durch herbeigeführt werden, dass die Genesis eines fragli- chen ‘Gebildes noch nicht sicher festgestellt ist und verschie- dene Ansichten aufzuweisen hat. 4. In Betreff der von dem Verf. mitgetheilten, sehr zahlreichen und schätzbaren, einzelnen Beobachtungen glaubt Ref. schliesslich noch folgende Bemerkungen hinzu- fügen zu müssen. Ob alle Formbestandtheile, welche von Kölliker in den Bereich der unter Vermittelung von Zel- lenausscheidungen entstandenen Gebilde hinübergezogen sind, auch wirklich dahin gehören, und zu welcher von beiden Kategorien dieselben gerechnet werden müssen, darüber möchte in manchen Fällen noch das Resultat genauer und unbefangener, genetischer Forschungen abzuwarten sein. Gleichwohl darf Ref. schon jetzt seine Zweifel hinsichtlich der Hornzähne der Batrachierlarven und der inter- mediären: Haut, der Tunica propria der Drüsenele- mente ete. von Neuem wiederholen. Des Ref. Bedenken gegen die Hornzähne der Batrachierlarven in der Kölliker’schen Fassung sind bereits im Jahresbericht 1854 (Müll. Arch. 1855, p. 15) ausgesprochen. Der Verf. hat gegen diese Zwei- fel ganz einfach einige Abbildungen (a. a. O, fig. 32) ver- öffentlicht, aus welchen hervorgehen soll, dass jeder Zahn als eine einseitige Ausscheidung an einer Epidermiszelle sich entwickele. Nach wiederholter Prüfung an Larven von Rana temporaria muss Ref. darauf bestehen, dass in dem Hohl- raum der Hornzähne nicht eine Zelle, sondern eine papillen- artige Matrix des bindegewebigen Substrat’s der Lippe sich befindet. Es ist nicht schwer, durch Druck, namentlich nach Behandlung mit Essigsäure oder Kalisolution (10 °/,) beide Theile von einander zu trennen. Der Hohlraum des Zahnes hat häufig einen weiteren Theil an der Basis und einen en- geren nach der Spitze hin, ganz entsprechend der Form der Matrix. Im mikroskopischen Bilde zeigen sich unter Um- ständen zwei, diesen verschieden weiten Bezirken des Hohl- raumes entsprechende, nahezu kreisförmige Linien, die das mikroskopische Bild einer Zelle mit Kern wiedergeben. Eine wirkliche Epidermiszelle konnte Ref. in dem Hohlraum nicht vorfinden. Die Ansicht, dass die Epithelien nicht nur an ihrer freien Fläche, sondern auch an ihrer Befestigungsstelle ein Exkret absetzen, welches durch Erhärtung zu Formbestandtheilen des Körpers verwerthet wird, dürfte nirgends mit Sicherheit erwiesen sein, und für die Tunicae propriae der Drüsen- elemente, sowie für die intermediäre Haut (Basement mem- brane) der äusseren und inneren Häute im thierischen Kör- per muss sie Ref. nach allen seinen Erfahrungen gänzlich zurückweisen. Die Enstehung der erwähnten, zuweilen durch kernähnliche Bildungen gezeichneten Häute ist im Allge- meinen schwierig zu verfolgen und darum haben sie auch 17 die merkwürdigsten, sogar völlig sich widersprechenden, ge- netischen Deutungen erfahren. In solchen Fällen hat die Wissenschaft die klaren, vorliegenden Beispiele zur Richt- schnur zu nehmen und zugleich die Lücken durch Berück- sichtisung der allgemeinen morphologischen Verhältnisse in der Organisation zu füllen. In dieser Beziehung darf Ref. hervorheben, dass die Hornhaut: mit ihrer vorderen glashellen Lamelle und der an der hinteren Fläche gelegenen Tunica Demoursii ein ganz besonders geeignetes Object abgiebt, die Entstehung der unter den Epithelien oft ausgebreiteten glas- hellen Häute zu studiren. Man kann sich hier genau über- zeugen, dass die genannten Lamellen durch allmälige Um- wandlung des faserknorpelähnlichen Substrats der Cornea an der genannten Stelle gebildet werden. Auch an der in- termediären Haut der Cutis, des Haarsackes, an den Tunicae propriae der Schweissdrüsen, Talgdrüsen, der grossen Drü- sen im Proventriculus des Hühnchens lässt sich die Entste- hung so weit verfolgen, dass man leicht die Ueberzeugung gewinnt, man habe es mit einer modificirten Grenzschicht des bindegewebigen Substrats der daselbst vorkommenden Epithelien zu thun. Wenn man nun ferner die Lagerungs- verhältnisse der fraglichen Häute im fertigen Zustande, des- gleichen ihre kontinuirlichen Verbindungen mit anerkannten bindegewebigen Substanzen in Betracht zieht, so darf über ihren histologischen Charakter als Bindesubstanzgebilde um so weniger gezweifelt werden, als nicht eine einzige, zuver- lässige Erscheinung, nicht eine einzige Thatsache für ihre Entstehung aus einem Exkret der Epithelialzellen beigebracht werden kann. Die Vorstellung, dass die Epithelial- und Drüsenzellen durch Ausscheidungsprodukte an ihrer Befestigungsstelle sich eine Unterlage, ein Substrat schaffen und, so zu sagen, sich selbst ihre Gebäude bauen, hängt unmittelbar mit einer an- dern zusammen, die sich ganz allmälig in der Wissenschaft die Bahn gebrochen und gegenwärtig sogar mit einer ge- wissen Vorliebe von namhaften Forschern gepflegt wird: mit der Vorstellung nämlich, dass die Epithelien und Drü- senzellen bei der morphologischen Organisation und Bildung gewissermaassen als regulatorische Apparate anzusehen seien, und dass das darunter gelegene, Gefässe und Nerven führende Substrat, resp. die Matrix, eine völlig untergeordnete, acces- sorische Bedeutung habe. Ref. erinnert daran, dass Kölli- ker durch Fortsätze des Malpighi’schen Netzes der Epider- mis den Haarsack, die Talgdrüsen, desgleichen die Schweiss- drüsen in das Corium gleichsam eindrücken und das Haar sich bilden lässt. In demselben Sinne hat Remak sein Horn- blatt behandelt, und in den Entwickelungsplan des Wirbel- thieres das Drüsenblatt eingeführt, obschon die erste Drüse, die im Embryo auftritt, die Wolff’schen Körper, sich an Müller's Archiv. 1857, Jahresbericht. B 18 diesen Plan nicht kehren und, wie Remak zugeben muss, das dargebotene Drüsenblatt zur Entstehung nicht benutzen. Man hat ehedem die Epidermis und Drüsenzellen in ihrer wichtigen physiologischen und morphologischen Bedeutung allerdings verkannt, oder richtiger nicht gekannt und dieselben irrthümlich für ein Exkret des Substrats angesehen. Die entgegengesetze Wendung, die gegenwärtig die Angelegen- heit genommen hat, scheint dem Ref. in einen grösseren Fehler zu verfallen, da die morphologischen und physiologischen Eigenschaften des gefäss- und nervenhaltigen Substrat’s hin- länglich gekannt sind, und wir dennoch Vorstellungen hul- digen, welche mit diesem Verhalten im Widerspruch sich befinden. Die Entwickelungsvorgänge im Embryo, wenn man sie unbefangen zu würdigen und zu beurtheilen versteht, bieten denselben wahrlich keine Stützpunkte dar. Die Köl- liker’sche und Remak’sche Darstellung von der Bildung des Haarsackes, des Haares etc. ist durch Reissner (Bei- träge zur Kenntniss der Haare etc., 1854, p. 91 ff.) zur Ge- nüge widerlegt. Wenn ferner bei der Bildung der Hautdrü- sen das Corium sich einsenkt und die eingestülpte oder ein- gesenkte Stelle von einer Fortsetzung der Epidermis einge- nommen wird, wie kann man wohl diesen Bildungsvorgang so hinstellen wollen, als ob das Hornblatt die Hautdrüsen baue und das Corium nebenher laufe! Wie gesucht und gezwun- gen ist es nicht von einem Drüsenblatt zu sprechen, wenn eine so wichtige und zwar die erste Drüse des Wirbelthier- körpers daraus sich nicht entwickelt, auch die Hautdrüsen und andere Drüsen sich von ihm lossagen, und endlich bei allen Drüsen, wo es betheiligt ist, noch eine zweite primitive Anlage des Embryo’s (Stratum intermedium) sehr wesentlich in den Bildungsprozess eingreift! Ref. hat in Grundlage seiner embryologischen Beobachtungen wohl zuerst (Ent- wickelungsleben im Wirbelthierreich, 1846) auf die hohe Be- deutung, welche die Epithelien in der morphologischen Or- ganisation des Wirbelthieres einnehmen können, hingewiesen. Die Vorstellung jedoch, welche in neuerer Zeit, wie es scheint, in Grundlage etwas vager physiologisch-chemischer Ansich- ten vom Stoffwechsel in unserem Körper und vielleicht wegen der Kontinuität eines Theiles der Epithelien untereinander sich die Bahn gebrochen hat, lässt sich auf keine Weise be- gründen und wird sich auch für die Dauer nicht halten. Zur fertigen Drüse gehören anatomisch wie physiologisch zwei Hauptbestandtheile; das Drüsenzellen-Epithelium und jenes das Höhlengerüste konstituirende, gefäss- und nervenhaltige Substrat; beide Bestandtheile sind die nächsten und stets zusammengehörigen Glieder einer morphologischen und auch physiologischen Einheit, ähnlich wie bei den Horngebilden. Ebenso machen sich beide Bestandtheile gleichberechtigt im Entwickelungsprozess einer Drüse geltend; ja, wenn man 19 hierbei auf das die allgemeine Form des Höhlensystems be- dingende Moment Rücksicht nimmt, so wird man dem Sub- strate des Drüsenzellen-Epitheliums, grade so wie bei der Matrix des Horngebildes, den Hauptantheil an dem Bildungs- prozesse vindieiren müssen. Diese, den Entwickelungser- scheinungen entsprechende, natürliche Auffassung der Bil- dung einer Drüse wird in keiner Weise dadurch alterirt, dass letztere zufolge eines organologischen Knospenbildungs- prozesses in Form von Einstülpungs- oder Ausstülpungsbil- dungen sich zu erkennen geben. Es würde den Ref. zu weit vom Wege abführen, wollte er auf die, so eben aufgenom- mene wichtige Frage ausführlicher eingehen; für den Bericht genügt es, die ganze Tragweite der Kölliker’schen Arbeit angedeutet und so für die weiteren Forschungen bestimmte Gesichtspunkte angebahnt zu haben. Jedes Jahr bringt uns eine Anzahl von Mittheilungen und Ansichten über die Entstehung und Bildung der Zelle. Ref. hat es absichtlich vermieden, mit jenen Angaben vorlie- genden Bericht zu füllen. Die Frage ist auf Grundlage der uns bekannten Erscheinungen zur Genüge erschöpft; neue, zuver- lässige und beachtungswerthe Seiten werden uns nicht dargebo- ten. Auf dem gegenwärtigen Standpunkte der Zellengenesis dürfte als gesichert zu betrachten sein: 1) dass die exogene Zel- lenbildung grade so, wie es J. Müller von der Generat. aequi- voca gesagt hat, als etwas Unerwiesenes und Unerweisliches da- stehe; 2) dass die Schleiden-Schwann’sche Theorie der Zel- lenbildung, wonach die Zellmembran sich um den durch Prä- eipitation gebildeten Kern niederschlagen sollte, durch ge- naue Thatsachen nicht zu begründen gewesen ist; und 3) dass bei der Zellenbildung konstant der Inhalt einer Mutter- zelle in toto oder in Portionen sich betheiligt. Weniger ge- sichert erscheint dem Ref. die Ansicht, dass auch das Kern- körperchen, der Kern und selbst die Zellmembran der Mut- terzelle (durch sogenannte Abschnürung und Theilung) direkt an den gleichnamigen Bestandtheilen der Brutzelle parti- cipiren. Der Hauptunterschied der Zellenbildung um den ganzen oder um gesonderte Portionen des Mutterzellinhaltes von der letzteren, der sogenannten Zellenbildung durch Theilung, ist der, dass im ersteren Falle das Kernkörperchen, der Kern und die Membran der jungen Zelle durch Sonderungsakte aus dem Mutterzellinhalte selbst hervorgehen, und der Schwer- punkt der Zellenbildung also in dem Mutterzellinhalte gege- ben ist, während im letzteren Falle das Kernkörperchen, der Kern und die Zellmembran der Mutterzelle die Hauptrolle bei der Bildung der jungen Zelle spielen, und der Mutter- zellinhalt sich passiv verhält und in den Hintergrund gestellt wird. Solche Unterschiede in der Zellengenesis dürfen nicht mehr als Variationen einer und derselben Norm betrachtet B* 20 werden; sie bedingen in der That zwei ganz verschiedene Normen der Zellenbildung, und die Produkte so verschie- dener Bildungsprozesse dürften dann, nach des Ref. Ermessen, auch nicht mehr als gleichartige Körper anzusehen sein. Da diese letztere Konsequenz begründete Zweifel erweckt, so wird die Annahme zweier, so verschiedener Normen in der Zellengenesis bedenklich, und die Festsetzung derselben um so grössere Vorsicht erfordern, als ihre Verwechselung sehr leicht stattfinden kann und auch stattgefunden hat. Durch die Botaniker ist in den letzten Jahren die Zellenbildung durch Theilung auch bei uns nicht allein in Aufnahme ge- kommen, sondern überall als Schema für die Beurtheilung der Erscheinungen hingestellt. Es sind aber besonders die mit Zellstoff-Ausscheidungen komplieirten Zellenbildungspro- zesse der Pflanzenzelle, welche zu der Annahme einer Zel- lenbildung durch Theilung geführt haben. Wenn man indess jene Erscheinungen, die sich auf die Bildung der Zellstoff- kapsel beziehen, als nicht zur Zellengenesis direkt gehörig in Abzug bringt, so überzeugt man sich leicht, dass ein exakter Beweis für direkte Betheiligung der eigentlichen Mutterzellmembran (Primordialschlauch) an der. Bildung der Brutzellmembranen nicht zu führen ist. Bei den Thieren bietet der Furchungsprozess bekannt- lich die günstigste Gelegenheit für das Studium der Zellen- genesis dar, und dennoch bleibt Vieles zu wünschen übrig. In neuerer Zeit hat man hier grade die Zellenbildung durch Theilung in Anwendung gebracht, und scheint dabei beson- ders durch die künstlichen Häute verleitet worden zu sein, welche bei Anwendung verschiedener chemischer Mittel (Sub- limat, Salpetersäure etc.) an der freien Oberfläche der Fur- chungskugeln beim Froschdotter gebildet werden. Wer bei Rana temporaria die während der Bildung der ersten Furche, an den Rändern derselben sichtbaren, zierlichen Falten und deren Veränderungen beim Auseinanderweichen der beiden ersten Furchungskugeln (Vertiefung und Verlängerung der ersten Furche) aus eigener Anschauung kennt, muss der An- sicht entgegentreten, dass die Furche durch das Eindringen einer Falte der Mutterzellmembran in den zähflüssigen Dot- ter zu Stande komme, dass also eine Zellenbildung durch Theilung vorliege. Es ist wahrlich auffallend, dass obiges, schon von v. Bär gekanntes und mit einer Loupe so leicht zu konstatirendes Phänomen, aus welchem die wichtigsten Konsequenzen für die im Furchungsprozess vorliegende Zel- lengenesis gezogen werden können, fortdauernd so gänzlich vernachlässigt wird. Die Furchen beziehen sich nicht auf einen Akt der Zellenbildung. Die Furchungskugelzellen sind vielmehr schon fertig, und die Furchen entstehen in Folge der theilweisen Trennung der fertigen, aneinanderge- pressten Furchungskugeln an ihren Randpartieen. Warum ” a Da a nn u I 21 diese Trennung zuerst am schwarzen Pole beginnt und von dort allmälig weiter schreitet, ist noch nicht erklärt. Allein dieser Umstand darf eben so wenig gegen obige Deutung herbeigezogen werden, als es Niemand einfallen wird, des- wegen gegen die Ansicht, dass hier eine Zellenbildung durch Theilung vorliege, aufzutreten, weil wir keine Ursache an- zugeben wüssten, warum die Mutterzellmembran sich zuerst am schwarzen Pole einzuschnüren beginne. Der Furchungsprozess, insofern er ein Zellenbildungs- prozess ist, beginnt aber nicht mit der Bildung der beiden ersten Furchungskugeln und mit dem Auftreten der ersten Furche; er nimmt vielmehr seinen Anfang mit der Um- wandlung des Bildungsdotters in toto in die erste und einzige Furchungskugel, aus welcher dann die gewöhnlich sogenannten „beiden ersten“ Furchungskugeln hervorgehen. Die darauf bezüglichen Erscheinungen sind schon lange bekannt; man sagt, der Bildungsdotter ziehe sich auf kleineres Volumen zusammen und werde von der Dotterhaut durch ein mit Flüssigkeit gefülltes Interstitium getrennt. Ref. hat bereits in seiner Abhandlung (Müll. Arch. 1846) nachgewiesen, dass auch diese erste Furchungskugel eine Membran besitze, einen bläschenförmigen Kern enthalte und sich von allen späteren Furchungskugelzellen eben nur durch ihre Grösse unterscheide Die Bildung dieser ersten Furchungskugelzelle ist darum so werthvoll, weil sie einfach ist und durch keine Erscheinungen komplieirt wird, durch die man auf den Gedanken einer Zellenbildung durch Thei- lung geleitet werden könnte. Die Eihüllen liegen unverän- dert und getrennt von der ersten Furchungskugelzelle da; das Keimbläschen ist schon vorher geschwunden und durch seine Grösse, sowie durch seine zahlreichen Keimflecke bei einigen Thieren (Frösche, Fische) so ausgezeichnet, dass eine Verwechselung mit dem bläschenförmigen Kern der ersten Furchungskugelzelle nicht stattfinden kann. Zellmem- bran und Zellenkern der ersten Furchungskugelzellen müssen durch Sonderung in dem Bildungsdotter selbst, nachdem der- selbe mit der Materie des Keimbläschens und dem männli- chen Befruchtungsstoffe sich gemischt hat, hervorgegangen sein. Wenn wir auch nicht wissen, wie diese Sonderung zu Stande kommt, so ist es doch eine Thatsache, dass sie statt- gefunden hat, und dass darin ein wesentlicher Unterschied von der angenommenen Zellengenesis durch Theilung gege- ben ist. Erwägt man also, dass die Furchungskugeln, sie mögen grösser oder kleiner sein, jedenfalls gleichartiger Natur sind, dass gleichartig organisirte Körper auch gleich- artige Bildung haben müssen, dass ferner für die erste Fur- chungskugelzelle eine direkte Bildung aus dem formlosen Mut- terzelleninhalte, ohne unmittelbare Betheiligung einer Zell- membran und eines Zellenkernes, feststeht, dass endlich auch 22 bei den späteren, paarig auftretenden Furchungskugeln die unmittelbare Betheiligung des Mutterzellenkerns, sowie der Mutterzellmembran mit Sicherheit nicht erwiesen ist und ganz bestimmte Erscheinungen sogar für eine Bildung aus paari- gen Inhaltsportionen der Mutterzelle sprechen, — so sind wahrlich Gründe genug vorhanden, um die heut zu Tage so beliebte Zellenbildung durch Theilung mit Vorsicht aufzu- nehmen, dieselbe nicht als eine ausgemachte Sache in die Handbücher einzuführen und so von vornherein der Auffas- sung und Deutung‘ der Erscheinungen eine so zweifelhafte Unterlage zu unterbreiten. Ueber den Furchungsprozess der Sagitta sind von Gegenbaur Beobachtungen mitgetheilt. (Aus dem 4. Bande der Abhandlungen der naturf. Gesellsch. zu Halle) Ref. kennt die Arbeit des Verf. nur aus Leydig’s Bericht. (Canst. Jahresb. vom Jahre 1856, p. 19). Nach Gegenbaur be- sinnt der Furchungsprozess bei Sagitta mit dem Auftreten der ersten beiden Furchungskugeln. Der ersten Furchungs- kugel erwähnt der Verf. nicht. Sind 4 Furchungskugeln vorhanden, so bleibt im Centrum der Dotterkugel zwischen den daselbst mit abgerundeten Kanten zusammentrefienden Kugelabschnitten ein Hohlraum. Dieser Hohlraum ist. auch in späteren Stadien des Furchungsprozesses vorhanden, und um ihn sind die pyramidenförmig gestalteten Furchungsku- geln so angeordnet, dass die Spitze derselben gegen das Cen- trum des Dotters, die abgerundete Basis gegen die Oberfläche gewendet ist. In Bezug auf die, im Furchungsprozess vor- liegende Zellengenesis sind folgende Mittheilungen hervorzu- ‘heben. Der Verf. ist geneigt, an den Furchungskugeln Mem- branen anzunehmen, die freilich auf dem jüngsten Stadium der Bildung noch wenig von der inneren Dottersubstanz ver- schieden sind und sich physikalisch wenigstens, zur Dotterhaut ebenso verhalten, wie der Primordialschlauch zur Zellstoff- haut der Pflanzenzelle (?R.). Von einer Einschnürung der Membranen beim Auftreten je zwei neuer Furchungskugeln wird Nichts berichtet. Desgleichen hat Gegenbaur den eigentlichen Akt der Theilung der Furchungskugelkerne nicht gesehen. Gleichwohl erschienen die Kerne öfters lang- gezogen, zuweilen selbst mit Einschnürungen versehen, so dass sich um so mehr auf einen Theilungsprozess schliessen lasse, als Furchungskugeln ohne Kern niemals beobachtet wurden. Die Bilder von scheinbar langgezogenen und mit Einschnürungen versehenen Kernen können nach des Ref. Er- fahrungen durch theilweise Deckung zweier schon vorhan- dener Kerne erzeugt werden. Auch beobachtete Ref. der- gleichen Formen bei der Auflösung und dem Auseinander- fliessen des Inhaltes der Kerne. Der Verf. hat endlich auch die Betheilisung des Keimbläschens an den Kernen der Fur- chungskugeln nicht ‘direkt verfolgen können, doch wird sie a a ae rn 23 als wahrscheinlich vorhanden postulirt. — In der Substanz des Sagittendotters unterscheidet Gegenbaur die Grund- substanz und die darin eingebetteten, sehr zahlreichen, sich gegenseitig durch Druck etwas abplattenden Dotterkörper- chen. Diese Körperchen zeigen ähnlich, wie es Ref. bei Strongylus auricularıs beobachtet hatte, eine radienförmige Anordnung um den neu gebildeten Kern; doch bleibt zwi- schen ihnen und dem letztern eine körperchenfreie Gegend. Die exogene Zellenbildung hat J. Henle von Neuem zu vertheidigen gesucht. (Bericht ete. Zeitsch. für rat. Med., dritte Reihe Bd. I. p. 8 fi.) Der Leser wird erwarten, dass der geehrte Verf. Thatsachen beibringe, aus welchen die exo- gene Zellenbildung unzweifelhaft hervorgehe oder auch nur höchst wahrscheinlich gemacht würde. Dieses geschieht nicht. Henle verweiset vielmehr auf die Geschichte der Generatio aequivoca, — eine Geschichte, die uns so klar vor Augen führt, mit welchen Opfern an Zeit, Mühe und Schreibmate- _ rial ein Irrthum aus der Wissenschaft beseitigt werden musste, und die der grösste Anatom und Physiologe unseres Jahr- hunderts mit den Worten abschloss, dass die Generatio aequi- voca der exakten Forschung sich als etwas Unerwiesenes und Unerweisliches entziehe. Ganz mit denselben Worten lässt sich die exogene Zellenbildung abthun, wenn man sich auf den natürlichen Standpunkt stellt, die Beweise für die exogene Zellenbildung abfordert und diese einer gründlichen Kritik unterwirft. Natürlich ist aber dieser Standpunkt, weil die endogene Zellenbildung im ganzen Pflanzenreich und im Thierreich überall, wo sich eine genaue Untersuchung hat anstellen lassen, als eine allgemein verbreitete Thatsache, als ein Naturgesetz für die Zelle nachgewiesen ist, und eine Einsprache dagegen thatsächlich festgestellt werden muss. Unsern Verf. finden wir nicht auf diesem natürlichen Stand- punkte. Indem Henle auf die Geschichte der Generatio aequivoca hinweiset, verlangt er vielmehr, dass wir auf dem histologischen Gebiete überall, wo Zellen entstanden sind, die exogene Bildung derselben auf positivem oder negativem Wege widerlegen sollen. Zu den positiven Thatsachen werden alle Aufschlüsse gerechnet, durch welche der Nach- weis geliefert wird, dass die irgendwo neu aufgetretenen Zellen, namentlich aber solche, welche Henle und seine Anhänger für exogen gebildet verausgabt haben, auch wirk- lich endogen gebildet seien. Den Ausschlag jedoch, so meint Henle, — geben erst die negativen Thatsachen, welche zu beweisen haben, dass mit dem Ausschluss aller Zellen, die zu Mutterzellen werden können, die Neubildung von Zellen, also die exogene Zellenbildung,, unmöglich ge- macht wird. Man sieht wohl, dass der Verf. logisch vorge- schritten ist; allein man überzeugt sich auch leicht, auf wel- chen Widerspruch Henle mit dem grade entscheidenden 24 Postulate gerathen ist, indem er verlangt, dass wir auf histo- logischem Gebiete, also in unserem Organismus alle Zellen excludiren sollen, die möglicherweise zu Mutterzellen werden können. Indem Henle zur Kritik der negativen und posi- tiven Thatsachen gegen die exogene Zellenbildung übergeht, wird es auch sofort klar, dass er es nicht-so ernst mit den negativen Thatsachen gemeint hat. Als Versuch einer sol- chen negativen Beweisführung wird nämlich die Untersuchung Kölliker’s über das Vorkommen von Lymphkörper- chen in den Anfängen der Lymphgefässe (Zeitsch. für wiss. Zool. Bd. 7, p. 182 ff.) angesehen. - Der Chylus, die Lymphe sind früher von Henle und anderen Forschern ebenso wie das Malpighische Netz, der Eiter ete. als Orte bezeichnet, wo exogene Zellenbildung stattfinden sollte. Einen exakten Beweis hat man nicht geliefert und konnte ihn nicht liefern; darum ist in diesen Berichten auch niemals irgend ein Werth auf solche Behauptungen gelegt worden. Es ge- hört in der That nur eine geringe Ueberlegung dazu, sich zu überzeugen, dass hier überall, wie überhaupt in unserem Körper, von einer Ausschliessung solcher Zellen, die als Mutterzellen der neu auftretenden Zellen dienen können, nicht die Rede sein darf, und dass vielmehr die Anhänger der exogenen Zellenbildung anzunehmen beliebten, es seien der- gleichen Zellen nicht vorhanden. Diese Annahmen wurden später beseitigt, indem man mit einer Gewissheit, die unter den obwaltenden Umständen möglich war, diejenigen Zellen nachwies, aus welchen die Zellenbrut sich entwickelt hat. Für die Lymphkörperchen wurde es höchst wahrscheinlich gemacht, dass die Parenchymzellen der Lymphdrüsen die Bildungsheerde derselben seien. Die exogene Zellenbildung nahm nun ihre Zuflucht zu jenen Lymphkörperchen, die in Lymphgefässen vorkommen, welche möglicherweise mit Lymphdrüsen in keiner Verbindung stehen. Kölliker suchte nun zunächst den Thatbestand festzustellen. Er fand, dass in den mächtig gefüllten Lymphgefässen der Leber keine Spur von zelligen Elementen vorhanden war; dagegen zeigte sich eine geringe Zahl den Lymphkörperchen ähnliche Zellen in den starken Lymphgefässen des Samenstranges vom Stier. Henle schliesst daraus, dass die sogenannte negative Beweis- führung missglückt sei. Kölliker macht diese Folgerung nicht; er weiset vielmehr darauf hin, dass möglicherweise die Epithelialzellen der kleineren Lymphgefässe an der Bil- dung der Lymphkörperchen sich betheiligen. Mag indess diese Ansicht Kölliker’s auch noch bezweifelt werden kön- nen, für die exogene Zellenbildung ist dadurch Nichts ge- wonnen und für die endogene Zellenbildung als allgemeines Naturgesetz Nichts verloren. Die exogene Zellenbildung hat sich bereits hier und auch sonst auf Gebiete zurückgezogen, wohin ihr eine exakte Forschung nicht folgen kann, und diese 25 Taktik hat sie mit den Anhängern der Generatio aequivoca gemein. Es scheint dem Ref. zweckmässig, dass man der exogenen Zellenbildung in ihre Schlupfwinkel nicht folge und überall, wo die endogene Zellenbildung nicht genau nachzu- weisen ist, vielmehr einfach das „neseimus“* bekenne, als durch mangelhafte Beobachtung sich eine Blösse gebe, gegen die dann, wie es auch von Henle in seiner Besprechung über die positiven Beweisführungen geschieht, mit vollem Rechte zu Felde gezogen werden kann. Ref. geht auf diese Mitthei- lungen Henle’s, denen er in den meisten Fällen beistimmen muss, nicht näher ein, und glaubt das Kapitel über die exo- gene Zellenbildung nicht früher wieder aufnehmen zu dürfen, als bis die Anhänger derselben nicht blos Behauptungen, sondern auch solche Thatsachen beigebracht haben, die einer genauen Untersuchung und Nachprüfung zugänglich sind. Zu den räthselhaftesten Lebenserscheinungen der Zelle und ihrer Derivate gehören die sichtbaren Bewegungs- erscheinungen. Wir unterscheiden solche, die als Strö- mungen im Zellinhalte sich zu erkennen geben, und solche, die als Formveränderungen der ganzen Zelle oder deren Ab- kömmlinge oder eines Theiles derselben auftreten und am bekanntesten an den Muskelfasern, an den sarcode-ähnlichen Substanzen, an den Cilien sind. Bei den zuletzt erwähnten Bewegungserscheinungen besteht die Kontroverse, ob die Be- wegungsursache in der Membran oder in dem Zellinhalte oder in beiden Bestandtheilen der Zelle zugleich zu suchen sei, obschon nach des Ref. Ansicht Vieles zu Gunsten der Zellmembran spricht. Eine andere Kontroverse berührt die Frage, ob die genannte Eigenschaft in gewissem Grade allen, wenigstens vollsaftigen Zellengebilden zukomme oder erst bei bestimmter, histologischer Ausbildung zum Vorschein trete und also nicht als eine allgemeine Eigenschaft der Zelle anzusehen wäre. In Beziehung auf die letztere Frage sind mehrere Beobachtungen durch Leuckart (die Blasenwürmer ete. Giessen 1856, p. 121 in der Anmerk.) durch W. Busch (Müll. Archiv 1856 p. 415 ff.) und Kölliker (Sur des mou- vements particuliers et quasi spontanes des cellules plasma- tiques de certains animaux. Gaz. hebd. de med. et de chir. No. 45, 1856.) mitgetheilt worden. Leuckart erwähnt, das er an den isolirten Leberzellen eines mit Blasenwürmern gefütterten Kaninchens nicht selten langsame, aber doch sehr deutliche amöbenartige Bewegun- gen wahrgenommen habe. — Busch beobachtete Bewegungs- erscheinungen an den Pigmentzellen der nackten Amphibien. Der Verf. hatte seine erste Beobachtung an einem Stückchen pigmentirter Haut der Froschlarve gemacht; später wurde die Untersuchung an unversehrten Thieren, an jungen Tri- tonen mit äusseren Kiemen und an Froschlarven mit schon entwickelten, hinteren Extremitäten wiederholt. Die Zacken 26 und Strahlen entziehen sich dem Blicke, das sternförmige Pigmentkörperchen wird zu einem Fettklumpen; dann treten die Strahlen wieder hervor, und die sternförmige Form des Körperchens stellt sich unter unseren Augen wieder her, Busch macht darauf aufmerksam, dass sich die durch Kon- traktion herbeigeführten Veränderungen des sternförmigen Pigmentkörpers zwar so ausnehmen, als ob die Strahlen und Ausläufer eingezogen würden und darauf wieder hervortreten, dass aber wahrscheinlich nur die Pigmentkörnchen durch Annäherung der kontrahirten Membran aus den Strahlen ver- drängt werden, und dass dadurch letztere dem Blicke sich entziehen. Man sieht nämlich häufig an der Stelle, wo die Strahlen geschwunden sind, feine, entsprechend verlaufende Linien hinziehen. Desgleichen wurde beobachtet, dass sich von entwickelten, sternförmigen Pigmentkörpern, in Folge der Formveränderung durch die ausserordentliche Kontrak- tilität, scheinbar Partieen von einem Drittheil der ganzen Zelle abschnürten. Anfangs wird die Hauptmasse und das abgelösete Stück noch durch eine mit Pigmentkörnchen ge- füllte Anastomose in Verbindung gehalten; dann schwindet in der letzteren das Pigment gänzlich, und beide Theile scheinen nun völlig von einander getrennt zu sein. Später jedoch findet sich das Pigment wieder ein, und die Anasto- mose wird dadurch in der früheren Weise wieder sichtbar; ebenso stellt sich die ursprüngliche Form des sternförmigen Pigmentkörpers wieder her. Um also die durch die Kon- traktion herbeigeführten Formveränderungen des sternförmi- gen Pigmentkörpers richtig zu beurtheilen, muss nicht über- sehen werden, dass durch veränderte Vertheilung und völlige Verdrängung der Pigmentkörnchen manche Bezirke unsicht- bar gemacht werden. Bestätigen sich die Mittheilungen des Verfassers, so ist die Betheiligung der Zellmembran an der Kontraktion auch hier wiederum klar ausgesprochen. — In einigen Fällen glaubt übrigens Busch die Abschnürung eines Theiles der Pigmentzelle von der Hauptmasse wahrgenom- men zu haben. — Kölliker beobachtete Bewegungserschei- nungen an den Zellen des Mantels einer Ascidie, die dabei . aus der kuglichen Form in die spindel- und sternförmige übergingen, und umgekehrt. Aehnliche Bewegungen zeigten sich an den Zellen des gallertartigen Bindegewebes vom Kopf des Zitterrochens und von der gallertartigen Leibessub- stanz der Cassiopeia borbonica. Die Körnchen des Zellinhaltes wurden bei der Kontraktion in die Strahlen eingetrieben und gingen, bei Rückkehr der Zelle in die Kugelgestalt, wieder in die Höhle derselben zurück. 27 Spezieller Theil. Eier und Samenkörperchen. Die Beobachtungen Reicherts über die Mikropyle der Fischeier und über die Eihüllen derselben im All- gemeinen sind in Müller’s Archiv (1856, p. 83 ff.) nieder- gelegt. Es ist in neuerer Zeit immer dringender das Be- dürfniss hervorgetreten, die oft so komplieirten Hüllen des reifen Eies nach Genese und Beschaffenheit zu sondern und mit entsprechenden Namen zu belegen. Ref. unterscheidet die primitive Hülle des Eies, die Eizellmembran, und die se- kundären Eihüllen. Der Name „Dotterhaut* scheint nach des Ref. Ansicht am passendsten für die primitive Eihülle reser- virt werden zu können. Kölliker hat in seiner Abhand- lung (Untersuch. zur vergleich. Gewebelehre ete.; a. a. O. p- 82) diesen Vorschlag ohne nähere Begründung nicht ac- ceptirt; er scheint lieber den Namen „Primordialschlauch* eingeführt zu sehen, und nimmt die Benennung „Dotterhaut* für die sekundären oder kapsulären Eihüllen in Anspruch, Es ist nun nicht zu leugnen, dass man bisher nicht selten solche Eihüllen mit dem Namen „Dotterhaut“* belegt hat, welche zu den sekundären gerechnet werden müssen. Wenn man aber dem Stande der Wissenschaft entsprechende Son- derungen in den Eihüllen und deren Benennungen vornehmen will, so scheint der Name „Dotterhaut“ am besten auf die ursprüngliche und eigentliche Hülle des Bildungsdotters zu passen; über die Einführung des Wortes „Primordialschlauch“ hat Ref. bereits im allgemeinen Theile sich ausgesprochen. Die sekundären Eihüllen dürften, nach dem Orte der Ent- stehung, zunächst in „Eierstocks- und Eierleiter-Hüllen“ zu trennen sein, wobei zugleich hervorgehoben wurde (p. 87), dass die Eierstockshüllen einen doppelten Ursprung haben können. Es finden sich nämlich Eierstockshüllen (bei In- sekteneiern etc.) vor, die ihre Entstehung den um das Ei ge- lagerten Zellen (Membrana granulosa) des Eierstocks oder der Eierröhren verdanken, während die sekundären Eihüllen der Fischeier mit punktirtem Ansehen als Absonderungspro- dukte der Eizelle selbst sich nachweisen lassen. Der Name „Chorion“, der bald für die primitive Eihülle, bald für die sekundäre in Anwendung gebracht worden ist, scheint in Zukunft der ursprünglichen Bedeutung gemäss für die Hüllen des Embryo reservirt werden zu müssen. Joh. Müller nennt die festeren Eierstockshüllen „capsuläre“ Eihüllen oder Eikapseln und gebraucht die Namen „Schale“, „Eischale*, „Schalenhaut“, für die festeren Eileiterhüllen der Vögel, Amphibien und Selachier. — Obige Unterscheidungen der Eihüllen nach den Verhältnissen, unter welchen sie entstehen, können vorläufig nur als bestimmte Gesichtspunkte für die weitere Verarbeitung des Stoffes betrachtet werden. Die 28 schliessliche Bestimmung, zu welcher Kategorie eine vorlie- gende Eihülle zu rechnen sei, wird nur nach der Genese oder auch nach erkannten chemischen und morphologischen Kriterien der fertigen Eihüllen geschehen können. In beiden Beziehungen stehen unsere Kenntnisse noch sehr zurück, und die Kriterien der fertigen Eihüllen werden sich erst dann sicher festsetzen lassen, wenn die Genese bekannt ist. Aus der Anwesenheit einer einzigen, oder zweier oder mehrerer übereinander gelagerten Eihüllen des fertigen Eies lässt sich nicht mit Sicherheit schliessen, zu welcher Kategorie eine bestimmte Eihülle gehöre. Ist nur eine Eihülle vorhanden, so folgt nicht nothwendig, dass diese die eigentliche, primi- tive Dotterhaut sei, da letztere geschwunden sein kann, und dann bleibt die Wahl zwischen den sekundären Eihüllen. Finden sich zwei oder mehrere Eihüllen und Schichten vor, so sind die möglichen Kombinationen sehr zahlreich, wenn man bedenkt, dass die Eierstocks- und Eileiter- Hüllen aus mehreren Schichten bestehen und die ersteren sogar auch einen verschiedenen Ursprung haben können. An den vom Ref. untersuchten Süsswasserfischen konnten mit Sicherheit zwei Eihüllen unterschieden werden, eine in- nere, meist dickere, festere mit punktirter, chagrinartiger Zeichnung und eine äussere, weniger feste, bald strukturlose (Hecht), bald mit sehr eigenthümlichen Röhrchen versehene (Barsch), bald durch zahlreiche, stäbchenartige Fortsätze sammtartig ausgebildete (Kaulbarsch, die meisten Cyprinoiden ete.) Hinsichtlich des näheren Verhaltens dieser beiden Ei- hüllen verweiset Ref. auf die Abhandlung selbst. Was die Genese dieser beiden Eihüllen betrifft, so muss die chagrin- artig gezeichnete und höchst wahrscheinlich von feinen Röhr- chen durchsetzte innere Haut entweder als eine verdickte Dotterhaut (primitive Eihülle) oder wahrscheinlicher als ein Absonderungsprodukt derselben angesehen werden. Für die zweite Hülle glaubte Ref. eine Entstehung aus den Zellen der Membrana granulosa des Eifollikels annehmen zu müssen, da diese Zellen beim Barsch und beim Hecht in Grübchen dieser Schicht eingebettet lagen; beide Hüllen sind also Eier- stockshüllen. Die Mikropyle der vom Ref. untersuchten Fische zeigte sich in Form eines einfachen Trichters und nicht wie bei Coregonus Palaca (nach Bruch) in Form eines Kanals mit zwei trichterförmigen Oeffnungen. An dem Trichter lassen sich unterscheiden der Eingang, der Grund und der enge Hals. Der Eingang des Trichters ist nach aussen, der etwa 300 lange und !/,oo breite Hals gegen das Innere des Kies gerichtet. In der Umgebung der inneren Öeffnung des Hal- ses breitet sich an der Innenfläche der punktirten Eihülle, die unmittelbar der Dotter begrenzt, eine durchsichtige, hy- aline, ‚gallertartige Eiweisschicht aus. 29 In der ceitirten Abhandlung Kölliker’s (p. 81. ff.) finden sich mehrere, unsere Kenntnisse von den Eihüllen der Fische bereichernde Mittheilungen. Zunächst ist hervorzuheben, dass der Verf. mit Hilfe eines guten Mikroskops an der punktirten Eihülle eine durch die Dicke derselben hindurchziehende, feine parallele Streifung beobachtete. Auch Ref. hat sich nachträglich an feinen Durchschnittehen von Hechteiern von der Anwesenheit solcher feinen Streifenzüge überzeugt. Bei Flächenansichten und an Falten dieser Eihülle waren übrigens, auch mit Hilfe eines W etzlar’schen Instrumentes, diese parallelen Linien nicht deutlich zu unterscheiden, eben weil die Pünktchen an den freien Flächen und die durch sie im mikroskopischen Bilde erzeugten, scheinbaren Streifen- züge die Untersuchung erschweren. Kölliker bemerkt rich- tig, dass man die wirklichen und scheinbaren, parallelen Streifenzüge nicht verwechseln könne, wenn man beide kennt. Wem aber die wirklichen parallelen Streifen nicht bekannt sind, wird durch optische Täuschungen irregeleitet werden können. Durch den Nachweis, dass durch die Dicke der punktirten Eihülle der Fische parallele Streifen hindurchzie- hen, hat Kölliker die Ansicht des Ref., dass die an der Innen- und Aussenfläche der Eihülle sichtbaren Pünktchen Kanälchen angehören, festgestellt. Der Verf. nennt die in Rede stehende Eihülle poröse Dotterhaut. Kölliker unter- scheidet gleichfalls zwei Eihüllen bei den Fischen. Aber er rechnet zur äusseren und zweiten nur die beim Barsch von J. Müller beschriebene Eihülle, in deren Röhren, wie schon erwähnt, Fortsätze der Zellen der Membrana granulosa ein- treten; sie wird Gallerthülle genannt. Die von dem Ref. gleichfalls zur zweiten Hülle gerechnete hyaline und mit kur- zen Fortsätzen versehene Schicht der Fischeier wird als äusserste Lage der porösen, chagrinartig gezeichneten Eihülle der genannten Fische angesehen. Ob die beiden Eierstocks- hüllen der Fischeier verschiedene Lagen einer Kategorie oder verschiedene Kategorien von Eihüllen darstellen, hängt mit der Entscheidung der Frage zusammen, ob sie beide einen “ und denselben oder verschiedenen Ursprung haben. Nun hält es Kölliker ebenfalls für wahrscheinlich, dass beide Eihüllen reifer Fischeier ausserhalb der eigentlichen Dotter- haut gebildet werden, obgleich die letztere an reifen Eiern noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen ist. Es kommt also darauf an, zu entscheiden, ob die bezeichneten Eihüllen reifer Fischeier als Absonderungsprodukte der ursprünglichen Ei- zelle oder .der Membrana granulosa oder die eine auf die erste, die andere auf die zweite Weise gebildet werden. In Betreff der äusseren, tubulären Eihülle des Barsches ist nach den Mittheilungen Kölliker’s wohl kaum mehr zu zweifeln, dass dieselbe der Membr. granulosa ihre Entstehung verdankt. Einen: gleichen Ursprung hat höchst wahrscheinlich auch die strukturlose, durchsichtige, gallertartige, zweite Eihülle der Hechteier (mit facettirter Oberfläche), welche Kölliker bis- her noch nicht gesehen hat. Es ist ferner kaum einem Zweifel unterworfen, dass die chagrinartig gezeichnete, innere Eihülle als ein Absonderungsprodukt der ursprünglichen Dotterhaut auftritt. (Köll., Reich.) Die meisten Zweifel in Betreff der angeregten Frage bestehen hinsichtlich der sammtartig ausgebildeten, äusseren Eihülle vieler Fischeier. Ref. hatte diese zweite Eihülle mit.der zweiten Eihülle der Heechteier parallelisirt, weil die feinen Fortsätze auf einer gallertarti- gen, homogenen Grundlage stehen, welche bei manchen Fisch- eiern stellenweise auch keine Fortsätze trägt und dann sich ganz ähnlich der äusseren Eihülle bei Hechteiern verhält. Nach Kölliker’s Untersuchungen bei Gasterosteus, Cobitis barbatula, Gobio floriatilis bildet sich die sammtartige Eihülle früher als die chagrinartig gezeichnete. Die Fortsätze er- scheinen als kleine Wärzchen an der Dotterhaut, die ganz strukturlos ist und für die eigentliche Dotterhaut gehalten werden muss; nach innen von dieser Wärzchenschicht werden später die punktirt gezeichneten Schichten der „porösen Dot- terhaut“* sichtbar. Der Verf. sieht daher die Wärzchenschicht als die erste durch Absonderungsprodukte der ursprünglichen Eizelle gebildete Eihülle an; die einzelnen Schichten der po- rösen Haut folgen nach. Der Umstand jedoch, dass die sammtartige Eihülle früher als die punktirte auftritt und an der primitiven Dotterhaut haftet, liefert noch keinen voll- kommen sicheren Beweis, dass sie als ein Absonderungspro- dukt der Eizelle zu betrachten sei. Die Erscheinung, dass die Wärzchen an Länge zunehmen und sehr bedeutend an Zahl sich vermehren, während ihre Verbindung mit der Ei- zelle durch das Dazwischentreten der punktirten Haut bereits gelöset ist und nur die Berührung mit der Membr. granulosa Statt hat, dürfte sogar zu Gunsten der Entstehung durch Vermittelung der Membr. granul. verwendet werden können. Nach des Ref. Ansicht muss die Entscheidung der angeregten Frage wenigstens noch in suspenso erhalten werden. Kölliker hat ferner den Nachweis geliefert, dass die von Häckel beschriebenen, eigenthümlichen Fasern der Eier von Belone, Scomberesox Rondeletü, nicht an .der Innen- fläche der eigentlichen Dotterhaut, sondern an der Aussen- fläche derselben sich befinden und mit der sammtartigen Ei- hülle der anderen Fischeier verglichen werden müssen. — Desgleichen wird uns mitgetheilt, dass bei mehreren Fischen, besonders bei Gadus Lota die Wand des Keimbläschens eine messbare Dicke besitze und auf dem scheinbaren Dureh- schnitte eine feine Streifung darbiete, die vielleicht auf Poren zu beziehen sei. Innerhalb des Keimbläschens sah der Verf. bei verschiedenen Fischen (Aspius alburnus, Cobitis barbatula etc.) einige Zeit (12 —24 Stunden) nach dem Tode 3l 1—2 oder mehrere eigenthümliche Bildungen, die bald wie helle, nadelförmige Krystalle, bald wie blasse Fäden oder - Fasern vom Ansehen der Axencylinder sich zeigten. Gelegentlich mag hier noch erwähnt werden, dass der Liquor follieuli Graafiani nach Luschka unter Be- theiligung der Zellen der Membr. granulosa in folgender Weise abgesetzt und gebildet werde. (Würtemberg. naturw. Jahresh. Jahrg. XIII. p. 24 fi.) Es solle hier zunächst in dem von den Blutgefässen abgesetzten Blastem exogene Zel- lenbildung um freie Kerne auftreten, und auf diese Weise die mehrfach übereinander geschichteten Zellen der Membr. granulosa entstehen. Von diesen Zellen verändern die ältesten ihren körnigen Inhalt, werden lichter und setzen eine helle, eiweissartige Substanz ab, die anfangs in grösseren oder kleineren Tropfen neben dem Kern erscheint, später aber zu einer „Homogenisirung“* des ganzen Zellinhaltes führt. Der verflüssigte Inhalt wird nun in verschiedener Weise frei und stellt den Liquor follieuli dar. Regel sei es, dass dieser Inhalt die Zellenwandung durchdringe und als helle, ölähn- liche Tropfen zu Tage trete. Die Zellenwandung ziehe sich in diesem Falle zusammen und fülle sich dann von Neuem. Oder die Zelle zerschmelze, entweder ohne eine Spur zu hin- terlassen oder unter dem Fortbestande des Nucleus, der so- dann zur Grundlage einer neuen Zellbildung diene (? R.). Nicht alle Zellen betheiligen sich an diesem Sekretionspro- zesse; einige erleiden auch eine fettige Degeneration, andere bleiben auf einer früheren Stufe stehen. Wirkliche freie Kerne, die also nicht durch Zerstörung der vorhandeuen Zel- len hervorgegangen wären, hat Ref. im Graaf’schen Follikel niemals vorgefunden. Allen Thompson hat in einer brieflichen Mittheilung an Kölliker (Zeitschr. f. w. Zool. Bd. VII. p. 425 ff.) sich gegen die von Meissner gegebene Darstellung der Bildung der Eier bei Ascaris mystaz ausgesprochen. Nach dem Verf. sollen die Keimbläschen der zuerst sich bildende Be- ' standtheil des Eies sein, wobei es unentschieden gelassen wird, ob dieselben frei oder in Mutterzellen entstehen. In Betreff des Dotters wird die schon im Jahre 1850 veröffent- lichte Ansicht aufrecht erhalten, dass die kleinen Dotterkörn- chen zuerst als Ablagerung auf der äusseren Fläche des Keim- bläschens erscheinen und auch später auf diese Weise sich vermehren. Der so gebildete Dotter solle keine Membran besitzen. Die Entwickelung der Samenkörperchen hat Al- len Thompson gleichfalls bei Ascaris mystax verfolgt (a.a.O.). Wie Ref., so lässt der Verf. im blinden Ende des Hodens diejenigen Zellen auftreten, welche im weiteren Verlauf der Röhre zu den Keimzellen werden, in denen zu je vier die Samenzellen sich bilden. Wie aber bei den Eiern, so sollen 32 sich auch hier die im blinden Ende entstandenen Zellen beim weiteren Vorrücken mit einer dunkleren, körnigen Masse umgeben, die zuerst einer besonderen Umhüllungemembran zu entbehren scheine. In der Folge soll dieser Körper Mem- bran, körnige Inhaltsmasse, Kern und Kernkörperchen her- vortreten lassen. Beim Fortgange der Entwickelung entstehen nun vier Segmente mit radiärer Anordnung der länglichen Körnchen, wie bei Ascaris acuminata. Im untersten Theile der männlichen Organe, in sog. Vas deferens sind diese Seg- mente frei geworden; bei einigen sind die Körnchen noch nahezu radiär angeordnet, bei anderen ist der Inhalt mehr gleichartig körnig. Der äussere Theil dieser Zellen ist un- deutlich (durchsichtig, körnerlos ?R.), oder sehr feinkörnig und lässt ohne Zusatz von Wasser keine Hülle erkennen. Der Kern, oder der das Licht stärker brechende innere Theil, hat ?/; des Durchmessers der ganzen Zelle und besitzt, wie bei Asc. acum. (Ref.) einen kleinen dunklen Kernkörper. Aehnliche Zellen kommen in den weiblichen Geschlechtsor- ganen vor, doch sind dieselben in der Peripherie heller und der Kern ist deutlich halbkugelförmig gestaltet, — Verhält- nisse, welche selten an Körperchen vorkommen, so lange sie im Vas deferens sich aufhalten. Was die flaschen- oder hand- schuhfingerförmigen Samenkörperchen betrifft, die Bischoff fälschlich für Epithelialzellen angesehen hat, so sind diesel- ben aus den halbkugelförmigen hervorgegangen: zwischen beiden sind alle Mittelstufen zu finden. Ref. sah, wie schon im letzten Jahresbericht erwähnt worden ist, die halbkugel- förmigen Körper, nachdem dieselben durch die enge Oeff- nung des Vas deferens in Folge eines Druckes hindurchge- gangen waren, in längliche Formen verwandelt. — Gelegent- lich sei hier noch bemerkt, dass Ref. bei einer Askaride, die sich im Darm der grauen Kröte aufhält, auch in den weiblichen Geschlechtsorganen nur solche Samenkörperchen vorgefunden hat, wie sie sonst in Vas deferens des Hodens bei anderen Askariden vorkommen. Sie stellten runde Zellen dar, in deren Inneren sich der körnige, schwach radiär ge- zeichnete Fleck mit dem dunklen, punktförmigen Kernkör- perchen markirte. Beim Platzen der Zellen wurde der Fleck frei und würde nun nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch das eigentliche Samenkörperchen genannt werden müssen. Auch bei Ascaris mystax lässt sich der halbkugelförmig ver- wandelte Fleck bei vorsichtiger Behandlung. der weiblichen Geschlechtsorgane als Inhalt einer Zelle sehr häufig darstel- len. (Vergl. Jahresb. vom Jahre 1855; Müll. Arch. 1856 p. 37.) An den Samenkörperchen der Nematoden sind neu- erdings von A. Schneider Bewegungen wahrgenommen worden. (Monatsb. der Königl. Preuss. Akad. d. W. zu Ber- lin, 1856 p. 192 ff.) Der Verf. scheint auf die selbstständigen Bewegungen ‚dieser Samenkörperchen zuerst dadurch auf- f j 33 merksam gemacht worden zu sein, dass dieselben bei An- giostoma limacis nicht allein in der Gebärmutter zwischen den in der Entwickelung begriffenen Eiern sich vorfinden, sondern auch darüber hinaus bis in die Tuben vorrücken und hier zwischen dem von der Eierstocksröhre hineinge- pressten Ei und der Röhrenwand, eins nach dem anderen durchkriechen. Es scheint Schneider undenkbar, dass eine etwaige peristaltische Bewegung der Tuben Eier und Samenkörperchen gleichzeitig nach entgegengesetzten Rich- tungen bewegen könnte, und so wäre also hiernach schon die Annahme einer eigenen Bewegung der Samenkörperchen unvermeidlich. Dem Ref. scheint diese Annahme nicht noth- wendig. Das besprochene Phänomen findet sich auch bei Ascaris megalocephala, bei welcher der Verf., desgleichen bei der oben erwähnten Ascaride der grauen Kröte, bei wel- cher Ref. keine Spur einer eigenen Bewegung der Samen- körperchen bemerkt haben. An freien Samenkörperchen zei- gen sich die auf die eigene Bewegung bezüglichen Formver- änderungen selten im reinen Wasser, häufiger im Eiweiss des Hühnereies und vorzüglich deutlich in Kochsalzlösungen von sehr verschiedener Konzentration. Im Hühnereiweiss ziehen sich anfangs einzelne Streifen über das Bläschen hin- weg; dann beginnt der Rand sich zu kräuseln, einzelne Er- hebungen tauchen auf und verschwinden, um an derselben Stelle von Neuem zu erscheinen, wobei der Kern förm- lich herumgeschleudert wird. Nach einiger Zeit entsteht eine ganz verwickelte, nicht genau zu beschreibende Gestalt. Eine Ortsveränderung in einer bestimmten Richtung trat nirgend hervor. Auffallend ist, dass die Formveränderungen des Körperchens in Salzlösungen von den im Eiweiss auftreten- den sich unterscheiden. Aehnlich wie in den Salzlösungen sind die Bewegungen in Zuckerlösungen, aber von germ- gerer Lebhaftigkeit. Selbst schwache alkalische Lösungen zerstören die Samenkörperchen. Die Bewegungen wurden beobachtet bei: Ascaris acuminata, Cucullanus elegans, Medru- ris androphora, Strongylus auricularis. Ueberall aber treten die Bewegungen erst im Uterus auf, in welchem die Samen- körperchen ihre vollständige Entwickelung vollenden. Bei Strongylus auricularis zeigen die spindelförmigen Samenkör- perchen im Hoden, wie bei den übrigen Nomatoden, keine Bewegung. In den weiblichen Geschlechtsorganen werden diese spindelförmigen Körperchen bläschenförmig, und dann bemerkt man an der am breiten Ende sichtbaren hellen Sub- stanz amöbenartige Bewegungen. Ref. hat bei seinen frü- heren Untersuchungen die plötzliche Umwandlung des ovalen, bläschenförmigen Samenkörpers des Strong. auricularis in die langgezogene Spindelform recht oft beobachtet. Der umge- kehrte Fall war ihm damals nicht vorgekommen. Eine Ent- wickelungsphase vermag Ref. darin ebenso wenig zu erken- Müller’s Archiv, 1857. Jahresbericht. A (6; 34 B nen, als bei der oben besprochenen Umwandlung des halb- kugelförmigen Kerns der Samenkörperchen oder, wenn man will, der Samenzelle bei Ascaris mystax in die Köcherform. Wenn aber das spindelförmige Samenkörperchen bei Stron- gylus auricularis wieder oval und bläschenförmig wird, so kann die vom Ref. damals gegebene Erklärung über die plötz- liche Umwandlung der letztern Form in die Spindelgestalt nicht richtig sein, und es liegt dann sehr nahe, diese Form- veränderung nicht als Entwickelungsphase, sondern als Kon- traktions- und Dilatationserscheinung aufzunehmen, wozu Ref. schon damals sehr geneigt gewesen ist. Epithelien. Durch Eckhardt’s Untersuchungen ist bekanntlich die Aufmerksamkeit der Histologen auf das Epithelium der Geruchschleimhaut gewendet worden. Es haben sich mit diesem Gegenstande beschäftigt: Ecker (Bericht über die Verh. der Ges. für Beförderung der Naturwis. zu Frei- burg.; 1855 p. 199 ff. und Zeitsch. für wiss. Zoolog. Bd. VI1l. p- 303 fi.); M. Schultze (Monatsb. der Berliner Akad. d. Wiss. 1856, p. 504 fi.); Seeberg (Disquisit. microscop. de textura membr. pituit. nasi. Dorpati Livon. 1856); Kölli- ker (Würzburg. Verhandl. Bd. VII. p. 31 ff.; Ausbreit. der Nerven in der Geruchsch. der Plagiostomen). Ecker hat seine Untersuchungen an den Leichen zweier Hingerichteten angestellt und liess sich dabei von der An- sicht leiten, dass ähnliche Verbindungen, wie sie zwischen den Retinastäbchen und dem Corti’schen Organe einerseits und den betreffenden Nervenfaserenden anderseits angenom- men werden, auch bei dem Geruchorgane zu suchen seien. Diese Unterlage der Untersuchungen ist dem heutigen Stande der Wissenschaft angemessen; allein man darf auch nicht ausser Acht lassen, dass die Akten über die Endigungsweise des Nervus optieus und acusticus noch keineswegs abge- schlossen sind, und dass also die Analogie hier auf einer noch nicht völlig gesicherten Basis vorschreitet. Noch bevor der Verf. zur Kenntniss der Eckhardt’schen Beobachtungen gelangt war,. hatten die lang ausgezogenen Enden der Cy- linderzellen des Epitheliums der Geruchschleimhaut ihm die Frage aufgedrängt, ob nicht etwa die Epitheliumzellen als Analoga der Retinastäbchen und der Corti’schen Organe aufgenommen werden könnten, obschon bekanntlich derartig geformte Cylinderzellen auch an anderen Orten, so z. B. in der Trachea anzutreffen sind. Die Resultate seiner letzten Untersuchungen über das Epithelium der Riechschleimhaut sind nun folgende. Vorn an der Scheidewand und an den Seitenwänden der Nase befindet sich bekanntlich mehrfach geschichtetes Pflasterepithelium. An den Seitenwänden liegt die Begrenzungslinie etwas weiter nach hinten; das vordere | | 35 Ende der unteren Muschel, sowie des unteren Nasenganges sind noch mit Pflasterepithelium versehen. An dem ganzen übrigen Theile der Geruchschleimhaut breitet sich Cylinder- epithelium in zwei verschiedenen Formen aus. Bis zum sog. Locus luteus und der Regio olfactoria findet sich flimmerndes und zwar angeblich mehrfach geschichtetes Flimmerepithe- lium vor. Es lassen sich darin zwei Formen von Zellen unterscheiden: die eigentlichen Flimmerzellen und die ısog. Ersatzzellen. Die flimmernden Zellen sind von eirca 0,090 Mm. Länge, besitzen einen langen, nicht getheilten Stiel, den Kern und ziemlich lange, deutliche Cilien. Die zwischen ihnen ‚gelagerten Ersatzzellen sind von gleicher Länge, jedoch meist breiter und bauchig aufgetrieben. Das freie Ende trägt nie- mals Cilien, scheint bald geschlossen, bald becherförmig ge- öffnet. Ein deutlich begrenzter Kern ist meist nicht vorhan- den. Die Annahme, dass sie Ersatzzellen seien, bietet sich am natürlichsten dar. Auf der anderen Seite widerspricht dieser Deutung die schon eingetretene Alteration des Zell- körpers. Das Epithelium des Locus luteus flimmert nicht; seine Zellen werden „Riechzellen* genannt. DieRiechzellen bedecken bei Säugethieren die ganze nicht flimmernde, pig- mentirte Regio olfactoria, beim Menschen dagegen nehmen sie nur einen ganz kleinen Theil derselben, nämlich den hin- tersten-und obersten ein. Die charakteristischen Eigenschaf- ten der Riechzellen sind folgende. Das feine Ende der Zelle ist ohne Flimmerhaare, das befestigte, lang ausgezogene Ende läuft in einen fadenförmigen Fortsatz aus, der sich zu wie- derholten Malen dichotomisch theilt und an der Theilungs- stelle gewöhnlich eine feinkörnige Anschwellung besitzt. Die terminalen Fäden sind von ausserordentlicher Feinheit. Zwi- schen den sog. Riechzellen liegen die Ersatzzellen eingebettet. Unter den Riech- und Ersatzzellen, unmittelbar auf der Schleimhaut liegt endlich eine Schicht von theils rundlichen, theils mehr unregelmässigen, öfters mit Fortsätzen versehenen Zellen, zwischen welehen sich die Wurzelfäden der Riech- zellen einsenken und, wie es scheint, Verbindungen unter- "halten. Ein bestimmter Beweis, dass die Fasern des N. ol- factorius mit den Epithelium-Zellen, insbesondere mit den fadenförmigen Ausläufern und den zuletzt erwähnten Zellen zusammenhängen, konnte nicht geliefert werden. Nach Seeberg geht das Pflasterepithelium im unteren und vorderen Theile der Nasenhöhle etwa 4 hinter der äus- seren Nasenöffnung durch eine Uebergangsstelle in das Flim- merepithelium über. An der Uebergangsstelle besteht das Epithelium aus polygonalen Zellen, die allmälig kleiner, rund- licher, dicker werden; dann nehmen sie plötzlich konische Form an und bedecken sich mit Cilien. Diese Umwandlung findet gegen den unteren freien Rand der unteren Muschel hin statt. Die konischen Zellen sind anfangs noch klein, G* "36 granulirt und enthalten in der Mitte den Kern. Die Cilien sind länger als gewöhnlich. Das Flimmerepithelium breitet sich dann über die ganze Nasenhöhle, auch über den Locus luteus, desgleichen über die Nebenhöhlen aus; ausgenommen sind die Stirnhöhlen. Wo das Flimmerepithelium auftritt, finden sich im Substrat auch Schleimdrüsen vor. Auch der Verfasser rechnet das Flimmerepithelium zu den mehrfach geschichteten (?R.). Die konischen, oberflächlich gelagerten Zellen nehmen von der oben bezeichneten Stelle an alsbald an Länge zu. Die grösste Länge erreichen sie sowohl an der Nasenscheidewand als an den Seitenwänden in der Ge- gend, wo die untere Muschel an der Crista turbinalis be- festigt ist. Ihre Länge beträgt dann 0,006” — 0,009". Die Länge der Cilien zeigt nicht die Unterschiede, welcheEckhardt angegeben hat; die Cilien sind vielmehr überall von gleicher Länge und Dicke. In der Gegend des Locus luteus, der übrigens mit einer mehr verwaschenen Grenze aufhört, wer- den die konischen Flimmerzellen wieder kürzer und erreichen eine Länge von 0,004”"—0,0005"' P. Die Ränder der Zellen werden zugleich blass, der granulirte Inhalt erscheint dunk- ; ler und dichter, der Querdurchmesser im Vergleich zum | Längsdurchmesser vergrössert. Die Zellen verlieren leicht ihre Cilien und sind leicht zerstörbar. Von dem Befesti- | sungsende der Cylinderzellen tritt zwischen die darunter ge- legenen rundlichen Zellen ein fadenförmiger Ausläufer, der bisweilen in seinem Verlaufe Anschwellungen zeigt, auch in mehrere feine Aeste sich spaltet, an welchen die rundlichen Zellen der tieferen Schicht adhäriren und sich nur durch Druck entfernen lassen (Frosch). Zwischen den konischen, cilientragenden Zellen und zum Theil unter denselben finden sich langgestreckte Zellen, deren unterer Theil keulenartig angeschwollen ist und in der Anschwellung einen Kern ent- hält. Von der Anschwellung aufwärts geht ein oblonger, eylindrischer, stumpf endigender Fortsatz ab, der keine Cilien trägt. Das untere Ende dieser Zellen läuft in einen faden- förmigen Fortsatz aus, der sich zwischen den halbrunden Zellen der tieferen Schicht verliert. Es sind die Zellen, welche Ecker als Ersatzzellen der Flimmerzelle bezeichnet hat. Die ovalen und elliptischen Zellen der tieferen Schicht werden gegen das Substrat der Schleimhaut hin rundlich; ob auch von ihnen feine fadenförmige Fortsätze abgehen, liess sich nicht mit Sicherheit ermitteln. Der Verf. fügt hinzu, dass es diese Zellen sein werden, welche von anderen For- schern als Kern der fadenförmigen Fortsätze der konischen Zellen bezeichnet werden. — Ein bestimmter Nachweis, dass der fadenförmige Ausläufer der Flimmerzelle mit den faser- förmigen Ausstrahlungen des Bulbus olfactorius, die aber nicht für Nerven gehalten werden, in kontinuirlicher Verbin- dung stehe, wird auch hier nicht geliefert: der Verf. hält 37 vielmehr mit Eckhardt und Ecker eine solche Verbindung für wahrscheinlich. M. Schultze unterscheidet im Epithelium der Regio ol- factoria aller Wirbelthiere zwei Formen von Zellen. Die eine Art stellt die eigentlichen Epithelialzellen dar, denen ähnlich, die auch im übrigen Theile der flimmernden Riech- schleimhaut vorgefunden werden. Diese Zellen sind lang gestreckt, am freien Ende annähernd sechsseitig prismatisch und gehen central in einen längeren oder kürzeren Fortsatz aus, der in der Nähe des bindegewebigen Substrats sich ver- breitern und mit mehreren feinen Ausläufern enden soll. Die Fortsätze der einzelnen Zellen sollen auch durch seit- liche Ausläufer untereinander in Verbindung treten (? R.). Beim Menschen, bei Säugethieren, Vögeln, Amphibien hat diese erste Art von Zellen in der Regio olfactoria keine Cilien; sie geht aber allmälig in die Wimperzellen der übri- gen Schleimhaut über, wobei sie kürzer wird, die verästelten Fortsätze verliert und die Basis mit Cilien bedeckt. Die vom Verf. sogenannten eigentlichen Epithelzellen der Regio olfactoria sind oft der Sitz einer Pigmentablagerung, welche in Verbindung mit der gleichzeitig vorhandenen Pigmentirung der Schleimdrüsenzellen Ursache der gelblichen Tinktion der Regio olfactoria ist. Beim Menschen und bei dem Meer- schweinchen sind die Pigmentkörnchen in dem prismatischen Zellenkörper, beim Hunde, bei der Katze, beim Schaf und Pferde in dem centralen Fortsatze enthalten. Zwischen den Epithelialzellen der Reg. olfactoria finden sich bei allen Wir- belthieren die zweite Art von Zellen, die sich mit den „Er- satzzellen* Ecker’s und Seeberg’s vergleichen. lässt, und von denen es eigentlich unbestimmt geblieben ist, ob sie zur progressiven und nicht vielmehr zur regressiven Metamor- phose gehören. Sie bestehen aus einem mittleren, kernhal- tigen, in verschiedener Höhe zwischen den Epithelzellen ge- legenen Zellenkörper und aus zwei in entgegengesetzter Rich- tung davon abgehenden feinen Fortsätzen. Beide Fortsätze zeichnen sich durch die leichte Zerstörbarkeit aus, und durch die Neigung, — namentlich der centrale, — Varicositäten zu bilden, wodurch sie das Ansehen feinster Nervenfasern erhalten sollen. Der centrale Fortsatz ist feiner, auch länger und läuft ohne Verästelungen oder Theilungen bis zum bin- degewebigen Stroma des Schleimhaut-Substrats, an welchem er bei jeder Präparation, die ihn isolirt, auch abreisst. Der peripherische Fortsatz beginnt an dem Zellenkörper ziemlich breit, verschmälert sich aber schnell bis auf 0,0004—-0,0008" P. Es sind die eben beschriebenen Zellen, welche nach dem Verf. an ihrem freien Ende beim Frosch mit ausserordent- lich langen (bis zu 0,04” P.), leicht zerstörbaren Flimmer- härchen bedeckt sind. Die Bewegungen dieser Cilien in Hu- mor aqueus (! R.) sind nur schwach, nicht gleichförmig, 38 bringen auch nie einen Strudel in der umgebenden Flüssig- keit zu Stande und hören bald (1 Stunde nach dem Tode) auf. Der Verf. hat etwa 6—10 Cilien an der Zelle unter- scheiden: können. Da mindestens 4—6 solche Wimperzellen um eine wimperlose Epithelzelle gestellt sind, so sei erklär- lich, dass man an der unverletzten Schleimhaut die durch die Epithelzellen gebildeten Lücken in der Anordnung der Cilien nicht wahrnehme. _ Stärkere und schwächere Chrom- säurelösungen zerstören die Cilien und zum Theil auch die varikösen Faserzellen. Ganz ähnliche Bildungen, wie beim Frosch, finden sich in der Regio olfact. von Salamandra ma- culata, Bufo variegatus, Coluber natrix, Angquis fragilis, La- certa (agilis ? R.) und bei vielen Vögeln. Bei den Fischen, Säugethieren und beim Menschen fehlen die haarförmigen, langen Cilien an den beschriebenen Zellen. An ihrer Stelle fand der Verf. an erhärteten Präparaten kleine, 0,001 — 0,002" P. lange, stäbchenförmige Gebilde, welche durch eine scharfe Queerlinie vom Zellenfortsatz abgegrenzt sind und hier sich leicht ablösen. Mit Rücksicht auf die leichte Zer- störbarkeit der in Rede stehenden Bildungen, desgleichen auf ihre Uebereinstimmung im Habitus mit den Fortsätzen der Ganglienzellen, namentlich mit gewissen radiären Fasern der Retina, in Erwägung endlich, dass dergleichen Bildungen bei anderen wirklichen Epithelien nicht vorkommen sollen, glaubt M. Schultze sich berechtigt, die fraglichen Gebilde für Nervenelemente zu halten und als „Nervenzellen * der Regio olfact. bezeichnen zu können. Auch der Verf. hat den kontinuirlichen Zusammenhang der centralen Fortsätze dieser mit den terminalen Fasern des N. olfact. nicht beobachtet; er schreibt dieses jedoch dem Uebelstande zu, dass durch die zur Untersuchung nöthige Maceration die ganze Epithe- lialschicht mit Einschluss der Nervenzellen von der. binde- gewebigen, nervenreichen Unterlage gelöset werde. Dagegen glaubt Schultze sich überzeugt zu haben, dass der Nervus olfact. an der freien Grenze des Substrats der Schleimhaut sich in feine Fasern auflöse, die ganz den Habitus der cen- tralen Fortsätze seiner Nervenzellen besitzen, und dass diese letzten Enden des Riechnerven zwischen den Befestigungs- enden der Epithelzellen sich ausbreiten. Das flimmernde Epithel der Geruchschleimhaut der Pla- giostomen ist nach Kölliker mehrfach geschichtet und im Wesentlichen von gleichem Verhalten, wie das mehrfach ge- schichtete Epithel beim Menschen, nur dass die Zellen ihre Gestalt viel mehr wechseln. Neben den gewöhnlichen Epithel- zellen finden sich auch grössere Zellen von birnförmiger oder eylindrischer Gestalt mit feinkörnigem Inhalt, die wohl mit den von Leydig beim Stör gefundenen birnförmigen, soge- nannten Schleimzellen identisch sind. Die grosse Mehrzahl der Zellen gehen an ihrem peripherischen, unteren Ende in u Se a u nr aa in ae ann hin un a ne nn 39 feine, oft knotig anschwellende Fäden aus. Nach einigem Verweilen der Geruchschleimhaut im Wasser oder Chrom- säure löst sich das Epithel mit grosser Leichtigkeit von dem Schleimhautsubstrat ab, und letzteres zeigt dann immer eine ‚ ganz glatte, reine Oberfläche, ohne Spuren von abgerissenen Fäserchen. In Grundlage dieser Untersuchungen, sowie in Berücksichtigung des Umstandes, dass knotige Ausläufer der Epithelialzellen auch an anderen Stellen. des Körpers (Tra- chea) vorkommen, endlich in Erwägung der gewichtigsten, aprioristischen Bedenken spricht sich Kölliker gegen die Annahme eines Zusammenhanges zwischen den Zellen des Epitheliums der Riechschleimhaut und den Nervenfasern des N. olfact. aus. — Referent hat dieselbe Ansicht bereits im vorjährigen Jahresberichte veröffentlicht und sich dabei auf Präparate gestützt, die ihm Dr. Hoyer im Jahre 1856 hier im physiologischen Institute vorgelegt hatte. Die Inaugural- abhandlung des Dr. Hoyer ist im Jahre 1857 in Berlin er- schienen. Durch die Entdeckung des Flimmerepitheliums im Neben- ‚ hoden des Schweines und im Kopfe des menschlichen Neben- hodens ( Wiener medieinische Wochenschrift 1856 Nr. 12) wurde OÖ. Becker veranlasst, das Epithel der Geschlechts- organe sowohl der Vögel und Säugethiere, als des Menschen einer genaueren Untersuchung zu unterziehen, deren Resul- tate in Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen etc. (Bd. II. p. 71 ff.) niedergelegt sind. Beim Menschen und den Säugethieren sind nicht allein die Aus- führungsgänge (Fimbriae und Tuba) der Eierstöcke, sondern auch die der Hoden (Vasa efferentia) mit einem einfachen Flimmerepithelium ausgekleidet. Flimmerepithelium und Flim- merbewegung sind hier von Geburt an vorhanden und blei- ben unverändert, sowohl während der normalen Ausbildung des Organismus bis zur Pubertät, als auch während der zeit- weisen Veränderungen in der weiblichen (Bildung und Los- lösung von Eichen, Menstruation, Schwangerschaft) und in den männlichen (erregte oder stockende Samenbereitung, Ejakulation) Geschlechtsorganen nach Eintritt der Geschlechts- reife. Der Verf. stellt auch namentlich in Abrede, dass die Flimmerbewegung in den Tuben der Kaninchen nach dem Durchgange der Eichen aufhöre, wie es Bischoff angiebt. In beiden Geschlechtern wird durch die Flimmerbewegung ein konstanter Strom in der Richtung von den keimberei- tenden Organen nach dem Aufbewahrungsorte der Keime her- vorgebracht. Ausserdem wurde beim Weibe in den Kanälen des Nebeneierstocks, beim Manne in den ungestielten und gestielten Hydatiden des Morgagni und im Uterus maseulinus Flimmerepithelium beobachtet. Vergeblich hat der Verf. nach Flimmerepithelium im W olff’schen Körper, seinem Ausfüh- rungsgange und im Müller’schen Faden bei Säugethieren 40 gesucht, obgleich Kölliker bei Eidechsenembryonen Flim- merbewegung im Wolff’schen Körper gesehen hat. Wann in den oben bezeichneten Ausführungsgängen der keimberei- tenden Geschlechtsorgane die Flimmerbewegung im Embryo auftrete, war nicht zu bestimmen. Das Vorhandensein dersel- ben zur Stunde der Geburt zwingt aber zu der Annahme, dass Flimmerzellen schon im Fötus gegeben sein müssen, obschon der Verf. selbst einige Tage vor der Geburt vergeblich da- nach gesucht hat. Im Uterus, im Nebenhoden und Vas de- ferens findet sich bei der Geburt Cylinderepithelium, welches zur Zeit der Pubertät in dem nach den Ausführungsgängen der keimbereitenden Organe gerichteten, oberen Theile mit Cilien besetzt ist. (Fundus uteri, Nebenhodenkopf.) Das mehrfach geschichtete Epithel des Nebenhodenkanals besteht zur Zeit der Geburt aus Zellen, die sich in ihrer Form und Grösse in allen Schichten gleichen. Mit dem Wachsthum des Nebenhodens verlängern sich die Zellen der obersten Schicht, (beim Pferde bis 0,07 Mm.) sind sehr zartwandig, schwach kontourirt, völlig eylindrisch, grad abgesetzt, mit grossen, konstant unter der Mitte sitzenden Kernen und zur Zeit der Pubertät mit Cilien von ungewöhnlicher Länge be- kleidet. Bei Menschen wechselt die Beschaffenheit der Zellen im mehrfach geschichteten Epithelium des Nebenhodenkanals, Doch hat Becker bemerkt, dass die oberste Schicht beson- ders dann die oben beschriebenen Eigenschaften zu Tage treten lässt, wenn der Kanal von Samen erfüllt ist. Die Ci- lien der Zellen erreichen hier die Länge von 0,035 Mm. Ge- gen den Schwanz des Nebenhodens hin fehlen die Cilien, und im Schwanze selbst kommen Epithelialzellen von unge- wöhnlich grossem Queerdurchmesser vor, die auf das Vor- bandensein eines Plattenepithelium hindeuten. Im Vas defe- rens wird das Epithel wieder einfach eylindrisch und geht im weiteren Verlauf in pflasterförmiges Epithel über, das auch in den Samenblasen vorgefunden wird. Was den Uterus betrifit, so trägt derselbe bei Neugebornen kein Flimmerepi- thelium, wie bereits angegeben wurde, obschon die eylindri- schen Zellen im Fundus schon die Länge, wie bei Erwachse- nen, haben (0,04 Mm.). Bei Erwachsenen findet 'sich, wie Henle und Gerlach richtig angeben, im Cervix uteri eine Fortsetzung der Epidermis der Scheide; das cylindrische Flimmerepithelium tritt erst gegen den Grund der Gebär- mutter hin auf. Während der Periode und der Schwanger- sehaft erleidet allein dieses letztere Epithelium die bekannten Veränderungen. Während der Periode wird es abgestossen und später neugebildet, und während der Schwangerschaft verliert es seine Cilien, ausgenommen bei Kaninchen, bei welchen die Schleimhaut in der Spitze der Uterushörner auch während der Schwangerschaft flimmert. Es lässt sich also im Allgemeinen als Regel festsetzen, dass das Flimmerepi- 4l thelium, welches in dem für die Aufbewahrung und Ausbil- dung der Keime bestimmten Abtheilung der Leitungsapparate vorkommt (Fundus uteri, Nebenhodenkopf), in einem bestimm- ten Zusammenhange mit den funktionellen Vorgängen in den Geschlechtsorganen sich befindet; es schwindet im Uterus während der Periode, büsst seine Bewegungen ein während der Schwangerschaft und bildet sich dann später wieder von Neuem; es besitzt im Kanale des Nebenhodens seine höchste Ausbildung, wenn der Nebenhode von Samen strotzt, es ver- kümmert, wenn der Nebenhode keinen Samen enthält und wird vielleicht bei jeder Ejakulation mit fortgerissen und zer- stört. — Auch bei den Vögeln (Sperling, Schwalbe, Huhn, Gans, Taube) findet sich in: den Vasa efferent. des Hodens Flimmerepithelium. Das Epithel der Vaginalportion des Uterus be- schreibt E. Wagner in der herkömmlichen Weise und im Anschluss an Kölliker’s Handbuch der Geweblehre (1. Aufl. S. 345). Wegen der Vielgestaltigkeit der Zellen in dem ge- schichteten Pflasterepithelium glaubt der Verf. eine Analogie mit dem sogenannten Uebergangsepithelium der ableitenden Harnwege zu finden. In den tieferen Lagen tritt die poly- gonale Gestalt der oberflächlichen Zellen mehr zurück; letz- tere sind kleiner, weniger glatt, zum grösseren Theil läng- lich, entweder spindelförmig oder keulenförmig, und enthalten einen verhältnissmässig grossen, meist ovalen, selten rund- lichen oder spindelförmigen Kern, der zuweilen doppelt vor- handen ist. Im Inhalt der Zellen wie der Kerne, besonders der obersten Lagen, finden sich nicht selten einzelne kleine Körnchen, die zuweilen fettig glänzen. Die Epithelzellen der tiefsten Lagen sollen sich ähnlich, wie im Rete Malp. der Haut verhalten, nämlich cylindrisch sein. (Vierordt, Archiv für phys. Heilk. Jahrg. 1856, p. 498.) Nach Stilling’s Beobachtung (Neue Unters. über den Bau des Rückenmarks. Frankfurt a. M. 1856; p. 8 u. 21.) besitzen die Cylinderzellen des Epithel im Gentralkanal des Rückenmarks Cilien von 0,003—0,006”’ Länge. An den Prä- paraten des Prof. Jacubowitsch, die Ref. hier zu Breslau zu sehen Gelegenheit hatte, war gleichfalls an der freien Basis der Cylinderzellen öfters eine streifige Substanz sicht- bar, welche auf das Vorhandensein von Cilien gedeutet wer- den konnte. Die Zahl der Zellen, die im Querschnitt das Lumen des Kanals umgeben, wird auf 100 angegeben. Die Cylinderzellen sollen durch feine, kurze, grade Fäden von 0,0006’ sich untereinander verbinden. Ihr Befestigungsende läuft in einen langen, faserartigen Fortsatz aus, welcher von den sogenannten Elementarröhrchen der Nervenfasern nicht zu unterscheiden ist. Diese ’Fortsätze sollen ferner einzeln oder zu 2—3 verbunden in die den Kanal umgebende graue Substanz eindringen und mit den Nervenzellen und Nerven- . 42 fasern in kontinuirliche Verbindung treten. Sie gehen ferner aus der grauen Substanz in den weissen Mantel des Rücken- marks, hängen daselbst mit doppelt kontourirten Nervenfasern zusammen und strahlen namentlich an dem Suleus..med. ant. und an der Fiss. med. post. in die Pia mater aus. Ueber die streifigen (porösen) Absonderungsprodukte (Epi- thelialsäume) an den freien Flächen der Epithelien hat Kölliker (Untersuchungen zur vergleichenden Gewebelehre ete. Würzburg. Verh. 1856) eine grosse Reihe einzelner Be- obachtungen mitgetheilt. Die hauptsächlichsten Resultate sind bereits im allgemeinen Theile angegeben. Ref. glaubt hier noch folgende Einzelnheiten hervorheben zu müssen. Ge- streifte Epithelialsäume fanden sich deutlich im Klappendarm der Plagiostomen, ferner bei Chimaera im Spiraldarm, wäh- rend bei Cepola und Gobius im Dünndarm nur leicht ver- dickte Säume ohne Streifung an den Zellen sichtbar waren. Bei den Aalen beobachtete der Verf. gestreifte Säume und zugleich Flimmerung. Bei Sphagebranchus imberb. zeigten sich im Dünndarm flimmernde und flimmerlose Stellen, und letztere werden von Zellen mit streifigen Säumen bedeckt. Aehnlich verhält sich Muraena helena; dagegen fehlte die Flim- merung bei Conger vulgaris, myrus, niger. Verdickte Säume mit Streifen und zugleich Flimmerung wurde im Darmkanal bei vielen Strahlthieren vorgefunden. Bei Holothuria tubul. war nur ein ausgezeichnet streifiger Epithelialsaum vorhanden. Der Verf. wirft hier gelegentlich die Frage auf, ob nicht die gestreiften Epithelialsäume aus früher dagewesenen Flimmer- säumen sich hervorbilden. An dem ziemlich dieken, strei- figen Saum der Darmecylinderzellen von Ozyuris vermicularis beobachtete der Verf. bei Zusatz von Wasser ein Zerfallen in einzelne Fäserchen, so dass das Ansehen eines Flimmer- saumes entstand. Ausgezeichnete Epithelialsäume besitzt der Darm der Aplysia. Bei Arenicola findet sich im Darm nur ein mässig verdickter Epithelialsaum ohne wahrnehmbare Streifen, der aber bei einem nicht ganz frischen Thiere nach längerem Liegen im süssen Wasser enorm aufquoll und so zer- fiel, dass er auf das Täuschendste aus 0,0015—0,002" langen, dicht beisammenstehenden Cilien gebildet erschien. Bei einer Annelide, Cirratulus, machte Kölliker die auffallende Beob- achtung, dass die Outicula an der äusseren Oberfläche des Körpers durch Zusatz von Kali in Härchen zerfiel, an wel- chen sich darauf ein ziemlich lebhaftes Flimmern be- merkbar machte (p. 66.) Im allgemeinen Theile des Berich- tes ist angeführt worden, dass Kölliker die Chitinskelete wirbelloser Thiere zu den, aus Absonderungsprodukten der Epithelien gebildeten Bestandtheilen rechnet. Für diese An- sicht sind sehr gewichtige Thatsachen beigebracht, und Man- ches wird uns durch diese Auffassung verständlicher. Auf der anderen Seite ist aber auch nicht zu vergessen, dass wir 43 in den Sehnen der Muskeln wirbelloser Thiere (Krebse ete.) unzweifelhaft chitinisirte Bindesubstanzgebilde besitzen. (Leydig). In Betreff des mehrfach geschichteten Pflasterepi- theliums bemerkt Leydig (Lehrb. der Histolog. p. 39), dass die zackigen Formen, welche man als eine Eigen- thümlichkeit des Epithels des Blasenhalses ansieht, überall in den unteren Lagen der geschichteten Plattenepithelien bei den Wirbelthieren vorkommen, wovon man sich namentlich nach Aufbewahrung der Präparate in doppelchromsaurem Kali überzeuge. — Ref. hat diese zackigen und strahligen Formen bisher für Kunstprodukte gehalten. Wie leicht vollsaftige, mit einem konsistenteren Inhalt versehene, rund- liche Zellen, wie es scheint, nach jedesmaliger Zerstörung der Zellmembran, zackige und strahlige Formen anneh- men können, ist bekannt. Durch einfache mechanische Zer- rungen werden die pigmentirten Epithelialzellen der Membrana pigmenti vieler Thiere zackig und strahlig. Auf gleiche Weise entstehen die zuerst von Remak beschrie- benen sternförmigen Pigmentzellen im Malpighi- schen Netz, namentlich der Haare. In anderen Fällen bilden sich die bezeichneten Formen beim Einschrumpfen der Zellen oder insbesondere des Zellinhaltes in Folge von Was- serentziehung, namentlich, wenn die so häufig nothwendig werdende Ablösung des einschrumpfenden Körpers von der Umgebung nicht gleichzeitig und gleichmässig im ganzen Umfange oder an einzelnen Stellen gar nicht erfolgt. Eine sehr gute Gelegenheit, diese künstlichen Formbildungen zu beobachten, bieten die Zellen der Konferven dar, wenn sie mit Wasser entziehenden Mitteln behandelt werden. Auf solche Weise entstehen z. B. die sternförmigen Knorpel- körperchen in rundlichen Knorpelhöhlen. Konzentrirte Lö- sungen von Chromsäure und chromsaurem Kali verändern die normäle Beschaffenheit saftreicher Gewebe oft sehr auf- fallend, und ihrer Anwendung ist es wohl auch zuzuschreiben, dass die oben besprochene Verbindung der Epithelialzellen mit dem darunter liegenden Schleimhautsubstrat so in Auf- nahme gekommen ist. Denn auch das saftreiche, formlose Bindesubstanzgebilde an der freien Grenze dieses Sub- 'sstrats wird durch die genannten Mittel sehr verändert. Was die zackigen und strahligen Zellen im Malpighi’schen Netz oder überhaupt in der saftreichen unteren Zellenschicht, des mehrfach geschichteten Plattenepitheliums betrifft, so hat Ref. dieselben an feinen Schnittchen, die von geeignet ge- trockneten Präparaten entnommen waren, niemals beobachtet. Auch spricht für ihre künstliche Bildung der Umstand, dass in den äusseren Schichten des geschichteten Pflasterepithe- liums dergleichen Formen nicht vorkommen, obschon die tie- feren Lagen in die oberflächlichen übergangen sind. 44 In Bezug auf die Drüsenzellen führt Leydig an, dass eilientragende epitheliale Drüsenzellen bisher nur an folgenden Stellen nachgewiesen seien: in den Nieren, in den Uterindrüsen des Schweines, in den Zungendrüsen des Triton igneus und in der Leber von Cyclas. Die Lungen scheint der Verf. nicht zu Drüsen zu rechnen (a. a. O. p. 39). — Zu den Cuticularbildungen der Wirbelthiere rechnet Leydig die sogenannte Hornlage im Muskelmagen der Vö- gel, die das in Schichten erhärtete Sekret der darunter be- findlichen Sekretionszellen darstellen. Der Umstand, dass sich einzelne Zellen zwischen den Schichten eingeschlossen vorfinden, kann dieser Deutung nicht Abbruch thun; auch in den dicken Outicularbildungen der Wirbellosen, z. B. im Kiefer von Helix, lassen sich nach längerer Kalibehandlung einzelne Zellen, namentlich gegen die Wurzel zu, nachwei- sen. — Im Darm von Nais fand Leydig die Tunica intima, welche das Darmepithel an der freien Fläche über- zieht, mit Cilien bekleidet, — eine höchst auffallende Er- scheinung, welche die in jüngster Zeit bedeutend erschütterte Lehre von den Epithelien in neue Schwierigkeiten verwickelt (a. a. O. p. 364) (R.). In dem an Beobachtungen so reich- haltigen Handbuche sind noch eine grosse Menge von Ein- zelnheiten über die Cuticularbildungen der Wirbellosen mit- getheilt, hinsichtlich deren Ref. auf die Schrift selbst ver- weisen muss, Ein besonders geartetes Epithel, aus sog. Stachelzellen bestehend, beschreibt Leydig aus dem Labyrinth des Gehörorganes (a. a. ©. p. 264, 270, 274). Der Verf. rech- net dahin die Corti’schen Cylinderzellen oder gestielten Ner- venzellen Kölliker’s auf der häutigen Spiralplatte der Schnecke. Mit dem kurzen, konischen Fortsatze sind diese Zellen nicht angewachsen, sondern derselbe steht frei und auf- wärts gekehrt, grade so, wie an den gleichen, in der Ampulla vorkommenden Epithelzellen. Auch Corti’s Zähne zweiter Reihe werden für ein besonders geartetes Epithel erklärt; ihr ganzer Habitus, das Trübwerden und die Annahme schär- ferer Kontouren in Essigsäure spricht für diese Deutung. Die erwähnten gestachelten Epithelzellen finden sich auch bei Vögeln, Reptilien und Fischen. In der Ampulle eines Aales, dessen Kopf in doppelt chromsaurem Kali aufbewahrt gewesen war, ging das Epithel zunächst der Nervenendigung in lange, haarähnliche Fortsätze, scheinbar in kolossale Wim- pern aus. In der Schnecke der Taube ist der stachelartige Fortsatz im frischen Zustande gestreift und zerfällt nach ein- tägiger Behandlung mit doppelt chroms. Kali in drei feinere Stacheln. In neuerer Zeit vermehren sich die Angaben, dass grade derjenige Theil der Lungenschleimhaut, welcher vorzugs- weise den gasförmigen Verkehr unterhält, des epithelia- ul en ee Ge en ne u 7 Met en ung u ee ea Fe Din ee Sn ale Gen PP Ren 3 Be er a ee N N ee Er Bee 45 len Ueberzugs ermangele. Leydig bringt hiermit in Zusammenhang, dass das Epithel im Darm von Cobitis fos- silis fehle (Müll. Arch. 1853). In seinem Handbuche (a. a. O. p. 384) hebt der Verf. hervor, dass bei Lungenschnek- ken an der Decke, wie am Boden der Lungenhöhle gar kein Epithelium zu sehen sei. Semper bestätigt zunächst in sei- ner Abhandlung „Beiträge zur Anatomie und Phys. der Pul- monaten“ (Zeitsch. f. w. Zool. Bd. VIII. p. 369) die Angabe Williams, dass nicht blos, wie von Siebold behauptet, Limnaeus, sondern bei allen Pulmonaten in der Gegend der grossen Gefässe Flimmerbewegung vorhanden sei. Dagegen fehlt nach des Verf. Untersuchungen an den Stellen wo fei- nere Gefässe sich verzweigen , jegliches Epithel, so dass sich hieraus der von Williams beobachtete Mangel einer Flim- merbewegung an diesen Stellen genügend erkläre. —. Bei dem Interesse, das dieses anatomische Faktum für die Phy- siologen hat, unterwarf Ref. die einfachen, der Untersuchung leicht zugänglichen Lungen der Tritonen einer Prüfung. Es war nur ein in Weingeist aufbewahrter, ausgewachsener, weiblicher Triton zur Hand. Die aufgeschnittene und mit Essigsäure behandelte Lunge liess-in der ganzen Ausbreitung und ohne Unterbrechung ein aus polyedrisch sich abgrenzen- den Zellen bestehendes Epithelium deutlich erkennen. Ob an den Zellen Cilien vorkommen, war an dem Weingeist- exemplare nicht zu entscheiden. Das Epithelium liess sich leicht abtrennen. Ref. schliesst den Bericht über die Epithelien mit einigen Mittheilungen aus der Arbeit des Dr. Semper „über die Bildung der Flügel, Schuppen, Haare der Lepi- dopteren (Zeitsch. f. w. Zool. Bd. VII. p. 326 ff.). Der Verf. rechnet zu den epidermoidalen Anhängen der Arthro- podenhaut zwei Arten, nämlich :1) solche, welche nur Aus- stülpungen der Epidermis selbst sind, wie die Extremitäten (Beine, Flügel), Fühler, Kiefer, Dornen, grössere Haare, 2) diejenigen, welche durch Auswachsen einzelner Zellen, die aus der Epidermis hervorgegangen sind, entstehen, wie die Schuppen und feineren Haare, welche an allen Theilen des Körpers, auch an den Fühlern und grösseren Haaren sich vorfinden. Für die Ansicht, dass die zuerst genannten Be- standtheile epidermoidale, d. h. aus Epithelien und der Epi- dermis hervorgegangene Gebilde seien, fehlt der genügende Beweis (R.). Man nennt allerdings den Fortsatz, welcher die Anlage z. B. der Flügel darstellt, einen in Form eines dop- pelten Blattes ausgestülpten Theil der Epidermis, findet aber, dass aus den immerhin sich polyedrisch begrenzenden Zellen des genannten Fortsatzes schliesslich nicht allein die Epider- mis des Flügels, sondern auch Nerven, Tracheen, Fettkör- per hervorgehen, wodurch allein schon bewiesen ist, dass die Anlage des Flügels nicht als eine Ausstülpungsbildung 46 der Epidermis betrachtet werden könne. Wir begegnen hier einem ähnlichen Fehler in der Auslegung der Erscheinungen, wie derjenige, welcher in Betreff der Bildung der Haare aus einem Fortsatz des Malpighi’schen Netzes der Epidermis gemacht worden ist. Was nun die Schuppen der Schmetter- lingsflügel betrifft, so hat der Verf. beobachtet, dass dieselben aus je einzelnen unter den Epidermis gelegenen Zellen her- vorgehen. Diese grossen, rundlichen Zellen befinden sich daselbst in kurzen Abständen in einem Hohlraum, der sich zwischen der Epidermis und der Grundmembran des Flügels eingestellt hat, und senden einen Fortsatz zwischen die cy- linderförmigen Zellen der Epidermis hindurch, der sich plötz- lich in eine mehr oder minder kuglige Blase erweitert. Die Blase ist die erste Anlage der künftigen Schuppe; sie nimmt auffallend an Grösse zu, entwickelt am freien Rande einige Zipfel und lässt alsbald die Form der künftigen Schuppe nicht verkennen. Die Entstehung der grossen, kugligen Zel- len, welche sich in die Schuppen verwandeln, hat sich nicht mit Genauigkeit verfolgen lassen; inzwischen bleibe, unter den vorhandenen Umständen, nach des Verf. Ansicht, keine andere Wahl, als ihre Bildung aus den Epidermiszellen ab- zuleiten. | In dem Artikel „Tegumentary organs* werden von Hux- ley die Epidermis und ihre Anhänge vergleichend-anatomisch behandelt. (Todd. cyelop. Part. XLVIIL.) - Gebilde der Bindesubstanz. Dr. v. Wittich hat die Frage, ob die spindel- und stern- förmig ausgewachsenen Bindesubstanzkörperchen ein, wie mehrere Forscher annehmen, anastomosirendes Röh- rensystem bilden, von Neuem auf dem Wege des Experi- ments, durch Kapillarattraktion von Flüssigkeiten, zu erledigen gesucht. (Bindegewebs-, Fett- und Pigmentzellen. Vir- chow’s Archiv Bd. IX. p. 185 ff.) Zu den näher zu prüfen- den Bindesubstanzkörperchen werden gerechnet: die spindel- und sternförmigen Bindegewebszellen, die Kern- oder Spiral- fasern (Henle) und auch die elastischen Fasernetze, von welchen sämmtlich durch Donders und Virchow nachge- wiesen sei, dass sie nur verschiedene Entwickelungsstadien eines und desselben Gebildes repräsentiren (?R.). Was die sogenannten Kern- oder Spiralfasern betrifft, so ist die Bil- dung derselben aus den, die Grundsubstanz absetzenden Zel- len des Sehnengewebes (Vergl. Abh. des Ref., Müll. Arch. 1852) eine nicht zu bezweifelnde Thatsache. Die elastischen Fasernetze dagegen sind als eine sekundäre Bildung und als ein Ausscheidungsprodukt der Grundsubstanz anzusehen, wo- von man sich auf die leichteste Weise bei dem Netzknorpel und zum Theil auch bei dem Ligament. nuchae überzeugen kann. An die elastischen Fasernetze schliessen sich die ela- ı ln a anluhn ı D a n Bl Sul nu He u RE 47 stischen Platten oder Häute, und die durchlöcherten Membra- nen an. Zu den Imbibitionsversuchen benutzte der Verf. eine Lösung reducirten Indigo’s, die beim Aufsteigen in die zel- ligen Röhren Sauerstoff äbsorbiren und sich niederschlagen musste.*”) Um möglichst zu verhindern, dass der Sauerstoff nicht zur Imbibitionsflüssigkeit gelangt (siehe Anmerk.), wur- den die Präparate durch den Kork hindurch, welcher das Gefäss verschloss, mit jener Flüssigkeit in Verbindung ge- setzt. Der Kork wurde zu diesem Behufe gespalten und das Präparat zwischen den beiden Hälften so luftdicht einge- schlossen, dass die Enden zum Aufsaugen und zum Ver- dunsten frei blieben. In anderen Fällen wurden die Präpa- rate in kürzern Glasröhrchen möglichst luftdicht 'hineinge- presst, und das Röhrchen durch den durchbohrten Kork luft- dicht hindurchgeführt. Nachdem die Präparate durch blaue Färbung den Erfolg der Imbibition verrathen hatten, wurden sie getrocknet und zu Quer- und Längsschnitten verwandelt. Es zeigte sich an Querschnittchen der Sehne ein äusserst zierliches blaues Netz, dessen Fäden angeblich von Zellen- körper ausliefen, deren Kerne jedoch meist durch Nieder- schlag, verdeckt waren. Desgleichen markirten sich jene als Spiralfäden beschriebenen Gebilde durch Reihen von blauen Körnchen. Sehr klar soll dieses Verhältniss der so gefärb- ten Zellen in jenen am Rande von Querschnitten sich ablö- senden bandartigen Schichten (? R.) hervortreten. Der Verf. liess die Schnittchen in stark verdünnter Essigsäure aufquel- len. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass v. Wittich’s netzförmige Linien auf die Interstitien zwischen den einzel- nen, sogenannten primären und sekundären Bündeln und Strängen der Sehne zu beziehen sind. Von Interesse ist aber, dass die sog. Kernfasern gleichfalls Indigo blau niederge- schlagen hatten und also auch im ausgebildeten Zustande hohl sein müssen. Bei der Cornea gestalteten sich die Ver- hältnisse ähnlich. Der Verf. hat hierbei zugleich die Beob- achtung gemacht, dass die Hornhautkörperchen in zwei, unter einem rechten Winkel sich kreuzenden Hauptrichtungen ver- laufen. Die Zellen (? R.) der Conjunctiva, wenn sie in glei- cher Weise behandelt werden, füllen sich leicht mit Indigo- Niederschlägen, wogegen die netzförmigen Fasern der Scle- rotica (? R.), sowie die elastischen Fasernetze des Lig. nuchae *) Der Verfasser bereitete sich den redueirten Indigo auf die Weise, dass er in einer enghalsigen Flasche 3 Theile ungelöschten Kalk, 2 Theile Eisenvitriol und 1 Theil fein zerriebenen Indigo mit Wasser vermischte und diese Mischung im wohl verschlossenen Gefäss stehen liess, bis die jetzt gelbliche Flüssigkeit klar über den Bodensatz stand. Mit der oberflächlichen Schicht dieser Flüssigkeit, die nur Indigo in Kalkwasser gelöst enthält, wurde der Querschnitt einer Sehne in Be- rührung gebracht. 48 meist vollkommen homogen blau gefärbt werden und sich hiermit als solide Körper erweisen. An obige Mittheilungen schliesst v. Witti oh einige Be- merkungen über die Identität der Bindesubstanzkör- perchen und des sternförmigen Pigmentkörpers, so- wie der Fettzellen an. Die Bindesubstanzkörperchen sollen auf zweifache Weise ihren Inhalt und ihre Gestalt ändern, wobei sie zugleich jedenfalls auch ihre Eigenschaft als saft- führende Zellen einbüssen; auf die eine Weise werden sie zum sternförmigen Pigment, auf die andere, durch allmälige Ausdehnung und Ablagerung von Fett, zu wahren grossen Fettzellen. Dass die sternförmigen Pigmentkörper pigmen- tirte sternförmige Bindesubstanzkörperchen darstellen, ist von dem Ref. schon 1852 (in der eitirten Abhandl.) als wahr- scheinlich bezeichnet worden und später von Leydig gradezu ausgesprochen. Der Verf. verfolgte die allmälige Ablagerung von Pigmentkörnchen in den sternförmigen Bindesubstanz- körperchen des gallertartigen Bindegewebes der Schwanz- flosse von Bombinator igneus im Larvenzustande. Noch über- sichtlicher ist diese Pigmentablagerung nach des Ref. Beob- achtungen bei Fischembryonen wahrzunehmen. Ein anderer geeigneter Ort für die Untersuchung ist nach v. Wittich die Sclera auf ihrem Uebergange zur Cornea beim Schaaf, Rinde, Pferde, vielen Vögeln etc., sowie die Chorioidea von menschlichen und thierischen Neugebornen, bei welchen die strahligen Bindesubstanzkörperchen unmittelbar nach der Ge- burt farblos sind. Auch das schwarze Pigment des Lungen- gewebes wird in den dasselbe konstituirenden Bindesubstanz- zellen abgelagert. Was die Umwandlung der Bindesubstanz- körperchen in Fettzellen betrifft, so leugnet der Verf. nicht, dass die Fettzellen des Panniculus adiposus neugeborener Geschöpfe nicht aus Bindesubstanzkörperchen hervorgegangen sind oder als solche angesehen werden können.‘ Wer die Entstehung und die Struktur solcher Fettpolster kennt, muss wohl eingestehen, dass es vorläufig wenigstens ganz unzuläs- sig: ist, der histologisch charakterisirten Fettzelle ihre Selbst- ständigkeit zu nehmen. Dennoch behauptet der Verf., dass alle später normal und pathologisch auftretenden Fettzellen im Bindegewebe nicht nach vorangegangener Neubildung von Zellen und durch deren Umwandlung in Fettzellen ent- standen sind, sondern als verwandelte Bindesubstanzkörper anzusehen seien. Die Fettmetamorphose der Knorpelkörper- chen ist bekannt; sie tritt auch regelmässig bei Bildung des spongiösen Knochengewebes auf, wodurch dasselbe, nach des Ref. Erfahrungen in Fällen, wenn keine Gefässbildung stattfindet, dem Fettgewebe ausserordentlich gleicht. Es ist aber der Unterschied gegeben, dass hier die Zellen anfangs durch dünne Lamellen von Grundsubstanz untereinander ge- trennt sind. An einem amputirten Unterschenkel, der min- 49 destens 10 Jahre ausser Gebrauch gewesen war, will v. Wit- tich auch die Umwandlung von spindel- oder strahligen Bin- desubstanzkörperchen der Muskelscheiden (? R.) in runde Fettzellen verfolgt haben. Die bezeichneten Bindegewebszel- len füllen sich mit kleineren und grösseren Fetttröpfchen, die dann konfluiren und bei ihrer Vermehrung die Zellen aus- dehnen, so dass letztere anfangs runde mit einzelnen, spitzi- gen Hervorragungen besetzte Körper, schliesslich aber voll- kommen abgerundete Fettzellen darstellen. Mit dieser Meta- morphose ist zugleich ein Schwinden des Zellenkernes ver- bunden. Die gallertartige Bindesubstanz der Scheibe von Medusa aurita beschreibt M. Schultze (Müll. Arch. 1856 p. 314 ff.). In einer vollständig durchsichtigen Grundsubstanz liegen eingebettet fein granulirte Zellen von der Grösse der Eiterkörperchen mit strahligen Fortsätzen. Die feinen, nur an ganz frischen Präparaten sichtbaren Ausläufer der Zellen verbinden sich untereinander. Nicht selten sah sie der Verf. auch frei enden. Hier und da theilen sich die Strahlen in ihrem Verlauf. Unter der Einwirkung von Wasser gehen sie verloren, während der Zellenkörper unter Bildung von Hohlräumen im Inneren aufquillt. In dünner Kalilauge lösen sich die Zellen vollständig auf; bei Anwendung von Chrom- säure, Alaun, Sublimat, Jodtinktur ete. schrumpfen sie ein. Ausser den faserartigen Fortsätzen der Zellen zeigt sich bei günstiger Beleuchtung in der Grundsubstanz noch ein zwei- tes System von Fasern, die netzartig untereinander verbun- den sind. Die Fasern sind sehr blass, treten jedoch bei An- wendung von Metallsalzen, Chromsäure, Jodtinktur deutlicher hervor. Diese schon von Virchow gekannten Fasern haben eine Breite von 0,001—0,0001’”" und ein mikroskopisches An- sehen, als ob sie hohl seien. Sie zeichnen sich durch ihre Resistenz aus; bestehen nicht aus einer eiweissartigen Sub- stanz und geben auch keinen Leim. Verdünnter heisser Es- sigsäure widerstehen sie; dagegen lösen sie sich in Kalilauge schnell. Würden sie nicht hohl sein, so könnte man eine Parallele mit dem Netzknorpel ziehen und in dem erwähnten Fasernetze ein, dem elastischen Fasernetze vergleichbares Gebilde sehen (Ref.). Eine sehr eigenthümliche Form von Bindesubstanz be- schreibt Semper aus dem Magen von Limnaeus stag- nalis (Beiträge etc. Zeitsch. für w. Zool. Bd. VII., p. 361 ff.) In einer homogenen oder fein streifigen, an Masse zurück- stehenden Grundsubstanz liegen überall gleichmässig und ab- wechselnd eingebettet dreierlei Formen von Bindesubstanz- körperchen. 1) Zellen von erstaunlicher Grösse, vollkommner Durchsichtigkeit und ovaler, länglich runder Form, deren grosser, runder, feinkörniger, durch 1—2 Kernkörperchen ausgezeichneter Kern von feinkörniger, in mehrere kurze Müller’s Archiv. 1857. Jahresbericht, D 50 Zacken oder Strahlen auslaufender Substanz umlagert ist. 2) 6—8 Mal kleinere, rundliche Zellen, welche ohne Aus- nahme von einer Menge kleiner, runder, scharf kontourirter Bläschen angefüllt sind und einen Kern nicht erkennen Jlas- sen. Die Bläschen lösen sich in Aether auf und sind also Fetttröpfchen. 3) Die dritte Form von Bindesubstanzkörper- chen erkennt man erst deutlich nach Anwendung der Essig- säure, welche ihren aus kohlensaurem Kalk bestehenden In- halt beseitigt. Zuweilen füllt der in Form von ziemlich grossen, rundlichen oder ovalen, unkrystallinischen Konkre- menten auftretende kohlensaure Kalk die Zelle nicht ganz an, und in solchen Fällen wird auch der an die Zellenwand gedrängte Kern sichtbar. Ausserdem werden in der Grund- substanz auch feine Kerne und Kalkkügelchen wahrgenommen. Die Struktur- und Texturverhältnisse des Faserknor- pels der Hornhaut hat His erneuter Untersuchung unter- worfen. (Beiträge zur normalen und pathologischen Histo- logie der Cornea; Basel 1356; mit 6 Tafeln.) Die „vordere Grenzschicht* hat eine Dicke von 0,003—0,004” und ist von der Grundsubstanz des mittleren Hauptgewebes der Horn- haut weniger scharf abgegrenzt, als die Descemet’sche Haut. Nach Mazeration des vorderen Theiles der Hornhaut in ver- dünnter Salzsäure liess sie sich theilweise abschaben, und die abgetrennten Stückchen haben dann in hohem Grade die Tendenz, sich nach innen aufzurollen. Durch andauerndes Kochen wird sie aufgelöst, ebenso bei längerer Behandlung mit konzentrirten Mineralsäuren, und zwar früher, als die Descemet’sche Haut. Mit Rücksicht auf die aus der Ent- wickelung gewonnenen Thatsachen spricht sich der Verf., übereinstimmend mit dem Ref., dahin aus, dass die „vordere Grenzschicht* der Hornhaut, sowie die Deseemet’sche Haut als reichlicher abgelagerte Grenzschichten der Intercellular- substanz anzusehen seien, die nach den freien Flächen der Hornhaut über das Niveau der Zellenstrata hinausgehen und später durch Ueberhandnahme. des. elastischen Stoffes von der übrigen Intercellularsubstanz sich sondern. Die „vor- dere Grenzschicht“ wurde beim Pferde, bei der Ziege, bei Hunden und Katzen vermisst. Die zwischen den elastischen Grenzschichten der Hornhaut gelegene Hauptmasse (Substantia propria. V.) der Hornhaut besteht aus: Intercellularsubstanz und den sog. Hornhautkörperchen. In Bezug, auf die Grund- substanz wird die Frage ventilirt, ob: dieselbe eine lamellöse oder fibrilläre Textur besitze. Bei jüngeren, Fötus ist sie durchaus homogen und kontinuirlich; sie lässt sich mecha- nisch weder in Fibrillen, noch in Lamellen spalten und zeigt bei Untersuchung mittelst; polarisirten Lichtes keine Spur von Doppelbrechung. Auch im ausgebildeten Zustande fehlen bei geeigneter Anfertigung der Präparate alle Lücken und Zwischenräume in ihr. Man muss zu dem Ende von ganz 5l frischen Hornhäuten mittelst eines äusserst scharfen Skalpells feine, senkrechte Schnittehen verfertigen, und den Schnitt in einem Zuge, nicht sägeartig führen. Jede Zerrung trübt das Bild; es muss selbst das Deckgläschen vermieden wer- den. An solchen Präparaten erscheint die Grundsubstanz gleichfalls durchaus homogen, beinahe gallertartig mit ein- gebetteten, glänzenden, strahligen Hornhautzellen. Hornhäute, die irgend eine Quellung erlitten haben, oder die getrocknet sind, setzen eben so, wie direkte mechanische Eingriffe, die Bedingungen zur Bildung künstlicher Spalten und Lücken, das sich sofort durch opake Trübung der Hornhaut zu er- kennen giebt. Es sind also nach dem Verf. in der Grund- substanz weder präformirte Lamellen noch eben solche Fi- brillen vorhanden, wohl aber besteht die Neigung, sich in gewissen Richtungen in faserartige Lamellen und Fibrillen zu spalten. Die Disposition zu dieser Spaltbarkeit wird durch mehr oder weniger einseitige Entwickelung der eingelagerten Zellen .bedingt. Als Lamelle wird hiernach diejenige Partie der Grundsubstanz bezeichnet, welche nach einer Richtung (Längsrichtung der Lamelle) spaltbar ist, und von Durch- kreuzung der Lamellen kann insofern gesprochen werden, als damit gesagt wird, dass die Substanz in verschiedenen Ebenen verschiedene Spaltrichtung besitze. In diesem Sinne existiren nach His in der Grundsubstanz der Hornhaut la- mellenartige oder bandartige Streifen von unbestimmter Länge, von einer zwischen 0,04—0,12” wechselnder Breite und von 0,002—0,004” Dicke. Sie haben im Allgemeinen eine paral- lele Schichtung, doch sollen die Bänder auch unter wenig geneigten Winkeln sich übereinander lagern und zu einem Maschenwerk verflechten. Am häufigsten ziehen die Lamel- len in verschiedenen Schichten in gekreuzter Richtung über- und untereinander hinweg. Die Durchkreuzung erfolgt bei Thieren mit runder Hornhaut (Vögeln, Amphibien, Fischen) vorwiegend unter Winkeln von nahezu 90°; bei Säugethieren mit oval geformter Cornea ist der Kreuzungswinkel stumpfer. Die Hornhautzellen liegen, was an senkrechten Schnittchen äusserst deutlich wird, stets zwischen den Lamellen; von den beiden Axen, in denen sie ihre Flächenausläufer ausschicken, läuft die eine mit der überliegenden, die andere mit der un- terliegenden Lamelle parallel. Die Bowman’schen Stütz- fasern der Anterior elastica sind solche, von parallel verlau- fenden Zellen begleitete Lamellen. Die auf allen und in jeg- licher Richtung gefertigten, senkrechten Schnittchen so deutlich hervortretende parallele Streifung erklärt der Verf. aus einer fibrillären Zerklüftung, deren Parallelismus mehr scheinbar sei (!R.). N Der einzige, anscheinend sichere Beweis, dass in der Horn- haut ein Flechtwerk sich durchkreuzender Bänder vorliege, ist, wie dem Ref, scheint, in den Angaben des Verf. über BD) 52 das Verhalten senkrechter Schnittchen bei Untersuchung ver- mittelst des polarisirten Lichtes enthalten. Zwischen gekreuzten Prismen erscheint nämlich der Schnitt vollkom- men dunkel, sobald er seiner Lage nach mit der Polarisa- tionsebene eines der beiden Prismen parallel läuft; wird er dagegen gedreht, so dass er mit diesen einen Winkel, am besten von 45° macht, so bietet er ein Bild dar, in welchem die Lamellen abwechselnd hell und dunkel erscheinen, und zwar bilden die hell erscheinenden Streifen ein flach gedrück- tes Netzwerk, dessen Maschen, gleich als ob es blos Lücken wären, dunkel erscheinen. Aus dem Vorangeschickten geht aber nach des Verf. Meinung hervor, dass es sich hier nicht um Lücken handele, sondern um diejenigen Lamellen, deren Querschnitt vorliege, während die längsdurchschnittenen La- mellen hell und gefärbt erscheinen müssen. Die Fähigkeit der Grundsubstanz in der Hornhaut, das Licht doppelt zu brechen, ist nach des Verf. Untersuchungen nicht jederzeit vorhanden. Beim Fötus war sie nicht zu beobachten. Aus- serdem verliert die Hornhaut die bezeichnete Eigenschaft, wenn sie stark aufgequollen ist. Die Hornhautkörper, so- wie beide elastischen Grenzschichten der Subst. propria be- sitzen nicht die Fähigkeit, das Licht doppelt zu brechen; sie erscheinen zwischen gekreuzten Nicol’schen Prismen unter allen Verhältnissen dunkel. In Bezug auf die Hornhautzellen unterscheidet His haupt- sächlich drei, durch den Ort des Vorkommens geschiedene Modifikationen. Die Hauptform ist die sternförmige; von dem platt gedrückten, ziemlich grossen Zellenkörper gehen ursprünglich vier Strahlen (quadripolar) aus; so sieht man es bei Neugebornen. Bei Erwachsenen vermehrt sich die Zahl der Ausläufer; letztere ramifiziren sich. Es giebt fer- ner für eine jede Zelle und Zellgruppe zwei unter einem ge- gebenen Winkel sich schneidende Axensysteme, in deren Richtung allein die Ausläufer ausstrahlen, und diese Rich- tungen stehen in genauester Beziehung zur Spaltrichtung der Grundsubstanz in der Weise, dass dieselben der Spaltrich- tung einer darüber oder darunter liegenden Lamelle entspre- chen. Die strahligen Hornhautkörper sind nach dem Verf., von der Fläche betrachtet, gewöhnlich zu 4, 6, 9, 16 und mehr Zellen zu einem rhomboidalen Felde so zusammenge- stellt, dass je ihre Längs- und ihre Queraxen parallel zu ‚einander stehen und also immer zwischen 4 Zellen ein eben- falls rhomboidales Feld von Intercellularsubstanz frei bleibt. An der Oberfläche der Hornhaut kommt die zweite Form von Zellen vor; sie ist auch strahlig, zeichnet sich aber durch einen kleineren Zellenkörper und durch die unbedeutendere Zahl ihrer Ausläufer aus, die, wie Beobachtungen an den Augen jüngerer Thiere und an leicht entzündeten Augen leh- ren, zu einem System bogenförmig begrenzter Maschen sich 53 vereinigen. Die dritte Form findet sich in der Cirkulärschicht der Cornea an der Uebergangsstelle zur Sclerotica (2 R.). Sie ist auch multipolar mit längeren und kürzeren Ausläu- fern. Die längeren Ausläufer nehmen einen eirculären Ver- lauf und verbinden sich nicht untereinander; sie sallen durch ihren parallelen Verlauf an Bindegewebsfibrillen erinnern. Eine Verbindung der Strahlen der Hornhautkörperchen mit den Blut- oder Lymphgefässen hat sich nicht mit Sicherheit nachweisen lassen, obschon pathologische Fälle dafür spre- chen. Die am Rande der Hornhaut und in der Sclera vor- kommenden strahligen, ganz aus körnigem Pigment be- stehenden Figuren haben nach His einen doppelten Ur- sprung. Einerseits entstehen sie durch Pigmentablagerung in den Hornhautkörperchen, anderseits durch pigmentirte, untergegangene Blutgefässe. In Bezug auf die Entwickelung der eigentlichen Horn- hautsubstanz bemerkt der Verf., dass sie ursprünglich nur aus Zellen bestehe und somit die Grundsubstanz als eine anfangs ganz homogene Masse sekundär auftrete und unter dem strahligen Auswachsen der Hornhautzellen allmälig an Menge zunehme. Der Verf. lässt es unbestimmt, ob diese Intercellularsubstanz aus den Gefässen oder von den Zellen abgesetzt werde. \ Nach Winther (Unters. üb. d. Bau der Hornh. und des Flügelfelles; Giessen 1356. 4to.) entsenden die Hornhautkör- perchen vier Fortsätze, von welchen je zwei diametral ge- genüberstehen, so dass der Zellenkörper mit dem Kern in der Mitte eines recht- oder meist schiefwinkligen Kreuzes liest. Durch die Vereinigung der Fortsätze benachbarter, grösserer oder kleinerer Zellen entstehen rautenförmige Fi- guren; in den vier Ecken derselben befinden sich die Zellen- körper und Kerne der vier Zellen, welche an der Bildun einer Raute sich betheiligen. In grösseren Rautenfeldern werden kleinere sichtbar, von denen sich nicht mit Sicher- heit aussagen lasse, ob sie durch Vereinigung von sekundä- ren Strahlen oder kleineren primären gebildet werden. Die beschriebenen Bilder sollen an feinen Flächenschnittchen fri- scher Hornhäute von Menschen und Schweinen zu erkennen sein. In dem Mittelpunkte der vorderen Hornhautoberfläche vom Schweine soll sich ein durch seine Grösse und durch die Dicke der Strahlen ausgezeichnetes Hornhautkörperchen vorfinden, das von dem Verfasser centrales Hornhautkörper- chen genannt wird. — In einem späteren Nachtrage (Vir- chow’s Arch. Bd. X. p. 507) bemerkt Winther, dass er die bezeichnete Centralzelle auch bei einem 11% jährigen Kna- ben beobachtet habe; die Ausläufer zeigten sich hier feiner, und schnitten sich unter rechten Winkeln, welche dem inne- ren, äusseren, oberen und unteren Hornhautrande gegenüber sich öffneten. Nach demselben Typus, wie die Oentralzelle, 54 waren im Allgemeinen die übrigen Hornhautkörperchen der menschlichen Hornhaut gebaut, sie'bildeten mit ihren Aus- läufern in Reihen geordnete parallele Züge, welche in nahezu gleichen Winkeln sich kreuzten und durchflochten. Auch Dornblüth hat einige Vervollständigungen und Berichtigungen der im letzten Jahresberichte mitgetheilten Beobachtungen über den Bau der Hornhaut gegeben (Henle und Pfeuf. Zeitschr. Bd. VIII. p. 156 ff.). Auch beim Hecht und Flussbarsch bestehen die dickeren Lamellen, wie bei Säugethieren, aus einer Anzahl (2, 3 und mehr) feineren. Die beim Hecht so ausgezeichnete, vordere, elastische Grenz- schicht lässt mehrere feinere Lamellen erkennen. Desglei- chen ist die hinterste Hornhautlamelle beim Hecht durch Stärke und Helligkeit so ausgezeichnet, dass man sie als Descemet’sche Haut ansprechen kann. Das früher in der Mittelgegend der Hornhaut des Hechtes beschriebene Flecht- werk wird für ein Kunstprodukt erklärt. Dagegen wird noch immer die Faserverflechtung in den vordersten Lagen der Hornhaut festgehalten. Beim Barsch unterhält die Haupt- masse der Hornhaut eine Verbindung mit der Iris, oder wie der Verf. sich ausdrückt: die Fasern der Iris bilden die Hauptmasse der Hornhaut. Bei den höheren Thieren sind - Unterbrechungen der Lamellen selten, oft nur scheinbar. Die vordere, elastische Grenzschicht ist beim Menschen, wie die Descemet’sche Haut, scharf geschieden. Ref. hat be- reits in seiner Schrift (die Bindesubstanzgebilde etc. 1845) gezeigt, dass bei gehörig feinen Schnittchen selbst die Des- cemet’sche Haut nicht scharf von der übrigen Substanz der Hornhaut geschieden ist. Die vordere elastische Lamelle ist ferner beim Reh, Schaaf, bei der Ziege ebenso wenig, wie beim Schweine ausgezeichnet. Die bogenförmig aufsteigenden Fasern (Faltenzüge Ref.) sollen bis dicht unter das Epithe- lium verfolgt werden können. Das Gewebe der Conjunctiva (Substrat d. Conj. Ref.) setzt sich nach dem Verf. kontinuir- lich in die äusserste Hornhautlage (unter der Lam. elast. ant.) fort, und diese soll aus verflochtenen, zarten Fasern bestehen. Die Ansicht des Refer. ist bereits im letzten Jahresbericht mitgetheilt. Die Substanz der Hornhaut unterhält kontinuir- liche Verbindungen auch mit dem Substrat der Conjunctiva, aber letztere setzt sich ebenso wenig in sie fort, wie umge- kehrt. Ausserdem zeigen die Präparate dem Ref. in allen Theilen der eigentlichen Cornea wesentlich denselben geschich- teten Bau; ein Flechtwerk von Fasern ist nirgends wahrzu- nehmen. Die an Profilschnitten der Descemet’schen Haut sichtbare parallele Streifung wird von dem Verf., und zwar wohl mit Recht, auf einen auch bei ihr vorhandenen ge- schichteten Bau bezogen. ' Die Trennung in Lamellen wird besonders am Rande bemerkbar, wo dieselben theils an die Iris (? R.), das Ligament. pectinatum, Tensor chorioideae, a . 55 theils in das Fasergeflecht der Scelera in der Umgebung des Canal. Schlemmii sich fortsetzen. Nach des Ref. Untersu- ehungen lässt sich in letzterer Beziehung nur ein kontinuir- licher Uebergang in die innerste, den Schlemm’schen Ka- nal von Innen her begrenzende, mit ihrer Streifung in der Richtung der Meridiane fortziehende, an elastischen Fasern reiche Sehnensubstanz der Sclerotica nachweisen. Das äqua- toriale Lamellen- und Fasergeschlecht der Selera steht nir- gends mit der Substanz der Cornea in kontinuirlichem Zu- sammenhange. Als Resultat der an der Cornea eines 3'/, Zoll.langen Kaninchenfötus gemachten Beobachtungen wird angegeben: die grössere Zartheit der Lamellenschichten, welche anscheinend den Bowman’schen Lamellen entspre- chen und keine weitere Zusammensetzung aus feineren La- mellen erkennen lassen, was möglicherweise lediglich in der Kleinheit der betreffenden Gebilde begründet sein dürfte; — und die dichtere Lage der Hornhautkörperchen, welche sich ausserdem durch meistentheils deutlichere zellige Textur und leichtere Isolirbarkeit auszeichnen. Jedenfalls, — und darauf wünscht der Verf. ein besonderes Gewicht zu legen, um ge- wissermaassen die Lamellentheorie zu stützen, ist in der Cornea dieses Fötus nicht eine strukturlose Grundsubstanz mit ein- gelagerten Hornhautkörperchen vorhanden gewesen, sondern es waren bereits deutliche, parallele Streifen auch an Stellen sichtbar, wo sich keine Zellen befanden. Ref. gehört zu denen, die das Vorhandensein eines ge- schichteten Baues in der Cornea nicht bezweifeln, wenn auch Henle in seinem Berichte vom Jahre 1856 das Gegentheil mittheilt und sich dabei, wie es scheint, auf seine Kenntniss vom Jahre 1845 bezieht. Des Ref. Ansicht von der Schicht- bildung in den Gebilden der Bindesubstanz ist älter, als Henle’s Erläuterungen über den Lamellenbau der Horn- haut; sie wurde zuerst im Jahresbericht vom Jahre 1848 (Müll. Arch. 1849, p.41) besprochen; sie wird vom Ref. selbst für die Sehnensubstanz in Anspruch genommen, nur ‘ muss man die Kriterien dafür nicht, wie Dornblüth, dort suchen, wo sie nicht zu finden sind. Des Ref. Ansicht wurde noch mehr durch das Zerfallen der verschiedenen Bindesub- stanzgebilde (Knorpel, Faserknorpel, Sehnensubstanz ete.) in Lamellen beim längeren Kochen (Zellinsky: Diss. inaug. de telis quibusdam collam edentibus, Dorpat. Liv. 1852, p- 45 ff.) befestigt. Gleichwohl giebt es embryonale Zu- stände der Bindesubstanzgebilde und namentlich auch der Cornea, in welchen mit Hilfe des Mikroskopes auch nicht die Spur einer Streifung wahrgenommen wird. Die Schicht- bildung dürfte sehr leicht erst nachträglich in der Grund- substanz eintreten. Es giebt ferner eine Schichtbildung in den Bindesubstanzgebilden, wie z. B. im hyalinen Knorpel, deren Vorhandensein durchs Kochen, durch Mazeration etc. 56 nachgewiesen werden kann, die aber durch das Mikroskop nicht erkannt wird. Was die Hornhaut betrifft, so sind die Lamellen, welche beim längeren Kochen schliesslich gewon- nen werden, viel feiner, als diejenigen, welche sich durch die parallele Streifung verrathen; die Schichtbildung wird also auch mit Hilfe des Mikroskops nur andeutungsweise erkannt. Die Zahl der Streifen ist überdies so variabel bei verschie- denen Schnittchen selbst einer und derselben Cornea, noch mehr bei Hornhäuten verschiedener Individuen einer und derselben Spezies, je nach der Behandlung des Präparats, dass man sie, vorausgesetzt, dieselben gehören Trennungs- linien zwischen den Lamellen an, dennoch in gewissem Sinne als zufällige 'Texturerscheinungen der Hornhaut hinstellen kann. | Ueber den gallertartigen Kern der Intervertebral- knorpel im frühsten Kindesalter sind uns durch Luschka folgende Beobachtungen mitgetheilt (Altersveränderungen der Zwischenknorpel in Virch. Arch. Bd. IX. p. 316 f£.). Der Nucleus pulposus lässt bei Betrachtung zwischen Glasplatten schon ohne Vergrösserung zahlreiche weissliche Klümpchen erkennen. Diese Klümpchen sind theils sphärisch, theils länglich rund, öfters auch kolbenartig; zuweilen stellen sie ein, unregelmässige Maschenräume einschliessendes, Balken- werk dar. Bei mikroskopischer Untersuchung erkennt man in den Klümpchen eine Anhäufung von neben- und überein- andergelagerten Zellen von bald mehr runder, bald mehr eckiger Form und 0,04 Mm. Breite. Die Wandungen der meisten Zellen zeigen doppelte Kontouren, so dass das Ob- jekt das Ansehen eines Netzwerkes heraushält. Die meisten dieser Zellenhaufen sollen durch keine Intercellularsubstanz zusammengehalten werden; bei anderen dagegen sei es augen- scheinlich, dass eine strukturlose Grundsubstanz, welche mit derjenigen des angrenzenden Knorpels und Faserringes zu- sammenhänge, gleichsam ein Lager für die Zellen bilde; letz- teres ist nach des Ref. Beobachtungen stets der Fall. Der Inhalt der Zellen ist oft gleichförmig und enthält einen rund- lichen, granulirten Kern. Bei einigen Zellen ist der Inhalt zum Theil fein granulirt, und darin eingebettet ein oder meh- rere Tropfen hyaliner, colloidartiger Substanz. Dergleichen Tropfen von wechselndem Umfange finden sich auch frei vor und scheinen aus den unverletzten oder auch verletzten Zel- len frei hervorgetreten zu sein. Der Gallertkern liegt wie in einer Höhle, die von den Knorpelplatten und dem Annu- lus fibrosus gebildet wird. Dass diese Höhle nur scheinbar ist, zeigt der Verf. durch seine mikroskopischen Mittheilun- gen, obschon dies nicht genügend hervorgehoben ist. Die Substanz der Knorpelplatten nämlich wird gegen den Gal- lertkern weicher und strahlt in einzelnen Zügen mit fast un- bestimmter Grenze in den Gallertkern aus. An manchen 57 Stellen beobachtete der Verf. sogar, dass die bezeichneten Lamellen sich zwischen und über die beschriebenen Klümp- chen hinweg erstrecken. Ebenso bemerkt Luschka, dass die Substanz des Annulus fibrosus gegen die Höhle weicher werde, und dass ferner an glücklich gewählten mikroskopi- schen Objekten zahllose feine Fasern und auf alle mögliche Weise ramifizirte und zu zarten Netzen (? R.) verbundene Bindesubstanzkörperchen bis in die Gallertmasse hineingehen und den späteren Nucleus pulposus darstellen. — Nach Hen- le’s Beschreibung (Bänderlehre p. 16; Jahresb. p. 50) ist „die scheinbare Höhlung der Wirbelsynchondrosen des Neugebor- nen von einzelnen, zarten, knorpelkörperhaltigen, elastischen Lamellen und von einem zerreisslichen, netzförmigen Ge- webe durchsetzt, dessen Bälkchen in einer strukturlosen Grund- substanz Kernzellen und kleinere und grössere, kuglige, von wasserheller Flüssigkeit erfüllte Hohlräume enthalten, die sich auf Kosten der Grundsubstanz zu vergrössern und diese zu verdrängen scheinen.“ Sieht man von den Bemühungen Henle’s, der Lehre von den Bindesubstanzgebilden irgend welche Konzessionen zu machen, ab, so verräth sich in seiner Beschreibung nach des Ref. Erfahrungen eine genauere Kennt- niss von einem Bestandtheil des Gallertkernes, den Luschka nicht genügend gewürdigt hat; auf der andern Seite hat Henle den zweiten Bestandtheil übersehen. Legt man in die Hohlräume Henle’s die Klümpchen Luschka’s: hinein, so kommt nahezu das Strukturverhalten des Gallertkernes heraus. Letzterer besteht nämlich aus einem schwammartigen Gerüste von Lamellen, die im kontinuirlichen Zusammen- hange mit den Knorpelplatten und dem Annulus fibrosus stehen und zwischen sich Hohlräume lassen, die von der sulzigen Masse erfüllt werden. Die Lamellen bestehen aus einer dem Faserknorpel ähnlichen Substanz, die sulzige Masse steht der gallertartigen Bindesubstanz zunächst, doch ist die Grundsubstanz etwas fester, wenigstens in nächster Umge- bung der Bindesubstanzkörperchen selbst. Die sulzige Masse liegt übrigens ebenso wenig locker in ihren Hohlräumen, wie der ganze Gallertkern in der scheinbaren Höhle der Knorpelplatten und des Annulus fibrosus. Die verschiedene Konsistenz, sowie der verschiedene Wassergehalt der hier beisammenliegenden, verschiedenen Bindesubstanzgebilde be- wirken es, dass sowohl bei mechanischen Eingriffen als beim Eintrocknen Trennungen leicht eintreten. An Schnittchen von glücklich getrockneten Präparaten sieht man zuweilen Partieen der sulzigen Masse in inniger, fester Verbindung mit den La- mellen; auch besitzen letztere nicht selten eine flockige Be- grenzung, wie wenn die sulzige Masse nur künstlich sich los- getrennt hätte. Für diejenigen Histologen, welche mit der natürlichen Auffassung der Bindesubstanzgebilde vertraut sind, und sich durch den versteckten Vorwurf Henle’s, der Rei- 58 chert-Virchow’schen Bindesubstanztheorie Konzessionen gemacht zu haben, nicht weiter aus ihrer Ruhe bringen las- sen, sei hier gelegentlich bemerkt, dass Ref. schon seit Jah- ren die Intervertebralknorpel älterer Fötus und Neugeborner dazu benutzt, um die verschiedenen Formen der Bindesub- stanzgebilde mit den kontinuirlichen Uebergängen den Zu- hörern zu demonstriren und anschaulich zu machen. Henle hat die Ueberzüge der Gelenkenden einer erneuten Untersuchung unterworfen (Bänderlehre). Der Fa- serknorpel oder wie der Verf. sich ausdrückt, ein dem Bin- degewebe ähnliches Fasergewebe mit eingestreuten Knor- pelkörperchen — (das Knorpelgewebe wird von Henle in seinem letzten Jahresbericht zu den „kompakten Geweben* gerechnet) — findet sich in grösserer Ausbreitung vor, als seine allg. Anat. es angab. Von der Bandscheibe des Ster- noclaviculargelenkes wird gesagt, dass dasselbe nicht aus Faserknorpel d. h. aus einem in Essigsäure unlöslichen*) Fa- sergerüste mit Knorpelzellen, sondern, gleich den übrigen Bandscheiben, aus Bindegewebe mit einer grösseren Menge Knorpelzellen bestehe. Wir würden sagen, es ist ein Faser- knorpel, dessen Grundsubstanz, wie die des reifen Bindege- webes oder Sehnengewebes durch zahlreiche Streifen ausge- zeichnet ist und durch Essigsäure stärker aufquillt. Dasselbe Gewebe überzieht auch die beiden Gelenkflächen im Sterno- elavicular- und Acromioclaviculargelenk. Aehnlich verhalten sich die Bandscheiben des Kniegelenks: die Bindesubstanz- oder Knorpelkörperchen sind meist vereinzelt und kuglig. Eine wahre Faserknorpelschicht nach Henle bekleidet die dem Zahn des Epistropheus zugewandte Fläche des Lig. transvers., während die entsprechende Fläche des Zahnes vom Bindegewebe (?) überzogen wird. Im Unterkiefergelenk haben der hintere Abhang der Gelenkfläche des Unterkiefers, sowie der in die Gelenkfläche schauende vordere Theil der Fossa mandib. nur einen dünnen, rein bindegewebigen Ueber- zug. Das Tub. artie. dagegen und der vordere Abhang der Gelenkfläche des Unterkiefers sind mit hyalinem Knorpel und zunächst der freien Flächen mit Bindegeweben versehen. Ein Bindegewebsüberzug statt des Gelenkknorpels oder über demselben findet sich im Ellenbogengelenk, wo die Trochlea nur soweit knorplig ist, als sie von der Foss. sigm. umfasst *) Bekanntlich löst sich auch die lockigstreifige Grundsubstanz des reifen Binde- oder Sehnengewebes nicht in Essigsäure auf; beide aber, sowohl die Grundsubstanz des Sehnengewebes, wie die des Fa- serknorpels, quellen mehr oder weniger in Essiesäure auf. Es giebt ferner Faserknorpel, der in seiner Grundsubstanz neben dem Chondrin gebenden Stoff eine grössere Menge elastischen Stoffes (nicht elastischer Fasern) enthält; dieser im Allgemeinen seltner vorkommende Fäser- knorpel quillt in Essigsäure weniger auf. (R.) 59 wird, wenn der Unterarm mit dem Oberarm einen rechten Winkel bildet; desgleichen im unteren Radioulnargelenk, sowohl auf der Endfläche der Ulna als auf der Circumf. annularis, im Hüftgelenk auf dem Schenkelkopf im Umfange der Insertion des Lig. teres, endlich im unteren Tibiofibular- gelenk auf beiden Flächen (Henl. u. Pf. Zeitsch. 3. Reihe. Bd.X. p. 48). A. Hannover hat seine ausführlichen Untersuchungen über die Entwickelung und den Bau des Säugethier- zahnsin den Verhandl. der Kais. Leopoldinisch. Carol, Akad. der Naturf. (Bd. XXV., ersch. Ende des Jahres 1855; p. 807 — 936.) mitgetheilt. Die eigentliche Zahnsubstanz, vom Verf. „Dentine* genannt, besteht aus diekwandigen Röhren, welche in einer Intertubularsubstanz ruhen. Die Wände der Elfenbeinröhrchen sind im Verhältniss zum Lumen sehr dick; sie können aber nicht immer unterschieden werden, weil sie gewöhnlich mit der Intertubularsubstanz verschmelzen; sie werden überhaupt nur an Querschnitten erkannt. Die Wände sind nach dem Verf. im Allgemeinen an der Krone dicker, als an der Wurzel; desgleichen in jüngeren Zähnen dicker, als in älteren. Da die Röhrchen nach innen, gegen den Keim hin, dichter liegen und ihr Lumen zugleich grösser wird, so ist ihre Wand aus diesen Gründen nach innen dünner. Dickere Wände der Röhrchen finden sich sonst gewöhnlich in Beglei- tung von grösserem Lumen vor; daher ist das Lumen dicker in der Krone als in der Wurzel etc. Das Lumen der Röhr- chen ist nach aussen, in der Peripherie des Zahnes und in den Zweigen immer feiner, als nach innen. Eine irrige An- nahme sei es aber, dass die Zahnröhren überhaupt nach aus- sen hin feiner werden; dieses gelte nur vom Lumen, nicht aber von der Röhre selbst mit ihren Wänden. Die Röhr- chen zeigen, wie schon Retzius bemerkt, zuweilen Varico- sitäten. Die Pachydermen zeichnen sich gewöhnlich durch weite Röhrchen, die Edentaten und Cetaceen durch feine aus. Als Inhalt der Röhrchen wird im frischen Zustande eine durchsichtige kalkhaltige Flüssigkeit angegeben; im getrock- neten Zustande erscheinen dieselben leer oder mit abgela- gerten Kalktheilchen gefüllt. Die Zahnröhrchen sind Stämme, aus welchen mehr oder weniger zahlreiche Zweige abgehen, doch wird ihre Zahl öfters — wegen der Dieke der Schnitt chen — zu hoch 'angegeben. Die äussersten Spitzen der Stämme und Zweige verlieren sich in der Intertubularsub- stanz, indem ihre Wände mit derselben verschmelzen. Schlin- sen und Anastomosen benachbarter und entfernter gelegener Stämme und Zweige gehören zu den Ausnahmen. Die An- nahme von Anastomosen der Zweige rührt nach Hannover oft von solchen Fällen her, wo die ursprüngliche, kuglige Grundform der Zahnsubstanz noch sichtbar geblieben ist, und die Interstitien zwischen den Kugeln mit Zweigen ver- 60 wechselt wurden. Der Verf. tritt ferner der Annahme ent- gegen, dass die Elfenbeinröhrchen sich zuweilen in den Schmelz fortsetzen (Erdl, Tomes u. A.). Diese Ansicht soll öfters von Präparaten gewonnen werden, wo das Zahnbein über den Schmelz hinüber greift. In anderen Fällen, wo es wirk- lich statt hat, soll es als ein Vitium primae conformat. an- gesehen werden. Ebenso wird die Verbindung der Dentin- röhrchen mit den Knochenkörperchen in Abrede gestellt, da Cement und Elfenbein noch durch das Stratum intermedium getrennt sind, worüber später des Verf, Beobachtungen mit- getheilt werden. Gegen das centrale Ende hin liegen die Zahnröhrchen oft in Bündeln so nahe aneinander, dass der Durchschnitt polygonal wird. In seltenen Fällen vereinigen sich hier mehrere Röhrchen zu einem Stamm, der jedoch an Weite die einzelnen Röhrchen nicht übertrifft. Die Zellen des Zahnkeimes setzen sich in die, in Verknöcherung begrif- fenen Röhrchen fort. In ihren verschiedenen Biegungen ver- laufen die Röhrchen, wie dieses Retzius richtig vom Ele- phanten beschreibt, gewöhnlich wellenförmig und gekräuselt. Die konzentrische Streifung des Zahnbeins wird von der periodisch und schichtweise vor sich gehenden Verknöcherung oder wie der Verf. lieber sagen möchte, „Verzahnung“ ab- geleitet. Die Intertubularsubstanz ist strukturlos, an der Wurzel bedeutender, als an der Krone. Die kugelförmige Bildung (Interglobulär-Räume) scheint eine Andeutung derje- nigen Art und Weise zu sein, auf welcher das Elfenbein ur- sprünglich aus runden Zellen des Zahnkeimes sich bildet. Niemals sah der Verf. die Zahnröhrehen durch die Kugeln hindurchtreten. Beim Narval, wo die Kugelbildung am auf- fallendsten war, liegen die Kugeln zwischen zwei Zahnröhr- chen, oder letztere laufen über und unter den Kugelreihen hinweg. — Im innersten Theile des Elfenbeins, der am spä- testen verknöchert, zeigen sich bei den meisten Thieren be- sondere Verhältnisse. So findet man sehr allgemein unre- gelmässige Lagerung und unvollständige Bildung der Köhr- chen. Zuweilen fehlen die Zahnröhrchen gänzlich, beim Men- schen namentlich in der Nähe der Wurzelenden. Wahre Mark- kanälchen kommen im Zahnbein nicht vor, wohl aber runde oder ovale Lücken mit gelblicher, körniger Masse oder mit dem Schleifmaterial gefüllt. Sie rühren wahrscheinlich von verkümmerten Gefässen her. Mitunter beobachtet man im inneren Theile der Zahnsubstanz weisse, undurchsichtige Kalk- ablagerungen und Lücken, die ihrer Form nach an die Kno- chenkörperchen erinnern. Letztere sind häufig bei Cetaceen und entstehen durch Zusammenfluss mehrerer Röhrchen. Im Cement fehlen die Markkanälchen beim Menschen, in dem äusseren Cemente der Backenzähne der Nager und in dem dünneren Cemente der Schneidezähne des Pferdes; bei Delphinen fehlen sie gleichfalls, ohschon die Dicke des 61 Cements bedeutend ist. Verschieden von den im Cement vor- kommenden Markkanälchen sind feine Gänge, die entfernte Aehnlichkeit mit Zahnröhrchen haben, jedoch selten oder niemals verzweigt sind und gewöhnlich der Quere nach ver- laufen. Beim Menschen sind sie etwas gröber, als die Zahn- röhrchen. Der Angabe Tomes und Köllikers, dass sie mit den Zahnröhrchen in Verbindung stehen, wird wider- sprochen, da Cement und Zahnbein überall durch das Strat. intermed. getrennt sind. Verbindungen mit den Knochen- körperchen wurden nur beim Dugong beobachtet. Das Innere dieser Kanälchen ist immer hell; auch haben sie keine Ver- bindung mit Markkanälchen, so dass sie also nicht für rudi- mentäre Markkanälchen gehalten werden können. Das Email besteht aus den durch Emailzellen gebildeten „Emailsäulen“. Letztere sind beim Menschen regelmässig sechsseitig; sie liegen dicht aneinander ohne Zwischensub- stanz. Die Enden der Säulen sind grade abgeschnitten oder leicht abgerundet. Die Substanz der Säulen erscheint ent- weder einförmig durchsichtig oder wie aus übereinander ge- schichteten, eckigen Bruchstücken zusammengesetzt. Der Verf. vergleicht ihr Aussehen mit den geldrollenartig koagu- lirten Blutkörperchen. Dadurch entsteht die quergestreifte Zeichnung der Säulen. Treffen die Querstreifen der Säulen aufeinander, so zeigt das Email eine mit der Oberfläche des Zahnbeines konzentrisch verlaufende Schichtung. Die Ursache der Querstreifung liegt in der schichtweisen Verkalkung jeder einzelnen Emailzelle; daher dieselbe bei jüngeren Thieren auch deutlicher ist. Eine jede Emailsäule, die wahrschein- lich die ganze Dicke des Emails durchsetzt, hat entweder einen graden, oder bogenförmigen oder leicht geschlängelten Verlauf. Das Nähere über die Richtung der Säulen muss in der Schrift selbst nachgelesen werden. Das Email grenzt unmittelbar an die Zahnsubstanz. Die Grenze zwischen bei- den ist bei allen vom Verf. untersuchten Thieren scharf, von einer einfachen dunkeln Linie gebildet. Die Grenze zwischen Email und Cement wird durch das Strat. intermedium ge- bildet. Das Stratum intermedium findet sich im entwickelten Zahn nach dem Verf. nur zwischen Cement und Zahnbein an der Wurzel und giebt sich hier als einen hellen struktur- losen Saum zu erkennen, der öfters dadurch verändert wird, dass sich fein- oder grobkörnige, unförmliche und undurch- sichtige Kalkmassen in demselben ablagern. Diese Kalk- massen haben oft eine grosse Aehnlichkeit mit Knochenkör- perchen und können mit ihnen verwechselt werden. In den verschiedenen menschlichen Zähnen sieht man das Strat. in- termed. bald als hellen, strukturlosen Streifen zwischen der „Dentine* und dem Cemente, bald als feinkörnige Schicht, ausserhalb welcher ein heller Saum im Cement auftreten kann; 62 die grösseren und kleineren unförmlichen Kalkmassen sind kleiner als die Knochenkörperchen und auch weniger leicht mit ihnen zu verwechseln. In den Wurzeln der Backenzähne sind helle Säume zu beiden Seiten der körnigen Schicht wahr- nehmbar. An der Wurzelspitze ist das Strat. intermed. häufig undeutlich; es entsteht hier eine Vermengung der Dentine und des Cements, die aber von keiner wahren Kommunika- tion der Elfenbeinröhrchen und der Strahlen der Knochen- körperchen begleitet ist. Das Strat. intermed. ist auch schon von früheren Beobachtern (Tomes „granular layer*; Köl- liker’s „körnige aus kleinen Zahnbeinkugeln bestehende Schicht* u. A.) gesehen: allein man hat es nicht genügend gewürdigt, da man die Membrana intermedia, woraus das Stratum entsteht, übersehen hat. — Der Verf. geht am Schlusse seiner Abhandlung ausführlicher auf die Umstände ein, welche die irrige Annahme eines Ueberganges der Dentinröhren in Knochenkörperchen herbeigeführt haben (a. a. ©. p. 920 ff.). In Betreff der Entwiekelung und Verknöcherung des Zahnes werden uns über die Bildung des Zahnsäck- chens keine nähern Erläuterungen gegeben. Der Verf. hebt nur mit Recht hervor, dass die Goodsir’sche Ansicht in allen Schriften wiedergegeben wird, ohne dass sie von Je- mand bestätigt worden wäre, und obgleich Marcusen, des- sen Beobachtungen Ref. zu verfolgen Gelegenheit hatte, ihre Unrichtigkeit nachgewiesen hat. An dem fertigen Zahnsäck- chen, das mit seinem Inhalt zum Zahne verknöchert, sind vier Bestandtheile, entsprechend den 4 Bestandtheilen des Zahnes, anzunehmen: der Dentinkeim (Pulpa dentis — Zahn- keim), der Cementkeim, der durch Verknöcherung in das Cement umgewandelt wird; der Schmelz- oder Emailkeim, der unmittelbar den Dentinkeim bedeckt; und die Membrana intermedia (nicht praeformativa R.), welche das Cement oder den Cementkeim vom Schmelz- und Dentinkeim trennt und in dem beschriebenen Stratum intermedium noch theilweise erhalten ist. Das Verhalten des Dentinkeimes wurde bei Neugebornen (Schneidezähne) studirt. Da der Rand desselben älter ist, als die Basis, so finden sich die frühsten morpho- logischen Verhältnisse für die Untersuchung an der Grund- fläche. Hier besteht der Keim (Zahnknorpel And.) aus klei- nen Zellen (Dentinzellen d. Verf.), die in einer durchsiehtigen Intercellularsubstanz eingelagert sind. Nach dem Rande des Zahnkeimes hin werden die Zellen länger und in Reihen ge- ordnet. Die Verlängerung markirt sich besonders am Kerne. Die Reihen der Zellen stehen parallel zu einander und senk- recht auf dem Rande des Keimes. Die verlängerten, zuwei- len ramifizirten Zellen und Kerne einer Reihe verschmelzen untereinander und stellen das Elfenbeinröhrchen dar. Der Kern bildet das Lumen und den Inhalt der bleibenden Den- tinröhrchen, während die Wände aus den Zellmembranen und 63 dem Zellinhalt hervorgehen, Nachdem die Anlage der Röhr- chen erfolgt ist, verändert sich die weiche Masse zu einer festen kalkartigen Substanz und zwar zuerst in den ältesten Theilen am freien Rande und so fort; diese Veränderung wünscht der Verf. mit dem Namen „Verzahnung“ zu belegen. Die Ablagerung der Kalksubstanz geschieht zuerst um das Lumen der Röhrchen, später in den Wänden und in der Grundsubstanz. Ein Knochenscherbehen-, von seiner inneren Fläche betrachtet, zeigt die Lumina der Röhren als kleine Fragmente mit runder oder ovaler Oeffnung; sie ragen aber über das Niveau der umgebenden Substanz hervor. Jene Fragmente sind natürlich die peripherischen Enden der blei- benden Zahnröhrchen. Gleichzeitig mit der „Verzahnung“ der Röhrchen geht die Solidification der Grundsubstanz zur Intertubularsubstanz vor sich. Wie Marcusen, so erklärt auch Hannover die Membrana praeformativa für die zuerst in Knochen verwandelte Partie des Zahnkeimes. Eine solche gefässlose Schicht findet sich übrigens nicht allein beim Be- ginn der Verknöcherung des Zahnknorpels, sondern zu allen Zeiten auf der Innenfläche des Zahnscherbehens, indem die Gefässe von dem verzahnenden Theile des Dentinkeimes sich zurückziehen. Eine Vermehrung der Kerne der Dentinzellen durch Quertheilung wurde nicht beobachtet. — Als Cement- keim wird von dem Verf., übereinstimmend mit Marcusen (Cementorgan), das sogenannte Schmelzorgan (Raschkow) angesehen. Dieser Theil des Zahnsäckchens hat gar nichts mit der Bildung des Schmelzes zu thun; er wird von dem- selben überall durch eine besondere Haut, die vom Verf. sogenannte Membr. intermed. getrennt. Der Cementkeim umgiebt kappenartig den Dentinkeim von allen Seiten, mit Ausnahme. der Grundfläche, wird aber von demselben durch die M. intermed. und durch die Schmelzzellen der Krone ge- schieden. In seinem frühsten Entwicklungsstadium (als Pri- mordialkeim) hat er eine fast flüssige Beschaffenheit und be- steht aus einer mehr flüssigen Grundsubstanz mit eingebet- teten, rundlichen, lichten Zellen. Darauf zeigt der Cement- keim eine schwach gelatinöse Konsistenz, und die Zellen sind nunmehr sternförmig ausgewachsen (Gallertartige Bin- desubstanz R.). Später verwandelt sich das Cementorgan in eine Substanz, die der Verf. Faserknorpel nennt und welche auch aus einer streifigen Grundsubstanz und darin eingebet- teten rundlichen Knorpelkörperchen besteht. Der Verf. schil- dert aber die Entstehung dieses Faserknorpels so, als ob die Streifen der Grundsubstanz durch die Strahlen der sternförmi- gen Körperchen gebildet würden, was sicherlich ein Irrthum ist. Die Verknöcherung des Cementorganes beginnt mit einer Ab- lagerung von Kalksalzen in der Intercellularsubstanz. Die Bildung der Markkanälchen könne man sich als eine Ver- flüssigung des Cementkeims und des Cementes selbst vor- 64 stellen, deren nächste Ursache höchst wahrscheinlich in der Bildung der Gefässe zu suchen sei. — Der Emailkeim (Schmelzmembran der Aut.) besteht durch und durch aus Zellen ohne Intercellularsubstanz. Die Zellen liegen anfangs noch locker beisammen und sind mehr rundlich; später sind sie dicht aneinandergepresst, prismatisch, und füllen in nahezu senkrechter Stellung den Raum zwischen Membr. intermed. und dem Dentinkeim aus, hängen jedoch fester mit der erste- ren zusammen. Der Kern der Zelle hat stets seine Lage an demjenigen Ende, welches mit der Membran. intermedia in Verbindung tritt und zuweilen bleibt er auch mit dem ent- sprechenden Theile der Zelle (beim Zerreissen der Präparate) an der letztern haften. Obgleich die Stellung der Zellen eine senkrechte genannt wurde, so bemerkt der Verf. doch, dass sie auch unter mehr oder weniger spitzen Winkeln ge- gen die Membr. int. und den Dentinkeim gerichtet sind. Die Schmelzzellen haben eine Neigung an dem einen, dem Den- tinkeim zugewandten Ende, zugespitzt zu werden, und diese Spitze sehe man oft in lange Fäden ausgezogen. Zuweilen ist der Faden durch einen deutlichen Absatz von dem Zel- lenkörper getrennt; er zeichnet sich auch durch eine scharfe Kontour aus. Sehr unwahrscheinlich sei, dass die Fäden los- gerissene, noch nicht verzahnte Dentinröhrchen darstellen, zu- mal sie gewöhnlich als Fortsetzung der Emailzellen erschei- nen. Die Verkalkung der nach und nach verlängerten Zellen beginnt an dem zuletzt besprochenen Ende und schreitet von hier nach der Membr. intermed. zum kernhaltigen Ende fort, um sie zur Schmelzsäule zu verwandeln. Die Ablage- rung des Kalkes geschieht durch die ganze Dicke der Zellen in kleinen Absätzen, welche sich bei manchen Thieren (Ochsen, Hunde) durch die Querstreifung deutlich zu erkennen geben. — Die Membrana intermedia befindet sich an der inne- ren Fläche des Cementkeimes, liegt also an der Krone des Zahnes zwischen dem Cementorgan und den Schmelzzellen und ‚setzt sich ununterbrochen auf die Wurzel fort, den Zahn- knorpel vom Cementkeim hier trennend. Sie erscheint an Durchschnitten als eine feine, weisse Linie am Cementkeim, von welchem sie nicht ohne Schwierigkeit losgetrennt werden kann. Der Cementkeim ist von ihr und dem Zahnsacke ein- geschlossen. An den bleibenden Zähnen des neugebornen Kindes ist sie dem blossen Auge kaum sichtbar: auffallender durch ihre weissliche Färbung ist sie bei Milchzähnen und zwar am dieksten am Halse des Dentinkeims, mit welchem sie auch inniger verbunden ist. Unter dem Mikroskop zeigt sie sich als eine strukturlose Masse, in welcher sehr zahl- reiche kleine, runde oder ovale, eckige oder zugespitzte Kerne ohne deutliche Kernkörperchen eingelagert sind. A. Pander, der unter Anleitung Marcusen’s.die Struk- tur und Bildung des Zahnes studirte (De dentium structura. ar u u Tr ee A er ee . he Kt a et re WED WB FE 65 Diss. inaug. Petropoli. 1856 etc. tab. II.) neigt sich zu der Ansicht Owen’s, dass besonders die Kerne der Pulpa dentis bei der Bildung der Zahnröhrchen betheiligt sind. Die Kü- gelchen, aus welchen die Zahnröhrchen entstehen, zeigen sich in der äussersten Perepherie des Zahnbeins ordnungslos bei- einander gelagert. ‚Gegen die Höhle des Zahnes hin sieht man sie in Reihen geordnet, aber noch nicht verschmolzen, bis endlich die fertigen Röhrchen sich anschliessen, während die Kügelchen geschwunden sind. Die Röhrchen haben sogar anfangs einen varikösen Habitus. Die Interglobularräume sind, wie gehörig feine Zahnschnittchen lehren, dichte Reihen übereinander gelagerter Kügelchen, aus denen die Röhrchen hervorgehen. Das Cement verdankt seine Entstehung einer Schicht von Zellen, welche am klarsten am äusseren Rande des Schmelzes sichtbar wird. Sie betheiligen sich an der Bildung des Cementes auf die Weise, dass sie sich allmälig auflösen, der Inhalt zur Grundsubstanz verwendet wird, und die Kerne in die Knochenkörperchen sich verwandeln (! R.). Der Verf. sah häufig das Cement von Röhrchen durchzogen, die den Zahnröhrchen gleichen. Ebenso liessen sich Fort- setzungen der Zahnröhrchen in den Schmelz hinein verfolgen. Den Schluss der Arbeit nimmt die genaue Beschreibung eines gesunden und kranken Pferdezahns ein. „Ueber das Wachsthum der Knochen nach der Dicke“ (Freiburg, 1856; e. tab. II.) veröffentlichte R. Maier seine Beobachtungen. Auch der Verf. ist der Ansicht, dass die Verdickung des Knochens durch Verknöcherung einer Wucherungsschicht der Beinhaut erfolge; doch sind seine Vorstellungen darüber im Einzelnen eigenthümlich und un- richtig. Es werden an der Beinhaut, wie gewöhnlich, zwei bis drei Schichten unterschieden, indem auch die verknöchernde Wucherungsschicht dazu gerechnet wird. Die äussere hat den Charakter des Sehnengewebes, welches keine elastischen Fasernetze enthält; auf sie folgt die an elastischen Fasern reiche Schicht. In der zuletzt genannten Schicht mehr nach dem Knochen hin werden die elastischen Fasernetze beson- ders reichlich und bilden ein Maschengewebe von grösseren nnd kleineren Maschen. Die Gefässformationen sind hier zugleich geringer. Je weiter man gegen die Verknöcherungs- grenze vorschreite, desto mehr überzeuge man sich, dass in dieser als Wucherungsschicht zu bezeichnenden: Zone der Beinhaut eine grosse Menge von Kernen und Zellenforma- tionen auftreten und die übrigen Theile verdecken. Auf das Bestimmteste glaubt der Verf. sich überzeugt zu haben, dass ein grosser Theil dieser Kerne und späteren Zellen innerhalb der elastischen Faser entstehen (? R.).. Namentlich soll die Theilungsstelle der elastischen Fasern die Bildungsstätte der Kerne und Zellen sein. Eine eigentliche Blastemschicht zwi- schen Periost und Knochen wird geleugnet; es erstarrt die Müller’s Archiv. 1857. Jahresbericht, E 66 innerste Lage der Beinhaut, nachdem sie gewisse Verände- rungen durchgemacht hat, zu Knochensubstanz. Hierbei soll nun das durch die Zellenformationen nur verdeckte Maschen- werk von elastischen Fasern in das Netzwerk von Balken des ersten werdenden Knochens übergehen, während jene die Maschen ausfüllenden Zellformationen noch mehr über- hand nehmen und das Ansehen der gewöhnlichen, röthlichen Markzellen erhalten. In den Balken soll anfangs noch das elastische Fasernetz zu erkennen sein und später erst schwin- den, während die erwähnten Zellen darin zu Knochenkörper- chen verwendet werden. Die von den ersten knöchernen Bälkehen eingeschlossene Substanz enthält nach dem Verf. gleichfalls noch Faserzüge elastischen Bindegewebes, nament- lich in der Nähe der Balken selbst; sie werden zur Ver- grösserung oder Vermehrung des Lamellensystems der Ha- vers”schen; Kanäle verbraucht. Nur die die Kanäle zunächst einschliessenden Gewebstheile empfangen ihre Bildung durch sekundäre Formationen, durch die Bildungszellen, welche im Periost entstehen. Aus ihnen gehen Gefässe hervor, und um diese entwickeln sich die konzentrischen Lamellen der Ha- vers’schen Kanäle. Ref. ist nicht im Stande gewesen,' sich vollständig in den Vorstellungen Maier’s zurecht zu finden. Jene Substanz, welche während des Wachsthums der Kno- chen nach der Dicke zwischen der eigentlichen Beinhaut und den verknöcherten Theilen sich befindet, daselbst fortdauernd wuchert und in die Rindensubstanz des Knochens umgewan- delt wird (Vergl. Brandt: de processu ossificationis ete. 1852; tab. II. fig. 3), trägt die Charaktere eines Gewebes an sich, das dem Faserknorpel nahe steht und vom Ref. „häutiger Knorpel“ genannt wurde. Sie ist der Untersuchung schwer zugänglich; allein, dass sie keine elastischen Fasern enthält, davon überzeugt man sich bei Anwendung einer Kalisolution auf das Deutlichste. In Bezug auf die Grundlamellen, die parallel mit der äusseren oder inneren Oberfläche des Kno- chens laufen, und auf die interstitiellen Lamellen, die in ver- schiedenen Richtungen gebogen sind und unterbrochen durch die konzentrisch laufenden Havers’schen Lamellensysteme hinziehen, bemerkt der Verf., dass ihm an zahlreichen Durch- schnitten durch die ganze Dicke des fertigen Knochens nie- mals auch nur solche vorgekommen seien, die, obwohl un- terbrochen, doch in ihrem kurzen Verlaufe immer die paral- lele Richtung mit der Oberfläche des Knochens gehabt hätten. Die feinsten Gefässe im Innern der kompakten Substanz haben stets noch eine eigene Wand, welche aus einer homogenen Membran mit Kernen besteht. An den Innenwänden der Havers’schen Kanäle wurden ferner stets mehrere Schichten zart kontourirter, blasser Zellen gefunden. Hinsichtlich der Strahlen der Knochenkörperchen wird angeführt, dass sie zwar zahlreiche Anastomosen bilden, aber auch freie Enden 67 besitzen. Freie Ausmündungen der Kanälchen kommen an der äusseren, der Beinhaut zugewandten Oberfläche des Kno- ehens, ebenso an der inneren, der Markhöhle zugekehrten, endlich sehr zahlreich an der Innenseite der Havers’schen Kanäle vor. Muskelgewebe. Die so räthselhafte morphologische Beschaffenheit der ge - streiften Muskelfasern hat seit dem Jahre 1856 die Auf- merksamkeit der Histologen von Neuem in höherem Grade in Anspruch g9nommen. Die Anregung dazu ging von Ley- dig aus (Müll. Arch. 1856; p. 156 ff.). Der Verf, von der keineswegs allgemein gültigen Ansicht ausgehend, dass die Existenz präformirter Fibrillen ihre Hauptstütze in den mi- kroskopischen Erscheinungen des Querschnittes der gestreif- ten Muskelfaser besitze, gelangte bei seinen Untersuchungen zu dem Resultat, dass die vonBowman und Kölliker für Querschnitte von Fibrillen gehaltenen Pünktchen vielmehr die Querschnitte von Hohlräumen sind, welche wahrschein- lich mit Kernen zusammenhängen und mit diesen Körperchen darstellen, die sich mit den verästelten Bindesubstanzkörper- chen vergleichen lassen. Leydig macht darauf aufmerksam, dass die an dem Querschnitt eines getrockneten und mit Was- ser wieder angefeuchteten Froschmuskels sichtbaren Pünkt- chen durchaus nicht so zahlreich seien, wie es erwartet wer- den müsste, und dass vielmehr die zwischen den Pünktchen gelegene Masse weit überwiege. Ausserdem haben die Pünkt- chen das Aussehen von Ringelchen, wie sie Bowman zeichne, grade so wie beim Querschnitt von Kanälchen. Endlich sehe man bei schräg getroffenen Primitivbündeln die lichten, scharf kontourirten Ringelchen zu länglichen, gezacktrandigen Figuren sich verlängern, deren Durchmesser mit dem des Primitivbündels parallel verlaufen. Bei Anwendung von Es- sigsäure schliessen sich die Lücken und nehmen sich als dunkle Pünktehen und Pünktchen-Reihen aus, grade so wie bei den Bindegewebkörperchen. Wenn ein Primitivbündel Fett enthält, so scheinen die Fettkörperchen ausschliesslich in diesen gezackten Hohlräumen untergebracht zu sein. Die zwischen diesen Pünktchen gelegene Zwischensubstanz ist also nach dem Verf. nicht als sogenannte „verkittende Substanz“ anzusehen, sondern als die eigentliche kontraktile, sog. Fi- - brillär-Substanz. Die Längs- oder Querstreifung dieser Sub- stanz soll durch das bezeichnete Kanalsystem innerhalb des Sarcolemma’s herbeigeführt sein. — Nach des Ref. Ansicht lehrt die Untersuchung besonders der Thoraxmuskeln von In- sekten, dass die Fibrillen als natürliche Bestandtheile neben der primitiven Scheide, den Kernen und einer nur geringen Menge interfibrillären Stoffes in den Bau der gestreiften Mus- kelfasern aufzunehmen sind. Auch geht der Verf. zu weit, E* 68 wenn er es ganz und gar leugnetj, dass diese Fibrillen sich auf dem Querschnitt der Figur zu erkennen geben können. Auf der anderen Seite muss man Leydig darin Recht ge- ben, dass die Fibrillen ebenso, wie auf dem Längsschnitt, so auch auf dem Querschnitt sich wenig oder gar nicht ver- rathen, und dass die im letzteren Falle sichtbaren Pünktchen oft deutlich das Ansehen von Lücken haben, in denen sogar kleine Kügelchen oder Fetttröpfchen bemerkt werden. Kölliker hat auch sofort in seiner Abhandlung (Bemerk. zum Bau der Muskelfaser. Zeitsch. f. w. Zoolog. Bd. VIII. p- 313 ff.) die Existenz der Fibrillen in der gestreiften Mus- kelfaser wenigstens der höheren Geschöpfe gegenüber Ley- dig in Schutz genommen. Der Verf. gesteht zwar ein, dass er selbst, und wohl auch viele andere Forscher, früher die Querschnitte der später zu erwähnenden Körnerzüge in der Muskelfaser mit den Querschnitten der Fibrillen verwech- selt haben, und dass letztere keineswegs so häufig und so deutlich wie man es vielfältig annahm, zu Tage treten. Den- noch komme an Querschnitten gestreifter Muskelfasern zu- weilen eine so regelmässige‘, gleichartige, aber zarte Punk- tirung vor, die kaum auf etwas Anderes als auf die quer- durchschnittenen Fibrillen bezogen werden könne. Die Pünkt- chen stossen so dicht beisammen, dass mikroskopisch we- nigstens eine verkittende Zwischensubstanz nicht nachzuweisen sei. Was die gezacktrandigen Körper Leydig’s betrifft, so glaubt Kölliker sich zu dem Ausspruch berechtigt, dass dieselben nichts Anderes sind, als die längst bekannten Kerne der primitiven Muskelbündel im eingeschrumpften Zustande. Es ist aber wohl um so weniger vorauszusetzen, dass Ley- dig die erwähnten Kerne übersehen habe, als derselbe aus- drücklich von Kernen spricht, die zuweilen in den gezackt- randigen Körpern sichtbar seien. Es ist nach des Ref. An- sicht vielmehr wahrscheinlich, dass die Aufstellung des Ley- dig’schen Höhlensystems in der Muskelfaser durch eine Er- scheinung derselben veranlasst worden ist, die Kölliker als ein neues, bisher nicht genügend gewürdigtes Strukturver- hältniss der gestreiften Muskelfaser aufzustellen versucht hat. Der Verf. fand nämlich, dass-in den frischen Muskelfasern aus- ser den Fibrillen und den Kernen noch eine besonders ge- formteZwischensubstanz existirt, die bei physiologischen: und pathologischen Vorgängen der Muskeln allem Anscheine nach eine nicht unwichtige Rolle spielt. Dieselben geben sich als linienförmige Züge von rundlichen, sehr blas- sen Körnchen zu erkennen, die in Interstitien zwischen den Fibrillen eingebettet sind. Muskelfasern, an welchen diese Körnchenreihen deutlicher zu sehen sind, zeigen (wie natürlich, Ref.), eine mehr längsstreifige Zeichnung. An quer- streifigen Muskelfasern werden sie nach Zusatz von Wasser gleichfalls erkannt, und es sind dann die Lücken (Leydig’s 69 Höhlen) der kontraktilen Substanz, welche die Körnchen ent- halten, oft ziemlich scharf begrenzt. Nach Anwendung der Essigsäure werden die Körnchenreihen durch die aufgequol- lenen Fibrillen komprimirt und zu faserartigen Streifen ver- wandelt. Die Körnchenzüge liegen hier zahlreich auch in der Nähe der Kerne. Von den Lücken, in welchen Körn- chenzüge mit und ohne Kerne sich befinden, sind bald grös- sere, bald kleinere Vacuolen zu unterscheiden, die in rei- henförmiger Anordnung nach Anwendung von diluirten Salz- lösungen (Glaubersalz 3—7°/,) dadurch entstehen, dass die kontraktile Substanz durch Aufnahme von Salzlösung an den Stellen stärker auseinanderweicht, wo die interstitiellen Kör- nerzüge liegen. An Querschnitten der Muskelfasern sind mehr oder weniger deutlich die Kerne, die Durchschnitte der Fibrillen und endlich die interstitiellen Körnerzüge zu er- kennen. Der Verf. macht ferner darauf aufmerksam, dass die längst bekannten, dunkeln Fettkörnchen, die namentlich auch in Froschmuskeln sehr häufig sich finden, einer Meta- morphose ‘der normal in jeder Muskelfaser vorkommenden und bisher übersehenen blassen Körnchen ihren Ursprung verdanken. Die Grösse sowohl, als die Lage und Anord- nung der Fettkörnchen stimmt mit den beschriebenen Zügen von blossen Körnchen überein. Es lag nur die Frage nahe, die chemische Beschaffenheit der letzteren Körnchen genauer zu ermitteln. Bei Anwendung von Kalilösung (20°/,) werden bekanntlich die Muskelfasern blass, und die Körnchenreihen treten auf kürzere Zeit äusserst deutlich hervor. Nach 1—2 Stunden und Zusatz von Wasser entleeren sich die Muskel- faserscheiden ihres Inhaltes; die kontraktile Substanz ist dann in einen feinkörnigen Detritus zerfallen, die Kerne sind be- kanntlich hellblasig, die Körnchenreihen bleiben im Wesent- lichen unverändert. Nach 24 Stunden sind Sarcolemma, Kerne und Körnerzüge noch immer zu erkennen. In Kalisolution (5—10°/,) ist nach 24 Stunden jede Spur der Körnerzüge ge- schwunden. In kalter Essigsäure erhalten sich die Körner gut, doch meist in Form von kernfaserartigen Fäserchen; nach längerem Kochen in Essigsäure schwinden sie und zwar früher als die Fibrillen. In Wasser, Alkohol, Aether lösen sie sich auch beim längeren Kochen nicht auf, ausgenommen diejenigen, die aus Fett bestehen. Kölliker glaubt sich hiernach zu der Folgerung berechtigt, dass die interstitiellen Körner in chemischer Beziehung ziemlich mit der kontrak- tilen Substanz übereinstimmen, nur dass sie in Kalisolutionen sich schwieriger und in Essigsäure leichter lösen (? R.). Die vom Verf. genauer beschriebenen Körnerreihen, welche in Interstitien (Leydig’s Höhlensystem) zwischen den Fibril- len öfters in Begleitung von Kernen und umspült von einer grösseren oder geringeren Menge eines nicht näher zu be- stimmenden Fluidums vorkommen, gehören zu längst bekann- 70 ten: Erscheinungen der gestreiften Muskelfasern. Wenn die- selben bisher, und zwar.zunächst bis auf Leydig, für den Bau der Muskelfasern nicht besonders verwerthet wurden, so geschah dieses wohl aus dem Grunde, weil man sie für Produkte des Stoffwechsels gehalten oder auch in die granu- lirte, kernreiche Axensubstanz vieler Muskelfasern unter- gebracht hat. Für die Histologie ist die Entscheidung der Frage von Wichtigkeit, ob die interfibrillären Intersti- tien mit den Körnchen etc. in die. normale Struktur der Muskelfasern aufzunehmen sind, oder nicht, und im ersteren Falle, wie man sich mit ihnen den Bau der gestreiften Muskelfasern zu denken habe. Bei Entscheidung dieser Fragen werden die Resultate aus der Entwickelungs- geschichte der gestreiften Muskelfaser wesentlich mitzuspre- chen haben, und diese ist bis zur heutigen Stunde noch zu wenig bekannt, am wenigsten allgemein anerkannt. Gegen Leydig's Ver such, die interfibrillären Hohlräume und ihren Inhalt mit verzweigten Bindesubstanzkörperchen zu verglei- chen, spricht der Umstand, dass besondere Wandungen an diesen Hohlräumen nicht nachzuweisen sind. Kölliker nimmt sofort die Frage auf, ob die interstitielle Körnersub- stanz nicht mit dem Stoffverbrauche in den Muskeln zusam- menhänge und gewissermaassen als mikroskopischer Ausdruck des raschen Umsatzes des Materiales in denselben -anzusehen sei. Der Verf. denkt sich die Möglichkeit, dass die Körn- chen, welche eine ähnliche Anordnung (lineare) und Grösse, wie die Sarcous elements von Bowman, besitzen, einem direkten Zerfallen der Fibrillen ihren Ursprung verdan- ken; er weiset zugleich darauf hin, dass bei Verfettung der Muskeln die Fibrillen hinschwinden (? R.), während mehr und mehr anfangs blasse, später fettartige Körnchen 'an ihre Stelle treten. (Gegen diese Ansicht könnte nach Kölliker die nicht unbedeutende Resistenz der interstitiellen Körner gegen chemische Agentien angeführt werden; doch wäre es möglich, dass auf dem Wege des Zerfallens der Fibrillen eine Reihe von Zwischenstufen liegen, und dass neben den schwerer löslichen Körnern auch leichter lösliche vorkom- men, welche wegen dieser Eigenschaft sich der Beobachtung entziehen. Der Verf. stellt auch noch andere Möglichkeiten mit Bezug; auf die Deutung obiger Körner auf. Wegen der leichten Umwandlung derselben in Fett, wäre es nämlich denkbar, dass diese Körner, auch wenn sie von einem Zer- fallen der Fibrillen herrühren, doch nicht einem regelrechten Stoffwechsel (Regeneration R.) angehören. Ferner lasse sich die Vermuthung nicht grade abweisen, dass die Körner über- haupt nicht auf eine Regeneration der Fibrillen zu beziehen seien, sondern als Niederschläge der die kontraktile Substanz tränkenden Flüssigkeit (also als Produkte des einfachen Stoff- wechsels und der Ernährung Sens. striet. R.) zu ‚betrachten 71 seien. Endlich wird noch die Möglichkeit aufgestellt, dass die Körnerreihen, wenn auch der beständigen Regeneration von Fibrillen angehörig, nicht sowohl auf das Zerfallen der letzteren, als vielmehr auf ihre Neubildung bezogen werden müssen. Für diese Ansicht liesse sich vielleicht anführen, dass schon bei Embryonen und Neugebornen schöne Reihen von blassen, zuweilen auch von dunklen, fettartigen Körn- chen in den Muskelfasern angetroffen werden. ‘Wie man sich leicht überzeugt, und wie auch Kölliker selbst eingesteht, muss die ganze Frage als eine, noch lange nicht spruchreife angesehen werden. Zunächst scheint wohl noch die Frage erledigt werden zu müssen, ob die kernähn- lichen Gebilde der gestreiften Muskelfasern, desgleichen die öfters vorkommende körner- und kernreiche Axensubstanz derselben mit den so leicht fettartig werdenden Körnerreihen der Muskelfasern sehr vieler Thiere in eine Kategorie zu stellen sind. Ref. möchte dieses bezweifeln. Die an Kernen reiche Axensubstanz und die zerstreut vorkommenden Kerne des primitiven Muskelbündels sind am Auffälligsten im Em- bryo und Fötus während der Bildung und Entwickelung des primitiven Muskelbündels, ohne dass man etwas Genaues über ihre Bedeutung daselbst aussagen könnte. Die Körn- chenreihen dagegen werden in den schon gebildeten und in Thätigkeit gesetzten Muskelfasern angetroffen und dürften hier wohl als Erscheinungen entweder der Regeneration oder ‚des einfachen Stoffwechsels der Muskelfibrillen zu deuten sein. Kölliker’s Ansicht neigt sich mehr zur Regeneration hin. Wenn jedoch, wie nach der Beständigkeit der Körn- chenreihen in vielen Muskelfasern angenommen werden muss, die Regeneration beständig vor sich geht, so müssen auch die darauf bezüglichen Erscheinungen des Zerfallens der Fibril- len und der Neubildung in übersichtlicher Reihenfolge vor- liegen, und dieses ist nicht der Fall. Viel wahrscheinlicher ist es, dass man es mit Erscheinungen des bei den Muskel- fasern so regen, einfachen Stoffwechsels, mit Niederschlägen des zwischen den Fibrillen abgesetzten Stoffes zu thun habe. Mögen indess die Körnchenreihen der Regeneration oder dem einfachen Stoffwechsel der Fibrillen angehören, in beiden Fäl- len darf man nicht übersehen, dass dieselben bei der Frage nach der Struktur und Textur der gestreiften Muskel- faser eine nur untergeordnete Stellung gegenüber den übrigen Bestandtheilen einnehmen. Was die Ausbreitung der in Rede stehenden Körn- chenreihen betrifft, so bemerkt Kölliker, dass sie eine, wenn auch vielleicht nicht allgemeine, so doch sehr ver- breitete Erscheinung in den gestreiften Muskelfasern sind. Am auffallendsten sollen sie zwischen den so leicht in einzelne Fibrillen zerfallenden Muskelfasern der Insekten sein. Der Verf. rechnet nämlich hierher jene bekannten Körner und 72 die fein granulirte Substanz zwischen den Muskelfasern da- selbst. Inzwischen dürfte es noch fraglich sein, ob die be- zeichnete Substanz mit den interfibrillären Körnerreihen der Wirbelthiere zu identifieiren ist. Man findet nämlich die fragliche Substanz der Insekten auch zwischen ganzen Mus- kelbündeln und zwischen den Fibrillen derselben keine Spur davon. Noch in den letzten Tagen untersuchte Ref. die Mus- kelfasern am Stachel der Bienen; die meisten primitiven Bün- del zeigten eine an Kernen reiche Axensubstanz; nirgends waren zwischen den Fibrillen Körnerreihen zu bemerken. "Auffallend sind die Körnerreihen, wie der Verf. hervorhebt, bei den nackten Amphibien; ferner bei Fischen, namentlich sehr schön in den blassen Muskeln eines im Mai gefangenen Störes. Von den Muskeln der Herzkammern der Frösche lassen sich die blassen, interstitiellen Körner leicht isolirt erhalten. Bei den Säugethieren und dem Menschen sind obige Körner nur dann gut zu sehen, wenn: sie fettig entartet sind. „Ueber freie Enden quergestreifter Muskelfäden im Innern der Muskeln“ haben wir einige Mittheilungen durch A. Rollet erhalten (Sitzungsb. der Akademie d. W, zu Wien; Bd. XXI]. p. 176—180). Um die freien Enden der Muskelfasern im Verlaufe der Muskeln leichter aufzufinden, müssen letztere zuerst gekocht und dann in Glycerin gelegt werden, worauf sie nach Zusatz von Wasser sich bequem in ihre Fasern trennen lassen. Die im Innern der Muskeln vorgefundenen, freien Enden der Muskelfasern laufen sämmt- lieh, sich ‚allmälig, verschmälernd, in eine Spitze aus, welche langgezogen sich zwischen die benachbarten Muskelelemente einschmiegte. Diese spitz zulaufenden Muskelfäden finden sich wahrscheinlich allgemein vor, da sie beim Menschen, beim Rinde, beim Kaninchen, beim Frosch und Karpfen nach- zuweisen waren. Es scheint, als ob die Zahl der in bezeich- neter Weise endigenden Muskelfasern bei verschiedenen Mus- keln keine auffallende Verschiedenheit darbiete. Das spitz auslaufende Ende der Muskelfasern verhält sich mikrosko- pisch ebenso, wie der dickere und breitere Abschnitt; nur die Zahl der Fibrillen verringert sich mit zunehmender Verschmä- lerung. Die Querstreifen sind überall deutlich, die Kerne werden seltner und folgen sich in grösseren Abständen auf einander; das Sarcolemma hüllt blindsackförmig die Spitze ein. Da die Muskelfasern an der Verbindungsstelle mit den Sehnen stumpfe, abgerüundete Enden besitzen, so lag die Frage nahe, ob es dieselben Muskelfasern sind, welche im Muskel mit dem anderen Ende spitz auslaufen, und ob es Muskel- fasern gebe, die an beiden Enden spitz oder an beiden En- den stumpf endigen. Mit Sicherheit haben sich diese Fragen nicht beantworten lassen, da es wegen der bedeutenden Länge der Muskelfasern nicht gelingen wollte, dieselben vollständig zu isoliren. Beim Frosche sah der Verf. Muskelfasern, die 73 im Laufe des Muskels auf der einen Seite spitz, auf der an- deren, wie bei der Insertion der Sehnen, stumpf endigten. Desgleichen zeigten sich die spitz auslaufenden Enden von Muskelfasern gegen beide Insertionspunkte des Muskels ge- richtet. Rollet hat endlich auch die Frage aufgeworfen, ob die im Innern des Muskels endigenden Muskelfasern nur als solche anzusehen seien, die sich in einem vorübergehenden Entwickelungsstadium befinden und die schliesslich bei be- endetem Wachsthum die Sehne noch erreichen würden. Bei einem Vergleich der, im Innern gleicher Muskeln des Kindes und Erwachsener spitz endigenden, Muskelfasern zeigte sich, dass die Anzahl derselben bei ersterem nicht häufiger sind, als bei letzteren. Wesentlich dasselbe Resultat wurde bei Vergleichung der Muskeln des Rindes und Kalbes gewonnen. Die spitzen Enden der Muskelfasern des Kalbes sind schlan- ker, als die des Rindes, allein dieser Unterschied in der Dicke der Muskelenden verschiedener Altersstufen steht in gleichem Verhältniss zur Dicke der Muskelfasern überhaupt. Die erwähnten Umstände sprechen also nicht sehr dafür, dass die spitz auslaufenden Muskelenden einem vorüberge- henden Entwickelungsstadium angehören. A. Fick hat Beobachtungen über die Anheftung der Muskelfasern an die Sehnen angestellt (Müll. Arch. 1856, p. 425 ff.). Der Verf. geht bei seinen Untersuchungen und bei Abfassung seiner Abhandlung, wie es scheint, haupt- sächlich von der Unterlage aus, welche ihm die Kölliker- schen Handbücher der Gewebelehre unterbreiten und glaubt, dass eine „eigens dem Uebergang der Muskel in die Seh- nenfaser gewidmete Untersuchung“ nicht vorliege. Ref. er- laubt sich daher auf seine Schrift über die Bindesubstanzge- bilde (Dorpat 1845, p. 76—79), desgleichen auf den Jahres- bericht vom Jahre 1850 (Müll. Arch. 1851, p. 56) hinzuweisen, an welchem letzteren Orte sogar die Bowman-Kölliker- schen Ansichten kritisch besprochen worden sind. Von den Leydig’schen Arbeiten auf diesem Gebiete war im letzten Jahresbericht die Rede. A. Fick ist zunächst in Betreff des Sarcolemma zu demselben Resultate gelangt, zu welchem auch Ref. und Leydig gelangt waren. Ob die Muskelfa- sern unter spitzen Winkeln an die Ränder und Flächen der Sehnen stossen, oder sich gradlinig in die letzteren fortsetzen, überall sieht man die primitive Muskelscheide sich kontinuir- lich in die Sehnensubstanz fortsetzen. Da Kölliker und vor ihm Bowman behauptet hatten, dass nur bei den unter spitzem Winkel an die Sehne stossenden Muskelfasern ein solcher Uebergang stattfinden sollte, so wurden besonders die gradlinig in ihre Sehne sich fortsetzenden Muskeln un- tersucht; so namentlich der Musc. gastrocnemius des Fro- sches, desgleichen derselbe Muskel von der Maus und vom Kaninchen, endlich auch vom Menschen. Es wurden theils 74 frische Präparate gewählt, theils solche, die eine kurze Zeit in Alkohol gelegen hatten und nun sich sehr bequem zer- theilen liessen. Während aber der Verf. hinsichtlich des Sar- colemma sich ganz auf die Seite des Ref. gestellt hat, so wird in einem andern Punkte die ältere, auch von Kölliker für gewisse Fälle angenommene Ansicht als allgemein gültig wiederholt, nämlich die Ansicht, dass die fibrilläre Substanz der Muskelfasern direkt in die Sehnensubstanz übergehen solle. Der Verf. sagt ausdrücklich, dass innerhalb des Schlau- ches, durch welchen die Sehne in das Sarcolemma übergeht, noch Sehnenfäden sichtbar seien, die mit den Fibrillen der Muskelfasern im Zusammenhange stehen. Später wird hin- zugefügt, dass die bezeichneten Fäden sich wahrscheinlich zum Theil zwischen die Fibrillen der Muskelfasern hinein erstrecken. Es ist dem Ref. aus der Abhandlung nicht ganz klar geworden, ob alle Fäden direkt sich mit Fibrillen ver- binden, oder nur ein Theil derselben, oder ob alle Fäden schliesslich doch zwischen den Fibrillen hinziehen. Referent muss jeden Zusammenhang der Fibrillen mit der Sehnensub- stanz leugnen. Es wird übrigens auch aus den beigegebenen Zeichnungen des Verf. offenbar, dass derselbe die feinen Fältchen des Sarcolemma am Ende einer Muskelfaser als Fädchen gedeutet hat, die von der Sehnensubstanz zu den Fibrillen hinziehen sollen. Die Muskelfasern von Oxyuris ornata (Triton igneus) beschreibt G. Walter (Zeitsch. f. w. Zool. Bd. VIII. p. 175 ft.). Es lassen sich an ihnen eine äussere, direkt vom Corium entspringende, fein längsstreifige Membran, des Sarcolemma, und ein homogener, zähflüssiger Inhalt mit darin eingebet- teten, runden oder bisquitförmigen, das Licht stark brechen- den Körperchen unterscheiden. Die zuletzt erwähnten Kör- perchen bewegen sich bei geringem Druck innerhalb des Muskelschlauches frei hin und her. Wird der Leib älterer Individuen durchschnitten, so verändert sich nach einiger Zeit das Ansehen der Muskelfasern, wahrscheinlich in Folge von Koagulation des Inhaltes. Sie schrumpfen in ihrem Dicken- durchmesser etwas zusammen, und der Inhalt zerfällt in ho- mogene, hellglänzende Querscheiben, die durch eine schwach glänzende Grundsubstanz aneinander gekittet werden; die Muskelfaser gewährt nahezu ein mikroskopisches Bild, wie die der Insekten. Das Sarcolemma hebt sich bei der Gerin- nung des Muskelfaserinhaltes und Wasserdiffusion leicht ab und erscheint dann ganz homogen, so dass die erwähnte Längsstreifung wohl von einer Faltenbildung herrührt. Auf- fallender Weise sah der Verf. zuweilen, wenn auch sehr sel- ten, das durch den Schnitt frei gelegte Ende in 2—4—6 Bün- del zerfallen, an welchen keine eigene Membran sichtbar war. Bei jüngeren Individuen, die mit Wasser befeuchtet unter- sucht werden, erscheint das Sarcolemma von grossen Zellen 75 angefüllt, die mit einem bei durchfallendem Lichte röthlich erscheinenden Kern versehen sind. Werden die Präparate aber frisch ohne Anwendung von Wasser beobachtet, so sieht man keine Zellen, sondern nur die röthlich schimmernden kernartigen Körper. Aus den Durchschnittsenden solcher Mnskelfasern treten dagegen grosse, hüllenlose, eiweissartige Tropfen hervor, welche den röthlich schimmernden Körper enthalten und theils durch Druck, theils, wenn auch selten, freiwillig verschiedene Formen annehmen. Der Verf. wünscht diese Fasern als Sarcodeschläuche zu betrachten, die später - zu den beschriebenen Muskelfasern älterer Individuen sich umwandeln. An den noch nematodenartig gestalteten Cysticerken aus der Leber von Kaninchen besteht die unter der Epider- mis gelegene, ziemlich dicke Muskelhaut aus bandartigen, glashellen, homogenen Fäden von beträchtlicher Länge und 0,0019 Mm. Breite; Kerne lassen sich nicht nachweisen (Leuckart: Die Blasenwürmer etc. Giessen 1856, p. 128). — Die Muskelfasern der Pulmonaten besitzen nach Sem- per (Zeitsch. f. w. Z. Bd. VIII, p. 545) ein deutliches Sar- colemma, an welchem zuweilen Kerne bemerkbar werden. Im: Inhalte werden zwei Schichten, die Rinden- und Mark- schicht unterschieden. Die Rindenschicht ist homogen und durchsichtig, hat aber grosse Neigung in kleine Stücke zu zerfallen, die an dem durchgeschnittenen Ende der Muskel- fasern herausfallen. Die Markschicht ist fein granulirt, im frischen Zustande jedoch so blass, dass man die Muskelfaser für hohl halten könnte. Mit Wasser behandelte Muskelfasern lassen die Rindenschicht in Stückchen austreten, worauf der solide Axenstrang deutlich hervortritt; der Name „Muskel- röhren* (Leydig) erscheint hiernach für diese Muskelfasern nicht ganz passend. — Die Muskelfasern der Medusa aurita, welche sich besonders an der unteren Fläche der Scheibe konzentrisch in den central gelegenen Mund u. s. w. ausbrei- ten, stellen nach M. Schultze 0,001—2"" breite, sehr blasse, kernlose Bänder dar, an welchen bei frisch aus dem See- wasser entnommenen Thieren deutliche Querstreifung zu er- kennen ist, wie dieses schon R. Wagner von der Pelagia noctiluca angegeben und gezeichnet hat (Müll. Arch. 1856, p- 314). | Ch. Morel, developpement et structure du systeme mus- culaire. These presentee au concours pour l’aggregation en anatomie etc. Paris. 4to. Histologische Formbestandtheile des Nervensystems. Gastaldi’s Untersuchungen über die EndigungdesGe- ruchsnerven waren, wie der Verf. hervorhebt, bereits zum Abschluss gelangt, bevor ihm die Abhandlung Ecker’s be- kannt gewesen (Nuove Ricerche sovra la terminazione del 76 nervo olfattorio; Mem. approvata per la stampa nei Vol. Accad. nell’ adunanza del 29 giugno 1856). Der Verf. ist durch seine Beobachtungen an Fröschen bei Anwendung der Chromsäure zu Resultaten gelangt, die ein ähnliches Verhalten der Endigung des Geruchsnerven, wie das des Nerv. acusticus nach Corti und des Sehnerven nach Müller und Kölliker herausstellen. An feinsten Schnittchen, die senkrecht durch die Membr. Schneid. gemacht werden, un- terscheidet der Verf. folgende Schichten. 1) Unmittelbar auf den knorpligen Theilen findet sich die nervöse Schicht, welche ebenso, wie die Nervenfaserschicht der Netzhaut in Betreff des N. opticus, als flächenhafte Ausbreitung des Nerv. ol- factorius anzusehen ist. Sie enthält viele sternförmige Pig- mentzellen. 2) die Anhänge der Nervenfasern (Appendiei nervei), welche sich unter einem rechten Winkel von der Nervenfaserschicht abheben, um sich an das centrale, innere Ende der sogenannten Coni anzufügen. Dieselben zeigen in ihrem Verlaufe eine gangliöse Anschwellung mit einem deut- lichen, grossen Kern; ihr direkter Uebergang in die Nerven- fasern war nicht zu verfolgen, doch ist er wahrscheinlich. Die fragliche Schicht wird mit der Körnerschicht der Netz- haut verglichen. In der tieferen Lage dieser Schicht kom- men zahlreiche Schleimdrüsen — Follikel vor. 3) Unmittel- bar unter dem Cylinderepithel liegt eine Schicht kegelförmiger Körper (Coni), deren breitere Basis mit dem Befestigungs- ende je einer Cylinderzelle sich verbindet, und deren entge- gengesetztes schmaleres Ende auf den peripherischen Aus- läufern der unter (2) angeführten Nervenanhänge stösst. Ein jeder Conus zeigt einen kleineren, kernähnlichen Körper. Auf die Schicht der Coni folgt 4) das cylindrische Flimmer- epithelium, dessen Zellen in grader Linie über den entspre- chenden Conus sich erheben und von demselben nur nach zwei- bis dreitägiger Mazeration sich lostrennen. Seeberg beschreibt in seiner Inaugural-Abhandlung (Diss. micros. de text. membr. pituit. nasi; Dorp. 1856, p. 48 ff.) die Strukturverhältnisse des Nerv. olfact. in folgender Weise. Der Tractus und Bulbus olfactorius des Menschen enthält, wie Durchschnitte getrockneter Präparate lehren, ein, bisweilen selbst zwei spaltförmige Höhlen, das Residuum der embryonalen Höhle dieses Theiles; ein die Binnenfläche bekleidendes Epithelium war nicht nachzuweisen. Die Haupt- masse der Wandung dieser spaltförmigen Höhle besteht aus grauer Substanz, die derjenigen des Grosshirnes ähnlich ist. In derselben verlaufen näher zur Höhle hin dunkelrandige Medullarfasern in der Art, dass eine dickere peripherische Schicht der grauen Substanz nach Aussen und eine dünnere nach dem Hohlraum hin frei von ihnen bleibt. Die graue Substanz lässt in einer strukturlosen, grauen Grundmasse kleine, rundliche, oder eiförmige, glänzende Körperchen er- > 77 kennen, deren Zellennatur zweifelhaft ist. Von den um den Kanal vertheilten Nervenfasern sind die unterhalb desselben‘ gelegenen von geringerer Dicke, als die oberhalb sichtbaren. Eine besondere Aufmerksamkeit verwendete der Verf. auf Untersuchung der Nervenfasern beim Verlaufe derselben in dem Bulbus olfact. und durch diesen hindurch in die Riech- schleimhaut. Die Nervenfasern des Tract. olf. ziehen im graden Verlauf bis zum Bulbus, weichen hier allmälig aus- einander, nehmen an Zahl ab und hören etwa 1” P. hinter dem konvexen Rande desselben auf. Gegen die Spitze des Bulb. hin waren nur noch sehr wenige Fasern bemerkbar; niemals liess sich eine Faserin die Fortsätze hinein verfolgen, welche aus dem Bulbus olf. in die Nasenhöhle hineintreten. Wo die Nervenfasern im Bulbus olf. aufhören, ist die Substanz des letzteren durch ein dichtes Kapillarnetz ausgezeichnet. Wie die Fasern im Bulbus endigen, war nicht genau zu ermitteln. Doch sah man die Enden der dickern und dünneren Nervenfasern gegeneinander geneigt, und es wäre also möglich, dass sie schlingenförmig so ineinander übergehen, wie es Böttcher beim Nerv. cochleae bemerkt hat. Bei den Säugethieren verhält sich der Tract. und Bulb. olf. wie beim Menschen. Die Nervenfasern des Hundes hat- ten eine Breite von 0,0020”, die der Katze von 0,0010" P. — Die zwölf bis funfzehn Fortsätze, welche vom Bulb. olf. durch die Foram. cribrosa zur Schneider’schen Riechhaut entsendet werden, nehmen hier in Form eines netzförmigen Geflechtes zunächst die Lage zwischen Beinhaut und dem innersten Theile der Schleimhaut ein. Beim Menschen liess sich von hier kein Aestchen, kein Zweig zur Oberfläche der Riechhaut verfolgen. Beim Frosch laufen aus dem Netzwerk Fortsätze aus, die in das Schleimhautsubstrat eintreten und hier mit dem bindegewebigen Stroma so verschmelzen, dass sie nicht mehr unterschieden werden können. Bei Hunden und Katzen haben die frisch untersuchten Fortsätze des Bul- bus innerhalb des Schädels eine grauliche Färbung, eine sehr weiche, leicht zerreissliche Beschaffenheit und ein mehr hya- lines Ansehen. Weiterhin, nachdem sie von Scheiden der Dura mater umhüllt in die Riechhaut eingetreten sind, zeigen die Stränge unregelmässige, parallele Streifung und sind von stäbchenförmigen, längsovalen, kernähnlichen Körperchen be- setzt. Bei Hunden und Katzen lassen sich die Stränge mit einiger Mühe in dünne Fasern von 0,006” - 0,0084" P. spal- ten. Die Fasern sind plattgedrückt, bandförmig, von fein- granulirtem Ansehen; die länglichen, fast stäbchenförmigen, zuweilen in sehr feine Fäden auslaufenden Kerne lösen sich leicht von ihnen ab. Der Verf. stimmt in der Beschreibung dieser Fasern im Allgemeinen mit den Angaben Kölliker’s,, Harless’s, Hessling’s überein, doch glaubt er dieselben nicht als Hohlkörper auffassen zu dürfen, man solle sie viel-: 78 mehr als Stränge ansehen, deren peripherischer Theil solide, deren fein granulirte, centrale Masse zähflüssig sei und beim Druck, niemals aber von selbst, theilweise heraustrete (? R.). Bei jungen Thieren zeige sich die centrale Masse etwas flüs- siger. Die Zertheilung der Riechnerven in faserähnliche Ge- bilde gelingt sehr leicht beim Hecht und überhaupt bei Fi- schen. Bei erwachsenen Vögeln ist die centrale Masse der Fasern fester und selbst beim stärkeren Druck nicht auszu- pressen. Seeberg ist daher der Ansicht, dass die beschrie- benen Fasern der vom Bulbus olf. abgehenden Fortsätze, obgleich sie im Laufe (gleichsam in der Fortsetzung R.) des Nerven liegen, nicht als Elemente des Nervensystems angesehen werden dürfen. Es fehlen denselben diejenigen Eigenschaften, welche die Elemente des Nervensystems cha- rakterisiren; man solle sie vielmehr als Hilfsorgane des Tract. und Bulb. olf. betrachten, die sich analog der Stäbchenschicht der Retina. oder den Fortsätzen des Schnek- kenneryven (Böttcher) etc. verhalten. Histologisch sollen die in der Riechschleimhaut ausstrahlenden Aeste und Zweige des N. olfact. als eine besondere Form von Bindesubstanz betrachtet werden, mit welcher sie auch in ihrem Verhalten gegen Essigsäure und Schwefelsäure übereinstimmen. Bei Scyllium verhält sich die allerletzte Nervenausbrei- tung des N. olfactorius nach Kölliker folgendermaassen (Würzb. Verhandl. 1857; p. 34 fl... Von. den sekundären Blättern der mit Chromsäure behandelten Geruchsorgane las- sen sich dünne, zarte Häutchen isoliren, die unmittelbar unter dem Epithel liegen und vom Verf. als wirkliche Nerven- membranen angesehen werden. Sie bestehen aus einer homogenen Bindegewebslage, in welcher die in die sekun- dären Blätter eintretenden blassen Aeste des N. olfactorius ihre terminale Verzweigung haben. Die Verästelungen stel- len einen anfangs noch gröberen, dann aber immer feiner werdenden Plexus dar, dessen feinste Elemente nur noch 0,0005—0,0002” messen und einfache Nervenfasern darstellen; es findet sich also hier ein Endplexus von Nervenfasern, wie im elektrischen Organe der Torpedines. Charakteristisch für diesen Endplexus ist das Vorkommen von vielen grossen Kernen, wodurch derselbe das Ansehen einer mit Ganglienzel- len besetzten Nervenausbreitung erhält. Die Kerne besitzen einen Durchmesser von 0,005—0,006”, sind von länglich runder Gestalt und zeigen frisch einen mehr hellen Inhalt mit Kern- körperchen. Schon in den gröberen Bündeln des N. olfact. treten diese Kerne auf; sie werden aber zahlreicher in der terminalen Ausbreitung und machen daselbst einen Hauptbe- standtheil aus. Bei stärkeren Nervenzweigen von 0,003" lie- gen die Kerne in denselben; bei den feinsten dagegen hat es oft den Anschein, als ob sie in den Maschen der Veräste- lungen sich befinden. Alles zusammen genommen, so sagt 79 der Verf., mache die ganze letzte Nervenausbreitung den Ein- druck, als ob sie aus einem Netze von einfachen Nervenfa- sern und anastomosirenden mit diesen Fasern verbundenen Zellen bestände, und möchte daher auch die Annahme ge- rechtfertigt erscheinen, dass die Kerne auch da, wo sie in Nervenzweigelchen liegen, die aus mehreren Fasern zusam- mengesetzt sind, in den Fasern selbst ihre Lage haben. Köl- liker wünscht übrigens die. Vergleichung der Kerne mit Ganglienzellen noch nicht als eine ausgemachte Sache betrach- tet zu sehen; es käme hauptsächlich darauf an, mit Rück- sicht auf die Strukturverhältnisse der Retina und des Ver- haltens des Nerv. cochleae in der Endausbreitung, den be- zeichneten Gedanken aufzunehmen. Weitere Untersuchungen, schliesst Kölliker, werden zu zeigen haben, welche Ver- breitung die eigenthümlichen von ihm: aufgefundenen kern- haltigen Nervenfasernetze bei anderen Thieren haben, und ob dieselben die wirklichen Endigungen des Geruchsnerven darstellen oder nicht. H. Müller hat seine ausführlichen Untersuchungen über den Bau der Netzhaut in der Abhandlung „Anatomisch- physiologische Untersuchungen über die Retina des Menschen und der Wirbelthiere* (Zeitsch. f. w. Zool. Bd. VIII. p. 1— 123) niedergelegt. Bei allen Wirbelthieren findet sich in der Netzhaut dieselbe Zahl und dieselbe Reihenfolge von Schich- ten: die Stäbchenschicht, die äussere Körnerschieht, die Zwi- sehenkörnerschicht, die innere Körnerschicht, die granulöse Schicht, die Nervenzellenschicht, die Sehnervenfaserschicht, die M. limitans. Zahllose und konstante Verschiedenheiten dagegen zeigen sich in Form, Grösse, Anordnung, der Ele- mentartheile, sowie in dem Massenverhältniss der einzelnen Schichten. Die Stäbchenschicht besteht fast überall*) aus Stäbchen und Zapfen, deren Grösse im Allgemeinen, wie schon Hannover angiebt, ein umgekehrtes Verhältniss zeigen, so zwar, dass die Zapfen niemals länger, oft aber kürzer als die Stäbchen sind. Stäbchen und Zapfen lassen eine innere und äussere Abtheilung unterscheiden, welche sehr häufig nach dem Tode (weniger im frischen Zustande) durch die bekannte Querlinie angedeutet wird. Die äussere, stets eylindrisch geformte Abtheilung der Stäbchen besitzt überall die gleichen, bekannten Eigenschaften; die innere Abtheilung ist meist etwas blasser, zeigt andere Metamor- Buasen nach dem Tode und hat öfters nicht cylindrische orm. Die äussere Abtheilung der Zapfen (Zapfenspitze, Zapfenstiel) ist meist konisch, bald dicker, bald dünner (Barsch — Frosch) als die entsprechende Abtheilung der Stäbchen; zuweilen ist die Form auch cylindrisch (Taube, gelber Fleck *) Die Zapfen wurden bei den Plagiostomen vermisst, die Stäbchen dagegen bei Petromyzon und einigen Amphibien. 80 des Menschen) und den wahren Stäbchen sehr ähnlich, wie denn überhaupt durch zahlreiche Uebergangsstufen es sehr wahrscheinlich gemacht werde, dass Zapfen und Stäbchen nicht wesentlich verschieden seien. Zuweilen (Frosch, Mensch) beobachtete der Verf., dass das freie Ende des Zapfenstiels noch eine durch eine helle Querlinie getrennte, feine Ver- längerung trug. Die Querlinie, durch welche der Zapfen- ‚ stiel vom Zapfenkörper geschieden wird, liegt nicht immer genau in gleichem Niveau mit der Scheidegrenze beider Stäb- chenabtheilungen; letztere befindet sich öfters mehr nach in- nen. Der Zapfenkörper verlängert sich durch eine blasse, das Licht weniger stark brechende Partie (Fortsatz d. Verf.) über die Grenzlinie hinweg, durch welche die Stäbchenschicht und äussere Körnerschicht geschieden wird. An frischen Präparaten geht die das Licht stärker brechende und sonst scheinbar abgerundete Partie des Zapfenkörpers unmerklich in die innere, das Licht weniger stark brechende Partie über. Die Verbindung zweier Zapfen zu Zwillingszapfen kommt reichlich bei Fischen, sehr sparsam bei Vögeln, gar nicht bei Fröschen und Säugern vor. Die farbigen Oeltropfen sah der Verf., wie Vintschgau, auf der Grenze des Stiels und Körpers der Zapfen; beim Frosch sind sie innerhalb des Zapfenkörpers gezeichnet. Bei Fischen, Amphibien, Vögeln sollen, wie schon Hannover angab, Scheidenfortsätze der Zellen der Membr. pigmenti chor. zwischen die Elemente der Stäbchenschicht eingreifen. Ref. hält diese Scheidenfort- sätze für Kunstprodukte. — Die kleinen Zellen der äusseren Körnerschicht stehen entweder unmittelbar oder vermit- telst feiner Fädchen mit der inneren Abtheilung der Zapfen und Stäbchen im Zusammenhange. Die meist zahlreichen Stäbchen- und Zapfenkörner der Säugethiere und Fische sind deutlich verschieden; bei der Taube und beim Frosch, bei welchen sie deutlich bipolar sind und eine Schicht von we- nigen Reihen bilden, ist dieses weniger der Fall. — Die Zwi- schenkörnerschicht zeigt sehr auffallende Abweichungen. Allgemein verbreitet finden sich darin senkrecht-faserige Ele- mente, welche bald sparsam, bald dicht gedrängt von der äusseren zur inneren Körnerschicht gehen. Ausser diesen Fasern kommt bei Säugethieren nur eine amorphe Substanz vor. Bei den Fischen dagegen sah der Verf. sehr ausgebil- dete, ästige Zellen; ebenso bei Schildkröten: während beim Frosch und bei Vögeln nicht so entwickelte Formen von Zellen vorhanden zu sein scheinen. Bei vielen Thieren spaltet sich die in Rede stehende Schicht äusserst leicht in ein äusseres und ein inneres Blatt. — Die innere Körner- schicht enthält überall kleine, theils bipolare, theils mul- ' tipolare Zellen. Bei Vögeln, Amphibien, Fischen ist stets noch eine zweite Art von Zellen, nämlich die kernhaltigen Anschwellungen der Radialfasern deutlich .zu unterscheiden; sl beim Menschen und den Säugethieren sind dieselben weniger deutlich von den anderen Zellen zu unterscheiden. — Von der granulösen Schicht hebt der Verf. die verschiedene Dicke derselben bei verschiedenen Thieren hervor. — In Be- treff der Ganglienzellenschicht bemerkt der Verf., dass die Verbindung der Strahlen mit; den Sehnervenfasern wohl allgemein verbreitet vorkomme. Dasselbe gelte wohl auch von dem Eindringen anderer Fortsätze der Nervenzellen in die äusseren Schichten der Retina und von den Anastomosen der Nervenzellen untereinander, obschon hier genauere Un- tersuchungen wünschenswerth erscheinen. — Allgemein ver- breitet werden die Radialfasern angetroffen. Sie gehen von der Innenfläche der Netzhaut mehr, weniger grade bis zur inneren Körnerschicht, wo sie eine kernhaltige Anschwel- lung zeigen, von welcher eine Fortsetzung in die äusseren Schichten der Retina sich erstreckt. Die Zahl der inneren ‘ Radialfasern ist, wie es scheint, durchgängig geringer, als die der äusseren Schichten, so dass nicht ein Stäbchen oder Zapfen, sondern eine ganze Gruppe derselben in den Bereich eines inneren Radialfaser-Endes fällt. Die Radialfasern hän- gen, besonders vorn in der Retina, sehr innig mit der Membr. limitans zusammen; an anderen Stellen soll dieses gar nicht der Fall sein, so dass also wohl die inneren Enden der Ra- dialfasern je nach der Lokalität ein verschiedenes Verhalten haben mögen. Bei Menschen sind in der Macula lutea die inneren Enden der Radialfasern gar nicht zu finden. Eine grössere oder kleinere Strecke vor der Ora serrata sammelt sich, worauf auch Blessig hinwies, eine grosse Menge von Flüs- sigkeit zwischen den starken, inneren, kegelförmigen Enden der Radialfasern an, so dass dadurch von Säulen durchsetzte Hohlräume gebildet werden. Was die sonstigen Verbindun- gen der Radialfasern namentlich mit Nervenelementen betrifft, so drückt sich der Verf. darüber viel vorsichtiger, wie früher aus. Der Anschein spreche indess nicht selten für eine Ver- bindung, namentlich der inneren Partie, mit den Nervenzellen. Dennoch glaubt der Verf. nicht, dass jede Zelle mit einer Radialfaser zusammenhänge, oder umgekehrt (? R.). Diese Annahme ergebe sich schon aus dem Umstande, dass am gelben Flecke viele Nervenzellen vorhanden seien, die inne- ren Enden der Radialfasern aber nicht vorhanden seien. Im Allgemeinen glaubt Müller annehmen zu können, dass jede Nervenfaser des Opticus in eine Zelle übergehe, von welcher einerseits ein Fortsatz zur M. limitans (innerster Theil der Radialfaser), anderseits Fortsätze nach aussen zu den Kör- nern des Strat. gran. int. sich hinbegeben. Die Verbindung des äusseren Theiles der Radialfasern mit den Körnern der äusseren Schicht sei gleichfalls dem Anscheine nach konti- nuirlich, namentlich scheine ein Zweifel kaum zulässig für Müller’s Archiv. 1857, Jahresbericht, F 82 diejenigen Fäden, welche in der Gegend der M. lutea von den inneren Körnern zu den Zapfen gehen. Eine besondere Beschreibung widmet H. Müller drei Stellen der menschlichen Retina: der Eintrittsstelle des Sehnerven, dem gelben Flecke und dem vorderen Ende der Netzhaut. In einem sonst normalen Auge sah der Verf. die von der Lamina cribrosa einwärts gelegene Partie des Sehnerven ganz besäet mit strahligen Pigmentzellen. Die Entfernung der Mitte der Eintrittsstelle von der Mitte des gelben Fleckes betrug in einem Auge 4,6 Mm., in einem anderen 3,9 Mm.; in dem ersteren Auge hatte die Eintritts- stelle einen Durchm. von 1,6—1,7Mm., in dem letzteren 1,5 —1,68 Mm., so dass die Stelle merklich oval war. Ferner hat der Verf. bemerkt, dass die Radialfasern am Rande der Eintrittsstelle des Sehnerven nicht aufhören, sondern, wenn auch sparsam, noch weiterhin die Nervenmasse durchsetzen und dabei um so mehr eine schräge Richtung annehmen, je mehr die Nervenfasern beim Durchzuge durch die Lamina crib. radial werden. Diese schrägen Radialfasern erstrecken. sich dann bis zur Lamina selbst, ja scheinen von ihr auszu- gehen, ein Umstand, der darauf hinweise, dass die inneren Radialfaserenden nicht nervös seien, sondern der Biv- desubstanz angehören. Der Durchmesser desgelben Fleckes kann, wenn man auf die nach dem Tode eintretende Diffu- sion des Farbstoffes Rücksicht nimmt, auf etwa zwei Mm. angenommen werden. Das Foram. centrale ist sicherlich nur eine verdünnte Stelle und nicht eine Lücke in der M, lutea. Nur die granulöse Schicht scheint im mittleren Theile der M. lutea zu fehlen, sonst kommen in der letzteren alle Schichten der Retina vor. Mangel der ganzen Körnerschicht oder auch nur der Zwischenkörnerschicht findet sich wenig- stens nicht als Regel in der ganzen Fovea centralis, und auch wohl in der Mitte derselben nicht konstant. Inzwischen mö- gen hier Verschiedenheiten obwalten, welche wohl mit der ursprünglichen Entwickelung des Auges im Zusammenhange stehen. Der peripherische Theil des gelben Fleckes zeigt wirklich, wie schon Michaelis wusste, eine bedeutende Dicke, und dieses rührt daher, dass fast sämmtliche Schichten der Retina mit Ausnahme der Nervenfaserschicht und der äusse- ren Körnerschicht gegen die Macula hin an Mächtigkeit zu- nehmen. Von den in der Mac. lut. allein vorkommenden Zapfen bemerkt Müller, dass sie nicht allein schlanker, son- dern auch länger (0,05 Mm. mit dem Stiel) als an anderen Orten der Netzhaut sind, dass ferner die Zapfenstiele eine eylindrische Form besitzen und meist ohne deutliche Quer- linie mit dem Zapfenkörper zusammenhängen. Ausser der inneren Körnerschicht zeigt auch die Zwischenkörnerschicht in der M. lut. eine sehr beträchtliche Zunahme in der Dicke, die dann nach dem For. cent. hin allmälig abnimmt. Die 83 Zwischenkörnerschicht ist hier ferner durch ihre leichte Spalt- barkeit in Fibrillen ausgezeichnet, zwischen welchen nach Innen zu eine beträchtliche Menge granulöser Substanz ein- gelagert ist. Die Fibrillen verlaufen theils schräg, theils selbst eine Strecke horizontal, bevor sie zu den Körnerschich- ten hinziehen. Die Körner der inneren Körnerschicht neh- men nicht allein an Zahl, sondern auch an Grösse zu; die ganze Schicht erseheint ausserdem häufig senkrechtstreifig angeordnet, — wegen der zahlreichen Verbindungsfäden zwi- schen der äusseren und inneren Körnerschicht. Die granu- löse Schicht, welche in der Mitte der M. lutea fast oder viel- leicht ganz verschwindet, enthält zahlreiche feine Fäden, welche von den Nervenzellen in sie hinein und durch sie hin- durchtreten. In der Ganglienzellenschicht glaubt der Verf. acht übereinander gelagerte Reihen von Zellen erkannt zu haben. In der Fovea nimmt die Zahl der Nervenzellen wie- der ab, und in der Mitte derselben liessen sich etwa drei Reihen von Zellen unterscheiden. Die Nervenzellen der M. lutea sind kleiner, als an anderen Stellen der Netzhaut, je- doch durch die Länge der nach aussen gerichteten Fortsätze ausgezeichnet. H. Müller stimmt darin Hannover bei, dass der gelbe Fleck nicht in seiner ganzen Ausdehnung der Nervenfaserschieht ermangele, gleichwohl stehe es fest, dass die Mitte des gelben Fleckes zwar nicht der Nervenfasern, wohl aber einer regelmässigen Ausbreitung derselben an der Oberfläche entbehre, indem die Fasern im bogigen Verlauf zwischen die Zellen treten. In der Mitte des gelben Fleckes fehlen die Blutgefässe; im übrigen Theile findet sich ein rei- ches Kapillarnetz; in der Umgebung desselben verlaufen, wie schon Michaelis genau beschreibt, grössere Stämmchen bogenförmig, wie die Nerven. Wie Vintschgau und Köl- liker, so lässt auch Müller die Retina an der Ora serrata als Pars ceiliaris ret. sich unmittelbar fortsetzen. Dieser Theil besteht aus gekernten Zellen, welche beim Menschen anfänglich eine Höhe von 0,04—0,05 Mm. und eine Dicke von meist 0,005— 0,008 Mm. besitzen. Weiterhin gegen die Ciliarfortsätze werden die Zellen niedriger und rundlich. Beim Schwein sind die Zellen gleich von der Ora ser. an niedrig und von rundlicher Gestalt. Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, in welchem Zusammenhange die Pars eiliaris retinae mit den einzelnen Schichten der Netzhaut stehn. Sie kann jedenfalls nicht als Fortsetzung einer Schicht der Retina zu betrachten sein, welche mit nervösen Funk- tionen begabt sei. Die Nervenfasern, die Stäbchen, die Ner- venzellen sind schon hinter der Ora serrat. geschwunden; auch haben die Zellen der Pars ciliar. keine Aehnlichkeit mit den Nervenzellen, die sparsam hinter der Ora serrat. vorge- funden werden. Auch von einer der übrigen Schichten der Netzhaut lässt sich kaum behaupten, dass sie als solche über F* 84 die Ora serrat. hinaus sich erstrecke. Am nächsten schliesst sich die Pars ciliaris an die innere Körnerschicht an, welche gegen die Ora serrat. hin ihren Charakter bereits auffallend verändert hat. Namentlich sei wohl das indifferente Stroma dieser Schicht, welches seine Vertretung in den mit kern- haltigen Anschwellungen versehenen Radialfasern (also in den inneren Theilen der Radialfasern) findet, von dem man vielleicht sagen könne, dass es sich in die Pars ciliar. fort- setzt. Der Verf. glaubt in den, zuweilen mit zackigen Enden versehenen Zellen der P. ciliaris ret. Bindesubstanzkörperchen zu erkennen. ; Unter Bidder’s Anleitung hat Arthur Böttcher die Endigungsweise des Nervus cochleae bei Säugethie- ren einer genauen mikroskopischen Untersuchung, unterwor- fen (Obs. microscop. de ratione, qua nervus cochleae mammal. terminatur. Dorpati Liv. 1856; c. tab. 1). Der Verf. geht, wie Reissner und Claudius, davon aus, dass die häutige Schnecke nicht als Platte (Pars membranacea laminae spi- ralis), sondern als Kanal anzusehen sei, und nennt den Ka- nal, wie Reissner den seinigen, canalis cochlearis./ Es er- giebt sich aber aus der Beschreibung, dass der Verf. den Reissner’schen Canalis cochlearis ebenso wenig als Clau- dius (vergl. Jahresb. Müll. Archiv. 1856, p. 85 ff.), gekannt hat, und dieses ist um so mehr zu bedauern, als ihm die Gelegenheit geboten war, Reissner’sche Präparate zu sehen. Böttcher’s Canalis cochlearis ist der von Claudius be- schriebene Kanal, indem auch der Verf. die Deckmembran des Corti’schen Organes nicht frei endigen, sondern im pa- rallelen Verlauf mit der Membr. basilaris (früher Pars membr. laminae spiralis) bis zur äusseren Schneckwand hinziehen und daselbst sich befestigen lässt. Reissner’s Beschrei- bung von seinem Canalis cochlearis ist durchaus naturgetreu, was Ref. nach eigenen, selbst noch in den letzten Tagen wiederholten Untersuchungen hervorheben muss. Die Zeichnungen Reissner’s sind allerdings wenig instruk- tiv. Ref. empfiehlt denjenigen, die sich für die fragliche Angelegenheit interessiren, die Untersuchung der grossen Schnecke der Meerschweinchen. Ein Schnitt, der an einem vorbereiteten Präparate durch Columella und Modiolus ge- führt, die Schnecke in zwei gleiche Theile scheidet, zeigt den Canalis cochlearis Reiss. und darin die Oorti’sche Deckmembran so klar und übersichtlich selbst bei Untersu- chung mittelst einer guten Loupe, dass auch nicht die ge- ringsten Zweifel obwalten können. An solchen Schnittchen hat Ref. die Oorti’sche Deckmembran nicht an die äussere Schneckenwand angeheftet vorgefunden; auch nimmt sich der freie Rand nicht so aus, als ob er abgerissen wäre; dennoch hält es Ref. nicht für unmöglich, dass eine solche Abtren- uung durch den Schnitt herbeigeführt worden sein kann. 85 Sehen wir von dieser Kontroverse einstweilen ab, so scheint es dem Ref. doch keinem Zweifel unterworfen zu sein, dass der von Reissner gewählte Name „Canalis cochlearis* für den von ihm entdeckten Kanal beibehalten werden muss, und dass dieser Kanal, wie die Entwickelungsgeschichte lehrt, das häutige Labyrinth der Schnecke darstellt. Was nun den Nerv. cochleae betrifft, so bemerkt der Verf., dass er im Verlaufe des Nerven durch den Modiolus bis zur Habenula ganglionaris nirgends Nervenzellen vorgefunden habe. Die von Nervenfasern durchflochtene Habenula gangl. enthält zum grössten Theile kleinere Nervenzellen, die kei- neswegs so leicht zerstörbar sind, wie es Corti angiebt. Es wurde ferner vom Verf. ebenfalls der Zusammenhang der Nervenzellen mit den Nervenfasern beobachtet. Die meisten Ganglienzellen sind bipolar, wie es Corti angebe, doch fin- den sich auch tripolare unter ihnen, woraus hervorgehe, dass die Nervenzellen auch in den peripherischen Ganglien durch Anastomosen sich untereinander verbinden, Die aus der Habenul. gangl. hervortretenden, doppelkontou- rirten Nerven ziehen nun, ohne sich zu theilen, in Form eines netzförmigen Geflechtes bis zu den Löchern, welche das Labium tympanicum durchbohren und zum Öorti’schen Organe führen. Die Nervenfasern als ‚solche dringen aber nicht, wie es Kölliker angiebt, durch die Löcher; sie for- miren vielmehr eine Schlinge und laufen central zurück. In ihrem Verlaufe bis zu den bezeichneten Löchern werden die Nervenfasern in mässiger Distanz von Bündeln feiner Fasern quer durchsetzt, über deren Beschaffenheit, Ursprung und Ende der Verf. keine Rechenschaft abzulegen weiss. Von den terminalen Schlingen der Fasern des Schneckennerven gehen aber Fortsätze aus, die durch die erwähnten Löcher hindurch in das Corti’sche Organ übergehen. An dem Oorti- schen Organe unterscheidet Böttcher nicht 4, sondern 2 Theile oder Glieder, nämlich die Stäbchen erster und zweiter Ordnung. Die breiten aneinander stehenden Enden der Stäb- chen beider Reihen sind von Corti als besondere Glieder aufgeführt. Böttcher’s Stäbchen erster Reihe umfassen Corti’s „branche posterieure ou interne des dents de la deu- xieme rangee“ und „coin posterieur ou interne“. Sie gehen als cylindrische Fortsätze von den Nervenfaser-Schlingen aus und bilden zunächst, nachdem sie durch die Kanälchen auf- gestiegen sind, eine trianguläre, zellenähnliche Anschwellung, welche bei Betrachtung von oben das Lumen des Kanälchens erkennen lässt und so die Kontour eines Kernes vorspiegelt. Weiterhin läuft der Fortsatz verdünnt weiter und schwillt von neuem an seinem Ende an, das etwa die Form eines Parallelepipedum besitzt. Die Stäbchen zweiter Ordnung beginnen auf dieselbe Weise, wie das Ende der ersten, ver- schmälern sich dann ähnlich, wie jene, um schliesslich durch ‘86 das zweite, breitere Ende mit der Membrana basilarıs zu verschmelzen. Ein jeder mit der Nervehfaserschlinge zu- sammenhängende Fortsatz theilt sich übrigens bei seinem Austritt aus dem Kanälchen und geht in zwei Stäbchen erster Ordnung über; desgleichen schliessen sich an je drei Stäb- chen erster Ordnung etwa zwei Stäbchen der zweiten an. Der Verf. leugnet, dass in dem Oorti’schen Organe irgend ein Gelenk vorkomme. Was die Lage des Oorti’schen Or- ganes betrifft, so hebt Böttcher hervor, dass dasselbe nicht lang gestreckt über der Membr. basil. sich hinziehe, sondern nahezu einen Sförmigen Bogen beschreibe, dessen zweite stärkere Krümmung die Verbindungsstelle beider Stäbchen aufnehme. Das Corti’sche Organ und die Membr. basilaris wird nicht von einer mehrfachen (Claudius), sondern von einer einfachen Schicht polyedrischer Epithelialzellen beklei- . det, die öfters sich dachziegelartig decken; der übrige Raum zwischen der Membr. Cortiana und der Membr. basil.. wird von der Endolympha eingenommen; eine durch einen Stiel vermittelte Anheftung dieser Zellen auf dem Corti’schen Organe, wie es Corti beschrieben hat, findet nicht Statt. Der Verf. wendet sich am Schluss seiner Arbeit‘ zur Beantwor- tung der Frage, ob die durch die Kanälchen zwischen den Dentes auditivi im Labium tympanicum hindurchtretenden Fortsätze mit dem ÜCorti’schen Organe im Sinne Kölliker’sals Bestandtheile des Nervensystems und als terminale Endigungen des Nerv. cochleae anzusehen ‚seien, oder ob dieselben in die Kategorie von besonderen Vorrich- tungen und Hilfsapparaten der im Labium tympanicum des Sulcus spiralis schlingenförmig endenden Nervenfasern des Nerv. cochl. gestellt werden müssen. Böttcher ent- scheidet sich für die letztere Ansicht aus mehrfachen Grün- den, von welchen Ref. folgende hier namhaft macht. In den ‘ Bacilli des Corti’schen Organes und in den Fortsätzen sind niemals Varicositäten, wie Kölliker angiebt, desgleichen ein Cylinder axis wahrzunehmen. Die mit den Fortsätzen zunächst in Verbindung stehende Anschwellung der Stäbchen erster Ordnung zeige keine Eigenschaften eines bipolaren Ganglienkörperchens (Kölliker); der angebliche“ Kern ist, wie schon erwähnt, eine optische Täuschung; bei Anwendung von Salzsäure werde ihre Form selbst bei längerer Einwir- kung gar nieht verändert. Die Stäbchen sind ganz solide Körper; die vierseitig begrenzten Enden derselben, desglei- chen ihre Verbindung durch diese Enden widersprechen den bisher bekannten Eigenschaften und Leistungen der Nerven- fasern. Ein besonderer Nachdruck wird endlich auf den Um- stand gelegt, dass die Stäbchen zweiter Ordnung kontinuir- lich in die Membrana basilaris übergehen, von der es nicht zweifelhaft sei, dass sie keinen Nervenbestandtheil darstelle. Schon Corti habe angeführt, dass die chemischen Eigen- 87 schaften der Zähne (Stäbchen) und der Membr. basilaris egal zu sein scheinen. Leydig hat in den Papillen der sogenannten Daumen- drüse des Froschmännchens Tastkörperchen entdeckt (Müll. Arch. 1856, p. 154). Die Nervenfaser steigt in die betreffen- den Papillen senkrecht auf und bildet eine Art Nerven-Glo- merulus von ovaler Form, der grosse Aehnlichkeit mit einem Tastkörperchen darbietet. Häufig ist in Folge der Präpara- tion das Bild derartig verändert, dass anstatt der queren und geschlungenen Linien des Nervenknäuels sechs und mehr rundliche Klümpchen, zu einer Gruppe zusammengestellt, das Tastkörperchen repräsentiren. Dagegen bezweifelt der Verf. zufolge seiner Untersuchungen, dass im Schlunde der Vögel, wie es Berlin angiebt, Tastkörperchen vorkommen, Was die Struktur der Tastkörperchen beim Menschen anbe- langt, so neigt sich Leydig zu der Ansicht, dass die Ner- venfaser in die Axensubsanz der Tastkörperchen eiudringe. Der Verf. findet, dass der innere Strang der Tastkörperchen in seiner Natur ganz mit dem Cylinder übereinstimme, zu welchem die Nervenfaser innerhalb der Vater-Pacini’schen Körperchen der Vögel anschwillt. Um den Nervenknopf schlägt sich das mit Querkernen versehene Neurilemma. In Bezug auf die Enden der Nerven im elektri- schen Organe der Zitterrochen erhalten wir durch Remak folgende Mittheilungen (Müll. Arch. ' 1856, p. 467 fi). An jedem Blättchen der Säule, welches kaum !%00 in der Dicke messen dürfte, unterscheidet der Verf. eine glatte und eine rauhe Seite. Die glatte Seite jedes Blättchens, welche wahr- scheinlich nach oben gewendet ist, ist der rauhen Seite des angrenzenden Blättchens zugekehrt. Sie wird durch eine durchsichtige beinahe glashelle, ziemlich feste Membran ge- bildet, welche in grossen, regelmässigen Entfernungen runde, kernhaltige Höhlen enthält. Die rauhe Seite wird von der Nervenschicht eingenommen. Die Verästelungen der Nerven- fasern in derselben geht viel weiter, als sie von R. Wagner erkannt worden ist; der ganze scheinbar freie, körnige Raum, der zwischen den gröberen Verästelungen liegt, ist von fei- nen Nervenverästelungen ausgefüllt. Es bleiben nur kleine, runde oder polyedrische Figuren von kaum !/soo und dar- unter übrig, welche von Nervenfasern, deren Durchmesser auf weit weniger als !/;o0 geschätzt wird, umsäumt werden. Das Ansehen von Körnchen entsteht durch die knieförmigen Umbiegungen der terminalen Fäserchen, welche in senkrech- ter Richtung der Glasmembran zustreben. Gleichwohl hält es der Verf. für möglich, dass die feinen, durch die Dicke des Blättchens hindurch ziehenden Linien nicht auf die Fort- setzungen der Nervenfasern, sondern auf eine differente, der Muskelsubstanz ähnliche Masse zu beziehen seien. In der Nervenschicht wurden zuweilen sternförmige oder spindel- . 88 förmige, mit grossen Kernen versehene Bindegewebszellen vorgefunden. Kölliker unterscheidet an jeder Säule des Zitterrochens, abgesehen von den dickeren, bindegewebigen Umhüllungen, 1) die Scheidewände, Septa; 2) die seitlichen Wandungen und 3) die von je zwei Septa und den betreffenden Seiten- wänden umschlossenen, einen mehr flüssigen Inhalt führenden _ Räume, die Fächer, alveoli. Der Inhalt der Alveolen ist mehr gallertartig und enthält, ausser den von R. Wagner beschriebenen Nervenfaserverästelungen und feinen Blutge- fässen, vereinzelte spindelförmige oder sternförmige Binde- gewebskörperchen, deren lange, feine Ausläufer vorzugsweise in der Nähe der Septa liegen. Die Höhe der Fächer oder der Abstand zweier Septa beträgt 0,006—0,008', wie es auch Paecini fand. Die Scheidewände bestehen aus zwei dünnen, mit einander verklebten, doch sonst nicht weiter verbundenen Lamellen: der homogenen Bindegewebshaut und der Nerven- haut (Bilharz’s elektrische Platte). Die Bindegewebshaut bildet die obere Seite der Scheidewand und ist dem Anscheine nach strukturlos.. Ob sie auch die von anderen Autoren er- wähnten kern- oder zellenartigen Bildungen enthalte, darüber drückt sich der Verf. etwas zweifelhaft aus, da die bezeich- neten Körper zuweilen auch frei an der oberen Seite der Nervenhaut angetroffen wurden. In anderen Fällen dagegen ist ihre Lage innerhalb der Bindegewebshaut so deutlich, dass man sie zu derselben gehörig betrachten müsse. Die stets nach unten gelegene Nervenhaut besteht hauptsächlich aus den feinsten, blassen Ausläufern der Nerven der Septa und aus den von ihnen gebildeten äusserst feinen Nerven- netzen, welche von einem geringfügigen Stroma von Binde- substanz getragen und verbunden werden. Die feinsten aus den Verästelungen hervorgehenden Fasern von nicht mehr als 0,0005—0,0008” Dicke endige aber nicht frei, sondern bilden nach dem Verf. durch Anastomosen ein wirkliches Netzwerk, dessen dunkler aussehende, rundlich eckige Ma- schen so eng sind, dass sie die Breite der Fäserchen nicht übertreffen. In dieses Netzwerk sieht man überall eine sehr grosse Zahl von zarten Nervenbäumchen ausstrahlen. Köl- liker fügt hinzu, dass dieses Netz fast nur an eben getödte- ten oder wenigstens an ganz frischen Thieren (Torpedo narce und Galvani) vollkommen und rein zur Anschauung trete. Von einem Umbiegen der Fäserchen und von parallelen gegen die Bindegewebshaut aufsteigenden Stäbchen (Remak) wurde Nichts wahrgenommen. Essigsäure macht die Nervenhaut zu einer gleichartigen, hellen Substanz in Folge der Auf- quellung; Kali und Natron causticum dilutum zerstört das Netz in sehr kurzer Zeit (Würzburg. Verhandl. Untersuch. zur vergl. Geweb. p. 2 fl.). In den Fächern oder Alveolen des Schwanzorganes 89 der gewöhnlichen Rochen unterscheidet Kölliker in dem vorderen Abschnitte, dem sog. Schwammkörper (der hintere Abschnitt wird Gallertkern genannt) die Nerven- platte, welche in einem weicheren, bindegewebigen Stroma zahlreiche Nervenverzweigungen enthält. Die feinen, blassen Primitivröhren, welche in ihrem Verlauf hie und da spindel- förmige, an den Theilungsstellen dreieckige, homogene, gelb- liche Anschwellungen (Zellenkörper) zeigen, wenden sich, indem ihre Elemente immer feiner werden, gegen die kon- vexe, glatte Fläche der Nervenplatte. Ihre Endigungsweise ist schwer zu bestimmen, soviel glaubt jedoch der Verf. er- mittelt zu haben, dass die Fäserchen gegen die Oberfläche der Nervenplatte zu sich senkrecht stellen und bis an die äusserste Grenze derselben hinanreichen. In einigen Prä- paraten endigten sie hier frei mit leichten, knopfförmigen Anschwellungen; in anderen von frischen Thieren bildeten sie, wie es schien, ein horizontal ausgebreitetes Netz, dessen Fasern und Maschen grösser waren, als im elektrischen Or- gane der Zitterrochen (a. a. O. p.12 ff.). Die Anastomosen und Endschlingen der Nerven- fasern nimmt Kölliker von Neuem in Schutz und giebt eine darauf bezügliche Zeichnung der Nervenendigungen aus der Haut der Hausmaus, die von ihm schon vor Jahren an- gefertigt ist (Zeitsch. f. w. Z. Bd. VIIL., p. 311 ff.). Walter fand in den von ihm entdeckten Ganglien bei Oxyuris ornata unipolare und bipolare Ganglienzellen. Die unipolaren Nervenzellen sind am häufigsten in der auf der Bauchseite des Darmendes gelegenen Ganglienmasse, sowie in dem, den unteren Rand des Rectum’s umgebenden Ganglienwulste. Auch im Gehirn finden sich unipolare Gang- lienzellen; in den spindelförmigen Ganglien des Schwanzes scheinen nur bipolare Ganglienzellen vorzukommen. Die Fortsätze der Nervenzellen bilden in ihrem weitern Verlauf die Nervenfasern selbst (Zeitsch. f. w. Z. Bd. VIIL, p. 189.) J. Drummond, art. Sympathetie nerve. (Todd’s ceyelo- paedia Part. XLVII.). Blut und Lymphe. E.Hirt hat nach der Moleschott’schen Methode (Wiener Wochenschrift 1854, No. 8) Zählungen der Blutkörperchen unternommen, um das numerische Verhältpiss der weis- sen und rothen Blutkörperchen im normalen und im krankhaften Zustande zu bestimmen. Als Verdünnungsflüs- sigkeit wurde nach Welcker eine Lösung von Kochsalz (20 Gr. auf 200 C. C. Wasser) gewählt, zu derselben ein Bluttropfen auf dem Objektglase zugemischt, und zur Kon- trolle auch ein Tropfen aus der vorher zubereiteten Mischung zur Untersuchung benutzt. Der Verf. erhielt folgende Resul- tate. Früh nüchtern (10—12 Stunden nach dem Abendessen) 90 fanden sich im Mittel 1761 rothe Blutkörperchen auf ein weisses; 1—1'4 Stunde nach dem Frühstück 695:1; 21%—3 Stunden nach dem Frühstück 1514 : 1; !/,—1 Stunde nach dem: Mittagessen 429: 1; 21/,—4 Stunden nach dem Mittag- essen 1481:1; !4—1 Stunde nach dem Abendessen 544:1; 2'%—3!/; Stunden nach dem Abendessen 1227:1. Aus drei Zählungen, die 10 Minuten nach Beendigung der Mahlzeit unternommen waren, ging hervor, dass der Anfangspunkt des Steigens in der Zahl der weissen Blutkörperchen inner- halb dieser Zeit noch nicht stattgefunden hatte. Die Schwan- kungen in der Zunahme und Abnahme der Zahl der weissen Blutkörperchen innerhalb 24 Stunden erinnern an die Schwan- kungen in der Pulsfrequenz und Temperatur. — In der Milz- arterie wurden auf 1] weisses Blutkörperchen einmal 2600, dann 13843 und ein drittes Mal 2095 röthe Blutkörperchen gezählt; die Milzvene enthält bei drei Zählungen auf 1 weis- ses Blutkörperchen 74, 54, 82 rothe Blutkörperchen. Drei Zählungen in Betreff des Pfortaderblutes ergaben das Ver- hältniss 1: 708, 768, 97 und für die Lebervene 1:68, 274, 67 (Müll. Arch. 1856, p. 174 ff.). In dem Blute der Leber (Vena port. ?R.) neugebor- ner und säugender Thiere (Katzen, Hunde, Mäuse) fand Kölliker folgende Elemente, 1) Viele ein- und zweikernige, runde Zellen von 0,003—0,007"' mit mässig grossen Kernen, die durch Wasser granulirt werden, frisch ganz homogen sind und zuweilen gelblich erscheinen; 2) eine oft nicht un- bedeutende Zahl bisquitförmiger, d. h. in Thheilung begriffe- ner Zellen mit zwei Kernen; 3) fein granulirte, 0,01—0,02” grosse, 4+—10 und mehr Kerne enthaltende Zellen, deren Kerne oft so zusammenhängen, dass man an eine Sprossen- bildung derselben erinnert wird; 4) rothe, kernhaltige Blut- zellen, wie sie bei Embryonen vorkommen. Hieraus folgert der Verf., dass die Bildung von Blutzellen in der Leber, welche von ihm, wie er glaubt, für den fötalen Zustand er- wiesen sei, auch nach der Geburt noch fortdauere. Ref. hat oftmals das mit Vorsicht aus den verschiedenen Leberge- fässen entnommene Blut von Fötus und Neugebornen unter- sucht, aber er hat regelmässig solche normale Erscheinungen vermisst, aus welchen sich auch nur mit einiger Wahrschein- lichkeit auf eine Blutzellenbildung in dem fliessenden Leber- blute schliessen liesse. — Von den rothen Blutkörper- chen säugender, weisser Mäuse bemerkt Kölliker, dass sie durch HO und A zu einem Drittheil bis zur Hälfte statt einfach entfärbt, granulirt werden, indem im Innern eine gewisse Anzahl fettartiger Körnchen auftreten (Würzb. Verh. Bd. VII, p. 187 und 191). Billroth hat niemals eine Theilung der Blutkörper- chen, die bereits in den Kreislauf gerathen waren, wie sie Kölliker und Remak beschrieben, bei Hühner-Embryonen 9 mit Sicherheit auffinden können. Die Vermehrung der Blut- zellen ist im Allgemeinen schwierig zu verfolgen, doch das scheint dem Verf. unzweifelhaft, dass die Blutkörperchen nicht den ganzen primitiven Zellen entsprechen, sondern aus Metamorphosen jener entstehen, deren Zellmembranen allein zur Bildung der Gefässwandungen verschmelzen (? R.) (Un- tersuchungen über die Entwickelung der Gefässe etc. Ber- lin 1856, fol.). A. Milne Edwards: Note sur les dimensions des glo- bules du sang chez quelques vertebres & sang froid (Annal. des science. nat. Tom. V. p. 165. — IVe Serie). Nach Kölliker stammen die oben beschriebenen , farb- losen Elemente des Leberblutes junger Thiere vielleicht alle, auf jeden Fall die Mehrzahl, aus der Milz, — da dieselben sich ebenfalls darin vorfinden. Namentlich kommen viel reichlicher die bisquitförmigen Zellen mit zwei Kernen in der Milz vor, und die einkernigen, kleineren Zellen haben oft eine entschiedene gelbe Farbe (a. a. ©. p. 188). Aus zwei Beobachtungen, die Kölliker beim Ochsen und beim Kalbe gemacht hat, dass nämlich die Vasa Iympha- tica- superficialia der Milz arm, die Vasa lymph. profunda dagegen ziemlich reich an Lymphkörperchen sind, wird gefolgert, dass die Milz die Funktion habe, farblose Blutkörperchen zu bilden, zumal die Lymphe peripherischer @ R.) Organe, wie die der Leber und des Hodens (Hund, Stier) sehr arm an farblosen Zellen ist, oder derselben gänz- lich ermangelt. Der Verf. hält es übrigens für möglich, dafs die in den Lympfgefässen gefundenen Körperchen aus der Milzpulpa herrühren. Gelegentlich sucht Kölliker die unter der Anleitung des Ref. von Hlasek angestellten Untersu- chungen über die Struktur der Milz zu verdächtigen, ohne Thatsachen dagegen vorzubringen und überhaupt sich genauer mit der Arbeit bekannt gemacht zu haben; denn sonst müsste der Verf. wissen, dass Hlasek recht viele Injektionen ge- ‚macht hat. Blutgefässe. Das Resultat der Billroth’schen Untersuchungen über die Bildung der Blutgefässe (a. a. O. p. 80) ist folgen- des. Der Verf. unterscheidet drei Arten der Gefässbildung: 1) Primäre Gefässbildung, wobei runde, dicht aneinander gelegene, solide Cylinder bildende Zellen durch Sprengung derjenigen Wand der Zellmembran, mit welcher sie dem künftigen Lumen des Gefässes zugewendet sind, den zum Blutkörperchen metamorphosirten Inhalt frei machen und durch Verschmelzung des übrigen Theiles der Zellmembran zur Wandung des Gefässes werden (erste Gefässbildung der Area vasculosa, im Sehwanz der Batrachierlarven, Gefäss- bildung in den Granulationen, in den Plexus chorioideus, in 92 den Gefässknäuelgeschwülsten); 2) Sekundäre Gefässbildung, bei welcher Zellen in spindelförmiger Form mit ihren Längs- axen dicht neben einander liegen und zwischen sich einen Kanal lassen (spätere Gefässbildung in der Area vasculosa, Gefässbildung im fötalen Bindegewebe, in den Granulationen, im Collonema, Cylindroma, in den Teleangiectasien); 3) Ter- tiäre Gefässbildung, bei welcher aus den strukturlosen Ge- fässwänden fadenförmige Schösslinge hervortreten, die. ent- weder mit gleichen Schösslingen oder mit Ausläufern ver- zweigter Zellen oder mit einem anderen Gefässe direkt sich vereinigen und von dem Kanal des Muttergefässes aus all- mälig hohl werden. Letztere Gefässbildung soll vorkommen im weiteren Verlaufe der Gefässbildung in der Area vaseu- losa, desgleichen in der Allantois,"ferner bei der weiteren Ausbildung des Gefässnetzes im Schwanz der Batrachierlar- ven, im fötalen Bindegewebe, im Collonema. Die Gefäss- schlingen in den papillen- und zottenartigen Gebilden ent- wickeln sich analog den Drüsenbläschen aus Zellenkomplexen, welche in Form von Kolben und warzigen Auswüchsen aus- einander hervorsprossen. Des Ref. Ansicht über die Gefässbildung sind in den so- eben die Presse verlassenden „Studien der physiologischen Anstalt etc.* niedergelegt. | In der Gegend der sackförmigen Ausbuchtungen der Venen, welche sich im blutgefüllten Zustande an der Herzseite der Klappen vorfinden, besteht die Wand des Ge- fässes nach Remak aus einer dünnen äusseren und ebenfalls dünnen inneren, elastischen Bindegewebsschicht, zwischen welchen glatte Muskelfasern im Allgemeinen eirkulär, jedoch auch in anderen Richtungen hinziehen (deutsche Klinik; 1856, No. 3). Häute. H. Goldstücker hat in seiner Inaugeral- Abhandlung (De Staphylorraphia; Vratisl. 1356, e. tab. II) seine im phy- siologischen Institute zu Breslau angestellten Beobachtungen über die Schleimhaut des harten Gaumens und beson- ders über den weichen Gaumen mitgetheilt (p. 1—10). Die Epidermis verändert sich bei Neugebornen am Lippenrande ziemlich plötzlich, indem das Stratum corneum kaum den dritten Theil der Dicke besitzt, wie an der äusseren Haut. An dem Substrat, dem Corium, zeigt sich die Veränderung der äusseren Haut beim Uebergang zur Schleimhaut zunächst darin, dass die tieferen Fettzellen (des Panniculus adiposus) aufhören, und dann in der welligen Oberfläche des Coriums, die durch das Auftreten breiterer, zuweilen mit Nebenästen besetzter Papillen hervorgerufen wird. Am harten Gaumen fehlen bei Neugebornen die Papillen noch gänzlich. Das bindegewebige Stroma besteht hier überall aus formloser, 93 unreifer Bindesubstanz mit spindelförmigen Bindesubstanz- körperchen, welche in der Nähe des Knochens (Beinhaut) mit ihrem Längsdurchmesser parallel der Oberfläche des Knochens geordnet sind. Bei Erwachsenen hat dieses Stroma den histologischen Charakter des reifen Bindegewebes ange- nommen, und an der freien Oberfläche sind spitz auslaufende Papillen bis zu der deutlich markirten Stelle des harten Gau- mens vorzufinden, wo die Schleimdrüsen auftreten ünd der Uebergang zum weichen Gaumen erfolgt. — Was den wei- chen Gaumen betrifit, so ist die Beschaffenheit des Epithe- liums bekannt; an der unteren Fläche findet sich mehrfach geschichtetes Pflasterepithelium, an der oberen cylindrisches Flimmerepithelium. In dem Substrat des weichen Gaumens sind, abgesehen von den Nerven und Gefässen, besonders beachtungswerth das feinere morphologische Verhalten des bindegewebigen Stroma’s, der Muskeln, der Drüsen. In dem bindegewebigen Stroma sind ausser den interstitiellen Zügen zwei besonders geformte Bestandtheile, die elastische Haut und die Fascia muscularis, hervorzuheben. Die elastische Haut breitet sich an der unteren Fläche des Substrats des weichen Gaumens aus, liegt hier ganz nahe der freien Ober- fläche, nimmt gegen den hinteren Rand des harten Gaumens an Dicke zu, verschmilzt hier zum Theil (in der Mittellinie) mit der Muskelfascie und wirkt als Antagonist des Tensor palati mollis. In der Mittellinie steigt eine Lamelle der elastischen Membran aufwärts und trennt daselbst die Schleim- drüsenschicht in zwei symmetrische Hälften, ohne jedoch die hintere Grenze selbst dieser Schicht zu erreichen; sie ist an ‚die Spina nasalis posterior befestigt. Die feinen, elastischen Fasernetze verfolgen in dem weichen Gaumen den Zug von Vorn nach Hinten. Die Muskelfascie des weichen Gaumens hat ihre Lage an der hinteren, gegen das Rachengewölbe gewendeten Fläche, reicht daselbst bis zum freien Rande des harten Gaumens und hängt seitlich mit Fascien zusammen, die an der Seitenwand des Schlundes hinziehen. Es müssen in derselben zwei Lagen unterschieden werden, eine, unmit- telbar an der freien Fläche gelegene und mit elastischen Fa- sernetzen stark durchsetzte Lage, und die zweite tiefere Schicht, in welcher keine oder doch nur wenige elastische Faser- netze vorkommen. Die zuletzt genannte Schicht darf als . Ausbreitung der Sehne des Tensor palati mollis angesehen werden. Die elastische Partie der Muskelfascie dient zur Insertion des Musculus azygos uvulae und der von den Seiten in den weichen Gaumen einstreichenden Muskeln. Die Schleim- drüsen bilden eine die Hälfte der Dicke des weichen Gau- mens einnehmende Schicht besonders an der unteren, gegen die Mundhöhle zugekehrten Fläche zwischen der elastischen Membran und der Muskulatur. Auch an der oberen Fläche des weichen Gaumens, namentlich mehr seitlich und gegen 94. den freien Rand hin befindet sich eine ziemlich dicke Drü- senschicht. Nur im Zäpfchen werden Schleimdrüsen durch die ganze Dicke des Substrats verbreitet angetroffen. Die Muskulatur hat ihre Lage zwischen der unteren Drüsenschicht und der Fascia muscularis. Der Verf. unterscheidet sechs Muskeln: die Levator. palat. mollis, Tensor. palati m. (durch seine Sehne), die Ausläufer des M. glossopalatinus und des M. pharyngapalatinus, den Azygos uvulae und die bisher noch nicht genügend gewürdigten Muskelbündel, welche aus dem Constrictor pharyngis sup. oberhalb des Levator palat. moll. zugleich mit den Ausläufern des M. pharyngopalatinus in den weichen Gaumen übergehen. Ausserdem hebt Goldstücker hervor, dass man nach Entfernung der Muskeln an der oberen Fläche des weichen Gaumens Muskelbündel gewahre, welche in der Nähe der Mittellinie von der Fascia muscularis ent- springen und quer über die Mittellinie zur anderen Seite hinüberziehen, um daselbst in gleicher Weise zu inseriren. Die von der Seite her in dem weichen Gaumen eintretenden Muskeln gehen zum grössten Theile über die Mittellinie hin- weg zur anderen Seite hinüber. Dennoch sieht man an mi- kroskopischen Schnittchen grade in der Mittellinie eine lich- tere Stelle, wie ein Septum, welches die hinüberziehenden Muskeln zu trennen scheint, und das wahrscheinlich durch die stärkere Anhäufung von Bindegewebe an dieser Stelle gebildet wird. Die beiden Muskeln des Azygos uvulae ent- springen nicht von der Spina nasalis posterior, sondern von der Fascia muscularis und zwar in einiger Entfernung von der Mittellinie, so dass sie erst im weiteren Verlauf nach dem Zäpfchen hin konvergiren und in der Mittellinie zusam- menstossen. ; Auch A. v. Szontägh hat „Beiträge zur feineren Anatomie des menschlichen Gaumens“ geliefert, die von E. Brücke der Akademie zu Wien vorgelegt wurden (Sitzungsberichte ete. Bd. XX, p. 1 ff.). Die durch Hervorstülpung der Grund- membran der Schleimhaut gebildeten Papillen sah der Verf. beim Kinde sehr schön in der Nähe des Zahnfleisches. Ge- gen die Mitte werden dieselben seltner und bilden entweder sehr dünne, spitzige oder breite, niedrige, am freien Rande mit spitzigen Fortsätzen versehene Hervorragungen. Im hin- teren Theile des harten Gaumens finden sich keine Papillen. Nach dem Verf. sollen ferner die an der Grundmembran ge- legenen Zellen des mehrfach geschichteten Epithels eylindrisch und keulenförmig sein und einen stabförmig verlängerten Kern besitzen. Im vorderen Theile des harten Gaumens fand der Verf. kein gewöhnliches Bindegewebe, sondern dicht un- tereinander verflochtene Fasern, die in die Beinhaut des Kno- chens übergehen. Dieselben Faserzüge waren auch am übri- sen Theile des harten Gaumens bemerkbar und bedingen wahrscheinlich die Festigkeit des Schleimhaut-Substrats. Der 95 Verf. zählte in einem Falle 250 Schleimdrüsen-Ausführungs- gänge am hinteren Theile des harten Gaumens, 100 an der vorderen, 40 an der hinteren Fläche des weichen Gaumens, 12 an der Uvula. Ausser diesen acinösen Drüsen fanden sich an manchen Gaumen, einfache, ziemlich weite, aber kurze Tubuli, die in ihrem Verlaufe oft rechtwinklig geknickt sind und mit einer blinden Erweiterung aufhören. Sie waren besonders am oberen Theile des weichen Gau- mens auf beiden Flächen sichtbar. Im Betreff der Muskeln macht der Verf. die richtige Bemerkung, dass einzelne Fas- eikeln auch zwischen den Drüsen hinziehen und dieselben theilweise umschliessen, so dass sie bei ihrer Kontraktion die Drüsen nothwendig pressen müssen. Das schon oben er- wähnte Verhalten der beiden Muskeln des Azygos uvulae in der Nähe des harten Gaumens, dass dieselben nämlich hier weiter auseinanderstehen, ist auch von v. Szontäagh hervor- gehoben. Endlich theilt der Verf. mit, dass das Neurilemma der Gaumennerven auch bei Erwachsenen, obgleich spärlich, Kerne besitze. Drüsen. Die Drüsen in der Schleimhaut der Vaginalportion beschreibt E. Wagner (Vierordt’s Archiv für phys. Heilk. Jahrg. 1856, p. 494 ff... Der Verf. fand Drüsen in der gan- zen Schleimhaut der Vaginalportion, in grösster Menge und von dem grössten Volumen namentlich zunächst dem Mutter- munde. Die Drüsen haben im normalen Zustande entweder und zwar am häufigsten eine einfach schlauchförmige Gestalt, oder sie werden an ihrem blinden Ende etwas breiter, schwach kolbenförmig. Ihre Länge wird etwa auf '/),—1 Mm. geschätzt; ihr gegenseitiger Abstand beträgt durchschnittlich !/,—1 Mm. Die Dicke der Drüsen schwankt zwischen !/,, und !/,; Mm. Die Drüsen. bestehen -aus einer strukturlosen, sehr dünnen Haut und aus dem an der Innenfläche derselben ausgebrei- teten Epithel, das aus cylindrischen oder kubischen, nicht mit Flimmerhärchen versehenen Zellen gebildet wird. Das obere Drüsenende mündet stets in eine flache, kegelförmige Vertiefung der freien Schleimhautfläche, an welcher jedoch das Epithel sich nicht betheiligt. Das Epithel der Vaginal- portion ist bekanntlich mehrfach geschichtetes Pflasterepithel, dessen tiefste Zellenschicht nach dem Verf. eylindrisch und keulenförmig sein soll. Die Angaben, dass die tiefste Zellenschicht des geschich-- teten Pflasterepithels aus langgezogenen Zellen bestehe, meh- ren sich gemäss der Vorlagen, welche in den Handbüchern sich finden. Die Beobachter haben allerdings den Augen- schein für sich, denn an Schnittchen erhärteter und getrock- neter Präparate sind die bezeichneten Zellen mehr oder we- niger in die Länge gezogen. Wenn Ref. in der letzten Zeit 96 seine Einsprache gegen die Ansicht, dass diese langgezoge- nen Zellenkörper normale Bildungen seien, nicht mehr erho- ben hat, so geschah es nur, weil er es für unnütze Arbeit gehalten hat, gegen den Strom zu schwimmen. Es gehört aber in der That nur eine geringe Ueberlegung dazu, sich zu überzeugen, dass die tieferen, vollsaftigen Zellen des mehrfach geschichteten Epithels beim Ein- trocknen und Erhärten der Präparate, wobei zunächst die äusseren Schichten des Epithels einerseits und das Sub- strat anderseits betheiligt sind, unter Bedingungen ste- hen, durch welche sie nothwendig in. die Länge ge- zogen werden müssen. Unter günstigen Verhältnissen findet man übrigens Stellen des Präparates, wo die Zellen nicht in die Länge gezogen sind, und hat alsdann die gute Gelegenheit, solche Zellen, namentlich nach Anwendung der Essigsäure, durch Druck und Zerrung nach Willkür lang zu ziehen. H. Sachs hat bei Gelegenheit seiner im Breslauer phy- siologischen Institut unternommenen Untersuchungen über die Muskulatur der Zunge (Observationes de linguae structura penitiori. Vratislaviae 1856; c. tab. II. 4to) auch den glan- dulae folliculares linguae seine Aufmerksamkeit zu- wendet. Der Verf. zählte bei einem Weibe 60 gland. follieu- lares. Wie Gerlach, so sah auch Sachs die Oeffnungen derselben öfters auf dem Gipfel einer Papilla circumvallata. Durch des Verf. Untersuchungen wird ausser Zweifel gesetzt, dass die von Kölliker als geschlossene Follikel betrachte- ten und mit den solitären Follikeln des Darmes verglichenen Gebilde, am Grunde des weiten Ausführungsganges, die wirk- lichen Acini der glandul. follieularis darstellen. An zahl- reichen Schnittchen, die von einem Ende der Drüse zum an- deren geführt werden, gelingt es fast regelmässig solche Prä- parate zu gewinnen, an welchen der eine oder andere, an- geblich geschlossene Follikel unzweideutig in offene Kom- munikation mit der Höhle des Ausführungsganges tritt. Da, wo die Acini in den Grund des Ausführungsganges einmün- den, sind Papillen nicht vorhanden. Kölliker’s Zeichnungen sind von Schnittchen entnommen, die den bezeichneten Grund nicht getroffen haben. Der Hals, durch welchen die Aecini mit dem Ausführungsgange zusammenhängen, hat einen Quer- durchmesser von !/; —!1%". Wie es Weber beschreibt, so fand es auch der Verf., dass die tiefer gelegenen, zusam- mengesetzten, acinösen Schleimdrüsen zuweilen mit ihrem Ausführungsgange in den Fundus des Ausführungsganges der Gland. follieul. einmünden, und zwar mit einer trichter- förmigen Erweiterung. Die Tonsillen bestehen nach des Verf. Beobachtungen aus einem Haufen von Läppchen, die aus einzelnen folliculären Drüsen, wie sie in der Zunge vorkom- men, zusammengesetzt sind. In Betreff der Muskeln der 97 Zunge hat sich ergeben, dass ein eigener in der Zunge selbst entspringender Musc. longitudinalis superior und inferior nicht existirt. Der Muse. longitudinalis superior wird von den in den Rücken der Zunge auslaufenden Fasern des M. glossopalatinus, pharyngopalatinus und des Constrictor pha- ryngis med. und inf. gebildet. Der Muse. longitudinalis inferior ist als ein M. lingualis inferior zu betrachten, welcher vom äussersten Ende: des Zungenbeinkörpers und zum kleineren Theile vom kleinen Horn des Zungenbeines (Chondroglossus) . seinen Ursprung nimmt. ‘Ein M. chondroglossus, wie er von den Autoren beschrieben wird, war nicht aufzufinden. Ebenso wird der M. perpendicularis proprius linguae geleugnet; denn die perpendiculären Fasern, welche in der Spitze der Zunge vorkommen, sind Ausläufer des M. genioglossus und der sog. Mm. longitudinalis superior et inferior. Im vorderen Theile der Zunge finden ‘sich quere Muskelfasern, die von einem Rande der Zunge zum anderen hinziehen. Gauster hat neuerdings seine im physiologischen Insti- tute zu Wien angestellten Untersuchungen über die Balgdrü- sen der Zunge veröffentlicht, in welchen er die Kölliker- schen geschlossenen Follikeln wieder in Schutz nimmt (Sitzungs- berichte; Bd. XXV, p. 495). Die von Sachs in den letzten Wochen unternommene Revision seiner Beobachtungen hat den Ref. von Neuem von der Richtigkeit der Darstellung überzeugt, die oben gegeben wurde; die angeblich ge- schlossenen FollikelKölliker’s sind Acinider Zun- genbalgdrüsen. hit Lionel S. Beale hat ausführliche Untersuchungen über die Struktur: der Leber angestellt und dieselben in der Med. Times and Gazette (Nr. 299, 302, 303, 306), in den Philosophical Transactions (Volum. 146. Part. I, p. 375), end- lich auch in einem eigenen Werke „On some points in the anatomy of the liver ete.“ (London 1856) veröffentlicht. Das letztere Werk ist von 66 photographischen Abbildungen be- gleitet, die der Verf. von Zeichnungen seiner Präparate hat anfertigen lassen, und die im Allgemeinen nur wenig instruc- tiv sind. Die von Leydig und dem Ref. gegebene Aufklä- rung über die letzte Endigung des Drüsenhöhlensystems in der Leber'ist dem Verf. unbekannt geblieben; seine Unter- suchungen schliessen sich im Wesentlichen an Kiernan und an. bereits bekannte Ansichten über die Struktur der Leber an. Zur Erhärtung; der Leber oder vielmehr einzelner Stück- chen derselben wird besonders eine Mischung von wässrigem Alkohol und einigen Tropfen einer Solution von Soda, durch welche die Präparate durchsichtig gemacht werden, empfoh- len. : Die Schnittchen wurden dann ausgewaschen und in diluirtem Alkohol oder Glycerin untersucht. Um Behufs der Injektion der: Gällengänge und ihres terminalen Netzwerks (2 R.) die Galle zu entfernen, wurden die Blutgefässe so Müller’s Archiv. 1857, Jahresbericht, G' 98 lange mit Wasser injieirt, bis dasselbe aus dem Ductus he- paticus ausfloss. Das klar ausfliessende Wasser enthält: dann eine reichliche Quantität Oylinderzellen und einige rundliche Zellen aus den feineren Gallengängen, niemals aber Leber- zellen. Wie es dem Verf. dennoch gelungen, das die Leber- zellen enthaltende Höhlensystem zu injiciren, bleibt ein Räth- sel. Als Injektionsmasse für das Drüsenhöhlensystem wurde frisch zubereitetes Berliner Blau benutzt, zu welchem eine kleine Quantität Weingeist hinzugesetzt war, um auf die Er- härtung der Wandungen der feinen Gallenkanälchen einzu- wirken. Bei den Gefässen wurde Leiminjektion angewendet. Von den Resultaten sind folgende hier anzuführen. Die Le- berläppchen werden durch die Interlobularvenen markirt, die jedoch nicht, wie Kiernan angiebt, mit einander anastomo- siren und das Läppchen ringförmig umschliessen, Das da- zwischen gelegene Parenchym wird aus zwei Netzwerken zu- sammengesetzt: aus dem Kapillarsystem, welches das Blut in die Intralobularvene abführt und dem terminalen Netz- werk des Drüsenhöhlensystems, welches aus einer feinen Tu- bular-Membran gebildet wird und die Leberzellen enthält. Das Kapillarsystem wird also ganz frei dahin ziehend ge- dacht; sein Netzwerk zeigt eine Konvergenz nach dem Cen- trum (V. intralob.) des Läppchens hin. Einzelne Zweigel- chen der Art. hepatica dringen bis in diese Kapillaren hinein. In dem Netzwerk des Drüsenhöhlensystems liegen die Zellen beim Menschen und den Säugethieren in der Regel einzeln aneinander gereiht; selten zu 2 und 3. Die Leberzellenhal- tigen Kanälchen stehen in kontinuirlicher Verbindung mit den feinsten Enden der Lebergänge, deren Durchmesser gewöhn- lich kleiner ist als bei den Kanälchen des Netzwerks, und die in der Umgebung des Läppchens Anastomosen und auf diese Weise Plexus bilden. Diese feinsten Enden der Gallen- gänge bestehen aus einer struckturlosen Haut, welche mit derjenigen der Röhrchen des leberzellenhaltigen Netzwerks im Zusammenhange sich befindet und an der Innenfläche von Plattenepithelium ausgekleidet wird. Beale zweifelt ferner, ob die Leberzellen eine Membran besitzen und unterscheidet neben denselben in den terminalen Röhrchen noch eine ge- wisse Menge feinkörniger Masse, öfters auch Oeltropfen und dunkelgelbe Pigmentkörner (? R.) — Die Gallengangdrüsen der feineren Gänge haben eine eiförmige Gestalt, die der stärkeren Gänge sind zum grössten Theile verzweigt und anastomosiren untereinander. Die letzteren halten sich nicht allein innerhalb der Dicke der Wandung, sondern treten auch über die äussere Oberfläche derselben hinaus. Die Vasa aberrantia Weber’s kommen nicht allein sehr reichlich in der Porta hepatis vor, sondern auch in den weiteren Pfortader- ästen der Leber. — Kommunikationen der Lebergänge finden sich, wie bei den-Vasa aberrantia, im Inneren der Leber sehr häufig vor. SR) Handbücher und Hülfsmittel. H. Welcker: Ueber Aufbewahrung mikroskopischer Ob- Jjekte etc. Giessen 1856. Schlossberger: Die Chemie der Gewebe des gesamm- ten Thierreiches. Leipz. u. Heidelb. 1856. Lionel Beale: The microscope and its Application to clinical Medie.. London. 1856. Perrone: Compendio elementare d’anatomia generale; etc. 2 Vol. Napoli. 1856. Theod. Margo: Histologische Briefe. Ungar. Zeitschrift VII. 4, 23, 32, 33, 37, 42. Ley dig: Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Frankf. 1857. C. Robin: Memoire sur les objets, qui peuvent &tre con- serves en preparations microscopiques transparentes et opaques etc. Paris. 1856. R. B. Todd: The cyclopaedia of anatomy and phys. Part. XLIV—XLVIIl. Lond. 3. Berlin, Druck der Gebr, Un ger’schen Hot buchdruckerei, ak moitnsilggh ai bus ageonyian sul.: ‚Web: Be jechsennl? sh eigaleiniEl 13h douduluh ‚B as a Zu ‘ a Auen A 1. moas mans ah orlomsi) ao‘ simed’) sick ag ‚288. «diebioll ir ‚gli ar re RO on ac zalaronog, inmolsan h snatrtoinele, slmginedi DER E: Harte ER: " üindoejioS ya. Sb sıloaigolateik! ee iM. br ‚ch NR: & u E &e “tor srl) tasıenag inp r aiide. ask 108 ke esupage Js aslasinganar asupigosaordin mie ya 4 r SAL sel \ Bor, bin Eumolaos te sthangelven SET: sbbo PIE birasl ULAIZ- ler sÄrchir 1057 R Saft. Ir 5 Nenstenber = ERS = 4 del. Onanand sc 7 Kos A rei 2837, ER BEN REH mann del. Frinandıe. 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