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Bi di i Pr KORLU HT ‚s \ linden e male 14 | ‚Br (2 N ER »z BLENDE LOTTT Fa Fr iR al BSR a j EERRIERETT KERE LEI Y ' ‘ ber vg KH ar y i ü ja Ir una: „ u ’ t we aRaKAn PR i Pu CR | N, ; 4 el u ah KL N IR “ f FE PR r v. I IIRERT. Librarp of the Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. Founded bp private subscription, in 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. ee De A r ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN, IN VERBINDUNG MIT MEHREREN GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN voN D*. JOHANNES MÜLLER ORD. ÖFFENTL. PROF. DER ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNICL ANAT. MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS ZU BERLIN. Jahrgang 1858. “Mit vierundzwanzig Kupfertafeln. BERLIN VERLAG vos VEIT ET COMP. Er IH nannam na 3.100 aran f € aan eua d ° alotsrıaiqu swsbi iz 2 1% En Inhaltsanzeige. Beitrag zur Anatomie des Cyelostioma elegans.. Von Edouard = Glaparede aus Genf. (Hierzu Taf. Lund Il). ...%.. ; Ueber die Entwickelung der Phyllirhoe Nr Von A. - Schneider; (Hierzu Taf. IL). . „. % 2); 35 Ueber 2 neue Thalassieollen von Messina. Von A. Schneider. Gerz BIFRDERN SE IMPRIMERIE IB NED 38 Mittheilungen über ‘die Organisation von Phyllosoma und Sapphi- rina Von Prof. Dr. ©. Gegenbanr zu Jena. (Hierzu Taf. BesundaVr).: 2.612 ISA UST) „ISIN AI OT 743 Zur Kenntniss der Krystallstäbchen im Krustenthierauge. Von Prof. ' Dr.:C, Gegenbaur zu Jena. (Hierzu Taf. IV. Fig. 6). .! 82 Einige’eonchyliologische Beobachtungen. Von Dr. Guido Sand-' :berger; Gymnasiallehrer zu ‚Wiesbaden . . ! 2... 8 Geschichtliche und kritische Bemerkungen über Zoophyten und Strahlthiere. - Vou Dr. Joh. Müller: ..... 2 2 Wr 90 Blick auf den gegenwärtigen Standpunkt der Ethnologie in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. Von’ Prof. "Dr.-A. Retzius-in Stockholm : > 5 2 2. (we) 78 106 Einige Beobachtungen’ über das ausgedehnte Vorkommen von Ner- * venanastomosen im Tractus intestinalis. Von Dr. Theodor Ballgovh. „(Hierzu Taf VID) sw srad ei di sarrarıer 143 Ueber. die Epithelialzellen der Froschzunge, sowie über den Bau der ‚Oylinder-; und Flimmerepithelien und ihr Verhältniss zum Bindegewebe. Von Dr. TheodorBillroth. (Hierzu Taf. VII.) 159 Ueber: die Theilung der Blutzellen beim Embryo: Von Robert ermak. (Hierzu Taf. VOL)... - 32021 2783047178 Ueber 'peripherische Ganglien an den Nerven des Nahrungsrohrs. EC VonBöbertlRemakvzızill) alpelausyn T-ze)&. Hs bgu 189 _ Zur Kenntniss des den electrischen Organen verwandten Schwanz- ‚organes von Raja clavata. Von Prof. Max Schultze in BE (Hierzu PacaEX yo las ar Dr Wen einre 198 Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. Von A. Werk ann. (Hierzu: Tat. X) er E. a ar Ueber Pilidium und Actinotrocha. Von Dr. A. Krohn. „. . 239 Iv A Ueber Töne bei Knorpelfischen.. Von Dr. C. Mettenheimer. (Briefliche Mittheilung an den Herausgeber). . . . . ».. .. 302 Das Nebenthränenbein des Menschen. Von Prof. H. Luschka in Tübingen. (Hierzu Taf. XL). ....-.. nn 0 a are ee ZH, Beiträge zur chemischen Kenntniss des Fötuslebens. Zweiter Ar- Gkel won’d. Schlossberger in Tübingen. ....'... . „e,809 Bemerkungen über die Entstehung der bei manchen Vögeln und den Krokodilen vorkommenden unpaarigen gemeinschaftlichen e. »Barotis., Von Heinr.TRathke in). ad. 5} #451.) 315 Uebeneinige Parasiten der Hololhuria tubulosa von Dr. A. Schnei- er... (Hierzu Tat. XI)...297 ST wait re 2 Innere Bewegungserscheinungen bei Diatomeen der Nordsee aus den Gattungen Coscinodiscus, Denticella, Rhizosolenia. Von Prof. Max Schultze. (Hierzu Taf. XII) . .......330 Ueber die. Endigungsweise des Hörnerven im Labyrinth. Von Prof. Max. Schultze.. (Hierzu Taf. XIV) . ., “YVohan. 21348 Einige-Bemerkungen über die Beckenknochen der beschuppten Am- phibien, Von,Constantin Gorski, Mag. phil. . 2... 382 Beiträge zur. Osteologie des surinamischen Manatus. Von Prof. Dr.. Krauss: in Stuttgat 4.,W yx- wrkslinieseuer d sans .. 390 Ueber die Seitenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. : Von A. Schneider. (Hierzu Jbaf: RW.) 44 207 - aeihldan 426 Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels. Von Dr. Rudolf Heidenhain und Dr. August Colberg in Halle. (Hierzu Paf. XVL).... 2.2.2. aetodlua ses A AT Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. Von Prof. D. Schaaff- hausen in Bonn (Hierzu Tafel XVIL) .. . 2... . .,453 Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. ‘Von Dr. Rad odf; Heidenhain;in ‚Halle eb. nallsshotsschtiale Sl rad Ueber ‘die Elasiieität der Muskeln, eine Erwiderung auf Volk- ‘© mann’s Aufsätze, ‚Versuche über Muskelreizbarkeit und Ver- suche ‚und Betrachtungen über Muskelcontractilität. Von Bduard Weber ».., :, .... 2..CH% et nah "1 2.1506 Untersuchungen über niedere Seethiere. Von Dr. Rud. Leuckart und Dr. Alex. Pagenstecher. (Hierzu Taf. XVIIL.—XXIIL) 558 Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. Von Wilhelm Boceius. (Biiesau Taf, XXIM) . 1014 “a Nopioasis Diesk mon wermtu6l4 Beitrag zur Anatomie des Cyelostoma elegans') von - EDOUARD ÜLAPAREDE aus Genf. (Hierzu Taf. I. und II.) — Feker die Anatomie der Pulmonata operculata besitzen wir bis jetzt nur sehr mangelhafte Angaben. Es ist freilich schon längst bekannt, dass diese Thiere getrennten Geschlechts sind, aber genauere Untersuchungen über diesen Gegenstand sind nicht vorhanden. Troschel?) hat zwar eine Abhand- lung über die anatomischen Verhältnisse der Ampullaria urceus geschrieben, seine Beobachtungen aber mussten sich auf das Seciren einiger Spiritusexemplare beschränken, daher ist es gekommen, dass er sich mit den Geschlechtstheilen kaum hat beschäftigen können. Ausserdem sind Gründe da, um zu vermuthen, dass die Ampullariae von den anderen Pulmonata operculata bedeutend abweichen möchten, Ausser Troschel’s Untersuchungen sind mir' nur diejenigen Moquin-Tandon’s über Cyclostoma elegans°) bekannt, 1) Die untersuchten Cyclostomen wurden am Hügel Pinchat bei Genf gesammelt. 2) Anatomie der Ampullaria urceus und über die Gattung Lanistes Montf£f., in Erichson’s Archiv für Naturgeschichte 1845. „S. 197 — 216. Tab. 8. ! 3) Histoire naturelle des mollusques Huviatiles et terrestres de France. 1855. ; ‚Müller’s Archiv. 1858. 1 2 Edouard Claparede: die im Laufe des vorigen Jahres in dem grossen Werke dieses Forschers über Land- und Süsswassermollusken er- schienen sind. Moquin-Tandon’s Beobachtungen sind aber hier, wie bei Neritina, sehr unvollständig, um so mehr, als er bekanntlich mikroskopisch niemals untersuchte, so dass einige neue Beiträge zur Anatomie der Gattung Cyclostoma nicht unerwünscht sein dürften. Von der Haut selbst des Cyclostoma elegans ist kaum etwas Bemerkenswerthes anzuführen, bloss dass sie nirgends flimmert. Siebold und Leydig haben schon gezeigt, dass die Beflimmerung keinesweges eine allgemeine Erscheinung auf dem Mantel der Landcephalophoren ist!). Kalkablagerungen unter der Gestalt von braunen Körnchenhaufen sind überall in der Haut zerstreut und zwar liegen dieselben zwischen der Oberhaut und der darunter liegenden Muskelschicht. Diese gefärbten Kalkkörner verleihen der Haut die braungrünliche Färbung, wodurch dieselbe sich auszeichnet. Die durch Säuren isolirte Schalenepidermis zeigt kein Balkennetz wie bei Neritina, sondern erscheint als eine strukturlose, farblose Membran, worin braune längliche Haufen einer ungeformten 1) Ich habe neulich auf den Fühlern von Neritina fluviatilis starke unbewegliche Borsten beschrieben (M üller’s Archiv 1857, p. 115), die eine grosse Aehnlichkeit mit den borstenartigen 'Gebilden ver- schiedener Turbellarien, Naiden und anderer Annulaten haben. Ich habe seitdem gefunden, dass diese Borsten bei den meisten unserer Süsswasserschnecken, vielleicht gar bei allen vorkommen. Ich finde sie bei Limnaeus pereger, L. palustris, L. auricularis, L. stagnalis, Planorbis albus, Pl. marginatus, Pl. carina- tus, Bythinia impura, B. similis u. s. w. auf der ganzen Haut zerstreut, Leydig hat sie schon bei Limnaeus stagnalis be- schrieben (Lehrbuch der Histologie 1857 p. 106.): „Auch bei Neritina kommen sie überall auf der freien Haut vor, nur sind sie auf den Fühlern bedeutend stärker und sie treten an dieser Stelle, wegen des Mangels der Flimmercilien, deutlicher hervor. Diese Borsten scheinen nicht einziehbar zu sein, wenigstens ragen sie überall aus der Haut hervor, selber wenn das Thier nicht beunruhigt wird, wie man es bei jungen Individuen leicht beobachten kann“. — Diese Borsten scheinen von den s. g. Nesselorganen der Aeolidien und Tergipeden gänzlich verschieden zu sein. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 3 Substanz in ganz regelmässigen Reihenfolgen eingestreut sind. Diese Reihen entsprechen den Längsrippen, welchen die Schale ihre zierliche Streifung verdankt, und in der That be- stehen dieselben aus einer grossen Anzahl kleiner, sehr nahe an einander gelegener Höckerchen, deren grösster von vorn nach hinten gerichteter Durchmesser 0,20 bis 0,23 und der andere quere 0,050 bis 0,085 Mm. beträgt. Diese Höckerchen allein sind gefärbt und dadurch entsteht die scheinbar gleich- förmige braunviolette Färbung der Schale. Der Deckel besteht aus drei Schichten: die äusserste und dünnste ist eine homogene Oberhaut, die sehr faltenreich ist, indem die Zuwachsstreifen sich in der Epidermis durch eine Falte kundgeben. In der Membran, die eigentlich farblos ist, sind hie und da braun gefärbte Strecken vorhanden. Die mittlere sehr dicke Schicht besteht aus lauter kohlensaurem Kalk und löst sich bei Einwirkung von Säuren ohne merk- lichen Rückstand auf, Die dritte hornartige (nicht aus Chitin bestehende) Schicht zeigt keine Spur der bei Neritina vor- handenen faserigen Struktur, sie ist vielmehr an und für sich strukturlos und braun gefärbt. Sowohl die Dicke, wie die Fär- bung der inneren Schicht des Deckels sind je nach den Theilen sehr ungleich. Am dicksten ist die dem Mittelpunkt der Spirale am nächsten gelegene Gegend. Dieser Theil ist auch meistens sehr uneben. Die braune Farbe erreicht eben- falls an dieser Stelle ihre grösste Intensität. Diese dritte Schicht wird selbst nach innen von einem aus polygonalen Zellen bestehenden Epithel bekleidet. Dasselbe wird gewöhn- lich nur auf der Hälfte der Spirale, welche am entferntesten vom Mittelpunkt liegt, also auf dem jüngeren Theile gefunden. Diese Zellen haben meistens eine längliche Gestalt (Fig. I. A.), indem der eine Durchmesser zwischen 0,007 und 0,015 und der andere zwischen 0,003 und 0,007 Mm. schwankt. Die Kerne sind sehr schmal, so dass sie bei einer Länge von 0,002 bis 0,005 Mm. nur eine Breite von 0,001 Mm. be- sitzen. In der Nähe des dünnsten Deckelrandes, also des leiztgebildeten Theiles, sind diese polygonalen Zellen weniger in die Länge gezogen (Fig. I. B.), 0,005 bis 0,006 Mm. breit 1* 4 Edouard Claparede: und. mit einem grossen runden 0,003 bis 0,005 breiten Kerne versehen. Beide Zellformen gehen natürlich allmälig in ein- ander über. Dass diese Epithelzellen gerade nur auf den jüngeren in der Bildung begriffenen Theilen der angewachsenen Deckelseite vorkommen, möchte wohl darauf hinweisen, dass sie eine Rolle bei der Bildung des Deckels spielen. Ob letzterer von ihnen abgesondert wird, oder ob sie selbst zur Deckelsubstanz verhornen, muss aber dahin gestellt bleiben. Jedenfalls entbehrt die von Moquin-Tandon aufgestellte Ansicht, dass alle schneckenförmigen Deckel (opercules cochlei- formes), wohin auch das Operkel der Cyclostomen gehört, von dem Mantelrande abgesondert werden sollten, jeden Grund. Ueber die mikroskopische Struktur der Muskeln bei Mol- . Jusken stehen zwei Hauptansichten einander gegenüber: Einer- seits nehmen Lebert und Robin') als letztes Muskelelement feine Primitivfasern an, deren Dünnheit ausserordentlich sein kann. Andererseits betrachtet Leydig?) als eigentlichen Elementartheil des Muskels eine Röhre, welche aus einer Reihe hintereinander gelegener und verschmolzener Zellen E\ entstehen soll. Dabei ist übrigens nicht unwahrscheinlich, dass grosse Verschiedenheiten im Muskelbau je nach den Mol- luskengruppen vorkommen. In der That könnten die Mus- keln von Cyelostoma für beide Theorien ausgebeutet werden. Sie zerfallen in Fasern, die im Fusse eine Breite von 0,006 bis 0,02 Mm. erreichen: in der Muskelschicht des Speise- kanals sowohl, wie in der Ruthe und auch in der Lungen- böhle sind die Fasern durchschnittlich etwas dünner. Solche Fasern stellen die Leydig’schen Röhren vor, denn man kann durch Essigsäure den Inhalt auflösen oder wenigstens ganz durchsichtig machen und es bleibt eine farblose Scheide zurück. Der Röhreninhalt zeigt aber sonst eine feine, nicht immer sehr leicht wahrnehmbare Längsstreifung, welche durch 1) Kurze Notiz über allgemeine vergleichende Anatomie niederer Thiere. Müller’s Archiv 1836, p. 126. 2) Ueber Paludina vivipara. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoo- logie. Bd. II, p. 191. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 5 Fibrillen wirklich hervorgebracht wird, denn nicht selten be- ‘ kommt man bei Zerreissung eines Muskels isolirte Röhren, wo an beiden Enden die Faserchen auseinander gehen und in einem Büschel heraussehen. Diese Fibrillen werden wohl Lebert und Robin’s Primitivfasern entsprechen. Ob die Bildung dieser Röhren auch bei Cyclostoma wie bei Paludina vor sich geht, steht dahin; niemals aber wurden zerstreute Kerne auf denselben angetroffen. Ebensowenig haben wir auf diesen Muskelröhren die Querstreifung wahrgenommen, die Lebert und Robin ganz constant bei gewissen Mollusken sehen. Diese Forscher sprechen auch von einem „Zell- gewebe“, wodurch die Fasern zu Bündeln vereitigt sein sollen, ; welches aber bei Cyclostoma nicht vorkommt. Eine Sub- stanz ist wohl zwischen den Röhren vorhanden, es ist aber nicht möglich, irgend eine Struktur daran zu erkennen. Das Nervensystem von Cyclostoma elegans wurde schon von Moquin-Tandon abgebildet, aber die von ihm gelieferte Figur ist vollständig unbrauchbar, da er theils die wichtigsten Theile übersah, theils die andern zu ungenau abbildete. Cyclostoma elegans besitzt zwölf Nerven- knoten, deren nur acht dem eigentlichen centralen Nerven- system, während zwei andere dem sympathischen System und die beiden letzteren einem Sinnesorgane angehören. Der Schlundring selbst besteht aus sechs Ganglien. Die oberen Schlundganglien (Fig. 7a.) sind birnförmig und dicht hinter dem Schlunde auf der Speiseröhre so gelagert, dass der verjüngte Theil derselben nach vorn und aussen sieht. Bei einem ausgewachsenen Exemplar sind diese Ganglien 0,6 Mm. lang und etwa 0,4 breit. Es entspringt aus denselben eine sehr grosse Anzahl von Nerven, die theils Sinnesnerven — der Seh- und der Fühlnerv nämlich — sind, theils den Schlundkopf und die benachbarten Theile versorgen. Sie werden durch eine etwa 0,17 Mm. lange und 0,15 Mm. breite Commissur verbunden. Die Schenkel, welche den Oesophagus umfassen, sind auf beiden Seiten einfach, jedoch einander nicht gleich. Jederseits der Speiseröhre nämlich befindet sich dicht neben derselben ein kleiner Nervenknoten, welcher aber 6 Edonard Claparede: auf der rechten Seite (b’) weit tiefer gelegen ist als auf der linken (b), indem die Oommissur (h), welche das rechte kleine Nervenganglion mit dem entsprechenden oberen Schlund- knoten vereinigt, gegen 0,54 Mm. lang ist, während die Com- missur (g) zwischen dem linken und dem Schlundknoten der- selben Seite kaum eine Länge von 0,10 bis 0,12 Mm. erreicht. Unter der Speiseröhre ist nicht wie bei den ächten Pul- monata und so vielen anderen Schnecken ein Nervenring vorhanden: derselbe wird durch zwei grosse kolbenförmige, etwa 0,78 Mm. lange und 0,27 Mm. breite Ganglien ersetzt. Es sind dieselben die Ganglia pedalia (Fig. 7c.)!), welche aber nicht nur eine grosse Anzahl Nervenäste in den Fuss schicken, sondern auch die Gehörorgane versorgen. Da sie gerade auf der Mittellinie liegen, so versteht sich von selbst, dass die zwischen dem linken unteren Ganglion und dem entsprechenden Nervenknoten befindliche Commissur (i) viel länger sein muss als diejenige, welche das rechte untere Schlundganglion mit dem rechten seitlichen Nervenknoten ver- bindet. Damit würde also der Schlundring aus zwei oberen, zwei seitlichen und zwei unteren Ganglien bestehen. Von jedem seitlichen Schlundganglion geht ein Nerven- strang ab, welcher noch einmal zu einem Knoten anschwillt. Beide Stränge aber verhalten sich in ihrem Verlauf nicht gleich. Vom rechten seitlichen Schlundknoten entspringt ein Nervenstrang, der sich zuerst nach oben richtet und die Speiseröhre nebst der Zunge umgehend, quer über dieselbe von vorn und rechts nach links und hinten läuft, dann wieder in die Tiefe steigt und an der Stelle, wo er die muskulöse Bauchwand trifft, einen Knoten (Fig. 7e.) bildet. Der aus dem linken seitlichen Schlundganglion entspringende Nerven- strang läuft nicht wie der andere über, sondern unter dem 1) In der Figur wurden diese Ganglien, der leichteren Uebersicht wegen, etwas verschoben. Die Spitze der beiden Ganglien nämlich sieht in der That nicht nach hinten, sondern nach unten oder gar etwas nach vorn. Es hat also in der Figur eine kleine Umdrehung um eine quere horizontale Achse stattgefunden. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 7 Oesophagus hinweg, indem er schräg nach rechts und hinten strebt. Auf der Bauchwand der rechten Thierhälfte schwillt er zu einem Nervenknoten (f) an. Beide Nervenknoten können Bauchganglien genannt werden, da sie die Bauchwand mit Nervenästen versorgen. Die beiden Nervenstränge kreuzen also einander und zwar so, dass die Zungenscheide und die Speiseröhre zwischen beide zu liegen kommen, und das linke seitliche Schlundganglion steht mit dem rechten Bauchknoten und umgekehrt das rechte mit dem linken in unmittelbarer Verbindung. Somit wären die acht Ganglien des centralen Nerven- systems abgehandelt. Das Eingeweidenervensystem wird durch zwei kleine Nervenknoten vertreten, die jederseits der Mittellinie unter dem Schlunde und demselben dicht ansitzend gelegen sind. Sie wurden schon von Moquin-Tandon richtig gesehen. Beide Ganglien sind durch dünne Nervenstränge mit einander verbunden und senden Nervenäste an die hintere und untere Fläche des Schlundkopfes. Einige Male glaubte ich feine Verbindungsstränge zwischen diesen sympathischen Knoten und den oberen Schlundganglien wahrzunehmen, aber mit Gewissheit konnte es nicht konstatirt werden. Das Vor- handensein dieser Verbindungsstränge ist ührigens schon a priori wahrscheinlich. Endlich sind noch zwei kleine Ganglien anzuführen, die wohl einem Sinnesorgane angehören werden. Der Fühler- nerv schwillt nämlich an der Spitze des Fühlers ganglion- artig an, wie dieses schon von mehreren Limaecinen und Helicinen bekannt ist. Wir verweisen auf Moquin’s Ab- bildung, die in dieser Beziehung ganz vortrefflich ist. Die Gehörkapseln sitzen hinter den unteren Schlund- ganglien und stehen mit denselben durch einen kurzen Stiel in Verbindung. Es sind runde Kapseln, deren Membrana propria eine Dicke von 0,003 bis 0,005 Mm. erreicht und mit einem schönen Epithel bekleidet ist. Die Flimmereilien konnten nicht wahrgenommen werden, auch wurde kein Zit- tern des Otolithen beobachtet. Letzterer ist immer einzeln 8 Edouard Claparede: und erinnert sehr an den von Leydig abgebildeten Gehör- stein der Carinariae. Er stellt eine stark lichtbrechende, aus concentrischen Schichten gebildete, gegen 0,10 bis 0,12 Mm. grosse Kugel dar (Fig. 3a.). Er besteht aus kohlensaurem Kalk und sieht aus, als ob er in seiner Mitte eine mit Flüssig- keit erfüllte Höhle enthielte. Es konnte nicht ermittelt werden, ob der Stiel (Fig. 8d.) der Gehörkapseln bei Cyclostoma elegans wie bei Neri- tina fluviatilis und bei den von Schmidt untersuchten He- lix- und Physaarten hohlfist, Glücklicher war der Erfolg bei der verwandten Gattung Pomatias. Bei Pomatias macula- tum enthält jedes Hörbläschen (Fig. 9.) eine grosse Anzahl krystallinische Otolithen, welche einander an Grösse ganz gleich sind (0,02 Mm. lang, 0,01 Mm. breit). Durch leisen Druck wurden einmal die Steinchen in den Stiel hineingetrieben (Fig. 9c.) und zwar so, dass sie der Achse nach hinterein- ander regelmässig lagen, da ihr Querdurchmesser das Lumen des Kanales gerade erfüllte. — DBeiläufg wollen wir noch bemerken, dass bei Pomatias sowohl die Flimmercilien selbst wie das Zittern der Otolithen beobachtet wurden. Die ganze Gehörblase wird bei Cyclostoma von einer Schicht schöner farbloser, durchsichtiger Zellen umgeben (Fig. 8e.). Dieselben sind mit einem grossen Kern versehen und kommen auch anderswo vor, so z. B. zwischen den Win- dungen des Darmkanals (Fig. 11d.) am Magen, und nament- lich um den Eierstock und manchmal auch zwischen den Leberlappen. Diese Zellen scheinen dieselben zu sein, welche Leydig bei Paludina schon beobachtete und mit dem Namen „Bindesubstanz“ belegte und welche von Semper bei den Pul- monata ebenfalls gefunden wurden. Die Art des Vorkommens spricht wohl für die Beibehaltung der Leydig’schen Bezeich- nung, ohne dass damit eine Uebereinstimmung dieser Substanz mit dem Bindegewebe der höheren Thiere ausgedrückt werden sollte. — Diese Zellen erreichen eine Grösse von 0,03 bis 0,06 Mm. und ihre Kerne messen etwa 0,006 bis 0,009 Mm. in der Breite. Manchmal finden sich unter denselben einige, welche mit kleinen, lichtbrechenden, bei durchfallendem Licht schwärz- Beitrag zur Anatomie des Cyelostoma elegans. 9 lichen, bei auffallendem Licht aber weisslichen Körnchen erfüllt sind, auch findet man unter ihnen zerstreut, nament- lich in der Nähe der Geschlechtstheile, kleinere, 0,020 bis 0,026 breite Zellen, die einen gelben körnigen Inhalt ein- schliessen, Das Auge ist eine runde, durch Selera und Hornhaut ge- bildete Kapsel. An der Sclerotica liegt eine aus 0,006 bis 0,009 Mm. breiten Pigmentzellen bestehende Chorioidea an. Diese Zellen sind so dicht an einander gedrängt, dass sie nur mit Schwierigkeit von einander zu trennen sind und dass die Kerne nicht wohl darstellbar sind. Unter der Chorioidea verbreitet sich die Retina, eine sehr zarte, leicht zerstörbare Membran, die aus Zellen besteht. Letztere sind aber sehr vergänglich und konnten nie isolirt werden. Ihre Kerne je- doch sind immer sehr schön sichtbar: sie erreichen einen Durchmesser von 0,002 bis 0,005 Mm., werden aber wie die Membran selbst durch Essigsäure zerstört. Die Höhle des Auges wird endlich vom Glaskörper mit der Linse einge- nommen. Ersterer zeigte sich beim frischen Thiere voll- kommen strukturlos und durchsichtig. Er ist am vorderen Theile zur Aufnahme der Linse ausgehöhlt. Durch einen leisen Druck lässt sich die Linse aus dem Glaskörper her- vortreiben und die zurückgebliebene Höhle erscheint wie ein Loch im Glaskörper. — An der Linse wurde keine Struktur wahrgenommen. Sie ist vollkommen klar und durchsichtig. Bei Behandlung mit Essigsäure löst sie sich sehr rasch und ohne Rückstand auf. Der Glaskörper geht ebenfalls dabei zu Grunde. ‘Mund und Rüssel von Cyeclostoma sind hinlänglich bekannt, so dass wir uns nicht unnütz dabei aufzuhalten brauchen. — Die Radula wird durch vier Knorpelstücke getragen, wie wir es schon anderswo auseinandersetzten und Moquin-Tandon es richtig gesehen hat. Die hinteren Knorpelstücke (Fig. 5b. — Fig. 5A, stellt ein hinteres Knorpelstück isolirt dar) sind verhältnissmässig sehr klein und deren vorderer Theil ist in eine tiefe Rinne ausgehöhlt, die zur Aufnahme der grossen vorderen Knorpelstücke bestimmt ist. Letztere sind am 10 Edouard Claparede: äusseren Rande zum Ansatz mehrerer Muskeln beträchtlich verdickt. Nach vorn laufen sie in eine stumpfe Spitze aus. Der innere Rand derselben ist sinuös und mit einer am zweiten Drittheil der Länge gelegenen Spitze versehen. Es dient diese Spitze, wie überhaupt die Ränder der Knorpel- stücke zum Ansatz der Muskeln des Zungenapparates. Die Reibmembran (Fig. 2.) ist dadurch sehr interessant, dass sie eine unverkennbare Annäherung an den Typus von Bythinia und Paludina zeigt. Es ist ein langes, schmales, membranöses Band, welches sieben Längsreihen von Zähnen oder Haken trägt. Letztere sind eigentlich kleine Chitinplatten, deren vorderer Theil verdickt ist und sich nach oben und hinten umbiegt, indem er zackig und gezahnt wird. Die mittlere Chitinplattenreihe besteht aus dünnen Platten, die nach hinten breit sind und sich nach vorn verjüngen. Der verdickte vordere Rand ist dreifach gezahnt und zeigt nicht selten noch ausserdem auf jeder Seite ein kleineres Zähnchen. Jederseits der Mittelreihe befindet sich eine Reihe von etwas schmäleren, in ihrer ganzen Länge ziemlich gleich breiten Chitinplatten, die sich in einen ungeheuren Zahn verlängern und umbiegen. Dieser ist die stärkste Bewafinung der Zunge. An der inneren Seite desselben befindet sich ein kleiner Zahn und an der äusseren ein Paar andere etwa von derselben Grösse. Diese Nebenzähne gehören derselben Platte an, wie der Hauptzahn. Die zunächst nach aussen jederseits befind- liche Chitinplatte ist noch schmäler als die vorige. Ihre Be- waffnung besteht aus drei Zähnen, deren innerster an der Spitze durch eine mittlere Furche in zwei Haken getheilt wird. Die letzte Reihe endlich besteht auf jeder Seite aus grossen, dreiseitigen, an den Ecken abgerundeten Platten, deren nach vorn gerichteter Rand sich nach oben und hinten umbiegt und mit einer grossen Anzahl kleiner Häkchen be- setzt ist. Diese Häkchen werden um so kleiner, je weiter man nach aussen tritt und verschwinden endlich vollständig. Die Gattung Pomatias, die man früher mit Cyclostoma ver- einigte und welche noch heutzutage für ihre nächstverwandte gehalten wird, besitzt eine ganz andere Bewaffnung der Reib- Beitrag zur Anatomie des Cyelostoma elegans, 11 membran, so dass man, sowohl aus diesem Grunde, wie aus mehreren anderen, die Gattungen für keinesweges so nahe verwandt halten möchte. Bei Pomatias maculatum besteht die Bewaffnung der Reibmembran (Fig. 3A.) zwar auch aus sieben Chitinplattenreihen, aber diese Chitinplatten sind ein- ander beinahe vollständig gleich. Eigentlich sind nur fünf Haupt- und zwei Nebenreihen vorhanden. Die Mittelreihe wird durch Chitinplatten gebildet, deren vorderer Rand be- deutend verdickt ist und sich nach oben und hinten krümmt. Der Rand des so gebildeten Hakens ist scharf und nicht ge- zähnelt. Die vier anderen Hauptreihen bestehen aus ganz ähnlichen Chitinplatten, nur ist die Spitze etwas nach aussen gebogen. Die Platten der Nebenreihen endlich, d.h. der am weitesten nach aussen liegenden, sind ebenfalls ganz gleich gebildet, nur kleiner und wie verkümmert. Zwischen den Chitinplatten kommen Wülste zum Vorschein, die den Falten der Grundmembran ihren Ursprung verdanken. Merkwürdiger Weise fanden sich ein Paar Exemplare, wo die Mittelreihe ganz verkümmert und durch kleine, wahrscheinlich aus Chitin bestehende Körperchen ersetzt war (Fig. 3B.). Dieses Ver- kümmern wird dadurch interessanter, wie Prof. Job. Müller es mir bemerkte, dass bei mehreren Pteropoden die Mittelreihe der Reibplatte beinahe vollkommen zu verschwinden scheint.') Seitdem habe ich vom Pastor Ad. Schmidt erfahren, dass die Mittelreihe bei den Daudebardien regelmässig fehlt. Die hintere Zungenpapille ist bei Cyclostoma nicht beson- ders entwickelt, noch wie bei Neritina der Mittellinie nach gespalten. Bei Pomatias ist sie ungemein breit, und zwar zwei Mal breiter als die Zunge selbst; letztere ist ausserdem ebenso lang wie das Thier selbst. Sowohl die Reibmembran von Pomatias wie diejenige von Cyelostoma breiten sich in zwei membranöse Flügel 1) Eben erschien die erste Lieferung von Troschel’s Werk über das Gebiss der Schnecken, worin die Reibmembran von Cyclostoma abgebildet ist. Die Reibmembran einer andern Species von Pomatias als die unsrige, von P. patulus nämlich, wird auch abgebildet und stimmt mit derjenigen von P. maculatum überein. 12 Edouard Claparede: aus, was ebenfalls bei Neritina, Bythinia und vielen anderen Schnecken der Fall ist. Dr. Bergh hat schon früher ein ähnliches Epithel bei den Coriocellen beschrieben.t) Es sind dieselben strukturlos, doch mit einem Pflasterepithel überkleidet. Auf dem ganzen Gaumen von Cyclostoma wird das Cylinderepithel der Speiseröhre durch ein schönes Pflasterepithel ersetzt, welches meistens aus länglichen, 0,009 bis 0,015 Mm. langen und 0,003 bis 0,006 Mm. breiten sechs- ' eckigen Zellen (Fig. 6A.) besteht. Hie und da gehen diese Zellen in mehr rundliche, 0,009 bis 0,010 Mm. breite (Fig. 6B.) über. Bei Pomatias findet man am Gaumen an der Stelle dieses Epithels eine eigene braune hornartige Membran, die durch regelmässige Linien in viereckige Felder eingetheilt wird (Fig. 4A. und B.) Man könnte beinahe sagen, es sei eine obere Reibmembran, denn der Zweck dieser Einrichtung ist offenbar der, dass die Nahrungsmittel zwischen dieser Gaumenplatte und der eigentlichen Reibmembran zerrieben werden. Längs der Mittellinie wird die Gaumenmembran durch eine 0,007 bis 0,010 Mm. breite Furche in zwei sym- metrische Hälften getheilt. Rechts und links derselben be- findet sich eine dünne Leiste, die durch sehr zahlreiche Quer- linien in äusserst kleine viereckige Felder zerfällt. Von diesen Leisten gehen auf beiden Gaumenhälften schief nach vorn Plattenreihen ab. Dieselben bestehen aus kleinen, rhombischen, wahrscheinlich aus Chitin bestehenden Tafeln, deren längere Seite 0,0094 und die kürzere 0,0065 Mm. misst. Diese Platten- reihen sind nicht alle gleich lang, sondern nachdem einige nach vorn sehr bald wie plötzlich abgeschnitten aufhören, reichen die benachbarten weiter hinaus, um jedoch bald ebenfalls aufzuhören und von den weiter nach aussen liegen- den überragt zu werden. Von der Mittellinie ab gerechnet nehmen die Plattenreihen bis zur fünfzehnten oder zwanzigsten an Länge zu; weiter nach aussen werden sie wiederum kürzer. Uebrigens nehmen sie an beiden Enden zugleich ab, so dass ihr hinteres Ende die Mittellinie nicht mehr erreicht. Dabei 1) Bidrag til en Monographi af Marseniaderne. Kjöbenhavn 1853. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 13 werden die Platten dünner, blasser und endlich gehen sie sowohl nach links wie nach rechts und auch nach hinten in das Epithel der Mundschleimhaut über. In der eben erschienenen ersten Lieferung seines Werkes über das Gebiss der Schnecken hat Troschel eine ganz ähnliche Gaumenplatte wie bei Pomatias bei COraspedopoma lucidum kennen gelehrt. Er hat sie aber als Kiefer aufge- ‚fasst. Indessen glauben wir dieses Organ seiner Lage nach nicht mit dem Kiefer, sondern mit der Gaumenplatte anderer Gattungen vergleichen zu müssen. An und für sich ist schon das fragliche Gebilde sehr ungeeignet, die Funktion eines Kiefers zu verrichten. Dagegen mag es von grossem Nutzen bei der Zerreibung der Nahrungsmittel werden, indem letztere, so zu sagen, zwischen zwei Raspeln, die Gaumen- und Reibplatte, gerathen und dadurch sehr bequem zerkleinert werden können. Die halbverhornten pflasterartigen Epithel- zellen des Gaumens bei Cyclostoma sind eine Annäherung an eine solche Gaumenplatte, und noch mehr die Gaumenmem- bran der Helices, welche ausser dem Kiefer vorkommt. Ich finde in der That eine solche Membran bei mehreren Helix- arten und am schönsten habe ich noch dieselbe bei Heli x pomatia getroffen, wo sie eine dünne, strukturlose, horn- _ artige Membran vorstellt. Diese Membran ist gelblich gefärbt und mit einem regelmässigen Pflasterepithel bekleidet. — Ueber die Existenz einer solchen Gaumenmembran finde ich in der Literatur mit Ausnahme einer Zeile in-Moquin- Tandon’s Werk!) gar keine Angabe. Moquin bemerkt, dass bei den meisten Schneckenspecies der Gaumen mit einer dünnen, guillochirten, mit der Reibmembran der Helices ver- gleichbaren Membran ausgekleidet ist. Diess ist auch, wie man sieht, wirklich der Fall, bloss zeigt diese Gaumenplatte bei den meisten keinen so ausgezeichneten Bau wie bei Po- matias und Craspedopoma; das guillochirte Ansehen rührt sonst vom Epithel her. — Troschel giebt an, dass Pomatias patulus auch eine solche Platte besitzt und Schmidt in 1) A. 2.0. p. 41. 14 Edouard Claparede: \ Aschersleben soll vor uns selbst die Gaumenplatte von P. maculatum gekannt haben, ohne seine Entdeckung zu ver- öffentlichen. | Der eigentliche Tractus intestinalis besteht aus einer Speise- röhre, einem grossen Magen und einem Darm. Die Speise- röhre verläuft ziemlich in der Körperachse, erreicht kaum eine Länge von 9 bis 10 Mm. und mündet seitlich in den Magen. Letzterer bildet einen 15 bis 18 Mm. langen, breiten Schlauch, der nach hinten blind endigt und nach vorn in den Darm übergeht. Der Magenblindsack steckt ganz in der Leber und der Geschlechtsdrüse. Der Darm windet sich mehrfach zusammen, geht bei der Niere rechts von derselben vorbei und läuft dann ‘geradlinig dicht unter dem Boden der ‘ Lungenhöhle bis zum After, welcher sich auf der rechten Seite nach aussen von der Geschlechtsöffnung, also unter dem Mantelrande befindet. | Am Darmkanal sind immer drei Schichten zu unter- scheiden: Zunächst eine Cylinderepitbelschicht, die in dem Oesophagus und dem Darme mit Flimmercilien ausgerüstet ist, dann eine Muskelschicht und endlich ein Lager von Zellen, die der Leydig’schen Bindesubstanz angehören. Die Muskelschicht ist namentlich am Magen sehr entwickelt und lässt sich leicht isolirt darstellen. Sie besteht namentlich aus Ringfasern. Die Zellen der s. g. Bindesubstanz sind wie im übrigen Körper blasse, wie Fettzellen aussehende, manch- mal bis 0,078 Mm. grosse- Zellen. Der grosse Kern ist meistens ohne Zusatz von Essigsäure sichtbar. An den Ge- fässen, welche ein Netz auf dem Magen bilden und Aeste an den Darm abgeben, sind diese Zellen durch andere ähnliche ersetzt, die nicht mehr farblos, sondern mit einem bei durch- fallendem Lichte schwärzlichen Inhalt erfüllt sind. Wir haben schon ihrer Erwähnung gethan. Sie kommen auch an dem Lungengefässnetz und überhaupt an den Gefässen vor. Der ganze Darmkanal ist mit eigenthümlichen Drüsen ausgestattet, die zwischen den Epithelzellen stecken. Es sind dies spindelförmige Organe, die wir aus dem Darme selbst abgebildet haben (Fig. 11.). Es kommen aber ähnliche Ge- Beitrag zur Anatomie des Oyclostoma elegans. 15 bilde am Magen und an der Speiseröhre, sowie auch in der äusseren Haut vor. Im Darme erreichen sie wie die Epithel- zellen selbst eine Länge von 0,065 Mm. und sind verschieden breit, je nachdem sie mehr oder weniger vom Sekret erfüllt sind. Ob diese Drüsen eigene Räume zwischen den Epithe- lialzellen, oder ob sie selbst blosse Epithelzellen sind, die sich mit einem besonderen Sekret erfüllt haben und nach dem Darmkanale zu platzen, um dasselbe zu entleeren, konnte nicht ausgemacht werden. Letztere Annahme möchte noch die wahrscheinlichere sein, obgleich niemals ein Kern an diesen Gebilden wahrgenommen wurde. Ein leiser Druck genügt, um die grösste Menge des Sekretes nach aussen zu entleeren. Dasselbe besteht im Darme aus rundlichen Körper- chen, deren Durchmesser zwischen 0,001 und 0,005 Mm. schwankt. Man bekommt übrigens kaum einen Augenblick diese Körperchen frei zu sehen, da sie sich gleich darauf in Wasser auflösen. Das Drüsensekret am Magen und in der Speiseröhre besteht aus viel kleineren Körnchen. Im oberen Theil des Oesophagus sind die Drüsen meist etwas anders gestaltet, indem sie einer Flasche mit einem langen Halse ähneln. Wir hätten gerne diese Gebilde im Darme für Zellen gehalten, welche ähnlich wie die Zotten am Darmkanale der Wirbelthiere die Nahrungsmittel in sich aufnehmen, wenn nicht ihre Analogie mit den ähnlichen Gebilden aus dem Oesophagus dagegen gesprochen hätte. | Mit dem blossen Auge betrachtet stellen die Speicheldrüsen zwei lange, gewundene, milchweisse Schläuche vor. Jeder Schlauch (Fig. 16.) ist nach hinten dicker, verjüngt sich nach vorn zu und bildet ein Convolut an der Seite der Speiseröhre. Der dünne vordere Theil (Fig. 16b.) dringt unter dem Schlund- ring durch und mündet in den Schlund durch die Wand des- selben. Die mikroskopische Struktur der Speicheldrüsen weicht jedoch vom gewöhnlichen Bau dieser Organe bei den anderen Schnecken nicht ab. Der dickere Theil des Schlauches nämlich besteht aus lauter Follikeln, die durch eine breite Oefinung mit dem centralen Kanal (a) der Drüse zusammen- hängen, in welchem sie ihr Sekret entleeren. Dasselbe be- 16 Edouard Claparede: steht aus sehr kleinen Körnchen, und aus nur 0,005 bis 0,009 grossen Zellen, welche ebenfalls solche Körnchen enthalten. Es sind dieselben Zellen, welche die Wand der Follikel aus- kleiden. Die Grösse der Leber ist ohne Zweifel je nach der Jahres- zeit eine sehr verschiedene und ihr Entwickelungsgrad scheint im umgekehrten Verhältniss zu dem der Geschlechtsdrüse zu stehen. Zur Zeit meiner Beobachtungen, d. h. im September und im October, war der Hoden bei den Männchen sehr gross und erfüllte die letzten Schalenwindungen vollständig. Die Leber erschien dann als kleine bräunliche Inseln mitten in der gelben Substanz des Hodens (Fig. 17a.). Die Anzahl dieser Inseln war eine sehr verschiedene. Immer aber befand sich ein grösserer Leberlappen dicht am Magen und vor dem Hoden auf der linken Seite des Thieres. Bei dem Weibchen war die Leber viel mehr entwickelt, der Eierstock dagegen winzig klein: die Leber erfüllte die letzten Schalenwindungen vollkommen, d. h. nahm gerade denselben Raum ein, wie der Hoden beim Männchen. Auch verlängerte sie sich auf der linken Seite in einen besondern, dem Magen dicht an- liegenden Lappen. Der Eierstock kam auf der Convexität der Leber gar nicht zum Vorschein und war nur auf deren Concavität als ein dünner Strang zu sehen. Schon gegen das Ende des Octobers war der Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern bezüglich des Entwickelungsgrades der Leber keinesweges so gross. Der Hoden war sehr zurück- getreten und demgemäss hatte die Leber beträchtlich zuge- nommen, so dass das umgekehrte Verhältniss eingetreten war: der Hoden nämlich bildete gewissermassen gelbe Inseln in der dunkelbraunen Substanz der Leber. Sonst stehen die verschiedenen Leberinseln oder Leberlappen durch besondere Ausführungsgänge mit einem gemeinschaftlichen Lebergang in Verbindung, welcher neben dem Ausführungsgang der Ge- schlechtsdrüse auf der Concavität der beiden Drüsen läuft. In den Leberfollikeln sind nicht wie bei den anderen in dieser Beziehung untersuchten Schnecken zwei verschiedene, in eigenen Zellen abgesonderte Stoffe, sondern drei vorhanden. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 17 Schon bei einfacher Betrachtung der Follikel mit dem blossen Auge oder mit einer schwachen Lupe fallen dem Beobachter kleine röthlich-braune Pünktchen auf, die sich bei etwas stärkerer Vergrösserung als runde Klumpen von Gallenfarb- stoff zu erkennen geben (Fig. 12), deren Durchmesser zwischen 0,015 und 0,040 schwankt. Die grösseren sind zabl- reicher als die kleineren. Die meisten sind kugelrund (Fig. 13a), einige aber unregelmässig gebildet. Sehr oft werden diese Klumpen von einer helleren, gelben Schicht umgeben und sind dann ebenfalls bald vollkommen sphärisch (b), bald unregelmässig (c) gestaltet. Dass diess keine Tropfen sind, steht fest, denn die braunen Massen können durch Druck in eckige Stücke zerspalten werden (f). Da, wo eine gelbe Schicht vorhanden ist, zeigt ebenfalls dieselbe beim Zerbrechen scharfe Kanten. Hier und da, doch im Ganzen ziemlich selten, werden solche Klumpen in Zellen gefunden (e), woran ein grosser wandständiger Kern zu sehen ist. Die gelbe Schicht ist meist in diesen Fällen sehr blass gefärbt und erscheint dann durch eine dünne, mit Flüssigkeit erfüllte Membran gebildet. Dieses wäre also Meckel’s!) Sekretbläschen, nur bemerkt Meckel, dass das Sekretbläschen bei den von ihm untersuchten Molluskenlebern erst dann sich zu bilden scheint, wenn viel Gallenstoff in der Zelle niedergeschlagen ist und dass erst dann der Nieder- schlag vom Sekretbläschen aufgenommen wird, während wir dagegen kein einziges Mal eine Zelle trafen, die von der hellen gelben Substanz erfüllt gewesen wäre, ja nicht einmal eine solche, wo das Sekretbläschen nur den gelben und nicht den rothbraunen Stoff enthalten hätte. — Schon öfters wurde die Ansicht ausgesprochen, dass sehr verschiedene Stoffe unter dem Begriff Zellenfarbstoff vereinigt sind, eine Ansicht, _ die wir auch für sehr wahrscheinlich halten. Bei Lymnaeus. Planorbis, Paludina, Dreissenasah Meckelden braunen Leberfarbstoff sich durch Alkalien dunkler und durch Mineral- 1) Monographie einiger Drüsenapparate der niederen Thiere. — Müller’s Archiv 1846. => Müller’s Archiv. 1858. 2 a 18 Edouard Claparede: säuren grün färben, während bei Helir, Ostrea, Cyclas derselbe durch Mineralsäuren nicht grün, sondern nur heller ward. Das Verhalten des braunen Zellenfarbstoffes von Cy- clostoma gegen Reagentien ist aber ein ganz anderes. Durch Zusatz von Ammoniak löst sich derselbe auf, ohne dunkler gefärbt zu werden, und dabei schiessen Krystalle in der Flüs- sigkeit an, die zum Theil farblos, zum Theil gelb sind. Die gelben Krystalle sind meist unregelmässiger und undeutlicher krystallinisch, als die farblosen, obgleich sie derselben Form anzugehören scheinen. Durch Salzsäure behandelt wurden die Zellenfarbstoffkugeln nicht grün, sondern sie lösten sich auf; dabei aber blieb die Membran unverletzt, welche vom Ammoniak mit aufgelöst worden war. Es zeigte sich, dass jede Kugel eine eigene braune Membran besitzt, welche so- gar eine Dicke von etwa 0,0015 bis 0,0020 Mm. erreicht. Innerhalb dieser Membran wurde gewöhnlich noch eine andere kleinere gefunden, welche wahrscheinlich an der Grenze der » gelben Schicht und der dunkleren Mittelsubstanz sich befand (s. Fig. 135g). Mithin wären also hier zwei Sekretbläschen ineinandergeschachtelt. Die zweite Art Zellen der Leberfollikel stellt ganz farb- lose Zellen (Fig. 13a) dar, deren grösste einen Durchmesser von etwa 0,036 Mm. erreichen. Diese Zellen sind mit runden blassen, sehr verschieden grossen Körnern gefüllt. Gegen Reagentien verhalten sich diese Zellen ziemlich wie die Farb- stoffkugeln. Bei Ammoniakzusatz nämlich lösen sich die Mem- bran und gleich hernach mit einem Ruck, als ob sie platzten, die Körner selbst auf. Durch Salzsäure behandelt lösen sich ebenfalls Membran und Körner auf, nur lassen letztere eine dicke Membran zurück, so dass sie wahrscheinlich selbst als Tochterzellen in einer Mutterzelle zu betrachten sind. Je- doch konnte niemals ein Kern daran entdeckt werden, wäh- rend die Hüllmembranen selbst mit einem ovalen, 0,0078 Mm. langen Kerne versehen sind. Das dritte Gallenelement besteht aus runden, fettähnlichen, stark lichtbrechenden Körnern oder Tropfen (Fig. 13b), die man gern für@@allenfett halten möchte: sie sind aber in Al- Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 19 kohol nicht löslich, selbst in heissem Alkohol nicht. Niemals wurden dieselben in Zellen eingeschlossen gefunden. Jedoch halten wir für wahrscheinlich, dass sie gleich wie die anderen Gallenbestandtheile in Zellen abgesondert werden. Meckel bemerkt in Betreff der Fettzellen der Leber, dass sie sich schwieriger als die Farbstoffzelleer von der Tunica propria lostrennen, sie sollen zarter und zerreisslicher sein und des- halb selten frei gefunden werden. Dasselbe Verhältniss möchte also sehr wohl bei den die fraglichen Tropfen bildenden Zellen eintreten. Letztere verdienen aber ihres chemischen Verhaltens wegen den Namen Gallenfett nicht. Die Gallen- fetttröpfchen nämlich sollen sich langsam in kaustischem Kali auflösen und durch die Säuren unverändert bleiben. Dagegen bleiben die Alkalien ohne Wirkung auf die fettähnlichen Tropfen der Cyelostomaleber, während diese sich sehr leicht in Essigsäure auflösen. Wenn wir diese verschiedenen Ergebnisse der Beobachtung zusammenfassen, so können wir uns kaum des Gedankens erwehren, dass niemals bei Cyclostoma eine eigentliche Galle, d. h. eine aus diesen verschiedenen Elementen bestehende Flüssigkeit gebildet werde. Es müssten sonst zuerst die festen Gallenfarbstoffkugeln aufgelöst werden, was zwar durch den Magensaft geschehen könnte. Niemals fanden wir solche im Magen, sondern bloss eine schwach gelbliche Flüssigkeit enthalten. Dagegen trafen wir ein paar Mal ganz unveränderte Gallenfarbstoffkugeln im Rectum selbst. Diese mussten also durch Magen- und Darmsaft gar nicht angegriffen worden sein. Demnach dürfte man wahrscheinlich diesen Theil des Lebersekretes für einen rein exkrementitiellen Stoff halten. Was die zweiten beschriebenen Gallenelemente betrifft, so dürfte es nicht unwahrscheinlich sein, — wenn eine Hypothese darüber erlaubt ist, dass sie nur die Mutterzellen des Gallen- farbstoffes sind. Das chemische Verhalten beider Elemente gegen Alkalien und Säuren ist dasselbe, jedoch lösen sich die blassen Zellen in Alkohol leicht auf, die Farbstoffkugeln aber nicht. Gründe, die für unsere Hypothese sprechen, möchten noch darin gefunden werden, dass kleine Farbstofi- 9 20 Edouard Claparede: zellen gar nicht vorkommen (die kleinsten gefundenen erreichten noch immer eine Grösse von 0,013 bis 0,015 Mm.). Ausser- dem kommen nicht selten unter den blassen Zellen solche vor, welche in einem Theile der Zelle eine geringe Menge gelben Farbstoff enthalten. Derselbe befindet sich dann immer zwi- schen den Tochterzellen und nicht in denselben. Die Tunica propria der Leber ist selbst strukturlos und ein anderes Epithel als die Drüsenzellen selbst wurde nicht daran gefunden. Im Innern flimmern die Follikel und deren Ausführungsgänge nicht. Die ganze Leber wird von einer dünnen muskulösen Membran umgeben, welche nur die Fort- setzung der dem Mantel angehörigen Muskelschicht ist. Ueber das Circulationssystem haben wir nicht Vieles an- zuführen. Das aus einem Vorhof und einer Kammer be- stehende Herz liegt in seinem Pericardium eingeschlossen im Grunde der Lungenhöble, dicht an der Niere und auf der rechten Seite des Thieres. Die in die Vorkammer mündende Lungenvene verästelt sich auf der Wandung der Lungenhöhle und giebt hauptsächlieh Zweige ab, die ziemlich geradlinig quer von rechts nach links, also senkrecht auf die Richtung der Körperachse verlaufen, was der Lungenhöhle von Cy- clostoma einen überaus schönen Anblick verleiht. Das Ge- fässnetz wird immer von den eigenthümlichen, bei auffallen- dem Lichte weiss erscheinenden Zellen mit körnigem Inhalt, die wir schon einige Male erwähnten, umgeben. Sonst haben die Gefässe keine eigenen Wandungen und sind blosse durch die Gewebe selbst der Organe laufende Kanäle. Diess ist namentlich in der Lungenwand sehr schön zu sehen, wo die Gefässe nur von den einander kreuzenden Muskelfasern und den gelblich braunen Kalkkörnern begrenzt werden. Letztere sind namentlich an den Gefässen zahlreicher vorhanden als im übrigen Gewebe. — Die Struktur des Herzens kann beim frischen lebenden Thiere absolut nicht studirt werden. Bei der Untersuchung in kochendem Wasser getödteter Thiere stellt sich jedoch diese Struktur ganz wunderschön heraus. Die Kammerwandungen zeigen sich dann aus einem herrlichen Balkennetz, von sich in den. verschiedensten Richtungen Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. »] durchkreuzenden Muskelbündeln gebildet. Ueberall finden zwischen den vielen Balken Anastomosen statt, indem eine oder mehrere Fasern von dem einen in den andern über- treten. Die Primitivfasern selbst besitzen im Durchschnitt eine Dicke von 0,003 bis 0,006 Mm. Die Blutflüssigkeit ist nicht leicht ganz rein zu bekommen, der Kleinheit des Thieres wegen. Sie besteht aus einer kla- ren Flüssigkeit, worin nur sehr sparsam Blutkügelchen vor- handen sind. Durch längeres Stehen bildet sich ein ebenfalls spärliches Fadengerinnsel in der Flüssigkeit. Die Blutkügel- chen kommen bald einzeln, bald zu Klumpen zusammenge- backen vor. Sie sind mit kleinen, meist auf einer einzigen Seite stehenden Ausläufern versehen, wie Leydig dieses schon bei Palıdina angab. Ein deutliches Einziehen oder eine deutliche Formveränderung der Fortsätze, wie beiden Lieber- kühn’schen amoebenartigen Körpern wurde nicht mit Be- stimmtheit wahrgenommen. Jedenfalls finden solche Ver- änderungen nur höchst langsam statt. Durch Zusatz von Essigsäure verschwinden die Fortsätze meist. vollständig. Die Blutkörperchen blähen sich dann auf und stellen runde Bläs- chen mit einem körnigen Inhalt, ohne deutlichen Kern dar. Ihr Durchmesser beträgt 0,0078 bis 0,0090 Mm. Zugleich bildet sich in der Flüssigkeit bei Zusatz von Essigsäure ein feiner Niederschlag von unmessbaren Körnchen. Die Niere bildet eine dreieckige olivengrüne Drüse am ‘Grunde der Lungenhöhle und an der linken Seite des Rectum, dicht vor den vielen durch den Darm gebildeten Windungen. Das Herz liegt der inneren Fläche derselben auf. Die Nieren- zellen (Fig. 15) sind runde helle Bläschen, deren Durch- messer zwischen 0,010 und 0,037 Mm. schwankt. Hie und da findet man jedoch zwischen denselben viel kleinere (a), die - kaum breiter als 0,006 Mm. sind und keine Harnconcremente enthalten. Es wachsen wahrscheinlich dieselben zu den eigentlichen Nierenzellen heran. Die Harnconcremente sind keine regelmässig runde Körner, wie bei den meisten ächten Pulmonaten, sondern werden von unregelmässigen Haufen kleiner, gelber, eckiger Körperchen ‚gebildet. Meistens sind 22 Edouard Claparede: diese Haufen sehr klein im Verhältniss zur Grösse der Zelle. Nur sehr selten werden Zellen mit einem Kerne und Sekret- bläschen gefunden (Fig. 15a). Gewöhnlich aber stellen die Nierenzellen ganz einfache Bläschen dar. Ob vielleicht in . denselben das Sekretbläschen die Zelle vollständig erfüllte, konnte nicht ermittelt werden, da durch keine Reagentien ein Kern sich daran nachweisen liess. Vielleicht auch platzt die Nierenzelle in einem gewissen Stadium und bleibt dann das Sekretbläschen allein zurück. Die Nierenbläschen sind übrigens äusserst zart, diffluiren sehr leicht und werden durch die meisten Reagentien zerstört. Durch Alkohol werden sie aufgelöst. Bei Essigsäurezusatz schrumpfen sie erst zusammen und lösen sich ebenfalls langsam auf. _ Wenn: man eine Falte der Nierenmembran in der Seitenansicht zu sehen bekommt, so sieht man, wie die Zellen in mehreren Schichten überein- ander liegen, die grösseren an der Oberfläche, die kleineren darunter. Bei Anwendung von Druck lösen sich die ober- flächlichen Zellen nicht leicht ab, sondern ziehen sich in eine Art Stiel aus, der zwischen den kleineren Zellen der unteren Schicht stecken bleibt. Die Oeffnung der Niere nach aussen konnte zweifelsohne nur der Kleinheit des Gegenstandes wegen nicht gefunden werden. Wir kommen jetzt zu einer merkwürdigen Drüse, wofür sich bis jetzt, so viel wir wissen, gar kein Analogon weder bei den Mollusken noch überhaupt finden lässt. Es ist dies eine meist sehr entwickelte, zwischen den Darmwindungen steckende Drüse, die sich auch zwischen Niere, Herz und Darm bis zum Grunde der Lungenhöhle hineinschiebt. Beim Heraus- nehmen des Cyclostoma aus seiner Schale fällt gleich auf dem Rücken des Thieres eine hübsche, hinter der Niere gelegene, zickzackförmige,, weisse Zeichnung auf. Dieses ist die frag- liche Drüse, und die ziekzackförmige Figur kommt dadurch zu Stande, dess die Windungen des Darms bis zur Ober- fläche herausgedrängt sind, so dass die Drüse selbst nur in den Zwischenräumen Platz findet. Schon mit dem blossen Auge bemerkt man, dass dieses Organ seine Farbe einer grossen Anzahl runder, bei auffallendem Lichte blendend Beitrag zur Anatomie des Uyclostoma elegans. 23 weiss erscheinender Körner verdankt. Diese Körner sind meist kugelrund: ihr Durchmesser schwankt gewöhnlich zwischen 0,013 und 0,10 Mm. Bei auffallendem Licht, unter nicht zu starker Vergrösserung, gewährt diese Drüse einen überaus schönen Anblick: die schön weissen Körner glänzen wie eben so viele Sterne auf dunklem Grunde. Bei der Be- handlung mit Essigsäure merkt man zuerst durchaus keine Wirkung, so dass ich anfangs annahm, die Säure bleibe voll- kommen wirkungslos. In Salzsäure lösen sich die Concre- mente ohne, in Schwefel- oder Salpetersäure dagegen mit Aufbrausen auf. Werden sie sorgfältig geglüht, und wird dann der Rückstand durch Essigsäure behandelt, so löst sich sogleich derselbe mit Gasentwickelung auf. Daraus glaubte ich schliessen zu dürfen, dass ich mit einem kleesauren Salze und also wahrscheinlich mit kleesaurem Kalke zu thun hätte. Es zeigte sich aber bald, dass die kleesauren Salze sich nicht mit Kohlensäureentwickelung in Schwefel- und Salpetersäure auflösen. Es zeigte sich auch, dass bei längerem Verbleiben (3—12 Stunden) in Essigsäure die Körner sich wie in der Salzsäure ohne Aufbrausen und mit Zurücklassung eines zarten organischen Skelettes auflösen. Nun sind bekanntlich die Oxalate in Essigsäure nicht löslich, so dass hierbei an ein kleesaures Salz nicht zu denken ist. Es wurde ausserdem bald festgestellt, dass eine gewisse, bald grössere, bald kleinere Menge kohlensauren Kalkes in den Concrementen be- ständig enthalten ist. Es fanden sich nämlich zahlreiche In- dividuen vor, deren weisse Körner bei der Versetzung mit Salzsäure ein lebhaftes Aufbrausen zeigten. Bald jedoch hörte das Aufbrausen auf, und die Körner waren noch da und be- hielten dasselbe Aussehen wie zuvor. Sie können dann ab- gewaschen und wieder mit Salzsäure versetzt werden, ohne . dass Gasblasen sich wieder bilden, aber nach und nach lösen sie sich in der Säure auf, mit Ausnahme eines zarten zurück- bleibenden Gerüstes. Durch Schwefel- oder Salpetersäure aber werden sie augenblicklich unter lebhafter Blasenbildung zerstört. Auch ist zu bemerken, dass ein verhältnissmässig 24 Edouard Clapare&de: nur sehr geringer Rückstand beim Verbrennen der Conecre- mente als Asche zurückbleibt. Aus alle dem geht es hervor, dass die Concremente eine gewisse Menge kohlensauren Kalk und ausserdem eine organische, in Salzsäure lösliche, durch Schwefel- und Salpetersäure unter Gasentwickelung zersetz- bare Verbindung enthält. Unter dem Mikroskop erscheinen die Körner bei durch- fallendem Lichte, ihrer Undurchsichtigkeit wegen, intensiv schwarz. Bei Zusatz von Ammoniak oder kaustischem Kali werden sie allmälig von der Peripherie nach dem Mittelpunkte zu halbdurchsichtig, ohne Zweifel dadurch, dass die ebeu besprochene organische Verbindung eine Veränderung erleidet. Man vermag dann schon an den dunkelbraunen Kugeln (Fig. 10A) einen concentrischen Bau zu erkennen. Dieser Bau tritt erst bei der Behandlung mit Salzsäure ausgezeichnet hervor. Die incrustirende Substanz wird, wie gesagt, da- durch vollständig aufgelöst und das jetzt farblose, in höchstem Grade durchsichtige organische Gerüst zeigt sich aus einer grossen Anzahl zarter concentrischer Membranen zusammen- gesetzt (Fig. 10B). Mitunter ist der Mittelpunkt dieser mem- branösen Sphären ein einziger. Meistens aber sind der Mittel- punkte mehrere, gewöhnlich zwei oder drei, hin und wieder noch mehr. - Um jeden Mittelpunkt bildet sich ein besonderes System von mehr oder weniger zahlreichen, concentrischen Membranen und diese verschiedenen Systeme bilden dann den Mittelpunkt zu einem neuen System von dieselben gemein- schaftlich umhüllenden Membranen. Wie die Bildung dieser Kugeln vor sich geht, ist nicht ganz klar geworden. Meistens trifft man ihrer mehrere, oft eine grössere und einige viel kleinere in einer gemeinschaftlichen Membran eingeschlossen. Ueber die wahrscheinliche Funktion dieses merkwürdigen Organes lässt sich kaum etwas sagen. Wenn die Niere nicht schon vorbanden wäre, so würden wir in der Absonderung dieser Concremente einen Ersatz dafür suchen. Es wurde an die provisorische Drüse, die bei den Embryonen von ver- schiedenen Landgasteropoden vorkommt, gedacht, diese Drüse Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 25 aber, die Oskar Schmidt!) mit den Müller-Wolff’schen Kör- pern verglich und die von Gegenbaur?) „Vorniere“ genannt wurde, enthält wirkliche Nierenzellen, was bei dem fraglichen Organ nicht der Fall ist. Jedenfalls dürfte noch die Ansicht die meiste Wahrscheinlichkeit haben, dass wir es hier mit einem rein excrementitiellen Stoff zu thun haben und dass diese sonderbare Drüse mit der Niere zu parallelisiren sei. Es ist durchaus nicht zulässig, dieses Organ mit der Con- cremententasche zu vergleichen, die ich neuerdings bei den Neriten kennen lehrte. Da dieses Organ bei den Neriten nur bei den Weibchen auftritt, so ist eine Beziehung desselben zum Geschlechtsleben nicht zu verkennen. Es ist aber kein Grund vorhanden, um eine solche Beziehung bei Cyclostoma zu vermuthen, da das Organ beiden Geschlechtern zukommt. ‚Ausserdem deutet die Lage keinesweges auf einen Zusammen- hang mit dem Geschlechtsapparat hin. | - Bei Cyclostoma costulatum Ziegl. aus dem Banat fand sich dieselbe Drüse wieder. Die Concremente enthielten aber gar keinen kohlensauren Kalk. Auch erschienen sie unter dem Mikroskop nicht schwarz, wie diejenigen von Cy- clostoma elegans, sondern braun. Sonst zeigten sie den- selben concentrisch geschichteten Bau. Durch Schwefel- und Salpetersäure wurden sie ohne Gasentwickelung aufgelöst. Sowohl bei Pomatias maculatum, wie bei Ampullaria urceus Fer. und Ampullaria effusa Lam. (beide aus Guyana) wurde vergebens nach einer solchen Drüse gesucht. Eine Oeffnung dieser Drüse nach aussen konnte nicht ent- deckt werden. Ein Theil der Drüse schiebt sich, wie schon angegeben, zwischen Darm, Herz und Niere bis zum Grunde der Lungenhöhle. Es wurde jedoch niemals eine Oeffnung an dieser Stelle wahrgenommen, auch wurden niemals freie Körner in der Lungenhöhle gefunden. 1) Ueber die Eniwickelung von Limax agrestis. — Müller’s Archiv 1851. 2) Zur Entwickelungsgeschichte der Landgasteropoden. — Zeit- schrift für wiss. Zool. Bd. IH. 1851. 26 Edouard Claparede: Auffallender Weise hat Moquin-Tandon in seiner flüch- tigen Anatomie des Cyclostoma elegans die Concrementen- drüsen ganz übersehen oder vielmehr mit der Niere zusammen- geworfen. Er beschreibt nämlich die Niere (seine „Prae- cordialdrüse*) als eine ovale, olivengrüne Drüse!), aber einige Seiten weiter kommt er wieder auf dieselbe zu sprechen und sagt, deren Wandung sei mit weisslichen, undurchsichtigen Körnern besetzt?). Offenbar hat er also ein Mal die wirk- liche Niere und das zweite Mal die Uonerementendrüse als Praecordialdrüse aufgefasst. | Die Concrementendrüse wurde schon von Brard?) gesehen, indem er angiebt, dass bei Cyclostoma eine Menge kleiner, gelblicher Kalkkörner zwischen den Tegumenten unregelmässig zerstreut seien. Darunter hat er jedenfalls nicht die in der Haut zerstreuten Kalkkörner gemeint, denn dieselben sind viel zu klein, als dass Brard, welcher nicht mikroskopisch untersuchte, sie hätte sehen N Es ist endlich noch ein anderer Sekretions- oder a scheinlich ExcretionsapparatbeiCyclostoma vorhanden, muth- masslich von gleicher Bedeutung, wie der, welchen Delle Chiaje und Kleeberg am Fuss verschiedener Pulmonaten kennen lehrten. Bekanntlich besteht dieses Organ bei den Limacinen aus einem geraden Kanal, an dessen Seite zahl- reiche Drüsenbälge liegen und welcher unterhalb des Mundes nach aussen mündet. Bei Cyclostoma ist die Beschaffenheit desselben eine andere: dicht unter der Haut, zwischen dem Munde und dem Fusse, befindet sich ein ovaler breiter Sack, | ‚der mit einem weissen Sekret erfüllt ist, so dass dessen Farbe durch die Haut selbst durchschimmert. Von diesem Sacke gehen zwei lange Schläuche aus, die sich vielfach winden und einen dichten Knäuel um die unteren Schlundganglien und die Gehörbläschen bilden. Die Ganglien sind sogar von DA a. ON p-.6B: 2) Ibid. p. 69. 3) Histoire des coquilles terrestres et fluviatiles qui vivent aux en- virons de Paris. — Paris et Geneve 1815. p. 106. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 97 diesen Schläuchen so umwunden, dass es eine Unmöglichkeit ist, den Knäuel ohne Zerreissung auseinanderzuwickeln und desshalb hat es grosse Schwierigkeit, die Gehörorgane in ihrem Zusammenhange mit dem Nervensystem rein zu prä- | pariren. Es konnte natürlich die Länge der Schläuche nicht geschätzt werden, da ihr Verlauf so verwickelt ist und wir vermochten leider nicht einmal mit Gewissheit zu ermitteln, ob sie blind endigen, wie dies wahrscheinlich ist. Jeder Schlauch hat eine gleichmässige Breite von 0,10 Mm., da je- doch die Wandungen ziemlich dick sind, so ist das Lumen nur 0,068 Mm. breit. Diese Schläuche sind mit einem Epithel ausgekleidet, dessen Zellen die Absonderung des Drüsen- sekretes übernehmen. Wenn sie einmal mit letzterem erfüllt sind, so werden sie in’s Lumen des Schlauches abgestossen und bis in den unteren Sack fortgeführt. Dieser ist also voll Zellen, deren Beschaffenheit mit derjenigen der Epithel- zellen des Schlauches übereinstimmen. Es sind dieselben 0,007 bis 0,018 Mm. breit und gewöhnlich so mit dem Se- kret erfüllt, dass der Kern nicht wahrgenommen wird (Fig. 14a). Hier und da kommen jedoch weniger strotzend erfüllte Zellen vor (Fig. 14c), die einen ovalen Kern von 0,003 bis 0,006 Mm. Durchmesser zeigen. Das Sekret (Fig. 14b), welches aus blassen runden 0,002 bis 0,005 Mm. grossen Körnern besteht, befindet sich sowohl ganz frei im Sacke, wie in den Zellen selbst eingeschlossen. Es kommen auch im Inhalt des Sackes vereinzelte 0,006 bis 0,026 Mm. — also ziemlich wie die gewöhnlichen Drüsenzellen — breite Zellen vor (Fig. 14d), die einen ganz anderen Zellinhalt einschliessen. Derselbe besteht aus sehr kleinen, unmessbaren Körnchen, die beständig in lebhafter Molekularbewegung begriflen sind. Möglicher Weise werden diese Körnchen durch eine blosse Zersetzung oder sonstige Umwandlung des gewöhnlichen Zellinhaltes erzeugt. — Ohne Zweifel wird dieses Sekret beim Gehen vor dem Fusse entleert und dient dazu, die Bahn’ schlüpfrig zu machen, Die Geschlechtsorgane von Cyclostoma, namentlich die männlichen, wurden der Hauptsache nach von Moquin- 28 Edouard Claparede: ud ' Tandon richtig dargestellt, da er sich aber mit der mikro- skopischen Untersuchung nicht abgab, so ist ihm vieles In- teressante entgangen, was wir nachtragen wollen. Die männlichen Geschlechtsorgane bestehen aus einem Hoden, einem Ductus deferens, einer Drüse von unbekannter Bedeutung (Moquin’s Samenblase) und Copulationswerk- zeugen. Der Hoden (Fig. 17a) nahm zu der Zeit unserer Unter- suchungen die letzten Schalenwindungen ganz und gar ein, wie wir es schon bemerkten, so dass die Leber nur insel- artig in dessen Substanz auftrat. Bei einigen im November untersuchten Männchen war aber das Verhältniss gerade um- gekehrt: die Leber hatte die Oberhand gewonnen und der Hoden war zurückgetreten und zeigte sich nur als kleine gelbe, zwischen den Leberfollikeln zerstreute Flecke. Die Hodenfollikel bestehen aus einer strukturlosen Mem- bran, die nach innen mit einem aus 0,009 bis 0,026 Mm. breiten kernhaltigen Zellen (Fig. 19a) bestehenden Epithel ausgekleidet ist. Diese Zellen lassen sich leicht abschaben und es zeigt sich dann, dass der Hoden ihnen seine safran- gelbe Färbung verdankt, indem kleine gelbe Körnchen in ihnen zerstreut sind. Manche Zellen enthalten kaum einige solche Körnchen, während andere damit strotzend erfüllt sind und erstere sind von den Mutiterzellen der Bildungszellen der Zoospermien gar nicht zu unterscheiden. In der Höhlung des Follikels wird ein sehr mannigfaltiger Inhalt angetroffen. Zuerst zeigen sich durchsichtige, mit einem grossen Kern versehene Zellen (Fig. 19b). Oft wird der Kern im Augen- blick der Einschnürung und Theilung getroffen (b‘) und die Zellen mit drei oder vier Kernen (b‘) 'sind ziemlich häufig. Letztere erreichen nicht selten einen Durchmesser von selbst 0,013 Mm. Jeder Kern enthält ein Kernkörperchen. Am zahlreichsten aber sind Gebilde vorhanden (d), die mit den grossen Kernen der eben besprochenen Zellen völlig über- einstimmen, einen Durchmesser von 0,005 bis 0,007 Mm. be- sitzen und in die Bildungszellen der Zoospermien übergehen. Deshalb halten wir sie wirklich für solche Bildungszellen und Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 99 _ die anderen für deren Mutterzellen. Sie sind vollkommen farblos und nicht scharf contourirt. Es kommen aber andere vor, welche gleich gross und gleich gestaltet sind, deren Con- tour jedoch scharf und deren Inhalt körnig ist (ce). Diese sind ‚offenbar frei gewordene Kerne der das gelbe Pigment ent- haltenden Epithelzellen, deren Kern ebenfalls körnig und mit einem scharf markirten Rande versehen ist. Aus dem Kernkörperchen der Kerne in den Mutterzellen wird der Kern der Bildungszellen. Derselbe verwandelt sich in jeder Bildungszelle in ein Zoospermion, indem er sich nach einer Richtung hin verlängert und allmälie zu einem wandständigen gewundenen Faden heranwächst (Fig. 19e, f,g). Während der Bildung des Zoospermions nimmt noch die Zelle an Di- mensionen zu, so dass ihr Durchmesser während dieses Sta- diums zwischen 0,009 und 0,015 Mm. schwankt. Dieses Schema stimmt, wie man sieht, mit demjenigen der Ent- stehung der Zoospermien bei Neritina vollkommen überein. Deshalb kommen auch die Zoospermien von Cycelostoma nie- mals zu schopfartigen Bündeln vereinigt vor. Die Kölliker- sche Ansicht der Bildung der Zoospermien durch Verlängerung des Kernes trifft auch hier genau zu. Der Hodenausführungsgang (Fig. 17b) stellt einen milch- weissen, gewundenen, dicken Schlauch dar, dessen Windungen an der Bauchfläche des Thieres und also gegen die Columella hin, dicht an einander gedrängt liegen. Es wurde derselbe immer voll Zoospermien gefunden. An und für sich sind die Wandungen des Ganges farblos und die milchweisse Färbung wird ganz einfach durch die durchschimmernde dickliche Samenflüssigkeit erzeugt. Das Epithel des Ganges besteht aus 0,009 bis 0,015 Mm. breiten Zellen, deren jede mit einem grossen, 0,004 bis 0,007 Mm. breiten Kern versehen ist. Der Gang senkt sich nach unten in ein eiförmiges, auf der rechten Seite des Thieres, dicht unter dem Darme liegendes Organ - (Fig. 17e), welches Moquin-Tandon richtig gesehen und für eine Samentasche erklärt hat. Gegen diese Deutung streitet der Umstand, dass wir niemals Zoospermien in der Höhle des Organes trafen. Es stellt dasselbe eine geräumige 30 Edouard Clapare&de: Tasche dar, deren dicke, drüsige Wandungen aus zahlreichen Blättern bestehen. Diese Blätter liegen, der Quere nach, senkrecht auf der Achse der ovalen Tasche. Das Sekret, welches von diesen Blättern geliefert wird, ist in runden, 0,005 bis 0,02 Mm. breiten Zellen (Fig. 20) enthalten und be- steht aus kleinen farblosen, das Licht ziemlich stark brechen- den Körnchen, deren grösste einen Durchmesser von 0,0026 Mm. kaum erreichen. Gewöhnlich ist an den Zellen kein Kern zu sehen, weil sie vom Sekret überfüllt sind; hier und da nur schimmert ein heller, bei den grösseren Zellen 0,005 Mm. breiter Kern durch. Am besten lässt sich dieses Organ mit demjenigen vergleichen, welches wir bei Neritina als Nebendrüse des männlichen Geschlechtsapparates kennen lernten. Ueber dessen Bedeutung lässt sich sonst keine andere Vermuthung aufstellen, als dass das Sekret bei der Copulation dem Samen beigemischt wird. Vom unteren Theile des Organes geht der Ausführungsgang weiter, bildet eine Schleife (Fig. 17d) und erreicht die Basis der Ruthe (e). Die drüsige Tasche ist also in die Mitte des Leitungsapparates der Geschlechtsprodukte eingeschaltet. Die Rutbe selbst von Cycelostoma elegans wurde schon vielfach abgebildet und namentlich ist die von Moquin- Tandon gegebene Figur ganz gut. Nur wollen wir bemer- ken, dass die Ruthe, nicht wie diess gewöhnlich dargestellt wird, ein breiter Schlauch ist. Obgleich selbst gewaltig gross, so enthält sie doch einen nur sehr schmalen, etwas gewun- denen Kanal (Fig. 18) zur Leitung der Samenflüssigkeit. Die Masse der Ruthe wird durch eine starke Muskelschicht gebildet, welche sowohl aus Längs-, wie namentlich aus Querfasern besteht. Die Muskelfasern des Penis sind ver- hältnissmässig viel dünner,als diejenigen des Fusses. Der weibliche Geschlechtsapparat zerfällt in einen Eier- stock, einen Eileiter und angehörige Drüsen. Der Eierstock (Fig. 21a) war offenbar zur Zeit unserer Beobachtungen ausser Thätigkeit, da reife Bier niemals an- geıroffen wurden. Er stellte einen gekrümmten, gelblich ge- färbten Schlauch dar, welcher in der Ooncavität der Leber Beitrag zur Anatomie des Oyclostoma elegans. 31 neben dem Lebergang verborgen lag. Bei stärkerer Ver- grösserung zeigte sich jedoch, dass dieses kein einfacher Schlauch, sondern eine in zahlreiche Follikel zerfallene Drüse war (Fig. 22). Eine leichte, sehr durchsichtige Membran ging über die Follikel hinweg und umhüllte den ganzen Eier- stock. Jeder Follikel war mit einem zierlichen, aus sechs- eckigen 0,006 bis 0,02 Mm. breiten Zellen bestehenden Pflaster- epithel (Fig. 23) ausgekleidet. Jede Zelle besass einen breiten ovalen Kern mit Kernkörperchen. Die Eichen waren nur höchst spärlich vorhanden und stellten helle etwa 0,02 Mm. breite Bläschen (Fig. 24.) dar, die mit einem runden stark lichtbrechenden Fleck verschen waren. Wir halten dieselben für die blossen Keimbläschen. Von A Re Ben ‚war zu dieser Zeit gar keine Rede. Der vielfach gewundene Eileiter (Fig. 21b) enthielt in allen Fällen einige, doch nicht sehr viele Zoospermien und ging nach unten in ein Organ über, welches von Moquin- Tandon als Gebärmutter aufgefasst wurde, in welchem wir aber dreierlei unterscheiden müssen. — Es stellt das Ganze einen wurmförmigen Körper dar, der nach hinten breiter und nach vorn schmäler wird. Dieser Körper liest längs der Lungenhöhle auf der rechten Seite des Tbieres und der Darm verläuft auf dessen oberer Fläche. Der obere oder hintere kolbenförmig angeschwollene Theil dieses Körpers (Fig. 21d) ist aussen glatt, während der übrige Theil auf der äusseren Fläche ringförmige quere Falten besitzt (Fig. 218). Oben an der linken Seite des platten Theiles ist end- lich eine eiförmige kleine Anschwellung (ce) vorhanden, die mit dem Eileiter zusammenhängt. Letztere ist wohl als eine einfache Erweiterung des Eileiters zu betrachten und spielt wahrscheinlich die Rolle einer Samentasche, da wir Zoosper- mien, obgleich nicht in grösserer Anzahl als im Eileiter selbst, in derselben trafen. Diese Samentasche führt in den aus dem glatten und dem faltigen Theile bestehenden Uterus. Von innen betrachtet zeigt der untere, faltige Theil eine blätterige Struktur, die namentlich sehr schön hervortritt, wenn man die Tbiere ein Paar Minuten lang in Wasser 32 Edouard Claparede: kocht. Die weichen ÜUteruswandungen erhärten dabei und zeigen ausgezeichnet ihre blätterige Beschaffenheit, wie die- jenige eines Buches. Auf dieselbe Weise kann man sich von der blätterigen Struktur der drüsigen Tasche des Männchens überzeugen. Der obere glatte Theil des Uterus zeigt inwen- dig keine Blätter, ist aber mit einer dicklichen Flüssigkeit erfüllt. Unter dem Mikroskop betrachtet besteht diese Flüssig- keit beinahe nur aus blassen, ovalen, Nachen Körperchen (Fis. 25), deren Gestalt.an diejenige der Blutkörperchen des Frosches erinnert. Es sind jedenfalls dieselben so zahlreich, dass das dieselben enthaltende Menstruum kaum bemerkbar ist. Die farblosen Körperchen sind ganz durchsichtig, ver- ändern etwas ihre Gestalt, wenn sie an einander gleiten, und abgesehen von ihrer Form erinnern sie an Sarkodetropfen. Diese Körperchen besitzen eine durchschnittliche Länge von 0,009 bis 0,010 Mm. Obssie in Zellen gebildet werden, kön- nen wir nicht angeben; es wurden aber kein einziges Mal solche Körperchen enthaltende Zellen gesehen. Ob die Kör- perchen selbst eine Membran besitzen, steht ebenfalls dahin, denn es gelang durch kein Mittel, eine solche darzustellen. Bei Behandlung mit Essigsäure bildet sich ein fadenförmiges Gerinnsel im Menstruum, und die Körperchen bleiben in den Maschen gefangen; einige werden dabei körnig. Allmälig aber werden in der Säure sowohl das Gerinnsel, wie die Körperchen selbst im höchsten Grade durchsichtig ok) jedoch aufzulösen. Die Alkalien lösen die Körperchen voll- ohne sich ständig auf, ohne dass eine Membran dabei zum Vorschein kommt. Die Blätter des unteren Theiles oder des eigentlichen Uterus bestehen aus Zellen (Fig. 26), die ein grobkörniges Sekret absondern. Diese Zellen sind im Durchschnitt 0,009 Mm. breit und das Sekret besteht aus runden, durchsichtigen, 0,002 bis 0,006 Mm. grossen Körnern oder Tropfen. Gegen Säuren und Alkalien verhalten sie sich gerade wie die ovalen Körperchen des vorigen Organes. Nicht nur die einge- schlossenen Tropfen, sondern auch die Zellen lösen sich in einem Nu in Alkalien auf. Die Höble des Organes flimmert. Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. 23 Ueber die Funktion dieser Organe können wir nichts an- führen. Eine Beobachtung der Eier, bevor sie durch den 8. g. Uterus durchgehen, und nachdem sie gelegt worden sind, würde uns vielleicht hierüber belehren. Zum Schluss wollen wir erwähnen, dass wir mehrere Male sowohl im Uterus wie in der Lungenhöhle und nament- lich im Darme von Cyclostoma einen merkwürdigen Schma- rotzer massenhaft fanden. Es ist ein Infusorium, dessen äussere Gestalt an die Trichodinen sehr erinnert. Das Thier besitzt denselben Haftapparat hinten wie die ächten Tricho- dinen, auch verweist es die Mundspirale unter die Vorti- cellinen. Andererseits aber ist das Thierchen auf der ganzen Oberfläche bewimpert, was sonst bei keiner Vorticelline be- kannt ist. Diese Wimpern sind sehr lang und vollführen sonderbare, wellenförmige Bewegungen, die an den Schlag der Wimpern bei den Opalinen erinnern. Der Mund und der Kern bieten ausserdem mehreres Merkwürdige, was wir aber für den Augenblick aufsparen, wo wir das Thier genauer beschreiben werden. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1A. und B. Pflasterepithel aus der innern Fläche des Dek- kels von Cyelostoma elegans. Fig. 2. Zwei Glieder aus der Radula von Cyclostoma. Fig. 3. Radula von Pomatias maculatum: A. Zwei normale Glieder; B. Zwei Glieder auseiner Radula, deren Mittelreihe atrophirt war. Fig. 4A.: Gaumenplatte von Pomaiias maculatum. B. Ein Stück einer Plattenreihe aus derselben, stärker vergrössert. Fig. 5. Zungenknorpel von Cycelostoma: a. vorderes, b. hinteres ‘ Knorpelstück. — A. Das hintere Knorpelstück allein für sich. Fig. 6A. und B. Pflasterepithel aus dem Gaumen von Cyclostoma. Fig. 7. Centrales Nervensystem von Cyelostoma: a. obere Schlund- ganglien; b. linkes, b'. rechtes seitliches Schlundganglion; c. untere Schlundganglien, Ganglia pedalia; e. linkes, f. rechtes Bauchganglion; g. linke, h. rechte obere seitliche Commissur; i. linke, k. rechte untere seitliche Commissur; 1. Gehörbläschen; $. giebt den Verlauf der Speise- röhre an. Müller’'s Archiv. 1858, [23] 34 Ed. Claparede: Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. Fig. 8. Gehörbläschen von Cyelostoma: a. Otolith; b. Epithel der Kapsel; ce. Membrana propria der Kapsel; d. Stiel; e. Zellen der Leydig’schen Bindesubstanz. Fig. 9. Gehörbläschen von Pomatias maculatum: a. Epithel; b. Kapsel; e. der hohle Stiel mit Otolithen darin. Fig. 10. Concremente aus der kreideweissen Drüse: A. ein durch Ammoniak behandeltes Conerement; B. drei durch Salzsäure ausgezogene Coneremente. Fig. 11. Längsschnitt des Darmes; a. Epithelzellen; b. Drüsen; c. eben entleertes Sekret; d. Zellen der Leydig’schen Bindesubstanz. Fig. 12. Ein Leberfollikel bei schwacher Vergrösserung. Fig. 13. Inhalt der Leberfollikel: a., b., c., d. Gallenfarbstoff- kugeln; e. eine solche in ihrer Bildungszelle eingeschlossen; f. eine durch Druck zerbrochene Gallenfarbstoffkugel; g. eine solche durch Salzsäure behandelt. — A. Zweite Art von Drüsenzellen der Leber; a. Zellkern. — B. Das dritte fettähnliche Element des Lebersekretes. Fig. 14. Inhalt der Brustdrüse: a. die gewöhnlichen Drüsen- zellen; b. frei gewordene Sekretkörner; c. mit dem Sekret wenig er- füllte Zelle, * Zellkern; d. eine mit feinem, Molekularbewegung zei- gendem Inhalt erfüllte Zelle. Fig. 15. Nierenzelle von Cyclostoma: a.junge Zellen, die noch keine Hornkonkremente enthalten; A. Nierenzelle mit Kern und Sekretbläschen. Fig. 16. Eine Speicheldrüse: a. innerer Kanal in der Drüse; b. Ausführungsgang; c. mit dem Sekret erfüllte Drüsenzellen. Fig. 17. Möännlicher Geschlechtsapparat: a. Hoden mit den Leber- inseln; b. Ductus deferens; c. drüsige blätterige Tasche; d, die Schleife des Ausführungsganges; e. Ruthe. Fig. 18. Ruthe mit dem Canal für die Samenflüssigkeit. Fig. 19. Inhalt der Hodenfollikel: a. Epithelzellen mit gelben Farbstoff; b, b‘, b‘’ Mutterzellen der Bildungszelle der Zoospermien; e. isolirte Kerne der Epithelzellen; d. Bildungszellen der Zoospermien e., f., g. Entwickelung eines Zoospermions. Fig. 20. Drüsenzellen aus den Wandungen der blättrigen Tasche; des Männchens. Fig. 21. Weiblicher Geschlechtsapparat: a. Eierstock; b. Eileiter; c. Samentasche; d. das Organ, welches die den Froschblutkörperchen ähnelnden Körper enthält; e. sog. Uterus mit dem blätterigen Bau; f. Mündung des Apparates nach aussen; g. Rectum; h. After. Fig. 22. Eierstock, etwas stärker vergrössert. Fig. 23. Epithelzellen aus den Eierstockfollikeln. Fig. 24. Ein Eichen (Keimbläschen) aus dem Eierstock. Fig. 25. Inhalt des Organes, welches die den Froschblutkörperchen ähnelnden Gebilde enthält. Fig. 26. Drüsenzellen aus den Blättern des Uterus. A. Schneider: Ueber die Entwickelung der Phyllirhoe bucephalum. 35 Ueber die Entwickelung der PAyllirhoe bucephalum von A. SCHNEIDER. (Hiezu Taf. III.) Die Entwickelung der Phylürhoe bucephalım war bis jetzt unbekannt. Da sich ein während meines Aufenthalts in Mes- sina im Mai d. J. gefangenes Exemplar zum Eierlegen herbei- liess, so war es möglich, diese Lücke wenigstens theilweise auszufüllen. Im Verlauf von 24 Stunden legte jenes Indivi- duum einige 20 durchsichtige Eischnüre, deren jede eine Reihe von 10—15 Eiern enthielt. Die Eier hatten eine Länge von 1,5 Mm. Die gelegten waren schon sämmtlich gefurcht in 8 und mehr Furchungs- kugeln. Das reife Ei, wie es sich bei der Zergliederung im Uterus findet, ist Fig. 1. abgebildet. Am zweiten Tage stellt der Embryo eine homogene Masse dar, von sehr mannich- faltigen Formen. Einige (Fig. 4.) zeigten jene Gestalt, wie sie von Vogt bei Actäon genau untersucht und abgebildet ist. Sie resultirt nach Vogt’s Anschauungsweise aus einem verschiedenen Verhalten centraler und peripherischer Fur- chungskugeln. Hier war jedoch weder in früheren Stadien, "noch bei allen Eiern aus dem gleichen, noch auch bei einem aus dem folgenden ein Gegensatz zwischen centraler und peri- pherischer Masse zu bemerken. Doch war es mir bei der Kargheit des Materials nicht möglich, darüber vollständig in’s Klare zu kommen. Am döten Tage bildete sich ein Wimper- kranz an dem einen Ende des cylindrischen Körpers aus. | 3% 36 A. Schneider: Alles übrige war unbewimpert und am hintern Ende schier sich, nach der scharfen Kontur zu urtheilen, schon die Schaale zu bilden. Am 4ten Tage war der Mantel gebildet und die 2flüglige Gestalt des Segels deutlich. Die Schaale war zer- brechlich und wurde durch Essigsäure heller. Die Gestalt der Schaale bei seitlicher Ansicht Fig. 6b. Am öten Tage hatte sich der deckeltragende Fortsatz mit dem Deckel und die beiden Otolithen gebildet. Der deckeltragende Fortsatz trug vorn feine Wimpern und dazwischen einige längere steife Borsten. Die Anlage des Magens und Darmkanals war er- kenntlich. Am 6ten und 7Tten Tage durchbrachen einige Larven die Eihülle und schwammen frei. Die meisten starben jedoch noch vorher, auch die freischwimmenden erlebten nur noch den folgenden Tag. An den am weitesten entwickelten Exem- plaren liess sich noch folgendes ermitteln (Fig. 9... Der Mund (f) bildete eine längliche Spalte, der Oesophagus ein gerades Rohr mit dicken Wänden, der Magen einen länglichen Sack. Reehts sehlofs sich der Darmkanal an, welcher nach einer kleinen Windung nach unten gerade aufstieg, um rechts zu münden. Links neben der Einmündung des Oesophagus lag die Leber. Der ganze Tractus wie auch die Leber war mit zarten Wimpern besetzt. Am After lagen 2 kleine scharf umsehriebene Körper von unbekannter Bedeutung. Ein Rück- ziehmuskel ist vorhanden wie bei andern Larven. Spindel- förmige und verästelte Zellen durchsetzten das Segel und gingen von den Eingeweiden zum Mantel. Die Schaale brauste bei Essigsäure-Zusatz auf. Die pelagische Fischerei, die um diese Zeit überhaupt unergiebig war, lieferte keine Larven. Das weitere Schicksal der Phyllirhoe bleibt also noch zu erforschen. Von Hrn. Dr. Krohn, dem ich nicht nur bei dieser Beobachtung, sondern während meines ganzen Aufenthalts in Messina, für die viel- fache freundliche Belehrung zum herzlichsten Danke verpflichtet wurde, habe ich die Bemerkung erhalten und theile sie mit seiner Bewilligung mit, dass ein bei Funchal gefangenes Ueber die Entwickelung der Phyllirhoe bucephalum. 37 Exemplar von 2“' Länge in allen Stücken dem ausgewachsenen Thiere glich. In der Monographie von H. Müller und Gegenbaur ‚über dieses Thier (Sieb. u. Kölliker. Zeitschrift, Bd. V.) vermisse ich die Angabe, dass die Oberfläche wimpert, Die Wimpern sind in Häufchen auf der Oberfläche vertheilt. Erklärung der Abbildung. Fig. 1: Reifes Ei. Fig. 2: Gefurchtes Ei, Ister Tag. Fig. 3. u. 4: Embryo vom 2ten Tage. Fig. 5: Embryo vom 3ten Tage. Fig. 6: a. Embryo vom 4ten Tag. b. seitliche Ansicht der Schaale. Fig. 7 u. 8: Embryo vom öten Tage. Fig. 9: Freischwimmende Larve. a. Rückziehmuskel. b. Magen. c. Leber. d. Darm. e. After u. fragliche Körperchen. f. Mund. Fig. 10: Schaale, 385 A. Schneider: Ueber 2 neue Thalassieollen von Messina von A. SCHNEIDER. (Hiezu Taf. III. B.) I. Physematium Mülleri. (Fig. 1—4.) Diese Species kam während des Mai und Juni häufig zur Beobachtung. Sie ist kugelrund von 5 Mm. Durchmesser und kleiner. In der Mitte liegt stets eine runde Zelle von 0,5 Mm. Durchmesser. Die Wand derselben hat einen leichten grünlichen Schein und ist von zahlreichen Kanälchen durch- bohrt. Im Innern sind eine oder mehrere blasse Kugeln zu unterscheiden. Nach aussen liegt eine Schicht der schleimigen Substanz, welche nach allen Seiten in stärkere Strahlen aus- läuft, die sich wiederum in Fäden zerästeln. Nur in seltenen Fällen waren die Strahlen von solcher Solidität und Stärke, wie sie Fig. 2 abgebildet sind.. Man konnte dann die Strahlen schon mit blossem Auge am unverletzten Thiere erkennen. Zwischen den Strahlen und Fäden und mit denselben vielfach kommunizirend liegen die hellen Kugeln, welche Huxley — wohl nicht mit Recht — den Vacuolen der Infusorien vergleicht und für die wir den passenderen Namen J. Müllers Alveolen beibehalten wollen. Die äussere Begrenzung bildet eine zarte Haut, die jedoch so fest ist, dass sie bei Verletzung die innere Masse ausfliessen lässt und als zusammenhängende Membran zurückbleibt. An Ueber 2 neue Thalassicollen von Messina. 39 der äussern Schicht liegen die Nester. Sie unterscheiden sich von den Nestern des Sphärozoum und der Collosphära da- durch, dass sie keine besondere Membran haben. Jedes Nest besteht aus 4—5 keilförmigen Stücken, die mit der breiten Basis an die äussere Haut stossen und nach innen in feine Fäden auslaufen. Zu jedem Nest gehört eine fettartige braune oder orangerothe Kugel, von einer Gallertkugel umschlossen (Fig. 1 und Fig. 4a). Ueber der Membran stehen dig Pseu- dopodien. Dieselben sind vorzüglich nach der Basis zu mit Knötchen und Kügelchen besetzt und umschliessen in ihrem Haarwerk viele Körnchen fremder Substanzen. An der Spitze habe ich die Strahlen vielfach zusammenfliessen sehen. Ein Zurückziehen der Strahlen war trotz vieler Beobachtung nicht wahrzunehmen. Die Bewegungen der Knötchen der Strahlen und der Körnchen längs der Strahlen waren zu beobachten, wie sie Müller (Monatisberichte der Berliner Academie 13. Nov. 1856) und Huxley beschrieben haben. Die Spicula sind längliche Nadeln , S- oder C-förmig leicht gebogen (Fig. 3). Beim Zerquetschen fanden sich manchmal kurze Stäbchen in einer Kugel der Gallertmasse gehüllt (Fig. 4b). Ob es junge Spicula oder Krystalle waren, liess sich nicht entscheiden. GelbeZellen finden sich spärlich zwischen den Nestern zerstreut. Einmal wurde mir eine Anzahl sehr kleiner Exemplare gebracht, die ich glaube als Jugendzustände hierherziehen zu dürfen. Dieselben besassen keine centrale Zelle. Die Form der Nester war gleich. Die kleinsten hatten nur 4 oder 5 Alveolen, während die erwachsenen deren hundert haben. Obgleich die äussere Gestalt nicht ganz regelmässige Umrisse hat, so ist jedoch nicht daran zu denken, dass es abgerissene Stücke waren, da die älteren Exemplare beim Zerreissen sich ganz anders verhalten. Es bleibt noch zu erörtern, ob wir hier eine neue Species vor unshaben oder das Physematium atlanticum(Meyen). Act. Acad. - C.L. Nat. Cur. Vol. XVI, Suppl. — Bei der mangelhaften Ana- lyse, welche Meyen giebt, lässt sich dies nicht ganz genügend entscheiden. In vielen Punkten stimmt Meyen’s Beschrei- bung mit der unsrigen, zunächst das Vorhandensein einer 40 A. Schneider: umschliessenden weichen Membran, dann der Besitz einer centralen Zelle. Da dieselbe 0,5 Mm. Durchmesser nach unserer Angabe hat, so lässt sie sich zur Noth mit blossem Auge oder unter der Loupe erkennen. Eine mikroskopische Analyse derselben hat Meyen nicht gemacht. In andern Punkten weichen wir ab. Meyen fand sein Physematium bis zu 6“' Durchmesser. Dies wäre nur ein Beweis, dass Meyen grössene Exemplare vor sich hatte. Nach Meyen treten ferner einzelne Blasen über die Haut hervor. Ein Hervor- treten der Alveolen fand ich bei Sphärozoum, aber nicht bei diesem Thiere. Möglich, dass es bei älteren Exemplaren auch vorkommt. Dass die Angaben Meyen’s über die Eigen- bewegungen von Sphärozoum nicht sicher sind, hat J. Müller schon gezeigt. Dasselbe kann man auch auf Physematium atlanticum anwenden. Bewegungen fand ich nur insofern, als dasselbe Thier sich bald am Grund, bald an der Oberfläche des Gefässes befand. Auch will ich nicht unerwähnt lassen, dass ein längliches Sphärozoum in einem kleinen Gefässe welches vor Erschütterung sorgfältig geschützt war, lebhaft auf und nieder stieg und dabei seine Stellung im Raume viel- fach änderte. Ob dies active oder passive Bewegungen sind, möge ein glücklicherer Beobachter entscheiden. Es scheint nach alledem wohl gerechtfertigt, die ältere Bezeichnung Meyen’s beizubehalten; um aber dem Ph. atlanticum sein Recht zu wahren, wollen wir unser Thier als neue Species aufstellen, als Physematium Mülleri. II. Thalassicolla caerulea. (Fig. 9 — 7.) Diese Species war minder häufig als die vorhergehende. Die theilt im Bau die wesentlichen Eigenschaften der Th. nucleata, so auch die feste Consistenz derselben. Der cen- trale Kern ist von einer dicken Schicht blauen Pigments um- lagert. Darauf folgen die Alveolen, welche dicht gedrängt stehen und sich gegenseitig polyedrisch zusammendrücken. Auf den Alveolen ist bis in die Mitte dieser Schicht ebenfalls blaues Pigment abgelagert. Die Alveolarschicht ist nach aussen Scharf begrenzt. Darauf erheben sich die Pseudo- Ueber 2 neue Thalassicollen von Messina. 41 podien. Dieselben waren einmal zu einem Netzwerk ver- flochten, welches nach aussen scharf abschnitt und nirgends die freien Enden der Pseudopodien wahrnehmen liess. Spi- cula wurden nicht gesehen. Die Membran der centralen Zelle ist meist getüpfelt, wie man auch bei Th. nucleata findet‘ Manchmal ist die Membran mit regelmässigen polyedrischen Zeichnungen bedeckt, deren Oontur von stellenweiser Ver- dickung nach innen herzurühren scheint. Die Tüpfel waren dann vorzüglich deutlich. Der Inhalt der Zelle war sehr ungleichartig in den ver- schiedenen Exemplaren. Stets enthielt dieselbe: eine 2te Blase mit einer das Licht ziemlich stark brechenden Membran, dann Eiweisskugeln mit verschiedenen Einschlüssen. Die- selben waren entweder Fettkugeln oder Concretionen, oder Häufchen kurzer Krystallspiesse von unbestimmter Form, Nebenbei enthielt die Kugel mitunter ein 2tes kleineres Bläs- chen. Die Concretionen sind von blauschwarzer Farbe und von kugelförmiger oder doppelkugelförmiger Gestalt. Die- selben besteben aus mehreren Schichten. In Essigsäure sind sie unlöslich, löslich in Salzsäure unter Zurücklassung eines hellen Bläschens. Aehnliche Ooncretionen finden sich auch in der Th. nucleata. Der grösste Theil der Zelle war jedoch erfüllt mit Ballen einer krümlichen Substanz, welche dicht gedrängt an einander zu liegen schienen. Diese Ballen um- schlossen helle Körperchen , welche eine schwache zitternde Bewegung zeigten. Bei starker Vergrösserung sah man so- wohl kleinere Fortsätze auftreten und verschwinden, als auch constante längere fadenföürmige Fortsätze, welche sich geissel- artig bewegten. Von diesen Einschlüssen fanden sich die Krystalle nur einmal, die amöbenartigen Körperchen fehlten manchmal ganz. Die Concretionen und Fettkugeln fanden sich in sehr verschiedenen Mengen und schienen sich vertreten zu können. 42 A. Schneider: Ueber 2 neue Thalassicollen von Messina. Erklärung der Tafel. Fig. 1. Stück von Physematium Mülleri. Strahlen, Randschicht . und Nester. Fig. 2. Centrale Zelle mit der Gallerthülle und den soliden Strahlen. ' Fig. 3. Spicula des Physematium Mülleri. Fig. 4a. Fettkugel eines Nestes von einer Gallerthülle umgeben. b. Krystalle. Fig. 5. Thalassicolla caerulea bei schwacher Vergrösserung. Fig. 6. Stück der Membran der centralen Zelle mit Tüpfeln und polygonaler Zeichnung. Fig. 7. Verschiedene Einschlüsse der centralen Zelle. a. Eiweisskugel mit Concretion und hellen Bläschen. b. Ballen krümlicher Substanz. e. Amöbenartige Körperchen bei 450maliger Vergrösserung. d. Concretionen. C. Gegenbaur: Mittheilungen üb. Organisation v. Phyllosoma etc. 43 Mittheilungen über die Organisation von Phyllooma und Sapphirina von Prof. ©. GEGENBAUR zu Jena. (Hiezu Taf. IV. und V.) I. Ueber Phyllosoma. (Hiezu Taf. IV, Fig. 1—5.) In der Zeitschrift für wiss. Zoologie Bd. V pag. 352 wurde von mir eine kurze Skizze über einige Organisationsverhält- nisse der Phyllosomen niedergelegt, bei welcher Mittheilung jedoch manches Wichtige nur flüchtig angedeutet, anderes ganz übergangen werden musste. Da nun inzwischen die von mir gehegte Hoffnung, dass vielleicht andere Forscher in der Untersuchung dieser höchst interessanten Krustenthiere zu voll- ständigeren Resultaten gelangen würden, nicht in Erfüllung ging, fand ich um so mehr Veranlassung, den Gegenstand wieder aufzunehmen und meine Beobachtungen hier vollständig wiederzugeben. Es lagen mir zur Untersuchung zwei Formen vor, die ich, obgleich sie sich durch die Länge und Breite des Ab- domens von einander unterschieden, dennoch vorläufig zu einer Species rechnen muss, da die angegebenen Differenzen- möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich, nur auf Geschlechts- verschiedenheiten sich beziehen. Die Art erkenne ich als Phyllosoma mediterraneum, obgleich zwischen meinen Thieren und der von Risso gegebenen Darstellung besagter Species 44 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die keine so ganz vollständige Uebereinstimmung herrscht. Es ist aber namentlich die allgemeine Körperform, die Gestalt des Abdomen, die Zahl der Füsse und die fussartigen An- hänge des Postabdomen, sowie endlich die Sculptur des Schwanzes, wodurch sich die Art nicht wohl verkennen lässt, während dagegen alle bis jetzt beschriebenen Phyllosomen sich eben dadurch sicher ausschliessen lassen. Eine specielle Schilderung der äussern Form, der Anhänge u. s. w. liegt hier nicht in meinem Plan. Ich muss diese Dinge auch um so eher übergehen, als ich eine Untersuchung und Vergleichung der von mir gesammelten Exemplare nicht mehr vornehmen konnte, und will nur noch bemerken, dass meine sämmtlichen Beobachtungen an unverletzten, ja sogar an lebenden Thieren angestellt sind, die ich zur Conservirung der äusseren Theile nicht zergliedern wollte!) Manches anatomische Detail ist desshalb von mir unberücksichtigt ge- blieben. Nervensystem. Von diesen Organen der Phyllosomen besitzen wir zwar schon von Audouin und Milne-Edwards genaue Beschrei- bung und Abbildung, allein ich darf doch, obgleich meine Untersuchungen hierüber nichts weniger als ausgedehnt sind, die Angabe des von mir Gesehenen nicht übergehen. Das Gehirn (Fig. la) stellt eine verhältnissmässig be- trächtlich grosse, aus zwei fast dreieckig erscheinenden Seiten- hälften verschmolzene Masse dar, die von heller Bindesubstanz umgeben und von einem zierlichen Gefässplexus umsponnen, zum Theil auch durchsetzt wird. Sowohl die zelligen als auch die faserigen Parthien sind selbst bei nicht starken Ver- grösserungen, und im unverletzten Thiere mit einer Deutlich- keit zu erkennen, dass ich nur bedauern muss, dieses Organ nicht zum Object einer sorgfältigeren Prüfung gemacht zu haben. 1) Meine Sammlung ist seitdem in andere Hände übergegangen. Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 45 In jeder Hälfte sind vier grössere Gangliengruppen er- kennbar, von denen drei scharf von einander abgegrenzt sind und auch bestimmten Nerven, — dem Opticus und den Fühler- nerven — den Ursprung geben. Die beiden Sebganglien nehmen den vordersten und mitt- leren Theil des Gehirnes ein, sie sind von ovaler Gestalt und vor den übrigen ganglionären Abtheilungen des Gehirns durch ihre geringere Undurchsichtigkeit ausgezeichnet. Dabei lagern sie so dicht bei einander, dass eine zwischen ihnen bestehende faserige Commissur kaum erkennbar ist. Beson- ders nach vorn bilden sie fast eine einzige Masse, welche in Form einer nach vorne und unten gerichteten Protuberanz, selbst in den Contouren des Gehirns sich leicht kenntlich macht. Von der äusseren, resp. seitlichen Parthie dieser Ganglien entspringen die starken Optiei (Fig. 1b), welche nahe am Ende des langen Augenstiels, dicht hinter dem Auge selbst nochmals in ein Ganglion eintreten. Die beiden bei durchfallendem Lichte viel dunkleren Fühler- Sanglien liegen jederseits gleichfalls dicht neben einander, sind eben durch eine dünne Schicht von Zwischensubstanz doch deutlich genug geschieden. Sie nehmen vorzüglich die seitlichen Parthien des Gehirns ein, dessen Entwickelung in die Queere wesentlich durch diese beiden Ganglienpaare be- dingt erscheint. Ihre Gestalt ist birnförmig und ihre Lagerung der Art, dass der abgerundete, breitere Theil bei den grösseren äusseren Ganglien schräg nach hinten, bei den kleineren inneren nach innen gerichtet ist. Von den gleichfalls eine Protuberanz bildenden Spitzen der Ganglien gehen die an- fänglich von gemeinsamer Scheide nmhüllten Fühlernerven ab die bald nach dem Austritte etwas divergirend zu ihren ‚betreffenden Organen gehen (c). Diese drei Paar Ganglien “ sind so zu einander gelagert, dass sie eine’ Bogenlinie be- schreiben, deren nach hinten sehende Concavität zwei gleich- - falls grosse, aber nur wenig deutlich abgegränzte und ziem- lich helle Ganglien umschliesst. Zwischen diesen beiden ist die Commissurverbindung exquisit, und diese bildet auch den hinteren Gehirnrand. In der Substanz der Ganglien sind ein- 46 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die zelne, symmetrisch angeordnete dunklere Stellen auffallend, die aus kleineren Zellen zusammengesetzt mir scheinen wollten. Von jedem der beiden hinteren Ganglien entspringt einer der langen Commissurstränge (Fig. 1d), welche den ganzen Brustschild und einen Theil des Abdomens durchlaufen, um sich in gleicher Höhe mit dem Kaumagen in die Bauch- kette einzufügen. Eine Queerverbindung beider Commissuren vor ihrer Einsenkung in die Bauchkette, wie solches bei mehreren Macruren u. s. w. bekannt ist, wurde nicht von mir beobachtet. Nach Andouin und Milne-Edwards besteht der Bauch- nervenstrang aus ld Ganglienpaaren, nämlich der Brusttheil aus 3, der Theil des Abdomens aus 6 und jener des Post- abdomens wiederum aus 6 Paaren. Ich finde nun den gleich- falls in’s Abdomen gerückten Brusttheil ebenfalls aus 6 Ganglien- paaren bestehen, die allerdings, wie dies auch die beiden französischen Forscher für die von ihnen gesehenen drei Paare angeben, dicht an einander gerückt, eine einzige Masse zu bilden scheinen. Ohne desshalb die an meinen Phyllosomen gemachte Beobachtung zu einem Schlusse auf die von jenen Anderen untersuchten Thiere ausbeuten zu wollen, muss ich demnach für Ph. mediterraneum eine aus 18 Ganglienpaaren bestehende Bauchkette statuiren, eine Zahl, die, mit Aus- nahme bei den Phyllopoden, sonst bei den Crustaceen nicht erreicht wird. | Die scheinbare Verschmelzung der erwähnten ersten sechs Ganglienpaare (Fig. le.) wird nach meinem Dafürhalten wesentlich durch eine gemeinsame Umhüllung der sich ge- näherten einzelnen Ganglien, mittelst Bindesubstanz (dem Neurilemma) hervorgebracht, denn bei durchfallendem Lichte erkennt man nicht allein jedes einzelne Ganglion völlig klar, sondern auch jeden von ihm -abgehenden Nerven, und end- lich auch die Faserung der Queer- und Längscommissuren. Der Verlauf der erwähnten Nerven ist mir nicht genau zu verfolgen gewesen, nur das sah ich bestimmt, dass die ersteren 3 Paare zu den Mundwerkzeugen treten, Die nächst- folgenden 6 Ganglienpaare (Fig. 1f.) bilden die bedeutendste Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 47 Masse der ganzen Bauchkette. Das erste Paar schliesst sich direet an das letzte der vorhergehenden Gruppe an, und die übrigen folgen in gleichen Abständen auf einander. Die deut- lichen Längs- und Queercommissuren sind von gleicher Länge, so dass zwischen je zwei Ganglienpaaren eine rundliche Oeff- nung im Bauchstrang bleibt; durch die vierte davon (f’) biegt sich die grosse Baucharterie nach abwärts unter den Nerven- strang. Die Nerven dieser Abtheilung verlaufen ausschliesslich zu den Füssen, und zwar das erste Paar zu jenen, die ich als drittes oder letztes Paar der Kieferfüsse bezeichnen möchte, wenn sie auch in ihrer Gestaltung nur wenig von den fol- genden abweichen. Die übrigen fünf Nervenpaare gehen dann zu den fünf anderen Fusspaaren. Aus dieser Gangliengruppe hervorgekommen vereinigen sich die beiden Commissurstränge unter starker Convergenz zu einem nunmehr scheinbar einfachen Strange, durch dessen Hülle man eben die beiden getrennt neben einander ver- laufenden Stränge von Ganglion zu Ganglion hindurch er- kennt. Die sechs Ganglienpaare dieses letzten Abschnittes (Fig. 18.) der Bauchkette sind alle gleich gross und liegen in viel grösseren Entfernungen von einander als die früheren. Wie die Längsstränge durch Vereinigung in eine gemeinsame Scheide scheinbar verschmolzen sind, so zeigen sich auch die Ganglien jedes Paares einander so genähert, dass eine sie verbindende Queercommissur nicht leicht unterscheidbar ist. Jedes Ganglion schickt zwei Nervenstämmchen nach seiner Seite ab, die stärkeren Aeste davon gehen nach den gabel- förmigen Anhängen des Postabdomens, die des letzten Gang- lions vorzüglich in die Seitentheile des Schwanzes. Der histiologische Bau der Ganglien konnte von mir nicht - näher berücksichtigt werden, dagegen ward am peripherischen Nervensysteme überall wahrgenommen, dass die Fasern des- - selben, — wenn man einen von glasheller Scheide umgebenen Nervenzweig oder Stamm mit diesem Namen bezeichnen darf — eine fibrilläre Streifung besitzen, die bis zu ‘den feinsten, homogen erscheinenden Verzweigungen hinreicht. Kernge- 48 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die bilde waren nur im Neurilemma vorhanden, wo dieses diffe- renzirt erschien. Ueber die Endigungsweise der Nerven liegen mir speciellere Beobachtungen vor, die an den Nerven des Cephalothorax gemacht wurden. Die grösseren hier anzu- treffenden Stämmchen verzweigen sich unter der weichen, aus mosaikartigen Zellen gebildeten Hautschichte, oder vielmehr zwischen ihr und den im Üephalothorax liegenden Organen zu einem reichen Geflechte, dessen Ende ein Netzwerk feiner Fäserchen ist. Die Maschen dieses Netzes sind nur von solchen Elementen gebildet, welche bereits die Streifung ver- loren haben oder statt derselben mit einer feinen Punktirung ‚versehen sind, die letztere erscheint vorzüglich an den Thei- lungswinkeln, welche Stellen dann ein fein granulirtes Aus- sehen darbieten und immer mit einem, manchmal sogar mehren Kernen, versehen sind, so dass diese Bildungen fast ganz mit jenen Nervennetzen übereinstimmen, wie sie zuerst Ley- dig bei Carinaria beschrieben hat. Nur einen Unterschied muss ich hier hervorheben, nämlich das Vorkommen von einer Nervenscheide, einem Neurilem selbst an den feinsten Ver- zweigungen, welche Hülle nur durch ihren geringeren Durch- messer von jener der stärkeren Stämmchen differirt. . Bezüglich der Sinneswerkzeuge sind meine Beobachtun- gen nicht vollständig, und ausser der Ganglienbildung am Sehnervenende, welche nach übereinstimmenden neueren Unter- suchungen bei allen Arthropoden mit zusammengesetzten Augen sich zu finden scheint, habe ich nichts Näheres über dieses Organ zu berichten. Von Gehörorganen ist keine Andeutung vorgekommen, weder an der innern Antennenbasis, noch sonst wo im Körper. (Auch Leuckart hatte schon vergeblich — an Weingeistexemplaren — nach diesen Organen gesucht. Archiv für Naturgesch. 1853, p. 259.) Um so auffallender musste mir eine Notiz von Kröyer (Nogle Bemärkninger om Kraebsdyrenes Höreredskaber etc. in Kongelige Danske Vidensk. Selsk. Skrifter 1856) sein, in welcher über die Gehör- organe der Phyllosomen ziemlich bestimmte Angaben gemacht sind. Es heisst dort, dass man in der Hirnmasse, aber „erst durch starkes Pressen mittels einer Glasplatte“ Hörsteine # Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 49 zum Vorscheine kommen sieht. Dennoch scheint Kröyer seiner Sache nicht ganz sicher gewesen zu sein, da er aus- drücklich bemerkt, dass ihm nur schlecht conservirte Exem- plare zu Gebote standen. Nahrungskanal. Der Eingang in den Nahrungskanal, der Mund, findet sich wie bei den Decapoden auf der Unterfläche ’des Cepha- lothorax, aber soweit nach hinten gerückt, dass er fast am hinteren Rande desselben liegt. Er bildet eine kurze Längs- spalte, welche seitlich von ein Paar wulstig vorstehenden Kiefern und von oben her durch eine gleichfalls gewulstete Oberlippe überragt ist. Ausserdem sind noch einige kurze, mit 3 scharfen Zacken geendete Kiefern jederseits um die Mundöffnung angebracht. Sowohl an die beiden als Kiefer wirkenden seitlichen Wülste, als an die Oberlippe inseriren sich starke trianguläre Muskeln, welche mit ihrer Basis an die Innenfläche des Kopfbrustschildes befestigt sind. Diese Muskulatur zeigt sich im Allgemeinen kleeblattförmig ange- ordnet, indem sie in 3 Hauptmassen von den 3 beschriebe- nen Kiefertheilen ausstrahlt. In Fig. 1 a sind die beiden seitlichen Kiefer und die Oberlippe gezeichnet. Von diesen Theilen umfasst steigt der Anfangstheil des Nahrungskanals gerade nach aufwärts und bildet daselbst, im rechten Win- kel gebogen, eine Oesophagealerweiterung, um gerade am Ende des Cephalothorax in einen grösseren, äusserlich rund geformten Abschnitt überzugehen. Dieser Abschnitt zeigt keine Erweiterung des Lumens, da seine muskulösen Wan- dungen zwei seitliche Vorsprünge bilden, deren Oberfläche Kauplatten vorstellen. Die strukturlose Chitinhaut des Oeso- phagus geht nämlich hier in eine plattenartige Verdickung über, welche durch gelb-bräunliche Färbuug ausgezeichnet ist. Die Muskelfasern der Wandung dieses Abschnittes for- miren zwei seitliche starke Bündel, durch welche der plat- tenbedeckte Vorsprung vorzüglich gebildet wird. Es ist die- ser Abschnitt (Fig. 1b), den ich als Kaumagen betrachten darf, nur einer geringen Erweiterung fähig, die im höchsten Müller’s Archiv, 1858, 4 50 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die Falle dem Lumen des Oesophagus gleichkommt, vom übri- gen Darmkanale aber immer übertroffen wird. Ein falten- . förmiger Vorsprung grenzt den Kaumagen von dem nächst- folgenden weiteren Abschnitte ab, den ich gleich als Chylus- magen (Fig. 1 c) bezeichnen will. Es besteht dieser aus einem mittleren Theile, der sich nach beiden Seiten hin in einen weiten, nach vorne gerichteten Schlauch (den Leber- gang) fortsetzt, und aus einem weiter nach hinten gelegenen Theile, der sich anscheinend kontinuirlich in den eigentlichen Darm fortsetzt. Dieser letztere verläuft völlig gerade als ein im leeren Zustande nur 1/,'" dicker Cylinder bis zum letzten Körpersegmente, auf dessen Unterfläche er mit einer Längs- spalte, dem After, sich öffnet (e). Nur hier am After ist das Darmrohr inniger mit dem Integument verbunden, und zwar vorzüglich durch einen Muskelapparat. Seitlich an der Afterspalte entspringen zwei Flügelmuskeln, die mit conver- girenden Bündeln an der Wand des letzten Segmentes (wel- ches das mittlere Glied der Schwanzflosse bildet) sich inse- riren. Sie wirken als Dilatatoren des Anus. Zwei längere Muskeln entspringen etwas über den vorigen und fügen sich dem Rückentheile des vorletzten Segmentes an; es sind die levatores ani. — In histiologischer Beziehung verhält sich der Darmkanal ziemlich einfach. Er lässt zu äusserst eine helle Schicht von sehr geringem Durchmesser erkennen, in welcher einzelne Kerne vorkommen. Zellen habe ich nicht erkannt. Nach in- nen von dieser Peritonealhülle folgt eine Muskelschicht, aus eng an einander liegenden Ringfasern bestehend, welche bis zum Ende des Kaumagens verfolgt werden kann und schon vorher vor der Einmündung der Lebergänge in den Chylus- magen ihre Fasern unter unregelmässigen Durchkreuzungen netzförmige Anastomosen bilden lässt, die im übrigen Darm- kanale fehlen. Ob auch der Länge nach verlaufende Muskelelemente in der Darmwand vorkommen, muss ich dahin gestellt sein las- sen, da in meinen Notizen davon keine Erwähnung geschieht. Innen findet sich ein Epithelialüberzug, der bei weitem die Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 51 wichtigste aller Darmschichten bildet, indem seine Dicke 0,010— 1,014‘' beträgt. Es sind viereckige, mit gewölbter Oberfläche im Darmlumen vorspringende Zellen, die eine so verschiedene Grösse besitzen, dass sie bei weitem nicht jenes hübsche Mosaik bilden, wie diess von den Epithelien ver- wandter Arthropoden bekannt ist. Eng der Oberfläche des Epithels angelagert, alle Furchen und Falten überziehend, findet sich eine glashelle Chitinhaut, welche von den Kauplatten des ersten Magenabschnitts in den zweiten verfolgt werden kann und im Anfangstheile des letzten mit langen nach rückwärts gerichteten Borsten und borstenartigen Auswüchsen besetzt ist. Dieser Besatz be- schränkt sich vorzüglich auf das Mittelstück und grenzt sich ziemlich scharf gegen die Seitentheile des Chylusmagens ab, während er nach hinten, gegen den Darm, nur allmälig schwindet, indem die Borsten nach und nach in immer klei- nere Höckerchen übergehen. Weiterhin, im eigentlichen Dar- me, ist die Chitinhaut völlig glatt, und zeigt bei stärkerer Vergrösserung nur eine fein polygonale oder quadratische Zeiehnung, die sich mit grosser Sicherheit auf die als Matrix dienenden Epithelzellen zurückführen lässt. Durch diese ver- schiedene Bildung der Chitinhaut werden somit die einzelnen Abschnitte des gesammten Darmkanals ebenso genau unter- scheidbar, als durch ihre äussere Configuration. Von ganz überraschendem Baue erscheint die Leber. Sie ist nämlich von glasartiger Durchsichtigkeit, wie fast sämmt- liche übrigen Organe des Thieres, zeigt sich genau der ab- geflachten Körperform adaptirt, also gleichfalls flächenartig ausgebreitet, und nimmt, aus zwei gleich grossen Büscheln bestehend, fast den ganzen Hohlraum des Kopfbrustschildes ein. Zwischen ihren beiden Hälften (Fig. 1f) bleibt nur ein verhältnissmässig schmaler Raum übrig, der nur vorne zur Aufnahme des Gehirns sich etwas erweitert zeigt. Es sind dies die „zahllosen Kanäle“, welche Guerin (Magasin de Zoologie 1855) zum Kreislaufsysteme rechnen möchte, welche Ansicht aber schon bald darauf von Milne- Edwards (Hist. nat. des Crustacdes T. li. p. 475) verwor- 4* 58 C. Gegenbaur:; Mittheilaungen über die fen wird, indem er in diesem Apparate, jedoch ohne Nähe- res über seinen Bau zu melden, das „Analogon der Leber“ richtig vermuthet hat. An jeder Leberhälfte zähle ich 45— 50 Schläuche, deren geschlossene, abgerundete oder schwach zugespitzte Enden sämmtlich am Seitenrand des Cephalothorax liegen, und die alle einen bogenförmigen Verlauf nach innen nehmen, um sich nach und nach unter einander zu vereinigen, und end- lich jederseits in einem gemeinschaftlichen Gange aufzuge- hen, von dessen Einmündung in die Seiten des Chylusma- gens schon oben gesprochen ward. — Der Verlauf der ein- zelnen Blindschläuche, die sämmtlich in einer Ebene liegen, ist etwas wellenförmig, und zwar kann man grössere solcher Biegungen unterscheiden, die schon dem unbewaffneten Auge deutlich sind und an denen sich grössere Strecken der Ka- näle betheiligen, sowie noch kleinere wellige Biegungen, die in sehr kurzen Zwischenräumen in jedem Blindschlauche sich darstellen, und die um so mehr abnehmen, je näher man der Vereinigungsstelle kommt. Da wo schon mehrere Blind- schläuche zusammengeflossen, sind nur noch die grösseren Schlängelungen sichtbar. | Zwischen den einzelnen Schläuchen sind zahlreiche Ver- bindungsbrücken vom Rücken zum Bauchtheile des Kopf- brustsehildes angebracht, die unter dem Mikroskope durch ihre dunkle Färbung sich auszeichnen und in ihrem Innern Fortsätze des Chitinskelets einschliessen. Es wird durch diese Pfeiler — oder säulenartigen Bildungen — eine Verbindung der obern und untern Lamelle des Kopfbrustschildes bewerk- stelligt, wie auch durch sie eine allzu beträchtliche Annähe- rung oder gar Berührung der ohnediess schon einander sehr nahe liegenden Platten verhütet wird. Der feinere Bau der Blindschläuche zeigt sich ziemlich einfach; zu äusserst erkannte ich eine einfache Lage ringför- mig angeordneter Muskelfasern, welche, wie die der übrigen Organe, deutlich quergestreift sind und so dicht neben ein- ander liegen, dass Verästelungen oder Anastomosen zu feh- len scheinen. Ihre Verbreitung ist über das gesammte Le- Organisation von Phyliosoma und Sapphirina. 53 berorgan von den äussersten Enden der Blindschläuche an bis zur Einmündung der Lebergänge in den Darm, wo die Anordnung der Muskelfasern eine mehr unregelmässige wird und im Uebergang in die jenem Darmabschnitt (dem Chylus- magen) zukommende Muskulatur beobachtet werden kann. Nach innen von der Muskelschicht folgt eine, die Grund- membran vorstellende homogene Schicht, ein dünnes stark lichtbrechendes Häutchen, dessen Contouren bei gewissen Fo- cuseinstellungen besonders an den Theilungsstellen der Schläu- che sichtbar werden. Die innerste Lage bildet das Epithel, es ist die eigentlich drüsige Parthie der Leberschläuche und wird von mehr platten und pflasterartigen Zellen gebildet, deren Grösse zwischen 0,010 —0,018"' schwankt. Bei leben- den Thieren ist diese Epithelschicht fast durchsichtig, sie ent- halten fast immer nur wenige kleine Körnchen und einen nicht schwer erkennbaren Kern. Bei todten Thieren trübt sich der Inhalt etwas, ohne aber bedeutend undurchsichtig zu werden. Eine Cuticularbildung, wie sie Karsten beim Flusskrebs, Leydig bei Gammarus, Argulus u.s.w. beschreibt, ist mir nicht zu Gesicht gekommen. | Die einfache Lage der Zellen — denn so muss ich das Beobachtete auffassen — sowie ihr spärlicher Inhalt an Körn- ' chen, besonders aber an Fett und Farbstoffen, die soust in der Leber der Crustaceen überall vorzukommen scheinen, diess deutet Alles auf eine geringe Absonderungsthätigkeit des Organes, und dem entsprechend ist auch nur selten im Lumen der Kanäle ein geformter Inhalt erkennbar. Man trifft nur auf einzelne spärliche Körnchen, die gegen das blinde Ende der Schläuche häufiger werden und dort manchmal zu kleinen Klumpen zusammengeballt sind. Durch die gar nicht selten vorkommenden Contractionen, die oft wellenförmig über eine grössere. Strecke hinschreiten, werden diese ge- formten Bestandtheile des Inhalts in der reichlich vorhande- nen Flüssigkeit umhergetrieben. Man könnte, auf meine eigenen Angaben gestützt, die Deutung des von mir schon von vorne herein als „Leber“ angeführten und näher beschriebenen Organes beanstanden, 54 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die ‚und mag vielleicht auch darin noch einen Gegengrund finden, wenn ich weiter berichte, dass auch Darmeontenta oder Par- tikelchen davon in dieBlindschläuche eintreten können, so dass also diess Organ fast nur als eine Ausstülpung des Magens, wenn auch in ganz eigenthümlicher Weise sich herausstellte. Ein ähnlich gebautes und verästeltes Organ hat ja auch Ley- dig bei Argulus foliaceus (Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. II, p. 12) für eine Divertikelbildung des Darmkanals erklärt und ihm seine Bedeutung als Leber abgesprochen. Die farblosen oder wenig gefärbten Wandungen, die Uebereinstimmung im Baue mit den Magenwänden selbst, sowie das Vorkommen von Ingestis in den schlauchartigen Verzweigungen haben Leydig zu dem besagten Urtheile bestimmt, und man kann wohl auch sagen theilweise berechtigt. Obgleich nun bei Phyllosoma der Bau des fraglichen Organes in den meisten Theilen mit dem des Magens, oder im Allgemeinen des Darm- kanals übereinkommt, obgleich auch die Absonderungsthätig- keit sicherlich eine höchst geringe ist, keinesfalls aber far- bige Excrete, analog wie in den Leberorganen verwandter Thiere, in den Epithelien der Blindschläuche gebildet wer- den, und obgleich ferner zwischen dem Magen und dem Lu- men der Ausführgänge des Organes eine stets offene Kom- munikation besteht, so muss ich doch bei meiner Bezeichnung des in Rede stehenden Organes stehen bleiben, indem vom anatomischen Standpunkte aus diese die allein gerechtfertigte ist, selbst wenn auch die Funktion weniger entschieden nach dieser Richtung hin sich entwickelt !). Es besteht hier eine grössere Reihe von Homologien, die etwa von der entwickelten Leber des Flusskrebses, durch mannichfache Uebergangsstadien hindurch, die bei PAyllo- soma. gesehene Bildung umfassend, bis zu den verästelten‘ Magenschläuchen des Argulus reicht, und innerhalb welcher 1) Auch Leydig scheint von seiner früher (l. ec.) bei Argulus fest- gehaltenen Ansicht zurückgekommen zu sein, da er neuerlich in sei- nem Lehrbuche der Histologie pag. 363 von der Leber des Argulus spricht, unter der er wohl nur die verästelten „Magenanhänge“ mei- nen kann. | Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 55 Reihe. ein bedeutender Grad der funktionellen Deklination möglich sein kann, ohne dass das Organ morphologisch auf- hört dasselbe zu sein. Es ist gerade eine wesentliche Auf- gabe der vergleichenden Anatomie, den Typus selbst dann noch zu erkennen, wenn die physiologische Bedeutung ihn verhüllt hat. Von anderen Drüsengebilden des Darmkanals ist nichts mir zur Beobachtung gekommen. Die von mir in der früher segebenen kurzen Notiz angeführten Drüsen, welche ich da- mals, durch ihre Lage und die Richtung ihres Ausführgan- ges geleitet, mit Speicheldrüsen verglichen hatte, gehören wohl schwerlich dem Verdauungsapparate an. Gefässsystem. Die einer mikroskopischen Untersuchung des lebenden Thiers so günstigen Körperverhältnisse der Phyllosomen er- Jaubten bezüglich des Blutkreislaufes und seiner Bahnen eine vollständigere Reihe von Beobachtungen, wie sie bei nur we- nigen anderen Krustenthieren angestellt werden können. Das Herz (Fig. 3 A) liegt als ein länglicher oder längs- ovaler Schlauch in der Mitte des Abdomens, etwa in glei- cher Breite mit dem ersten und zweiten Paare der wahren Füsse und oberhalb der ersten 6 Ganglienpaare der Bauch- kette. In seiner Lage befestigt wird es ausser durch die von ihm abgehenden Arterien noch durch eine jederseits sich an ihm inserirende Membran, die sich von der Mitte des Her- zens aus in etwas bogigem Verlaufe nach vorne und aussen begiebt. Endlich schien mir noch hinter der Insertionsstelle der letzteren an jeder Seite eine Befestigung stattzuhaben, deren Art nicht näher zu ermitteln war. Bei der Systole bildet sich nämlich hier jedesmal ein kleiner Vorsprung, der "nieht wohl anders als durch ein hier sich inserirendes Liga- ment zu erklären war. Die Form des Herzens. wechselte nach der Thätigkeit, breiter und kürzer war es bei der Diastole, beim Akte der Systole länger und schmaler. Die grösste Breite während 3 56 C..Gegenb aur: Mittheilungen über die der Diastole trifft besonders die vordere Hälfte, während die hintere sich mehr zugespitzt zeigt. Hinsichtlich des feineren Baues der Herzwand bemerke ich das Vorkommen verästelter Muskelfasern, die sich viel- fach unter einander verflechten, dabei aber den ringförmigen oder schrägen Verlauf vorwalten lassen. Es zeichnen sich diese Fasern vor denen der übrigen Organe durch ihre grös- sere Feinheit und Blässe aus, wie sie denn auch die Queer- streifung weit weniger ausgeprägt besitzen und dieselbe oft nur durch feine Punktreihen angedeutet ist. Ausser den mit den arteriellen Bahnen zusammenhängen- den Oeffnungen sind noch 6 symmetrisch gelagerte Spalten, die venösen Ostien des Herzens. Vier davon sind auf der oberen und zwei auf der unteren Fläche befindlich. Die vier oberen (Fig. 50) sind von vorne und aussen hach hinten und unten gerichtet, und sind paarig auf die vordere und hintere Hälfte des Herzens vertheilt. Das hintere Spalten- paar kann auch als seitliches aufgefasst werden, indem der eine Winkel der Spalte sich auf der Seite nach vorne und unten herüberbiegt. Die beiden unteren Spalten (Fig.1 a) sind mit ihrem inneren vorderen Winkel gegen einander ge- richtet, während der hintere schräg nach aussen sieht. Die Uebereinstimmung des Baues des Herzens und der Anord- nung seiner Spaltöffnungen mit den bei den Decapoden be- kannten Einrichtungen, besonders wie sie von Lund (Isis 1825) und Schultz (Isis 1829) beim Hummer und bei der Maja beschrieben wurden, ist demnach eine überraschende. Viel- leicht kann auch diese meine Beobachtung an Phyllosoma dazu dienen, den von obigen Forschern entdeckten Thatsa- chen, namentlich gegen die Angaben von Milne-Edwards, eine neue Stütze zu sein. Jede der beschriebenen Spalten wird theils durch die An- näherung ihrer Ränder, theils durch das Vortreten einer’ je- derseits vom Rande entspringenden Membran, also durch eine wahre Klappenbildung, geschlossen, und öffnet sich bei der Diastole, indem theils die Ränder aus einander weichen, theils die vorliegende Klappenmembran sich nach innen schlägt. u Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 57 Die Klappe legt sich dabei nicht an die Innenseite der Herz- wand an, sondern steht frei ins Lumen vor, um bei der nächsten Systole sich wieder verschliessend der Spalte vor- zulegen. Nach vorne entsendet das Herz drei Arterien und die- selbe Zahl auch nach hinten. Die ersteren sind beinahe sämmtlich von gleicher Stärke. Eine mittlere (Fig. 3 a) liegt in Verlängerung der Längsachse des Herzens, verläuft gerade nach vorne und gelangt, den Cephalothorax durchsetzend, ohne irgend eine Verzweigung einzugehen, zum Gehirne, an welches sie zwei dicht neben einander entspringende Aeste (b) giebt. Bei einem Exem- plare hatten diese beiden Aeste einen gemeinsamen Ursprung, und die Theilung fand erst dann statt, nachdem die Kom- missur durch die beiden Hirnhälften hindurchgedrungen und auf der entgegengesetzten, der oberen, Fläche angelangt war. Das Ende der Arterie verläuft unter dem Gehirne, also durch “den Sehlundring hindurch zu den Augenstielen, spaltet sich hier in zwei gleiche Aeste, deren jeder in den betreffenden Augenstiel eintritt und darin noch eine Strecke weit beob- achtet werden kann. Der Verlauf und die Verzweigung die- ser mittleren Arterie thut dar, dass sie der „artöre ophthal- mique“ der französischen Autoren analog ist. Die beiden seitlichen Arterien (Fig. 3 a’a’) gehen zwar dicht neben der mittleren aus dem Herzen hervor, divergiren aber alsdann etwas, so dass sie einen schwachen nach aus- sen gerichteten Bogen beschreiben. Hierauf verläuft jede pa- rallel der mittleren in den Gephalothorax, divergirt über dem Munde von neuem nach aussen, um erst im vorderen Dritt- iheile des Cephalothorax wieder den Parallelverlauf mit der mittleren zu beginnen und dann ihre Endverzweigung in dem _ äusseren und inneren Fühlerpaare zu finden. Der innere Füh- ler empfängt nur einen einzigen Zweig (g), der äussere de- ren zwei(h). Ausserdem haben noch zahlreiche Aeste auf dem ganzen Wege der Arterie ihren Ursprung genommen, so dass die terminalen Fühlerzweige schon zu den dünneren gehören. 58 C: Gegenbaur: Mittheilungen über die Alle abgehenden Aeste entspringen von der äusseren Seite der Arterie; es sind folgende: a) Ein nach rückwärts verlaufender Zweig entspringt gleich nach der ersten Bogenbildung und tritt zu einem spä- ter zu erwähnenden Drüsenpaare (Fig. 3 d). b) Ein starker Zweig nach vorne und rückwärts verlau- ‘ fend gelangt zu den Mundtheilen, namentlich zu den Kiefern (e). c) Vier bis sieben im Cephalothorax abgehende Zweige versorgen vorzüglich die Leber (f, f’, £, £"). d) Nahe vor der Endverzweigung in die Antennen gehen noch einige kleine Gefässe zum Gehirn ab und bilden mit den von der Medianarterie kommenden Aesten den das Gehirn umspinnenden Plexus. i Im Endverbreitungsbezirk stimmt diese Arterie mit der von Milne-Edwards und Audouin als art. antennaire beim Hummer beschriebenen überein, sie unterscheidet sich aber von jener dadurch, dass sie zahlreiche Leberäste abgiebt, welche beim Hummer einer besonderen Arterie entstammen. Die vom hinteren Ende des Herzens entspringenden drei Arterien lassen sich wieder als eine mittlere und zwei seit- liche betrachten. i 1) Die mittlere, der „artere abdom. superieure* nachAu- douin und Milne-Edwards entsprechend, setzt sich über dem Darmkanale gerade nach hinten fort, verläuft hier bis in die Höhe des ersten Ganglion des Postabdomens ohne Aeste abzugeben (i), und nimmt von hier an einen etwas geschlängelten Verlauf, auf welchem sie in jedem Segmente des Postabdomens nach beiden Seiten einen Ast abgiebt. Es sind diese Arterien (k'— kV!) immer in constanter Zahl vor- handen und für die Muskulatur des Schwanzes bestimmt. Sie nehmen von vorne nach hinten allmälig an Dicke ab, wie auch das Endstück des Stammes bei seiner dreitheiligen En- digung im letzten Schwanzsegmente äusserst unbeträchtlich geworden ist. 2) Die etwas links von der vorigen, aber dicht an ihr aus dem Herzen hervorgehende zweite. Arterie ist die stärkste; Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 59 sie wendet sich, bogenförmig den Darm umgreifend (]), nach unten, und tritt zwischen dem 10ten und 11ten Ganglienpaare (dem 4ten und Öten Paare der grösseren Ganglien) des Ab- domens, durch den Bauchstrang hindurch, bis dicht über die Bauchfläche des Körpers, wo sie in eine nach vor- und rück- wärts der Medianlinie des Abdomens und Postabdomens ent- lang verlaufende Arterie (m, m’) sich fortsetzt. Von dieser werden vornehmlich die Füsse versorgt; sie entspricht der artere abdom. inferieure von Aud. und M. Edw. — Wir kön- nen sie als Baucharterie bezeichnen. Ihr vorderes Ende: liegt unter und hinter dem Munde und zeigt eine gabelförmige Theilung, durch welche je zwei zu den vorderen Kieferfuss- paaren gelangende Aeste (n’) entstehen. Ein Seitenast da- von (n) geht an die Mundorgane. Hinter dieser Gabelthei- lung der Baucharterie geht ein zweites Paar von Aesten (n‘‘) zum zweiten Kieferfusspaare, und nun folgen noch fünf Paare (0'—0V), welche in gleichmässigen Abständen zu den fünf Fusspaaren'!) gehen. Die Arterien des dritten Fusspaares entspringen genau da, wo der Stamm in den nach vorne (m‘) und rückwärts (m) verlaufenden Theil sich spaltet. Nach dem Abgange der letzten Fussarterien sind es nur noch unbedeu- tende Zweige, die von dem nun bedeutend schwach gewor- denen Endstücke der Baucharterie abgehen und die fussarti- gen Anhänge des Postabdomens mit Aestchen versehen und sich in der Körperwand auflösen. Das Ende der Bauchar- terie reicht so bis an das letzte Schwanzsegment. Sämmtliche zu den Füssen verlaufende Arterienäste geben kurz vor ihrem Eintritte in erstere einen Zweig für die Muskeln ab. — 3) Die dritte rückwärts verlaufende Arterie (q) verhält 1), Ich muss mich hier wegen meiner Terminologie der Füsse recht- . dertigen, da ich von der bisher üblichen Weise abweichend den Phyl- losomen nur 5 Fusspaare zuschreibe und die beiden anderen davor gelegenen schwächeren Fussbildungen als „Kieferfüsse“ auffasse. Ich‘ wurde hiezu durch die Grössenverhältnisse der Anhänge, vorzüglich aber durch die obwaltende Analogie mit den Decapoden bestimmt. Wem bekannt ist, wie wenig streng die Natur selbst die Form und Bedeutung der einzelnen gegliederten Anhänge der Urustaceen geschie- den hat, der wird sich hiedurch nicht stören lassen. :60 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die sich bezüglich ihres Ursprungs völlig symmetrisch mit den vorigen, ist aber um vieles kleiner und überhaupt das unbe- deutendste aus dem Herzen hervorkommende Gefäss. Sie wendet sich gleichfalls nach unten, bleibt aber hier am Darm- kanale, den sie sowohl auf- als abwärts mit Zweigen versorgt. Bezüglich des Verhaltens der feinsten Gefässe lieferten an verschiedenen Körperstellen angestellte Beobachtungen das bestimmte Resultat, dass durch zahlreiche Anastomosen der immer kleiner gewordenen Arterien ein Capillarnetz her- gestellt werde, welches mit seinen Maschen die verschiede- nen Organe umzieht. Solches ward gesehen in der Musku- latur, so namentlich an den Muskeln der fussartigen An- hänge des Postabdomen (wovon Fig. 4 eine Skizze giebt), dann am Bauchstrange des Nervensystems, und endlich noch am Gehirne, von welchem schon oben der Plexusbildung der grösseren Arterien gedacht ward. Einen Uebergang dieser feinsten Gefässnetze in Venen habe ich nie gesehen, und muss auch an der Wahrscheinlichkeit zweifeln, dass im Falle letz- tere vorkämen sie mir entgangen wären, da ich lange und eifrig mit dem Studium der rückleitenden Blutbahn mich be- schäftigt hatte. Eben dies Bestreben leitete mich vielmehr zur Er- kenntniss von freien Mündungen in die Leibeshöhle, von Oeff- nungen, welchesowohlandemNetzederfeinen Arte- rien-Capillaren, alsaucham Ende grössererGefäss- zweige sich finden, und aus denen der. hervorkom- mendeBlutstrom sichindielacunäre Bahn begiebt. Ich habe den Lauf des Blutes auf diesen wandungslosen Wegen im ganzen Körper verfolgen können, und fand, dass auch bei Phyllosoma eine regelmässige Strombildung geschieht, und dass selbst dann, wenn manchmal eine Aberration statt hat, und einzelne Seitenströme sich auf kurze Momente ab- zweigen, immer wieder eine Sammlung im Hauptstrome statt hat. Diese rückkehrende Strömung stellt sich der Haupt- sache nach in folgender Weise dar: das aus den Antennen, den Augen und dem Kopfganglion (Gehirne) kommende Blut sammelt sich vorne im Oephalothorax in zwei Hauptströmen, welche jederseits am Rande des Cephalothorax nach rück- Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 61 wärts verlaufen und einen Theil des Blutes, welches hier aus den zahlreien Leberarterien ergossen wird, mit sich ver- einigen. Der Haupttheil dieser seitlichen Ströme gelangt am hinteren Ende des Cephalothorax ins Abdomen, ein anderer nicht unbeträchtlicher Theil zweigt sich auf diesem Wege be- ständig vom Seitenstrome ab, wendet sich, sowohl über als unter der Leber, demnach immer dicht unter der Körperbe- deckung verlaufend, nach innen, und formirt auf diese Weise jederseits eine Anzahl von kleineren Strömen, welche in ge- bogenem Verlaufe von aussen und vorne nach innen und hin- ten gehen, also die Bahnen der Leberarterien, sowie auch die Leberschläuche selbst, in schiefer Richtung kreuzen. Der Rückentheil dieser Bahn nimmt noch einen Theil des Blutes der Leberarterien auf, und bildet endlich noch einen mittle- ren Hauptstrom, der um die Kopfarterie rückwärts läuft. An der Vereinigung des Cephalothorax mit dem Abdomen tritt alles Blut nach hinten und gelangt in die Nähe des Herzens. Im hinteren Körpertheile, wo die Muskulatur der Füsse u.s. w. das Studium des Blutlaufs sehr erschwert, bemerkte ich nur, wie das Blut aus dem Postabdomen und aus den Füssen sich wieder in zwei Ströme sammelt, welche nach vorne gewendet gleichfalls zum Herzen gehen. Das gesammte rückkehrende Blut tritt hier in einen sinusartigen Behälter ein, der aber nur nach hinten zu eine bestimmte Grenze besitzt, indem eine dünne Membran von den Seiten des Herzens aus eine Strecke weit nach vorne sich ausspannt. Es wurde die- ser Membran schon oben gedacht, da von der Befestigung des Herzens gesprochen ward. Ihre Lage und Ausdehnung zeigt, dass sie ebenso zur Ansammlung des Blutes dient, wie sie auch dem senkrechten Aufeinandertreffen der von vorne und hinten dem Herzen zueilenden Ströme begegnet. “ Sie entspricht dem sogenannten Pericardium der höheren De- capoden, welches ebenfalls einen Blutbehälter umschliesst und die von den Athemorganen kommenden Venenstämme aufnimmt, welches aber aus eben diesem Grunde in seiner Be- deutung für den Kreislauf ebenso gut einem Vorhofe, Atrium, zu vergleichen ist. Die geringe Ausbildung dieser Vorhofwan- 62 0. @egenbaur: Mittheilungen über die dung bei Phyllosoma geht Hand in Hand mit den eigenthüm- lichen Verhältnissen der Respiration und mit dem mangeln- den Venensystem, von welchem die Vorhofbildung immer einen Theil ausmacht. Das aus den Körperarterien entleerte Blut wird hier nicht in besonderen Bahnen Athemorganen zugeführt, sondern tritt alsbald wieder seinen Weg zum Her- zen an, wo der von vorne kommende Strom direkt vom Sinus empfangen wird, während der an dem hinteren Körpertheile rückkehrende erst seitlich die Sinuswand umfliesst. — Die Vergleichung des geschilderten arteriellen Gefässsy- stems mit dem anderer Urustaccen, zeigt, wie bis auf einige ganz untergeordnete Punkte derselbe Typus obwaltet, den wir von den Decapoden, und zwar von den Macruren ken- nen, welches Verhältniss ich schon bei den einzelnen Arte- rienstämmen hervorhob, so dass es eigentlich nur das bei jenen entwickelte Venensystem !) ist, welches uns hindert, den gesammten Cirkulationsapparat der Phyllosomen jenem der langsehwänzigen Decapoden innig anzureihen. Es kann dies aber dann geschehen, wenn wir bei den Flachkrebsen die niedere Organisationsstufe nicht verkennen, die, von dem Fehlen besonderer Athemorgane aus, auch modificirend auf die Kreislauforgane einwirkt. Athemorgane. Wie aus dem Vorstehenden mehrfach zu ersehen ist, wird die Athmung durch die Integumente vermittelt, die hiezu durch ihre geringe Dicke, sowie durch grosse Flächenentwickelung, besonders am Üephalothorax, geeignet sind. Es fehlen aber dennoch die Theile nicht, welche als die morphologischen Ana- loga der Kiemen angesehen werden müssen, es sind gefie- derte Anhänge der Füsse. 1) In der trefflichen Dissertation von E.Haeckel: De telis qui- busdam Astaci fluviatilis, Berol. 1857, wird dieser geschlossene Kreis- laufapparat der Decapoden, wie ihn Joh. Müller nachweisen-konnte, beschrieben. Die Bestätigung dieser von Milne-Edwards und Au- douin (Ann. des sc. nat. 1827) gemachten Entdeckung, welche von ersterem zum Theile wieder aufgegeben ward, ist auch von Joh. Mül- ler’s Handbuch d. Physiologie angeführt (vgl. Ate Aufl. 1.Bd. p. 157). Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 63 z « Geschlechtsorgane sind bei keinem der untersuchten Individuen aufzufinden gewesen. Dagegen habe ich noch einer Drüse zu erwähnen, die paarig jederseits in der Nähe des Magens vorkömmt (Fig.1h). Sie besteht aus einer Anzalıl von rundlichen Läppchen, die eng mit einander verbunden sind und je einen kurzen Ausführgang in den gemeinsamen, die ganze Länge der Drüse durchziehenden rechtwinklig ein- senken. Aus der Drüse hervorgekommen neigt sich der Gang gegen die Medianlinie des Körpers, lagert nahe an dem Aus- führgange der Leber und entzieht sich hier der ferneren Be- obachtung. Die nähere, Erörterung der Frage von der Be- deutung dieser Drüsen muss ich offen lassen. — Aus der inneren Organisation der Phyllosomen lassen sich für die systematische Stellung nicht unwichtige Resultate zie- hen. ‘Man sieht überall den Decapodentypus, wenn auch in einem niederen Stadium der Ausbildung, aber doch deutlich genug, um erklären zu dürfen, dass hier nichts vorliegt, wel- ches eine Vereinigung mit den Stomapoden — den Sguilli- nen nämlich — rechtfertigte. Es haben auch schon Andere sich über die nothwendige Trennung der Phyllosomen von den Stomapoden ausgesprochen, und den Decapodentypus erkannt. So Milne-Edwards, Leuckart und Kröyer. Wenn diese Forscher vorzüglich durch die Verwerthung der äusseren Charaktere zu jenem Resultate kamen, so kann diess in den von mir gegebenen anatomischen Thatsachen nur eine Stütze finden. —. II. Ueber Sapphirina. (Hiezu Taf. V.) Wenn man bei ruhiger See von der Barke aus in die Tiefe “ spähet, so wird das Auge nicht selten ein Schauspiel ge- wahr, welches zwar an Grossartigkeit von gar vielen Er- scheinungen der Meereswelt übertroffen, an Lieblichkeit, aber und an Reiz von vielleicht nur wenigen erreicht wird. Zahl- lose Lichtfunken tauchen auf, scheinbar leicht zu erreichen, aber in Wirklichkeit oft noch fadentief unter dem Spiegel. 64 C. Gegenbaur: Mitth eilungen über die Bald hieher, bald dorthin, höher oder tiefer auch, bewegt sich in kurzen aber raschen Sätzen jeder einzelne Funken, dessen Farbe bald sapphirblau, bald goldgrün, bald wieder purpurn leuchtet, und dieses wechselvolle Spiel wird noch durch veränderte Intensität erhöht. Ein Meerleuchten bei hellem Tage! Jede Bewegung bringt eine andere Erschei- nung hervor, und jeder Ruderschlag führt die Barke über neue Schaaren hin, bis irgend ein Wind die Oberfläche des Meeres kräuselt und zu Wellen erhebt, und das ganze Schau- spiel sinkt in’ die Tiefe. Solches war zu beobachten an einigen Tagen des Januar 1853. Sonst war dieses Leuchten der Tiefe nur spärlich und. selten. Seine Ursache ist bekanntlich ein doppeläugiger Co- pepode, Sapphirina fulgens Thomps. Bezüglich der zoologischen Merkmale dieses interessan- ten Thierchens habe ich nur für die Körperform und Zahl der Segmente Einiges zu bemerken. Der äusserst flache, bis zu 1'/,'' lange Körper ist elliptisch geformt, vorne breiter, ‘ nach hinten zu sich verschmälernd. Männchen und Weibchen zeigen jedoch in der Körperform merkliche Unterschiede, so. dass man mir vielleicht den Vorwurf machen könnte, nicht Zusammengehöriges vereinigt zu haben, zumal auch die Leucht- erscheinung nur dem Männchen zukömmt, und auch in der in- neren Organisation einige Differenzen zwischen beiden Ge- schlechtern ersichtlich sind. Ich erkläre aber gleich von vorne herein, dass ich für meinen Ausspruch triftige Gründe besitze, indem die bestehenden Unterschiede für zu unbedeutend, die übereinstimmenden Beziehungen aber, so besonders die ganz gleiche Skulptur der Körperanhänge (Füsse u. s. w.) als be- stimmend angesehen werden muss. Auch kann ich noch bei- fügen, dass an jenen „Leuchttagen“ immer die beiden Formen der Sapphirina fast in ganz gleicher Anzahl vertreten waren. Was zuerst die bisher, wie es scheint, allein bekannten Männchen angeht, so kommt der Körper derselben in sei- nen Umrissen mit der von Thompson!) gegebenen Skizze 1) Die „Zoological Researches“ dieses Autors waren mir unzugänglich. [zZ “ Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 65 überein, nur schienen die von mir untersuchten etwas schlan- ker. Körpersegmente zähle ich indessen 10, während der englische Beobachter deren nur 9 angiebt, was ich mir dar- aus erkläre, dass das letzte Körpersegment unrichtig aufge- fasst ward. Statt desselben sind nämlich zwei getrennt ne- ben einander stehende Gliedchen angegeben, deren jedes eine ovale Platte trägt; ich finde aber die Gliedchen an der Basis mit einander vereinigt, so dass sie das letzte, allerdings nur wenig entwickelte Segment bilden, welches auch die After- Spalte trägt!). Der letztere Umstand muss als entscheidend angesehen werden. Das Weibchen ist schmaler, schlanker und auch länger. — Die Körpersegmente verlieren rascher an Breite, gewinnen- aber an Länge und nähern sich dadurch auffallend den verwandten Cyclopiden. Während so die auf den ersten grösseren Körperabschnitt folgenden 4 Segmente (Fig. 2, 2—5) graduell abnehmen, folgt mit dem sechsten Segmente eine plötzliche Verschmälerung. Dieses Stück trägt an einem fussartigen Anhange seiner ersten Hälfte die Eier- säcke, in seiner letzten Hälfte die Genitalöffnungen, und ist doppelt so lang als einer der übrigen Abschnitte (7. 8. 9. 10), die alle von nahebei gleicher Gestalt erscheinen, vorne im- mer etwas verengert, hinten dagegen breiter werdend und mit seitlichen Zacken vorragend. Das letzte, 10te Segment ist von dem des Männchens vorzüglich durch seine Grösse untersckieden und zeigt, anstatt einer beim Männchen sich findenden Einkerbung am Hinterrande, hier einen stumpfen Vorsprung, der die Ansatzstelle der beiden blattförmigen Schwanzanhänge trennt, — Körperbedeckung. Unter dem glashell durchsichtigen Chitinpanzer, der nur hie und da einzelne Streifungen zeigt, liegt eine Schicht plat- ter, polygonaler Zellen, welche über den ganzen Körper zu Ich kenne die Abbildung der Sapphirina nur aus der in der Hist. nat. des Crustaces enthaltenen Copie. 1) Ebenso verhält sich auch eine andere Sapphirina-Art, die statt der beiden Schwanzplatten nur ein” Borstenpaar besitzt. Müller’s Archiv. 1358. Swen 66 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die verfolgen ist. Es ist die Matrix der Chitinhülle, über deren histiologische Bedeutung wir bekanntlich Leydig die wich- tigsten Aufschlüsse zu danken haben. Meine Erfahrungen in diesem Punkte lassen mich ganz den Anschauungen dieses Forschers folgen, und das was ich speciell hier bei Sapphi- rina — auch bei Phyllosoma — gesehen habe, kann jene An- gaben nur bestätigen. | Die Elemente dieser Schicht sind überaus denilich und lassen über das Vorkommen einer besonderen Wandung durch- aus keinen Zweifel übrig, da sie durch Präparation nicht un- schwer zu isoliren sind und sich dabei gruppenweise von der Chitinschicht ablösen !). Es bieten diese Zellenelemente noch ein Andere: Interesse dar, denn in ihnen ist der Sitz der oben erwähnten Farbenerscheinung beim Männchen, während dieselbe Zellschicht, obgleich bistiologisch nicht verschieden, beim Weibchen nichts weiter Bemerkenswerthes aufzeigt. Unter- sucht man todte Exemplare, so findet man bei beiden Ge- schlecbtern die bewussten Zellen einfach und mosaikartig ne- ben einander geordnet und von einer Grösse von 0,03 — 0,06 bestehen. Ein trüber, krümlicher oder fein molekulärer In- halt hat sich mehr nach der Mitte zusammengeballt (Fig. 3) und verbirgt dort oft vollständig den runden, hellen Kern (Fig. 3 a). In einem jeden Segmente aus den hinteren Kör- pertheilen finden sich 2—3 Querreihen dieser Zellengebilde, an denen, wie mich meine Zeichnungen lehren, Theilungen nicht selten sind. Beim Weibchen ist der Zellinhalt während des Lebens durchaus hell, so dass das Studium der inneren Organe nicht im mindesten beeinträchtigt wird. Das Männchen dagegen lässt im Leben beinahe dieselben Erscheinungen an jenen Zellen unter dem Mikroskope erkennen, wie man sie am frei lebenden Thiere beobachten kann, ja ich möchte sogar 1) Von Leydig sind in mehreren Fällen die Zellmembranen die- ser Schicht nicht erkannt worden, so namentlich bei Asiacus, was neuerdings von Häckel (Op. cit.) berichtigt ward. Organisation von Phyliosoma und Sapphirina. 67 das katoptrische Phänomen unter dem Mikroskope betrachtet noch brillanter nennen. Bei durchfallendem Lichte sowohl als bei auffallendem ist der Wechsel des Farbenspiels von Zelle zu Zelle zu beobachten, und während im letzteren Falle nur Metallglanz funkelt, so ist bei ersterem neben dieser Er- scheinung noch ein dioptrisches Farbenspiel sichtbar. Oft grenzt sich eine Zelle von der benachbarten mit grösster Schärfe durch Farbe oder Metallschimmer ab, erscheint gelb, roth oder blau mit den verschiedensten Nuangirungen von einer Farbe in die andere übergehend, jedoch ohne alle Mit- telfarben, ohne Grün, Violet oder Orange. Die: beiden er- sten Farben kommen dagegen bei dem katoptrischen Phäno- men vor, bei welchem Blau die erste Rolle spielt. Betrachtet man die Erscheinung an einer einzelnen Zelle, so findet man den Uebergang von Blau in Roth ohne die Mittelfarbe dadurch zu Stande kommen, dass an einem Theile der Zelle, etwa in einer Ecke derselben, das Blau erblasst, fast grau wird, und dann plötzlich an dieser Stelle ein ro- ther Saum auftritt, der, breiter werdend, über die Zelle in dem Maasse sich ausdehnt, als das Blau gewichen ist, so dass alsbald die ganze Zelle blau erscheint. Dasselbe gilt von Gelb. Die Qualität der Farbe einer Zelle ist völlig unabhängig von den benachbarten Zellen. So erscheinen gelbe mitten im Roth, rothe mitten im Blau. Doch kann auch die Erschei- nung auf benachbarte Zellen überschreiten; vom Rande einer blauen Zelle geht Blau auf die Nachbarzelle über, die eben noch roth war, und so dehnt sich zuweilen eine Farbe über eine grosse Strecke aus. Zuweilen tritt plötzlich in einer und derselben Zelle ein farbloser Fleck auf, in der Mitte oder am Rande, grösser oder kleiner, während der übrige Theil noch iu voller Farbe prangt. Verwandelt man jetzt das durchfallende Licht in auf- fallendes, so leuchtet der Fleck in vollem Metallglanze, wäh- rend die übrigen vorher und nachher gefärbten Parthien dun- kel sind. | Die Zeiträume, innerhalb welcher diese Phänomene ver- 5* 68 '»C. Gegenbaur: Mittheilungen über die ‚laufen, sind verschieden lang, oft wechselt in einer Secunde die Farbe dreimal, ' oft währt eine Farbe mehrere Secun- den lang. | Mit dem Tode des Thierchens, wo sich der feinkörnige Inhalt jedesmal gegen die Mitte hin zusammendrängt, ist die ganze Erscheinung erloschen. Bei diesem Erlöschen ist auch zu beobachten, dass der Sitz des Leuchtens und der Farbe in den Körnchen ist, nicht in dem übrigen Inhalt der Zelle. Ich brauche hier nicht besonders anzugeben, dass die eben beschriebenen Phänomene aus reflectorischen Lichterscheinun- gen, die durch eine eigenthümliche Fähigkeit jener Zellen- schichte modifieirt erscheinen, ihre Erklärung finden können, und dass eben deshalb eine Verwechselung mit dem selbst- ständigeren Leuchten gewisser Thiere unstatthaft ist. Wahre Leuchterscheinung im Dunkeln habe ich nicht beobachtet, ob- gleich ich auch hierauf meine Aufmerksamkeit gelenkt hatte; doch darf ich deshalb diese Eigenschaft der Sapphirina ful- gens nicht absprechen !). Muskelsystem. Die Flachheit des Körpers gestattet eine vollständige Ein- sicht in die Anordnung der Muskulatur. Diese besteht erst- lieh aus zwei breiten Muskelschichten, die sich, sowohl am Rücken als am Bauche herab, durch den ganzen Körper er- strecken, und aus theils durchgehenden, theils an den Rand der einzelnen Segmente sich anheftenden Bündeln bestehen. Es sind die Strecker und Beuger des Körpers. Ein anderer Theil von Muskeln hat seinen Verbreitungsbezirk in den ein- zelnen Segmenten. Es entspringt nämlich je ein Muskelbün- del in der Medianlinie jedes Segmentes und geht von hier aus unter radiärer Vertheilung theils an die beiden nächst- liegenden Segmente, theils (mit seinem mittleren Theile) zu den Füssen. 1) Es ist. möglich, dass früher beide Erscheinungen zusammenge- worfen wurden. So führt Ehrenberg (das Leuchten des Meeres p. 94) unter den von Thompson entdeckten Leuchtthierchen auch eine Sapphirina an. SS. Indicator. Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 69 Die beiden blattförmigen Anhänge des letzten Körperseg- mentes zeigen in ihrer Mitte eine grosse Muskelzelle, die sich nach dem Rand hin verästelt und kleine Zweige, nament- lich an einige dort inserirte Borsten schickt. Beim Weibchen geht diese Muskelzelle noch in das letzte Segment ein und zeigt hier gleiche Verästelung. Die Elemente der Muskulatur sind im Allgemeinen queer- gestreift, doch sind mit diesen auch andere — so z.B. an den Muskeln der Füsse — zu beobachten, die völlig glatt er- scheinen. Auch fand ich die Queerstreifung zuweilen nur in der Mitte einer Faser ausgeprägt und gegen die beiden En- den zu völlig verschwinden. Nervensystem. Der centrale- Theil desselben zeigt hier eine so beträcht- liche Verschmelzung, wie sie unter den Ürustenthieren aus- ser manchen Siphonostomen etwa nur bei Brachyuren und Poecilopoden sich fiudet. Es besteht nämlich nur eine ein- zige, im Kopfbrustsegmente gelegene längs-ovale Masse (Fig.1 a,b), welche vor ihrer Mitte von einer den Oesopha- gus durchlassenden runden Oeffnung durchbohrt ist, und so- mit Kopfganglion (Gehirn) sowie Bauchkette zugleich reprä- sentirt. Auch die Andeutungen der einzelnen Ganglienab- schnitte fehlen, und nur durch die Schlundringöffnung erge- ben sich Anhaltpunkte zur Unterscheidung der als Kopfgan- glion und als Bauchmark anzusehenden Theile. Wie aber aus dem Abgange der peripherischen Nerven zu erkennen ist, kann kein Theil mit Bestimmtheit als Com- missur angesehen werden. Auch mit stärkeren Vergrösse- rungen nimmt man überall eine zellige Struktur wahr, mit Ausnahme am vorderen Rande des als Bauchmark zu deu- tenden Abschnittes, wo durch Queerfaserung eine’ Commissur erkennbar ist. — Durch das Hervortreten einzelner Stellen, von denen stärkere Nerven abgehen, wird die Gestalt des Nervencentrums einem langgestreckten Sechsecke ähnlich, von dem eine kleine Seite vorne liegt und zwei gleich lange schräg verbindet. An diese schliessen sich zwei beträchtlich längere 70 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die nach hinten an, die gegen einander convergiren und die we- gen der hier abgehenden grossen Nervenstämme nur durch eine kurze Seite verbunden sind. . Von Nerven geht in der Mitte des Gehirnabschnittes ein zartes unpaares Stämmchen zu einem nahe davor liegenden, später noch zu berücksichtigenden Organe. Nach aussen fol- gen dann die beiden Augen, dem Gehirn so dicht aufsitzend? dass kein Opticus unterscheidbar wird, und endlich entspringt noch weiter nach aussen ein starker Ast für die Antennen (d). Von den mehr seitlichen Parthien des Nervenringes ab- gehend findet man 2—3 feinere Stämmchen, sowie ein stär- keres (e), welche sich im Kopfbrustschilde verbreiten und verzweigen, und darauf, nach aussen und hinten gerichtet, 3—4 in regelmässigen Abständen entspringende kleinere Ae- ste (f), die gleichfalls im Kopfbrustsegmente ihre Endigung fin- den. Der Theil, von dem sie abgehen, muss schon als Bauch- mark betrachtet werden. Nach rückwärts läuft derselbe Theil jederseits in einen starken Nervenstamm (Fig. 1 g) aus, der alle für die übrigen Körpersegmente bestimmten Nerven ein- schliesst. Beide Nervenstämme laufen nur wenig divergirend nach hinten und geben für jedes Körpersegment einen be- sonderen Zweig (h,h...) ab, der sich schon im je vorherge- henden Segmente vom Stamme ablöste. Das Ende der auf diese Weise beträchtlich reduzirten Nervenstämme tritt als ein feines Fädchen in die beiden blattförmigen Schwanz- anhänge. Sinnesorgane. Die verhältnissmässig mächtig entfalteten Sehwerkzeuge sind zwar in beiden Geschlechtern übereinstimmend gebaut, besitzen aber eine etwas verschiedene Lage, indem sie bei dem Männchen oben auf dem Kopfbrustschilde angebracht sind (Fig. 1 c,c), während sie bei dem Weibchen am vorde- ren Rande desselben liegen (Fig. 2c,c). Auch die Entfer- nung beider Augen von einander ist eine verschiedene, wie man sich aus einer Vergleichung der gegebenen Abbildung Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 1: veranschaulichen kann. Jedes Auge stellt einen Conus vor, dessen Spitze dicht dem Gehirne aufsitzt und dessen Basis von einer mässig gewölbten Öornea gebildet wird. Beim Männchen erscheint die Aequatorialebene der Cornea schräg zur Achse des Augenconus gestellt, d.h. der Kegel besitzt eine schräg abgeschnittene Basis. Die Cornea ist in beiden Geschlechtern gleich gestaltet, linsenförmig, mit vorderer we- niger, hinterer stärker gewölbter Fläche. Ihr Queerdurch- messer beträgt 0,08“. An ihrem Aequator setzt sie sich in den umgebenden Chitinpanzer (Fig. 4 b) fort, entspricht also genau jenen Bildungen, welche vor kurzem Leydig (Archiv für Anat. und Physiol., 1855, p.;376) bei Arthropoden be- schrieben hat, und bei denen er die histiologische Bedeu- tung der Cornea als einer Modification des Chitinpanzers ans Licht setzte. Hinter dieser auch als Linse functionirenden Cornea folgt ein 0,11‘ — 0,12‘ langer Abschnitt des Augen- kegels, der durch eine gallertartige Substanz eingenommen wird, die keine weitere Struktur zeigt und auch ganz gerin- ges Lichtbrechungsvermögen besitzt. Mit Essigsäure behan- delt wird sie trübe. Einen zelligen Bau, oder überhaupt eine etwa durch Kerne angedeutete Zugehörigkeit zu Zellen habe ich nicht beobachten können. Ich vergleiche diese hier mehr als bei irgend einem anderen Arthropoden entwickelte Sub- stanz mit einem Glaskörper, in dessen vorderen Theil die Cornea mit ihrer hinteren Wölbung sich einsenkt, während der hintere Theil gegen einen lichtbrechenden Körper stösst, den ich als Krystallkegel bezeichne (Fig. 4k). Er ist an Seiner der Cornea zugewendeten Basis sphärisch abgerundet, spitzt sich nach hinten zu und sitzt daselbst direkt dem Kopf- ganglion auf. Seine Länge misst 0,13°. Zu 24% seiner Länge .wird der Krystallkegel von einer roth-braunen Pigmentscheide (Fig. 4 p) umgeben, welche innen weiter reicht als aussen, so dass von dem der Aussenseite zugekehrten Abschnitte des Krystallkegels ein grösserer Theil unbedeckt ist, als vom inneren, der dem andern Auge sich zuwendet. [Der freie, aus der Pigmentscheide hervorragende Abschnitt des Krystall- 72 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die kegels st es wohl, den Dana!) bei Sapphirina u.a. als Linse bezeichnet, und von dem er auch hervorhebt, dass er weit von der Öornea abstehe.] Dieser Beschreibung habe ich noch beizufügen, dass jedes Auge eine besondere aus einem durchsichtigen und leicht fa- serigen Gewebe gebildete Scheide besitzt, welche sich ko- nisch von dem Kopfganglion an bis zum Aequator der Cor- nea erstreckt und dort ihre Insertionsstelle hat. Am Kopf- ganglion ist sie in die Hülle desselben zu verfolgen. In- nerhalb dieses Gewebes verlaufen sehr zarte Muskelfasern (Fig. 4m) und zwar 4 an der Zahl, wie mit einer gewissen Beständigkeit zu beobachten war. Wo sie ihren Ursprung nehmen, ist mir nicht ganz. sicher geworden, doch habe ich sie vom Rande der Pigmentscheide an bis vorne an die Cor- nea hin stets angetroffen und auch ihre Contractionen häufig gesehen. Es wird dadurch der Krystallkegel der lichtbrechen- den Cornea genähert, also eine Accommodation im eigent- lichsten Sinne ausgeübt. Es kann bei dieser Beobachtung keine Täuschung mit unterlaufen sein. Das Zucken der Mus- kelfasern, die Ortsveränderung, sowie das Vorwärtsrücken der Krystallkegel (mit der sie umgebenden Pigmentscheide), diess alles ist in bestimmtester Weise gesehen worden. Auch beim zusammengesetzten Auge der Insecten mag ein ähnli- cher, wenn auch nicht gleicher Vorgang statt haben, da Ley- dig (Archiv f. Anat. u. Physiol., 1555, p. 421) dort gleichfalls Muskelfasern beschreibt, die einen ähnlichen Verlauf nehmen. Was die Deutung der einzelnen Theile des Auges angeht, so möchte ich von der von Leydig aufgestellten Theorie nur insofern abweichen, als ich (natürlich nur für den speziellen Fall) nicht alles, was hinter der lichtbrechenden Cornea la- gert, mit dem empfindenden Apparate, dem Krystallkegel, im Zusammenhang stehend ansehen kann. Der von mir als Glaskörper bezeichnete Abschnitt ist ohne ÜContinuität mit dem Krystallkegel, welch’ letzterer sich nicht nur scharf von 1) Ist mir nur aus der Anführung im Jahresberichte für Zooto- mie von V. Carus bekannt. h Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 73 ihm abgrenzt, sondern auch bei der Präparation sogleich sich trennt !), Ein anderer Grund ergiebt sich bei der Beobach- tung der Accommodation, wo mit der Näherung des Krystall- kegels an die Cornea zugleich ein Druck auf die dazwischen liegenden Theile ausgeübt werden muss, ein Umstand, der mit der Annahme einer sensorischen Befähigung nicht recht im Einklang steht. “Die beschriebene Form des einfachen Auges ist- von der bei Insecten und Arachniden vorkommenden wohl zu,unter- scheiden, indem bei diesen nur das lichtbrechende Organ (die Cornea) einfach, die percipirenden Elemente (Krystallkörper) dagegen in Mehrzahl vorhanden sind, daher auch die von Joh. Müller zuerst statuirte, vom Leydig wieder aufge- nommene Vergleichung dieses Auges mit jenem der höheren Thiere. Nicht so ist es bei Sapphirina, deren Auge nur durch die einfache Cornea mit dem Sehorgane besagter T'hiere über- einkommt, während der einfache Krystallkörper, einem ein- zigen Retinastäbchen vergleichbar, von den Formen der Seh- werkzeuge mit mehrfachen empfindenden Elementen sich un- terscheidet. — Zwischen den beiden Augen fällt in beiden Geschlechtern ein kleiner, dreigelappter Körper auf, der, wie schon er- wähnt ist, mit dem centralen Nervensystem sich durch ein Fädehen in Verbindung setzt. Beim Weibchen ist er zudem noch durch zwei seitliche Fädchen mit der Augenscheide in Verbindung (Fig. 1x, Fig. 4x). Es lassen sich in beiden Ge- schlechtern an diesem Organe kleine lichtbrechende Körper erkennen, beim Männchen zumeist 3, beim Weibchen 2, die durch eine dunkle Pigmentmasse vereinigt sind. Das Ganze hat somit eine Aehnlichkeit mit einem Auge, doch ist die Er- 1) Bei dem zusammengesetzten und beweglichen Auge der Daph- niden, dann bei den einfachen durch Verschmelzung geminirten Augen- bildungen der Cyclopiden u. a. endet der Krystallkörper in ganz glei- cher Weise mit abgerundeter Fläche, und es ist hier nicht der min- deste Zweifel möglich, dass noch etwas vor dem Krystallkörper Lie- gendes zu demselben gehöre und etwa nur eine fernere Modification des Nervenendes sei. 74 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die scheinung der lichtbrechenden Körper von jener der Krystall- stäbchen verschieden, sie stellen vielmehr nur einfache, rund- liche Bläschen oder Zellen dar. Durch sein Vorkommen bei einer grösseren Anzahl niede- rer Crustaceen erhält diess Gebilde einige Wichtigkeit. So ist es bei vielen Phyllopoden bekannt, wo ihm von Sie- bold (Vergl. Anatomie p. 445) ebenso wie dem schwarzen Punkte vor dem Auge mehrerer Daphniden die Bedeutung eines aus dem Jugendzustande übrig gebliebenen einfachen Auges zuschreibt, während Leydig das analoge Organ für Artemia, Branchipus und Argulus (Zeischr. f. wiss. Zool. Bd.Ill, p. 296) als einen blossen Pigmentfleck anspricht.. Mehr im Anschlusse an die ersterwähnte Auffassung äussert sich W. Zenker (Anatomisch-systemat. Studien über die Krebsthiere p. 27), der noch mehrfache treffende Belege für die Bedeu- tung dieser Organe als Larvenaugen anführt. Ich nehme kei- nen Anstand, dieser Theorie mich anzuschliessen, und halte das geminirte, einfache Sehorgan für das Auge der Larve, welches ausser seiner Einfachheit noch durch seine enge Ver- bindung mit dem Gehirne ausgezeichnet ist '!). So fand ich auch das Auge der Larve einer Lernaeonema, dann auch bei einer anderen Sapphirina, der die entwickelteren Sehwerk- zeuge abgehen. Es erhält dieses Auge niemals eine Linse (im Sinne Leydig’s), indem die Chitinhülle des Körpers ohne Theilnahme darüber hinweggeht. In dem Entwicke- lungsgrade können vielfache Schwankungen vorkommen, in- dem es oft nur durch Pigmentmasse angedeutet ist, wenn das spätere vollkommene Auge sehr frühe schon sich bil- det (Daphniden), oder indem es mit dem vollkommneren Auge zwar persistirend bleibt, aber eine regressive Metamor- phose erleidet. So bei Artemia, Branchipus, Argulus, Sapphi- rina fulgens u, s. w. Da wo das vollkommenere Sehorgan niemals sich entwickelt, übernimmt dann das Larvenauge dessen Rolle auch im späteren Lebenszustande (Cyclopen, 1) Die Entfernung dieses Organes vom Gehirne bei 'Sapphirina muss wohl durch die Entwickelung erklärt werden. Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 75 Sapphirina sp.). Demzufolge wären die beiden Augen der Sap- phirina fulgens morphologisch den Augen der Cyclopen nicht analog, sie entsprächen nur den vollkommneren Augen, wie sie in zusammengesetzterer Weise bei Argulinen, Daphni- den, Phyllopoden u. s. w. vorkommen, und wie sie Cyclops entbehrt. — Gehörorgane, die den Entomostraten im Allgemeinen zu fehlen scheinen, sind auch von mir nicht beobachtet wor- den, und wenn Leuckart (Arch. f. Naturgesch. 1853 p. 265) die eigenthümlichen Kugelbildungen im Leibe einer neuen von ihm beobachteten Sapphirina von Otolithen unterscheidet, so kann ich diesem nur beistimmen, indem auch ich diese Ku- geln, wenn auch nicht gerade aus Fett, so doch aus einer organischen weichen Substanz bestehend, erkannt habe. Verdauungsapparat. Derselbe beginnt mit einem in der Mitte des ersten Kör- perabschnittes (der Kopfbrust) gelegenen trichterförmigen Schlunde, der, sich steil nach oben erhebend, gegen das Nervensystem sich begiebt und hier enger werdend, durch den Schlundring hindurchtritt. Die enge Speiseröhre (Fig. 1i) geht in einen rautenförmigen Magen über, dessen seitliche Parthien sich zu zwei flügelförmigen Blindsäcken gestalten. Aeusserlich erscheinen diese abgerundet, innerlich aber wei- sen sie zwei starke vorspringende Zellenhaufen auf, welche von vorne und hinten her das Lumen der Blindsäcke veren- gern. Die Breite des Magens beträgt 0,20— 0,24", die Länge 0,1“. Das Ende des Magens geht allmälig, ohne bestimmte Grenze, in einen den ganzen übrigen Körper gerade durch- laufenden Darm (1) über, der nach den Geschlechtern sich sehr verschieden verhält. Beim Männchen stellt er sich als ein schmaler Strang dar, mit kaum erkennbarem Lumen, während er beim Weibchen um das Vierfache weiter sich herausstellt; ein Unterschied, der gerade bei den Entomo- straten am wenigsten auffallen kann, da wir die Verkümme- rung des gesammten Ernährungsapparates bis zum gänzlichen Fehlen sowohl bei Siphonostomen- als Cirripedien-Männchen 76 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die vielfach kennen lernten!). — Der im letzten Segmente lie- ' gende After stellt eine Längsspalte vor. | Bezüglich der Struktur des Darmkanals habe ich überall eine äussere Ringfaserschicht beobachtet, die einer Längs- schicht aufliegt. Nur am Magen scheinen beide undeutlich, insofern sie hier ein Geflecht bilden; an den Blindsäcken ist dann die regelmässige Anordnung wieder erkennbar. Ueber der Ringschicht ist am eigentlichen Darmabschnitte eine helle, scheinbar homogene Hülle bemerkbar, in welcher an einzel- nen Stellen grössere Zellgruppen liegen und den Contour des Darms etwas uneben erscheinen liessen. Mit dem Innern des Darmrohrs stehen diese Zellenhaufen jedoch in keiner Beziehung. Als Epithel des Darms erkannte ich eine Schicht mosaikartig angeordneter Pflasterzellen, die vom Ende des Magens an — beim Weibchen — eine grünliche oder bräun- liche Färbung besitzen. Von einer Chitinhaut habe ich keine Aufzeichnung gemacht. | Der Darmkanal wird durch besondere Muskeln in seiner Lage fixirt. Zwei solcher Fasern setzen sich, schon an das Endtheil der Speiseröhre; ein ganzes Bündel einzelner vom Rücken kommender Fasern geht an die Enden der Magen- blindsäcke, und endlich sind noch am übrigen Darme flügel- förmige Muskeln angebracht, die auf beiden Seiten alterni- rend fast in jedem Körpersegmente zu finden sind, und in ihrem Baue an die des Insectenherzens erinnern, Durch ihre Contractionen erweitern sie das Darmlumen. | Als Leber möchte ich die beiden Magenblindsäcke an- sprechen, die mit den 'Leberschläuchen der Cycelopiden, 'der Cypridinen u. a. Aehnlichkeit besitzen, und auch die beiden Zellenhaufen in jedem Blindsacke sprechen hiefür. Sie kön- 1) Auch bei der schon mehrmals erwähnten anderen Sapphirina- Art ist, dieses Verhalten sichtbar, Der Darm des Männchens zeigt auf dem trichterförmigen Pharynx einen kurzen ÖOesophagus ‚und darauf eine längliche Magenerweiterung, der die seitlichen Blindsäcke abge- hen. Auf der übrigen Strecke stellt sich der Darm fast wie ein Fa- den dar, an dem man nur schwer ein Lumen’ ausfindig macht. Ich habe auch nie Contenta in ihm gesehen, | Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 77 nen als’ die absondernden Stellen betrachtet werden. Doch ist ihre Funetion nur unbedeutend im Vergleiche mit der übrigen, grünlich gefärbten Epithelfläche des Darmes, so dass man die Blindsäcke mehr als die rudimentären Analoga eines Leberorganes sich vorstellen muss. Circulationsorgane. Diese werden durch ein Herz repräsentirt, welches in Form eines rundlichen, dünnwandigen Schlauches über dem Oesophagus liegt, durch zwei seitliche Ligamente befestigt. Durch eine hintere Oeffnung wird. die wasserklare Blutflüs- sigkeit ins Herz aufgenommen und durch eine vordere wie- der ausgetrieben. Geformte Theile sind im Blute äusserst spärlich vorhanden; desshalb ist. es schwer seine Bahnen im Körper zu verfolgen. | Geschlechtsorgane. Der männliche Apparat besteht aus zwei mit einander verbundenen Hoden und zwei langen Ausführgängen, die kurz vor ihrem Ende zu Samenblasen erweitert sind. Die Hoden liegen über dem Magen und erscheinen als spindelförmige queergerichtete Schläuche (Fig. 5 a), mit dem inneren Ende gegen einander geneigt und zu einem unpaa- ren, nach rückwärts sehenden Fortsatze (b) verschmolzen. Dieser ist am Rückentheile des zweiten Körpersegmentes an- geheftet und wird von einer kleinzelligen Substanz erfüllt, ‚welche das Lumen der beiden Hodenschläuche scheidet. Die Länge eines der letzteren beträgt 0,08". Das äussere Ende jedes Hodenschlauchs (ce) ist gleichfalls durch mehrere Fa- sern der Körperhülle angeheftet und geht in einen dünneren, spitzwinklig nach innen sich einbiegenden Kanal, das vas de- ferens, über, welches nach zweimaliger Biegung (Fig. 1m)‘ parallel mit dem der anderen Seite nach hinten verläuft, Vom dritten Segmente an schwillt es allmälig bis zu 0,01“ Durch- messer (Fig.1 m’) und zeigt im sechsten Segmente eine starke Einschnürung, auf welche eine ovale Erweiterung folgt. Diese (n) betrachte ich als Samenblase, denn ich habe sie sehr 718 C. Gegenbaur: Mittheilungen über die häufig mit Sperma prall gefüllt getroffen, selbst dann noch, wenn das vas deferens völlig leer erschien. Die Längsachse der Samenblase ist schräg nach innen gerichtet, ihre Aus- mündung liegt am Hinterende des sechsten Segmentes auf einer kleinen, ringförmig umwallten Papille.. Bezüglich des feineren Baues dieser Theile kann ich nur anführen, dass die Wandung der gesammten ausführenden Wege einen Ring- faserbelag aufweist, der sich bis an den Hoden erstreckt. Die Spermatozoiden der Sapphirina stellen 0,08‘ lange, anscheinend wenig bewegliche Fäden vor, die nach beiden Enden äusserst fein auslaufen und vor der Mitte ihrer Länge etwas dicker sind. Die weiblichen Organe zeigen im Ganzen denselben Ty- pus als die männlichen, obgleich sie in ihrer äusseren Con- figuration viel reicher entfaltet sind. Sie stellen zwei, vor- züglich die Seitentheile des Körpers einnehmende, gebogen verlaufende Schläuche vor, die sich sowohl nach vorne als auch nach den Seitenrändern des Leibes verästeln, und die in der Gegend des Magens durch eine queere, breite Brücke unter einander in Verbindung stehen. Von der Commissur (Fig.2d) der beiden Geschlechtsorgane gebt ein Fortsatz nach rückwärts (e), der an das Chitinskelett sich befestigt. Die Verästelungen der seitlichen Parthien sind nach dem Ent- wickelungszustande der Geschlechtsprodukte von verschiede- nem Umfange; ihre Verästelungen erstrecken sich im vorder- sten Segmente bis seitlich an die Augen, im übrigen Körper sind sie nur noch bis zum dritten Segmente vorhanden; von, da an beginnt der Ausführgang (g), der das vierte, fünfte und sechste Segment unter allmälicher Verengerung durch- zieht, um am hinteren Rande des sechsten Segmentes seit- lich nach aussen zu münden (h). Den sich verästelnden Theil der Geschlechtsorgane trifft man mit Eiern gefüllt, die sämmtlich auf gleicher Entwicke- lungsstufe stehen, der Reife näher oder ferner; sie füllen selbst die äussersten, blinden Enden der Verzweigungen und lassen niemals hier Uebergänge der jüngeren Zustände wahr- nehmen. (In der Abbildung Fig. 2 trifft man das Organ mit Organisation von Phyllosoma und Sapphirina. 79 solchen noch nicht völlig ausgebildeten Eiern gefüllt, welche noch das Keimbläschen zeigen, d.h. nicht den grobkörnigen Dotter besitzen, der letzteres allemal verdeckt.) Dieser Um- stand veranlasste mich, die Bildungsstätte der Eikeime nicht in dem verästelten Organe zu sehen, wie denn auch die aus Ringfasern bestehende Muskulatur des Organs, sowie seine scharf abgegrenzte Epithelschicht der Bedeutung eines Eier- stockes gleichfalls nicht sehr günstig ist. Dagegen fand ich die, beide verästelte Organe verbindende Brücke (d) immer mit Zellenelementen angefüllt, welche nach aussen in Eier übergehen. Es muss also hier die Keimstätte der Eier, das Ovarium sein. Wenn die verästelten Schläuche leer erschie- nen, waren hier immer reiche Bildungen von Keimen ange- häuft, die sich mehr oder minder gegen das verästelte Or- gan hin erstreckten. Letzteres muss deshalb als eine Art Uterus betrachtet werden, in dem die Eier, frühzeitig einge- treten, ihre Reife erlangen und vorzüglich die Dottermasse sich anbilden. Man kann es auch als Eiergang mit verzweig- ten Divertikeln ansehen. Mit dem Ovidukte mündet zugleich jederseits ein Drüsen- schlauch (Fig. 2 i) nach aussen, der zum Theile noch in das nächstfolgende (Tte) Segment einragt, einen etwas ın förmig gebogenen Verlauf besitzt und in der Medianlinie des Körpers mit dem der andern Seite zusammenfliesst, ohne sich jedoch mit ihm zu vereinigen. Es ist diess die Kittdrüse, welche bei den Cyclopiden durch Zenker (l. c. p. 101) angedeutet, neuerdings aber durch Klaus (Archiv f. Naturgesch. 1857) in umfassender Weise nachgewiesen ward. Das analoge Or- gan der männlichen Cyclopen habe ich bei Sapphirina ver- misst, was vielleicht in der mangelnden Spermatophorenbil- dung seine Erklärung findet. Die Eier besitzen eine Grösse von 0,036‘ und sind im reifen Zustande himmelblau gefärbt. Nach der Entleerung aus dem Ovidukte werden sie, in zwei gegen 80 Stück enthaltende Säckchen vereinigt, an die beiden Füsschen befestigt, die vom ersten Abschnitte des Ge- nitalsegmentes enispringen. 80 ©. Gegenbaur: Mittheilungen über die Erklärung der Abbildungen. Taf. IV. Fig. 1-5. Organisation von Phyllosoma mediter- raneum. Fig. 1— 3 bei gleich starker Vergrösserung, Fig. 4—5 stärker ver- grössert. Fig. 1. Nervensystem. a. Gehirnmasse. b. Sehnerven. c. Anten- nennerven. d. Die beiden Commissuren. e. Die vorderen 6 zu einer Masse verbundenen Brustganglienpaare. f. Die hinteren 6 Brustgan- glienpaare. £‘. Durchtrittsstelle der Baucharterie. &. Die 6 Schwanz- ganglien. Fig. 2. Verdauungsapparat. a. Muskulatur für die Kauwerkzeuge. b. Kaumagen. c. Chymusmagen. d. Darm. e. After. f. Leberschläuche. g. Ausführgang der Leber in den Magen. h. Drüsenorgane. Fig. 3. Geiässsystem. A. Herz. a. Augenarterie. a‘. Fühlerarte- rien.‘ b. Zweige für das Gehirn. c. Augenäste. d. Arterien für die problematischen Drüsenorgane, e. Kieferarterien. f, f‘, £“... Leber- arterien. g. Arterienast für die inneren, h. für die äusseren Fühler. i. Rückenarterie. kI—kVI, Seitliche Zweige derselben. 1. Stamm der Baucharterie. m. Hinterer, m‘. vorderer Theil derselben. n—.n‘“. Aeste für die Kieferfüsse. ol—oV. Aeste für die Füsse. p. Seitliche Aeste der Baucharterie im Postabdomen. Fig. 4 Eine Verzweigungs einer Arterie in einem Anhange des Post- Lo) oO bs) oO abdomens. a. Chitinhülle. b, b‘, b’, b“‘. Muskelbündel. c. Arterien- zweig in ein Capillarnetz übergehend. Fig.5. Herz von der Rückenfläche aus gesehen. o. Obere Spalten. u. Untere Spalten. TafaV: Organisation von Sapphirina fulgens. Fig. 1. Männchen, vergrössert. a. Nervenmasse, dem Kopfgan- slion entsprechend. b. Bauchmark, mit dem vorigen zu einem Ner- venringe vereint. c. Augen. d. Fühlernerven, e. f. Nerven für das erste Körpersegment. g, g. Nervenstämme, von denen Aeste h,h,... für die übrigen Körpersegmente abgehen. ji. Speiseröhre. k. Seitliche Blindsäcke des Magens. 1. Darm. m. Vas deferens. m‘. Angeschwol- lenes Ende desselben. n. Samenblase.. x. Rudimentäres Auge. Fig. 2. Weibchen, vergrössert. a, c. wie in Fig. 1. d. Ovarium. e. Rücklaufender Fortsatz desselben. f. Eiergang mit seitlichen Blind- schläuchen (Uterus). g. Eileiter. h, Vulva. i. Kittdrüse. Organisation von Phyllosoma tınd Sapphirina. 81 Fig. 3. Stärker vergrössert. Zellen aus der weichen Hautschicht des Männchens. a. Kern. Fig.4. Augen des Weibchens, stärker vergrössert. a. Lichtbre- chende Cornea. b. Vorderrand des Körpers. s. Augenscheide. m. Mus- kelfasern. k. Krystallkegel. p. Pigmentscheide desselben. x. Rudi- mentäres Auge. Fig. 5. Stärker vergrössert. a, a. Die beiden Hoden. b. Unpaa- rer Fortsatz von der Vereinigungsstelle derselben. c. Anfang des Vas deferens. Fig. 6. Spermatozoiden. Müller’s Archiv, 1858, 6 82 | [7 0. G@egenbaur: Zur. Kenntniss der Krystallstäbchen im Krusten- thierauge. Von Prof. Dr. C. GEGENBAUR. (Hiezu Taf. IV. Fig. 6.) Die Wichtigkeit der neuerlich vorzüglich durch Leydig’s Untersuchungen geförderten Kenntniss der feineren Struktur- verhältnisse des Arthropodenauges veranlasst mich zur Ver- öffentlichung einer im verflossenen Herbste gemachten Beob- achtung, die geeignet sein dürfte die vielleicht bei Manchem noch bestehenden Zweifel über den Zusammenhang der Kry- stallstäbchen mit dem Nervenapparat zu heben oder doch einer Lösung näher zu bringen. Ein am der normannischen Küste auf treibenden Fucus- massen in wenigen Exemplaren eingefangener Amphipode aus der Abtheilung der Hyperiden !) fiel mir ebenso durch den gänzlichen Pigmentmangel der sehr entwickelten Augen auf, als mich die durch eben diesen Umstand ungemein deut- lich erkennbare Struktur des ganzen Sehorganes überraschte. Unter der als Cornea zu deutenden Parthie der den Kopf überziehenden Chitinschichte, die wie bei den übrigen Ver- wandten völlig glatt, ohne Andeutung einer Facettenbildung erschien, fanden sich die Enden der „Krystallkegel“. Diese erschienen hier als kolbenartige, angeschwollene, sphärisch 1) In Milne-Edwards, Hist. nat. des Crust., finde ich keine Gattung, auf die ich die erwähnte Hyperide beziehen könnte, Zur Kenntniss der Krystallstäbchen im Krustenthierauge, 83 abgerundete Gebilde, mit stark lichtbrechender Eigenschaft. Sie stiessen mit diesem Ende bis dicht unter die Cornea, ohne aber mit ihr irgend verbunden zu sein, und setzten sich mit dem anderen Ende continuirlich in immer dünner werdende Fäden fort, die auf geradem Wege (für die beiden Augen zwei Bündel bildend) zu dem Kopfganglion und bis in dasselbe hinein zu verfolgen waren. Die Pigmentlosigkeit des Auges — auch der übrige Kör- per ist glasartig durchscheinend — gestattet hierüber nicht den mindesten Zweifel, sowie auch durch herauspräparirte Objecte unter besonderen Cautelen das ganze Verhalten klar erscheint. Die Beschaffenheit dieser Körper, deren für jedes Auge etwa 40— 50 treffen, zeigt sich in Uebereinstimmung mit den analogen Gebilden anderer Arthropoden. Der vordere, kol- bige Abschnitt (Fig. 6 a) misst 0,034— 0,036‘ im Queerdurch- messer; er ist stark lichtbrechend, von weicher, fast galler- tiger Consistenz, so dass er in frischem Zustande unter dem Deckgläschen zu zerfliessen beginnt. Eine Struktur, sei es Schichtung oder etwas, das auf einen zelligen Bau hinwiese, habe ich selbst bei starken Vergrösserungen nicht wahrneh- men können. In süssem Wasser löst er sich unter Imbibi- tionserscheinungen auf, nachdem er vorher in kleinere Klümp- chen zerfallen; im Seewasser bietet er grössere Resistenz. Mit Essigsäure behandelt treten Biegungen, wellige Faltun- gen auf, begleitet von einer Art von Gerinnung. Je weiter man das kolbige Vorderende gegen das Gehirn zu verfolgt, desto mehr findet man das Lichtbrechungsvermögen verrin- gert, und in gleichem Maasse auch eine grössere Resistenz auftreten, so dass der fadenförmige Abschnitt anstatt durch verdünnte Essigsäure zerstört zu werden, dadurch nur noch deutlicher und schärfer contourirt erscheint. Eine membranartige Hülle ist nur an dem Faden des Kıy- stallkörpers unterscheidbar, nach vorne verliert sie sich voll- ständig, ohne dass eine bestimmte Grenze angegeben werden kann. Sie geht oben’ in den scharfen Contour des lichtbre- chenden Abschnittes über. Das Innere des Fadens, der, wie 6* 84 C. Gegenbaur: Zur Kenntniss der Krystallstäbchen etc. _ erwähnt, bis ins Gehirn eindringt, erscheint nur etwas ge- trübt, ohne Körnchen oder Faserung. Die Dicke beträgt dicht vor dem Gehirne 0,0024. Wie sich die Enden im Gehirn verhalten ist mir unbe- kannt geblieben. Die Kleinheit des Gehirns und seiner zel- ligen Elemente setzte jeder weitern Forschung eine Schranke. Dessenungeachtet lässt sich aber der Zusammenhang über- sehen, und die direkte Verbindung der Stäbchen mit dem Nervencentrum ist hier ohne Dazwischentreten compliciren- der Elemente nachweisbar. In Weingeist conservirte Exem- plare lassen das Geschilderte eben so deutlich erkennen, ja die vorderen Enden der Stäbchen sind beträchtlich resistent, beinahe sogar brüchig geworden. Diese Form der „Krystallkegel“ entspricht den einfache- ren Bildungen, wie sie bei anderen Amphipoden, z. B. Gam- marus, dann bei Phyllopoden und Daphnoiden bekannt sind. Nur sind diese Krystallkegel beträchtlich kürzer, und das Pig- ment, in das sie eingesenkt sind, verhindert den offenen Nachweis des Zusammenhangs mit dem Nervensysteme, wäh- rend hier die Kegel in Fäden sich fortsetzen, die bündelför- mig vereinigt, einem Opticus vergleichbar, zum Gehirne ge- hen. Demgemäss kann man auch hierin eine vermittelnde Bildung erkennen zwischen jenen Augenformen, welche di- rekt dem Kopfganglion aufsitzen, und jenen, bei denen eine deutliche, meist noch mit einem eingeschalteten Ganglion ver- sehene Optieusbildung zu Stande kömmt. Guido Sandberger: Einige conchyliologische Beobachtungen. 85 Einige conchyliologische Beobachtungen I von Dr. GUIDO SANDBERGER, Gymnsasiallehrer zu Wiesbaden. T. Das Schiffsboot, Nautilus Pompilius Linne. Aus Ostindien. A. Die Härte der verschiedenen Theile der Schale. a) Die Epidermisschicht, in welcher eine Spur Phosphor- säure nachweisbar ist, hat nach der Mobhs’schen Skala 4,5 bis 5. b) Die Querscheidewand (Septum) = 3,5 bis 4. c) Der Verklebungskalk (Callus) des Nabels = 3 bis 4. B. Das specifische Gewicht, dessen Ermittelung ich der Güte des Hrn. Prof. Dr. Greiss verdanke, zeigte sich: a) für die Querscheidewand = 1,596. b) für den Verklebungskalk des Nabels = 2,669. C. Die Windungskurve des Gehäuses, welche Mose- ley und Naumann als ®/, angegeben haben, ist bei 3 wohl- erhaltenen Exemplaren von mir gemessen worden. Die Be- rechnung dieser Messungen, welche von Ober- Schulrath Dr. “Müller angestellt wurde, ergab aber nicht °/,, sondern ?/, und zwar bei zwei ausgewachsenen und einem jüngeren Exem- plare, so dass wohl kaum an der Richtigkeit dieses (uotien- ten %, zu zweifeln sein dürfte. | Die Messung und Berechnung des grössten der drei er- wähnten Exemplare ist von mir bereits in von Meyer und 86 | Guido Sandberger: Dunker’s Palaeontographieis Band IV, p. 185 angegeben worden. Die beiden anderen Messungen nebst zugehöriger Berech- nung sind die folgenden: Das Exemplar 2. (Sammlung des Realgymnasiums zu Wiesbaden.) Axe I Axe II. Axe III. | Axe IV. Successive “ 5 : R % e= E “= Durchmesser. 2 E 7 = 2 = 2 = 8 3 8 3 & 3 8 3 alrelhlalhe 5 Jalö J)al 8 lJal dla aa" 16-17 Cm, Mes, Hier >|; 1 | 10,96 | 7 a db‘ 9,5 7 | BORN, | 736 |; I 6,355 |, 7 b’ b‘ 554 2/ı | 4,8 Fı | 4,23 2/ 3,7 2/ı 10% ce’ 3,25 2/1 | 2,8 %/ı 2,37 2/ı 1,90 2] ec’ ce“ 1,6.. 1,4 \ 1,09 0,8 Bemerkung. Die Maasse sind mit Centimeter-Maass- stab ermittelt. Das dritte untersuchte jüngere Exemplar, in meinem eige- nen Besitz; konnte ich nur auf zwei rechtwinkligen Axen messen. Es ergab: | Axe I Bet Successive | . je 1 n. 5 15) = © Durchmesser. | = E = = © S Ö = © (eb) © (eb) 5 m oa | } Sad 1,05 | 7 | 5,14 | 7 a’ ıp° 3,98 2/ı 3 3 2/ı b’ br 225 | 2, 177 7 be 11,48], ji | 980 ec 0,56 D. Breitenzunahme. Um auch darüber Aufschluss zu erhalten, wurde ein viertes, in meinem Besitze befindliches Exemplar, fast ausgewachsene Schale, centrirt, senkrecht auf Einige conchyliologische Beobachtungen. 87 die Windungsebene durchgesägt und auf einer Sandsteinplatte völlig geebnet. Durch Messung und Rechnung ergab sich: Breitezunahme. Breitezunahme. 9,44 ehe | 2 a | Andrädid PR n b) 1,85.) au 4b) 158 5, co) 0,83 co) 0,75 7 Bemerkung. Der grösste Durchmesser a’ a” war = 11,0 Centim, Es überraschte mich, dass auch hier der Quotient der Breitenzunahme mit demjenigen der logarithmischen Spirale der Windung übereinstimmt, nachdem ich vorher (vgl. Dun- ker und v. Meyer Palaeontogr. IV, p. 183 und 189) bei Ce- ratites nodosus diese Uebereinstimmung bei dem Quotienten 3/, gefunden hatte. E. Ueber die Struktur der schwarzen Schicht dieses Con- chyls habe ich a. a. O. p. 184 nebst Fig. 1 der Taf. XXXVI meine Beobachtungen mitgetheilt. F. Auch habe ich bei mehreren jüngeren Exemplaren an der Innenseite, zwischen den Kammerscheidewänden am Ge- häuse fortlaufend, Längsstreifungen sehr deutlich wahrge- nommen, welche mir ähnlich bei Steinkernen von Orthoceras und Goniatites in Schwefelkies und Rotheisenstein schon frü- her aufgefallen sind. B: Das Gewinde zweier Conus-Arten: a) Con. marmoreus Lin. b) Con. litieratus Lin. Bemerkung. Dermalen konnte ich die Messung nur auf zwei senkrecht auf einander stehenden Axen bewerkstelligen. — Die. Berechnung, ist von Ober-Schulrath. Dr. Müller zu - Wiesbaden. | Bei a) wurde das kurze Gewinde auf einer Sandstein- platte völlig geebnet. 88 Guido Sandberger: a) Conus marmoreus Lin. ”) ee suee | Axel. Axe Il. Axel. Successivell) 0-.(4 % - ‚s |Successive E ar, Durch- 8 2 5 3 Durch- ® 2 messer. 2 ei) a E messer. 2 3 E05 | 5 \Le a © SR = RE Be a a 2,70 v2 2,46 6 a’ a'' 3,25 7% a‘ b/‘ 2,30 5/4 2,03 77 a'' b‘ 2,78 > b‘ b“ 1,86 1,71 6), b’ b‘ 2,36 77 b“ e° 1,95 6; 1,43 2 b4. 2,00 % ec 1,30 6% 1,18 76 ce ec" 1,67 67; cl 1,09 |, Is 1,00 | , /i cd 1,39| rn ar? 0,94 0,82 d’ d‘“ 1,18 2 4“ 4 a) Der Quotient ®/5 herrscht vor. a Br e/r U 44 RR} Logarithmische Spirale. URN 0,86 77 ei f 0,70| z /a Ih 0,56| , " DB? 0,48 b) Auch hier herrscht bei der lo- garithmischen Spirale Quotient 6/- III. 5 Vor, Axe Il. 2,99 27 2,96 6% lei, 180.|, 1,51 6, 1,25 6% 1,06 6% 0,89 5% 0,74 67% 0,61 7/ 0,52 Die Spirale des Deckels von Turbo rugosus. Der Deckel des genanuten Turbo, früher officinell unter dem Namen Umbilicus marinus oder auch Venusnabel, hat wenige Spiralwindungen auf seiner ebneren Seite. Gute Ab- bildung vgl. in Bronn Johnston’s Conchyliologie Fig. 81a auf p. 518. Zwei Exemplare habe ich gemessen auf je 2 rechtwink- ligen Axen. Auch hier fand sich durch die von Ober-Schul- rath Dr. Müller gemachte Berechnung, wie folgt, die lo-. garithmische Spirale von dem Quotienten Yas-. GE bei Nr.2 nach °/, schwankt, Einige conchyliologische Beobachtungen, 39 ne 1 ET TEE TS TEE REED Bestes Exemplar Nr. 1. Ziemlich gut Nr. 2. Axel. | Axel. | Axel. | Axe II Successive 1% | 5 | 3 = 3 | E | Er Durchmesser.| 2 E ne; er 2 = RE MN MER = © [3) © I! © © © | o EI = = 2 = IR = er arte af ala" al al 1,51 | 3 190 3 1,67 2 1,28 | 5, TS /2 /2 a /i /ı ar b 0,95 77 0,75 3,1% 7 0,66 2/ı b’ b’’ 0,58 3/2 0,46 3/2 FR 3/2 2/ı 3/2 b 0,39 3/a 0,29 | 3/2 0,32 3/a 0,29 3/a Als ee Ua EYE RUE EV DE Ey KRZR ed‘ 0,16 0,14 | 0,12 Die Härte dieser Deckel finde ich 4—5. Flussspath wird noch stark geritzt, Apatit greift nur wenig an. Bemerkung. Auf der sehr conyvexen Seite eines sonst nicht gerade vorzüglich entwickelten und mit minder scharf ausgebildeter Spirale versehenen Exemplares, welchem die Färbung auf der Convexität ganz fehlt und welches also ganz weiss auf dieser Seite erscheint, ist die höchste Erhebung dick granulirt, nach dem Rande hin findet sich aber wieder die Finger-Gyren -ähnliche Runzelleistenbildung, welche bei Cephalopoden und Gastropoden öfters vorkommt. (Des Nau- tilus schwarze Schicht, C/ymenia- und Ammoniten - Runzel- schicht, Smynthurus ater u. s. w.) Wiesbaden, 7. Juli 1857. 90 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen Geschichtliche und kritis@He Bemerkungen über Zoophyten und Strahlthiere. an JOH. MÜLLER. (Gelesen in der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Berlin am 6. Januar 1857.) Aristoteles giebt im IV. Buch der Thiergeschichte das Sy- stem seiner blutlosen Thiere, der heutigen Wirbellosen. Das sind 1) die Weichthiere, Malakia (die jetzigen Cephalopoden), 2) die Malacostraca, unsere Orustaceen, 3) die Insecten, En- toma, zu welchen er auch die Spinnen rechnet, und 4) die Schalthiere, Ostracoderma. Würmer als besondere Thierclasse kommen bei ihm nicht vor; er sah Würmer, Muss, in den Spongien, hist. anim. 5. 14!), auch erwähnt er Ilelminthen in den Thieren 5. 17. Er weiss aber seine Helminthen nicht von den Larven der Insecten zu unterscheiden. Seine See- skolopender, ozolonerdo«ı Yalcırıcı, sind ohne Zweifel Bor- stenwürmer, er erwähnt ihrer bei den Schlangen, hist. anim. 2.10. Sie sind den Landskolopendern ähnlich, aber röther und um weniges kleiner, und haben zahlreichere und dün- nere Beine. Er weiss sie nicht von den Schlangen zu un- terscheiden. Unter den Schalthieren, Ostracoderma, handelt er auch die Seeigel ab, hist. anim. 4. 5. und später die See- sterne d. 13. Den Seeigeln lässt er die Tethyen, unsere jetzigen Asci- 1) Ich citire nach der Ausgabe von Schneider. über Zoophyten und Strahlthiere. 91 dien, folgen, die sehr kenntlich beschrieben sind als festsit- zend, versehen mit zwei von einander getrennten Oeffnungen’ zur Aufnahme und Ausscheidung und deren Bedeckung zwi- schen Schale und Haut in der Mitte steht, hist. anim. 4. 6. Sie sind wenig von den Pflanzen verschieden, aber thieri- scher oder lebendiger, (onzwreo«, als die Spongien, de part. animal. 4.5. Cuvier, mem. sur les Ascidies, sagt, Ges- ner und Aldrovandi hätten angefangen die Geschichte der Ascidien zu verdunkeln, dass sie mit den Tethyen des Ron- delet diejenigen des Belon verbunden, welche nichts als Alcyonium seien. Dies ist unrichtig. Denn die Tethyen des Belon sind in der That etwas ganz Anderes als Alcyonium, vielmehr echte und gute Tethyen, d.h. Ascidien. Cuvier hat wahrscheinlich nur die Figur von Belon, nicht seinen Text beachtet, und jedenfalls die entscheidende Bemerkung Belon’s von dem Wasserspritzen und vom Verkauf auf dem Fischmarkt zu Venedig übersehen. Es handelt sich nach der Abbildung sowohl, als dieser Bemerkung, um Ascidia miero- cosmus, die auch in Marseille gewöhnlich auf dem Fischmarkt ist und gegessen wird. Auf die Tethyen lässt Aristoteles als etwas Eigenar- tiges die Meernesseln, zr,id«: Oder azehngeı , hist. anim. 4. 6, folgen, die gar keine Schale besitzen, sondern ganz fleischig sind. Auch hist. anim. 5. 14 unterscheidet er von den Schal- thieren, Ostracoderma, andere Thiere, die gar keine Schale besitzen, und nennt hiebei die Nesseln und die Spongien, welche daher bei ihm wieder eine besondere Classe, also fünfte Classe der blutlosen Thiere bilden, da er sie bei den Malakia, Weichthieren, niemals aufführt und vielmehr unter Malakia immer nur die ÖOephalopoden versteht. Jürgen " Bona Meyer in seinem Werke „Aristoteles Thierkunde, Berlin 1855“, worin das Aristotelische System vortrefflich analysirt ist, hebt es mit Recht hervor, dass beim Aristo- teles nur der Name für diese fünfte Classe fehle, welche Wotton Zoöphyta nennt. Arıstoteles hat sie indess selbst schon wenigstens als schalenlose, z« un &yovıa ootoaze, be- zeichnet, hist. anim. 5. 14. Er ist zweifelhaft, ob die Spon- \ 92 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen gien empfinden, erwähnt die dafür angeführten Gründe und "sagt, dass Einige dies Empfindungsvermögen bezweifeln, hist. anım. 1.1 und 5. 14. Sie haben die Kräfte der Pflanzen und verhalten sich ganz wie Pflanzen, insofern sie nur angewach- sen. leben können, de part. 4. 5. Er unterscheidet mehrere Arten von Spongien und unter diesen eine, die grössere Kanäle enthalte, sonst ganz dicht und zerschnitten dichter und zäher als die gewöhnlichen Spongien und ganz lungicht, ouvolov nvsvuovodes, Sei, und: von der man am meisten über- einstimme, dass sie Empfindung besitze, hist. anim. 5. 14. Ich führe dieses deswegen an, weil es das Einzige ist, was eini- gen Anhalt gewähren kann für die Vorstellung von der Form und Structur dessen, was er die Seelunge, zvevumv,. nennt. Er erwähnt sie übrigens nicht bei den schalenlosen, sondern hist. anim. 5. 13 unter den Schalthieren nach den Seesternen. ...Von den Pflanzen wenig verschieden nennt er die soge- nannten Holothurien und Seelungen, z& JE zaAovueva öAohor.ore za of nveluorss. Sie unterscheiden sich von den Spongien, dass sie nicht angewachsen sind, aber sie haben keine Empfin- dung und leben wie Gewächse, die nicht angewachsen sind, de part. 4.5. alo9noıv ulv yao ordsular Eye, Ci dt woneo Ovre pura anolelvueve. An einer andern Stelle, hist. anim..1.]1, werden die Holothuria auch unter den unbeweglichen Thieren mit den Austern angeführt: noAA« de anols)uueve utv 2orır, - azivnre ÖE 0lov VoTgE«, zaL T& zu,ovusve 6Aodovgıe. Die Holo- thurien des Aristoteles sind also empfindungs- und bewe- gungslose, aber freie und nicht angewachsene Wesen. Es ist unmöglich zu errathen, was damit gemeint sein kann. Die Körper, an welche als anolsAvueva beiläufig zu denken ist, könnten etwa sein die Pyrosomen, Alcyonium domuncula, wel- ches leere von Krebsen bewohnte Schneckenschalen umhüällt, oder die im Meere umhergetriebenen leeren grossen Eierhül- senmassen von Buccinum undatum. Auch muss man hiebei an abgerissene Algen denken, wie das zur Algengattung Co- dium gehörende Alcyonium bursa von Liune und Pallas, welches die Fischer in Neapel Meerball palla marina nennen und welches nach Cavolini’s Bemerkung im Winter oft an über Zooplıyten und Stralilthiere. 03 den Strand geworfen wird; welches Alles auch bei den See- lungen des Aristoteles in Betracht kommen würde. Ks könnte aber auch sein, dass Aristoteles unsere heutigen Holothurien, aber nur todt gesehen; denn manche Arten wer- den sehr oft nur starr und geschlossen gebracht, wie ich 2. B. Pentacta doliolum in "Triest nie anders erhalten habe. Jedenfalls ist eine sichere Spur unserer heutigen Echinoder- mengattung Holothuria im Aristoteles nicht aufzufinden. Die Holothurien im letzten Sinne wurden schon im 16. Jahr- hundert zu den Zeiten des Belon im Süden Europa’s überall wie heute Meerpenis, Genitale marinum, Cazo marino genannt, und auch die Namengeber unter den Beschreibern blieben mög- lichst in diesem naiven und derben Vorstellungskreis, wie nicht bloss Belon’s Bezeichnung, genitale marınum, pudendum, mem- bre honteux marin, sondern auch das pudendum regale des Fabius Columna (Holothuria regalis) beweiset. Nun kömmt zwar beim Aristoteles, hist. anim. 4. 7. unter den Fischer- nachrichten von einigen eigenthümlichen mit der Angel auf- gezogenen Thieren, welche, wie er sagt, wegen ihrer Selten- heit nicht auf ihre Gattung bestimmt werden können, auch ein Meerpenis vor, aber dieser weicht von den heutigen Ho- lothurien gänzlich ab. Das ist nämlich ein doppelt geflügel- ter Meerpenis, an Gestalt und Grösse der menschlichen Ruthe ‚gleich, mit dem Unterschiede, dass er statt der Hoden mit zwei Flügeln versehen ist: air d2 duoı« aldoim dvdoös 10 dR eidos zei 76 ueyedos, nAnv avi zov boysnv nıeovyas Eyeıv dvo. In dem geflügelten Meerpenis lässt sich mit der grössten Be- stimmtheit eine Seefeder, Pennatula, erkennen. Was sonst noch an dieser Stelle von Aristoteles unter den seltenen mit der Angel aufgezogenen Gegenständen erwähnt wird, ist -unbestimmbar. Darunter sind Dinge von balkenförmiger Ge- stalt, schwarz, drehrund und gleichförmig dick; öuore doxurs uelava orooyyulo 18 tooneyy, was an Holothuria tubulosa er- innert. Ferner: Anderes Schildern gleich, roth und mit vie- len Flügelfortsätzen versehen, &reo« JE donioıv Öuoıe 16 uiv zg90ua 2ov3oa nıeguyıa d’&yovıa nuzve, Welches letztere wieder auf eine Seefeder bezogen werden kann, wenn es nicht viel- 94 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen leicht auf die von Bohadsch abgebildeten strahligen, gelb- rothen Eiermassen von Loligo zu beziehen ist. Doch verlas- sen wir lieber diese anderen seltenen, unbestimmbaren Sa- chen und bleiben wir bei der Gewissheit stehen, dass das ouoıov eidoim ardoös die Seefeder ist, Rondelet, welcher die Stelle des Aristoteles vom geflügelten Schamglied nicht beachtet zu haben scheint, wenigstens nicht anführt, bemerkt doch bei der Abbildung der Seefeder aquat. U, p. 129, dass die Fischer bei ihm zu Lande sie mentula alata nennen, Ob das in Späteren, z.B. Athenaeus, vorkommende «eidolov Ial«r- zıov, von dem nichts Bestimmtes ausgesagt ist, auch die See- feder oder etwas Anderes bedeutet, ist ungewiss. Denn beim Athenaeus liest man darüber nichts weiter, als dass Epi- charmus, wie Nikander sage, zö aldolovr Hakcızrov Colyb- daena nenne, eine Stelle, die an sich schon nur ein gelehrtes Hörensagen ist und nur durch gelehrtes Geschwätz erläutert werden könnte. Von einer nähern Verwandtschaft der Seeigel und See- sterne, welche an verschiedenen Orten der Thiergeschichte abgehandelt sind, hatte Aristoteles keine Ahnung, ebenso wenig Rondelet, der sie auch wieder an ganz verschiede- nen Stellen beschreibt, da die Seeigel im ersten Theile sei- nes Werkes, de pisc. marin. Lugd. 1554, die Seesterne im zweiten Theile desselben, universae aquatil. hist. pars altera, Lugd. 1555, abgehandelt sind. Rondelet ist derjenige, der die unbestimmbaren Holo- thuria des Aristoteles auf ein Thier der heutigen Holo- thurien angewandt und fixirt hat, a.a. O.1II, p. 125. Er ver- „mengt jedoch in der Holothuriorum secunda species ein an- deres nicht zu den Echinodermen und Holothurien gehöriges Thier. Eine Beziehung seiner Holothurien zu den Seeigeln und Seesternen hat er nicht geahnet. Die erste kenntliche Beschreibung einer wahren Holothu- rie unter dem Namen genitale marinum, membre honteux, cazo marino, findet sich bei Belon de aguatilibus, Paris 1593, p. 441. Er beschreibt die Füsschen, die Mundtentakeln, beide mit Acetabula, den Knochenring am Mund und den Darm, über Zoophyten nnd Strahlthiere. 95 der wie bei Echinus ist. Es hat lange gedauert, bis der Name Holothuria nur auf einerlei Thiere und zwar die heutigen Ho- lothurien Anwendung gefunden hat. Sehr lange hat man da- mit sowohl die jetzigen Holothurien als die Actinien genannt, und Arten beider Gattungen standen zusammen zu einer Gat- tung Holothuria vereinigt, bis im vorigen Jahrhundert die skandinavischen Zoologen, zumal OÖ. F. Müller, den Namen auf die jetzigen Holothurien fixirten, nachdem schon Linne den Namen Actinia auf die .Actinien beschränkt hatte. In Linne’s System, welches die Abtheilung Vermes in Vermes intestina, Vermes mollusca, Vermes testacea und Vermes 200- phyta eintheilt, standen die Seesterne, Seeigel und Holothu- rien bei den Vermes. mollusca mitten unter den schalenlosen Schnecken, Anneliden, Medusen, Polypen. Wie schwierig die Auffassung des Unterschieds. der Ho- lothurien und Actinien war, und wie schwer die Erkenntniss der wahren Stelle der Holothurien im System neben den See- igeln und Seesternen war, geht daraus hervor, dass selbst Pallas diese Verwandtschaft nur in noch verschleierter Weise ahnete, Pallas spieil. 10. will die Holothurien nur als eine Abtheilung des Geschlechtes Actinia ansehen; er sagt, man kann sie von den Seeanemonen kaum mit hinlänglichem Grunde absondern, obgleich er bemerkt, dass sie ihre weichen Spit- zen gleich den Seesternen wie Füsse gebrauchen. Auch ist noch keine volle Klarheit in der tiefer blickenden Bemerkung, dass die Natur in diesen Actinige vagae s. Holotkuriee den Uebergang von den Seeanemonen zu den Seeigeln und See- sternen mache. In Blumenbach’s Handbuch der Nase lern 1779 fehlen die echten Holothurien gänzlich. Seine Vermes cru- .stacea bestehen richtig aus gleichwerthigen zusammengehö- renden Bestandtheilen, wahren Echinodermen, den Gattun- gen Echinus, Asterias, Encrinus, und es ist die gleichwerthige Verwandtschaft der Encrinen mit den Seeigeln und Seester- nen hier zum erstenmal erkannt oder entdeckt. Erst in der 12. Ausg. des Handbuchs der Naturgeschichte 1830 erscheint endlich die echte Holothurie, aber unter den Vermes mollusca, 96 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen die Vermes crustacea heissen jetzt im Jahre 1830 erst Echi- nodermen. Blumenbach hatte es also selbst im Jahre 1830 noch nicht dahin gebracht, einzusehen, dass die Holothurien Echinodermen sind. i Bei Bruguiere tableau eneyclopedique standen nach den Unterschriften der Kupfertafeln die Holothurien noch bei den Vers mollusques, die Seeigel und Seesterne sind Vers echi- nodermes genannt, und ist also der Name Echinodermata, den Klein zuerst für die Seeigel gebraucht hatte, hier vor- erst auf die Seesterne ausgedehnt. Die Erklärung der be- züglichen Abbildungen gehört bekanntlich einer viel spätern Zeit an und ist hier von mir nicht berücksichtigt. Die Vereinigung der Seeigel, Seesterne und Holothurien unter dem Namen Echinodermes ist das Verdienst Cuvier’s, der diese Olasse im Jahre 1795 in seinem tableau el&Ementaire de l’hist. nat. des animaux gegründet hat. Ich habe diess Verdienst nächst der Gründung der Anneliden und der Grün- dung und Begrenzung der Mollusken als eine der wichtigsten Reformen Cuvier’s bewundert. Ich bin aber sehr erstaunt gewesen, als ich in meinen historischen Studien über die Quelle der Erkenntniss und der Fortschritte auf diesem Felde auf Belon gestossen bin, der jetzt vor 300 Jahren schon ganz - die Uebereinstimmung der Seesterne, Seeigel und Holothu- rien und ihrer charakteristischen Organe, der ambulacralen Füsschen, erfasst hatte, welches man in dem folgenden Jahr- hundert nicht im Stande war zu verstehen und welches bis auf diesen Tag unbeachtet geblieben ist. Hätte Rondelet diese vor seinen Schriften schon richtig erkannten und pu- blicirten Thatsachen verstehen können, so hätte dieser grosse Mann Grund genug gehabt, statt auf Belon eifersüchtig und bitter zu sein, ihn zu bewundern. ' Denn das war offenbar der hervorragendste Fund in der Zoologie des 16. Jahrhun- derts und eine der wichtigsten Beobachtungen für die zoolo- gische Systematik aller Zeiten. Rondelet’s geharnischte Aeusserungen voll einer Kritik und Belastung der gehässig- sten Art, de pisc. marin. p. 115, sind theils gegen Belon, theils gegen Salviani deutbar. Er sei zu Rom und Paris über Zoophyten und Strahlthiere. 97 angeführt worden. Ich habe des Conflicts dieser Männer, welche gleichzeitig grosse Werke über ähnliche Gegenstände vorbereiteten und publieirten, schon in meiner Abhandlung über den glatten Hai des Aristoteles gedacht und auch ihre Berührung in Rom besprochen. Gesner hat sich über diese Eifersucht und Zanksucht mahnend und warnend er- klärt, übrigens den Rondelet und Belon durch Abdurcken ihres Textes und ihrer originalen Abbildungen gleich behandelt. Belon beschreibt de aquatilibus p. 441 das Genitale ma- rinum also: Genitale marinum vulgus itallcum cazo marino, graecum psoli nuncupat. Exangue maris purgamentum. Suas promusecides quando vult exserit. Acetabulis quae in promu- scidibus habet, lapidibus haeret, in quibus plus quam quatuor millia nonnunquam annumeres. Ex anteriore autem capitis parte rursus cerinitas emittit veluti arbusculas acetabulis ple- nas, quibus quiequid palpat ad os adducit. — Os in gyrum os- sieulis dentatum habet, praeterea nullis ossibus alibi praeditum. p. 386 heisst es von den Seeigeln : promuscides autem Echi- norum edulium linguis eicadarum vel muscarum similes sunt, stellarum et pudendorum marinorum modo, easque tam cre- bras habent, ut dinumerari nequeant, quibus undique eircum septi adhaerescunt, extrorsum autem non apparent, concidunt enim in se ipsos contracti. p. 388 dann von den Seesternen: proinde stellas natura iüsdem armaturis hoc est praemuscidibus munivit quibus pu- dendum et Erinaceum cet. In der französischen Ausgabe nennt er sie jambes, pieds. Belon la nature et diversite des poissons. Paris. 1555, p. 39. In dem ganzen grossen Zeitraum von Belon bis auf Cu- vier finde ich keinen, der die Verwandtschaften der Holo- thurien richtig aufgefasst hätte, ausgenommen Plancus, der in dem Werke de conchis minus notis Cap. 6 Tab. VI. Fig. D. E.F einen Echinus coriaceus abgebildet hat, in welchem eine Holothurie zu erkennen ist. Nachdem Cuvier diese Materie in die rechte Lage ge- bracht hatte, was bald Beifall und Nachahmung gefunden hat, ‚and die Natur der Encrinen durch Blumenbach viel früher Müller’s Archiv. 1858 7 98 Joh. Mülier:, Geschichtliche und kritische Bemerkungen richtig erkannt war, haben Renier und Lamarck neue Üon- fusion in die Systematik dieser Thiere gebracht. Renier un- terscheidet in seinen Tavole per servire alla classificazione e conoscenza degli animali. Padova 1807: I. Classe. Politrimi (Spongia et Alcyonium). II. Classe; Polipi (amorfi oder Infusoria, Rotifera und Strahlpolypen, d. h. Polypen mit Encrinus). III. Classe. Radiati. Sie zerfallen in molli (Medusen incl. Beroe und Lucernaria) und Tubulati (Sipunculus und Holothu- ria und Echinodermi, Seesterne und Seeigel). Bei Lamarck ist .Encrinus unter den Polypen, Comatul« unter den Echinodermen aufgestellt, die er in Stelleriden, Echiniden und Fistuliden theilt, aber seine Fistuliden enthal- ten ausser den Holothurien auch die Actinien und die Gat- tungen Priapulus und Stipunculus. (Freilich haben wir es in einer noch viel spätern Zeit wieder erlebt, dass Peniacrinus unter die Polypen versetzt worden ist.) In den Ausgaben des regne animal von Cuvier von 1817 und 1829 werden zu den Echinodermen gerechnet die Aste- ‚rien, Encrinen, Seeigel und Holothurien, unter den fusslosen Echinodermen figuriren neben Molpadia, einer echten Holo- thurie, die den Echinodermen gänzlich fremden Gattungen Minias, Priapulus, 'Sipunculus wieder. Die inneren und äus- seren Theile der Sipunculiden und Echiuriden sind ohne alle Kalkabsätze, ein Echinoderm ohne echinoderme Kalkgebilde und auch ohne Füsse ist ebenso viel, als ein Echinoderm, dem Alles fehlt um ein Echinoderm zu sein. Es gleicht dem Lichtenbergischen Messer ohne Klinge, an dem der Griff fehlt. Blainville’s Echinodermes (Actinologie 1834) enthalten diese unechten oder fusslosen Echinodermen nicht mehr. Gehen wir jetzt wieder zu der andern Ulasse von Radia- ten zurück, von der Spuren in den Aristotelischen Schriften vorkommen, zu den Nesseln, die Aristoteles bald zvidaı, bald axaiygpeı nennt. Es sind, wie wir schon gehört haben, Thiere ohne alle Schale, ganz fleischig. Er theilt sie in fest- sitzende und freie, aroAsAvueve, welche umherwandern, uere- zwogovor. Eorı dE ı1wv zvıdav dvo y£yn. ei ulv yao Ev rois zollıoıs über Zoophyten und Strahlthiere. 99 00x anoivovıcı ?x av neromv, ai Ö'Emı )eloıs zur nlaraundecıy _ gnokvdusvor usreywgovor. hist. anim. 5. 14. Eorı Ö? zal 10 av axulngov yEvos Ldıov" noosmepvze ÖR Teig nerocıs wonep Evıa av Dorgazod&oumv anokvsre Ö’viore, und weiter: za) dmolvsıcı d& yEvos Tı eizov. hist. anım. 4.6. Vergl. de part. anim. 4.5. Rondelet hat die Nesseln mit Recht auf die Actinien und Medusen bezogen und die Ansicht derer widerlegt, welche die Medusen in den Seelungen, zvevuoves, erkennen wollten, wie zuerst von Gyllius in seinem Werk de gallieis et latinis no- minibus piscium massiliensium (1533) und wieder von Belon geschehen. Das erste steinige, festgewachsene Zoophyt erscheint in der Eschara des Rondelet, welche nach der Abbildung eine Retepora war, dermalen der Classe der Bryozoen angehörend. Die Geschichte der Zoologie in den folgenden Jahrhun- derten ist mit den zahlreichen Entdeckungen der Polypen- gattungen ausgefüllt, von welchen Aristoteles nur die fest- sitzenden Nesseln, d. h. Actinien, und ohne Kenntniss der Beziehungen zu den Nesseln die Seefeder kannte. Es ge- nügt für unsern Zweck, nur einen Augenblick bei der Ent- deckung der Polypen an den Polypenstöcken der Lithophy- ten oder Corallen durch Peyssonell (1727) zu verweilen, und eile ich vielmehr den systematischen Arbeiten zu, welche in das ungeheure Feld der polypenartigen Zoophyten einige Uebersicht und zuletzt auch eine glücklichere Ordnung ge- bracht haben. | Linne hatte die Medusen und einen Theil der Polypen bei seinen Vermes mollusca, die übrigen Polypen bei seinen Vermes zoophyta untergebracht. . Die Zoophyten von Pallas (Elenchus ae Hag. 1766) bestehen aus den Gattungen Hydra, Eschara, Cellula- ria, Tubularia, Brachionus, Seriularia, Gorgonia, Antipathes, Isis, Millepora, Madrepora, Tubipora, Alcyonium, Pennatula, Spongia. Die Actinien, Medusen und Echinodermen fehlen unter diesen Zoophyten. In den zoologischen Tabellen vom J. 1800, welche den 7% 100 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen lecons d’anat. comp. von Cuvier beigegeben sind, erschei- nen die Zoophyten mit den Mollusken, Würmern, Urusta- ceen, Insecten ais Olassen der Wirbellosen und noch unge- fähr wie in Cuvier’s tableau &l&mentaire d’hist. nat. des ani- maux. Sie bestehen aus: 1) Echinodermen. 2) Urticae (Aciinia, Medusa). 3) Infusoria. ‚4) Hydrae (Hydra mit Vorticella). ‚3) Eigentliche Zoophyten (Floscularia, Tubularia, Capsu- larıa, Sertularia). 6) Eschara. 7) Ceratophyta. 8) Lithophyta. 9) Spongia. Dieser wenig glücklichen und sehr verworrenen Qlassification folgte 1812 in den ann. du mus. XIX. die Eintheilung des Thierreichs in 4 Abtheilungen: die Wirbelthiere, Mollusken, Articulaten und Zoophyten, und die Eintheilung der letz- teren in Intestins, Echinodermes, Radiaires, Polypes, Infu- soires, in dem beigefügten tableau aber in Echinodermes, Intestins, Polypes und Infusoires. Im regne animal von 1817 sind die Zoophyten ebenso behandelt, die Polypen sind von den Acalephen unterschieden und diese in Acalephae liberae und fizae (Actinia, Zoantha,' Lucernaria) eingetheilt. Unter den Polypen befinden sich auch die Spongien. In der zwei- ten Ausgabe des regne animal (1829) sind dagegen die Aca- lephae ficrae mit den Polypen vereinigt und bestehen die Aca- lephae bloss aus den Medusen. In Lamarck’s Classe der Polypen bemerken wir einen Bruchtheil der Infusorien, ferner die Räderthiere friedlich zu- sammen mit den Polypen, Spengien und Encrinen. Seine Classe der Radiaria enthält: 1) die Medusen, 2) die Echino- dermen mit Einschluss von Priapulus und Sipunculus, 3) die Tunicata. Die Tunicaten hatte Cuvier in seiner meisterhaf- ten Begrenzung der Mollusken, welche mit Ausnahme der Cirripeden noch heute Bestand hat, als Mollusken erkannt, » über Zoophyten und Strahlthiere. 101 worüber schon die Homologie der Ingestions- und Egestions- | röhre der Ascidien mit den Athemröhren der Muscheln und die Stigmata an den Kiemen der Muscheln und mancher Aseidien entscheidend sind. In Blainville’s Actinologie (1834) sind voran unter der Bezeichnung als falsche Zoophyten die physograden und cilio- graden Medusen, die Entozoen, Räderthiere und Infusorien abgesondert. Dann werden die übrig bleibenden als echte Zoophyten bezeichnet und in Strahlthiere (Actinozoaires) und Spongien (Amorphozoaires) eingetheilt. Die Strahlthiere be- stehen aus den Echinodermen, Medusen und verschiedenen anderen Abtheilungen, welche grösstentheils künstlich gebil- dete Gruppen von Polypen enthalten. Da eine vollständige Uebersicht über die fruchtlosen Ver- suche in diesem Theile der Wissenschaft nicht beabsichtigt wird, so will ich hier abbrechen mit der Bemerkung, dass alle diese unglücklichen Versuche, eingeschlossen Schweig- ger und so viele Andere, keine bemerkenswerthe Spur von Dauer in der Wissenschaft zurückgelassen haben. Die Polypen in der einen oder andern Auffassung blieben immer eine unglückliche Vereinigung verschiedenartiger Ge- schöpfe, bis Ehrenberg sie in Anthozoen und Bryozoen zersetzte und die Bryozoen zuletzt ganz aus den Polypen ausgeschieden wurden und eine selbstständige Classe von Thieren bilden, welche sich von den Polypen durch den Be- sitz eines vollständigen Darms unterscheiden. Es fehlte jetzt weiter nichts, als die Acalephen oder Medusen mit dem Rest der Polypen, d.h. den Anthozoen zu vereinigen, um wieder zu den Acalephen des Aristoteles und ihren beiden For- men Urticae fixae und liberae. zurückzukehren, mit dem Un- terschied, dass dem Aristoteles die srehtsten Nesseln noch unbekannt waren. In der That, die Entdeckungen über das Verhältniss der Hydroiden zu ‘den Medusen, dass einige der Hydroiden nur Generationsstufen zu Medusen sind, haben es nöthig gemacht, entweder die Hydroiden aus den Polypen oder Anthozoen ganz zu den Medusen herüberzunehmen, wie Agassiz und Vogt thun, oder mit Leuckart die Acalephen - 102 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen Cuvier’s und die Anthozoen in einer Classe der Coelente- rata zu vereinigen, welche vollkommen berechtigt ist. Man sieht jetzt, wie wenig Grund Blainville hatte, es zu ta- deln, dass Aristoteles die Actinien und Medusen vermenge. In dieser Classe der Coelenterata giebt es nur Thiere von sehr übereinstimmender Organisation, aber grossen Entwik- kelungsverschiedenheiten; es giebt darin eine Menge festsit- zender Polypen ohne Generationswechsel, neben freien Me- dusen mit polypenförmiger Generationsstufe und dem von Sars entdeckten Generationswechsel der Medusen und ne- ben.diesen wieder andere Medusen aus derselben Abtheilung der Discophoren, welche keine solche polypenförmige Gene- rationsstufe, keinen Generationswechsel besitzen, nach den Beobachtungen von mir, von Gegenbaur und Krohn, gleichwie. auch die Otenophoren nach mir und die Siphono-. phoren nach Gegenbaur keinen Generationswechsel zu be- sitzen scheinen. Alle Coelenteraten sind mit Nesselorganen versehen. Charakteristisch für die Coelenteraten, aus verschie- denen Abtheilungen sind auch die in der Jugend vorkommen- den vorstreckbaren Magenlappen, zwei solche. besitzt der junge Cereanthus (Dianthaea nobilis Busch), zwei ähnliche Gebilde sind bei Gegenbaur an einer jungen Cydippe be- obachtet. An jungen Actinien sah ich ähnliche Fleischlappen in der Körperhöhle sich auf und ab treiben, und ich möchte hieher auch die vier Fortsätze im Magen der jungen Medusa aurita rechnen, welche Sars beschrieben und abgebildet hat. Ich besitze Zeichnungen von manchen der Dianthaea naheste- henden, aber davon verschiedenen jungen Polypen, die mit zwei vorstreckbaren Magenfortsätzen versehen sind. Auch Cuvier’s Eintheilung der Thierwelt in 4 Abthei- lungen (1812): Vertebrata, Mollusca, Articulata, Zoophyta oder Radiata ist dermalen schon gänzlich veraltet. Es war will- kürlich, die Anneliden unter die Articulata, die übrigen Wür- mer (Intestina) unter die Zoophyta zu bringen. Ein Nemertes besitzt so gut Blutgefässe und Herzen wie ein Blutegel, und ist ihm wenigstens soweit verwandt, dass er nicht in einer anderen grösseren Abtheilung des Thierreichs stehen kann, über Zoophyten und Strahlthiere. 103 wenn es dergleichen giebt, d. h. wenn Gliederthiere, Mollus- ken, Zoophyten den Wirbelthieren gleichwerthige Abtheilun- gen sein sollen. Ein Nemertes hat ferner ebenso wenig etwas radiäres an sich, als andere Intestins, eine Planarie, ein Ce- stode, ein Trematode. Ich will übrigens hier nicht in die bei dem dermaligen Zu- stande der Wissenschaft unlösbare Aufgabe eingehen, wie man sich die Verhältnisse der verschiedenen wurmförmigen Wesen, der Anneliden, Turbellarien, Helminthen, Sipuncu- liden und Echiuriden zu einander zu denken habe. Ich be- schränke mich auf die Bemerkung, dass die Wurmform allein kein Princip zu Verbindungen sein kann, wie man deutlich an dem Beispiel der Holothurien sieht, welche trotz ihrer Wurmform dermalen so entschieden alle fremden Einmen- gungen aus den Würmern, wie ehemals aus den Seeanemo- nen überwunden haben. Die Natur hat oft deutlich genug die Bewegungsorgane als bindende Unterschiede an die Spitze gestellt. So lässt sich als Wurmtypus hinstellen, dass die Bewegungsorgane hauptsächlich in einer allgemeinen subcu- tanen Museulatur bestehen, ohne die besonderen fleischigen Organe der Mollusken (Fuss, Arme, Flossen), ohne die Glie- derfüsse der Arthropoden, ohne die ambulacralen Röhren der Echinodermen, ohne die Rhizopodie der Polythalamien. Die Natur hat aber die allgemeinen Typen der Bewegungsorgane hier mit sehr verschiedenen Graden von Complication der Or- gansysteme verwirklicht und es wird, indem man dem Prineip der Bewegungsorgane allein folgt, hier das nach der Compli- cation der Organsysteme weit aus einander Liegende leicht . mehr künstlich als natürlich vereinigt werden. Bei allen For- men der Echinodermen sind die constituirenden Organsysteme überall in sehr übereinstimmender Weise angelegt, das Ner- vensystem, Blutgefässsystem, Wassergefässsystem der Am- bulaera u. s. w., und sind die Echinodermen das vollkommen- 2 sie Beispiel einer gleichen Organisation und Zusammensetzung B in einer Olasse. Bei den Würmern stösst man von den An- neliden abwärts überall auf Beispiele grosser Abweichungen. "Welche Wurmabtheilungen den Anneliden gegenüberzustel- 104 Joh. Müller: Geschichtliche und kritische Bemerkungen ien, ob die Würmer mit Blutgefässsystem, Anneliden, Ne- mertinen, Sipunculiden und Echiuriden, als Gefässwürmer, Angielminthen, zu vereinigen und den gefässlosen gegen- überzustellen, ob diese Unterschiede oder diejenigen vom Nervensystem an die Spitze zu stellen, darüber sind jetzt dermalen verschiedene Ansichten offen und ist die entschei- dende Kiarheit der Zukunft der Wissenschaft anheimgegeben. Auch die Infusorien, welche unter Cuvier’s Zoophyten als Classe erscheinen, haben zum grossen Theil nichts Ra- diales an sich, viele, sogar die meisten sind gerade durch den Mangel der Symmetrie, sowohl der bilateralen als ra- dialen und spiralen, ausgezeichnet. 5 Die erst in neuerer Zeit entdeckten Thalassicollen, Poly- eystinen und Acanthometren, mehrentheils mit Kieselgerüsten versehen, sind den kalkschaligen Polythalamien durch ihre rbizopoden Füsschen zunächst verwandt. Diese Verwandt- schaft ist dermalen nach den Beobachtungen der letzten Jahre so wohl begründet, als es die Verwandtschaft der Seeigel, Seesterne und Holothurien nach den Beobachtungen über die Füsschen derselben war, Während nun in den Thalassicollen, Polyceystinen und Acanthometren überall der vollendetste ra- diäre Typus, die vollkommenste radiäre Symmetrie herrschend ist und dadurch eine Abtheilung von Rhizopoden mit radiärer Symmetrie, Rhizopoda radiaria, begründet wird, so ist da- gegen der radiäro Typus in den nächstverwandten ARhizopoda polythalamia gänzlich untergeordnet und tritt vielmehr nur sel- ten, wie in den Orbulinen, hervor, dagegen unter den mehr- sten der übrigen gewöhnlich der spirale oder schneckenför- mige Typus herrschend ist. Beispiel genug einzusehen, dass sich die gestrahlten Thiere nicht sämmtlich in einer aus mehreren Olassen bestehenden Abtheilung des Tbierreichs im Sinne von Ouvier verbinden lassen, und dass zumal die Vorstellung von Radiaten oder Zoophyten als letzter Grundform im Thierreich, sofern sie alle niederen Thiere umfassen sollte, gänzlich aufgegeben werden muss. Eine solche Abtheilung ARadiaria ist auch in der Weise von Lamarck verfehlt, bei dem zwar die Infu- über Zoophyten und Strahlthiere. 105 sorien und Polypen darin fehlen sollen, aber in der That nicht darin fehlen, während dagegen die Echinodermen bei den Polypen fehlen sollen, aber in der That nicht darin feh- len. Der grösste Mangel liegt aber schon in dem Ausschluss der Polypen, als wenn diese weniger radiär als die Medusen wären. Eine Abtheilung Radiaria als grössere Abtheilung des Thierreichs müsste daher heut zu Tage mindestens die Echinodermen und Coelenteraten, und könnte ausserdem höch- stens noch die echten Bryozoen umfassen. Aber man muss gestehen, dass die Grundform Radiata an ihrem Werthe über- haupt das Meiste verliert und künstlich angewandt erscheint, da sie, wie wir oben gesehen, in den nächsten Verwandten der Polythalamien wiedererscheint. Ob übrigens die rhizopoden Infusoriengattungen mit den Polythalamien, Thalassicollen, Polycystinen und Acanthome- tren in eine Reihe gehören, bleibt so lange zweifelhaft, als es nicht gelingt, die für die Infusorien so charakteristischen Organe, welche den rhizopoden Infusorien mit den anderen Infusorieu gemein sind, die contractilen Blasen und ihre Aus- läufer in den Polythalamien, Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren wiederzufinden. 106 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie Blick auf den gegenwärtigen Standpunkt der Eth- nologie in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. ° Von Professor A. RETZIUS in Stockholm: (Vorgetragen bei der 7ten Versammlung skandinavischer Naturforscher in Christiania 1856. Aus dem Schwedischen übers. von W. Peters.) Ex Aıs der geehrten Versammlung vor zwölf Jahren eine Dar- stellung gegeben wurde „von der Schädelgestalt bei verschiedenen Völkern“, welche sich auf dasjenige stützte, was zwei Jahre ‘vorher bei der Versammlung der skandinavischen Naturforscher in Stockholm vorgelegt wurde, war diese Lehre noch ganz neu und ungeprüft, von unge- wisser Zukunft und sehr lückenhaft. Seit dieser Zeit hat die dort angenommene Formeintheilung sowohl an Bestimmtheit als an Umfang zugenommen. Um hiervon eine kurze Rechen- schaft abzulegen, habe ich gewagt, einige Augenblicke die Zeit der geehrten Versammlung in Anspruch zu nehmen. A. Europas Schädelformen. Ich zeigte früher, dass die Mehrzahl der westeuropäi- schen Völker Dolichocephalen, dagegen die Brachycephalen auf der grossen Strecke von Osteuropa vorherrschend seien. Ich habe diess seitdem von vielen Seiten bestätigt gefunden. B- in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. ]07 Europas Dolichocephalen. Norweger und Normannen in Frankreich und England, Schweden, Dänen, Holländer, Germanen { Flamänder, Burgunder, _ Deutsche von germanischem Stamm, Franken, Angelsachsen, Gothen in Italien und Spanien. . Oeltische Schotten, = Irländer, Orthognathen. - Engländer, Wallonen, Gallier in Frankreich und der Schweiz, Deutschland u.a. O., die eigentlichen Römer, die alten Hellenen und ihre Abkömmlinge, Celten Seitdem ich das erste Mal die Darstellung mittheilte, welche sich in den Verhandlungen der ersten Versammlung zu Chri- stiania befindet, habe ich eine beträchtliche Anzahl von In- dividuen untersucht, welche von Normannischen Familien in Frankreich und England abstammen. Ohne Ausnahme hat- ten diese Individuen dieselbe ovale Schädelform behalten, welche den eigentlichen Norwegern in Norwegen zukommt. "Schwedische Schädel habe ich ferner zu Hunderten unter- sucht, sowohl aus alten Gräbern und Kirchhöfen, als im Ana- tomiesaale, und ebenfalls die bereits beschriebene Form vor- herrschend !) gefunden. Bei der Planirung des Ritterholms stiess man vor einigen Jahren auf einen ganzen Kirchhof, aus welchem Schädel und 1) S. dieses Archiv 1845 p. 84. 108 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie Ueberbleibsel von Skeletten ausgegraben wurden, von denen einige sehr gut erhalten waren — alle Schädel zeigten fast ohne Ausnahme den germanischen Typus. Ebenso verhielt es sich bei einer Ausgrabung in der Stadt in der s.g. Seelen- hofsgasse, neben welcher sich ein Klosterkirchhof befand. Ich habe auch seitdem Kopenhagen besucht, eine Menge Schädel in den dortigen Sammlungen gesehen, auch Gelegen- heit gehabt die Schädeiform einer grossen Anzahl dänischer Individuen zu betrachten, und gefunden, dass sie ihre ger- manische dolichocephalische Form ganz behalten haben. So habe ich es auch in Holland, im flämischen Belgien und Nlä- mischen Frankreich gefunden; ausserdem habe ich vom Prof. Vrolik in Amsterdam verschiedene Schädel von derselben Form aus alten Gräbern erhalten. | Während einer Reise nach Grossbrittannien im Jahre 1855 hatte ich wieder Gelegenheit mich von der allgemein herr- schenden dolichocephalischen Form zu überzeugen, sowohl in dem eigentlichen England und Wales, als in Irland und Schottland. Die meisten dieser Dolichocephalen sind schwarz- haärig und wahrscheinlich Celten. Durch die Güte des ausgezeichneten eifrigen Archäologen F. Troyon habe ich für das Museum zu Stockholm mehrere Schädel von Burgundern erhalten, die Hr. T. aus alten bur- gundischen Gräbern in seiner Nachbarschaft herausgenommen hat. Alle haben die germanische Form. Der erste Römerschädel, den ich zu sehen Gelegenheit gehabt habe, wurde mir von dem verstorbenen Dr. Prichard zugesandt. Dieser Schädel war von einem Schlachtfelde (das Lager des Kaisers Severus) in der Nähe von York, nebst einem andern Mannesschädel von anderer Form, genommen worden. Dr. Prichard wünschte meine Meinung über die Nationalität dieser zwei Schädel, ohne meinem Urtheil in der Sache den ge- ringsten Anhaltspunkt zu geben. Ich fand, dass der erstge- nannte Schädel eine ganz besondere dolichocephalische Form hatte, welche unter den europäischen Schädeln des Carolini- schen Instituts vorher nicht repräsentirt war. Dagegen fand ich, dass er besonders gut zu den Beschreibungen und Abbil- in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 109 dungen passe, welche Blumenbach und Sandifort von den Schädeln der Römer gegeben haben. Der andere Schädel war kleiner, von der sehr langen, schmalen und niedrigen Art, und handgreiflich von einem Öelten. Mein Urtheil war daher, dass der eine Schädel der eines Römers, der andere von einem Celten sei. Dieses Urtheil freute Prichard sehr, da, wie er erklärte, beide Schädel auf einem Felde bei York gefunden waren, welches früher Kaiser Severusfeld genannt wurde, wo die Celten (Belgae Brittannorum) von den Rö- mern geschlagen wurden. Der Üeltenschädel hatte auch das Zeichen eines tödtlichen, wahrscheinlich während der Flucht erhaltenen Schlages im Nacken, während der Römerschädel seinen Schlag vorn durch die Orbitae hatte (s. dies. Arch. 1849 p. 574 u. 577). Seit dieser Zeit sind durch die Doctoren Bar- nard Davis und Thurnam mehrere authentische römische Schädel gefunden und untersucht worden. Einige derselben wurden vorgezeigt bei „the british association for ad- vancementofscience“ Versammlung in Glasgow 1855, und ein sehr vollständiger römischer Schädel aus einem Columba- rium von der Via Appia bei Rom ist von Dr. Davis dem Museum des Oarolinischen Instituts in Stockholm geschenkt worden. Alle diese Schädel zeigen eine merkwürdige Ueber- einstimmung in Form und Grösse. Sie sind von dolicho- cephalischer Form, aber ungewöhnlich breit, besonders über den Ohren, mit starken Scheitelhöckern und beträchtlichem Hinterhauptshöcker, und im Ganzen von ziemlich beträcht- licher Grösse. Ich habe auch die Hellenen in der Reihe europäischer Do- lichocephalen angeführt. Die Gründe hierfür habe ich bereits im J.1847 (Öfvers. af K. Akad. Förhandl. 8. Sept. 1847. Stock- 'holm) auseinandergesetzt. Nach Allem, was ich erfahren, hat die dolichocephalische Form unter den Griechen niemals der Mehrzahl der Nation angehört, welche die brachycephalische Form hat. Diese letztere gehört sowohl den griechischen Sla- ven als den meisten Levantinern und Pelasgern, den jetzigen Albanesern an. In meiner oben erwähnten Darstellung habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass unter den antiken Bild- 110 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie werken Apollo, Venus und mehrere der ältesten Charaktere die dolichocephalische Form zeigen, während dagegen andere, wie Jupiter und Herkules, brachycephalisch sind, wahrschein- lich wegen der Verschiedenheit des Stammes der Individuen, welche der Künstler hat darstellen wollen. Zu Europas Brachycephalen gehören: Samojeden, Lappen, Wogulen, Ostiaken, Permier, Wotiaken, Ugern .... Tschereminen, (Müller, Latham,) | Mordwinen, Tschuwaschen, Magyaren, Finnen, Orthognathen. Finnen / Esten, Liven, Türken. Czechen, Wenden, Slowaken, Morlacken, Slaven .... 2 Croaten, Orthognathen. Serbier, Polen, Russen, Neugriechen, Letten oder Litthauer, Albanier, Etrurier, Orthognathen. Rhätier, Basken, Von mehreren der hier aufgezählten Stämme habe ich die Schädelform nicht selbst untersuchen können, aber nach in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerästes. 11] mehrseitigen Angaben wage ich mit Bestimmtheit anzunch- men, dass sie die brachycephalische sei. Es scheint auch zu der grossen Weltordnung zu gehören, dass die vorherrschen- den Volksstämme im östlichen Europa, zu welchem, wie wir wissen, das weite europäische Russland und die Türkei nebst Griechenland und ein grosser Theil des österreichischen Kai- serstaats gehören, Brachycephalen sind. Mehrere interessante Schädel der hier aufgezählten Völ- ker haben wir später für das Museum in Stockholm erhal- 'ten. — So habe ich von dem ausgezeichneten Professor der Anatomie in Wien, Hyrtl, einen Oroatenschädel von der Militairgrenze erhalten, der sich durch seine Höhe, Grösse und fast cubische Form auszeichnet; einen Morlackenschä- del aus Dalmatien, breit, hoch und brachycephalisch; meh- rere sSlowakische von Olmütz, zwei esthische, einen türkischen und mehrere finnische vom Prof. Bonsdorff und zwei karelische vom Prof. Willebrand in Helsingfors. Von Rhätiern!) habe ich mehrere lebende Individuen zu un- tersuchen Gelegenheit gehabt; auch habe ich mehrere Bas- 1) Die Rhätier sind den brachycephalen Europäern durch Dr. L. Steub’s Schrift: „Zur rhätischen Ethnologie (Stuttgart 1854)“, hin- zugefügt worden. Der Verf. dieser interessanten Schrift hat historisch- linguistisch festgestellt, dass die Rhätier Etrurier waren, welche vom nördlichen Italien nach Tyrol und in die Schweiz einwanderten. Dass die Etrurier Pelasger, sowie dass die Pelasger ein turanischer bra- chycephalischer Volksstamm waren, glaube ich mit Bestimmtheit an- nehmen zu können. Bereits vor längerer Zeit hatte ich Grund anzunehmen, dass die brachycephalische Form in gewissen Theilen der Schweiz vorkomme, aber in diesem Sommer während einer Reise durch Bayern, Württem- berg, Baden und die Schweiz bin ich überzeugt worden, "dass diese Schädelform die vorherrschende in allen diesen Ländern ist. In dem anatomischen Museum in Basel, welches eine sehr reiche Schädelsamm- lung besitzt, die ich durch Herrn Professor Meissner’s Güte genau durchsehen konnte, befand sich auch eine bedeutende Anzahl von Schweizerschädeln; sämmtlich von ausgezeichnet brachycephalischem Typus. Besonders ausgezeichnet unter diesen war einer von Grau- bündten durch sein kurzes, flaches Hinterhaupt, fast gleich einem Schä- del eines peruanischen Incas. I) 112 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie ken untersucht und werthvolle Schädel derselben von Dr. Eugene Robert in Paris erhalten. Einige Mal bin ich bra- chycephalischen Schotten aus den nördlichen schottischen In- seln und dem nördlichen Schottland begegnet. Während mei- nes letzten Aufenthalts in Schottland traf ich wieder verschie- dene Individuen desselben Typus. Sie haben einen eigenthüm- lichen Ausdruck, ein auffallend kurzes, etwas breites Gesicht, rothes Haar, eine etwas sommersprossige Gesichtshaut. Ich habe seitdem von Reisenden gehört, dass dieser Typus nicht selten in den Hochländern vorkommen und dort von alter Zeit her einheimisch sein soll. Ich denke, dass sie entweder von Finnen oder von Basken abstammen. B. Asiens Schädelformen. Asiens Dolichocephalen. Hindus, Arische Perser, Araber, Juden, Tungusen, Chinesen, Die Gegenden, welche diese Völker bewohnen, sind so auf die südlichen Theile des grossen asiatischen Continents beschränkt: nämlich Arabien, Persien, Hindostan und China (wozu ich hier weder die Mongolei, noch die chinesische Tartarei rechne). Sowohl nördlich als südlich von dieser Gegend grenzen sie an brachycephalische Völker, sowie diese letzteren auch fast überall unter den asiatischen dolichoce- Orthognathen. \ Prognathen. phalischen Stämmen zerstreut sind. . Ich habe hier die Chinesen sammt den Tungusen unter den Dolichocephalen aufgeführt. Sie sind sonst gewöhnlich zu den Mongolen gezählt worden., Mehr und mehr Schädeluntersu- chungen haben jedoch die Erfahrung bestätigt, welche ich be- reits lange ausgesprochen hatte und welche auch von Latham (The natural history of the varieties of man. Lon- don. 1850 p.16 „Physicalconformation“) eitirt wird, dass die eigentlichen Chinesen lange Schädel mit vorspringendem in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 1]3 Hinterhauptshöcker haben; aber neben diesem Hinterhaupts- höcker haben sie auch beträchtliche Scheitelhöcker (Tubera parietalia) wodurch der Umkreis ihrer Schädel sich mehr ei- nem länglichen Fünfeck nähert, als einem ovalen Umkreise. Ich habe nämlich mehrere Chinesenschädel, theils Originale, theils Abgüsse, aus England (Dr. Bd. David), aus Hol- land (Prof. v.d. Hoeven), aus Petersburg (v. Baer), theils durch die Weltumsegelung der Fregatte Eugenie (Anders- son, Kinberg und Ekströmer) erhalten; alle haben, wie mir scheint, dieselbe charakteristische Gestalt. Was die Tun- gusen anbelangt, so muss ich gestehen, dass ich nur einen einzigen Schädel für meine Entscheidung gehabt habe. Die- ser ist ein Gipsabguss, welcher mir im Tausch von Prof. Purkinje in Prag zugesandt ist. Ich habe allen Anlass zu glauben, dass dieser Abguss von dem Tungusenschädel ist, welchen Blumenbach beschrieben und in der Decas Col- leetionis suae craniorum diversarum gentium etc. II a. Taf. XVI abgebildet hat, von welchem er sagt: „habi- tus perfeete mongolicus: facie plana ad arcus zygomaticos latissima, fronte depensa etc. olfactus officina amplissima, oc- ciput mirum in modum retro eminens ita ut protuberantiae occipitis externae distantia a dentibus incisoribus superioribus 9 pollices aequaret.*“ Die Blumenbachsche Schädelsamm- "lung gehört nunmehr dem Museum des physiologischen Insti- tuts in Göttingen und steht unter der Obhut ihres verdienst- vollen Directors, des Professor Rudolf Wagner. Er hat einen geschickten Gipsgiesser mehrere der merkwürdigsten Schädel abgiessen lassen, um damit andere Museen zu ver- sorgen. Eine höchst merkwürdige Uebereinstimmung findet zwi- schen diesem Tungusenschädel und dem des Eskimos statt. Die, Gesichtsbildung ist ganz dieselbe, das Gesicht platt, sehr breit über den Jochhöckern, der Oberkiefer breit vor- stehend, der Bogen, welcher von den Alveolarfortsätzen und den Zähnen gebildet wird, sehr weit, ganz so wie bei den Es- kimos und Grönländern; ebenso gleichen sie einander in der „ Capaeität, Verlängerung und Grösse des Hinterhauptshöckers Müller’s Archiv. 1858. 8 114 A. Retzius: Blick auf den gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie des Schädels. Dieselben Charaktere kommen auch grössten- theils den Chinesenschädeln zu, welche sich in unserer Samm- lung befinden, und ich habe desshalb geglaubt, in diesem Tungusenschädel ein Verbindungsglied zwischen der Schädel- form der Chinesen und Eskimos zu finden. Asiens Brachycephalen. Ugern (Samojeden, Jakuten u. s. w.), Türken, Circassier, und wahrscheinlich die Mehrzahl der zahl- reichen Volksstämme im Caäucasus, Turkomannen, Afghanen, Laskaren, Tartaren, auch sämmtlich Pro- Mandschu-Tartaren, gnathen. Mongolen, sowohl im asiatischen Russland als in der Mongolei, Malaien, | „Indian Mongolidae* in Dr. Lathams „The varieties of man“ gehören wahrscheinlich auch zu dieser Olasse. Diese Völker nehmen den ganzen grossen asiatischen Con- tinent ein, ausgenommen nur die oben erwähnten Dolichoce- phalen in Indien, Persien, Arabien, China und einem klei- nen Theile von Sibirien; aber, wie oben bemerkt worden, wohnen auch unter diesen an manchen Stellen die so eben aufgeführten Brachycephalen in kleineren zerstreuten Staaten. In Asien sowie in Europa ist so die brachycephalische Kopf- form die überwiegende; aber mit dem Unterschiede, dass die asiatischen Brachycephalen grösstentheils Prognathen sind. ©. Australiens Schädelformen. Australiens Dolichocephalen. Australneger — sämmtlich Prognathen. Die genauere Kenntniss von diesen ist noch so unvollstän- dig, dass ich mir hier nicht erlaube, irgend Namen zusam- menzustellen, sondern mich beschränke anzuführen, dass ich in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. ]1]5 theils im Museum des Carolinischen Instituts, theils in an- deren Sammlungen und mehreren gedruckten Arbeiten die Gewissheit erhalten habe, dass dolichocephalische Volks- stämme fast auf allen australischen Inseln vorkommen. — Auf dem eigentlichen Continent von Australien, oder dem sogen. Neuholland, wie auf Van Diemensland, scheinen alle wilden Volksstämme prognathische Dolichocephalen zu sein. Auf den übrigen Inseln kommen auch Brachycephalen (Ma- layen, Polynesier und Papus) vor: Quoy und Gaimard. Auf den meisten Inseln sind sie schwarz oder schwärzlich und sind desshalb Australneger genannt worden, so wie sie auch in der Schädelform ganz den Negern gleichen. Viele Stämme haben feingekräuseltes aber langes Haar, gleichsam zu langen Zöpfen verfilzt; bei anderen ist das Haar straff. Unsere Sammlungen haben dergleichen Schädel von vielen Inseln der Südsee und des stillen Oceans; sie gleichen ein- ander auf eine merkwürdige Weise. Sie sind im Allgemeinen klein, aber dick, und gleichen auch hierin denen der Neger. Ihre Schädel sind viel kleiner als die der Chinesen, haben aber wie diese grosse Scheitelhöcker, welche selten bei den Negern vorkommen; der Hinterhauptshöcker ist gross und seitlich etwas zusammengedrückt. Die Weite des Jochbogens ist nicht so gross, die Nase ist nicht so platt wie bei dem Neger, die Stirn schmal und niedrig. Neuerdings habe ich durch Professor Bonsdorff in Helsingfors dergleichen Schä- del von der Insel Oahu von der Gruppe der Sandwichsin- seln erhalten. Die dänische Fregatte Galathea brachte meh- rere dergleichen Schädel von den Nikobarischen Inseln heim; Prof. Ibsen hielt über diese Schädel einen interessanten Vor- trag bei der Versammlung der skandinavischen Naturforscher in Stockholm im Jahre 1851 und hatte die Güte, ein Speci- men unserm anatomischen Museum zu überlassen. Durch Dr. Robert Glordon Latham hat unser Museum auch einen sehr werthvollen Schädel eines sog. Dayak aus Borneo erhalten. Dieser ist auch dolichocephalisch. — Die Hälfte eines solchen wird in der Universitätssammlung in Christiania aufbewahrt, ganz übereinstimmend in der Gestalt, g* 116 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie und ausserdem habe ich mehrere andere gleiche in London gesehen. Diese Dayakschädel siud auch alle klein aber stark gebaut; die Scheitelhöcker sind etwas kleiner als bei den Australnegern. Alle Dayakschädel, welche ich gese- hen habe, waren verziert mit eingegrabenen symmetrischen ÖOrnamenten an der Stirn, am Scheitel und den oberen Schlä- fengegenden bis zur Spitze der Lambdanaht; mehrere Felder in den Figuren sind dunkelbraun gefärbt, hie und da befinden sich kleine Stellen mit hellen blauen oder rothen Farben. Latham führt von ihnen an: „Bevor ein junger Mann heirathen kann, muss er zu den Füssen seiner Braut das Haupt eines zu einem andern Stamm Gehörigen legen, den er selbst erschlagen hat. Hiernach erfordert jede Ehe einen Mord. Ich glaube jedoch nicht, dass der Gebrauch so all- gemein ist, wie es die Sitte verlangt. Auch ein anderer eigen- thümlicher Zug kommt den Dayaken zu, nämlich die Pas- sion, Schädel zu besitzen. So machen die Schädel den Haupt- schmuck eines Dayakhauses aus und der Besitz derselben giebt den besten, prima facie, Beweis von Mannheit.“ l.c.p. 166. Nach dem, was ich aus mehreren Angaben habe entnehmen können, sind die Dayaks wie die Mehrzahl der Australier von schwarzer Farbe. Alle die Stämme, welche Alfourous und Haroforous genannt werden, halte ich für prognathi- sche Dolichocephalen, sowie die Mehrzahl der gewöhnlich sogen. Papus, welche jedoch nicht mit den brachycephali- schen Papus verwechselt werden dürfen, welche von Quoy und Gaimard beschrieben wurden. Viele Stämme dieser Au- stralneger oder sogen. Papuas führen ihre Wohnungen über dem Wasser auf Pfählen auf. Herr Troyon hat gezeigt, dass die Ureinwohner der Schweiz ähnliche Wohnungen wie die Päoner in Macedonien nach Herodot (5. B. Cap. 16) gehabt haben. Die Mehrzahl der Australneger wohnt im In- nern der Inseln, viele Stämme sind Gebirgsbewohner. in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 117 Australiens Brachycephalen. Malayen, Polynesier: Dieffenbach, Papus: Quoy und Gaimard, sämmtlich Pro- gnathen, Völker, welche nach meiner Meinung mit Latham’s Be- nennung Ocean-Mongolen benannt zu werden verdienen. Die wohlbekannten Malayen mit ihrer gelben Haut, schwar- zem, starken, glänzenden Haupthaar und vorstehenden Kie- fern gehören auch der Halbinsel Malacca an und sind übri- sens so bekannt als die intelligentesten und — in ihrer Weise — gebildetsten unter den Eingebornen des Südmeers, dass sie in dieser kurzen Uebersicht nicht weiter besprochen zu werden brauchen. Ihre Schädel fehlen selten in irgend einer ethnographischen Sammlung. — Zu den Polynesiern zähle ich die mehr bronzefarbigen oder bräunlichen auf den Tongainseln, Neuseeland, Ota- heiti, den Sandwichsinseln und einer Menge kleinerer Insel- _ gruppen im stillen Meere, welche zu dem mikronesischen Archipel gehören. Die Schädel der Polynesier haben meh- rentheils noch flachere Nacken als die der Malayen, ihre Kiefer und Zähne sind nicht so vorstehend; die Schädel selbst sind im Allgemeinen grösser als die der eigentlichen Malayen. Die Polynesier haben im Allgemeinen einen grös- sern, schönern, muskulösern Körperbau und sind hinsicht- lich des Charakters besser und von gutartigerem Tempera- mente als die Malayen. — In der ethnographischen Schädel- sammlung des K. Carolinischen Instituts befinden sich Schä- del von Sandwichsinsulanern und Neuseeländern, welche der Grösse und besonders der Höhe nach zu der ersten Ordnung gehören. (A. Retzius, Schädel von den Sandwichsin- seln ete. Öfversigt af K. Vet. Acad. Förh. 1845.) Papus: Quoy, Gaimard (Mops-Papus: Dampier). Dampier, Forrest und mehrere ältere Reisende spre- chen von einem eigenen schwarzbraunen Volk an den Küsten der Inseln in der Nähe der nördlichsten Küste von Neu- 118 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie guinea, welches sich in manchen Beziehungen von den übri- gen Südseenegern unterscheidet und unter andern durch sein dickes, schwarzes, feingekräuseltes, wie frisirt aussehendes Haar. Quoy und Gaimard, welche Hrn. de Freyecinet auf den Üorvetten Uranie und Physicienne begleiteten, ha- ben uns genauer mit diesem Volk und besonders mit der Schädelbildung desselben bekannt gemacht. (Observations sur la constitution physique des Papous, qui ha- bitent les iles Ravak et Vaigiou, lues & !’Academie des sciences de VInstitut, le 5 Mai 18253. — Ann. des Sc. nat. T.7.) Das Wichtigste hiebei ist, wie mir scheint, dass ihre Schädel gänzlich von denen der Australneger ab- weichen. Während deren Schädel, wie oben angeführt, ziem- lich niedrig, schmal, länglich oval, mit hervorstehendem Hin- terhauptshöcker versehen sind, so sind nach Quoy und Gai- mard die Schädel dieser Papus hoch, kurz, breit, am Hin- terhaupt flacher. Quoy und Gaimard sagen von ihnen: „Der Kopf der Papuas zeigt eine Abplattung sowohl vorn als hinten und eine starke Entwickelung der Gesichtstheile (der Kiefer). Der Schädel ist sehr hoch; die Scheitelhöcker sind hervorragend, die Schläfen sehr convex, der vordere Theil der Schläfen, durch welche die sutura coronalis sich unter der Linea semicircularis temporum fortsetzt, zeigt eine eigenthümliche beträchtliche Hervorragung '). Die Nasenbeine stehen fast senkrecht, fast nach hinten gedrückt, die Nasen- oder Stirnfortsätze des Oberkiefers sind breit und stehen we- gen der Beschaffenheit der Nasenbeine weiter vor, Die Ober- kiefer sind weit grösser als bei den Europäern wegen ihrer grössern Zahnfortsätze, wodurch das Gesicht dieser Insula- ner eine beträchtliche Breite erhält. — Die vorderen Nasen- Öffnungen sind unten sehr weit, zuweilen weiter als bei den Negern. Die Kieferbeine sind dabei sehr hervorragend und ihre Jochfortsätze. grösser, mehr hervorragend als bei den Negern. Der Alveolarfortsatz ist seitlich, wo die Backzähne 1) Diese eigenthümliche Hervorragung habe ich auch allgemein bei den Schädeln von Malayen und Polynesiern gefunden. in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. ]19 sitzen, sehr dick, das Gaumengewölbe breiter als lang — das Foramen ineisivum gross.“ In dem Museum des Carolinischen Instituts haben wir vier Specimina brachycephalischer Papus; drei habe ich durch die Güte des Dr. Wise in Edinburg erhalten, welcher sie selbst nach Europa gebracht hat; das vierte ist ein Gipsab- guss eines der Exemplare, welche von Quoy und Gaimard heimgebracht und abgebildet wurden. Alle vier Schädel zei- gen eine merkwürdige Uebereinstimmung unter einander und mit der obengenannten Beschreibung, welche ich auch aus diesem Grunde glaubte anführen zu müssen, um so mehr, da sie auch von anderen Autoren benutzt, obgleich an eini- gen Stellen unrichtig verstanden ist. Ich erlaube mir nur noch kurz anzuführen, dass diese Schädel durchaus sehr denen der oben erwähnten Polynesier gleichen und sich von diesen durch den niedrigen Nasen- rücken, die weiten Jochbogen, die breite Nasenöffnung und den breiten Alveolarbogen auszeichren. Quoy und Gaimard beschreiben diese Papus nur von den beiden Inseln Vaigiou und Ravak. Sie sagen, dass die Einwohner dieser und der nächsten Inseln sich selbst Papua nennen und sich auf das Bestimmteste von den schwarzen Einwohnern Neuguineas unterscheiden, welche den ost-afrikanischen Negern sehr gleichen. — Sie äussern an einer Stelle, dass diese Papuas an den Küsten wohnen, vorzüglich von Fischen und Schalthieren leben und ihre Woh- nungen auf Pfählen im Wasser aufführen; — an einer an- dern Stelle äussern dieselben: „Die Papuas, welche in den Bergen auf der Insel Vaigiou wohnen, nennen sich Alifurus, welche andere Reisende als Alfoirs, Alfurs, Alfurus, Alfo- reses und Haraforas angeführt haben. Aber es scheint auch, als wenn sie dieselben nicht mehr kannten als dem Namen nach. Man hat daher keinen Beweis dafür, dass sie demselben Volksstamm angehören.“ — Das Museum des Carolinischen Instituts hat von den Inseln in diesen Gegenden einige Schä- del von Dr. Wise, mit der Aufschrift: „Mounteneers“, und diese haben die obenerwähnte dolichocephalische Negerform, Kr 120 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie sind schmal, niedrig, länglich mit hervorstehendem Hinter- hauptshöcker. Georg Windsor Earl, der eine interessante Arbeit ver- fasst hat: „The native Races of the Indian Archipelago, Pa- puans.“ London 1853. (The ethnological library conduc- ted by Edwin Norris. Vol.I.), führt eine interessante Beschrei- bung von wahrscheinlich dieserartigen Papuas aus diesen Ge- genden von dem Königl. holländ. Marine-Lieut. Bruijn Kops an, der bei der Expedition angestellt war, welche die holländi- sche Regierung unter der Führung der Herren van den Dun- sen, Gronovius und Lieut. Brutel de la Riviere auf dem Kriegsschoner Circe nebst mehreren kleineren Kriegs- fahrzeugen des holländischen Vasallen-Sultans auf Tidore von den Mollukken im Jahre 1850 nach der nördlichen Küste von Neuguinea absandte. (Natuurkundige Tijdschrift voor Neder- landsch Indie for 1851.) Diese Expedition landete bei Dori an der Nordküste; der Verfasser nennt die Einwohner der Gegend Dori-Papus. Bruijn Kops beschreibt sie als klein- gewachsen von 5!/, Fuss Höhe (zuweilen ö!% Fuss), von dun- kelbrauner Farbe, zuweilen fast schwarz, das Haar schwarz, kraus, oft sehr lang, zuweilen als wenn es geschoren wäre. Er beschreibt ferner ihre Haarbekleidung und Gesichtsbil-. dung, aber so unvollständig, dass man daraus nicht mit eini- ger Sicherheit schliessen kann, ob diese Papus den eben erwähnten Brachycephalen angehören, — Ich kenne leider die holländische Arbeit nur durch Earls Werk; Earl hat eine Zeichnung, welche einen Dori-Papu mit seinem Hund er) in einem Boot auf der Wildschweinjagd darstellt. Ebenso hat er eine Zeichnung eines Dori-Papuhauses, welches auf Pfäh- len im Wasser gebaut ist. — Diese beiden Zeichnungen sind wahrscheinlich aus Bruijn Kops Bericht entnommen. — An dem Papumanne im Boote sieht man das turbanartig her- vorstehende Haar, welches diesen Papus den Namen Mops- Papus gegeben hat. Ich vermuthe, dass Prichard’s Figur eines solchen Papus nur von Bruijn Kops entlehnt ist. Bruijn Kops erzählt, dass das Volk auf Neuguinea sich selbst in Papus und Alforen eintheilt, von welchen die in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 2] ersteren die Küsten bewohnen, die letzteren das Gebirge und Binnenland. Er hat jedoch, wie es scheint, keine genauere Rechenschaft von dem ethnologischen Verhalten dieser Völ- ker gegeben, wesshalb man nur als wahrscheinlich annehmen kann, dass sie verschiedene Stämme bilden. Lieut. Bruijn Kops rühmt die Papuas sehr als ein im Grunde gutes Volk. Diebstahl ist unter ihnen ein schweres und seltenes Verbre- chen. Sie waren mehrere Tage an Bord auf oder neben den Fahrzeugen der Expedition, ohne dass von ihnen irgend etwas entwandt wurde. Sie hegen Achtung für das Alter, Liebe zu den Kindern und Treue unter Gatten. Keuschbeit wird sehr hochgeachtet und selten gebrochen. Ein Mann kann nur eine Frau haben und ist an sie auf Lebenszeit gebunden. Das Coneubinat ist nicht erlaubt. Sie lieben besonders starke Getränke, welche sie aber nicht selbst bereiten, zufolge dem, was Herr Bruijn Kops erfahren konnte. Kinder zu stehlen und sie zu verhandeln ist jedoch nicht unrühmlich; die so Gefangenen werden jedoch gut behandelt und gegen Löse- geld freigelassen. Sklavenhandel ist allgemein, aber die Skla- ven werden gut behandelt. Derselbe Offizier führt über ihre Sitte Verbrechen zu bestrafen, Folgendes an: Ein Mordbren- ner verfällt mit seiner ganzen Familie dem Eigenthümer des 'verbrannten Hauses als Sklave. — Ein Mann, der vorsätz- lich einen andern verletzt, hat einen Sklaven als Busse zu bezahlen. — Ein Dieb ist verpflichtet das Gestohlene nebst einer Zugabe zurückzustellen. — Wenn einem Garten oder einer Pflanzung Schaden zugefügt ist, muss er erstattet werden. — Der Bruch des sechsten Gebots wird mit dem Tode bestraft oder, wenn die Vergütigung möglicherweise stattfinden kann, mit schweren Bussen. Ein Mann, der einem Weibe Gewalt ‚anthut, ist verpflichtet sie zu heirathen und den Eltern die gebräuchliche Gabe von zehn Sklaven zu geben. Im Fall eines unerlaubten Zusammenlebens ist das Weib straffrei und wenn unverheirathet frei von aller Unehre. — Alles wird ab- geschätzt nach dem Werth eines Sklaven. Die Mehrzahl der Dori-Papus sind Heiden, eine gerin- gere Zahl Muhamedaner unter Priestern von Ceram und Ti- 122 A.Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie dore. Das Götzenbild der Heiden „Karwar“ ist grob von Holz geschnitzt, etwa 18 Zoll hoch, schlecht geformt, mit sehr grossem Kopfe, mit langer, spitzer Nase und weitem, wohl mit Zähnen versehenem Munde. Der Körper ist gewöhnlich mit einem Stücke Kaliko bekleidet und der Kopf mit einem Taschentuch bedeckt. Jeder Haushalt hat sein Bild. Das Bild muss bei allen wichtigen Gelegenheiten zugegen sein und wird wie ein Orakel befragt. Sie haben auch „Fetische,,, meistens geschnitzte Bilder von Amphibien (Schlangen und Eidechsen), an der Decke aufgehangen oder in Thürpfosten - ausgeschnitten. Sie haben eine Art Priester, welche zugleich ihre Aerzte und Wahrsager sind. Ihre Häuser bauen sie auf Pfählen in Seen, die Aussenwände bestehen aus Brettern. Nach der Zeichnung, welche Earl mittheilt, gleichen sie unseren grossen Seeböten mit Guckfenstern. In der Mitte befindet sich ein Gang, an dessen Seiten die Zimmer sind. Die Zwi- schenwände bestehen aus Matten, der Fussboden aus zusam- mengebundenen Sparren. Diese Papus bearbeiten Eisen und andere Metalle, und treiben einen beschränkten Ackerbau oder richtiger Garten- bau; aber von einer Zucht von Hausthieren ist keine Rede; Jagd und Fischerei ist die vorzüglichste Beschäftigung der Männer; die Weiber besorgen die häuslichen Geschäfte. So- wohl auf der Jagd wie im Kriege gebrauchen sie Bogen und Pfeile; vergiftete Pfeile gebrauchen sie nicht. Auch Fische werden mit Pfeilen geschossen und mit Spiess und Leine oder auch in Zäunen gefangen. Da die Papus einen so grossen Theil der Zeit auf der See zubringen, macht das Canoe einen wichtigen Theil ihres Be- sitzthums aus. Sie haben kleine Canves für Kinder, andere grössere für eigenen täglichen Gebrauch und andere grosse Canoes für zwanzig Ruderer. Alle solche Fahrzeuge sind aus einem Baumstamm gemacht; die grossen Canoes haben einen Mast und Segel aus Matten. Mit diesen unvollständi- gen Fahrzeugen können sie jedoch keine längeren Reisen unternehmen, wesshalb der Handel dieser Inseln sich in den Händen von Fremden, vorzüglich von Chinesen befindet. Die in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 123 holländische Regierung hat 1852 eine Factorei in Port Hum- boldt auf der nördlichen Küste von Neuguinea angelegt, wo- her wir hoffentlich genauere Kenntniss von den Einwohnern des Landes erhalten werden. Ich habe mir hier eine so grosse Weitläufigkeit in Bezug auf die Papuas an der Nordküste von Neuguinea erlaubt, weil ihre genauere Kenntniss noch von so viel Dunkel um- geben ist. Wir sehen inzwischen, dass auch Herr Bruijn Kops sie für eine ganz andere Rasse hält als die Alfurus, — Obgleich die Namen Papu und Alfor oder Alfuru wahr- scheinlich ohne streng ethnographische Bestimmung angewandt werden, so scheint man sie doch allgemein so zu verstehen, dass unter Papus Küstenbewohner und unter Alfurus Binnen- land- oder Gebirgsbewohner gemeint sind. Das Wort Pa- pus soll von der malaiischen Benennung eines krausen oder wolligen Haars „rambut pua pua“ herkommen, woher puapua oder papua auf diese Küstenvölker mit wolligem, krausem Haar angewandt worden ist. Alfurus kommt von dem portugie- sischen Worte Alforas, welches eigentlich freigewordene Skla- ven bezeichnet. Die Portugiesen wandten diese Benennung in Ermangelung einer andern auf die freien Landbewohner der molukkischen Inseln an, zur Unterscheidung von denen, wel- che in den Städten wohnten. Indessen werden diese Aus- drücke jetzt, wie erwähnt, auf Küstenbewohner und Bin- nenlandbewohner angewandt, welche, wie wir oben gese- ben haben, als ganz verschiedene Rassen betrachtet werden. — Ich erlaube mir hier eine wichtige Aeusserung Prichards über die Alfurus in diesen Gegenden anzuführen: „Was soll man aus der Alforischen Rasse machen, welche als eine eigene bestimmte Völkerschaft mit eigenthümlichem Typus und eigen- "thümlicher Schädelbildung beschrieben worden ist. Sie bleibt doch immer eine der merkwürdigsten Varietäten des Men- schengeschlechts. Wir müssen zu denselben die Bergbewoh- ner von Arsak in Neuguinea zählen, welche Lesson gese- hen und, wie es scheint, sehr wohl beschrieben hat, wie auch die übrigen Eingebornen des grossen Festlandes von Australasien.*“ 124 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie "'Latham hat in seinem so höchst lehrreichen, vorher eci- tirten Werke (p. 213) unter seiner Abtheilung „the papua branch of the Kelonaesian stock“, „New Guinea“, zwei Va- rietäten angenommen und ausgezeichnet gute Profilfiguren von ihren Schädelformen mitgetheilt, aus der „Voyage sur l’Uranie et la Physicienne“, von denen der eine Schädel ne- gerartig-dolichocephalisch, der andere brachycephalisch ist, wie es bei den obengenannten brachycephalischen Papus vorkommt. — Sehen wir nicht wiederum in diesen Figuren, in dem dolichocephalischen Schädel den eines Alfuru, in dem brachycephalischen den eines Papus? — Der Verf. legt jedoch dem Dolichocephalen frisirtes und dem Brachycephalen auf- gebundenes Haar bei. | Was die Stelle der brachycephalischen Papus anbelangt, warum es sich eigentlich hier frägt, so erlaube ich mir schliess- lich die Meinung aufzustellen, dass sie am nächsten mit den braunen Polynesiern verwandt und entweder der ältere Stamm derselben oder ihre Abkömmlinge sind, welche durch eigen- thümliche Lebensweise, Klima u. s. w. eine eigenthümliche Beschaffenheit erbalten haben. Earl verwirft ganz und gar die Meinung, dass sie Hybriden seien und wie es scheint aus sehr guten Gründen. D. Afrikas Völker sind sämmtlich Dolichocephalen. Dieses Verhältniss, auf welches ich früher bei mehreren Anlässen aufmerksam gemacht habe, und welches, soviel ich weiss, von keiner Seite bestritten wurde, ist diesem Welttheil ganz eigenthüm- lich. — Europa, Asien, die Südsee und Amerika hatten Völ- kerschaften beider Formen. Europa und besonders Asien hat ein grosses Uebergewicht von brachycephalischer Bevölke- rung; die Südseeinseln haben, wie ich anzunehmen wage, beide Formen in ziemlich gleicher Anzahl, aber mit mora- lischem Uebergewicht der Brachycephalen; Afrika entbehrt, nach dem was man bisher weiss, jeder Spur brachycephali- scher Bevölkerung. Das Carolinische Institut besitzt eine nicht geringe Samm- \ in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 195 lung afrikanischer Schädel; aus Nordafrika von Abyssiniern, Kopten, Berbern und Guanchen; sie haben alle dieselbe Schä- delbildung: grosse, geräumige, ovale Schädel, sehr denen der Araber gleichend. Der abyssinische, für welchen wir unserm Landsmann, Dr. Behm in Marseille, zu danken ha- ben, ebenso wie der koptische sind etwas prognathisch. Die Guanchenschädel, deren wir vier besitzen, von denen wir zwei durch Dr. Davis erhielten, sind sämmtlich von alten Individuen, welche ihre Zähne verloren und desshalb zusammengefallene Alveolarfortsätze haben, so dass der Prognathismus wenig merkbar ist. An allen diesen Schädeln, sowohl der Abyssinier wie der Egypter undGuanchen, setzt sich das Schädelgewölbe in einem langgestreckten Bogen plötzlich gegen den hervor- stehenden grossen Hinterhauptshöcker ab, welcher auch an den Seiten etwas zusammengedrückt ist; die Scheitelhök- ker ragen wenig hervor. Diese Schädelform lässt sich als die herrschende im Küsten- und Hochlande, sowie im Flach- lande des nördlichen Afrikas betrachten; und findet sich wie- der auf der andern Seite des atlantischen Meeres unter den Ureinwohnern auf den caraibischen Inseln wie auf den öst- lichen Theilen des amerikanischen Continents. Aus Südafrika hat das Museum eine bedeutende Anzahl von Schädeln ver- schiedener Kaffernstämme, welche theils von dem schwedi- schen und norwegischen General-Consul in Südafrika, Herrn Letterstedt, theils von Professor van der Hoeven in Leyden, theils von meinem Schwager, dem Ingenieur J. Wahlberg geschenkt sind. Sie gleichen sehr den Neger- schädeln; einige sind etwas grösser als die Mehrzahl der Ne- gerschädel, aber die meisten haben entsetzlich vorstehende “ Kiefer und Zähne. Einer von einem sogenannten Basuto- kaffer aus dem innern Hochlande von Port Natal ist aus- » gezeichnet durch seine Kleinheit, durch den vollkommenen Mangel jeder Spur der Scheitelhöcker und ein fast spitzes Hinterhaupt. Von Hottentotten besitzt das Museum ein gan- zes Skelet, geschenkt vom General-Consul Letterstedt; weder am Schädel dieses Skelets, noch an den guten Figu- 126 A.Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie ren, welche Blumenbach und Sandifort von Hotten- totten- und Buschmannsschädeln geliefert haben, kann ich irgend einen wesentlichen Unterschied in der Gestalt von. der Schädelform der Neger im Allgemeinen finden. Mehrere Ethnologen haben die Australneger als am nächsten mit den Hottentotten verwandt angesehen; ihre Schädel zeigen je- doch im Allgemeinen den Unterschied, dass die Australneger meistens, soweit ich gefunden babe, deutlichere Parietalhöcker besitzen als die Hottentotten. Jedoch fehlen diese Höcker auf dem Schädel des Dayak aus Borneo, den das Museum besitzt. E. Amerika. In ethnologischer Beziehung kann hier natürlich nur von den wilden oder halbwilden Volksstämmen und denjenigen, welche diesen Welttheil vor der Entdeckung der Spanier bewohnten, die Rede sein. Es giebt, wie wir wissen, mehrere Hunderte dieser verschiedenen Volksstämme; ein grosser Theil derselben ist bereits verschwunden, der Rest wird mit jedem Jahr dün- ner. Die Hoffnung, sie mit Sicherheit zu bestimmen und zu ordnen, verschwindet auch mehr und mehr. Aeusserst schwie- rige und ausgedehnte Untersuchungen sind über diese Völ- ker, aber besonders über ihre Sprachen angestellt worden. Kein europäischer Gelehrter hat nach Blumenbach irgend eine so reichhaltige Arbeit über ethnologische Craniologie hin- terlassen, wie Dr. Morton in Philadelphia in seinen „Cra- nia americana“; dessenungeachtet findet man sich wenig befriedigt durch die Resultate. Morton selbst, welcher so mannichfaltige Facta von hohem Werthe dargelegt hat, ist, wie die ausgezeichneten Sprachforscher, welche mit so un- ermüdlicher Mühe die amerikanischen Sprachen studirt ha- ben, hauptsächlich zu dem Resultat gekommen, dass die Rasse sowohl wie die Sprache eine und dieselbe sei. Es setzt mich fast in Verlegenheit, bekennen zu müssen, dass ich durch die Thatsachen, welche Morton zu Tage gebracht hat, und die vielen Schädel, durch welche er so gütig die Sammlungen in Stockholm bereichert hat, zu einem ganz an- dern Resultat gelangt bin. Ich kann dieses nicht anders erklä- in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 197 ren, als dadurch, dass der ausgezeichnete Mann sein ausgebrei- tetes Sprachstudium und seine grosse Gelehrsamkeit auf sei- nen naturforscherischen Blick hat einwirken lassen. Soll die Gestalt der Schädel bei der Frage über die Menschenrassen in Betracht kommen, so finden sich wohl kaum in irgend einem Theil der Welt solche Gegensätze zwischen Dolichocephalen und Brachycephalen wie in Amerika; und so treten sie auch für die Augen des Naturforschers in Mortons „Crania americana“ hervor. Ich erlaube mir, in dieser Beziehung hinzuweisen auf Taf. 2. „Peruvian Child from Atacama*; Taf. 32 Lenni Lenape; 53 Pawnee; 40 Cotonay, Black- foot; 64 Charib of Venezuela; 65 Charib of St. Vincent, alle mit den ausgezeichnetsten dolichocephalischen Formen, und andererseits auf Taf. 30, 31 Natches, nebst der grossen Mehrzahl von Abbildungen der Schädel von Chili, Peru, Mexico und Oregon etc. von ebenso ausgezeichnet brachy- cephalischer Form. Wie viel auch diese Tafeln selbst be- weisen, so würde ich doch kaum gewagt haben, eine solche Bemerkung zu machen, wenn nicht eine sehr reiche Reihe in unseren eigenen Sammlungen, sowie mehrere Abbildun- gen von Blumenbach, Sandifort, van der Hoeven u. A. für meine Meinung sprächen. Nach dem, was ich aus den amerikanischen Schädeln habe schliessen können, die ich theils in natura, theils in Abgüssen und theils in Abbildungen gesehen habe, bin ich zu der Ansicht gelangt, dass die dolichocephalische Form die vorherrschende auf den caraibischen Inseln und in den östlichen Gegenden des grossen amerikanischen Continents ist, grade fort von Amerikas höchster nördlicher Grenze bis Paraguay und Uruguay, die brachycephalische dagegen “auf den kurilischen Inseln und auf dem Festlande, gerade herab von der Höhe der Behringsstrasse im russischen Ame- rika, in Oregon, Mexico, Ecuador, Peru, Bolivia, Chili, Ar- gentina, Patagonien und dem Feuerlande, Blumenbach hat Abbildungen von zwei Caraibenschä- deln von St. Vincent geliefert, Morton ebenfalls, wie ich oben angeführt habe; unsere Sammlungen besitzen den Ab- 128 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie guss von einem Oaraibenschädel, dessen Original in Galls Besitz war (ich bin nicht ganz sicher, ob es nicht derselbe Schädel ist, den Morton Taf. 65 aus dem Pariser Museum hat abbilden lassen); alle diese sind dolichocephalisch. Ich habe in fremden Museen auch mehrere Schädel von den west- lichen Inseln gesehen, und fand, dass die meisten dolicho- cephalisch waren. Prof. Rasch in Christiania zeigte mir vor einigen Jahren einen Schädel aus Newfoundland, angeblich von einem sogen. rothen Indianer; dieser war auch doli- chocephalisch. Es scheint unzweifelhaft zu sein, dass die Caraiben die vorherrschenden Bewohner der kleinen Antillen ausmachten, sowie dass dieselbe Rasse dem innern Festlande, dem jetzigen Venezuela und Guiana angehört. Morton sagt von den Öaraiben: „Der Theil der amerikanischen Rasse, welcher Charibs genannt wird, bildete zu einer Zeit ein zahlreiches und weit verbreitetes Volk. Ihre Heimath waren . die nördlichen Regionen Südamerikas fast vom Amazonen- flusse im Norden bis zu dem Theil des Meeres, welcher das grosse Orinocothal umfasst, nebst einem grossen Theil der jetzigen Länder Guiana und Venezuela. Von hier haben sie ihre Ansiedelungen ausgedehnt über alle Antillen, von Trini- dad bis Santa Cruz (zu den caraibischen Inseln rechnete man Trinidad, Grenada, St. Vincent, Dominica, Guadeloupe, Mar- tinique, Santa Cruz, St. Thomas, Nevis, Montserrat, Antigua, St. Kitts und die Virgin-Islands)“, 1. c. p. 236. — Er hat eine schöne Zeichnung und Beschreibung des Schädels eines „Cha- rib of Venezuela“, Pl. LXIV, von Dr. Joseph Maria Vargas in Caracas geliefert. Man kann kaum einen mehr charakteristischen dolichocephalischen Schädel finden. Zwei andere Indianerschädel, ebenfalls von Venezuela, sind abge- bildet und beschrieben von Prof. van der Hoeven (Tijd- schrift voor de Wis- en Natuurkundige Wetenschapen uit- gegeven door de Eerste Klasse van het Kon. Ned. Institut. Deel V. p. 386), nämlich von den Ufern des kleinen Rio de la Hacha. Van der Hoeven sagt hiervon: „Der Volks- stamm, zu welchem sie gehören, ist der der Goahiros, Guai- ras, Guajiros, Guaigniros, unter welchen Namen ich den- in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. ]99 selben in den mir zu Gebote stehenden Arbeiten erwähnt finde.“ — Diese Schädel stimmen mit dem obengenannten von Morton überein. Van der Hoevens Ausspruch ist: „De schedel der Guahiros behoort ongetwijfeld tot den do- lichocephalischen vorm.“ Alle Nachrichten von Guiana be- kräftigen, dass die dortigen Indianer zu demselben Volks- stamm wie die von Venezuela gehören, d.h. sie sind von dem grossen, ehemals mächtigen caraibischen Stamme. Was die Mehrzahl der weit verbreiteten Indianer Brasiliens anbe- trifft, sowie die von Paraguay, so theilt man allgemein die Ansicht, dass sie zu dem grossen Tupi- oder Guaranistamme gehören; er wurde in Brasilien von den Portugiesen Tupi, im Süden von den Spaniern Guarani genannt. Prichard sagt an einer Stelle: „Der grosse Tupi- oder Guaranistamm ist über die ganze Östliche Küste von Südamerika verbreitet, von der Mündung des Platastromes oder von der Mündung des Uruguay, welcher in denselben hineinfällt, bis zur Mün- dung des Amazonenstromes.“ — Wahrscheinlich dehnt er sich, wie Azara annahm, bis nach Guiana aus. Die meisten Schriftsteller nehmen an, dass der grösste Theil von Brasi- liens Ureinwohnern aus Stämmen besteht, welche mit den Guaranis verwandt sind. Südlicher kennen wir jedoch die- sen Stamm noch besser. Man kann nämlich in dieser Rich- tung denselben bis zum 16. Grad südl. Br. verfolgen bis Mon- tevideo und dem Plataflusse. Ueber diese Länderstrecke war der Stamm an verschiedenen Punkten zerstreut. Er hatte bei Buenos Ayres einen Theil von Ysidro und die Inseln in Parana inne. Am obern Paraguay hatte er sich fast über den ganzen centralen Theil des Continents ausgebreitet; in der Provinz Chiquitos; in Chaco hatte er sich bis zum östlichen Fusse ‘der Anden ausgedehnt und sich in den Thälern dieser gros- sen Bergkette verbreitet. Er hatte vor der Regierung des berühmten Eroberers Inca Llogue Yupangui grosse Di- striete dieser Landstriche inne.‘ (Naturgesch. des Menschen- geschlechts von J. C. Prichard, herausgegeben von Dr. Ru- dolph Wagner und Dr. Fr. Will, 4. Bd. p. 519.) — An anderen Stellen werden die Guaranis in ÜCorrientes, Bo- Müller’s Archiv. 1858. 9 130 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie livia, Neu-Granada und anderen Orten erwähnt. In meiner Beschreibung der Guaranischädel in der Kön. Akademie der Wissenschaften (Öfversigt af K. W. Ak. Förh. 6. Jahrg. Nr. 5) habe ich zu zeigen gesucht, dass die Aymaras in Peru ebenfalls vom Guaranistamme sind. Wir haben im Museum des Oarolinischen Instituts zwei vollständige Mumien von Ay- maras. Ihre Schädel sind ganz gleich den Schädeln der Gua- ranis; wahrscheinlich sind Mortons „Ancient Peruvians* und die sog. Huanchas (Tschudi) auch vom Guaranistamme, obgleich ihre Schädel offenbar durch Druck so unförmlich lang geworden sind. Bekanntlich trägt ein brasilianischer Guaranistamm den Namen Aymores. Wir besitzen im Üarolinischen Institut 6 Guaranischädel von Dr. Abbot in Bahia, einen von Dr. Langgaard in Rio Janeiro, einen von Hrn. Oonsul Billberg in Buenos Ayres, einen aus Bolivia von Hrn. Liljedahl, und zwei Aymaras aus Peru, geschenkt von Hrn. Chaumette des Fossedes in Lima. Auch diese sind von mir besonders beschrieben worden (Öfversigt af K. V. Akad. Förk. Sept. 1848). Alle diese Schädel nebst den übrigen des Guarani- und Caraiben- stammes sind dolichocephalisch mit ziemlich geräumigem Schä- deltheil und ziemlich grossen Kiefern. Gehen wir nun weiter nach Norden, so treffen wir in den vereinigten Staaten und Canada, an der atlantischen Seite, auch die dolichocephalische Form als die vorherrschende an, nämlich unter den vielen Stämmen, welche gewöhnlich zu den sog. rothen Indianern gezählt werden, wie die Algonkins nebst der Iroquis-Classe (Latham, „the varieties of the hu- man species“; Orr’s „Circle of the Sciences“). Morton hat vortreffliche Abbildungen geliefert von doli- chocephalischen nordamerikanischen Indianern von Cherokee, Chippeway, Miami, Ottigamie, Lenni-Lenape, Naumkeag, Potowatomie, Cayuga (besonders ausgezeichnet), Oneida, Hu- ron, Pawnee, Cotonay (Blackfoot). Ich selbst habe von Dr. Morton vier dolichocephalische Schädel aus Missouri (Sae Indian), Michigan (Ottava und Miami), Rhode Island (mit der Aufschrift „Narraganset“) zum Geschenk erhalten. Nach in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 13] allen diesen Specimina nebst dem vorher angeführten aus Chri- ‘stiania glaube ich wohlberechtigt annehmen zu können, dass die dolichocephalische Schädelform auch die vorherrschende ' an der atlantischen Seite von Nordamerika gewesen sei. Hierzu kommt noch, dass die Eskimos, welche auch an die- selbe Seite grenzen, ebenfalls zu den dolichocephalischen Völkern gehören, obgleich sie unter diesen eine ganz eigen- _ thümliche Stelle einnehmen. Viele Verfasser betrachten die Eskimos als verwandt mit den Tschjuden sowie mit den Mongolen. Selbst Morton bringt sie in seinem allgemeinen ethnographischen Theil (Cr. Amer. p. 50) in eine und dieselbe Familie mit den Lappen und Samojeden ünter dem Namen „The Polar Family“, von der er l.c. sagt: „This singular race is exclusively seen on the northern skirts of the continents of Europe, Asia and America.“ In dem speciellen Theil, p. 247, benennt er sie „Mongol-Americans“. Nichts kann, insofern man annimmt, dass die Schädelform ein Zeugniss in der Frage über Stamm- verwandtschaften in sich trägt, unrichtiger sein. Bereits bei der Versammlung der skandinavischen Naturforscher 1842 habe ich in meiner ersten Darstellung: „Ueber die Gestalt der Schädel der Nordländer“, die Grönländer unter die progna- thischen Dolichocephalen gestellt und die Beschreibung von zwei Grönländerschädeln geliefert, welche mir von dem grön- ländischen Naturforscher Vahl mitgetheilt wurden. Diese Darstellung wurde in Gegenwart von so competenten Rich- tern wie Eschricht, van der Hoeven, Ibsen und Nils- son gemacht; sie theilten vollkommen dieselbe Ansicht. Eine fernere Bestätigung hiervon lieferte Eschricht bei der Ver- sammlung skandinav. Naturf. in Christiania 1544 in seinem Vortrage: „Die Bedeutung der Formverschiedenheit des Hirn- “schädels und des ganzen Kopfes“. Er äusserte ‚dabei: „Die Grönländer und Eskimos gehören zu den Völkern, deren Kopfform besonders charakteristisch ist, und ich erlaube mir dieses an einigen Grönländerköpfen aus dem physiologischen Museum der Kopenhagener Universität zu erläutern.“ (Verh. der skandinav. Naturf. in Christiania 1844.) Die Grönländer- g* 132 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie schädel, welche mein gelehrter Freund dort vorzeigte, hat- ten ganz dieselbe Form, wie die, welche ich von Dr. Vahl erhalten hatte. Ich bin der Meinung, dass wenige Naturfor- scher in diesem Theil sichereres Zeugniss geben können, als die Herren Eschricht und Ibsen, welche beide mehr Ge- legenheit gehabt haben, Grönländerschädel kennen zu lernen, als die meisten übrigen Physiologen unserer Zeit. — Blu- menbach hat zwei Eskimoschädel von Labrador abgebildet; der eine (XXIV.) ist jedoch in schiefem Profil dargestellt, so dass man das Hinterhaupt nur unvollständig sieht; aber er sagt dagegen im Texte: „Oceiput protuberum“ (Dee. cran. 112. p.9); der andere (XXV.) ist in vollem Profil dargestellt und zeigt den vorspringenden Hinterhauptshöcker. — Auch Sandi- fort hat eine Figur eines Grönländerschädels von Vahl ge- liefert, mit denselben Charakteren wie der obige. Ebenso hat Morton Abbildungen von vier Eskimoschädeln aus den nördlichsten Theilen Amerikas und von der Insel Disco an der Küste von Grönland; alle von der charakteristischen Form. Im Texte äussert er, dass sie constant charakteri- stisch seien, dass sie auf das Bestimmteste verschieden seien von den Schädeln der amerikanischen Indianer, fügt aber, auf- fallend genug, hinzu, dass diese (Eskimos) die einzigen Ame- rikaner seien, welche asiatische Charaktere hätten. Es ist klar, dass der ausgezeichnete Mann hier mehr durch seine bereits feststehenden Ansichten als durch die strenge Prü- fung von Thatsachen geleitet ist. Er sah in der Gesichtsbil- dung der Eskimos etwas Mongolisches, d.h. Asiatisches, aber er übersah das vorspringende Hinterhaupt und auch an- dere Charaktere, welche niclt mongolisch sind; aus demsel- ben Grunde vergass er gleichsam die schönen Figuren, wel- che er selbst in seinem schönen Werke von den dolichocephali- schen amerikanischen Indianern geliefert hatte, von denen be-' sonders einige, wie Cotonay (Blackfoot), Cherokee, Chippeway und vor allen Oayuga (Taf. 35), durch grosse Alveolarränder und vorspringendes Hinterhaupt sich der Form der Eskimo- schädel annähern. Auch ich bin geneigt, die Verwandtschaft der Eskimos in Asien zu suchen. Jedoch habe ich hiefür in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 133 nur noch schwache Gründe. Ich habe nämlich an einer an- dern Stelle aufmerksam gemacht auf die grosse Aehnlichkeit zwischen der Schädelform der Eskimos und des Tungusen, welchen wir in den Sammlungen des Carolinischen Instituts besitzen, sowie auf Blumenbach’s Beschreibung des Tun- gusenschädels, welche vollkommen übereinstimmt mit den Charakteren der Eskimos (Dee. 112 p. 12), nämlich: „facie plana, ad arcus zygomaticos latissima, fronte depressa etc. — oceiput mirum in modum eminens ita ut protuberantiae oceipitalis externae distantia a dentibus incisoribus superiori- bus 9 poll. Lond. aequaret.* —-Blumenbach hat auch einen Schädel Sinensis Daurici beschrieben und abgebildet, von dem er im Anfange sagt: „Cranium est genuini Tungusae Dauriei s. Sinensis tribus Saradulicae* Nur Schade, dass das Hinterhaupt und das Längenverhältniss weder in der Be- schreibung besprochen wird, noch in der Figur im Halbprofil zu sehen ist. Ich habe indessen vorher angeführt, dass das Carolinische Institut eine nicht unbedeutende Sammlung von Chinesenschädeln besitzt, welche sich an Gestalt sehr den tungusischen und den grönländischen Schädeln nähern. Nach dieser Ansicht würde so der Volksstamm, zu dem die Eski- mos gehören, nur in Nordamerika Polarstamm sein, aber sich in einer dünnen Ausbreitung auf den Inseln des Polar- meeres und in den nördlichsten Theilen von Amerika von Westen nach Osten über Asien, nach China hin, erstrecken und dort die eigentliche chinesische Bevölkerung ausmachen, welche kaum von der tartarisch-chinesischen getrennt wer- den darf. Der Uebergang von Amerika nach Asien wird nach meiner Ansicht von den sogen. Aleuten gebildet, deren Schädel ich nicht genug kenne, aber deren Charaktere von . Mehreren als am meisten übereinstimmend mit denen der Es- _ kimos beschrieben werden. In Bezug auf die übrige dolichocephalische Urbevölkerung in Amerika erlaube ich mir hier eine vielleicht noch gewag- tere Vermuthung, indem ich sie als verwandt mit den Guan- chen auf den canarischen Inseln und mit den atlantischen Völkern in Afrika, wie Mohren, Berbern, Tuariks, Kopten 134 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie u. a. betrachte, welche von Latham (The natural history of man, London 1850) als „the Amazirg- und Aegyptian- Atlantidae* zusammengefasst werden. Ich habe oft während der Betrachtung unserer Sammlung von Nationalschädeln bei der Aehnlichkeit verweilt, welche stattfindet zwischen den Schädeln der Guanchen und Kopten und denen der Guaranis von Brasilien, von denen wir, wie -» bereits erwähnt, in Stockholm eine sehr gute Sammlung be- sitzen. Dass diese Guaranis von einem mit den ehemaligen Caraiben auf den Antillen verwandten Stamm sind, ist auch im Vorhergehenden ausgesprochen worden. Wir finden so auf den canarischen Inseln an der afrikanischen Küste und den Antillen oder caraibischen Inseln auf der afrikanischen Seite ebenfalls ähnliche Schädelformen. Die Hautfarbe bei den in Rede stehenden Völkerstämmen wird zu beiden Seiten des grossen atlantischen Meeres als röthlich braun angegeben, etwas ähnlich braungegerbtem Leder; das Haar ist gleich, wor- aus ich anzunehmen wage, dass die Gesichtszüge und der Körperbau auch Uebereinstimmung zeigen. Dieses Verhältniss hat die Gedanken auf die Nachricht von der ehemaligen Atlantis in Plato’s Timaeus gerichtet, welche aussen im Meere vor dem nördlichen Afrika gelegen haben und durch eine grosse Veränderung in der Oberfläche der Erde und des Meeres verschwunden sein soll. Es wird be- richtet, dass Solon diese Nachricht von einem ägyptischen Priester gehört habe, während der Zeit, wo der griechische Gelehrte sich in Aegypten aufhielt, um den Unterricht der Weisen dieses Landes zu geniessen. Diese Nachricht ent- hält Verschiedenes, welches ihr den Charakter einer blossen Dichtung verleiht. Aber sollte die Nennung des ägyptischen Gelehrten an dieser Stelle als eigentlichen Erzählers nicht wenigstens den Werth haben, dass etwas daran haftet, ‘da man in unseren Tagen immer mehr und mehr Aegypten als die uralte Heimath der Wissenschaft und Kunst hat schätzen lernen (s. Vorlesungen über Geschichte der Mediein von1.V.Broberg. I. Stockholm 1846)? Herr Hellebersg, ein schwedischer Landvermesser, weicher seit vielen Jahren in Ohio ansässig war, hat eine Arbeit herausgegeben, ge- in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 135 nannt: Beschreibung der Indianer der Nordamerika- nischen Freistaaten (Gothenburg 1848), worin der von mehreren Seiten unterstützten Meinung gehuldigt wird, dass die nordamerikanischen Indianer von Israels Stämmen ab- stammen sollen; dass „die Indianer bestimmt jüdische Gesichts- züge haben“; dass Mac-Kenzie bei den Chippeway -India- nern die Sitte der Beschneidung beobachtet hat u. s. w. Ohne in die vielen Gründe, welche für diese Ansicht angeführt werden, einzugehen und ohne einmal selbst derselben zu hul- digen, führe ich sie hier an als für die Muthmassung spre- chend, welche ich oben aufgestellt habe; dass nämlich die sogen. rothen Indianer nebst den Caraiben- und Guarani- stämmen mit den ehemaligen Guanchen auf der andern Seite des atlantischen Meeres und den mit ihnen verwandten Stäm- men in Nordafrika verwandt sein dürften, welche sowohl in der Gesichts- als Schädelbildung den Juden ganz nahe ste- ben und die stärksten Gegensätze zu dem mongolischen Typus bilden, welcher der asiatischen Seite angehört. — Morton sagt von den alten Aegyptern (Crania Egyptiaca p. 65): „Ihese primeval people, since called Egyptians, were the Mizraimites of scripture, the posterity of Ham and di- rectly affliated with the Libyan family of nations. — In their physical character the Egyptians were intermediate be- tween the Indo-European and Semitic races.“ — Nach der Richtung, welche die Geologie in späteren Zeiten genommen, und den vielen Beweisen, welche sie zu Tage gefördert hat, dass Länder in die Meerestiefe versunken sind, andere sich erhoben haben und noch erheben, scheint die Ansicht nichts Ungereimtes zu enthalten, dass Amerika ehemals in näherer Verbindung sowohl mit Afrika als mit Asien gestanden habe. Unter Amerikas Indianern sollen auch hierauf hindeutende dunkle Traditionen an vielen Orten noch fortleben. Die brachycephalischen amerikanischen Stämme gehören vornehmlich dem gegen Asien, das stille Meer und die Südsee zugewandten Theile von’ Amerika an und sind wahrscheinlich verwandt mit den mongolischen Völkern. Für 136 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt’ d. Ethnologie diese Ansicht, welche bereits von dem Ersten der jetzt lebenden Naturforscher, Alexander von Humboldt, ausgesprochen wurde , treten mehr und mehr sprechende Beweise zu Tage; und da einige dieser amerikanisch-brachycephalischen Völker während der letzten Perioden vor Amerikas Entdeckung die höchste sociale Cultur dieses Erdtheils besassen, so scheint diese so mächtig auf die Einwohner des grössten Theils des grossen Oontinents eingewirkt zu haben, dass in Folge des- sen die ausgezeichnetsten Ethnologen unserer Zeit die Ein- heit der amerikanischen Rasse annehmen zu müssen glaubten. Aus demselben Grunde dürfte erklärt werden können, dass der ausgezeichnete Dr. Latham so sinnreich die Benennung „American-Mongolidae“ (].c.) eingeführt hat, welche Be- nennung er jedoch weiter ausdehnt als die ethnologische Ora- niologie zugeben kann. Ich habe bereits bemerkt, dass der unvergessliche Morton die reichsten craniologischen Beweise für diese Ansicht aufgedeckt hat und dass die Charaktere der brachycephalischen amerikanischen Völker ihm Veranlassung gaben, sie als die für die amerikanischen Indianer im Allgemei- nen herrschenden anzusehen. Ich selbst bin auf Grund der Spe- cimina in den Sammlungen, welche unter meiner Obhut stehen, längst von der Verwandtschaft der brachycephalischen ame- rikanischen Völker mit den Brachycephalen Asiens und der Südsee überzeugt gewesen. In meinem Vortrage bei der Na- turforscherversammlung in Kopenhagen 1847 sagte ich: „Die brachycephalischen Stämme in Amerika bilden eine fast un- unterbrochene Kette durch den ganzen westlichen Theil die- ses Welttheils bis hinab zum Cap Horn und dem Feuerlande.* — Ich eitirte in demselben.Vortrage Pöppigs zuverlässige Angabe über die chilenischen Cholos: „sie sind von Oliven- farbe und ausgezeichnet durch schiefe Stellung der Augen- spalten, eine Eigenschaft aller südlichen Indier in einem ho- hen Grade.“ (Reise in Chili p. 201.) (Verhandl. bei der 5ten Versamml. skandinav. Naturf. Kopenhagen 1849. p. 193. 194.) Auch in meinem Aufsatze „Ueber die Schädel der Pampas-Indianer“ (Öfvers. af K. Vet. Akad. Förh. 1855 No. 1 p.5 u. 6) habe ich meine oben geäusserte Ansicht über in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. ]37 die Vertheilung der dolichocephalischen und brachycephali- schen Indianer ausgesprochen, sowie über die Verwandtschaft der ersteren mit den Guanchen und den atlantischen Völkern, wie die der Brachycephalen mit den mongolischen. Für die letztere Frage haben wir nun auch in Herrn Rector Daa’s gelehrter Arbeit über die Sprachverwandtschaft der in Rede stehenden Völker so viele sprechende Beweise erhalten. Ich glaube jedoch hier vorzugsweise die ferneren Bestätigungen an- führen zu müssen, welche wir durch die ethnologischen Un- tersuchungen erhalten haben, die ganz neuerdings über die Eingebornen in den südlichen Theilen des hoch im Norden gelegenen russischen Amerikas bekannt geworden sind. Ich habe hiebei nämlich hinzuweisen auf eine neulich erschienene vortreffliche Arbeit von Hrn. H. J. Holmberg: Ethnogra- phische Skizzen über die Völker des russischen Ame- rikas. lste Abth. Aus den Acten der Finnl. Soc. der Wis- senschaften besonders abgedruckt. Helsingfors 1855. — Hr. Holmberg, welcher sich längere Zeit in diesem entlegenen Lande aufgehalten und sich wohl vertraut gemacht hat mit der reichen russischen Litteratur über dasselbe und seine Be- völkerung, theilt diese in vier Hauptstämme ein, nämlich: Thlinkithen (welche nach dem russischen Namen Koljusch von den meisten Ethnologen Koluschen genannt werden), Konjagen, Thnaina und Aleuten, welche je ferner in eine bedeutende Anzahl kleinerer Stämme zerfallen. In dem erschienenen Theile werden die zwei erstgenannten oder die Koluschen und Konjagen abgehandelt. Was die Koluschen anbetrifft, so zeigt sich der Verf. mit Wrangel geneigt, die- selben als verwandt mit den Azteken zu betrachten, obgleich ihre Sprache noch so wenig bekannt ist. Ihre Schädelform beschreibt der Verfasser nicht. Von den Konjagen, welche von den Russen Kadjaken oder Kadjaksche Aleuten genannt werden, führt der Verf. Folgendes in Bezug auf ihre Schädelbildung an: „Im Aeus- sern der Konjagen finden sich einige charakteristische Kenn- zeichen, welche sie von den übrigen Völkern der nordame- rikanischen Westküste unterscheiden; zu diesen Kennzeichen 138 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie gehört besonders die Bildung des Schädels, welcher im Nak- ken nicht gewölbt, sondern abgeplattet ist * ne a Schon nach diesen Angaben hatte man Veranlassung zu schliessen, dass diese beiden Stämme brachycephalisch und somit keine Eskimos seien. Dieses habe ich später zu be- stätigen Gelegenheit gehabt durch Erläuterungen des so hoch verdienten Gründers des anatomischen Museums in Helsing- fors, Prof. Evert Bonsdorff. Durch seine Güte habe ich nämlich Schädel beider genannten Stämme zur Untersuchung erhalten. Der Thlinkithen- oder Koluschen-Schädel ist länger als der der Konjagen. Das Hinterhaupt ist mehr platt als gewölbt, doch nicht so platt wie bei dem Konjagen; sehr breit. Die Scheitelebene ist breit und flach, aber längs der su- tura coronalis erhöht. Die Scheitelhöcker sind fast eckig her- vorstehend, die Entfernung zwischen ihnen ist bedeutend, die Seiten sind plötzlich abfallend, die Schläfen gewölbt; die bo- genförmigen Schläfenlinien steigen bis zur Scheitelfläche hin- auf; der Abstand zwischen den Schläfen, so wie zwischen den Mastoidalregionen, sehr beträchtlich. Die ganze Breite des Schädels ist wie bei den Buräten sehr in die Augen fallend. Der Grund des Schädels ist gleichsam eingedrückt nach oben gegen die Hirnhöhle, so dass die Gelenkhöcker am Hinter- hauptsbein gleichsam in fossae condyloideae vertieft sind; die Pars basilaris ossis oceipitis ist flach und horizontal. Die Breite über den Jochbogen ist bedeutend, sowie die des Kinn- ladenbogens; der ganze Knochenbau ist sehr stark und das Gewicht des Schädels ungewöhnlich gross. Betrachtet man ihn im Profil, so möchte man leicht schlies- sen, dass dieser Schädel zu der dolichocephalischen Form ge- höre, aber wenn man ihn von unten betrachtet oder seine Pe- ripherie ansieht, zeigt sich deutlich der mongolische oder bra- chycephalische Typus. Die Gesichtsbildung bat jedoch einige ‚Aehnlichkeit mit‘der der Eskimos, so dass er im Ganzen eine ÜUe- bergangsform bildet zwischen der Schädelform von diesen und der der Konjagen, welche mehr aztekisch ist. Sowohl Blu- menbach (l.c. Pl. LV.) als Sandifort (l. ce. F. IH.) haben in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 139 Thlinkithenschädel unter dem Namen Ör. Schigitana, von derselben Form wie der hier besprochene, beschrieben und ab- gebildet; sowohl der Blumenbachsche wie der Sandifort- sche sind durch die Krusensternsche Expedition von der Nor- folksbai heimgebracht. Der Schädel des Konjag ist vor- züglich ausgezeichnet durch seine Kürze, sein flaches, breites, schräg hinten abschüssiges Hinterhaupt, seine hohen Schlä- fenbogenlinien, seine kurze, trapezoidale, viereckige Scheitel- fläche, seine breiten Jochbogen, den schmalen, scharfen Na- senrücken, sowie eine kleine, birnförmige Nasenöffnung. Die Zähne dieses Schädels sind ausgefallen und die Alveolen zu- sammengefallen, so dass man nicht urtheilen kann, wie der Alveolarbogen beschaffen war während der Zeit, wo die Zähne noch zugegen waren. Auch an diesem Schädel ist die Scheitelebene längs der Pfeilnakt erhöht.. Durch seine Kürze und sein flaches Hinterhaupt bat dieser Schädel Aehn- lichkeit mit dem der Atzteken. Durch eine besondere Güte des Herrn Henry Ühristy hat unser Museum zwei ähnliche Schädel erhalten, welche aus einem atztekischen Begräbnissplatze bei Mexico ausge- graben wurden. Dieser Begräbnissplatz wurde entdeckt, als man 1849 für die Befestigung der Stadt Mexico Wälle und Gräben um die Stadt zog, um sie gegen die Kriegsheere der vereinigten Staaten vertheidigen zu können. Man fand bei die- sen Ausgrabungen ausser den Schädeln eine Menge atztekischer Geschirre, Geräthschaften und Bilder, von denen ein grosser Theil von Hrn. Young in Mexico aufbewahrt wurde. Der Schädel, welche ich von Hrn. Christy erhielt, waren vier an Zahl; der eine wurde, in Üebereinstimmung mit ihm, der .ethnologischen Gesellschaft in London durch ihren Secretär, Hrn. Cull überlassen. Alle vier Schädel wurden in der eth- nologischen Section der British association in Glasgow 1855 vorgezeigt und sind in den Verhandlungen der Versammlung erwähnt worden („on Celtic, Slavie and Azteec crania. By Prof, Retzius.* The report of the British association ete. Glasgow 1355 p. 145). Sie haben viel Aehnlichkeit mit den brachycephalischen peruvianischen Schädeln, welche Mor- 140 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie ton abgebildet hat, sowie mit denen, welche ich unter dem Namen Inca-Peruvianer beschrieben habe. (Öfvers. af K. V, Ak. Förh. No.7. 1848. p. 140.) Diese Aztekenschädel sind alle kleiner als der Konjag- Schädel, nicht so breit und haben nicht so hervorragende Schläfen. Sie sind auch ausgezeichnet durch ihre Kürze, durch ihr breites, flaches, schief nach hinten abschüssiges Hinterhaupt, hohe Schläfenbogenlinien, kurze, trapezoidale Scheitelfläche; mit einer kleinen Erhöhung oder Firste längs der Sutura sagittalis; die Basis cranii ist sehr kurz; das Ge- sicht ist schwach prognathisch wie bei kalmuckischen Mongo- len; die Alveolarbogen breit; die Nasenöffnungen sind ziem- lich klein, aber die Nasenbeine hervorstehend wie bei Euro- päern. — Das Gesicht im Ganzen ist flach mongolisch; die Kinnladenbogen ziemlich weit. Zwischen dem russischen Amerika und Mexico liegt das Oregongebiet. Die Schädelform der Bewohner desselben ist wohl bekannt durch Morton (Cr. Am.), welcher so gute Abbildungen der Chinoak, Klatstoni, Killemook, Clat- sap, Kalapooyah, Clickitat u. s. w. geliefert hat. Wir haben drei interessante Oregon-Indianer-Schädel in unserm Museum, zwei von Dr. Morton und einen von Prof. Mughs in Philadelphia. — Die ersteren habe ich bereits vor langer Zeit beschrieben (Öfvers. K. V. Ak. Förh. 1847, No 1. p. 27) und ihren brachycephalischen, mongolischen Typus gezeigt, welcher besonders deutlich hervortritt, indem der Schädel nicht der verticalen Abplattung unterworfen worden ist, wel- che unter diesen Indianerstämmen gebräuchlich ist. Dass die Araukaner in Chili Brachycephalen sind und eine mit der der Peruaner und Mexicaner verwandte Schädelform besit- zen, dürfte ohne allen Zweifel sein. — Die Araukanerschä- del, welche Morton beschrieben, sind deutlich brachycepha- lisch, mit breiten Kinnladenbogen. Eine besondere Bestäti- gung hiervon erhielt ich vor einigen Jahren, als mein frühe- rer Gehülfe und Prosector, Herr Ehrenfried Ekströmer, welcher als Schiffsarzt die Fregatte Eugenie auf der Reise um die Welt begleitete, Chili besuchte. Herr Ekströmer in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 141 hatte besonderen Auftrag, die Schädelform bei den Arau- kanern zu beobachten, und gab auch den Bescheid, dass sie ausgemacht Brachycephalen seien. Von Chili haben die bra- chycephalischen Stämme sich bis in die Pampas der Republik Buenos Ayres, sowie über ganz Patagonien und bis zu dem Feuerlande ausgedehnt. Von den Pampas-Indianer -Schädeln hat unser Museum drei besonders gute Specimina von in Süd- amerika ansässigen Schweden erhalten; einen von Hrn. Wil- helm Smitt, ehemals Besitzer grosser Güter in der Banda oriental, einen von Dr. Michaälson, Artis obstetriciae Pro- fessor in Montevideo, und einen von Dr. Ernst Äberg, praktisirendem Arzte in Buenos Ayres. Ausserdem haben wir den Gipsabguss eines 13jährigen Mädchens vom Puelches- stamme. Dieses Mädchen befand sich unter den Indianerkin- dern, die als Kriegsgefangene in einem der Ausrottungskriege ergriffen waren, welche unter General Riberas gegen die Pampas-Indianer geführt wurden, und wurde als eine Cu- riosität nach Schweden gebracht. Eine nähere Beschreibung desselben ist von mir verfasst und in Herrn Tarras Ab- handlung: „Ueber die Indianerstämme in den Plata- und Oriental-Republiken“ in der K. Vet. Akad. n. Handl. 1845 mitgetheilt worden, nebst einem vortrefflichen Portrait, so- wohl in Profil wie en face, ausgeführt von Hrn. Wilhelm von Wright. Während meines Aufenthalts in Paris 1833 langte dort ein ganzer Trupp von Pampas-Indianern an, von den sog. Charrua’s, und unser Museum besitzt einen Gips- abguss von einem der Männer, einem alten Caziken. Latham hat in seiner kleinen interessanten Schrift: „The varieties ofthe human species“ in „Orr’s eircle of sciences“ gute Profilfiguren geliefert von der Büste sowohl des Char- rua wie des Puelches-Mädchens. Von dem letzteren hat er auch eine Figur en face nach von Wrights erwähntem Por- trait in seinem grössern Werke: „The varieties of man“ mitgetheilt. Morton hat in seinem oft ceitirten grossen Werke einen Schädel eines Charrua (aus Brasilien) sowie eines Puelches dargestellt, beide nach Originalen in den Museen des Jardin 142 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie des Plantes in Paris. — Er sagt von dem. Puelchesschädel: „Wir sind erstauut über das breite Gesicht, den hervorragen- den Oberkiefer, den gewölbten Jochbogen, das flache Stirn- bein, das abgeplattete Hinterhaupt und die starke Ent- wickelung über den Ohren. Die Grösse des Unterkiefers und die Vollkommenbheit der Zähne sind auch charakteristisch.“ (We are at once struck with the broad face, the projecting upper jaw, the arching of the zygoma, the low os frontis, the flattened occiput, and the fullness of development above the opening of the ears. The size of the lower jaw and the perfection of the teeth are also characteristie.) 1. c. p. 137. — Den Pampas- oder Puelches-Schädel, den unser Museum von Herrn Smitt erhalten hat, habe ich genauer beschrie- ben und abgebildet (in Öfversigt af K. Vet. Akad. Förh. No. 1. 1855). Er stimmt sehr wohl mit Mortons Beschrei- bung überein, aber der Unterkiefer und die Zähne fehlen. Diese finden sich dagegen an dem Schädel, welcher uns von Dr. Michaelsson zugesandt wurde und sind, wie Morton sagte, sehr entwickelt, sowie auch die Ohröffnungen gross und fast rund sind. Von Indianern aus dem Feuerlande habe ich keine Schä- del gesehen, wohl aber die vortrefflichen Profilportraits, wel- che in Capitain Fitzroy’s Reise aufgenommen sind (Narra- tive of the surveying voyage etc. 1839). Aus diesen Por- traits sieht man, dass die in Rede stehenden Indianer, die Fugier, in fast noch höherem Grade brachycephalisch sind als die Pampeaner. Es scheint, dass wir so überall bei diesem Ueberblick volle Bestätigung gefunden haben, dass die brachycephalische und prognathische Kopfform von den Küsteu des russischen Amerikas bis zum Cap Horn und dem Feuerlande die vorherr- schende ist; eine Ansicht, welche man in seiner Weise auch sehr wohl von Morton selbst in einem nach seinem Tode herausgegebenen Werke ausgedrückt findet, worin er sagt: „Jeder, welcher diese Sache mit Aufmerksamkeit studirt hat, weiss, dass der peruanische Schädel eine runde Gestalt hat, mit abgeplattetem, fast senkrechtem Hinterhaupt. in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. 143 Er ist zugleich ausgezeichnet durch einen erhöhten Scheitel, grosse Interparietalweite, schweren Knochenbau, vorstehende Nase, und breite, prognathische Maxillargegend. Dieses ist der Typus der Schädelform bei allen Stämmen vom Cap Horn bis Canada, in höherem oder geringerem Grade. (Morton’s inedited Mss. in Types of Mankind etc. by J. ©. Nott and Geo. R. Gliddon, London and Philadelphia 1554, p. 325.) Wie bekannt ist, verwarf Morton die Idee, dass diese In- dianerstämme mit den Mongolenstämmen verwandt seien, ein Verhältniss, welches er nur den Eskimos beilegte. Ebenso nahm er als eine abgemachte Sache an, dass mit Ausnahme der Eskimos alie Amerikaner von derselben Race seien. In einer seiner letzten Abhandlungen sagt er jedoch hierüber: „Ich kann versichern, dass ich nach 16jährigen fast täglichen Vergleichungen nur die Bestätigung der Schlusssätze gefun- den habe, welche ich in meinen Urania americana hin- stellte, dass alle amerikanischen Volksstämme, mit Ausnahme der Eskimos, von einer Race sind und dass diese eigen- thümlich und verschieden von allen anderen ist. Der erste dieser Sätze kann als ein Axiom in der Ethnographie betrachtet werden; über den andern finden noch verschiedene Meinungen statt und von diesen ist die überwiegendste die- jenige, welche die amerikanische zu der mongolischen Race versetzt.“ (Some observations on the Ethnography and Archaeology of the American Aborigines. Extr. from the amer, Journ. of science. Vol. II. 2.Sec, New-Haven, 1846. p. 9.) Wir sind in dem Vorhergehenden diesen Volksstämmen, welche wir mit Latham vorziehen „American-Mongo- lidae* zu nennen, vornehmlich längs den Küstenstrichen gefolgt. Sie haben sich jedoch auch weit landeinwärts in öst- licher Richtung erstreckt. Man findet so nach Morton’s grossem Werke (Urania americana) dieselben an den Ufern des untern Missisippi als Nachez, in Louisiana als Cheti- machies, in Georgien, Alabama und Florida als Musco- gees oder Creeks, in Florida als Uchees und Semiolen, in Wisconsin als Menomindes und Ottigamees, in Arkan- 144 A. Retzius: Blick auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie sas als Osage. Ausserdem hat Morton Schädel derselben Form aus alten Gräbern in Virginia, Ohio und Teness&e be- schrieben und abgebildet. In dem Museum des Carolinischen Instituts besitzen wir zwei solcher mongolenförmiger Schädel, geschenkt von Morton, nämlich eines Sac-Indianers aus Missouri und eines Menomine aus Michigan. Das Eindringen dolichocephalischer Stämme in westlicher Richtung bis nach Peru ist in dem Vorhergehenden berührt, aber die eigent- lichen Stammsitze sind stets seit der Eroberung des Landes durch die Europäer und grossentheils bis zu unserer Zeit un- verändert beibehalten worden. Bevor ich diese Uebersicht über den Einfluss, welchen das Studium der Schädelform bei den verschiedenen Volks- stämmen auf die Entwickelung der Ethnologie ausgeübt hat, schliesse, dürfte es nicht unpassend sein, hier die Frage: über die künstliche Umformung des Schädels zu berühren. Diese ehedem von’ mehreren orientalischen, grie- chischen und römischen Autoren besprochene oder beschrie- bene heidnische Sitte war lange ganz in der civilisirten Welt vergessen, bis man entdeckte, dass die wie ein Wun- der erscheinende Eigenthümlichkeit bei mehreren amerikani- schen Indianerstämmen stattfinde. Blumenbach, welcher bei der Beschreibung eines Caraibenschädels von St. Vincent zur Anregung dieser Frage veranlasst wurde, erinnert daran, dass Sabatier, Camper und Arthaud die Möglichkeit einer solchen künstlichen Bildung des Schädels leugnen, widerlegt aber selbst diese Ansicht ganz vollkommen (Dee. la. p.27). In seiner Beschreibung des Schädels eines Türken (l. cc. p. 16) führt er ein langes Citat aus Vesalius (De corp. hum. fabr. p. 23 ed. 1555) an, welches wohl werth ist, auch hier wie- der in Erinnerung gebracht zu werden: „plerasque nationes peculiare quid in capitis forma sibi vindicare constat. Genuen- sium namque, et magis adhuc Graecorum et Turcarum ca- pita globi fere imaginem exprimunt, ad hance quoque. (quam illorum non pauci elegantem et capitis quibus varie in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. |45 utuntur tegumentis accomodatum censent) obstetrieibus non- numquam magna matrum solieitudine ferentibus.* — Lange Zeit nachher erregte diese Sache wenig Aufmerksamkeit, bis Pentland die merkwürdigen Schädel aus Peru heimbrachte, welche von Tiedemann (Zeitschrift für Physiologie Bd. 5. H.1.p.107) beschrieben, in Gips abgegossen und in so viele öffentliche und private Sammlungen zerstreut wurden. Viele andere künstlich geformte Schädel kamen nun aus demsel- ben Welttheil von mehreren verschiedenen Formen nach, bis wir in Morton’s „Crania americana“ eine ganze Geschichte dieser Sitte und der Weise, in welcher die Formung bei mehreren Indianerstämmen geschah , zu sehen bekamen. Die mannichfachen und gründlichen Nachrichten, welche wir so aus Amerika erhielten, machten, dass diese unge- reimte und heidnische Sitte, den Schädel künstlich umzu- formen, fast allgemein als ur-amerikanisch angesehen wurde. Ueber die künstliche Formung blieben jedoch die Meinungen lange getheilt. So wurde wiederum selbst von dem ausge- zeichneten Anatomen Tiedemann (l.c.) erklärt, dass die sonderbare Form nicht künstlich, sordern eine natürliche Bildung sei. Derselben Meinung war der Schweizer Natur- forscher und Reisende Tschudi. Im J. 1844 beschrieb ich einen Avaren-Schädel, von dem mir durch Prof. J. Hyrtls Güte ein Gipsabdruck mitgetheilt war. Dieser Avaren-Schädel war künstlich geformt, mit einer nach hinten gerichteten, sehr verlängerten Seheitelgegend, zeigte aber im Uebrigen alle Merkmale, dass er einem tura- nischen, d. h. brachycephalischen Individuum angehört habe. Dieses bestätigte die bereits erweckte Vermuthung, dass er einem Avaren angehört habe, da die Avaren ein Zweig des uralisch-türkischen Stammes sind. Tschudi hatte bekanntlich erklärt, dass dieser Schädel einem Peruaner angehört habe. — Im vorhergehenden Jahre erschien eine merkwürdige Ab- handlung von Rathke (Müller’s Arch. 1843, p. 142), wor- aus man ersah, dass ganz ähnliche Schädel bei Kertsch in der Krimm ausgegraben waren. Rathke verwies auf Hip- pokrates Buch: „De aöre aquis et locis* L. IV., und auf Müller’s Archiv, 1858. 10 146 A. Retzius: Bliek auf d. gegenwärtig. Standpunkt d. Ethnologie i Strabo, welche von der Sitte der makrocephalischen Sey- then, durch Binden und Druck künstlich den Schädel zu bil- den, berichteten. Mehrere ähnliche Schädel aus der Gegend von Kertsch sind später beschrieben von Dr. Carl Meyer (Müller’s Arch. 1850). 1854 lieferte Dr. Fitzinger in Wien eine besonders reich-\ haltige und gelehrte Abhandlung: „Ueber Schädel der Avaren“ etc. in den Denkschriften der Kais. Akademie der Wiss. V.I. Wien 1354, worin er zeigt, dass die Umformung des Schädels in den Schriften älterer Autoren von mehreren Landstrichen des ehemaligen oströmischen Kaiserreiches be- sprochen wird, und zugleich einen später in Niederösterreich gefundenen gepressten antiken Schädel beschreibt. Im Jahre 1852 erhielt ich von Herrn Troyon, in der Schweiz, Zeich- nungen und Beschreibung zweier ähnlicher, gepresster, an- tiker Schädel aus der Schweiz und Savoyen, nach denen ich eine Darstellung in K. Vetensk. Akad. Förh. Öfv. 1854 gab, Durch wichtige Aufschlüsse des gelehrten französischen Aka- demikers Amadee Thierry (Attila etc.) hatte ich gefun- den, dass die Sitte, künstlich den Schädel zu formen, in der - Vorzeit von den Mongolen ausgegangen sei und die Hunnen sie von ihnen gelernt haben; auch dass diese Operation aus- geführt wurde, um den Individuen eine aristokratische Aus- zeichnung zu geben, wie Hippokrates von den makroce- phalischen Scythen angedeutet hat und wie es noch der Fall bei den Oregon-Indianern ist. Aber zugleich hatte ich Ge- legenheit zu zeigen, dass diese Sitte noch in Frankreich be- stehend gefunden wird, wahrscheinlich übrig geblieben aus den entlegenen Zeiten, wo die Hunnen Herren des Landes waren. Diese in gewissen Strichen von Frankreich noch be- stehende Sitte findet sich nämlich besprochen und beschrie- ben in Dr. Fovilles Arbeit über die Anatomie des Gehirns (Traite complet de l’anatomie, de la physiologie et de la pathologie du systeme nerveux cerebrospinal. Paris 1844, p. 632. Atlas. Pl. 23. Fig. 1,2), ohne dass jedoch der Ver- fasser irgend eine Ahnung von dem historischen Grund und der Bedeutung der Sitte gehabt zu haben scheint. Die Sache in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes, 147 wird hier als eine Unsitte erwähnt, welche zur Störung der Seelenfunetionen beiträgt. — Nicht lange darauf erhielt ich von Professor Geffroy in Bordeaux die Bestätigung, dass diese Sitte noch im südlichen Frankreich, nicht weit von Mar- seille besteht. Sie soll sich auch noch an mehreren Stellen in der Türkei finden, wie oben aus Vesal u. A. angeführt ist. Da es so vollständig nachgewiesen ist, dass der in Rede stehende Gebrauch, den Schädel künstlich umzuformen, von der entferntesten Vorzeit her einem [heil der östlichen Völ- ker angehört hat und dass derselbe nach Thierry als eigentlich mongolisch erklärt wurde, so warf ich auch in derselben Schrift die Frage auf, ob nicht auch diese Sache für ehemalige Verbindungen zwischen der alten und neuen Welt spräche? Diese Sache scheint nunmehr ausser Zweifel gesetzt zu sein durch die zahlreichen Argumente, welche nach und nach, ausgegangen von so vielen und so gründ- lichen Forschern, hervorgetreten sind. Wahrscheinlich ist die Sitte mit den Mongolen nach Amerika hinübergekommen und hat sich von ihnen auch über das nicht mongolische Volk auf dem amerikanischen Continent zerstreut. Es scheint klar, dass die Pressung bei der grössten Anzahl der Stämme auf das Hinterhaupt geschah, um diesen Theil flach und kurz zu machen. Diese Pressungsweise ist die allgemeinste bei den amerikanischen Mongolen oder den brachycephalischen Indianern gewesen. Die Pressung von oben (unter den Flat- heads) kommt wahrscheinlich von der nähern Nachbarschaft der Oregon-Indianer mit den Eskimos her, welche grosse und breite Köpfe haben. Die Pressung von vorn (Huanchas, Caraiben) scheint den Schädel noch mehr dolichocephalisch haben machen sollen und gehört daher den Dolichocephalen an, für welche ich mir hier nach des ausgezeichneten La- thams Beispiel den Namen Amerikanische Semiten vor- zuschlagen erlaube, und so schliesst diese Mittheilung mit dem Vorschlage, die zwei grossen Hauptabtheilungen der soge- nannten amerikanischen Indianer Amerikanische Mongo- len und Amerikanische Semiten zu nennen. 10* 148 Theodor Billroth: Einige Beobachtungen üb. d. ausgedehnte Einige Beobachtungen über das ausgedehnte Vor- kommen von Nervenanastomosen im Traetus in- testinalıs. Von Dr. TuEoDor BILLROFH. (Hiezu Taf. VI.) Die Nervenanastomosen, welche man im ersten Beginn der mikroskopischen Anatomie ruhig hingenommen hatte, erreg- ten nach der Entwicklung der modernen Nervenphysiologie grosses Aergerniss, und der heftige Kampf, welcher sich ge- gen dieselben erhob, ward mehr oder weniger bis jetzt noch fortgekämpft. Durch R. Wagner’s rastlose Bemühungen auf dem Felde der Nervenhistologie gelang es, für einige Ge- webe, wo man früher Anastomosen angenommen hatte, die freien Enden (im elektrischen Organ der Zitterrochen) oder Endigung in besonderen Organen (Tastkörperchen) zu con- statiren. Hieran schlossen sich die neuen Untersuchungen der Retina von H. Müller, die Corti’schen Untersuchun- gen über das Gehörorgan, die Entdeckungen von Eckhardt, Ecker und Schultze über die Endigung der Geruchsner- ven, die Veröffentlichungen von Leydig über eigenthüm- liche nervöse Organe in der Haut bei Fischen etc., und Alles dies trug dazu bei, den Gedanken an Nervenanastomosen, und nun gar an Nervenendplexus völlig in den Hintergrund zu drängen, ja die Meisten perhorrescirten die blosse Idee eines Nervenplexus als etwas längst Abgethanes, als etwas physiologisch Unmögliches. Vorkommen von Nerveuanastomosen im Tractus intestinalis. ]49 Nur ein Histolog hielt besonders fest an den Nervenana- stomosen: Kölliker hat bis auf die allerneueste Zeit immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Nervenendplexus vor- kommen; ausser seinen früheren Abbildungen hat der genannte Forscher neue Zeichnungen von Nervenanastomosen aus der Haut der Maus (Zeitschrift f. wissensch. Zoologie Bd, VII. Taf. XIV. Fig. 10), aus der Riechschleimhaut von Scylikum canicula (Würzburger Verhandl. Bd. VIII. Taf. 1. Fig. 4) und aus dem elektrischen Organ des Zitterrochen (ibid. Fig. 1) gegeben. His hat ferner in der bekannten Arbeit über die Cornea wieder mit Bestimmtheit die Existenz von Anasto- mosen behauptet und letztere abgebildet; die Nervenplexus in der Cornea sind mir um so unzweifelhafter, als ich His’s Präparate kenne und ihre Beweiskraft zu klar ist, als dass es sich der Mühe lohnute, die dagegen gemachten Einwendun- gen weiter zu berücksichtigen. Die nachfelgenden Beobachtungen, wonach ausgedehnte Nervenanastomosen in der Submucosa des ganzen Tractus intestinalis vorkommen, entstanden dadurch, dass ich mit verschiedenen Methoden die Zungen- und Gaumenschleimhaut von Wassersalamandern, Fröschen, Schildkröten, Fischen, Vögeln ete. untersuchte, allerdings um gegen die Nerven- plexus zu arbeiten und die Endigung der Geschmacksnerven in specifischen Zellen zu ünden, wie ich etwas der Art beim Frosch gesehen zu haben glaubte. Die ersten unzweifelhaften Nervenplexus fand ich in der Schlundschleimhaut des Wassersalamanders bei folgender Un- tersuchungsmethode: von dem frisch abgeschnittenen Kopf wurde der Unterkiefer mittelst Durchschneidung der Mund- winkel an beiden Seiten getrennt und in ein Näpfchen mit gewöhnlichem Kochessig geworfen; hierin quellen in 6 - 8 Stunden die Weichtheile auf, so dass alles Bindegewebe gal- lertig durchsichtig ist und nur die Bindegewebskörperchen zeigt. Mit einem weichen Tuschpinsel pinselt man leicht die ganze Epitheliallage von Zunge und Gaumenschleimhaut ab, und nimmt nun von der Oberfläche der letzteren dicht hinter dem vorderen kleinen musculösen Theil der Zunge, zwischen 150 Theodor Billrotk: Einige Beobachtungen üb. d. ausgedehnte ihm und dem Eingang in den Larynx einen Abschnitt von der Fläche. In diesem findet man immer eine grosse Menge feiner Nervenfasern, die ein sehr verschieden enges und wei- tes Netz bilden. Wenngleich diese Fasern von jedem, dem feine Nervenelemente aus eigenem Augenschein bekannt sind, für nichts Anderes gehalten werden können, so hebt der hier leicht nachzuweisende Zusammenhang mit kleinen evi- denten Nervenstämmchen jeden Zweifel (Fig. 1). — Die feinsten Nervenfäden, welche die reichsten Anasto- mosen bilden, sind blasse, leicht glänzende Fäden, an de- nen durchaus keine verschiedenen Schichten zu unterschei- den sind; in ihnen sind grosse Kerne mit mehreren Kern- körperchen eingelagert; diese Kerne liegen zum Theil in den Knotenpunkten der Netze, zum Theil aber auch in den Fa- sern während ihres Verlaufs. Der gestreckte starre Verlauf dieser blassen Nervenfasern macht sie ebenfalls leicht kennt- lich vor. anderen Faserarten, mit denen sie an den genann- ten Orten gar nicht verwechselt werden können, da hier, ausser den später zu erwähnenden Ausläufern grosser Stern- zellen, keine anderen Fasern vorkommen. Diese feinsten Nervenelemente vereinigen sich zuweilen zu kleinen Stämm- chen, zuweilen entspringen sie direct aus Nervenstämmchen mit doppelt contourirten Fasern; wie dies geschieht, darüber habe ich mir keine klare Anschauung verschaffen können, ob diese feinen Nervenfasern in unmittelbarem Zusammen- hang mit dem Axencylinder stehen oder nur mit der Scheide der Primitivfaser zusammenhängen; ich habe dıes Verhältniss so gezeichnet, wie ich es gesehen habe. Nach längerer Ein- wirkung des Essigs verändern sich die in den kleinen Ner- venstämmen oft sehr fein contourirten Primitivfasern, doch so, dass man eben über diese Verhältnisse keine völlige Klarheit gewinnt. Die grossen Kerne, die man in den Ner- venstämmchen in grosser Menge sieht, schienen mir zuweilen in den Axeneylindern zu liegen, wie kleinste Ganglienzellen, was bei anderen Thieren, z. B. beim Flusskrebs beobachtet ist und was ich später bei der Schildkröte ganz evident deut- lich fand. Vorkommen von Nervenanastomosen im Tractus indestinalis. 15] Dass die feinen Nervenfasernetze von bezeichnetem Orte als Endplexus anzusehen sind, scheint mir ziemlich zweifel- los; ich habe von diesen Fasern aus nie frei endigende Aus- läufer gesehen (natürlich mit Ausnahme der Grenzen des Präparats), sondern alle Fasern standen hier in continuir- lichem Zusammenhang unter einander. Da man nun hier eine Oberfläche völlig frei übersieht, so könneu diese Ner- vennetze wohl als nichts anderes als Nervenendplexus an- gesehen werden; es ist dies übrigens auch in dieser Bezie- hung das günstigste Beobachtungsobject, was mir bisher be- kannt ist. Ehe ich weiter auf die Nervenplexus bei anderen Thieren übergehe, will ich hier noch einiger höchst auffallender und eigenthümlicher Zellen und Fasern erwähnen, die ich bei an- deren Tbieren an denselben Orten bisher vergeblich gesucht habe. Wenn man die Präparate nach oben genannter Me- thode untersucht, findet man nämlich in der Schleimhaut ausser den Nervennetzen immer noch eine verschieden grosse Anzahl von sehr verästelten grossen Sternzellen (Fig. 2) mit sehr vielen Ausläufern, die vielfach unter einander anasto- mosiren und dadurch an manchen Stellen ebenfalls ein deut- liches Netz bilden. Diese Zellen. besitzen bestimmt keine Membranen; ihre Contouren, sowie die ihrer Ausläufer, sind nicht scharf und ihre Substanz ist blass grobkörnig. Meist sieht man einen grossen Kern im Zellkörper, in anderen Fällen kommt ein solcher nicht zur Beobachtung. In Form und Oharakter machten diese Zellen zuerst den Eindruck auf mich wie Pigmentzellen ohne Pigment; hie und da findet ‚man auch einzelne dunklere Körnchen wie Fett darin. Mit den übrigen in der Substanz der Schleimhaut liegenden Binde- gewebskörperchen haben sie nichts gemein, sie sind viel grös- ser und noch besonders durch ihre enorm leichte Zerstörbar- keit charakterisirt. Schon ‘nach 6stüudiger Maceration des Präparats in Essig findet man in der Regel eine Menge von zerfallenen Zellen der Art, besonders aber viele zerfallene 152 Theodor Billroth: Einige Beobachtungen üb. d. ausgedehnte. ‚Ausläufer und Fasern; nach 24stündiger Maceration sieht man fast nichts mehr von ihnen. 2 Es liegt dies System von Zellen und Fasern der Ober- fläche sehr nahe; die Zellen liegen nicht selten dicht an den Capillargefässen, an den Nervenstämmchen, auch ‚zwischen den Muskelfasern, und umklammern diese Elemente mit ibren Spinnenbeinen ähnlichen Ausläufern. Dass dies Zellensystem unter einander zusammenhängt, habe ich bereits erwähnt, einen Zusammenhang mit anderen Theilen babe ich trotz der ausdauerndsten Untersuchung nicht finden können; sie hän- gen weder mit den Muskeln noch mit den Nerven zusammen. , Ihre Wesenheit ist mir demnach nicht völlig klar geworden. Im Allgemeinen ist der erste Eindruck, dass es Zellen analog den Pigmentzellen sind, überwiegend bei mir geblie- ben; gerade die Pigmentzellen umgreifen oft so die Gefässe und Nerven sowohl bei Salamandern, als bei Schildkröten und bei Nattern. Die grosse Zerstörbarkeit dieser Elemente spricht etwas für nervöse Natur; dann müsste dies aber ein isolirtes peri- pherisches Nervensystem sein, was sich doch gewiss auch bei anderen Thieren vorfinden würde; freilich sind dort die Schwierigkeiten der Untersuchung weit grösser; Gehalt an Pigment und kleinen Fettkügelchen spricht nicht direct ge- gen die nervöse Natur dieser Zellen. Sollten die Ausläufer dieser Zellen dennoch mit Muskel- fasern oder mit den Ausläufern der Epithelialzellen in Ver- bindung stehen? ich habe nichts davon auffinden können. Bei weiterer Untersuchung fand ich zunächst in der Schleim- haut des Schlundkopfes vom Frosch, sowie auch in der Ma- genschleimhaut desselben Thieres und später auch des Was- sersalamanders ausgedehnte Anastomosen und Verästelungen feinster Nervenfasern. Die Untersuchungsmethode ist dieselbe, nur dass man den Präparaten, wenn sie zu schleimig weich sind, durch geringes Erhärten in Chromsäure (in ‚weingelber Lösung 24 Stunden) wieder eine augenebmere ÜConsistenz SSE TE ‘Vorkommen von Nervenanastomosen im Tractus intestinalis. ]53 giebt, wobei das Bindegewebe seine durchsichtige Beschaf- fenheit behält. Von diesen Präparaten habe ich jedoch nur Querschnitte mit der Scheere machen können, da man die oberste Schicht der Schleimhaut mit den dicken Drüsen nicht ohne Zerstörung der Submucosa, in der die feinen Nerven- fäden liegen, herunterbringt. — Es finden sich hier nur blasse Nervenfasern und feinste Fäden mit eingelagerten Kernen diese laufen, wenn sie aus der Muscularis herausgetreten sind, ziemlich gerade auf die Drüsenschicht los, geben jedoch auf diesem Wege Aeste ab und anastomosiren mit anderen zu ihnen tretenden.‘ Zu verwechseln wären diese Fäserchen hier nur mit den Faserzellen der Muskelschicht, die unmit- telbar die Drüsen umspinnen; diese sind hier ziemlich lang und können, wenn sie aus einander gedrängt werden, Zweifel über ibre Natur erregen; wenige Präparate genügen hier zur Orientirung. Ein anderes von mir beobachtetes Object ist die Schlund- schleimhaut der Schildkröten; diese eignet sich weniger zum Studium der Nervenplexus, weil hier die Oapillaren enorm reichlich und ziemlich eng und kernreich sind, nnd weil die Menge der Bindegewebskörperchen so sehr gross ist. Auch hier kommen Nervennetze vor, doch noch schöner sieht man hier deutlich Zellen in die doppelt contourirten Nervenfasern eingeschaltet, die wohl zweifellos als Ganglienzellen zu be- trachten sind, zuweilen mehrere Zellen an einer Primitivfa- ser; diese Verhältnisse sind hier weit leichter zn unterschei- den wie beim Salamander, weil bier die Kerne in den Ner- venscheiden soviel kleiner sind (Fig. 3 a). Zum Vergleich habe ich daneben ein Stück einer breiten Nervenfaser aus der Zunge vom Wassersalamander gezeichnet (Fig. 3 b); soll- ten diese grossen Kerne und vielleicht die Kerne der Ner- venscheiden überhaupt nicht in einer genaueren Beziehung zur Nerventhätigkeit stehen? Es ist auffallend, dass die Kerne in den Scheiden der Primitivfasern um so häufiger werden, je dünner der Nervenstamm wird, und dass sie endlich in den feinsten Fasern allein übrig bleiben; hier. haben sie doch wohl ausser der Ernähruug der specifischen Faser auch noch 154 Theodor Billroth: Einige Beobachtungen üb. d. ausgedehnte die Bedeutung von kleinen Nervencentren, kleinen Ganglien, wie dies His a.a. O. bereits früher ausgesprochen hat. Bei der grossen Gleichartigkeit der Faserelemente und ihren fein- sten Theilen bleibt fast nichts Anderes übrig, als die Diffe- renz der physiologischen Function dieser Fasern in ‘einer specifischen Thätigkeit ihrer Kerne zu suchen. In dem muskulösen Theil der Zunge der oben erwähnten "Thiere habe ich ebenso wenig wie in der Froschzunge Ner- venplexus auffinden können. Die Objecte sind zu ungünstig. Auch Zungen von Säugethieren und vom Menschen habe ich nach verschiedenen Methoden vielfach in Bezug auf diese Ver- hältnisse untersucht, jedoch nichts mehr als bekannt in Be- zug auf die Nerven herausgebracht. Soweit waren diese Untersuchungen, als mir durch Meiss- ner brieflich die Mittheilung von der Existenz einer Menge von mikroskopischen Ganglien in der Submucosa des Darms gemacht wurde, eine Entdeckung, die jetzt bereits veröffent- licht ist (Zeitschrift für rationelle Medicin Bd. VIII. Heft 2 p- 364). Nach Meissner’s Untersuchungsmethode (Macera- tion in verdünntem Holzessig) constatirten sich leicht die an- gegebenen Verhältnisse. Ausserdem aber fand ich bei dieser Methode auch, wenngleich sehr spärlich, äusserst blasse, sehr feine körnige Fasern von gestrecktem Verlauf, mit eingela- gerten ovalen Kernen, deren nervöse Natur ich nach meinen früheren Beobachtungen zwar vermutbete, doch nicht bewei- sen konnte. Ein durch Zufall glücklich gewähltes Object er- gab auf einen Schlag alle diese Verhältnisse mit solcher Evi- denz, dass die vorigen Beobachtungen dagegen nur als Ana- logien noch Interesse behalten. In dem Dünndarm eines 6 Tage alten Kindes zeigten sich die Ganglien und Nerven in solcher Masse und in so dichten Anastomosen, dass man sich kein schöneres Bild wünschen kann, An den Nervenstäimmen waren weder einzelne Pri- mitivfasern, noch in den feineren Fasern einzelne Schichten zu unterscheiden, sondern sie bestanden alle aus einer kör- Vorkommen von Nervenanastomosen im Tractus intestinalis. 155 nigen, blass glänzenden Substanz. Die dickeren hatten eine Art von Adventitia, oder vielmehr Adventitialzellen, die nach den feineren Enden weiter aus einander lagen und dann ganz fehlten; dies ist gewiss als Bindegewebe (Neurilemm) aufzu- fassen und entspricht nicht etwa der Scheide der Primitiv- faser. Die Ganglien zeigten keine Zellen, sondern in der mit den Nerven in unmittelbarer Fortsetzung stehenden fein granulirten Masse nur Kerne, die in den grösseren Gan- glien bereits zu einzelnen Gruppen vereinigt waren; viele ein- zelne Kerne der Art bildeten kleinste Auschwellungen in den feineren Fasern (Fig. 4). Die feinsten Nervenfäden bilden (ebenso wie die diekeren) Anastomosen und Netze, die je- doch alle der Schleimhautoberfläche näher liegen. — Die Ca- pillaren waren bereits völlig ausgebildet und konnten nicht leicht mit diesen Nervennetzen verwechselt werden. — In den feinsten Nervenfäden liegen sehr häufig Kerne einge- schaltet, sowohl im Verlauf der Fasern, als in den Knoten- punkten der Netze. Die Kerne alle von rundlicher oder ovaler Form scharf contourirt mit mehren Kernkörperchen. — Diese Verhältnisse zeigten sich an frischen Präparaten ebenso, wie an den Holzessigpräparaten, wenngleich dort Alles nur müh- sam aufgefunden wurde. Diese ausgebreiteten Netze der fei- neren und feinsten Nervenfasern sind in der gezeichneten Weise nur beim Kinde sichtbar. Meissner giebt an, dass die kleinen Nervenstämmchen, in denen die Ganglien liegen, ein ausgebreitetes Netz bilden, doch erwähnt er nicht der feinen Nervenplexus, die unmittelbar unter der Drüsenschicht der Schleimhaut besonders ausgebildet sind. Auf Querabschnit- ten des Darms, die mit Messer oder Scheere genommen sind, kann man diese Nervenverbreitung nur höchst unvollkommen “ sehen, da man natürlich die meisten Netze trennt, man muss daher die ganze Submucosa der Fläche nach übersehen kön- nen. Hiezu lasse man ein Stück aufgeschnittenen Dünndarm vom Kinde 3—4 Tage in halb mit Wasser verdünntem Holz- essig liegen: nun kann man die ganze Drüsenschicht mit dem Scalpellrücken leicht abschaben und mit der Scheere der Flä- che nach leicht einen Abschnitt vou der stark aufgequollenen 156 Theodor Billroth: Einige Beobachtungen üb. d. ausgedehnte Submucosa machen. Aus einem solchen Abschnitt ist die beigegebene Zeichnung entnommen. — An Querschnitten sieht man einige der obigen Verhältnisse ebenfalls sehr gut; auch einige Verbindungen der feineren Fasern lassen sich leicht nachweisen; in der Muscularis der Drüsen aber verlaufen sich eine Menge von Aesten, die man nicht weiter verfolgen kann, so dass man hier den Nachweis nicht liefern kann, dass die ‘ vorliegenden feinen Nervenplexus wirklich Endplexus seien. — Es sind den Herren J. Müller, Virchow, Reichert, Du- bois, G. Wagener, Grohe, M. Schultze, His, Bar. de La Valette, sowie einer grössern Anzahl meiner Schüler diese Präparate bereits vor einigen Wochen vorgelegt. — Die hier beschriebenen Nervenelemente sind jedenfalls als noch in der Entwicklung begriffen zu betrachten; es wäre ge- wiss sehr dankbar, durch eine Reihe von Untersuchungen herauszubringen, wie sich die späteren Stadien aus den vor- liegenden entwickeln und wie letztere entstehen. Die jetzt noch körnige Masse in den Ganglien wird sich wahrschein- lich um die einzelnen Kerne als Zellsubstanz concentriren, und gleichzeitig wird in den dickeren Stämmen die Differen- zirung der einzelnen Primitivfasern zu Stande kommen. Am Darm des Erwachsenen kommen nun alle diese Ver- hältnisse aus folgenden Gründen nicht zur Anschauung: die Drüsenschicht lässt sich nicht so leicht herunterschaben; das Bindegewebe ist viel fester, die Bündel mit den elastischen Fäserchen bleiben bei der Maceration in Holzessig gesondert und körnig trüb, das Object bekommt daher nie die Klar- heit wie beim Kinde und bei niederen Thieren, wo das Bindegewebe bis zur Gallertconsistenz aufquilit und völlig ho- mogen wird; endlich liegen beim Erwachsenen alle Elemente so viel weiter aus einarder, dass man deshalb an einem Schnitt viel weniger Beobachtungsmaterial hat. — Schon vor der Meissner’schen Entdeckung waren mir in der Submucosa des Dickdarms zwischen den Bindegewebsbündeln die Menge von Bindegewebskörperchen aufgefallen, von denen sich ein- zelne durch ihren scharf ovalen Kern, durch deutlichen Zell- körper und starr verlaufende Ausläufer auszeichneten; ich Vorkommen von Nervenanastomosen im Tractus intestinalis, | 57 sahe diese Zellen besonders schön an einem Stück Dickdarm vom Menschen, welches folgendermassen zubereitet war: eg batte zuerst 24 Stunden in Essig gelegen und war dann 14 Tage lang in dünner Chromsäure allmählig erhärtet; dies Prä- parat hat eine ausgezeichnet schöne ÜOonsistenz, um Durch- schnitte davon zu machen. Diese kleinen Bindegewebskör- perchen ähnlichen verästelten Zellen halte ich zum Theil für Elemente, welche den feineren Nervenplexus angehören und die Bindegewebsbündel umstricken. — Wie schon früher oben erwähnt, findet man auch bei Erwachsenen an Holzessigprä- paraten zuweilen ausserordentlich feine, gestreckt verlaufende, sehr feinkörnige Fäden mit eingelagerten Kernen, die ich ebenfalls nach dem jetzigen Stand der Dinge für feinste Ner- venfäden halte; doch die Untersuchung ist unsicher und der Beweis in den meisten Fällen nicht zu führen, indem ich einen Zusammenhang dieser Fäden mit unzweifelhaften Ner- ven nicht habe constatiren können. ‚ Auf die Meissner’schen Ganglien gehe ich nicht weiter ein; die Sache an sich ist so einfach zu sehen, und einen genauern Verfolg des Gegenstandes hat der Entdecker selbst übernommen. Ich will hier nur erwähnen, dass ich Ganglien- zellen in den Nerven der Schlundschleimhaut der Schildkröte sah (wie oben erwähnt), ausserdem bei Eulen zwischen den Muskellagen des Magens, beim Kaninchen im Rectum; die Verbreitung erstreckt sich also sicher auf den ganzen Tractus intestinalis. Ausserdem sind diese Ganglien leicht aufzufin- den in der Harnblase des Frosches und der Schildkröte; beim Frosch sind die Ganglienzellen hier zuweilen hellgelb pig- mentirt. Man untersucht es am besten so, dass man nach der Maceration in Kochessig oder dünnem Holzessig ein Stück Harnblase herausschneidet, von dieser das Epithel abpinselt, und nun die ganze Muscularis durchsucht; fast an jedem Ner- venstamm wird man eine Menge Ganglien finden; nach Ner- venplexus habe ich vergeblich gesucht; das Object ist un- günstig. — Die Nervenplexus der Submucosa erstrecken sich beim Kinde bis in den Schlund, bis an die Zungenwurzel; wo die 158 Th. Billroth: Einige Beobachtung. üb. d. ausged. Vorkommen etc. Zungenpapillen und die Drüsen anfangen, ist kein deutliches Bild mehr zu gewinnen. — | Es mögen die obigen Beobachtungen dazu dienen, weitere Nachforschungen über die Nervenplexus anzuregen. Wenn- gleich es denkbar wäre, dass die Nervenplexus im Tractus intestinalis eine specifische Beziehung zur peristaltischen Be- wegung der organischen Muskeln hätten, so spricht doch die Beobachtung von Nervennetzen an anderen Orten (Üornea, His; Häute, elektrisches Organ, Muskel, Froschlarvenschwanz, Kölliker) sehr für ein allgemeineres Vorkommen derselben. Die neusten Mittheilungen von Jacubowitsch bringen die ausgedehnte Verbreitung von Anastomosen und Ganglienzel- lenplexus in den Centralorganen zur nähern Kenntniss. Alles drängt jetzt wieder zu der Annahme, dass die Nervenanasto- mosen doch recht häufig vorkommen. Berlin im August 1857. Erklärung der Abbildungen. Vergrösserung 350 — 400. Fig. 1. Nervenplexus aus der Schlundschleimhaut des Wassersa- lamander. Fig. 2. Sternzellen ebendaher von zweifelhaftem Charakter. Fig. 3. a. Nervenfaser mit Ganglien aus der Schlundschleimhaut der Schildkröte. b. Breite Nervenfaser aus der Zunge des Wassersa- lamander mit grossen Kernen in der Scheide der Primitivfaser. Fig. 4. Nervenplexus und Ganglien aus der Submucosa des Dünn- darms eines 6 Tage alten Kindes. Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge etc, ]59 Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, sowie über den Bau der Oylinder- und Flimmerepithelien und ihr Verhältniss zum Bindegewebe. Von „Dr: THEODOR BILLROTH. (Hiezu Taf. VII.) v. In einer früheren Notiz über die Epithelialzellen der Zunge (Deutsche Klinik 1857. No. 21) habe ich aus Beobachtungen, die zunächst an der Froschzunge gemacht waren, zu dedu- eiren gesucht, dass es höchst wahrscheinlich sei, dass die Epithelialhäute von dem Bindegewebe aus fortwährend repro- dueirt würden, und dass somit den Epithelialgebilden über- haupt jene exclusive Stellung nicht mehr gebühre, die sie bisher einnahmen. Im Folgenden will ich eine genauere Beschreibung des von mir Beobachteten geben, um die Thatsachen von den daraus gemachten Schlüssen strenger zu sondern; ich gehe auch hier wieder von dem Epithelialüberzug der Froschzunge aus und werde daran einige weitere Beobachtungen über den Bau der gestielten Epithelialzellen überhaupt anschliessen. An der Froschzunge lassen sich drei verschiedene Arten von Papillen unterscheiden: die meisten sind spitz und haben keine Gefässe; eine zweite Art ist etwas grösser und breiter und hat eine einfache oder nur wenig complicirte Gefäss- schlinge; die dritte Art ist noch einmal so breit wie die vo- rige, enthält in der Mitte einen starken Nervenstamm, eine ziemlich zusammengesetzte Gefässschlinge und ausserdem Mus- ‘ 160 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, keln. Alle drei Arten von Papillen haben flimmertragende gestielte Epithelialzellen; nur die Nervenpapillen besitzen auf ihrer stumpfen Oberfläche eigenthümliche zellige Gebilde, die später besonders beschrieben werden sollen. Die Untersuchung an frischen Präparaten zeigt schon, dass die Epithelialzellen gestielt sind, doch sind sie so schwer unversehrt von den Papillen herunterzubringen, dass man auf diese Weise nicht zu genauerer Einsicht kommt. Lässt man eine Froschzunge 18— 24 Stunden in äusserst dünner (ganz hellgelb gefärbter) Chromsäurelösung liegen und nimmt man nun mit der Scheere Querschnitte von der Ober- fläche, so wird sich Folgendes zeigen: die obersten Zellenlagen mit den Flimmern sind meist abgelöst und schwimmen im Zu- sammenhang oder einzeln umher (Fig. 2u.7); die Papillen ha- ben ein höchst merkwürdiges Ansehn: sie sind ganz aus spindelförmigen Zellen zusammengesetzt, deren eines Ende frei hervorragt, deren anderes an der Substanz der Papille fest anhaftet, in ihrem Zelikörper ein glänzender ovaler Kern mit ein oder zwei grossen Kernkörperchen (Fig.1 a). Sucht man durch Manipulationen mit dem Deckgläschen die Zellen von der Papille abzureissen, so bleiben zuweilen einige mit langen Stielen haften, und diese Zellenausläufer setzen sich in die Papillen fort, wo sie sich unter den fei- nen Fibrillen, aus denen letztere zusammengesetzt sind, ver- lieren (Fig.1 b). Bringt man ohne zu starke Verschiebung und Drehung des Objects die Zellen grösstentheils herunter, so sieht man die Oberfläche der Papille rauh, mit einer Un- zahl feiner Fäserchen besetzt, in der Substanz der freien Papille einige Kerne (Fig. 1ec). Die Fibrillen der Papillen unterscheiden sich durchaus nicht von den Bindegewebsfibril- len, aus welchen übrigens der obere Theil der Zunge zwi- schen den Muskeln zusammengesetzt ist, und sind wohl ohne Weiteres für Bindegewebe zu halten. — Die Spindelzellen, welche man auf diese Weise an den Papillen anhängen sieht, scheinen mir fast ausschliesslich als tiefere Lagen der Epi- thelialschicht angesehen werden zu müssen; die Zellen der oberflächlichen Lagen, an denen sich zuweilen die Flimmern sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien etc. ]6] wundervoll erhalten, schwimmen, wie bemerkt, meist umher, nur selten sieht man einige von ihnen noch mit ihren Stielen zwischen die tieferen Lagen eingreifen (Fig. 1 a). Die freien Enden der Spindelzellen sind allerdings zuweilen etwas ab- gestumpft, doch habe ich nie Wimpern darauf gefunden. Es lag bei diesen Bildern wohl sehr nahe, daran zu den- ken, dass die Epithelialbekleidung hier in einem höchst inni- gen Zusammenhang mit dem fasrigen Gewebe der Papillen selbst stehe. Die Spindelform der Zellen wies einerseits auf die Bindegewebszellen hin, andrerseits macht die ganze An- ordnung der Zellen den unzweifelhaften Eindruck des Hervor- wachsens aus der Papille selbst. Es ist die Frage, in wie- weit der in den Fibrillen der Papille sich verlaufende Zellen- stiel mit den Fibrillen selbst identisch ist; beide feine Fasern schwinden nach Einwirkung von Essigsäure, erhalten sich ‚jedoch in Chromsäure und haben somit wenigstens einige _ chemische Verwandtschaft. Dass die tieferen Epithelialzellen nachträglich mit ihren Stielen in die Papillen hineinwachsen sollten, ist höchst unwahrscheinlich, da die ganze Richtung des Regenerationswachsthums der Epithelialhäute von unten nach oben geht; es ist somit am natürlichsten, anzunehmen, dass die tieferen Epithelialzellen an den Stielen aus den Pa- pillen hervorwachsen, und von hier aus regenerirt werden, wenn die oberen Lagen abgestossen sind. Hierbei ist jedoch wohl zu bedenken, dass dennoch die Zellenstiele nicht voll- ständig gleichartig mit den Papillenfäserchen zu halten sind, sondern dass sie sich dadurch wesentlich von einander un- terscheiden, dass letztere als zerfaserte Intercellularsubstanz, als Parenchymfasern, erstere als Zellsubstanz, als Cy- toblastemfasern zu betrachten sind, ein Unterschied, auf den bekanntlich Luschka besonders aufmerksam machte. Die Zellausläufer sind den Ausläufern der Bindegewebszellen analog, die Papillenfäserchen den Bindegewebsfibrillen. Beide Faserarten gelten vorläufig noch als gleichwerthige Bestand- theile des Bindegewebes und wir wollen sie hier zunächst nicht weiter trennen. — Diese Entwickelung von Epithelialzellen von dem Binde- Müller’s Archiv. 1858. 11 162 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, gewebe aus, wie ich sie aus den mitgetheilten Beobachtun- gen zunächst für das vorliegende Object gesichert halte, steht mit den bisherigen Anschauungen in directem Widerspruch, indem man wohl allgemein annahm, dass die Epithelialzellen zu dem Bindegewebe, dem sie aufliegen, in keiner weiteren Beziehung stehen, als dass sie von den oberflächlichen Ge- fässen aus ihr Ernährungsmaterial beziehen; übrigens scheint man sich in neuerer Zeit stillschweigend darüber geeinigt zu haben, dass in den tieferen Lagen- der Epithelialhäute der Zellennachwuchs durch Theilung unterhalten werde. — So- wohl in der normalen als pathologischen Entwickelungsge- schichte hat man die selbstständige Ausbreitung des soge- nannten Epithelialblattes in neuerer Zeit besonders urgirt und hat demselben im Verhältniss zum Bindegewebe eben nur eine rein appositionelle Stellung gegeben. Remak hat dies mit vewundernswerther Uonsequenz durcLgeführt. Es giebt , wohl kaum ein schöner abgerundetes Feld in der Entwick- lungsgeschichte als die Bildungsgeschichte der Drüsen; für diese glaube ich auch die Selbstständigkeit der Epithelialge- bilde in gewisser Weise aufrecht halten zu müssen; es ist kaum denkbar, dass diese schöne Theorie von dem Hinein- wachsen der Epitheliallage in Form solider Zellenceylinder und von den daraus resultirenden Drüsenschläuchen und Drü- senbläschen Hirngespinnste sein sollten; ich selbst habe diese Beobachtungen so oft nachuntersucht und in allen Theilen stets so überzeugend gefunden, dass ich zugeben muss, dass hier die Epithelialzellenlage sicherlich eine grosse Selbststän- digkeit besitzt. — Nur für die Bildung der Milchdrüsenbläs- chen ist Langer der herrschenden Ansicht entgegengetreten, indem er, so weit ich es aus Kölliker’s Mitiheilung (II. 2 p- 474) entnehmeu kann, die Drüsenbläschen aus dem Binde- gewebe entstehen lässt; doch ist eine so isolirte Entwick- lungsweise einer Drüse höchst unwahrscheinlich; auch hält . Kölliker für die Bildung der Milchdrüse denselben Typus aufrecht, wie für die übrigen Drüsen mit Ausführungsgang. Der oben erwähnte Regenerationsprozess kann nicht wohl als ein isolirtes Phänomen an der Froschzunge angesehen sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien ete. 163 werden, sondern hat sicher viele Analogien: man kann zu- nächst daran denken, dass sich etwas Aehnliches bei allen Epithelialhäuten finden muss, die aus deutlich gestielten Zellen bestehen. Hierhin gehören auch die tieferen Epitheliallagen der menschlichen Zunge, die bei einer im Allgemeinen platten Form deutliche Stiele besitzen, was von vielen Beobachtern bereits gesehen ist. Es ist mir jedoch nie gelungen, hier ähn- liche Bilder zu bekommen wie an der Froschzunge; es fehlt hier au der Methode: die Maceration in Chromsäurelösungen verschiedener Concentration hat mich zu nichts geführt, Trock- nen und Wiederaufquellen, sowie Anwendung vou Essigsäure bringen zu keinem Resultat. Die chemischen Verschiedenhei- ten des Bindegewebes der Papillen und der Epithelialfortsätze scheinen hier zu verschieden zu sein. Nach der Maceration bekommt man nur die rauhen .Öberflächen der Papillen, nach Anwendung von Essigsäure oder schwachen Alkalien die glat- ten Papillenoberflächen mit den massenhaften elastischen Fa- sern und Bindegewebskörperchen. Letzteres begegnet uns übri- gens bei Untersuchung der Froschzunge nach Anwendung von Essigsäure ganz ebenso. Lässt man eine Froschzunge einige Zeit in Essig quellen, pinselt dann das Epithel herunter, er- härtet das Präparat wieder in Chromsäure, um genügend feine Querschnitte machen zu können, so bekommt man ebenfalls Bilder wie von Papillen anderer Theile (Fig. 3), und es ist kaum zusammenzureimen, wie sich in einem Fall die Epithe- lialzellen so scharf von den Papillen ablösen, in dem andern so fest daran haften, dass man sie nur mit Mühe herunter- bringt '); es kann dies wohl nur in ganz besonderen chemi- 1) In meinen früheren oben erwähnten Mittheilungen hatte ich der eigenthümlichen Art und Weise erwähnt, wie die nach oben aufstei- genden und sich vielfach verästelnden Muskelfasern sich oft ziemlich plötzlich, oft sehr allmählich zuspitzen und dann in sternförmigen‘ Zellen mit grossem Kern und vielen mit einander anastomosirenden Ausläufern endigen (Fig. 3). Diese Muskelendigungen in Bindegewebs- körpern hielt ich für neu, doch habe ich durch Herrn J. Müller er- fahren, dass Herr Dr. Lachmann vor einiger Zeit bereits dasselbe an der Froschzunge beobachtete; auch hat mir Hr. R. Virchow eine i1> 164 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, schen Verhältnissen der beiden betreffenden Faserelemente lie- gen, die eben bei der Froschzunge so günstige Resultate ge- Arbeit von Huxley (British and foreign Medico - Chirurgical Review Octobr. 1853 No. XXIV. p. 312) mitgetheilt, nach welcher dieser die- selben Theilungen der Muskelfasern und Endigung in Bindegewebs- körperchen in der Oberlippe der Ratte beobachtet und abgebildet hat. — Später habe ich noch andere Objecte untersucht und zwar zunächst die menschliche Zunge. ‘Die Methode des Aufquellens in Essig und nachträglichen Erhärtens in Chromsäure giebt auch hier die vortrefi- lichsten Bilder, wenngleich für die meisten Fälle die Anwendung des gereinigten Holzessigs genügt. Die nach oben aufsteigenden Muskel- fasern verlieren sich dicht unter der Oberfläche in dem Gewirr von Bindegewebskörperchen ziemlich plötzlich; am leichtesten übersieht man die Verhältnisse noch an Kinderzungen: hier zerspalten sich die Muskelfasern ziemlich plötzlich in eine grössere Anzahl spitzer Enden und diese endigen in den Ausläufern der Bindegewebskörperchen. — In der Zunge des Wassersalamander sind dieselben Verhältnisse wie in der Froschzunge, doch sind die Theilungen der Muskelfasern spar- sam und die Endigung der contractileu Substanz sehr plötzlich, so dass es ein stumpf zugespitztes Ende giebt, ähnlich wie beim Ueber- gang der Muskelfasern in ein Sehnenbündel. — Ich untersuchte ferner die Verbindung sehr feiner Muskeln mit Sehnen, wie die Augenmus- keln junger Kaninchen, und fand hier, dass die Muskelfasern sich zu- weilen ebenfalls sehr fein zuspitzen und in äusserst feinen Fäden en- digen, wie in der Froschzunge; gewiss kommt dies noch an vielen Muskeln mit feinen Primitivfasern vor und scheint mir von dem Grade der Zusammensetzung der einzelnen Muskel- und Sehnenfasern abzu- hängen. Ich zweifle nicht, dass es sich mit der Zeit immer mehr her- ausstellen wird, dass die Kerne der Muskelfasern mit ihren punktför- migen Fortsätzen nach oben und unten vollständige Analoga der Zellen im Bindegewebe sind, so dass sich die meisten Muskelprimitivfasern als kleinste Muskelbündel herausstellen werden, ‚wie es Leydig be- reits ausgesprochen und vielfach durchgeführt hat. Die Complication der Sehnenbündel wird demzufolge stets derjenigen des dazu gehörigen Muskelbündels entsprechen; es tritt wirklich die Bindesubstanz an Stelle der contractilen Substanz, letztere muss demnach ebenso als Zellen- ausscheidung betrachtet werden, als erstere. Nur neue Untersuchung über Entwicklung der Muskelbündel kann diesen Punkt, sowie den im- mer noch unerklärten Modus der Muskelhypertrophie aufklären. Nach obigen Bemerkungen stehe ich nicht mehr an, die Fasern und Zellen, in denen die Muskeln endigen, als kleinste Sehnen anzusprechen. — sowie über den Bau der Öylinder- und Flimmerepithelien ete. 165 winnen lassen, wie man sie unter gleichen Umständen an an- deren Objecten nicht erzielt. Es lag ferner nahe, diejenigen Häute zu untersuchen, auf - welchen gestielte Cylinderepithelien vorkommen. Ich habe, so weit ich die betreffenden Objecte nach verschiedenen Methoden untersuchte, nirgends weiter ein tieferes Eindringen der Zel- lenausläufer zwischen den Bindegewebsfibrillen der Papillen nachweisen können. VonLuschka erschien gleich nach mei- ner ersten Notiz über diesen Gegenstand eine hieher gehörige Beobachtung über den Zusammenhang der Bindesubstanzzellen- Ausläufer mit den Stielen der Epithelialzellen am Endocardium (Virehow’s Archiv Bd. XI. Heft 6 p. 567). Luschka ver- weist dabei auf ähnliche, früher bereits veröffentlichte Beob- achtungen, die mir leider nicht bekannt waren. Die langen Stiele an den Zellen der Naseuschleimhaut sind neuerdings oft besprochen. Auch die Zellen der Laryngeal- und Tracheal- Schleimhaut haben lange Fortsätze, zuweilen in diesen einen zweiten Kern, auch findet man die Fortsätze verästelt (Fig. 4). Sehr lang gestielt sind die Darmepithelien von Anodonta (Fig. 5); die Fortsätze dieser Zellen haben zuweilen exquisite Varicositäten, ohne dass dies auf nervöse Natur zu beziehen wäre. Höchst auffallend und langgestielt sind die Darmepi- thelien beim Frosch gebaut, ebenso auch beim Wassersala- mander. Hier sieht man an dem spitzen Ende der Ausläufer nicht selten eine auch schon anderweitig bekannte Erscheinung, nämlich eine beinahe dreieckige Anschwellung, die zunächst auf der Darmhaut aufliegt (Fig.6aa). Kölliker bildet das- selbe an Epidermiszellen von Ammocoetes ab (Würzburger Verhandlungen Bd. VII. Heft I. Taf. III. Fig. 31). Diese drei- eckigen Enden an den Epithelialzellen des Froschdarms haben ‚nach unten stets einen etwas verwischten Contour, so dass sie wie abgerissen erscheinen; gerade diese Art der Begrenzung könnte man für die vollkommene Isolirtheit der Epitheliallage in Anspruch nehmen; doch sehen, wie bemerkt, die unteren Enden der dreieckigen Anschwellungen stets unregelmässig ab - gerissen aus, so dass sie doch in einem innigeren Zusammen- 166 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, hange mit dem darunter liegenden Bindegewebe gedacht wer- den können. Die Ergebnisse der neueren Untersuchungen über die Epi- thelialzellen im Canalis centralis des Rückenmarks, in den Ven- trikeln, in Aquaeductus Sylvii (Gerlach) und an der Ober- fläche des kleinen Gehirns (Bergmann) scheinen mir :sehr dafür zu sprechen, dass die gestielten ceylindrischen Epithelial- zellen mit dem Bindegewebe in näherem Zusammenhang ste- hen und also eines solchen Zusammenhangs zu ihrer Existenz und Regeneration benöthigt scheinen, wenngleich für die ge- nannten Objecte der directe Zusammenhang der Zellausläufer mit Bindegewebsfasern noch nicht vollständig nachgewiesen ist, Die stumpfen Cylinderzellen des Darms der meisten Säuge- thiere geben vorläufig noch keine weitere Aufklärung über die angeregten Fragen, - Die menschliche Haut würde sich vielleicht am llkresten zu diesen Untersuchungen eignen, wenn man nicht dabei an dem Mangel: einer passenden Methode scheiterte. Die Zellen der untersten Schicht des Rete Malpighii haben eine so ent- schieden längliche, oft völlige Spindel-Form, und sitzen der Cutis so durchaus senkrecht auf, dass die Verhältnisse sich sehr analog denen an der Froschzunge gestalten. Kölliker hat diese verschiedene Anordnung der Zellen in der Epidermis so naturgetreu abgebildet (II.1. Taf. I. Fig. 2, 3, 4,5), dass es nur weniger neuer Zeichnungen bedarf. Am meisten kommt unserer Anschauung die Beschreibung des Nagelbettes nahe, wie sie von Virchow gegeben ist (,‚Zur normalen und pa- thologischen Anatomie der Nägel‘‘ Würzburger Verhandl. V. p- 84); es heisst dort: „Macht man durch den vordern Theil (das Nagel-Corium) einen Querschnitt, so erkennt man zu- nächst unter dem Rete Malpighii einen hellen, homogenen, glänzenden Saum von geringer Dicke, der jedoch nicht als eine besondere Membran zu betrachten ist, vielmehr continuir- lich in das Bindegewebe der tieferen Lagen übergeht. Dieser Saum tritt namentlich an der Oberfläche der Leisten, sowohl der mehr zugeschärften, kleineren, als der mehr abgerunde- ten, grösseren hervor. Der innere Theil der einzelnen Leisten sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien ete. 167 a sieht trübgelblich aus in Folge einer feinen und dichten Strei- fung, welche namentlieh nach Behandlung mit Reagentien durch die Anwesenheit sehr feiner, senkrecht gegen die Oberfläche ansteigender,, etwas gekräuselter, im Ganzen jedoch mehr ge- streckt verlaufender elastischer Fäden bedingt erscheint. Auf dem Querschnitt (des Nagelbettes) bilden diese gewöhnlich ein kegelförmiges, von unten nach oben sich verjüngendes Bün- del, gleichsam einen Grundstock. Indess sieht man bei ge- nauer Verfolgung der einzelnen Fäden, zumal an den breite- ren, mehr abgerundeten Leisten, gegen die Oberfläche hin sich mehr und mehr solcher Fäden von dem Bündel ablösen und sich zuweilen garbenförmig gegen den homogenen Grenzsaum vertheilen. Wie weit sie hier gehen, ist schwer auszumachen. Nicht selten fand ich an der Oberfläche der Leisten selbst kleine dunkle, mit einem hellen Centrum versehene Punkte, von denen aus sich in leichten Windungen ein solcher Faden fortsetzt:, gleichsam als wären jene Punkte die freien Mündun- gen oder Enden der Fäden. Andrerseits ist es ziemlich leicht, diese Fäden von der Basis der Leisten aus in die tieferen La- gen zu verfolgen: sie laufen in ziemlich senkrechter Richtung nach unten und verlieren sich hier in dem grossen Netz der noch zu beschreibenden sternförmigen Elemente,‘* „Ausser diesen Fäden zeigt die Anwendung von Reagen- tien in den oberflächlichen Schichten noch eine ziemlich grosse Menge von Kernen. Ein Theil derselben gehört den Gefäss- schlingen an, welche im Innern des Bündels eingeschlossen sind und, soweit ich sah, normal nicht darüber hinausgehen. Ein anderer Theil dagegen liegt mehr nach aussen und ragt zum Theil noch in die homogene Schicht hinein. Es sind dies ziemlich grosse granulirte, auf der Fläche rundlich -ovale, auf, ‘der Kante länglich -spindelförmige Kerne, die im Allgemeinen der Oberfläche parallel liegen, und daher in regelmässigen Zügen den Bergen und Thälern derselben folgen. Um sie er- kannte man an feinen Durchschnitten helle, meist etwas zak- kige Höfe, die darauf hinzudeuten schienen, dass wirkliche Zellenbildungen vorliegen. Nach innen reichen diese Gebilde bis zwischen die Endausstrahlungen der elastischen Fäden hin- 168 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, ' ein und zuweilen glaubte ich die letzteren bis in die Nähe der Kerne verfolgen zu können.‘ ö Diese Beschreibung Virchow’s passt in Bezug auf das, was über den Bau der obersten Schichten der Cutis und ihr Verhältniss zum Rete Malpighii gesagt ist, fast auf alle Theile der Haut. Nur die Unterschiede der verschiedenen Faserarten scheinen mir nicht genügend hervorgehoben. Wir gehen durch- aus davon aus, dass die Bindegewebsfibrillen, für welche wir die Hauptmasse der feinen Fäserchen der Papillen ansprechen, als Intercellularsubstanz zu betrachten sind, als Parenchy m- fasern; es ist hierbei für den vorliegenden Gegenstand gleich- gültig, wie wir diese Intercellularsubstanz entstanden denken, wenngleich es wohl nach dem jetzigen Standpunkt zweifellos ist, dass sie als ein Secret der Zellen zu betrachten ist, oder, was auf dasselbe herauskommt, als modifieirte Zellsubstanz. Mit diesen Parenchymfasern können wir die Zel- lenausläufer nichtincontinuirlichemZusammen- hang denken. — Ausser diesen Fasern existiren freilich in viel geringerer Anzahl im Bindegewebe die Ausläuferfasern der Bindegewebszellen; diese sind, wie auch die Ausläufer der Hornhautkörperchen, äusserst feine, blasse und im Bindege- webe schwer zu verfolgende Fasern, die wie die Bindegewebs- zelle selbst mit ihrem Kern durch Essigsäure so blass wird, dass sie nur mit Hülfe von Färbung (z.B. Jod) in allen ihren Theilen deutlich wird. Diesen Cytoblostemfasern müs- sen die Ausläufer der tiefen Epithelialzellen entsprechen; sie . müssen folglich zwischen die Parenchymfasern eingreifen. So ist das Verhältniss von Meissner angegeben, und ich halte dies jetzt für völlig richtig, wenngleich ich nach meiner frü- hern Notiz (l. ec.) darüber noch keine sichere Anschauung hatte. In welchem Verhältniss die elastischen Fasern nun zu den Zellen zu denken sind, das ist eine meiner Ansicht nach immer noch nicht völlig festgestellte Sache; es sind die Beobachtun- gen, nach welchen sie sich als modificirte Zellen oder Zell- ausläufer verhalten, bisher noch gleichwerthig denen, nach welchen sie als modificirte Ausscheidungs- oder Parenchym- f { we 4 sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien etc. 169 fasern aufgefasst werden, welche letztere Ansicht eine neue Stütze in der Autorität Leydig’s gefunden hat. Dem Gesagten zufolge ergiebt es sich leicht, was wir von den Untersuchungen der tieferen Epithelialschichten der Outis zu erwarten haben. Von allen von mir untersuchten Objecten der Art erschienen mir junge Narbenränder in der Nähe von Wunden oder Ulcerationen, sowie Narben mit äusserst feiner Epidermis besonders geeignet; am zweckmässigsten ist es, sol- che Hautstücken entweder einfach an der Luft zu trocknen, dann Durchschnitte zu machen und sie mit äusserst verdünnter Essigsäure wieder aufquellen zu machen, oder die Stücke in doppelt kohlensaurem Kali völlig auszutrocknen, dann die Schnitte mit Wasser einfach anzufeuchten, eine Methode, die mir besonders von Herrn J. Müller empfohlen wurde. — Die so zubereiteten Präparate zeigen in günstigen Fällen Bilder wie in Fig. 9: man sieht die tiefsten Zellen des Rete Malpi- ghii mit ein oder mehreren Fortsätzen, soweit sie von dem Bindegewebe losgerissen sind; die Papillen selbst mit blassen frei endenden Fäserchen besetzt; die Zellen des Rete sind nicht streng von einander isolirt, sondern die Kerne scheinen in einer frei granulären Masse eingeschaltet, wie man das gewöhnlich nach Zusatz von Reagentien wahrnimmt; diese jungen Zellen haben hier gewiss noch keine von dem Zellinhalt modifieirte Aussenschicht,, keine Zellmembran. Am Bindegewebe, wo die Intercellularsubstanz zum Theil noch homogen ist, stellt sich das Verhältniss natürlich noch etwas anders dar; so habe ich in Fig.10 die Zeichnung eines Präparats hingesetzt, welches einem Cystosarkom der Brust- drüse mit theilweisem Schleimgewebe entnommen ist. Das geschichtete Cylinderepithel der Cysten sitzt hier dem Schleim- gewebe unmittelbar auf, die Fasern des letztern bilden eine strenge Begrenzung, doch hängen die unteren Epithelialschich- ten mit der interfibrillären gallertigen, in dem getrockneten Präparat feinkörnigen Substanz, in der die Kerne liegen, um- geben mit Zellsubstanz, oder Zellatmosphäre, wie es H. von Meckel so treffend nennt, — innig zusammen. Ich komme auf dies Präparat wieder zurück. — 170 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, Nach welchem Modus der Zellvermehrung der Nachwuchs in den tieferen Epithelialschichten erfolgt, ist mir nicht ge- lungen zu eruiren. Ich habe geglaubt, dass man durch Expe- rimente an der Froschzunge leicht darüber in’s Klare kommen müsste; ich ätzte Froschzungen mit Argent. nitric., um so eine Abstossung und Regeneration zu erzielen, doch machte dieser Reiz bald zu tiefe, bald zu oberflächliche Eingriffe; es gehö- ren eine Menge von Vorexperimenten dazu, um zu ermitteln, wie rasch hier die Zellbildungsprozesse vor sich gehen, so dass meine Geduld bei beschränkter Zeit an diesen Versuchen scheiterte, die ich dennoch dringend zur weitern Feststellung und schliesslich als Hauptstütze meiner neu aufgestellten An- sicht denjenigen empfehle, welche diesen Gegenstand weiter | bearbeiten wollen. Ich wiederhole hier, dass nach den obigen Beobachtuugen es höchst wahrscheinlich ist, dass die Epithelialzellen vom Bindegewebe her nachgebildet werden, und dass sich die tie- fen Lagen derselben zu den Parenchymfasern des Bindegewe- bes ebenso verhalten, wie die Bindegewebszelien selbst. Dass bei dieser Auffassung es sich viel leichter als früher erklärt, wie aus den Bindegewebszellen, unabhängig von den epithelialen Flächen, Epithelien -gleiche Zellen entstehen kön- nen (ich erinnere hier nur an den von Virchow gelieferten Nachweis über die Entwickelung der Cholesteatome, Can- croide etc.), liegt auf der Hand; auch begreift sich dabei leicht, dass bei allen die Epithelialflächen zunächst oder vorzüglich be- treffenden Krankheiten der Schleimhäute und der Cutis (chro- nische Catarrhe, chronische Eczeme etc.) die Bindegewebs- häute selbst in Mitleidenschaft gezogen werden müssen, oder viel- leicht immer als Hauptsitz der Affection zu denken sind. Bei den mannichfachen Methoden, nach denen ich viele Schleimhäute auf den Bau ihrer Epithelialschichten untersuchte, und bei dem intensiven Interesse, welches ich eine Zeit lang für diesen Gegenstand hegte, stiessen mir beiläufig manche Eigenthümlichkeiten der ceylindrischen Epithelialzellen selbst sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien ete. 17] auf, deren feinere Structurverhältnisse in neuester Zeit oft die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen haben; es liegt in dem Bau der Oylinderzellen, namentlich derer mit deutlicher Cutieula und Flimmern, viel Eigenthümliches, was gewiss mit der Resorption und Secretion vom Eiweiss und Fett zusam- menhängt. Ich gebe hier die einzelnen mir auffallenden Er- scheinungen an, ohne dass ich ihnen vorläufig eine zusammen- hängende Deutung zu geben wüsste, e Quellungserscheinungenan den Kernen (Fig. 11). In sehr dünnen, eben gelb gefärbten Chromsäurelösungen neh- men die Kerne der Epithelialzellen zuweilen höchst eigenthüm- liche Formen an, deren Bedeutung ich nicht zu erklären weiss, die aber wohl zweifelsohne durch Quellung hervorgebracht werden; es bildet sich nämlich an einer Längsachse des ovalen Kerns ‘ein heller, das Licht leicht röthlich brechender Kreis (Fig 11), der meist der freien Fläche zu liegt; es ist eine ähn- liche Erscheinung wie die austretenden sogen. Eiweisstropfen an den Zellen, auch kann es zuweilen den Eindruck machen, als habe der Kern hier eine Abplattung oder ein Loch. Man sieht dies zuweilen, wenngleich seltener, unter gleichen Um- ständen an anderen Cylinderzellen , z. B. der menschlichen Trachea, auch der Nasenschleimhaut, auch an den Zellen aus dem Traet. intestin. des Frosches (Fig. 6. b). Lagenverhältniss des Kerns in der Zelle. Bei starker Quellung der Zellen in dünnen Chromsäurelösungen findet man den Kern der Zelle in der Regel sehr nach dem untern Theil hin verdrängt (Fig. 7. a, a,a), so dass er mehr weniger in dem Fortsatz zu liegen und die Zelle selbst, sack- artig aufgebläht, davon getrennt zu sein scheint (Fig. 7. b, b). Der Kern haftet jedenfalls an einer Stelle sehr fest in der Zelle oder an ihrer Membran. Zuweilen liegen zwei Kerne in einer Zelle hinter einander, zwischen beiden ist immer eine Ver- schmälerung des Zellfortsatzes (Fig. 4. a, 5. a); in gleicher Weise ist der Zusammenhang mit den tiefer im Bindegewebe liegenden Zellen zu denken und durch diese Verschmälerung des Zellfortsatzes zu verstehen, warum in den meisten Fällen diese F'ortsätze so leicht abreissen. 172 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, Die Fortsätze sind theils sehr kurz, theils sehr lang, theils breit, theils schmal, zuweilen verästelt, zuweilen vari- A cos, an ihrem untern Ende manchmal deutlich dreieckig. (Fig. 6). Wenngleich die Zellkörper überall deutliche Membranen haben, so kann man nach einigen Beobachtungen in Zweifel stellen, ob die Fortsätze sich deshalb stets als geschlossene Röhren verhalten müssen. An den Zellen Fig.”7. b,b sieht man die Membran durch deutliche doppelte Oontouren an dem Zellkör- per, doch zeigt der Fortsatz nichts davon, ebenso wenig an den Zellen in Fig. 8; vielleicht ist hier die Membran nach un- ten hin, nicht geschlossen. — Es ist eine bekannte Sache, dass man bei sehr ausgehungerten Fröschen in den Darmepithelien stets eine sehr grosse Menge von Fettkörnchen findet. Auch hier begegnet es nicht selten, wie es Virchow (Archir XI.6 p- 574) bei den Gallenblasenepithelien beschreibt, dass man die Fettkörnchen in der Zelle reihenweise hinter einander liegen sieht; ich wage es nicht zu entscheiden, ob dies in einer etwa fibrillären Anordnung des Innern der Zelle liegt, oder ob es nur durch zufällige Faltungen der Membran bedingt sein mag. Vorwiegend findet man das Fett in den Fortsätzen (Fig. 6); hier verhalten sich demnach letztere sehr wahrscheinlich als feine Röhren, die jedoch .nach unten offen sein können; ich habe schon oben wiederholt bemerkt, dass die dreieckige Ba- sis hier ein wie abgerissenes Ansehn bietet; wenn die Zellen hier unten offen sind, so könnten die resorbirten und durch die Zellen transportirten Substanzen von hier zwischen die Bindegewebsfasern der Darmschleimhaut gelangen, wo die An- fänge der Chylusgefässe sich dann zunächst als interfibrilläre oder interstitielle Räume verhalten würden, aus denen sich im weitern oder kürzern Verlauf wirkliche Chylusgefässe hervor- bilden. Die Bindegewebskörper sind als äusserst platte Kör- per zunächst an den Wandungen der interstitiellen Räume lie- gend zu denken, später setzen sie selbst bei hinzukommender, ibnen nun speciell als Gefässzellen angehörender Intercellular- substanz (structurlos oder faserig) die geschlossenen Gefässca- näle zusammen. Die oberen freien Enden der Cylinder- und a N. sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien etc. 173 Flimmerzellen geben bei den Chromsäurepräparaten der Zungenepithelien vom Frosch, Salamander, Natter, Schild- kröte etc. sehr häufig das Ansehn,, als sähe man in die Zelle hinein, als habe die Zelle hier ein Loch; auch bei anderen Epithelien, z. B. an der Luftröhre vom Menschen, auch bei den Darmepithelien von Anodonta hat man manchmal den Ein- druck, als sei die Zelle oben offen (Fig. 4, 5, 7, 8). An den Flimmerzellen sieht man sehr häufig in der Cuticula eine feine Strichelung, die zweifelhaften Porencanäle oder Prismen; doch glaube ich mich hier mit Bestimmtheit überzeugt zu haben, dass diese Strichelung durch nichts Anderes als durch die bei manchen Lagen der Zelle von unten durchscheinenden Flimmern verursacht wird, da sie bei Lagenveränderung der Zelle verschwindet und auch an den der Flimmern beraubten Zellen mit Cuticula nicht wahrgenommen werden konnte. In manchen Fällen sieht man ganz deutlich, wie die Zellmembran höher hinaufreicht als die Basis der Wimpern, letztere schei- nen dann wie in einer Trichtermündung zu stecken (Fig.7.b,b). Es ist höchst merkwürdig, dass es auch an diesen grossen Zellen nicht völlig klar zu sehen ist, wie eigentlich die Ver- hältnisse sind, die Bilder gestalten sich so mannichfach, dass ich keine Entscheidung wage. Wenn die Zellmembran oben auch geschlossen ist, wie es aus vielen Analogien wahrschein- lich ist, so muss der obere flache Theil dieser Membran hier eingeschaltet sein, wie ein Tonnendeckel in die Tonne, da man den obern Rand fast immer zweifellos etwas überstehend sieht. Nach den Beobachtungen an einigen Fischeiern existirt unter der secundären, aus isolirbaren Prismen bestehenden Membran immer noch die eigentliche Zellmembran. Da man nun auch unter der Basis der Flimmern, sowie unter den frag- lichen Prismen der Darmepithelien immer noch eine helle, vom Zellinhalt trennende Linie sieht, so ist diese wohl als obe- rer Theil der Zellmembran anzusehen, die Flimmern aber als- secundäre Ausscheidung dieses Theils der Zellmembran; von diesem Gesichtspunkt aus ist es allerdings sehr wahrschein- lich, dass die feinen Strichelungen in der Cuticula der Darm- 174 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, epithelien als Prismen und somit als Analcga der Wimpern an- zusehen sind. Contractionserscheinungen an den Epithelial- zellen. Wenn man ein feines Stück von der Mundschleim- haut einer eben getödteten Natter ausschneidet und dies sofort ohne Zusatz beobachtet, so wird man finden, dass die oberen Enden der flimmertragenden Epithelialzellen alle zugespitzt und dadurch von einander an ihren Rändern leicht isolirt erschei- nen; erst allmählig gleicht sich dies theilweise aus, so dass der Rand gleichmässig glatt wird. Sieht man diese Zelien iso- lirt einige Zeit nachher in oder nach Maceration in Chrom- säure, so wird man finden, dass die Zellen oben alle platt sind und sich nicht von anderen cylindrischen Wimperzellen unterscheiden. Aehnliches nimmt man zuweilen beim Frosch wahr. Zu den auffallendsten Bildern kommt es jedoch bei den Mundepiihelien der Wassersalamander. .Hier contrahirt sich nämlich der obere Rand der Zelle oft so bedeutend, dass letztere völlig das Ansehn einer Urne bekommt. Die Flim- mern werden dabei zuweilen zum Theil in die Zelle hinein- reträhirt und die Randwimpern scheinen in die Zelle hineinzu- wimpern. Sind diese Zellen gestielt und etwas stärker hervor- ragend, so machen sie täuschend den Eindruck von Vorticel- len. Leydig hat dieselbe Beobachtung an den Wimperzellen ‚Im Gehirn desselben Thieres gemacht, und hebt ebenfalls die Aehnlichkeit mit Vorticellen hervor. Selten erhalten sich die Formen ungefähr in Chromsäure (Fig. 8. a). Nach dieser Be- obachtung glaubte ich gar nicht zweifeln zu dürfen, dass diese Zellen oben offen seien; doch es ist mir bei vielen Versuchen nicht gelungen, etwas in die Zellen hineinwimpern zu lassen, auch ist aus den oben bereits erwähnten Gründen die Annahme von grossen Oeffnungen in diesen Zellen bis jetzt höchst un- wahrscheinlich. Bedeutung des Epithelialwechsels unter patho- logischen Bedingungen. Vor einiger Zeit untersuchte ich ein grosses Cystosarcom der weiblichen Brustdrüse, in welchem sich eine grosse Menge sehr kleiner theils mikrosko- pischer Cysten vorfanden. Alle diese kleinen und grossen sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien ete. 175 Hohlräume waren mit einer sehr zähschleimigen dicken, äus- serst eiweissreichen Substanz angefüllt. Es fiel mir bei der Un- tersuchung auf, dass alle Oysten mit einem sehr schön ausge- bildeten Cylinderepithel ausgekleidet waren, welches zum Theil auch Flimmern zu tragen schien (ich konnte das Präparat lei- der nicht ganz frisch untersuchen). Die Cylinderzellen hatten alle eine sehr deutlich ausgesprochene Cuticula, in der ich jedoch keine Streifen zu erkennen vermochte, Die Formen waren theils stumpf (Fig. 10), theils gestielt mit mehr weni- ger langen Fortsätzen. Bei der weitern Untersuchung war es auffallend, dass auch in den kleinsten mikroskopischen Cysten, die sich aus den Drüsenbläschen hervorbildeten, dies Cylinder- epithel bereits ausgebildet war, sowie überhaupt schon ein schleimhaltiger Secretionsraum existirte.e Da nun die Acini der Brustdrüse bekanntlich mit kleinen rundlichen Zellen aus- gekleidet sind, so war dieser Wechsel ebenso auffallend, wie das Vorkommen von Flimmerepithel auf Ohrpolypen (Baum, Meissner), in Ovarialeysten (Luschka, Virchow), in Lebereysten (Friedreich). — Alle Oysten, in denen bisher diese Art des Epithels vorgefunden ist, besassen einen zäh- schleimigen, sehr eiweissreichen Inhalt, und es liegt somit sehr nahe, daran zu denken, dass die Uylinder- und Flim- merepithelien mit der Seeretion sehr concentrirter Eiweisslö- sungen in innigstem Zusammenhange stehen, in ähnlicher Weise, wie man die Besonderheiten ihrer feinern Structur für die Resorption von Fett in Anspruch genommen hat. — Kehren wir jetzt wieder zur Froschzunge zurück, so er- übrigt es mir noch, eine genauere Beschreibung von den eigen- thümlichen Zellen zu geben, welche den Nervenpapillen auf- sitzen. In diesen Papillen steigt ein Nervenstamm, aus breiten doppelt contourirten Nervenfasern bestehend, bis dicht an die Oberfläche empor, und hier endigen plötzlich die Nervenpri- mitivfasern stumpfspitz. Zu beiden Seiten steigen Capillarge- fässe und Muskeln in der Papille in die Höhe; erstere bilden oben einen Kranz um die Papillen, letztere verlieren sich in 176 Th. Billroth: Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, einer Masse von Kernen auf nicht deutliche wahrnehmbare Weise. Die Flimmerzellen bedecken die Papille bis zu ihrer Höhe, so dass bei Untersuchung des frischen Präparats der freie Rand flimmert; dies veranlasste mich gegen Leydig zu behaupten, dass alle Zellen auf diesen Papillen mit Flim- mern besetzt seien. Ich muss es jedoch jetzt zurücknehmen: die auf der breiten Oberfläche dieser Papillen aufsitzenden Zellen haben keine Wimpern, sondern einen ganz besonde- ren Bau. Nach Behandlung mit Chromsäure wird man fin- den, dass, wenn alle oberflächlichen Lagen der Epithelial- zellen abgelöst sind, auf diesen Papillen eine Zellenkrone sitzen bleibt, die nur mit grosser Mühe loszumachen und mit noch grösserer in ihren Elementen zu analysiren ist. Was ich darüber herausgebracht habe, ist Folgendes: Diese Zellen haben eine im Allgemeinen längliche Gestalt und einen den Zellkörper fast allein ausfüllenden Kern (Fig. 12). Nach der freien Fläche zu zeigen sich verschiedene Formen: zum Theil sieht man verästelte, an ihren Enden leicht geknöpfte Fäden, theils stäbchenartige Körper, theils trichterförmige membra- nöse Aufsätze. Ich weiss diese verschiedenen Formen nicht. weiter zu deuten und muss auf die Zeichnungen verweisen; wahrscheinlich sind es durch das Reagens bedingte Derivate einer Grundform, doch kann ich diese nicht bestimmen, zu- mal da man ohne Anwendung der Uhromsäure nichts von den beschriebenen Formen deutlich erkennt. Nach der Papille zu haben die Zellen einen Fortsatz, der in ein verästeltes, zasriges, wurzelähnliches Gewebe ausgeht, durch welches die Zellen unter einander in Verbindung ste- hen und enorm fest an einander gehalten werden; dies Wur- zelgewebe adhärirt wieder ebenso innig mit der Papillarober- fläche. Ob die Nervenenden "mit diesen Zellen zusammen- hängen, dafür habe ich keinen directen Nachweis liefern kön- nen, doch ist es wahrscheinlich, wenn sich die Beobachtun- gen über die Endigungen des Geruchsnerven weiter bestäti- gen sollten. Die Frage, ob die betreffenden Nerven und respective die beschriebenen Zellen als Geschmacksnerven und Geschmacks sowie über den Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien etc. 177 zellen zu betrachten sind, habe ich schon früher besprochen. Wenn dies der Fall wäre, so würde dies der einzige Fall sein, wo ein höherer Sinnesnerv bis in seine letzten Enden seine doppelt contourirten Nervenfasern behält, eine Eigen- thümlichkeit, die bisher nur bei den Tastorganen bekannt. Ich bekenne, dass ich durch meine Beobachtungen, betref- fend das reichliche Vorkommen von Nerven-Endplexus im Tractus intestinalis, über die Endigungen der Sinnesnerven so zweifelhaft geworden bin, dass ich glaube, dass sich hier vielleicht noch Manches in unvermutheter Weise umgestalten wird. Ich wage daber um so weniger, mich jetzt über die Bedeutung der beschriebenen eigenthümlichen Zellen zu ent- scheiden. -- | Berlin im August 1857. Erklärung der Abbildungen. Vergrösserung 350 — 400. Fig. 1. Papillen der Froschzunge nach Maceration in Chromsäure. Fig. 2. Epithelialzellen der Froschzunge. Fig. 3. Papillen der Froschzunge nach Behandlung mit Essig und Chromsäure. Endigung der Muskelfasern in verästelten Zellen. Fig. 4. Epithelialzellen der menschlichen Luftröhre. Fig.5. Epithelialzellen des Darms von Anodonta. Fig. Epithelialzellen des Froschdarms. Fig. Epithelialzellen der Froschzunge. "Fig. 8. Epithelialzellen von der Mundschleimhaut des Wassersa- lamander. Fig. 9. Tiefste Zellenlage des Rete Malpighii auf einer jungen Narbe der Cutis vom Menschen. Fig. 10. Epithel aus einer Cyste einer Brustdrüsengeschwulst. Fig. 11. Papille der Froschzunge mit eigenthümlicher Veränderung der Kerne in den Epithelialzellen. Fig. 12. Zellen von dem obern Theil der Nervenpapillen der Frosch- zunge. um Müller’s Archiv. 1858. _ 12 178 Robert Remak: Ueber die Theilung der Blutzellen beim Embryo. Von ROBERT REMAR. (Hiezu Taf. VIII.) Am Schlusse meiner Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere (Berl. 1855. pag. 164-179) babe ich eine Ge- schichte der Zellentheorie gegeben und in derselben mitgetheilt, wie ich durch Zweifel gegen die von Schwann vertheidigte Generatio aequivoca der Zellen dahin gelangt bin, schon im Jahre.1841 zunächst an den embryonischen Blutzellen bei Vögeln und Säugethieren Vermehrung durch Theilung zu er- mitteln. Diese Beobachtungen wurden zwar von Kölliker (1845) und Gerlach (1847) bestätigt; doch standen sie viele Jahre lang als vereinzelte Beispiele von Zellentheilung da, bis es mir im Jahre 1852 gelang zu erkennen (vergl. meinen Aufsatz über extracellulare Entstehung thierischer Zellen und über Vermehrung derselben durch Theilung, in Müll. Ar- chiv 1852. p. 47), dass die aus der Furchung hervorgehen- den Zellen sich sämmtlich bei ihrem Uebergange in Gewebe durch Theilung vermehren und dass die von mir früher beob- achtete Theilung der Blutzellen (und der Muskelfaserzellen) nur vereinzelte Glieder in der Reihe dieser zusammenhän- genden Erscheinungen waren. Die Auffindung der Eizellen- membran an dem sich furchenden Froscheie (Müller’s Ar- chiv 1854) und der Nachweis, dass die Furchung in einer fortschreitenden Theilung der Eizelle besteht, bildeten den Schlussstein jener Bemühungen, aus welchen eine vollstän- dige Reform der Zellentheorie hervorging, die sich so- gar durch meine Untersuchungen über die Entwickelung der krebshaften Geschwülste (Deutsche Klinik 1854) auf die pa- Ueber die Theilung der Blutzellen beim Embryo. 179 thologischen Gewebe erstreckte. Das im Januar 1855 aus- gegebene Schlussheft meiner embryologischen Untersuchun- gen, auf welches ich in dieser Hinsicht verweise, darf bis zur Stunde als der Ausdrnck des Standes dieser Fragen an- gesehen werden. Während mehrere ausgezeichnete und thätige Histologen, namentlich Leydig, Max Schultze und Virchow sich für die von mir über Zellenbildung erlangten Ergebnisse und Ansichten aussprechen, scheinen andere Beobachter, wie Reichert und Henle, sich gegen die neuen Lehren skep- tisch zu verhalten. Reichert hatte schon vor Jahren sich in absprechender Weise über die Theilung der Blutzellen ge- äussert, nnd neuerdings glaubt Henle, gestützt auf einige Angaben von Billroth, sich diesen Zweifeln anschliessen zu müssen !). Da die Theilung der Blutzellen ein wichtiges Glied in der Reihe der Beobachtungen bildet, ‘auf welchen die Theorie der Vermehrung der Zellen durch fortschreitende Theilung beruht, so habe ich in den Monaten Mai und Juni 1856 neue Untersuchungen an Hühner - Embryonen unternommen, um die gegen die Theilung der Blutzellen aufgestellten Beden- ken zu prüfen. Es hat sich hierbei nicht blos, wie sich vor- aussehen liess, die seit so vielen Jahren und so häufig ge- machte Beobachtung bestätigt, sondern ich habe mich auch von Neuem überzeugt, dass bei einem geübten Beobachter ein sehr grosser Mangel an Vorsicht oder Umsicht oder sehr grosses Missgeschick dazu gehört, wenn es ihm nicht glücken soll, die Theilung der Blutzellen zu beobachten. Man braucht nur ein Ei zwischen dem dritten und sech- sten Brüttage an einer Seite zu öffnen und so lange auf die unverletzte Seite zu legen, bis sich der Embryo über der “ Dotterflüssigkeit erhoben hat, alsdann ein Blutgefäss anzu- schneiden und den ausfliessenden Tropfen auf einer trocke- nen Glasplatte aufzufangen, so wird man, mag ein Deck- 1) Neuerdings zieht es Reichert vor, meine Untersuchungen, so- gar im Jahresberichte, mit Stillschweigen zu übergehen, und dafür phi- losophische Betrachtungen über Zellenbildung anzustellen. 128 180 i Robert Remak: gläschen aufgelegt werden oder nicht, in der Regel sofort eine Anzahl eingeschnürter, d.h. in der Theilung begriffener Zellen neben runden oder ovalen Zellen finden, und zwar alle diese verschiedenen Formen so regelmässig und zierlich, dass der Verdacht einer künstlichen Entstehung jener Ein- schnürungen kaum erwachen dürfte. Man muss jedoch, um dieses Bild zu erlangen, sich da- vor hüten, dass das Ei nicht allzusehr erkalte: denn zahl- reiche vergleichende Beobachtungen haben mir keinen Zweifel darüber gelassen, dass während des Erkaltens des Embryo die in der Theilung begriffenen Zellen ihre Theilung vollen- den können, und dass man deshalb alsdann in einem Bluts- tropfen nur wenige eingeschnürte Zellen, dagegen viele kleine Zellen findet, die eben aus der Theilung hervorgegangen. Ja man kann sogar zuweilen, während der warme Blutstropfen auf dem Glase erkaltet, unter dem Mikroskop die Abschnü- rung oder Theilung vor sich gehen sehen. Um diesen Vor- gang nach Kräften zu verspäten, thut man daher wohl, bei sehr warmem Wetter die Untersuchung anzustellen, das Ei auf warmem Wasser und unter einer Glasglocke liegen zu lassen, sowie endlich die Glasplatte, mit der man den Tro- pfen auffängt, auch das Deckgläschen, dessen man sich etwa bedient, vor dem Gebrauch in warmem Wasser oder durch starkes Reiben zu erwärmen. Hat man sich die Fertigkeit erworben, die eingeschnürten Blutzellen in unversehrtem Zustande darzustellen, dann kann man dazu schreiten, die innere Beschaffenheit dieser Zellen zu prüfen. Ist der die Zellen erfüllende Farbestoff weniger dicht und die Beleuchtung günstig, so wird in jeder Hälfte einer eingeschnürten Blutzelle der Kern als eine runde was- serhelle Blase bald in der Nähe der Einschnürung, bald auch ganz entfernt davon erscheinen, und es wird sogar ge- lingen, innerhalb des Kerns ein oder auch zwei Kernkörper- chen zu unterscheiden. Sobald aber der farbige Inhalt sehr dicht ist und die Kerne verdeckt, muss man zu Verdün- nungsmitteln schreiten. Eine schwache erwärmte Zuckerlö- sung 0,5 pCt. oder eine schwache Lösung von doppeltchrom- Ueber die Theilung der Blutzellen beim Embryo. 181 saurem Kali 0,6 pCt. werden das Gewünschte leisten, näm- lich die Kerne in den beiden Zellenhälften sichtbar machen, und wenn man die Diffusion noch weiter treibt, d. h. mittelst eines an den Rand des Deckgläschens gelegten Streifens von Filtrirpapier die hinzugesetzte Flüssigkeit durch den Bluts- tropfen langsam hindurchzieht, so wird man allmählig dahin gelangen, die in der Einschnürung begriffene Zellenmembran in ihrem ganzen Umfange soweit wieder aufzublähen, dass die Doppelzelle nunmehr als eine einfache, ovale oder runde, Zelle mit zwei Kernen erscheint. Es kann aber auch geschehen, — wenn der Blutstropfen schon erkaltet oder die Flüssigkeit nicht erwärmt oder die Theilung zu weit vorgeschritten ist, — dass durch den erregten Strom die Doppelzelle an ihrer Theilungsstelle zerbricht,. und man könnte dann glauben, dass man es mit zwei an einander kle- benden Zellen zu thun gehabt habe, wenn nicht die Verglei- chung mit den anderen doppelkernigen, sich aufblähenden Doppelzellen diese Deutung vollständig beseitigen würde. Unter den Doppelzellen, welche im frischen Zustande zur Beobachtung kommen, giebt es zwei Arten. Bei den einen ist bloss eine seichte Einschnürung sichtbar, welche der Zelle die Gestalt eines Semmelpaares giebt, ohne dass der ge- färbte Inhalt an der Stelle der Einschnürung eine Unterbre- chung erleidet. Bei anderen zeigt sich an der Einschnürungs- stelle eine quere, feine, dunkele Linie oder gar ein heller Streifen; das will sagen: der Farbestoff ist hier unterbrochen und durch eine helle Substanz getrennt, welche sich in den Umfang der beiden Zellenhälften, d.h. -in die Zellenmembran fortsetzt. Vergleicht man diese Beobachtung mit den von mir über die Zellenbildung im Froscheie erlangten Ergeb- - nissen (worüber ich meine embryologischen Untersuchungen nachzulesen bitte), so wird es sehr wahrscheinlich, dass die Theilung auch hier vor sich geht durch das Hineinwachsen von Fortsetzungen der Zellenmembran, welche als doppelte Scheidewände den gefärbten Inhalt (Protoplasma) in zwei Abtheilungen scheiden. Damit soll nicht behauptet werden, dass däs Protoplasma bei der Theilung eine durchaus pas- 182 Robert Remak: sive Rolle spiele. Denn es kommt sogar vor (Fig.4.x), dass die Zellenmembran bei der Diffusion sich auf einer Seite ab- hebt, ohne dass das Protoplasma seine Einschnürung anf- giebt, und man erhält dann das Bild der trügerischen endo- genen Zellenbildung, über welche ich an den Zellen des Froscheies die nöthigen Aufklärungen gegeben habe. (Unters. über die Entw. d. Wirbelihiere p. 134.) Zu dieser Ansicht, dass nämlich die Theilung vor sich gehe mittelst Einschnürung des Protoplasma und Scheide- wandbildung Seitens der Zellenmembran, gelangt man auch, wenn man zur Entfärbung oder Erhärtung der Blutzellen sich anderer Agentien, z. B. Essigsäure 0,02 pOt., Sublimatlösung 0,03 pCt., Chromsäure 0,03 pCt. bedient. Während schwache Essigsäure die Zellenmembranen aufbläht und die Kernkör- perchen rasch sichtbar macht, dient Sublimat und Chrom- säure dazu, die Zellenmembran zu erhärten und den Ab- schnürungsvorgang deutlich zu machen. Um die am Kerne und Kernkörperchen sichtbaren Thei- lungsvorgänge zu prüfen, eignen sich die Blutzellen des drit- ten und vierten Brüttages weit besser, als die der späteren Brützeit, weil alsdann sich eine grosse Zahl von Blutzellen zur Theilung vorbereiten, auch der Farbstoff in den Zellen noch nicht so dicht ist und die Kerne weniger verdeckt. Um jene Zeit gelingt es sogar, selbst ohne Zusatz von ausspü- lenden Flüssigkeiten, in der Theilung begriffene Kerne oder Kernkörperchen innerhalb der Zellen zu sehen. Doch wird man die oben genannten chemischen Agentien zu diesem Zweck kaum entbehren können. Alsdann wird man aber auch die verschiedensten Uebergangsstufen der Theilung des Kerns sowohl wie der Kernkörperchen zur Anschauung be- kommen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Abbildun- gen, welche zum Theil sogar nach eingekitteten Präparaten gemacht sind. Denn man kann, wenn man chemische Agen- tien angewendet hat, den Tropfen unter einem Deckgläs- chen, das man mit einem Lack umzieht (am besten mit dem von Dr. Oschatz bereiteten) ziemlich lange Zeit auf- Ueber die Theilung der Blutzellen beim Embryo. 183 bewahren und die Theilungsvorgänge Anderen zur Anschauung bringen, wie ich selbst gethan habe'). Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Thei- lung der Blutzellen mit der Theilung des Kernkörperchens beginnt. Zu Anfang oder um die Mitte des dritten Tages sieht man zuweilen nur wenige Zellen mit doppelten Kernen, dagegen in fast allen Kernen Kernkörperchen, die in der Einschnürung begriffen, oder doppelt oder drei- auch vier- fach vorhanden sind (Fig. 2 u. 4). Zwölf Stunden später da- gegen sind viele Zellen mit doppelten Kernen und einfachen oder doppelten Kernkörperchen sichtbar. Die Theilungsvor- gänge der Kernkörperchen ereignen sich demnach gleichzei- tig in vielen Zellen und ebenso die nachfolgenden Theilun- gen der Kerne. Alle diese Acte sind nur die Vorbereitungen für die lebhafte Vermehrung der Zellen durch Theilung, wel- che am vierten und fünften Tage stattfindet, wenn die Blut- gefässe sich mit Blut füllen, um dem Bedarf der Allantois zu genügen. Die Regel ist, dass das Kernkörperchen sich in zwei Theile abschnürt, und ebenso der Kern in zwei Kerne. Wie es aber zuweilen vier Kernkörperchen giebt, so finden sich auch zuweilen vier Kerne in einer Zelle. Und zwar habe ich sie sowohl am dritten, wie am achten Brüttage ge- funden. Bei den Säugethieren ist, wie ich schon in meinen ersten Mittheilungen vom Jahre 1841 (Med. Vereins-Zeitung 1841 No. 27 und Canstatt’s Jahresbericht) gesagt habe, das Vorkommen von vier Kernen in einer Zelle sehr häufig. Bei dem Hühnchen habe ich diese Erscheinung erst nun- mehr ermittelt. In der Regel sind die aus der Theilung des Kernkörper- 1) Die Theilung der Blutzellen aus frischen Hühner - Embryonen vorzuzeigen, war in meinen histologischen Vorträgen, welche seit einem Jahre durch meine therapeutische Thätigkeit unterbrochen worden, wäh- rend des Sommers immer Gegenstand der Demonstration. Auch Herr Prof. Gerlach aus Erlangen sagte mir vor kurzem, dass er die Thei- lung der Blutzellen aus frischen Embryonen seinen Zuhörern zu demon- striren pflegt. 184 Robert Remak: chens, des Kernes und der Zelle hervorgehenden Theile un- ter einander gleich. Zuweilen findet man jedoch Zellen, wel- che in zwei ungleiche Theile zerfallen. Diese Erscheinung ist sehr auffallend an dem Blute eines in Chromkali aufbe- wahrten Embryo von Coluber natriz, aus welchem ich (Fig. 15) eine Anzahl von Zellen abgebildet habe. Allein sie findet sich auch gar nicht selten beim Hühnchen an den verschie- densten Brüttagen. Da nun manche Zellen sich zu grossen abgeplatteten, ovalen Scheiben ausbilden, während andere sich theilen, so entsteht eine überraschende Ungleichheit der Blutzellen, welche namentlich nach dem sechsten Tage sehr auffallend wird und in den beiliegenden Zeichnungen sich kenntlich macht. So kann es neben einander gefärbte Zellen geben, welche um das Sechsfache und darüher in ihrer Grösse von einander abweichen, so zwar, dass die kleinsten kaum !/30 L. messen. Sehr kleine gefärbte kernhaltige Zellen habe ich auch bei einem Embryo vom 18ten Brüttage, also kurz vor dem Auskriechen gefunden (Fig. 14). Die an den Blutzellen im Verlaufe des Eilebens des Hühn- chens beobachteten Theilungen gefärbter Blutzellen finden sich am häufigsten an denjenigen Brüttagen, an welchen eine sichtliche Vermehrung des Blutes stattfindet, namentlich zwi- schen dem dritten und achten Tage. Bis zum zwölften Tage nehmen sie allmälig an Häufigkeit ab, genau in dem Ver- hältnisse, in welchem auch die Vermehrung der Blutmasse abnimmt. Nach dem zwölften Tage habe ich bisher keine normale Theilung wahrgenommen. Da sich am Schlusse des Eilebens sämmtliches in der Allantois und im Dottersack be- findliche Blut in den Embryo zurückzieht, so bestätigt sich auch auf dieser Entwickelungsstufe, dass das Auftreten der Theilungen proportional ist einer nachweislichen Vermehrung der Blutmasse. Damit will ich keinesweges behaupten, dass während der Brütung keine neuen farblosen Blutzellen hinzukommen, die sich in farbige umwandeln. Doch muss ich in dieser Hin- sicht auf dasjenige verweisen, was ich in meinem grösseren Werke über diesen Gegenstand gesagt habe, da ich diesmal Ueber die Theilung der Blutzellen beim Embryo. 185 nur die Absicht hatte, auf die bestrittenen Theilungen der gefärbten Blutzellen einzugehen. Der Vollständigkeit wegen habe ich noch einiger Erschei- nungen zu gedenken, welche vielleicht mehr ein pathologi- sches, als physiologisches Interesse haben, aber für die Ent- „wickelungsgeschichte der Blutzellen von Bedeutung sind. Bei meiner ersten Mittheilung (Med. Zeit. 1841. No. 27) un- terschied ich im Hühner- Embryo aus der dritten Brütwoche „biscuitförmige Blutkörperchen, deren dicke Enden roth ge- färbt und jedes mit einem Kerne versehen waren; diese bei- den Kerne waren. durch einen dünnen Faden mit einander verbunden.“ — Allein schon in dem von mir (für Canstatt) verfassten Jahresberichte über die Fortschritte der Physio- logie im Jahre 1841 (Separatabdruck p. 17) sagte ich in einer Anmerkung: „Weitere Untersuchungen haben mich zweifel- haft gemacht, ob die biscuitförmige Gestalt mancher Blut- körperchen eine normale Entwickelungsstufe derselben bildet und ob sie nicht bloss einer Dehnung ihr Entstehen verdankt. Dagegen habe ich neuerdings von dem dritten Brüttage an rothe Blutkörper gesehen, welche die des erwachsenen Thie- res bei weitem an Grösse übertrafen und doppelte Kerne entbielten. Bei Schweins- Embryonen von 1 Zoll Länge wa- ren die Blutkörperchen 4—6mal grösser, als die von er- wachsenen Schweinen; sie zeigten doppelte und vierfache Kerne, welche offenbar verschiedenen, durch blasse Zwi- schenlinien markirten Abtheilungen des Blutkörperchens an- gehörten.“ — In meinem ewbryologischen Werke (p. 107) habe ich noch einmal meine Zweifel darüber ausgesprochen, ob die von Köl- liker (Gewebelehre 1852. p. 21) abgebildeten biscuit- oder hantelförmigen Blutzellen normale Bildungen seien. Meine letzten Untersuchungen hahen diesen Zweifeln neuen Boden gegeben. Denn ich habe gar häufig, wie die Abbildungen zeigen, in der letzten Brütwoche solche Körper gefunden in welchen nur die eine Hälfte einen Kern enthielt (Fig. 12), die andere dagegen kernlos war. Beide Hälften hingen durch einen farblosen, schlauchförmigen Theil mit einander zusam- 186 | Robert Remak: men, welcher offenbar nichts weiter als die ausgedehnte Zel- lenmembran war. Kurz diese auffallenden Gebilde machen ganz den Eindruck, als seien sie durch einen abortiven Thei- lungsvorgang entstanden, bei welchem eine normale Kern- theilung nicht zu Stande gekommen und deshalb eine nor- male Zellentheilung nicht von Statten gehen will, Für diese Deutung spricht auch, dass schon vom sechsten Tage ah (Fig.3z u.9z) Zellen mit Einschnürungen vorkommen, bei wel- chen nur die eine Hälfte einen Kern (Fig. 8 z), zuweilen so- gar mit zwei Kernkörperchen enthält, während die andere kernlos ist. Diese Zellen kenne ich seit vielen Jahren, aber ich glaubte, dass der Kern vielleicht noch später in die Mitte rücke und seine Theilung . vollbringe. Allein nachdem ich jetzt diesem Gegenstande besondere Aufmerksamkeit gewid- met, scheint es mir unzweifelhaft, dass es sich hier um einen abnormen Theilungsvorgang handelt, bei welchem die Zellen- einschnürung beginnt, bevor die Kerntheilung zu Stande ge- kommen. Eine solche in abnormer Theilung begriffene Zelle kann es, wie der Erfolg lehrt (Fig. 8, 9, 12, 15), dahin brin- gen, dass das Protoplasma in beiden Hälften der Doppel- zelle, sowohl in der kernhaltigen wie in der kernlosen, sich abrunde und gewissermassen selbstständig mache; allein sie vermag nicht zu einer Theilung der Zellenmembran zu ge- langen, sondern diese wird zu einem langen Zwischenschlau- che ausgedehnt. Mindestens habe ich niemals Zellen ohne Kerne gefunden, wenngleich es nicht selten vorkommt, dass der Kern nicht die gewöhnliche blasige Beschaffenheit dar- bietet, sondern wie ein verschrumpfter fester Körper aussieht, in welchem man das Kernkörperchen vermisst (Fig. 6. y, z). Die beschriebenen hantelförmigen, nach meiner Deutung in misslungener Theilung begriffenen Zellen finden sich, wie ich schon im Jahre 13841 bemerkte (in Oanstatt’s Jahres- bericht), nicht in allen Embryonen und nicht zu allen Brüt- zeiten, sondern am zahlreichsten in der letzten Brütwoche, namentlich bei solehen Embryonen, bei welchen die Aufsau- gung; des Dotters und die Hereinziehung des Dottersackes in die Bauchhöhle nicht in normaler Weise von Statten geht, Ueber die Theilung der Blutzellen beim Embryo. 187 und welche aus diesem Grunde nicht lebensfähig zu sein pfle- gen. Ich vermuthe, dass diese krankhaften Zustände der Blut- zellen abnormen Schwankungen der Temperatur oder anderen ungünstigen Einflüssen im Brütofen ihr Entstehen verdanken. Erklärung der Tafel. Sämmtliche Figuren sind bei 450facher Vergrösserung gezeichnet und betreffen mit Ausnahme der Fig. 15 den Hühner - Embryo. Fig. 1. Zwei mattgefärbte (a u. b) uud eine grössere farblose, gra- nulirte, mit zwei hellen Kernen versehene Zelle innerhalb der Gefässe der Area vasculosa eines 48 stündigen Embryo beobachtet. Fig. 2. Die aus einem Gefässe eines 60stündigen Embryo ausflies- senden Zellen, welche sehr weich sind und unter den Augen des Be- obachters kleine beulenförmige oder auch cylindrische Ausbuchtungen bekommen. Fig. 3. Blutzellen vom dritten Tage im frischen Zustande mit einer Mischung von doppeltchromsaurem Kali (2 Gran) und doppeltschwefel- saurem Kali (1 Gran auf die Unze Wasser) behandelt. Man sieht ent- färbte Zellen mit einfachen und doppelten Kernen und Kern ehen, zum Theil in der Einschnürung begriffen. Fig. 4. Zellen vom Ende des dritten Tages mit derselben chrom- sauren Mischung behandelt. Bei x eine Doppelzelle, auf welcher sich an einer Seite die Membran erhebt, ohne dass das Protoplasma die Einschnürung verliert; in der einen Hälfte ein in der Einschnürung be- griffener Kern. Die übrigen Zellen sind entfärbt nud zeigen zwei, . auch drei (p), sogar vier (y) zum Theil noch nicht ganz von ein- ander abgeschnürte Kerne. Fig. 5. Vom 4ten Tage mit einer lauwarmen Zuckerlösung behan- delt, in welcher die Kerne, aber nicht überall die Kernkörperchen sichtbar werden. Fig.6. Vom 5ten Tage mit einer lauwarmen Lösung von doppelt- chromsaurem Kali 0,2 pCt. behandelt; Zellen von der verschiedensten Beschaffenheit. Die Doppelzelle A zeigt auf der Theilungsstelle einen hellen Streifen und theilt sich während der Beobachtung (A‘). Die Zellen y und z zeigen verschrumpfte Kerne. Fig. 7. Vom öten Tage; Blutzellen im frischen Ze bei lang- samer Einwirkung von Zuckerlösung. Fig. 8. Vom 6ten Tage; nach längerer Einwirkung von doppelt- chromsaurem Kali 0,4 pCt. treten die Contouren der Zellenmembranen S 188 Robert Remek: Ueber die Theilung d. Blutzellen beim Embryo. scharf hervor, so dass man bei y die Einschnürung der Zellenmembran deutlich unterscheiden kann Bei z eine eingeschnürte Zelle, in welcher nur die eine Hälfte einen Kern zeigt. x Fig. 9. Vom 8ten Tage; Zellen von sehr ungleicher Grösse und Beschaffenheit (Zusatz von Kali bichromicum gr. jjj, Acid. sulf. gr.j auf 1 Unze Wasser). z, mehrere Zellen mit abnormer 'Theilung. \ a, Zelle mit einem Kern, der sich in vier Abtheilungen scheidet. b, Zelle mit vier kleinen Kernen. Fig. 10. Vom 9ten Tage; sehr grosse (a) und sehr kleine (b) ge- färbte Zellen, auch farblose Zellen (c), aber keine Theilungen zu finden. Fig. 11. Vom 10ten Tage; Zellen frisch und weich, zum Theil während der Beobachtung Ausbuchtung zeigend; Doppelzellen (x) sehr selten, kaum auf tausend Zellen eine; die Zellen im Ganzen weit kleiner, als am 8ten Tage; keine hantelförmigen Zellen zu finden. Fig. 12. Vom 12ten Tage; mit Zuckerwässer und Essigsäure. Keine normale 'Theilung zu finden, wohl aber die beschriebenen hantelför- migen Zellen. Fig. 13. Vom 16ten Tage; wie oben, auch farblose granulirte Zellen (x). Fig. 14. Vom 18ten Tage; sehr grosse und sehr kleine gefärbte Zellen. Fig. 15. Aus einem drei und eine halbe Windungen zeigenden Em- bryo von Coluber natriz, der ein Jahr läng in einer Lösung von dop- peltchromsaurem Kali (6 Gran auf die Unze) aufbewahrt war. Die Zellen sind zwar entfärbt und brüchig, aber die verschiedenen Thei- lungsstufen sehr deutlich. Nur die Kernkörperchen sind in den sehr festen und dunkeln Kernen in der Regel nicht zu unterscheiden. Robert Remak: Ueber peripherische Ganglien etc. 189 Ueber peripherische Ganglien an den Nerven des Nahrungsrohrs. Von ROBERT REMAR. In Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschrift für rationelle Medi- ein (Bd. VIII. Heft 2) hat G. Meissner vor kurzem eine Mit- theilung über mikroskopische Ganglien gemacht, welche er bei Säugethieren in der Darmwand aufgefunden. Es scheint mir zweckmässig, bei dieser Gelegenheit Folgendes hervor- zuheben. An dem Mund- und Schlundtheile des Nahrungsrohrs habe ich bereits im Jahre 1840 mikroskopische Ganglien im Ver- laufe der Nerven aufgefunden und zwar damals bloss an den Zungen- und Schlundästen des N. glossopharyngeus (Medic. Zeit. des Vereins f. Heilk. in Preussen 1840. No. 2). Später _ ergänzte ich diese Beobachtungen dadurch, dass ich auch an den Aesten des N. lingualis in der Zunge bei Menschen und Säugethieren Ganglien auffand (Müller’s Arch. 1852. p. 58). Diese Wahrnehmungen sind nicht unbemerkt geblieben. We- niger beachtet scheint aber zu sein, dass ich bei der Ver- sammlung der Naturforscher und Aerzte in Wiesbaden (Sep- tember 1852) Beobachtungen „über mikroskopische Gan- glien an den Aesten des N. vagus in der Wand des Magens bei Wirbelthieren“ mitgetheilt habe. Der in dem „amtlichen Bericht* (p. 183) abgedruckte Auszug aus dem Vortrage lautet also: „Um für die Deutung der von mir am Herzen, in der Wand der Bronchien und des Kehlkopfs, 190 . Robert Remak: Ueber peripherische Ganglien in der Zunge, im Schlunde, in der Wand der Harnblase und des Uterus aufgefundenen Ganglien weitere anatomische An- haltspunkte zu gewinnen, hatte ich schon früher die Magen- äste des N. vagus auf Ganglien untersucht. Doch ist es mir erst vor kurzem bei Salamandra maculala geglückt, an den Aesten des N. vagus kurz nach ihrem Eintritte in die Wand des Magens Ganglien zu finden. Seitdem habe ich ähnliche Ganglien auch beim Frosch, bei der Taube (in der Wand des Drüsenmagens), beim Schweine, beim Schafe, bei der Katze, beim Kaninchen gesehen.“ Ich muss noch hinzufügen, dass ich bei den genannten Thieren auch an den Speiseröhrenästen zuweilen Ganglien wahrgenommen habe. Ueber die Frage, zu welchen histolo- gischen Bestandtheilen die aus den Ganglien hervorgehenden Nerven sich begeben, bin ich bei meinen dermaligen Unter- suchungen zu keinem vollen Abschlusse gekommen. Die Gan- glien lagen in der Magenwand an der Innenfläche der Tunica muscularis und die austretenden Nerven schienen bald zur Schleimhaut, bald zur Tunica muscularis oder auch zu bei- den sich zu begeben. Was die Untersuchung in dieser Hin- sicht sehr erschwerte, war der Umstand, dass die Ganglien zumeist zu derjenigen Classe gehörten, welche ich an einer andern Stelle (Müller’s Arch. 1852 p. 60) mit dem Namen Hemiganglia belegt habe, weil nicht alle Fasern an die Ganglienzellen treten, snndern Faserbündel an der Gruppe der Ganglienzellen vorbeistreichen. Hologanglia, d.h. sol- che Ganglien, in welchen sämmtliche Fasern an die Gan- glienzellen treten, fand ich hier weit seltener, als z. B. in der Zunge. Die Hemiganglia bilden nicht selten grosse bau- chige Vorsprünge am Rande des Nervensträngehens, wie in der Zunge. Wenn man solche feine gangliöse Nerven lange Strecken weit verfolgt, so beobachtet man, dass solche Fa- sern, welche an einem Hemiganglion vorbeigeben, in ihrem weitern Verlauf in ein Ganglion eintreten. Daraus wird es wahrscheinlich, dass sämmtliche Fasern mit der Zeit mit Ganglienzellen in Verbinduug treten. Auch habe ich die Skizze einer Zeichnung aus der Wand des Drüsenmagens der Taube Den az ee ar an den Nerven des Nahrungsrohrs. 191 vor: mir, eus welcher sich deutlich ergiebt, dass die aus einem Hemiganglion hervortretenden Fasern nach kurzem Verlauf wieder in ein Hemiganglion eintreten können, dass sich also im Verlaufe einer Nervenfaser nicht blos eine Ganglienzelle, sondern auch mehrere Ganglienzellen hinter einan- der finden können. Eine Zerlegung dieser kleinen, in der Regel aus 10 bis 50 Zellen bestehenden Ganglien in multipolare Ganglienzel- len ist mir nicht gelungen, und ich bin daher zweifelhaft ge- blieben, ob diese Ganglien in die Reihe der sympathischen Ganglien gehören, in welchen ich im Jahre 1837 multipolare Ganglienzellen entdeckt habe. (Vergl. meinen Aufsatz „über multipolare Ganglienzellen* in dem Monatsberichte der K. Preussischen Academie der Wissensch. 1854.) Au den Nerven des Darmrohrs und zwar bei Vögeln an dem von mir in dieser Thierelasse entdeckten gangliösen Darmnerven habe ich bereits im Jahre 1843 (Müll. Arch. 1843 p. 431) zahlreiche kleine Ganglien entdeckt Dieser Nerv löst sich, wie ich ausführlicher in meiner Monographie „über ein selbstständiges Darmnervensystem“ (Berl. 1847. Fol. mit 2 Tafeln) beschrieben und durch Abbildungen erläutert habe, beim Embryo von der Darmwand ab, entfernt sich von derselben eine Strecke weit und bleibt mit ihr’ mittelst feiner Nerven in Verbindune g, die von seinen Ganglien aus- gehen. Der Nerv und seine Ganglien sind am dicksten in der Gegend des Mastdarms, und er verdünnt sich, während er den Darm bis zum Magen hin begleitet. Diesen Darmner- ven habe ieh von den Mittelnerven unterschieden, welche von dem Plexus coeliacus kommend mit den Blutgefässen zu dem Darm verlaufen. Da bei anderen Wirbelthieren kein solcher die Mittelnerven kreuzender gangliöser Darmnerv vor- kommt, so vermuthete ich einerseits, dass bei anderen Wir- belthieren das Analogon des Darmnerven in der Darmwand selbst zurückbleibe (l.c. p.28 8.53), andererseits glaubte ich in dem N. haemorrhoidalis internus ein abortives Stück des Darmnerven bei Säugethieren zu ermitteln. In den letzten Jahren habe ich meine Aufmerksamkeit be- IN 192. Robert Remak: Ueber peripherische Ganglien etc. sonders den Nerven zugewendet, welche von dem N. vagus zu dem Darmrohr gehen. Von Fischen und Amphibien kennt man schon durch Müller und Weber die Verbreitung des N, vagus an den Darm. Bei Säugethieren und beim Menschen sind die Anschauungen der Anatomen in dieser Hinsicht we- niger sicher, Ich wurde auf die Darmäste des N. vagus durch physiologische Versuche geführt, bei welchen ich Gelegen- heit hatte, den schon von Ed. Weber bemerkten Einfluss des N. vagus auf die Darmbewegung und zwar auf die Be- wegung des ganzen Dünndarms bei Hunden und Katzen zu bestätigen (vergl. Ernst Wolff, De functionibus Nervi vagi, Diss. inaug. Berol. 1856). Bei denselben Thieren bemerkte ich, dass von den Aesten, welche nach der Beschreibung der Anatomen zu dem Ganglion coeliacum gehen sollen, nur ein einziger in dasselbe eintritt, die übrigen graden Weges sich feiner verästelnd in das Mesenterium ausstrahlen und zu den Wänden des Dünndarms sich hinbegeben. Diese Aeste sind ungemein fein und zahlreich, bestehen zum grossen Theil aus grauen kernhaltigen Fasern und enthalten nur wenige dunkelrandige Fasern. Bei einem mageren neugeborenen Kinde gelang es mir, diese Darmäste des Vagus noch zahl- reicher als bei Hunden und Katzen zu beobachten. In Betreff der jetzt von Meissner in der Darmwand ge- fundenen Ganglien stellt sich demnach die Frage, ob sie im Verlaufe der Darmäste des N. vagus vorkommen, und als- dann wären sie analog den von mir in der Magenwand ge- fundenen Ganglien. Oder sie sind so unter einander verbun- den, dass sie ein Analogon des bei den Vögeln ausserhalb des Darmes im Mesenterium verlaufenden gangliösen Darm- nerven darstellen. Oder sie finden sich im Verlaufe der vom Plexus coeliacus kommenden Mittelnerven (Mesenterialner- ven). Oder endlich sie bilden Verbindungen zwischen dem einen oder andern der genannten Nerven. Nur die verglei- chende Untersuchung der übrigen Wirbelthiere dürfte über diese Fragen vollen Aufschluss geben. ur u ! Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen Organen etc, 193 - Zur Kenntniss des den electrischen Organen ver- wandten Schwanzorganes von Raja clavata. Von Prof. Max ScHuLTzE in Halle. (Hierzu Taf. IX.) Das in seiner Bedeutung immer noch unklare nervenreiche Schwanzorgan der Rochen aus der Gattung Raja, welches neuerdings öfter als pseudoelectrisches Organ bezeich- net wurde, ist mehrfach Gegenstand genauer mikroskopischer Untersuchungen gewesen, ohne dass doch alle Structurver- hältnisse genügend erförscht wären. Namentlich ist die Be- stimmung der Art der Nervenendigung allen Bearbei- tern so schwierig erschienen, dass unter Anderen Ecker'), Leydig?), Remak°) und Kölliker*), welche das Organ frisch untersuchten, und welchem letzteren wir die ausführ- lichste Darstellung und richtigste Auffassung seiner Structur verdanken, zu einem befriedigenden Resultat nicht gelangen konnten. Was mich zu einer längeren Beschäftigung mit die- sem Organe während eines Ferienaufenthalts auf Helgoland veranlasste, war ausser dem eben angedeuteten zweifelhaften Punkte noch die Beschaffenheit der die Kästchen des ge- “ nannten Organs zum Theil ausfüllenden Scheibchen, welche \ 1) Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. I, p. 41. Anm. 2) Müller’s Archiv 1854 p. 314. 3) Ebend. 1856 p. 471. 4) Verhandl. der physik, mediein. Gesellschaft in Würzburg von 13. Dec. 1856 p. 12. Müller’s Archiv, 1858, 13 ex > oe 194 Max Schultze: Zur Kenntniss des den eleetrischen bei | Kölliker mit dem Namen Schwammkörper belegte, und über deren histiologische Auffassung die Ansichten der For- scher sehr weit aus einander gehen. Von Robin!) als en eigenthümliches Gewebe (tissu eleetrique) bezeichnet, glaubte Stannius?) quergestreifte Muskelfasern in demselben zu er- kennen. Leydig spricht dasselbe als dem Knorpel zunächst verwandtes Bindegewebe an, und Kölliker kehrte endlich, wenn auch bedingt, zu der Robin’schen Anschauung zurück. Dank den allumfassenden Arbeiten der Mikroskopiker begeg- net es einem heutzutage nicht oft mehr, solche Meinnngsver- | schiedenheiten in der Deutung eines Gewebes anzutreffen! Die Resultate, zu welchen ich durch meine Untersuchun- gen gelangte, sind zum Theil abweichend von denen meiner Vorgänger. Ich fand zumal die Nerven in einer so innigen Beziehung zum Schwammkörper, dass ich letzteren, gestützt auch auf seine chemische Beschaffenheit, geradezu als eine Fortsetzung der ersteren anzusehen genöthigt wurde, als flä- chenhaft ausgebreitete Nervensubstanz, aus einer Verschmelzung sämmitlicher Nervenenden hervor- gegangen. Wenn ferner die Art der feineren Nervenausbreitungen in dem Schwanzorgane der Rochen, welche nach meinen zum Theil mit Kölliker übereinstimmenden Beobachtungen in der Bildung ganz ähnlicher Nervennetze besteht, wie Letz- terer solche bei Torpedo kürzlich nachwies ?), zu einer aus- gedehnteren Vergleichung mit dem electrischen Organe dieser Rochen aufforderte, so mussten die ausführlichen Angaben von Bilharz) über Malapterurus und von Ecker?) über Mormyrus, welche einen Uebergang der Nerven in eine dem Schwammkörper von Raja nicht unähnliche Platte lehren, mir eine Vergleichung der betreffenden Organe sämmtlicher. electromotorischen Fische wünschenswerth machen. Durch 1) Annales d. sciences natur. 1847. 3. ser., tom. VII, p. 242, 254. 2) Vergl. Anatomie, 2. Aufl. 1854, p. 120. | DM €: P.I2. 4) Das electrische Organ des Zitterwelses ete. Leipzig 1857. 5) Untersnehungen zur Ichthyologie. Freiburg 1857. p. 29. Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 195 die zuvorkommende Bereitwilligkeit der Herren du Bois Rey- mond, V. Carus, Ecker, Freyer, J. Müller, Peters, wie meines Vaters erhielt ich zu einer solchen das genügende Material. Auf die vergleichenden Untersuchungen hin, über welche ich an anderen Orten berichten werde, stütze ich meine Ansicht von der Bedeutung des Schwanzorganes der Rochen als eines electrischen. Ohne Multiplicator oder stromprüfende Froschschenkel konnte ich directe Versuche auf electromotorische Eigenschaften an dem genannten Or- gane nicht ausführen. Alle aber, welche mit diesen Hülfs- mitteln ausgerüstet Helgoland besuchen sollten, mache ich darauf aufmerksam, dass die von den Blankeneser Fischern _ dort leicht zu erhaltenden Rochen soviel mir bekannt wurde stets an dem Schwanze angebunden in den grossen Wasser- behältern der Schiffe aufbewahrt werden, und dass die Su- gillationen, welche in Folge dieser Behandlung eintreten, mög- licherweise auch die Leitungsfähigkeit der Nerven beeinträch- tigen könnten. Die eleetrischen Organe des Schwanzes der Raja sind cylindrische, vorn und hinten zugespitzt endigende Kör- per, deren jederseits einer neben der Wirbelsäule hegt. Sie beginnen im ÜOentrum des Musculus sacrolumbalis etwa an der Grenze vom ersten und zweiten Drittheile des Schwan- zes, verdicken sich allmählig und liegen nach vollständiger Verdrängung des Muskels dicht unter der Haut die ganze Dicke des ebenfalls cylindrischen Muskels fortsetzend, und reichen bis in die äusserste Spitze des Schwanzes. Durch ihre dünne Bindegewebshülle schimmern die ein fast durch- sichtiges Gallertgewebe umschliessenden Längs- und Quer- - scheidewände. Erstere mögen den Verhältnissen bei anderen eleetrischen Organen analog die primären, letztere die se- eundären Scheidewände heissen. Die primären sind doppel- ter Art. Die einen, deren Verlauf bisher noch nicht näher gewürdigt worden, stellen nach vorn zugespitzte Kegel dar, welche alle unter sich parallel in einander stecken. Die ab- gerundeten Spitzen dieser Kegel liegen ziemlich genau in der - Axe der Cylinder. Dies Verhältniss, welches auf Längs- 13% 196 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen schnitten, wie in Fig. 1 und 2, zu übersehen ist, stellt eine Wiederholung der sehnigen Scheidewände des Musc. sacro- lumbalis dar, wie sie Robin schon kannte und in den Ann. £ d. sc. nat. 1847 tab. 3, fig. 1 gut abbildete. Zu einer klaren Anschauung über die Richtung der Längsscheidewände des electrischen Organes gelangte er jedoch so wenig als Stan- nius!). Fig. 2 erläutert das Verhältniss der vordern Spitze des electrischen Organes zu dem umgebenden Muskel. Aus dem Vorhandensein der in einander steckenden sehnigen Tu- ten erklären sich auch die von Robin und Stannius er- wähnten zwischen der Oberfläche des electrischeu Organes und der inneren Hautfläche verlaufenden sehnigen Bänder. ‘Wo nämlich die Basen der Kegel die Oberfläche des electri- schen Organes erreichen, setzen sich die Mäntel noch als freie Bänder über die Oberfläche nach hinten fort und heften sich nach längerem Verlaufe an die innere Oberfläche der Haut ganz in derselben Weise wie es bei den weiter nach vorn gelegenen sehnigen Muskelscheidewänden auch der Fall ist. Betrachtet man die äussere Fläche des isolirten Schwanz- UNE: organes aufmerksam, so bemerkt man andere Längsscheide- E wände, welche von der fibrösen Umhüllungshaut in rechtem Winkel zur Tiefe streben und die Zwischenräume zwischen den in einander steckenden fibrösen Kegeln in Säulen thei- len, deren Längsaxe einmal durch die Richtung der Kegel bedingt ist, ferner aber von der Richtung dieser zweiten Art von Längsscheidewänden abhängt. Sie verlaufen aber in der Richtung sehr langgezogener Spiralen in dem cylindrischen Organe, wie Robin gut abbildet (l. c. tab. 3, fig. 2), wobei sie jedoch durch Anastomosen vielfach unter einander con- fluiren. Die Zwischenräume zwischen den primären Scheidewän- den oder die erwähnten Säulen werden nun durch zahlreiche in der Quere verlaufende oder secundäre Scheidewände in platte Kästchen abgetheilt. Diese Querscheidewände durch- setzen nicht die ganze Dicke des electrischen Organes in 1) Vergl. Anatomie 2. Aufl, 1854 p. 120. Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. ]97 einer Ebene, sondern weichen, von einer Säule auf die an- dere übersetzend, von ihrer ursprünglichen Richtung mehr- fach’ ab, dass ein Querschnitt des Organes nicht alle Käst- chen in gleicher Höhe treffen kann, sondern an dem einen die vordere, an dem anderen die hintere Fläche der Scheide- wand blosslegen und an noch anderen den Inhalt der Käst- chen selbst in verschiedenen Ebenen treffen wird. Von den Wänden dieser Kästchen sind die vordere und hintere durch die Querscheidewände gebildet, während die übrigen von den zwei Arten!in der Längsrichtung verlaufenden Septa und bei den an der Oberfläche des Organes gelegenen noch von der fibrösen Hülle geliefert werden. Die Gestalt der Kästchen, welche im Allgemeinen eine platt vierseitige ist, varlirt nach verschiedenen Seiten sehr. Wie aus einer Betrachtung der in dreimaliger Vergrösserung gezeichneten Längsschnitte Fig.1 und 2 hervorgeht, muss die Höhe der oberflächlichen Käst- chen an solchen Stellen, wo die sehnigen Tuten sich eben von der fibrösen Aussenhaut ablösen, eine sehr geringe sein, und dasselbe findet statt in den centralen Kegelspitzen. Aber auch ihre Ausdehnung von rechts nach links varürt sehr nach der Richtung der zweiten Art von Längsscheidewänden (vgl. Robin l. e. tab. 3, fig. 2). Nur der kurze von vorn nach _ hinten gerichtete Durchmesser ist weniger bedeutenden Schwan- kungen unterworfen, und hält sich derselbe zwischen !/; und 1, P. Linie. Am kleinsten sind die Kästchen in der Schwanz- spitze des Organes. Was den Inhalt der Kästchen betrifft, so sind die Ro- bin’schen Angaben von Kölliker dahin bestätigt und be- richtigt worden, dass derselbe zunächst ein doppelter sei: 1) der hinteren Fläche der vorderen Querwand anliegend ein scheibenförmiger Körper von schwammiger Beschaffenheit -(Schwammkörper Köll.), welcher etwa den dritten Theil des inneren Raumes des Kästchens ausfüllt, und 2) gallert- artiges Bindegewebe, Gallertmasse mit Sternzellen, nebst: Blut- gefässen für den übrigen Raum. Die Gallertmasse geht an der hinteren Wand wie an den Seiten allmählig in das fibril- läre Bindegewebe der Kästchengrenze über, indem sich die 198 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen Intereellularfasern nach und nach vermehren und endlich sie ganz und gar erfüllen, während der Schwammkörper überalj scharf gegen die Bindegewebsgebilde abgegrenzt ist. Ich muss 5 in der Auffassung dieser Theile und ihrer Lagenverhältnisse Ei zu den gleich näher zu beschreibenden Nervenausbreitungen auf die Seite Kölliker’s gegen Leydig treten, und die Ab- bildung des Ersteren |. c. Tab. I, Fig. 2 für eine naturgetreue erklären. R ' Die Nerven für die einzelnen Kästchen des electrischen Organes treten, wie Kölliker am ausführlichsten angiebt, jedesmal von der vorderen Wand derselben gegen den seheibenförmigen Schwammkörper. Sie bilden hier eine in der Verticalebene zwischen bindegewebigem Septum und Schwammkörper ausgebreitete ziemlich dicke Schicht, „Ner- venplatte“ Köll., doch ohne mit dem Schwammkörper „irgend eine Verbindung“ einzugehen. Ueber die letzte Endigung der Nerven konnte Kölliker so wenig als seine Vorgänger Ecker und Leydig ganz ins Klare kommen. Des Ersteren hierauf bezügliche Worte lauten: „Soviel habe ich bestimmt ermittelt, dass die letzten Enden der Nerven- fasern, die kaum mehr als 0,0005'' messen, gegen die Ober- fläche der Nervenplatte zu sich alle senkrecht stellen und bis an die äusserste Fläche derselben hinanreichen. In eini- genPräparaten nun endeten dieselben hier, dicht am Schwamm- körper, frei mit leichten’ knopfförmigen Anschwellungen, in anderen von frischen Thieren bildeten sie nach allem, was ich zu sehen vermochte, ein horizontal ausgebreitetes Netz, dessen Fasern und Maschen um ein ziemliches grösser wa- ren, als im electrischen Organe der Zitterrochen, und schei- nen demzufolge ähnliche Verhältnisse hier obzuwalten wie bei den Torpedines; doch wage ich bei der Schwierigkeit des Gegenstandes, indem die dicke Nervenplatte der gewöhnli-- chen Rochen weder bei Flächen- noch bei Seitenansichten eine ganz klare Einsicht in ihre Verhältnisse gestattet, nicht, für die eine oder andere Anschauung mit Bestimmtheit mich % zu entscheiden. Nur soviel ist sicher, dass auch hier eine N äusserst reiche Nervenästelung vorhanden ist, die derjenigen Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 199 der Torpedines wenig nachsteht, sowie dass kein Nervenfäd- chen in den Schwammkörper selbst hineingeht.“ Diese Angaben kann ich zunächst dahin ergänzen und be- richtigen, dass auf das in der That vorhandene, der vordern Fläche des Schwammkörpers parallel in der Verticalebene äusgebreitete Nervennetz, dessen Fasern und Maschen um ein ziemliches grösser sind als das von Kölliker bei Tor- pedo entdeckte, ein anderes bei weitem feineres folgt, des- sen Feinheit dem erwähnten von Torpedo vollständig gleicht, ja in seinen Endausbreitungen vielleicht noch über- _ frifft, und dass dasselbe ferner in einem so innigen Zu- sammenhange mit dem Schwammkörper steht, dass ein allmähliger direeter Uebergang der Nerven in die Substanz desselben angenommen werden muss. Man kann die Nervenausbreitungen auf Querschnitten wie auch auf Längsschnitten des electrischen Organes studiren. Längsschnitte geben ein vortreffliches Bild der gröberen Ver- hältnisse in der Anordnung der verschiedenen Gewebe, und es ist nicht schwer bei stärkerer Vergrösserung die allmäh- lige Verschmälerung der markhaltigen Fasern durch Thei- lung, den Uebergang derselben in marklose, sowie auch de- ren Theilung und schliessliches Anlegen der feinsten Fäser- chen an die vordere Fläche des Schwammkörpers zu sehen. Zu einer klaren Einsicht über die Endigungsweise der Fa- sern und namentlich des in der Fläche ausgebreiteten feinen Nervennetzes werden solche Schnitte nicht leicht führen. Zu diesem Zwecke sind Querschnitte des Organs nöthig. Bei der bedeutenden, oft '/; Linie betragenden Dicke der Käst- chen aber werden solche in grösserer Zahl anzufertigen sein, bis der Zufall-einen genau in die Ebene der vorderen Fläche ' des Schwammkörpers fallenden und zugleich noch die grö- beren Nervenausbreitungen zeigenden Schnitt beut. An einem solchen wird man durch Heben oder Senken des Tubus von vorn nach hinten durch die Dicke des Schnit- tes vorschreitend Folgendes gewähren: Zunächst an der bin- degewebigen Scheidewand oder vielmehr noch in ihr selbst liegen die Nervenstämmcehen, die von verschiedenen Seiten 200 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen herantreten und sich bald in einzelne aus einander laufende hi Primitivfasern scheiden. Hiemit haben sich die Nerven schon aus dem exquisit faserigen Theile der Scheidewand in ein zwischen ihr und dem Schwammkörper befindliches gallerti- ges Bindegewebe begeben, in welchem jedoch immer noch % wellig geschlungene Intercellularfasern verhanden sind. Hier verlaufen die breiten markhaltigen Primitivfasern in einer der Querscheidewand und also auch der vorderen Fläche des Schwammkörpers parallelen Verticalebene und sind durch häufig vorhandene -dichotomische, auch drei- und vierfache Theilungen ausgezeichnet. Die Zahl der Fasern ist nicht gross, so dass bedeutende Zwischenräume vorhanden sind, welche von dem fibrillären halb gallertigen Bindegewebe aus- gefüllt werden. Mit der hier eintretenden Theilung vermehrt sich die Zahl der Fasern, und nähern sich dieselben zu- gleich um ein weniges dem Schwammkörper, um nach län- gerem Verlaufe neue Theilungen einzugehn. Während die erste Theilungsstelle, wie von Nerventheilun- gen an anderen Orten hinreichend bekannt ist, durch eine geringe Einschnürung der Primitivfaser bezeichnet ist, findet bei der zweiten Theilung eine förmliche Unterbrechung des Nervenmarkes auf eine grössere Strecke hin statt. Die Pri- mitivfaser verschmälert sich gegen die Theilungsstelle all- mählig, und der stark lichtbrechende Inhalt schwindet end- lich ganz, so dass die Faser jetzt nur noch aus dem Axen- eylinder zu bestehen scheint. Dieser schwillt an der Thei- lungsstelle selbst oft zu einer dreieckigen aber kernlosen, ganz homogenen Platte an. Bei dem der Theilung vorher- gehenden vollständigen Schwund des Nervenmarkes nimmt es sehr Wunder, eine Strecke nach derselben .an den Theil- ästen das Mark wieder auftreten zu sehen. Die Faser ver- diekt sich dabei allmählig, um nach kurzem Verlaufe eine neue Verschmälerung zu erfahren, bleibt nun aber nach noch einmal wiederholter Theilung meist definitiv marklos. (Vergl. biezu Fig. 4) Nur ausnahmsweise tritt nach einer dritten oder gar vierten Theilung auf kurze Strecken noch eine Spur stark lichtbrechenden Nervenmarkes an den Aesten auf. Bis Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 901 dahin fehlt eine netzförmige Verbindung benachbarter Primi- tivfasern,, wie sie Robin gesehen zu haben glaubt, durch- aus. Eine solche tritt nun aber an den sich fortgesetzt thei- lenden feinen marklosen Fasern ein. Dieselben verschmel- zen in einer der vordern Fläche des Schwammkörpers fast unmittelbar anliegenden Verticalebene zu einem dichten eng- maschigen Netze, dessen Maschenräume etwa den halben bis ganzen Durchmesser eines menschlichen Blutkörperchens be- ‚sitzen und dessen Fasern 4—5mal feiner als die Zwischen- räume sind. Kurz vor dem Uebergange in dieses Netz oder nach bereits begonnener anastomotischer Verbindung zeigen sich, wie Kölliker (l.c. p. 19) auch schon erkannte, spin- delförmige oder eckige Verbreiterungen der marklosen Ner- venfasern mit rundlichen oder ovalen stark glänzenden Ker- nen. Sie sind in ziemlich regelmässigen Abständen durch diese Schicht der Nervenausbreitung vertheilt und kommen nur in ihr vor. Unter gewissen Umständen gleichen sie in ihrer Verbindung mit dem Fasernetz verästelten und ana- stomosirenden Bindegewebskörperchen. Ueber ihre Verbin- dung mit den Nerven und folglich ihre Bedeutung als Ner- venzellen kann jedoch kein Zweifel sein. Noch sind wir aber nicht am Ende der Verästelung der Nerven angelangt. Aus dem beschriebenen Netze erheben sich vielmehr neue und feinere Fasern in der Richtung gegen den Schwammkörper, an dessen vorderer Fläche angelangt sie sich zu einem noch viel feineren Netze verbinden, um endlich mit der Substanz des Schwammkörpers zu verschmelzen. Bei horizontaler Lage eines der hinteren Fläche des Schwammkörpers parallelen Verticalschnittes durch diese 'Nervenausbreitung erscheint das gröbere Nervennetz von dem feineren oder umgekehrt so gedeckt, dass über die Ver- bindung beider ein überzeugendes Bild nicht leicht zu gewin- nen ist. Beide Netze liegen hinter einander in parallelen Ebenen, und beim Heben und Senken des Tubus erscheint einmal das Gesichtsfeld ausgefüllt von den Maschen des grö- beren Netzes, während gleich darauf mit dem Verschwinden des gröberen das feinere zum Vorschein kommt. Ein Längs- 302 Mäx Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen schnitt in der Verticalebene, Fig. 5, erklärt diese Erschei-. NE h) nung. Die Verbindungsfäden von dem gröberen Netzwerk zu dem feineren sind ziemlich lang, so dass bei horizontaler Lage derselben eine verhältnissmässig bedeutende Verände- 7 | rung in der Tubusstellung eintreten muss, um von dem einen zum anderen zu gelangen. So ist es denn auch verständ- lich, dass bei genau horizontaler Lage dieser in verschiede- nen Ebenen gelegenen Nervennetze die Verbindungsfäden nicht leicht wahrzunehmen sind. Dieselben lassen sich aber bei schief durch die -Nervennetze gelegten Schnitten oder beim Zerzupfen derselben und dadurch herbeigeführten man- nigfachen Lagenveränderungen in einer Weise wie Fig. 4 an- deutet, erkennen. Diese Figur mag zugleich einen Begriff von der ausserordentlichen Feinheit des dem Schwammkör- per zunächst anliegenden Nervennetzes geben. Bei 2—300ma- liger Vergrösserung einer dünnen Schicht feinkörniger Sub- stanz gleichend gewinnt diese Nervenmembran erst bei 4— 500maliger das Ansehn eines feinen Netzwerkes, über des- sen Bedeutung immerhin aber erst die Wahrnehmung des Zusammenhanges mit dem gröberen Netze vollständige Klar- heit verschafft. Es gleicht dieses Netz demjenigen, welches Kölliker in dem electrischen Organ von Torpedo entdeckte und als Endausbreitung, als Tunica nervea beschreibt. Das- selbe ist beim Zitterrochen jedenfalls leichter wahrzunehmen und in seiner ‘Verbindung mit den gröberen Nervenästchen klarer zu übersehen, da hier die ganze Nervenausbreitung in einer viel dünneren Schicht, mehr in einer und derselben Ebene liegt als bei Raja. Dennoch ist das Verhältniss bei beiden wesentlich dasselbe. Haben wir demnach 2 unter einander zusammenhängende, in parallelen Verticalebenen vor der vordern Fläche des Schwanım- körpers gelegene Nervennetze, ein vorderes gröberes, ein hin- teres feineres, so kommen wir bei noch weiterer Verfolgung der Nervenausbreitungen auf den Schwammkörper selbst, wel- cher als eine im vorderen Theil solide, im hinteren von Maschenräumen durchbrochene, unregelmässig eckige, fast kreisrunde Platte mit ersterem sich unmittelbar an das feinste Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 9203 _ Nervennetz anschliesst. Das Studium der Nervennetze und ihres Zusammenhanges mit dem Schwammkörper, entschie- den des schwierigsten Punktes in der Anatomie unserer elec- trischen Organe, wird einigermassen dadurch erleichtert, dass beim Zerzupfen der betreffenden Gegend sich eine deutliche Neigung zum Zerfall in Platten zu erkennen giebt, welche den beschriebenen Nervennetzen entsprechen, der Art, dass es namentlich bei bereits seit einigen Stunden todten Thie- ren (die Untersuchung immer in Liquor cerebrospinalis) öfter gelingt, das erstere gröbere Nervennetz von dem feineren abzuspalten, und dieses wieder von dem Schwammkörper oder der zunächst zu erwähnenden vordersten Schicht des- selben. Es erklärt sich die Trennung der beiden Schichten von Nervennetzen, von denen das vordere mit den gröberen Nervenästen in Zusammenhang bleibt, das hintere für sich oder mit dem Schwammkörper zusammen sich ablöst, dar- aus, dass die Cohärenz des in eine Platte ausgebreiteten Nervennetzes in sich eine weit grössere ist, als die der Ver- bindungsfäden mit dem vorhergehenden. Hat mar auf diese Weise die beschriebenen Nervennetze von der vordern Flä- che des Schwammkörpers abgelöst, so zeigt sich die letztere von der Fläche betrachtet fein granulirt und in ziemlich wei- ten Abständen mit blassen ovalen, einen deutlichen runden Kern führenden Zellen durchsetzt. Die Granulirung und die Zellen liegen nur in einer äusserst dünnen Schicht, welche die vordere Fläche des in seinen folgenden Schichten ganz anders aussehenden Schwammkörpers überzieht, und auch wieder für sich ablösbar ist, so dass. dieselbe eine Wieder- holung der .beiden vorhergehenden Nervennetzplatten er- scheint. Und in der That lassen Schrägschnitt und günstige Zerzupfungspräparate kaum einen Zweifel, dass diese granu- lirte Schicht mit den eingebetteten ovalen Zellen nur eine weitere Verfeinerung des vorhergehenden Nervennetzes dar- darstellt. Es ist ein allmähliger Uebergang der noch deut- lichen Netze in die körnige Substanz, wie Fig. 4 wiederzu- geben versucht. Auf Längsschnitten, wie in Fig. 3, erscheint diese körnige Schicht als eine von der des feinsten Netzes 204 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen nicht bestimmt unterscheidbare dünne äusserste Lage des Schwämmkörpers,. Wir haben nun das Gewebe dieses letzteren einer nähe- ren Prüfung zu unterziehen. Trotzdem dass Robin, Stan- nius, Leydig, Kölliker sich eingehend mit demselben be- schäftigt baben, ist noch nicht einmal, wie oben angedeutet wurde, die erste und wichtigste Frage mit Sicherheit ent- schieden, welcher grösseren Gruppe von Geweben dasselbe zuzurechnen sei. Robin, welcher mit grosser Genauigkeit das Schwanzorgan der Rochen untersuchte, stellt das Ge- er webe als ein eigenthümliches dar und nennt es Tissu elec- trique. Leydig glaubt es als ein Bindegewebsgebilde, dem Knorpel am verwandtesten, ausprechen zu müssen, während Kölliker sich wieder mehr der Robin’schen Anschauung nähert, doch eine wenn auch entfernte Aehnlichkeit mit dem Muskelgewebe zugiebt, aus welchem Stannius geradezu einen Theil der Schwammkörper bestehend glaubte. Ich muss in der Auffassung desselben zunächst Leydig Recht geben, "welcher eine Intercellularsubstanz und in dieselbe eingebettete kernhaltige Zellen unterscheidet, doch mit Kölliker mich entschieden gegen die Verwandt- schaft mit Knorpel oder anderen Bindegewebsgebilden aus- sprechen, vielmehr die Robin’sche Ansicht, dass hier ein ganz eigenthümliches und daher auch mit einem neuen Na- men zu bezeichnendes Gewebe vorliege, in ihrem ganzen Umfange wiederherstellen. Die Grundsubstanz des Schwammkörpers ist in dem hin- teren löcherigen Theile feinkörnig, punktirt, wie in einem älteren Hyalinknorpel des Kehlkopfes oder der Rippen, in dem vorderen soliden Theile dagegen glasartig durchsichtig, doch von zahllosen mäandrisch verschlungenen Liniensyste- men durchzogen, welche die an sich bier seltener einge- sprengten Zellen oft schwer erkennen lassen. Beide Formen von Intercellularsubstanz gehen ganz allmählig in einander über und liegt die Grenze zwischen beiden bald weiter vor, bald mehr zurück, bald im soliden, bald im löcherigen Theile des Schwammkörpers. Sie sind chemisch, soweit sich feststel- | | Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 9205 len liess, einander gleich, und beruht die Verschiedenheit nur auf einer einmal mehr homogenen, das andere Mal mehr oder minder vollständig lamellösen Beschaffenheit. Die Zellen sind oval, mit grossem runden Kern versehen, mit im fri- schen Zustande deutlicher Membran, und entweder ganz ho- mogenem wasserhellem Inhalte oder mit Körnchen zum Theil ausgefüllt, welche öfter ein starkes Lichtbrechungsvermögen, wie Fetitröpfchen besitzen. Kölliker hat auffallender Weise diese Gebilde als Zellen nicht anerkennen wollen, sondern glaubte nur freie Kerne zu sehen. Allerdings ist die Zell- membran, von welcher übrigens Robin bereits eine Andeu- tung gehabt hat, oft schwer und überhaupt nur im frischen Zustande, doch auch noch beim Zusatz von Essigsäure und Aetznatron wahrzunehmen. Die runden Kerne dagegen sind sehr resistent, halten sich in allen möglichen conservirenden Flüssigkeiten Jahre lang sehr deutlich, werden stark granu- birt und scheinen allerdings an solchen älteren Präparaten direct in der Grundsubstanz zu liegen. Nach diesen Angaben kann, abgesehen von der mäandri- schen Streifung eines Theiles der Intercellularsubstanz, eine - Vergleichung des Gewebes der Schwammkörper mit den Bindegewebsgebilden und zunächst mit dem Knorpel nicht ungerechtfertigt erscheinen. Gegen eine solche spricht aber ganz entschieden die chemische Beschaffenheit, zunächst das Verhalten gegen kochendes Wasser und kochende verdünnte Säuren. Aufkochen in Wasser macht die im frischen Zustande und bei Betrachtung mit blossem Auge fast ganz durchsichtig er- scheinenden Schwammkörper undurchsichtig, weiss wie ge- ronnenes Eiweiss. Das Gewebe verdichtet sich, schrumpft etwas ein, wird härter und lässt sich leichter zu dünnen Schnitten verarbeiten. Die wellige Streifung in der vorderen Hälfte hat sich erhalten, von den Zellen sind nur noch die stark glänzenden Kerne deutlich. Das angrenzende Gallert- gewebe, welches die hintere Hälfte der Kästchen des elec- trischen Organes ausfüllt, ist dagegen ganz durchsichtig ge- blieben. Nach 4--6stündigem Kochen eines Stückes der 206 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen electrischen Organe ist im Gewebe der Schwammkörper eine wesentliche Veränderung nicht weiter eingetreten. Schon nach 2stündigem Kochen beginnt das Bindegewebe der Scheide- wände sich zu lösen, und bald fällt das ganze Organ in lau- ter einzelne Plättchen aus einander, welche aus den meist ziemlich gut erhaltenen Nervenausbreitungen und den angren- zenden Schwammkörpern bestehen, die sich auf diese Art von allen angrenzenden Bindegewebsgebilden vollständig iso- liren lassen. Während die Intercellularsubstanz etwas trüber geworden, sind von den Zellen nur noch die Kerne sichtbar, die wellige Streifung aber hat sich erhalten. Die Oonsistenz der geschrumpften Schwammkörper ist eine ziemlich bedeu- tende. Durch Zerzupfen derselben ergiebt sich jetzt deut- lich, dass die eigenthümlichen Liniensysteme der Intercellu- larsubstanz auf geschichtete, auf kürzere Strecken von einander ablösbare Membranen zurückzuführen sind '). Eine geringe Menge von Zwischensubstanz, welche dieselben an einander kittete, scheint durch das anhaltende Kochen ge- löst zu sein. Die Plättehen selbst erscheinen theils körnig, theils glashell. Ein ganz ähnliches Verhalten zeigt das elec- trische Organ beim Kochen in verdünnter Essigsäure. Das Bindegewebe löst sich nur viel schneller als in blossem Was- ser, die Schwammkörper mit den Nerven bleiben jedoch auch bier ungelöst zurück. Dagegen übt verdünnte Natronlauge im kochenden Zustande eine lösende Wirkung auf dieselbe aus. Den frischen Schnitt macht Zusatz von kalter Natron- lauge durchsichtiger, ein Aufquellen oder Lösen der Balken des Schwammgewebes findet zwar nicht statt, doch schwin- den nach längerer Einwirkung die mäandrischen Liniensy- steme. Viel resistenter gegen dieses Reagens zeigen sich die . vorher in kochendem Wasser erhärteten Schwammkörper. Geht aus allem diesen mit grosser Wahrscheinlichkeit her- vor, dass wir in dem Schwammkörper des electrischen Or- ganes ein aus eiweissartiger Substanz gebildetes Gewebe vor 1) Eine solche Schichtung glaubte auch Leydig (Müll. Arch. 1854 p. 318) als Grund der eigenthümlichen Streifung annehmen zu müssen. Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 207 uns haben, so wird dies zur (Gewissheit durch die von mir früher zur mikrochemischen Prüfung empfohlene Behandlung mit Zucker und Schwefelsäure. Der frische sowohl wie der gekochte Schwammkörper nimmt durch diese Behandlung eben so wie die angrenzenden Nervenfasern eine intensiv rothe Farbe an, während die Bindegewebsgebilde unge- färbt bleiben. Durch diese Reactionen wäre denn auch in Verbindung mit den Angaben über die histiologische Beschaffenheit das Eigenthümliche des vorliegenden Gewebes hinreichend erwie- sen. Nirgends kennen wir im menschlichen oder thierischen Körper einen Bestandtheil, welcher aus fester, reichlicher Grundsubstanz und eingebetteten Zellen bestehend wie Knor- pel, doch chemisch mit den leimgebenden Geweben und allen normalen oder pathologischen Bindegewebsgebilden Nichts ge- mein hat, sondern exquisit eiweissartiger Natur ist. Nur ein Gewebe können wir dem vorliegenden vergleichen, über wel- ches freilich erst die allerneueste Zeit Aufschlüsse gewährt hat und ein Abschluss noch keinesweges erreicht ist; es ist dasjenige der eleetrischen Platten der electromotorischen Organe von Malapterurns, Gymnotus, Torpedo, Mormyrus. Wie Bilharz ') zuerst gezeigt hat, geht bei Malapierurus die in jedes Kästchen des genannten Organes eintretende Nerven- primitivfaser in eine Platte über, ‘welche aus einer homoge- nen Grundsubstanz und sparsam eingebetteten Kernen be- steht, Pacini?) beschrieb eine mit ersterer vergleichbare Platte von Gymnoius und deutete auch für Torpedo schon etwas Aehnliches an. Ecker°) erkannte endlich verwandte Platten bei Mormyrus. Meine Eingangs erwähnten, auf die sämmtlichen hier genannten Fische sich beziehenden Unter- suchungen, über welche ein kurzer vorläufiger Bericht in den Abhandlungen der naturforsch. Ges. in Halle (Bd. IV, Heft 2 1) Das electr. Organ des Zitterwelses 1857. 2) Sulla struttura intima dell’ organo elettrico del Gimnoto etc. Firenze 1852. 2 3) Untersuchungen zur Ichthyologie 1857. 208 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen u. 3, 1858, Sitzungsberichte aus dem J. 1857, vour 28. Nov.) abgedruckt ist, haben zunächst erwiesen, dass die electrische Platte von Malapterurus und das bei Gymnotus von Pacini als corpo cellulare beschriebene Gebilde histiologisch unter sich vollständig übereinstimmen, und aus einer eiweissarti- gen, durch Kochen erhärtenden, durch Zucker und Schwefel- säure roth färbbaren Substanz gebildet sind, welche sich von dem Gewebe des Schwammkörpers von Raja nur dadurch un- terscheidet, dass die Grundsubstanz noch mehr homogen, fast wasserhell erscheint, und statt der Zellen nur Kerne enthält, wie für Malapterurus wenigstens an ganz frischen Präparaten festgestellt werden konnte. Bei Torpedo, wo die einzelnen Septa so dünn sind und so dicht auf einander liegen, dass man nicht erwarten darf, ähnlich dicke electrische Platten wie bei Malapterurus und Gymnotus zu finden, ist doch eine analoge Substanz da, welche die Rückenseite jeden Septum’s einnimmt und als „Bindegewebsschicht* von Kölliker be- schrieben wurde. Ihr liegen an der Bauchseite die Nerven- ausbreitungen an. Diese dorsale Schicht jeder Scheidewand ist eine dünne Lage homogener, wenig körniger, eiweissarti- ger Substanz mit eingestreuten grosskernigen blassen Zellen. Sie entspricht ganz dem Gewebe des Schwammkörpers von Raja. Bei Mormyrus endlich ist die die Nervenenden aufneh- mende electrische Platte wieder der von Gymnotus und Ma- lapterurus ähnlicher, indem hier in feinkörnige Grundsubstanz nur Kerne eingebettet erscheinen. Nach diesem stehe ich nicht an, mit Berücksichtigung auch der sonstigen Verwandt- schaft des Schwanzorganes von Raja mit den echten electri- schen Organen, das Gewebe des Schwammkörpers dem der electrischen Platten an die Seite zu stellen. Im Grunde ist dieser Ausspruch nur eine Wiederholung der schon von Robin 1847 aufgestellten Ansicht. Robin nennt das Gewebe des Schwammkörpers Tissu electrigue und bezeichnet es als ein eigenthümliches, bei allen electri- schen Fischen sich wiederholendes, indem bei Torpedo, Gym- notus und Malapterurus in den Kästchen der electrischen Or- gane Scheibchen, disques &lectriques, aus ein und derselben Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 209 Substarz gebildet vorkämen (Robin l.c. p. 242). Ihre eigen- thümliche Function sei (l. c. p. 254) „de produire de Pe- leetrieite sous linfluence de Jinflux nerveux, au me&me titre que le tissu musculaire a la propricte de se contracter sous linfluence de linflux ner- veux moteur, etc.“ Jedenfalls stützte sich Robin mit der Behauptung, dass alle electrischen Fische ähnliche disques elecetriques besässen wie Raja, auf eigene Untersuchungen, denn nirgends war früher etwas dem Aehnliches bekannt geworden. Um so auffallender ist es, dass dieser Fund nur beiläufig von ihm erwähnt wird und weitere Aussagen über die Beschaffenheit dieser electrischen Platten gänzlich fehlen. Diesem Umstande muss es denn auch zugeschrie- ben werden, dass keiner der Anatomen, welche sich später mit dem feineren Baue der electrischen Organe beschäf- tigten, auf die Aussagen Robin’s Rücksicht nahm. Unbe- greiflich muss es aber erscheinen, wie Kölliker ganz kürz- lich nach ausführlicher Untersuchung des Schwanzorganes von Raja, der electrischen Organe von Torpedo und Ansicht von Spiritusexemplaren des Malapterurus und Gymnotus behaupten konnte, es finde sich bei den drei letztgenannten Fischen kein Tissu electrique im Sinne Robin’s (Kölliker l.c. p.23). Es ist dasselbe nach dem Vorstehenden bei allen drei Fischen vorhanden. ? Die electrische Platte von Raja besitzt aber eine Eigen- - thümlichkeit, welche den entsprechenden Gebilden anderer eleetrischen, Fische abgeht. Es ist dies die eigenthümliche mäandrische Linienzeichnung, welcher bereits mehrfach Er- wähnung gethan wurde und über welche noch Einiges zu be- merken übrig ist. Die mäandrischen Liniensysteme des vor- deren Theiles des Schwammkörpers lassen sich am besten im ganz frischen Zustande des Organes untersuchen, sie er- halten sich aber auch nach der Behandlung mit Chromsäure, doppelt chromsaurem Kali, Sublimat, Alkohol, Holzessig, Goadby’scher Flüssigkeit, in denen allen der Schwammkör- per, vorausgesetzt, dass die Flüssigkeiten nicht zu verdünnt angewandt wurden und nur kleinere Stücke des Organes ent- Müller’s Archiv. 1858, . - 14 210 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen & s a . hielten, Monate lang seine Structur unverändert zeigt. Wie sich ‚durch längeres Kochen in Wasser dieser Theil des Schwammkörpers in Lamellen spalten liess, welche in ihrer Schichtung das streiige Ansehn bedingten, so beobachtet man ein Gleiches nach längerer Maceration in dünneren Lö- sungen der oben angeführten conservirenden Flüssigkeiten. Die isolirten Lamellen zeigen auch auf der Fläche oft eine äusserst feine netzförmige Zeichnung, deren Ursache mir un- bekannt geblieben ist. Sie erinnert an die feinsten Nerven- netze der vorderen Fläche des Schwammkörpers. Die Un- tersuchung des Verlaufes dieser Lamellen ist sehr sehwer, Ein Theil derselben streicht oft der genannten Fläche des Schwammkörpers parallel, andere erheben sich in einer Rich- tung senkrecht auf diese und biegen bald wieder bogenförmig um. Es sind immer Gruppen von Lamellen, welche eine Strecke denselben Verlauf einhalten, dann aber oft nach ver- schiedenen Richtungen aus einander weichen, indem sieh neue zwischen dieselben einschieben. So entsteht auf Längsschnit- ten eine Zeichnung, wie Fig, 3 sie wiederzugeben versucht, die aber an jeder anderen Stelle des Schwammkörpers wie- der anders gefunden wird. Im frischen Zustande sah ich die Linien nicht bis in die Balken des löcherigen Theiles des Schwammkörpers hineinreichen. Doch scheinen sich verschie- dene Species von Raja in diesem Punkte verschieden zu ver- . halten. Sie hörten bei Raja clavata immer ganz allmählig sich verlierend in der hier feinkörnigen. Intercellularsubstanz auf. Durch Behandlung mit Liquor conservativus oder Su- blimatlösung nimmt jedoch ein Theil dieser feinkörnigen Sub- stanz auch noch ein gestricheltes Ansehn an, so dass jetzt die Liniensysteme sich weiter nach hinten erstrecken, als im frischen Zustande sichtbar war. Robin meinte '!), dass die beschriebenen Linien überhaupt erst bei Zusatz von Alkohol oder Wasser zum Vorschein kämen; das ist, wie Leydig und Kölliker schon erwiesen, nicht der Fall, gilt für einen Theil derselben jedoch in der eben angeführten Weise. 1) Ann. d. sc. nat. 3. ser. 1847, tom. VII, p. 253. . ä Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 2]] Wir verliessen die Nervenausbreitungen oben mit der Be- sehreibung der bereits zum Schwammkörper zu rechnenden vordern feinkörnigen, mit eingebetteten Zellen versehenen Schicht, und suchten nachzuweisen, dass diese nichts als eine weitere Verfeinerung des Netzes der vorhergehenden Schichten, oder eine flächenhafte Ausbreitung der Nerven- substanz selbst sei. Ihre Zellen gleichen, wie jetzt nachzu- tragen, denen der hinteren Partien des Schwammkörpers voll- ständig, die Granulirung der Intercellularsubstanz ist aber eine grobkörnigere als die der Balken des Schwammkörpers, sie gleicht mehr derjenigen, welche die Substanz des vorherge- henden feinen Nervennetzes bei nicht hinreichend starken Vergrösserungen dem Beschauer darbietet, d.h. es sind stär- kere Unterschiede in der Lichtbrechung zwischen den Körn- chen und der Zwischensubstanz, als sie in. der weit feiner granulirten Substanz der Balken existiren. Wie geht nun aus dieser Masse die mäandrisch gezeich- nete, lamellös geschichtete Schwammkörpersubstanz hervor? Es ist ein direeter Zusammenhang beider da, aber eben in diesem Zusammenhange liegt das Schwierige, eine genügende Antwort auf diese Frage zu geben. Es wurde oben erwähnt, dass die dem Schwammkörper unmittelbar anliegenden Nervenausbreitungen sich in dünne, der vorderen Fläche des letzteren parallele, im natürlichen Zustande also in einer Verticalebene ausgebreitete Platten spalten lassen, deren eine ein gröberes, die andere ein fei- neres Netz darstellen. Auf letztere folgt, wie auch bereits angeführt wurde, die äusserste granulirte Lage des Schwamm- körpers, welche auch mit den stärksten Vergrösserungen zwar nieht mehr als Netzwerk erkannt werden konnte; dennoch - aber als eine weitere Verfeinerung des Nervennetzes der vor- hergehenden Schicht, aus der sie unmittelbar hervorgeht, be- trachtet wurde, sich von derselben aber durch die in ziem- lich grossen Abständen eingebetteten ovalen Zellen unter- schied. Auch diese Schicht nun lässt sich von der folgenden Abtheilung des Schwammkörpers abspalten, entweder für sich, oder in Verbindung mit den Nervennelzen., Sie grenzt 14° 312 Max Schultze: Zur Kenntniss des den electrischen unmittelbar. an die mäandrisch gezeichnete Intercellularsub- stanz. Von ihr löst sie sich aber nicht rein ab, sondern stets mit den ersten Anfängen der folgenden so eigenthümlich ge- schichteten Substanz, der Art, dass sie nach dem Abspalten horizontal gelegt und von ihrer hinteren Obertäche betrach- tet stets einen Anflug der mäandrischen Liniensysteme zeigt. Diese: nun erheben sich unmittelbar und allmählig aus der körnigen Intercellularsubstanz, und zwar in der Weise, dass es scheint, als legten sich die vorher ungeordneten Körn- chen zu Linien zusammen, die eine Strecke noch körnig sind, dann aber als scharfe Striche weiter verlaufen. Solche Bil- der, welche einen’ allmähligen Uebergang der feinkörnigen Intercellularsubstanz in die lamellös geschichtete andeuten, geben auch die Längsschnitte des Organes. Auf solchen sieht man, wie oben angeführt wurde, streckenweise die Linien der vorderen Grenze des Schwammkörpers parallel verlaufen, öfter aber ist der Verlauf ein unregelmässig gebogener, ja einzelne Gruppen der Linien stellen sich senkrecht gegen die Oberfläche des Schwammkörpers. An diesen nun ist wieder ‚die’allmählige Hervorbildung aus der körnigen Intercellular- substanz deutlich. Nach den an gekochten und macerirten Schwammkörpern angestellten Zerlegungsversuchen haben wir als Ursache der eigenthümlichen Streifung der Schwammkörpersubstanz über einander 'geschichtete Lamellen zu betrachten. Dieselben konnten, wenn auch nur auf kurze Strecken, isolirt werden. Zwischen den Lamellensystemen fanden sich Zellen eingela- gert, denen der nicht geschichteten Balken des Schwammkör- pers gleichend. Die feinkörnige Intercellularsubstanz der Bal- ken, darüber kann kein Zweifel sein, setzt sich continuirlich in die geschichtete des soliden Theiles des Schwammkörpers fort, ebenso wie wir den feinkörnigen vordern Ueberzug des Schwammkörpers, der seinerseits wieder mit den Nerven- netzen im innigsten Zusammenhange steht, in die geschich- tete Substanz verfolgen konnten. Die Ansicht, welche dem- nach ‘über die Structur des Schwammkörpers gewonnen, ist die, dass die Intercellularsubstanz des Schwamm- Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. 213 körpers eine directe, Fortsetzung der Nerven sei, welche vor ihrem Uebergange in erstere in Form feinster Netze auftreten, die sich dann unter Wegfall der Maschen zu einer soliden Masse umwandeln. Diese solide Nerven- masse ist theils in Plättchen spaltbar als Wiederholung der schon in den Netzen ausgesprochenen Tendenz zur Plätt- chenbildung, theils feinkörnig solide. Welche Bedeutung die in die Intercellularsubstanz eingebetteten Zellen haben, bleibt dabei vor der Hand ganz dunkel; möglich, dass sie nur ge- netisch wichtig sind, indem unter ihrem Einfluss als ein Se- eret derselben die umgebende Substanz ihren Ursprung nahm. Wenn nach diesem der Schwammkörper nicht bloss in seinem chemischen und histiologischen Verhalten, sondern auch in seinem Zusammenhange mit Nerven durchaus den electrischen Platten der electromotorisch wirksamen Or- gane der Gymnotus, Malapterurus und Torpedo entspricht, so wäre jetzt wohl ein Grund mehr gewonnen, electromotori- sche Kräfte auch in diesem Organe vorauszusetzen,, und möchte nach der gegebenen Darstellung des feineren Baues die Aussage der Fischer, welche James Stark!) zur Ent- deekung des hier beschriebenen Organes führte, dass man nämlich beim Anfassen des Schwanzes eines lebendigen Ro- chen einen electrischen Schlag erhalte, glaubwürdiger erschei- nen, als von mancher Seite behauptet worden ist. Die Rich- tung des Stromes würde in solchem Falle im Organ von vorn nach hinten gehend zu vermuthen sein, nach der Analogie von Torpedo, Gymnotus und Malapterurus, bei welchen Fi- schen sich constant diejenige Seite, welcher die mit den Ner- ven in Verbindung stehenden Oberflächen der electrischen Platten zugekehrt sind, negativ gegen die entgegengesetzte gezeigt hat. | 1) Annals and Mag. of nat. hist. vol-.XV, p. 121. 914 Max Schultize: Zur Kenutniss des den electrischen Organen ete. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Längsschnitt des electrischen Schwanzorganes von ARaja clavata in seinem vorderen, zwischen den Blättern des Musculus sa- erolumbalis verborgenen Ende bei Smaliger Vergrösserung. Die seh- nigen Zwischenblätter des Muskels setzen sich als freie Bänder über die Oberfläche des Muskels fort, um mit der inneren Oberfläche der Haut des Schwanzes zu verschmelzen. Fig. 2. Längsschnitt aus der Mitte des electrischen Schwanzorga- nes von Raja clavata, wo dasselbe frei unter der Haut liegt, eben- falls bei 3maliger Vergrösserung. Der vorderen Wand jeden Käst- ehens liegt, wie in der vorigen Figur, die electrische Platte (der Schwammkörper) an. « Fig. 3. Längsschnitt einer der electrischen Platten (Schwammkör- per), vorn mit den ans der bindegewebigen Scheidewand stammenden Nerven in Verbindung, hinten an das gallertige Bindegewebe gren- zend, welches den übrigen Raum des Kästchens ausfüllt. Vergr. 300. Fig. 4 Theil der Nervenausbreitung, welche an der vorderen Fläche jeden Schwammkörpers sich befindet, nach einem Schnitt ge- zeichnet, welcher der vorderen Fläche des Schwammkörpers parallel gelegt war, doch die Oberfläche des letzteren selbst etwas schief ge- troffen hatte; a. mäandrisch gezeichnete Schwammkörpersubstanz, b. vor- dere granulirte Grenze derselben, an die feinen Nervennetze c. stos- send; d. gröbere Nervennetze weiter nach vorn. Vergr. 300. A. W. Volkmann: Versuche n. Betracht. üb. Muskelcontractilität. 215 Versuche und Betrachtungen über Muskelcon- tractilität. Von A. W. VOLKMANN. (Hiezu Taf. X.) Ich habe in diesem Archiv 1857 p. 27 und in den Berichten über die Verhandlungen der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1856 Beobachtungen mitgetheilt, welche die bekannten Untersuchungen E. Weber’s über die Muskel- thätigkeit zn ergänzen bestimmt waren. Dieselben bestätigen Weber’s Angaben, soweit sie sich auf Thatsachen. beziehen, vollständig, aber sie erregen Bedenken gegen die Zulässig- keit seiner theoretischen Betrachtungen, indem sie auf Er- scheinungen aufmerksam machen, die sich denselben nicht fügen wollen. Obschon das Gefühl der persönlichen und wis- . senschaftlichen Hochachtung, welches ich für Weber hege, mir viel zu natürlich ist, als dass es sich in meinen beiden Mittheilungen hätte verleugnen können, so scheint mein ge- ehrter Freund gleichwohi durch die Bekanntmachung dersel- ben verstimmt zu sein und hat in den Leipziger Berichten eine Kritik veröffentlicht, welche unter dem Einflusse dieser Verstimmung abgefasst sein dürfte '). 1) E.F. Weber kritische und experimentelle Widerlegung der von Volkmann gegen die Untersuchungen des Verfassers über die Elasti- eität der Muskeln aufgestellten Eihwürfe und Beöobächtungen a.a. O. 1856 p. 167. 216 A. W. Volkmann: Er behauptet, dass ich bei Berechnung der Muskeldebn- barkeit ein falsches Verfahren befolge und wirft mir vor, dass meine Beobachtungen, weil sie unter falschen Verhältnissen angestellt seien, zu unhaltbaren Resnltaten führen. Vorwürfe wie diese und andere, die mir gemacht werden, unbeantwortet lassen, hiesse einräumen, dass ich unvorsichtig, gedankenlos und ohne Sachkenntniss gearbeitet, Zugeständnisse, zu. de- nen ich mich um so weniger veranlasst fühle, als ich bewei- sen zu können glaube, dass in der Streitfrage zwischen mir und Weber das Recht vollkommen auf meiner Seite ist. Vor Allem die Frage: worum handelt es sich? Bekannt- lich hat Weber die Hypothese vertheidigt, die Bewegung der Muskeln werde durch elastische Kräfte und zunächst nur durch diese vermittelt. Er nimmt an, der thätige Muskel habe als solcher eine ihm zukommende oder natürliche Form, welche sich dureh geringere Länge und grössere Dicke von der des ruhenden Muskels unterscheide. Diese Form des thätigen Muskels werde durch die Elastieität hergestellt, so- bald die Ruhe der Fasern in Thätigkeit umschlage, und werde durch eben dieselbe vertheidigt, sobald äussere Kräfte sie angreifen. Mittels der elastischen Kraft, wird weiter ange- nommen, kann der Muskel auch Gewichte heben, und ist hierzu nur nöthig, dass jene Kraft, welche die natürliche oder kurze Form des thätigen Muskels herzustellen strebt, mehr leiste als die Zugkraft des Gewichtes, welches ihn zu verlängern sucht. Daher der Lehrsatz: die Grösse des Gewichtes, welches der thätige Muskelheben kann, hängt, wenn die natürliche Form desselben gege- ben ist, von der Grösse seiner Elasticität ab. (Mus- kelbewegung in R. Wagner’s Wörterbuch III. B. p. 111.) Folgt man diesem Gedankengange, so stellt sich die Länge eines belasteten thätigen Muskels als eine zweigliedrige Grösse dar, bestehend aus der natürlichen Länge des thätigen Mus- kels und einem durch die Dehnung bewirkten Zuschusse zu derselben. Natürlich hängt dann die Grösse dieses Zuschus- ses zunächst nur von zwei Umständen, nämlich von der Grösse des Gewichtes und von der Grösse der elastischen Versuche und Betrachtungen über Muskeleontracetilität. 2]7 Kraft ab. Die Aufgabe der Experimentalphysiologie wird hiernach eine rein physikalische, Sie hätte im Allgemeinen das Gesetz zu entwickeln, nach welchem ein Muskel bei zu- nehmender Belastung verlängert wird, und im speciellen Falle den Elastieitätsmodulus desselben nachzuweisen, Von einer specifischen Contractilität der Muskelfasern wäre gar nicht mehr die Rede, also auch davon nicht, dass die Bewegung der Muskeln eine Resuitante aus ÜOontractilität und Elasti- eität sei, wie wohl die Mehrzahl der Physiologen bis dahin annahm. Die Aufgabe der Physiologie schiene demnach einer ausserordentlichen Vereinfachung fähig, und Niemand ist be- reiter als ich, anzuerkennen, dass Weber’s Versuch eine solche herbeizuführen ein sehr ingeniöser war. Aber auch ingeniöse Hypothesen können sich als unhalt- bar erweisen, und die Physiologie hat das Recht und die Verpflichtung zu fragen, durch welche Gründe Weber die seine stützte. Wer auf die Beantwortung dieser Frage näher eingeht, dürfte finden, dass von einer speciellen Begründung der Grundansichten in der Weber’schen Arbeit nur wenig die Rede ist. Vielmehr wird die Behauptung, dass der Mus- kel durch Elastieität und zunächst nur durch diese wirke, aus allgemeinen Prineipien abgeleitet, und die Trennbarkeit der Blastieität und Contractilität wird als eine den az Grundbegriffen widerstreitende abgefertigt. Der Gedankengang Weber’s dürfte folgender sein): „Man nennt Rlastieität bei einem festen Körper die Ursache der inneren Kräfte, welche den äusseren auf den Körper wirkenden Kräften (Anziehung der Erde, Druck- und Zug- kräfte an der Oberfläche) Widerstand leisten. Hiernach hän- gen alle inneren Kräfte zunächst von der Elastieität ab, was = 1) Bemerkt werde, dass der nachstehende Passus, abgesehen von ein paarıganz unwesentlichen Wortveränderungen, aus einem Briefe Wilhelm Weber’s an mich entnommen ist. Ich hoffe durch Mit- theilung seines Schreibens etwaigen Missverständnissen von meiner Seite am sichersten vorzubeugen, indem ich annehmen darf, dass die An- sichten des berühmten Physikers und Bruders für E. Weber als mass- gebend gelten. 218 A. W. Volkmann: nicht hindert, dass die Elastieität selbst wieder von anderen Ursachen abhängig gemacht werde, z. B. von den Reizen. Reize modificiren die Elastieität und durch dieselbe die ela- stischen Kräfte ebenso wie die Temperatur. Sowie man aber bei einem elastischen Drahte nicht unterscheiden kann zwi- schen Temperaturspannung und elastischer Spannung des Drahtes, sondern die ganze Kraft der Spannung zunächst auf Rechnung der RBlasticität setzen muss, die aber selbst wieder in Abhängigkeit von der Temperatur steht, ebenso darf man nicht beim Muskel zwischen contractiler und ela- stischer Kraft unterscheiden, sondern muss stets die gauze Kraft der Muskelspannung zunächst auf Rechnung seiner Ela- sticität setzen, kann letztere aber schr wohl nach gewissen Gesetzen der Contractilität von der Reizung der Muskeln ab- hängig denken. — Wenn man ein Gewicht an einem Draht aufhängt, alsdann aber das Gewicht unterstützt, so dass der Draht von dem Gewichte gar nicıt gespannt wird, so kann man es durch Abkühlung des Drahtes dahin bringen, dass derselbe, bei unveränderter Länge, das ganze Gewicht trägt. Es ist nun physikalisch unzulässig, die Kraft, welche der Drabt dann ausübt, Temperaturkraft zu nennen, sondern diese Kraft muss als elastische bezeichnet werden, die aber nicht von der ursprünglichen Elasticität, sondern von der durch den Temperatureinfluss hervorgebrachten Elastieitäts- veränderung abhängt.“ Bei aller Hochachtung vor der Quelle, aus welcher diese Darstellung geflossen, muss ich bekennen, dass sie mich keineswegs überzeugt hat. Dass man zwischen Kräften der Temperaturspannung und elastischen Spannung nicht unter- scheiden könne, ist mir einleuchtend, dass man aber eben so wenig zwischen contractiler und elastischer Kraft des Muskels unterscheiden dürfe, ist eine Behauptung, die ich für unbegründet halte. Offenbar würden wir zwischen beiden Kräften unterscheiden müssen, wenn jede derselben einem andern Gesetze folgte, und ich wüsste nicht, welche physi- kalischen Grundansichten uns zwingen könnten, anzunehmen, dass beide Kräfte demselben Gesetze folgten. ‘ Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 219 Man stelle "sich vor, durch die Windungen einer Spiral- feder werde ein elektrischer Strom geleitet. Dann werden die verschiedenen Windungen gegen einander gezogen, aber nieht durch Vermittelung ihrer elastischen Kraft, sondern trotz dieser, Denn die Elastieität widersetzt sich jener An- näherung. So könnte die Oontractilität den Muskel verkür- zen, im Widerspiel gegen die elastische Kraft, welche ihrer- seits die natürliche Form des Muskels, d.h..diejenige, wel- che er vor der gewaltsamen Verkürzung hatte, zu erhalten bemüht wäre !). Wer sich der schönen Entdeckungen Dubois Reymond's erinnert, wird zugeben müssen, dass der Gedanke, elektri- sche und contractile Kräfte der Muskeln zu identifieiren, uns nicht mehr zu fern liege; gleichwohl hat das Beispiel, wel- ches ich im Vorstehenden aufführte, mehr nicht als ein Bei- spiel dessen sein sollen: was mit physikalischen Kräften sich leisten lasse. | Die Ansicht, dass alle Muskelbewegung zunächst von der Elastieität ausgehe, ist also mehr nicht als eine Hypothese, welche noch der Bestätigung bedarf. Weber hat seine zahl- reichen Erfahrungen über Muskelthätigkeit bereits im Sinne jener Ansicht geordnet, und hat die Zulässigkeit derselben in vielen Fällen mit Klarheit nachgewiesen. Gleichwohl findet sich schon in seinem Erfahrungsmaterial Manches, was der Elasticitätstheorie keineswegs günstig ist. Indem dies bisher ganz unberücksichtigt geblieben, dürften einige Andeutungen hierüber wohl am Platze sein. Um mit dem minder Wichtigen zu beginnen, so ergiebt sich ans den Versuchen Weber’s, dass das Verhältniss der Länge des belasteten Muskels zu der des unbelasteten im Zustande der Thätigkeit grösser ist, als im Zustande der Ruhe. Hieraus wird consequenter Weise geschlossen, dass 1) Dieses schlagende Beispiel suppeditirte mir Helmholtz, wel- cher nach einem ausführlichen Gespräche über die vorliegende Streit- frage mir vollkommen beistimmte, dass eine Trennung der contrac- tilen und elastischen Kräfte in den Muskeln den physikalischen Grund- begriffen nicht widerspreche. 220 A. W. Volkmann: der Muskel beim Uebergange aus dem Zustande der Ruhe in den der Thätigkeit dehnbarer werde, oder, was dasselbe sagt, an elastischer Kraft verliere. Nun soll aber der Hypothese zufolge die elastische Kraft diejenige sein, welche die Ver- kürzung des Muskels vermittelt. Bedenkt man, dass der Zweck des Muskels eben der ist, durch Verkürzung seiner Fasern Bewegung zu vermitteln, so prätendirt die Weber- sche Lehre, dass der Organismus in dem Augenblicke, wo es sich um Bewegung handelt, die bewegende Kraft ab- schwäche. Ich habe, ohne aus meinem Urtheile weitere Fol- gen abzuleiten, ein solches Verhalten des Organismus ein un- zweckmässiges genannt. Weber replicirt hiergegen, dass er meine Betrachtung nicht von jenen trivialen teleologischen Betrachtungen zu unterscheiden wisse, mit welchen so gros- ser Missbrauch getrieben worden, dass man teleologische und exacte Naturbetrachtung fast als einen Widerspruch an- zusehen pflege. Ich finde in dieser Entgegnung nur den Ausdruck einer, wie ich hoffe, vorübergehenden Verstimmung des Verfassers, und habe keine Veranlassung, meine Ansicht zurückzuneh- men. Ist die Bestimmung des Muskels die, sich zu contra- hiren, wie unzweifelhaft, und ist die Elasticität die Kraft, durch welche die Contraction zu Stande kommt, wie Weber versichert, so wäre es ohne Widerrede etwas Zweckwidriges, wenn die Elastieität in dem Momente, wo sie die Oontrac- tion vermitteln sollte, eine Verminderung erführe. Nun ist mir nicht eingefallen zu behaupten, dass um dieser Zweck- widrigkeit willen die Weber’sche Hypothese schlechthin un- möglich sei; denn es lässt sich denken, dass die Vernach- lässigung eines uns sichtbaren Zweckes die Grundbedingung der Erreichung eiues wichtigern, uns nicht sichtbaren, ent- bielte; wohl aber scheint mir jene Zweckwidrigkeit zu be- weisen, dase die Weber’sche Hypothese nicht so glatt und so fertig ist, dass man sie pure zu acceptiren habe. Im Allgemeinen findet sich das Prineip der Zweckmässigkeit in der Anordnung organisirter Körper so festgehalten, dass, wo wir auf vermeinte Zweckwidrigkeiten stossen, ein Zweifel Versuche und Betrachtungen über Muskeleontractilität, 29] darüber, ob die Natur aus der Noth eine Tugend gemacht, oder ob wir sie missverstanden, vollkommen am Orte sein _ dürfte. — So viel zur Erläuterung meines Bedenkens, dem ich selbst keine grosse Wichtigkeit beigelegt habe. Weit er- ‚heblicher ist Folgendes. Nach Weber’s Darstellung ist die Länge L eines bela- lasteten thätigen Muskels von drei Bedingungen abhängig: l) von seiner natürlichen Gestalt oder natürlichen Länge |, 2) von seinen elastischen Kräften e, und 5) von dem Bela- stungsgewichte p. Wenn man also Versuche in der Weise einrichtete, dass die Belastungsgewichte sich änderten, wäh- rend die beiden anderen Bedingungen der Muskellänge, näm- lieh e und 1, sich gleich blieben, so würden die Messungen des belasteten thätigen Muskels uns belehren, wie die Länge L mit der Belastung wachse, oder mit anderen Worten: sie würden das Gesetz der Dehnbarkeit ergeben. Weber hat nun Versuche angestellt, welche dieser Auf- gabe genügen sollen. Um nämlich die Werthe e und | als eonstante betrachten zu dürfen, obschon dieselben von der Ermüdung abhängen, ordnet er die Versuche in der Weise, dass seiner Meinung nach die verschiedenen Ermüdungsein- flüsse sich durch Rechnung gegen einander ausgleichen las- sen. Wäre dieses Verfahren ausreichend, die zu einer Ver- suchsreihe gehörigen Messungen vergleichbar zu machen, wie Weber annimmt, so wären seine Versuche auch geeignet, uns über das Gesetz der Dehnbarkeit thätiger Muskeln auf- zuklären. Bemerken wir beiläufig, dass eine Aufklärung der Art von der Blasticitätstheorie allerdings verlangt werden muss. Denn da wir die Elastieität nur aus Versuchen über die Dehnbarkeit kennen, so kann von einer Ableitung der Muskelbewegung aus elastischen Kräften, so lange das Ge- setz der Dehnbarkeit unbekannt ist, nicht die Rede sein. Eine vollkommen gerechtfertigte Skepsis veranlasst uns zu der Frage: lassen die von Weber gefundenen Werthe der Dehnbarkeit voraussetzen, dass er das Gesetz der Dehnbar- keit auch wirklich gefunden? Diese Frage müsste sofort ver- neint werden, wenn die Dehnbarkeit unorganischer Körper 222 A. W. Volkmann: für die Muskeln massgebend wäre. Bekanntlich ist erstere innerhalb der Elastieitätsgrenzen constant, das will sagen: gleiche Zuwüchse der Belastung verursachen gleiche Verlän- gerungen. Für die Muskeln gilt jedoch dieses Gesetz, nach Weber’s ausdrücklicher Angabe, nicht, vielmehr sollen die relativen Verlängerungen mit zunehmender Belastung stets abnehmen. Die Brauchbarkeit der von Weber gemachten Versuche über die Dehnbarkeit der Muskeln ist also durch das Gesetz der Dehnbarkeit unorganischer Körper nicht controlirbar. Das Gesetz der Muskeldehnbarkeit wird erst gesucht, und die von uns aufgeworfene Frage: entsprechen die von Weber ge- machten Messungen dem Gesetze der Dehnbarkeit? muss demnach vielmehr so gestellt werden: folgen die von Weber gemessenen Werthe der Dehnbarkeit einem nachweislichen Gesetze und erhalten sie durch dasselbe die nöthige Beglau- bigung? Dies ist nicht der Fall. Indem.ich hierauf Gewicht lege, sind die Ansprüche, welche ich an den Nachweis eines Gesetzes mache, äusserst mässige. Ich verzichte auf mathe- matische Präeision in diesem Nachweise vor der Hand gänz- lich, und verlange mehr nicht, als dass die Veränderungen der Dehnbarkeit, die caeteris paribus von den Gewichten ab- | hängen soll, irgend welche Tendenz erkennen lassen, eine Tendenz, die, gleichviel welche, durch die Versuchs- und Beobachtungsfehler, die freilich nicht fehlen können, hin- durchschimmert. Aber auch dies ist nicht der Fall. Wenn man die von Weber gefundenen Werthe der Dehn- barkeit als Ordinaten auf die Abseisse der Gewiehte aufträgt, so erhält man Curven, welche die Richtung ihres Ganges wiederholt wechseln, und wenn man Ourven, die an demsel- ben Muskel, nur bei verschiedenen Ermüdungsgraden, erhal- ten wurden, auf demselben Curvenpapier verzeichnet, so er- hält man durchaus unähnliche Linien, welche sich in auffal- lendster Weise schneiden und kreuzen. Um dies deutlich zu machen, habe ich Weber’'s Tabelle über den Verlauf der Dehnbarkeit in thätigen Muskeln (s. p. 114 seiner Monogra- phie) benutzt, um Üurven zu- zeichnen. Die Distanz der Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 293 _—— Striche dieses Curvenpapiers hat für die Gewichte die Bedeu- tung von 0,5 Gramm, für die Dehnbarkeit den Wertli von 0,001 der Längeneiriheit des Muskels, nach welcher die Deh- nung bemessen wurde. Wenn demnach Weber angiebt, die Dehnbarkeit des Muskels habe bei 7,5 Grammen Belastung 0,0127 betragen, so erhebt sich die Curve in meiner graphi- schen Darstellung 12,7 Theilstriche über die Abseisse. Die zu jeder Curve beigeschriebene Nummer bezeichnet die zu derselben gehörige Ermüdungsstufe, nach Weber’s Angabe, so dass die Curve Nr. 8 die Werthe der Dehnbarkeit eines Muskels angiebt, welcher in sämmtlichen Parallelversuchen in gleicher Weise von der Ermüdung ergriffen zu denken ist, als er es bei dem Sten Versuche der bezüglichen Reihe war. Die Curven für Ermüdungsstufe Nr. 38 und Nr. 43 habe ich weggelassen, um nicht durch Aufzeichnung zu vieler sich kreuzender Linien die Uebersichtlichkeit zu stören, dagegen habe ich unter der Bezeichnung u. M. noch eine Curve für die Dehnbarkeit des unbelasteten Muskels aufgenommen, die des Vergleiches wegen mir wichtig schien. Dieselbe reprä- sentirt die von Weber p. 113 mitgetheilten mittleren Werthe der Dehnbarkeit des rubenden Muskels nach Berichtigung der in der bezüglichen Tabelle vorkommenden Rechnungsfehler. Der flüchtigste Blick auf meine Tafel lehrt, dass weder die verschiedenen Curven, welche unter differenten Ermü- dungseinflüssen an demselben Muskel gewonnen wurden, un- ter einander übereinstimmen, noch auch die einzelnen Cur- zen, welche die Dehnbarkeit bei constanter Ermüdung reprä- sentiren, den einmal’ begonnenen Verlauf festhalten. Von einer Gesetzlichkeit im Gange der Dehnbarkeit ist gar keine Spur vorhanden, und inwiefern ein Ausdruck derselben in den Curven allerdings erwartet werden durfte, sind sie der Annahme, dass man es mit Wirkungen elastischer Kräfte und nur mit solchen zu thun habe, ungünstig. Sind Bedenken wie die eben erörterten nicht wohl abzu- weisen, so dürfte eine Wiederaufnahme und weitere Ausdeh- nung der von Weber begonnenen Untersuchungen im In- teresse der Wissenschaft sein. 224 A. W. Volkmann: x Nach zahlreichen und sicheren Experimenten, die ich an- gestellt habe, muss ich annehmen, dass der Muskel durch die Last, die er hebt, nicht nur äusserlich, sondern auch in- nerlich, das will sagen in seinen Molecularverhältnissen, ver- ändert werde. Diese Veränderung ist möglicher Weise ana- log, aber keinesfalls gleich gewissen Veränderungen, die schon Weber berücksichtigt und als Folgen der Ermüdung aufgeführt hat. Wenn man an demselben Muskel eine Reihe von Reiz- versuchen :anstellt, so variiren die Erscheinungen mehr oder weniger, auch wenn die äusseren Bedingungen derselben sich gleich. bleiben. Die Verkürzung der Fasern wird allmählig geringer, die Bewegung langsamer, das Heben von Gewich- ten schwieriger. Diese Veränderungen haben also einen der- artigen Verlauf, dass sie in der Folgenreihe der Versuche zunehmen. Mit jedem neuen Veruche entsteht ein Zuwachs zu den schon vorhandenen Veränderungen, und in wiefern man das Gesetz desselben kennt, ist es möglich, Versuche, die unter merklich verschiedesen Einflüssen entstanden, mit Hülfe der Rechnung vergleichbar zu machen. Ganz anderer Art sind gewisse Veränderungen des Mus- kels, die meinen Versuchen zufolge in der Anstrengung des Contractionsactes ihren Grund haben. Diese Veränderungen bestehen selbstständig neben den vorigen, wie zunächst der Umstand beweist, dass sie nach Ausgleichung der von We- ber berücksichtigten Ermüdungseinflüsse übrig bleiben. Ihr wichtigstes Merkmal ist eben, dass sie im Verlaufe einer und derselben Muskelcontraction entstehen und wieder verschwin- den. Um dieser Eigenthümlichkeit willen müssen sie vor- läufig von den Veränderungen der Ermüdung gesondert blei- ben, und. nur an letztere hat man zu denken, wenn von Er- müdung im Nachfolgenden die Rede ist. no. Die Versuche, welche das Vorkonımen so eigenthümlicher Verhältnisse bewiesen, hatte ich so eingerichtet, dass bela- stete thätige Muskeln unter Umständen verglichen wurden, welche in allen Beziehungen gleich und nur darin verschie- den waren, dass das Aufheben des Gewichtes in dem einen Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 295 Falle eine Erleichterung erfuhr, die in dem andern Falle nicht eintrat. Diese Erleichterung wurde durch Abkürzung der Hub- arbeit vermittelt. Ich liess denselben Muskel sich zweimal hinter einander contrahiren, und sorgte dafür, dass er im er- steu Falle während der ganzen Dauer der Contraction, im zweiten Falle nur während eines Theiles dieser Dauer das Gewicht zu heben hatte, und verglich dabei die Längen der Fleischfasern im Maximum ihrer Verkürzung. Hierbei fand ich ohne Ausnahme, dass der Muskel im zweiten Versuche stärker verkürzt wurde als im ersten, Dies Resultat ist vollkommen entscheidend. Denn, wie schon We- ber gezeigt, hat die Ermüdung, welche durch mehrere auf einander folgende Contractionen entsteht, den Einfluss, die Hubhöhen des Muskels zu vermindern. Hiernach hätte der Muskel in einem zweiten Versuche sich weniger verkürzen sollen als im ersten. Er contrahirte Jich aber im zweiten mehr, bisweilen beträchtlich mehr, und diese grössere Ver- kürzung, die trotz der wachsenden Ermüdung sich geltend macht, sie kann nur davon abgeleitet werden, dass Erleich- terung der Hubarbeit die Oontraction begünstigt. Natürlich kann man den Ausdruck auch umkehren und sagen: die grös- sere Länge des thätigen Muskels im ersten Versuche, in wel- chem er nach Massgabe seiner geringeren Ermüdung um ein Mehreres hätte verkürzt sein müssen, war eine Folge der an- haltenderen und darum schwereren Arbeit. Ich ersuche den Leser, sich nicht entgehen zu lassen, was Weber entgangen, dass bei dem so eben beschriebenen Experimentalverfahren eine derartige Anordnung der Versu- che nicht nöthig ist, wie solche zu einer Ausgleichung der "Ermüdungseinflüsse erfordert werden würde. Die von We- ber benutzte Ansgleichungsmethode ist unter Umständen recht schätzbar, aber nie mehr als ein mangelhafter Nothbehelf. Meine Versuche sind so geordnet, dass die von der Ermüdung ausgehenden, nie ganz ausgleichbaren, Störungen zur festern Begründung meines Lehrsatzes verwendet werden können. Ich will beweisen, dass die mit dem Contractionsacte ver- bundene Anstrengung die Verkürzung des Muskels beein- Müller’s Archiv. 1858. 15 pP ee Be ! apa 296 A. W. Volkmann: trächtige. Um den Beweis vollkommen bündig zu machen, experimentire ich also in der Weise, dass Öontractionen, welche meiner Behauptung nach die ausgiebigern sein müs- sen, auf Versuche fallen, in welchen sie, nach Massgabe der Ermüdung, geringfügiger sein sollten. Dabei ergiebt sich, dass selbst unter diesen ungünstigsten Verhältnissen der Ein- fluss der Anstrengung auf die Muskelverkürzung, in der von mir angegebenen Weise, bemerklich bleibt. An diese Bemerkung über die Methode meiner Versuche schliesst sich eine zweite. Es ist zum Beweise des Einflus- ses der Arbeit auf die Muskellängen weiter nichts nöthig, als eine Reihe von Versuchen anzustellen, in welchen abwech- selnd dem Muskel eine schwerere ‘und eine leichtere Arbeit zugemuthet wird. Es sind weder Parallelversuche über den Einfluss verschiedener Gewichte, noch über die Länge des unbelasteten thätigen Muskels erforderlich, wenn es sich um weiter nichts handelt, als zu ermitteln, ob die Hubarbeit und im specielleren Falle deren Dauer, einen Einfluss auf die Con- tractionsgrössen habe, wie ich behaupte, oder nicht habe. Ich habe in Müller’s Archiv 1857 vier Experimentalme- thoden beschrieben, welche der Kürze wegen mit den Buch- staben a, b, c, d bezeichnet wurden, Methoden, welche auch bei constanter Belastung des Muskels die Grösse seiner Ar- beit in der Reihenfolge der vorstehenden Buchstaben vermin- dern. In dem bezüglichen Aufsatze sind nur die Resultate meiner Untersuchungen angegeben, nicht die Beobachtungen ı selbst vorgelegt; ich will nun, da die Beweiskraft derselben angefochten wird, wenigstens einige derselben zur Beurthei- lung vorlegen. Bei der einen Methode, die ich mit a bezeichne und wel- che Weber in allen seinen Versuchen benutzte, wird die‘ Länge eines thätigen Muskels gemessen, welcher schon vor! dem Versuche belastet worden und welcher in Folge dessen ı 'eine Dehnung erfahren, die ihn über sein natürliches Mass; verlängert hat. Bei Anwendung der b Methode wird der Mus- kel zwar ebenfalls schon vor der Reizung belastet, aber die unnatürliche Verlängerung desselben wird durch Anbringung | Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 297 einer geeigneten Stütze unter dem Belastungsgewichte ver- hindert. Sollten nun beide Muskeln im Zustande der Verkür- zung dieselbe Länge gewinnen, so müsste der a Muskel be- trächtlich mehr arbeiten, denn er müsste das ihm angehan- gene Gewicht nicht nur eben so hoch heben, als der b Mus- kel, sondern um den Werth seiner erlittenen Verlängerung höher. Beide Versuche unterscheiden sich also dadurch, dass dem a Muskel mehr Arbeit zugemuthet wird als dem b Mus- kel, worauf es nach dem Plane der Untersuchung eben an- kommt. Wir werden, um jede Art der Ungleichheit aus den Versuchen auszuschliessen, mit demselben Muskel arbeiten, werden bei constanter Belastung die beiden Methoden ab- wechselnd anwenden und zusehen, ob die Veränderung der Arbeitsgrösse, die wir vornehmen, die Längen des thätigen Muskels influenzire oder nicht. Eine derartige Versuchsreihe, die ich Herrn Professor We- ber auf seinen Wunsch mittheilte, ist in der nachstehenden Tabelle enthalten. Als Muskel diente die Zunge eines sehr grossen Frosches. Ich hing dieselbe neben dem Cylinder des Myogsraphion an einem Häkchen auf, indem ich mich der Glottis, die ich an. der Zunge sitzen liess, als Henkel be- diente. Am untern Ende der Zunge, von welcher indess die sich gabelförmig theilende Spitze abgetragen ist, wird der Federhalter angebunden, welcher mit seiner Spitze jede Be- wegung des Muskels auf dem berussten Cylinder graphisch darstellt. Nachdem ich den Federhalter, von 2,7 Gramm Schwere, am untern Ende der Zunge befestigt, messe ich deren Länge und benutze dieselbe als die natürliche Länge des Muskels. Bemerkt werde, dass überall, wo ich im Fol- senden von unbelasteten Muskeln spreche, ein durch den anhängenden Federhalter beschwerter gemeint ist !). Gereizt wurde mit, dem Inductionsapparate von Dubois, aber nicht 1) Ich überlasse es dem Leser zu bedenken, bei welchen Fällen er auf diese kleine Belastung des Muskels zu reflectiren habe. In der von mir behandelten Frage, ob die Länge des thätigen Muskels durch die a und b Methode influenzirt werde, ist die constante Zugkraft des Federhalters etwas Gleichgültiges. i5* 228 A. W. Volkmann: durch Tetanisirung, sondern durch einmaliges Oeffnen der Kette. Das Weitere ergiebt sich aus der Tabelle: | Versuchsreihe I. Länge des Muskels Beobachtung. Belastung. ruhend, thätig. Hubhöhe. Methode. Gramm. Mm. Mm. Mm. 1 0 55,0 39,4 15,6 _— 2 10 29,0 49,2 9,8 b 3 10 11,5 65,6 9,9 a 4 10 59,2 52,95 6,25 b 5 10 12 67,9 4,4 a 6 10 ,SDNB3.95 9,9 b 7 10 Du. 68,0 4,7 a & 10 60,5 94,5 6,0 b 9 10 [ERN 69,75 8,25 a 10 10 61,75 56,05 5:7 b 11 0 60,9 44,4 16,5 —_ Die Tabelle zeigt, dass die Längen des thätigen Muskels beträchtlich differiren und in den a Versuchen um Vieles grösser als in den b Versuchen ausfallen. Was ist die Ur- sache dieses Unterschiedes? Sie kann weder in der Belastung gesucht werden, denn diese ist constant, noch in der Ermü- dung, denn selbst im 10ten Versuche, welcher nach dem Schema der b Methode ausgeführt wurde, ist die Länge des thätigen Muskels viel geringer als im 3ten Versuche, bei welchem die a Methode in Anwendung kam. Es bleibt nichts übrig, als an die Arbeitsgrössen zu denken, denn nur diese differiren, während alle übrigen Bedingungen des Versuches entweder sich gleich sind, wie der Muskel und die Gewichte, oder wenn sie ungleich sind, wie die Ermüdungszustände, gerade die entgegengesetzten Phänomene bewirken müssen, als die wahrgenommenen. Ueber diesen Versuch äussert sich Weber p. 188 wie folgt: „Es fällt in dieser Tafel zunächst auf, dass nicht nur die Längen des thätigen Muskels in der 4ten Columne dem beigesetzten a oder b entsprechend beträchtlich differirer, sondern dass das in gleichem Masse auch von den Längen des rubenden Muskels in der dten Columne gilt, ungeachtet | 1m « Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität.. 229 jene Methoden auf diese letzteren Messungen prineipiel kei- nen Einfluss ausüben können. Bei genauerer Betrachtung er- kennt man aber, dass die jedesmal b gegenüber liegenden Längen des ruhenden Muskels, ungeachtet der beigesetzten Belastung von 10 Gramm, genau Uebergangsgrössen der An- fangs- und Schlussmessung bei 0 Gr. Belastung sind. Es scheint demnach, dass Volkmann jene Stützung des Ge- ‚wichtes nicht nur bei den Messungen des thätigen, sondern auch des ruhenden Muskels für nöthig erachtet hat, wobei es denn freilich auch gleichgültig ist, ob 0 Gr. oder 10 Gr aufgelegt werden. Keinesfalls durften dann aber die Längen des ruhenden Muskels, welche bei 10 Gr. Belastung bald mit bald ohne Stützung gewonnen wurden, als gleichartige be- trachtet und zur Rechnung benutzt werden, was Volkmann bei Berechnung der nebenstehenden Hubhöhen gethan hat.“ Diese Kritik enthält von Anfang bis zu Ende nichts als Missverständnisse und beweist, wie wenig es Weber der Mühe werth geachtet, über meine Arbeit nachzudenken. Es scheint, sagt Weber, dass Volkmann jene Stützung des Gewichtes nicht nur bei den Messungen des thätigen, son- dern auch des ruhendeu Muskels für nöthig erachtet hat. — Hierauf ist zu antworten, dass mir nie eingefallen ist, die Stützung des Gewichtes bei Messungen des thätigen Muskels für nöthig oder auch nur für möglich zu halten, während andrerseits die Stützung desselben im ruhenden b Muskel nicht als ein Schein betrachtet werden kann, da dies, der “ausdrücklichen Definition zufolge, in der b Methode immer ge- schieht und mit Bezug auf den Zweck meiner Untersuchung geschehen musste. — Weber fährt fort, dann freilich sei es gleichgültig, ob dem ruhenden Muskel ein Gewicht von 10 Gr- oder gar keins angehangen worden. — Hierauf entgegne ich: gleichgültig war dies insofern allerdings, als 10 Gr., wenn sie gestützt sind, so wenig als O0 Gr. die natürliche Form des ruhenden Muskels in eine unnatürliche umwandeln, was in Weber’s a Versuchen geschieht und angegebenermassen ver- mieden werden sollte; aber keineswegs gleichgültig war es insofern, als nur, wenn dem ruhenden b Muskel 10 Gr. an- 230 A. W. Volkmann: gehangen und gleichzeitig von unten her gestützt wurden, die aufgeworfene Frage: ob a und b Methode zu gleichen Resul- taten führten, gelöst werden konnte! — Keineswegs, fährt Weber fort, dürften dann die Längen des ruhenden Muskels, welche bei 10 Gr. Belastung bald mit bald ohne Stützung ge- wonnen wurden, als gleichartige Grössen betrachtet und zur Rechnung benutzt werden, was Volkmann bei Berech- nung der daneben stehenden Hubhöhen gethan hat. Wohin diese Einwürfe zielen, dürfte schwer zu sagen sein. Niemand kann besser wissen als ich, dass ein’ruhender Mus- kel, der nach Weber’s Methode in die Länge gezerrt wor- den, etwas Anderes ist, als ein nach meiner Methode, näm- lich durch Stützung des Gewichtes, in seiner natürlichen Form belassener; denn die Parallelversuche mit der a und b Me- thode sind von mir eben nur in der Absicht ersonnen und ausgeführt worden, um die Ungleichartigkeit in den Be- dingungen beider nachzuweisen und die erheblichen Folgen, die hieraus für die Muskelbewegung resultiren, darzustellen. Nachdem ich zuerst erwiesen, dass ein ausgedehnter und nicht ausgedehnter Muskel sich nicht bloss während der Ruhe, son- dern auch im Maximum der Contraction durch ihre Längen ‚unterscheiden — und ferner gezeigt hatte, dass Weber in Unbekanntschaft mit diesem Unterschiede aus seinen Versu- chen an gezerrten Muskeln Folgerungen ableitet, die auf nicht gezerrte keine Anwendung gestatten, nach allem diesen be- greife ich nicht, wie man mir vorwerfen könne, ich behandle jene Grössen als gleichartige. Weiter benutze ich die von mir angeblich für gleichartig gehaltenen Grössen keineswegs zum Berechnen der Hubhöhen. Vielmehr sind diese durch die Linien, welche der sich contrahirende Muskel am Kymo- graphion selbst verzeichnet, direct gegeben. Sie stehen, wenn auch nicht schwarz auf weiss, doch weiss auf schwarz auf dem berussten Papiere, mit welchem der Cylinder überzo- gen ist, und brauchen nur gemessen zu werden. Mit Vorstehendem ist Weber’s Kritik meines Versuches noch nicht geschlossen, vielmehr findet er den Hanptverstoss desselben in dem Umstande, dass ich den Federhalter am Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilitä. 23] Ende der Zunge befestigt habe. Dadurch wird, wie Weber meint, die Contraction, auf deren Messung es ankommt, we- sentlich gestört. Ich werde auf die Beleuchtung dieses Vor- wurfes später zurückkommen, uud will jetzt, um die Dar- stellung nicht aufzuhalten, Versuche vorlegen, auf wel- che das von Weber erregte Bedenken keine Anwen- dung leidet. Ich benutze also in der nächstfolgenden Versuchsreihe den Musculus hyoglossus eines grossen, frisch eingefangenen Fro- sches, welcher frei präparirt und da, wo er in der Zunge sich ausbreitet, abgeschnitten ist. Der Federhalter, diesmal nur 1,2 Gr. schwer, wird am Ende desselben angebunden und wie im vorigen Versuche mit Inductionsschlägen gereizt. Versuchsreihe Il. Länge des Muskels Beobachtung. Belastung. ruhend. thätig. Hubhöhe. Methode. Gramm. ' Mm. Mm. Mm. 1 0 36 18,6 17,4 — 2 4 36 23,6 12.4 1. 3 0 36 18,8 17,2 En 4 4 44 27.8 16,2 a 5 0 36 19,4 16,6 6 12 36 29,0 7 b ri 0 36 20.2 15,8 _ 8 12.‘ 47 39 a 9 0 36 20 16 _ 10 12 36 29,8 6,2 b 11 0 36 19,8 16,2 _ 12 4 33.912112 95 15,4 a 18,1 0 ee 20,6 15,7 _ 14 4 36.3 ,. 218 11,5 b 15 0 30:05 20.2 15,8 — 16 4 44,7 30,0 14,7 a 17 0 56.0557120,9 15,1 _- 18 12 36.12 „304 DT b 19 0 30 21.6 14,4 En 20 12 47,4 40,0 7,4 a 21 0 36,1 21.4 14,7 — 22 12 36,0 30,9 Sa b 23 0 36.0.,,.,22,8 13.9 — 24 4 45,0 31,3 13,7 a 25 0 36,2... 21,8 14,4 — ‚232 - A. W. Volkmann: Länge des Muskels Beobachtung. Belastung. ruhend. thätig. Hubhöhe. Methode. Gramm. Mm. Mm. Mm. 26 4 36.1 26,1 10 b 27 0 36,2 7 21,5 14,7 di 28 4 45. 2 '5154 13,6 a 29 u) 36 22 14 — 30 12 56.1. 316 4,5 b 31 N) 36,2. .22 14,2 r 2 12 47,6 41,9 7 a 33 0 362 29,8 sat. 2ulsnpt 34 12 36,1 3241 4 b 39 N) 36,3 22,7 13,6 _ 36 4 45 3alT, 125 a 31 0 56,1 DER 13 — 38 4 36,2 27,8 8,4 b 39 0 39,9 22,8 13 — 40 4 44,9 33,5 11,4 a 41 0 36 23,8 12,2 a 42 12 38: >auigh A 2,6 b 43 N) 36.249 11,1 Hi 44 12 47,5 43,5 4 a 45 0 36,5 24,3 12 —_ 46 12 36,1 34,2 1,9 b 47 0 36 94,2 11,8 — 48 4 a5 ORT a 49 0 36 35 11 — 50 4 36.1 29,9 6,2 b 51 ) 36 94,6 11,4 Yi Auch in dieser langen Versuchsreihe, in welcher das, was Weber als Fehler meiner Methode bezeichnet, vermieden wurde, zeigt sich, dass bei gleicher Belastung der thätige a Muskel stets und merklich länger ist, als der b Muskel. Dies lässt sich, auch ehe man die Versuche auf gleiche Er- müdungsstufen gebracht hat, leicht überseben. Für alle die Fälle, wo der a Versuch früher angestellt ist, als der cor- respondirende b Versuch (vgl. z.B. Versuch 12 und 14, oder 16 und 18), ergiebt sich dies aus den Längenwerthen unmit- telbar. In den Fällen freilich, wo der a Versuch dem b Ver- suche folgt (vgl. z.B. Versuch 2 und 4, oder 6 und 8), könnte fraglich sein, ob die grössere Länge des a Muskels nicht eine Folge der Ermüdung sei. Indess zeigt sich die Unzulässigkeit einer solchen Vermuthung augenblicklich, wenn man berück- Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 233 sichtigt, dass die in meiner Versuchsreihe eintretenden Er- müdungseflecte viel zu gering sind, um die grossen Längen- unterschiede des a und b Muskels bewirken zu können. Der unbelastete Muskel (d.h. der nur mit dem Federhalter von 1,2 Gr. Schwere belastete) verlängert sich in 50 Versuchen, vom Isten bis zum ölsten, nur um 6 Mm., der mit 4 Gr. be- lastete b Muskel verlängert sich in 48 Versuchen, vom 2ten bis zum 50sten, nur um 6,3 Mm. u.s, w. Hiernach muss die von der Ermüdung ausgehende Verlängerung in 2 Versuchen, welehe nur durch einen einzigen dazwischen gelegenen ge- trennt sind, kaum merklich und jedenfalls sehr viel kleiner als der zwischen dem a und b Muskel bemerkliche Längen- unterschied sein !). ‚Noch anschaulicher wird aber der Einfluss der a und b Methode, wenn man die Versuche der vorstehenden Reihe auf gleiche Ermüdungsstufen reducirt. Dies ist in nachste- hender Tabelle geschehen. Sämmtliche Versuche lassen sich in 4 Gruppen zusammenstellen, deren Ermüdungsgrad annä- herungsweise dem .der öten, 20sten, 32sten und 44sten Be- obachtung entspricht. | Längen des thätigen Muskels Ermüdung. unbelastet. mit 4 Gr. belastet. mit 12 Gr. belastet. b Muskel. aMuskel. b Muskel. aMuskel. Mm. Mm. Mm. Mm. Mm. 8 19,7 220 23865 294 39,0 PN) 212 545 30,65 30,65 40,0 3 92,3 26.95 33206. :8185 AM 44 24,1 5 0 Ben 1) Die ausserordentliche Kleinheit der Ermüdungseffecte und ihr wenigstens relativ gleichmässiges Fortschreiten im Verlaufe der Zeit sind nur zu erzielen, wenn man den Muskel durch Inductionsschläge reizt, nicht wenn man ihn tetanisirt. Für das Studium der Muskel- bewegung sind beide Umstände sehr wichtig. Aber freilich lassen sich Untersuchungen über die Längen zuckender Muskeln nur am Myogra- phion ausführen. Für die Unentbehrlichkeit dieses wichtigen Instru- ments für die weitere Ausbildung der Muskellehre könnte ich viele _ Belege angeben. 234 A. W. Volkmann: Das Resultat der zahlreichen Versuche bestätigt meine An- gaben auf das vollständigste. Ein schlagender Beweis für den auffallenden Einfluss der verglichenen Versuchsmethoden auf die Mnskelbewegung Jiefert der Umstand, dass bei gleicher Ermüdung der mit 12 Gr. belastete b Muskel fast genau eben so lang ist, als der nur mit 4 Gr. belastete a Muskel. Die nächstfolgende Versuchsreihe ist mit einem Oberschen- kelmuskel des Frosches (vielleicht semitendinosus?) angestellt. Die Muskelfasern liegen vollkommen parallel und sind von gleicher Länge. Sie setzen sich an jedem Ende an einer Sehne an, welche zur Befestigung des Muskels benutzt wurde. Selbstverständlich fallen nun alle die Einwürfe, welche We- ber gegen meine Benutzung der Froschzunge machte, weg. Zum Reizen wurden Inductionsschläge benutzt. Das Weitere ergiebt sich aus der Tabelle. Versuchsreihe Ill. Länge des Muskels Versuch. Belastung. untbätig, thätig. Hubhöhe. Muskel. Gramm. Mm. Mm. Mm. l 0 39 31,8 12 — 2 20 39,9 33,9 9,6 b B) 20 . 44 37,1 6,3 a 4 20 40,6 35,2 9,4 b 5 0 40,5 83 2) — 6 ‚20 40,3 35,9 5.» b 7 20 44,3 38,3 6 a 6) 20 41,2 35,7 5.5 b =, 0 41 33,9 7.9 — 10 20 41,5 36 8,9 b 11 20 44,6 38,9 5,7 a 12 20 41,4 37,4 4,0 b 15 0 41,9 34,9 7,0 — 14 20 41,4 37,3 4,1 b 15 20 44,5 39,6 4.9 3 16 20 41,6 37,8 3,8 b 17 Ö 42,2 35,4 6,8 —- 18 20 41,8 37,9 3,9 b 19 20 44,6 40,1 4,5 a 20 20 42,4 38,6 3,8 b | 21 Ol 41,6 36,0 9,6 pe | Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 235 Länge des Muskels Versuch. Belastung. unthätig. thätig. Hubhöhe. Muskel. Gramm. Mm. Mm. Mm. 22 20 41,6 38,3 3,0 b 23 20 44,5 40,5 4,0 a 24 20 42 39 3,0 b 25 0 42 36,9 9,9 _ 26 20 41,6 39 2,6 b 21 20 44,6 41,2 3,4 a 28 20 42.2 39,6 2,6 b 29 0 42,1 a 4,8 zL r v In der nachstehenden Tabelle sind diese Versuche auf gleiche Ermüdungsstufen zurückgeführt, auch habe ich, um ihre Beziehung zur Weber’schen Elasticitätslehre hervorzu- heben, in den letzten beiden Columnen die relativen Werthe der Dehnbarkeit des a und b Muskels aufgenommen. Anlangend die Berechnung dieser Werthe, so beruhet sie ganz eiufach darauf, dass man die Verlängerung, welche der Muskel durch das ihm angehangene Gewicht erfährt, mit sei- ner Länge vor erfolgter Dehnung dividirt. Ermü- Längen des thätigen Muskels Dehnbarkeit. dung. Ünbelastet. d.b Muskels. d.a Muskels. b Muskel. aMuskel. Mm. Mm. Mm. Mm. Mm. 3 32,4 34,55 =» 36.1 0,066 0,163 7 33,25 35,9 38,3 0,067 0,152 11 34,2 36,7 38,9 0,073 0,137 15 33.2 30.33 39,6 0,067 0,125 19 89,1 38.29 40,1 0,071 0,123 3) 36,25 38,65 40,5 0,066 0,117 a 36,9 39,3 41,2 0,065 0,116 Nachdem sich auch in dieser Versuchsreihe meine Anga- - ben vollständig bestätigt haben, will ich eine vierte mitthei- len, in welcher der Muskel nicht durch Inductionsschläge ge- reizt, sondern tetanisirtt wurde. Zu diesem Zwecke wurde der Schlitten von Dubois benutzt. Als Muskel dient wie- der der Hyoglossus des Frosches, welcher frei präparirt und mit dem von der Zunge abgelösten Ende an den Feder- halter angebunden wird. Das in der ersten Hälfte des Ver- 9256 A. W. Volkmann: suchs henutzte Gewicht von 20 Gramm wird in der zweiten Hälfte (vom 12ten Versuche an) gegen 5 Gramm vertauscht, . auch wird der Reiz von da an durch weiteres Uebereinan- derschieben der Inductionsrollen verstärkt. Versuchsreihe IV. Länge des Muskels Versuch. ruhend. thätig. Hubhöhe. Muskel. Bemerkungen. Mm. Mm. Mm. 1 42 29 13 b 2 5425 44,05 102 a 3 45,3 35,3 10 b- | 4 55 46,2 8,8 a Belastung mit d Al, 39,6 7,4 b 20 Gramm, „ 6 96 49 7 a 7 A725 210,5 5,75 b schwach 8 96,25 81,25 d a tetanisirt. I 47,19 44,58 3,91 b 10 96,25 92,75 3,9 a ja „Indie 1doivagB su» gundar bJ 12 42,5 24,1 18,4 b 13 47,9 25,8 21,7 a 14 42.25 27 15,25 b 15 46 99 17,0 a Belastung mit 16 225 2995 193 le 17 46,5 32,9 14,0 a 18 42 33,18 8,25 b kräftiger 19 46,9 37,9 ) a En 0 49 38,5 35 “ tetanisirt. 21 164 415 4,9 a 22 42 42 0 b Auch bei Tetanisirung des Muskels bestätigt sich, dass die Länge des thätigen a Muskels beträchtlich grösser ist, als die des b Muskels.. Um dies zu finden ist nicht noth- wendig, eine Reduction der Versuche auf gleiche Ermüdung vorzunehmen, obschon die Anordnung der Beobachtungen eine solche gestattet. Der sicherste Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung liegt in dem Umstande, dass die Länge des a Muskels ohne Ausnahme grösser ist als die des b Mus- kels im nächstfolgenden Versuche, obschon sie, mit Bezug auf die Ermüdungseinflüsse, kleiner sein sollte. Es dürfte überflüssig sein, die empirischen Unterlagen zu Versuche und Betrachtungen über Muskeleontractilität.. 937 meinen Behauptungen noch mehr zu häufen, obschon ich Versuchsreihen, die den vorstehenden entsprechen, in sehr grosser Anzahl vorlegen könnte. Dagegen ist wichtig zu zei- gen, wie die vorgelegten Beobachtungen den Beweis ihrer Glaubhaftigkeit in sich selbst tragen. Mit Bezug hierauf ist Folgendes zu bemerken. Wenn man Längenmessungen an belasteten thätigen Mus- keln anstellt, so wird man auch bei Benutzung desselben Muskels und eines constanten Reizes verschiedene Grössen erhalten. Der Muskel ermüdet nämlich im Verlaufe der Ver- suche, zieht sich in Folge dessen immer weniger zusammen und wird also immer länger. Belastet man überdies den Muskel mit verschiedenen Gewichten, so unterscheiden sich die Längen der tliätigen Muskeln, auch mit Bezug auf die Grösse der erlittenen Dehnung. Der Längenunterschied eines und desselben Muskels in zwei verschiedenen Versuchen wird also der Summe D+E gleich sein, wenn wir mit E die Ver- längerung bezeichnen, welche in dem später angestellten Ver- suche durch die Ermüdung bedingt ist, mit D aber die Verlängerung, welche von der Zugkraft des schwereren Gewichts abhängt. Gesetzt, die Länge des thätigen Muskels wüchse wie die Zahl der Versuche, eine Hypothese, mit welcher die Mög- lichkeit einer Ausgleichuug der Ermüdungseffecte steht und fällt, so wäre die von der Ermüdung abhängige Verlängerung . =m+e, wenn e die von einem Versuche abhängige Verlän- gerung und m die Zahl der Versuche bedeutet, welche zu dem Entstehen jener Verlängerung Anlass geben. , Man kann nun auf dem Wege der Gleichung den Einfluss der Ermüdung und Dehnung aus 3 gegebenen Fällen berech- nen und prüfen, in wieweit die gefundenen Werthe zu ande- ren, analogen Fällen passen. Gegeben sei in Versuch 1 die Länge des unbelasteten thätigen Muskels mit 1, ferner in Versuch 2 die Länge des mit p belasteten Muskels =), und endlich in Versuch 3 die Länge eines wiederum mit p bela- steten Muskels =4“. Bezeichnen wir weiter den Grössenun- 238 A. W. Volkmann: terschied 4—1 mit u und den Grössenunterschied }°-1 mit u‘, so hat man | u =D+2e u=Dr e uv-u=e und D=2u-u‘. Offenbar muss nun der gefundene Werth e zur Berechnung der Verlängerung jedes Falles passen, welcher zu der Gruppe von Versuchen gehört, deren verschiedene Ermüdungszustände mit Hülfe der Weber’schen Methode gegen einander ausge- glichen werden sollen. Denn dieses Ausgleichungsverfahren stützt sich ja eben auf die Voraussetzung, dass ein erster Versuch a, der um m Fälle früher angestellt wurde als der Versuch b, um eben so viel weniger von der Ermüdung an- gegriffen sei als der Schlussversuch c, der um m Versuche später angestellt wurde als b,-mehr angegriffen ist als b. Ich habe nun die sämmtlichen Versuche der oben mitge- theilten Versuchsreihe II benutzt, um einerseits den mittle- ren Werth der Ermüdung, andrerseits die mittleren Werthe der Dehnungen zu ermitteln, welche nicht nur nach Mass- gabe der Belastung mit 4 oder 12 Gramm, sondern mit Rück- sicht auf die a und b Methode verschieden ausfallen. Da- bei fand sich: Die Verlängerung des Muskels durch Ermüdung für einen einzelnen Fall = 0,12 Mm., die Dehnung bei 4 Gr. Belastung, und Anwendung der b Methode = Db = 4,54 Mm. — Die Dehnung bei 4 Gr. Belastung und Anwendung der a Methode = D* = 9,59 Mm. Die Dehnung bei 12 Gr. Belastung und Anwendung der b Methode = Di = 9,5 Mm. Die Dehnung bei 12 Gr. Belastung und Anwendung der a Methode = D!a — 19,28 Mm. Unter Dehnung ist aber die mittlere Verlänge- rung des belasteten thätigen Muskels im Vergleich zur mitt- leren Länge des unbelasteten thätigen Muskels verstanden. Die Länge eines thätigen Muskels würde nun zu berech- nen sein nach der Formel: 1+ me+D, wenn | die Länge des unbelasteten thätigen Muskels im ersten Versuche und m die Ordnungszahl des zu berechnenden Versuches —1 be- deutet. Um das Gesagte an einem Beispiele zu erläutern, Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 239 so soll die Länge des thätigen Muskels im 38sten Versuche berechnet werden. Dieselbe ist, wenn wir fürl+ m-e+D» die gegebenen Werthe einsetzen = 18,6 + 37 - 0,12 + 4,54 = 27,58 Mm. In der Tabelle findet sich 27,80. Controle der Versuchsreihe II. Ver- Länge des Muskels Diffe- Ver- Länge des Muskels Diffe- - — such. BEE 'Berech- renz. such. Benbirt Deronk) renz. achtet. net. achtet. net. Mm. Mm. Mm. Mm. Mm. Mm. ss. ,— 7 215 2172 +0,22 Br a TTTTTR 3 188° 18,84 +0,04 | 29 22,0 21.96 0,04 rt 51,650 ar 1908 _-.0,32..|31,,.22 2220 +020 E30 39,00 "0,00 182° 41,9 "41,917 0,01 7 202 1932 -088 | 33 98° 24 - 0,36 or .38.721.220,28: 34 18%,11 5.393617 40,26 9 200. 19,56 -- 0,44 | 35. 22,7. 2,68 - 0,02 Bas, 9945 -0,39 | 36. 39,2° "39,59 0,31 11 198 198 0,00 | 37 231 2,92 - 0,18 2295 2951 +0,01 | 38 278 2758 -02 E306..,2004 0,56...) 39 22,8., 2316 +0,36 9 00 1.10 335 ir" >06 5 202 2,28 +0,08 | 41 238 34 - 0,40 16 30,0. 29,99 .-0,01 | 42 334 3332. - 0,08 E592.9052:; - 038 ! 43. 249 , 23.64 — 0,26 8 304 3044 1004 | 4 435° 4304 -046 7 216 206 +06 | 43 38 -02 20 140.0. 40,16: +0,16 146. 34,2 33,80. — 0,40 Be 910.,.040 | 47.242 2412 , — 0,08 ns 50,098 10.02 | AB. Bar 8385 207 23a 9 2086| 29 25,0 2436 0,64 24 31,3: 30,95 0,35 | 50° 29,9. 29,02: — 0,88 00218 -,2148 0,32. |:51::.246 . 24,60 .. 0,00 %6 26,1 26,14 + 0,04 Die Abweichung der berechneten Zahlen von den gefun- denen beträgt im Mittel 0,27 Mm., und da der thätige Mus- kel in den öl Versuchen der 2ten Versuchsreihe eine mittlere Länge von 26,09 Mm. besitzt, so ist der Fehler der Längen- messungen, wiederum im Mittel, nicht grösser als \/,! — Wer sich die Mühe nehmen will, die dritte meiner Versuchs- reihen zu berechnen, wird eine ähnliche Uebereinstimmung 240 A. W. Volkmann: zwischen den beobachteten und iberechneten Längen finden. Hiermit glaube ich bewiesen zu haben, dass die von mir an- gestellten Messungen das vollste Vertrauen verdienen'). Meine ı Behauptung, dass der b Muskel bei gleicher Belastung sich | mehr verkürze als der a Muskel, beruht auf unumstösslichen " Thatsachen, jeder richtig angestellte Versuch bestätigt sie. | £ Die empirischen Beläge zu meiner c Methode will ich, um I Zeit und Raum zu sparen, übergehen. Betrachten wir sofort I die Ergebnisse der d Methode. Das Wesentliche derselben j besteht darin, dass der Muskel nicht während der ganzen Zeit seiner Contraction, sondern nur während eines Theiles derselben mit dem Gewichte belastet ist. Ich vermittle dies: auf folgende Weise: die Gewichte sind mit Henkeln verse- hen, ungefähr wie ein Henkelkörbcehen. Unter dem Feder- ı halter ist die schon beim b Versuche erwähnte Stütze ange- | bracht. Dieselbe besteht aus einem Tischchen, welches mit- tels einer Schraube in der Richtung des Perpendikels ver-- stellbar ist. Bei dieser Einrichtung kann ich nach Gutdün- ken dem Gewichte eine solche Stellung geben, dass dessen Henkel auf dem Häkchen des Federhalters aufsitzt, dann er- halte ich bei Reizung des Muskels einen b Versuch, oder ich kann das Gewicht auch so stellen, dass zwischen dem Hen- kel und dem Häkchen ein freier Raum bleibt (ich nenne ihn Flucht), dann erhalte ich einen d Versuch. Erst nachdem der Muskel sich soweit verkürzt, dass Häkchen und Henkel zusammentreffen, entwickelt er seine Tragkraft. Ich werde nun durch Vorlegung von Versuchen beweisen, was ich bisher nur als Resultat meiner Erfahrungen bekannt gemacht, dass ein Muskel sich um so mehr verkürzt, je mehr dem gehenkelten Gewichte Flucht gegeben und je mehr hier- mit die Arbeit des Hebens erleichtert wird. Die in den Ta- bellen. vorkommende Bezeichnung Flucht = 0 bedeutet: dass ı 1) Ich ersuche den Leser, sich dieser Controle meiner Versuche zu erinnern, wenn ich später eine Versuchsreihe Weber’s vorlegen werde, welche die Widerlegung meiner Angaben zur Aufgabe hat. Man ver- gleiche also in seinen uud meinen Versuchen die Grösse der vorkom- menden Fehler. x u -- Versuche und Betrachtungen über Mnskeleontractilität 241 der Henkel auf dem Häkchen aufsitzt und dass also ein b Ver- such vorliegt. In der‘ nächstfolgenden Versuchsreihe ist der Federhalter von 2,7 Gr. Schwere am Ende der Zunge selbst angebunden. Gereizt wird mit Inductionsschlägen. Länge der Zunge — 60 Mm,, Belastung in allen Versuchen = 5 Gr. Versuchsreihe V, Versuch Grösse d. Flucht. Hubhöhe. Länge d, thätigen Musk. Mm. Mm. Mm. 1 0 Te, 50,25 2 3/8, 10,4 49,6 > 10,75 11,25 48,75 4 N 11778 48,25 5 12,75 12,9 47,1 6 13,15 13,7 46,3 7 14,75 15,0 45,0 8 E75 16,0 44,0 9 16,75 27.0 43,0 10 17,75 17,0 43,0 Das Resultat der Versuchsreihe ist vollkommen klar. Statt im Verlaufe der Versuche immer länger zu werden, wie dies mit Rücksicht auf die Ermüdung erwartet werden musste, wird der Muskel allmählig immer kürzer. Als offenbare Ur- sache der zunehmenden Verkürzung ergiebt sich die allmäh- lig abnehmende Grösse der Arbeit. Obschon der Einwurf, welchen Weber gegen die Be- festigung des Federhalters am Ende der Zunge erhebt, auf die d Versuche gar keine Anwendung leidet, so habe ich doch auch Versuche anstellen wollen, in welchen diese Be- festigungsweise vermieden wäre. In der nächstfolgenden Reihe ist also der Federhalter am Ende des frei präparirten M. “ hyoglossus angebunden. Eine zweite Abänderung des Ex- perimentalverfahrens bestand darin, dass ich zwischen je 2 d Versuche überall einen Versuch mit einem unbelasteten Muskel einschob. Im Uebrigen sind die Bedingungen des Versuches sich gleich geblieben. Müller’s Archiv, 1858. 16 242 A. W. Volkmann: | $ Versuchsreihe VI. Versuch. Belastung. Flucht. Länge des Muskels Hubhöhe, ruhend. thätig. Gramm. Mm. Mm. Mm. Mm. 1 0 — 44,0 PA) 16,5 2 5 0 44,9 34,9 10 3 ) 5 450 28,3° 16,7 4 5 3 44,8 33,9 113 d 0 — 44,4 27,9 16,5 6 5) 5 45,1 33.2 118 7 0 = 45,1 28,4 16,7 8 5 6 45,9 33,0 12,55 9 0 — 45,9 28,1 17,4 10 5 7 45,6 33,0 12,6 11 0 a 258 384 17,4 12 5 8 161 32,6 13,5 13 0 ei 46,0 284 17,6 14 5 9 46,1 82,4 13,7 15 0 gs 46,6 28,1 18,5 16 5 10 46,1 31,8 14,3 17 0 — 46,4 28,9 17.3 Die Resultate dieser Versuchsreihe stimmen im Wesent- lichen mit denen der 5ten vollkommen überein. Obschon die Ermüdung nicht ohne Einfluss ist, denn die Länge des un- belasteten thätigen Muskels wächst im Verlaufe der Reihe um 1,4 Millim., so nehmen demohngeachtet die Längen der d Muskeln mit Vermehrung der Flucht unablässig ab, Man übersieht dies bequem in der folgenden Tabelle, welche sämmtliche Versuche auf acht Ermüdungsstufen zurückführt. Die letzte Columne derselben bestimmt die Grösse der Dehn- barkeit, welche nach dem oben angegebenen Verfahren be- rechnet ist. Es bedarf kaum der Bemerkung, dass die aus- geworfenen Werthe sich auf kein bestimmtes Mass beziehen, sondern nur die Progression der Dehnbarkeit im Verlaufe der Versuche darstellen. ! m m nn el EL rn a a nn iin Zus tn | i ! } | | | I i | i i | | | i i | Te une u a Tr Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 243 Reduction der Versuchsreihe VI. Ermüdungs- Flucht. Länge des Muskels Dehnbar- stufe. unbelastet, "belastet, keit. ruhend. thätig. thätie. Mm. Mm. Mm. Mm. Mm, 2 0 44,5 27,9 34,5 0,237 4 5) 44,8 28.1 BRENZ, 0,203 6 5 45,1 28,15 33,2 0,179 8 6 45,5 28,25 33,0 0,168 10 7 45,6 28,40 33,0 0,158 3 8 46,1 28,40 32,6 0,148 14 9 46,1 28.25 32.4 0,146 16 10 46,1 28,50 31,8 0,115 Diese Versuche beweisen unmittelbarer als die mit Hülfe- der a und b Methode angestellten, dass die Dehnbarkeit und folglich die Elastieität des Muskels eine Function der Arbeit ist. Dieses Resultat ist für die Beurtheilung der Weber- schen Lehre so wichtig, dass ich noch eine hierher gehörige Versuchsreihe mittheile. Derselbe wurde wieder am M. hyoglossus eines frisch ein- gefangenen Frosches angestellt. Der 1,2 Gr. schwere Feder- halter wurde am Ende des frei präparirten Muskels angebun- den und dieser durch Inductionsschläge gereizt. Versuchsreihe VII. Muskellänge ——— Versuch. Belastung. Flucht. ruhend. thätig. Hubhöhe, | Gramm. Mm. Mm. Mm. Mm. 1 0 . 33 14,7 18,3 2 5 0) 32,8 20,9 11,9 3 0 = 32.9 14,9 18 4 3, 5 35 18,8 14,2 5 0 = 32,8. 14,8 18 6 5 7 33 18,8 14,2 7 0 — 33 15,3 17.7 8 5 5 39 21 12 9 0 —_ 33 15/2 17,8 10 9 3 33 21,6 11,4 11 0 Bei 33. 17,1 15,9 | 16* DA4 A, W. Volkmann: Muskellänge s Versuch. Belastung. Flucht. ruhend. thätig. Hubhöhe. ' Gramm. Mm. Mm. Mm. Mm. 12 5 0 33 22,4 10,6 13 0 — 33 17 16 14 d 3 33 22; ui 15 0 — 33 16,5 16,5 16 5 5 3 21,4 11,6 17 0 -- 33 17,1 15.9 18 a) 7 33 2,185 11:5 19 0 — 33 el 15.9 20 5 5 33 21,6 11,4 21 0 — 32,8 12 15,6 22 5 3 93 22,5 10,5 23 0 > 33 brfe9) 15,5 24 5 0 33 23,6 9,4 25 0 — 33 10.5 15,5 26 5 3 Ba 22,8 93 27 0 — 33 17,6 15,4 28 5 5 35 22,7 10,3 29 0 — 33 17,6 15,4 30 5 q 33 22.5 10.5 31 0 = 32,6 17,7 14,9 32 5 5 32,6 23 9,6 33 0 — 32,7 18,2 14,5 34 5 3 33 23,6 9,4 35 0 — 33 1745 1949 36 5 0 an 24,5 8,5 37 0 =: 32,8 18,4 14,8 38 5 3 33 23,9 8,3 39 0 == 33 19 14 40 5 5 33 23,7 93 41 0 — 33 18 1) 42 5 7 33 23,5 9,5 43 0 ze 33 19:3 15,7 44 5 5 38 24 9 45 0 er 33 19,3 158 46 > 3 32,8 24,5 8,3 47 0 — 33 19,7 13:3 48 5 0 32,1 25,2 71,5 49 ) eu 33 19,4 13,6 Auch in dieser Reihe ist jeder Versuch an einem bela- steten Muskel von 2 Versuchen an unbelasteten eingeschlos- sen. Summirt man die Längen der letzteren und dividirt durch 2, so erhält man die Länge, welche der belastete Muskel ge- habt haben würde, wenn er nicht belastet worden wäre. Man Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität.. 245 erhält also die Länge des belasteten und nicht belasteten thä- tigen Muskels bei gleicher Ermüdung, und gewinnt durch Subtraction der einen von der andern die durch das Gewicht verursachte Dehnung. Aus dieser ist dann wieder die Dehn- barkeit berechenbar, über deren Veränderungen die nachste- hende Tabelle Aufschluss giebt. \ Berechnung der Dehnbarkeit aus Versuchs- reihe VII. Ermüdung Flucht. Länge des thätigen Muskels Debn- in Versuch. - "unbelastet. belastet mit 5 Gr. barkeit. Mm. Mm. Mm. Mm. 3 0 14,8 20,9 0,412 4 > 14,85 18,8 0,266 6 7 15,05 18,7 0,242 8 Hi) 15,25 21 0,377? 10 3 16,15 21,6 0,337? 12 0 17,05 22,4 0,314 14 3 16,75 22 0,315 -16 5 16,80 21,4 0,274 18 7 17,1 25 0,256 20 5 17.19 21,6 0,259 22 3 17:35 22,9 0,297 24 0 1:46,58 23,6 0,349 26 3 17.93 22,8 0,299 28 A 17,6 22,4 0,289 30 7 17,65 22,9 0,275 32 5 17,95 3 0,281 3 3 17,85 23,6 0,322 36 0 17:99 24,5 0,364 38 3 EST 23,9 0,278 40 5 18,5 2357 0,281? 42 7 18,65 29:9 0,260? 44 5 19.3 24 0,248 46 3 19,5 24,5 0,256 48 0 19:53 25,2 0,288 Hıernach ist unzweifelhaft, dass die Dehnbarkeit des Mus- kels von seinem Kraftverbrauche beim Heben abhänge. Mit allmähliger Vergrösserung der Flucht, das heisst mit zuneh- wenderErleichterung der Hubarbeit wird der Werth der Dehnbarkeit immer geringer, und umgekehrt. Von diesem Gesetze finden sich in der langen Reihe nur ein 246 | A. W. Volkmann: paar Ausnahmen, welche ich in der Columne der Dehnbar- keit durch Fragezeichen bemerklich gemacht habe Um w- dess den Einfluss der Arbeit auf die Längen der thätigen 2 Muskeln und auf die Dehnbarkeit, die mit diesen Längen > = ya => zu Ben NE a zusammenhängt, noch schärfer hervorzuheben, habe ich die Einwirkungen der Ermüdung nach Weber’s Methode ausge- glichen. Nachweis des Einflusses, welchen die Erleichterung der Hubarbeit auf die Länge des thätigen Muskels ausübt. Ermüdung Länge des Muskels ® Te Te — er - in Versuch nbe- Flucht=0. Flucht=3. Flucht=5. Flucht=. lastet. ra Mm. Mm. Mm. Mm. Mm. 12 16,36 22,40 21,80 21,20 20,15 18 17,06 23,00 22,25 21,50 21,50 24 17,41 23,60 22,65 22,15 22,00 30 17,68 24,05 23,20 22,85 22,50 -36 18,13 24,50 23,75 23,35 23,00 49 18.95 24,85 24,20 93,85 23,50 im Mittel 17,60 23,73 22,97 22,48 92,11 Nachweis desselben Einflusses auf die Dehnbarkeit des thätigen Muskels. "A eng iucht 20. Flucht=3.. Flucht-5. Fincht = Mm. Mm. Mm. Mm. 12 0,369 0,332 0,296 0,232 18 0,348 0,304 0,261 0,261 24 0,355 0,301 0,272 0,264 30 0,360 0,312 0,298 0,272 36 0,351 0,310 0,288 0,268 42 0,312 0,277 0,258 0,240 Ich darf die Darstellung der d Methode nicht schliessen, ohne ausdrücklich hervorzuheben, dass in den Resultaten, welche sie liefert, eine gewisse Unbeständigkeit vorkommt. Bisweilen hat die Grösse der Flucht auf die Verkürzung des Muskels den auffallendsten Einfluss, bisweilen ist letzterer kaum merklich. Ich habe Fälle gesehen, wo mit allmähliger Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 247 Vergrösserung der Flucht die Contraetion in dem Grade wuchs, dass schliesslich die Länge des belasteten thätigen Muskels nur sehr wenig grösser war als die des unbelaste- ten. Unter solchen Umständen kommt es vor, dass die Dehnbarkeit des thätigen Muskels geringer ist als die des ruhenden. Warum nun die Vergrösserung der Flucht, das heisst also die Erleichterung der Arbeit, die Öontractionen bisweilen so auffallend begünstige, während sie in anderen Fällen einen kaum merklichen Einfluss ausübt, davon kann ich den Grund bis jetzt nicht angeben. Vielleicht machen sich individuelle Verschiedenheiten der Muskeln geltend, wel- che an die Erfahrung Weber’s erinnern, dass ein Muskel, der bei geringer Belastung mehr leistet als ein anderer, bei grosser Belastung möglicher Weise weniger leistet als die- ser andere. Indess zweifele ich, dass die von mir bemerkten Versehiedenheiten in derartigen individuellen Zuständen der Muskeln ihren alleinigen Grund haben. Es sind mir Zeiten vorgekommen, wo die d Versuche ohne Ausnahme sehr gut gelangen, d.h. ohne Ausnahme den Einfluss der Flucht auf die Grösse der Contraetionen sehr merklich machten, wäh- rend ich mich andrerseits auch solcher Perioden erinnere, wo zahlreiche und hinter einander angestellte Versuche jenen Einfluss nur kümmerlich erkennen liessen. So habe ich wäh- rend der grossen Hitze des vorigen Sommers öfters vergeblich gearbeitet. Auf jeden Fall hüte man sich, auf das vorkom- mende Misslingen der Versuche ein grosses Gewicht zu legen. Wenn irgendwo das Princip gilt, dass ein positives Resultat mehr beweist als zehn negative, so ist es hier. Eine Ver- suchsreihe wie die oben mitgetheilte VII (und ich besitze de- ren noch zwei fast gleich vorzügliche) beweist durch den strengen Zusammenhang zwischen den Muskellängen und Fluchtgrössen das Dasein einer ursächlichen Beziehung zwi- schen jenen und diesen ohne Widerrede. Bei Anstellung und Berechnung aller bisher mitgetheilten Versuche bin ich von zwei Voraussetzungen ausgegangen. Erstens nämlich habe ich mit Weber angenommen, der Längenunterschied des belasteten und nicht belasteten thä- . ) Br tigen Muskels sei Folge einer Debnung, deren Grösse, cae- 2A8 A. W. Volkmann: teris paribus, von den elastischen Kräften und nur von die-- sen abhänge. Zweitens aber habe ich angenommen, dass“ unter übrigens gleichen Bedingungen die natürliche Länger des thätigen Muskels der Stärke des Reizes entspreche und! also bei Anwendung gleicher Reize gleiche Werthe habe. So lange man an diesem von Weber begründeten Stand-I punkte festhält, muss man die verschiedenen Längen, wel-. che ein thätiger Muskel, je nach Anwendung der a, b, c oder r d Methode, unter übrigens gleichen Bedingungen ausweist, für die Folgen einer verschiedenen Dehnbarkeit ansehen und | annehmen: dass die eben genannten Experimentalmethodens eine Veränderung der elastischen Kräfte herbeiführen. Aberı freilich bleibt fraglich, ob auch die Voraussetzungen, von de-* nen wir ausgingen, Stich halten. Es ist sehr wohl denkbar, eben so von anderen Umständen, als von der Stärke der Er- regung abhängen können? Wäre nun die natürliche Länge‘ von den Experimentalmethoden abhängig, die wir in Anwen. dung bringen, so dürften die verschiedenen Längen des be- lasteten thätigen Muskels, die wir unter Zuziehung dieser‘ Methoden erhalten, nicht ohne Weiteres auf die Dehnbarkeit‘ bezogen werden. — | Nach Weber ist die Länge eines belasteten thätigen Mus- kels eine zweigliederige Grösse. Sie ist die Summe seiner‘ natürlichen Länge und der durch die Dehnung bewirkten Ver- längerung. Finden sich nun in den a, b, e und d Versuchen‘ Ni diese Summen verschieden, während die Grösse der Bela- - BE. En. AHEAD. SEEEERRERE stung sich gleich bleibt, so ist zu untersuchen: welcher der‘ beiden Summanden, oder ob beide verändert worden? Ich‘ will nun durch Experimente beweisen, dass die Länge des‘ thätigen Muskels bei constantem Reize nicht constant, son- dern wiederum abhängig von der Grösse der Arbeit ist. Die N hierher gehörigen Versuche, von welchen ich einige bereits Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 249 in einem lateinischen Programm bekannt gemacht habe, mö- gen die e Versuche heissen '). Der Gedankengang, welcher diesen neuen Versuchen zu Grunde liegt, ist folgender: Vorausgesetzt, die Länge des belasteten thätigen Muskels entspräche der Summe l+d, wo l dessen natürliche Länge und d die vom Gewichte abhän- gige Verlängerung bedeutet, so muss man experimentel auf l kommen, wenn man das Gewicht, welches die Dehnung verursacht, vom Muskel abnimmt. Ich reize also den bela- steten Muskel durch Tetanisiren, lasse die Hubhöhe ‚dessel- ben am Myographion aufzeichnen, und entferne in dem Mo- mente, wo er die grösste Verkürzung erreicht, das Gewicht. Nun eontrahirt sich der Muskel von neuem umd verzeichnet auch die Hubhöhe, die ihm als nicht belastetem zukommt. Ermittelt soll werden, ob die letztere Hubhöhe derjenigen gleich sei, die man erhält, wenn der Muskel sich contrahirt, ohne vorher ein Gewicht gehoben zu haben. Es wird also ein zweiter Versuch an einem von vorn herein unbelasteten Muskel angestellt, und um die Einflüsse der Ermüdung aus- gleichen zu können, wechselt man mit den Versuchen am ‚belasteten und unbelasteten Muskel regelmässig. Findet sich nach vorgenommener Ausgleichung, dass die Länge des un- belasteten Muskels eine andere ist als die des nachträglich entlasteten, so ist erwiesen, dass die sogenannte natürliche Länge des thätigen Muskels unter dem Einflusse der Ar- beit stehe. In der nachstehenden Versuchsreihe ist der Federhalter von 1,7 Gr. Schwere am Ende der Zunge befestigt. Das zur Belastung des Muskels benutzte Gewicht beträgt 5 Gr. Te- tanisirt wird (wie in allen folgenden Versuchen) mit dem Inductionsapparate von Dubois. Zum Verständniss der Ta- . bellen werde bemerkt, dass dieselben für die Länge des thä- tigen Muskels zwei Columnen enthalten. Die erste dersel- 1) Commentatio de elastieitate musculorum, quaestiones novas lite- rarias in annum MDCCCLVI positas promulgandi causa edita. Halis S. 250 A. W. Volkmann: ben, mit der Ueberschrift 2, giebt die Länge des thätigen Muskels an, welche dieser, mag er belastet sein oder nicht, im Momente der grössten Verkürzung ausweist. Die zweite dagegen mit der Ueberschrift A' giebt ausschliesslich die Länge an, welche dem thätigen Muskel zufällt, wenn er nach Ent- fernung des ihm anhängenden Gewichtes sich zum zweiten Male vollständig verkürzt hat. Versuchsreihe VII. Versuch. Belastung. Muskellänge nn — 'ruhend. thätig m x: KRRE * Gramm. Mm. Mm. Mm 1 h) 99,8 19,9 16,9 2 0 45,9 15,1 3 5) 96 21,9 is, 4 0 4 16,1 d 5) 99 26,4 21,7 6 0 44 18,2 7 5) 59 39,9 26 8 0 4 22,3 B) h) 95 49,2 29 10 - 0 44,5 27 11T d 59,1 92,7 39,8 12 0 45,9 33 13 5) 59,2 99,8 42,1 14 OR 46,1 37,2 15 5) 90,0 94,5 44,4 _ 16 0 47 41,3 IM h) 90,8 BB) 45,9 18 0 47,3 42 19 5) 90,9 90,9 46,5 20 0 47,8 44,7 21 h) 86 99,7 46,7 Die Resultate der Versuchsreihe sind derartige, dass eine Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse unnöthig ist. Wenn man den Werth 4‘ eines beliebigen Versuchs mit dem Werthe A des auf ihn folgenden vergleicht, so findet sich, dass 471, da doch mit Bezug auf die Ermüdung 7° / 4 sein sollte. Dies beweist, dass der Einfluss der Arbeit auf die sogenannte na- türliche Länge des thätigen Muskels ein sehr mächtiger ist und auf eine Vergrösserung derselben hinausläuft. + Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 251 Die nächstfolgende Versuchsreihe ist eine einfache Wie-. derholung der vorhergehenden unter Anwendung eines Ge- wichtes von 20 Gramm, Versuchsreibe IX, Versuch. Belastung. Muskellänge EEE SERERE ruhend. thätig FE FL Gramm. Mm. Mm. Mm. 1 20 54,2 32 2159 P/ 0 45,9 17,2 b) 20 3) 45,9 23,9 4 0) 45,9 20 d n.80 99,9 49,8 24,8 6 0 46 22,1 f/ 20 96 53.3 25,3 8 0 46,8 24,3 9 20 a! 55 231 10 0 47 27,9 11 20 96,7 90959 al 12 0 47,2 29,2 13 20 57 96,5 38,7 14 0 47,8 3 15 20 91,8 3448 42,8 Die Erfolge entsprechen den vorher erhaltenen. In der Sten und 9ten Versuchsreihe sind a Muskeln mit unbelasteten verglichen worden. Von grossem Interesse wird sein, unter Anwendung der e Methode die a und b Muskeln zu vergleichen. Dies ist im Nachstehenden geschehen. Der Federhalter von 1,2 Gr. Schwere wurde diesmal am untern Ende der Zunge angebunden, zur Belastung dienten 10 Gr. Versuchsreihe X. Versuch. Muskellängen Muskel. ruhend. thätig nn mn mn 2. An Mm Mm. Mm 1 54,4 18,1 13,6 a 9 44,3 16,9 132 b 3 55 20.5 15 a 4 41 17,7 14,9 b 252 A. W. Volkmann: Versuch. Muskellängen Muskel. Be ee ruhend thätig A. 2 Mm. Mm. Mm. B) 56 23,6 16,4 a 6 40,5 19 15,6 b 7 99,6 28:1. 1956 a 8 40,6 21,6 17,8 b I 95,4 39,4 21,9 a 10 41 26 19,6 b. 11 55,7 41,7 23,7 a 12 41,3 31,6 21,7 b 13 6 49,7 26 a 14 41,9 39,7 23,8 b 15 96,2 53,7 28,2 a 16 42,4 41,4 26,9. ® b 17 96,4 99,9 31,1 a 15 42,4 42,2 30,2 b Die Resultate dieser Versuchsreihe sind sehr schlagend und bedürfen um anschaulich zu werden nicht erst einer vor- läufigen Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse. Die Länge des entlasteten Muskels = }‘ ist in jedem b Versuche merk- lich kleiner als in dem nächst vorhergehenden a Versuche, da sie doch mit Rücksicht auf die Ermüdung merklich klei- ner sein sollte. Diese geringere Länge des b Muskels ist die Folge einer wirksameren Contraction, und die grössere Wirk- samkeit der COontraction ist wieder Folge ersparter Kraft. Denn erspart hat der b Muskel so viel Kraft, als der a Mus- kel vergeudet, um die Länge wieder zu gewinnen, welche er vor seiner unnatürlichen Verlängerung schon hatte. Die in den 3 letzten Versuchsreihen zusammengestellten Erfahrungen beweisen, dass die Länge, welche der tbätige Muskel im Maximum der Verkürzung annimmt, abhängig von einer Kraft ist, deren contractile Wirkung ihrerseits wieder durch die Grösse der Arbeit im Üontractionsacte bedingt ist. Je schwieriger die den contractilen Kräften zugemutbete Ar- beit, um so weniger sind sie im Stande, eine beträchtliche Verkürzung der Fasern hervorzubringen, oder mit anderen Worten, um so grösser ist die Länge des Muskels in seiner grössten Contraction. Da nun mit Vermehrung des Bela-, Mn | Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 253 stungsgewichts die Arbeit zunimmt, so müsste gleichzeitig die Verkürzung des Muskels abnehmen (also ein entlasteter Muskel sich um so weniger verkürzen, je grösser das Ge- wicht gewesen, welches er zu heben hatte), wenn die Grösse der Arbeit lediglich von der Grösse des gehobenen Gewich- tes abhinge. Dies ist jedoch nicht annehmbar. Offenbar muss die Arbeit, oder genauer die aus der Arbeit resultirende Ver- änderung des Muskels und seiner Functionen, auch von der Höhe abhängen, bis zu welcher er das Gewicht vor seiner Entlastung gehoben, ferner von der Zeit, die er zum Con- tractionsacte verwendet, und endlich von der Geschwindigkeit der contractilen Bewegung. Wenn alle diese Umstände auf die Wirksamkeit der Oontraction, und folglich auf den von ihr abhängigen Werth 1, einen Einfluss ausüben, so ist im Voraus unwahrscheinlich, dass sich zwischen diesem und der Grösse der Belastungsgewichte ein gesetzliches Verhältniss werde finden lassen. Auch sind meine Bemühungen, ein sol- ches zu entdecken, vergeblich gewesen. Von den Versuchen, welche ich mit Rücksicht hierauf angestellt habe, will ich nur einen mittheilen, der dadurch auffällig ist, dass die Grösse der Contraction nicht umgekehrt wie das Gewicht, sondern umgekehrt wie das Product aus der Hubhöhe in das Gewicht, also wie die Arbeit im Sinne der Mechanik, zu- nimmt. Der Federhalter von 1,2 Gr. Schwere wurde am untern Ende des M. hyoglossus eines Frosches befestigt und hatte in den verschiedenen Versuchen abwechselnd 5 Gr. und 20 Gr. zu tragen. Die Tetanisirung des Muskels wurde mit Hülfe _ des Dubois’schen Inductionsapparats ausgeführt. Hatte der belastete Muskel sich vollständig contrahirt, so wurde plötz- lich das Gewicht entfernt und dadurch eine neue Contraction veranlasst. In der nachstehenden Tabelle bedeutet p die Be- lastung, L die Länge des belasteten unthätigen Muskels, h die Hubhöhe des belasteten Muskels, } die Länge des be- lasteten Muskels im Maximum der Contraction, h‘ die Hub- höhe des entlasteten Muskels, }' die Länge eben desselben bei grösster «Verkürzung. 254 A. W. Volkmann: Versuchsreihe XI]. Versuch. p- ba h. Pi BAR 4. Gramm. Mm. Mm. Mm. Mm. Mm. 1 Bin (ENIN A836 nn 6er 2 20 60 17,4 42,6. 42,4 17,6 3 5 54 34,5 SE 37 17,0 4 20 60 75 52,9 42,1 17,9 5 5 54,4 31,6 22,8 39 19,4 6 20 60,5 IL 96,8 40,4 20,1 7 3 55 20.0 27,3 3,4 20, 6) 20 60,7 2 58,7 39,3 21,.# 9 5 55,2 20,6 34,6 27 28,2 4%. 20 60,8 | 33, 36,8 24 11 5 553. 1040: 208. 100 Diese Beobachtungen sollen beweisen, dass im vorliegen- den Falle das Product aus der Hubhöhe in das gehobene Gewicht den Werth A‘ bedinge. Es müssen also die Versu- che, die in Vergleich gestellt werden sollen, auf gleiche Er- müdung reducirt werden. Erst wenn dies geschehen, lässt sich die Arbeitsgrösse = h-p berechnen. In nachstehender Ta- belle ist diese Rechnung ausgeführt. Berechnung der Versuchsreihe XI. Ermü- Länge des ent- dungs- Hubhöhe h, Arbeitsgrösse h+p. lasteten Muskels ——— __{{o———— ———n stufe. 5.5 Gr. bei 20Gr. bei 5Gr. bei 20Gr. bei5Gr. bei 20Gr. Mm. Mm. Mm, Mm. 2. 355 IT RE AD ER ENTE BEN Us paar Dana 25,1 Ba 5 ak lea. 6:96 37014825 74 0021,95 20,7 Adi 120,5 40.235,65 21,4 10 16,65 11 FE 7 7 Das Resultat ist auffällig genug. Im Anfange der Ver- suchsreihe ist der Nutzeffect grösser, wenn der Muskel stark beladen ist, am Ende der Versuchsreihe dagegen ist er grös- ser, wenn er nur wenig beladen ist. Diesem Wechsel des Nutzeffects entspricht ein Wechsel in den Längenverhältnis- sen der beiden entlasteten Muskeln. Je grösser die Arbeit, die dem Muskel zufällt, um so weniger verkürzt er sich. Dies zieht die sonderbare Folge nach sich, dass von der 4ten Er- Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilitä. 255 müdungsstufe an gerade der Muskel sich am wenigsten ver- kürzt, welcher das leichtere Gewicht, nämlich 5 Gramm, ge- hoben hat. Unter den Versuchsreiben, welche ich anstellte, um zu ermitteln, wie die natürliche Länge des thätigen Muskels von der Grösse der vorausgegangenen Leistungen abhänge, fin- den sich noch zwei, welche ähnliche Resultate lieferu, als die so eben speciell nachgewiesenen. In einigen Fällen wa- ren die Werthe ' bei sehr verschiedener Belastung des Mus- kels fast gleich, und die Messungen erwiesen, dass die Nutz- effecte h-p sich ebenfalls sehr nahe standen. Derartige Er- fahrungen sind mit den Resultaten der Versuchsreihe XI wie- derum in Einklang. Aber ich habe auch Fälle gesehen, wel- che zu der Annahme, dass die Nutzeffeecte und die Verkür- zungen der Muskeln im umgekehrten Sinne wachsen, durch- aus nicht passten. Wahrscheinlich ist die Kraft, welche den Muskel verkürzt und ihm die Form giebt, welche Weber die natürliche des thätigen Muskels nennt, noch von Um- ständen abhängig, die wir nicht in Rechnung zu bringen im Stande sind. Ich darf die Besprechung der e Versuche nicht schliessen, _ ohne auf die Frage zurückzukommen, von der wir ausgin- gen. Mit der Grösse der Arbeit wächst die Länge des be- lasteten thätigen Muskels, welche die Summe zweier Glieder l+d.ist. Sie wächst nachweislich, weil l, die natürliche Länge des thätigen Muskels, unter dem Einflusse der An- strengung eine Vergrösserung erfährt. Ob sie auch durch d wachse, d. h. durch die Dehnung, welche nur wachsen kann, _ wenn die elastischen Kräfte eine Verminderung erfahren, ist "durch meine Versuche nicht angedeutet. Es ist wahrschein- lieh, dass Veränderungen der natürlichen Länge, die wie im vorliegenden Falle von chemischen Vorgängen abhängen, mit Veränderungen der elastischen Kräfte Hand in Hand gehen, aber es wäre voreilig, eine Vermuthung zu äussern, nach ‚ weleher Seite hin diese Veränderungen fortschreiten. | So weit die Darstellung meiner Versuche. Wir wollen die ‚ Frage, was sich theoretisch aus ihnen ableiten lasse, gar Inn ten N: N EAN ÄNEN 256 A. W. Volkmann: nicht aufwerfen, bevor nicht die Vorfrage erledigt worden, in wieweit sie im Gebiete des Thatsächlichen auf sicherem Boden stehen. In diesem Bezuge könnte ich zunächst be- merken, dass ich im Vorstehenden nur einen sehr kleinen Theil meiner Versuche bekannt gemacht habe, und dass die zurückgehaltenen mit den hier mitgetheilten übereinstimmen. Ich könnte zweitens darauf aufmerksam machen, dass die meisten der von mir vorgelegten Versuchsreihen eine beträcht- liche Anzahl von Beobachtungen umfassen, die sich gegen- seitig tragen und stützen. Die Erscheinungen, die ich unter bestimmten Bedingungen beobachtet habe, wiederholen sich, wenn dieselben Bedingungen wiederkehren, sie wiederholen sich, wenn nicht vollständig doch theilweise, wenn die Be- dingungen zwar nicht gleiche, aber doch ähnliche sind. In- dess hat Weber, der freilich von meinen Arbeiten wenig mehr als die allgemeinen Resultate kannte, gegen die Zuläs- sigkeit meiner Versuche und Rechnungen Bedenken erhoben, Bedenken, von denen ich nun zu zeigen habe, dass sie grundlos sind. Ich glaube am schnellsten zum Ziele zu kom- men, wenn ich die Vertheidigung meines Rechnungsverfahrens vorausschicke. Die Verstösse, die mir schuld gegeben werden, soll ich bei Berechnung der Dehnbarkeit des thätigen Muskels began- gen haben. Aber meine Rechnungen sind vollkommen in Ord- nung. 'Bezeichnet man die Länge des unbelasteten thätigen Muskels mit 2, die des belasteten mit A, so ist (wenn man sich auf den Standpunkt der Weber’schen Hypothese stellt) der Unterschied _7—ı die Folge einer Dehnung, deren Grösse natürlich von der Kraft der Elastieität abhängt und dieser umgekehrt proportional ist. Wird dieser Unterschied als Deh- nung aufgefasst und mit d bezeichnet, so ist z die Dehn- barkeit des Muskels für das im speciellen Falle benutzte Ge- wicht. Nach dieser Formel habe ich die Dehnbarkeit be- rechnet, und meine Formel ist richtig. Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität., 257 Weber freilich leugnet dies und kritisirt einen Fall, wo ich die Dehnbarkeit eines Froschmuskels für 10 Gr. Bela- stung berechnet hatte, in folgender Weise (Berichte p. 174). „Volkmann durfte, um das Mass der Ausdehnbarkeit des Muskels zu erhalten, die Verlängerung, welche derselbe durch Vermehrung der Belastung erfuhr (die er als Dehnung d be- zeichnet), nicht durch die Länge des unbelasteten Muskels, sondern musste sie vielmehr durch das Mittel seiner Länge bei O und 10 Gramm Belastung dividiren (da beide Grössen ja vollkommen gleich berechtigt sind) und den so erhaltenen Quotienten dann nochmals (in diesem Falle) durch 10 dividi- ren, was er gleichwohl nicht gethan hat. Das so erhaltene richtige Mass der Dehnbarkeit des Muskels gilt endlich nicht, wie Volkmann sagt, für die Spannung des Muskels bei 10 Gr. Belastung, und zwar eben so we- nig für die Belastung bei 0 Gr., sondern, da beide gleichmässig in Rechnung gekommen sind, für die mittlere Spannung von beiden, d.h. für die Span- nung bei 5 Gramm Belastung.“ — Mag mein verehrter Kritiker mir verzeihen, wenn ich in seiner Zurechtweisung etwas Komisches finde. Er sagt mir: du darfst nicht so, sondern musst so rechnen, dann findest _ du nicht das, was du gesucht, sondern etwas ganz Ande- res! — Indess habe ich begreiflicher Weise eben das finden wollen, was ich suchte, nicht aber das, was Weber mir oc- troyiren und zu suchen mich lehren will. — Verschiedene namhafte Physiker, welche ich was die gegen mich erhobene Opposition eigentlich wolle, haben dies so wenig verstanden als ich, und ich kann mich daher “ nicht auf eine Widerlegung derselben einlassen (wenn in dem eben Bemerkten die Widerlegung nicht schon liegt), sondern kann nur zeigen, dass mein Rechnungsverfahren richtig ist. Offenbar handelt es sich hier von der Rechtfertigung des An- satzes der Rechnung, und ein Streit um diesen ist einfach ein logischer. Gesucht wird die Dehnbarkeit eines Muskels. Was ver- steht man unter Dehnbarkeit? Offenbar das Vermögen eines Müller’s Archiv, 1858, Ft 258 A. W. Volkmann: A Aa \ dB. e 107, Körpers, durch Zugkräfte verlängert zu werden. Will man wissen, ob ein Körper dehnbar ist, so muss man eine Zug- kraft an ihm anbringen und durch Messung ermitteln, ob er unter dem Einflusse derselben länger geworden. Man sucht also den Unterschied zwischen der durch die Zugkraft pro- ducirten künstlichen Länge (nach Obigem =_4) und der na- türlichen, das will sagen derjenigen Länge, die vorhanden war noch ehe die Zugkraft wirkte (nach Obigem =4). Schon bemerkt wurde, dass wir 1-14 =d setzen. Nun soll aber die Untersuchung nicht bloss das Dasein der Dehnbarkeit, sondern überdies noch ihre Grösse bestim- men. Dies kann in doppelter Weise geschehen. Es kann nämlich für die Dehnbarkeit entweder ein absolutes Mass gesucht werden, dessen Gewinnung umständlich und oft sehr schwierig ist, oder nur ein relatives, welches viel leichter zu beschaffen und eben deshalb überall vorzuziehen ist, wo es den Zwecken der Messung Genüge leistet. | Handelt es sich um weiter nichts, als um eine Verglei- chung der Dehnbarkeit, entweder zweier Körper unter glei- chen Bedingungen, oder eines und desselben Körpers unter verschiedenen, so versteht es sich von selbst, dass die Auf- stellung relativer Werthe ausreiche. Wie nun solche zu su- chen, wollen wir an einem concreten Falle erläutern. Gesetzt man hätte eine Partie Draht, von welcher die eine Hälfte auf einem heissen Ofen gelegen. Nun will man wissen, ob die Elastieität des erhitzten Drahtes eine Veıän- ! derung erfahren: wie lässt sich dies ermitteln? Sehr einfach dadurch, dass man von beiden Drahtsorten ein Stück mit demselben (gleichviel welchem) Gewichte belastet und die durch die Belastung hervorgebrachte Verlängerung eines jeden durch die Länge, welche es von vorn herein, d. h. vor der Belastung, hatte, dividirt. Der gefundene Quotient (entspre- chend dem n meiner Formel) besagt, um den wievielsten Theil seiner ursprünglichen Länge jedes Drahtstück unter dem Einflusse einer gleichen Zugkraft verlängert worden, und beantwortet die aufgestellte Frage unmittelbar. Denn ’ Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 9259 wenn dieselbe Zugkraft den Draht a beispielsweise um !/,0, dagegen den Draht b um ?/,.. Seiner ursprünglichen Länge ausdehnt, so ist nicht bloss klar, dass b dehnbarer als a, sondern auch evident, dass es doppelt so dehnbar als a sei. Hiernach kann kein Zweifel sein, dass wir die Dehnbar- keit der Muskeln überall nach der Formel n berechnen dürfen, wo es sich um weiter nichts, als um eine Verglei- chung ihrer Werthe handelt. Nun aber ist in allen Fällen, wo ich die Dehnbarkeit bestimme, von etwas Anderem als relativen Bestimmungen gar nicht die Rede, was damit zu- sammenhängt, dass ich die elastischen Kräfte der Muskeln nur in ihrer Beziehung zu meinen Experimentalmethoden und namentlich in ihrer Abhängigkeit von diesen zu untersuchen bezweckte. Weber hat alle seine Versuche über die Dehnbarkeit nach der a Methode angestellt, das will sagen, er belastete den Muskel ehe er ihn reizte und verlängerte ihn dadurch über sein natürliches Mass. Er behauptet, es sei ganz gleich- gültig, ob man den Muskel erst belaste und dann reize, oder erst reize und dann belaste. Diese Behauptung kann dem Zusammenhange nach keinen andern Sinn haben, als den: welches von beiden Verfahren man auch verfolge, bei Be- stimmung der Dehnbarkeit führen beide zu demselben Resul- tate. Es ist evident, dass die Kritik hier keine andere Auf- gabe habe, als die Werthe der Dehnbarkeit, die man bei dem einen oder andern Verfahren erhält, zu vergleichen, wie ich gethan; ihre Schätzung nach einem absoluten Masse war überflüssig, | So erklärt sich Webers Polemik gegen mein Rechnungs- verfahren daraus, dass er den Sinn desselben nicht verstan- den hat. Leider ist dieses Missverständniss die Quelle eines Stromes geworden, der scheinbar alles von mir Aufgebaute spielend mit fortreisst. Man gestatte mir auch hierüber einige Erörterungen. ‚Die Berechnung meiner zahlreichen Versuche hatte erge- ben, dass die Dehnbarkeit des b Muskels constant kleiner EN 260 . A. W. Volkmann: sei als die des aMuskels. Da nun die Contraction des bMus- kels unter naturgemässen Bedingungen, die des a Mus- kels dagegen, wie oben angegeben, unter naturwidrigen erfolgt, so bemerkte ich, dass Weber, der überall die a Me- thode benutzt, die Dehnbarkeit des thätigen Muskels nicht richtig bestimmt, und zwar dieselbe durchweg überschätzt habe. Gegen diese Bemerkung remonstrirt Weber p. 171 sei- ner Kritik mit folgenden Worten: „Ich habe das Mass der Ausdehubarkeit des in Thätig- keit befindlichen Musc. hyoglossus p. 114 meiner Abhand- lung aus der Versuchsreihe © für 5 verschiedene Spannungs- grade (nämlich bei 7,5 Gr., 12,5 Gr., 17,5 Gr., 22,5 Gr., 27,5 Gr. Belastung) und für 10 verschiedere Ermüdungsstu- fen berechnet. Hiernach beträgt dasselbe für die Belastung von 7,5 Gr. und 12,5 Gr. 0,0127 0,0082 und wächst durch Ermüdung nur bis auf: 0,1675 0,0455 während Volkmann den Werth desselben in Thätigkeit be- findlichen Muskels bei 10 Gr. Belastung (man bemerke, dass diese in der Mitte zwischen den von Weber benutzten Bela- stungen liegt) . im Mittel aus seinen a Versuchen = 0,618 0,379 0,673 0,721 a s...b Versuchen = 0,273 0,527 — 0,400 ä „. ec Versuchen = — 0,590 — 0,390 “ »..d Versuchen = — — 0;107 ,.. 0.107 erhält. Vergleicht man nun ersteres von mir gefundenes Mass der Ausdehnbarkeit des thätigen Muskels (im Mittel = 0,010) mit den letzteren Angaben, welche Volkmann als Mass der Aus- dehnbarkeit desselben thätigen Muskels bei ungefähr dersel- ben mittleren Belastung gefunden hat, so ergiebt sich, dass meine Messungen nicht allein von Volkmann’s a Messungen differiren und nicht nur nicht grösser als seine b, ec, d Mes- sungen sind, sondern vielmehr Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 261 l1mal kleiner als Volkmann’s d Messungen, 39mal „ u 5 ce Messungen, 40mal „ , by b Messungen, 72mal „ .i 5 a Messungen sind, Diese letzten a Messungen sind es eben, welche Volkmann mit den meinigen identificirt hat. — Demnach findet Volk- mann’s Vorwurf, dass nach der von mir angewandten Me- thode die Ausdehnbarkeit des thätigen Muskels zu gross aus- falle, auf meine Versuche keine Anwendung. Es leuchtet vielmehr ein, dass Volkmann in der Ausführung seiner a Ver- suche oder (!) in der Berechnung der Ausdehnungscoefficien- ten von mir abgewichen sein müsse, wiewohl er dieselbe Methode angewendet zu haben behauptet.* — Ich halte für fraglich, ob unter den Lesern der Kritik sich auch nur Einer befunden, der über die Tragweite die- ser Opposition vollkommen ins Klare gekommen. Die Sache steht so: Unrichtig ist die Annahme, dass ich bei Ausfüh- rung der a Methode von Weber abgewichen sein möge, wie sich aus der Beschreibung des von mir eingeschlagenen Ver- fahrens zur Genüge ergiebt; — unrichtig ist die Behauptung, dass meine Messungen der Dehnbarkeit auf Weber’s Ver- suche keine Anwendung gestatten, wie ich gleich zeigen werde; richtig dagegen die Vermuthung, dass ich die Aus- dehnungscoefficienten nicht in der Weber’schen Weise be- rechnet, nur dass hier nicht der Ort zu Vermuthungen war, da ich durch Angabe der Formel, nach der ich gerechnet, über das Abweichende meines Verfahrens keinen Zweifel ge- - lassen hatte. Ich bestimme den Werth der Dehnbarkeit so, dass ich nachweise: um den wievielsten Theil seiner ursprünglichen Länge ein Muskel verlängert werde, wenn ihm ein ziemlich beträchtliches Gewicht, resp. 10 bis 20 Gramm angehangen werden. Weber dagegen bestimmt die Dehnbarkeit in der Weise, dass er angiebt, um den wievielsten Theil seiner Länge ein Muskel, der bereits belastet und in Folge dessen 262 A. W. Volkmann: gedehnt ist, verlängert werde, wenn zu der Last, die er schon trägt, noch ein Gramm hinzugefügt wird. Es ist einleuchtend, dass so ganz verschiedene Berechnungennicht zu vergleichbaren Werthen füh- ren können. Aber eben weil die gefundenen Werthe einen Vergleich gar nicht zulassen, ist die Nebeneinanderstellung derselben, welche Weber gegeben, nicht bloss ganz zweck- los, sondern für solche Leser, die dem Gegenstande nur mit Schwierigkeit folgen, in hohem Grade verwirrend. In der That, wenn ein Sachkenner wie Weber es nur als Mög- lichkeit hinstellt, dass die enormen Differenzen unserer bei- derseitigen Angaben über die Dehnbarkeit von einer Ver- schiedenheit der Berechnung abhängen könnten, so dürften viele minder kundige Leser es°nicht einmal bis zu dem Ge- danken an diese Möglichkeit gebracht haben. Sie Alle müs- sen den Passus: „So ergiebt sich: dass meine aMes- sungen nicht nur nicht grösser, sondern 72malklei- ner als Volkmann’s aMessungen sind“, für den klar- sten Beweis gehalten haben, dass von einer Ueberschät- zung der Dehnbarkeit bei Weber, inwiefern er die a Me- thode benutzte, nicht die Rede sein könne, und dass meine Bemerkung, es habe eine solche stattgefunden, auf einem groben Irrthume beruhe! — Dies führt mich auf die zweite von mir bestrittene Be hauptung, dass mein Vorwurf: die a Methode führe zu einer Ueberschätzung der Dehnbarkeit, auf Weber’s Versuche keine Anwendung finde. Diesen Vorwurf muss ich festhal- ten. Lassen wir die Frage über die Berechnung der Dehn- barkeit ganz aus dem Spiele, wir können die Grösse der- selben beurtheilen auch ohne zu rechnen. Wenn ein Körper unter dem Einflusse einer und derselben Zugkraft im ersten Falle sich länger ausweist als im zweiten, so ist er im er- sten Falle dehnbarer als im zweiten. Nun ist aber That- sache, dass ein thätiger Muskel unter dem Einflusse dessel- ben Gewichtes bei Anwendung der a Methode länger befun- den wird, als bei Anwendung der b Methode; folglich ist er dehnbarer bei Anwendung der a Methode. Diese grössere ı Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 263 Dehubarkeit (um Weber’s Terminologie beizubehalten) hängt aber von einem Umstande ab, der unter den natürlichen Ver- hältnissen nicht vorkommt, folglich kann sie für Muskeln, die sich in natürlichen Verhältnissen befinden, nicht massgebend sein, sondern ist für solche zu gross. Weber hat die grosse Differenz in den Werthen der Dehnbarkeit, auf welche wir gekommen, so oft erwähnt, und hat mit so grossem Nachdruck hervorgehoben, dass er bei Revision seiner Versuche die in seiner frühern Arbeit gefun- denen Werthe wiedererhalten, dass ich mich wohl nicht täu- sche, wenn ich annehme, dass er meine sehr viel grösseren Werthe mit Misstrauen angesehen habe. In dieser Vermu- thung bestärken mich die im Eingange der „kritischen Wi- derlegung* befindlichen Worte: „Volkmann hat nicht bloss die Richtigkeit meiner Ansichten, sondern auch meiner Beobachtungen und Messungen in Zweifel gezogen. Da mir Letzteres gar nicht in den Sinn gekommen, noch in den Sinn kommen konnte, weil unsere beiderseitigen Beobachtungeu und Muskelmessungen unter gleichen gegebenen Bedingungen recht gut zusammen- stimmen, so kann ich die Begründung der vorstehenden Worte nur darin suchen, dass Weber voraussetzte, das Mass der Dehnbarkeit gestatte Rückschlüsse auf die Messun- gen der Muskeln, und die ganz anderen Werthe der Dehn- barkeit, die ich bekannt gemacht, ineludiren eine Opposition gegen die Beobachtungen, aus welchen Weber die seinigen ‚abgeleitet. Verhielte sich die Sache in dieser Weise, so wäre We- “ ber’s Misstrauen vollkommen gerechtfertigt, aber sie verhält sich nicht so, weil unsere Dehnbarkeiten, wie oben bemerkt, unvergleichbare Grössen sind. Dass die von mir ver- zeichneten Werthe der Dehnbarkeit so sehr viel grösser sind als die Weber’schen, liegt hauptsächlich in der Differenz des Rechnungsverfahrens, und die Differenz von diesem liegt wieder an der Verschiedenheit der Aufgaben, die wir lösen wollten, und nicht etwa an einem Rechnungsfehler, in welchen Einer von uns Beiden verfallen. Wer die Formeln, nach 264 | A. W. Volkmann: welchen wir die Dehnbarkeit berechnet, vergleicht, wird sich W überzeugen, dass ich zu sehr viel grösseren Werthen kom- men musste als Weber, und wer sich die Mühe geben will, einige meiner Beobachtungen nach Weber’s Formeln zu berechnen, der wird finden, dass er auf Werthe kommt, die - denen Weber’s ziemlich nahe stehen. Eine gewisse Diffe- renz zwischen unsern beiderseitigen Bestimmungen musste aber von vorn herein erwartet werden, ‘da Weber seine Muskeln tetanisirte, ich durch Inductionsschläge reizte, Das Vorstehende wird hoffentlich ausreichen zu zeigen, dass Weber’s Opposition gegen mein Rechnungsverfahren eine ganz unbegründete war, und dass die Folgen des Miss- verständnisses, in welches er bei dieser Gelegenheit verfallen, sich in ansehnlicher Breite geltend machen. Die gegen mich gerichtete Schrift führt den Titel: „Kri- tische und experimentelle Widerlegung“. Untersuchen wir nun, in wie weit es Weber gelungen, mich experimen- tell zu widerlegen. — Seiner Meinung nach sind meine Ver- suche so fehlerhaft angestellt, dass dadurch die Längen- unterschiede der a bc und d Muskeln, die ich beobachtet und der Elasticitätstheorie entgegengehalten habe, hinreichend erklärt werden. Der Missgriff, den ich begangen und der so schwere Folgen nach sich gezogen, soll in der Befestigung des Federhalters am untern Ende der Zunge liegen. Es heisst S. 185: „Während ich den als Zeiger dienenden Coconfaden am Ende des aus parallelen Fasern bestehenden Theils des byoglossus, also über der Zungenwurzel befestigt habe, bin- det Volkmann den Federhalter, der am Kymographion zeich- net, an der Spitze der Zunge, ganz nahe über der Stelle, wo sie sich in zwei Spitzen theilt, an. Dadurch wird aber eines Theils die Zunge, welche ausser den zur Messung die- nenden Muskelbündeln viele andere enthält, die sich auch contrahiren und die Gestalt der Zunge ändern, in das zur Messung dienende Muskelstück mit eingeschlossen, und wird daher auf die Messung störende Einflüsse ausüben, die sich gar nicht berechnen lassen; andern Theils wird zugleich Volkmann genöthigt, den Gewichtsträger, den ich in die Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität.. 265 dicke Zungenwurzel einhake, an die dünne (??) Zungenspitze zu befestigen, die von vielen Bündeln des m. hyoglossus gar nicht erreicht und durch angehängte Gewichte thatsächlich (2?) so ausgedehnt wird, dass wahrscheinlich der Durchgang des galvanischen Stromes sehr geschwächt und demnach auch der Muskel weniger contrahirt wird!). Hieraus würde sich wenigstens die Differenz der Resultate von Volkmann’s a b c d Versuchen erklären: denn lässt man unter diesen Ver- hältnissen, wie in Volkmann’s_ b c und d Versuchen, den Muskel sich vor Auflegung des Gewichts contrahiren, so können die äusserst kräftig contrahirten Muskelbündel sehr leicht die bemerkte Ausdehnung der Zunge durch das Ge- wicht verhindern, während sie das nicht zu leisten im Stande sind, wenn, wie in seinen a Versuchen, die vorher aufge- legten Gewichte die Zunge bereits ausgedehnt haben und der deshalb schwach einwirkende Strom keine kräftige Contrac- tion zu erzeugen vermag.“ — Gegen diese Darstellung hätte ich so Manches im Einzel- nen zu erinnern, indess soll sich meine Antwort auf die Be- leuchtung nur zweier Punkte beschränken. 1) Gesetzt Weber’s Vermuthung wäre begründet, dass die Befestigung des Federhalters am Ende der Zunge Nach- theile mit sich brächte (eine Vermuthung, die durch die vor- stehende Anmerkung über die Zungenbreite bereits ihrer Stütze beraubt ist), gesetzt weiter die Nachtheile, welche diese Befestigung mit sich brächte, verhielten sich genau so 1) Bei den hiesigen Fröschen erstreckt sich die Spaltung der ‚- Zungenspitze bis in den Theil der Zunge, welcher ungefähr doppelt so breit ist als die neben einander liegenden musculi hyoglossi zu- sammengenommen. Wenn ich daher den Federhalter nach meiner Weise befestige und selbst mit einem schweren Gewichte belaste, bleibt die Zunge in ihrer ganzen Länge um ein Ansehnliches breiter als jene Muskeln, und zwar in dem Grade, dass ich darin einen Missstand erblicke. Um Präparate von ungefähr gleicher Breite zu erhalten, pflege ich daher die häutigen Seitenränder der Zunge mit der Scheere abzutragen. Hat Weber den Fall, den er schildert, wirklich gesehen, so muss er jeden Falls das Gewicht, statt über der Spaltung der Zunge an das äusserste Ende einer ihrer Spitzen angebunden haben. 266 A. W. Volkmann: wie Weber sie sich ausgedacht, so würden dieselben doch nur einen Theil der von mir angestellten Messungen un- gültig machen. Wenn nämlich das Anbinden des Federhal- ters am Ende der Zunge zur Folge hat, dass ein Muskel, welcher erst belastet und dann gereizt wird, sich weniger contrahirt als ein Muskel, der erst gereizt und dann belastet wird, so folgt hieraus weiter nichts, als dass ich die Längen- differenz, welche auf solche Weise behandelte Muskeln im maximum der Contraction ergeben, nicht als Folgen der vor- ausgegangenen grösseren oder geringeren Arbeit auffassen darf. Ich hätte also, um mich einer nun hinreichend bekann- ten Terminologie zu bedienen, die Längendifferenzen zwischen den a Muskeln einerseits und den b ce d Muskeln anderer- seits bei Discussion der Weber’schen Lehre zunächst aus dem Spiele zu lassen. Aber die Längendifferenzen, die ich urgire, beschränken sich nicht auf die Fälle, wo ich den einen Muskel zuerst belastet und dann gereizt, den andern zuerst gereizt und dann belastet habe, also auf Fälle, welche angeblich unter dem Einflusse meiner Befestigungsweise des Federhalters stehen, sondern sie erstrecken sich auch auf eine grosse Anzahl von Fällen, wo beide in Vergleich ge- stellte Muskeln zuerst gereizt und dann belastet wurden. Dies gilt von den wichtigen d Versuchen, deren Resultate von der Befestigungsweise des Federhalters unabhängig sind. Auch die Erfahrung, dass ein b Muskel im maximum der Contraction und bei gleicher Belastung länger als ein ce Mus- kel oder d Muskel, und weiter die Beobachtung, dass e Mus- keln, deren Gewicht vor dem Eintritte des Reizes gestützt gewesen, nach vorgenommener Entlastung sich weniger con- trahiren als ein nicht belastet gewesener Muskel, werden von den Einwürfen, die Weber macht, nicht getroffen. | Zweitens aber lässt sich erfahrungsmässig erweisen, dass die von Weber gefürchteten Nachtheile der Befestigung des Federhalters am Ende der Zunge überhaupt nicht stattfinden. Die Belege hierzu finden sich zum grössten Theile schon in dem Vorausgehenden. Ich habe eine beträchtliche Anzahl von Versuchsreihen mitgetheilt, in welchen der von Weber Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität.. 267 gerügte Fehler absichtlich vermieden ist, und welche die Län- gendifferenzen der a und b Muskeln, auf deren Nachweis es ankommt, eben so unverkennbar darstellen, als die früheren Versuche, in welchen der angebliche Fehler begangen wurde. Es besteht also ein beträchtlicher Längenunterschied zwischen a und b Muskeln, welcher von der Befestigung des Feder- halters (mehr aufwärts oder mehr abwärts) unabhängig ist. Um die Berechtigung dieser Behauptung noch fester zu be- gründen, habe ich eine besondere Versuchsreihe in folgender Weise angestellt. . | Der Federhalter, welcher bereits an seinem unteren Ende mit einem Häkchen zum Anhängen des Gewichtes ausgerüstet ist, wird auch an seinem obern Ende mit einem solchen ver- sehen, um mittels desselben an der Zunge befestigt zu wer- den. Dieses Häkchen wird in der einen Hälfte der Versuche durch die Wurzel der Zunge. hindurchgestossen, in der an- deren Hälfte der Fälle durch die Zungenspitze, d. bh. durch die Stelle, welche unmittelbar über der Spaltung der Zunge in 2 Spitzen gelegen ist. Es ist einleuchtend, dass im erste- ren Falle den Weber’schen Ansprüchen Genüge geschieht, im zweiten mein angeblicher Fehler wiederkehrt. Die Rei- zung wurde durch Inductionsschläge vermittelt. Das Bela- stungsgewicht betrug in allen Versuchen 5 Gramm; die Zunge war ganz frisch aus einem soeben gefangenen Frosche ent- nommen. Das Nähere ergiebt sich aus der nachstehenden Tabelle. Die erste Columne derselben bezeichnet mit u den unbe- lasteten Muskel, d. h. nach früherer Definition, den nur mit dem Federhalter belasteten Muskel, mit a und b dagegen die mit 5 Gr. belasteten und respective nach der a oder b Methode behandelten Muskeln. Die letzte Columne mit der Ueberschrift: Befestigungsweise bezeichnet mit W diejenigen Fälle, in welchen die Befestigung des Federhalters an der Zungenwurzel, den Weber’schen Anforderungen Genüge leistet, mit V aber die Fälle, wo letzteres nicht stattfindet, in so fern der Federhalter am Ende der Zunge angehan- gen ist. 268 A. W. Volkmann: Versuchsreihe X. Versuch. Muskel. Hubhöhe. Länge des thä- Befestigungs- tigen Muskels. weise. Mm. Mm. 1 u 17,8 11,2 2 b 11,3 18,4 | 9 a 11,5 20,5 W. 4 b 10.6 20.7 | ö u 15,6 15,6 6 u 21,4 29,6 X b 12,0 39 | 8 a 11,3 46,5 V. 9 b 11,3 43,3 | 10 u 21,6 33,0 11 u 14,7 17,0 12 b 8,7 23,3 13 a 9,2 24,8 W. 14 b 7,9 24,6 15 u 13,5 19,1 16 u 17,9 35,5 17 b 8,4 45 | 18 a 8,1 50,7 V. 19 b 7,5 18,3 | 20 u 16,8 38,7 21 u 11,5 21,2 22 b 6,0 26,5 25 a 6,2 28,9 W. 24 b 5,0 27,8 29 u 10,0 23,1 26 u 13,4 40,7 27 b 3,4 51,1 28 a 4,0 95,6 v: 29 b 2,6 53,9 30 u 12,0 44,5 31 u 8,5 34,5 32 b 17 31,2 | 33 a 2,4 32,6 W. 34 b 1,7 32,2 | 39 u 6,8 26,1 R 7 Um das gewonnene Resultat übersichtlicher zu machen, . habe ich die verschiedenen Einwirkungen der Ermüdung gegen einander ausgeglichen. WA SEEBESEEESEEEEEE AU: AENENE I Tu Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 269 Berechnung der Versuchsreihe XII. Ermüdung nach Befestigungs- Länge desthäti- Verhältniss, Versuch. weise, gen Muskels. u b a a:b Mm. Mm. Mm. 3 W, 13.42.1955. 20,5 1,048 8 we 31,3 al,ie 20,9 1,130 13 | W. 18,05 23,95 24,8 1,036 18 Y. 37,1 5246.65. 30,7 1,087 23, W. 22,1. 271.15., 28,9 1,050 28 is 49.6 292.5 55,6 1,059 33 W. 230, Wollt 32,6 1,028 Es ergiebt sich also, dass die Länge des thätigen a Mus- kels constant grösser ist als die des b Muskels, und zwar unabhängig von der Befestigungsweise des Federhalters!). Mit diesem Resultate stimmen nachstehende Versuche, welche ich genau unter denselben Bedingungen anstellte, vollkom- men überein: Versuchsreihe XIM. Versuch. Muskel. Hubhöhe. Länge des thä- Befestigungs- tigen Muskels. weise. Mm. Mm. 1 u 10,1 5.3 2 b ‚0 20,1 3 a 6,4 22,4 w 4 b 8,6 20,8 5) u 9,4 EV 6 u 13,4 31,6 7 b 6,5 38,1 8 a 6,1 47,1 V. 9 b 5.9 43,1 10 u 14,9 33,7 1) Bei meiner. Befestigungsweise (V.) ist der Längenunterschied des a und b Muskels allerdings merklicher, als bei der Weber’schen Befestigungsweise (W.). In wie fern nun die Absicht ist den Einfluss der Methoden a und b auf die Muskelbewegungen zu untersuchen, ein Einfluss, der sich eben durch jene Längenunterschiede zu erkennen giebt, scheint Weber’s Befestigungsweise die minder zweckmässige, denn die minder zweckmässige von 2 Versuchsmethoden ist diejenige, welche das was man sucht, weniger hervorhebt. 270 A. W. Volkmann: ® Versuch. Muskel. Hubhöhe. Länge des thä- Befestigungs- “ tigen“ Muskels. weise, Mm. Mm. 11 u 7,5 20,2 12 b 3,8 23,9 13 a 4,7 25.2 W 14 b 4,5 23,8 15 u 8,0 20,3 16 u 13,4 33,7 I 17 b 6,2 40,9 18 a 9,8 48,6 V 19 b 9,6 44,6 20 u 14,5 39,0 21 su 7,4 20,1 22 b 3,2 24,3 23 a 3,7 26,1 W. 24 b 3,3 25,0 25 u 7,0 21,3 26 u 12,0 39,9 27 b 4,6 42,7 23 ä 5,0 49,6 V. 29 b 4,2 45,8 30 u 12,8 36,8 al u 6,2 21,9 32 b 2.2 25,9 33 a 2.6 27,4 W. 34 b 159 26,0 835 u 9,9 21,2 36 u 11,2 27,2 37 b 3.6 45,3 38 a 4,1 50,6 V., 39 b 3,4 46,9 40 u 11,8 38,0 41 u 9,9 22,9 42 b L,7 26,8 45 a 2,0 28,3 w 44 b 1,2 27,3 45 u 9,0 23,3 Nach Ausgleichung der Ermüdung finden sich folgende | Verhältnisse:: Berechnung von Versuchsreihe XI. Ermüdung nach Befestigungs- Länge des thäti- Verhältniss. Versuch. weise, gen Muskels. een u m nn ern u b a a:b Mm. Mm. Mm. 3: W. 16.45 20,45 224 1,09 8 V. 32,65 . 40,6 47,1 1,160 En ‚A Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 271 Ermüdung nach Befestigungs- Länge des thäti- Verhältniss. Versuch. ' weise. gen Muskels. lost % a a:b Mm. Mm. Mm. 13 W. 2025 23,85 25.2 1,056 18 V. 3435 42,75 486 1,136 23 W. 27 46 261 1,061 28 V. 36,05 425 49,6 . 1,120 33 Ww. 21,35 25,75 274 1,064 38 ve 9 FAT Erg 43 Ww. 31 27.05 283 1,046 Die von Weber benutzte a Methode, nach welcher der Muskel schon vor seiner Erregung belastet und dadurch un- natürlich verlängert wird, hat also auf die Längenmessung des thätigen Muskels einen merklichen Einfluss. Der a Mus- kel ist constant länger als der b Muskel, nicht blos wenn der Federhalter am Ende der Zunge befestigt ist, so dass die Zunge in ihrer Totalität am Contractionsacte Theil nimmt, sondern auch wenn die Befestigung desselben höher oben an der Zungenwurzel vorgenommen wird, so dass die Verkür- zung der Zunge selbst in die zn messenden Üontractionen nicht mit eingeht. Die vorwiegende Länge des aMus- kels wird durch die Befestigung des Federhalters am untern Zungenende begünstigt. aber sie wird keineswegs durch dieselbe hervorgebracht. Letzteres behauptet aber Weber, der sich ebenfalls auf Versuche stützt. Der Leser wird fragen, wem er nun glau- ben solle? Zur Entscheidung hierüber diene Folgendes: 1) Stützt sich meine Angabe auf eine überaus viel grössere Anzahl von Beobachtungen als die Weber’s. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Versuchsreihen I. I. III. IV. X. XU. XIH. und XIV. Weber’s Gegenschrift enthält über- ‚ haupt nur 3 wenig umfangreiche Reihen. Von diesen ist die dritte und grösste nach meiner Methode angestellt, führt genau zu denselben Resultaten, die ich angegeben, und kann also selbstverständlich nicht gegen mich sprechen. Es bleiben demnach nur zwei kleinere Reihen übrig, welche im besten Falle als Belege für die Behauptung gelten könnten, dass bei einer zweckmässigeren Befestigung des Federhalters, als 9123 A. W. Volkmann: die von mir ursprünglich benutzte, ein Längenunterschied zwischen den a und b Muskeln nicht merklich sei. 2) Während die 8 Beobachtungsreihen, welche ich vor- lege, sowohl unter sich als mit den Resultaten meiner früher publicirten Arbeit vollkommen übereinstimmen, ist zwischen den 2 Reihen, die Weber mittheilt, keine Uebereinstimmung, Nur die erste seiner Versuchsreihen entspricht scheinbar seiner Behauptung, die zweite (S. 181 u. S. 182) dagegen nicht, indem nach letzterer der a Muskel allerdings länger ist als der b Muskel. Weber findet in diesem Widerspruche nichts An- stössiges, weil einerseits die Längendifferenzen merklich klei- ner waren, als in den von mir beobachteten Fällen, andrer- seits ihm wahrscheinlich vorkam, dass an den Längenunter- schieden, welche sich nicht wegleugnen liessen, die Ermüdung des Muskels einen Antheil hatte. Indess liegt das Gewicht des von mir ausgesprochenen Satzes: der a Muskel ist im maximum der Contraction länger als der b Muskel, lediglich darin, dass der bestehende Längenunterschied ein constan- ter, nicht darin, dass er ein grosser ist. Was aber den von Weber urgirten Ermüdungseinfluss anlangt, so muss ich erstens in Abrede stellen, dass ein solcher Einfluss ge- nügend erwiesen oder gar erklärt sei, andrerseits darauf auf- merksam machen, dass es für die Beurtheilung der Weber’- schen Versuche gleichgültig sein dürfte, ob die zu grosse Länge der thätigen a Muskeln von der in Anwendung ge- nommenen Versuchsmethode unmittelbar, oder vielmehr mit- telbar und unter Mitwirkung von Ermüdungseinflüssen statt- finde. Denn man bedenke, dass in jeder Versuchsreihe We- ber’s jeder Versuch mit Ausnahme des ersten von der Er- müdung afficirt ist. Wenn also die a Methode der Ermüdung einen Angriffspunkt gestattet, welchen die b Methode nicht gestattet, mit andern Worten: wenn der a Muskel durch die ı nie ausbleibenden Ermüdungseinflüsse mehr gedehnt wird, | als der b Muskel, so. bleibt richtig, was ich- behauptet, dass die von Weber berechneten Werthe der Dehnbarkeit nur ' auf die a Muskeln passen, mit denen er experimentirte, nicht — Eu . ta > | Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 273 7 aber auf b ‚Muskeln, noch auf die Muskeln des lebenden Körpers, die den Prineipien der b Methode folgen. 3) Weber besitzt daher nur eine Versuchsreihe, die er zu Gunsten seiner Behauptung anführen kann. Es ist dies die S. 178 seiner Schrift mitgetheilte Versuchsreihe 1. Eine genauere Untersuchung derselben wird ergeben, dass sie zur Ableitung gewichtiger Folgerungen durchaus nicht geeig- net ist. Als Object der Untersuchung diente die Froschzunge. Ein durch die Wurzel derselben gezogener Coconfaden diente beim Messen der Muskellängen als Weiser. Als Belastungs- gewichte dienten abwechselnd 5 Gr. und 10 Gr. Zur Auf- nahme dieser war am untern Ende des Zungenmuskels eine Wagschale angebracht, welche unter Zurechnung des Muskel- gewichtes 3 Gramm wog. Da nun bei jeder Contraction nicht nur die belastete Wagschale, sondern auch die Masse des Muskels zu heben war, so betrugen die Belastungsgewichte abwechselnd 8 Gr. und 13 Gr. DE EEE EEE ER « Die Messung des thätigen Muskels bei 8 Gr. Belastung wurde stets so ausgeführt, dass das 5 Gramm-Stück zuerst auf die Wagschale gelegt und dann der Muskel gereizt wurde. Hatte der Muskel sich verkürzt und das gehobene Gewicht äquilibrirt, so wurde die Länge desselben an der nebenste- henden Scala mit Hülfe eines Fernrohrs abgelesen. Die Messung des thätigen Muskels bei 13 Gr. Belastung wurde abwechselnd nach zwei verschiedenen Methoden ausgeführt, einmal wie oben angegeben (also nach der a Methode), das andre Mal so, dass der Muskel erst in Contraction versetzt, dann das 10 Gr.-Gewicht auf die Wagschale gelegt, und ı wenn sich beide ins Gleichgewicht gesetzt hatten (?), die Ablesung gemacht wurde. Weber bezeichnet in seiner Ta- belle das erstere Verfahren mit a, das zweite mit b, und folgt demnach im ersteren Falle meiner Terminologie, wäh- ' rend er im zweiten sie aufgiebt. Sein b Verfahren hat mehr Aehnlichkeit mit meiner ce Methode. Noch ist zu erwähnen, dass die Reizung des Muskels durch Tetanisiren vermittelt wurde, und dass die Ausführung der Versuche das Zusammen- Müller's Archiv. 1858. 13 a el A, W. Volkmann: wirken zweier Personen erforderte. Prof. Weber besorgte die Reizung und Belastung des Muskels, Prof. Hankel die Ablesungen durch das Fernrohr. Das Resultat war Folgendes: Weber’s Versuchreihe 1. (S. 178). Br auge des Muskels >38 Versuch. Belastung. ruhend. thätig. Methode, i Gramm. Mm. Mm. Zi 1 8 43,2 22,0 _— 2 13 44,5 23,0 be 3 8 43,1 22,1 — A 4 13 44,5 23,0 a 5 8 43,3 22,5 Sr 6 13 43,9 22,7 be 7 8 43,0 23,0 Be 8 13 44.0 25,0 a’ 9 8 42,9 24,0 _— 10 13 43,8 25,0 by 11 8 42,8 25,2 _— Hierzu bemerkt Weber: „Aus dieser Versuchsreihe er- giebt sich, wie man unmittelbar erkennt, kein Unterschied des Erfolges je nachdem die Belastung vor oder nach der Contraction aufgelegt war, da die Messungen des thätigen Muskels bei a und b sich vollkommen entsprechen, mit Aus nahme der im ‚6ten Versuche, welche aber offenbar durch einen Versuchsfehler zu klein ausgefallen ist, da sie nicht nur kleiner als das Mittel der nächst höhern und tiefern b 3 Messung (in Versuch 2 und 10) ausgefallen ist, sondern s0r gar beträchtlich kleiner, als die höhere Messung (in Ver- ® such 2) ist, ungeachtet letztere um 4 Ermüdungsstufen höher steht.“ ‚Hl Mit Bezug hierauf streicht Weber die 6te Beobachtung und findet dann durch Rechnung, dass die Länge des thäti- gen a Muskels der .des thätigen b Muskels gleich, nämlich i im Mittel aller Versuche 24 Millimeter sei! — iR Ich gestehe, dass mich weder die Versuche, noch die u sie gegründeten Rechnungen befriedigen, und glaube beweisen“ zu können, dass hierzu hinreichende Gründe vorliegen. Schon oben wurde angegeben, dass Weber’s b Versuche eine Art Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 275 "Nachahmung meiner c Versuche sind; nur ist die Nachahmung eine unvollkommene. Meine ce Versuche sind mit Zuziehung des Kymographion angestellt, Weber’s b Versuche nicht, und eben deshalb sind sie unzuverlässig. Der Grund ist leicht einzusehen, Der Muskel wird tetanisirt und im Momente der grössten Verkürzung belastet. Bemerke man beiläufig, dass die Wahrnehmung des rechten Zeitpunktes für die Be- lastung bei der hier stattfindenden Concurrenz zweier Expe- rimentatoren sehr schwierig sein muss. Der Eine steht am Fernrohr und beobachtet die Verkürzung, der Andere legt ‚das Gewicht auf, sobald dieselbe erfolgt. Dies setzt eine wechselseitige Verständigung zwischen den Beobachtern vor- aus, welche zur Quelle so mancher Irrthümer werden dürfte. ‚Die Hauptsache aber ist folgende. In dem Augenblicke, wo der Muskel belastet wird, erfolgt eine plötzliche Ausdehnung desselben. Die Expansionsbewegung des zarten Zungenmus- |kels ist bei Anhängung von 10 Gr. so schnell, dass derselbe beträchtlich über die vom Gleichgewicht geforderte Länge hinausgerissen wird, und in Folge dessen eine secundäre \elastische Contraction macht, die jedoch wiederum so heftig ist, dass sie den Muskel ein zweites Mal über die Lage des "Gleichgewichts hinaustreibt und ungebührlich verkürzt. Auf diese Verkürzung folgt unmittelbar und anfänglich mit ziem- licher Schnelligkeit eine anhaltende Verlängerung. | Nun sagt Weber, es sei die Länge des b Muskels ge- messen, worden, wenn dieser das Gewicht äquilibrirt habe, aber die Methode des Versuches machte eine auch nur einiger- massen genaue Beurtheilung des Momentes, in welchem der Muskel die Gleichgewichtslage passirte, geradezu unmöglich'). Nach zahlreichen eignen Erfahrungen über diesen Gegenstand muss ich annehmen, dass den von Weber und Hankel aus- |geführten Messungen der thätigen b Muskeln beträchtliche Fehler anhaften. ei | 4 1) Die am Kymographion gezogenen Muskelceurven erlauben die hier erwähnte Schwierigkeit zu besiegen, wie ich in Müller’s Archiv 1857 S. 34 gezeigt habe. wenns an mine Zitee 18* nern 276 A.W. Volkmann: Hätte nun Weber eine sehr grosse Anzahl von Versuchen angestellt, so liesse sich hoffen, dass diese Fehler sich gegen einander ausgleichen und die Aufstellung eines mittleren Län- genwerthes gestatten würden, aber zwei Beobachtungen an | a Muskeln und drei an b Muskeln lassen sich zu diesem Zwecke nicht verwerthen. Gleichwohl hat Weber nicht nur seine paar Beobachtun- gen zur Berechnung von Mittelwerthen benutzt, sondern er hat sogar noch eine Beobachtung, die seinen Betrachtungen ungünstig war (die 6te) gestrichen! Dies Verfahren rechtfer- tigt er höchst unzulänglich dadurch, dass Beobachtung 6 zu Beobachtung 2 und 10 nicht passe. Nur wo zahlreiche Beob- achtungen vorliegen, ist das Wegwerfen einzelner, die aus der Reihe fallen, zulässig. Freilich ist Beobachtung 6 höchst wahrscheinlich falsch, aber dies berechtigt nicht sie zu elimi- niren, denn die Versuchsreihe enthält noch mehr Fälle, die höchst wahrscheinlich falsch sind!). Wenn Weber mit Be- zugnahme auf gewisse Wahrscheinlichkeitsgründe einen Fall, der ihm unbequem ist, eliminirt, und dann zu dem gewünsch- ‘ten Resultate kommt, es sei gleichgültig für den Erfolg, ob der Muskel vor oder nach der Contraction belastet werde, so brauche ich nur seinem Beispiele zu folgen, um aus der- selben -Versuchsreihe das Gegentheil abzuleiten. Ich sage: die Länge des thätigen a Muskels in Versuch 4 ist durch einen Versuchsfehler zu klein. Denn sie ist nicht Y grösser als die Länge des thätigen b Muskels in Versuch 2, obschon sie durch die Ermüdung einen merklichen Zuwachs erhalten haben musste. Eine zweite Andeutung, dass die in Frage gestellte Länge zu klein sei, liegt in Folgendem. Der Längenunterschied der thätigen Muskeln in Versuch 2 und 10 beträgt 2 Millimeter, und ist die Fulge der durch 8 Versuche bedingten Ermüdung. Aller Wahrscheinlichkeit entgegen un- terscheiden sich der Tabelle zufolge die Längen der beiden a Muskeln ebenfalls um 2 Millimeter. Dies sollte nicht sein, 1) So lässt die viel zu grosse Länge des thätigen Muskels in Ver- | such 11 auf ein starkes Versehen schliessen. | Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilitä. 277 da sie nur um 4 Ermüdungsstufen aus einander liegen, und der offenbar zu grosse Unterschied fiele weg, wenn a im 4ten Versuche länger wäre. Wir wollen also die handgreif- lich falsche Beobachtung 4 streichen, und, wie nun die Noth gebietet, nur die Beobachtungen 5—11 in Rechnung bringen. Dann ist‘ die Länge des thätigen a Muskels = 25 Mm., da- gegen die Länge des thätigen b Muskels (im Mittel von Ver- such 6 und 10) nur 23,3 Mm.! | Kommen wir zum Schlusse. Da das unvollkommene Ex- perimentalverfahren, dessen sich Weber bediente, zu ansehn- lichen Versuchsfehlern Anlass geben musste, und nachgewie- sener Massen Anlass gegeben hat (denn der von Weber selbst urgirte Messungsfehler in Versuch 6 beträgt '/,; der. Muskellänge), so hindert nichts anzunehmen, dass der Län- genunterschied des a und b Muskels, dessen heständiges Da- sein von mir auf das Bündigste erwiesen worden, sich in der Weber’schen Versuchsreihe hinter den Beobachtungsfehlern verstecke. Freilich müsste dann der bezügliche Längenunterschied ein sehr geringer gewesen sein, indess kann ich nachweisen, dass die von Weber benutzte Experimentalmethode in der That die Werthe jener Längenunterschiede ausserordentlich herabdrückte. Weber hat die Muskeln, an welchen er ex- perimentirte, tetanisirt, während ich durch Inductions- schläge reizte, und nur hieran liegt es, dass seine Resul- tate von den meinigen abweichen. Ich darf erwarten, dass die nähere Begründung dieses Ausspruches für alle Fachge- nossen von Interesse sein werde. Versuche, welche nach den verschiedensten Methoden an- gestellt worden, haben ganz allgemein bewiesen, dass die Länge des thätigen belasteten Muskels eine Funetion der Arbeit sei. Je mehr der Muskel im Contractionsacte ange- strengt worden, um so weniger contrahirt er sich, oder mit andern Worten, um so länger ist er im Momente der gröss- ten Verkürzung. Da die a Methode den Muskel mehr anstrengt als die b Methode, wie früher erörtert worden, so war vorauszusehen, b Y My: 278 A. W. Volkmann: dass die Länge des thätigen a und b Muskels verschieden ausfallen und dass die des ersteren überwiegen müsse. Da- gegen ist fraglich, ob unbeschadet meiner Grundansicht diese von der Experimentalmethode abgeleitete Längendifferenz unscheinbar werden, vielleicht sogar gänzlich fehlen könne, Offenbar hat Weber diese Frage bei sich selbst verneint, während ich sie bejahe. Ich behaupte, dass die Grösse jener Längendifferenzen, welche von den Anstrengungen der Ver- suchsmethoden a und b abhängen, in einem reciproken Ver- hältnisse. zu einer zweiten Anstrengung stehn, welche ihrer- seits unabhängig von diesen Versuchsmethoden ist. Ganz unabhängig vom Experimentalverfahren a und b ist nämlich die Anstrengung, welche vom Reize ausgeht. Reizt man den Muskel durch :Inductionsschläge, so ist diese An- strengung sehr klein, und folglich machen sich die Anstren- gungen der Versuchsmethoden nebst ihren Folgen sehr gel- tend; reizt man dagegen durch Tetanisirung, so ist die An-| strengung des Muskels (mit Bezug auf die Menge der unab- ı lässig wiederkehrenden Reize) sehr gross, demnach werden | die von dem Experimentalverfahren a und b abhängigen An-ı strengungsdifferenzen in den Hintergrund treten, Der Fall! verhält sich ganz ähnlich wie folgender: Wenn man in ein‘ Zimmer, welches von einer Kerze beleuchtet wird, eine zweite bringt, so ist der Unterschied der Helligkeit in beiden Fällen - sehr auffallend. Ob man aber in ein Zimmer, welches von‘ 100 Kerzen beleuchtet wird, noch eine oder noch zwei andre‘ bringe, wird kaum bemerkt werden. Ist also meine Lehre‘ von dem Einflusse der Arbeit auf die Länge der thätigen ® Muskeln in der Natur begründet , so versteht sich von selbst, ' dass der Längenunterschied der a und b Muskeln beim Te- tanisiren dieser abnehmen und bei heftigster Reizung unmerk- \ lich werden müsse. | Um diese Betrachtungen zu rechtfertigen, werde ich Er-ı fahrungen vorlegen. Ich habe an einem frisch eingefangenen, \ sehr grossen nnd kräftigen Frosche eine lange Versuchsreihe ı in zwei Abtheilungen angestellt. In den ersten 33 Versuchen N wurde die Reizung des Muskels durch Inductionsschläge ver-! Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 279 mittelt, in den folgenden 21 Versuchen durch Tetanisirung. Der Federhalter, von 2,7 Gr. Schwere, war am m. byoglossus in der Gegend der Zungenwurzel befestigt. Versuchsreihe XIV. Abtheilung 1, durch Inductionsschläge gereizt. Muskellänge Versuch. Belastung. unthätig. thätig. Hubhöhe. Muskel. Gramm. Mm. Mm. Mm. 1 0 - 42,5 27.0 139 u 2 hi) 42,5 29,8 12,7 b 3 5 48,1 38,7 9,4 a 4 5 42,8 Sa ri b d 0 42,9 27,0 15,9 u 6 H) 42,6 82,6 10,0 b Z hi) 48,2 38,9 akt a 8 h) . 42,5 32,9 9.6 b "gs 0 42,6 za. 15,5 u 10 5 42,6 32.2 10,4 b 11 3 48,0 B>P%) 3.9; 2) 12 5 20 .:.708.0 3 b ‚13 0 42,9 27.0 39:5 u 14 8 42,8 32,4 10,4 b 15 5 48,2 36,4 11,8 a 16 d 42,8 9359 375 b 17 0 42,6 27,6 15,0 u 18 5 43,0 322 10,8 b 19 5 48,4 38.9 2 a 20 d 43,0 34,4 8,6 b 21 0 43,0 28,5 14.5 u „22 d 43,0 EL. 93 b 23 d 48,3 388 9,9 a 24 3 43,1 34,6 8.5 b 25 0 43.1 26,6 16,5 u 26 d 45,1 54,9 8,8 b 27 d 48,5 38,9 9.6 a 28 hi) 43,3 34.7 8.6 b 29 0 43,2 27,8 15,4 u 30 h) 43,6 34,1 9,5 b 31 > 48,8 38,8 10,0 a 32 b) 43,6 34,6 9,0 b 33 0 43,4 27,4 16,0 u 280 A.W. Volkmann: . | ron Abtheilung 2, durch Tetanisiren gereizt. ti9 Muskellänge N 4 Versuch. Belastung. unthätig. thätig. Hubhöhe. Muskel. Gramm. Mm. Mm. Mm. e B 34 0 43,4 79 35,5 u 35 5 43,4 13:9 29:5 be 3b. 5 46,9 15,4 31:5 a 37 5 43,4 16,2 27.2 b 38 0 43,4 9,8 33,6 u V 39 5 43,6 19,0 24.6 b 40 5 45.2 20,8 24.4 am 4l Be 43,4 22,6 30,8 b 42 0 41.4 16,0 25,4 u 43 5 41,4 26,9 14,5 b 44 5 44,5 28,6 15,9 u 45 5 42. 222.8 11,4 b 46 0 40,7 20,2 20,5 u 47 5 40,9 32.2 8,7 bie 48 5 44,0 33,5 10,5 a 49 5 40,4 33,0 7,4 b 50 0 40,0 24,3 19,7 u 51 5 40,4 39.2 5,2 b 2 h) 44.2 36,7 1.9 a 53 5 40,4 36,6 3,8 b 54 0 40,3 27,3 13,0 0% Nach Ausgleichung der Ermüdungseinflüsse erhält man folgende Werthe. u Berechnung der Versuchsreihe XIV. Ermüdungsstufe Länge des thätigen Verhältniss. Reiz. nach Versuch. Muskels. Y- u bat, Eka sicher 4 Mm. Mm. Mm. * 3 27,0 31.5:07738.7 1,219 ) Si 7 27.05... 83,75 238.5 1176: = 11 05 99 0 m9sg5 1.181 = 15 27,30. 32,85 36.4 1,108 2 19 28,05... 33,3 38,9 1,168 S. 23 97.55,°2.34.15, 38,8 1,136 | Su 27 97,02 34,50 38,9 1,127 5 3] 27.60 34.35 38,8 130 ) VE 1 Versuche und Betrachtungen über Muskelcontraetilität. 281 Ermüdungsstufe Länge des thätigen Verhältniss. Reiz, nach Versuch. Muskels. rn, u b a »:b Mm. Mm. Mm. 36 8,85 15.05 15,40 1,023 40 12.9 20,8 20,80 1.000 4 ch 44 It 28,35 28.60 1.009 S = 48 22.25 32,60 33,90 1,028 & ‘= ap} 25.80 39,90 36,70 1.022 Die Versuche bestätigen also die von mir angestellte Be- trachtung aufs vollständigste. Die Längendifferenzen der a und b Muskeln sind in der Abtheilung, wo wir tetanisirten, ohne Ausnahme viel kleiner als in der Abtheilung, wo wir durch Inductionsschläge reizten; ja es kommt sogar ein Fall vor, wo die Differenz ganz schwindet (Ermüdungsstufe 40). Da nun Weber die Muskeln stets tetanisirte, so ist begreif- lich, dass er in seiner Versuchsreihe 2 kleine Differenzen erhielt, desgleichen nicht auffallend, dass in seiner Versuchs- reihe 1 die sehr kleinen Differenzen sich hinter den grossen Beobachtungsfehlern verstecken. Vollständig widerlegt end- lich ist Weber’s Vermuthung, dass die Längendifferenzen der a und b Muskeln, in wiefern sie vorkämen, nur in Folge der Ermüdung auftreten. Meine Versuche sind an einem frisch eingefangenen und äusserst kräftigen Frosche gemacht, und die Tabelle lehrt, dass gerade in den ersten Beobach- tungen, wo der Muskel am wenigsten angestrengt war, die in Frage stehende Differenz am deutlichsten hervortritt, wäh- rend sie in der zweiten Abtheilung der Versuche, wo die be- trächtliche Verminderung der Hubhöhen auf eine grosse Er- müdung des Muskels zu schliessen gestattet, der Einfluss der a und b Methode auf die Muskellängen kaum merk- lich ist. Fast überflüssig ist es zu bemerken, dass die ausseror- dentlich geringen Längenunterschiede der a und b Muskeln, welche in der zweiten Abtheilung der Versuchsreihe XIV. zum Vorschein kommen, nicht etwa massgebend für alle Fälle sind, in welchen die Reizung des Muskels durch Te- tanisiren bewirkt wird. Auch in tetanisirten Muskeln können 282 A. W. Volkmann: die von der a und b Methode abhängigen Längendifferenzen deutlich hervortreten, man braucht, um sich hiervon zu über- zeugen, nur mit recht geringer Stromstärke zu arbeiten. (Vgl. Versuchsreihe IV.) So viel zur Abwehr der gegen mich gerichteten Angriffe. — Wer sich die Mühe genommen, meinen vorstehenden, freilich etwas weitschichtigen Auseinandersetzungen zu fol- gen, der muss sich überzeugt haben, dass die von Weber verheissene experimentelle Widerlegung meiner Versuche verunglückt ist. Weber hat nur einen Theil der Versuche, auf welche sich meine Betrachtungen stützen, nachgemacht, er hat keinen einzigen derselben streng wiederholt, sondern sich in jedem Falle Modificationen, zuweilen höchst einfluss- reiche, gestattet: wie hätte ich auf diesem Wege widerlegt werden können? Ueberhaupt hat Weber von den Erschei- nungen, die ich behandle, zu wenig gesehn, um ein entschei- dendes Urtheil zu haben. Dafür spricht nicht blos seine an Beobachtungen arme Gegenschrift, sondern viel bestimmter der Umstand, dass ihm die Bedeutung, welche die verschie- dene Stärke und Dauer des electrischen Reizes in unserer Streitfrage haben, ganz entgangen ist. Die von mir gegebenen experimentellen Beweise, dass die Länge der ihätigen Muskeln merklich von der Grösse ihrer Arbeit abhänge, stehn also unerschüttert fest, und es kann demnach nur fraglich sein, ob die von mir ermittelten Thatsachen für die Kritik der Elastieitätstheorie von Be- lang sind. | Weber selbst äussert in dieser Beziehung (S. 169), dass, die Richtigkeit der von mir gewonnenen Resultate voraus- gesetzt, dieselben mit seiner Lehre allerdings vereinbar wä- ren. Die Ermüdung des Muskels sei nämlich nicht blos von der Dauer des thätigen Zustandes, Son- dern auch von der Grösse der Anstrengung des Muskels während derselben abhängig, und wiederum habe er den Einfluss der Ermüdung auf die elastischen Kräfte ausdrücklich hervorgehoben. Dies Alles scheint mir vollkommen begründet und ist Versuche und Betrachtungen über Muskeleontractilität. 7283 nirgends von mir in Abrede gestellt worden. Im Gegentheil! obschon ich geneigt war zu zweifeln, dass die Längendiffe- renzen thätiger Muskeln, die ich bei Anwendung verschie- dener Experimentalmethoden beobachtet hatte, nur auf Er- müdungsvorgängen beruhen sollten, so habe ich sie doch in meiner Abhandlung als solche dargestellt; denn bei der An- erkennung, welche die Betrachtungen Weber’s bereits errun- gen, schien es mir angemessen, meine eigenen, noch keines- wegs abgeschlossenen Ansichten denselben vorläufig unter- zuordnen. Mit Rücksicht auf Weber’s Annahme, dass eine Verein- barung meiner Versuche mit seiner Lehre möglich sei, wenn nur die Ermüdungseinflüsse in ihrem ganzen Umfange in Anschlag gebracht würden, hatte ich das Zugeständniss ge- macht, dass eine Ermüdung vorkomme, die in jedem einzel- nen Versuche rasch entstehe und eben so rasch verschwinde, weil die zwischen je 2 Oontractionen eintretende Ruhe eine fast vollständige und merkwürdig rasche Wiederherstellung der verbrauchten Kraft vermittlee — Nämlich so, und nur so, liess sich begreifen, dass ein Effect der Anstrengung, welchen Weber in die Kategorie der Ermüdung zu bringen wünschte, einem ersten Versuche anhaften, und einem zwei- ten, unmittelbar folgenden, fehlen konnte. Man erinnere sich, um das Gesagte zu verstehen, der d Versuche mit ge- henkelten Gewichten. Wird das Gewicht dem Federhalter einfach angehangen, so dass es vom Beginn der Verkürzung an als Last wirkt, so contrahirt sich der Muskel verhältniss- mässig wenig und nimmt eine Länge an, die wir mit 1 be- zeichnen wollen. Wird dann in einem zweiten und unmittel- bar folgenden Versuche dem Gewichte eine Flucht gestattet, so dass der Muskel sich eine Zeit lang contrahirt ohne die Mühe des Hebens zu haben, so verkürzt er sich kräftiger und gewinnt nicht die Länge 1, sondern die Länge 1—m, d.h. er wird im zweiten Versuche um m kürzer als im ersten. Soll dieser Unterschied der Erfolge durch Ermüdung erklärt werden, und dies beabsichtigt ja Weber, um meine Ver- suche mit seiner Lehre in Einklang zu bringen, so bleibt 284 A. W. Volkmann: nichts übrig als zu sagen: der Muskel im zweiten Versuche hat sich kräftiger contrahirt, weil ihm eine Ermüdung erspart wurde, und weil er sich kräftiger contrahirte, ist er um m kürzer. Selbstverständlich muss man hiernach auch sagen: der Muskel im ersten Versuche ist um m länger, als‘ der Muskel im zweiten, weil er mehr ermüdet wurde, und sein Längenüberschuss = m ist der Effect der Ermüdung. Nun fehlt aber dieser Längenüberschuss im zweiten Versuche, und folglich ist der Ermüdungseffect zwischen dem ersten und zweiten Versuche beseitigt worden. Gleichwohl rügt die Gegenschrift (S. 183), dass ich der Ermüdung nicht nur übertriebene Wirkungen, sondern auch besondere, ganz wunderbare Eigenschaften zuschreibe. Aber Weber dürfte nur die Wahl haben, ob er meine son- derbare Ermüdung acceptiren, oder auf die Hinterthür der Ermüdung, die er sich öffnet, verzichten will. ‚Ich sehe hier kein tertium. Um den oppositionellen Charakter meiner Arbeit näher zu bezeichnen, so habe ich nicht behauptet und noch viel weniger behaupten wollen, dass meine Versuche geeignet wären, die Weber’sche Theorie zu widerlegen, sondern ich habe mit Bezugnahme auf meine Versuche zu erweisen gesucht: Erstens: dass die Experimente Weber’ s über die Mus- keldehnbarkeit der Vergleichbarkeit unter sich entbehren, und eben deshalb zur Ableitung allgemeiner Folgerungen unbrauchbar sind, und Zweitens: dass die Elastieitätstheorie, welche Weber als die einzig zulässige voraussetzt, einer derartigen Ausbil- dung, wie die exacten Wissenschaften sie beanspruchen, un- fähig scheine. — Anlangend den ersten Punkt, so spreche ich in Uehiik einstimmung mit Weber (s. dessen Gegenschrift S. 194) phy- sikalischen Versuchen die Vergleichbarkeit unter sich dann ab, wenn einflussreiche Verhältnisse auf die einen eingewirkt haben, auf die andern nicht. Dass Versuche, welchen die Vergleichbarkeit abgeht, nicht zur Begründung allgemeiner Folgerungen dienen können, versteht sich von selbst, und es - Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 285 bleibt also nur die Frage übrig, ob die von mir angegriffenen Versuche unter dem Einflusse gleicher Verhältnisse angestellt wurden, oder nicht. Die Frage, welche gelöst werden sollte, war die: ändert sich die Dehnbarkeit thätiger Muskeln mit den Gewichten, und wie ändert sie sich? Um diese Frage zu lösen, wird ein und derselbe Muskel in einer Reihenfolge von Versuchen mit verschiedenen Gewichten belastet, nachdenı er durch die Belastung eine Verlängerung erfahren, tetanisirt und im Mo- mente der grössten Verkürzung gemessen, Dass nun aus derartigen Unterlagen nicht ohne Weiteres auf die Dehnbarkeit des thätigen Muskels gefolgert werden könne, lag auf der Hand. Die Versuche waren unvergleich- bar, weil der Einfluss der Ermüdung, welcher beim Tetani- siren sehr beträchtlich ist, sich in den verschiedenen Ver- suchen in sehr verschiedenem Grade geltend machen musste. Um diesem Uebelstande zu begegnen, benutzte Weber sein bekanntes Verfahren zur Ausgleichung der Ermüdungseffecte, ein Verfahren, welches im günstigsten Falle bewirken kann, dass die Ermüdungseffecte, die in einer Versuchsreihe von einem Falle zum andern continuirlich wachsen, zwischen alle Versuche gleichmässig vertheilt werden. Mit derartigen Aus- gleichungen glaubte Weber alles Ungleichartige, was seinen Versuchen anhaftete, beseitigt zu haben, täuschte sich aber indem die Ungleichheiten übrig blieben, welche der Grösse der Anstrengung entsprachen, die der Muskel in jedem neuen Versuche von neuem zu machen hatte. Es kann nämlich nach allen von mir vorgelegten Erfah- rungen kein Zweifel sein, dass die Arbeit des Hebens Ver- änderungen in dem Muskel hervorruft, welche nicht wie die Ermüdungseffecte von einem Versuche zum andern fortwach- sen, sondern ihre Wirksamkeit auf die Dauer der Periode beschränken, innerhalb welcher der Contractionsact seinen Ablauf nimmt. Solche Veränderungen entstehen in Folge der geringsten Differenzen der Anstrengung und erstrecken ihre Wirksamkeit bis auf 'die Molecularverhältnisse, von wel- chen die elastischen Kräfte abhängen. So fand sich in den d Versuchen, dass die kleinste Vergrösserung der Flucht, 286 A. W, Volkmann: die man dem gehenkelten Gewichte gestattet (also die kleinste Erleichterung der Arbeit) auf die Grösse der Dehnbarkeit einen merklichen Einfluss ausübte. Weiter: ein Zungenmus- kel, welcher das kleine Gewicht von 5 Gramm, eine fast verschwindend kurze Zeit getragen, vermag, nachdem er ent- lastet worden, sich nicht in dem Grade zu verkürzen, als er dies in einem zweiten und folgenden Versuche vermag, in welchem diese unbedeutende Arbeit ihm erspart wird. Es ist also einleuchtend, dass ein Muskel, welcher sich in dem einen Falle durch das Aufheben eines grösseren Gewichts mehr angestrengt hat, als in einem andern Falle, durch Auf- heben eines kleinern, sich in jedem dieser Fälle unter dem Einflusse anderer Verhältnisse befindet, und Versuche, in welchen derartige Verschiedenheiten sich geltend machen, hatte Weber selbst unvergleichbar genannt. Auf diese Unvergleichbarkeit der Weber’schen Versuche hatte ich in meiner kleinen Abhandlung aufmerksam gemacht, und ich kann mein Befremden nicht unterdrücken, dass We- ber dem Einwurfe, der hierin lag, allen logischen Zu- sammenhang abspricht. Er urgirt, dass er in seinen Ver- suchen sich immer derselben Methode (der a Methode) be- dient habe, Gesetzt — sagt er — dieselbe brächte Nach- theile mit sich, so müssten dieselben alle Versuche gleichmässig treffen und folglich die Vergleichbarkeit derselben unberührt lassen. — Ich muss nochmals beklagen, dass Weber sich durch meine Einwürfe in einem Grade verstimmen lässt, wel- cher der Unbefangenheit seines Urtheils wesentlich schadet. Der Vorwurf der Unvergleichbarkeit, welchen ich seinen Versuchen gemacht habe, steht mit der a Methode und ihrer constanten Benutzung in gar keinem Zusammenhange, son- dern bezieht sich lediglich auf den Wechsel der Belastung und die den verschiedenen Belastungen inhärirenden Diffe- renzen der Anstrengung. Dies ergiebt sich aus dem Wort- laute meiner Abhandlung so unmittelbar, dass ich nicht be- greife, wie Missverständnisse in dieser Hinsicht möglich waren. So. schlimm dies klingt, so berechtigt scheint mir's, zu sagen, dass die von Weber ausgeführten Messungen thätiger Muskeln, mit Rücksicht auf den Zweck, den er im Auge Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. 287 hatte, zu gar nichts geführt haben. Die Frage: „ob die Dehn- barkeit der thätigen Muskeln mit den Gewichten sich ändere, “und wie?“ ist durch Versuche, denen die Vergleichbarkeit abgeht, ihrer Lösung nicht näher gerückt worden. Anlangend den zweiten von mir gemachten Einwurf, so bin ich der Ansicht, dass die im Vorhergehenden erläuterten Uebelstände unheilbarer Art sind, in welchem Falle der Elastieitätslehre alle Lebensfähigkeit vollständig abzusprechen sein würde. Die Erscheinungen, an welchen wir die Dehnbarkeit stu- diren, hängen den Versuchen zu Folge auch von der Grösse der Arbeit ab, welche mit der Contraction des Muskels ver- bunden ist. In sofern es sich nun um die Dehnbarkeit thä- tiger Muskeln handelt, ist dieser Einfluss der Arbeit nicht eliminirbar. Das würde an sich nichts schaden, wenn die von ihm ausgehenden Störungen eine Ausgleichung gestatte- ten. Aber dieselben Gewichte, mit welchen wir den Muskel belasten um seine Formveränderungen als ‚dehnbarer Körper kennen zu lernen, verändern gleichzeitig die Form desselben durch den Einfluss der Anstrengung, und weiter: dieselben Variationen der Belastungsgewichte, die wir herbeiführen, um den Einfluss der Anstrengung auf die Muskellänge zu ergründen, verändern diese Länge durch das Mittel der Zug- kraft, Indem wir weder die Wirksamkeit verschiedener Zug- kräfte bei gleicher Arbeit, noch die Einwirkung der von den Gewichten abhängigen Anstrengung bei gleichen Zugkräften beobachten können, muss uns das Gesetz, nach welchem die Zugkraft einerseits und die Anstrengung andrerseits die Form des Muskels verändert, stets unbekannt bleiben. Ich will diese wichtige Behauptung‘ noch in anderer Form begründen. Untersuchen wir zunächst, unter welcher Vor- aussetzung die Ableitung des Dehnbarkeit- Gesetzes aus den uns gegebenen Thatsachen denkbar wäre. Gegeben sind nämlich Längenniessungen thätiger Muskeln, welche in nach- weislich verschiedenem Grade belastet sind. Die Längen L dieser Muskeln sind abhängig: 1) von der natürlichen Länge des thätigen Muskels = 1. 2) von den elastischen Kräften des Muskels = e. i 288 A. W. Volkmann: Versuche u. Betracht. üb. Muskelcontractilität. '3) von den Belastungsgewichten = p. Es ist also die Länge des thätigen Muskels, welche durch die Versuche gegeben ist, eine zusammengesetzte Function: L=g(l, e, p). Nun ist einleuchtend, dass das gesuchte Gesetz: wie die Längen des thätigen Muskels mit den Belastungsgewichten wachsen, sich würde finden lassen, wenn l und e constante‘ Grössen wären. In diesem Falle wären nämlich die Längen- veränderungen nur abhängig von dem variabeln Gewichte, Eben so einleuchtend ist andrerseits, dass, wenn l und e variabel sind, die mit der verschiedenen Belastung eintreten- den Veränderungen des Werthes L uns keinen Aufschluss über das gesuchte Gesetz geben, wofern nicht die Werthe l und e gegeben und das functionale Verhältniss zwischen L und diesen beiden Gliedern der Gleichung bekannt ist. . Bei- des ist nicht der Fall. Sowohl 1 als e sind meinen Versu- chen zufolge wieder Functionen von p, d. h. abhängig von der Anstrengung, die mit dem Heben des Gewichtes verbun- den ist. In welchem functionellen Verhältnisse zum Ge- wichte sie stehen, weiss man aber nicht, und was die Haupt- sache ist, die Elasticitätslehre besitzt keine Mittel, diese Lücke unseres Wissens auszufüllen. Dies der Grund, weshalb ich die Weber’sche Elasticitäts- lehre keiner derartigen Ausbildung fähig erachte, wie sie die exacten Naturwissenschaften beanspruchen. Eine Theorie soll zeigen, wie das, was geschieht, die gesetzliche Folge der gegebenen Bedingungen ist. Sie soll aber durch diesen Nachweis erklären was geschieht, und vorauszusehen ge- statten, was geschehen wird. Freilich besitzen wir im Ge- biete der physiologischen Wissenschaften noch keine Theo- rien, welche diesem Anspruche genügen, und müssen in Hoffnung einer Reife, die sie noch gewinnen werden, die Unreife, die sie jetzt haben, geduldig hinnehmen. Lässt sich aber nachweisen, dass eine physiologische Theorie ihrer Na- tur nach unfähig ist sich zu Dem zu entwickeln, was sie werden sollte, so ist es gerathen, sie aufzugeben und an eine andere zu denken. i Dr. A. Krohn: Ueber Pilidium und Actinotrocha. 289 Ueber Piliddium und Aectinotrocha. Von Dr. A. Kronn. Pilidium. Das fast constante Vorkommen einer jungen Nermertine (des Alardus Busch) im Innern des Pilidium, hat zu zwei ent- gegengesetzten Deutungen Anlass gegeben. Nach der einen liegt dieser Erscheinung möglicherweise ein (Tenerations- wechsel zu Grunde. Das Pilidium erzeugt die Nemertine und hätte sonach die Bedeutung einer Amme. Nach der andern Ansicht liesse sich das Verhältniss aus einem nur zeit- weiligen Aufenthalte der Nemertine in der nach aussen offe- nen Leibeshöhle des Pilidium erklären. Die Einwanderung des Wurms sei um so eher denkbar, als beide Thiere durch die Art des Einfangens mit dem feinen Netz von weit her zusammengebracht, und mit dem ganzen Auftrieb des Fischens auf eine verhältnissmässig kleine Wassermenge ver- seizt seien. (J. Müller: über verschiedene Formen von Seethieren. Arch. f. Anatom. u. Physiol. 1854 p. 81).') agus einem Briefe an mich vom 13. October 1854 ersehe ich, dass J. Müller diese Ansicht seit seinem letzten Aufenthalte in Hel- goland aufgegeben hat. Ich erlaube mir folgende darauf Bezug ha- bende Stelle aus jenem Briefe hier mitzutheilen: „Von Pilidium kamen zwei Arten vor. Beide enthielten bei einer gewissen Ausbildung und Grösse in der Regel einen Nemertinen, und bei der einen Art war es wieder der Alardus caudatus. Exemplare von gleicher Grösse, welche keinen Wurm enthielten, waren etwas verschrumpft und hatten den Federbusch verloren, sie bewegten sich wie die andern, etwas langsamer. Alies dies ist der Ansicht vom Generationswechsel dieser Thiere günstig.“ Müller’s Archiv. 1868. 19 990 Dr. A. Krohn: Dass die Nemertine im Innern des Pilidium entsteht und # sich entwickelt, dafür spricht nach meinen neuerdings ange- stellten Untersuchungen sowohl der innige Zusammenhang beider mit einander, als auch das Schicksal, das dem Pilidium zur Zeit der vollendeten Reife des Wurms bevorsteht. Nach einzelnen Beobachtungen möchte ich vermuthen, dass der Wurm schon frühe, ehe noch das Pilidium seine völlige Aus- bildung erreicht hat, angelegt werde. Die deutlich abgegrenzte Höhle, in welcher der Wurm zur Zeit der herannahbenden Reife liegt, mündet keineswegs, wie man bisher angenommen hat, durch die runde, von einem flimmernden Wulste umgebene Oeffnung an der Unterseite des Hutes oder Schirms, nach aussen. Dieser Eingang führt vielmehr direct in den Darm des Wurms, ist mithin die Mund- öffnung des letztern. Um den Mund herum steht nun der Wurm, der sonst so frei in der Höhle liegt, dass man ihn zu Zeiten: lebhaft sich bewegen sieht (J. Müller ]. c. p. 80, Sl), in festem Verbande mit dem Pilidium. | Auf der Innenseite jedes der beiden abwärts gerichteten Sehirmlappen findet sich ein schmaler flimmernder Streifen, welcher in bogenförmiger Krümmung gegen den Mund aufsteigt und zuletzt mit dessen wimpernder Umwallung zusammen- trifft. Ohne Zweifel wird durch diese Vorrichtung dem Wurme die im Wasser vertheilte nöthige Nahrung zugeführt. Wenn der Wurm seine völlige Reife erlangt hat, so durch- bricht er den obern oder gewölbten Theil des Schirms, wel- cher alsbald zusammenfällt und einschrumpft, während die Schirmlappen keine sichtliche Veränderung erleiden. Der auf solche Weise frei zu Tage getretene Wurm hängt.dann nur noch in der oben angeführten Gegend um den Mund, dem Ueberreste des Pilidium an, Ob nun dieser Ueberrest obne Weiteres abgestossen wird, oder ob er, wie ich es in einem Falle gesehen, von dem Wurme verschlungen wird, darüber mögen künftige Beobachtungen entscheiden. Ich be- merke nur noch, dass der Wurm mit dem Hinterleibe zu- nächst aus dem Schirm hervortritt.!) I) Max Müller hat einen Fall beobachtet, wo der Schwanzan- hang des sich fortwährend bewegenden Alardus, nach dem Gipfel des Ueber Pilidium und Actinotrocha, 291 'Es scheint jedoch, dass der Wurm nicht immer auf dem eben angedeuteten Wege sich freimacht. Es mag Fälle ge- ben, wo er von der Unterseite des Schirms aus zu Tage tritt. Es sprechen dafür die von J. Müller (l. e, p. 80) er- wähnten herumkreisenden Pilidien, die keinen Wurm in ihrem Körper enthalten. Derartige Exemplare habe auch ich, wenn- gleich selten, angetroffen, Ueber das endliche Loos dieser Pilidien kann nach der oben (Anmerk. 1) angeführten Beob- achtung von J. Müller kein Zweifel sein. Sie gehen all- mählig zu Grunde. Die von Desor und M.Schultze beobachtete Entwicke- lung einer wahrscheinlich mit Nemertes olivacea Johnst. iden- tischen Art, unterscheidet sich von der hier zur Sprache gebrachten, wie es scheint, nur darin, dass die Larve nicht zum Pilidium sich ausbildet, vielmehr auf dem Embryonen- zustande verharrt. Im Uebrigen ist aber die Analogie un- verkennbar. In dem letzten, dem Ausschlüpfen der jungen Turbellarie vorausgebenden Stadium, liegt diese auch hier ganz frei im Innern der Larve, und steht nur noch um den Mund herum, den man an der wimpernden Oberfläche der Larve deutlich als eine von wulstigen Lippen begränzte Oeff- nung unterscheidet, mit ihr in Verbindung. Beim Hervor- schlüpfen des Wurms löst sich die Larve in einzelnen Bruch- stücken bis auf die gedachte Stelle um den Mund, die erst später sich lostrennt, ab (M. Schultze in der Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. 4 p. 181 sq.). Bei der grossen Einförmigkeit der Pilidien im Aeussern, . lassen sich die verschiedenen Arten meist nur an dem in ihnen eingeschlossenen Wurme erkennen. Bald ist der Wurm mit einem Schwanzanhange versehen, bald wieder nicht, wie schon J. Müller (Anmerk. 1) nachweist. Im letztern Falle zeigte er sich mir entweder spindelförmig oder hinten breiter und abgerundet. Bei manchen Pilidien besitzt er zwei Augen- Schirms gerichtet war (s.J.Müllerl.c. p. 81 Tab. IV. Fig. 4). Wahr- scheinlich war der Wurm in diesem Falle nahe daran den Schirm zu durchbrechen. ei r9° 299 | Dr. 3 Krohn: punkte; bei andern: ist er augenlos. . Der Darm des: Wurms ist bald gelb oder braun gefärbt, bald farblos. Zuweilen spricht sich jedoch die Artdifferenz schon im Aeussern aus. So habe ich ein kleines Pilidium beobachtet, das von den gewöhnlichen Formen sichtlich abweicht. Die beiden senkrecht nach unten gerichteten Schirmlappen sind nur von geringem Umfang, viel länger als breit. Von den beiden wagerechten Lappen ist der eine viel stärker ausge- bildet als der gegenüberstehende. Es erinnert mich dies Pilidium ganz an eine von Busch beschriebene Form (Beob- achtungen über Anatomie und Entwickelung einiger wirbel- losen Seethiere,, p. 107 Tab. XVI. Fig. 1.u. 2). Busch hält sie für noch nicht völlig entwickelt, indem er ihren Ueber- gang in das Pilidium gyrans beobachtet haben will. Wie dem auch sei, das von mir geschene Pilidium war gewiss vollkom- men ‚ausgebildet. Es enthielt einen nahezu reifen Wurm. Als ich diesen herauslöste, schwamm er burtig davon. Sein Leib zeigte sich vorne breit und abgerundet und lief, allmäh- lig sich verschmächtigend, in eine stumpfe Spitze aus. Nach J. Müller’s interessanter Beobachtung unterschei- den sich einzelne Pilidien noch dadurch, dass sie in einem spätern Entwickelungsstadium zwei bis vier napfartige Or- gane erhalten (J. Müller I c. p.82 Tab. IV. Fig. 5— 8). An den aus den verschiedenen Pilidien künstlich heraus- beförderten Nemertinen, lassen sich zuweilen schon die bei- den Kopffurchen, die Wimpergrübchen mit ihren abwech- selnd sich öffnenden und schliessenden Mündungen, so wie zwei helle zu den Seiten des Rüssels nach dem Kopfende zu sich erstreckende Streifen, die ich für Wasserkanäle hal- ten möchte, unterscheiden. In einem dieser Würmer be- merkte ich auf jeder Seite zwei hinter einander gelagerte, unverhältnissmässig grosse Kopfganglien. Die Innenwand des Rüssels enthielt zahlreiche runde Haufen sehr kleiner, dichtgedrängter, stabförmiger Körperchen. Ueber die Bedeutung dieser stabförmigen Körperchen ist man, selbst nach den schätzenswerthen Untersuchungen von M. Müller (Observationes anatomicae de vermibus maritimis Ueber Pilidium und Actinotrocha. 293 p. 27), noch immer nicht im Reinen. J. u. M. Müller er- wähnen einer mit dem Netz eingefangenen Nermertine von on — 0", in deren Rüssel diese Körperchen zerstreut vor- gefunden wurden (M. Müller l.c. p. 29 Tab. I. Fig. 28). Ganz ähnliche Körperchen habe ich im Rüssel einer jungen Nemertine, die in mehreren Exemplaren vorkam, angetroffen. Die Körperchen ragten mit dem einen Ende (wahrscheinlich dem spitzern) auf der Innenwand des Rüssels hervor. Zwi- sehen ihnen fanden sich noch äusserst kurze, steife, borsten- ähnliche Spitzen. Ich habe mich zu wiederholten Malen über- zeugt, dass die Körperchen Nesselorgane sind. Bei der Com- pression schnellen sie einen ziemlich langen Faden hervor. Actinotrocha. Die Aectinotrocha, um die es sich hier handelt, ist im Meere bei Messina von Gegenbaur aufgefunden worden (Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. 5 p. 347). Von Actinotrocha branchiata unterscheidet sie sich durch folgende Merkmale. Die hintere, den Enddarm enthaltende Leibesöffnung ist verhältnissmässig kürzer und zugleich dicker, demgemäss das Räderorgan von grösserm Umfang. Der gewöhnlich als Magen gedeutete Mitteldarm ist gelbroth oder schwefelgelb gefärbt. Es fehlen die Pigmentflecken, die man bei Actinotrocha branchiata in der Nähe des Räderorgans, an dem flimmernden Rande des Deckels oder Schirms und längs den Wimpersäumen der Cirren oder Tentakel wahr- nimmt (J. Müller im Arch. f. Anatom, u. Physiol. 1846, ‚- p. 101). Die Leibeswandung ist überhaupt trüber, weniger ) i durchscheinend. Die letzte Hälfte der hintern Leibesabthei- lung, an dessen äusserstem Ende die langen, das Räderorgan zusammensetzenden Cilien sitzen, ist sogar fast undurch- sichtig, von mattweisser Färbung. Ausgewachsene Exem- plare messen etwa 1", Hinter dem Schlunde, am Beginn des Mitteldarms, sieht man an drei blutrother, scharf umschriebener Anschwellungen durch die Leibeswand .hindurchschimmern. Die rothe Farbe hat ihren Sitz in rundlichen Körperchen, die das Innere der 294 Dr. A. Krohn: Anschwellungen dicht ausfüllen. Diese Anschwellungen sind schon von Gegenbaur (Il. e. p. 348) beobachtet und für Zellenhäufchen (Leberzellen?) angesehen worden. Ihre wahre Bedeutung. wird sich weiter unten ergeben. Unter dem Nahrungskanale findet sich ein räthselhaftes Organ, das sich zum grössten Theil herauslösen lässt und dann wohl um’s Doppelte länger als das ganze Thhier er- scheint. Es ist ein mehr flachgedrücktes als gewölbtes Ge- bilde von. weisslicher Farbe, das mit einer breitern, mannig- fach zusammengefalteten und gerunzelten Abtheilung dicht hinter dem Mitteldarm beginnt, hierauf allmählig verschmä- lert bis weit nach vorne sich erstreckt, wo es sich irgendwo in die Leibeswandung zu inseriren scheint. Ob dies Organ durchweg solid oder ob es hohl sei, darüber konnte ich mir keine Gewissheit verschaffen. Ist das Organ hohl, so möchte ich nicht anstehen, es dem gewundenen von J. Müller und G. Wagener beschriebenen Schlauche der Actinotrocha bran- chiata gleichzustellen, obwohl der Schlauch hier an der Bauch- seite, am Anfange des Hinterleibes, nach aussen mündet, und mit seinen Windungen oft bis zum After reicht (Wa- gener im Arch. f. Anatom. u. Physiol. 1847 p. 206). . Ob die dunkele Masse, die Gegenbaur bei einem noch nicht ausgewachsenen Exemplare (es mass nur 0,5‘) unter dem Darm entstehen sah, und welche während ihrer Vergrösse- rung nach und nach in mannigfache Biegungen sich zusammen- legte, auf das besagte Organ zu beziehen sei, muss ich eben so unentschieden lassen. Die Actinotrochen, über deren Endziel man so lange in Zweifel gewesen ist, sind Larven, die in ein wurmförmiges Wesen sich umwandeln. Leider war es mir nicht vergönnt, den nähern Hergang bei der ziemlich rasch ablaufenden Me- amorphose zu beobachten. Ich kann daher nur über das tResultat derselben berichten, das der Hauptsache nach darin besteht, dass der Schirm und das Räderorgan eingehen, wäh- rend die Cirren oder Tentakel zu einem den Mund umkrei- senden Kranze sich zusammendrängen. Ausgestreckt misst der Wurm ungefähr 2!/5'“, ist walzen- _ Ueber Pilidium und Actinotrocha. 295 förmig hinten aufgetrieben, nach vorne zu verschmächtigt und so gewissermassen einer Keule ähnlich, Mitten auf dem wie abgestutzten, von dem Tentakelkranze begränzten Vor- derende findet sich der Mund und dicht neben und über dem Munde ein rundlicher Hügel, der mit zwei ganz kurzen, an den Enden abgerundeten Vorsprüngen besetzt ist. Die Ten- takel erscheinen kürzer als bei der Larve, sind jedoch unter sich sämmtlich von gleicher Länge, was bei der Larve be- kanntlich nicht der Fall ist. Es lässt sich an ihnen noch der frühere Ciliensaum unterscheiden, obwohl die Cilien selbst nicht mehr in so scharfen Umrissen erscheinen. Das angeschwollene Hinterstück des Wurms zeigt sich undurchsichtig, von mattweisser Farbe, ist also offenbar aus der letzten Hälfte des Hinterleibes der Larve hervorgegangen. Seine unebene, gleichsam warzige Oberfläche scheint von einem klebrigen Schleim überzogen, in den sich leicht fremde Körper einbetten. Am Nahrungsschlauche ist noch die frühere Gliederung in Schlund, Mitteldarm und Enddarm zu unterscheiden. Den After habe ich nicht gesehen, muss aber aus seiner Stellung in der Larve schliessen, dass er genau im Centrum des hin- tern Leibesendes liege. Ich habe bei der Beschreibung der Larve dreier Anschwel- lungen gedacht, deren Inhalt aus rothen Körperchen besteht. Diese Anschwellungen sind die Anlagen eines erst nach der Metamorphose deutlich ausgewirkten Gefässsystems, in wel- chem man die früher ruhenden Körperchen nun ganz deutlich . hin und her strömen sieht. Es sind die rothen Körperchen demnach nichts anderes als Blutkörner. Es giebt, wie es scheint, nur zwei Gefässstämme, von denen der eine etwas weitere über, der andere unter dem Nahrungskanale verläuft. Beide reichen bis an’s Vorderende des Leibes und scheinen hie und da Zweige zu entlassen. In der Gegend, wo der Mitteldarm in den Enddarm über- geht, nimr.t man noch eine gewisse Zahl kleinerer, von einem gemeinsamen Punkte abgehender, frei in die Leibes- höhle herabhängender Gefässe wahr. Diese Gefässe zeigen 296 Dr. A. Krohn: durchaus keine Verzweigung und endigen bliud!), Sie schei- nen an der Stelle ihres gemeinsamen Ursprungs mit dem obern Längsgefässe zusammenzuhängen. Was die Bewegung des Blutes betrifft, so muss ich mich auf folgende nicht minder dürftige Angaben beschränken. Die Motoren bei dieser Bewegung sind die Gefässe, die sich abwechselnd contrahiren und expandiren. Eigenthümlich ist hierbei das Verhalten der kleineren blind endigenden Ge- fässe. Bei der Contraction sieht man sie unter mannigfalti- gen Schlängelungen sich plötzlich verkürzen, bei der Expan- sion strecken sie sich wieder gerade. Doch sind nicht alle diese Gefässe zugleich thätig, sondern in stetem Wechsel bald die einen, bald die andern. Demzufolge schwankt auch das Blut in diesen Gefässen immerfort hin und her. In den Stämmen ist das Blut ebenfalls in fortwährender Ösecillation. Strömt es nach vorne, so dringt es auch in die hohlen Ten- takel, von welchen aus es im nächsten Moment wieder in die Stämme zurückfliesst ?). Ich habe den Wurm nie von der Stelle rücken sehen. Die einzigen äusserlich wahrnehmbaren Lebensäusserungen sind theils Verkürzungen des Leibes, theils hie und da ein- tretende Zusammenschnürungen, wobei die Gegenden zwischen den eingeschnürten Stellen meistens sich aufblähen°). Was nun das fernere Schicksal des Wurms anlangt, so vermuthete ich anfangs, auf die Anwesenheit eines den Mund 1) Sie erinnern an die coecumartigen Gefässausläufer bei manchen Lumbrieinen (Euaxes, Lumbriculus). Vergl. v. Siebold’s vergl. . Anatom. p. 212 Anmerk. 9. 2) Von mehreren zu verschiedenen Zeiten eingefangenen Larven, ist es mir nur bei zweien geglückt, den Uebergang zum Wurme zu beobachten. Es haben also diese beiden Exemplare allein das Mate- rial zu den vorstehenden, in vieler Hinsicht noch so mangelhaften Beobachtungen geliefert. 3) Zusammenschnürungen des Leibes sind schon von J. Mülleran der Actinotrocha branchiata gesehen worden. J. Müller drückt sich in folgender Weise darüber aus. „Die Körperwandungen enthalten Cirkelfasern, welche die Gestalt des Körpers verändern, der bald dicker, bald dünner, bald hie und da eingeschnürt ist,“ Ueber Pilidium und Actinotrocha. 297 umkreisenden Tentakelkranzes mich stützend, es könnte der- selbe zu einer zur Familie der Terebellaceen Gr. gehörenden Annelide auswachsen. Von dieser Meinung bin ich bei sorg- samerer Erwägung ganz zurückgekommen. Ich halte es jetzt für wahrscheinlicher, dass der Wurm mit Verlust des Ten- takelkranzes, zu einer den Echiuriden oder Thalassemaceen verwandten Thierform sich entwickeln dürfte. Die durch abwechselndes Einschnüren und Auftreiben des Leibes zu Wege gebrachten Gestaltveränderungen, die Lage des Mun- des und des Afters in der Längsachse, die Zahl und Anord- nung der Gefässstämme, endlich die Gliederung des Nah- rungsschlauches, alles das sind Verhältnisse, die zusammen- genommen dieser Ansicht günstig zu sein scheinen. Demzufolge glaube ich denn auch den Höcker über dem Munde, für die Anlage des künftigen Rüssels ansprechen zu dürfen'). In Betreff des problematischen Organs in der Larve, muss ich noch anführen, dass ich es nach der Metamorphose nicht mehr auffinden konnte. Es schien bis auf einen geringen Rest unter dem Schlunde, eingegangen. Dagegen enthielt die Leibeshöhle des Wurms eine zahlreiche Menge heller, oft in Haufen zusammengeballter, hin und her wogender Körnchen, und es hatte ganz den Anschein, als wären diese Körnchen die Residua des problematischen Organs. Ob nun dies Zerfallen in Körnchen normal oder, wie ich es für wahr- scheinlicher halten möchte, krankhafter Art sei, darüber ist vorläufig nicht zu entscheiden. Was aber den gewundenen Schlauch der Actinotrocha branchiata betrifft, so ist an sein Eingehen während der Umwandlung wohl nicht zu denken. Er wird ohne Zweifel in den Wurm mit hinübergenommen, 1) Die von Busch (l. c. p. 73 sq. Tab. X. Fig. 5 — 13) beobachtete Entwickelung eines mit weit grösserer Wahrscheinlichkeit auf eine Echiuride zu deutenden Wurms ist, wie ich sehr wohl einsehe, mei- nen Vermuthungen wenig günstig. Auch gleicht die Larve nicht im Entferntesten einer Actinotrocha. Immerhin fragt es sich noch, ob diese Entwickelung als typisch für sämmtliche Gattungsrepäsentanten der Thalassemaceen anzusehn, worüber künftige Uutersuchungen ent- scheiden müssen. 298 | Dr. A. Krohn: wo er sich höchst wahrscheinlich zum Zeugungsorgan ent- wickelt: eine Vermuthung, die mit der bereits von J, Müller ausgesprochenen Ansicht über die Bedeutung des Schlauches in der Larve, ganz zusammentriftt. Schliesslich möchte ich noch auf einen jungen Wurm von 4'" Länge aufmerksam machen, der von J. Müller nur ein- mal in Helgoland angetroffen, und in der dritten Abhandlung über die Larven und die Metamorphose der Echinodermen (Separatabdruck p. 86) erwähnt worden ist. Er stimmt in vieler Beziehung mit dem aus der Actinotrocha hervorgehen- den Wurme überein. Wie dieser ist er borstenlos, halbdurch- sichtig und mit Mundtentakeln versehen. Im Innern des Leibes verläuft ein rothes Blut führendes Längsgefäss. Das Blut enthält runde Blutkörperchen. Bei all dieser Ueberein- stimmung ist jedoch Müller’s Angabe nicht zu übersehen, dass das Längsgefäss auf die Mundtentakeln sich verzweigt, in denen die Gefässe Schlingen bilden. Dieser Umstand allein spricht schon zu Gunsten der Vermuthung Müller’s, dass der Wurm eher von einer Sipunculide abstammen möchte. Anmerkung des Herausgebers. In Helgoland sah ich 1854 mehrere Arten von Pilidium. Eine derselben mit röthlichem Rande des Schirms ohne be- sondere Flecken war mit zwei Saugnäpfen versehen, wie andere im mittelländischen und adriatischen Meere beobach- tete. Diese saugnapfförmigen Organe waren schon bei In- dividuen von !/,,‘' vorhanden und ebenso bei !/%,'". Dagegen fehlten diese Organe bei einem grossen, sonst ähnlichen Pi- lidium ohne besondere grosse Flecken am Rande, das über 2/0‘ Grösse hatte, und einen Nemertes mit zwei Augen und Schwanzanhang enthielt. Der Schwanzanhang wird an den mehrsten Nemertinen von Pilidien beobachtet, und wird nur selten vermisst oder entzieht sich der Beobachtung. Die Nemertinen mit Schwanzanhang gehören zu der Gat- tung Mierura Ehr., womit Alardus Busch identisch ist. In der Nordsee giebt es mehrere Arten von Micrura, wie Ueber Pilidium und Actinotrocha. 299 man aus der folgenden Zusammenstellung aller auf die Arten geschwänzter Nemertinen bezüglichen Beobachtungen an er- wachsenen Würmern ersehen wird. Die erste hierher gehörige Beobachtung ist von O. Fr. Müller, es ist seine Plunaria filaris Zool. Dan. Tab. 68 Fig. 18 — 20; Planaria linearis cauda filiformi contract. Oersted hat diesen Wurm schon für eine Nemertine genommen und ohne Grund zur Gattung Nemertes gezogen, indem die Plana- ria filaris Müll. fraglich als Synonym bei Nemertes pusilla angeführt wird. Kroyer’s naturhist. Tidschr. IV. B. p. 578. Oersted’s Entwurf einer syst. Eintbeilung und speciellen Be- schreibung der Plattwürmer. Copenh. 1844 p. 90. Diesing ist Oersted gefolgt. ©. Fr. Müller hat 2 Augenpuncte an- gegeben und abgebildet. Die zweite Beobachtung einer Nemertine mit Schwanz- anhang war die Mierura fasciolata Hempr. et Ehr., symb. phys. animalia invertebrata Phytoz. turbell. n. 15 Taf. IV. Fig. 4. Dass die Micrura fasciolata zu den Nemertinen gehört, deren wesentlichen Character sie besitzt, wurde schon von Oersted erkannt und ausgesprochen; sie hat aber wieder das Schicksal gehabt, von Oerstied zur Gattung Nemertes gezo- gen zu werden. Diesing hat die Gattung Micrura unter den Nemertinen als eigenthümliche und berechtigte mit der einen adriatischen Art M. fasciolata. aufgeführt. Dies Thier, in Triest beobachtet, ist 16‘ lang, sein Körper ist schwarz- braun mit queren schmalen weissen Binden. Die Augen- puncte liegen in 2 Längsreihen, 5 auf jeder Seite. Der Un- terschied von den jungen Nemertinen in den Pilidien in der Zahl der Augen scheint nicht von Gewicht. Die jungen Ne- mertinen, welche im Meere durch das feine Netz gefischt werden, sind, wenn mit Augen versehen, in der Regel zweiäugig, und es mag sich wie bei andern Würmern die Zahl der Augen bei weiterer Entwickelung der kleinen We- sen vermehren. So bei den Larven der marinen Planarien, welche im allerjüngsten Zustande nur 2 Augenpuncte be- sitzen. In dem Werke von Dalyell the powers of the crea- 300 Dr. A. Krohn: tor, observations on life amidst the various forms of the humbler tribes of animated nat. Vol. II. London 1853. 4., kommen nicht weniger als 4 Nemertinen vor, welche zur Gattung Micrura gehören. Die Nemertinen sind in diesem Werke mit dem Namen Gordius bezeichnet und werden in mehrere Unterabtheilungen oder Untergattungen gebracht, welche durch eine ungewöhnliche und sonderbare Nomen- clatur angedeutet werden. So giebt es dort eine Abtheilung Gordius fragilis mit mehreren Arten, desgleichen eine andere Gordius simplex und eine dritte Gordius spinifer. Die letztere Bezeichnung umfasst die Nemertinen mit Schwanzanhang. Von diesen sind 4 Arten beschrieben und Vol. II. Taf. XI. abgebildet. Gordius viridis spinifer, G. purpureus spinifer, @. fragilis spinifer, @. fasciatus spinifer. Der letztere, dessen in 2 Längsreihen stehende Augen auch abgebildet sind, ist mit der Micrura fasciolata identisch, die also auch in der Nordsee und an der Schottischen Küste lebt. Jedenfalls giebt es in der Nordsee mehrere Arten von Micrura, deren Jugendgestalt ein Alardus caudatus sein wird. Der Gordius fragilis spimifer Dalyell ist identisch mit der Planaria filaris Zool. Dan. Es sind nunmehr 4 Arten von Micrura bekannt: l. Micrura fasciolata, Hempr. et Ehr. Symb. phys. Phytoz: turbell. n. 15 Tab. IV. Fig. 4. Gordius fasciatus spinifer Dalyell powers of the crea- tor, Vol. II. p. 80 pl. XI. Fig. 6 —9. Nemertes fasciolata Dersted, Entwurf e. syst. Einthei- lung d. Plattwürmer p. 91. 2. Micrura filaris Nob. Planaria filaris Zool. Dan. Tab. 68 Fig. 18 —20. Gordius fragilis spinifer Dalyell a. a. O. p. 79 pl. XI Fig. 5. 3. Micrura viridis Nob. Gordius viridis spinifer Dalyell p. 78 pl. XI. Fig. 1. 4. Micrura purpurea Nolb. Gordius purpureus spinifer Dalyell p. 73 pl. XI. Fig. 2 —4. | Das Weık von Dalyell enthält auch Beobachtungen über Ueber Pilidium und Actinotrocha. 301 die Entwickelung und Metamorphose einer marinen Planarie, angestellt an dem Laich der Eurylepta cornuta (Planaria cor- nuta Müll. Zool. Dan.). Dalyell a. a. O. Vol. II. p. 99 pl. XV. Fig. 1—3. Die Beobachtungen sind nicht ganz voll- ständig und nicht hinreichend genau, so dass eine specielle Vergleichung mit den meinigen (Archiv 1850 u.1854) schwer anzu- stellen ist. Sie stimmen aber zu den meinigen viel mehr als ‚die Beobachtungen von Girard, proceed. Amer. Assoc. Cam- bridge 1550. Girard researches upon nemerteans and pla- narians 1. development of planocera elliptica. Philadelphia 1854. 4, Ich vermuthe, dass die von Dalyell beobachteten Larven ganz und gar mit der von mir an zwei Arten, wor- unter eine Art der Gattung Stylochus, beschriebenen und festgestellten Larvenform übereinstimmen wird und dass das Fehlende in der Zahl und Stellung der Fortsätze auf Mängeln in der Beobachtung Dalyell’s beruht. Diese Mängel wer- den um so leichter möglich, als das beständige Umwälzen dieser Thierchen der Beobachtung grosse Hindernisse ent- gegensetzt. | 302 Dr. C. Mettenheimer: Ueber Töne bei Knorpelfischen. Von Dr. C. METTENHEIMER. Briefliche Mittheilung an den Herausgeber. Frankfurt a. M. 22. Nov. 1857. In Ihrem Aufsatz über die Töne der Fische finde ich eine Stelle aus der bist. anım. des Aristoteles erwähnt, nach welcher auch die Knorpelfische Töne von sich geben sollen. Die Stelle heisst nach der Schneider’schen Ausgabe so: zei ı0v oshlaywdwv ÖErıa Tolleıvy doxrei. alla Teva gwveiv ulv oVx 6o9wg Eysı yarvaı, wogeiv de. Aristoteles geht nicht weiter ins Einzelne ein, spricht aber, wie man sieht, deutlich aus, dass die Töne der Knor- pelfische nicht eigentlich einer Stimme, sondern mehr einem Geräusch gleichen. Ich hatte vor einigen Wochen Gelegenheit, die Richtigkeit der Angaben des Aristoteles in Bezug auf die Raja cla- vata der Nordsee zu bestätigen, und erlaube mir, Ihnen die Beobachtung mitzutheilen, indem ich es Ihrem Ermessen überlasse, sie in dem Archiv zu veröffentlichen. — Am 23. September ging ich mit einem Scheveninger Fahr- zeug (Pinke) in See, um dem Fischfang mit dem Schleppnetz auf dem hohen Meere beizuwohnen. Der Fischzug war nicht sehr ergiebig, jedoch wurden einige Fässer voll Plattfische, und zwar drei Sorten, welche von den Fischern als Tonge, Scharre und Scholle bezeichnet wurden, sowie eine Anzahl grosser Rochen, eingefangen. Ueber Töne bei Knorpelfischen. 303 Die letzteren geberdeten sich ganz wüthend, als sie auf's Verdeck gezogen wurden, und ihre Wuth nahm zu, als die Fischer sie reizten, ihnen auf die Augen drückten u. s. w. Sie hoben den Kopf in die Höhe, indem sie sich auf ihre breiten Flossen stützten, klappten mit den Kiefern und gaben in kurzen, rasch auf einander folgenden Stössen einen Ton von sich, den ich am passendsten dem Schnarchen des Menschen vergleichen kann. Wenn ich mich nicht sehr ge- täuscht habe, so ist dieser Ton in den Spritzlöchern hervor- gebracht worden, deren häutige Ränder ich bei Erzeugung des Tones lebhaft schwingen sah. Dies eigenthümliche Ge- räusch ist höchst kräftig und drückt offenbar den Zorn des Thieres aus, einer. Stimme ist es aber durchaus nicht zu vergleichen. Diese kleine Beobachtung ist ein recht deutlicher Beleg» welche Fülle von selbst Gesehenem und selbst Erlebtem den oft kurzen und nicht in die Einzelnheiten eingehenden Be- merkungen des Aristoteles zu Grunde liegt. 304 Prof. H. Luschka: Das Nebenthränenbein des Menschen. Von Pror. H. LuscHakA in Tübingen. (Hierzu Taf. XI.) — indes: ich die Aufmerksamkeit auf dieses kleine, beim Men- schen nicht regelmässig jedoch keineswegs selten vorkommende Beinchen hinlenke, geschieht es nicht seinetwillen allein , son- | dern zugleich um einen, mit diesem Gegenstande concurriren- den Irrthum einiger Schriftsteller zu berichtigen, welcher die sog. Sutura longitudinalis imperfecta des Stirnfort- satzes der oberen Kinnlade betrifft. Zunächst muss ich aber die Bemerkung vorausschicken, dass unser Nebenthränenbein nach Lage und Gestalt nichts gemein hat, mit dem von Rousseau!) entdeckten und os lacrymale externum genann- ten Knöchelchen, welches später von W. Gruber?) als os canalis nasolacrymalis von Neuem ausführlich beschrieben worden ist. Dieses nunmehr zur Genüge bekannte Beinchen, welches übrigens nicht viel häufiger als jenes gefunden wird, liegt nämlich an der Grenze vom Körper und Stirnfortsatze des Oberkiefers, und besteht aus zwei dünnen, unter rechtem Winkel verbundenen Blättchen, von welchen sich das eine, horizontal liegende, am vorderen inneren Ende des Planum orbitale befindet, das andere die äussere Wand des Thränen- kanales bilden hilft. Das Nebenthränenbein — os lacrymale accesso- rium —, liegt am vorderen Ende der inneren Wand der Augen- 1) Ann. des sciences natur. T. XVII. 1829 p. 86. 2) Bulletin physico -mathematique de l’academie des sciences de Petersbourg. T. VIII 1850. Das Nebenthränenbein des Menschen. 305 höhle, vor dem eigentlichen Thränenbeine, und betheiligt sich an der Herstellung desjenigen Abschnittes der Thränen- grube, welcher in gewöhnlichen Fällen durch den Stirnfort- satz des Oberkiefers erzeugt wird. Das Beinchen befindet sich hinter der Crista lacrymalis des Stirnfortsatzes und greift nur höchst selten auf dessen Antlitzfläche über. Es ist also in der Weise gelagert, dass es nur in der Profilansicht des Schä- dels ganz zur Anschauung gebracht werden kann. Dasselbe hat gewöhnlich eine ungleichseitig viereckige Gestalt und glatte oder nur sparsam ausgezackte Ränder. Mit diesen grenzt es an den vorderen Rand des Thränenbeines, an die Pars orbitalis des Stirnbeines und an. den Stirnfortsatz des Oberkiefers jedoch meist so lose an, dass es sich leicht aus seinem Zusammenhange herauslösen lässt. Dieser Um- stand mag insofern einiges practische Interesse haben, als das Beinchen bei verschiedenen in seinem Bezirke auftretenden pathologischen, zumal cariösen Processen leicht abgestossen werden kann. Bisweilen verlängert sich das Nebenthränen- bein zu einem dünnen, griffelartigen Fortsatze, welcher dem vorderen Rande des Thränenbeines entlang dahin zieht. Die Grösse des Knochens ist ziemlich variabel; durch- schnittlich hat er eine Länge von 1 Oentim. uud eine grösste Breite von 3 Millimetres. Ich habe jedoch auch Beispiele vor Augen, in welchen er nur 4 Millim. lang und 2 Millim. breit ist, und ein anderes, in welchem die obigen Maasse um 1!/, Millim. überschritten sind. Nach meinen bisherigen Erfahrungen kommt das Neben- thränenbein neben einem nach Anordnung, Grösse und Ge- “ stalt ganz vollständigen os lacrymale, als ein, aus seinem Zusammenhange leicht trennbarer Skelettheil nicht selten vor und muss daher, und weil es in den Fällen seiner Exi- stenz constant dieselbe Lage, sowie eine im Wesentlichen gleiche Form darbietet, unter allen Umständen die Aufmerk- samkeit des Morphologen in Anspruch nehmen. Bis jetzt ist das Bein mindestens ein dutzendmal zu meiner Beobach- tung gekommen und finde ich dasselbe unter 60 der hiesigen anatomischen Sammlung angehörigen Schädeln erwachsener Müller's Archiv. 1858. 20 306 Prof. H. Luschka: Menschen 7 mal; bei zweien derselben beiderseits fast ganz übereinstimmend, bei den übrigen nur auf einer Seite. Unter den früheren Beobachtern ist, wie ich aus der mir zu Gebote stehenden Literatur abnehmen muss, nur J. Chr. Rosenmüller') auf das Nebenthränenbein aufmerksam ge- worden, wie sich unzweifelhaft aus nachstehender Bemer- kung ergiebt: „Sunt penes me quinque orbitae, in quibus ea pars ossis maxillaris superioris, quae facit ad conformandam canalem lacrymalem, singularis est particula ossis, quae in duabus harum orbitarum universa possit ab osse maxillari superiore separari cum quo per harmonias con- juncta est.“ Neuere Schriftsteller haben, wie es scheint, das Nebenthränenbein nicht kennen gelernt, und ist namentlich auch Henle, welcher übrigens durch seine umsichtigen lite- rarhistorischen Nachforschungen auf diesen Gegenstand hin- geführt wurde, nicht zu eigenen Beobachtungen gelangt. In gar keiner näheren Beziehung zum Nebenthränenbeine steht eine vonMaxJos. Weber ?) gemachte und von Henle°) für richtig befundene Angabe, die jedoch auch ihrerseits einer naturgemässen Begründung gänzlich entbehrt. Es lehrt näm- lich M. J. Weber: der Stirnfortsatz des Oberkiefers habe in der Nähe des Augenhöhlenrandes in den meisten Fällen eine £ von oben nach unten und hinten verlaufende Spalte oder unvollkommene Naht — sutura longitudinalis imperfecta — welche die frühere Trennungdieses | Fortsatzes in den Nasen- und Augentheil noch an- zeige, und wodurch gleichsam ein zweites Thränen- bein auch beim Menschen sich kund gebe. Diese vermeintliche Naht ist nichts Anderes als eine mehr oder weniger tiefe, öfters stellenweise überbrückte, aller- dings bisweilen suturenartig aussehende, mit einer Anzahl feiner Oeffnungen versehene Gefässfurche, in welcher eine Vene liegt, in die kleinere, durch jene Oeffnungen hervor- 1) Organorum lacrymalium partiumque externarum oculi humani descriptio anatomica. Dissert. inauguralis. Lipsiae 1797 p. 77. 2) Handbuch der Anatomie des Menschen. Bd.I. S. 148. 3) Handbuch der Knochenlehre des Menschen. 1855. S. 162. Das Nebenthränenbein des Menschen. 307 tretende, aus der Substanz des Stirnfortsatzes hervortretende Zweige sich einsenken. Dieselbe steht nicht mit irgend wel- chem normalmässigen Bildungsvorgange des Stirnfortsatzes vom Oberkiefer im Zusammenhange, indem dieser zu keiner Zeit des foetalen Lebens in zwei Stücke getrennt ist. Nach Untersuchungen sowohl an ganz jungen, als auch an älteren menschlichen Embryonen muss ich eine normalmässig ge- trennte Entwickelung eines Nasen- und Augentheiles des Stirn- fortsatzes entschieden in Abrede stellen. Die Annahme, dass jene Gefässfurche die Spur einer früheren Trennung ausdrücke, kann durch den nächsten besten Schädel eines Neugeborenen widerlegt werden. Es begreift sich leicht, dass, wenn jene Furche wirklich einen suturenärtigen Bildungsrest darstellte, sie um so dentlicher ihre wahre Natur zu erkennen geben müsste, je weiter man zur Quelle ihrer Entstehung zurück- geht. Nun findet man aber gerade umgekehrt um so weni- ger etwas darauf Bezügliches, je jünger der Mensch war. Dagegen zeigt sich, ganz im Einklange damit, dass Gefüsse im Verlaufe einer längeren Zeit ihrer Lage entsprechende Vertiefungen an Knochen erzeugen, jene Furche erst beim Erwachsenen in jener bestimmten Ausprägung, dass sie über- haupt die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bei der Beurtheilung jener Gefässfurche darf man sich dadurch nicht irre leiten lassen, dass sie bisweilen in eine wirkliche Naht ausläuft. Es findet sich nämlich an man- chen Schädeln, dass das untere Ende dieser Furche sich bis zu dem äusseren Ende der Crista lacrymalis des Stirnfort- satzes hinerstreckt, mit welchem sich das vordere Ende des Oberkieferfortsatzes vom Jochbeine, unter Erzeugung einer “ feingezähnelten Naht verbindet. An diese Naht schliesst sich zwickelähnlich dasjenige Segment der Antlitzfläche des Ober- kieferkörpers an, welches von dem Foramen infraorbitale durchsetzt wird. In selteneren Fällen greift dieses Segment in grösserer oder geringerer Breite zwischen jene beiden Enden durch, um sich auf den Boden der Augenhöhle fort- zusetzen. Die Ränder dieser Fortsetzung müssen dann am _ Margo infraorbitalis mit den nachbarlichen Küochentheilen 20. 308 Prof. H. Luschka: Das Nebenthränenbein des Menschen. = nothwendig die Bildung von zwei Suturen veranlassen, welche also jenes in das Planum orbitale übergehende, der Breite des Foramen infraorbitale gemeinhin entsprechende und dieses ı enthaltende Knochensegment zwischen sich fassen. vi Die Entstehung des Nebenthränenbeines lässt sich auf kei- h nen normalen Entwickelungstypus zurückführen und kann dem- . nach dasselbe auch nicht in diesem Sinne als das Ergebniss einer # Bildungshemmung betrachtet werden. Dagegen ist es im 3 höchsten Grade wahrscheinlich, dass dasselbe nach Art eines i Schaltknochens auftritt, wofür es denn auch bis auf Wei- teres angesehen werden mag. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. a. Nebenthränenbein an der rechten Seite des Schädels ı eines 40 jährigen Mannes; b. Eigentliches 'Thränenbein; c. Stirnfortsatz 4 der Oberkinnlade, mit der an seiner Antlitzfläche verlaufenden © Furche *. DR Fig. 2. Nebenthränenbein der linken Seite des Schädels eines 36-4 jährigen, wegen Mordes hingerichteten Mannes. Das Beinchen war” auf beiden Seiten vorhanden und fast ganz übereinstimmend nach Form ® und Grösse; b. Eigentliches os lacrymale; .c. Stirnfortsatz des Ober- kiefers mit der Gefässfurche *. N Fig. 3. a. Nebenthränenbein der rechten Seite des Schädels eines» 100jährigen Weibes, bei welchem alle Nähte des Schädels, unter die- sen eine vollständige Stirnnaht, erhalten waren; b. Eigentliches 'Thrä- nenbein; c. Stirnfortsatz des Oberkiefers mit der Gefässfurche *. Fig. 4. Stirnfortsatz und vorderer Abschnitt des Körpers vom. lin- ken Oberkieferbeine. Sehr schön ist an der Antlitzfläche des Processus frontalis die Gefässfurche *, die sogenannte Sutura longitudi- nalis imperfecta ausgebildet. Die feinen Oeffnungen in derselben sind durch Borsten bezeichnet, welche in das bloss gelegte spongiöse " Gewebe herabgeführt wurden. Die Furche läuft in eine Naht a. aus, welche hier den Zusammenstoss des Endes der Crista lacrymalis des“ Stirnbeines mit der in das Planum orbitale übergehenden b. vorderen Knochenplatte des Körpers vom ÖOberkiefer bezeichnet. An den äusse- ren Rand dieser übergreifenden Platte stösst das Ende des Oberkiefer- ! fortsatzes vom Jochbeine e. an. J. Schlossberger: Beitr. zur chem. Kenntniss des Fötuslebens. 309 ” Beiträge zur chemischen Kenntniss des Fötuslebens. Zweiter Artikel von J. SCHLOSSBERGER in Tübingen. Zu diesen Studien über verschiedene chemische Verhältnisse des Fötus, welche ich vor 2 Jahren mitgetheilt (s. dieses Archiv 1855), kann ich diesmal eine Fortsetzung beifügen. Dieselbe wurde unter meiner Leitung von den zwei geüb- testen und genauesten Practikanten des hiesigen Laborato- riums, meinem Assistenten Hrn. Vogtenberger und med. eand. Binder ausgeführt. Die untersuchten Embryonen stammten wieder alle von Kühen ab und waren uns völlig frisch in den unverletzten Eihäuten übergeben worden. Zur möglichst genauen Erui- rung ihres Alters wurde das Gewicht der isolirten Fötuse sorgfältig bestimmt uud Hrn. Med.-Ratb Dr. Hering mit- getheilt. Derselbe taxirte daraus nach seinen reichen Erfah- rungen die Altersperioden in der nachstehenden Weise: Fötus I. Alter v. 30 Wochen. Fötus IV. Alter v. 7-8Wochen. (Zwillinge.) Zeh, nl 5 re ee N BH n, 14.19.47, ae I. Trocknungen einzelner Fötustheile bei 120°. Es enthielten 100 Th. frischer Substanz folgende Wasser mengen: Bei Fötus 1. Fr. HR = 2.000 9200 WE hs ren 89 NIE 82,17 82,28 Beim snasses,. une, lea. 89,90 | 91,23 99.59 = BIEnES lan a Bush {dk 87,90 90,87 E 5 kleines mit med. oblong. . . | 86,59 » med. oblong. allein... . . | 85,67 | | 10 J. Schlossberger: Bei Fötus I. LI. IM: Jane. aa. 0 ee 89,24 88,68 89,02 Herz (blutleer): Rech#er Ventrikel... 2. . Ne NS, Ob Linlkdr- Venhükel, !x surrd ser 2 4 84,50 Iso Isnzo Bbride Vorhöte a... u < 1° 81,306 1 DE PAR Se BE TE a a a N 1 81,95 81,10 A yaRaSIa a Ra ana aan Se ee ae 83,06 86,11 82,69 kumpfmuskel. u ; signal 84,66 89,76 90,94 84,69 ET ee I 01290 89,13 Nierek si al Er lern 85 88,08 Ießersid 7 PHISHIDIND, DRZDFINIETT 83,69 roy ur 82,74 Giaskörpenis Haan Aarich © -4s 37,61 Ganzer Nbulbtisz 2 an 2 wa Sr 91,56 93,41 Ense , AHASINSIIN Z. DMIO, ADIBASEE 70,21 Galldlyan sah Ynaor srjkacl »rarkace 99592 Eng a PN ER 98,94 MAR. SER ENDTER:., BAM; FELD HE ARAR AAN 91,10 Als wichtigstes Resultat dieser Trocknurgen betrachte ich \ die Bestätigung der bereits von mir mitgetheilten Erfahrung, nämlich derjenigen: dass das Blut das wasserärmste Fötusgewebe ist. Diejenigen Organe, welche am frühe- sten in wirkliche Funktion treten und sehr blutreich sind, stellen sich auch als die an festen Bestandtheilen reichsten heraus (so Leber, Milz, Thymus). Umgekehrt sind die Lun- a gen und das Gehirn überaus wasserreich; das verlängerte " Mark ist ansehnlich wasserärmer als das letztere. Dieselben Organe bei verschiedenen Embryonen sind um so trockenen, je älter das Thier ist. II. Untersuchungen ganzer Fötuse. Fötus IV. V. VI. \der FötusIV. wog 21,28Grm. Wassergehalt „91,77 .92,06.. 32,76, 2:.V. 2156,90 5 Fettgehalt. . .. 0,53. 0,60 min ann A Asche shi 1 2 Also organi- sche gewebbil-\ 6,43. 6,27 dende Substanz Die Asche ent- ! hielt: 0,669 0,509 in Wasser lösliche 0,601 0,498 unlösliche Bestandteile, Y 1.270: 107 Beiträge zur chemischen Kenntniss des Fötuslebens. 311 1. Fettbestimmungen einzelner Fötustheile. . (Aetherextrakt): e 100 Th. frischer Substanz enthielten: y Fötus . IL. IM. Fötus I. I IU. ca: Bar a 0,05 | Thymus .'. ‘ „11,187 0,79 Gehirn, grosses. | 2,94 | 2,60|1,60| Herz .... . 0,89 “ kleines. | 3,72 | 2,70 Rumpfmuskel.. . 0,36 2: Zr a 0,59 | 0,87 |0,63 | Leber . . .. . 0,93 1,00 | 0,70 hen 10,95 0,43 Galle. +nAT zab 0,23 | Zu bemerken ist, dass ich in dem Aetherauszug aus der Milz neben Fetttropfen und den moosförmigen Stearinkry- stallen sehr schöne Cholesterintafeln wahrnahm, beson- ders bei Fötus Il. IV. Einiges über das Fötalblut. Dasselbe war auffallend schwach alkalisch (2 Fälle) oder gar neutral (2 Fälle), und gerann desshalb schon beim Auf- kochen ohne Zusatz von Essigsäure sehr vollkommen, indem sich das graubraune Gerinnsel leicht von der völlig klaren Flüssigkeit durch das Filter trennen liess. Wurde aber das so erhaltene Filtrat abgedampft, so erzeugten sich aus einem Proteinkörper bestehende Häute auf der Oberfläche, gewiss unter diesen Verhältnissen, bei der neutralen Reaktion ein sehr eigenthümliches Verhalten. Das Blut des Fötus I. lieferte in 100 Theilen: 15,96 pOt. Gerinnsel (beim Kochen) 0,05 „ Fett 0,96 „ Asche 81,90 „ Wasser 08,71. Der Verlust besteht wohl hauptsächlich aus dem Protein- körper, welcher sich dem Gerinnen durch Kochen entzog und auch mit Essigsäure nicht ganz abscheiden liess. Die Blutasche I. bestand aus 0,61 in Wasser löslichen 0,35 „ , unlöslichen Die Menge ihres Eisens wurde besonders bestimmt zu 0,13. Theilen. 312 \ J. Schlossberger: Die Blutasche des Fötus 1l.: 0,53 lösliche 0,19 unlösliche “ In Betreff des Faserstoffgehaltes kann ich meine erste # Angabe, dass sich weder im Herz noch in den grossen Ge- fässen irgend ein Coagulum finden liess und dass auch nach N 24 Stunden sich in dem Blut noch kein Gerinnsel gebildet hatte, wiederholen. Dagegen wurde diesmal das Blut län- gere Zeit hingestellt, und so bei den 3 älteren Fötusen nach 2—4 Tagen in der That ein, freilich sehr kleines und wei- ches, Fibringerinnsel doch aufgefunden. Der Fötus enthält Theile. demnach spätgerinndes Fibrin. V. Die Eihautflüssigkeiten hi? sammt einigen Bemerkungen über. die Wharton’sche Sulze und die Magenflüssigkeiten. Die Eihautflüssigkeiten reagirten in verschiedenem Grad R alkalisch, waren bald deutlich fadenziehend bald mehr dünn- flüssig. Mehreremale wurde an ihnen, im völlig frischen .. Zustande beim Uebersättigen mit Salzsäure ein starkes Auf. & brausen bemerkt. | # Alle gaben bei der Prüfung mit der Trommer’schen Probe deutliche Abscheidungen von Kupferoxydul. Obgleich es nicht gelang, den Zucker in Substanz zu isoliren, so liessen doch die Proben mit Galle, mit Kalilauge allein, mit Ma- gister. Bismuth. und Soda etc. keinen Zweifel darüber, dass die reduzirende Substanz in der That Zucker war, wahr- scheinlich Traubenzucker, denn die Boettger’sche Probe giebt mit Rohrzucker kein Resultat. | Die Amniosflüssigkeit des Roms IV: enthielt. ...2. 0,092 pCt. RE a Die Allantoisflüssigkeit des Nanı itrirung Fötus IV. enthielt ....... A ae Künftige Forschungen müssen entscheiden, ob eine der- artige auffallende Differenz zwischen dem Zuckergehalt der beiden Fluida constant stattfindet; vielleicht dass dadurch auch einiges Licht auf die Bedeutung dieses Zuckergehaltes der Eihautflüssigkeiten geworfen wird, der um so merkwür- Beiträge zur chemischen Kenntniss des Fötuslebens. 313 diger erscheint, als die Fötusnahrung (Üterinmilch) nach meinen Versuchen durchaus keinen Zucker enthält. Beim Fötus II, wurden aus dem alkoholischen Auszuge der Amniosflüssigkeit liniengrosse Krystalle von Harnstoff erhalten. Die Untersuchung auf Harnsäure, Leucin und Tyro- sin ist noch nicht vollendet. Ehe über die Proteinkörper dieser Flüssigkeiten das Nö- thige gesagt wird, mögen noch einige Bestimmungen ihrer festen Substanz und Asche folgen: Fötus | 1. | |. |ıw.|v. | vLls3#%4 Amniosflüssigkeit _ °5 22 Wasser. . . . . |97,1897,28198,96198,67 — 98122723 Asche2.'% . *; 0,72) 1502 0,89 = 22 in Wasser lösl. }Theiled. 0,694) 1,00 0,86) un 55 » ». unlösl. (Asche. 0,026| 0,02 0,03 =B: 72 Allantoisflüssigkeit | .3°2 Wasser... .e 97,38 98,76197,35 7 , 4% Asche . 4 ....% 0,93 0,73) 0,7155 =: in Wasser lösl. NTheiled. 0,91 0,70 a & B= = » » unlösl. (Asche, 0,02 0,03 E22 Die Proteinstoffe der Eihautflüssigkeiten zeigten bei den verschiedenen Embryonen mancherlei Abweichungen unter einander, und daneben, wie ich auch schon im ersten Artikel beschrieb, manches ungewöhnliche Verhalten, besonders zu Alkohol, Sublimat und Ferrocyankalium. Ich habe die wich- tigeren Reaktionen derselben, die zwischen den Katego- rieen: Albumin, Casein, Schleimstoff, Pyinetc. man- cherlei Uebergänge und Zwischenformen erlauben, in der nachstehenden Tabelle in übersichtlicher Weise, und verglichen mit denen der Wharton’schen Sulze des Na- belstranges und der Magenflüssigkeiten, zusammen- - gestellt: hen Kenntniss des Fötuslebens. 1SC hem äge zur c Beiträ J. Schlossberger 3l4 U ee - 2 IOPUR.IOA IUDIN | | "puma 3qdıNn | | ‘JIapuRIoA Iydın | -1dopuUB.1oA ayoıu *IJI nn I | unevy "1oyonz ummued “ToyonziajgT wIOAq so1ıdod uoJsSıu -TO]EL MULIOP UaIS -uogune . nm. "ug 5 a, © e < -Z1u0M we ‘res Ned Sıes "III U I USoLüet SEI DT OAITEV mM we “yıeıs oSRTUOSLOPOILN on a 044 V | -(SejydsIaparıN AOssIam ‘Zungnap "III ‘opug.I9A a -SeiyasıopeıN Joyoemyos "I ygoru’J[J’n‘J] | -Suniopukıa A Suloay "II "u9NPOLT Pula] Uay> I0°H -Oyf wıiaq ‘SungnıL 93u11ad °I "uUSY9OLT 4 ‘osuaga "III SumIoneBsuy : "u9N90LJ ER UNGERN orttareT V H -SepyosıopsıN AaZuLIded uones |dop ypeu 'IJJT | Sunıangesuy A0p yoeu II uoA Zyesnz ypeu ‘osu9qd 'IJI Ei -uY wop ypeu :J19PpueIsAun °T IOPUE.IAA -ZundapueioA auray "II -SundopugıoA 9uroy ‘I -0a0d 3yotu-JITnII & 'q[95 "q[93 Iydıu uayd wney uayd -SungıgT 99[9% uoypoy | -oy} wıag ‘“Sungn.ız ouroy "III uogungnI] oydeMmyos JJI 0 °I -Oyy mwıaqyone |wıag pun SepyosıapaıN "III "puopummnygos | «ON “JAOPUBAIIA -uaaıısı[edo wney °JI -194 jjouyds ON PSıssnyos -un JJI 'n II -zaqn ur “Sungnaı] 93u1eod °I "UONOOL A JIOPUBAI9A IydLu “III usaypoyy wıoq "u9sQ] 104 ‚Zungna]L "III US apa nen. Zurein 3 “JungnAL Im -SundopurIaA euloy II yaIs UOUISEMSnYy mg aasseq | -ONIV | ‚Iaop wWOWIeMm Ur OLlp *U9N9OL TIEF "I -uBI9AUM II b r 2a eeherfenton Le v Ieta yım pun Fruom gm “ydıs nF uayo -OMLULOq IqTOTq ‘SONSTAgyoTU "III 2 -agnepg | Uz pun usydwepgqy wıeq ‘I50J83 yqraıq | ua» SPOISWEIOLTSOPTIOYLSISSOAI OT | -oy -U9NDOL TOUL]N UOyDOywIOq !aygz "me sojfe Topaım 3sgT UI -Z90] I9p ssnyosIogen Zr CONSTANTIN GORSKI, Mag. phil. In einer von mir im Jahre 1852 veröffentlichten vergleichend- anatomischen Abhandlung (Ueber das Becken der Saurier. Dorpat. 4 H. Laakmann. Mit 2 lithographirten Tafeln.) habe ich aus den anatomischen Verhältnissen der Hart- und Weichgebilde eine neue, von der bisherigen verschiedene Deutung der Beckenknochen der Saurier entwickelt. Dieselbe besteht in Folgendem: Den von den Anatomen als os pubis angesehenen und mit dem gleichnamigen der Säugethiere und Vögel verglichenen Knochen halte ich für ein den Sauriern eigenthümliches os ileopectineum, welches dem tuber ileopectineum (eminentia ileopectinea) morphologisch ent- spricht, und hier, so wie das sonst als Fortsatz des Schul- terblattes vorkommende os coracoideum bei den Monotremen und Vögeln, als ein besonderer Knochen auftritt. Ferner be- trachte ich das sogenannte os ischii der Saurier für ein os | pubis und das os ilium derselben für denjenigen Theil des entsprechenden Knochens der Säugethiere, der zur Bildung der Gelenkpfanne beiträgt, hier aber sich besonders nach hinten entwickelt hat und somit zum Theil die Bedeutung des Ramus descendens ischii gewinnt. Das os ischi fehlt gänzlich und wird (mit Ausnahme des Krokodils) zum Theil durch ein ihm morphologisch-homologes Gebilde, näm- lich durch das von mir so genannte Ligamentum ischia- dicum ersetzt, welches nach seinem Verlauf und seiner Lage zu den es umgebenden und von ihm entspringenden Muskeln ‘hauptsächlich dem Ramus ascendens ischii entspricht. \ Einige Bemerk. üb. die Beckenknochen d. beschuppten Amphibien. 383 Das Vorkommen dieses Ligaments, welches ich damals nur bei Monitor niloticus L.undPodinema Teguixin Wagl, zu beobachten Gelegenheit hatte, ist wahrscheinlich bei allen mit einem ausgebildeten Becken versehenen Schuppenechsen .(Saurii squamati) vorhanden; denn ich habe es in Folge späterer ‚Untersuchungen bei Polychrus marmoratus Cuv., Tropidurus torquatus Maxim., Phrynocephalus helioscopus Wagl., Jguana delicatissima Laur., Lacerta agilis Lin., Lacerta viridis Lin., ‚Agama colonorum Daud., Draco volans Lin., Ptatydactylus guitatus Cuv., gefunden. In Folge dieser meiner Deutung der Beckenknochen der Saurier ist auch der, zwischen den ossa ileopectinea (ossa pubis Aut.) und den ossa pubis (ossa ischii Aut.) einge- ‚schlossene, oft durch einen knöchernen oder ligamentösen ‚Fortsatz in zwei Hälften getheilte Raum, nicht als foramen obturatorium wie bisher, sondern als ein besonderes, von mir foramen cordiforme genanntes, aufzufassen. Als das foramen obturatorium würde man allenfalls den, zwischen dem hintern Theile des os ilium, dem ligamentum ischiadicum und dem hinteren Rande des os pubis (os ischii Aut.) sich befindenden Raum, ansehen können. Die Gründe, die mich bewogen haben, zu einer von der allgemein üblichen so ganz verschiedenen Ansicht über die Beckenknochen der Saurier zu gelangen, habe ich in meiner Abhandlung genau und ausführlich auseinandergesetzt, wobei ich als Grundlage meiner Beweisführung sowohl die Hart- als Weichgebilde in Betracht gezogen habe. Keine apriori- stische Idee, keine vorgefasste Meinung hat meine Unter- “ suchungen geleitet. Ein blos oberflächlicher osteologischer Vergleich der Becken der Saurier mit denen der Säugethiere und Vögel erweckte in mir anfänglich das Misstrauen gegen die angenommene Deutung dieses Skelettheils bei den Sau- riern, und die Lage der sogenannten ossa ischii und ossa pubis schien mir so wenig der Lage gleichnamiger Knochen bei anderen mit einem ausgebildeten Becken versehenen Wir- belthieren zu entsprechen, dass ich mich bewogen fühlte, das Becken der Saurier Rinsichtlich der es umgebenden Weich- 384 Constantin Gorski: theile, als Muskeln, Gefässe und Nerven einer genauen Prü- fung zu unterwerfen. Dieselbe war aber in Folge des Mangels sowohl an speciellen Vorarbeiten auf diesem zootomischen Ge- biet, als auch des dazu nöthigen Materials mit vielen Schwie_ rigkeiten verknüpft. Herr Professor Dr. Carl Reichert, mein damaliger hochverehrter Lehrer, forderte mich seiner- seits zu diesen Untersuchungen auf; indem er alles darauf bezügliche zootomische Material der Dorpater Sammlung mir zur Verfügung stellte. Ihm hauptsächlich habe ich es zu ver- danken, dass es mir möglich gewesen ist, meine Aufgabe vermittelst einer Methode zu lösen, die bei der Entscheidung solcher Fragen von den wissenschaftlichen vergleichenden Anatomen unserer Zeit angewandt wird. Es war mir höchst erfreulich, als ich, bei Beibehaltung der bisher angenommenen Deutung der Beckenknochen der Saurier, die Weichtheile am Becken der Saurier mit denen anderer Wirbelthiere verglich, auf merkwürdige Anomalien hinsichtlich der Lagerungsverhältnisse zu stossen; denn meine in Folge osteologischer Beobachtungen entstandenen Zweifel über die Richtigkeit dieser Deutung gewannen dadurch immer mehr Gewissheit. Es handelte sich jetzt bloss darum, welche neue Deutung die alte am richtigsten ersetzen würde? Eine genaue Analysis des Beckens mit seinen Weichtheilen bei den Wirbelthieren, den Menschen nicht ausgeschlossen, führte mich bald zu der Erkenntniss, dass das Vorkommen des os ileopectineum als besonders stark entwickelte Eminentia ileo- pectinea, so wie das Fehlen des os ischii, welches bei den meisten Sauriern durch das Ligamentum ischiadicum ersetzt wird, durchaus charakteristische und in der Natur begründete Merkmale seien. Vorurtheilsfrei, ohne weiteres Bedenken babe ich auch diese Ansicht hinsichtlich der Deutung der Beckenknochen der Saurier ausgesprochen, und dieselbe durch das Veröffentlichen meiner Abhandlung der gelehrten Welt zur Prüfung und Kritik vorgelegt. Einige Jahre sind seitdem vergangen, und es ba sich meine Ansicht noch wenig Eingang in die zoologischen und vergleichend-anatomischen Schriften ‘verschaffen können. Das Einige Bemerk. üb. die Beckenknochen d. beschuppten Amphibien. 385 einzige Werk, in welchem der Verfasser mit mir übereinzu- stimmen scheint, ist das ausgezeichnete, allgemein anerkannte Handbuch der Zoologie von J. van der Hoeven (deutsche Uebersetzung nach der II. holländischen Ausgabe. 8. Leipzig. Voss, 1852 — 1856). — Der Verfasser sagt bei Beschreibung _ des Beckens der Eidechsen (II. B. pag. 220 unten): „Nach den Untersuchungen von Constantin Gorski über das Becken der Saurier, Dorpat 1852. 4., entsprechen übrigens diese sogenannten Sitzbeine der Eidechsen morphologisch den Schambeinen der höheren Wirbelthiere, während die soge- nannten Schambeine als eigenthümliche ossa iliopectinea an- zusehen sein möchten. Das Sitzbein fehlt bei den Eidechsen wenigstens als Knochen. Es ist vom sogenannten Ligamen- tum ischiadicum vertreten.“ Die übrigen Schriftsteller gingen mit Stillschweigen darüber hinweg, ohne meine Untersuchun- gen zu prüfen und irgend welchen Gegenbeweis zur Wider- legung meiner Ansicht zu führen, sofern sie dieselbe etwa nicht begründet genug finden sollten. Als aber die langersehnte zweite Auflage des Handbuches E Zootomie von Siebold und Stannius 1856 erschien, war ich ‚nicht wenig erstaunt zu lesen, dass Stannius die alte Deutung der Beckenknochen der Saurier beibehalten hat, und, obgleich ihm meine Abhandlung bekannt ist, ohne Thatsachen- oder anderweitige Gründe beizubringen, sich fol- gendermassen darüber äussert: „eine unter Reichert’s Lei- tung erschienene Abhandlung von Constantin Gorski, über das Becken der Saurier, Dorpat 1852. 4., mühet sich ab, den Beweis zu führen, dass die ossa pubis als ossa iliopec- " tinea, die ossa ischii als ossa pubis aufzufassen seien (s. 2tes Heft $. 43 pag. 78. 2) unten). - In dieser Aeusserung, welche noch dazu in einem so hochgeschätzten Handbuche gemacht wurde, liegt etwas polemisches, was mich um so mehr befremden$musste, als ich mir nicht bewusst bin in meiner Abhandlung Herrn Stan- nius irgendwie zu nahe getreten zu sein. Das Verletzende der Aeusserung scheint aber eine noch grössere Tragweite in sich zu enthalten, da sie zugleich der Beziehungen meines hoch- Müller’s Archiv. 1858, 25 386 Nee : Constantin Gorski: geehrten Lehrers zu der Arbeit gedenkt. Man mag mir, dem dankbaren Schüler, gestatten, über diesen letzten Punkt still- schweigend um so mehr hinwegzugehen, als das allgemeine Urtheil über die wissenschaftlichen Leistungen des Professors Dr. Reichert dadurch keinesweges beeinträchtigt werden kann. | 5: | Was mich persönlich anbetrifft, so wird jeder vorurtheilsfreie Leser mir zugestehen, dass ich Grund habe, die angeführte Aeusserung des Prof. Stannius als eine wenigstens un- passende zu bezeichnen. Sie kann unmöglich auf den Charakter eines wissenschaftlichen Urtheils Anspruch machen; denn sie enthält in sich viel eher die Tendenz, meine: neue Ansicht zu tadeln und als werthlos ohne weiteres zu verwerfen, als - die Intention, dieselbe einer Prüfung zu unterwerfen — was doch bei jeder wissenschaftlichen Kritik der allein mögliche Weg ist, auf dem Forscher, bei den Verschiedenheiten ihrer Meinungen, zu einer Ausgleichung und einem gegenseitigen Verständniss gelangen können. Indem ich die Hoffnung habe, dass die Naturforscher meine Abhandlung einer möglichst genauen und gerechten Kritik unterwerfen werden, hege ich in mir das Bewusstsein, mich nicht umsonst „abgemüht* zu haben, sondern auf gewissenbaftem Wege, durch einen. geschickten Forscher geleitet, zur Lösung nteiner Aufgabe geschritten zu sein, und dadurch einen, wenn auch kleinen Beitrag zur Erweiterung unserer Kenntnisse auf diesem Ge- biete der vergleichenden Anatomie geliefert zu haben. Hinsichtlich der Aehnlichkeit des Beckens ‚der Saurier mit dem der Chelonier habe ich schon damals die Vermuihung ausgesprochen, dass sich die Beckenknochen der letzten auf dieselbe Weise würden deuten lassen. Jetzt aber, nachdem ich die Lagerungsverhältnisse der Hart- und Weichgebilde am Becken der Chelonier untersucht habe, bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, dass meine oben genannte Deutung auch auf diese Amphibienordnung passt. Die Verschieden- heiten, die man wahrnimmt, beeinträchtigen keinesweges die Uebereinstimmung, denn sie hängen bloss mit: gewissen Ua- Einige Bemerk. üb. die Beckenknochen d, beschuppten Amphibien. 387 terschieden in der Bewegungsart beider Amphibienordnungen zusammen. 1 Was nun zunächst die Hartgebilde anbetrifft, so ist das Becken der Chelonier insofern von dem der Saurier verschie- den, als bei den Fluss- und Landschildkröten die ossa ilio- pectinea (ossa pubis Auct.), welche sich bedeutend nach vorn und innen ausgebreitet haben, nicht nur mit einander, sondern auch mit den an der Symphysis ossium pubis her- vortretenden Fortsätzen der ossa pubis (os.ischii Auct.) ver- bunden sind, und somit wird das sonst einfache foramen cordiforme (for. obturatorium Auet.) in zwei rundliche Oeff- nungen getheilt. Bei den Seeschildkröten, bei welchen das 08, iliopecetineum die höchste Ausbildung erreicht und an Grösse alle übrigen Beckenknochen übertrifft, ist dagegen das foramen cordiforme wie bei vielen Sauriern nur durch ein Ligament getheilt. Sonst tragen bei den Schildkröten wie bei den Schuppenechsen alle drei Knochen zur Bildung der Gelenkpfanne bei, und die ossa iliopeetinea haben an ihren äussern Rändern die ihnen eigenthümlichen Fortsätze, die ich. bei der Beschreibung des Beckens der Saurier pro- cessus der 0ssa iliopectinea genannt habe. Das Ligamentum ischiadieum ist zwar in der Art wie bei den Sauriern nicht ausgebildet — aber wenn man das Brust- bein einer Schildkröte abgenommen hat, so erblickt man an der Stelle, wo die Schenkelmuskeln durch eine gebogene, von mir Schenkeldammbuge genannte Furche von den Schwanz- muskeln abgegrenzt werden, eine breite starke Fascia. Diese geht nach vorn in ein kräftiges Faserband (Ligament)!) über, . welches von der Spitze des processus ossis iliopectinei nach innen und hinten zum hinteren Fortsatz des os pubis (08 ischi Auct.) und sogar bis zur Symphysis oss. pubis (088. ischii Auct.) verläuft. Mehrere Muskeln entspringen von die- sem Ligament und hauptsächlich die Beuger des Unterschen- 1) Dieses Ligament ist von Meckel in seinem „System d. vergl, Anatomie“, 8. 1828. Halle III. Band p. 259 beschrieben. Bojanus (Anatome Testudinis Europaege) nenntes Ligamentum pubis iischia- dieum. " 25” 388° ERE 14 Constantin Gorski:' kels. Für meine Behauptung ist es wichtig, dass es wieder in ähnlicher Weise wie bei den Sauriern Muskeln sind, die sich an die innere Fläche der Tibia ansetzen, und somit den M. semimembranosus und semitendinosus entsprechen. Wir wissen ferner, dass bei den Wirbelthieren mit einem ausgebildeten Becken diese Muskeln gewöhnlich vom Tuber ischii entspringen. Es haben sich also dieselben, zum Ersatz für das nicht vorhandene os ischii und das Tuber, hier das genannte Ligament zur Anheftungsstelle gewählt. ‘Zieht man in Betracht, dass ganz ähnliche Muskeln bei den Sauriern vom Ligamentum ischiadicum entspringen, und dasselbe dort auch zur Symphysis oss. pubis (oss. ischii Au ct.) nach vorn heraufgeht — so habe ich kein weiteres Bedenken, dieses,‘ am Becken der Chelonier vorkommende Ligament, und namentlich seinen hinteren aponeurotischen Theil, für ein JAnalogon des Ligamentum ischiadieum der Saurier zu halten. ef Vergleicht man die Beckenmuskeln der Chelonier mit denen der Saurier, so zeigen sie nicht nur in Bezug auf ihre Ur- sprungs- und Anheftungsstellen, sondern auch auf ihren Ver- lauf und sogar ihre Zahl, sehr viele Uebereinstimmungen mit einander, wenn auch die Anordnung, namentlich der Unterschenkelmuskeln bei den Sauriern — was schon Meckel hervorhebt — compliecirter als bei den Cheloniern ist. Es wäre überflüssig, wollte ich eine detaillirte Beschrei- bung der Muskeln am Becken der Schildkröten geben, denn wir besitzen schon ganz genaue Angaben über dieselben in den anatomischen Werken von Wiedemann, Meckel und namentlich von Bojanus. — Der Uebersicht wegen werde ich aber einige für meine Beweisführung wichtige Muskeln anführen. | Was nun zunächst die Beuger des Oberschenkels anbe- trifft, so haben wir bei den Cheloniern wie bei den Sauriern starke Muskeln, die dem iliacus internus analog sind, und zum Theil vom os ilium, zum Theil von der-oberen Fläche des os pubis (os ischii Auct.) entspringen. Die Analoga des M. pectineus nehmen ihren Anfang von der ganzen unteren Einige Bemerk, üb. die Beckenknochen d. beschuppten Amphibien. 389 Fläche des os iliopectineum (os pubis Auct.), wie bei den Sauriern. Die Adductoren des Oberschenkels entspringen von der Symphysis oss. pubis (ossa ischii Auct.) und von einer Mem- bran, die das von mir sogenannte foramen cordiforme (fora- men obturatorium A uct.) überzieht. | Die Beuger des Unterschenkels, Analoga der M.M. biceps, semitendinosus und semimembranosus, entspringen von dem vorderen Theile der dem Ligamentum ischiadicum der Sau- rier entsprechenden Fascia, welche daselbst als faseriges Band (Ligamentum pubis ischiadicum Bojanus) ausgebildet ist. Die Adductoren und Roller des Unterschenkels, Analoga des Gracilis, nehmen vom os pubis (os ischii Auct.) ihren Anfang. Zieht man alle diese Momente in Betracht, so ist zu er- sehen, dass, wenn man die alte Deutung der Beckenknochen der Chelonier beibehalten wollte, man auf dieselben Incon- sequenzen und Anomalien, hinsichtlich der sonst bei Wirbel- thieren vorkommenden Anordnung der Beckenmuskeln stossen würde, wie ich es bereits bei der Beschreibung der Becken- knochen der Saurier ausführlich besprochen habe. Schliesslich müssen, als nothwendige Folge meiner Deu- tung der Beckenknochen der beschuppten Amphibien, beim Vergleich des Schultergürtels mit dem Beckengürtel die Ho- mologien anders ausfallen als nach der bisherigen Deutung. Ein Blick auf die beiden Gürtel dieser Amphibien lehrt, dass die Schulterblätter den ossa ilii — die furcula (ossa. elavicu- laria) den ossa iliopectinea, und die ossa coracoidea den 08sa pubis entsprechen. 390 | Prof. Dr. Krauss: Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. Von Prof. Dr. Krauss in Stuttgart. Schon seit vielen Jahren werden mir durch einige Sammler naturhistorische Gegenstände aus entfernten Ländern zuge- schickt, die theils für das k. Naturalienkabinet in Stuttgart ° bestimmt, theils durch meine Vermittelung an mehrere natur- ta nn historische Anstalten gelangt sind. Die reichhaltigste Aus- beute im Gebiete der Zoologie lieferte Herr A. Kappler aus der holländischen Kolonie Surinam. Seinen Bemühungen ist es zu danken, dass in dem Zeitraum von zwölf Jahren sieben Museen mit Manatus aus den surinamischen Flüssen, namentlich aus dem Marowynefluss, versehen werden konnten, und dass es mir möglich geworden ist, die nachstehenden Untersuchungen und Messungen an diesem immer noch ve Ex nen Thier zu geben. Die Schädel und Skelette der Manatus, welche ich nen z benutzen konnte, habe ich mit Nummern versehen und werde nun, wenn eine Vergleichung vorgenommen werden sollte, angeben, in welchen Museen sie zu finden sind. Es ist ein ausgestopftes Thier, ein Männchen nach Kappler*), ein, übrigens nicht zu diesem ausgestopften Exemplare gehöriges *) Wegen des Geschlechtes muss ich mich auf die Angaben von Kappler beschränken, da es an den getrockneten Bälgen nicht mehr zu-erkennen war, weshalb es sehr zu bedauern ist, dass es nicht bei allen angegeben werden kann. Die bestimmten Angaben bei einigen Thieren können aber als zuverlässig angenommen werden, weil Kappler bei diesen auch die Geschlechtstheile in Weingeist mitge- schickt hat, Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 391 Skelet eines alten Thieres (in nachstehendem Aufsatz mit Nr. I. bezeichnet) und ein Schädel eines jungen Thieres (Nr. IV.) in dem k. Naturalien-Kabinet in Stuttgart, ferner ein ausgestopftes altes Thier sammt Skelet (Nr. II.) im Mu- seum in St. Petersburg, das dritte (Nr. III.), wahrscheinlich ein Männchen, in dem zoologischen Museum der Universität in Kopenhagen, das vierte, dessen Skelet (Nr. V.) nach Kappler ein Männchen ist, und ein Schädel eines jüngeren Thieres (Nr. VI.) in Tübingen, das fünfte, ein Weibchen (Nr. VII), in Würzburg, das sechste (Nr, VII.) und ein einzelner Schädel ohne Schläfenbein (Nr. IX.) in Freiburg. i. B., das siebente (Nr. XI.) im Museum in Berlin und noch ein einzelner schadhafter Schädel (Nr. X.) im Museum in Wiesbaden aufgestellt. Von diesen aufgezählten, sämmtlich surinamischen Ma- natus habe ich die drei ersten Skelette und die Schädel Nr. I. bis X. selbst untersucht, was mir nur durch die Gefällig- keit der Herren Professoren Dr. Leydig, Kölliker, Ecker _ und Kirschbaum ermöglicht wurde, indem sie mir die Schädel Nr. V. bis X., welche sie früher durch mich bezogen hatten, auf’s Bereitwilligste überschickten, und sowie Hr. Dr. E. v. Martens mir die hier angeführten Maasse und Notizen über die Skelette Nr. V., VII, VIII. und XI. mit- theilten. Die Maassverhältnisse über die einzelnen Theile des Schädels und des Skelets sind in der angeschlossenen Tabelle gewissenhaft niedergelegt. Ueber die Grösse der ausgestopften Manatus will ich hier angeben, dass das ausgestopfte Thier Nr. I. 227, Nr. II. 210, Nr. III. 217, Nr. V. 206 Centimetres lang ist. . ‚Bei der Schwierigkeit, diese Thiere in einem heissen Lande zu conserviren und nachher die dicke, sehr schwer zu be- handelnde Haut auszustopfen, ist es nicht möglich, die na- türliche Gestalt wieder genau herzustellen, daher ich die An- gabe der übrigen Maasse unterlassen kann. Ich wollte nur die Länge angeben, um zu zeigen, welche Grösse die Hana- tus in Surinam erreichen, da nach dem Skelet und dem Ge- biss der hier beschriebenen Thiere anzunehmen ist, dass 392 Prof. Dr: Krauss: einige davon erwachsenen, zum Theil sogar alten Thieren 5 angehört haben. Nach Kappler wird Hanatus 8, höchstens 9 (holländische?) Fuss lang, hält sich nicht im Meer, son- dern im süssen Wasser auf und nährt sich von den am Ufer 54 herabhängenden Zweigen einer stacheligen Papilionacee mit violetten Blüthen (Brandimakka der Indianer) und von den x Früchten von Caladium arborescens, das ebenfalls am Lfer 4 wächst. ie Zu annähernder Bestimmung des Alters der. udtersncheäl Thiere giebt vielleicht das Getrennt- oder Verwachsensein des Hinterhaupts-, Scheitel- nnd Keilbeins einige Anhalts- punkte. An allen Schädeln sind die Scheitelbeine nicht nur unter sicb, sondern auch mit dem Hinterhauptstheil des Hin- terhauptsbeins vollständig und wahrscheinlich sehr frühzeitig verwachsen, da nur an dem Schädel Nr. VI. und selbst an dem jüngsten Nr. IV. die frühere Trennung nur noch an den Seiten der Hinterhauptsleiste, welche unmittelbar an der Lambda-Naht liegt, angedeutet ist. Dagegen bleibt der Hin- terhauptstbeil von dem Gelenktheil des Hinterhauptsbeins vollkommen getrennt, nur an den Schädeln Nr, IX. und X. sind sie in der Mitte der Hinterhauptsschuppe vollständig verwachsen, an dem Schädel Nr. III. im Verwachsen begriffen. Ferner ist der Gelenktheil an den Schädeln Nr. IV., V., VIE und VIII. nicht nur in seiner Mittellinie für sich, sondern auch von dem Grundtheil getrennt, an Nr. VI. in der Ver- wachsung begriffen und an Nr. I., IL, III, IX. und X. vell- ständig verwachsen; ebenso ist der Grundtheil mit dem Keil- bein, mit Ausnahme des jüngsten Schädels Nr. IV. und des jüngern Nr. VIII, bei welchen die Trennung noch vollkommen ist, an allen übrigen Schädeln vollständig verwachsen. Hier- durch wird die Ansicht von Cuvier, dass der Grundtheil früher mit dem Körper des Keilbeins als mit dem Gelenktheil de verwächst, bestätigt. | Wollte man nach der Verwachsung der eben beschrieheuiil Schädelknochen eine Eintheilung des Alters der Thiere unter- nehmen, so würden die Schädel Nr, IX. und X., hierauf Nr. I., ID. und IH. den ältesten Thieren angehören, dann würden nn Un U U Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 393 Nr. VI. (was freilich zu der später nach dem Gebiss aufge- stellten Reihenfolge nicht ganz passt), hernach Nr. VdI. und V. folgen und nach einem grösseren Zwischenraum Nr. VIII. und zuletzt Nr. IV. kommen. Mit dieser Eintheilung würde das später erwähnte Längenverhältniss des Gesichtstheils ebenfalls übereinstimmen. Ich lasse nun die Beschreibung und Vergleichung der oben aufgezählten Schädel folgen, womit es mir vielleicht gelungen ist, einen Beitrag zur Lösung der verschiedenen Ansichten über ‚einzelne Knochen, sowie der immer noch nicht ent- schiedenen Frage, ob eine oder zwei Arten von amerikani- schen Manatus anzunehmen sind, geliefert zu haben. In der "Beschreibung der einzelnen Theile des Skelets kann ich mich kurz fassen, da diese durch G. Cuvier und andere Gelehrte und zuletzt mit anerkannter Sachkenntniss durch meine hoch- verehrten Freunde, H. Stannius und W. Vrolik in ihren vortrefllichen Arbeiten: Beiträge zur Kenntniss der ameri- kanischen Manati’s, Rostock 1845* und „Bijdrage tot de Na- tuur- en ontleedkundige Kennis van den Manatus americanus (Bijdragen. tot de Dierkunde. Amsterdam 1848-1854) ge- geben sind. ; Zu den Untersuchungen über 2 Schädel und: 2 Skelette des amerikanischen Manatus, welche Dr. G. v. Jäger in seinen osteologischen Bemerkungen (Nov. Acta Acad. Natur. Curios. Vol. XXVI. P. 1.) veröffentlicht hat, habe ich zu bemerken, dass der daselbst beschriebene Schädel A. in dieser Arbeit mit Nr. IV., das Skelet D. mit Nr. I. bezeich- net ist. Der Schädel B. ist, seinen Maassbestimmungen nach, der nach Wiesbaden abgegebene, hier mit Nr. X. bezeichnete, das Skelet eines Weibchens C. kann wohl kein anderes als das Würzburger (Nr. VII.) sein, obwohl die Maase nicht ganz übereinstimmen. Ueber das Geschlecht des Skeletes D. (Nr. 1.) muss ich noch hinzufügen, dass dieses Skelet nicht zu dem ausgestopften männlichen Thier des k. Naturalien-Kabi- nets, sondern zu dem ausgestopften Thier in Tübingen gehört, von dem das Geschlecht nicht bekannt ist. 394 Prof. Dr. Krauss: Die Schädel des Manatus zeichnen sich durch ihr grosses Gewicht und durch die Veränderlichkeit der einzelnen Knochen in Gestalt und Grösse aus. Schon beim flüchtigen Ueberblick ist es auffallend, dass die grösste Höhe der Schädel mit Unterkiefer, bei Nr. I. mit 20, bei Nr. HI. mit 19 und Nr: X. mit 18,5 ©. M.!), auf die leistenförmigen Fortsätze des Schei- telbeins, welche auf dem Schädeldach den hintern Rand der Stirnbeine umfassen, fällt, während die grösste Höhe bei allen übrigen Schädeln, die 18 bis 19, bei dem jüngsten Nr. IV. nur 16 C.M. ist, an der hervorragenden knorrigen Quer- leiste der Verbindung des Hinterhauptsbeins mit dem Scheitel- bein liegt. Da die Ober- und Unterkiefer mit ihren Zahnreihen und Gelenken ohne Gelenkknorpel nicht genau zusammenge-- E passt werden können, so können auch an den macerirten Schädeln keine richtigen Höhenmaasse genommen werden, ich habe daher den Schädel auch ohne Unterkiefer, auf dem Zwischenkiefer und dem Flügelfortsate des Keil- und Gaumen- beins ruhend, gemessen.?2) Daraus hat sich ergeben, dass die Schädel Nr. I., III. und X. ohne Unterkiefer vorn am Scheitelbein 14,0 und 12,5 C. M. hoch, die übrigen an der Hinterhauptsleiste, und zwar bei Nr. II. 13,4, Nr. IV. 12,3, Nr. V. 11,9, Nr. VI. 13,0, Nr. VII. 11,4, Nr. VIH. 11,7 und bei Nr. IX. 13,3 C. M. hoch sind. Ebenso veränderlich ist das Schädeldach sowohl in der Breite, als auch in der Wölbung, 1) Die Maasse sind durchgehend nach Oentimetres angegeben. 2) Die Schädel wurden nämlich auf einen Maassstab in eine vier-- eckige, hochwandige Schieblade gelegt, mit der Oberfläche der beiden wahrscheinlich je nach dem K“ u nd ne AZ u - Gelenksköpfe des Hinterhaupts an die eine, mit der äussersten Fläche $ des Jochfortsatzes des Schläfenbeins an die andere Seite der Schieb- lade rechtwinkelig angepasst. Durch senkrecht auf den Maassstab ge- zogene Linien: könnte alsdann die Länge und Breite. der Schädel ganz genau abgelesen werden. Für alle übrigen Maasse bemerke ich zu gleich, dass sie mit einem Kaliber-Maassstab genommen wurden, und dass ich bei den paarigen Knochen, die fast immer unter einander ungleich sind, stets den grösseren Knochen gemessen habe, Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 395 ‚Alter und Geschlecht der Thiere. Was die Wölbung betrifft, 8o ist der auch in anderer Beziehung merkwürdige Schädel Nr. II. von allen am meisten verflacht. Ihm zunächst stehen die Schädel Nr. V. und dann Nr. IX. und X.; am meisten gewölbt sind die Schädel Nr. I., III., IV. und VI. In welcher Weise das Schädeldach in der Breite variirt, ist auf der Ta- belle aus den Maassverhältnissen der Breite der Stirnbeine ersichtlich, auf die ich überhaupt für alle übrigen Maase hin- weise. Nach diesen hat das jüngste Thier Nr. IV. und das ältere Thier Nr, VI. das breiteste, das Weibchen Nr. VI. und das ausgewachsene Thier Nr. III. das schmalste Dach des Hirnkastens.. Will man noch nach den in der Tabelle gegebenen Maassen der Länge der Schädelhöhle, der Höhe des Hinterhauptsbeins und vielleicht der Breite des Keilbeins zwischen beiden Schläfenbeinen annäherungsweise auf die Grösse der Schädelhöhle einen Schluss ziehen, so würden die Schädel Nr. I., IH., IV. und X. die grösste, Nr. V. und VIII. die kleinste Schädelhöhle haben. Nach diesen allgemeinen Angaben über den Schädel dürfte es angemessen sein, einige Bemerkungen über das Hinter- hauptsbein selbst vorauszuschicken, ehe ich die Abweichungen dieses Knochens an den verschiedenen Schädeln zusammen- stelle. Die schmale Pars occipitalis bildet den obern Theil der hintern Fläche des Schädels und legt sich bei den meisten Schädeln mit einem convexen Rand an den Gelenktheil an, nur an den Schädeln Nr. VII. und VIII. reicht sie mit einer Spitze zwischen die seitlichen Hälften des Gelenktheils herein, Nr. VII. sogar bis fast an den obern Rand des Hinterhauptsloches herab. Von ihrem untern Rand steigt in der Mittellinie eine starke Leiste aufwärts und geht oben in die stark hervor- ragende Querleiste über, welche bis zum äussern abgerundeten Rand verläuft. Vor dieser Querleiste nimmt die P, oceipitalis noch mit einem sehr schmalen Theil an der Bildung des Schädeldachs Theil und verwächst sehr früh mit den Scheitel- beinen. Der äussere Rand der P. oecipitalis legt sich mit seinem vordern Theil an das obere Ende der Schläfenbeinschuppen an, während der hintere Theil durch ‚das an allen Schädeln vor- 396 Prof. Dr. Kraüss: handene Loch frei bleibt, welches, bis 4 C. M. lang und 1'/, ©.M. breit, nach hinten durch einen kleinen Theil des oberen Randes der Pars condyloidea, nach aussen durch das Felsenbein und nach vorn durch einen sehr kleinen Theil des hintern Randes der Schläfenbeinschuppe begränzt ist. Die beiden sehr breiten Part. condyloideae bilden mit ihrer mitt- leren Platte den untern Theil der hintern Fläche des Schädels, Die Process, condyloidei sehen nach hinten und divergiren nach oben. Die Pars basilaris ist schmal und nur durch den vordern 2,1 bis 3,0 ©, M., breiten Theil mit dem Keilbein und durch 2 hintere divergirende Aeste mit der Pars condyloidea verbunden. Das Hinterhaupt der auf dem Unterkiefer ruhenden Schä- del dacht sich am steilsten bei Nr. III, V., VII und X,, am geringsten bei Nr. I. und IX. ab. Das Hinterhauptsloch ist am weitesten an den Schädeln Nr. III., VII. und X., am kleinsten an Nr. I., II. und VIII.; es ist an Nr. III, VI. und besonders an Nr. X. am meisten nach unten gerichtet, an Nr. I., II. und IX. am höchsten stehend und daher gerade nach hinten gerichtet. Der untere Rand des Hinterhauptsloches, durch den hinteren Rand des Grundtheils gebildet, zeigt ge- wöhnlich einen abgerundeten Ausschnitt, bei Nr. II. aber eine _ schmale tiefe Bucht. Die Querleiste des Hinterbaupts ist nicht an allen Schädeln gleich gestaltet. An den meisten ist nämlich, wie auch die Abbildungen von Schlegel, Blainville und Vrolik zeigen, zu jeder Seite des mittleren stärksten Höckers noch eine Hervorragung vorhanden, die aber an den Schädeln Nr. V. und VI., bei welchen die Hinterhauptsleiste einfach bogen- förmig ist, fehlt. Das Schädeldach wird durch die unter sich verwachsenen Scheitelbeine und durch die Stirnbeine gebildet. Beide nehmen durch eine steil abfallende Wand an der Bildung der Schläfen- grube Theil. Das Scheitelbein ist nämlich mit seinem drei- eckigen absteigenden Theil zwischen die Schuppe des Schläfen- beins und den absteigenden Theil des Stirnbeins eingekeilt und stösst mit seinem untern Rand, der von. l-bis 3 C,M. Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 397 breit ist, an den grossen Flügel des Keilbeins. Das Stirn- bein steht an seinem hbintern Rand mit dem Scheitelbein, an seinem untern Rand mit dem grossen Flügel und dem schwert- förmigen Fortsatz des Keilbeins, mit dem Gaumenbein und mit einer vom Alveolarfortsatz des Oberkiefers aufsteigenden Lamelle in Verbindung. Bald im vordern Theil des Schläfen- fortsatzes des Gaumenbeins, bald an dessen vorderem Ende ist ein grosses Loch, das in die Rachenhöhle führt. Das Schädeldach ist auf seiner ganzen Länge jederseits durch eine Leiste eingefasst, welche von der äussern Ecke der Querleiste des Hinterhaupts am Rande des Schädeldachs bis zum Augenhöhlenfortsatz des Stirnbeins läuft und nach dem Alter, vielleicht auch nach dem Geschlecht der Thiere sehr verschieden ist. Am stärksten sind diese Leisten an den Schädeln Nr. I., weniger erhaben an Nr. II, II., IX. und X., am schwächsten an den jüngeren Schädeln Nr. VI., IV. und VIII. Aber auch ihr ‚Verlauf ist verschieden, denn an den Schädeln Nr. I., II., VIIL. und X. laufen die Leisten auf den Scheitelbeinen nach vorn in. stark convergirender Richtung, indem sie sich bis auf eine Entfernung von 1!/, bis 2 C.M. nähern, divergiren alsdann bis zur Spitze der Fort- sätze der Scheitelbeine und verlaufen an den alten Schädeln parallel, an den jüngern etwas nach vorn divergirend bis zur Nasenhöhle. Mit dieser Verschmälerung des Schädeldachs stehen ohne Zweifel die am hintern Rand in eine Spitze aus- laufenden Stirnbeine in Einklang, wie sie nur die Schädel Nr. IL, H., VO. und X. aufweisen, und Blainville bei M. australis>(Östeogr. pl. III.) abgebildet hat. An allen übrigen Schädeln ist der hintere Rand der Stirnbeine gerade abgestutzt . und das Schädeldach an dieser Stelle bedeutend breiter, am ‚breitesten (4 CM.) an den jüngeren Nr. IV. und VII. Ueber die Breite der Stirne und der Stirnbeine zwischen der Spitze der beiden Fortsätze des Scheitelbeins giebt die Tabelle nähe- ren Aufschluss. Hier möge denn auch der Knochenschuppe auf dem Schädel- dach zwischen den Scheitel- und Stirnbeinen Erwähnung ge- schehen, welche Dr. G. v. Jäger in seinen osteol, Bemer- 398 Prof. Dr. Krauss: kungen 1. c. p. 98. an dem Schädel unseres jüngsten Thieres IV. besehrieben und auf Taf. 6 fig. 1b. abgebildet hat. Dieses Zwickelbein ist zwar schon mit den Seheitelbeinen verwachsen, aber die Sutur ist noch deutlich zu erkennen. Das Vor- handensein eines Zwickelbeins scheint indessen bei jungen Manatus nichts Ungewöhnliches zu sein, denn eine durch eine schwache Vertiefung umgrenzte Stelle an den jüngern Schä- deln Nr. V., VE. und VII. weist darauf hin, dass daselbst früher ebenfalls ein Zwickelbein vorhanden gewesen ist. Weniger erklärlich ist es mir, warum die Stirnbeine gerade an den Schädeln der jüngeren Thiere mehr oder weniger unter sich verwachsen sind, während sie doch an den ältesten Nr. I., H., IX. und X. so sehr getrennt sind, dass sie klaffen und etwas beweglich sind. An dem jüngern Schädel Nr. VII. ist diese Naht wohl noch sichtbar, aber dessen Stirnbeine sind bis. auf eine kleine Strecke hinter dem vordern Rand und an dem jüngsten Nr. IV. vor und hinter dem durch @. v. Jäger beschriebenen Lach verwachsen; noch mehr aber ist dies der Fall an dem durch Vrolik (l. e. fig. 11) abge- bildeten Schädel eines jüngern Thiers, bei welchem die Naht hinten gar nicht mehr zu erkennen ist. Noch grössere Abweichungen zeigen aber die Stirnbeine an ihrem Augenhöhlenfortsatz, und es könnte die Frage ent- steben, ob hier nicht ein Anhaltspunkt zur Unterscheidung der Species oder des Geschlechtes zu suchen ist. Dieser Fortsatz, der von dem platten Theil der Stirnbeine nach aussen tritt und unter verschiedener Gestalt das Dach der 'Augenhöhle bildet, zeichnet sich nämlich an dem Schädel Nr. H. vor allen andern durch seine Grösse, Gestalt, Flach- heit und Verbindung mit den andern Fortsätzen, welche die Augenhöhle bilden, auf eine merkwürdige Weise aus. Aus der Entfernung von einer hintern Ecke der beiden Orbita- fortsätze der Stirnbeine zur andern (siehe Tabelle); ist schon ersichtlich, dass der Schädel Nr. II. an dieser Stelle viel breiter ist, als alle übrigen, hauptsächlich weil der Orbital- fortsatz des Schädels Nr. II. von der hinteren Eeke bis zu seinem innern, die Nasenhöhle begränzenden Rand 4,5 C.M,, Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 399 dagegen bei Nr. I. und III. nur 3,2, bei Nr. IV. und V. 2,6, _ bei Nr. IX. 2,4 und bei Nr. VII. sogar nur 2,0 bis 2,2 C.M. breit ist. In der Breite dieses Fortsatzes weicht Nr. IV. von dem durch Vrolik auf Taf. IV. fig. 11. abgebildeten jüngern Schädel, mit welchem er sonst äusserst viel Aehnlichkeit hat, bedeutend ab. Der Orbitalfortsatz von Nr, II. ist ferner auf seiner Oberfläche ganz flach, glatt und von fast gleichseitig- dreieckiger Gestalt, bei den andern dick, gewölbt, rauh und länglich, gewöhnlich mit wenig entwickelter hinterer Ecke. Zwischen diesen beiden Extremen steht der Schädel Nr. VI. mit seinem 3,6 ©. M. breiten Orbitalfortsatz in der Mitte. Der Schädel Nr. II. unterscheidet sich aber noch vor allen andern dadurch, dass die hintere Ecke des Orbitalfortsatzes des Stirnbeins mit ihrem 1 ©. M, breiten rauhen Ende an die auf- steigende Zacke des Orbitalfortsatzes des Jochbeins stossend vollständig den knöchernen Augenhöhlenring schliesst, während er bei den übrigen Schädeln 1—2 C.M. von dem Jochbein entfernt ist. Das Schläfenbein besteht aus der Schuppe und dem Joch- fortsatz. Der hintere Rand der Schuppe verbindet sich unten mit der Pars condyloidea des Hinterhauptsbeins durch eine starke Naht, lagert sich in der Mitte an das Felsenbein und steigt nach oben mit einer scharfen Ecke bis zur Leiste des - Scheitelbeins herauf. Der vordere Rand der Schuppe gränzt oben an das Scheitelbein und unten an den grossen Flügel des Keilbeins. Von der obern Ecke der Schuppe läuft eine nach unten stärker werdende Leiste abwärts und’ endigt an ihrem untern Rande, der zur Aufnahme des Paukenbeins tief ausgebuchtet ist, mit einem starken Knorren. Von der Schuppe geht der ungewöhnlich aufgetriebene schwammige Jochfortsatz auswärts und an der äussern Seite der Schläfen- grube gegen die Augenhöhle vorwärts. Dieser ist, häufig an einem und demselben Schädel, in Gestalt, Höhe, Dicke und Länge verschieden. Er ist gewöhnlich birnförmig, hinten höher und dicker als vorn, hinten 4 bis 5, bei Nr. III. sogar 5,90 C.M, hoch, nur am Schädel Nr. II. ist er hinten und vorn gleich, nämlich 4 C, M. hoch und in der Mitte eingedrückt. 400 "Prof. Dr. Krauss: | Am längsten ist-er an den Schädeln I. und II., nämlich 10,8 bis 11,4C. M., gewöhnlich beträgt seine Länge 9 bis 9,5, an der jüngern Nr. IV. und VII. nur 7,38 C.M. Am Ursprung des Jochfortsatzes ist auf der untern Fläche eine Grube und vor dieser eine schmale, längliche, schief nach vorn und aussen gerichtete Leiste als Artikulationsfläche für den Unter- kiefer. | Auf der untern Fläche und am äussern Rande des Joch- fortsatzes legt sich, ‘aber beweglich, das Jochbein mit seinem schmalen hintern Fortsatz und seinem hohen platten Mittel- stück an, welche zusammen die Schläfengrube nach aussen begränzen. Das hintere Ende des Jochbeins reicht bei Nr. III. bis zur Mitte des Jochfortsatzes des Schläfenbeins, bei der übrigen etwas weiter, bei Nr. I. und II. am weitesten nach hinten. Dadurch und durch die Gestalt des Jochfort- satzes kommt Nr. I. mit dem von Blainville abgebildeten M. australis (Osteogr. pl. Ill.) am meisten überein. Der vor- dere Theil des Jochbeins, der Orbitalfortsatz, bildet, unten und vorn auf dem äussern Rand des Jochfortsatzes des Ober- kieferbeins aufliegend, den äussern Theil des Augeuhöhlen- bodens. An seinem hintern Ende uud vor dem hohen platten Mittelstück des Jochbeins steigt eine Zacke aufwärts, die in Gestalt und Grösse sehr verschieden ist. Gewöhnlich ist sie einfach, dick, stumpf und 1,5 ©.M. lang, manchmal, wie an den Schädeln VI. und IX. und zwar auf der linken Seite aus einem eigenen vom Jochbein getrennten Knöchelchen beste- hend, bei Nr. IV. zugespitzt, bei Nr. I. gezähnt und kurz, an den Schädeln I., IV., VII. und IX. sogar doppelt, indem sie hinten und innen durch eine gezähnte, über das Jochbein 'heraufsteigende Zacke dss Jochfortsatzes des Oberkieferbeins unterstützt wird. Die Entfernung der Zacke von dem Joch- fortsatz des Schläfenbeins ist ebenfalls sehr verschieden, ge- wöhnlich beträgt sie 1 bis 1,5 ©.M., am geringsten und nur 0,3 ©.M. ist sie an dem Schädel VI., am grössten, nämlich 2,5 ©. M. an dem Schädel II. Am merkwürdigsten und ausserordentlich entwickelt ist die Zacke an dem Schädel IH. Hier schliesst sie, wie schon bemerkt, nicht nur mit dem un u mr. 5 Van — UT - = zn EEE. rain rennen NE EL En Me aan « Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 401 Orbitalfortsatz des Stirnbeins den Augenhöhlenring, sondern sie tritt auch mit einem noch höher und weiter rückwärts- steigenden Aste zwischen den Jochfortsatz des Schläfenbeins, den sie zugleich berührt, und den Orbitalfortsatz des Stirn- beins herauf. Dadurch unterscheidet sich der Schädel II. von allen mir bekannten Abbildungen, kommt aber in der Bildung des’ geschlossenen Augenhöhlenrings und des grossen drei- eckigen Orbitalfortsatzes des Stirnbeins mit dem von Blain- ville in seiner Osteographie pl. III. als M. senegalensis abge- bildeten Schädel, aber nicht mit dem von Cuvier (Recherch. 1836. pl. 120 fig. 4. 5) überein, nur ist dessen Profil auf dem Schädeldach stark gewölbt und dessen Nasenhöhle verhält- nissmässig breiter. Ä Nach den eben beschriebenen Verschiedenheiten muss auch die Länge des knöchernen Augenhöhlenbogens des Jochbeins abweichen, wie sich denn auch ergab, dass die Entfernung von dem vordersten aufsteigenden Rand bis zum hintersten Ende der Zacke des Orbitalfortsatzes bei den Schädeln I. und X. 7,8, bei den übrigen 5,5 bis 6,3, bei Nr, IV. nur 4,7 C.M. ist, oder wenn die innere Wandung des Augenhöhlen- bogens gemessen wird, diese bei Nr. II. und VI. 5, bei Nr. IV. und VIH. 3,6 bis 3,8, bei den übrigen 4,0 bis eh, bei Nr. X, 4,8 C.M. lang ist. Ueber das Vorhandensein der Nasenbeine bei Manatus sind die Ansichten immer noch verschieden, was wohl daher kommen mag, dass die Schädel, wie es wenigstens an den bis jetzt erhaltenen surinamischen Schädeln der Fall war, stets in der Nähe der Nasenhöhle und häufig auch an dem zwischen den Augenhöhlenfortsätzen liegenden vordern Rand der Stirn- beine beschädigt sind, und dass die Nasenbeine bei der Ma- ceration mit dem Knorpel der Nasenhöhle, in welcher sie häufig zu stecken scheinen, verloren gehen. Stannius (l.c. pag. 9) und W. Vrolik (l. e. pag. 63) haben die Ansichten von Cuvier, Blainville und Köstlin zusammengestellt. Blainville (Osteographie, pag. 44) und Köstlin (Bau des knöchernen Kopfes ete. Stuttg. 1844. pag. 78) sind nämlich der Ansicht, dass die Nasenbeine sehr frühzeitig unter sich Müller’s Archiv. 1858. 26 402 2 Prof. Dr. Krauss: und mit den Stirnbeinen verwachsen; ersterer schickt (Osteogr. pag. 38) noch voraus, dass die Nasenknochen, fast rudimentär, nur eine einfache Apophyse des Stirnbeins zu bilden scheinen. W.Vrolik schreibt (l. e. p. 64) hierüber: „Mitihm (Stannius) bin ich völlig überzeugt, dass Nasen- und Stirnbeine nicht in Eins verschmolzen sind; in dem Foetus laufen die beiden Stirnbeine, ohne alle Andeutung von Nasenbeinen, in einen schiefen Rand aus, gegen welchen nach vorn der knorpelige Rücken der Nase anliegt, die in einen Punkt ausläuft und sich nach hinten seitwärts umkräuselt, um die knorpeligen Nasenflügel zu bilden, gegen welche die Muschelbeine (spons- benderen) anliegen. ‘Wenn ich nun auf Grund dieser Wahr- nehmung mit Stannius der Vermuthung einer solchen In- einsverschmelzung widerspreche, so kann ich mich doch nur ungerne mit seiner Vorstellung vereinigen, dass die knorri- gen, unter dem Nasentheil des Stirnbeins ganz hinterwärts verborgenen Knochen die Nasenbeine sein sollen. In den 4 durch mich untersuchten Schädeln scheinen sie mir die Kenn- zeichen von den untersten Muschelbeinen zu haben.. Nach meiner Meinung giebt es daher keine Nasenbeine bei Manatus.* Diese Darstellung stimmt aber nicht mit der von Stannius gegebenen Beschreibung des Nasenbeins überein, denn Stan- nius (l. c. p. 10) schreibt, nachdem er die Lage und Gestalt dieses Knochens übereinstimmend mit Cüuvier. beschrieben hat, wie folgt: „Fast zur Hälfte liegt er unter. dem Stirnbein verborgen, bildet mit der vordern grössern freien Hälfte einen Theil der Seitenwand des offenliegenden Theiles der Nasen- ‚höhle, grenzt nach unten an die völlig von ihm getrennte obere Muschel des Siebbeins und an das Oberkieferbein, nach vorne, wo er nicht ganz von der ‚Spitze des Nasenfortsatzes des Zwischenkieferbeines erreicht wird, an das Oberkieferbein, nach aussen an dieses und das Stirnbein. Dieser Knochen re- präsentirt ohne Zweifel das Nasenbein.* A. Wagner nimmt in Schreber’s Säugethiere, VIL Theil, pag. 109 ebenfalls das Vor- handensein der Nasenbeine an, welche Ansicht auch ich in meinem Thierreich in Bildern, Stuttgart 1851, S, 94 getheilt habe. Nach den Wahrnehmungen an den von mir untersuchten Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 403 Schädeln muss ich mich der Ansicht von G. Cuvier (Re- cherches, 4e Edit. T. VIII. 1836, p. 21) und von Stannius vollkommen anschliessen, denn es trifft die genaue Beschrei- bung von Stannius über Lage und Gestalt des Nasenbeins ganz mit dem Schädel III, dem einzigen unter den 10 Schädeln überein, an welchem der von Cuvier und Stan- nius beschriebene Knochen in dem Stirnbeinrand einge- keilt ist. Dagegen ist bei allen übrigen Schädeln in jeder Ecke des von den Augenhöhlenfortsätzen umfassten vor- deren Randes der Stirnbeine eine längliche Vertiefung, welche an den Schädeln IV., V. und namentlich an Nr. VI., wo sie 2°C. M. lang, 1 C. M. breit und fast ebenso tief ist, am deutlichsten ist, aber auch an den übrigen leicht zu er- kennen ist. Diese Vertiefung, die nur zur Aufnahme des Nasenbeins gedient’ haben kann, ist auch an den Abbildungen von Cuvier (Recherches,; pl. 220, fig. 3 et5), von Schlegel (Abhandlungen aus dem Gebiete der Zoologie und vergl. Anatomie Taf. V. fig. 3 und 5) und selbst von Blainville (Osteogr. pl, III.) nicht nur an den Abbildungen von M. latirastris (?), mit dem der Schädel Vl. sehr übereinstimmt, und von M. australis zu sehen, sondern es ist sogar der Knochen selbst an dem Gesichtstheil vom Lamantin du Sene- gal und, wie es scheint, an dem aus den Medical and phy- sical Researches copirten M. latirostris Harlan abgebildet. Blainville sagt auch in seiner Erklärung der Figur von L. du Senegal pag. 135: „Avec le cornet inferieur des narines en place, simulant un os du nez, prepare par moi-m&me sur une piece envoy&e du Senegal.“ ' Das: Nasenbein scheint auch in seiner Lage und Anlage- rung an andere Knochen zu variren. In dieser Beziehung passen zu der schon oben citirten Stannius’schen Beschrei- bung die jüngeren Schädel IV. und VII., sowie auch die Schädel I., II., V., VIL, IX. und X., nur dass bei diesen die Spitze des Nasenfortsatzes des Zwischenkieferbeins mehr oder weniger weit entfernt ist, allein bei Nr. VI, wo eine nur vom Stirnbein gebildete Vertiefung die Grösse des Nasenbeins bezeichnet, und bei Nr. III, wo das Nasenbein selbst vor- 26* 404 | Prof. Dr. Krauss: handen ist, erreicht es weder nach unten, noch nach vorn das Oberkieferbein und stösst mit seinem untern Theil an die obere Muschel des Siebbeins. Da die Lage des Nasen- beins bei einer etwaigen Trennung der südamerikanischen Manatus von einiger Wichtigkeit werden könnte, so will ich die beiden an den 10 Schädeln beobachteten Extreme näher beschreiben. Am Schädel III. und ohne Zweifel auch an dem Schädel von Blainville’s Zamantin du Senegal steckt das Nasenbein mit seinem obern abgestutzten Rande beweglich in einer nach hinten sich verschmälernden Bucht des vordern ausgezackten Stirnbeinrandes und legt sich mit seiner äussern bauchigen Seite an eine schwache Vertiefung .der innern, der Nasenhöhle zugekehrten Wand des Stirnbeins und mit dem untern Theil seiner innern Seite an die oberen Muscheln an, an dem mittlern Theil seiner innern Seite und an. seinem ganzen vordern Ende aber steht er mit keinem Knochen in Berührung. An dem Schädel VI. dagegen, und sicherlich auch an dem Schädel von Blainville’s M. latirostris (2), ist keine so tiefe und scharf umgrenzte Bucht im Stirnbein- rand, aber die Wandung des Stirnbeins ist an dieser Stelle nicht blos eingedrückt, sondern dreht sich ein- und aufwärts aus, wodurch eine Grube entstanden ist, in welcher das Nasenbein ruht, während es am Schädel III. durch das Ein- gekeiltsein in den Stirnbeinrand gehalten wird. Das rechte Nasenbein bei Nr. III. ist vorn stumpf und 0,6 C©.M. dick, hinten von beiden Seiten zusammengedrückt und 0,2 ©. M. dick, im Ganzen 1,9 C. M. lang und 1,6 C. M. hoch. Das linke Nasenbein, das 2 C. M. lang, 1,6 C.M. hoch und 0,8 C. M. dick ist, ist mit dem obern hintern Rand nur wenig in den Stirnbeinsrand eingekeilt und dagegen mit seiner äussern, ziemlich bauchigen Seite mehr in die Vertiefung der innern Fläche des Keilbeins gelagert. Es liegt etwas tiefer als das der andern Seite, und sein oberer fast gleich breiter Rand liegt nicht in gleicher Linie mit dem ‘Stirnbeinsrand, sondern senkt sich etwas nach vorn. A Die Nasenhöhle ist auf ihrer Basis durch ik merkwür- a Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 405 digen Oberkieferbeine mit dem rinnenförmigen Vomer in der Mitte, vorn durch die Zwischenkiefer und hinten durch die Stirn- und Siebbeine begrenzt. — Das Oberkieferbein stösst auf seiner Gaumenfläche mit seinem Alveolartheil an die V- förmig eingekeilten Gaumenbeine und an den Flügelfortsatz des'Keilbeins, breitet sich in der Mitte mit einem grossen, ganz flachen Jochfortsatz nach aussen aus und nimmt daselbst in einer starken Rinne den Augenhöblenfortsatz des Jochbeins - ‚auf, an seinem vordern breiten concaven und porösen Theil ist es durch die Zwischenkieferbeine und das Foramen inci- sivum begrenzt. Mit seinem obern Rand stösst das Ober- kieferbein hinten an den zungenförmigen Fortsatz des Gau- ‚menbeins und weiter vorn an die absteigende dünne Seiten- ‘wand des Stirnbeins, schickt alsdann nach aussen den Joch- fortsatz zwischen das vordere Ende des Jochbeins und des "Orbitalfortsatzes des Stirnbeins in die Augenhähle und nach innen den Stirnfortsatz zwischen das Stirnbein und den lan- gen schmalen Nasenfortsatz des Zwischenkieferbeins herauf; vorn wird es durch die Zwischenkieferbeine eingeschlossen. Der Jochfortsatz des Oberkieferbeins, gewöhnlich 5,5 bis 6,5 ‘C. M. lang, stellt unten eine dünne, häufig durchlöcherte, flache Platte dar, auf welcher aussen der ganze kaum weiter nach aussen reichende Augenhöhlenfortsatz des Jochbeins liegt, nur am Schädel II., wo der Jochfortsatz über 7 C.M. lang ist, ragt das Jochbein stark über den Rand der Platte hinaus. Vorn und auf der innern Seite wird der Jochfortsatz durch das Unteraugenhöhlenloch durchbohrt, das bald läng- lieh, bald rund, bei Nr. IV., V. und VII. 1,,, bei den älteren 2,0 bis 2,1 C.M. weit ist. "Die Zwischenkieferbeine sind sehr gross, lang und enden vorn mit einem ungewöhnlich. hohen und verdickten, gewölb- 'ten, nach vorn sich schief abdachenden, bei alten Thieren oben rauhen Theil, der an der Symphysis nie verwachsen, auf der untern Fläche am Rande scharfkantig und durch das grosse längliche Foramen ineisivum verschmälert ist. Das Zwischenkieferbein steigt mit seinem Nasenfortsatz an dem 406 | Prof. Dr. Krauss: innern Rand des Augenhöhlenfortsatzes des Stirnbeins ge- wöhnlich bis zu dessen Mitte, nämlich 2,5 bis 3 C. M., bei .dem Schädel VI. sogar 4 ©. M., dagegen bei Nr. III. und VI, nur bis hinter dessen Spitze, nämlich 1 C. M, herauf. Die Symphysis ist an den ältern Schädeln ‚am meisten ent- wickelt, und zwar oben gemessen an'Nr. II. 6, an Nr. L, Ill., VL, IX. und X. 5 bis 5,5, oben an Nr. IV. und VII. 4,4 undan Nr. VIII. nur 3,3 C.M. lang. Das Foramen ineisivum _ ist an dem Schädel II. 1,5:0.M. breit und 3.C.M. lang, an Nr. IX. 2 C. M. breit und 3,5 C. M. lang. Die Nasenhöhle ist.im Verhältniss der Länge zur Beil ebenfalls sehr veränderlich,. Am längsten ‚ist sie an ‘den ältesten Schädeln I. und X. mit 14,3 bis 14,7 C..M. (an Nr. I. wohl wegen des tief aufgeschnittenen vordern Stirnbein- randes), am kürzesten an Nr. IV. mit 8,8 und an. Nr. VII. mit 9,3 C.M.; am breitesten ist sie aber am Schädel VI. mit 8,7, dann an Nr. I. und X. mit 7,6 C. M., am schmälsten an Nr. VII. und VIII, mit 6,3 bis 6,5 C.M.. Auffallend bleibt die grösste Breite der Nasenhöhle am Schädel VI., alsdaon die verhältnissmässig grosse Breite am jüngsten Schädel IV,, welehe mit der Breite an’ den alten Schädeln II., IIL, IX. und X. ziemlich übereinkommt.. Dennoch dürfte diese Breite der 'Nasenhöhle nicht als Kennzeichen zur Annahme einer eigenen Art berechtigen, da der ebenfalls junge Schädel VIII, der mit Nr. IV. in der Form sehr ähnlich ist, viel weniger breit ist. In der Jugend erscheint die Nasenhöhle überhaupt breiter, weil der Gesichtstheil noch nicht so sehr entwickelt und in die Länge gezogen ist, Dies beweist die Länge der Zwischenkieferbeine, deren Nasenfortsatz nur wenig kürzer ist als die Oberkieferbeine, obgleich auch dieses Verhältniss bei den älteren sehr varürt, denn am Schädel V. und IX. ist das Zwischenkieferbein nur um 2 ©: M., an Nr. II., VII. und X. aber um 3 bis 3,5 C.M. länger als das Oberkieferbein. Das Gaumenbein legt sich ‚mit seinem aufsteigenden per- pendiculären Theil an, den vordern Theil des Keilbeins und an'das. Pflugscharbein an; vor ihm läuft an der innern Seite nz Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus,. 407 des nach hinten. sich verschmälernden Gaumenfortsatzes des Oberkieferbeins der schmale Gaumenfortsatz bis zum letzten oder. vorletzten entwickelten Backenzahn convergirend vor- wärts und vereinigt sich gewöhnlich vorn an seinem innern Rande mit dem der andern Seite, oder bleibt von demselben wie an den Schädeln I. und IV. durch eine schmale Spalte getrennt. Von dem aufsteigenden Theil tritt der Schläfen- fortsatz des Gaumenbeins nach aussen und vorn in die Schlä- fengrube und erstreckt sich, oben mit dem schwertförmigen Fortsatz des Keilbeins und dem absteigenden Theil des Stirn- beins, unten mit dem Alveolarfortsatz des Oberkieferbeins verbunden; zungenförmig mehr oder weniger nach vorn. Der absteigende Flügelfortsatz bildet mit dem Keilbein den Flügel- fortsatz, indem: er dessen äussere Flügel überlagert und sich an dessen innern Flügel anlegt. Das Keilbein ist, was die jüngern Schädel, insbesondere IV.,. dessen Naht noch ganz deutlich ist, beweisen und auch einige ältere Schädel andeuten, früher in zwei Theile getheilt. Der hintere Theil besteht aus dem Grundtheil, der sich mit dem Grundtheil des Hinterhauptsbeins verbindet, und aus dem innern Flügel, der nach hinten und oben mit einem breiten Rand frei endet und unten einen sehr starken Haken für die Sehne des pterygoid. intern. trägt. Der vordere Theil besteht aus dem äussern, durch das Gaumenbein bedeckten Flügel, dem aufsteigenden, vom Schläfen-, Scheitel- und Stirn- bein begränzten grossen Flügel, der niedrig ist, und dem schwertförmigen Fortsatz, der sich zwischen dem absteigenden Theil des Stirnbeins, dem Schläfenfortsatz des Gaumenbeins und dem Alveolarfortsatz des Oberkieferbeins in die Schläfen- grube erstreckt. Auf der untern Fläche des Schädels bleibt zur Seite des schmalen Grundtheils eine grosse Oeffnung, die nach hinten durch den Gelenktheil des Hinterhauptsbeins, nach aussen durch das Schläfenbein, nach vorn durch den hintern Rand des Keilbeinflügels begränzt wird. In dieser Oeffnung liegen hinten das Felsenbein und aussen das Paukenbein, der vor- dere und innere Raum bleibt frei. 408 . Prof. Dr. Krauss: Zwischen dem hintern Rand des schwertförmigen Fort- satzes, der Basis des grossen Flügels und dem Ursprung des äussern Flügels des Keilbeins befindet sich das Loch, durch welches die Nerven an der innern Wand der Schläfen- grube vorwärts zur Augenhöhle treten. aba Ueber die Gehörknöchelchen verweise ich auf = aus- fübrliche Beschreibung von W. Vrolik. | Das Pflugscharbein ist an seinem hintern Ende sehr nie- der, geht von da brückenförmig auf dem Boden der Nasen- höhle vor und bildet eine tiefe Rinne, in welche 'hinten der untere Rand der perpendikulären knöchernen Scheidewand des Siebbeins tritt und von ihr ganz eingeschlossen ist. Nach vorn breitet sich das Pflugscharbein allmählig platt aus und endet sich nach vorn zuspitzend am hintern Rand des Fora- men incisivum. Zur Anlagerung dieses Pflugscharbeins ist bei einigen Schädeln in der Mitte der der Nasenhöhle: zu- gekehrten Fläche des Oberkieferbeins ‘eine Rinne mit er- habenen Rändern, in welcher dasselbe liegt, aber nicht ver- wachsen ist. ( 7 Das Siebbein hat eine deutliche Siebplatte mit stark erha- benem Hahnenkamm, der sich gegen das Keilbein verlängert. Die perpenrdikuläre Scheidewand ragt an’den Schädeln I. und IX. über den vordern Rand der Stirnbeine etwas hervor, an den übrigen, namentlich den jüngern Schädeln IV., V., VIL, VIII. ist sie dagegen, obwohl ihr vorderer Rand unversehrt ist, sehr verkürzt: und steht hinter dem vordern Stirnbeinrand und den obern und untern Muscheln zurück. Zu beiden Sei- ten der Scheidewand liegen nämlich die "oberen Muscheln, die immer über den Stirnbeinrand hervorstehen, während die unteren Muscheln viel kürzer sind. Der poröse Kern der Muscheln ist mit einer festern Knochenplatte überzogen. Der seitliche Theil des Siebbeins wird durch eine von dem Orbitalfortsatz des Stirnbeins absteigende Platte, die bis zum Oberkieferbein und dem schwertförmigen Fortsatz des Keil- beins reicht, bedeckt. Die Lamina papyraceä fehlt. Ueber das Thränenbein geben die vorhandenen Schädel keinen Aufschluss. | | | | | | Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus, 409 "Der Unterkiefer der vorhandenen Schädel ist hauptsäch- lich in der ganzen Länge, in dem Abstand und der Höhe des aufsteigenden Astes und in der Länge und Breite der Platte der Symphysis verschieden. Diese Abweichungen liegen ohne Zweifel in der Verschiedenheit des Alters, denn an den jüngsten Schädeln IV. und VIII. haben sich alle Maasse am geringsten, an den älteren I,, II., III., IX, und X. am grössten herausgestellt. Nach der Trennung und dem Verwachsensein der beiden Unterkieferhälften würden die Schädel in folgender ‚Ordnung stehen. Der jüngste wäre auch hier Nr. IV., dessen beide Hälften noch vollständig getrennt und sogar noch 'etwas beweglich sind, dann würde Nr. VI., dessen Naht noch ‚überall sichtbar ist, hierauf VIII. folgen, bei dem die Naht am innern Winkel’ hinter der Platte theilweise noch zu er- kennen ist, wie dies auch an den übrigen mehr oder weni- ger der Fall ist. An allen Unterkiefern aber ist noch eine starke Naht von der Kinnecke bis zur Spitze der Platte vorhänden. | | "Der Gelenkkopf des Unterkiefers ist in die Quere gestellt, hat eine kleine nach vorn, bei Nr. III. und X. nach oben gerichtete überknorpelte Artikulationsfläche, die aber nicht mit der Grube des Schläfenbeins, sondern vor dieser auf einer schmalen, von innen von aussen schiefen Erhabenheit arti- kulirt. Die Entfernung von einem Gelenkkopf zum andern, nämlich 14,4 bis 17,4 C. M., weicht unter den 10 Schädeln . nicht so bedeutend ab, als die Entfernung von dem untern "Winkel bis zum Gelenkkopf, die an den jüngeren Schädeln - IV. und VIII. verhältnissmässig sehr gering und nur 9,5 bis 9,7 C.M., dagegen an Nr. I. 14,0 C©.M. ist. Mit dieser Höhe des Gelenkkopfes steht jedoch die Höhe des Kronenfort- satzes nicht im Verhältniss, indem letztere an den jüngern Schädeln weit grösser ist; indessen kommen auch hier einige auffallende Abweichungen vor, welche eine nähere Beschrei- bung verdienen. Der Kronenfortsatz ist gewöhnlich an seinem obern, meist convexen, schief nach vorn abgestutzten Rande durch einen 410 » Prof. Dr. Krauss: hintern und einen: vordern Winkel breiter als an. der Basis er u Be und bat daher eine beilförmige Gestalt, Der vordere dickere Winkel liegt bei allen tiefer, der hintere scharfkantige und nach hinten schnabelförmig verlängerte, gewöhnlich ziemlich höher als der Geleukskopf, wie es auch durch Blainville bei M. australis und M. latirostris? (Osteogr. pl. III.) abge- bildet ist. An dem Schädel III. aber ist der Kronenfortsatz an seinem. obern, ohnehin weniger schief nach vorn abge- stutzten Rande nicht viel breiter als an seiner Basis und da- her auch der hintere Winkel nicht schnabelförmig verlängert, ferner steht sein hinterer Winkel kaum höher als der Gelenk- kopf. Hiedurch nähert er sich. ausserordentlich dem von Blainville (Osteogr. pl. III.) abgebildeten M:, senegalensis, würde aber die Ansicht von J, E. Gray in seinen Obser- vations on the Species of the genus Manatus (Annals & Mag. XX. October 1857,.p. 312) nicht ‘bestätigen, nach welcher diese Gestalt des Kronenfortsatzes, wobei auf die Blain- ville’sche Figur von M. senegalensis hingewiesen wird, wahr- scheinlich der Charakter der afrikanischen Art sei. Ich möchte vielmehr die Vermuthung aussprechen, ob in dieser Kürze : und gleichförmigen Breite des Kronenfortsatzes nicht ein Geschlechtsunterschied zu suchen ist, denn der Unter- kiefer des weiblichen Schädels VII, und der von Nr, IX, hat in. dieser Beziehung ungleich mehr Aehnlichkeit mit dem, von ‚Nr. III. als mit den übrigen Schädeln. Der horizontale Theil des Unterkiefers, welcher an seinem untern Rande nur mit dem untern Winkel des aufsteigenden Astes und mit der Kinnecke aufliegt, ist sehr dick, massig und von seinem untern Rande bis an den Alveolarrand ge- messen, an den jüngern Schädeln IV. und VIII. nur 3,6 C.M, an dem Weibchen Nr. VII. nur 4, an Nr. III. 4,7 und an den alten Nr. L, I, X. 5 ©. M. hoch. Die. Kinnecke, ‘unten und hinten an der Vereinigung der Unterkieferhälften, bildet bei Nr. I., II. und V. eine hervorragende konische, durch die Nabt getheilte Ecke, während sie an den übrigen mehr oder weniger abgerundet ist; hiemit hängt zusammen, dass die } Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 411 untere Naht der Symphysis von der Kinnecke bis fast zur Spitze an den .Schädeln I., II. und V. einen geraden, anfangs sogar etwas concaven, an den übrigen aber und insbesondere an Nr. IV., VIL, VII. und IX. einen stark convexen Rand zeigt. Die unregelmässig zerfressene, nach vorn sich abdachende Platte auf der obern Seite der vereinigten Unterkieferäste ist in der Breite und Länge verschieden. Am schmalsten und dadurch anscheinend am längsten ist sie bei Nr. II. und VII., am breitesten bei Nr. I., III. und X., bei keinem aber ist sie so lang und schlank, als Blainville’s Abbildung von M. australis (Osteogr. pl. III.) zeigt, wie ich deshalb anführe, weil die Länge des Gesichtstheils vom Schädel I. und X. sonst mit der des Gesichtstbeils von M. australis überein- stimmt. Die Länge dieser Platte scheint überhaupt nicht im ‘Verhältniss zu der des Schnauzentheils am Schädel zu stehen, da dieser gerade bei Nr. I., III. und X. am längsten ist, was auch ‘mit der Länge der Nasenhöhle zusammentrifft. Die Platte zeigt vorn in der Mittellinie gerade zwischen den vor- dersten Zahnhöhlen einen kleinen Zapfen, der gewöhnlich an den älteren Schädeln stärker ist, aber auch wie am Unter- kiefer II., VI. und VII. ganz fehlt und schon an den beiden ‚jüngern Nr. IV. und VIII. vorhanden ist. Wenn ich nun zur Beschreibung des Gebisses übergehe, so. kann es sich nur um die Backenzähne handeln, da auch am jüngsten Schädel keine Schneidezähne mehr vorbanden sind. Es ist zwar vorn am vordern Ende des Zwischenkiefer- beins aller Schädel jederseits eine Vertiefung, die nur an den ' Sehädeln IV,, V. und VI. deutlich und rundlich, an Nr. I. deutlich länglich, an allen übrigen aber theilweise verwachsen oder zerfressen ist. In diese Vertiefung mündet ein Kanal, dessen hinteres Ende sich im Unteraugenhöhlenloch öffnet, folglich zum Durchtritt von Nerven und Gefässen dient. Im Unterkiefer fand ich ebenfalls keine Spur eines Schneidezahns, wohl aber ganz vorn an den meisten Schädeln ziemlich deut- lich jederseits eine, grössere längliche ‚Grube, deren Länge und Breite auf der vielfach zerfressenen Platte nicht genau 412 ll" Prof. Dr. Krauss: angegeben werden kann und die an den Schädeln II. und III. kaum noch angedeutet ist. Noch schwieriger ist es aber, etwas Bestimmtes über das Vorhandensein der übrigen Zahn- höhlen anzugeben. Stannius hat nämlich beim neugebornen Manatus 5 ganz symmetrische Zahnhöhlen und hinter diesen noch einen Schneidezahn gefunden und nimmt also jederseits 6 Schneidezähne an. Der einzige Unterkiefer, an dem noch einigermassen 6 Grübchen zu zählen sind, ist der des jüngsten Schädels IV., doch stehen nur die zwei vorderen und 2 hin- teren symmetrisch. An den übrigen Unterkiefern ist noch jederseits der zweite und einer oder 2 der hintersten Grüb- chen symmetrisch und deutlich zu erkennen. Die Backenzähne im Oberkiefer sind in der Zahl, Grösse und in der Anordnung der Reihen verschieden, alle dicht'an einander gereiht. Nach der Grösse der Backenzähne würden die Schädel in folgender Ordnung folgen: das jüngste Thier mit den kleinsten Zähnen ist. auch hier Nr. IV., dann folgen Nr. VIII und VI., bierauf Nr. V., dann VII, II., IX., I und zuletzt Nr. X. und III. Diese Reihenfolge stimmt nicht ganz mit der weiter oben aufgestellten nach dem Grad der Ver- wachsung der Schädelknochen. Die Zahnreihen laufen parallel bei dem Schädel I., divergiren mit geraden Linien nur sehr wenig nach vorn bei den Schädeln III., IV., IX. und X., nach hinten bei Nr. II.; dagegen bei Nr. V., VI., VO. und VII. divergiren die Reihen in der Weise, dass sie hinten etwas aus einander laufen, aber unter schwacher Krümmung nach vorn sich wieder nähern, so dass das vorderste Zahnpaar so nahe, bei‘ Nr. VII. sogar näher aneinander gerückt ist, als das hinterste Paar. Was die Zahl der Basherzäkhi im Oberkiefer betrifft, so werde ich diejenigen als vollkommen entwickelte Backenzähne bezeichnen 'und zählen, welche vollständig aus der Zahnhöhle herausgeschoben und in gleicher Höhe mit den übrigen stehen. Hienach hat der Schädel VI. jederseits 7 Backenzähne, ferner hinter diesen noch einen Zahn, der noch in der Alveole steckt, und einen Zahnkeim; vor dem ersten Backenzahn ist keine Spur: einer Lücke, und der Alveolarrand vollkommen ge- Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus, 413 schlossen. Hierher muss auch der Schädel V. gestellt werden, obwohl er nur noch 6 vollkommen entwickelte Zähne hat, allein vor diesen ist eine so tiefe und scharf umgränzte Al- veole, dass man annehmen darf, dass der erste Zahn im Leben des Thieres vorhanden war und erst durch die Mace- ration verloren gegangen ist, es dürfen sonach 7 Zähne an- genommen werden. Hinter diesen ist ausserdem noch ein über die Alveole hervorgeschobener, aber nicht ganz in gleicher Höhe mit den übrigen stehender Backenzahn und noch zwei Zahnkeime. Jederseits 6 in gleicher Höhe stehende Backen- zähne haben die: Schädel IV. und IX. Die Zahnreihe bei Nr. IV. verhält sich vor und hinter den 6 Zähnen ganz wie bei Nr. VI., allein Nr. IX. hat hinten einen über die Alveole hervorgetretenen, aber nicht ganz in gleicher Höhe mit den übrigen stehenden Backenzahn und noch zwei Zahnkeime, ferner vorn noch 2 Alveolen, von welchen die vorderste ziem- lich ausgefüllt isi, die darauf folgende zeigt, dass der Zahn erst: durch die Maceration verloren gegangen ist. Die übrigen Schädel haben jederseits 5 Backenzähne und ausserdem hinten noch einen mehr oder weniger herausgeschobenen Zahn und zwei Zahnkeime; bei Nr. I., II. und X. ist es in Anbetracht der noch nicht ganz verwachsenen Zahnlücken vor dem ersten vorhandenen Backenzahn wahrscheinlich, dass der Zahn noch nicht ausgestossen war und noch im Zahnfleisch steckte. Dieses zu entscheiden, wird immer schwierig bleiben, so lange nicht der Schädel mit dem Fleisch untersucht werden kann, allein es bleibt keinem Zweifel unterworfen, dass im Ober- kiefer gewöhnlich jederseits 5 bis 6 vollständig entwickelte Backenzähne vorhanden sind und dass 7 solcher Zähne, wie sie Nr. V. und VI. aufweisen, weniger gewöhnlich sind und nicht bei den alten Thieren vorkommen. "Die Zahnkronen im Oberkiefer sind breiter als lang, bei Nr. II. und X. am grössten, nämlich 1,8 C. M. breit und 1,5 ©.M. lang, gewöhnlich aber wie an den alten Thieren _ I, I., VIE, IX. 1,6 breit und 1,4 C.M. lang. Die Zahn- kronen dieser Schädel sind alle gleich gross, je jünger die Thiere aber sind, desto ungleicher sind sie in der Grösse, 414 ' Prof. Dr. Krauss: denn bei Nr. V. sind die ersten Zähne nur wenig, bei Nr. VII. und VIII. um ein Drittel und bei Nr. IV. sogar um die Hälfte kleiner als der hinterste, ganz so wie sie W. Vrolik an dem Schädel der Figur 12 abgebildet hat. Am meisten abgenutzt sind die Zahnkronen unter den alten Thieren bei Nr. III. und X., auch die der jüngern Thiere 1V., V., VI. sind ebenfalls ziemlich abgenutzt. Die Abnutzung geschieht in der Weise, dass der vorderste immer am meisten, der letzte noch gar nicht abgenutzt ist, doch ist keine Krone unter den 10 Schädeln so tief abgenutzt, als sie Blainville an den 2 vorderen Zähnen von M. latirostris? (Osteogr. pl. VII.) abgebildet hat. Alle Backenzähne, selbst der kleinste des Schädels IV., haben mehr als eine Wurzel. Die Backenzähne des Unterkiefers sind kleiner, schmäler und länger als die des Oberkiefers, alle dicht an einander gereiht. Die Anordnung nach der Grösse der Zähne und nach den Altersstufen ist wie im Oberkiefer. Die Zahnreihen divergiren, den Schädel IV. ausgenommen, von vorn nach hinten an den Unterkiefern I., II., III, VIL, IX. und X. so stark, dass der hintere Zwischenraum fast noch einmal so gross ist als der vordere, an Nr. V., VI. und VIII. ist die Divergenz gering und an Nr. IV. laufen die Reihen sogar von hinten nach vorn zuerst auseinander, nähern sich aber unter schwacher Krümmung vorn wieder so weit, dass der Abstand vorn und hinten gleich ist. Die Zahl der vollständig aus der Alveole herausgeschobenen Backenzähne ist 5 oder 6 oder 7 in jedem Unterkieferast. Fünf Zähne jederseits haben die Unterkiefer I., IL, III. und VIII., ausserdem je noch einen im Durchbruch begriffenen und zwei Zahnkeime, die in dem stark nach aussen gebogenen Ende des Alveolar- theils liegen; nur bei Nr. I. und Il. ist vor dem ersten Zahn noch eine kleine Lücke für einen Zahn, der wahrscheinlich kurz vorher ausgefallen ist, bei den beiden andern ist der Alveolarrand gänzlich geschlossen. Sechs vollständig ent- wickelte Backenzähne haben jederseits die Unterkiefer IV., VlU.:und X., und ausserdem hinten zwei noch ganz in der Alveole liegende Zahnkeime, zu welcher bei Nr. IV. ganz RR Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 415 hinten noch ein ganz kleines zweizackiges Keimstück kommt. Entschieden 7 Backenzähne hat der Unterkiefer IX., der ausserdem vorn noch eine kleine Lücke und hinten 2 ganz in der Alveole verborgene Zahnkeime zeigt. Die Unterkiefer V. und VI, haben vor ihren 6 Backenzähnen eine so deutliche Lücke, dass sicherlich der hiezu gehörige Zahn erst durch die Maceration verloren gegangen ist, bei Nr. V. ist überdies hinten ein fast ganz aus der Alveole herausgeschobener Zahn und 2 Keime, bei Nr. VI. liegen beide noch in der Alveole. Die Zabnkronen im Unterkiefer sind länger als breit, am grössten bei Nr. II. und X., nämlich 1,6 C.M. lang und 1,4 breit, dann folgen Nr. L, I. und IX. mit 1,4 Länge und 1,2 Breite. An diesen 4 Unterkiefern sind alle Kronen ziemlich gleich gross, an Nr. V. und VII.’ist der vorderste nur wenig, an Nr. VI. und VIII etwa um !/,, an Nr. IV. gerade um die Hälfte kleiner als der hinterste. Die Abnutzung der Zahnkronen verhält sich wie im Oberkiefer, am meisten ge- braucht sind die Kronen bei Nr. III. und X. Alle Backen- zähne haben mehr als eine Wurzel. "Wenn ich hei der Angabe der Zahl der Backenzähne in beiden Kiefern nur diejenigen Zähne in erster Linie gezählt habe, welche in gleicher Höhe mit einander stehen und voll- ständig aus den Alveolen hervorgeschoben sind, so glaubte ich damit ein genaueres Resultat zu erhalten, als wenn ich alle, nämlich auch die hervorbrechenden und noch in der Alveole liegenden Zähne, sowie diejenigen zusammengezählt hätte, welche, nach den Lücken vor den Backenzähnen zu schliessen, erst zuletzt hinausgeschoben wurden, denn (die - wordersten, welche von Zeit zu Zeit wahrscheinlich ‚mit dem Wachsthum des Gesichtstheils des Schädels hinausgeschoben werden, werden bei Manatus ähnlich wie beim Elephanten in gleichem Maasse durch die hinten hervorbrechenden Zähne ersetzt, so.dass die Zahl wohl immer die gleiche: bleiben wird; überdies scheint diese Vorrathskammer von Zähnen selbst bei den Schädeln der ältesten Thiere, die ich ver- gleichen konnte, nicht geringer zu sein, als bei dem Schädel des jüngsten Thieres, Die Art des Hinausschiebens des vor- 416 2 Prof. Dr. Krauss: “dersten Backenzahns zeigt der Unterkiefer III., noch schöner aber Nr. X., bei welchem auf der rechten Seite nur noch ein Wurzelrudiment in der Zahnhöhle haftet und der Zahn schon so schief gestellt ist, dass die Krone nicht mehr nach oben, sondern nach vorn gerichtet ist, daher denn auch der sechste u Backenzahn schon vollständig in gleicher Höhe mit den übri- & gen herausgeschoben ist. Auf der linken Seite dagegen ist die Lücke vor dem zuletzt ausgefallenen Backenzahn. noch Mi nicht ganz verwachsen, der erste noch nicht so lose und mit seiner Krone noch nicht so stark nach vorn geneigt, als auf der andern Seite und daher auch der sechste Zahn noch nicht ganz aus der Alveole herausgeschoben, obwohl er schon an der Spitze seiner vordersten Querzacke gefärbt ist.. Dadurch, dass dieser Prozess nicht gleichzeitig auf beiden Seiten statt- gefunden hat, stehen die Backenzähne auch nicht symmetrisch einander gegenüber. | Hier möge auch erwähnt werden, dass das freie abge- rundete hintere Ende des Alveolarfortsatzes des Oberkiefers, der die Zahnkeime enthält, bis über den untern Theil des Flügelfortsatzes des Keilbeins rückwärts reicht und noch in einer Grube dieses Fortsatzes an der innern Seite des äussern Flügels liegt. Am Unterkiefer reicht dasselbe, unten begränzt | durch eine Rinne, mit welcher das Foramen maxillare posterius beginnt, unter, einer Knochenplatte rückwärts und krümmt sich, an der innern Seite des aufsteigenden Astes anliegend, aufwärts. Auch muss ich hier bemerken, dass das hintere Ende des Alveolarfortsatzes der untersuchten Schädel bei den erwachsenen Thieren nicht kleiner ist als bei den jüngern, obwohl an den Unterkiefern Abweichungen vorkommen, denn bei Nr. II. und X. ist es klein, bei Nr. I. und IX. aber ent- schieden grösser als bei dem jüngsten Nr, IV. Schliesslich will ich noch ein paar Worte über die Stel- lung der Backenzahnreihen im Oberkiefer zu der im Unter- kiefer anführen. Wenn der Schädel, wie schon oben bemerkt; _ mit: der schmalen Erhabenheit vor der Grube des Schläfen- beins auf dem Gelenkkopf des Unterkiefers ruht, so passen die oberen Zahnreihen wohl hinten und in der Mitte auf die Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 417 ünteren, aber vorn stehen sie gewöhnlich von einander ab, am wenigsten an den Schädeln I. und V., am meisten (1 C.M.) an den jüngern Schädeln VIII. und IV. Dieses Klaffen zwischen den vorderen Zähnen des Ober- und Unterkiefers wird, wenn die Artikulationsflächen noch mit ihren Knorpeln versehen sind und vielleicht bei den zuerst genannten und überhaupt den alten Schädeln geringer sein, allein bei den jüngern Schädeln muss es immer Statt finden. Die schon bei der Beschreibung der Backenzähne berührte verschiedene Divergenz der Zahn- reihen im Ober- und Unterkiefer weist darauf hin, dass die Reihen beider Kiefer nicht genau auf einander passen. An den Schädeln der alten Thiere, besonders an Nr. III. steht auch die Zahnreihe des Oberkiefers vorn über die äussere Wand der Zahnreihe des Unterkiefers um ein Bedeutendes hervor, während die Reihen an den jüngern Schädeln IV., V., VI. und VIII., die grössere Breite der Oberkieferzähne abge- rechnet, vorn gleich stehen. Von den Skeletten des surinamischen Manatus konnte ich selbst für diese Arbeit nur 3 vergleichen. Das eine (Nr. I.) ist künstlich zusammengesetzt und es fehlen ihm die letzten (wahrscheinlich 3—4) Schwanzwirbel, die 2 andern (Nr. LI. und Ill.) sind natürliche Skelette. Ueber die Länge der ganzen Skelette und der Skelettheile, sowie über die Zahl der Wirbel und Rippen verweise ich auf die Tabelle. Zur Beschreibung der Skelettheile kann ich nur Weniges hinzu- fügen, da diese durch W. Vrolik sehr genau und ausführlich gegeben ist. An allen Skeletten finden sich nur 6 Halswirbel. Der Querfortsatz des Atlas zeigt bei Nr. I. und II. kein Loch zum Durchtritt der Wirbelarterie, bei Nr. III. ist wohl ein Loch vorhanden, dessen Durchmesser aber kleiner ist, als der der Löcher an den andern Halswirbeln. Die Bögen des 4ten und öten Wirbels sind an Nr. I. und II. in der Mitte durch Knorpel geschlossen, an Nr. III. sind sie, den ten Wirbel ausgenommen, verknöchert. Die Durchbohrung des Querfortsatzes der fünf andern Halswirbel für die Wirbel- arterie ist an allen 3 Skeletten verschieden. An dem Skelet Müller’s Archiv, 1858, 27° 418 i ih Prof. Dr. Krauss: g 1. hat der Querfortsatz des 2ten, dten und 4ten Wirbels statt des Lochs einen Ausschnitt und der öte und 6te Wirbel ist gar nicht durchbohrt. An Nr. II. ist der Querfortsatz des 2ten, 3ten und 4ten Wirbels jederseits, des Öten nur auf der rechten Seite durchbohrt, der des 6ten hat zwar Auf der linken Seite ein Loch, das aber wohl nicht zum Durchtritt der Arterie dient; am Skelet III. hat der 2te jederseits einen Ausschnitt, der 4te und öte ist jederseits durchbohrt, der 6te obne Oeffnung. Der 6te Wirbel am Skelet I. ist mit einem den Querfortsatz um 2,5 C.M. überragenden Rippenrudiment versehen, das gerade wie die erste Rippe mit dem Querfort- satz und dem Wirbelkörper artikulirt. Auch das Skelet in Würzburg hat, wie mir Kölliker mitgetheilt hat, an dem 6ten Halswirbel eine Rippe, die lang ist, aber das Brustbein nicht erreicht. Nach W. Vrolik ist diese Rippe an einem Skelet des Reichsmuseums in Leyden so verlängert, dass sie durch ein Band mit dem Knorpel des Brustbeins ver- bunden ist. Was nun die übrigen Wirbel und die Rippen betrifft, so fiel mir schon beim ersten Ueberblick der 3 Skelette die Ver- schiedenheit in ihrer Grösse und Stärke auf. An den Ske- letten I. und II. erschienen nicht allein der Schwanz im Ganzen, sondern auch die Wirbel selbst länger als bei Nr. IH. Ich mass daher einige Wirbel auf der untern Fläche und erhielt folgendes Resultat in Centimetres: Skelet Skelet Skelet Nr. I. Nr. II. Nr.IIoI. Länge desWirbelkörpers vom 1.Rückenwirbel 2,4 2,3 2,5 29 % Le » 4,7 46 5,2 8 “ 4 9 Ri 52 Nr x ei R zulRı ” 4,2:3:4,8 (Dd h ö R des 1.Lendenwirbels 44 4,7 4,8 a 4 R d..7.Schwanzwirbels 3,7 3,5 3,8 N 5 2 51% y 2;4::2,2. Dual nn.» 2) „20. 2 1,9. 1,3. ,.20 Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 419 ' Ebenso sind am Skelet III. die Rippen verhältnissmässig stärker, als bei den beiden andern, obwohl die ganze Säule der rippentragenden Wirbel nicht viel länger und der Schädel fast gleich lang ist. Ich mass die Länge, indem ich einen biegsamen Fischbein-Maassstab an die innere Fläche der Rippen anlegte und den Querdurchmesser mit einem Kaliber- maassstab mass. Das Resultat war in Oentimetres: Skelet Skelet Skelet Nr.I. Nr. I. Nr. III. Banks der ersten. ‚Rippe sur 14 “scene. 182117001, 17 Grösster Querdurchmesser derselben rn AO EAS Länge der neunten Rippe Yan el Grösster Querdurchmesser derselben INT Ra aee a e) | Länge der sechszehnten Rippe . . . .„ 27,5 28 30 Grösster Querdurchmesser derselben . . 19 1,9. 2,6 An den 3 Skeletten ist die letzte (17te) Rippe von den übrigen verschieden. Sie ist am Skelet I. auf der linken Seite 18,7 C. M. lang, von der Gestalt der vorletzten, aber nur etwas schlanker, auf der rechten Seite 18,5 C.M. lang und dieker. Beide sind frei und artikuliren nur mit einer rauhen Fläche an dem Ende des 1 ©. M. langen Querfortsatzes und gar nicht mit dem Wirbelkörper. Am Skelet II. ist sie auf der linken Seite 5,6, auf der rechten 10,4 ©. M. lang, beide sind schmächtig und bestehen eigentlich nur aus den verlän- gerten Querfortsätzen, die jedoch in einer Entfernung von etwa 5 C.M. durch eine knorpelige Masse unterbrochen und von dort an rückwärts gebogen sind. Bei Nr. II. ist diese Rippe ebenfalls nur der verlängerte, hier vollständig ver- knöcherte Querfortsatz, 18,5 C. M. lang, an der Basis breit, verschmälert sich von da allmählig, biegt sich über dem Ende des langen Querfortsatzes des Lendenwirbels rückwärts und reicht bis zur Spitze des deshalb schief abgestutzten Quer- fortsatzes des ersten Schwanzwirbels.. Es könnte vielleicht die Frage entstehen, ob diese sogenannten Rippen nach der eben beschriebenen Bildung nicht als einfache, sehr verlän- gerte Querfortsätze des ersten Lendenwirbels zu betrachten zur 420 Prof. Dr. Krauss: wären, an welchen sich Bänder zur Unterstützung der Becken- knochen befestigen.) Am Skelet II. und nach Kölliker und Ecker an den in Würzburg und Freiburg aufgestellten Skeletten verbinden sich die 2, an Nr. III. die 3 ersten Rippen durch einen Knorpel mit dem breitesten Theil des Brustbeins. Nach Leydig gehen 6 Rippen, und zwar die 3 ersten unmittelbar, an das Brustbein, während die drei letzten sich durch Knor- pel an die dritte Rippe anschliessen. Das Brustbein istin den 3 Skeietten nnsymmetrisch und mit dem hintern Ende bei Nr. I. und III. nach rechts, bei Nr. II. nach links gekrümmt. Bei Nr. I. ist sein vorderer Rand sehr tief ausgeschnitten, bei Nr. II. nur wenig ausgerandet, bei Nr. II. ist er sogar convex. Das Brustbein von Nr. ]J. ist 16,4 lang und 9,4 C.M. breit, von Nr. II. 15,3 lang und 10,1 breit, von Nr. II. 17C. M. lang und 9,7 ©. M. breit. Das Skelet I. und II. hat 2, Nr. IIl., das ein natürliches Skelet ist, nur 1 Lendenwirbel. An]. und II. hat der zweite Lendenwirbel den stärksten Querfortsatz unter allen Wirbeln, die keine Rippen tragen, an Nr. III. der erste Schwanz wirbel, dessen unterer Fortsatz auf der rechten Seite aus einer kleinen Platte besteht, während er auf der linken Seite mit dem des nachfolgenden Wirbels brückenförmig verwaehsen ist. An den beiden andern Skeletten ist der untere Fortsatz des ersten Schwanzwirbels von dem des zweiten Wirbels ebenso getrennt und gleich weit entfernt wie an den übrigen Wirbeln, nur zeichnet sich der erste untere Fortsatz durch eine starke Ecke am vordern Rande aus. Fortsätzetragende Schwanzwirbel sind am Skelet I. und II. 12, an Nr. III. 7 vorhanden. . 3 Das Schulterblatt ist von der untersten Ecke des Hinter- randes bis zum obern Rand der Gelenksfläche am Skelet I. 27, an Nr. II. 24, an Nr. III. 23 C. M. lang. Die Gräte ist 1) Nach Ecker hat auch der erste Lendenwirbel des Freiburger Skelets einen kleinen, durch Naht anhängenden rippenähnlichen Gun , fortsatz auf der einen Seite, Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 421 einfach wie bei Nr. II., oder hat an ihrem hintern Ende nicht ganz in der Mitte des Schulterblatts eine starke, nach unten gerichtete Ecke, wie an den beiden andern Skeletten. Die Länge des Oberarmknochens von dem Gelenkkopf bis an den äussern Knorren ist an Nr. I. 13,3, an Nr. I. 17,7, an Nr. III. 16,5 C©.M. Der Gelenkkopf ist an dem ersten noch nicht, nn den beiden andern nur wenig verwachsen. Der Querschnitt des Mittelpunkts ist abgerundet dreieckig. Die Länge des Ellenbogenbeins ist an Nr. I. 13,4, an Nr. II. 12,5, an Nr. III. 12,9 ©. M. An allen drei Skeletten sind Ellen- bogenbein und Speiche am obern Ende mit einander ver- wachsen, am untern Ende bald getrennt, bald verwachsen, was selbst an einem und demselben Thier vorkommt, an allen sind noch die Epiphysen am untern Ende getrennt. Von den Handwurzelknochen ist nur an Nr. III. das Kahn- und Mondbein zu Einem Knochen verwachsen. Die Länge des Mittelhand- und Fingerknochens des vierten und längsten Fingers zusammen ist am Skelet III. 12,5 C.M. Der Zeige- finger an Nr. III. und der an der rechten Hand von Nr. I. hat 3 Glieder, der dritte und vierte Finger von Nr. II. nur 2, an Nr. I. und III. 3 Glieder. 422 | Prof. Dr. Krauss; Maassverhältnisse des surinamischen 1.|Länge des Schädels von der Oberfläche der ee bis z Spitze der Zwischenkiefer . .. .....:.. i spe 4 2. Grösster Querdurchmesser des Schädels von der äussern Fläche des Jo fortsatzes des Schläfenbeins zur andern . . . . . 0 ’ 8. Querdurchmesser des Schädels von der äussern Seite den Orbitalfortsatze as des Jochbeins zur anden . . . . RN RN 4.\Querdurchmesser des Gesichtstheils, an er hihtern Sn Vereinigung de Zwischenkiefer gemessen . . RT ER AN RL DE A 3.|Querdurchmesser des Euer umleloches 319 ge DI) HARHSERIE se A 6.|Breite der Gelenktheile des Hinterhauisheine, von einem äussern Rand zum‘ and ern . . . ® . . . . . . . a 7.\Höhe des heran von act Mitte der Hinterhanptsleiste bis zum‘ untern Rand des Hinterhauptsloches . . . I HR ke 8.|Breite des Hinterhauptstheils des Hinterhauptsbeines sultelk Da ei i 9.|Länge des Schläfenbeins von der Spitze “des ANERD RENNEN bis zu m “hintern Rand der Sehuppes ur ac. E P. RR 10.|Grösste Länge des Stirnbeins, von der Spitze des Orbitälfortsatzes viel zum: ; ‚Scheitelbein in der Mittellinie . +6 ld SENEEHISERN SIE 111bange'der Stirnbemme‘im der Mittellinie‘ 29. wer. "Arena 12.|Grösste Entfernung der Stirnbeine von einem hintern Winkel des Orbite | fortsatzes zum andern . .,:,.. N - 13.|Breite der Stirnbeine zwischen der Spitze er Yan orale des Schläfen beins, auf dem Schädeldach . . . ... ET ENFUn . 14.|Länge der Nasenhöhle, von der Mitte ‚des N Hundes de Stirnboi bis hinten an die Symphysis der Zwischenkiefer . . » . 2... 15.|Breite der Nasenhöhle, von dem hintern Ende des einen Zwischenkieferbein zudem »dessandernfi Dawn. 2.0 VO NER 0 En re 16.|Länge des Jochbeins . . . = 17.|Höhe des Jochbeins hinter Ar Kusonhötlenforire ; y 18.| Länge des Oberkieferbeins von seiner Dee bis zur Vereinigung mit dem “Gaumenbein, in der Mittellinie . . . x nn 19.|Grösste Breite des Oberkieferbeins auf der untern lache von einem äussert Rand des Jochfortsatzes zum andern . . » ... 0 20.|Länge des Oberkieferbeins, von dem hintern Ende des Alveolarfortsaiiii bis zur Vereinigung der Zwischenkiefer, am untern Rand gemessen . » 21.|Länge eines Zwischenkieferbeins . . - ä STar: See Bi: 22.|Breite der Zwischenkiefer auf der unteren Scer an de Vereinieune mit den Oberkieferbeinen ..,. .. ........ alas a. 2 0 23.|Länge des Schnauzentheils auf der untern Fläche, von der vordern Seite des ersten Backenzahns bis zur Spitze der Zwischenkiefer 1 24.\Länge von dem hintern Ende des Keilbeinflügels bis zur a der Zwischen.‘ kiefer, in gerader: ‚Linie, gemessen, .. „1. 0080 2 25.|Entfernung von der äussern Seite des Keilbeinflügels zur a N 26.|Breite des Keilbeins, zwischen beiden Schläfenbeinen . . . 2... 27.|Breite des Basilartheils des Hinterhauptsbeins zwischen den Felsenbeinen. 28.|Länge der Schädelhöhle, von der Siebplatte bis zum obern Rand des Hinter«‘ hauptsloches [7 . . oe . ‘ ® « o [} ® ® o . . s e . + Ss au h ee % Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. 423 Manatus, in Centimetres. H Nr. Nr. Nr. Nr, | Nr. | Nr. Nr.:1: De Nr. . II. BI M\..IV. % VI. Vu. | vOIE.| IX, | X. Skelet |Skelet in | Skelet in | E’nzeln. Skelet in Einzelner ee Skelet Schädel Schädel St.Peters-| Kopen. | Schädei Tübingen Schädelin) "purg, | in in | in Wies- burg. hagen. gar. (Männch.) Tübingen.) (Weib- |Freiburg. Freiburg-| baden. chen.) | 31.71, 39.4 | 26,2 28,9 30,0 | 28,7 25,6 31,2 33,1 20,0 19,8 18,1 18,8 20,3 18,6 17,3 |schadhaft. 18,7 16,0 |, 15,2 | 13,4 14,0 15,7}, 13,8. | ‚13,0 15,4 |schadhaft. 4,7 3,9 3,6 3,8 4,3 | 3,8 824. 3,9 4,2 al alas lt aa al ar as) 461 47 14,5 15,5 | :14,2 14,9 Pi 14,5 13,8 15,1 15,1 7,8 ER 7,8 9,0 7,6 7,4 fch 8,2 Ba 95 83 92,0 15,8 13,6 | 12,8 13,4 14,7 14,1 12,0 |schadhaft.. 14,2 Bamıası IE) 138 Isc| 1839| 11 | 143168 schadhaft, schadhaft,| ° ca.9,0 | 81 9,8 7,6 | ca.7,0 8,0 6,1 7,6 9,4 ; schadhaft,|schadhaft, : 13,8 25 5:10,8 a ca.19,2 | 9,6 3 10,0 |schadhaft. 4,5 3,7 4,7 4,1 4,8 3,4 4,4 4,6 4,0 ., Ischadhaft, schadhaft, | . jea.11,6 12,5 8,8 11,0 jca.11,2 10,7 9,3 11,2 14,3 9,8 ‚6,0 | 6,1 HR | 6;8 6,1 | 5,1 6,1 6,8 1551.38 Lt.) eier he 14,4 5,3 2931| 3,7 4,9 4,7 3,8 4,1 4,2 4,2 12,0 | 11,9 9,0 11,4 10,5 11,0 9,0 11,8 13,0 12,8 |. 13,6 |.13,0.| 12,4 14,3,| .135 1942,0 14,3 |schadhaft: Kerr 13,9 | 1150| 1582| 1601| 1351| 175 17,4 15,4 ‘13,6 | 11,6 12,8 14,2 10,7 10,8 13,6 13,9 4,1 2 |. 34 4,4: 4,1 3,5 3,8 3,5 4,1 d.1. Zahn d.1. Zahn] d.1. Zahn fehlt. Zu 3 Re fehlt. fehlt. 10,4 a.11,0 8,9 94| 102 9,2 8,3 !ca.10,0 |ca.11,5 2 a mb 20 214 | 208 | 18,0| 234-| 23,6 7,9 2 A 6,3 23 7,6 6,1 8,6 7,5 3,0 94| 95 9,5 220101 9,3 9,8 9,6 2,2 431 2 2,2 2,1 2,3 2,1 3,0 2,3 30 | 100| 90 8,5 95| 9395| 85 9,0 | 10,0 424: Prof. Dr. Krauss: Maassverhältnisse des surinamischen m .|Länge ass Unterkiefers, von dem hintersten Rahd des Winkeltheils bis zur A Spitze der Symphysis (auf der äussern Seite gemessen) . ». ...... ‚Weite des Unterkiefers von einem äussern Rand des Gelenkkopfes zum andern. .|Weite von einer vordern Ecke des Kronfortsatzes zur andern .‚ Höhe des aufsteigenden Astes von der hintern Ecke des Kronfortsatzes bie " zum untern Winkel “ zum untern Winkel ‚Höhe des Unterkiefers an der Kinnecke .‚Entfernung von der vorderen Ecke des Kronfortsatzes bis,zum hintern Rand des Gelenkkopfes ER RE ee lee ers neue Were .Grösste Breite der Platte der Symphysis RR Ch dl ne .‚Länge der Platte vom hintern Rand der Symphysis bis zur Spitze . ‚Ganze Länge des Skelets von der Spitze der elelai bis zum letzten ı Schwanzwirbel, in geradergkinie 4.41... 2.t. su oa “| .‚Länge des Halstheils, von dem vordern Rand des Atlas bis zum Dornforte, satz des ersten Rückenwirbels 12 Fe \s| .‚Länge des Rückentheils, von dem vordern Rand des ersten bis zum Rand des letzten Rückenwirbelkörpers RE ur ic „Länge des Lendentheils, von dem vordern Rand des ersten bis zum hintern Rand des zweiten Lendenwirbelkörpers . !.Il. | BER... et N. Ve 1 ‚Länge des Schwanztheils, von dem vordern Rand des ersten Schwanzwirbei bis zum) Brnde 1. "Eon na can hans u: 43. Zahl der Halswirbel he 1 DE er SS a 44.| Zahl ider Iuekenwirbel il u al de la alle a se 45.'Zahl der Lendenwirbel, d. h. solche, die weder Rippen noch untere Fort-) sage haben“ „u. ann abe el ARTE 46.|Zahl der Schwanzwirbel . 7. SB IR RR a BES Arlablderckippen er. an. le. e, Won. mean Sr aan LS Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus, 425 Manatus, in Centimetres. Nr. Nv.':l Nr, Nr. Nr. Br N Nr NE 1; Nr Mr E II. III. IV. V. VEN VEIT SU IN, | X, | XI. ' Skelet | Skelet Skeletin |Einzeln. | Skelet | Schädel Kordel Skelet | Schädel | Schädel Skelet ‚in Stutt- [in $t.Pe-| Kopen- aehadel in Tü- | in Tü-| purg, jin Frei-| in Frei-\in Wies-) in gart. |tersburg.| hagen. ar bingen, | bingen. | (Weib- | burg. | burg. | baden. | Berlin, j chen.) | 03 2129:51 20,9. 17,5 |: 18,91 :20,0. 1) 19;0:|47,3141) 21,51 222 16,3 | 15,7 | 164 | 14,5 | 15,7 | 16,0.| 16,4 | 14,4 | 17,4 | 16,2 9,0 RUERHEN Eeent e| 128.1120|.136| 1072| 125.| 125 | 11,5 | 107 | 25 | 32,7 140 | ı32| 1237| 95| 123 | 11a | 115 | 97) 1937| 129 Ba ee te Bag gang 102 ern 806 eo 8 4,0 Rn 22 AB [ER De ER a Ze E10 1 een IE En 7270] Bee BE Ei 5,6 3) 100 Dart Be RP 8 2 NEE 70 10 ERROR DEE IE 2 0 7E 7rr 73 Be. 34 | Schwanz- ——nen m —n nn | nenn —nn wirbel nach nach nach n.E,v. fehlen. Leydig. Kölliker| Ecker. Martens. ca.206 | 202 225 168 167 149 236 10,3.‘ 160 | 13,0 7 85| 9 10,4 80,5 | 80,7 | 88,5 62 A645 90 n.1Len- denwirb 9,6 | 100| 5,6 12 8 ) 3 —4 Schw.- irbel N 65 106 fehlen R ca.75 | 70,0 | 82,0 | 55 57 6 6 6 6 6 6 6 17 17 17 16 16 16 17 \ 2 2 1 3 2 2: p) a2 24 | 28 24 24 | 24 | 26 ee ea 16 16 | 16 17 426 ar A. Schneider: Ueber die Seitenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. Von A. SCHNEIDER. !) (Hierzu Taf. XV.) “ Bekanntlich verlaufen an der innern Fläche der Leibeswand der Nematoden durch die ganze Länge 4 Linien, 2 breitere Seitenlinien, 2 schmälere Medianlinien, die eine am ‘ Rücken, die andere am Bauche, welche 4 Felder begränzen, die von den Muskeln eingenommen werden. Die Querschnitte an verschiedenen Stellen des Körpers sind also bei derselben Species wesentlich gleich. Vergleicht man aber die Quer- schnitte verschiedener Species, so findet man, dass, während die Breite der Medianlinien zum Leibesumfange immer in gleichem Verhältniss und verschwindend klein bleibt, die Breite der Seitenlinie sehr schwankt. So verhält sich z. B. die Breite der Seitenlinien zur Breite eines Muskelfeldes bei Ascaris marginata wie 1:8, bei Filaria papillosa wie 1:2, bei andern — und die Zahl derselben wird sich durch weitere Beobachtung wohl noch vermehren lassen — haben sie voll- kommen gleiche Breite, z. B. bei Leptodera flexilis (Duj.)?), 1) Der wesentliche Inhalt dieses Aufsatzes wurde vorgetragen in der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 16. Februar 1858. | 2) Ich benutze diese Gelegenheit, um einen Irrthum zu berichtigen, der sich in dem Aufsatze „Ueber Bewegungen an den Samenkörperchen der Nematoden (Monatsbericht der Berliner Akademie, 10. April 1856) befindet. Das dort erwähnte Angiostoma Limacis (Duj.) ist identisch mit Angiostoma Limacis Will, (Wiegmann’s Archiv 1847 Bd. I. S. 174) und mit Anguillula mucronata Grube, (Wiegmann’s Archiv 1849, S. 361). Schon Will war unsicher geblieben, ob sein Angiostoma mit dem Dujardin’s übereinstimme. Auch mir war der Unterschied Ueber die Seitenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. A427 Ozyuris spirotheca. (Györy, Juliheft der Sitzungsberichte der Akademie zu Wien, math. naturw. Klasse 1856), Hedruris androphora (Nitzsch). Denkt man sich einen der genannten Nematoden der Länge nach aufgeschnitten und den Oylinder- mantel aufgerollt, so ist derselbe in 6 gleiche Längsfelder getheilt.. 1 Seitenfeld, 2 dorsale Muskelfelder, 1 Seitenfeld, 2 ventrale Muskelfelder, denn die Bezeichnung „Seitenlinie* kann dann nicht mehr festgehalten werden. Die 6-Zahl wird . in Zukunft um so mehr Beachtung verdienen, als sie sich auch in andern Theilen der Nematoden wiederfindet. Bei mehreren Strongylus und Spiroptera-Arten kommen 6 Mund- lippen vor und -aus den in den Lippen vieler 3-lippigen vor- kommenden 2 Zapfen lässt sich schliessen, dass jede Lippe in der That zweien entspricht. Der Querschnitt der innern Oesophagushöhle kann nicht nur Sseitig, wie meist ange- geben wird, sondern auch 6seitig sein. Ein Beispiel dafür ist Oxyuris spirotheca. Bei dieser Species senkt sich auch der Oesophagus mit 6 festen Zäpfchen in den Darm ein. Eine spätere Besprechung der Mundtheile wird mir Gelegen- heit geben, dieses morphologische Thema weiter auszuführen. Doch nicht blos durch die Grössenverhältnisse unterschei- den sich Medianlinien und Seitenfelder, sondern auch durch den anatomischen und histologischen Bau. Bis jetzt sind die Seitenfelder mikroskopisch noch wenig untersucht. Die älteren Angaben von Oloquet und Boja- aufgefallen, doch berührte ich ihn nicht weiter, da er von Will schon hinreichend erörtert war. Herr Guido Wagener, dem ich damals diesen Wurm mittheilte, bemerkte mir ebenfalls seinen Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose (vergl. Claparede über Eibildung und Befruchtung der Nematoden, Ztschr. f. w.’Z. Bd. IX. 8. 127). Indess gab derselbe zu, dass sich die Sache nicht entscheiden lasse. Später habe ich nun das wahre Angiostoma L. (Duj.) gefunden und mich überzeugt, dass Will und ich im Irrthum waren. Ich halte des- halb das dort erwähnte A. für Dujardin’s Leptodera flezilis, welches ebenfalls in einer Limax-Art schmarotzt. Die Diagnose der Leptoder« flezilis ist bei Duj. zwar nicht hinreichend scharf, aber in keiner "Weise dieser Bestimmung entgegen. Ich muss jedoch die Begründung dieser Ansicht einem späteren Aufsatze überlassen. 428 A. Schneider: nus sind richtig, aber unsern jetzigen Ansprüchen nicht ge- nügend. Walter (Beiträge zur Anatomie und Physiologie von Ozyuris ornata, Ztschr. f. w. Z. VII. S. 176) giebt an, dass bei Ozyuris ornata an Stelle der 4 Längslinien 4 Schläuche herablaufen, bestehend aus einer structurlosen Membran und einem Inhalt von feinen und gröberen Fettkörnern. Da Ozy- uris ornata hier nicht vorzukömmen scheint, kann ich leider diese ‚Angabe nicht prüfen. Doch 'habe ich bei einigen 20 von mir untersuchten Nematoden nie die Date uselde den Medianlinien gleichgebildet gefunden. Meissner in seinen schönen Untersuchungen erwähnt von Mermis albicans und nigrescens 3 Zellenschläuche, welche er für entfernte Analoga der 4 Längslinien der Nematoden hält (Ztschr. f. w. Z., V., S. 220 und VII 8. 32). Bekannt sind mir dieselben aus eigener Anschauung nur bei M. ni- grescens. Obgleich Meissner im Text alle 3 Schläuche gleich behandelt, hat er doch einen nicht unwichtigen Unter- schied in seinen Figuren richtig wiedergegeben. 2 derselben unterbrechen in ihrer ganzen Breite die Muskelschicht, der öte, nämlich der bauchständige, liegt auf den Muskeln und senkt sich nur mit einem dünnen Fortsatz dazwischen. Der Unterschied ist in der That noch bedeutender, als schon an Meissner’s Querschnitten hervortritt (Bd. V. Taf, XL, 1 und Bd. VII. Th. L, 1). Die 2 ersteren Zellenschläuche können daher wohl den Seitenfeldern der Nematoden verglichen werden, obgleich sie nicht genau lateral stehen. Auch durch die Betrachtung des feineren Baus ist dieser Unterschied zu rechtfertigen, doch muss ich dies Andern überlassen, denen dieser seltene Wurm in grösserer Menge zu Gebote steht. Das Seitenfeld besteht im Allgemeinen aus einem Wulste, welcher nach innen frei vorspringt oder mit der äussern Schicht des Darmes sich durch Membranen verbindet, nach aussen in eine körnige Schicht übergeht, welche zwischen Muskeln und Haut liegt. Durch einen Spalt ist dieser Wulst oftin 2 gleiche Hälften getheilt, so bei den grösseren Ascariden, Filaria piscium und andern. (Fig. 3B.) Ueber die Seilenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. 499 Der histologische Bau zeigt verschiedene Modificationen., Bei Ozyuris spirotheca besteht dasselbe aus einer feinkörnigen Substanz, welche jederseits von einer Reihe Zellen eingefasst ist (Fig. 1). Zwei Reihen dicht aneinander liegender Zellen — oder vielmehr Kerne, da die Zellwände nicht sichtbar sind — zeigeu Ascaris acus und nigrovenosa, Cucullanus elegans. Bei den beiden Ascariden, besonders bei Ascaris acus liegt dazwischen noch eine dritte Reihe kleinerer Kerne (Fig. 2). Aus einer homogenen, feingranulirten Grundsubstanz mit vielen regellos eingestreuten Kernen besteht das Seitenfeld von Filaria piscium, papillosa und Dacnitis esuriens. Ohne Spur cellularer Zusammensetzung ist dasselbe bei Ascaris marginata, megalocephala, lumbricoides und Spiropteca oblusa. Dass aber ursprünglich jedes Seitenfeld in irgend einer Weise cellular zusammengesetzt war, kann man wohl vermuthen. In der That bemerkt man an älteren Exemplaren von Asca- ris acus, dass sich die Wände der grossen Kerne auflösen und die Nucleoli zerstreuen. Hiermit ist der Bau der Seiten- linie keineswegs erschöpft. Schon ältere Beobachter, Cloquet in seiner gekrönten Preisschrift: Anatomie des versintestinaux, Paris 1824, 8.39, und Bojanus Isis, 1321, beschreiben ein im Seitenfelde der grösseren Ascariden verlaufendes Gefäss so deutlich, dass es wunderbar ist, wie es in neuerer Zeit hat so gänzlich ver- gessen werden können. Das Gefäss liegt in dem oben er- wähnten Spalt, welcher das Seitenfeld theilt. Besonders bei Ascaris megalocephala ist es sowohl an frischen, als in Chrom- säure erhärteten Exemplaren auf weite Strecken leicht zu iseliren und durch die ganze Länge des Thieres zu verfolgen. An Quer- schnitten kann man sich auch überzeugen, dass man nicht etwa einen soliden Strang vor sich hat. Das eigentliche Gefässrohr besteht aus einer gelblichen, das Licht stark brechenden Sub- stanz, welche nach aussen von einer hellen, fein granulirten Masse umgeben wird. Das Gefäss habe ich weiter gefunden an Ascaris acus!), 1) Bojanus (l. ce.) glaubt an dem Seitengefässe der 4. acus Stigmata erkannt zu haben, welche sich zu öffnen und schliessen 430 rl A. Schneider: marginata, lumbricoides, Spiroptera obtusa. Bei den kleineren Nematoden ist dasselbe so zart, dass es nur am unverletzten oder höchstens durch Quetschen entleerten Thiere, niemals aber an dem durch Aufschneiden freigelegten Seitenfelde, erkennbar ist. Es erscheint dann als ein scharf begränzter, gerade oder wellig laufender röthlicher Streifen, ähnlich dem Wassergefässsystem der Oestoden, Trematoden und Turbella- rien. In dieser Weise konnte ich es nachweisen bei Ascaris acu- minata, Strongylus auricularıs!), Angiostoma Limacis, Leptodera flezilis, Dacnitis esuriens (Duj.), Hedruris androphora (Fig. 4—8). Noch eine weitere Beobachtung von Bojanus und Cloquet konnte: ich bestätigen und auf eine grössere Anzahl von Nematoden ausdehnen, nämlich die, dass die Gefässe am Vorderende anastomosiren. Bald vereinigen sich 4 Gefässe, deren 2 von vorn, 2 von hinten kommen, bald nur 2 von hinten kommende, so dass der vordere Theil des Seitenfeldes gefässlos ist. Der Gefässbogen liegt meist in einer eigen- thümlichen Brücke, welche entweder von faseriger Structur ist, wie bei Ascaris megalocephala (Fig. 3A.) oder aus einer homogenen Grundsubstanz mit eingestreuten Kernen besteht. wie bei Spiroptera obtusa. Auch scheint der Fall einzutreten, dass die Wulst des Seitenfeldes bei der Anastomose mit herüber tritt, wie bei Dacnitis esuriens (Fig. 8). Einen ferneren Schritt zur Aufklärung dieses Gegenstandes hat Siebold gethan, als er an der Bauchseite der Nematoden einen Querspalt der Haut entdeckte, von welchem sich in verschiedener Richtung Schläuche erstrecken, entweder 4 und zwar 2 nach hinten, 2 nach vorn oder nur 2 nach hinten, In der That hat damit Siebold die Mündung der Seitenge- scheinen. Diese Stigmata sind aber jene mit dem Gefäss verwachsene mittlere Kernreihe, deren wir oben gedachten. Wenn auch die beiden seitlichen Kernreihen aufgelöst sind, besteht die mittlere noch fort. 1) G. Wagener (über Dicyema, Müller’s Archiv 1857 S. 368) erwähnt wahrscheinlich dieselben Gefässe von Strongylus auricularis. Die von dem geehrten Forscher angenommenen Seitenäste können wohl existiren, ich glaube aber nicht, dass sie aus dem Seitenfelde heraus- treten. Ueber die Seitenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. 431 fässe gefunden. An Ascarismegalocephala gelingt es wirklich, den Ausführungsgang im Zusammenhange mit der Querspalte der Haut und dem Gipfel des Gefässbogens zu präpariren. Bei den andern Ascariden, so bei A. marginata, lumbricoides, ist dies schwieriger, man findet meist nur die Querspalte und den Ausführungsgang und nicht einmal diese fand ich bei Ascaris acus. In allen übrigen von mir genannten Fällen überzeugt man sich leicht von der Existenz des Ausführungs- ganges und seinem Zusammenhange mit dem Gefässbogen. Eine Anzahl Abbildungen siehe Fig, 4—3. Die Ausmündung liegt immer auf der Bauchlinie, bei den grösseren Ascariden 2" etwa vom hintern Lippenrand, bei den andern theils vor, theils etwas hinter dem Oesophagusende. Der Ausführungsgang zeigt 2 Modificationen. In allen von. mir untersuchten Fällen ist er, ein dünnwandiges Rohr. Nur bei Ascaris acuminata besteht er aus einer Ampulle, auf welcher der Gefässbogen aufsitzt, ohne dass man, um die Wahrheit zu sagen, die Einmündung sehen könnte. Ziehen wir aber noch die Fälle heran, in denen zwar der Ausfüh- rungsgang, nicht aber die Gefässe bekannt sind, so ist die letztere Modification noch bei Oryuris spirotheca, obvelata und vielleicht anch ornata!) zu finden. Bei Ozyuris spirotheca ist diese Ampulle schon von Göyry (l. c.) erwähnt. Dieselbe ist nach vorn in 2 Zipfel ausgezogen und besteht aus einer ventral gelegenen, beckenförmigen Hälfte von fester Substanz und einer darüber liegenden membranösen Blase. Noch eigenthümlicher ist die Ampulle der Ozyuris obvelata (Duj.). In gleichem Abstand von dem Oesophagusende und der Vulva befindet sich auf der Bauchlinie ein längliches rhomboidales Feld, welches in seiner Mitte durchbohrt ist, und auf dessen Rändern eine grosse faltige Blase — unsere Ampulle — aufsitzt. Bei dieser grossen Verbreitung des Gefässsystems darf man dasselbe wohl als ein nothwendiges Glied in der Orga- 1) So wenigstens, deute ich mir die Beobachtung Walter’s (I. c.) und nicht als Saugnapf. ” 432 A. Schneider: nisation der Nematoden betrachten. Trotzdem habe ich’ bei einigen sorgfältig darauf untersuchten Species nicht ein Stück desselben finden können, z. B. Cucullanus elegans und Ozyuris vermicularis.‘) Aber gesetzt auch, dass es einzelnen Species oder ganzen Familien fehlte, braucht es noch nicht, wo es sich bis jetzt unserm Blick entzog, in Wirklichkeit zu fehlen, Selbst wenn man bei einer Species das Gefäss deutlich er- kannt hat, ist es an einzelnen Individuen nicht aufzufinden. Sollten nicht in bestimmten Nahrungsverhältnissen die Ge- fässwände collabiren? Wie oft sucht man bei Infusorien ver- geblich nach den contractisen Stellen. Schon oben haben wir die Aehnlichkeit unserer Gefässe mit dem excretorischen Wassergefässsystem der Trematoden u. Ss. w. berührt. Sehen wir von der Verschiedenheit der An- ordnung ab, so fehlte nichts, um diese Aehnlichkeit voll- ständig zu machen, als die Anwesenheit von Wimperlappen und einer Strömung. Weniger Gewicht würde auf die Wimper- lappen zu legen sein, da dieselben vielen Trematoden eben- falls fehlen (siehe darüber Aubert Ztschr. f. w. Z. Bd. VI. S. 357), auch ein eigentliches Wimperepithelium bei Nemato- den überhaupt nicht vorzukommen scheint.?) Wichtiger wäre es, in den Gefässen eine Strömung nachweisen zu können, doch ist dies bis jetzt nicht gelungen. Ein Stück des Seiten- feldes von Ascaris megalocephala wurde auf Harnsäure geprüft mit negativem Erfolge. Noch ein eigenthümliches Gefässsystem müssen wir 1) Filaria papillosa, dessen Seitenfeld oben erwähnt wurde, habe ich leider nicht gehörig, untersucht. 2) Bildungen, welche den Wimperepithelien sehr ähnlich sind, nur dass sie keine Bewegungen zeigen, kommen auch bei Nematoden vor. So unzweifelhaft an dem vordern Abschnitt des Vas deferens von Ascaris acus. Der dichtgedrängte Pelz feiner Härchen, welcher auf der innern Fläche des Darmes vieler Nematoden vorkommt, ist von Kölliker (Verb. d. phys.-med. Gesellschaft in Würzburg Bd. VII. über secundäre Zellmembranen etc.) für den Ausdruck von Porenka- nälen gehalten worden. Unter Einfluss von Wasser heben sich Stücke des Epithels blasig ab, die Härchen treten dadurch weiter auseinander und man erkennt, dass sie keiner continuirlichen Membran angehören. Ueber die Seitenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. 433 besprechen, welches Siebold von Filaria piscium und Ascaris osculata beschrieben hat (Siebold vergl. Ana- tomie S. 135). Es ist mir aus eigener Anschauung nur von Filaria piscium bekannt. Die Beschreibung Siebold’s ist richtig, doch glaube ich dieselbe in einigen Punkten ver- vollständigen zu können. Durch die ganze Länge des Thieres läuft ein Band, bestehend aus einer feinkörnigen Substanz, in welche viele schöne bläschenartige Kerne mit Nucleolis eingestreut sind. In der Substanz unterscheidet man noch einen langen elliptischen Körper, welcher in einer Art Höhle liegt. Von vorn bis in die Mitte füllt es den Raum zwischen den beiden Seitenfeldern vollkommen aus, dann wird es schmäler und. man erkennt, dass es zwischen den beiden Wülsten (siehe oben) der rechten Seitenlinie festgeheftet ist. An dem freien Rand befestigt sich ein Frangenwerk von Zellen mit Ausläufern und Strängen (Fig. IA. c.). Durch dieses Band zieht sich ein Kanal, zwar ohne membranöse Wand, aber durch eine festere Schicht, von der umgebenden Substanz getrennt, bald gerade, bald leicht geschlängelt, bald Ausläufer rechts und links abgebend, bald sich theilend und wieder vereinigend.. Am Hinterende verschwindet er mit dem dünner werdenden Bande zwischen den Wülsten der Seitenfelder. Auch am vordern Ende konnte ihn Siebold nicht weiter verfolgen. Reisst man aber den Wurm mit einer scharfen Nadel der Länge nach auf, und dies gelingt vermöge einer besondern Eigenschaft seiner Haut sehr leicht, so er- kennt man, dass der Kanal am Vorderende aus dem Bande heraustritt, sich eine ziemliche Strecke erst nach hinten biegt, dann vorn an der Linie, wo die Lippen beginnen, die Haut durchbohrend nach aussen mündet. Ob die Mündung seitlich, . dorsal oder ventral liegt, konnte ich nicht ermitteln. Denn am unverletzten Thiere ist nichts von dem Kanal zu sehen. Trotzdem man sich durch eigene Präparation leicht von diesem Verhalten überzeugt, wäre es doch nicht gelungen, auf diese Weise eine überzeugende Abbildung zu verfertigen. Dies gelang mir aber vollständig, wie ich glaube, an einer Anzahl Filarien, welche über 2 Jahre in einer Mischung von Müller’s Archiv, 1858. 28 434 A. Schneider: Glycerin und Alkohol gelegen hatten. Ich verdanke sie der Güte der Herren Claparede und Lachmann aus ihrer norwegischen Sammlung. Durch einiges Zupfen gelingt es hier leicht, den gesammten Muskeleylinder von der Haut zurückzuschieben, so dass der erwähnte Kanal, an seiner Mündung angeheftet, zurückbleibt. (Fig. IB.) Ob dieser Kanal ein besonderes Organ vorstellt oder zu dem eben beschriebenen Gefässsystem gehört, ist schwer zu sagen. Trotz sorgfältiger Untersuchung der Haut habe ich auf der Bauchseite keine Ausmündungsstelle gefunden. Wollte man diesen apagogischen Beweis gelten lassen, so sind immer noch zwei Fälle möglich. Entweder das linke Seitengefäss fehlte ganz oder es hat sich uns nur entzogen und anastomo- sirt mit dem rechten. In beiden Fällen repräsentirt das jetzt bekannte nur das auf einer Seite besonders stark entwickelte Seitengefäss, wofür ich noch als eine entfernte Analogie an- führen könnte, dass bei Spiroptera obtusa das eine Seitenfeld immer in der Dicke stärker entwickelt ist als das andere, Um die Beschreibung des Seitenfeldes zu vervollständigen, müssen wir noch 4 eigenthümlicher Organe gedenken, deren jederseits 2 in der Gegend zwischen Gefässmündung und Vulva auf den Seitenfeldern mehrerer Ascariden (Ascaris me- galocephala, lumbricoides, marginata) liegen. Dieselben sind schon von Bojanus als „büschelförmige Körper“ richtig be- schrieben und ihrer Lage nach abgebildet worden, seitdem aber, wie es scheint, ganz unbeachtet geblieben. Hr. N. Lieberkühn hat dieselben, ohne Bojanus’ Beobachtung zu kennen, vor mehreren Jahren wiedergefunden und über ihren Bau in der Gesellschaft naturforschender Freunde be- richtet. Hoffentlich wird derselbe seine Beobachtung bald veröffentlichen. Zum Schluss geben wir eine tabellarische Uebersicht unserer Kenntniss vom Gefässsystem der Nematoden, die sich durch genauere Durchsicht der älteren Litteratur viel- leicht noch vervollständigen liesse. ‚ Ueber die Seitenlinien und das Gefässsystem der Nematoden. 435 Gefäss. Anastomose, Mündung. Ancylostomum duodenale (Dub.) Dubini u. Billharz (Ztschr, Be EV. SD) en, n EIHLAN ? BEN Angiostoma Limacis 8. . » ..— er Br Ascaris acuminata Sieboldu.S. — ae u ES helle lea. 0 0 „ brevicaudata Siebold u. Hujardin)eiiua. ?. ? A „ dactyluris Siebold . . ? ? a » paucipara Siebold ? ges lumbricoides Cloquet, Bojanus,S.. . . — u al „ megalocephala Cloquet, Bojanns, Susi ii im — u „ migrovenosa 8. 0 0 ya Cucullanus elegans 8. . . . . 0 0 0 Hedruris androphora 8 . . . — a 28 Leptodera flezilis S.. . - — = RS Ozyuris ornata Walter 0 0 ® „ obvelata 8. . a 0 0 ik „ spirotheca Györy u. 8. 0 0) a „ vermicularis 8... - 0 0 0 Spiroptera oblusa 8. . . 2... — = er Tetrameres haemochrous Lieberkühn (Müller’s Ar- e,.18959. 8.315.) .. .0%.,....50 0 _ Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Seitenfeld der Oxyuris spirotheca. ab Seitenfeld, m Mus keln, cc Zellen. Fig. 2. Seitenfeld von Ascaris acus. Mit der mittleren Zellen reihe ist das Gefäss verwachsen. Fig. 3. Gefässmündung und Seitenfeld von Ascaris megalocephala. 28 * 436 A. Schneider: Ueber die Seitenlinien etc. der Nematoden. A. Die Anastomose und Mündung der Gefässe. Rechts und links sind die Seitenfelder weggelassen. v das Gefäss, p der Aus- führungsgang. B. Querschnitt des Seitenfeldes durch ein getrocknetes Präparat, mit Wasser aufgeweicht. v das Gefäss, f der Spalt durch das Seiten- geld, gg Körnchenschicht, welche zwischen Haut und Muskeln liegt. Fig. 4—8. Seitengefässe, deren Anastomose und Ausmündung. p und v wie Fig. 3. Nö \ Fig. 4 von Sirongylus auricularis. „ 9 „ Leptodera flexilis. » 6 „ Angiostoma Limacıis. „ 7 „ Ascaris acuminata. n„ 8 „ Dacnitis esuriens. Fig. 9. Gefäss von Filaria piscium. A. Stück des Bandes und seine Anheftung im Seitenfelde ab Seitenfeld, s gefässführendes Band, g Gefäss, c Zellen durch Stränge verbunden. B. Präparat von einem in Glycerin und Alcohol macerirten Exemplare. Der Muskelcylinder mit dem Oesophagus ist zurückge- schoben. &a Auskleidung des Oesophagus, d Zahn am Vorderende, b Gefässmündung. R. Heidenhain u. A. Colberg: Versuche üb. den Tonus etc. 437 . * Versuche über den Tonus des Blasenschliess- | muskels. Von Dr. RupoLr HEIDENHAIN und Dr. August. ÜOLBERG in Halle. (Hierzu Taf. XVL) Vor zwei Jahren hat der Eine von uns !) durch Versuche nachgewiesen, dass die eine Zeit lang unter den Physiolo- gen sehr allgemein verbreitete Lehre vom Muskeltonus für die willkürlichen quergestreiften Muskeln abgewiesen werden muss. Untersuchungen von Auerbach?) und Wundt?) ha- ben seitdem das Resultat jener Experimentalarbeit bestätigt, welches dahin lautete, dass die animalen Muskeln keinen vom Nervensysteme abhängigen Tonus besitzen. Was die vegetativen Muskeln betrifft, so waren über einen etwaigen Tonus derselben keine directen Versuche angestellt worden, doch wurde aus mehreren Grüuden ein Tonus der Sphineteren für sehr wahrscheinlich gehalten. Die hierauf bezügliche Stelle der oben erwähnten Arbeit lautet: *) „Man hat das Verhalten der Sphincteren als Beweis für eine con- tinuirliche, unwillkürliche, vom Rückenmarke abhängige, also 1) R. Heidenhain, Physiologische Studien. Berlin 1856. Art. I „Historisches und Experimentelles über Muskeltonus.“ | 2) Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. 1856. 3) Die Lehre von der Muskelbewegung von Wilh. Wundt. Braun- schweig 1858, p. 44 u. f. 4) a.2a.0. p. 30, 438 » R. Heidenhain und A. Colberg: „tonische“ Action angeführt. Und es ist dies in der That ein Factum, dem sich Nichts entgegenstellen lässt..... Dem un- befangen Urtheilenden drängt sich die Annahme auf, dass die Sphincteren in einer continuirlichen unwillkürlichen Thätig- keit begriffen sind.“ L. Rosenthal!) eitirt in seiner unter v. Wittich’s Lei- tung geschriebenen Inaugural-Dissertation diese Sätze und veröffentlicht zur Widerlegung derselben Versuche, welche (wir halten uns an den Schliessmuskel der Blase) in folgen- der Weise an todten Thieren angestellt wurden. Nach Un- terbindung eines Harnleiters wurde in den andern eine Mes- singcanüle eingesetzt, die mit einem langen Gummischlauche in Verbindung stand. Der letztere war mit seinem andern Ende an einen Glastrichter befestigt, der mit Wasser ange- füllt wurde. Das Wasser drang in die Blase und füllte diese unter einem Drucke, welcher durch den jedesmaligen senk- rechten Abstand zwischen dem Wasserniveau in dem Trich- ter und derjenigen Horizontalebene, in welcher die Blase lag, gegeben war. Durch allmählige Vergrösserung dieses Abstandes konnte der Druck in der Blase so weit gesteigert werden, dass der Schliessmuskel sich öffnete und das Was- ser aus der Harnröhre herauszutröpfeln begann. Derjenige Druck, bei welchem das Wasser zuerst abfloss, gab das Maass für die Kraft, welche zur Eröffnung des Blasenschliessmus- kels nöthig war. Es fand sich nun an todten Kaninchen, dass ein Druck von 90 — 100 Centimeter Wasser nöthig war, um den Sphincter zu eröflnen. Daraus wurde geschlossen: „Da die Blase unter Umständen, wo von keinem Sphinete- ren-Tonus die Rede ist, Wasser unter einem Drucke zurück- halten kann, der im Leben kaum jemals übertroffen wird, ist die Annahme eines Sphincteren-Tonus überflüssig.“ Es wird die Ansicht aufgestellt, dass der Sphineter die Func- tion, die Blase zu schliessen, vermöge seiner blossen Ela- stizität vollzieht. 1) De tono musculorum tum eo imprimis, qui sphincterum tonus vocatur. Diss. inaug. Regimonti Pr. 1857, Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels, 439 Wären die Versuche, auf welche sich der obige Ausspruch stützt, tadelfrei, so würden sie allerdings ein Gewicht gegen den Tonus in die Wagschale legen, obschon sie die Frage nicht entscheiden können. Denn es bliebe immer noch die Annahme, dass der Sphincter im lebenden Thiere einen noch höbern Druck zu tragen im Stande ist, als jenen am todten Thiere gemessenen, — eine Annahme, welcher'a priori um so weniger etwas im Wege steht, als der Druck, bis zu welchem sich die Blase im lebenden Thiere füllen kann, nie- mals ermittelt worden ist. Wir werden nun aber im Folgen- den nachweisen, dass sich in jene Versuche selbst unbegreif- liche Irrthümer eingeschlichen haben, die ihnen jeden Werth in Bezug auf die obschwebende Frage nach dem Sphincteren- Tonus nehmen. Bevor wir zur Erörterung unserer Versuche übergehen, müssen wir noch einige Worte über die Bezeichnung „To- nus* vorausschicken. Wir werden darthun, dass der Schliess- muskel der Blase im lebenden Thiere einen beträchtlich hö- hern Druck zu tragen im Stande ist, als unmittelbar nach dem Tode, und glauben demnach diesem Muskel einen „To- nus“ zuschreiben zu dürfen. Diese Bemerkung ist nöthig ge- genüber einer Auslassung von Wundt, in welcher dieser For- scher sich über die Sphincteren-Thätigkeit ausspricht.!) So- weit wir ihn verstehen, nimmt er eine continuirliche, willkür- liche, vom Nervensystem abhängige Thätigkeit der Sphincte- ren an. Er bestreitet aber, dass diese Thätigkeit eine toni- sche genannt werden dürfe. Denn eine continuirliche Thä- tigkeit sei es nicht allein, die zum Wesen des Tonus gehö- ren soll, sondern es sei zugleich der geringe Grad der Er- regung für den Tonus charakteristisch. „Nun befinden sich aber die Sphineteren stets in dem gewöhnlichen Maasse ihrer Thätigkeit, es giebt bei ihnen keinen Wechsel zwischen der scheinbaren tonischen Ruhe und einem stärkern Grade der Zusammenziehung; der einzig mögliche Wechsel ist der Uebergang in den erschlafften Zustand, wie dies beim sph. 1) 2.2.0, p. 45. 440 ' »R. Heidenhain und A. Colberg: ani z. B. nach Verletzungen des Rückenmarkes, bisweilen auch in der Narcose stattfindet. Damit, dass die Contrac- tion der Sphincteren unwillkürlich und unbewusst vor sich geht, ist für ihre tonische Natur, wie sich von selbst ver- steht, gar Nichts bewiesen.* Wundt will also die Bezeich- nung des Tonus für eine continuirliche, unwillkürliche, vom Nervensysteme abhängige Thätigkeit der Muskeln nur dann gelten lassen, wenn die Muskeln zu gewissen Zeiten in eine stärkere Contraction gerathen, als es jene unwillkürliche Zu- . sammenziehung ist. Selbst wenn wir dieser Einschränkung des Tonusbegriffes beipflichten wollten, wüssten wir nicht, woher Wundt die Gründe nimmt, die Möglichkeit einer zeit- weiligen Verstärkung der Thätigkeit der Schliessmuskeln über das „gewöhnliche Maass“ zu bestreiten. Uns sind solche Gründe aus der Physiologie nicht bekannt. Es scheint im Gegentheile mehr als wahrscheinlich, dass zu gewissen Zei- ten, wenn den Schliessmuskeln grössere Leistungen zuge- muthet werden, eine Verstärkung ihrer Thätigkeit eintritt. Doch abgesehen hiervon können wir nach der ganzen histo- rischen Entwickelung des Tonusbegriffes es nicht zugeben, dass der relativ geringe Grad der Muskelthätigkeit ein we- sentliches Merkmal für die „tonische“ Action sei. Wesent- lich und für die allgemeine Nerven- und Muskelphysiologie wichtig sind zwei Momente, welche der „Tonus“ impliecirt, erstens die Fähigkeit der Gentralorgane, ununterbrochen ohne Willensimpuls erregend zu wirken, zweitens die Fähigkeit der Nerven und Muskeln, anhaltend thätig zu sein. Diese beiden Punkte sind bei jener Frage auch immer in den Vor- dergrund getreten; auf den Thätigkeitsgrad ist höchstens in- sofern ein Accent gelegt worden, als da, wo an Muskeln anhaltende unwillkürliche Thätigkeit neben der zeitweisen willkürlichen angenommen wurde, erstere evident geringer sein musste als letztere. Es ist aber nie ausgesprochen wor- den, dass wo nur jene erstere Thätigkeit vorkäme, diese des- halb nicht als „tonische* bezeichnet werden dürfe. Wir glau- ben demnach im Rechte zu sein, wenn wir von einem Tonus des Blasenschliessmuskels in dem Sinne reden, dass wir dar- Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels, 441 I unter eine unwillkürliche, continuirliche, vom Nervensysteme abhängige Zusammenziehung des Muskels verstehen, — die eben manche Physiologen mit Rücksicht auf den Mangel des Tonus bei den animalen Muskeln zu leugnen geneigt sind. Unsere Versuche wurden nach zwei Methoden angestellt, von denen nur die zweite recht schlagende Resultate gab. Doch berücksichtigen wir auch die erste Methode, weil sich auch aus dieser schon gewisse brauchbare Schlüsse ziehen liessen. I. Die Tbiere wurden mit dem Rücken auf ein Brett ge- bunden, die Bauchdecken durch einen ausgiebigen Längs- und Querschnitt so weit getrennt, dass die Bauchpresse nicht mehr auf die Blase wirken konnte, dann der eine Harnleiter unterbunden und in den andern eine mit einem Zahne ver- sehene Canüle eingesetzt, die andrerseits durch einen Gum- mischlauch mit dem untern Ende einer nach Millimetern graduirten Glasröhre in Verbindung stand. Die letztere, vertikal an einem passenden Gestelle befestigt, diente als Wassermanometer. Wir füllten die Röhre mit Wasser von beiläufig 35—40° C. so hoch, dass die Blase unter eine stärkere Spannung gerieth, als der Schlussfähigkeit des Sphineter entsprach. Die Folge war, dass aus der Harn- röhre ununterbrochen Wasser abfloss. Da aber der Abfluss aus. der Blase durch Zufluss aus dem Manometerrohre ersetzt wurde, musste die Wassersäule in dem letzteren sinken. Wir hofften, es werde schliesslich ein fester Stand des Was- sermanometers eintreten, entsprechend dem Drucke, welchen der Schliessmuskel des lebenden Thieres vermöge seiner ela- stischen Kraft vermehrt um die von uns vorausgesetzte to- nische Contractionsgrösse zu tragen vermochte. War dies. erreicht, so beabsichtigten wir durch Blausäurevergiftung die tonische Action des Schliessmuskels zu vernichten, so dass er dem Wasserdrucke nur noch vermöge seiner Elastizität Widerstand leistete. War Tonus vorhanden, so musste mit dessen Wegfall nach der Vergiftung der Sphincter sich Öft- nen und so lange Wasser abfliessen, bis das Manometer zu demjenigen Drucke gesunken war, welcher der elastischen 442 R. Heidenhain und A. Colberg: Kraft des Muskels gleich war. Dieser Gang der Dinge musste erwartet werden, wenn unsere Hypothese sich bewährte. War sie dagegen falsch, schloss der Sphincter, wie v. Wit- tich und Rosenthal aus ihren Versuchen ableiteten, nur vermöge seiner Elastizität, so musste er nach dem Tode im Stande sein, dieselbe Wassersäule zu tragen, die er während des Lebens getragen hatte, er durfte sich nach der Vergif- tung nicht Öffnen, das Manometer also nach dem Toode nicht sinken. — So einfach diese Betrachtung war, so lehrte die Erfahrung bald, dass wir einen Punkt übersehen hatten, welcher in den Verlauf des Versuches sehr störend eingriff. Die Thiere entleerten nämlich ab und zu während des Ex- perimentes die Blase mehr oder weniger vollkommen durch Contraetion des Detrusor. Die Wassersäule im Manometer sank, während das Wasser aus der Blase floss, sie sank aber auch noch, wenn der Sphincter wieder schloss, weil die entleerte Blase sich von Neuem auf Kosten des Mano- meters füllte, und dieses Sinken war ziemlich beträchtlich, weil das Lumen der Glasröhre ziemlich enge war im Ver- hältniss zum Rauminhalte der Blase. Kaum hatte sich ein eonstanter Manometerstand wiederhergestellt, so wiederholte sich der Vorgang von Neuem, bis das Thier durch mehrfache Entleerungen der Blase das Glasrohr zum grossen Theile gleichsam ausgepumpt hatte. Die Blasenentleerungen hörten erst dann auf, wenn die Druckhöhe im Manometer verhält- nissmässig sehr niedrige Werthe erreicht hatte, wie es scheint, weil erst dann die Spannung der Blase dem Thiere nicht mehr unbequem war. Auf diesem Punkte blieb dann die Druckhöhe längere Zeit constant. Wurde jetzt vergiftet, so öffnete sich nach einiger Zeit, ohne dass eine active Oon- traction der Blase bemerklich gewesen wäre, der Sphineter, und das Manometer sank noch etwas, doch meistens nur wenig, offenbar weil durch die voraufgegangenen Blasenent- leerungen die Druckhöhe schon der Grenze nahe gebracht war, welche dem elastischen Widerstande des Schliessmus- kels entsprach. Um trotz dieser störenden Schwierigkeiten wenigstens zu Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels, 443 einer vorläufigen Ansicht über die obschwebende Frage zu gelangen, verfuhren wir folgendermaassen: die Manometer- röhre wurde bis zum Scalenstriche 500— 600 mit Wasser ge- füllt und dann in Zeiträumen von 30 zu 30 Seeunden die Ni- veauhöhe in derselben abgelesen und danach Curven con- struirt, wie sie auf der beigefügten Tafel verzeichnet sind. Nehmen wir zur Erörterung die Curve IIla. Die Ordinaten- theile entsprechen je 10 Mm., die Abseissentheile je‘ 30 See. Die Blase lag ungefähr im Niveau des 150sten Theilstriches der Scala (ganz genau ist dies Niveau der Blase natürlich nicht anzugeben, weil der Höhendurchmesser derselben einen Raum von mehreren Millimetern umfasste). In der ersten Minute der Beobachtung sank die Wassersäule schnell von 500 Mm. auf 490 Mm., dann blieb sie eine Minute lang auf constanter Höhe, der Sphincter vermochte also einen Druck von 490 — 150 = 340 Mm. zu tragen. Dann erfolgte eine Ent- leerung der Blase, nach welcher sie sich allmählig auf Ko- sten des Manometers wieder füllte, während die Druckhöhe innerhalb der nächsten 7 Minuten schnell sank. Darauf blieb der Druck eine halbe Minute auf fast constanter Höhe, um nach neuer Blasenentleerung wiederum schnell zn sinken u, s.f. Ein fester Stand von längerer Dauer trat erst 24 Mi- nuten nach Beginn der Beobachtung ein, in der Höhe von 244 Mm. Als dieser Druck 6 Minuten constant geblieben war, wurde das Thier vergiftet (das + bezeichnet die halbe Minute, in welcher die Blausäure in den Mund getröpfelt wurde). Das unbedeutende Sinken des Druckes unmittelbar nach der Vergiftung kommt wohl auf Rechnung einer gerin- gen Lagenveränderung des Thieres. 5 Minuten nach Darrei- chung der Blausäure — das Thier war bereits vollkommen. regungslos — öffnete sich der Schliessmuskel und nun sank das Manometer, während das Wasser allmählig aus der Blase auströpfelte, auf 208 Mm., um hier stehen zu bleiben. An der Blasenwand war keine Spur einer Contraction bemerk- lich, das Wasser wurde mithin nicht durch den Detrusor aus- getrieben. Der Sphincter des todten Thieres hatte in die- sem Falle die Fähigkeit, vermöge seiner blossen Elastizität 444 R. Heidenhain und A. Colberg: einem Drucke von 208 — 150 =58 Mm. zu widerstehen. Wel- chen Druck konnte aber der Schliessmuskel des lebenden Thieres tragen? Jedenfalls mindestens den von 244 — 150 — 94 Mm., denn auf 244Mm. war ja die Druckhöhe im Ma- nometer längere Zeit stehen geblieben. Die tonische Action ‚des Sphincter würde also mindestens 94 — 58-36 Mm. gleich- zusetzen sein. Nun ist es aber augenscheinlich, dass diese Grösse eine durchaus unrichtige sein muss. Die Blase des ‚lebenden Thieres steht gewiss sehr häufig unter höherem Drucke als dem von 94 Mm. Wir können aus der vorlie- genden Beobachtung nur schliessen, dass die Widerstands- fähigkeit, des lebenden und des todten Schliessmuskels eine verschiedene ist, ein Schluss auf die Grösse des Unterschie- des aber ist deshalb nicht erlaubt, weil die Blase durch Ent- leerungen vermittelst Zusammenziehung des Detrusor und die damit verbundene allmählige Auspumpung des Manometers sich selbst unter einen sehr geringen Druck setzte. Freilich haben wir im Verlaufe der Beobachtung zwei Punkte, wo der Sphincter eine kurze Zeit lang unter höherm Drucke schloss, bei 490 und 325 Mm. Allein wir wagen nicht, diese Zahlen zum Ausgange für die Berechnung der tonischen Action zu nehmen, einmal, weil die Zeit, während welcher jener Druck getra- gen wurde, sehr kurz ist und deshalb die Beobachtung nicht die wünschenswerthe Sicherheit hat, zweitens, weil in ande- ren Versuchen das Manometer bei höheren Druckwerthen gar nicht zu Ruhe kam, der abwechselnden Entleerungen und Wiederanfüllungen der Blase wegen. Immerhin dürfen wir schon nach dem Bisherigen die An- nahme machen, ‘dass ein Tonus vorhanden sei, und um so sicherer, wenn wir noch den folgenden Versuch in Betracht ziehen. Wir füllen nach dem Tode des Tbieres von Neuem das Manometer auf 550 Mm. und beobachten den Stand der Wassersäule in Zwischenräumen von je 30 Secunden. Da der Sphincter des todten Thieres nicht eher schliesst, bis der * Druck auf die der blossen Elastizität desselben entsprechende Grösse gesunken ist, fliesst das Wasser ununterbrochen aus der Blase ab, Die Curve II b giebt die Veränderungen des Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels. 445 Manometerstandes. Sie geht mit sehr viel grösserer Steilheit abwärts, als die Curve Il a, und nicht eher der Abseisse auch nur annähend parallel, bis nahezu derjenige Druck erreicht ist, welcher dem Ende der letzteren Curve entspricht. Am lebenden Thiere hatte die Wassersäule im Manometer 24 Mi- nuten gebraucht, um von 505 Mm. auf 244 Mm. zu sinken, am todten Thiere waren nur 3!/, Minute zum Herabsinken von 550 auf 204 Mm, nöthig. Hieraus, wie aus der ganzen Form der Curven a u. b folgt, dass sich im lebenden Thiere dem Ausfliessen des Wassers aus der Blase Widerstände ent- gegengestellt haben, welche im todten Thiere nicht mehr vor- handen waren. Dass trotz jener srössern Widerstände das Manometer so tief herabsank, hatte seinen Grund darin, dass zur Ueberwindung derselben die zeitweilige Thätigkeit der Muskulatur der Blasenwand mitwirkte. Die Curven I und III sind auf ähnliche Weise gewonnen und nach den bisherigen Erörterungen selbstverständlich. Bei I lag die Blase in der Höhe des 140sten Scalenstriches, es sind also von den verzeichneten Druckwerthen 140 Mm. ab- zuziehen, bei III war der Blasenstand 50 Mm. Die Curve III b wurde nur soweit beobachtet, bis das Manometer den- jenigen Stand erreicht hatte, auf welchem es im lebenden Thiere constant blieb. Berechnen wir nach den vorliegenden drei Versuchen die- jenigen Druckwerthe, welche der (elastischen) Kraft des Sphineter am todten Thiere entsprechen, so erhalten wir für I 166 — 140 = 26 Mm. II 208 — 150 = 58 Mm. III 80 - 50= 30 Mm. Nach v. Wittich und Rosenthal soll der Blasenschliess- _ muskel todter Kaninchen 900— 1000 Mm. tragen. Die Diffe- renz zwischen diesen Zahlen und den unsrigen ist der Art, dass entweder bei jenen Forschern oder bei uns unbegreif- liche Irrthümer ins Spiel gekommen sein müssen. Wir be- rufen uns darauf, dass wir ausser jenen drei Versuchen noch 8 Versuche an weiblichen Kaninchen angestellt haben, in welchen der Druck, der vom Sphincter des todten Thieres 446 R. Heidenhain und A. Colberg: getragen wurde, 25—80 Mm. betrug, ferner zwei Versuche an männlichen Kaninchen mit dem Resultate 130 u. 150 Mm., einen Versuch an einem weiblichen Hunde mit dem Ergeb- nisse 130, endlich einen an einem männlichen Hunde, wel- cher 380 Mm. ergab. Wir sind also niemals auch nur annä- hernd zu Werthen gekommen, wie v. Wittich und Rosen- thal. Die Zahl unserer Versuche sichert uns vor Irrthümern und die Resultate jener Experimentatoren sind uns nach un- sern Erfahrungen unverständlich. Es wurde von ihnen nur an todten Thieren operirt; wir kamen auf die Vermuthung, dass vielleicht bei den Versuchen der Schliessmuskel im Ue- bergang zur Todtenstarre oder in diesem Zustande selbst be- findlich und deshalb einen so abnorm hohen Druck zu tra- gen im Stande gewesen sei. Allein das Kaninchen Nr. 6 der später aufzuführenden Tabelle, dessen Sphincter unmittelbar nach dem Tode sich schon unter einem Drucke von 25 Mm. öffnete, liessen wir 6 Stunden lang todt liegen. Um diese Zeit waren alle Extremitätenmuskeln in Starre begriffen; das Wasser tropfte nach wie vor aus der Blase bei 25 Mm. Druck ab. Ein anderes Kaninchen wurde getödtet und, ohne vor- gängige Versuche an der Blase, 20 Stunden lang liegen ge- lassen: der Sphincter öffnete sich bei 35 Mm. Druck. Ein seit 15 St. todter männlicher Hund gab 140 Mm. Aus die- sen Versuchen geht hervor, dass es nicht Veränderungen der Elastizität des Schliessmuskels nach dem Tode gewesen sein können, durch welche v. Wittich u. Rosenthal getäuscht wurden. Der Grund des Irrthums muss in andern Umstän- den liegen, die zn ermitteln wir ausser Stande waren. II. Die erste Untersuchungsreihe hatte es, um recht vor- sichtig zu sein, in hohem Grade wahrscheinlich gemacht, dass der Blasensphineter des lebenden Thieres einen Tonus be- sitzt, sie erlaubte aber keinen Schluss auf die Grösse der Kraft, mit welcher der tonisch contrahirte Muskel die Blase schliesst. Die Ursache, welche es verhinderte, zu dieser Be- stimmung zu gelangen, lag darin, dass das Thier durch häu- fige Contraction des Detrusor das Manometer allmählig ent- leerte und so die Blase im Laufe des Versuches auf einen Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels, 447 sehr viel geringeren Druck setzte, als ihn der Schliessmus- kel in maximo zu tragen im Stande war. Zur Vermeidung dieser Uebelstände wurden zwei Abänderungen in den Ver- suchen getroffen. Erstens wurden die Thbiere nach Eröffnung der Bauchhöhle durch Injeetion von etwas Opiumtinctur in den Darm soweit narcotisirt, dass sie während des Versu- ches ruhig lagen und fast keine willkürlichen Bewegungen machten. In diesem Zustande der Thiere unterblieben in den meisten Fällen die durch Zusammenziehungen der Muskeln der Blasenwand hervorgebrachten Blasenentleerungen, womit ein grosses Hinderniss der früheren Versuche hinfortgeräumt war. Freilich wurde durch die Narcotisirung möglicherweise die tonische Thätigkeit des Schliessmuskels herabgesetzt. Wir müssen demnach die Möglichkeit offen lassen, dass die später anzugebenden Werthe für dieselbe zu gering sind. Zweitens wurde ein mehr zweckmässiger Druckapparat an- gewandt, von welchem aus sich die Blase füllen konnte, ohne dass eine in Betracht kommende Druckerniedrigung stattfand. Ein vertikal stehender, mit Millimeterscala verse- hener Holzpfeiler trug einen horizontalen, durch eine Schraube aufwärts und abwärts beweglichen Arm, in welchen ein recht weiter Glastrichter senkrecht eingeklemmt war. Von seinem unteren Ende führte ein langer Gummischlauch zu einem Habne, der an die in dem einen Harnleiter befindliche Ca- nüle angeschraubt werden konnte. Von dem Ausflussrohre des Trichters ging rechtwinklig eine horizontale Glasröhre ab, die an ihrem Ende vertikal aufgebogen war und bis zur Höhe des obern Trichterrandes reichte. Der vertikale Schen- kel war mit einer Millimeterscala versehen und diente als Druckmesser für den Trichter, um den Wasserstand in dem- selben genauer controlliren zu können, als dies unmittelbar ° an dem Trichter möglich gewesen wäre. Die im Verhält- nisse zum Blaseninhalte beträchtliche Weite des Trichters bedingte es, dass sich auf Kosten des in ihm enthaltenen Wassers die Blase füllen konnte, ohne dass das Wasserni- veau in dem Trichter merklich sank. Sobald sich an dem ver- tikalen Druckmesser eine Senkung des Wasserniveaus zeigte, 448 R. Heidenhain und A. Colberg: wurde durch Nachfüllen das frühere Niveau wiederherge- stellt. Auf diese Weise hing der Druck in der Blase nur von der Höhe ab, in welcher der horizontale Arm stand, der den Trichter trug. Die Versuche wurden nun in folgender Weise angestellt. Zuerst wurde nach geschehener Anfüllung des Trichters mit warmem Wasser der am untern Ende des Gummischlauches befindliche Hahn offen neben der Blase des Thieres mit sei- ner Mündung senkrecht in die Höhe gehalten und durch Hin- ‚und Herstellen des Horizontalarmes derjenige Theilstrich auf der Scala des vertikalen Pfeilers aufgesucht, bei welchem sich an der Mündung des Hahnes ein Wassertropfen zeigte. Bei diesem Stande musste das Wasserniveau im Trichter in gleicher Höhe mit der Blase befindlich sein, der gefundene Theilstrich gab also den Nullpunkt für die späteren Druck- ablesungen. Dann wurde der Hahn in die im Harnleiter be- findliche Canüle geschraubt, der Horizontalarm 50 Mm. hö- her gestellt und so die Blase unter dem Drucke von 50 Mm. gefüllt. Es wurde nun mit dem Horizontalarm in kleinen Sprüngen immer höher gegangen und bei jeder neuen Stel- lung desselben die vollständige Ausdehnung der Blase abge- wartet. Endlich kam ein Punkt, wo der Schliessmuskel sich öffnete und einzelne Wassertropfen aus der Harnröhre flos- sen. Um sicher zu sein, dass der gerade bestehende Druck und nicht zufällige Nebenumstände, etwa eine geringe Con- traction der Blase, die Oeffnung des Sphincter herbeiführten, wurde der Hahn geschlossen. Alsbald hörte das Tröpfeln auf, um bei Wiedereröffnung des Hahnes in kurzer Zeit von Neuem zu beginnen. Erst wenn dieses Experiment mehr- mals gelungen, hielten wir uns zu der Annahme berechtigt, dass der eben bestehende Druck den Blasenschliessmuskel zu öffnen im Stande war. Wurde der Druck noch weiter gesteigert, so vermehrte sich die Ausflussmenge des Wassers. Doch gehen wir auf den ersten Druck zurück, bei welchem das Ausfliessen eben begann. Wir schliessen den Hahn: nachdem noch wenige Tropfen ans der Blase ausgetreten sind, hält der Schliessmuskel wieder. Die Blase ist jetzt Versuche über den Tonus des Blasenschliessmuskels. 449 so weit gespannt, dass der Sphincter des lebenden Thieres gerade der Spannung das Gleichgewicht hält. Das Thier wird getödtet durch Vergiftung mit Blausäure oder durch Ver- blutung aus den Halsschlagadern. Während des Todeskam- pfes geschieht es mitunter, doch beobachteten wir es nur in wenigen Fällen, dass die Blase sich kräftig zusammenzieht und den Harn im Strahle austreibt. In der Mehrzahl der Fälle findet während des Sterbens keine Harnaustreibung statt. Wenn das Thier aber nach dem letzten Athemzuge einige Minuten vollkommen regungslos gelegen hat, zeigt sich, ohne irgend welche sichtbare Spur von Contraction an der Blase, ein Tropfen an der Oeffnung der Harnröhre, dem bald mehrere folgen, so dass ein mehr oder weniger grosser Theil des Blaseninbaltes ausfliesst, während die Blase im er- schlafften Zustande zusammensinkt. Der Blasenschliessmus- kel kann also im todten Thiere nicht dem Drucke Wider- stand leisten, den er im lebenden Thiere trug. Aber wel- chen Druck hält er jetzt noch aus, ohne sich zu Öffnen? Zur Beantwortung der Frage entleeren wir die Blase vollends künstlich durch Druck, gehen mit dem horizontalen Arme, welcher den Trichter trägt, auf den Nullpunkt zurück, Öff- nen den Hahn wieder und verfahren nach derselben Weise wie am lebenden Thiere, indem wir unter allmähliger Druck- steigerung die Blase füllen. So wird der Druck gefunden, bei welchem am todten Thiere das Harnträufeln beginnt. Mehrmals wurde mehrere Stunden nach dem Tode das un- mittelbar nach demselben gefundene Ergebniss controllirt und stets bestätigt gefunden. Auf diese Weise sind wir nun zu Werthen gelangt, die ich in der folgenden Tabelle wiedergebe. Müller’s Archiv. 1858. 29 450 R. Heidenhain und A. Colberg: Druck, bei welchem das ed Thier, aan begann, TERN der an welchem der Versuch SRLInGFSE, angestellt wurde: Ibenden,, Bl Be ee Contraction trug: 1 | Weibl. Kaninchen . . | 335 Mm. 75 Mm. 260 Mm. 2 | Weibl. Kaninchen . .| 210 „ 69.575 250,:,% 3 | Weibl. Kaninchen . . 280 ; 304.5 230.5 4 | Weibl. Kaninchen . . 330,5 30r, a0, 5 | Weibl. Kaninchen . . 280,0, 50 5, 230. ,„ 6 | Weibl. Kaninchen . . | 275 „ SER 250. > 7 | Weibl. Kaninchen . . | 250 , 507 BODR. 8 | Männl. Kaninchen . . 300 „ 190: 190.5 9 | Männl. Kaninchen . . 280° ia I aa Tao 39 Weib. Hund... = 680 „ 195025 550 „ 17 Mann Fu RE HE? N, 180 350 Ws 12 %Männl. Hund’ 79,2, 498160 :, 200 5 96048 Die Zahlen dieser Versuche scheinen uns schlagend. Wir fügen nur noch folgende Bemerkungen hinzu: 1) Der Druck, unter welchem sich der Schliessmuskel des todten Thieres öffnet, ist in allen unseren Versuchen ausserordentlich viel geringer, als ihn v. Wittich und Ro-. senthal fanden. Wir haben uns über diese Verschiedenheit der Ergebnisse schon oben ausgesprochen. Hier ist nur noch hinzuzufügen, dass jener Druck bei weiblichen Kaninchen (25— 80 Mm.) geringer ist, als bei männlicher (130 —150 Mm.), und bei einem weiblichen Hunde (150 Mm.) geringer als bei einem männlichen Hunde (380 Mm.). Dieser Unterschied bei den beiden Geschlechtern dürfte wobl eher mit den grösse- ren Widerstfänden zusammenhängen, welche die männliche 1) Diesem Versuche trauen wir nicht ganz, weil sich nach dem Tode die Canüle verstopfte und deshalb der Hahn unmittelbar in die Blase eingebunden wurde. Leicht möglich und wahrscheinlich, dass dadurch der Schliessmuskel auseinander gezerrt wurde. Versüche über den Tonus des Blasenschliessmuskels. 451 Harnröhre dem 'Ausflusse entgegensetzt, als mit einer Ver- schiedenheit der elastischen Kraft des Sphincters. Wenn dies aber richtig ist, so folgt daraus, dass die Berechnung der tonischen Action des Schliessmuskels für männliche Thiere zu gering ausfällt im Vergleich zu den weiblichen Thieren, In der That fallen die Zahlen für die letzteren grösser aus, ‚als für die ersteren. 2) Die Differenz der Widerstandsfähigkeit des Schliess- muskels im lebenden und im todten Thiere setzten wir auf Rechnung einer continuirlichen unwillkürlichen, also tonischen Contraction des Muskels. Dass sie in der That unwillkür- lich ist, ergiebt sich aus dem Fortbesteben derselben bei Thieren, die soweit narcotisirt sind, däss alle willkürlichen Bewegungen aufgehört haben. Wo liegt aber das Centralor- gan für die Thätigkeit des Schliessmuskels? Alle pathologi- schen Erfahrungen vereinigen sich zu beweisen, dass das- selbe im Rückenmarke gelegen ist und nicht etwa in peri- pherischen sympathischen Ganglien. Dieser Schluss wird un- terstützt dadurch, dass die tonische Oontraction des Schliess- muskels schon zu einer Zeit aufhört, wo die intestina, der uterus u.8S.f. noch in lebhafter Bewegung begriffen sind. — Einen weiteren Anhaltspunkt für die Ermittelung der Lage des Centralorganes giebt vielleicht die folgende Beobachtung: Wie Kölliker in seinen Untersuchungen über die Gifte be- merkt, beginnt der Tod nach Blausäurevergiftung im Gehirn und geht von hier allmählig auf das Rückenmark über. Wir beobachteten constant an mit Blausäure vergifteten Thieren, dass mit dem Aufhören der willkürlichen Bewegungen die Pupille zuerst ausserordentlich weit wurde, fast bis zum Ver- schwinden der Iris; gleichzeitig hatten die Augenlider aufge- hört, bei Reizung der Conjunctiva zu blinzeln. Etwas spä- ter verengt sich die Pupille wieder: erst noch später hört -die tonische Thätigkeit des Schliessmuskels auf. Es scheint somit, dass zuerst die Hirnnervencentra gelähmt werden: des- halb bewirkt der Facialis nicht mehr Schliessung des Auges. bei Reizung des Trigeminus, deshalb erweitert sich (in Folge 29* 452 R. Heidenhain u. A. Colberg: Versuche üb. den Tonus ete. der Lähmung des Oculomotorius) die Pupille. Die spätere Pupillenverengerung beruht auf Lähmung des Centrum cilio- spinale: wenn nämlich der Dilatator pupillae zu wirken auf- ‚hört, stellt sich diejenige Pupillenweite her, welche den ela- stischen Verhältnissen der Iris entspricht. Wenn der Bla- sensphincter erst später als der Dilatator pupillae gelähmt wird, so scheint sein Centralorgan noch ferner dem Ge- hirne gesucht werden zu müssen, als das des Iris- Erwei- terers. Immerhin wagen wir aus diesen Beobachtungen kei- nen sichern Schluss zu ziehen, sondern sehen in ihnen nur Fingerzeige, die der Aufmerksamkeit werth sind. Halle, den 15. Juli 1858. D.Schaaffhausen: Zur Kenntniss d. ältesten Rassenschädel. 453 Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. Von Prof, D. SCHAAFFHAUSEN in Bonn. (Hierzu Taf. XVII.) Aıs zu Anfang des Jahres 1857 der Fund eines menschlichen Skeletes in einer Kalkhöhle des Neanderthales bei Hochdal zwischen Düsseldorf und Elberfeld bekannt wurde, gelang es mir nur einen in Elberfeld gefertigten Gypsabguss der Hirn- schale zu erhalten, über deren auffallende Bildung ich zuerst in der Sitzung der niederrh. Gesellsch. für Natur- und Heil- _ kunde in Bonn am 4. Febr. 1857 berichtet habe.!) Hierauf brachte Herr Dr. Fuhlrott aus Elberfeld, dem es zu dan- ken ist, dass diese Anfangs für Thierknochen gehaltenen Ge- beine in Sicherheit gebracht und der Wissenschaft erhalten worden sind, und dem es später gelang, die Knochen in sei- nen Besitz zu bringen, dieselben nach Bonn und überliess sie mir zur genaueren anatomischen Untersuchung. Bei Ge- legenheit der Generalversammlung des naturhist. Vereins der preussisch. Rheinlande und Westphalens in Bonn am 2. Juni 1857 2) gab Herr Dr. Fuhlrott eine ausführliche Darstellung des Fundortes und eine Beschreibung der Auffindung selbst; er glaubte diese menschlichen Gebeine als fossile bezeichnen zu dürfen und legte in dieser Beziehung besondern Werth auf die von Herrn Geh, Rath Prof. Dr. Mayer zuerst beobach- 1) Vergl. Verhandlungen des naturhist. Vereins der preuss. Rhein- lande und Westphalens XIV. Bonn 1857. 2) Ebendaselbst,„Correspondenzbl. Nr. 2. 454 fohäıfap, D.’Schasffhausen: n teten Dendriten, welche diese Knochen überall bedecken. Dieser Mittheilung liess ich einen kurzen Bericht über die von mir angestellte anatomische Untersuchung der Knochen folgen, als deren Ergebniss ich die Behauptung aufstellte, dass die auffallende Form dieses Schädels für eine natürliche Bildung zu halten sei, welche bisher nicht bekannt gewor- den sei, auch bei den rohesten Rassen sich nicht finde, dass diese merkwürdigen menschlichen Ueberreste einem höheren Alterthume als der Zeit der Oelten und Germanen angehör- ten, vielleicht von einem jener wilden Stämme des nordwest- lichen Europa herrührten, von denen römische Schriftsteller Nachricht geben und welche die indogermanische Einwande- rung als Autochthonen vorfand, und dass die Möglichkeit, diese menschlichen Gebeine stammten aus’ einer Zeit, in der die zuletzt verschwundenen Thiere des Diluvium auch noch lebten, nicht bestritten werden könne, ein Beweis für diese Annahme, also für die sogenannte Fossilität der Knochen, in den Umständen der Auffindung aber nicht 'vorliege. Da Herr Dr. Fuhlrott eine Beschreibung derselben noch nicht veröffentlicht hat, so entlehne ich einer brieflichen Mitthei- lung desselben die folgenden Angaben: „Eine kleine etwa 15 Fuss tiefe, an der Mündung 7 bis 8 Fuss breite manns- hohe Höhle oder Grotte liest in der südlichen Wand der so- genannten Neanderthaler Schlucht, etwa 100 Fuss von der Düssel entfernt und etwa 60 Fuss über der Thalsoble des Baches. In ihrem früheren unversehrten Zustande mündete dieselbe auf ein schmales ihr vorliegendes Plateau, von wel- chem dann die Felswand fast senkrecht in die Tiefe abschoss, und war von oben herab, wenn auch mit Schwierigkeit, zu- gänglich. Ihre unebene Bodenfläche war mit einer 4 bis 5 Fuss mächtigen mit rundlichen Hornstein-Fragmenten sparsam ge- mengten Lehmablagerung bedeckt, bei deren Wegräumung die fraglichen Gebeine, und zwar von der Mündung der Grotte aus zuerst der Schädel, dann weiter nach Innen in gleicher horizontaler Lage mit jenem die übrigen Gebeine. aufgefun- den wurden. So baben. zwei Arbeiter, welche die Ausräu- mung der Grotte besorgt, und die von’ mir=-an Ort und Stelle Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel, 455 darüber vernommen wurden, auf das Bestimmteste versichert. Die Knochen wurden anfänglich gar nicht für menschliche ge- halten, und erst mehrere Wochen nach ihrer Auffindung von mir dafür erkannt und in Sicherheit gebracht. Weil man aber die Wichtigkeit des Fundes nicht achtete, so verfuhren die Arbeiter beim Einsammeln der Knochen sehr nachlässig und sammelten vorzugsweise die grösseren, welchem Umstande es zuzuschreiben, dass das wahrscheinlich vollständig vorhan- dene Skelet nur sehr fragmentarisch in meine Hände gekom- men ist.* Das Ergebniss der von mir vorgenommenen anatomischen Untersuchung dieser Gebeine ist das folgende: Die Hirnschale ist von ungewöhnlicher Grösse und von lang elliptischer Form. Am meisten fällt sogleich als beson- dere Eigenthümlichkeit die ausserordentlich starke Entwick- ‘lung der Stirnhöhlen auf, wodurch die Augenbrauenbogen, welche in der Mitte ganz miteinander verschmolzen sind, so vorspringend werden, dass über oder vielmehr hinter ihnen das Stirnbein eine beträchtliche Einsenkung zeigt und ebenso in. der Gegend der Nasenwurzel ein tiefer Einschnitt gebil- det wird. Die Stirn ist schmal und flach, die mittleren und hinteren Theile des Schädelgewölbes sind indessen gut ent- wickelt. Leider ist die Hirnschale nur bis zur Höhe der obe- ren Augenhöhlenwand des Stirnbeins und der sehr stark aus- gebildeten und fast zu einem horizontalen Wulst vereinigten oberen halbkreisförmigen Linien der Hinterhauptsschuppe er- halten; sie besteht aus dem fast vollständigen Stirnbein, bei- den Scheitelbeinen, einem kleinen Stücke der einen Schläfen- schuppe und dem obern Drittheil des Hinterhauptbeins. Fri- sche Bruchflächen an den Schädelknochen beweisen, dass der Schädel beim Auffinden zerschlagen worden ist. Die Hirn- schale fasste 16876 Gran Wasser, woraus sich ein Inhalt von 57,64 K.Z. = 1033,24 C.C.M. berechnet. Hierbei stand der Wasserspiegel gleich mit der obern Orbitalwand des Stirn- beins, mit dem höchsten Ausschnitt des Schuppenrandes der Scheitelbeine und mit den oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhaupts. Mit Hirse gemessen war der Inhalt gleich AdG& D. Schaaffhausen: 3l Unzen Preuss. Med. Gew. Die halbkreisförmige Linie, wel- che den obern Ansatz des Schläfenmuskels bezeichnet, ist zwar nicht stark entwickelt, reicht aber bis über die Hälfte der Scheitelbeine hinauf. Auf dem rechten Orbitalrande be- findet sich eine schräge Furche, die auf eine Verletzung wäh- rend des Lebens deutet; auf dem rechten Scheitelbein eine erbsengrosse Vertiefung. Die Kronennaht und die Pfeilnaht sind aussen beinahe, auf der Innenfläche des Schädels spur- los verwachsen; die lambdaförmige Naht indessen gar nicht. Die Gruben für die Pachionischen Drüsen sind tief und zahl- reich; ungewöhnlich ist eine tiefe Gefässrinne, die gerade hinter der Kronennaht liegt und in einem Loche endigt, also den Verlauf einer vena emissaria bezeichnet. Die Stirnnaht ist äusserlich als eine leise Erhebung bemerklich; da wo sie auf die Kronennaht stösst, zeigt auch diese sich wulstig er- hoben, die Pfeilnaht ist vertieft und über der Spitze der Hin- terhauptsschuppe sind die Scheitelbeine eingedrückt. Die Länge des Schädels von dem Nasenfortsatz über den Scheitel bis zu den oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhaupts gemes- SEN SbEINAPt ... Wie te ‚ - SATIN DE der Umfang der N über die Ahugehbdtiche bogen und die oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhaupts so gemessen, dass das Band überall anlag . 2 a - Breite des St Arnbeink von dk Mitte des Schläfen- grubenrandes einer Seite zur andern. . . . 104 „ Länge des Stirnbeins vom Nasenfortsatz bis zur Kro- Bennahtı.. was .aı te es ee Grösste Breite der Stirnbeinhöhlen ee 23314 Scheitelhöhe über der Linie, welche den höchsten Ausschnitt der Schläfenränder beider Scheitel- beine verbindet‘. ,. \ - TORE Breite des Hinterhaupts‘ von einem Scheitelhöcker zum. andern... 2... 138 Die Spitze der Bchupfe ist von as Pe Halb kreisförmigen Linie des Hinterhaupts entfernt 51 Dicke des Schädels in der Gegend der Scheitelhöcker 8 Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel, 457 an der Spitze der Hinterhauptsschuppe . . . . 9 Mm. in der Gegend der oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhbaupts . . . te 310 10 Ausser der Hirnschale sind falkgäe Bihboheh vorhanden: 1) Die zwei ganz erhaltenen Oberschenkelbeine; sie zeich- nen sich wie die Hirnschale und alle übrigen Knochen durch ungewöhnliche Dicke und durch die starke Ausbildung aller Höcker, Gräten und Leisten, die dem Ansatze der Muskeln dienen, aus. In dem anatomischen Museum von Bonn befin- den sich als sogenannte Riesenknochen zwei Oberschenkel- beine aus neuerer Zeit, mit denen die vorliegenden an Dicke ziemlich genau übereinstimmen, wiewohl sie an Länge von jenen übertroffen werden. Länge der Riesenknochen 542 Mm., Länge dieser 433 Mm. Dicke des Oberschenkel- kopfes im Durchmesser 54 „ bei diesen 33-h5 Dicke des untern Gelenk- j endes von einem Üon- dylus zum andern . . 89 „ bei diesen 87205 Dicke des Oberschenkel- knochens in der Mitte. 33 „ bei diesen 30. #3 | 2) Ein ganz erhaltener rechter Oberarmknochen, dessen Grösse ihn als zu den Oberschenkelknochen gehörig erken- nen lässt. Länge des Oberarmbeins . . . . 312 Mm. Dicke in der Mitte desselben . . 26 „ Durchmesser des Gelenkkopfes . 49 „ Ferner eine vollständige rechte Speiche von entsprechender Grösse und das obere Drittheil eines rechten Ellenbogenbeins, welches zum Oberarmbein und zur Speiche passt. 3) Ein linkes Oberarmbein, an dem das obere Drittheil fehlt, und welches so viel dünner ist, dass es von einem an- dern Menschen herzurühren scheint; ein linkes Ellenbogen- bein, das zwar vollständig aber krankhaft verbildet ist, in dem der proc. coronoideus durch Exostose so vergrössert ist, dass die Beugung gegen den Oberarmknochen, dessen zur Aufnahme jenes Fortsatzes bestimmte fossa ant, major auch 458 en D. Sehaaffhausen: durch Knochenwucherung verschwunden ist, nur bis zum rech- ten Winkel möglich war. Dabei ist der proc. anconaeus stark nach unten gekrümmt. _Da der Knochen keine Spuren rha- chitischer Erkrankung zeigt, so ist anzunehmen, dass eine Verletzung während des Lebens Ursache der Ankylose war. Diese linke Ulna mit dem rechten Radius verglichen lässt auf den ersten Blick vermuthen, dass beide Knochen verschiede- . nen Individuen angehört haben, denn die Ulna ist für die Ver- bindung mit einem solchen Radius um mehr als einen halben Zoll zu kurz. Aber es ist klar, dass diese Verkürzung so- wie die Schwäche- des linken Oberarmbeins Folgen der an- geführten krankhaften Bildung sind. 4) Ein linkes Darmbein, fast vollständig und zu dem Ober- schenkelknochen gehörig, ein Bruchstück des rechten Schul- terblattes, ein fast vollständiges rechtes Schlüsselbein, das vordere Ende einer Rippe rechter Seite und dasselbe einer Rippe linker Seite, ein hinteres Rippenstück von der rechten Seite, endlich zwei kurze hintere und ein mittleres Rippen- stück, die ihrer ungewöhnlichen abgerundeten Form und star- ken Krümmung wegen fast mehr _Aehnlichkeit mit den Rip- . pen eines Fleischfressers als mit denen des Menschen haben. Doch wagte auch Herr H.v. Meyer, um dessen Urtheil ich gebeten, nicht, sie für Thierrippen zu erklären, und es bleibt nur anzunehmen übrig, dass eine ungewöhnlich stark ent- wickelte Muskulatur des Thorax diese Abweichung. der Form bedingt hat. | Die Knochen kleben sehr stark an der Zunge, der Kno- chenknorpel ist indessen, wie die chemische Behandlung der- selben mit Salzsäure lehrt, zum grössten Theil erhalten, nur scheint derselbe jene Umwandlung in Leim erfahren zu ha- ben, welche v. Bibra an fossilen Knochen beobachtet hat. Die Oberfläche aller Knochen ist an vielen Stellen mit klei- nen schwarzen Flecken bedeckt, die, namentlich mit. der Loupe betrachtet, sich als sehr zierliche Dendriten erkennen lassen und: zuerst von Herrn Geh. Rath i’rof. Dr. Mayer hierselbst an denselben beobachtet worden sind, Auf der in- nern Seite der Schädelknochen sind sie am deutlichsten. Sie { Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel, 459 bestehen aus einer Eisenverbindung und ihre schwarze Farbe lässt Mangan als Bestandtheil vermutben. Derartige dendri- tische Bildungen finden sich nicht selten auch auf Gestein- schichten und kommen meist auf kleinen Rissen und Spalten hervor. Mayer theilte in der Sitzung der niederrheinischen Gesellschaft in Bonn am 1. April 1857 mit, dass er im Mu- seum zu Poppelsdorf an mehreren fossilen Thierknochen na- mentlich von Ursus spelaeus solche dendritische Krystallisa- tionen gefunden habe, am zahlreichsten und schönsten aber au den fossilen Knochen und Zähnen von Equus adam., Ele- phas primig. etc, aus den Höhlen von Balve und Sundwig; eine schwache Andeutung solcher Dendriten zeigte sich an einem Römerschädel aus Siegburg, während andere alte Schädel, die Jahrhunderte lang in der Erde gelegen, keine Spur der- selben zeigten.!) Herrn H. v. Meyer verdanke ich darüber folgende briefliche Bemerkung: „Interessant ist die bereits begonnene Dendritenbildung, die ehedem als ein Zeichen wirklich. fossilen Zustandes angesehen wurde. Man glaubte namentlich bei Diluvialablagerungen sich der Dendriten be- dienen zu können, um etwa später dem Diluvium beige- mengte Knochen von den wirklich diluvialen mit Sicherheit zu unterscheiden, indem man die Dendriten ersteren ab- sprach. Doch habe ich mich längst überzeugt, dass weder der Mangel an Dendriten für die Jugend noch deren Gegen- wart für höheres Alter einen sichern Beweis abgiebt. Ich habe selbst auf Papier, das kaum über ein Jahr alt sein konnte, Dendriten wahrgenommen, die von denen auf fos- silen Knochen nicht zu unterscheiden waren. So besitze ich auch einen Hundeschädel aus der römischen Niederlassung des benachbarten Heddersheim, Castrum Hadriauum, der von den fossilen Knochen aus den fränkischen Höhlen sich in nichts unterscheidet, er zeigt dieselbe Farbe und haftet an der Zunge wie diese, so dass auch dieses Kennzeichen, welches auf der frühern Versammlung der dentschen Natur- forscher in Bonn zu ergötzlichen Scenen zwischen Buck- 1) Verh. des naturhist. Vereins in Bonn XIV. 1857. 460 D. Schaaffhausen: land und Schmerling führte, seinen Werth verloren’ hat. Es lässt sich sonach in strittigen Fällen kaum durch die Be- schaffenheit des Knochens mit Sicherheit entscheiden, ob er fossil, eigentlich ob ihm ein geologisches Alter zustehe oder ob er aus historischer Zeit stamme.“ ‘Da wir die Vorwelt nicht mehr wie einen ganz andern Zustand der Dinge betrachten können, aus dem kein Ueber- gang in das organische Leben der Gegenwart stattfand, so hat die Bezeichnung der Fossilität eines Knochens nicht mehr den Sinn wie zu Ouvier’s Zeit. Es sind der Gründe genug vorhanden für die Annahme, dass der Mensch schon mit den Thieren des Diluviums gelebt hat, und mancher rohe Stamm mag vor aller geschichtlichen Zeit mit den Thieren des Ur- waldes verschwunden sein, während die durch Bildung ver- edelten Rassen das Geschlecht erhalten haben. Die vorlie- genden Knochen besitzen Eigenschaften, die, wiewohl sie nicht entscheidend für ein geologisches Alter sind, doch je- denfalls für ein sehr hohes Alter derselben sprechen. Es sei noch bemerkt, dass, so gewöhnlich auch das Vorkommen di- luvialer Thierknochen in den Lehmablagerungen der Kalk- höblen ist, solche bis jetzt in den Höhlen des Neandertha- les nicht gefunden worden sind, und dass die Knochen un- ter. einem nur 4 bis 5 Fuss mächtigen Lehmlager ohne eine schützende Stalagmitendecke den grössten Theil ihrer orga- nischen Substanz behalten haben. | Diese Umstände können gegen die Wahrscheinlichkeit ei- nes geologischen Alters angeführt werden. Auch würde es nicht zu rechtfertigen sein, in dem Schädelbau etwa ..den ro- hesten Urtypus des Menschengeschlechtes erkennen zu wol- len, denn es giebt von den lebenden Wilden Schädel, die, wenn sie auch eine so auffallende Stirnbildung, die in der - That an das Gesicht der grossen Affen erinnert, nicht auf- weisen, doch in anderer Beziehung, z.B. in der grösseren Tiefe der Schläfengruben und den grätenartig vorspringenden Schläfenlinien und einer im Ganzen kleineren Schädelhöhle auf einer ebenso tiefen Stufe der Entwicklung stehen. Die stark eingedrückte Stirn für eine künstliche. Abflachung zu Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 461 halten, wie sie bei rohen Völkern der neuen und alten Welt vielfach geübt wurde, dazu fehlt jeder Anlass, der Schädel ist ganz symmetrisch gebildet, während nach Morton an den Flachköpfen des Columbia Stirn und Scheitelbeine im- mer unsymmetrisch sind, und zeigt keine Spur eines Gegen- drucks in der Hinterhauptsgegend. Seine Bildung zeigt jene geringe Entwicklung des Vorderkopfes, die so häufig schon an sehr alten Schädeln gefunden wurde und einer der spre- chendsten Beweise für den Einfluss der Cultur und Civilisa- tion auf die Gestalt des menschlichen Schädels ist. Abbe Frere!), dessen Schädelsammlung aus den verschiedenen Jahrhunderten unserer Zeitrechnung jetzt in dem neuen anthro- pologischen Museum des Jardin des Plautes zu Paris aufge- stellt ist, kam zu dem Ergebniss, dass bei den ältesten Schä- deln das Hinterhaupt am stärksten, die Stirngegend am schwächsten entwickelt sei, und die zunehmende Erhebung dieser den Uebergang roher Völker zur Civilisation kund- gebe. Schon Blumenbach fand einen alten Dänenschädel, dessen Gesichtswinkel so gering war wie beim Neger. In den Grabhügeln bei Amberg in der Oberpfalz, bei Witters- wyl in der Schweiz und an anderen Orten in Deutschland sind Schädel mit auffallend geringer Entwicklung des Vorder- hauptes gefunden worden.?) Hyrtl beschreibt einen in Hall- stadt gefundenen Celtenschädel, es ist ein Langkopf mit geradem Gebiss, die Schneide- und Mahlzähne sind ganz abgenutzt, das Stirnbein stark nach hinten geneigt.?) Die in Nieder-Oesterreich bei Grafenegg und später zu Atzgersdorf gefundenen Schädel mit niederliegender Stirn werden für Ava- renschädel gehalten, aber ihre sehr abweichende Form, die sie den Peruanerschädeln ähnlich macht, und die sich auch an den von Rathke und Meyer in dieser Zeitschrift be- schriebenen Schädelbruchstücken aus der Krimm wiederfin- 1) Vergl. Serres, gaz. med. de Paris 1852. Nr. 31. 2) Jahresberichte der Sinsheimer Gesellschaft zur Erforschung der vaterländischen Denkmale der Vorzeit von K. Wilhelmi. 1831—46. 3) Jahrbücher der K. K, geologischen Reichsanstalt. Wien 1850. I p. 352. . 462 D. Schaaffhausen: det, ist durch künstliche Entstellung hervorgebracht.!) Auch in vielen Fällen, wo Menschenknochen als die ältesten Spu- ren von dem Dasein unseres Geschlechtes auf der Erde mit den Knochen ausgestorbener Thiere zusammenliegend gefun- ‚den worden sind, zeigte sich eine unentwickelte primitive Schädelform. Unter den Schädeln, die Schlotheim aus den Gypshöhlen bei Köstritz sammelte, fand Link einen mit merkwürdiger Abplattung der Stirn. Lund fand in einer Knochenhöhle Brasiliens Menschenschädel mit vorweltlichen Thierknochen gemengt, die eine gleich vom Gesicht an zu- rückweichende Stirn zeigten, eine Bildung, die man auch auf alten mexikanischen Denkmalen dargestellt sieht. Oastel- nau hat in Felsenhöhlen der peruanischen Anden Menschen- schädel von ähnlicher stark nach hinten verlängerter Form uater denselben Verhältnissen entdeckt. Schmerling nennt den in der Höhle von Engis bei Lüttich mit fossilen Thier- knochen gefundenen Schädel länglich, mit geringer Erhebung und Schmalheit des Stirnbeins und einer Form der Augen- höhlen, die ihn mehr dem Negerschädel als dem des Euro- päers nähert. Spring hat in der Höhle von Chauvaux bei Namür unter zahlreichen zerbrochenen Menschenknochen die Hälfte eines Schädels gefunden, dessen Stirn so zurück wei- chend, die Alveolarbogen so vorstehend waren, dass der Ge- sichtswinkel nicht mehr als 70 ° betrug. Die Angaben Ra- soumovsky’s über die am ÜOalvarienberge bei Baden ge- fundenen angeblich fossilen Schädel, die bald mit dem Neger- bald mit dem Caraibenschädel verglichen wurden, hat Fit- zinger berichtigt und dieselben mit Hyrtl nach der von Retzius gegebenen Beschreibung des Ozechenschädels für Slavenschädel erklärt.?) In- und ausländische Zeitschriften brachten einen Bericht über die 1855 in Tübingen abgehaltene Versammlung deut- scher Naturforscher und Aerzte, wonach Fraas daselbst einen 1) Fitzinger, Sitzungsber. der K. Akad. der Wissensch. Math. naturw. Kl. VII. B. 1851. p. 271. 2) Denkschr. d. K. Akad. d. Wissensch. Wien 1853. VW: . Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 463 versteinerten Menschenschädel aus der schwäbischen Alp von länglicher Form mit vorsprivgendem Gebiss, abgeriebenen Zähnen, zurückliegendem Stirnbein, starken Stirnhöhlen und 'stark entwickelten Muskelansätzen vorgezeigt haben sollte.) Dieser Bericht ist irrig und beruht auf einer Verwechslung, Es wurden bei jener Gelegenheit alte Schädel aus keltischen Gräbern von Sigmaringen vorgezeigt, und dann war von den angeblich fossilen Menschenzähnen der Bohnerzgruben von Melehingen in der schwäbischen Alp die Rede.?) Die ungewöhnliche Entwicklung der Stirnhöhlen an dem :so merkwürdigen Schädel aus dem Neanderthale nur für eine individuelle oder pathologische Abweichung zu halten, dazu fehlt ebenfalls jeder Grund; sie ist unverkennbar ein Rassen- typus und steht mit der auffallenden Stärke der übrigen Kno- chen des Skeletes, welche das gewöhnliche Maass um etwa !/, übertrifft, in einem physiologischen Zusammenhange. Diese Ausdehnung der Stirnhöhlen, welche Anhänge der Athem- wege sind, deutet ebenso auf eine ungewöhnliche Kraft und Ausdauer der Körperbewegungen, wie die Stärke aller Grä- ten und Leisten, welche dem Ansatze der Muskeln dienen, an diesen Knochen darauf schliessen lässt. Dass grosse Stirn- höhlen und eine dadurch veranlasste stärkere Wölbung der untern Stirngegend diese Bedeutung haber, wird durch an- dere Beobachtungen vielfach bestätigt. Dadurch unterschei- det sich nach Pallas das verwilderte Pferd vom zahmen, nach Guvier der fossile Höhlenbär von jeder jetzt lebenden Bärenart, nach Roulin das in Amerika verwilderte und dem .Eber wieder ähnlich gewordene Schwein von dem zahmen, die Gemse von der Ziege, endlich die durch den starken Knochen und Muskelbau ausgezeichnete Bulldogge von allen andern Hunden. An dem vorliegenden Schädel den Gesichts- winkel zu bestimmen, der nach R. Owen auch bei den gros- sen Affen wegen der stark vorstehenden obern Augenhöblen- gräte schwer anzugeben ist, wird noch dadurch erschwert, 1) Vgl. die Abbildung in der Leipz. Ill. Zeit. vom 26. Nov. 1853. 2) Morgenblatt 1858 Nr. 4 u.5 „vom fossilen Menschen“. AbA- D. Schaaffhausen: weil sowohl die Ohröffnung als der Nasenstachel fehlt; be- nutzt man die zum Theil erhaltene obere Augenhöhlenwand zur richtigen Stellung des Schädels gegen die Horizontal- ebene und legt man die aufsteigende Linie an die Stirnfläche hinter dem Wulste der Augenbrauenbogen, so beträgt der Gesichtswinkel nicht mehr als 56°. Leider ist nichts von den Gesichtsknochen erhalten, deren Bildung für die Gestalt und den Ausdruck des Kopfes so bestimmend ist. Die Schä- delhöhle lässt mit Rücksicht auf die ungemeine Kraft des Körperbaues auf eine geringe Hirnentwicklung schliessen, Die Hirnschale fasst 31 Unzen Hirse; da für die ganze Hirn- höhle nach Verhältniss der fehlenden Knochen des Schädel- grundes etwa 6 Unzen hinzuzurechnen wären, so würde sich ein Schädelinhalt von 37 Unzen Hirse ergeben. Tiedemann giebt für den Schädelinhalt von Negern 40, 38 und 35 Un- zen Hirse an. Wasser fasst die Hirnschale etwas mehr als 36 Unzen, welche einem Inhalt von 1053,24 C. C©.M. entspre- chen. Huschke führt den Schädelinhalt einer Negerin mit 1127 C.C.M., den eines alten Negers mit 1146 C.C.M. an. Der Inhalt von Malaienschädeln mit Wasser gemessen ergab 36 bis 33 Unzen, der der klein gebauten Hindus vermindert sich sogar bis zu 27 Unzen. Es musste von grösstem Interesse sein, zu erfahren, ob eine ähnliche Schädelbildung schon beobachtet sei, ob sie vielleicht auch gerade an Schädeln, denen ein hohes Alter zuzuschreiben ist, vorkomme, ob bei einem Funde dieser Art vielleicht Beobachtungen gemacht wurden, die im Stande sind, das Ergebniss der vorstehenden Untersuchung zu ergänzen, die daraus gezogenen Schlüsse zu bestätigen oder zu wider- ° legen. Starke Stirnhöhlen kommen freilich zuweilen an Schä- deln vor, aber das sind immer nur schwache Andeutungen der auffallenden Bildung, die dem vorliegenden Schädel einen so thierischen Ausdruck giebt. In den Museen des Oollegiums der Wundärzte in London, des Pflanzengartens in Paris, der Universitäten in Göttingen, Berlin und Bonn ist nichts vor- handen, was sich damit vergleichen liesse; die durch Ret- zius, Eschricht u. A. beschriebenen altnordischen Schädel Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 465 zeigen auch eine solche Bildung nicht. Bemerkenswerth und für die Deutung dieser Bildung wichtig ist es indessen, dass ein, wenn auch viel geringeres Vortreten der Augenbrauen- bogen zumeist an den Schädeln wilder Rassen sowie an sehr alten Schädeln gefunden worden ist. So bildet Sandifort'!) einen Schädel von einem Nord- Amerikaner aus einem alten Grabe am New-Norfolksunde als Cranium Schitgagani ab mit ähnlichem aber weit unbedeutenderem Vortreten der Au- genbrauenbogen. In Morton’s Werke?) zeigen ungewöhn- lich stark entwickelte Augenbrauenbogen der Peruaner, tab. 6, die Mexikaner, tab. 16, 17, 18, der Seminole, tab. 24, und die Schädel anderer Stämme auf tab. 25, 34, 35, 36, 37, 52, 57, 63 und 66, von diesen sind einige alten Gräbern entnommen. Lucae°) bildet einen sehr thierischen Papuschädel der Sen- kenbergischen Sammlung ab mit starken zusammenlaufenden Arcus superciliares. Schon Bory St. Vincent gab als Kenn- zeichen des celtischen Stammes eine verlängerte Schädelform, gegen die Schläfe etwas niedergedrückte Stirn, tiefe Einsen- kung zwischen Stirn und Nase, sehr ausgesprochene Augen- brauenbogen und abgenutzte Zähne an. Eschricht unter- suchte die Schädel aus den Hünengräbern der Insel Möen, ®) dieselben sind auffallend klein, besonders der Gesichtstheil, das Hinterhaupt sehr kurz, die Augenhöhlen ungewöhnlich klein, die Augenbrauenbogen dagegen ungemein gross, die Nasenknochen stehen stark hervor und zwischen Augenbrauen- bogen und Nasenknochen ist eine so tiefe Einsenkung, dass sie den Zeigefinger eines Erwachsenen in sich aufnehmen kann, die Spuren der Gesichtsmuskeln sind stark ausgeprägt, die Zahnhöhlenränder vorstehend, die Zähne quer abgenutzt. Später erhielt Eschricht aus den Hünengräbern von Möen ganz anders geformte Schädel von bedeutender Länge, vor-' tretendem Hinterhaupt, platt eingedrücktem Schädel, wenig 1) Tabulae craniorum, Lugd. Bat. 1838. 2) Crania americana, London 1839. 3) Zur organischen Formenlehre, Frankfurt 1844. Taf. XI, 4) Vgl. Amtl. Bericht üb. die 22ste Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte in Bremen, 1844, Müller’s Archiv. 1858, #290 466 ‚19 D. Schaaffhausen: ausgeprägten Gesichtszügen; ein solcher von der dänischen Insel Työr hat am Hinterhaupt einen Knochenstachel, seine 20°/,4 Zoll langen Schenkelknochen deuten auf eine Körper- länge von 6 Fuss 3 Zoll. Prichard hat einen runden Schä- del mit wulstigen Augenbrauenbogen 'aus der Sammlung des Collegiums: der Wundärzte als Cimbernschädel abgebildet. !) Ein zu Nogent les vierges, Oise Dep, in einem ‘alten Grabe gefundener Schädel hat wie ein ähnlicher von Auduze eine verlängerte Form, gegen die Schläfen niedergedrückte Stirn, starke Augenbrauenbogen, abgenutzte Zähne.) Der brachy- cephalische alte Brittenschädel aus Ballidon Moor, den Da- vis beschreibt,®) hat grosse Stirnhöhlen, vorragende Augen- brauenhöcker und starke Spuren der Muskelwirkung an den Gesichtsknochen; weniger stark ist das Vortreten der Orbi- talgegend an dem ebenfalls runden altbrittischen Schädel, den Retzius beschreibt; auch ein altirländischer Schädel von rundlicher Form zeigt ‚grosse vor die Stirn vorspringende und untereinander zusammenlaufende Augenbrauenbogen und eine niedrige Stirn.*) : Wie Nilsson für die Urbewohner Skandinaviens einen ältesten brachycephalischen ‚und einen jüngern dolichocephalischen Typus der Schädelbildung an- nimmt, indem die langovalen Schädel der ersten Art in Grä- bern mit metallenen Waffen gefunden werden, die kleinen rundlichen Schädel der zweiten Art aus ältern Gräbern mit Steinwaffen und Knochengeräthen stammen, so behauptet D. Wilson auch für Schottland zwei Rassen, die den Cel- ten vorausgegangen sein sollen, der von ihm beschriebene Schädel von Fifeshire ist länglich schmal, der dolichocepha- lischen Rasse Skandinaviens entsprechend, der von Montrose rund mit besserer Stirnbildung, beide zeigen starke Stirnhöh- len.5) Die in Oannstadt bei der Uffkirche vor einigen Jah- 1) The natural List. of man, London 1845, pag. 206 pl. VIII. 2) v. Leonhard und Bronn Jahrb. für Mineralogie u. s. w. 1833 pag. 370. 3) Vgl.Maury, Indig. races of the earth, London 1857, pag. 297. 4) Retzius, Kraniologisches in Müll. Arch. 1849 pag. 554 u. 571. 5) Maury a.a. O. pag. 294. Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 467 ren: ausgegrabenen Schädel, die in germanischen Gräbern mit Thongefässen, Waffen und Schmuckgegenständen gefunden worden sind, welche keine Spur römischer Kunst zeigten, und von denen mir zwei durch die Güte des Herrn Hofrath Dr. Veiel zugesandt waren, sind von länglicher Form mit geradem Gebiss, stark vorstehendem Hinterkopf, grossen na- mentlich‘ von oben nach unten erweiterten Augenhöhlen, die Augenbrauenhöcker sind wulstig vorspringend, die Nasen- wurzel tief eingeschnitten. Fünf altdeutsche Schädel von Sel- sen, die sich im römisch-germanischen Museum von Mainz befinden, und von denen zwei prognathes Gebiss haben, zei- gen dieselben wulstigen Augenbrauenbogen, ebenso ein da- selbst befindlicher, in Oberingelheim ohne jede Zugabe von Waffen tief in der Erde gefundener sehr alter Schädel, sowie ein vor kurzem bei Engers am Rhein auf einer seit längerer Zeit bekannten alten Grabstätte gefundener Schädel germa- nischer Abkunft. In dem Museum zu Poppelsdorf befindet sich ein Schädel, auf dem von des verstorbenen Goldfuss Hand die Worte „aus vulkanischem Tuff* geschrieben ste- hen, ohne dass über dessen Herkunft irgend etwas Nähe- res zu ermitteln wäre. Er hat die beträchtliche Länge von 198 Mm., von der Glabella bis zur vorspringenden Hinter- hauptsschuppe gemessen, die Stirn ist kurz und etwas zu- rückliegend, die Augenbrauenbogen wulstig und verschmol- zen, die Augenböhlen sehr weit, der Oberkiefer prognath, die Muskelansätze an den Gesichtsknochen stark ausgeprägt, von den Näkten ist nur die Pfeilnaht verwachsen, die Kno- chen sind dünn, theilweise kaleinirt, sie kleben stark an der Zunge, der Unterkiefer fehlt. Auch mehrere der bei, Sigma- ringen gefundenen, der fürstlichen Sammlung daselbst ange- hörigen und durch Vermittelung des Herrn Dr. Fuhlrott an mich gelangten germanischen Schädel haben starke Augen- brauenbogen, aber mehr oder weniger gut entwickelte Stirn- gegend ’und gute Gesichswinkel, wie denn auch die in der Stuttgarter Sammlung befindlichen Sinsheimer Schädel eine edle kaukasische Bildung zeigen. Es ist gewiss, dass schon im Alterthum die verschiedenen germanischen Stämme, je 30* 468: ‚5b .Ds Sehaaffhausen: nachdem sie ihre Abstammung rein erhalten oder mit den Resten ‚einer Urbevölkerung oder gar mit römischem Blute sich vermischt hatten und je nachdem sie eine rohe oder schon gesittetere Lebensweise führten, eine verschiedene Körperbe- schaffenheit sowie Gesichts- und Kopfbildung hatten. Die Ver- schiedenheit der Schädelbildung spricht sich am meisten in der stärkeren oder geringeren Entwickelung des Vorderkop- fes und in der Stellung des Gebisses aus, das zuweilen etwas vorspringend ist, wie es noch jetzt bei einigen deutschen Stämmen, z.B. in Hessen und dem Westerwald nicht selten gefunden wird. Huschke!) bildet einen unter der: Stadt kirche zu Jena mit mehreren anderen von derselben eigen- thümlichen Form gefundenen Schädel als Cimbernschädel ab, er ist dem Negerschädel ähnlich, von dem er sich aber durch das gerade Gebiss und die senkrechte Stirn unterscheidet, die Orbitalgegend ist wenig vortretend, die halbkreisförmige Schlä- fenlinie reicht bis 1 Zoll Abstand von der Pfeilnaht hinauf; seine Länge beirägt 196 Mm. Retzius?) beschreibt Schädel aus uralten, tausendjährigen skandinavischen Gräbern als lang- oval mit stark verlängertem Hinterhaupte, guter Stirn, gera- den Zähnen, mit dem heutigen Schwedenschädel fast über- - einstimmend; ein alter norwegischer und ein isländischer Schä- del hatten dieselbe Form. Später hat Retzius?) die klei- nen runden Schädel aus sehr ‚alten Gräbern mit steinernen Waffen als Schädel der Iberier beschrieben, er rechnet da- hin die von Eschricht und Nilsson in alten Grabhügeln gefundenen Schädel, auch den von Wilde abgebildeten an- geblich fossilen irländischen, der bei Dublin gefunden ist, und noch zwei andere ebendaselbst gefundene; auch die bei Meudon und Marly im Jahre 1845 von Serres mit steiner- nen Geräthen ausgegrabenen Schädel. Derselbe Forscher führt in seiner Abhandlung über die Schädelform der Nordbewoh- 1) E. Huschke, Schädel, Hirn uud Seele des Menschen und der Thiere. Jena 1854. | 2) Müller’s Archiv 1845 pag. 84. ‚. 8) Ebend. 1847 pag. 499. Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 469 ner an, dass die Augenbrauenhöcker bei den jetzigen Schwe- den, Slaven und Finnen stark entwickelt sind; von den Es- then sagt Hueck dasselbe; bei den Lappen fehlen sie oder sind wenig entwickelt, auch die der Grönländer sind klein. In dem neuesten Verzeichnisse der ehemals Morton’schen Sammlung !) werden als Schädel mit auffallend vortretender Orbitalgegend erwähnt der eines englischen Soldaten mit cel- tischem Typus, Nr. 21, der eines Norwegers, Nr. 1260, und der eines Finnen, Nr, 1537, beide nach Abgüssen von Ret- zius, ferner der von Davis und Squier im Sciotothale, Ohio, in einem rohen Steingrabe gefundene eines Urameri- kaners, Nr. 1512, von runder Form mit hohem Scheitel, der eines Calmücken, Nr.1533, und der eines Eskimo, Nr. 1558, abgebildet. Wenn nun aus den mitgetheilten zahlreichen Beispielen hervorgeht, dass am häufigsten an Schädeln roher und zu- mal nordischer Völker, denen zum Theil ein hohes Alter- thum zugeschrieben wird, ein starkes Vortreten der Augen- brauengegend sich findet, dessen Spuren sich bis in die Ge- genwart verfolgen lassen, so darf man vermuthen, dass eine solche Bildung der schwache Rest eines uralten Typus ist, (der uns in dem Schädel aus dem Neanderthale in der auf- fallendsten Weise entgegentritt und dem menschlichen Ant- litz einen ungemein wilden “Ausdruck gegeben haben muss. Man darf diesen Ausdruck einen thierischen nennen, weil der vorspringende obere Augenhöhlenrand auch für die Gesichts- bildung der grossen Affen bezeichnend ist, wiewohl er hier nicht durch die Ausdehnung der Sinus frontales bedingt wird. Diese hat R. Owen wie am Gorilla so auch an zwei Tasma- nen- und einem Australierschädel ganz vermisst, was dem schwächlichen Körperbau dieser Wilden entsprechend ist. Die Nachrichten, welche uns römische und griechische Schriftsteller von der Körperbeschaffenheit und den Sitten der rohen Völker des alten Europa hinterlassen haben, gewinnen » 1) Aitken Meigs, catal. of human crania in the collection !of he Acad. of nat, science of Philadelphia. 1857. A7TO MER, D. Schaaffhausen: durch die Auffindung solcher Schädel ein unerwartetes Licht. Selbst von den Germanen sagt Caesar, dass die römischen Soldaten das Antlitz derselben und den Blitz.der Augen nicht ertragen konnten und plötzlicher Schreck das Heer ergriffen habe. Auch von den Galliern sagt Ammianus Marcelli- nus: sie sind schrecklich wegen der Wildheit ihrer Augen. Als viel roher werden uns aber die alten Britten und Irlän- der, die Belgier, die Finnen und Scythen geschildert, Nach Strabo sind die Irländer gierige Cannibalen, und halten es für etwas Löbliches, die Leichname ihrer Eltern ‚zu essen; so schildert sie auch Diodor; der h. Hieronymus will 'es sogar in Gallien gesehen haben, dass die Scoten Menschen- fleisch assen. Tacitus sagt von den Finnen, dass sie in einem Zustand von erstaunlicher Wildheit leben, ihre Nah- rung sind wilde Kräuter, ihre Kleider Felle, sie haben nur knöcherne Pfeilspitzen, und für ihre Kinder und Greise kein anderes Obdach, als eine Hütte raus. geflochtenen Zweigen. Adam von Bremen erzählt, dass noch im '11. Jahrhundert die sogenannten Jotunen, die älteste Bevölkerung Skandina- viens, in den Gebirgen und Wäldern wohnten, in Thierfelle gekleidet, und Töne von sich gebend, die mehr dem Ge- schrei wilder Thiere als der menschlichen Sprache glichen; ihre Besiegung und Vertilgung wird .in den Gedichten der Skalden gefeiert.) Isigonus-von Nicäa, den Plinius?) anführt, sagt, dass ein Scythenstamm, der zehn Tagereisen vom Dnieper nordwärts wohne, ‘der Menschenfresserei erge- ben sei, aus. Menschenschädeln trinke, und die Haut mit dem Kopfhaar der Erschlagenen auf der Brust trage, Wie in den deutschen Sagen und Mährchen manche Züge des Lebens unserer Vorfahren aus der heidnischen. Zeit erhalten sind, so mag auch die Sage von dem Menschenfresser, die nach Grimm’s Untersuchungen, wie sie schon bei Homer in der Geschichte des Polyphem erzählt wird, so in den ‘Sagen fin- 1) Vgl. J. C. Prichard Naturgeschichte des Menschengeschlechts, deutsch von R. Wagner und Will. Leipz. 1842. III. 1 pag. 301. 2) Plinii Sec. hist. nat. VIL 2. | Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 471 nischer, tatarischer und germanischer Völker viel verbreitet ist, in der wirklichen Erinnerung solcher Gräuel ihren Ur- sprung, haben. Die Betrachtungen, zu denen uns ein Vergleich des Schä- dels aus dem Neanderthale mit den ältesten Rassenschädeln geführt hat, finden aber auch noch eine Bestätigung in der nun zu erwähnenden Auffindung von Schädeln, die mit je- nen eine viel grössere Uebereinstimmung zeigen, als die bis- her genannten. In der Sitzung, der niederrheinischen Gesellschaft vom 9. Juli 1857 theilte Geh. Oberbergrath Nöggerath mit, dass in den Verhandlungen der Kais, Russ. mineralogischen Ge- sellschaft zu St. Petersburg vom Jahre 1842 sich eine Nach- richt von Dr. S. Kutorga über zwei Menschenschädel aus dem Gouvernement :Minsk finde, und dass der eine der. dort abgebildeten Schädel ‚seine grosse Aehnlichkeit ‚mit dem im Neanderthale gefundenen zeige, Beide Schädel sind bei Bo- bruysk gefunden; der eine im sandigen Boden einer ‚Vertie- fung, die ein altes Flussbett zu sein.scheint. An dieser Stelle werden seit längster Zeit sehr, viele Menschenknochen gefun- den, und der Sage nach stand hier eine Stadt, die durch Ueberschwemmüng zerstört wurde, Dieser Schädel bietet nur das: Stirnbein und die beiden Scheitelbeine dar, das Stirnbein ist stark niedergedrückt, die Arcus superciliares ragen. sammt den oberen Augenhöhlenrändern wie zwei starke Wülste her- vor,. die beiden Seiten des Stirnbeins sind .unsymmetrisch, auch die Scheitelbeine ungleich und die Pfeilnaht sichtbar flach gedrückt., Kutorga hält es für sehr wahrscheinlich, dass künstlicher Druck diese Schädelform hervorgebracht hat; die beigegebene Zeichnung macht indessen nicht den bestimm- ten Eindruck einer künstlichen Entstellung. Der andere Schä- del aus einem alten Grabhügel derselben Gegend zeigt eine gut entwickelte Stirn, Stirn und Scheitelbeine sind aber noch unsymmetrischer als beim ersten Schädel; auf der rechten Seite ist ein sehr entwickeltes Tuber frontale, auf der: lin- ken feblt es ganz, auch das linke Scheitelbein ist kleiner als das rechte. 472 D. Scehaaffhausen: Bald darauf, im September 1857 wurde ich in dem Rö- misch-germanischen Central-Museum zu Mainz von Herrn L. Lindenschmit auf den Gypsabguss eines ganz ähnlich gebildeten Stirnbeins aufmerksam gemacht, das von einem bei Plau in Mecklenburg gefundenen Schädel stammte, Bei Gelegenheit der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Bonn im September 1857 wurden diese eigen- thümlichen Schädelbildungen in Abgüssen vorgezeigt, die Ver- schiedenheit derselben von anderen niederen Rassenschädeln hervorgehoben, und die Ansicht wiederholt, dass diese bis- her unbekannte Schädelform wohl einem in Nordeuropa vor der germanischen Einwanderung ansässigen Urvolke angehöre. Nachdem ich mich hierauf an Hrn. Archivrath Dr. Lisch in Schwerin gewendet, wo die Schädel in der Grossherzoglichen Sammlung sich befinden, erhielt ich genaue Auskunft über den Fund in Plau und «ie Schädelbruchstücke wurden mir nebst ähnlichen in Schwaan.und an anderen Orten Mecklen- burgs gefundenen bereitwilligst zugesendet, worüber ein kur- zer Bericht in der Sitzung der niederrheinischen Gesellschaft vom 3. Februar 1858 gegeben wurde.!) Es wurde nämlich bei Plau?) im Kiessande 6 Fuss tief unter der Oberfläche ein menschliches Gerippe in hockender, fast knieender Stellung mit aus Knochen gearbeiteten Geräthschaften, einer Streit- axt aus Hirschhorn, zwei aufgeschnittenen Eberhauern und drei an der Wurzel durchbohrten Schneidezähnen vom Hirsch gefunden. Diesem Grabe wurde ein sehr hohes Alter zuge- schrieben, weil jeder Schutz desselben durch Steinbauten, jede Spur eines Leichenbrandes und jedes Geräthe aus Stein, Thon oder Metall fehlte. Herr Dr. Lisch, dem die unge- wöhnlich stark hervorragende Augenbrauengegend, die breite Nasenwurzel und die fast ganz hintenüberliegende Stirn auf- fiel, begleitet die Angabe des Fundes mit der Bemerkung: 1) Verhandl. des naturhist. Vereins der preuss, Rheinl, u. Westph. 1858. XV. sich 2) Jahrb. des Vereins für mecklenburg. Geschichte und Alterthums- kunde, herausg. von G. C. F. Lisch, Schwerin 1847. XII pag. 400. Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel, 473 „Die Bildung des Schädels weist auf eine sehr ferne Periode zurück, in welcher der Mensch auf einer sehr niedrigen Stufe der Entwickelung stand. Wahrscheinlich gehört dies Grab dem Autochthonenvolke an.“ Es gelang mir mit Mühe, den Schädel, der mit dem Gerippe von den Arbeitern zerschla- gen worden, aus den mir übersendeten 22 Bruchstücken wie- der zusammenzusetzen. So ähnlich die Stirnbildung dieses Schädels dem aus dem Neanderthäle ist, so ist der Wulst der Augenbrauenbogen bei dem letztern doch stärker und mit dem obern Orbitalrand ganz vershmolzen, was an jenem nicht der Fall ist; die Schädel unterscheiden sich aber wesentlich durch die allgemeine Form, die bei diesem langelliptisch, bei jenem abgerundet ist. Am Plauer Schädel ist ein Theil des Oberkiefers mit den Zähnen und der ganze Unterkiefer er- halten; das Gebiss ist gerade. Die Knochen sind dick, aber sehr leicht und kleben stark an der Zunge. Die Muskelan- sätze am Hinterhaupt über dem Zitzenfortsatz sind sehr stark entwickelt, die Nähte des Schädels noch ganz unverknöchert, der letzte obere Backzahn rechts ist noch nicht durchgebro- chen, die Zähne sind abgeschliffen, an einigen Mahlzähnen fast die ganzen Kronen verschwunden, die unteren Eckzähne sind viel grösser als die Schneidezähne und stehen über die Zahnreihe vor; das Foramen incisivum am Oberkiefer ist sehr gross, über 4 Mm. weit. Der aufsteigende Ast des Unter- kiefers geht rechtwinklig ab, ist breit und kurz; auch an dem Unterkiefer sind die Rauhigkeiten für die Muskelansätze stark ausgebildet. Auf dem rechten Scheitelbein ist ein länglicher Eindruck wie von einem Schlage. Die Grössenverhältnisse ergeben sich aus folgenden Maassen: Umfang des Schädels über die Augenbrauenbogen und obere halbkreisförmige Linien des Hinter- haupts gemessen. . . . 2.20. 445 Mm. Von der Nasenwurzel über don Scheitel bis zur obern halbkreisförmigen Linie . . . ini 320825 Von der Nasenwurzel über den Scheitel bis zum Hiuterkauptslacha.:.4.9 sis # ne. 474 "-000D. Schaaffhausen: Länge des Schädels von der Glabella bis zum Hiinterhäuptis#. 10x10. ius demmell. 3b. 1adolau al CM: Breite des Stirnbeins . . 2. 2 2A zab Schädelhöhe, von einer Linie, welchk “ Schlä- oh fenränder der Scheitelbeine verbindet, bis zur Mitte der Pfeilnaht . . . . „irgb: au, obBßr 4 Vom: Hinterhauptsloche Bude BERN ET HRG ET HET Cr Breite des Hinterhaupts von einem Scheitelhök- ‘ker zum andern ..'. . . ss wWad4Bßl. sol Breite der Schädelbasis von einem Zitzehkirhskkz oo zumwandern. . ©. iz Dicke des Stirnbeins und ei Scheitölbeine in a ir Mitte der Knochen . . . Dinbarsanda ding Der Schädelinhalt mit Bäköe gemessen beträgt 36 Unzen DH Drachmen Preuss. Med. Gew.‘ “'Ein'anderer Fund in Mecklenburg bietet noch einmal diese Schädelform; ‘die Umstände der Auffindung lassen wiederum ein hohes Alter dieser Ueberreste voraussetzen.!) Im Jahre 1852 nämlich wurde in einem „der Herrberg“ genannten Ke- gelgrabe von Schwaan unter -einem mit einem Erdhügel: be- deckten Steinkegel ein menschliches Gerippe mit kupfernem Schwert gefunden; der Schädel desselben zeigte eine regel- mässige kaukasische Form. Unter dem Steindamme,: auf dem diese Leiche ausgestreckt lag, fand man acht in gleicher Richtung liegende Schädel, das Gesicht nach Westen gerich- tet, unter diesen eine nicht zu zäblende Menge übereinander liegender Gebeine, die Armröhren anscheinend über den Schenkelknochen, als seien’ an dieser Stelle acht Leichen im Urboden in hockender Stellung beigesetzt. Diese Knochen waren so mürbe, dass nur wenige gerettet werden konnten. Ein Stirnbein, das mir ebenfalls: von Hrn. Dr. Lisch zuge- sendet worden, zeigte in der Erhöhung der Augenbrauen, der kurzen zurückliegenden Stirn, der:breiten Nasenwurzel grosse Aehnlichkeit mit dem Schädel von Plau; doch waren 1) Jahrb. d. Vereins f. Mecklenb. Geschiehte und Alterthumskunde. 1854. XIX pag. 297. Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 475 diese Hervorragungen viel schwächer und der dünne Kno- chen mit verschmolzener Kronennaht schien von einem ju- gendlichen oder weiblichen Schädel herzurühren; er klebt an der Zunge wie jener von Plau. Die Annahme, dass die acht im Urboden bestatteten Leichen einer älteren Zeit angehö- ren, als die Hauptleiche, lässt sich durch die schlechtere Er- haltung jener Kuochen nicht rechtfertigen, denn diese hängt lediglich von der Art ihrer Lagerung ab; es liegt vielmehr nahe, in jenen acht Leichen die bei der Bestattung des Hel- den mitgeopferten Sklaven zu erkennen, Dass die Germa- nen bei ihrer Einwanderung in Deutschland eine Bevölkerung vorfanden, ist nach geschichtlichen und sprachlichen Andeu- tungen nicht zweifelhaft; die. Bestattung in hockender Stel- lung ist nicht germanisch, sie deutet auf ein höheres Alter- thum und mag sich mit den Resten der Urbevölkerung auch in der Zeit der Germanen noch erhalten haben. Wie die 'Todten der Eskimos und Grönländer und vieler amerikani- schen Stämme in ihren Gräbern sitzen, so kommen nach Nilsson!) hockende menschliche Gerippe nur in den älte- sten Gräbern Skandinaviens vor, z. B. auf der Axevalla-Haide; diese Urgräber sind mit grossen Steinen bedeckt; im ihnen kommen nie Metalle, nie eine Spur des Leichenbrandes vor, nur knöcherne und steinerne Geräthe, Die Schädel dieser Leichen sollen durch die Kronennaht in'zwei gleiche Theile getheilt sein, von denen der hinterste breiter als der vordere ist; sie sind auffallend klein, kugelförmig fast rund, die Kiun- backenknochen und das Nasenbein stehen sehr weit vor, am ‘meisten unterscheiden sie sich von den Schädeln anderer Stämme durch die niedrige sehr zurückgeschobene Stirn, Eschricht giebt eine damit übereinstimmende oben mitge-_ theilte Beschreibung der Schädel aus den Hünengräbern Dä- nemarks. A. G. Masch verweist auf einen solchen in einem Ur- grabe auf der Insel Möen gefundenen und in Dagen, dansk fol- keblad 15 Sept. 1855, abgebildeten Schädel, sowie auf eine bei 1) Jahrbücher des Vereins f. Mecklenb. a u. 'Alterthums- ke 1849. XIV pag. 301. 476 | D.'Schaaffhausen: -Fehrbellin‘) gefundene Hirnschale, die alle Zeichen des Schä- dels:von Plau tragen soll, und wahrscheinlich ein. Trink- schädel ist. : Auch J. Ritter ?) giebt Nachricht von einem bei Plau gefundenen Hünengrabe, der Schädel lag einen Fuss höher als das übrige Gerippe, dem Anscheine nach war die Leiche in sitzender Stellung beigesetzt. Die Stirnbildung des Schädels wird als auffallend flach angegeben. Wie in Skan- dinavien hat man auch in Frankreich und Deutschland in al- ten’Gräbern menschliche Skelete in hockender Stellung ge- funden. Tschudi hat bekanntlich solche Mumien aus Peru gebracht und Troyon sah dasselbe in den ältesten Gräbern des Kanton Wallis. Mit dem Schädel von: Plau und dem Stirnbein von Schwaan, die eine dem Schädel aus dem Ne- anderthale entsprechende Bildung zeigen, haben indessen die beiden ebenfalls in der Grossherzoglichen Sammlung in Schwe- rin befindlichen beiden Stirnbeine von Pisede: nur eine ent- fernte Aehnlickheit; das eine Stirnbein ist dick mit wulsitgen Augenbrauenbogen, niedriger zurückliegender Stirn, die Kno- chenleiste für den Schläfenmuskel geht hoch hinauf und reicht bis zur Kronennaht, das zweite Stirnbein hat glatte Augen- brauenbogen, aber: die Gegend‘ der Glabella ist auffallend vorspringend,, 'die Stirn etwas besser. gewölbt.' ' Ein alter Schädel derselben Sammlung, ‚der tief im Moore von Sülz gefunden worden, und von dem ich durch Herrn Dr. Lisch einen Gypsabguss erhielt, hat eine abweichende und sehr eigenthümliche Bildung, er ist klein und länglich, von der ‚Seite gesehen: auffallend rund, er hat eine'schmale aber gut gewölbte Stirn, kleine aber wulstige Augenbrauenbogen, die Nähte sind ‚offen, die Gegend der Pfeilnaht kielförmig vor- springend, ‚wie an den sogenannten kahnförmigen Schädeln, das Hinterhaupt stark vorragend mit: einer sehr entwickelten scharfen Spina. an 0: Als. schliessliches Ergebniss aus: der vorstehenden Unter- suchung möchten die folgenden Sätze zu. betrachten sein. 1):Jahrb. d. Vereins £, Mecklenb. Geschichte 'ete.'1844. IX pag. 361. 2) Ebend. 1846. XI. ; ‚Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. 477 «««Die.Schädelbruchstücke von Schwaan und Plau dürfen mit Wahrscheinlichkeit sowohl der anatomischen Bildung wegen, als nach den Umständen ihrer Auffindung einem rohen Ur- volke zugeschrieben werden, welches vor den Germanen das nördliche Europa bewohnt hat, und wie die ähnlichen Funde von Minsk in Russland und in dem Neanderthale bei Elber- feld beweisen, eine weite Verbreitung hatte, und mit der Urbevölkerung von Britannien, Irland und Skandinavien, wie die Schädelform derselben vermuthen lässt, verwandt war. Während die Knochen von Schwaan in einem germanischen Steingrabe beigesetzt waren, also noch mit der geschicht- lichen Zeit in einer Beziehung stehen, wurden die Gebeine von Plau nur im Sande mit den knöchernen Geräthen der unvollkommensten Cultur gefunden, ebenso der eine Schä- del von Minsk im Sande eines alten Flussbettes. Die mensch- lichen Gebeine und der Schädel aus dem Neanderthale über- treffen aber alle die anderen an jenen Eigenthümlichkeiten der Bildung, die auf ein rohes und wildes Volk schliessen lassen; sie dürfen, sei nun die Kalkhöhle, in der sie ohne jede Spur menschlicher Oultur gefunden worden sind, der Ort ihrer Bestattung gewesen, oder seien sie wie ander- wärts die Knochen erloschener Thiergeschlechter in dieselbe hineingeschwemmt worden, für das älteste Denkmal der frü- heren Bewohner Europa’s gehalten werden. Erklärung der Abbildungen, ' die nach photographischen Aufnahmen gezeichnet sind. Fig. 1. Ansicht des Schädels aus dem Neanderthale von vorn. Fig. 2. Seitenansicht desselben. Fig. 3. Ansicht der Schädeldecke von innen. Fig. 4. Ansicht des Plauer Schädels von vorn. Fig. 5. Seitenansicht desselben; dieser Schädel, an dem das linke Scheitelbein fehlt, ist in der Zeichnung einigermaassen ergänzt. “ 478 D. Schaaffhausen: Zur Kenntniss d. ältesten Rassenschädel. " Fig. 6. Ansicht dieses Schädels von hinten, wobei derselbe etwas nach vorn geneigt ist, um die ganze Hinterhauptsge- gend sehen zu können. ‘Die Figureu 1. 2. 4 und 5 sind nach der natürlichen Stellung des Schädels im Leben gezeichnet. Bemerkung. Da zur richtigen Beurtheilung des Gesichtswinkels der Schädel dieselben nicht, wie gewöhnlich der Fall ist, auf dem Unterkiefer und dem Hinterhaupte ruhen dürfen. sondern in die Stel- lung gebracht werden müssen, wie sie im Leben von der Wirbelsäule getragen werden, so ist für die Aufstellung der Schädel in Sammlun- gen ‚die einfache Vorrichtung, die Herr Bildhauer von der Launitz in Frankfurt am Main den ‘von ihm gefertigten Abgüssen seltener Schädel giebt, sehr empfehlenswerth. R. Heidenhain: Erörterungem über die Bewegungen etc. 479 Erörterungen über. die Bewegungen des Frosch- herzens. | Von Dr. RuDoLF HEIDENHAIN in Halle. —I.. leir Professor Eckhard'in Giessen hat neuerdings einen „Beitrag zur Theorie der Ursachen der Herzbewegung“') her- ausgegeben, dessen Hauptinhalt in Widerspruch steht mit Ver- suehsresultaten, welche ich in einer früheren Arbeit veröffent- licht habe.?) Eckhard übergeht meine Versuche, ich weiss nicht aus welchem Grunde, mit Stillschweigen. Dass sie ihm bekannt sind, muss ich voraussetzen, weil er meine Disser- tation‘anderorts eitirt hat. Ich kann deshalb nur annehmen, dass Eckhard die Ergebnisse meiner Experimente nicht be- stätigen konnte. Eine neue Revision hat mich ‘davon über- zeugt, dass ich mich bei meinen früheren Angaben nicht ge- irrt habe, dass vielmehr Eckhard in Bezug auf sehr we- sentliche Punkte seines „Beitrages“ sich in einem: leicht nach- zuweisenden Irrthume befindet. Dieser Umstand veranlasst mich um so mehr, auf meine frühere und die jener wider- sprechende Arbeit Eckhard’s zurückzukommen, als: wahr- scheinlich meine Dissertation das Schicksal vieler Inaugural- schriften theilt, nur wenigen. Fachgenossen bekannt gewor- den zu sein. 1) Beiträge zur Anatomie und Physiologie Heft II, p. 147. 2) Disquisitiones de nervis organisque centralibus cordis cordumque ranae lymphaticorum, experimentis illustratae. Diss. inaug. Berolini 1854. 480 3 fie :R. Heidenhain: Zum Ausgangspunkte für Eckhard’s Untersuchungen dienten die bekannten Arbeiten von Stannius!) und von Bidder?), deren wichtigste Ergebnisse ich dem Leser in’s Gedächtniss zurückzurufen mir erlaube. Stannius fand fol- gende Thatsachen: I) Legt man eine Ligatur um die Uebergangsstelle des Hohlvenensinus in den rechten Vorhof, so steht das Herz in der Diastole stille, während die drei Hohlvenen und der si- nus venosus fortpulsiren. 2) Geht man mit der Ligatur von dem Uebergange des Hohlvenensinus in den rechten Vorhof weiter nach dem ostium venosum der Kammer, so steht der abgeschnürte Theil der Vorhöfe mit dem Ventrikel immer stille, während der oberhalb der Ligatur gelegene Theil des Herzens fort- pulsirt. Selbst wenn man die Unterbindung in unmittelba- rer Nähe des Ventrikels vornimmt, erfolgt Stillstand des letzteren, vorausgesetzt, dass die äusserste Grenze des Ven- trikels nicht mit eingeschnürt ist. 3) Legt man eine Ligatur hart um die Grenze des Ven- trikels, so bleiben beide von einander getrennte Herztheile in rhythmischer Contraction, doch kommen 2—3 Contractio- nen der Vorhöfe auf eine Contraction des Ventrikels. 4) Hat man das Herz durch eine um die Grenze zwi- schen Hoblvenensinus und Vorhof gelegte Ligatur zum Still- stande gebracht, so kann man das Herz durch jeden mecha- nischen oder galvanischen Reiz in länger oder kürzer anhal- tende Contractionen versetzen, 5) Legt man, nachdem das Herz durch die oben erwähnte Ligatur zur Ruhe gebracht ist, eine zweite Ligatur um die Atrioventriculargrenze, so zieht sich der Ventrikel lange Zeit hindurch zusammen, während die Vorhöfe in Ruhe verharren, 6) Endlich sah auch Stannius noch, dass ein durch einen Queerschnitt durch die Herzfurche getrennter Ventrikel in seinen Contractionen fortfährt. 1) Müller’s Archiv 1852 p. 85— 92. 2) Ebendas. p. 163 — 177. Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens.. 481 Stannius stellt'seine Entdeckungen einfach als nackte Thatsachen hin, ohne sie für eine Theorie der Herzbewegung zu verwerthen. Er deutet nur die Möglichkeit der Annahme an, dass die Centralorgane des Herzens verschiedener Natur seien, die einen die Contraction hemmend, die andern die- selbe fördernd. Bidder schloss aus seinen Beobachtungen ebenfalls auf eine verschiedene functionelle Bedeutung der Centralorgane des Herzens, doch in anderm Sinne als Stannius: diejenigen Ganglien, welche auf der Vorhofsscheidewäand liegen, sollen die spontanen Herzbewegungen vermitteln, die beiden zu- erst von ihm beschriebenen Ganglien aber, welche am obern Ventrikelrande liegen, sollen nur den reflectorischen Herzbewegungen dienen, welche man bei Reizung des auf irgend eine Weise (z. B. durch Vagus-Erregung) zur Ruhe gebrachten Herzens erhält. Eckhard experimentirt nun auf Grundlage der eben er- wähnten Arbeiten weiter. Ich werde aus seinem Aufsatze nur diejenigen Punkte hervorheben, denen ich zu widersprechen genöthigt bin. Die Hauptirrthümer finden sich in folgenden Sätzen:!) „Aus den Versuchen von Stannius, die ich be- stätigen kann, ergiebt sich, dass Vorhöfe und Ventrikel sich zur Ruhe verfügen, sobald nur ein Schnitt genau an der Uebergangsstelle des Venensinus in den rechten Vorhof oder der Sicherheit halber ein wenig über jene hinaus?) geführt wird. Nach diesem Schritte bleiben nachweislich eine ganze Menge von Ganglien in der Scheidewand der Vorhöfe unver- letzt, und da das Herz nunmehr ruht, kann nicht die gesammte, in der Scheidewand der Vorhöfe liegende Ganglienmasse als Erregungsorgan für die spon- tanen Herzbewegungen gelten. Es muss vielmehr hiernach, als solches nur jener Theil beansprucht 1) A. a. O. S. 150. 2) Es ist nicht recht klar, nach welcher Seite hin der Schnitt über die Uebergangsstelle hinausgeführt werden soll. Wahrscheinlich nach der ‚Seite des Vorhofes. Müller’s Archiv. 1858. al 482 R. Heidenhain: werden, welcher in der Nähe der bezeichneten, für die Herzbewegung bedeutsamen Stelle liegt.“ Gegen diese wörtlich eitirte Stelle habe ich nun Fol- gendes zu erinnern: 1) Eckhard sucht den Herzstillstand, welcher bei Durchschneidung der Uebergangsstelle des Flohlvenensinus in den rechten Vorhof eintritt, durch die Annahme zu er- klären, es würden durch die Operation die an jener Stelle gelegenen automatischen Herzganglien von dem untern Theile des Herzens getr@nnt. Mit dieser Erklärung tritt er in Wi- derspruch mit Stannius; denn Letzterer sieht — mit vollem Rechte — die Ursache der Wirkung der Ligaturen nicht in der Trennung der Theile, sondern in der Quetschung. Ver- “mittelst Durchschneidung konnte er den Herzstillstand nur in zwei Fällen erzielen; er fügt sehr richtig binzu: „die Quet- schung beim Abschneiden muss die gleiche Wirkung gehabt haben wie die Unterbindung.* In der That, führt man die Durchschneidung mit einer recht scharfen Scheere und durch einen schnellen Schaitt aus, so sieht man nicht selten das Herz obne Pause fortschlagen. Nimmt man eine recht stumpfe Scheere zu der Operation, so kann man sicher sein, den Stillstand des Herzens herbeizuführen. 2) Schon aus den Stannius’schen Versuchen ergiebt sich unmittelbar, dass die Behauptung Eckhard's, nur die in nächster Nähe der Grenze zwischen sinus venosus und Vor- hof gelegnen Ganglien seien automatische Oentralorgane, dass diese Behauptung nicht das Wahre trifft. ‘Wenn man (vgl. oben 3.) eine Ligatur hart um die Atrioventriculargrenze legt, so fährt nach Stannius nicht bloss der Vorhof, sondern auch der Ventrikel rhythmisch zu pulsiren fort. Esist schwer begreiflich, wie es Eckhard, der ja seiner Angabe nach die Versuche von Stannius bestätigte, entgehen konnte, dass die letzterwähnte Thatsache in vollem Widerspruche mit seiner - Ansicht steht: der Ventrikel pulsirt gewohnter Weise, ob- schon er von den automatischen Ganglien Eckhard’s durch ‘die Ligatur getrennt ist. Er muss dazu doch wohl durch Ganglien befähigt sein, die unterhalb der Ligatur liegen. Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 488 Ebenso steht:der oben sub b) angeführte Versuch von Stan- nius in Widerspruch mit der Eckhard’schen Theorie. 3) Stannius und Eckhard irrten darin, dass sie den Herzstillstand, welchen man durch eine auf die Uebergangs- stelle des Hohlvenensinus in den Vorhof ausgeübte mechani- sche Einwirkung (Ligatur, Schnitt) bervorbringen kann, für einen dauernden hielten. Wenn man den weitern Verlauf der Erscheinungen nach Anlegung der Ligatur abwartet, so sieht man stets und ohne Ausnahme die Herzpulsationen nach längerer oder kürzerer Pause von selbst: wieder beginnen. Der anfängliche Herzstillstand kann also nicht, wie Eckhard annimmt,’ darauf beruben, dass durch den Schnitt oder die Ligatur die untern Herztheile mit den Ganglien des obern Vorhofsrandes ausser Zusammenhang gesetzt sind; es müssen auch die Ganglien, welche in den von der Sinusgrenze ge- trennten Herztheilen gelegen sind, mit automatischen Eigen- schaften begabt sein. Ich habe die hierher gehörigen That- sachen schon in meiner Dissertation S. 50— 52 erwähnt und stelle hier theils aus meinen älteren, theils aus meinen neueren Controll-Versuchen die folgenden zusammen, welche den Er- folg der Stannius’schen Ligaturen, namentlich mit Bezug auf den Applicationsort, erläutern: A. Bringt man die Ligatur hart an der Atrio-Ven- trieulargrenze an, so erfolgt meistentheils kein Stillstand der Ventrikelpulsationen, sondern nur eine Verminderung ihrer Frequenz. Die Augabe von Stannius, dass nach der Einschnürung der gedachten Stelle 2—3 Vorhofscontractionen auf eine Ventrikeleontraction komme, lässt es unentschieden, ob sich die Pulsfrequenz der Vorhöfe gegen die frühere Zahl vermehrt oder die des Ventrikels vermindert. Es ist das Letztere der Fall, wie folgende Beispiele zeigen, Pulsfrequenz des Ventrikels:!) I. Vor Anlegung der Ligatur: 17, 19, 19, 20, 19, 21,19. Nach Anlegung der Ligatur: 10, 10, 10, I2, 12, 13, 14, 15, 13, 15, 12, 12, 11, 11. 1) Es wird die Zahl der Schläge in 30 Secunden angegeben, wo nicht ausdrücklich etwas Anderes bemerkt ist. SL? 484 | | R. Heidenhain: Pulsfrequenz des Ventrikels: II. Vor Anlegung der Ligatur: 28, 29, 26, 29, 28, 26. Nach Anlegung der Ligatur: 12, 10, 10, 8, 6, 1, 2,1, 2 B. Geht man mit der Ligatur an dem Vorhofe hinauf, so erfolgt auf Anlegung derselben Stillstand des Herzens, der im Allgemeinen um so länger währt, je näher man der Ueber- gangsstelle zwischen sinus venosus und Vorhof rückt. Am längsten wird die Herzpause, wenn diese Grenze selbst er- reicht ist. Hierzu folgende Beispiele: II. Ligatur um die Vorhöfe dicht über der Atrio- Ventriculargrenze. Pulsfrequenz des Ventrikels: a. Vor Anlegung der Ligatur: 29, 30, 29, 31, 29, 30. b. Nach Anlegung der Ligatur Stillstand von 100 Sekunden, dannz Hl allaa, a 205,7, ON! IV, Ligatur um die untere Hälfte der Vorhöfe. Pulsfrequenz des Ventrikels: a. Vor der Umschnürung: 30, 33, 32, 33, 32. b. Nach der Umschnürung drei Schläge, dann Pause von 45 Sekunden, darauf: . Wi8,9, 3,4358] -HV; Digatur ss um die Mitte der Vorhöfe. Pulsfrequenz des Ventrikels: a. Vor der Umschnürung: 24, 24, 26, 26, 26. b. Nach der Umschnürung 70 Sekunden Pause, dann: 2, EI VI. Ligatur um die Mitte der Vorhöfe, Pulsfrequenz vor der Umschnürung: 30, 29, 32, 31 Nach der Umschnürung stellte sich eine ausserordentliehe Verlängerung der Pause zwischen den einzelnen Herzschlägen ein; sie erfolgten in Zwischenräumen von 300, 115, 152, 253 Sekunden. VI. Ligatur um die obere Hälfte der Vorhöfe. Pulsfrequenz vor der Umschnürung im Mittel 23. Nach der Umschnürung betrug die Pause zwischen den einzelnen Herzschläg en 115, 170,167, 91, 100, 115, 116, 132 Sekunden. Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens, 485 VII. Ligatur um die obere Hälfte der Vorhöfe, Pulsfrequenz vor der Umschnürung nicht bestimmt. Nach der Umschnürung in den ersten 57 Sekunden 4 Pulse, darauf Stillstand von 245 Sekunden. Dann: Pulse in 60 Sek. imgertersten Minute’. 4.0.7 yoi, ag inp u, Iyr4 Inadersneanten4MMmnter 471.’ ii „aan 2925 in den darauf folgenden 5 Minuten . 2.2... 23—24 En Minuten spater? u ad Ar ap 18 3 Minntenispätersl up 9.0 a 9 Band sure 10 Minuten später . . . | R ae IX. Ligatur genau an der inneren, Pulsfrequenz vor der Umschnürung: 30, 28, 30, 31, 30. Nach der Umschnürung Stillstand von 14!/, Minute. Es wechselten jetzt kürzere Zeiten, in denen das Herz pulsirte, mit längeren, in denen es stillstand, ab. Die Herz- thätigkeit erstreckte sich sehr regelmässig über eine Minute, und zwar so, dass in den ersten 30 Sekunden dieser Minute beiläufig doppelt so viel Schläge gemacht wurden als in den zweiten 30 Sekunden. Die Zablen stellten sich folgender- massen: Nach der ER Pause von 14!/), Min. Darauf in je 30 Sek. 11 und 5 Pulse. Dann Pause von 4 Min. Daraufin je 30 Sek. 8 und 3 Pulse. n » N 3 N ” oe ee. N 7 ” 4 N ” ” N 3 » b2] EEE N ” 7 ” 2 ” ”» N Ze 21/5 N b>] er) b>] 7 ” 2 » N » » 21; n ” NUN ” 6 N 3 » b7] N ” 21 la bp) N u) b2} 6 br) 3 ” ” ” % 21], N N ER Eee, 6 ” 2 » Wenn in diesem Falle die erste Pause nach der Um-. schnürung schon beträchtlich war, so sah ich dieselbe in an- dern Fällen sich noch weiter ausdehnen, auf 17!/,, ja bis auf 25 Minuten. Die angeführten Versuche widerlegen nun direet die An- sicht Eckhard’s, nach welcher automatisch wirkende Gan- glien nur in der Nähe der Uebergangsstelle des sin. venosus A86 "R. Heidenhain:;: in den rechten Vorhof liegen sollen. Wäre dies der Fall, so müsste offenbar der Ventrikel um so sicherer zur Ruhe ge- bracht werden, je weiter man mit der Ligatur von jener Stelle nach der Atrioventriculargrenze hin. geht.. Denn ''je mehr man sich dieser nähert, desto sicherer und vollkomme- ner trennt man offenbar den Ventrikel von den automatischen Ganglien Eckhard’s. Der Versuch lehrt gerade das Gegen- theil: eine Ligatur unmittelbar an der Atrioventrieulargrenze bringt meist gar keinen eigentlichen Herzstillstand, sondern nur eine Verringerung, der Pulsfrequenz hervor, Der Still- stand tritt um so sicherer ein und und währt nun so länger, je weiter man sich vou der untern Grenze der Vorhöfe nach der obern hin entfernt, z Wenn sich aus dem. Bisherigen, entgegen Eckhard’s Ansicht, mit Sicherheit der Schluss ergiebt, dass automatische Ventrikelpulsationen auch ohne die am obern Vorhofsrande gelegenen Ganglienzellen zu Stande kommen können, so fragt sich, wie weit die Möglichkeit derselben von den weiter unten gelegenen Ganglienzellen der Vorhofsscheidewand abhängt, — eine Frage, die noch nicht durch jene Versuche beant- wortet ist, in welchen die Ligatur hart an der Atrioventricu- largrenze angelegt wurde. , Denn- man hat keine Garantie, bei diesem Verfahren die ganze Scheidewand von dem Ven- trikel zu trennen, Um den letzteren Zweck zu erreichen, ist es vielmehr nöthig, einen Schnitt durch die Herzfurche zu führen und die am Ventrikel gebliebenen Reste der Vorhofs- scheidewand mit der Scheere zu entfernen. Dann bleiben dem Ventrikel, so weit die anatomische Uutersuchung bisher gereicht hat, nur die beiden von Bidder am obern Ventri- kelrande entdeckten Ganglien. Nach dem letzteren geehrten Forscher soll ein auf diese Weise der Vorhofsganglien be- raubter Ventrikel zu dauernder Ruhe verurtheilt sein, so lange nicht äussere Reize auf denselben einwirken und Reflexpul- sationen auslösen. Dieser Erfahrung gemäss betrachtet denn Bidder die beiden Ventrikelganglien als nur reflectorisch wirksame Centralorgane, nicht begabt mit der Fähigkeit zu automatischer Thätigkeit. Die. Thatsache, auf welche sich Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 487 diese Anschauung stützt, ist aber nicht richtig. Unmittelbar nach der Operation hören allerdings in den meisten Fällen die spontanen Ventrikelpulsationen auf, aber nur, um nach kürzerer oder längerer Zeit von Neuem zu beginnen. Ja, man kann einen nicht unbeträchtlichen Theil des Ventrikels selbst unbeschadet der automatischen Pulsationen mit der Scheere abtragen. Erst wenn man das obere Viertel oder Drittel des Ventrikels abgeschnitten hat, bleibt der Rest nun- mehr für immer unbeweglich liegen. Um sich von dem Er- löschen der spontanen Bewegungen zu überzeugen, muss man längere Zeit aufmerken. Ich habe einen seines obern Randes beraubten Ventrikel noch nach 24!/, Minuten die durch die Operation unterbrochenen Pulsationen wieder aufneh- men sehen. Hieraus geht hervor, dass Bidder nicht Recht hatte, den beiden Ventrikelganglien automatische Eigenschaften abzusprechen; der Ventrikel ist ja im Stande, ohne Beihülfe von Vorhofsganglien selbstständig zu pulsiren, so lange ihm sein oberer Theil mit den Bidderschen Ganglien gelassen ist. Diese Ganglien haben also nicht, wie es ihr Entdecker ursprünglich wollte, ausschliesslich reflectorische Bedeutung, sondern sie sind im Stande, auch ohne äussere Einwirkung Pulsationen einzuleiten. Wenn Eckhard in seiner Arbeit nachwies, dass die Ganglien der Vorhofsscheidewand, im Gegensatze zu den Ventrikelganglien, von Bidder mit Un- recht als nur automatische Centralorgane angesehen wurden, denen keine refleetorischen Functionen zukämen, so hört nach den obigen Erörterungen, die auch den Ventrikelganglien beiderlei Verrichtungen zuerkennen, jeder, wesentliche func- tionelle Unterschied zwischen den Vorhofs- und Ventrikel- ganglien auf: beiderlei Ganglienzellen sind im Stande, sowohl reflectorisch als automatisch zu wirken. Doch bedarf dieser Satz noch eines Zusatzes, Ich bezog soeben die automatischen Pulsationen des Ventrikels, die er nach Abtrennung der gesammten Vorhofsscheidewand aus- führt, auf die beiden Bidder’schen Ganglien. Es ist jedoch nicht leicht, sich über diesen Punkt volle Gewissheit zu ver- schaffen. Soviel sieht man ohne Schwierigkeit bei einer auch 488 | R. Heidenhain: nur geringen Zahl von Versuchen, dass mit jenen Ganglien dem Ventrikel die Befähigung zu selbstständigen wie zu re- fleetorischen Pulsationen gegeben ist. Es könnte jedoch dem Einen oder dem Andern zweifelhaft sein, ob diese Befähigung mit der Abtragung jener Ganglien fortfällt. Die anatomische Ausbreitung der an der Anheftungsstelle der Vorhofsscheide- wand an den obern Ventrikelrand in der Substanz des letz- _ tern liegenden Ganglien lässt sich im einzelnen Falle mit un- bewaffnetem Auge nicht sicher feststellen und. deshalb nicht ‚sicher entscheiden, wie viel von dem Ventrikelrande abzutra- gen sei, damit man die Ganglien vollständig entfernt habe. Man sieht oft, nachdem man ein ziemlich breites ringförmiges Segment des obern Ventrikelrandes mitsammt der Insertions- stelle der Vorhofsscheidewand abgeschnitten hat, den Ven- trikel selbstständige Pulsationen machen oder doch wenigstens bei Reizung reflectorisch pulsiren, und es kann fraglich er- scheinen, wie diese Leistungen des Ventrikels zu deuten seien. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass sie zurück- gebliebenen Resten der Bidder’schen Ganglien zuzuschreiben sind, welche, wenn der Veätrikel durch die Verstimmelung nicht zu sehr gelitten hat, sogar noch spontane Bewegungen veranlassen, die aber, wenn die Erschöpfung durch die Ope- ration eine zu bedeutende war, nicht mehr im Stande sind, in sich selbst die Bedingungen zur Erregung zu entwickeln und deshalb äusserer Anregung, eines reflectorischen Anlasses, bedürfen, um contractionserregend zu wirken, — gerade wie das ganze ausgeschnittene Herz auf einem gewissen Stadium der Ermüdung nicht mehr selbstständig, wohl aber noch’ re- flectorisch pulsirt. Freilich kaun ich nicht läugnen, dass es mir in nur verbältnissmässig seltenen Fällen gelang, Reste jener Ganglien microscopisch nachzuweisen, und dass ich solche Bewegungen öfters auch dann noch beobachtete, ‘wenn die sorgsamste microscopische Untersuchung durchaus keine Ganglienzellen am obern Ventrikeltheile mehr entdecken liess. Ich möchte hier aber eher an die Unzulänglichkeit der mi- eroscopischen Präparation glauben, als mich mit Eckhard zu der Annahme entschliessen, dass die reflectorischen Be- Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens,. 489 wegungen des Ventrikels — nur diese allein kannte er — und die von mir beobachteten automatischen Pulse „einem Mechanismus zuzuschreiben seien, der kein bekanntes Analo- gon in der Muskelbewegung hat.“ Ich verkenne durchaus nicht, dass es stets ein Wagniss ist, anatomische Voraus- setzungen zu machen, die nicht anatomisch sicher nachge- wiesen werden können, Doch haben wir es einerseits mit einer der schwierigsten anatomischen Aufgaben zu thun, mit der Aufsuchung einiger von den Bidder’schen Ganglien zurückgebliebener Zellen in der Muskulatur des Ventrikels, — und wie leicht hier ein Uebersehen möglich ist, lehrt eine tausendfache Erfahrung. Auf der andern Seite sprechen mehr- fache physiologische Gründe durchaus für jene Annahme, wie bald nachgewiesen werden wird, und endlich ist meine Voraus- setzung keinenfalls gewagter, als Eckbard’s Annahme eines eigenthümlichen, den übrigen Muskeln fremden Mechanismus. Ich komme nunmehr zu einem Versuche Eckhard’s, welchem dieser Forscher ein ganz besonderes Gewicht bei- legt, um mittelst desselben über die Ursache der Pulsationen ins Klare zu kommen, die am Froschventrikel nach (ver- meintlich vollständiger) Abtragung der Bidder’schen Ganglien durch äussere Reize hervorgerufen werden können. Nachdem Eckhard sich dafür entschieden, jene Bewegungen könnten nicht reflecetorische im gewöhnlichen Sinne sein, fährt er fort: „sie müssen entweder durch Nerven vermittelte Reizbewe- gungen sein, deren scheinbar reflectorische Beschaffenheit vielleicht durch eine besondere Anordnung der Muskelbündel bedingt wird, oder sie kommen mit Hülfe eines Mechanismus zu Stande, in welchen mit dem Microscope erkennbare Ner- venelemente nicht eintreten und der möglicher Weise einem besonderen Gesetze folgt.“ Die erste Annahme zu prüfen, versucht Eckhard, ob sich jene Bewegungen durch Hin- durchleiten eines constanten Stromes verhindern ‘oder doch wenigstens schwächen lassen. Im Bejahungsfalle würden sie _ als „durch Nerven vermittelte Reizbewegungen“, im Ver- neinungsfalle als jenem „besonderen Mechanismus“ angehörig anzusehen sein. | 490. Dr: ‘R. Heidenhain: it Hiergegen istnun vor Allem einzuwenden, dass Eckhard’s Versuch in der von ihm angestellten Weise zur Entscheidung der :aufgeworfnen Frage durchaus Nichts beitragen kann Pflüger!) hat durch seine trefflichen Untersuchungen über die Physiologie des Eleetrotonus nachgewiesen, dass auf einer von einem consianten Strome durchflossenen 'Nervenstrecke zwischen den Electroden weit complicirtere Verhältnisse ein- treten, als man es früherhin vermuthen konnte. ‘Die durch- flossene Strecke zerfällt in zwei Abtheilungen von entgegen- gesetztem Verhalten. Die Region des positiven Poles geräth in einen Zustand verminderter, die Region des negativen Poles in einen Zustand gesteigerter Erregbarkeit. Ein Reiz, der hinreichend stark war, um vor Schliessung der Kette Zuckung hervorzurufen, versagt dieselbe oder. wirkt doch wenigstens schwächer, wenn er auf die Region des positiven Poles angewandt: wird. Ein Reiz, gar nicht ‘oder doch nur in geringem Maasse fähig, bei offener Kette Muskelbewegung zu veranlassen, wird dessen in höherem Grade fähig, wenn er nach geschlossener Kette die Region des negativen Poles trifft. Weit entfernt also, dass auf einer durchflossenen Ner- venstrecke die Erregbarkeit überall herabgesetzt wird, zeigt sie sich unter gewissen Bedingungen sogar erhöht. Die Aus- dehnung der Zone verminderter und erhöhter Erregbarkeit ändert sich u. A. mit ‘der Stromstärke. Aus diesen wichtigen Ergebnissen Pflüger’s folgt nun ohne Weiteres, dass ‘der Versuch, welchen Eckhard unternahm, in der:Frage,: zu deren Erledigung er angestellt wurde, keine Entscheidung herbeiführen konnte. Ein positives wie ein negatives Resul- tat, beide waren möglich,. wenn es sich um durch Nerven vermittelte Reizbewegungen handelte. — Aber das Ergebniss des Versuches fiel noch: verwickelter aus, als es vorausgesetzt worden war. Der ruhende und nur auf äussere Reize mit Contraction antwortende Ventrikel ver- fiel in rhythmische Pulsationen, sobald die Kette geschlossen 1) Monatsberichte der Königl. Akad. der Wissenschaften zu Berlin. Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse vom 1. März 1858. Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 49] wurde, Zusammenziehungen, die, wie Eckhard nachwies nicht von Stromesschwanknngen im gewöhnlichen Sinne her- rührten, sondern dem Einflusse des beständigen Stromes ihre Entstehung verdankten. Die Thatsache scheint beim ersten Anblicke sehr paradox und deshalb wohl geeignet, die Eck- hard’sche Anschauung zu unterstützen, dass es sich beim Herzen um einen ganz eigenthümlichen, im Bereiche der sonstigen Muskeln bisher nicht bekannten, einem besondern Gesetze folgenden Mechanismus handle. Doch sind es hier wiederum Untersuchungen von Pflüger, von denen aus- gehend man zu einer Erklärung der sonderbaren Erscheinung gelangt, ohne für das Herz specifische Eigenschaften und specifische Energieen in Anspruch nehmen zu müssen, In einem Aufsatze „Ueber die tetanisirende Wirkung des constanten Stromes und das allgemeine Gesetz der Reizung*') wies Pflüger nach, dass constante Ströme von der grössten Beständigkeit, die unsere galvanischen Vorrichtungen zu lie- fern vermögen, auf den motorischen Nerven erregend wirken können, vermöge innerer Molecularvorgänge, die an das Durch- strömtsein feuchter Leiter geknüpft sind (translatorische und chemische Wirkungen des Stromes), eine Betrachtungsweise, welche die lange bekannte Thatsache, dass die Sinnesnerven auf constante Ströme mit Empfindung reagiren, und die neuere Entdeckung Pflüger’s, dass schwache constante Ströme motorische Nerven tetanisiren, von einem gemeinsamen Ge- sichtspunkte aus erklärt. Eckhard kannte diese von Pflü- ger gefundenen Thatsachen zur Zeit seiner Versuche noch nicht, sonst wäre er- ohne Zweifel auf den richtigen Weg gekommen, für die von ihm am Froschherzen beobach- . teten Erscheinungen eine Deutung zu finden, welche die- selbe an andere allgemeine Thatsachen anreiht. Von der Voraussetzung ausgehend, dass in dem Versuche des letzteren Forschers der constante Strom im Sinne Pflüger’s erregend wirke, suchte ich den Beweis für diese Ansicht so zu liefern, dass ich mich zuerst über die Wirkung intermittirender, also 1) Virchow’s Archiv Bd. XIII. 492 | 7 5R. Heidenhainr: zweifelsohne erregend wirkender Ströme auf das Froschherz unterrichtete und dann damit die Wirkung constanter Ströme verglich. Dabei wurde zuerst in einer Reihe von Versuchen das ganze Herz sammt den Vorhöfen ausgeschnitten,, beobach- tet, sodann in einer zweiten Versuchsreihe Eckhard’s re- flectorisch wirksame Herzspitze, d. h. der Ventrikel, dessen oberer Rand so weit abgeschnitten ist, dass die spontanen Pulsationen aufgehört haben. — Schon Ed. Weber bemerkte, dass die Ströme einer Saxton’schen Maschine, durch das ganze Herz _geleitet, einen verschiedenen Erfolg haben können: wenn das Herz sehr kraftvoll wirkt, besonders im Sommer, bemerke man Verminderung der Schläge oder selbst allgemeinen Stillstand, unter andern Umständen trete Vermehrung der Pulsfrequenz ein. Die Erklärung findet Weber iu seiner Entdeckung zweier funetionell verschiedener Nervensysteme des Herzens, eines motorischen und eines hemmenden, von denen jenes im ar- teriellen Theile (Kammer, bulbus arteriosus) des Herzens das Uebergewicht habe, dieses im venösen Theile (sinus venosus, Vorkammer). Je nachdem der eine oder der andere dieser Nervenapparate der erregbarere ist, je nachdem der eine oder der andere von stärkeren Stromeszweigen getroffen wird, werde die Herzthätigkeit unter dem Einflusse galvanischer Ströme bald erhöht, bald herabgesetzt. Man schalte ein ganzes ausgeschnittenes Froschherz so in den Kreis der secundären Spirale des Magneteleetromotors ein, dass die electrischen Ströme an der Herzspitze und dem obern Ende der Vorhöfe ein- und austreten. Die secundäre Spirale sei zuerst von der primären möglichst entfernt, der Kreis der letzteren offen. Nachdem man die Pulsfrequenz des Ventrikels bestimmt hat, wird der primäre Kreis ge- schlossen und von Neuem die Pulsfrequenz festgestellt. Dann wird der primäre Kreis geöffnet, die secundäre Spirale der primären behufs Verstärkung der Inductionsströme genähert und dasselbe Verfahren wiederholt, d. h. die Pulsfrequenz zuerst an dem sich selbst überlassenen, dann an dem elec- trisch erregten Ventrikel festgestellt u. 3. f. Auf diese Weise schreitet man allmählig von den schwächsten zu den stärksten Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens,. 493 Inductionsströmen fort. Die Erscheinungen, welche man am Ventrikel beobachtet, sind im Allgemeinen folgende: Bei den schwächsten Inductionsströmen siebt man gar keine Verände- rnng der Pulsfrequenz. Von einer gewissen Stärke der Ströme an steigert sich die Zahl der Ventrikelpulsationen, um so mehr, je stärkere Ströme man anwendet. Eudlich bei einer noch höheren Stärke der indneirten Ströme werden die Ventrikel- eontractionen so zahlreich, dass die einzelnen Pulse nicht mehr durch deutliche Ruhepausen von einander zu trennen sind. Die ganze Musculatur der Herzkammer geräth in un- aufhörliche Thätigkeit. Dabei ziehen sich jedoch in der Regel nicht alle Theile derselben gleichzeitig zusammen, es entsteht keine eigentliche Systole, sondern die Oontraction nimmt bald einen peristaltischen Verlauf von einem Ende des Ventrikels zum andern, bald verbreitet sie sich so unregelmässig über die Ventrikelwand, dass dieselbe in eine flimmernde, zitternde, wogende Bewegung geräth, die ich als einen tumultuarischen Tetanus bezeichnen möchte. Ja, in manchen Fällen sah ich den Ventrikel in eine vollkommen stetige 'tonische Contraction gerathen, in einen exquisiten Tetanus. Beiläufig gesagt kann ich hiernach der Behauptung Eckhard’s, das Herz kenne keinen Tetanus, nicht beipflichten. In der eben beschriebenen Weise sieht man zwar in überwiegend vielen, doch nicht in allen Fällen die Ventrikelcontractionen unter dem Einflusse intermittirender Ströme sich ändern. Mitunter tritt, wie schon Weber hervorhob, statt der bisher betrachteten, gerade die entgegengesetzte Wirkung ein, statt der Vermehrung der Con- tractionszahl eine Verminderung oder selbst ein diastolischer Herzstillstand. Ich bin nicht im Stande, genauer die Bedin- gungen anzugeben, unter welchen -der eine oder der andere Effect hervorgerufen werden kann. Für das Auftreten des einen oder des andern scheint, wenn man immer dieselbe physikalische Anordnung des Versuches festhält, in der That kein anderer Grund gefunden werden zu können, als das verschiedene Verhalten der Erregbarkeit der beiden Herz- nervensysteme, — Für das Spätere von Interesse ist noch folgender Versuch: — “ = 494 | R. Heidenhain: Wenn man die Vorhöfe vom Ventrikel trennt und von dem letzteren gerade so viel seines oberen Randes abschneidet, dass die spontanen Zusammenziehungen aufhören und nur noch reflectorische Pulsationen zu erzielen sind, wenn man dann dieses für sich bewegungslose Stück in der oben be- ‚, schriebenen Weise mit intermittirenden Strömen behandelt, so sieht man bei einer gewissen Stromstärke dasselbe in rhyth- mische Contractionen verfallen, ganz in der von Eckhard bei Anwendung constanter Ströme beobachteten Weise. Die Zahl der Contractionen ist eine beschränkte. Haben sie auf- gehört, so kann man in der Regel durch Verstärkung des Stromes dieselben wieder hervorrufen. Bei den stärksten Strömen treten die schon oben beschriebenen tumultuarischen Zusammenziehungen von tetanischem Charakter ein. Dieses - Experiment entspricht nun vollkommen dem oben erwähnten Hauptversuche Eckhard’s. Die nur noch refleetorisch wirk- same Herzspitze verfällt unter dem Einflusse intermittirender Ströme in rhythmische Contractionen, gerade wie sie Eck- hard bei Anwendung constanter Ströme beobachtete. Der Schluss wird sehr nahe gerückt, dass die constanten Ströme dieselbe physiologische Einwirkung auf das Herz ausüben, wie die unterbrochenen. Da nun von den letzteren feststeht, dass sie erregend wirken, so wird ohne Frage auch von den ersteren anzunehmen sein, dass sie das Herz erregen. Dieser Schluss wird zur Gewissheit, wenn man den Einfluss des eonstanten Stromes auf das ganze Herz untersucht: es stellt sich heraus, dass sich das Herz gegen jenen auf dieselbe Weise verhält, wie gegen intermittirende Ströme: schwache Ströme verändern die Pulsfrequenz des Ventrikels gar nicht, stärkere erhöhen dieselbe, von einer gewissen Grenze an tritt Tetanus ein, nicht selten von ausgezeichnet stetigem Cha- rakter. Doch bewirken in manchen Fällen auch die con- stanten Ströme, gerade wie die intermittirenden, diastolischen Herzstillstand durch vorwiegende Erregung des Hemmungs- apparates, Ich stellte die Versuche mit einer Batterie kleiner Grove’scher Elemente und unter Anwendung aller für die Beständigkeit des Stromes nothwendiger Vorsichtsmaassregeln B2 Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 495 (unpolarisirbare Electroden u, s. f.) an. Der Strom ging im Herzen von dem obern Ende der Vorkammern zur Spitze der Kammer. Zur Erläuterung mögen einige Beispiele dienen, I. Ganzes Froschherz ausgeschnitten. Zahl der Schläge des. Ventrikels in 30 Secunden. Vor der Schliessung . 10, 14, 18, 17. 4 Elemente. Nach der Schliessung; 37, 51, 66, 65, 51. Oefnunet ....... 20, 20, 19. 1 Minute später. . „ .„ 24. Schliessung. . .... . 48. Oefaune® suis. 23. 6 Elemente. Schliessung ..... . Stillstand des Ventrikels, ala flimmerndeZusammenzie- hungen seiner einzelnen Muskelbündel. Demnaner.:y,..% 2“ 23. II. Ganzes Herz ausgeschnitten. Vor der Schliessung . 14, 16. 4 Elemente. Schliessung ..... . 49. ST Ar 13, 20, 23. Sehliessuun...... 49. resume re 19, 20 8 Elemente. Schliessung ...... Tetanus des Ventrikels. Vellnme . 2... . 21. SCHMESSUNG:. .. .., - 58. Die Pulse folgen so schnell aufeinander, dass der Ventrikel fast teta- nisch contrahirt erscheint. Delmume.... u. 24, 24. e 4 Elemente. Schliessung ...... Tetanus, doch nicht ganz stetig, vielmehr so, dass ‘die ganze Ventrikelmus- culatur in fortwährendem Flimmern begriffen ist. er um... 2... ; 23, 26. Schliessung ...... Tetanus. 496 R. Heidenhain: II. Ganzes Herz ausgeschnitten. Zahl der Schläge des Ventrikels in 30 Sekunden. Vor der Schliessuug . 14, 15, 25, 22, 20, 26. 1 Element. Schliessung Oeffnung 4 Elemente. Schliessung Oeffnung . . 6 Elemente. Schliessung Oeffnung Schliessung Oeffnung Schliessung 8 Elemente. Kr Ze 7 weni. te. 2’.tg: ge Ne Nat iaite oe. 080.0. 96. 23, 24. 1% Tetanische Zusammen- ziehung des Ventrikels. IV. Die grossen Venen werden in der Nähe des Herzens unterbunden und dann das Herz sammt den Ligaturen aus- ‚ geschnitten, so dass dasselbe mit Blut gefüllt bleibt. Zahl der Schläge des Ventrikels in 30 Sekunden. Vor der Schliessung . 10, 12. 2 Elemente. Schliessung ......15, 15. 2 Elemente. Schliessung ...... 37. Ocfinung.s - Due 2: 15,9 Schliessung .. 32. Deffnune as enie 16. 8 Elemente... Schliessung ...... 38. U) efinung u: ar KULT, i Schliessung ...... 28. Die Pulse werden häufig durch unregelmä- ssige tetanische Contrac- tionen unterbrochen. Oefnung naher 17. Schliessung: .... wis .b. Unregelmässige tetani- sche Oontraction des Ventrikels. Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens, 497 V. Unterbindung der Uebergangsstelle zwischen Vorhof und sinus venosus, Stillstand des Herzens. Exstirpation des ganzen Herzens. Dasselbe beharrt in diastolischem Stillstande. 4 Elemente. Schliessung ...... Die Ventrikelcontractionen folgen so schnell auf ein- ander, dass sie nicht zähl- bar sind. Br EN RE Stillstand. 2 Elemente. Schliessung ...... 36, 39. Oeffnung ...... . Stillstand. 4 Elemente. Schliessung ...... 50, 43. DIENDURE ST. Nut, un. Stillstand. 8 Elemente. Schliessung ...... 70, während der nächsten 30Sekundenunregelmässig tetanische Oontractionen. Qeinnns, Au ei..r . Stillstand. Schliessung ..... . 68, 66, 66. Pulsationen sehr unregelmässig. In diesen Versuchen sieht man die constanten Ströme auf die Bewegungen des Herzens ganz in derselben Weise ein- wirken, wie es die intermittirenden Ströme thun. “Gleiche Wirkungen, gleiche Ursachen. Intermittirende Ströme be- schleunigen die Pulsfrequenz; weil sie den ‚motorischen Ner- venapparat des Herzens erregen. Da constante Ströme die Pulsfrequenz des ausgeschnittenen Herzens ebenfalls steigern, müssen sie, wie jene, erregend wirken. So lange die erre- gende Wirkung constanter Ströme auf motorische Nerven unbekannt war, konnten die unter dem Einflusse constanter Ströme auftretenden Erscheinungen als paradoxe Ausnahme- fälle erscheinen und zu der Annahme verführen, dass im Herzen ein ganz besonderer Mechanismus gegeben sei, ver- schieden von den sonstigen motorischen Nerven- und Muskel- apparaten. Pflüger’s Untersuchungen räumen diese Schwie- rigkeiten hinweg und führen zu einer mehr befriedigenden Deutung. P= Müller’s Archiv, 1858, n 32 498 -R. Heidenhain: Wir sind im Laufe der Untersuchung zu einer Reihe vou Thatsachen und Schlüssen gelangt, welche den von Eckhard in seiner Arbeit vorgelegten widersprechen. Wir konnten vor Allem die Angabe jenes Forschers nicht bestätigen, dass nach Trennung der an der Uebergangsstelle des sinus venosus in den Vorhof gelegenen Ganglien die spontanen Herzbewe- gungen aufhören und demnach auch seinem Schlusse nicht beistimmen, dass nur jenen Ganglien automatische Eigen- schaften zukämen. Eckhard hatte einen vorübergehenden Herzstillstand für einen dauernden gehalten, daher seine von uns bestrittene Theorie. Hier wäre nun ’'noch nachträglich die Frage aufzuwerfen, die im Laufe der bisherigen Dar- ‘stellung nicht berührt werden konnte, woher jene vorüber- gehende, mitunter freilich auf fast eine halbe Stunde sich ausdehnende Herzruhe hesrührt, die bei mechanischer Ein- wirkung (Ligatur, quetschender Schnitt) auf die Uebergangs- stelle des Venensinus in den Vorhof eintritt. Bewirkt die mechanische Insultation eine vorübergehende Erschöpfung des motorischen Herzapparates? Dem widerspricht der Erfolg der zweiten Stannius’schen Ligatur an der Atrioventricular- grenze, welche den durch die erste Ligatur zur Ruhe ge- brachten Ventrikel von Neuem in Thätigkeit versetzt. Wahr- scheinlicher ist es, dass die Ligaturen als kräftiger mechani- scher Reiz wirken, der die eingeschnürten Nerven erregt. An der obern Grenze der Vorhöfe und dem Venensinus | wiegt der Hemmungsapparat des Herzens vor, an der untern Grenze der Vorhöfe und dem Ventrikel der Bewegungsappa- rat, wie schon daraus hervorgeht, dass electrische Erregung dort Herzstillstand, hier Vermehrung der Pulsfrequenz her- beiführt. Deshalb sistirt die erste Stannius’sche Ligatur die Herzbewegung, während die zweite die aufgehobene Be- wegung wieder hervorruft. Ich suchte einen direkten Beweis für diese Erklärung am Herzen von _Fröschen, die mit Cu- rara vergiftet waren. Nach Kölliker sollte das Pfeilgift die peripherischen Vagusenden im Herzen ebenso lähmen, wie die Enden der Muskelnerven. Beruhte die Wirkung der ersten Stannius’schen Ligatur auf Reizung der peripherischen Va- Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 499 gusenden, so musste sie am Curara-Herzen versagen. Der Versuch lehrte das Gegentheil, doch widerlegte sich dadurch die obige Hypothese keineswegs, denn es fand sich, dass auch electrische Reizung der peripherischen Endverbreitung jenes Nerven am pulsirenden Theile der Hohlvene das Herz zur Ruhe brachte, dass also, Kölliker entgegen, die peri- pherischen Vagusenden nicht gelähmt waren.') Ich durfte deshalb trotz des unerwarteten Resultates bei meiner Hypothese bleiben. So einfach diese nun auch scheint, so lässt sie doch einen wichtigen Pnnkt noch dunkel. Wenn man durch Umschnürung der Uebergangsstelle des Venensinus in den Vorhof die Herzthätigkeit sistirt hat, so beginnt dieselbe zwar bald wieder, doch hält sie nur verhältnissmässig kurze Zeit an, sehr viel kürzere Zeit, als das Herz eines getödteten Frosches fortschlägt. Noch auffallender ist es, dass die Ven- trikelpulsationen, die man an dem ruhenden Herzen durch Anlegung der zweiten Stannius’schen Ligatur hervorrufen kann, an Dauer ausserordentlich beschränkt sind. Oft sieht man nach 10— 12 Schlägen den Ventrikel seine Pulsationen einstellen, um sie nicht wieder zu beginnen. Wie diese ausser- ordentliche Herabsetzung der Lebensfäbigkeit des Herzens zu deuten sei, ist durchaus unklar. Wennschon hiernach unsre Erklärung der Stannius’schen Ligaturen nicht alle Erschei- nungen verständlich macht, so kommen wir mit derselben doch weiter als Eekhard mit seinen Anschaunngen, denen gegenüber wir die unsrigen im Folgenden kurz zusammen- fassen. Es liegt kein Grund vor, die Ganglien des Froschherzens in automatische und reflectorische zu sondern: alle haben, soweit die bisherigen Versuche reichen, sowohl automatische als refleetorische Bedeutung. Wenn nach Entfernung der Vorhofsscheidewand und selbst des obern Randes des Ven- trikels der letztere nicht immer automatisch, sondern oft nur noch reflectorisch pulsirt, so ist der Grund in der Erschöpfung durch die bedeutende Verstümmelung zu suchen, welche den 1) Vgl. Medicinische Centralzeitung vom 11. August 1858. 32* 500 "R: Heidenhain: am Ventrikel bleibenden Rest der Bidder’schen Ganglien unfähig macht, in sich selbst hinreichende Spannkräfte zur Erzeugung der motorischen Impulse zu entwickeln. Die An- nahme eines specifischen Mechanismus für das Herz ist un- nöthig. Sie wird durch Eckhard’s Versuch mit dem con- stanten Strome nicht unterstützt. Constante Ströme wirken, wie intermittirende, erregend auf das Herz. Je nachdem der motorische oder der hemmende Apparat des Herzens durch dieselben vorwiegend erregt wird, tritt Beschleunigung oder Verminderung der Herzpulse ein: jene kann bis zum Tetanus steigen, diese bis zum diastolischen Stillstande sinken. Die Erregnng des motorischen Apparates vermehrt, wenn sie das noch pulsirende Herz trifit, die Pulszahl, wenn sie den des obern Randes beraubten ruhenden Ventrikel trifft, veranlasst sie ihn zu rhytmischen Contractionen, gleichviel ob die Er- regung durch constante oder durch intermittirende Ströme herbeigeführt wird. Halle, im September 1858. Nachschrift. Der vorliegende Aufsatz war bereits seit mehr als 8 Tagen nach Berlin an die Redaktion dieser Zeitschrift gesandt, als mir die in vieler Beziehung interessante Arbeit des Hrn. v. Bezold im Septemberhefte des Virchow’schen Archiv’s „zur Physiologie der Herzbewegungen“ in die Hand kam. Rücksichtlich der Stannius’schen Ligaturen ist v. Bezold im Allgemeinen zu denselben Versuchsergebnissen gelangt, die in meiner Dissertation veröffentlicht sind. Er glaubt aber _ meine Deutung der Wirkungsweise der Ligaturen verwerfen nnd an deren Stelle eine andere Hypothese setzen zu müssen. Da diese Opposition in meiner Arbeit nicht mehr berücksich- tigt werden konnte, erlaube ich mir nachträglich über die- selbe einige Worte zu sagen, Ich suche die wesentliche Wirkung der ersten Stannius- Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 501 schen Ligatur, welche, um die Grenze zwischen Hohlvenen- sinus und Vorhof gelegt, diastolischen Herzstillstand berbei- führt, in der Erregung des Hemmungsnervensystems des Herzens durch die mechanische Einwirkung, von Bezold dagegen in der Trennung des Sinus von dem übrigen Her- zen, indem er folgende Hypothese aufstellt: das Herz enthält bewegende und hemmende Kräfte, und zwar derartig vertheilt> dass die Hauptheerde für die Erzeugung der rhytmischen Be- wegungen in den Sinusganglien und in den Bidder’schen Ventrieularganglien zu suchen sind, die hemmenden Central- heerde dagegen in den Vorhofsganglien. Die Summe der bewegenden Kräfte (Sinusganglien + Ventrikelganglien) ist im Herzen unter normalen Umständen grösser als die der hem- menden Kräfte (Vorhofsganglien), deshalb sind die ersteren im Stande, die Bewegung des Herzens zu unterhalten. Bei der Durchschneidung oder Unterbindung des Herzens an der Uebergangsstelle des Sinus in den Vorhof fällt der durch die Sinusganglien repräsentirte Antheil der bewegenden Kräfte für das Herz fort, die Summe der letzteren wird also ver- mindert und kann nunmehr durch die hemmenden Kräfte com- pensirt werden, so dass Ruhe eintritt. Während der Ruhe sammelt sich eine gewisse Kraftmenge in den Oentralorganen des Ventrikels an, welche das Gleichgewicht endlich zu Gun- sten der Bewegung stört. Abgesehen davon, dass diese complicirte Hypothese man- cherlei anderweitige Bedenken gegen sich hat (sie versetzt z. B. die bewegenden Kräfte des Herzens ausser in den Ven- trikel hauptsächlich in den Venensinus, die hemmenden haupt- sächlich in den Vorhof, obschon man bei electrischer Reizung des Venensinus mit einander sehr genäherten Poldräthen leicht Herzstillstand erreicht, der bei electrischer Reizung des Vor- hofes nicht erzielt wird; sie nimmt ferner an, dass während der Ruhe die Spannkräfte der motorischen Ganglien wachsen; die der hemmenden Üentralorgane nicht oder doch in schwä- cherem Verhältnisse, obschon sich beide unter wesentlich gleichen Bedingungen befinden, —) abgesehen hiervon stösst sie auf nicht unerhebliche experimentelle Schwierigkeiten, 502 R. Heidenhain: denen gegenüber sie sich kaum halten dürfte. Es lässt sich durch den Versuch zeigen, dass es nicht bloss auf die Trennung des Sinus von dem übrigen Herzen an- kommt, wenn man Herzstillstand herbeiführen will, sondern vielmehr darauf, dass durch die Art der Tren- nung eine energische mechanische Reizung gesetzt wird. Wenn man an einer Anzahl von Fröschen mit einer recht scharfen Seheere die Sinusgrenze durchschneidet und sich es angelegen sein lässt, Quetschung möglichst zu ver- meiden, so sieht man nicht selten das abgetrennte Herz ohne Pause fortschlagen. Ist es doch Stannius bei Durchschnei- dung nur in zwei Fällen gelungen, den Herzstillstand herbei- zuführen. Dagegen misslingt dies niemals, wenn man statt der Scheere die Ligatur anwendet. Die blosse Trennung ver- sagt also oft, die mit möglichst starker Quetschung verbundene Trennung nie den Erfolg. Daraus folgt, dass das Wesentliche hei dem Versuche die Quetschung, d. h. die mechanische Erregung ist, und daraus wieder, dass von Be- zold’s Hypothese das Wahre unmöglich trifft. Ich halte nach wie vor an meiner Ansicht fest, dass die Stannius’sche Ligatur dadurch den Herzstillstand herbei- führt, dass sie die Hemmungsnerven des Herzens erregt. Von Bezold hält diese Anschauung aus zwei Gründen für unhaltbar: £ 1) Es sei keine einzige Thatsache aus der Nervenphysik bekannt, welche zeigte, dass die einfache rasche Durch- schneidung (die v. Bezold statt der Unterbindung bei seinen Versuchen anwandte) eines Nerven, so lange er noch ein- facher Nerv ist, Tetanus oder eine irgendwie gestaltete Er- _ regung, die 5 Minuten lang andauert, in demselben hervor- rufe. — Es ist nun eine bekannte Thatsache, dass im Herzen die Vagusfasern mit Ganglienzellen in Verbindung stehen, die an und zwischen den Nervenstämmchen liegen. Deshalb ist eben der Vagus im Herzen nicht mehr „ein einfacher Nerv.“ Von Bezold kann mir unmöglich die Ansicht zugetraut haben, dass die Ligatur auf die Vagusfasern des Herzens wirke, ohne die zu ihnen gehörigen und ihnen eingelagerten Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 503 Ganglienzellen mit zu treffen. Dies besonders hervorzuheben, habe ich keine Veranlassung gehabt, weil es in der Natur der Sache liegt, und weil über die Art und Weise, wie sich die Ganglienzellen etwa an den vorliegenden Erscheinungen betheiligen könnten, doch keine eingehendere Vermuthung von grösserem Werthe als dem einer unsicheren Hypothese zu äussern war. Deshalb habe ich ohne Distinction bald von der peripherischen Endverbreitung des Vagus, bald von dem Hemmungsapparate des Herzens gesprochen, ohne den letzte- ren näher zu analysiren. Soll ich mir eine Vermuthung über die Art der Betheiligung der Ganglienzellen an dem Erfolge des Stannius’schen Versuches erlauben, so würde diese allerdings vonder des Hrn. von Bezold abweichen. Wenn man das Rückenmark schnell unvollkommen zerstört, so kann man einenlänger anhaltenden Tetanus der Extremitäten erzeugen, und bei Zerstörung der medulla oblongata sieht man nicht selten das Herz in längeren diastolischen Stillstand verfallen, bei- läufig ein Versuch, der v. Bezold entgangen ist, wenn der- selbe behauptet, dass mechanische Einwirkung auf den Vagus nirgends als im Herzen den Stillstand herbeiführe. Jene Ver- suche sind so zu deuten, dass die Betheiligung der mit den motorischen resp. hemmenden Fasern in Verbindung stehenden centralen Ganglienzellenapparate an der Erregung der letzte- ren eine Dauer verleiht, weit länger als der mechanische Eingriff währt, und länger als es der Fall sein würde, wenn der Eingriff nur den Nervenstamm träfe. Gleichwohl wird Niemand etwas dagegen haben, wenn man sagt, der Tetanus beruhe in jenem Experimente auf Erregung der motorischen _ Nervenfasern der Extremitäten, In diesem Sinne würde ich mir nun auch die mit den Vagusfasern im Herzen in Verbin- dung stehenden Ganglienzellen bei dem Unterbindungsver- suche betheiligt denken. Zu einer weiter eingehenden Ana- Iyse der Function der Ganglienzellen des Herzens dürften je- doch unsere Erfahrungen schwerlich ausreichen. 2) Ein zweiter Einwurf v. Bezold’s gegen meine Ansicht ist der, dass, wenn die Durchschneidung oder Unterbindung durch Reizung des Vagus wirken sollte, die Durchschnei- 504 R. Heidenbhain: dung oder Uuterbindung eiuer beliebigen Stelle des Herzens Stillstand herbeiführen müsste. Dieser trete aber nur bei > Durchschneidung einer ganz bestimmten Stelle ein (der Ueber- gangsstelle des Hohlvenensinus in den Vorhof). — Dieser Einwurf ist deshalb nicht stichhaltig, weil das Thatsächliche nicht richtig ist. Ich habe in meinem vorstehenden Aufsatze gezeigt, dass, wie auch schon Stannius wusste, die Unter- bindung an jeder Stelle des Vorhofes von der Sinus- bis zur Ventrikelgrenze Stillstand der abgeschnürten Parthie zur Folge habe. Von Bezold hat dies vermuthlich deshalb übersehen, weil er die Durchschneidung statt der Unterbindung anwandte und jene weit weniger kräftig erregend wirkt als die Ligatur. Wenn sich aber herausstellte, dass der Stillstand im Allge- meinen um so kürzer wird, je mehr man von der obern Vor- hofsgrenze mit der Ligatur nach der untern Grenze hingeht, so liegt der Grund darin, dass vom Venensinus nach dem Ventrikel hin die hemmenden Elemente immer mehr gegen die bewegenden zurücktreten. — Gelegentlich des dritten sehr interessanten Abschnittes der von Bezold’schen Abhandlung, welcher die rhytmische Erregung des nv. vagus betrifft, sei mir eine kurze historische Bemerkung gestattet. v. Bezold hat in der rhytmischen Er- regung des nv. vagus diejenige Form des Hemmungsversuches wieder entdeckt, in welcher derselbe zuerst bekannt gemacht wurde, lange vor Ed. Weber’s Artikel über Muskelbewegung. In seinem Aufsatze „Von dem Baue und den Verrichtungen der Kopfnerven desFrosches“ (dieses ArchivJahrg. 1853) beschreibt Volkmann (8. 37 u. 88) folgende Versuche: „Nichts ist sonder- barer als der Einfluss des vagus auf die Herzbewegung.... Der nv. vagus eines Frosches wurde °/, Stunden nach dem Tode des Thieres mittelst einer galvanischen Säule von 8 Plat- tenpaaren zu 4 01Zoll gereizt durch unaufhörliche Schliessung und Oeffnung der Kette. Das Herz schlug 29 Mal in jeder Minute. Nach Reizung des Vagus schlug es in der zweiten Minute 11 Mal, in der dritten 31 Mal,..., In der zweiten Erörterungen über die Bewegungen des Froschherzens. 505 Minute, wo nur 11 Schläge gezäblt wurden, fand keineswegs allgemeine Verlangsamung des Pulses statt, sondern ein un- verkennbares Intermittiren desselben, wobei 5— 6 Pulsschläge bintereinander ausfielen.... Zwei Stunden nach dem Tode sank die Anzahl der Contractionen von 25 in der dritten Mi- nute der Reizung auf 16, indem 8— 10 Pulse ganz aussetzten, so dass das Herz fast !/, Minute lang ganz in Ruhe blieb... Eine Viertelstunde später war die Pulsfrequenz 20. Nachdem der Vagus gereizt worden war, zeigten sich in der zweiten Minute 4 kaum merkbare Contractionen in den gewöhnlichen Intervallen, dann stand das Herz 1'/, Minuten lang vollkom- men still, worauf eine einzelne kleine Oontraction erfolgte. Als die Reizung ausgesetzt wurde, ergaben sich 26 grosse und regelmässige Contractionen in der Minute.* — Diese Beobachtungen sind in der Physiologie sonderbarer Weise unbeachtet verloren gegangen. Durch v. Bezold’s Versuche daran zurückerinnert, erlaube ich mir dieselbe als zur Geschichte der Physiologie des Vagus gehörig in’s Ge- dächtniss der Physiologen zurückzurufen. — 506 Bd Webbr: Ueber die Elasticität der Muskeln , eine Erwiderung auf Volkmann’s Aufsätze, Versuche über Muskel- reizbarkeit und Versuche und Betrachtungen über Muskelcontractilität. Von EDUARD WEBER, z Volkmann’s Aufsatz „Versuche über Muskelreizbar- keit“ in den Berichten der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1856, worin er meine Untersuchungen über die Blastieität der Muskeln!) angegriffen hatte, hatte mich zu einer Entgegnung „Kritische und experimen- telle Widerlegung der von Volkmann gegen die Un- tersuchungen des Verfassers über die Elasticität der Muskeln aufgestellten Einwürfe und Beobach- tungen“ veranlasst, welche eben daselbst erschienen war. Volkmann hat hierauf seinen Aufsatz mit einigen beigefügten - oder eingeschalteten Zusätzen in Müller’s Archiv der Anat. und Physiol. 1857 abermals abdrucken und eben daselbst 1858 noch einen ausführlicheren Artikel unter der Ueberschrift „Versuche und Betrachtungen über Muskelcontrac- tilität“ als Erwiderung auf meine kritische und experimen- telle Widerlegung folgen lassen. Ich sehe mich dadurch ge- nöthigt, um diesen zweiten Aufsatz von Volkmann hier beantworten zu können, zunächst, entsprechend wie Volk- mann, erstjene „kritische und experimentelle Wider- 1) In Wagners physiologischem Wörterbuch Art, Muskelbewegung. Ueber die Elastieität der Muskeln. 507 legung“ seines ersten Aufsatzes vorans zu schicken und zwar unverändert, wie sie in den Berichten der K. S. Ges. d. W. erschienen war, da Volkmann’s zweiter Aufsatz sich we- sentlich auf dieselbe bezieht und ohne sie gar nicht beurtheilt werden kann, und erlaube mir daher nur derselben einige erklärende Bemerkungen, die sich auf diese neueste Gegen- schrift Volkmann’s beziehen, der Kürze halber gleich an den betreffenden Stellen in Nofen unter dem Texte beizufü- gen, während ich die Rechtfertigung alles Thatsächlichen für die nachfolgende Erwiderung auf Volkmann’s zweiten Auf- satz mir vorbehalte. I. Kritische und experimentelle Widerlegung der vou Volkmann gegen die Untersuchungen des Verfas- sers über die Elastieität der Muskeln aufgestellten Einwürfe und Beobachtungen.') Volkmann hat in einem am 12. April 1856 in der K. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften gehaltenen Vortrage und in der in den Berichten der Gesellschaft vom Jahre 1856 Seite 1— 10 gedruckten Anzeige jenes Vortrages meine Un- tersuchungen angegriffen, worin ich die Anwendung der in der Physik für elastische Körper geltenden Gesetze auf die Muskeln im Zustande der Ruhe sowohl als während ihrer Thätigkeit erörtert habe, und in diesem Aufsatze nicht blos die Richtigkeit meiner Ansichten, sondern auch meiner Be- obaehtungen und Messungen in Zweifel gezogen. Zum bes- seren Verständuisse dieses Streites habe ich zuvörderst histo- risch über dessen Entstehung Folgendes zu bemerken. | Volkmann ist zu diesen Untersuchungen durch Zweifel geführt worden, die er überhaupt gegen die Anwendbarkeit der Elastieitätsgesetze auf die Erscheinungen des in Thätig- keit befindlichen Muskels hegte. Er ging nämlich von der Meinung aus, dass nur diejenigen Kräfte des Muskels als 1) Aus den Berichten über die Verhandlungen der Königl. Sächsi- schen Gesellschaft der Wissenschaften 1856 pag. 167. 508 Ed. Weber: _ elastische bezeichnet werden dürfen, welche ihn in der ihm während der Ruhe zukommenden normalen (natürlichen) Form zu erhalten und ihn, wenn er daraus entfernt worden ist, zu ihr zurückzuführen streben: dass dagegen die Kräfte, durch welche der Muskel verkürzt wird, ebenso wie die, welche er nach aussen ausübt, wenn er sich zu verkürzen verhindert wird, keine elastischen Kräfte seien. Er bezeichnete diesel- ben daher als contractile Kräfte und die Eigenschaft der Mus- keln, solche Kräfte auszuüben, als Contractilität im Gegen- satz zu ihrer Blasticität. Er leugnete daher auch, dass die verkürzte Form des thätigen und unbelasteten Muskels als die unter den veränderten Verhältnissen ihm zukommende normale (natürliche) Form betrachtet werden dürfe und hielt dieselbe vielmehr wie die des durch Gewichte gedehnten Mus- kels für eine ihm aufgedrungene Form. So wie nämlich ein Muskel von einem Gewichte mit Ueberwindung seiner elasti- schen Kräfte extendirt wird, auf ähnliche Weise, meinte Volk- mann, werde derselbe von den contractilen Kräften, eben- falls mit Ueberwindung seiner elastischen Kräfte, comprimirt und die verkürzte Form desselben sei das Resultat des hier zwischen den contractilen und elastischen Kräften hergestell- ten Gleichgewichts, ebenso wie dort die verlängerte Form das Resultat des zwischen den Gewichtskräften und elasti- schen Kräften wiederhergestellten Gleichgewichts ist. Von diesem Standpunkte ausgehend wünschte Volkmann die von ihm angenommenen contractilen Kräfte des Muskels getrennt von dessen elastischen Kräften zu beobachten. Er änderte deshalb die von mir in meiner Untersuchung über „Muskelbewegung“*!) beschriebenen zur Ermittelung der Elas- ticitätsverhältnisse der Muskeln angestellten Versuche dahin ab, dass er eine derartige Stützung der angehängten Gewichte anwendete, dass der Muskel über seine Normallänge hinaus nicht verlängert werden, wohl aber, wenn er sich verkürzte, unbehindert das Gewicht heben konnte. Er hoffte nämlich dadurch die Erscheinungen der Ausdehnung, bei welchen die 1) R. Wagners Handwörterbuch d, Physiol. 5. Bd. 2. Abth. Ueber die Elastieität der Muskeln. 509 elastischen Kräfte das Belastungsgewicht äqnuilibrirten, von den Erscheinungen der Contraction zu scheiden, bei wel- chen nach seiner Annahme die contractilen Kräfte dem Belastungsgewichte und den elastischen Kräften des Muskels “ zusammen das Gleichgewicht hielten. Wurde hierbei das Gewicht so gewählt, dass es der in Thätigkeit gesetzte Muskel eben trug, aber ohne sich verkür- zen zu können, oder hatte sich der verkürzte Muskel bei fortgesetzter Thätigkeit durch Ermüdung bis zu seiner Nor- mallänge wieder ausgedehnt, so betrachtete Volkmann die elastischen Kräfte als ganz ausgeschlossen und die contrac- tilen Kräfte des Muskels rein durch das anhängende Gewicht äquilibrirt. — Die abweichenden Resultate nun, welche Volk- mann nach diesem abgeänderten Verfahren (welches er die bMethode nennt) im Vergleich zu. denen, die er nach meinem ursprünglichen Verfahren (welches er als aMethode bezeich- net) aus seinen Versuchen erhielt, betrachtete er als eine Be- stätigung seiner Ansicht und zugleich als Widerlegung der von mir aufgestellten Elasticitätslehre. Diese Arbeit hatte Volkmann vor Weihnachten 1855 zum Vortrage in der K. S. Gesellsch. d. W. angekündigt. Als er mir dieselbe vorläufig im Manuscripte zur Ansicht mittheilte und mich wiederholt aufforderte, die Resultate seiner Versuche, die er mit der Elasticitätslehre nicht zu vereinbaren wisse, zu erklären; antwortete ich ihm bei der Rückgabe des Manu- seriptes, dass ich allerdings hoffte meine Anwendung der Elastieitätslehre auf die Erscheinungen der Muskelthätigkeit rechtfertigen zu können und, was die Differenz seiner und meiner Versuche anlange, so glaubte ich, dass diese, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, sich wohl erklären lassen werde:- es seinämlich die Ermüdung des Muskels nicht blos von der Dauer desthätigen Zustandes, sondern auch von der Grösse der Anstrengung des Muskels wäh- rend derselben abhängig. Da nun bei Anwendung der bMethode die Anstrengung des Muskels bei Hebung seiner Last geringer sei als bei Anwendung der aMethode, so er- fahre derselbe im ersteren Falle eine geringere Ermüdung 510 2 Bd. Weber: während der Dauer jedes Versuchs als bei Anwendung der aMethode. Durch die Ermüdung werde aber die Elastieität des Muskels vermindert oder seine Dehnbarkeit vergrössert und es lasse sich daher wohl denken, dass man bei Anwen- dung der 5Methode kleinere Zahlenwerthe der Dehnbarkeit des Muskels erhalte als bei Anwendung der «Methode. Der Vortrag dieser Arbeit unterblieb aber vermuthlich in Folge des Urtheils, welches Volkmann indessen über. seine neue Lehre bei mehreren competenten Physikern eingeholt hatte. Statt derselben hielt er !/, Jahr später den Vortrag die „Versuche über Muskelreizbarkeit“* betreffend, in welchem er meine Untersuchungen von einer ganz andern Seite an- greift, indem er nämlich nun umgekehrt von dem oben er- wähnten von mir selbst ausgesprochenen auf der Elastieitäts- lebre beruhenden Satze als Grundlage ausgeht. Da aber die für ganz andere Zwecke bestimmten 6Versuche nur unvoll- kommen dem neuen Gesichtspnnkte entsprachen, so hat Volk- mann noch die Versuche der e und dMethoden, welche in der frühern Ausarbeitung fehlten noch hinzugefügt. Ich werde aber nachweisen, 1) dass die grosse Ver- schiedenheit der Resultate meiner und der Volk- mannschen Untersuchungen theils in Rechnungs- fehlern, theilsinexperimentalen FehlernihrenGrund habe; 2) dass diese Verschiedenheit der Resultate nicht von dem oben angeführten Satze (dass die Ermü- dung der Muskeln nicht blos von der Dauer des thätigen Zustan- des, sondern auch von der Grösse der Anstrengung der Muskeln während desselben abhänge) abgeleitet werden könne; 3) dass aber dieser Satz selbst, so wie er aus Volk- mann’s Versuchen nicht hervorgegangen ist, auch nicht mit ihnen falle, sonderä seine volle Richtig- keit habe. Es wird demnach zunächst das Thatsächliche in dieser Ar- beit zu prüfen sein, worauf Volkmann seine Behauptungen gründet. Volkmann theilt keine Versuche mit!), sondern 1) Die „Widerlegung“ bezieht sich, wie man sieht, auf Volkmann’s Artikel „Versuche über Muskelreizbarkeit“ in den Berichten Ueber die Elastieität der Muskeln. 51l nur einige. Zahlen, von denen er sagt, dass er sie als Werthe der Dehnbarkeit des Musc. hyoglossus des Frosches bei einer Belastung von 10 Gramm gefunden habe. Volkmann’s Werthe der Dehnbarkeit d. M. hyoglossus bei 10 Gramm Belastung. für den ruhenden Muskel 0,225 0,382 0,208 für den thätigen aMuskel 0,615 0,572 0,673 für den thätigen 5Muskel 0,275 0,527 — für den thätigen eMuskel — ...0,390 —_ für den thätigen dMuskel — — 0,107 Von diesen Werthen der Dehnbarkeit sind seiner Angabe zu Folge die sub « nach meiner Methode, die sub b, c, d nach den von ihm modifieirten Methoden ausgeführt, die sämmtlich den Zweck haben, dem Muskel mehr oder weniger die An- strengung zu ersparen das zu seiner Spannung dienende Ge- ‚wicht beim Uebergang von der Ruhe zur Thätigkeit heben zu müssen. Aus den grösseren Werthen nun, die er aus seinen Versuchen sub aim Vergleich zu denen, die er aus seinen Versuchen sub 5, c, d erhalten hat, schliesst Volk- mann, dass meine Versuche wegen Vernachlässigung des oben bezeichneten Einflusses eine zu grosse Dehnbarkeit des thätigen Muskels ergeben. Eine Vergleichung aber seiner nach abgeänderten Methoden gefundenen Resultate mit den von mir selbst in meiner Untersuchung gegebenen Resultaten findet sich nirgends in seinem Aufsatze. Volkmann sagt zwar Seite 2, „dass die elastischen Kräfte von mir nur nach ihrem- relativen Werthe bestimmt worden seien.“ Es würde aber für Volkmann ein leichtes gewesen sein, die von mir gegebenen relativen Werthe der Muskeldehnbarkeit in abso- lute zu verwandeln, da dazu nur noch die Reduction dersel- ben auf: die Einheit des Querschnitts des Muskels erforder- lich war, wozu ich die nöthigen Unterlagen gegeben habe: i d. K. Sächs. Gesellsch. d. W., welcher keine Versuche enthält, nicht auf dessen Wiederabdruck in diesem Archive, der erst nach ihrem Er- scheinen erfolgt ist und dem Volkmann allerdings nachträglich eine pag. 32 eingeschaltete Versuchstabelle, so wie einige Zusätze von pag. 41 bis 45 beigefügt hat. \ 512 Ed. Weber: denn ich habe bei jedem der gebrauchten Muskeln (siehe meine Abhandlung Seite 74 bis 73) das Gewicht des gemessenen Muskelstücks beigefügt, um jeden, der eine solche Verglei- chung auch bei verschiedenen Muskeln beabsichtigen sollte, in Stand zu setzen nach pag. 87 den Querschnitt des Muskels zu finden und mittelst desselben die Reduction auf absolute Werthe auszuführen. Selbst ohne diese Reduction würde sich aber jene Vergleichung unserer Resultate mit hinreichender Genauigkeit haben machen lassen, weil Volkmann sich des- selben Muskels (Muse. hyoglossus des Frosches) bedient hat. - Da nun Volkmann weder eine genaue noch ohngefähre Vergleichung mit meinen eigenen Resultaten angestellt hat, so treffen seine Folgerungen auch nicht meine Versuche, son- dern zunächst nur: seine eignen aVersuche. In der That er- giebt sich zwischen diesen und den meinigen eine sehr be- trächtliche Differenz, von der es unbegreiflich ist, dass sie. Volkmann hat entgehen können. Ich habe das Maass der Ausdehnbarkeit des in Thätigkeit befindlichen Musc. hyoglossus (siehe S. 114 meiner Abhandl.) aus der Versuchsreihe C für 5 . verschiedene Spannungsgrade (nämlich bei 7,5 gr., 12,5 gr., 17,5 gr., 22,5 gr., 27,5 gr. Belastung) und für 10 verschiedene Ermüdungsstufen berechnet. Hiernach beträgt dasselbe für die; Belastung; von vu ahiie -ibennd Aarau dr 0,0127 0,0082 und wächst durch Ermüdung nur bis auf 0,1675 0,0455 während Volkmann den Werth desselben in Thätigkeit be- findlichen Muskels bei 10 gr. Belastung im Mittel aus seinen aVersuchen = 0,618 0,872 0,673 0,721 aus seinen 5 Versuchen = 0,273 0,527 _ 0,400 aus seinen cVersuchen = — 0,390 — .... 0,390 aus seinen dVersuchen = — — 0,107 0,107 erhält. Vergleicht man nun ersteres von mir gefundenes Maass der Ausdehnbarkeit des thätigen Muskels (im Mittel = 0,010) 1) Zwischen diesen beiden Belastungsgewichten steht nämlich das von Volkmann gebrauchte gerade in der Mitte. Ueber die Elasticität der Muskeln. 513 mit den letzteren Angaben, welche Volkmann als Maass der Ausdehnbarkeit desselben thätigen Muskels bei ohnge- fähr derselben mittleren Belastung gefunden hat, so ergiebt sich, dass meine Messungen nicht allein von Volkmann’s aMessungen differiren und nicht nur nicht grösser, als seine b, c, dMessungen sind, sondern vielmehr llmal kleiner als Volkmann’s dMessungen, 39 mal kleiner als Volkmann’s cMessungen, 40 mal kleiner als Volkmann’s bMessungen, 72 mal kleiner als Volkmann’s a Messungen sind. Diese letzten aMessungen sind es eben, welche Volkmann mit den meinigen identificirt hat. Demnach findet Volk- mann’s Vorwurf, dass nach der von mir angewand- ten Methode die Ausdehnbarkeit des thätigen Mus- kels zu gross ausfalle, auf meine Versuche keine Anwendung. Es leuchtet vielmehr ein, dass Volk- mann in der Ausführung seiner aVersuche oder in der Berechnung der Ausdehnungscoefficienten von mir abgewichen sein müsse, wiewohl er dieselbe Methode angewendet zu haben behauptet. Er sagt nämlich Seite 3: „Unter den verschiedenen Methoden, welche ich benutzte, um über die Dehnbarkeit der Muskeln, und somit über die elastischen Kräfte derselben, Aufschluss zu gewinnen, war die erste eben dieselbe, welche Weber anwendete Der ruhende Muskel wird lothrecht aufgehangen, bezüglich seiner Länge gemessen und, nachdem er durch ein angehangenes Gewicht gedehnt worden, zum zweiten Male gemessen. Be- zeichnet man die ursprüngliche Länge mit /, und die durch die Belastung vergrösserte Länge mit Z, so ist L-/!=D, wo D D die Dehnung bedeutet, und —- ist die Dehnbarkeit des ru- henden Muskels, für das in Anwendung gebrachte Gewicht p. Es kommt nun darauf an, auch die natürliche Länge und die Dehnbarkeit des thätigen Muskels zu bestimmen.“ „Weber nimmt an, der unbelastete Muskel stelle im Zu- stande der Thätigkeit seine natürliche Form her. Ist das rich- Müller's Archiv. 1858. 33 5lA - Ed. Weber: tig, so braucht man nur den ruhenden Muskel zu reizen, und die Höhe Ah, bis zu welcher sein unteres Ende erhoben wird, zu messen, dann erhält man durch die Subtraction 7A die gesuchte natürliche Lage des thätigen Muskels, sie heisse 4. Um endlich die Dehnbarkeit des thätigen Muskels zu messen verfuhr Weber in folgender Weise. Er belastet den ruhen- den Muskel wieder mit dem Gewichte p und reizt ihn. Die Hubhöhe 4’ wird gemessen und von der ursprünglichen Länge des belasteten und ruhenden Muskels = _L abgezogen. Man erhält auf diese Weise Z-h'=4, wo A die Länge des be- lasteten aber thätigen Muskels bedeutet. Von diesem Werthe zieht Weber die Länge des unbelasteten thätigen Muskels ‚ ab. und betrachtet den Unterschied 4-4=D' als die Deh- nung, welche der thätige Muskel durch das Gewicht p erlit-: ten hat. Unter diesen Voraussetzungen ist endlich = die Dehnbarkeit des thätigen Muskels.* , Diese Darstellung ist aber, soweit sie eine Relation meines Verfahrens das Maass der Dehnbarkeit des unthätigen und thätigen Muskels zu ermitteln sein soll, theils ungenau, theils unrichtig: denn 1) habe ich niemals die Länge des thätigen Muskels aus der Hubhöhe (wie Volkmann sagt) berechnet, sondern sie stets direct, durch Bestimmuug des oberen und unteren Endpunkts des Muskels an der Skale, gemessen: 2) habe ich niemals Elasticitätsversuche am thätigen Muskel ohne Belastung ausgeführt und kann daher auch nicht die Länge des unbelasteten thätigen Muskels von der Länge des be- lasteten thätigen Muskels abgezogen haben (wie Volkmann sagt): vielmehr habe ich bei allen derartigen Versuchen stets abwechselnd geringere und grössere Belastungsgewichte ge- braucht, und im Gegentheil (siehe meine Abhandl. S. 70) aus- drücklich vor solchen Elastieitätsversuchen ohne alle Be- lastung, als einer Quelle von Irrthümern, gewarnt. 3) Was endlich die Berechnung des Maasses der Ausdehnbarkeit des unthätigen, wie des thätigen Muskels betrifft, habe ich mit ganz bestimmten Worten in meiner Abhandlung Seite 112 gesagt: „Man erhält, wenn man die Länge des (unthätigen oder thätigen) Muskels bei 5 gr. Belastung von der, welche Ueber die Elasticität der Muskeln. 515 ihm bei 10 gr. Belastung zukommt, abzieht, die Verlängerung, die er unter diesen Verhältnissen durch eine Vermehrung der Belastung um 5 gr. erfuhr. Dividirt man diese Verlängerung durch das Mittel der Länge bei 5 gr. und 10 gr. Be- lastung, so erhält man die Verlängerung in Theilen der Länge des Muskels ausgedrückt, und dividirt man noch- mals durch 5, so erhält man die Verlängerung des Muskels für 1 gr. Belastungszunahme, oder das Maass seiner Aus- dehnbarkeit unter diesen Verhältnissen.“ Volkmann durfte demnach, um das Maass der Ausdehn- barkeit des (unthätigen oder thätigen) Muskels zu erhalten die Verlängerung, welche derselbe durch Vermehrung der Be- lastung um 10 gr. erfuhr (die er als Dehnung D oder D’ be- zeichnet), nicht durch die Länge des unbelasteten Muskels, sondern musste sie vielmehr durch das Mittel seiner Länge bei O0 und 10 gr. Belastung dividiren (da beide Grössen ja voll- kommen gleichberechtigt sind), und. den so erhaltenen Quo- tienten dann nochmals (in diesem Falle) durch 10 dividiren, was er gleichfalls nicht gethan hat. Das so erhaltene rich- tige Maass der Dehnbarkeit des (unthätigen oder thätigen) Muskels gilt endlich nicht, wie Volkmann eine Seite später sagt, für die Spannung des Muskels bei 10 gr. Belastung und zwar ebenso wenig als für die Spannung bei 0 gr. Belastung, sondern da beide gleichmässig in Rechnung gekommen sind, für die mittlere Spannung von beiden, d.h. für die Spannung bei 5 gr. Belastung. Da Volkmann sonach seine Werthe der Dehnbar- keit, das einzige Thatsächliche, waser giebt, falsch _ berechnet hat, die denselben zu Grunde gelegten . Versuche aber nicht vorliegen, um aus ihnen die wahren Werthe, die er durch eine richtige Berech- nung erhalten haben würde, zu berechnen; so kann auch nachträglich keine Vergleichung der Resultate seiner und meiner Versuche ausgeführt werden.) 1) Hiergegegen erwidert Volkmann in seiner Gegenschrift, Mül- lers Archiv 1852 pag. 262. „Es ist einleuchtend, dassso ganz 33* 516 Ed. Weber: Es bleibt demnach in seinem ganzen Aufsatze nichts weiter Thatsächliches zu erörtern übrig, sondern nur die allgemeine Behauptung, dass der Dehnungscoefficient des thä- tigen Muskels sehr viel kleiner ausfalle, wenn bei verschiedene Berechnungen nicht zu vergleichbaren Wer- then führen können. Aber eben, weil die gefundenen Werthe einen Vergleich gar nicht zulassen, ist die Nebeneinandersteilung derselben, welche Weber gegeben, nicht blos ganz zwecklos, sondern für solche Leser, die dem Gegenstande nur mit Schwierigkeit folgen, in hohem Grade verwirrend.“ Es scheint hiernach Volkmann ganz vergessen zu haben, dass er in seinem ersten Aufsatze mit den oben angeführten klaren Worten gerade das Entgegengesetzte behauptet hat, dass er nämlich diese seine Dehnungswerthe thätiger Muskeln eben so berechnet habe, wie ich die Meirigen. Da ich mit der obigen Auseinandersetzung nichts an- deres, als die völlige Unvergleichbarkeit seiner und meiner Resultate gegen Volkmann’s Behauptungen habe nachweisen wollen, so nehme ich sein hier gemachtes Zugeständniss an, weise aber seine Vor- würfe als unbegründet gänzlich zurück. Der Unterschied zwischen meiner und Volkmann’s Berechnung liegt wesentlich darin, dass meine Werthe des Dehnungscoefücienten der Muskeln, zumal wenn man noch den Querschnitt des gebrauchten Muskels in Rechnung bringt, wozu ich die Methode und Mittel und sogar ein Beispiel gegeben habe, sich mit allen anderen richtig berech- neten Werthen desselben, auch wenn sie auf ganz verschiedenartigen Wegen gefunden worden sind, vergleichen lassen: dass dagegen die Volkmannschen Zahlen keine Vergleichung mit anderen gefundenen Wertlien des Dehnungscoefficienten und deshalb auch nicht mit den meinigen, sondern, wie er selbst auseinandersetzt, nur eine Verglei- chung unter einander gestatten und auch das nur in sofern sie ein und derselben und nicht verschiedenen Versuchsreihen angehören. Solche Zahlen aber, welche mit den klar entwickelten Resultaten einer Un- tersuchung, die sie widerlegen sollen, gänzlich unvergleichbar sind, zu denen die Messungen, aus denen sie berechnet sind, und andere An- gaben darüber, wie man zu denselben gekommen sei, fehlen und zu deren Beurtheilung und Prüfung daher, wie in Volkmann’s erster Schrift, nicht der geringste Anhalt gegeben ist, sind eben so, wie die darauf gegründeten Behauptungen, bis auf weiteres völlig bedeutungslos. Seite 257 sagt Volkmann: „Mag mein verehrter Kritiker mir ver- zeihen, wenn ich in seiner Zurechtweisung etwas Komisches finde. Er sagt mir: Du darfst nicht so, sondern musst so rechnen, dann findest du nicht das, was du gesucht, sondern etwas ganz anderes! — Indes- Ueber die Elastieität der Muskeln, 517 den Versuchen die Belastungsgewichte nicht vor der Contraction, sondern nach vollendeter Contrae- tion aufgelegt würden, welche Behauptung er daraus ab- leitet, dass die von ihm berechneten Dehnnngscoefficienten um so kleiner ausgefallen seien, je weniger er das Belastungs- gewicht successiv in seinen a, b, c, d Versuchen von dem Muskel habe heben lassen. Ich werde dagegen durch Versuche nachweisen, dass jener Unterschied beim unermüdeten Muskel gar nicht vorhanden oder sehr gering sei und ohne wesentlichen Nachtheil ver- nachlässigt werden könne, und dass nur der Fort- schritt der Ermüdung bei längeren Versuchsreihen dadurch etwas verlangsamt werde. Folgende Versuche, welche ich zur Prüfung dieser Volk- sen habe ich eben das finden wollen, was ich suchte, nicht aber das, was Weber mir octroyiren und zu suchen mich lehren will.“ — Es scheint demnach, dass Volkmann abermals gänzlich verges- sen hat, dass er, um von seinen Versuchen Rückschlüsse auf meine Versuche, deren Resultate selbst er gar nicht in Betracht gezogen hatte, machen zu dürfen, von vorn herein mit den oben angeführten Worten versichert habe, seine «Versuche, wie ich die meinigen aus- seführt und berechnet zu haben, und dass er dem zu Folge Inconvenienzen, die er in den Resultaten seiner a Versuche gefunden, obne Weiteres auf Rechnung meiner Versuchsmethode gestellt habe: denn sonst würde er nicht so verwundert sein, dass ich nach den von ihm gemachten Prämissen und Folgerungen natürlich erwartet habe seine Versuche nun wirklich, wie die meinigen, ausgeführt und berech- net zu finden. — Es hat sich aber durch meine Untersuchungen und die späteren Mittheilungen Volkmann’s ergeben, dass seine @Ver- suche weder, wie die meinigen, berechnet noch ausgeführt sind, und dass namentlich die Inconvenienzen derselben, die er auf Rechnung meiner Versuchsmethode gestellt hat, von seinem fehlerhaften Verfahren beim Experimentiren‘herrühren, so dass ich mich daher genöthigt ge- funden habe, jede Anwendung von seinen a Versuchen auf meine Ver- suche gänzlich abzulehnen. Hätte Volkmann die Resultate meiner eignen Versuche irgend berücksichtigt und mit den seinigen verglichen, wie er mit sehr geringer Mühe konnte und wie es seine Pflicht war, wenn er meine Versuche angreifen wollte; so würde er sehr bald die Verschiedenheit beider erkannt und diese nothgedrungene „Zurechtwei- sung“ sich erspart haben. 518 | Ed. Weber: mann'schen Behauptungen angestellt habe, werden zur Recht-. fertigung des Gesagten dienen. Der zu denselben gebrauchte. Apparat war mit kleinen Abänderungen, die ich angeben werde, derselbe, den ich in meiner Abhandlung über Muskelbewegung beschrieben und abgebildet habe. Zum leichtern Verständ- niss des folgenden werde ich daher die dort gegebene Figur hier wieder abdrucken lassen, verweise aber hinsichtlich der ausführlicheren Beschreibung des Apparates und seines Ge- brauches auf jene Abhandlung. Der Muse. hyoglossus wurde, wie die Figur zeigt, an sei- nem oberen Ende mittels der glottis am Haken a des Stativs aufgehangen, während an die am unteren Ende des Muskels befindliche Zunge ein kleines Gewichtschälchen mittelst eines Sförmigen Hakens befestigt war, der in die Mitte des dick- sten Theiles der Zungenwurzel eingehakt wurde. Statt des er = II FI EEE TE BT er === See mm neg N u ee SUTNATTRT gr en TESTER msn M) Ueber die Elasticität der Muskeln. 519 Drathes d aber, der in unserer Figur vom Haken b ausgeht und sobald sich der Muskel zusammenziehen soll in das Queck- silbernäpfchen e durch Annäherung des letzteren getaucht wurde, hing gegenwärtig vom Boden des metallnen Gewichts- schälchens ein feiner Platindrath senkrecht herab und tauchte in ein bleibend darunterstehendes hohes cylindrisches Queck- silbergefäss, in welchem er bei der Bewegung des Muskels frei auf- und absteigen konnte, ohne das Quecksilber zu ver- lassen. Zur Erzeugung der Contraction diente ein galvani- scher Inductionsapparat, dessen einer Leitungsdrath bleibend am Haken a befestigt war, und dessen anderer Leitungsdrath, wenn der Muskel sich contrahiren sollte, in das Quecksilber- gefäss unter der Gewichtsschaale eingetaucht wurde. Um die Länge des Muskels zu messen diente, wie die Figur es zeigt, ein dicht neben dem Muskel senkrecht aufgehangener Milli- meterstab g und ein langer Ooconfaden hi, welcher, am Ende des Muskels über der Zunge befestigt und nach beiden Seiten hin horizontal und geradlinig ausgespannt, vor der Skale (wo er geschwärzt sein muss) vorbeilief, so dass er an derselben den jedesmaligen Stand des unteren Muskelendes und alle seine Bewegungen zeigte, welche mittelst eines Fernrohrs aus einiger Entfernung beobachtet und gemessen werden konnten. Nach Vollendung jeder Versuchsreihe wurde der Coconfaden am unteren beweglichen Ende des Muskels gelöst und, während der Muskel durch ein Gewicht gespannt blieb, an dessen oberem unveränderlichen Ende befestigt und so auch der Stand dieses letzteren an der Skale ein für allemal be- stimmt. Bei Ausführung der ersten Versuchsreihe wurden ein A gr. und ein 10 gr. Gewicht abwechselnd auf das Gewichtsschäl- chen gelegt, was mit dem Gewicht des Schälchens und der am Muskel hängenden Froschzunge (=3 gr.) S gr. und 13 gr. als die wirklich in Anwendung gebrachten Belastungsgewichte giebt, wie sie auch in der nachstehenden Versuchstabelle auf- geführt sind. Bei jedem mit der einen oder anderen Be- lastung ausgeführten Versuche wurde die Länge des Muskels erst während seiner Ruhe, dann, während er in Thätigkeit 520 | Ed. Weber: gesetzt war, gemessen. Die Messung des thätigen Muskels bei der kleineren Belastung von 8 Gramm. wurde stets so ausgeführt, dass das 5 gr. Stück zuerst auf die Gewichts- schale gelegt und dann der Muskel in Contraction versetzt wurde und wenn dieser das Gewicht gehoben und äquilibrirt . hatte, die Ablesung gemacht wurde: die Messung des thätigen Muskels bei der grösseren Belastung von 13 Gramm. da- gegen wurde abwechselnd, das eine Mal auf dieselbe Weise, das andere Mal dagegen so ausgeführt, dass umgekehrt der Muskel erst in Contraction versetzt und dann das 10 gr. Ge- wicht auf die Gewichtsschale gelegt, und, wenn sich beide ins Gleichgewicht gesetzt hatten, die Ablesung gemacht wurde. Dieser Wechsel der Versuchsmethode bei der Messung des mit dem grösseren Gewichte belasteten thätigen Muskels ist in den nachfolgenden Tabellen, wenn die Belastung des Mus- kels vor der ÜÖontraction geschah durch ein neben der be- treffenden Messung stehendes a, wenn die Belastung nach der Contraction geschah durch ein 5 bezeichnet. Demnach enthält in der nachfolgenden Versuchstabelle A die 1. Columne die Reihenfolge der Versuche, die 2. Columne die in denselben abwechselnd gebrauchten Gewichte, die 3. Columne die Ablesungen des Standes des unteren Endes des Muskels an der Skale während der Ruhe, die 4. Columne die entsprechenden Ablesungen während der Thätigkeit des Muskels, die 5. Columne giebt an, ob die @ oder 5 Methode bei der nebenstehenden Messung des mit dem grösseren Ge- wichte belasteten thätigen Muskels gebraucht wurde. Endlich bezeichnet die unter der Tabelle stehende Ablesung der Skale den Stand des oberen Endes des Muskels an der Skale, nachdem der Coconfaden vom unteren Ende des Muskels gelöst und an das obere befestigt worden war, welcher, wie gesagt, wegen seiner Unveränderlichkeit nur ein für allem@l bestimmt zu werden braucht. Da nun die Differenz des Standes des oberen und unteren Endpunkts des Muskels an der Millimeterskale die Länge Ueber die Elastieität der Muskeln. 521 des Muskels in Millimetern giebt, so braucht man nur die unter der Tabelle stehende Ablesung von den sämmtlichen Ablesungen der 3. und 4. Columne der Tabelle abzuziehen, um die Längen zu erhalten, welche der Muskel successiv in den 11 Versuchen der Reihe während seiner Ruhe und während er in Thätigkeit gesetzt war, angenommen hatte. Die so berechneten Längen des Muskels sind in der Tabelle B entsprechend zusammengestellt worden. Versuchsreibe 1.') Tabelle A. | Tabelle 2. Ablesungen | | Länge =; an der Skale © = des Muskels © E 2 de a &n = 2 ED = = = an © 2 = ED ® al = Se a| = ge Nr 3 = Nr. S = zul : | gr. mm mm gr. mm mm 1: 8| 763,2 742,0 1. 8] 43,2 22,0 a a rl 9 ZI30. 1, Bj, 2.4.43 44,5 23,0 b 3. ER A | 742,1 3% 8: 43,1 | aeg 765 I 730 la la) 3] a5 30 Ta 5. 8| 763,3 742,5 5 84 43,3 22:5 Baer 6 0 43,9 22,7 b De 3411:063,0:1|7743,0 7. 8:65 48:06415,123,0 8 | 13.1 .764,0 7350|“, 8| 43 44,0 25,0 a 9, 8I 762,9 | 744,0 9, 8ij 42,9 21,0 10: ala 763,9 7450 | 5 110.| 13| 433 25,0 b IE 8 1.102811..749,2 u: 8 42,8 23,2 | gr. mm 13 | 720,0 Stand des oberen Endpunktes des Muskels. Aus dieser Versuchsreihe ergiebt sich, wie man unmittel- bar erkennt, kein Unterschied des Erfolges, jenachdem die Belastung vor oder nach der Contraction aufgelegt worden 1) Die Beobachtungen an der Skale sind, da ich selbst mit der Ausführung der Versuche beschäftigt war, in dieser Versuchsreihe von Herrn Prof. Hankel gütigst übernommen worden, in den folgenden Versuchsreihen von D. Theodor Weber. 522 | Ed. Weber: war; da die Messungen des thätigen Muskels bei « und bei 5 sich vollkommen entsprechen mit Ausnahme der im 6. Ver- suche (17,7 Millim. 5), welche aber offenbar durch einen Ver- suchsfehler zu klein ausgefallen ist, da sie nicht nur kleiner, als: das Mittel der nächst höheren und tieferen 5 Messung - 19 Millim.), sondern sogar .auch noch beträchtlich kleiner, als die höhere Messung allein (= 18 Millim.) ist, ungeachtet dieselbe um 4 Ermüdungsstufen höher steht. Man kann dem- nach, um die Ausdehnungscoefficienten zu berechnen, den sechsten Versuch als fehlerhaft streichen, da die übrigen Messungen für sich schon vergleichbare Mittelwerthe geben. Nimmt man demnach zu dem letzteren Zwecke das Mittel der 4. und 8. a Messung des thätigen Muskels bei 13 gr. Belastung, das Mittel der 2. und 10. 5 Messung des thätigen Muskels bei 13 gr. Belastung und das Mittel der 3., 5., 7. und 9. Messung des thätigen Muskels bei 8 gr. Belastung und ferner das Mittel der 2., 4., 8. und 10. Messung des un- thätigen Muskels bei 13 gr. Belastung und das Mittel der 3., 9., . und 9. Messung des unthätigen Muskels bei 8 gr. Belastung, so erhält man folgende mittlere Längen des thä- tigen und unthätigen Muskels bei 8 gr. und 13 gr. Belastung, welche ein und derselben Ermüdungsstufe entsprechen. _ Längen des Muskels der 1. Versuchsreihe auf ein und dieselbe Ermüdungsstufe reducirt unthätig thätig bei einer Belastung | j bei einer Belastung v. 8 gramm Iv. 13 gramm | v.8 gramm | v. 13 gramm a b 24,0 mill. | 24,0 mill. 43,1 mill. | 44,2 mill. | 22,9 mill. Die Länge des thätigen Muskels bei 13 gr. Belastung ist dem- nach sub a und sub 5 ganz gleich ausgefallen. Dividirt man nun die Differenz der jedesmaligen Länge des Muskels bei 3 gr. und bei 13 gr. Belastung durch das Mittel derselben Längen und dividirt den so erhaltenen Quo- tienten nochmals durch 5 (siehe Seite 515), so erhält man Ueber die Elastieität der Muskeln. 523 das Maass der Ausdehnbarkeit des Husc. hyoglossus während der Thätigkeit sub a und sub 5 identisch = 0,00504 = 0,0094 während der Unthätigkeit Eine 2. Versuchsreihe habe ich mit der Abänderung an- gestellt, dass in den Versuchen sub b das Belastungsgewicht nicht nach Vollendung der Oontraction des Muskels aufgelegt, sondern von dem Muskel selbst, unmittelbar ehe er seine höchste Verkürzung erreichte, aufgehoben wurde. Am Sta- tive, an dem der Muskel hing, war nämlich ein gabelförmiger Träger verschiebbar befestigt, auf dem ein parallelepipedisches 10 gr. Gewicht lag. Dieser Träger wurde nun so gestellt, dass die am Muskel hängende Gewichtsschaale bei der Con- traction des Muskels, kurz ehe er seine höchste Verkürzung erreichte, durch die Gabel hindurchsteigen und das Gewicht von ihr abheben musste. Dieses Verfahren, welches ohn- gefähr mit Volkmann’s 4. oder d Methode übereinstimmt, hat im Vergleich zu dem vorhergehenden mit d bezeichneten Ver- fahren den wichtigen Vorzug, dass, da der Muskel das Ge- wicht noch ein wenig zu heben hat, zwischen der Zeit, wo er sich durch Ermüdung wieder verlängert, stets ein Zeitraum des Gleichgewichts eintritt, der zur Messung benutzt werden kann, während bei dem vorhergehenden Verfahren, wenn der Muskel nicht sehr kräftig und unermüdet ist, kein solcher Ruhepunkt eintrat, sondern die durch Ermüdung herbeige- führte Verlängerung sich ununterbrochen an die durch die Belastung erzeugte anschloss, wodurch dann sehr oft die ganze Versuchsreihe nicht lange fortgesetzt werden konnte. Im Uebrigen ist die nachfolgende Versuchsreihe ganz’ ebenso wie ‚die vorhergehende angeordnet, nur wurden statt dort 5 gr. und. 10 gr. hier 5 gr. und 15 gr. abwechselnd auf die Ge- wichtsschaale gelegt, was mit dem zuzuaddirenden Gewichte der Gewichtsschaale und der Froschzunge (= 2 gr.) 7 gr. und 17 gr. als die wirklich gebrauchten Belastungsgewichte giebt. Da die Bereehnung der Längen des Muskels ‚aus den: ur- sprünglichen Ablesungen dieselbe ist, wie in der 1. Versuchs- 594 Ed. Weber: reihe, so sind die letzteren jetzt als überflüssig ganz weg- gelassen und nur die Tabelle der Längen mitgetheilt worden. Versuchsreihe 2. } Länge des Muskels | {eb} S Ze Se &D a» 3 = > e a = = = ® fa} = ra =) = B= Nr. gr. mm | mm 1 7 40,6 9,0 2 17 42,8 189° | 0 3 7 40,8 9,8 4 17 12,8 13,0 b 5 7 40,4 10,4 6 17 42,8 149. | a 7 7 40,8 11,0 8 17 ae |. 15.6: 28 9 7 ae 115 10 17 12,2 18,9 a 11 7 39,7 13,0 12 17 42,2 20,0 b 13 7 39,6 16,0 14 12 12,3 27,2 a 15 ae 121,3 16 17 DR 30,5 b 17. 7 39,7 26,3 13 1%, 42,3 3450 a 19 2 10,6 | a6, 20 90 34,6 2 | Az Diese 2. Reihe unterscheidet sich von der vorhergehenden dadurch, dass der hier gebrauchte Muskel seiner Natur nach einer rascheren Ermüdung unterworfen war, als in der ersteren, weshalb wir ihre Messungen zuvor, ehe sie weiter erörtert werden können, auf gleiche Ermüdungsstufen redu- ciren müssen, was bewirkt wird, wenn man die 4. Messung mit dem Mittel der 3. und 5. Messung und dem der 2. und Ueber die Elasticität der Muskeln. 525 6. Messung u. s. w. zusammenstellt, wie es die nachfolgende Tabelle ausweist. Längen des Muskels der Versuchsreihe 2. auf gleiche Ermüdungsstufen redueirt 14.:| 39,4. | 423 16. | 39,45 | 42,2 18.| 10,15 | 223 14. | 18,65 | 27% | 2,2 16. | 2338... 32,35 |. 30,5 18.) 38,95 | unthätig he thätig bei Belastung von ie bei Belastung von Nr. | Tor | 17 gr Miet 7 gr. 17 gr. | a b mm mm l mm mm mm 4.| 40,6 42,8 4:7) 10,1 13,9 13,0 6. | 40,6 42,8 6 10,7 14,9 14,3 8.| 40,45 42,8 8. ul 16,9 15,6 1027 89,9 42,2 10.1 12,19 18,9 17,8 12. | 39,65 42,2 ” 12.217714,9 23,09 20,0 | 37,5- | 34,85 Man ersieht nun aus der vorausgehenden Tabelle, dass sich in der zweiten Versuchsreihe im Gegensatz zur ersten Diffe- renzen, zwischen den entsprechenden Messungen sub a und sub 5b herausgestellt haben, welche in den zwei obersten Gliedern, die der vierten und sechsten Ermüdungsstufe ent- sprechen, nur sehr klein sind, abwärts aber in den tieferen Gliedern mit der zunehmenden Ermüdung wachsen. Durch dieses Ergebniss bestätigt sich aber der von mir ausge- sprochene Satz, dass die Ermüdung nicht blos von der Dauer des thätigen Zustandes, sondern auch von der Grösse der Anstrengung des Muskels während desselben abhänge (siehe Seite 169) und dass deshalb Messungen, in welchen dem Muskel, wie bei wechselweiser Anwendung der a und 5b Me-. thode bald grössere bald geringere Anstrengung zugemuthet wird, bei zunehmender Ermüdung etwas von einander diferiren müssen. In den Messungen der ersten Versuchs- reihe hatte man solche Differenzen der Messungen sub a und sub 5 nicht wahrnehmen können, weil einerseits zu denselben der Muskel eines sehr lebenskräftigen Frosches gedient hatte, so dass der verschiedene Ermüdungseinfluss der a und 5 Me- 526 | Ed. Weber: thode bis zum 10. Versuche keinen Einfluss äusserte, und weil andererseits die Reihe über diese Grenze hinaus wegen Unsicherheit der Messung aus den 8. 523 angeführten Grün- den nicht fortgesetzt werden konnte. In der letzten oder zweiten Versuchsreihe dagegen haben nicht nur die Messungen länger fortgesetzt werden können, sondern auch die Wir- kungen der Ermüdungseinflüsse sind, weil der Muskel eines lange gefangen gehaltenen Thieres gebraucht worden war, viel zeitiger eingetreten. Aber auch in dieser Versuchsreihe sind die Differenzen, wie man wohl aus ihrer Geringfügigkeit noch auf der 4. und 6. Ermüdungsstufe schliessen darf, zu Anfang derselben ganz unmerklich gewesen. Es stellt sich demnach die zwischen den Messungen der a und 5 Methode wahrgenommene Differenz nur als eine Wirkung der bereits eingetretenen Ermüdung des Muskels heraus, die daher bei einem lebenskräftigen Muskel zu Anfange der Messungen nicht vorkommt. Volkmann hat aber jenen Satz falsch ge- braucht, wenn er die über alle Maassen grossen Differenzen, welche er am noch unermüdeten Muskel in seinen Versuchen erhalten hat, aus demselben herleitet und zu diesem Zwecke nicht nur dem bei Anwendung seiner verschiedenen Metho- den wegen der ungleichen Anstrengung des Muskels stattfin- _ denden ungleichen Ermüdungseinflusse eine übertriebene Wir- kung, sondern auch der aus dieser Quelle stammenden Er- müdung besondere ganz wunderbare Eigenschaften zuschreibt, indem er dieselbe (Seite 10) als „eine schnell fortschreitende „und sehr beträchtliche Ermüdung, die in dem nächst folgen- „den Versuche nur darum nicht merklich ist, weil die zwischen „Je 2 Contractionen stattfindende Ruhe eine eben so voll- „ständige als merkwürdig rasche Wiederherstellung der ver- „brauchten Kräfte vermittelt,“ bezeichnet. Hieran knüpft er noch. den Vorwurf gegen mich, diese von ihm hypothetisch angenommenen Ermüdungseinflüsse in meinen Messungen nicht eliminirt zu haben, indem er fortfährt: „Weber eliminirte die „kleinen Ermüdungseinflüsse , welche von einem Versuche „auf den nächstfolgenden übergehen, und liess die grossen „Einflüsse unberücksichtigt, welche innerhalb einer und der- Ueber die Elasticität der Muskeln. 527 „selben Contractionsperiode sich geltend machen. Es sind „nämlich bei Weber nicht eliminirt die Ermüdungseinflüsse, „welche von dem Heben verschiedener Gewichte als solcher „abhängen.* — Ich brauchte wohl eigentlich nicht hinzuzu- fügen, dass man überhaupt die Ermüdungseinflüsse nicht eli- miniren könne, sondern nur die Ungleichheiten der Messungen, welche durch deren successive Anstellung und die deshalb ungleichmässig einwirkende Ermüdung entstehen, dadurch auszugleichen suche, dass man eine Messung nicht direct mit einer anderen in der Reihenfolge höher oder tiefer stehenden Messung, sondern vielmehr mit dem Mittel aus einer höheren und einer gleichviel tieferen Messung vergleicht. Auch würde ein solcher durch Nachlässigkeit entstandener unrichtiger Gebrauch eines Wortes an sich ganz unverfänglich sein: allein Volkmann ist durch die Verwechselung dieser Be- griffe verleitet worden von mir die Eliminirung jener hypo- thetischen Ermüdungseinflüsse zu fordern, ungeachtet an den- ‚selben, wenn sie wirklich vorhanden wären, gar nichts aus- zugleichen sein würde, da sie ja seiner eignen Hypothese zu Folge von einem Versuche zum anderen vollständig ver- schwinden sollen und demnach in jedem Versuche in gleicher Weise von neuem entstehen würden. Berechnet man nun aus der letzten Versuchsreihe die Dehnungscoefficienten des ruhenden Muskels und die des thätigen. Muskels für ver- schiedene Ermüdungsstufen sowohl aus den a Versuchen als aus den 5 Versuchen, indem man die Differenz der jedes- maligen Länge des Muskels bei 7 gr. und bei 17 gr. Be- lastung durch das Mittel aus diesen beiden Längen dividirt und den so erhaltenen Quotienten nochmals durch 10 dividirt; so erhält man folgende Maasse der Dehnbarkeit des Husc. hyoglossus bei einer 12 gr. Belastung entsprechenden Spannung 598 Ed. Weber: für die Ermü-| während der \ während der Thätigkeit , dungsstufe Unthätigkeit sub @ | sub. b Nr. 4. 0,0053 0,0317 0,0251 aß, 0,0053 0,0328 0,0288 sadlg, 0,0056 0,0401 0,0324 TE NE 0,0056 0,0427 0,0369 SER ER 0,0062 0,0455 0,0319 ah 0,0071. 0,0373 0,0301 "16. 0,0067 0,0304 0,0247 EB. 00053 0,0257 0,0185 Aus der ersten Versuchsreihe berechnet (s. S. 523) betrug das Maass der Ausdehnbarkeit des Husc. hyoglossus bei einer 10 gr. Belastung entsprechenden Spannung während der während der Thätigkeit Unthätigkeit sub « und sub 5 identisch 0,00504 0,0094 und nach der früheren in meiner Untersuchung über Muskelbe- wegung gegebenen Berechnung (siehe a.a. O.S. 114) betrug das Maass der Dehnbarkeit des musc. hyoglossus bei der 12,5 gr. Belast. entsprechenden Spannung für die Er-| während während |/für die Er-| während während müdungs- der der müdungs- der der stufen | Unthätigkeit 'Thätigkeit| stufen | Unthätigkeit |Thätigkeit Nr. 4. 0,00304 0,0082 || Nr. 28. 0,00378 0,0301 ED: 0,00412 0,0182 n 8». 0,00333 0,0362 ne 0,00361 0,0229 BEN 3. 0,00376 0,0281 a 0,00381 0,0365 m da: 0,00396 0,0239 „23. 0,00424 0,0455 | » 48, 0,00352 0,0221 Vergleicht man nun die ersteren aus den beiden obigen Ver- ‚suchsreihen erhaltenen Wertbe der Dehnbarkeit des Muskels mit den letzten aus meiner Abhandl. hier wieder abgedruckten, so ergiebt sich, dass beide so vollkommen mit einander über- einstimmen, als man bei der verschiedenen Natur und dem ungleichen Querschnitte der gebrauchten Muskeln nur erwarten Ueber die Elasticität der Muskeln, 529 . darf: 1) hinsichtlich der Grösse der Ausdehnbarkeit des thä- tigen Muskels; 2) hinsichtlich des Verhältnisses der Aus- dehnbarkeit des thätigen Muskels, zur Ausdehnbarkeit des unthätigen Muskels, welche schr viel geringer ist; 3) hin sichtlich der Variationen, welche die Ausdehnbarkeit des thä- tigen Muskels durch die Ermüdung erleidet. Man bemerkt nämlich, dass diese Variationen denselben gesetzlichen Gang darbieten, den ich damals beschrieben habe, dass nämlich die Ausdehnbarkeit des Muskels anfangs durch die Ermüdung zunimmt, bei weiterem Wachsthume der Ermüdung aber ein Maximum erreicht, und dann bei noch weiterer Fortsetzung der Versuchsreihe wieder abnimmt. Was nun die abwechselnd in Anwendung gebrachten a und 5b Methoden betrifft (wonach die Belastung das eine Mal vor, das andere Mal nach der Contraction des Muskels aufgelegt wurde) so haben dieselben in der ersten Versuchsreihe, zu welcher ein sehr lebens- kräftiger Muskel gedient hatte, bei den ersten 10 Versuchen, auf die sie beschränkt werden musste, gar keinen Einfluss geäussert: in der zweiten Versuchsreihe aber, in welcher ein minder kräftiger Muskel gebraucht und dem zu Folge ein solcher Einfluss wahrgenommen worden ist, beträgt die Diffe- renz der aus den a Messungen und der aus den 5 Messungen berechneten Werthe der Dehnbarkeit des Muskels eine geringe in allen Gliedern sich nahe gleichbleibende Grösse, so dass beiderlei Messungen zwei vollkommen parallele Reihen dar- stellen, in welchen sich alle schon früher beschriebenen Va- riationen des Ausdehnbarkeit des Muskels vollkommen ent- sprechend herausstellen. Es folgt daraus, da es sich hier nur um relative Bestimmungen handelt, dass jede der beiden Methoden für sich zu einem richtigen Re* sultate führe, dass aber die durch die eine und die andere Methode gewonnenen Messungen, als un- gleichartig, nieht mit einander combinirt werden dürfen. Demnach kann man sich auch nicht wundern, wenn Volkmann, der dies gethan bat, zu dem Resultate gelangt, dass die Versuche, die er unter einander verglichen hat, un- vergleichbar seien: sondern es ist nur wunderbar, dass er Müller’s Archiv. 1858, ' 34 530 Ed. Weber: ES dieses von seinen Versuchen (die er ausschliesslich unter sich verglichen hat, siehe Seite 333) entnommene Urtheil auf meine Versuche überträgt, die er gar nicht in Betracht ge- zogen hat. Vergleicht man dagegen die aus beiden Versuchsreihen gewonnenen Werthe der Dehnbarkeit des Zungenmuskels mit den von Volkmann gefundenen Werthen der Dehnbarkeit des Zungenmuskels mit den von Volkmann gefundenen Werthen der Dehnbarkeit desselben Muskels, Volkmann’s Werthe der Dehnbarkeit des Musc. hyoglossus bei 10 gr. Belastung für den ruhenden Muskel 0,228 0,382 0,208 für den thätigen «a Muskel 0,618 0,872 0,673 für den thätigen 5 Muskel 0,273 0,527 für den thätigen e Muskel — 0390 — für den thätigen d Muskel — —_ 0,107 so sieht man, dass, ungeachtet in beiderlei Ver- suchen entsprechend die Belastungsgewichte ab- wechselnd vor und nach der Contraction des Mus- kels aufgelegt wurden, dennoch die Volkmann- schen Wertihe von den meinigen so durchaus ver- schieden sind, dass der Grund nicht bloss in dem schon erwähnten bei der Berechnung der Beob- achtungen begangenen Rechnungsfehler liegen könne, sondern dass Volkmann auch in seinem experimentellen Verfahren wesentlich von mir ab- gewichen sein müsse, woraus sich zugleich die überaus grossen Differenzen erklären würden, die sich in seinen Messungen bei Anwendung der verschiedenen Methoden ge- zeigt, sich aber bei der Wiederholung meinerseits nicht be- stätigt haben. Um dasselbe genauer kennen zu lernen, bat ich Volkmann brieflich, mir die seinen Berechnungen zu Grunde liegenden Versuchsreihen zu senden und zugleich um specielle Angabe, wie die Länge des zur Messung gebrauchten Muskelstücks bestimmt worden, namentlich, an welche Stelle der untere Endpunkt desselben gesetzt, oder wo der Zeiger Ueber die Elastieität der Muskeln. 531 (in meinen Versuchen der geschwärzte Coconfaden) befestigt worden ist. Ich erhielt hierauf von ihm die folgende Tabelle mit den beigefügten Bemerkungen mitgetheilt: „Ich hänge den Zungenmuskel des Frosches an einem Häkchen auf, indem ich mich der glottis, die ich an der Zunge sitzen lasse, als Henkel bediene. Am unteren Ende der Zunge ist der Federhalter angebunden, dessen Spitze entweder am Kymographion zeichnet, oder vor einer Skale emporsteigt, so dass die Grösse der Contraction mit dem Fernrohre abgele- sen wird. Angebunden wird der Federhalter in der Gegend der Zungenspitze, wo die Muskeln endigen, was sich natür- lich nicht mit Genauigkeit bestimmen lässt, in der Regel ganz nahe über der Stelle, wo sich die Zunge in zwei Spitzen theilt. Als Länge der Zunge nehme ich die Entfernung zwi- schen dem Ansatze des Zungenmuskels am Zungenbeine und der Ligatur, welche den Federhalter an die Zunge befestigt.“ „Eine Versuchsreihe, in welcher abwechselnd die Beob- achtungen nach Ihrer Methode (a) und nach der meinigen (5 nämlich mit derartiger Stützung des Gewichtes, dass eine Verlängerung des ruhenden Muskels nicht eintreten konnte) angestellt wurden, ergab Folgendes: !) Beobach- Last ruhend thätig Hubhöhe Methode tun EN 0Gr. 55,0Mill. . 39,4 Mill. 15,6 Mil. — 2. 10, 9307, 49,2 „ an 5 b 3. 10% 789, G3.0 *> 30m. a 4, gr rar. 92,99 „ 6,29. . b 5: lage Mask eo Ale 4,4 „ a. 6. 10°, 59,85 „ 23.99, Do - b #. 10°, Bao. 68,0 „ 4,1 „ a ch Bu 605 , 54,5 „ 6.0, b IE ISLU. 73.0", BUT RN gg 10. ing BETT 4 56,05 „ DE BR“ ti: 09 ae 444 „ 10:99, — re Sr 1) Es ist dies dieselbe Versuchsreihe, welche Volkmann später j% '34* Ha Ed. Weber: Es fällt in dieser Tafel zunächst auf, dass nicht nur die Längen des thätigen Muskels, in der 4. Columne dem beige- setzten a oder b entsprechend beträchtlich differiren, sondern dass dies in gleichem Maasse auch von den Längen des ru- henden Muskels in der 3. Columne gilt, ungeachtet jene Me- thoden auf diese letzteren Messungen prineipiell keinen Ein- fluss ausüben können. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber, dass die jedesmal b gegenüberstehenden Längen des ruhenden Muskels, ungeachtet der beigesetzten Belastung von 10 gr., genau Uebergangsgrössen der Anfangs- und Schluss- messung bei O gr. Belastung sind. Es scheint demnach, dass Volkmann jene Stützung des Gewichtes nicht nur bei den Messungen des thätigen, sondern auch des rubenden Muskels für nöthig erachtet hat, wobei es dann freilich auch gleich- giltig ist, ob O gr. oder 10 gr. aufgelegt werden. Keinenfalls dürften dann aber die Längen des ruhenden Muskels, welche bei 10 gr. Belastung bald mit bald ohne Stützung gewonnen wurden, als gleichartige Grössen betrachtet und zur Rech- nung benutzt werden, was Volkmann bei Berechnung der gleich danebenstebenden Hubhöhen gethan hat. Es ergiebt sich aber ferner aus seinen diese Ver- suchsreihe begleitenden Bemerkungen hinreichen- der Grund zur Erklärung so abweichender Resul-. tate, in dem von Volkmann angewandten experi- mentellen Verfahren: denn während ich den als Zeiger dienenden Coconfaden am Ende des aus parallelen Fasern - bestehenden Theils des Ayoglossus, also über der Zungenwur- zel befestigt und dies sogar in der oben wieder abgedruckten Figur abgebildet habe, bindet dagegen Volkmann den „Fe- derhalter, der am Kymographion zeichnet oder vor der Skale emporsteigt, an der Spitze der Zunge ganz nahe über der Stelle, wo sie sich in zwei Spitzen theilt, an.“ Dadurch wird aber eines Theils die Zunge, welche ausser den zur Messung dienenden Muskelbündeln viele andere enthält, die sich auch auch dem Aufsatze „Versuche über Muskelreizbarkeit“ bei dessen Wie- derabdrucke in diesem Archiv. Jahrg. 1857 pag. 32. beigefügt hat, Ueber die Elasticität der Muskeln. 533 contrahiren und die Gestalt der Zunge ändern, in das zur Messung dienende Muskelstück mit eingeschlossen und wird daher auf die Messung störende Einflüsse ausüben, die sich gar nicht berechnen lassen: anderen Theils wird zugleich Volkmann genöthigt, den Gewichtsträger, den ich in die dicke Zungenwurzel einhake, an die dünne Zungenspitze zu _ befestigen, die von vielen Bündeln des M. hyoglossus gar nicht erreicht und durch angehängte Gewichte thatsächlich so aus- gedehnt wird, dass wahrscheinlich der Durchgang des galva- nischen Stromes sehr geschwächt und demnach auch der Mus- kel weniger contrahirt wird. Hieraus würde sich wenigstens die Differenz der Resultate von Volkmann’s a, b, c, d Ver- suchen erklären: denn lässt man unter diesen Verhältnissen, wie in Volkmanns 5, ce und d Versuchen den Muskel sich vor Auflegung der Gewichte contrahiren, so können die äusserst kräftig contrahirten Muskelbündel sehr leicht die bemerkte Ausdehnung der Zunge durch das Gewicht verhindern, wäh- rend sie das nicht zu leisten im Stande sind, wenn, wie in ‚seinen aVersuchen, die vorher aufgelegten Gewichte die Zunge bereits ausgedehnt haben und der deshalb nur schwach ein- wirkende Strom keine kräftige Contraction zu erzeugen ver- mag. Jedenfalls schien es mir, um diese Verhältnisse auf- zuklären, das einfachste und sicherste zu sein, dasselbe expe- . ‘ rimentelle Verfahren auch versuchsweise anzuwenden und zu sehen, ob ich damit zu ähnlichen Resultaten, wie Volkmann geführt würde. Ich führte demnach die folgende Versuchs- reihe ganz ebenso, wie die zweite Seite 524 beschriebene Ver- suchsreihe aus, nur mit dem Unterschiede, dass ich nicht, wie dort, den als Zeiger dienenden Coconfaden über der Zunge und den Gewichtsträger in der Zungenwurzel befestigte, son- dern beide, wie Volkmann, „in der Gegend der Zungen- spitze ganz nahe über der Stelle, wo sich die Zunge in 2 Spitzen theilt, anband“ und dass ich auch nicht 5 gr. und 15 gr., sondern, wie Volkmann, O gr. und 10 gr. zur wechselweisen Belastung des Gewichtsträgers anwandte. 534 Ed. Weber: Versuchsreihe 3, Länge des Muskels Er in Mill. & &n ® 3 = ‘= 3 er >= : © Ay ar: 5 E = gr. mm 1. 0) 50,0 8,0 2. 10 66,0 22,2 a 3. 0 45,5 9,0 4. 10 57,9 18,8 b 5. ) 46.7.2.132.11.0 6: 10 64,5 39,9 d 2. 0) 51,2 9,4 8 10 64,8 29,6 b %. 16) 47,0 17,0 10. 10 65,8 44,0 a 14 0 51,2 19,8 12. 10 65,7 44,0 b 13 10) "48,8 25,3 14 10 65,2 | 588,5 ad 15 0 De 987 In der That ergaben die Versuche jetzt, da sie unter densel- ben fehlerhaften Verhältnissen, wie von Volkmann, ange- stellt wurden, auch ganz ähnliche Resultate, wie Volkmann beschreibt: denn, sieht man von den zufälligen V’erschieden- heiten ab, dass der Muskel in der obigen Versuchsreihe einer- seits sich stärker verkürzte, als in der Volkmann’schen (was von der verschiedenen Qualität der gebrauchten Muskeln ab- hängt) und dass er andererseits rascher ermüdete und des- halb in den tieferen Gliedern durch dis Gewichte verhältniss- mässig stärker ausgedehnt wurde, (weil ich zwischen den Ver- suchen bei 10 gr. Belastung stets solche bei 5 gr. Belastung eingeschoben habe, was Volkmann nicht gethan hat), so er- kennt man in dieser Versuchsreihe dieselben grossen Diffe- renzen zwischen den Messungen der aMethode und 5 Methode, welche in Volkmann’s Versuchsreihe gleich in die Augen fallen und auf die er eben seine Behauptungen gegründet hat. Die Aehnlichkeit der gegenwärtigen Versuchsreihe mit der 1) Das Gewicht der Gewichtsschale und der am Muskel hängenden Zunge, welches hier nicht hinzygerechnet worden ist, betrug 2 gr. Ueber die Elasticität der Muskeln. 535 Volkmann’schen in dieser Hinsicht wird sich am besten übersehen lassen, wenn, wie nachfolgend geschehen ist, die entsprechenden Zahlen beider Reihen neben einander gestellt werden. - Länge des thätigen mit 10 gr. belasteten Muskels | W. V. 49,2 65,6 52,95 67,9 53,95 68,0 69,75 56,0 44,4 m RR m 8 IS Sm 22,2 18,8 39,5 29,6 44,0 48,3 nt RR NS Um nun auch die aus beiden Versuchsreihen sich erge- benden Werthe der Ausdehnbarkeit des Muskels berechnen und vergleichen zu können, reducirt man zunächst die Mes- sungen derselben, wie oben, auf gleiche Ermüdungsstufen. Messungen der 3. Versuchsreihe auf gleiche Ermüdungsstufen redueirt für dieEr- | Länge des unthäti- müdungs | gen Muskels bei der stufe Belastung von 0 gr. 10 gr. mm mm No. 4. 46,1 97,9 »..6. 48,95 64,5 2 0- 49,1 64,8 „920: 50,0 65,8 Länge des thätigen Muskels bei der Belastung 0 gr. mm 10,0 10,5 13,2 18,4 von 10 gr. [44 mm 30,85 39,5 41,75 44,0 b mm 18,8 24,2 29,6 36,8 - Diese Reduction lässt sich aber mit Volkmann’s Versuchs- reihe nicht ausführen, weil er die Messungen bei O gr. Be- lastung nicht abwechselnd mit denen bei 10 gr. Belastung an- gestellt. sondern nur eine derselben am Anfange und eine am Ende der Reihe gegeben hat. Man wird daher als günstig- stes Verhältniss zu einer solchen Vergleichung die drei ersten Messungen seiner Reihe unmittelbar benutzen müssen. 536 Ed. Weber: Volkmann’s Messungen der Länge des unthä- tigen Muskels bei der Belastung von der Länge des thätigen Muskels 5 bei der Belastung von No. 0 gr. 10 gr. 0 gr. 10 gr. a b mm mm mm mm mm - 1. 55,0 _ 39,4 — u 2. no — —_ — 49,2 3. — 71,5 _ 65,5 | — Dividirt man nun bei beiderlei Messungen die Differenz der Länge des Muskels bei O gr. und bei 10 gr. Belastung durch das Mittel aus diesen beiden Längen und dividirt dann den so erhaltenen Quotienten nochmals durch 10, so erhält man als Maass der Ausdehnbarkeit des musc. hyoglossus einer Spannung durch 5 gr. Belastung entsprechend für die während der ı während der Ermüdungs- | Unthätigkeit Thätigkeit stufe a No. 4. 0,0227 0,1020 | 0,0611 | aus der 3. Versuchsreihe — 0,0260 0,0498 | 0,0221 | aus Volkmann’s Versuchs- reihe berechnet, Die Ausdehnbarkeit des thätigen Muskels ergiebt sich hiernach in beiden Versuchsreiben aus den a Versuchen nahe noch einmal so gross als aus den 5Versuchen. Da nun die- ser Unterschied des Erfolges, je nachdem die Belastung vor oder während des Versuchs aufgelegt wurde, am noch uner- müdeten Muskel nicht wahrgenommen werden konnte, wenn die im Volkmann’schen Verfahren nachgewiesenen Fehler, wie in der 1. und 2. Versuchsreihe (Seite 521 und 524) ver- mieden wurden: sich aber in gleicher Grösse wie in Volk- mann’s Versuchsreihe herausstellen, sobald man dasselbe Verfahren, wie Volkmann anwendet; so ergiebt sich, dass der Grund dieses ungleichen Erfolges in diesem Verfahren zu suchen sei. Ich glaube demnach bewiesen zu haben, dass die von Volkmann in seinen Versuchen über Muskelreizbarkeit mit- getheilten Resultate, auf welche er die Anklage gegen meine Untersuchungen der Elasticität der Muskeln bauet, ebenso wohl auf experimentellen als auf Rechnungsfehlern beruhen. Ueber die Elastieität der Muskeln. 537 Nach der genauen Erörterung der Thatsachen und Beob- achtungen, die ich soeben gegeben habe, will ich zum Schlusse noch einige kurze Bemerkungen an einzelne Aeusserungen von Volkmann über die Verschiedenheit unserer Ansichten knüpfen. 1) Volkmann sagt am a. OÖ. S. 1: „Bekanntlich leitet Weber die Bewegungserscheinungen der Muskeln zunächst von der Elastieität ab, während er ein- gesteht, dass die Elasticität schliesslich von dem Einflusse des Lebens abhänge.“ Volkmann schreibt den Muskeln ebenfalls Elasticität zu, von der also auch die Bewegungserscheinungen der Muskeln abhängen müssen: er hat aber die Ansicht, dass die letzteren nicht von der Elasticität allein abhängen, sondern dass ausser der Elastieität oder mit ihr zugleich das Leben wirke, und dass folglich die Muskeln von zwei von einander unabhän- gigen Kräften bewegt werden‘, nämlich von der elastischen Kraft und von der Lebenskraft, die, wenn sie auf den- selben Punkt wirken, sich zu einer Kraft zusammensetzen und wie eine Kraft zusammen wirken. Nach meiner Ansicht sind die Bewegungen eines Körpers nicht abhängig von zwei verschiedenen Arten von Kräften, nämlich erstens von Kräften, die auf jenen Körper von an- deren Körpern ausgeübt werden, zweitens von Kräften, die auf jenen Körper vom Leben ausgeübt werden, sondern es giebt nur eine Art von Kräften, von denen die Bewe- gungen jedes Körpers abhängen, nämlich die Kräfte, die von andern Körpern auf ihn ausgeübt werden, Jede Kraft aber, die zwei Körper auf einander ausüben, ist nach irgend einer Regel von den messbaren Verbältnissen beider Körper‘ abhängig. Das Wort Elasticität bezeichnet eine solche Re- gel für die Theile eines festen Körpers, aus welcher die elasti- schen Kräfte, welche diese Theile auf einander ausüben, be- rechnet wnrden. Diese Regel bleibt nun unveränderlich, so- lange die Körper, auf welche sie sich bezieht, unveränder- lich bleiben. Die Körper erleiden nun aber eine Veränderung durchs Leben, die nicht unmittelbar, ihrem Wesen nach, 538 Ed. Weber: oder aus ihren Ursachen, sondern nur mittelbar aus ihren Wirkungen erforscht werden kann, nämlich aus der Aende- rung, welche jene Regel crleidet, z. B. aus der Aenderung, welche die Blasticität erleidet. Dieser Ansicht folgend war es der letzte Zweck meiner Untersuchung, den Einfluss des Lebens auf die Elastieität der Muskeln und durch die Elastieität auf die Bewegungserschei- nungen zu erforschen. Es leuchtet hieraus von selbst ‘ ein, dass Volkmann meine Ansicht nicht verstanden haben kann, wenn er es ein von mir gemachtes Eingeständniss nennt, dass die Elastieität des Muskels von dem Einflusse des Le- bens abhänge. 2) sagt Volkmann Seite 4: „Benutzt man das eben beschriebene Verfahren zur Mes- sung der in Frage kommenden Grössen, so kommt man zu dem paradoxen aber constanten Resultate, dass die Dehnbar- keit des thätigen Muskels grösser und folglich seine elastische Kraft kleiner ist, als die des ruhenden Muskels. Die orga- nischen Kräfte machen sich einer Zweckwidrigkeit schuldig. Der thätige Muskel soll nämlich Gewichte heben, er soll sie durch Vermittelung elastischer Kräfte heben und diese Kräfte werden in dem Momente, wo sie in Anwendung kommen sol- len, d. h. in dem Momente, wo der Muskel aus dem Zustande der Ruhe in den Zustand der Thätigkeit übergeht, vermindert.“ Ich gestehe, dass ich diese von Volkmann zur Bekämpfung meiner Messungsmethode und des damit gefundenen Resul- tats gebrauchte teleologische Betrachtung nicht zu unter- scheiden vermag von den trivialen teleologischen Betrachtun- “ gen, mit welchen so grosser Missbrauch getrieben worden ist, dass teleologische und exacte Naturbetrachtung fast als ein Widerspruch angesehen zu werden pflegt.!) 3) Volkmann sagt endlich zum Schlusse: 1) Hiergegen erwidert Volkmann in seiner neuesten Schrift S. 220: „Ist die Bestimmung des Muskels die, sich zu contrahiren, wie unzweifelhaft, und ist die Blastieität die Kraft, durch welche die Con- traction zu Stande kommt, wie Weber versichert, so wäre es ohne Widerrede etwas Zweckwidriges, wenn die*Elasticität in dem Ueber die Elasticität der Muskeln. 539 „Aus dem Vorstehenden dürfte sich ergeben, dass die Weber’scheu Versuche nicht nur mit den meinigen, sondern auch unter sich selbst unvergleichbar sind. Hieraus würde denn weiter folgen, dass sich jene Versuche zur Ableitung Momente, wo sie die Contraction vermitteln sollte, eine Verminderung erführe.* Hierzu erlaube ich mir folgende Bemerkungen zu machen: 1. dass eine Contraction durch Verminderung der contrabirenden Kräfte zu Stande komme, nenne ich einen Widerspruch; eine teleolo- gische Betrachtung aber, die diesen Widerspruch blos als etwas Zweckwidriges dargestellt, habe ich trivial genannt. 2. Volkmann behauptet, dass ich versichert hätte, die Eiasticität sei die Kraft, durch welche die Contraction zu Stande komme, was aber nirgends der Fall ist. Ich nenne, entsprechend dem in der Physik angenommenen Begriffe, dasjenige, was im lebendigen Muskel liegt und woraus die Kraft ent- springt, durch welche die Contractiou zu Stande kommt (oder durch welche die Theilchen des Muskels, die durch die stattgehabte Aende- rung seiner natürlichen Form aus ihrer natürlichen Lage versetzt er- scheinen, in ihre natürliche Lage zurückgeführt werden), die Elasti- eität der lebendigen Muskeln: ich bin aber gewohnt zwischen der Elas- tieität und den aus derselben entspringenden Kräften zu unterscheiden. Nach meinem Sprachgebrauche übt eine Feder von grosser Elasticität in ihrer natürlichen Lage oder bei sehr kleiner Beugung gar keine oder nur eine sehr geringe Kraft aus; eine Feder von geringer Elasticität kann aber bei sehr grosser Beugung eine ziemlich grosse Kraft ausüben. Die Anwendung auf den Muskel ist leicht zu machen: Während nämlich eine Muskelfaser im Zustande der Ruhe, ungeachtet ihrer grösseren Elasticität, an ihren Endpuncten, weil dieselben wenig oder gar nicht aus ihrer natürlichen Lage entfernt sind, geringe oder gar keine Spannkräfte ausübt, übt dagegen eine gleiche Muskelfaser, welche aber in Thätigkeit gesetzt worden ist und dadurch eine kürzere natürliche Form angenommen- hat, an ihren Endpuncten, die nun beträchtlich aus ihrer natürlichen Lage entfernt erscheinen, ungeachtet ihrer geringeren Elastiei- tät, ziemlich grosse Spannkräfte aus. Volkmann fährt aber fort: „Nun ist es mir nicht eingefallen zu behaupten, dass um dieser Zweckwidrigkeit willen die Weber’sche Hypothese schlechthin un- möglich sei; .... wohl aber scheint mir jene Zweckwidrigkeit zu be- weisen, dass die Weber’sche Hypothese nicht so glatt und so fer- tig ist, dass man sie pure zu acceptiren habe.“ 540 ‚Ed. Weber: allgemeiner Schlüsse über die Dehnbarkeit der Fleischfasern und über den relativen Antheil, welchen die elastischen Kräfte einerseits und die Oontractilität andererseits an den Leistun- gen der Muskeln haben, nicht benutzen lassen.“ Dieser Schlussfolgerung fehlt aber der logische Zusam- menhang: denn man bezeichnet Versuche als unvergleichbar, wenn einflussreiche Verhältnisse auf die einen eingewirkt ha- ben, auf die andern nicht. Da nun die angeblichen Nach- theile, die Volkmann der von mir gebrauchten Methode zu- schreibt, wenn sie richtig wären, nicht diesen und jenen, sondern alle Versuche gleichmässig betroffen haben würden; so könnte durch dieselben, auch wenn sie sich bestätigt hät- ten, die Vergleichbarkeit meiner Versuche gar nicht be- Volkmann spricht immer und immer wieder von einer „Weber- schen Hypothese,“ ungeachtet ich nirgends eine Hypothese gemacht, sondern mich nur auf Feststellung von Thatsachen beschränkt habe. Ich habe nämlich die Elastieität des Muskels im Zustand der Ruhe für_sich und im Zustande der Thätigkeit für sich untersucht und dureh die Vergleichung beider Resultate die Aenderung, die dieselbe beim Wechsel dieser Zustände erfährt, festzustellen gesucht. Nirgends aber ‘habe ich auch nur eine Meinung über die Ursache dieser Aenderung geäussert, geschweige denn eine Theorie aufgestellt. Da nun Volkmann in der oben angeführten Stelle seiner frühe- ren Schrift pag. 4 sagt: „Benutzt man das eben beschriebene Verfah- ren zur Messung der in Frage kommenden Grössen, so kommt man zu dem paradoxen aber constanten Resultate, dass die Dehnbarkeit des thätigen Muskels grösser und folglich seine elastische Kraft kleiner ist, als die des ruhenden Muskels;“ so scheint dieses Resultat des be- nutzten „eben beschriebenen Verfahrens zur Messung“, die in der eben angeführten Stelle von Volkmann’s neuester Schrift bezeichnete „We- ber’sche Hypothese“ zu sein: denn die gerügte Zweckwidrigkeit liegt nach Volkmann in der Verminderung der Elastieität des Muskels, welche nach obiger Stelle das Resultat meiner Messung war. — Nach meinem Sprachgebrauche nenne ich das Resultat einer Messung keine Hypothese und habe darin, dass Volkmann, statt in jenem Mes- - sungsverfahren einen Fehler nachzuweisen, das Resultat der Mes- sung mit teleologischen Betrachtungen bekämpft, einen Missbrauch teleologischer Betrachtungen gefunden, wodurch der Gang der exac- ten Forschung nur gestört werden kann, deren aus Beobachtungen und Messungen bestehende Grundlage von teleologischen Betrachtungen unabhängig sein soll. Ueber die Elastieität der Muskeln. 541 einträchtigt worden sein. Aber hiervon abgesehen glaube ich in dem Vorstehenden gezeigt zu haben, dass meine Versuche wohl unter einander, aber nicht mit den Volkmann’schen vergleichbar 'sind, dass aber in letzterer Beziehung die Schuld keineswegs in meinen Versuchen liegt. Ich habe daher keinen Grund, etwas von dem zurückzu- nehmen, was ich über die Dehnbarkeit der Fleischfasern aus meinen Versuchen abgeleitet habe. Volkmann verlangt aber von meinen Versuchen, dass sie sich sollen benutzen lassen, um den Antheil, welchen die elastischen Kräfte einer- seits an den Leistungen der Muskeln haben, von demjenigen Antheil zu sondern, welchen die Gontractilität anderer- seits daran habe. Ebenso könnte der Physiker von seinen Versuchen fordern, dass sie sich sollten benutzen lassen, um den Antheil, welchen die elastischen Kräfte einerseits an der Bewegung der Luft haben, von demjenigen Antheile zu son- dern, welchen die Temperatur andererseits darau habe. Der Physiker, wenn er auch der Kürze halber einen Theil der Ausdehnung der Luft als Wärmeausdehnung bezeichnet, denkt aber nicht daran, die Ausdehnung der Luft in zwei Theile zu scheiden, von denen der eine die unmittelbare Wirkung der Blastieität, der andere die unmittelbare Wirkung der Wärme sei; der Physiker weiss, dass jede Ausdehnung, wie überhaupt jede Bewegung der Luft unmittelbar von den elastischen Kräf- ten abhängt, dass aber das Gesetz zur Bestimmung der elasti- schen Kräfte in der Luft durch den Einfluss der Wärme mo- difieirt werde. Ebenso sollte der Physiolog wissen, dass jede Contraction der Muskeln unmittelbar von den elastischen Kräf- ten des Muskels abhängt, dass aber das Gesetz zur Bestim- mung der elastischen Kräfte in den Muskeln durch den Ein- fluss der Nerven, wenn sie gereizt werden, modificirt werde. Nach einem allgemeinen Schema, welches für alle in der Physik betrachteten Kräfte gilt, darf eine Kraft niemals von qualitativen Eigenthümlichkeiten (von der physischen Be- schaffenheit) der Körper allein, sondern muss nothwendig stets zugleich auch von etwas quantitativ Messbarem (z. B. von der messbaren Entfernung oder Ausdehnung der Kör- 542 „u Bd. Weber: \ per) als abhängig betrachtet werden. Durch solche Kräfte, welche von nichts quantitativ Messbarem, sondern blos von rein qualitativen Eigenschaften der Körper abhingen, würde, wenn sie existirten, der wissenschaftlichen Forschung aller Grund und Boden entzogen werden, ebenso wenn Kör- per existirten, die blos in Folge ihrer innewohnenden Eigen- thümlichkeit, ohne von messbaren Grössen getrieben zu wer- den, ihre Bewegungen wechselten. Solche wunderbare Kräfte müssten daher ebenso, wie die eben erwähnten wunderbaren Wechsel der Bewegungen, von exacten Forschungen ganz aus- geschlossen bleiben. Sollten daher die von Volkmann der Contractilität der Muskeln zugeschriebenen Kräfte zuläs- sig erscheinen, so müsste Volkmann ausser der mit dem Namen der Contractilität bezeichneten Qualität der Mus- keln noch etwas quantitativ Messbares angeben, wovon seine Kräfte ihrer Grösse und Richtung nach abhingen. Wahr- scheinlich würde er aber für letzteres auch nichts anderes fin- den, als die räumlich messbare Ausdehnung der Muskeln. Seine vermeintliche neue Theorie der Muskelbewegung würde dann aber, wenn sie auf diese Weise in’s Klare gebracht würde, nur auf eine neue Terminologie hinauslaufen. 11, Erwiderung auf Volkmann’s zweiten Aufsatz „Ver- suche und Betrachtungen über Muskelcon- traetilität.“ Auf die vorstehende „kritische und experimentelle Widerlegung“ hat Volkmann mit einem 74 Seiten langen Aufsatze pag. 215 dieses Bandes des Archives geantwortet, Um nicht zu einer noch weiteren Ausdehnung des Streites beizutragen, werde ich mich rein auf das Thatsächliche be- schränken, womit ja der Streit begonnen hat und worin je- denfalls die Grundlage zu seiner Entscheidung zu suchen ist, und will, weil in dem Detail des Streites der Punct, um den sich derselbe eigentlich dreht, leicht verloren geht, erst den Gang des Streites seit seinem Beginne in kurzen Worten ge- fasst vorausschicken. Ueber die Elastieität der Muskeln. 543 Volkmann hatte in seiner ersten Schrift!) die berechne- ten Resultate von Versuchen bekannt gemacht, welche darauf beruheten, dass mehrere Versuchsmethoden, deren jede den Muskel in einem anderen Maasse ermüdete, zugleich in der- selben Versuchsreihe abwechselnd in Anwendung gebracht worden waren. Aus diesen Versuchen hatte sich ergeben, dass die nach den verschiedenen Versuchsmethoden ausge- führten Messungen, auch wenn sie auf gleiche Ermüdungs- stufen redueirt worden waren, nicht allein selbst bei sonst gleichen Verhältnissen von einander differirten, sondern bei weiterer Berechnung auch zu verschieden Werthen der Dehn- barkeit führten, worauf denn Volkmann vielerlei Folgerun- gen über die Natur des thätigen Muskels und die durch ihn erzeugten Erscheinungen gegründet hatte. Gegen die Zweckmässigkeit dieser Versuche liess sich schon an und für sich das Bedenken erheben, dass die Operation der Reduction der Messungen auf gleiche Ermüdungsstufen, welche die Grundbedingung ist, wenn überhaupt die an sich wegen des stets wechselnden Ermüdungszustandes des Mus- kels unvergleichbaren Muskelmessungen mit einander vergli- chen werden sollen, die Gleichförmigkeit des Fortschritts der Ermüdung von Messung zu Messung voraussetze; dass aber die wechselsweise Anwendung verschiedener Versuchsmetho- den in derselben Versuchsreihe diese Gleichförmigkeit des Fortsebritts der Ermüdung störe und daher die Reduction der Messungen auf gleiche Ermüdungsstufen unvollkommen oder unter ungünstigen Verhältnissen selbst unmöglich machen könne. Aus diesem Grunde hatte ich daher auch gegen Volk- mann gleich anfangs und ohne seine Versuche näher zu ken- nen geäussert, dass ich wohl glaubte, dass er unter solchen“ Verhältnissen mit seiner « und 5 Methode zu differenten Re- sultaten habe kommen können. Demohngeachtet würde durchaus nichts gegen diese Ver- suche einzuwenden gewesen sein, wenn Volkmann sie nur zu 1) Berichte d. K. Sächs. Ges. d. W. physische Classe 1856 p. 1 bis 10 und Müllers Archiv 1857 p. 27 bis 45. 544 Ed. Weber: dem Zwecke benutzt hätte, Methoden unter einander zu ver- gleichen z. B. um eine Methode zu ermitteln, bei deren An- wendung ohne Aufopferung anderer wichtigeren Vortheile der Muskel möglichst langsam ermüde und daher möglichst lange gebraucht werden könne, und dann versucht hätte, ob er durch selbständige Anwendung dieser neuen Versuchsmethode weiter käme, als die früheren Untersuchungen. Volkmann hat sich aber ausschliesslich auf die Ausführung dieser durch gleich- zeitige Anwendung mehrerer differenter Methoden compliecirter Versuche beschränkt und glaubt gerade in der Ungleichheit der Ergebnisse, welche doch auf einer fehlerhaften Basis be- ruht, bereits ein wesentliches Resultat erlangt zu haben, wel- ches ihn nicht blos über die vor ihm von mir gebrauchte Ver- suchsmethode abzusprechen, sondern auch zu neuen Folge- rungen über die Natur des thätigen Muskels und seine Er- scheinungen überhaupt berechtige. Ich hatte darauf in meiner gegen diese erste Volkmann- ‚sche Schrift gerichteten „kritischen und experimentel- len Widerlegung“ etc. dargethan, dass die ausserordent- lich grossen Differenzen der Resultate der a und 5 Messungen, die Volkmann bei seinen Versuchen erhalten hatte, zum grösten Theile nicht einmal aus dieser Quelle stammten, son- dern von Fehlern, die bei Ausführung der Versuche begangen worden waren, namentlich von der unzweckmässigen Befesti- gung des Federhalters an der Zungenspitze statt über der Zungenwurzel (wodurch die Zunge selbst in die Messung mit eingeschlossen wird) herrührten; indem ich durch Versuche nachwies, dass, wenn der Zeiger oder Federhalter, wie stets in meinen früheren Versuchen geschehen ist, über der Zun- genwurzel und ohne Schnürung befestigt werde, bei Wiederholung der Volkmannschen Versuche mit wirklich lebenskräftigen und unermüdeten Muskeln die Resultate der a und 5b Messungen ‘ziemlich gleich, oft sogar völlig gleich ausfallen, (weil nämlich bei frischen kräftigen Muskeln über- haupt die Wirkung der Ermüdung anfangs gering ist und da- her auch Störungen ihres gleichförmigen Ganges wenig in Betracht koinmen) und dass sie erst bei höheren Ermüdungs- Ueber die Elastieität der Muskeln. 545 ° graden der Muskeln beträchtlichere Differenzen zeigen, jedoch auch dann nie Differenzen von solcher Grösse, wie Volk- mann gefunden zu haben glaubte; dass man aber allerdings ähnliche grosse Differenzen der a und b Messungen, wie Volk- mann bei seinen Versuchen, erhalte, wenn man, wie er, den Zeiger oder Feederhalter an der Zungenspitze anbindet. Volkmann hat nun in seinem neuesten Aufsatze „Ver- suche und Betrachtungen über Muskelcontraction“, mit welchem ‘er meine „Widerlegung“* beantwortet hat, sowohl die seiner ersten Schrift zu Grunde gelegten Versuche, als auch neu yon ihm angestellte Versuche ausführlich mit- getheilt und auch über die Art und Weise, wie dieselben aus- geführt worden sind, weiteren Aufschluss gegeben. Aus die- ser Arbeit geht nun hervor, dass die in meiner Widerlegung beigebrachten Thatsachen sämmtlich durch Volkmann’s Ver- suche bestätigt und sogar noch wesentlich vervollständigt wer- den. Es stellen sich nämlich aus derselben folgende That- sachen heraus. | 1. Volkmann's Versuche ergeben, dass, wenn er den Federhalter über der Zungenwurzel ohne Schnürung des Muskels befestigt (wenn er also die Zunge von der Messung ausschliesst), die abwechselnd in derselben Versuchs- reihe angestellten «a und 5 Messungen gleiche oder fast gleiche Resultate ergeben, was das Resultat meiner ersten und zwei- ten Versuchsreihe war. 2. Volkmann’s Versuche ergeben ferner, dass, wenn er dagegen den Federhalter an der Zungenspitze anbindet (wenn er also die Zunge in die Messung mit einschliesst), die a und 5b Messungen und zwar unter übrigens ganz gleichen Verhältnissen wie vorhin, sehr differirende Resultate ergeben, was das Resultat meiner dritten Versuchsreihe war und wie diese beweist, dass die Befestigung des Federhalters an der Zungenspitze Ursache der von Volkmann beobachteten Dif- ferenz der a und 5 Messungen sei. 3. Volkmann’s Versuche ergeben weiter, dass auch die neuerlich von ihm abgeänderte Befestigungsmethode des Fe- derhalters, wonach er denselben nun zwar über der Zungen- Müller's Archiv, 1858 35 3 546 | Ed. Weber: wurzel, aber mit einem den Muskel schnürenden Faden be- festigt auch noch eine ähnliche Wirkung, wie die frühere Be- festigungsweise, äussert. 4. Aus Volkmann’s Darlegung stellt sich endlich ausser dem besprochenen ein neuer bei der Ausführung seiner Blasti- eitätsmessungen begangener noch wichtigerer Fehler heraus: indem Volkmann statt den Muskel während der Messung in gleichförmiger Contraction zu erhalten ihn nur durch einen einzigen Inductionsstoss momentan in Zuckung versetzt hat, was ausser anderen Nachtheilen auch wesentlich zur Vergrös- serung der Differenz der a und 5 Messungen in seinen Ver- suchen beigetragen hat. 1. Ich hatte durch die erste und zweite Versuchsreihe !) nachgewiesen, dass, wenn man den Zeiger oder Federhalter über der Zungenwurzel und ohne Schnürung des Muskels befestigt, die wie in Volkmann’s Versuchen, ab- wechselnd angestellten « und 5 Messungen, vorausgesetzt, dass der gebrauchte Muskel nur unermüdet und lebenskräftig ist, gleiche oder fast gleiche Resultate ergeben. Volkmann greift nun in seiner Gegenschrift diese Messungen nament- lich die erste von mir zusammen mit Prof. Hankel ausge- führte Versuchsreihe an: weil‘ich die mittelst 5 Messung (No. 6 der Versuchsreihe, welche nicht nur beträchtlich kleiner, als das Mittel der nächst höheren und tieferen b Messung bei derselben Belastung von 13 Gramm und auch als die 4 Stellen nächst höhere 5b Messung allein ist, sondern sogar noch klei- ner als das ihr entsprechende Mittel der unmittelbar darüber und darunter stehenden bei der geringeren Belastung von 8 Gramm ausgeführten Messung ist) als unzuverlässig bei der Berechnung der Versuchsreihe habe ausfallen lassen, und will statt dieser wohlbegründeten Auslassung willkührlich eine an- dere Messung (No. 4) streichen, um eine mittlere Differenz von 25,0 — 23,8 Mill. = 1,2 Mill. herausrechnen zu können, —- Da das Ausscheiden einer einzelnen Beobachtung bei Berech- nung der Versuchsreihen, auch wenn evidente Gründe für ihre 1) Siehe Seite 521 und 5294. Ueber die Elastieität’der Muskeln. . 547 Unzuverlässigkeit vorliegen, leicht den Verdacht der Willkühr erregt, so wollen wir jene Ausscheidung, an welcher Volk- man so grossen Anstoss nimmt, beseitigen und also das Mit- tel'aus allen 3 5 Messungen und das aus den zwischen ihnen symmetrisch vertheilien 2 « Messungen nehmen: wir erhalten dann die Differenz der « und 5 Messungen = 24,0 — 23,6 Mill. - 0,4 Mill., was sich nur wenig von dem oben gefundenen Resultate unterscheidet und gleichfalls genügt. Während sich. nun aber Volkmann erst herbeilässt, auf solche Weise meine Versuche anzufechten, erfahren dieselben schliesslich (was ihm wohl entgangen sein mag) durch seine eignen Versuche, welche genau dasselbe Resultat ergeben, die schlagendste Rechtfertigung. Volkmann theilt nämlich Seite 281 die nachfolgende Versuchsreihe (die zweite Abthei- lung der Versuchsreihe XIV) mit, welche im Gegensatz zu allen übrigen Versuchen so ausgeführt worden ist, dass einer- seits der Federhalter richtig über der Zungenwurzel und zwar ohne Schnürung, sondern mittelst eines Hakens befestigt, an- dererseits auch der Muskel während der Messung in stetiger ' Contraction erhalten wurde, welche demnach von den ge- nannten Fehlern frei ist. Volkmann’s Messungen der Versuchsreihe XIV. Abtheilung 2. bei 5 Gramm Belastung. Ermüdungs- Länge des thätigen Differenzen !) stufe nach Muskels der a und 5 Versuch Messungen a b Sie mm 36. 15,05 15,40 0,35 40. 20,8 20,80 0,0 ‚44. 28,39 28,60 BE 2 7\ 48. 32,60 33,00 0,9 52. | 35,90 36,70 0,8 1) Da bei diesen Betrachtungen die Differenzen, nicht die geome- 35* 548 Ed. Weber: Das Resultat dieser Messungen ist aber, wie jeder sieht, das- selbe wie das meiner ersten von ihm so sehr angefochtenen Versuchsreihe, da die Differenz der a und 5b Messungen im zweiten Gliede völlig 0 ist, und auch auf den höheren Er- müdungsstufen nirgends 0,9 Mill. übersteigt, ungeachtet der Muskel vorher schon 33 Messungen der ersten Abtheilung derselben Versuchsreihe hatte aushalten müssen und deshalb keineswegs ganz frisch und unermüdet war. Da also gerade diejenigen Versuche Volkmann’s, die sich als fehlerfrei herausstellen, das gleiche Resultat, als die von Hankel und mir ausgeführten, ergeben haben, so wird jeder selbst ermessen, was von Volkmann’s Aeusserung:') „Nach zahlreichen eignen Erfahrungen über diesen Ge- genstand muss ich annehmen, dass den von Weber und Hankel ausgeführten Messungen der thätigen 5 Muskeln be- trächtliche Fehler anhaften“ zu halten sei. 2. Ich hatte durch meine dritte Versuchsreihe?) nach- gewiesen, dass man im Gegensatz zu den vorhergehenden Versuchen, wie Volkmann, sehr grosse Differenzen der ab- wechselnd angestellten « und 5 Messungen erhält, wenn man den Zeiger oder Federhalter statt über der Zungenwurzel, wie Volkmann an der Zungenspitze anbindet. Volkmann hat zur Prüfung dieser Thatsache eigens zwei Versuchsreihen, die zwölfte und dreizehnte,°?) angestellt und dieselben sehr zweckmässig so eingerichtet, dass in jeder von ihnen der Federhalter abwechselnd über der Zungenwurzel (W Befestigung) und abwechselnd an der Zungenspitze (V Be- _ festigung) angehakt wird, wodurch sich der Einfluss der Be- festigungsweise allerdings noch reiner und sicherer, als in meinen Versuchen, wo beiderlei Befestigungsmethoden suc- cessiv an verschiedenen Muskeln angewendet wurden, heraus- trischen Verhältnisse der @ und 5 Messungen, welche Volkmann in seiner Tabelle gegeben hat, in Betracht kommen; so habe ich erstere diesen letzteren substituirt. 1) Müller’s Archiv 1858, pag. 275. 2) Siehe Seite 534. 3) Müller’s Archiv 1858, pag. 260 und 271. Ueber die Elastieität der Muskeln. 549 stellen musste. Er substituirt zwar den von mir gebrauchten anhaltenden Muskelzusamimenziehungen momentane durch ein- fache Inductionsstösse erzeugte Muskelzuckungen, was aber der Vergleichung der Wirkung der beiden Befestigungsweisen keinen Eintrag thut. Volkmann’s Messungen. der Versuchsreihe XII. der Versuchsreihe XII. ‚2 | Länge des thätigen | 5” ı.2 | Länge des thätigen | &=. 3 'o S = 5'0 3 S 2 Dre Muskels inMm. |53 s£ Muskels in Mm. 25 SH 58 || ES SE as|as = &n b a ä < &0 b a a? W | 19,55 205 |, w. | 20,45 224 | 1,9 V 41,15 46,54 6385; |\, u: 340,6 47,1 | 65 w 23,95 24,8 | 0,85| W. | 23,85 25,2 | 1,35 v 46,65 50,7 |a05| v. | 22,5 48,6 | 5,85 w 27,15 285 | 1355| w. | 2486 261 | 15 v 52,5 56 |31 | v. | 445 49,6 | 5,35 WW. 81,7 3236 l|0o9 | w. | 35,5 274 11,65 bi v.| 461 50,6 14,5 | w. | 27,05 283 | 1,35 Man sieht sogleich, dass in beiden Volkmann’schen Ver- suchsreihen die Differenz der a und 5 Messungen durchgängig bei der V Befestigung nahe 4 Mal grösser, als bei der W Befestigung ist. Da nun beiderlei Versuche unter übrigens gleichen Verhältnissen ausgeführt sind, so ist die Ursache der Vervierfachung der Differenz ausschliesslich in der sub V von Volkmann angewendeten Befestigung seines Federhalters an der Zungenspitze zu suchen, was zu beweisen der Zweck meiner dritten Versuchsreihe gewesen ist, deren Resultat folglich durch Volkmann’s Versuche auf das evidenteste bestätigt wird. Unbegreiflich ist es aber, dass Volkmann gerade das Gegentheil gefunden zu haben behauptet und trotz der 4 Mal grösseren Differenz der « und 5 Messungen bei der V Befestigung „die Längen des thätigen « und 5b Muskels 550 SEHE Ed. Weber: unabhängig von der Befestigung des Federhalters“ findet!) obgleich er in der Note selbst den Unterschied des a und d Muskels bei seiner (V) Befestigungsweise „merklicher“ als bei der Weber’schen (W) Befestignng nennt. Wenn er aber daselbst noch weiter hinzufügt: „In wiefern nun die Absicht „ist, den Einfluss der Methoden auf die Muskelbewegung zu „untersuchen, ein Einfluss, der sich durch jene Längenunter- „schiede zu erkennen giebt, scheint Webers Methode die „minder zweckmässige: denn die minder zweckmässige „von 2 Versuchsmethoden ist diejenige, welche das, „was man sucht, weniger hervorhebt“ (?!); so möchte dies in der T'hat ein sehr bedenkliches Prineip sein, dessen Beurtheilung füglich dem Leser überlassen bleiben kann. Wenn nun gleich diese Versuchsreihe vollkommen $enügt, den Einfluss der Befestigungsweise über der Zungenwurzel und an der Zungenspitze zu prüfen und namentlich die Diffe- renzen nachzuweisen, welche durch die letztere Befestigungs- weise zwischen den a und 5 Messungen erzeugt werden, so darf man doch auch die kleineren Differenzen der W Mes- sungen in dieser Versuchsreihe noch keineswegs schon als normal betrachten; da die Versuche dieser Tabelle, wie schon oben erwähnt worden ist, mit momentanen durch einzelne Inductionsstösse erzeugten Muskelzuckungen, statt mit anhal- tenden Muskelzusammenziehungen ausgeführt worden sind, was bei diesen Elasticitätsmessungen unstatthaft ist, und namentlich auch zur Erzeugung von Differenzen zwischen den a und 5b Messungen wesentlich beiträgt (siehe den Abschnitt sub 4) weshalb denn auch diese Differenzen weit grösser sind, als die, welche Volkmann in der oben sub 1 an- geführten, Abtheilung der Versuchsreihe XIV erhalten a in der auch dieser Fehler vermieden ist. 3. Volkmann hat sich nun neuerlich zwar bemüht den eben erwähnten durch seine eigenen Versuche nachgewiesenen in ‘der Befestigung seines Federhalters gelegenen experi- mentellen Fehler zu beseitigen, indem er jetzt den Muskel 1) Siehe Müller’s Archiv 1858, pag. 269. Ueber die Elasticität der Muskeln. 551 an der Zungenspitze abschneidet und ihn über dem Schnitt- rande mit einem Faden umschnürt, an den er den Federhalter befestigt. Allein diese Abänderung allein dürfte, wie man leicht übersieht, noch nicht ausreichen: denn wenn nun auch die Zunge von der Messung ausgeschlossen ist; so weiss doch jeder, der mit lebenden Muskeln experimentirt hat, wie schlecht dieselben das Schnüren vertragen, weil ihre Fasern an der Schnürungsstelle gänzlich zerstört werden, wie denn auch der ganze Muskel zum Fingerzeig seiner Verletzung dadurch in tonischen Krampf geräth. Wenn man demnach schon über- haupt eine solche Gewaltthat dem Muskel gerne erspart, so möchte es doppelt bedenklich sein, die durch die Schnürung zerstörte Stelle des Muskels selbst, wie bei Volkmann’s neuerem Verfahren geschieht, in das zur Messung dienende Muskelstück mit einzuschliessen. Wenn es aber hieraus doch nur wahrscheinlich wird, dass auch diese neue Befestigungs- weise des Federhalters von Volkmann noch nicht genüge, und erst die Erfahrung lehren müsste, ob sich wirklich daraus störende Einflüsse für die Messung ergeben, so finden wir be- reits auch dafür in Volkmann’s Versuchen den experimen- tellen Beweis geliefert. In der Versuchsreihe IV!) giebt Volk- mann abwechselnd mit der a und 5 Methode ausgeführte Mes- sungen am Musc. hyoglossus des Frosches, der nach Volk- mann’s neuester Befestigungsweise des Federhalters über der Zunge abgeschnitten und über dem Schnittrande mit einem Faden umschnürt worden war, welcher den Federhalter trug: und in der schon oben erwähnten zweiten Abtheilung der Versuchsreihe XIV?) ganz entsprechende Versuche am Muse, hyoglossus, wo aber der Federhalter nicht mittelst eines schnü- renden Fadens, sondern mittelst eines Hakens über der Zunge befestigt worden war. In beiden Reihen wurde der Muskel während der Dauer jeder Messung in gleichförmiger Thätig- keit erhalten. = 1) Müller’s Archiv 1858, pag. 236. 2) Müller’s Archiv 1858, pag. 279. 559 Ed. Weber: Volkmann’s Messungen. der Verkubhsneihe IV.) ‚der Versuchsreihe XIV. Abtheilung 2. der Federhalter war mittelst eines 5 gr. Belastung. schnürenden Fadens oberhalb der Zun- genwurzel befestigt und die Zunge unterhalb abgeschnitten. der Federhalter ohne Schnürung mittelst eines Hakens oberhalb . der Zungenwurzel befestigt. | Länge des | . so |@ = Länge des > 233 thätigen 32 je=3 inätiden SB Se Muskels orle 3 Muskels s? zu? ee as Er AsS|ISE> As g® a b 2 | ® a b > Ea[\ 2. | 32,15.| 44,05 [11,9 || 86. | 15,05..| -15,40.|.0,35 BE 4. | 37,45 | 46,2 | 8,75]. 40. | ‚20,8 20,80 | 0,0 as 6. | 40,55 | 49,0 | 8,45|| 44. | 28,35 | 28,60 | 0,25 us 8.) 49,94 | 51,25 | 8,31|| 48. | 32,60 | 33,50 | 0,9 83 l\- 10. 1 2584 | 52,75 | mau 58. 35,90 |. 36,70 | 0,8 se ( 13. |. .25,55 | 25,8 | 0,25 sa 15. | 2847 | 29,0 | 0,53 | ei 17. | 31,85.| 32,5 .| 0,65 "51 2. | 3612 | 87,5 © 1,38 Sal 21. | 4085 | 41,5 | 1% Die Vergleichung dieser beiden Versuchsreihen beweist, dass auch diese neue Volkmann’sche Befestigungsweise über der Zungenwurzel, aber mit Schnürung des Muskels und Ein- schliessung der Schnürungsstelle in das zur Messung dienende Muskelstück, beträchtlichen Einfluss auf die Messung und na- mentlich auch auf die Differenz der a und b Messungen äussere, da ungeachtet der übrigens gleichförmigen Ausführung beider Reihen die Differenz der a und b Messungen in der Versuchs- reihe IV., in welcher diese neue Befestigungsmethode des Fe- derhalters zur Anwendung gekommen ist, bei 5 Gramm Be- lastung doppelt so gross, als in der andern ist und bei Er- höhung der Belastung auf 20 Gramm sogar die 20fache Grösse 1) Die Messungen dieser Versuchsreihe sind, um sie mit denen der Versuchsreihe XIV. vergleichen zu können, von mir ‚entsprechend auf gleiche Ermüdungsstufen reducirt worden. Ueber die Elastieität der Muskeln. 553 derselben im Mittel erreicht, welches letztere beweist, dass dieser Einfluss, wie zu erwarten war, mit der Grösse der Belastung sehr zunimmt. 4. Ausser dem eben betrachteten, wenn auch einflussreichen doch nur in‘ äusseren Verhältnissen, in der Befestigung des Zeigers oder Federhalters gelegenen experimentellen Fehler kommt aber jetzt bei der ausführlichen Darlegung, welche ‚Volkmann in seinem neuesten ‚Aufsatze von seinen Ver- “ suchen gegeben hat, ein anderer viel tiefer eingreifender prin- eipieller Fehler der Volkmann’schen Elastieitätsversuche ar das Tageslicht, der zwar auch schon bei den älteren Ver- suchsreihen concurrirt hat, von mir aber wegen Mangel an Auskunft über die Art und Weise, wie dieselben ausgeführt worden waren, nicht hat in Betracht gezogen werden können. Volkmann versetzt nämlich den Muskel während seiner Mes- sungen nicht in gleichförmig fortdauernde Zusammenziehung, sondern nur durch einen einzelnen Inductionsstoss bei jeder ‚Messung in momentane Zuckung, | l. In diesem Verfahren liegt eine zweite neue Quelle der grossen Differenzen der Elastieitätsmessungen, die Volkmann bei gleichzeitiger Anwendung seiner a, b, c, d etc. Methoden erhalten, die sich aber bei richtiger Ausführung der Messun- gen nicht bestätigt hatten. Volkmann scheint in der That auch nicht eine Ahnung davon gehabt zu haben, welchen Ein- fluss diese seine allerdings ganz unvermuthete Modification meines experimentellen Verfahrens auf seine Resultate haben könnte, da er in seinem ersten Aufsatze!) seine a Messungen ohne jede experimentelle Unterlage auf Treu und Glauben, als durch das von mir angewendete experimentelle Verfahren. gewonnen hingestellt, und selbst auf meine specielle Bitte um Mittheilung der Messungen und der Verhältnisse, unter denen sie angestellt waren, bei Uebersendung der pag. 531 mitgetheilten Versuchsreihe diese. wichtige Abänderung auch nicht mit einem Worte erwähnt hat. Man braucht nicht 14 Versuchsreihen anzustellen, um der Welt zu beweisen, dass die durch eine momentane Zuckung 1) Berichte der K. Sächs. Ges. phys. Cl. 1856, pag. 3. 554 iR Tee: des Muskels erzeugte Kraft, welcher man abwechselnd ein tiefer und ein höher stehendes Gewicht zu heben giebt, nicht beide Gewichte zu demselben Niveau, sondern das höher ste- 'hende zu einem höheren Punkte, das tiefer stehende zu einem weniger hohen Punkte hebe, was sich doch wirklich von selbst versteht: da die durch eine augenblickliche Muskelzuckung hervorgebrachte Kraftwirkung, die einem Stosse vergleichbar ist, durch das Heben des tiefer stehenden Gewichtes bis zum Niveau des höher stehenden schon theilweise consumirt wird. Aber selbst das handgreifliche Zeugniss seiner eignen Ver- suche nicht einmal hat Volkmann zu überzeugen vermocht, dass die Ursache der von ihm gefundenen grossen Differenz der Resultate der « und 5 Methode nicht in der Beschaffenheit der Muskeln, sondern in seinen Manipulationen zu suchen sei. Volkmann hat in dieser Hinsicht eine lange Versuchs- reihe abwechselnder a und 5 Messungen (No. XIV.!) ausge- führt, in deren erster Abtheilung von 33 Versuchen der Mus- kel durch einfache Inductionsstösse momentan in Zuckung, in deren zweiter Abtheilung von 21 Versuchen derselbe Muskel während jeder Messung in gleichförmig fortdauernde Zusam- menziehung versetzt wurde. Volkmann’s s Messungen der VersuchsreiheXlV. der Versuchsreihe XIV. der Muskel während der Messungszeit in der Muskel durch Intuctionsschläge in anhaltende zus mim dh Arien Roıhelans 1 ae nee I. Abtheilung 2. momentane Zuckung versetzt. verseizt. »,.@ | Längedesthätigen | „2 | &= Länge desthätigen | „_ = = © mit 5 ST. belaste- | = = Er S e mit 5 gr. belaste- = E 3,2 ten Muskels es: |3,2 ten Muskels Sg 3 © tame| = (eb) & JE As | 88> As gi ® b | a.| »|@” b 9% > -mm mm mm | anna 598 das mm mm 3. 31,75 38,7 | 6,95 ‘36 15,05 15,4 40 0,35 Tor 8375.01: 38;5069:]49,74 40 20, 8 20,80 | 0,0 14. 32,6 38,9 . | 9,9 44 28,39 28,60 | 0,25 15. 32,85 36,4 | 3,55 48 32,60 33,50 | 0,90 19. 33,3 38,9 | 5,6 52 39,90 86,70 | 0,80 23. 34,15 38,8 | 4,65 27. 34,50 38,9 | 44 |- . 31.1 34,35..| 38,8. | 4,45 1) Müller’s Archiv 1858, p. 279. Ueber die Elastieität der Muskeln. 555 Die erste mit momentanen Muskelzuckungen ausgeführte Abtheilung dieser Versuchsreihe ergiebt demnach eine Diffe- renz der 4 und b Messungen im Mittel von 5,15 Millim., die mit anhaltenden Muskelzusammenziehungen ausgeführte zweite Abtheilung dagegen nur eine Differenz der a und b Messun- ‚gen im Mittel von 0,46 Millim. Da nun die Versuche beider Abtheilungen von Volkmann zum Zwecke der Vergleichung übrigens völlig gleich ausgeführt worden sind, die unvermeid- liche Ungleichheit der Ermüdung in der ersten und zweiten Abtheilung aber im entgegengesetzten Sinne wirken musste, so rührt die Verzwölffachung der Differenz der a und 5 Mes- ‚sungen in der ersten Abtheilung dieser Versuchsreihe aus- schliesslich von der Anwendung momentaner Muskelzuckun- gen statt dauernder Muskelzusammenziehungen her: ein Re- sultat, das freilich, wie gesagt, vorausgesehen werden konnte. 2. Der eben erörterte störende Einfluss der von Volk- mann in Anwendung gebrachten Methode, die Muskeln in Thätigkeit zu versetzen, bedingt, wie beträchtlich er auch immer ist, eben so wie die unzweckmässige Befestigung des Federhalters an der Zungenspitze, doch nur Unvollkom- menheiten der Messungen, die nur deshalb ein grösseres Gewicht erhalten haben, weil Volkmann auf sie seine ganze Untersuchung gebauet hatte. Allein das eben genannte Ver- fahren schliesst einen principiellen Fehler ein, in Folge des- sen der eigentliche Zweck der gaszen Messungen, die Elas- ticität des thätigen Muskels zu bestimmen, gänzlich verfehlt worden ist, so dass die Messungen überhaupt aufhören noch Elasticitätsmessungen zu sein. Da alle Elastieitätsmessungen an fadenförmigen Körpern wie die Muskelfasern, auf Beobachtung der Lage des Gleich- gewichtes, welches ihre elastischen Kräfte mit der Schwer, kraft bekannter Gewichte oder mit andern bekannten Kräften herstellt, beruhen, so ist, man mag nun die hergestellte Gleich- gewichtslage selbst, oder die Schwingungen, durch welche sie hergestellt wird, beobachten, doch stets eine längere Zeit erforderlich, während welcher der Körper in demselben Zu- stande verharren muss, für den die Messung gitig sein soll. 596 Ed. Weber: Die Entdeckung, die Muskeln durch. einen unterbrochenen electrischen Strom dauernd im thätigen (eontrahirten) Zustand erhalten zu können, bildet daher die Basis aller meiner Un- tersuchungen der Elasticität des thätigen Muskels ebenso wie die aller nachfolgenden. Da man vorher die Muskeln nur ‚momentan in Zuckung, nicht dauernd in Thätigkeit zu setzen vermochte, so haben früher auch keine Elastieitätsmessungen am thätigen Muskel ausgeführt werden können. Da nun Volk- mann statt der von mir in Anwendung gebrachten stetig fort- dauernden Muskelzusammenziehungen momentane Muskelzuk- kungen substituirt hat; so hat er nicht die sich mit dem Ge- wichte in’s Gleichgewicht gesetzt habenden elastischen Kräfte des Muskels, sondern. nur die einem Stosse vergleichbare Wirkung einer durch eine augenblickliche Elasticitätsschwan- kung erzeugten Wurfbewegung: gemessen, hinterdrein aber, ‚ungeachtet dieser Vertauschung des Messungsobjectes, die er- haltenen Grössen, als ob er jene gemessen hätte, verwendet. Es leuchtet demnach hieraus ein, dass alle auf diese Weise ausgeführten Blastieitätsmessungen, als solche, keinen Werth haben können. Es bleibt nun noch zu erörtern übrig, in wie weit die zahl- reichen Versuchsreihen Volkmann’s nun wirklich an den so ’eben erörterten Mängeln betheiligt sind. Von den 14 Ver- suchsreihen sind 9: mit: momentanen Muskelzuckungen, statt mit anhaltenden Muskelzusammenziehungen ausgeführt wor- den: nämlich No. 1. 2. 3. 5. 6. 7. 12. 13. und von No. 14, wenigstens die erste für Volkmann maassgebend gewesene Abtheilung Da in diesen Reihen die elastischen Kräfte des Muskels nicht einmal das Object der Messung gewesen sind; so'können wir sie gleich ohne weitere Rücksicht auf ihre Be- theiligung an der mangelhaften Befestigung des Federhalters ganz übergehen. Es bleiben also nur 5 und !/, Versuchsreihe übrig, in denen anhaltende Muskelzusammenziehungen von Volkmann in Anwendung gebracht worden, und in denen -daher: auch die elastischen Kräfte ‘wirklich das Object der Messung gewesen sind. Dies sind die Versuchsreihen No. 4. 8. 9. 10. 11.’ und die zweite Hälfte von No. 14. Aber in den Ueber die Elastieität der Muskeln. 557 m Versuchsreihen No. 8. 9. 10. 11. ist der Federhalter au der Zungenspitze befestigt und demnach die ganze Zunge in die Messung mit eingeschlossen worden, und in No.4. war der Federhalter zwar an den über der Zungenwurzel abgeschnit- . tenen Muskel selbst, aber mittelst eines schnürenden Fadens befestigt worden. Da wir nun den störenden Einfluss kennen gelernt haben, den nach meinen und Volkmann’s Versuchen die erste Befestigungsweise sowohl, als auch nach Volk- mann’s Versuchen die zweite Befestigungsweise auf die Mes- sungen und in’s Besondere auf die Erzeugung der von Volk- mann beobachteten Differenzen der Resultate seiner gleich- zeitig in Anwendung gebrachten a, b, c, d, e Methode habe; so sind auch diese 5 Versuchsreihen nicht brauchbar. Es bleibt demnach von allen 14 Versuchsreihen nur die zweite Abtheilung der letzten übrig, welche in der That gut und richtig ausgeführt ist. Diese ergiebt, ungeachtet der Muskel nicht frisch, sondern durch 53 Messungen der ersten Abthei- lung ermüdet war, ein mit meinen Messungen übereinstim- mendes Resultat, ist aber von Volkmann nach dem von ihm!) aufgestellten Principe für seine Zwecke nicht brauchbar be- funden worden. | | Nach dieser ausführlichen Darlegung der prineipiellen und experimentellen Mängel, an welchen sämmtliche Versuchs- reihen Volkmann’s mit Ausnahme der zweiten Abtheilung der vierzehnten, die er aber nicht benutzt hat, leiden, glaube ich überhoben zu sein, die Resultate derselben im Einzelnen, so wie das auf sie gegründete Raisonnement besprechen zu müssen, 1) Siehe Müller’s Archiv 1858, S. 269 die Note. 558 Rud. Lewekart u. Alex. Pagenstecher: Untersuchungen über niedere Seethiere, . Von Dr. Rup. Levckart und Dr. Arcex, PAcENSTECHER. (Hierzu Taf. XVIIL.—XXIII.) Amphioxus lanceolatus. (Taf. XVII.) Die Fischerei mit dem feinen Netze, welche wir, während einer Zeit von etwa fünf Wochen in den Monaten August und September um Helgoland, besonders in der Strömung zwi- schen der Insel und der Düne, fast täglich vornahmen, führte uns den grössten Theil der bisher dort beobachteten pelagi- ‚schen Thierformen, vorzugsweise die interessanten Larvenge- stalten, der Echinodermen, Würmer und Mollusken vor Augen. Ziemlich ‚gemein war der Amphioxus lanceolatus in jugendli- chem Zustande, in einer Grösse von etwa 11/,—3''. Da sich während des nicht unbedeutenden Zeitraums nur Exemplare von verhältnissmässig geringer Grösse und Organisationsdiffe- renz fanden, und zwar gemischt ohne Rücksicht auf den Un- terschied der Beobachtungszeit, so scheint die Annahme fast erlaubt, dass der Amphiozus einen nur beschränkten Theil seiner Jugend in munterm Umherschwimmen an der Ober- fläche des Meeres zubringt. Vor und nachher lebt er in grös- serer Tiefe und zwar, wie man gewöhnlich annimmt, auf san- digem Grunde.) 1) Nach den Mittheilungen von Lindsay hält sich der Amphiozus weniger im Sande, als auf reinem ungemischtem Kiesboden auf. Ann. and mag. of nat. hist. vol,XX. p. 339. Dass der Boden der See bei a a N) Untersuehungen über niedere Seethiere, 559 Die jungen Amphioxen werden im Pokale leicht erkannt an der zartgrünen Färbung, welche diejeniren Stellen des sonst durchsichtigen Körpers auszeichnet, an welcher die Kie- men und jene, an welcher die hintern Partien des Darmes liegen. Sie sinken, wenn sie sich nicht bewegen, im Wasser unter, werden aber durch die heftig schlängelnden Krümmun- gen ihrer cylindrischen Körper an der Oberfläche erhalten. Ihre Sinne sind stumpf; sie sind leicht aus dem Gefässe aus- zufangen, und ihr zähes Leben erleichtert die Beobachtung. Selbst, wenn die Gewebe unter dem Mikroskope, während der Abdunstung des umgebenden Salzwassers, durch Was- serentziehung ihr Ansehn verändert hatten, kehrten die Thiere in frischer Flüssigkeit zu neuem Leben zurück. Die Untersuchung einer grossen Anzahl von Exemplaren ergab Resultate, welche Max. Schultze, der schon vor uns!) in Helgoland solche Jugendformen?) auffand, unmögllich aus der Beobachtung von zwei Thieren gewinnen konnte. Diese Resultate sind so frappant, dass sie selbst die Wiederholung der Untersuchung des erwachsenen Thiers zu dem bessern Verständniss einiger Punkte dringend wünschenswerth erschei- nen lassen. Das ungünstige Wetter während der letzten Zeit unsres Aufenthaltes setzte uns leider ausser Stande, Amphi- oxen zu Solcher Untersuchung zu erlangen. . Die Erscheinung, welche zunächst bei der Untersuchung der jungen Thiere in’s Auge fällt, und welche die gesammte Auffassung wesentlich erschwert, ist die Asymmetrie. Iın er- wachsenen Thiere ist dieselbe nach Johannes Müller’s vortrefflicher Anatomie°) noch in geringem Grade am After und durch die Abwechslung in den Kiemenstäbchen; nach Helgoland nicht überall Sand ist, davon überzeugt man sich nicht allein bei der Grundfischerei, sondern darüber haben auch die Badenden Ge- legenheit zu klagen. 1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1852 p.416. (Die An- gabe Schultze’s über das Vergrösserungsmaass seiner Abbildung be- ruht wohl auf einem Versehn). | 2) Wie auch Joh. Müller (Berl. Monatsberichte 1851, p. 474). 3) Abhandl. d. Berl. Academie 1842, p. 79 ff. 560 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: seinen Zeichnungen (l. c. Taf. II. fig.6) anch durch den Ver- lauf des untern Kiels an der vordern Körperspitze ausge- sprochen. Von Kölliker ist sie für das Riechorgan, von Schultze im unreifen Zustande für das Auge erkannt wor- den. Es findet aber für das junge Thier die Asymmetrie eine viel ausgedehntere Anwendung. Sie besteht in ausgezeich- netem Grade für den Mund, sowie für’die von uns als vor- dere Kiemenspalte bezeichnete Oeffnung, für den After, das Riechorgan und das Auge, welche sämmtlich auf der linken Seite liegen, dann für die Kiemenwülste, welche von der Me- dianlinie aus sich nach rechts und links verschieden richten und vorn aus der Mittellinie nach rechts hinübergedrängt wer- den, und für die noch nicht vollkommen verstandenen, schlei- fenförmigen Organe zwischen Mundhöhle und Kiemen. Durch die mächtige Entwicklung des symmetrisch gebauten Rücken- theils wird diese Ungleichheit beim Heranwachsen des Thiers bis zu einem gewissen Grade verwischt. Maul und After rücken beinahe vollständig an die Bauchfläche und die un- paare seitliche Kiemenöffnung verschwindet, Erst die vollständige Auffassung dieser Asymmetrie macht das genauere Verständniss des jugendlichen Baues, eine kor- rekte plastische Vorstellung des T'hieres möglich. Untersu- chungen mit starken Loupen sind dabei sehr instruktiv. Der Bau des Thieres ist nach unseren Untersuchungen folgender: Durch den ganzen Körper (Taf. XVIII. Fig. I.) verläuft, bei- derseits gespitzt, die Uhorda, deren senkrechte Scheiben sich leicht von einander lösen. Die Angaben von Müller und Schultze sind richtig und nur, wenn ein Theil der Verbindung; zweier auf einander klebender Scheiben gelöst wird, entstehn Bilder, welche Quatrefages an die Zusammensetzung der einzel- nen Scheiben aus einer Anzahl platter Zellen glauben mach- ten. In Betreff der Durchschnittsfigur der Chorda gewannen wir eine Vorstellung, welche von der bisherigen abweicht. Die Chorda ist oben rinnenförmig vertieft, ihr Durchschnitt herzförmig und in ihre Rinne passt die untere Conyexität der Medulla, deren Durchschnitt ein senkrechtes Oval bildet. So ° Untersuchungen über niedere Seethiere. 561 stellt sich je nach der mikroskopischen Einstellung die Gränz- linie zwischen Rückenmark und Rückensaite verschieden hoch verlaufend dar und in Wirklichkeit ist der Canal des Rücken- markes viel mehr central als es beim ersten, oberflächlichen Bilde den Anschein hat. Ueber die Form und den Bau des Markes im Allgemeinen und die Pigmentflecken im Beson- dern ist nichts Weiteres zu erwähnen. Hinten verläuft das Mark vollkommen bis an das Ende der Chorda und des Kör- pers. In dem sanft gerundeten vordern, von der Körper- spitze bekanntlich entfernten, Ende des Rückenmarkes (v.Fig.2) liegt eine kleine Höhle, eine Art Ventrikel, in welche der Rückenmarkskanal einmündet, und genau vor diesem das un- paare Auge!) ein schwarzer unregelmässiger Pigmentflecken, dicht unter der Hautdecke der linken Seite. Gleich darüber entdeckt man (ibid.) die Riechgrube, eine seichte, schalenför- mige Vertiefung der Körperoberfläche mit lebhaft wimpern- ‘ den feinen Härchen besetzt. Die Deutung Kölliker’s als Riechgrube scheint nach Lage und Einrichtung in der That sehr glücklich gewählt.?) Sind die Wimpern unthätig oder verloren, so wird die Grube sehr schwer erkannt, und so dürfte es sich erklären, dass M. Schultze dieselbe nicht zur Anschauung bringen konnte. Ueber der Chorda verläuft (ibid.) vom vordern Rückenmarksende aus unter dem Auge bhervor- tretend ein starker Nervenstamm, der ausser einem sehr klei- nen vordersten obern Zweige, nach unten wie nach oben von drei Punkten aus starke Aeste abgiebt, welche sich wieder- holt spalten. Bei den obern Aesten ist an jeder Theilungs- 1) Quatrefages beschreibt, wie die ältern Beobachter, ein dop- peltes Auge und glaubt selbst eine rundliche Linse darin entdeckt zu. haben. Auch lässt derselbe das Auge einem besondern Nerv. opticus aufsitzen. (Ann. d. scienc. nat. 1845. T. N. p. 222). Wir haben von alledem Nichts gesehen und können uns weiter auch mit der von Q. gegebnen Darstellung der Nervencentra keineswegs einverstanden er- klären. Der oben erwähnte Ventrikel ist völlig übersehen oder doch in einer ganz andern, unsrer Ueberzeugung nach irrigen Weise gedeutet. | 2) Ohne damit über die Ideen Dume&ril’s über die Sinne der Fische, speciell der Verwendung der sogenannten Geruchshöhlen zum Schmek- ken aburtheilen zu wollen. (L’Institut 1858, p. 272.) Müller’s Archiv, 1858. 36 j 562 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: stelle eine Ganglienzelle eingeschaltet; hier und da erschien eine solche Zelle auch als Endpunkt eines der Zweiglein, !) welche als Endtheilungen jener Aeste bis in die Haut ver- folgt werden können. An dieser Stelle des Körpers findet man eine Wimperung der Oberfläche, welehe auch sonst, bald hier bald da mit grösserer oder geringerer Deutlichkeit beobachtet werden kann. Auch zeigt die äusserste Spitze des Körpers eine besondere Anordnung der Oberhaut, welche Beziehung zu der feinern Empfindung haben mag. Statt der sonst überall deutlichen, polygonischen, fein aber scharfge- kernten Epidermiszellen?) finden wir hier ein eigenthümliches Ansehn, wie wenn in geringen Entfernungen feine Grübehen oder Körnchen neben einander liegen. Dasselbe Bild bietet auch die mittlere Partie des oberlippenartigen Theils des Kopfwulstes vieler Antennaten und die Oberlippe der Sagitta. Diese Körperspitze zerreisst sehr leicht, so dass die Weich- theile zurückschnurren und die Chorda frei überragt; dabei erscheint sie je nach der Muskelthätigkeit mehr oder weniger gespitzt, so dass das Profil des Tbhieres, je nach diesen Ver- schiedenheiten ein abweichendes Ansehn darbietet. Nach der Anordnung der Sinnesorgane und muthmass- lichen höhern Sinnesnerven (nervus trigeminus?) kann man den Ventrikel am vordern Ende des Rückenmarkes mit seiner Umgebung vielleicht für eine Andeutung des Gehirns ansehn, obwohl speeifische vom Marke verschiedene Gestaltung oder besondre konstituirende Elemente sich nicht nachweisen las- sen.?) Hinter dem Ventrikel geht (ibid.) ein starker Ner- . 1) Wir müssen es dahin gestellt sein lassen, ob sich auf dieses Ver- halten die Angabe von Quatrefages bezieht, dass die Hautnerven von Amphiozus in besondre Zäpfchen ausliefen (l.c. p. 228). An an- dern Körperstellen wurde nichts Analoges gesehn. 2) Beim ausgebildeten Thiere gelang es früher dem einen von uns (Leuckart), in diesen Zellen dieselben Porenkanäle wieder zu finden, die derselbe bei Ammocoetes nachgewiesen und die in gleicher Weise auch bei Petromyzon und Myzine vorkommen. Dieselben sind jedoch bei Amphiozus sehr wenig deutlich. 3) Eine eigentliche, keulenförmige Anschwellung des vordern Mark- endes, wie Schultze sie annimmt, konnte von uns nicht aufgefun- den werden. _ Untersuchungen über niedere Seethiere. 563 venstamm zum vordern Mundrande hinab und verzweigt sich dort, weiterhin erhält jede Kieme, rechts wie links, ihren Nervenstamm, dessen anfänglicher Verlauf, zwischen den Mus- kelabtheilungen versteckt, schräg nach vorne zieht, um dann in eine senkrecht absteigende Richtung überzugehen. In glei- cher Weise geht zum Munde ein stärkeres und zu den ein- zelnen Kiemen jederseits ein schwächeres Faserbündel vom Rücken hernieder, um sich ausgebreitet anzusetzen. Ober- halb des Rückenmarks verläuft durch die ganze Länge des Thiers hindurch ein dünner, nicht, scharf markirter Kanal, der auch beim erwachsenen Thiere von Müller in der skelet- ‘bildenden Schicht gefunden wurde. Die Anordnung der Muskein ist binlänglich bekannt. In der Flosse ist die Einlagerung zarter Strahlen schon bei der Flächenansicht zu erkennen (Fig. 1). Da, wo der Rand der Flosse gelitten hat und eingerissen ist, leisten die Strahlen mehr "Widerstand, als die feine über sie gespannte Haut und stehen frei mit den Spitzen über die Fetzen binaus. Unter der Ohorda schien bisweilen in stark lichtbrechenden Zellen das Material zur Bildung der Knorpelstähchen gegeben. Aehnliche senkrecht stehende neben einander gereihte Zel- len lagen bei ältern Thieren in. dem Saume der Mundöffnung zu einem Ringe geschlossen. Von Mundcirrhen fand sich keine Spur. Die besondern Schwierigkeiten, welche der richtigen Auf- fassung des Mundes und der Kiemen entgegen standen, konn- ten nur durch Beobachtung vieler Exemplare und zum Theil nur durch Lagerung der Thiere auf Rücken und Bauch be- wältigt werden. Die Resultate waren überraschend. Die Zahl der Kiemen betrug (Fig. 1) 11—17, ihre Vermehrung findet hinten statt; dort liegen die unvollkommensten Kie- men, aber auch die vorderste ist durch lokale Beengung ge- ringer entwickelt. Sie liegen an der untern Flüche des Darmes, welcher ohne Spalten über ihnen vom Munde aus nach hin- ten zieht, und entstehen aus und auf der Darmwand selbst, deren obere Begrenzung nahe dem untern Rande der Chorda deutlich und frei verfolgt werden kann. Eine wulstige Her- vorragung in der Mittellinie der untern Darmwand bezeichnet 36 * 564 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: die erste Anlage einer Kieme und erlangt (Fig. 3) durch Ein- ziehung der centralen Partie die Gestalt eines ringförmig ge- schlossenen Walles, welcher sich nach beiden Seiten an der äussern Darmwand hinauf ausdehnt. Im entwickelten Zu- stande liegen diese Wülste dicht einander an und die von jedem Ringe umschlossene Grube ist gleichfalls nur eine enge Furche. Der auf- und der absteigende Schenkel der einen Seite nehmen mehr die Richtung nach vorn, die der andern nach hinten; jeder Wulst faltet sich mehrfach quer und so erhält man, bei durchfallendem Lichte beide Seiten durch- musternd, schwer zu erklärende Bilder, welche leicht zu dem Glauben verleiten, dass die auf einander folgenden Kiemen- wülste bogenförmig in einander übergingen. So fasste wirk- lich Max Schultze die Lage auf und beschrieb die Kiemen als „eime im Zickzack gebogene häutige Schnur.!) (Vergl. Fig.1.) Vorn werden die Wülste dann durch die besondere Gestaltung der linken Seite nach rechts in der Art verscho- ben, dass nicht mehr die Mitte am tiefsten liegt, sondern die linke Umbiegung des Wulstes sich weit weniger erhebt als die rechte. Die Wülste sind mit reihenweise geordneten Wim- pern, sowohl an der innern, wie an der äussern Peripherie jeglichen Ringes besetzt. Diese Wimpern sind weit länger, als die der Epidermis und der innern Darmwand, gewisser- maassen einen Kamm bildend. Sehr auffallend ist ferner der Umstand, dass dieser ganze Kiemenapparat frei nach aussen in das umgebende Wasser hinabhängt. Die dicht gedrängte Kiemenreihe ist nämlich der konvexe Boden einer Rinne, deren Seitentheile durch die beiden Seitenlappen des hier gewissermaassen gespaltenen Körpers gebildet werden. (Eine Abbildung dieser Spalte bei 1) Joh. Müller beschreibt bei dem von ihm beobachteten jungen Exemplare (21/2“' gross) zwei über einander angelegte Reihen von Kie- menspalten, von denen die unteren länglich und grösser, die oberen rund waren. Beide trugen Wimperschnüre. Wir beobachteten nie etwas Aehnliches und können Müller’s Angabe nicht deuten. Ist dort schon eine weitere Entwicklungsstufe der Kiemenwülste zu wirk- lichen Spalten vorhanden gewesen? Untersuchungen über niedere Seethiere, 565 Rückenlage des Thieres haben wir in Fig. 3 gegeben.) Die lange Spalte zwischen diesen Lappen können wir wohl als hintere Kiemenspalte bezeichnen. Sie gestattet einen freien Abfluss des Respirationswassers,. Vorn und hinten wird die Spalte durch das Zusammentreten der immer mehr verstrei- chenden Seitenlappen begränzt. Die Seitenlappen sind hin- länglich entwickelt, um für gewöhnlich bei seitlicher Ansicht die Kiemenwülste ganz oder grösstentheils (Fig. 1) zu ver- decken, so dass die freie Lage der Kiemen nicht gleich beim ersten Anblicke erkannt wird. | Wenn die: Annahme richtig ist, dass aus diesen proviso- rischen Kiemen durch Einlagerung der Knorpelstäbehen und Durchbruch zwischen den Wülsten oder innerhalb derselben in’s Darmlumen hinein die spätern Kiemen entstehn, so darf man wohl den porus abdominalis Mülleri als den Rest dieser Spalte betrachten. In der That lässt die grössere Zartheit der die Kiemenhöhle beim erwachsenen Amphiozus unten deckenden Membran und das in den sogenannten Bauchfalten noch bemerkliche Ueberragen der Seitenwände eine Art Ueber- brückung der jugendlichen Kiemenspalte von vorne und den Seiten her sehr annehmbar erscheinen. Möglich wäre aller- dings auch ein vollständiges Schwinden dieser primären Kie- men und eine Neuentwicklung von Kiemen in viel grösserer Zahl innerhalb des bisherigen Darmkanals aber den Vorzug glauben wir dieser Ansicht a priori nicht geben zu dürfen, Die Beobachtung muss entscheiden. Der linke Seitenlappen besitzt (Fig. 1. 2) eine in der Längsaxe verlaufende Spalte, welche Schultze sah, ohne zur Klarheit über sie zu gelangen. Sie gestattet als vordere Kiemenspalte dem Respirationswasser den Eintritt, hängt- aber mit der äussern Mundöffnung so innig zusammen, dass sie nur in Verbindung mit letzterer verstanden werden kann, Da diese Theile sich abtrennen liessen, so dass der linke Seitenlappen gesondert zur Untersuchung kam, so konnte kein Zweifel über die wirkliche Natur der Seitenspalte blei- ben. Die genauern Verhältnisse sind folgende (Fig. 2). Hinter und unter dem Auge anfangend, wenig tiefer als 566 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: die untere Gränzlinie der Chorda und derselben ziemlich pa- rallel nach hinten ziehend, bemerkt man den obern, dicken, muskulösen Rand der Spalte. Zu ihm biegt sich hinten der untere, schärfere Rand empor, aber derselbe geht nicht di- rekt in den obern über, sondern tritt unter ihn, so dass der obere Rand etwas schirmartig vorragt. Ein Gleiches gilt von dem vordern Theil des untern Randes, nur dass dieser noch mehr in die Tiefe’seine Richtung nimmt als der hintere. In- dem nun der obere Rand über die Spalte hinaus nach vorne sich fortsetzt, verschmilzt er mit dem obern Rande der gleich vor der Kiemenspalte gelegnen, ovalen Mundöffnung. So sind Mundöffnung und vordere oder seitliche Kiemenspalte nur durch eine Brücke getrennt, welche, unten in gleicher Ebene mit der äussern Körperfläche beginnend, oben sich mehr in der Tiefe ansetzt und von der schirmartig vorspringenden obern Lippe der Seitenspalte zum Theil überdacht wird. Ueber diese Brücke hinweg findet eine Kommunikation bei- der Oeffnungen statt. Der Eingang in die Mundhöhle: ist, besonders unten, mit mächtigen Flimmerhaaren besetzt, die nach innen schlagen und, wie man bei Indigozusatz sieht, das Wasser eben so gut in den Darmkanal, wie über jene Brücke weg, gleich wie durch eine Rinne, in die seitliche am Rande durchweg mit kleinern Wimpern besetzte Kiemenspalte treiben. Der so in die Kiemenspalte geführte Strom umspült die Kiemenwülste und fliesst durch die untere Kiemenspalte, oder Bauchspalte, wieder ab. Dadurch wird die Athmung lebhafter, als es die einfache Berührung der wimpernden Kie- men mit dem Seewasser gestatten würde. Die erwähnte Brücke ist muskulös und durch ihre, übrigens nicht rhythmisch statt- findende Zusammenziehung wird die Kiemenspalte verengt und geschlossen, eine Erinnerung an die Athmung höherer Thiere. Durch solche Kontraktion wird natürlich auch der Mund ver- engt. Durch Aktion andrer Muskeln ‘kann derselbe auch mehr nach vorn und unten 'gestellt werden, (fig. 4.) doch liegt er für gewöhnlich so seitlich, dass man frei in seine Höhle hineinsieht (Fig. 2) Der obere Theil des Bodens der Mund- höhle zeigt an der Uebergangsstelle in den Oesophagus ein Untersuchungen über niedere Seethiere. 567 eigenthümliches Organ, gleich einem Halbbogen mit radiärer Zeichnung. Wir müssen unentschieden lassen, ob dasselbe den Anfang des Müller’schen Räderorgans darstellt, oder ob hier ein Geschmacksorgan liegt, welches bestimmt, was aus dem vorübergeführten Strome aufgenommen werden soll. Die Uebergangsstelle zwischen dem hintern Theil der Mund- höhle und dem Darmkanal ist zwar der Einschnürung fähig, aber meist so dilatirt, dass eine scharfe Gränze zwischen Mundhöhle und Darm nicht stattfindet, beide vielmehr einen einzigen Sack bilden. Der ganze Theil des Darmkanals, wel- cher die Kiemen trägt, darf wohl als Speiseröhre betrachtet werden, und muss dies um so mehr, wenn man im erwach- senen Thiere mit Müller die Speiseröhre noch als über die Kiemen hinausgehend betrachten will. Man findet in der That nur in seltenen Fällen Speisetheile in diesem Rohre, dessen weitere Verhältnisse der Kiemen halber schwer zu erkenuen sind. } Von .den letzten Kiemen an geht der Verdauungskanal (Fig. 1) ohne einen Blinddarm zu besitzen, in gleicher Weise bis zum letzten Drittel des Thieres und ist mit feinkörnigen Epitelialzellen ausgekleidet. Nachdem er hier besonders starke Wimperung gezeigt, verengt er sich zunächt ein wenig und endet dann mit einem dünnen, gestreckten Afterdarm, aus dem sein strangförmig geordneter Koth entleert wird. Der After liegt links neben der Flosse, weicht aber bei der Fein- heit der letztern nur wenig vou der Mittellinie des Körpers ab. An der Stelle, wo später „die gefranzte Falte zwischen Mundhöhle und Kiemenhöhle“, sowie „der herzartige Aorten- bogen“ Müller’s liegen, bemerkt man auch schon jetzt (Fig. 4) zwei Organe, welche wohl nur durch weitere Verfolgung ihrer Entwicklung zu verstehen sind.') Beide liegen asymmetrisch zwischen dem Grund der Mundhöhle und den ersten Kiemen- 1) Max Schultze sah bereits diese beiden einander dicht auflie- genden Organe, fasste sie aber, wie es scheint, als Theile eines einzi- gen zusammenhängenden Gebildes „von räthselhafter Beschaffenheit“ anf. Sie bilden den schwierigsten Punkt in der Anatomie des jungen Amphiozus. 568 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: wülsten und umfassen den Schlund von unten. Während sie links nach oben bis zur Chorda emporsteigen und unter ihr sich umbiegend nach vorn spitz auslaufen, wenden sie sich rechts, wo sie weniger ausgedehnt sind, in einem leichten Bogen nach vorne. Das vordere dieser beiden Organe bildet gewissermaasseu den Boden der Mundhöhle und ist blasser, das zweite stärker gewundene ist kräftiger kontourirt und granulirt. Es enthält einen Kanal oder eine Rinne, so dass an der obern und untern Umbiegung nicht selten ein täu- schendes Bild einer Oeffnung nach Ausser ensteht,‘ welche aber nicht vorhanden ist. Zuweilen liegen in diesem Kanale einige Körnchen. Von einem Gefässsysteme ist, wie schon Sich ultze hervor- hebt, nicht die geringste Spur zu finden, wenn man nicht etwa jene räthselhaften schleifenförmigen Gebilde als erste Anlagen der sogenannten Aortenbögen deuten will. Ebenso wenig von einer Anlage der Geschlechtsorgane, wie denn überhaupt die ganze Leibeshöble vollständig von dem Darm- kanal in Anspruch genommen wird. Auch enthielten die Sei- tenwände des Körpers nicht jene später in den Bauchfalten verlaufenden Längskanäle. — | Bemerkung. Das Interesse, welches die vorstehenden Resultate der von Leuckart und mir gemeinsam gemachten Untersuchungen zu bieten schienen, be- wog mich, nachdem dieselben alsbald zum Drucke zusammengestellt waren, bei Gelegenheit der 34ten deutschen Naturforscherversammlung in Karlsruhe in der zoologischen Sektion einen Vortrag über diesen Gegenstand anzukündigen. Dasselbe geschah am folgenden Tage von Herrn Professor Meissner in der anatomisch-physiologischen Sektion. Die Verschmelzung der beiden Sektionen gab Gelegenheit zum voll- ständigen Austausch der Beobachtungen und Ansichten und bemerke ich darüber auf Wunsch des Herrn Professor Meissner, welcher vor- läufig keine Veröffentlichung beabsichtigt, das Folgende: „Meissner bat in Helgoland bereits vor vier Jahren die vordere Kiemenspalte und das Freiliegen der Kiemen am Bauche beobachtet. Nach seinen Untersuchungen entstehen die Kiemen beiderseits und wachsen einan- der entgegen, stehen auch in dem von Schultze gezeichneten Zusam- menhang. Ausser dem starken Nervenstamme geht vor dem Rücken- Untersuchungen über niedere Seethiere. 569 marke ein sattelförmig auf der Chorda aufsitzendes Gehirn bis an die Spitze des Körpers. Es würde misslich sein, genaner auf Ansichten einzugehen, die nur mündlich vorgetragen wurden. Nur soviel hier- über. Steht einerseits durch solche Beobachtung Einiges, und wohl das Interessanteste, aus unsern Mittheilungen doppelt fest, so bleiben doch ausserordentliche Differenzen. Meissner konnte keinen Mund erkennen, und wir sind sehr weit von seiner Auffassung des Gehirnes und der Kiemen entfernt. Meissner sprach die Vermuthung aus, dass einige Differenzen wohl durch den verschiedenen Zeitpunkt der Beobachtung erklärt werden dürften, da seine entscheidenden Beob- achtungen in den Oktober fielen, aber seine Amphioxen hatten dieselbe Grösse und Kiemenzahl wie die 'unsrigen. Für das Identische in un- sern Beobachtungen aber können wir nur bedauern, dass so wichtige Thatsachen der Oeffentlichkeit so lange vorenthalten wurden. Bei jener so überaus reichen Versammlung war es möglich von ältern Be- obachtern die Herren Rathke, Kölliker und Schultze persönlich zu Rathe zu ziehen. Heidelberg, 23 September 1858. | R Pagenstecher. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Junger Amphiozus in Profilzeichnung. 70mal vergrössert. Fig. 2. Vorderes Kopfende desselben mit Sinnesorganen, Mund- öffnung und seitlicher Kiemenspalte. Fig. 3. Untere und hintere Kiemenspalte mit Kiemenapparat zwi- schen den Seitenlappen, bei Rückenlage des Thieres. Fig. 4. Schleifenförmige Organe. Die drei letzten Abbildungen bei 140 maliger Vergrösserung. Pılidıum. Die Larve einer Nemertine, (Taf. XIX.) Ueber die endlichen Schicksale des schönen, bekanntlich zuerst von Joh. Müller (1847) auf Helgoland entdeckten Pilidium herrscht noch immer einiges Dunkel. Während Busch bemüht ist (Beobachtungen über Anatomie und Ent- 570: Rud. Leucekart u. Alex. Pagenstecher: wicklung; 1851, 8. 107), dasselbe zu einer Echinodermenlarve zu stempeln, glaubt Gegenbaur auf Grund zweier Beob- achtungen (Zeitschr. für wissensch. Zoologie V. 1853, 8. 346), „dass im Innern des Pilidium, vielleicht analog mit gewissen Asteridenlarven, ein andres Thier sich entwickelt (aufammt).“ In “derselben Weise hat sich Krohn, der schon im Jahre 1851 wusste, dass im Innern unsres Thieres sehr häufig „ein wurmförmiges oder turbellarienartiges Wesen“ vorkomme (Archiv für Anat. u. Physiologie 1856, S. 78), und schon da- mals an einen genetischen Zusammenhang dieser beiden Thiere dachte, neuerlich mit aller Entschiedenheit dahin ausgespro- chen, „dass das Pilidium eine Nemertine erzeuge und sonach die Bedeutung einer Amme habe.“ J. Müller verwirft die Ansicht von Busch über die Echinodermennatur des Pilidium, ist andrerseits eben so wenig geneigt, die Beziehungen der Nemertine zu dem Pilidium, die ihm gletchfalls schon seit 1851 bekannt waren, unter dem Gesichtspunkt des Genera- tionswechsels aufzufassen. Der Aufenthalt der letztern im Innern des Pilidium macht Auf ihn „den Eindruck einer be- suchten und verlassenen. Herberge, welche der weit. offene Eingang in den Magen des Pilidiums gewährt. (Ebend. 1854, S.81.) Es scheint allerdings, dass J. Müller nach spätern Untersuchungen diese seine Ansichten geändert hat; er spricht sich wenigstens näch einer Bemerkung von Krohn im Herbste 1854 gegen diesen brieflich dahin aus, dass gewisse neuere Beobachtungen „der Ansicht vom Generationswechsel dieser Thiere günstig seien“ (a. a. O. S. 289 Anm.), allein bestimm- tere Angaben feblen. Die Gründe, die Krohn für seine Behauptung, dass die Nemertine im Innern des Pilidium entstehe und sich entwickle, anführt, beruhen auf der Beobachtung, dass erstere nicht in dem Magen des Pilidium, sondern in einer eignen überall ab- geschlossenen Höhle liege, dass sie ferner im Umkreis des Mundes mit ihrem Wirthe in festem Zusammenhang stehe, und nach völliger Reife den Körper desselben durchbreche. Leider ist es Krohn nicht gelungen, die Entwicklung der Nemertine im Innern ‚des Pilidium zu beobachten und da- Untersuchungen über niedere Seethiere. 571 durch die Richtigkeit seiner . Auffassung aufser Zweifel zu stellen. Die Vermuthung, „dass der Wurm schon. früher, ehe noch das Pilidium seine völlige Ausbildung erreicht habe, angelegt werde,“ kann diese Lücke nicht ausfüllen. Trotzdem aber ist die Behauptung von Krobn vollkom- men richtig. Wir sind nicht bloss im Stande, die einzelnen Angaben desselben vollständig zu bestätigen; wir haben’ auch die Entwicklung der Nemertine im Innern des Pilidium Schritt für Schritt verfolgt und dadurch Einsicht in einen Vorgang gewonnen, dem bis jetzt nur die wundersame Entwicklung der Echinodermen als analog an die Seite gesetzt werden kann. Während unsers Aufenthalts in Helgoland kamen zwei Formen von Pilidium zur Beobachtung. Die eine war das bekannte, von J. Müller so trefflich abgebildete P. gyrans Müll. (Arch. für Anat. und Physiol. 1847, Taf. VII.), die au- dere eine neue, von P. gyrans und den verwandten mittel- meerischen Formen sehr auffallend verschiedene Art, die wir hier (Taf. II. Fig. 1.) als P. auriculatum aufführen wollen.?) Wenn man die erstere Form ganz passend mit einem Fech- terhute verglichen hat, dessen Schirm mit vier grossen Klap- pen versehen ist, einer vordern, einer hintern und zwei seit- lichen, dann kann man unser P. auriculatum mit Recht einem Helme ohne Visir und Aufsatz verglichen. Vorderer und hin- terer Lappen sind hinweg gefallen; sie werden durch die ent- sprechenden Ränder des glockenförmigen: Körpers vertreten, während die seitlichen Klappen auf ein paar kurze und schmale ohrförmige Fortsätze redueirt sind,‘ die hinter der. Mitte und den Seitenrändern hervorwachsen und in unbedeutender Krüm- mung nach vorn und unten zu gebogen sind. Die Wimper- schnur hat unter solchen Umständen natürlich eine nur ge- ringe Entwicklung; ein Umstand, der sich auch’ darin aus- spricht, dass unser Thier eine sehr viel langsamere Bewegung hat, als das in lebhaften Kreisen umherziebende P. gyrans. Dazu kommt, dass auch der Wimperbusch auf dem Scheitel 1) Aehnliche Formen scheinen übrigens auch Busch (a. a. O. Taf. XVI. Fig. 1 und 2.) und Krohn (a. a. O. S. 292) gesehen zu haben. 52 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: ‚von P. gyrans hier nur durch einen dünnen Schopf von kur- zen Härchen vertreten ist. Der Leib unsers /. auriculatum ist hell und durchsichtig, wie der einer Qualle oder Noctiluca, mit welcher letzterer dasselbe mit unbewaffnetem Auge um so eher verwechselt werden kann, als der undurchsichtige Magen das Licht in ähnlicher Weise reflectirt, wie der Kern der Noctilucen. Die grossen Pigmentflecke, die bei P. gy- rans, besonders in ältern Exemplaren (Fig. $) an dem Rande der Schirmlappen vorkommen und augenblicklich den Cha- rakter des kreisenden Thieres verrathen, scheinen bei ?. auri- culatum beständig zu fehlen, dafür aber enthalten hier die einzelnen grossen und eckigen, scharf contourirten Epider- miszellen neben dem Kerne noch eine Menge kleiner Körn- chen, die möglichen Falles den Körnern jener Pigmentflecke analog sind.!) | Uebrigens kam das Pilidium auriculatum während unsers Aufenthalts in Helgoland so selten vor, dass wir über die Metamorphose desselben keine fortlaufende Entwicklungsreihe zusammenstellen konnten. Was wir über Nemertinenentwick- lung im Pilidium mitzutheilen haben, bezieht sich demnach zumeist auf P. gyrans. Auch der ausgebildete Nemertes des P. auriculatum ist uns unbekannt; wir wissen nur so viel, dass die einzelnen von uns beobachteten Wesen der Meta- morphose von P. auriculatum, in keinerlei auffallenden Weise von der Nemertesentwicklung des Pil. gyrans verschieden sind, Ueber den Bau des Pilidium gyrans haben wir nach den Bemerkungen Krohn’s nur wenig Neues mitzutheilen. Die Hauptmasse des Pilidiumkörpers besteht aus derselben hya- linen Zellgewebemasse, die unter den Larvenformen niederer Wirbelloser (Echinodermen, Anneliden, Ooelenteraten) so weit 1) Das verhältnissmässig späte Auftreten dieser p. Pigmentflecke macht es bis zum bestimmten Grade wahrscheinlich, dass dieselben exerementitieller Natur sind, doch fehlt uns für diese Annahme ein direkter Nachweis. Ein speeifisches Pigment ist damit nicht verbun- den, denn die helle, mehr weisslich als gelbe Färbung derselben er- scheint einfach als Folge einer Zusammenhäufung zahlloser kleiner Körperchen. Untersuchungen über niedere Seethiere, 573 verbreitet ist. Sie wird nach verschiedenen Richtungen von Fasersträngen durchsetzt, die eine vorzugsweise muskulöse Beschaffenheit haben und durch ihre Contractionen mannich- fache Veränderungen des Körpers hier herbeiführen, Verän- derungen, die nach dem Aufhören der Muskelthätigkeit durch die Elastieität des Parenchyms wieder ausgeglichen werden. Die bedeutendsten dieser Muskelstränge sind die schon von J. Müller gesehenen Fäden, die (Fig. 2 u. 8.) von dem vordern Rande der beiden Seitenlappen jederseits zum Schei- tel emporsteigen und sich unter handförmiger Verästelung hier an die schüsselförmige Verdickung der äusseren Bedek- kuugen ansetzen, in welcher der sg. Federbusch eingepflanzt ist. J. Müller hielt diese beiden Faserzüge für Nerven; man kann sich jedoch, wie auch Krohn hervorhebt, durch unmittelbare Beobachtung leicht von ihrer muskulösen Natur überzeugen.!) Uebrigens ist es immerhin möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass diese Stränge auch zugleich nervöse Ble- mente in sich einschliessen. Wir haben wenigstens einmal ge- sehen, dass die kräftig schwingenden Cilien des Federbusches in demselben Momente stillstanden, als die betreffenden Stränge von dem durchbrechenden Nemertes zerrissen wurden.?) Aehn- liche Stränge, nur zahlreicher und stärker, besonders an der Peripherie, verästelt, finden sich auch (Ibid.) in den Seiten- klappen, und zwar wie es scheint, auf beiden Fläehen, der innern und äussern, so dass man die verschiedenen Stellun- gen dieser Klappen leicht aus der wechselnden Thätigkeit 1) Gleiches gilt auch von den zwei seitlichen „Bändern“, die bei der schönen Actinotrocha von der Bauchseite emporsteigen und in der Mitte des „Schurzes“ sich inheriren. (Vgl. Wagener, Arch. für Anat. 1857. S. 204. Fig. I., II.) R 2) In andern Fällen sind solche Stränge entschieden nervös. So z. B. bei einer in Helgoland von uns beobachteten, schönen und gros- sen (Cels.) ganz durchsichtige Annelidenlarve vno scheibenförmiger Gestalt, deren Scheitelfläche in der Mitte ein unverkennbares Ganglion trug, von dem zwei Seitenfäden nach der Bauchfläche herabliefen. Die Oberfläche des Hirnganglions trug hier zwei Augenflecke und zwei helle, mit einem kernartigen Körper versehene Bläschen, vielleicht Ge- hörorgane. 574 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: dieser Muskellagen ableiten kann. Vordere und hintere Klap- pen sind dagegen mit nur wenigen Fasern durchzogen; sie sind viel weniger beweglich, als die Seitenklappen und über- haupt (wie auch besonders P. auriculatum zeigt) mehr als schirmförmig vorspringenden Ränder des glockenförmigen Leibes, denn als selbstständige Anhangsorgane anzusehen. Die ganze Oberfläche des Körpers ist auch bei P. auri- culatum mit zarten Flimmerhaaren bedeckt, die den frühern Beobachtern entgangen sind. Sie sitzen unmittelbar auf dem Pflasterepithelium, welches die äussere Begrenzschicht der hyalinen Körpersubstanz bildet und an den Rändern der vier Lappen auch die bekannte rädernde Wimperschnur trägt. Am deutlichsten sind sie an der Oberfläche des Hutes, zwischen Wimperschnur und Federbusch. Die Wimperschnur der vor- dern und hintern Klappe greift über die der Seitenklappe eine Strecke weit hinüber, und ist somit klar, dass die Seitenklap- pen nicht genau von dem Rande, sondern von der Innen- fläche des Hutes ihren Ursprung nehmen uud unter dem Rande hervortreten.. In der That ist auch die Entfernung einer Seitenklappe von der andern wesentlich geringer als der Querdurchmesser des darüber liegenden Körpers. Dass diese Seitenklappen, ausser der die Ortsbewegung vermittelnden mächtigen Wimperschleier, auf der Innenfläche noch einen zweiten, von grössern Flimmern gebildeten Reif tragen, der die Nahrungszufuhr vermittelt ist, schon in den neuesten Mit- theilungen von Krohn (a. a. O. 5. 290) hervorgehoben.) Diese Flimmerreifen sitzen (Ibid.) an der Innenseite des wul- stig verdickten Randsaumes, sind also in einer der Wimper- schnur genau entsprechenden Weise angeordnet, aber ihre Haare schlagen nach innen und stehen niemals über den Rand 1) Aehnliche Einrichtungen giebt es auch bei andern Larven mit loeomotiven Wimperreifen, besonders bei Annelidenlarven. Bei der oben erwähnten Larve finden sich unter dem peripherischen Wimper- kranze noch zwei andere schwächere Flimmerreifen, die eine Rinne zwi- schen sich machen, in der am Vorderende der Mund gelegen ist. Alles was durch die Thätigkeit dieser beiden Wimperreifen in die Rinne eingetrieben wird, gelangt schliesslich in den Mund. Untersuehungen über niedere Seethiere: ' 575 der Seitenklappen nach aussen hervor, wie die Cilien der ortsbewegenden Wimperschnur. Der hintere Schenkel dieses Flimmerreifens gebt von der Basis der Seitenklappen auf die Unterfläche des Körpers über und lässt sich hier bis in den Schlund hinein verfolgen. | Eine eigentliche scharf begrenzte Mundöffnung kann man bei ?. gyrans kaum unterscheiden. Dafür aber ist (Fig.'2) der ganze zwischen den Seitenklappen gelegene Theil der untern Körperfläche nach oben zu vertieft und in einen trich- terförmigen Hohlraum verwandelt, der sich schliesslich in den Oesophagus und durch diesen in den kugligen Magen hinein fortsetzt. Die Basaltheile der Seitenklappen sind dabei ein- ander so stark angenähert, dass die Breite dieses Mundtrich- ters ungefähr nur ein Drittheil seiner Länge beträgt. (Bei P..aurieulatum, das an seiner untern Fläche eine sehr viel beträchtlichere Breite besitzt, fehlt ein soleher Mundtrichter. Kaum dass derselbe durch eine flache Vertiefung angedeutet ist. Der Oesophagus mündet hier zwischen ‚den Vorderrän- dern der Ohrfortsätze durch eine klaffende Mundöffnung nach Aussen.) Der Magen liegt beständig (Fig. 1 u. 2) in der einen Hälfte des Körpers, und zwar der Unterdäche angenähert. Wir bezeichnen diese Hälfte als die hintere und dürfen das wohl um so bestimmter thun, als sie später auch das Hinterleibs- ende der Nemertes in sich einschliesst. Wie schon oben er- wähnt wurde, bat der Magen eine kugelige Form. Er trägt im Innern eine dicke, gelb gefärbte Zellenlage, deren starke Flimmerung schon von den frühern Beobachtern hervorgeho- ben wurde. Besonders bei ältern Individuen sieht man darin meist auch eine Anzahl von Fetttröpfehen und schwarzen Pigmentkörnern. Ein Mastdarm und After fehlen. Der Oeso- phagus mündet am vordern Ende und wird von einem ziem- lich kurzen ceylindrischen Rohre gebildet, welches bogenför- mig nach unten herabsteigt und ungefähr in der Längsachse des Körpers mit dem: obern Ende des Mundtrichters ohne deutliche Grenzen sich vereinigt. Die Wandungen des Oeso- phagus scheinen von muskulöser Beschaffenheit zu sein, tra- 576 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: gen aber auf der Innenfläche gleichfalls Wimpern, wie die Drüsenwandungen des Magens, während der Mundtrichter, wie schon erwähnt worden, sie nur auf seiner hintern Fläche zu zeigen scheint, da, wo die Flimmerreifen der Seitenlappen in denselben eintreten. Auch auf der Magenwand dürfte übri- gens der Muskelüberzug nicht fehlen; man sieht an derselben wenigstens mitunter dieselben zuckenden Zusammenziehungen, wie am Oesophagus. Zur Untersuchung dieser Verhältnisse eignen sich beson- ders solche Exemplare von Pilidium, in denen der Nemertes entweder noch gar nicht zur Anlage gekommen oder doch wenigstens noch nicht sehr weit entwickelt ist. Solche Exem- plare sind freilich selten und z. B. J. Müller bei seinen er- sten Untersuchungen gar nicht vor Augen gekommen, wess- halb dieser denn auch zu der Bemerkung sich gezwungen sah, dass ihm der innere Bau unseres Pilidium nicht gehörig klar geworden sei. Der von Müller gesehene und gezeich- nete „Wulst,“ der den Eingang in die Magenhöhle umgiebt, ist aber nichts Anderes, als der in seiner Entwicklung bereits weit vorgeschrittene ‚Vemertes. Wir wollen übrigens auch uns gar nicht rühmen, dass die Verhältnisse gleich von Anfang an uns verständlich gewesen seien. Es hat im Gegentheil einer langen und fortgesetzten, immer wieder von Neuem begonnenen Untersuchung, es hat auch vieler vergeblicher Erklärungsversuche bedurft, bevor wir, durch Vergleichung und Combination der einzelnen Ent- wicklungszustände und Bilder den Vorgang erfassten. Es würde nicht rathsam sein, dem Leser den ganzen Entwick- lungsgang unserer Erkenntnisse hier vorzuführen; wir wollen uns mit einer mehr dogmatischen Darstellungsweise begnügen. Der Nemertes, um mit wenigen Worten das Hauptresultat unserer Beobachtungen zur leichten und besseren Örientirung vorauszuschicken, entsteht im Innern des Pilidium, indem er zunächst mit seiner Bauchfläche zu den Seiten des Mundtrich- ters so wie unterhalb des Verdauungsapparates angelegt wird, den letzteren immer mehr umwächst und schliesslich völlig in sich aufnimmt. Oesophagus und Magen des Pilidium wer- Untersuchungen über niedere Seethiere. 577 den auf solche Weise zum Oesophagus und Magen des Ne- mertes, dessen Kopfende beständig nach vorn zu gerichtet ist. Wie der Seeigel oder Seestern, so nimmt also auch der Ne- mertes in der Körpersubstanz seiner Larve zwischen Darm- wand und äusserer Leibeshülle oder, wenn man lieber will, im Umkreis der erstern an seinen Ursprung. Ist derselbe völlig entwickelt, so durchbricht er das bis dahin noch immer un- veränderte Pilidium, um dann ein selbständiges Leben zu beginnen, während das Pilidium, d. h. die äussere darm- und magenlose Hülle der frühern Larve, zu Grunde geht. Hat man diese Entwicklungsweise einmal erkannt, dann ist es eben richt allzu schwer, die einzelnen Ansichten zu deuten, obgleich die Bildung und der Bau der Nemertesor- gane noch immer mancherlei Eigenthümlichkeiten besitzen. Was das Verständniss noch weiter trübt, ist der Umstand, dass der Nemertes nicht gestreckt im Innern des Pilidium liegt, sondern im Uebereinstimmung mit den räumlichen Verhältnissen sich zusammenknäuelt und das noch dazu in einer diagonalen Richtung, so dass die Symmetrie in hohem Grade gestört ist. Uebrigens darf man nicht meinen, dass die Entwicklung des Nemertes im Innern des Pilidium in allen Fällen genau mit der Grösse des letztern parallel geht. Wir haben Pili- dien gesehn, die trotz ihrer unbedeutenden Grösse (0,7 Mm.) bereits einen völlig oder fast völlig ausgebildeten Nemertes enthielten und andrerseits auch unter den grössesten Exem- plaren (0,9 Mm.) einzelne gefunden, bei denen eben erst die frühesten Anfänge der spätern Metamorphose zu erkennen waren. Ueber die Art und Weise wie diese ersten Anlagen des. Nemerteskörpers geschehen, wollen wir noch später einige Bemerkungen mittheilen. Bei unserer jetzigen Darstellung legen wir ein etwas späteres Stadium zu Grunde, jenes Sta- dium, an dem bereits die Bauchfläche unseres Wurmes ent- wickelt ist. Diese Bauchanlage hat (Fig. 2) eine nachenför- mige Gestalt und ist mit ihrer Ooncavität nach oben, dem Scheitel zu gerichtet. Die untere convexe Fläche liegt der Müller’s Archiv. 1858, 37 573 Rud. Leuckardt u, Alex. Pagenstecher: äussern Körperhaut des Pilidium an und zwär der Art, dass sie mit ihren Seitentheilen den Mundtrichter umfasst und mit ihrer hintern Hälfte unter den Magengrund sich hinschiebt, denselben mehr oder minder tief in ihre nach oben sehende Concavität aufnehmend. Der nachenförmige Körper umgiebt auf diese Weise den Mundtrichter; man kann sich gewisser- maassen vorstellen, dass derselbe aus zweien Blastemstreifen zusammengesetzt werde, einem rechten und einem linken, die sich zu den Seiten des Mundtrichters „wulstartig“ entwickelt hätten und an den Enden desselben und über ihn hinaus zu einer gemeinschaftlichen Masse mit einander verschmolzen wären. Die histologischen Elemente dieser Masse sind von denen des Pilidium sehr auffallend verschieden; sie bestehen aus kleinen Kernzellen, die ohne merkliche Bindesubstanz zusammengehänft sind und deshalb denn auch vollkommen undurchsichtig erscheinen. Die beiden Seitentheile dieses nachenförmigen Körpers zeigen (Ibid.) einen starken und napfartigen, runden Vor- sprung mit einer lichten Grube im Innern, die auf spätern Stadien noch deutlicher ist und dann durch eine Bekleidung mit stark wimpernden Flimmerhaaren auffällt. Diese Grube ist aller Wahrscheinlichkeit nach in den Mundtrichter geöffnet und repräsentirt die erste Anlage der spätern Flimmerkanäle. Das nach vorn gekehrte Ende des nachenförmigen Kör- pers ist (Ibid.) beträchtlich dicker und massiger, als das hin- tere, welches den Magengrund umfasst und eine Strecke weit auf der Oberfläche desselben hinläuft, ohne dass man mit Be- stimmtheit seine jeweiligen Grenzen angeben könnte. Die An- lage des Nemertesleibes erscheint somit fast keulenartig. Einst- weilen aber ist dieses vordere, kopfförmig verdickte Ende noch ohne weitere Auszeichnung. Nur ein kleiner heller Fleck von dunkler Contour umgeben, wie eine wallartig gesäumte Grube, macht sich bisweilen in der Tiefe bemerkbar. Die nächsten Veränderungen bestehen (Fig. 3) darin, dass das vordere Ende der nachenförmigen Anlage unter gleich- zeitiger Massenzunahme sich stärker emporkrümmt und hin- ter dem vordern, aufgewulsteten Rande, aus der Tiefe der Untersuchungen über niedere Seethiere. 579 Concavität ein ziemlich dickes Zäpfchen hervortritt, welches sich bald, wie es scheint, um ein beträchtliches verlängert und dann als ein hohles Rohr erscheint, das auf der Rücken- fläche des. Mundtrichters allmählich bis zum. Magen des Pilidium emporsteigt und auch auf diesem noch eine Strecke weit sich fortsetzt (Fig. 4—6). Wahrscheinlicher Weise ist dieses Rohr die weitere Entwickelung des schon auf dem vor- hergehenden Stadium erwähnten Ringwalles. Ueber seine Be- deutung kann nach unsern Beobachtungen kein Zweifel sein; es ist der Rüssel unserer Nemertine. Freilich erkennt man das mit Bestimmtheit erst in einer spätern Zeit, wenn der Rüssel sich auf der Oberfläche des Magens vielfach schlän- gelt!) und in dichte Windungen zusammenlegt (Fig. 7—9), ohne jedoch jemals mit demselben in eine andere Beziehung als die der benachbarten Lage zu treten. Während der Entwicklung des Rüssels hat sich das Kopf- ende des Nemertes immer stärker emporgekrümmt und der vordern Fläche des Pilidiumdarmes allmählich angenähert (Fig. 4—6). Gleichzeitig ist auch das hintere Ende des Ne- mertes, das dicht auf der äussern Magenhaut des Pilidium liegt, beträchtlich gewachsen. Es erscheint (Ibid.) als eine Blastemschicht von mässiger Dicke, die sich am Blindsack des Magens allseitig, wie eine Kappe, hinaufzieht und auf der Oberfläche desselben bis in die Nähe des hintern Rüsselendes verfolgt werden kann (Fig. 5—6). Bei näherer Untersuchung überzeugt man sich sogar von der Anwesenheit einer dünnen Membran, die oberhalb des Rüssels hinläuft und die Ränder des Kopfendes mit denen des Schwanzendes verbindet; man überzeugt sich mit andern Worten davon, dass der frühere 1) Offenbar hat schon Gegenbaur diesen Rüssel auf einer ziem- lich frühen, Entwicklungsstufe gesehen (G’s. „Sförmig ‚gewundener Schlauch)“, ohne aber seine Natur und Beziehung zur Nemertesent- wickelung zu erkennen. A. a. O. S, 346. (Der zweite, im Innern flimmernde ‚Schlauch, dessen G. Erwähnung thut, ist unstreitig der Oesophagus des Pilidium, dessen Organisation überhaupt nur sehr un- vollkommen erkannt wurde. Ganz irrthümlich ist u. a. die Angabe, dass Mund und Darm der frühern Stadien jetzt abwesend sei.) 37* 580 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: nachenförmige Primitivstreif jetzt den ganzen Datnappazat umwachsen hat. (Ibid.) Um diese Zeit beginnt auch eine stärkere Sonia des Nemertes von dem Körperparenchym des Pilidium. Allerdings ist die äussere Begrenzung desselben von Anfang an eine scharfe gewesen, aliein nichts desto weniger erschien der Körper des neugebildeten Wurmes doch bisher immer nur als eine Einlagerung in die Substanz des ursprünglichen Thieres. Nach der Umwandlung der nachenförmigen Anlage in eine geschlossene Hohlkugel weicht nun aber das Paren- chym des Pilidiums eine Strecke weit von der Oberfläche des Nemertes zurück, so dass der letztere jetzt (Fig. 7—9) im Innern eines eigenen Hohlraumes gelegen ist, in einer Leibes- höhle, von der freilich auf den früheren Stadien keine Spur vorhanden war. Am deutlichsten ist diese Leibeshöhle ober- halb des Wurmes über jener dünnen Verbindungshaut, die wohl als erste Anlage der Rückenfläche zu betrachten ist. Die stark convexe untere Fläche des Wurmes liegt meist dicht an der Wand der Leibeshöhle und treibt diese nicht selten sogar in Form einer buckelförmigen Wölbung zwischen den Basaltheilen der Seitenklappen nach Aussen hervor. Es ist oben bemerkt worden, dass sich der Rüssel unseres Nemertes hinter dem aufgewulsteten Rande des Kopfendes aus der Tiefe der Concavität erhebe. Die Ursprungsstelle des Rüssels liegt übrigens (Fig. 5, 6) in einiger Entfernung von diesem Rande, ungefähr in der Mitte zwischen ihm und den seitlichen Flimmergruben. Von da läuft der Rüssel an- fänglich auf dem Boden des Primitivstreifens, also ziemlich parallel mit der Profilceontour des Kopfendes, bogeuförmig nach vorn und oben, um dann schliesslich, wie erwähnt, hinter dem wulstigen Kopfende nach Aussen hervorzutreten. Man sieht, wie auffallend sich diese Verhältnisse von der spätern Lage des Nemertinenrüssels unterscheiden. Während derselbe bei dem ausgebildeten Nemertes gradeswegs von vorn nach hinten verläuft, bildet er einstweilen mit der Bauch- fläche des Wurmes einen stumpfen Winkel. Doch so verhält es sich nur in der ersten Zeit der Entwickelung. Sobald der - { Untersuchungen über niedere Seethiere. 581 Rüssel auf der vordern Fläche des Magens angekommen ist, gehen (Fig. 7) mit dem vordern Kopfende des Wurmes eine Reihe von Veränderungen vor, die eine andere Stellung des Rüssele zur Folge haben, und den Iusertionswinkel desselben allmählich in einen rechten und später sogar in einen spitzen verwandeln. Eine vollständige Streckung des Rüssels geschieht jedoch erst bei der Geburt, wenn der bis dahin zusammen- gerollte Leib des Nemertes sich entwickelt. Die eben erwähnten Veränderungen des Kopfendes stehen, wie es scheint, zunächst und vorzugsweise mit der Ent- wickelung des Hirnes im Zusammenhange. Die Bauchwand des Kopfendes, die sich von Anfang an durch eine ganz an- sehnliche Dicke vor den übrigen Theilen der Nemertesanlage ausgezeichnet hatte, erhebt sich auf ihrer concaven Ober- fläche (Fig. 5, 6) rechts und links, vor der Rüsselbasis, zu einem ansehnlichen oblongen Wulste, der nach Lage und Gestalt nur die erste Anlage der Hirnganglien sein kann. Je mehr sich diese Wülste entwickeln, desto mehr ebnet und streckt sich das Kopfende. Es entfernt sich mit seinem Rande immer mehr von dem Rüssel, der ursprünglich dicht dahinter zum Vorschein kam und verwandelt sich schliesslich in einen ziemlich platten und schaufelförmigen Fortsatz, der (Fig. 7—9) mit dem Rüssel einen ziemlich rechten Winkel bildet und nach hinten allmälich in die übrige gekrümmte Bauchfläche des Nemertes übergeht. Es fällt das ungefähr in jene Zeit, in welcher der Rüssel sich mit seinem äussern Ende zu schlängeln beginnt (Fig. 7). Um dieselbe Zeit be- merkt man auch die ersten Spuren einer weitern organolo- gischen Sonderung in der Bauchwand. Man sieht, wie die Masse der Körperwand, und zwar zunächst (Ibid.) die vor- dere Hälfte derselben, in zwei Schichten zerfällt, eine äussere dünnere, die Epidermis, und eine untere, dickere,-die sich viel- leicht als Muskelschicht bezeichnen lässt; man sieht auch vor den beiden Hirnwülsten ein Paar Pigmentflecke, die zwei Augen unseres Nemertes. Diese Umwandlungen des Kopfes müssen natürlich auch auf die Bildung der dünnen Rückenhaut, so weit diese sich 582 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: an die Ränder des primitiven Kopfwulstes ansetzte, influiren. Sobald das Kopfende des Nemertes durch Streckung und Ab- flachung seine spätere Gestalt gewonnen haft, erkennt man auf der Rückenfläche desselben eine Scheiteldecke, die sich brückenartig über die Hirnwülste ausspannt und von da in einem fast rechten Winkel sich erhebend (Fig. 7) auf die Rückenfläche des Rüssels übergeht. Kein Zweifel, dass diese Scheiteldecke aus dem vordern Theile der frühern dünnen Rückenhaut hervorgegangen ist. Ein heller Raum, der unter derselben zwischen den beiden Hirnwülsten gefunden wird, erscheint als vorderer Theil der späteren Rüsselhöhle, die an der Spitze des Kopfendes schliesslich (als Rüsselöffnung) nach Aussen hindurchbricht. Wir haben eben erwähnt, dass die definitive Bildung des Kopfendes bei unserm Nemertes durch Streckung und Ab- plattung des ursprünglichen Blastemes herbeigeführt werde, Diese Vorgänge bleiben nun aber nicht auf das Kopfende be- schränkt, sondern setzen sich von da nach hinten auch weiter auf die Bauchfläche des Leibes fort, nur dass die Streckung hier, der beschränkten räumlichen Verhältnisse wegen, nicht so vollständig geschehen kann, als an dem Kopfende. Die nächste Folge dieser Veränderungen ist eine Einschnürung des Mundtrichters, der die Bauchwand des Nemertes Anfangs (Fig. 2—6) in einer langen Spalte durchsetzt hatte, jetzt aber (Fig. 7) unter dem Drucke seiner nächsten Umgebung sich zu einer verhältnissmässig nur engen ovalen Oeffnung ver- kleiner. Was oberhalb dieser Oeffnung in dem Innern des Nemertes liegt, ist der frühere Oesophagus des Pilidium, der noch immer, wie auch der Magensack, im Wesentlichen die frühern Verhältnisse darbietet, nur dass der letztere sich all- mählich etwas abgeplattet und nach hinten zipfelförmig ver- längert hat (Fig. 8,9). Der oberhalb des Oesophagus und Ma- gens gelegene Rüssel, der um diese Zeit eine bereits sehr ansehnliche Länge besitzt, zeigt nicht selten peristaltische Be- wegungen, die von den zuckenden Oontractionen des Darm- apparates ganz unabhängig sind. Wir brauchen wohl kaum zu bemerken, dass die von der Bauchwand umfasste Stelle Untersuchungen über niedere Seethiere. 583 des Mundtrichters die spätere Mnndöffnung des Nemertes darstellt. Zur Zeit der ersten nachenförmigen Anlage des Nemertes beobachtet man in den Seitentheilen desselben rechts und links, wie oben erwähnt ist, einen runden oder scheibenför- migen Zapfen, der einen flimmernden Hohlraum im Innern ein- schliesst (Fig. 2). Es wurde damals die Vermuthung geäussert, dass dieser Hohlraum mit dem Mundtrichter communieire, So viel ist jedenfalls gewiss, dass der Wulst, der denselben in sich einschliesst, dem Mundtrichter anliegt. Während der spätern Entwicklung tritt dieser Wulst immer mehr und mehr zurück; es scheint, als wenn die Masse desselben mit den übrigen Theilen der Bauchwand allmählich bis zu einem gewissen Grade verfliesse. Diese Veränderung ist aber nicht die einzige, welche mit den beiden Wülsten vor sich geht. Während der Abplattung der Bauchwand verlieren die- selben auch ihre frühere geneigte Stellung; sie nehmen all- mählich eine Horizontallage an und rücken schliesslich (Fig. 7—9) in die Ebene der Bauchfläche, wo sie sich zu den Seiten des Mundes noch bei dem ausgeschlüpften Thiere auf- finden lassen (Fig. 10). Der fimmernde Hohlraum, den diese Wülste einschlossen, hat sich inzwischen immer mehr (Fig. 5, 6) zu einem Canale verlängert, der von seiner Ursprungsstelle in diagonaler Rich- tung nach vorz und aussen läuft und am Rande des Kopfes, dicht hinter den Ganglien mit einer Oeffnung ausmündet. Diese zweite, vordere Oeffnung (Fig. 7—10) ist die schon seit längerer Zeit bekannte Oeffnung des sg. Wassergefäss- systems, als dessen centraler Theil sich der betreffende Canal jetzt zu erkennen giebt. Die Oeffnung zeigt dieselbe starke Flimmerbewegung, die an dem hintern centralen Ende des Canals schon früher nachgewiesen werden konnte, Bei weiter entwickelten, reiferen Exemplaren sieht man (Fig. 8, 9) jeder- seits vor dieser Oeffnung bis zur Spitze des Kopfendes eine Rinne hinziehen, die von ein Paar schmalen Lippen begrenzt wird und sich durch Lage und stärkere Flimmerung als die bekannte sg. Wimperrinne (foveola) der Nemertinen zu er- 584 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: kennen giebt. Um diese Zeit ist auch der übrige Körper des Nemertes mit deutlichen Flimmerhaaren überzogen; die äussere Körperhaut zeigt sich in ganzer Ausdehnung, auch auf den Rücken, verdickt, die Muskelschicht zu kräftiger Zusammen- ziehung befähigt. Das Pilidium kreist noch immer in alter gewohnter Weise, während im Innern ein neues Leben erwacht ist. Der junge Nemertes (Fig. 8) reckt und streckt sich, er krümmt sein hinteres, besonders bewegliches Körperende auf und nieder, bis es ihm schliesslich gelingt, seine engen Hüllen zu sprengen und abzustreifen. Wir hatten nur ein- einziges Mal das Glück, diesen Vorgang des selbständigen Aus- schlüpfens vollständig zu beobachten. Der Nemertes durch- brach dabei zunächst die innere Begrenzung seines Brut- raumes im Hinterende des Pilidium; er gelangte durch die Riss- stelle hinein in das hyaline Körperparenchym des Hutes, durchwühlte dasselbe nach verschiedener Richtung und fand unter fortwährender kräftiger Bewegung schliesslich zwischen Federbusch und Vorderwand einen Ausgang. Der Körper des Pilidium collabirte hinter dem mit dem Kopfende voran gebornen Nemertes, der Federbusch stand still, aber die Cilien der Wimperschnur schlugen nach wie vor und trieben da- durch die Ueberreste des Muttertbieres vorwärts. Die Lösung des Nemeries war übrigens anfänglich eine nur unvollkommene, denn die Lippenränder des neugebornen Thieres waren in einen Canal verlängert, der durch den klaffenden Riss in den Körper des Pilidium übertrat und beide noch eine Zeitlang mit einander im Zusammenhang liess. Es leidet nach der Entwicklungsweise des Nemertes keinen Zweifel, dass dieser Canal trotz seiner Länge, die fast der halben Länge des Nemertes gleichkam, nichts als der strangförmig ausgezogene Mundtrichter des Pilidium war. Uebrigens scheint es nicht, als wenn die Verbindung zwischen dem jungen Nemertes und ‚seinem Pilidium jedes Mal den Akt der Geburt überdauert, wenigstens sahen wir in zweien Fällen, in denen die Geburt unmittelbar nach der Uebertragung des Pilidiums auf den Objektträger stattfand, den Nemertes gleich von Anfang an Untersuchungen über niedere Seethiere. 585 ganz frei umherschwimmen. Auch konnte der Nemertes ohne Beschädigung frei präparirt werden. Der neugeborne Nemertes hat (Fig. 10) eine ovale Form und bei einer Länge von 0,6 - 0,7 Mm. eine ziemlich ansehn- liche Breite, besonders in der hintern Hälfte. Seine Farbe ist eine gelblich braune. Ein Schwanzfortsatz, wie er so häufig bei den in Pilidien gebildeten Nemertinen gefunden wird und nach J. Müller auch bei dem Sprösslinge eines Helgoländer Pilidium vorkommt, feblt unserm Thiere. Der Rüssel ist ohne Bewaffnung, auf seiner Innenfläche jedoch mit zahlreichen, scharf contourirten Körperchen versehen, die bei dem ersten Blick an Angelorgane erinnerten, bei näherer Untersuchung aber als weiche, fettartig glänzende Massen von vielfach wechselnder Form sich ergaben. Die zwei Augen- flecke sind obne brechende Medien. Ein After scheint einst- weilen noch zu fehlen. Ebenso scheint das Wassergefäss- system vorerst nur auf den schon oben beschriebenen Cen- traltheil mit seinen beiden (bei Alardus auch von Busch a, a. O. Tab. XI. Fig. 8 gesehenen) Oeffnungen beschränkt zu sein. Ob die eine dieser Oeffnungen späterhin oblitterirt, müssen wir dahin gestellt sein lassen, doch kennen wir bis jetzt bei den Nemertinen nur eine einzige Ausmündung des Wassergefässsystems, entweder am Ende der Flimmergrube, „oder (M. Schultze in Carus Icon. Zoot. Tab. VIII. Fig. 10) ungefähr in der Mitte des Körpers an der Bauchfläche, an Orten also, die unsern beiden Oeffnungen entsprechen. An der Südwestküste Helgolands lebt (nach ältern Beob- achtungen aus dem Jahre 1846) im Schlamme und unter Steinen eine fingerlange Borlasia (B. rubra n. sp.), die nach ihrer bräunlichen Färbung und der Zweizahl der Augenflecke möglicher Weise der ausgebildete Zustnad des eben be- schriebenen Thieres sein könnte. Ueber die Entwicklung und die ersten Zustände der Pilidien wissen wir Nichts. Wir kennen auch keine jüngere Larvenform, von der zu vermuthen wäre, dass sie in den Ent- wicklungskreis dieser Thiere hineingehöre. Die beobachteten Exemplare hatten obne' Ausnahme bereits die charakteristi- 586 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: schen Form- und Bauverhältnisse des Pilidium; sie enthielten auch fast alle bereits eine mehr oder minder weit entwickelte Nemertesanlage. Unter mehr als hundert Exemplaren waren nur etwa drei oder vier, die dieser Anlage entbehrten, dafür aber ein Paar Gebilde erkennen liessen, die schon früher von J. Müller in Triest und Helgoland bei Pilidium gesehen und als Zeichen einer beginnenden weitern Entwicklung be- trachtet wurden. (Archiv f. Anat. 1854. S. 82.) Es sind dieses (Fig. 1) ein Paar napfartige Organe (Saugnäpfe J. Müller) oder, wenn man lieber will, ein Paar Ringwülste, die zwischen den Basaltheilen der beiden Seitenklappen, etwas mehr nach vorn, als nach hinten zu gelegen sind und den Seitenwänden des Mundtrichters angehören. J. Müller sah einige Mal ein doppeltes Paar solcher „Saugnäpfe,“ ein vorderes und ein hinteres; in den von uns beobachteten Fällen war jedoch immer nur ein einziges Paar vorhanden. Das spärliche Ma- terial, das uns zu Gebote stand, hat es unmöglich gemacht, die Metamorphose dieser Gebilde zu verfolgen, aber Lage und Aussehen derselben erinnert zu auffallend an die von uns oben beschriebenen scheibenförmigen Seitenwülste der nachenförmigen Nemertesanlage, als dass wir nicht mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit annehmen dürften, es seien diese - letztern mit den Müllerschen Saugnäpfen identisch. Sollte sich unsere Vermuthung bestätigen, dann würde sich in dieser frühzeitigen Bildung des sg. Wassergefässsystems eine neue wichtige Analogie mit der Entwicklung der Echinodermen kund thun, Die Frage, ob wir es bei der Entwicklung unserer Ne- mertinen mit einem Generationswechsel oder einer Meta- morphose zu thun haben, wollen wir hier nicht näher er- örtern. Man kann am Ende für beide Auffassungsweisen eine Reihe von Gründen geltend machen, obwohl das Ge- wicht derselben, unserem Erachten nach, weit mehr der An- sicht einer Metamorphose sich zuneigt. So viel ist gewiss, dass die Frage nach der theoretischen Deutung der von uns beschriebenen Vorgänge mit der Auffassung der Echinoder- menentwicklung Hand in Hand geht. Die Entwicklung des Untersuchungen über niedere Seethiere. 587 Nemertes in seinem Pilidium ist, von den Einzelnheiten ab- gesehen, genau dieselbe, wie die Entwicklung eines Echinus oder einer Ophiure im Innern des Pluteus, nur vielleicht in sofern etwas einfacher, als bei unserm Nemertes nicht bloss der Magen, sondern auch der Oesophagus und gewisser- massen selbst der Mund in den ausgebildeten Zustand mit hinübergenommen wird. Verloren gehen nur diejenigen Or-: gane, die unsre Larve zu einer besondern, provisorischen Be- wegung und Nahrungsweise befähigen‘, die wir auch sonst bei der Metamorphose verschwinden und durch andere neu gebildete Organe sich ersetzen sehen.! Die Analogien, die sich andererseits zwischen der Ne- mertesentwicklung im Innern des Pilidium und.der einfachern, von Desor und Schultze (vgl. Ztschr. für wiss, Zool. IV, S. 181) beobachteten Entwicklung der Nemertes olivacea sich herausstellen, sind bereits von Krohn zur Genüge (a. a. O. S. 291) gewürdigt worden. Die flimmernde Umhüllungshaut, unter welcher die junge Nemertine hier ihren Ursprung nimmt, entspricht einem Pilidium, das gewissermassen beständig auf seinem Embryonenzustande verharrt. Es scheint auch Nemertinen zu geben, die sich ohne alle Metamorphose auf ganz direktem Wege entwickeln, d. h. solche, die bereits mit der spätern Gestalt und Bildung das Ei verlassen. So sah es M. Schultze (Beitr. zur Natur- gesch. der Turbellarien S. 62) bei dem viviparen Tetrastemma obscurum, so beachtete es auch Leuckart während seines Aufenthalts in Nizza bei einem in der Leibeshöhle von Phal- lusia mamillaris schmarotzenden, farblosen Tetrastemma, das in allen Stadien, als Ei, als Junges und geschlechtsreifes Thier parasitisch zu leben schien. Wir brauchen kaum hinzuzufügen, dass uns solche Kerr schiedenheiten der Entwicklung gegenwärtig, und namentlich nach den Erfahrungen über Echinodermenentwicklung, nicht mehr überraschen können. | 588 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: Erklärung der Abbildungen auf Tab. XIX. Fig. 1. Pihdium auriculatum n. mit „Saugnapf.* Fig. 2. Pilidium gyrans, mit erster Nemertesanlage. Fig. 3—7. Allmähliche Entwicklung dieser Anlage im EN des Pilidiummagens. | Fig. 8. Pilidium mit völlig ausgebildetem Nemertes im Innern. Fig. 9. Ein eben solcher Nemertes, in seiner Bruthöhle. Fig. 10. Neugeborner Nemertes von Pilid. gyrans. (Sämmtliche Figuren bei etwa 140facher Vergrösserung.) Tomopteris. (Bierzu Taf. XX.) Was wir über diese interessante und bis jetzt nur selten untersuchte Wurmform!) mitzutheilen haben, betrifft weniger die Organisation im Ganzen, als vielmehr eine Reihe von einzelnen Punkten, die von den frühern Beobachtern zum Theil übersehen, zum Theil auch unvollständig erkannt sind. Die untersuchten Exemplare gehören möglicher Weise zu zwei verschiedenen Arten. Die eine derselben (Fig. 1) ist die von Busch gleichfalls auf Helgoland gefundene und be- schriebene (Müller’s Arch. 1847, S. 180. Tab. VII. Fig. 5.) T. onisciformis, die freilich kaum mit der von Eschscholtz unter diesem Namen zuerst bezeichneten südseeischen Species identisch sein dürfte; die andere (Fig. 8) bildet vielleicht eine 1) Dass Tomopieris, wie Grube zuerst hervorhob, den Anneliden und nicht, wie neuerlich noch Burmeister (zoonomische Briefe 11. S. 124) behauptet hat, den Heteropoden resp. Mollusken zugehöre, darüber kann, nach Abwägung der einzelnen entscheidenden Charaktere, kaum ein Zweifel sein. Wir glauben selbst, dass derselbe ohne Zwang den Chaetopoden zugerechnet werden könne, zumal die Borsten der Kopfeirren, obgleich sie nicht frei hervorragen — ähnliches findet sich bekanntlich auch in den sg. Flügeln von Chaetopterus — die Form und Bildung der bei diesen Thieren sonst vorkommenden Borsten genau wiederholen. Untersuchungen über niedere Seethiere. 589 neue Art, die wir nach ihrem auffallendsten Charakter einst- weilen als T. guadricornis bezeichnen wollen. Freilich haben wir diese letztere nur in einem einzigen und einem noch dazu ganz unausgewachsenen (2 Mm. grossen) Exemplare mit erst 6 entwickelten Flossenpaaren ') antreffen, allein’ die Unter- schiede von der gewöhnlichen 7. onisciformis sind doch zu auffallend, als dass sie unbeachtet bleiben könnten. Sie be- stehen zunächst und vorzugsweise in der Vierzahl der mit eingelagerten Borsten versehenen Kopfeirren. Die vordersten dieser Cirren stehen dicht hinter den zwei hornförmigen Stirn- lappen, ungefähr da, wo Busch bei seiner 7. omisciformis jenen kurzen, fadenförmigen Tentakel zeichnet, der für ge- wöhnlich eingezogen sei und wohl desshalb früher unbeachtet geblieben wäre. (Wir gestehen, dass wir von diesem Gebilde keine. Spur entdeckt haben, obwohl wir den Organen des Kopfes einige Aufmerksamkeit widmeten.) Sie haben kaum die doppelte Länge der Stirnlappen, während die hintern Cirren, deren vorderer Rand mit den Augen in derselben Höhe steht, vielleicht das Vierfache der Stirnlappen erreichen, eine Länge, die übrigens im Vergleich mit den Kopfeirren der gewöhnlichen 7. onisciformis noch immer eine sehr ge- ringe ist. Was unsere T. quadricornis weiter auszeichnet, ist die Anwesenheit eines ganz eigenthümlichen rosettenförmigen Orgänes in den zwei vordern Extremitätenpaaren, ungefähr da, wo diese sich in die zwei Flossen spalten (Fig. 8). Es besteht dasselbe (Ibid. 6) aus einem Haufen gelber, wie Fett- tropfen aussehender Körper, die nach allen Seiten von einer einfachen Lage grosser heller Bläschen oder Sareodetropfen umgeben sind. Das Ganze ist durch zarte Häute und Stränge an die äusseren Körperhüllen befestigt. Welche Bedeutung - diese Bildung haben könne, ist uns völlig unbekannt, doch muss erwähnt werden, dass ähnliche, nur kleinere, gelbe und auch rothe Fetttropfen (freilich ohne die peripherischen Ku- 1) Nach den relativen Verhältnissen der Körperbildung scheint es übrigens, als wenn T, quadricornis an Grösse hinter 7! onisciformis weit zurückbleibe. 590 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: geln) auch an andere Stellen des Körpers, besonders — und zwar bei beiden Arten — in den Extremitäten gefunden werden. | Wenn wir uns etwas zweifelnd über die specifische Natur unserer T. quadricornis ausgesprochen haben, so ge- schah das desshalb, weil dieselbe möglicher Weise das Männ- chen von T. onisciformis sein könnte, Da wir, wie Busch, von letztern blosse Weibchen beobachtet haben und die her- vorgehobenen Verschiedenheiten,-soweit sie die Bewegungs- organe betreffen, in gewisser Weise den Geschlechtsverschie- denheiten anderer Würmer (Exogone, Autolytus) 'entsprechen, so durfte wenigstens die Möglichkeit eines solchen Verhält- nisses nicht äusser Acht bleiben. Dass die vordern Cirren unserer T. quadricornis mit Busch’s „einziehbaren Tentakeln“ nicht identisch sein können, ergiebt sich zur Genüge durch die Einlagerung einer steifen Borste, die genau dieselben Verhältnisse wiederholt, wie sie an den gewöhnlichen (bintern) Cirren vorkommen und na- mentlich auch, wie diese (Fig. 2) mit ihrer Basis in eine, wohl als Matrix zu betrachtende Tasche eingesenkt ist. Grube erwähnt auch in den Stirnlappen einen borstenartigen Theil (Archiv f. Anat. und Physiol. 1848, 5. 461) und hat dessen Vorkommen sogar in die Charakteristik des Gen. Tomopteris aufgenommen (Familien der Anneliden 1851, S. 95), allein es scheint, dass er nur durch den Zustand der von ihm aus- schliesslich untersuchten Spiritusexemplare zu dieser Annahme verführt ist. Die Stirnlappen umschliessen (Fig. 2) einen mit der Leibeshöhle communicirenden Hohlraum, der freilich nicht in der Achse derselben verläuft, sondern der hintern Wand angenähert ist; was Grube für eine Borste genommen hat, ist nichts 'als die innere oder hintere «Contour der stark ver- dickten Vorderwand. Nach Grube soll sich Tomopteris auch durch den Mangel eines ausstülpbaren Rüssels auszeichnen. Diese Angabe wird gleichfalls durch Untersuchung lebender Thiere mit ‚aller Ent- schiedenheit widerlegt. Man sieht nicht bloss, wie das vordere Ende des Oesophagus zu Zeiten weit aus der Mundöffnung Untersuchungen über niedere Seethiere. 591 hervortritt, man sieht diesen Theil auch die kräftigsten Greif- und Schluckbewegungen machen. Der Oesophagus oder Pharynx unseres Thieres ist nämlich ein sehr dickwandiges und fleischiges Rohr, das durch Ge- stalt und Querstrichelung seiner kräftigen Muskelwände an den Pharynx der Aphroditeen erinnert. Doch nur der hintere Theil dieses Rohres liegt frei in der Leibeshöhle, während der vordere Abschnitt, vielleicht ein Drittbeil der gesammten Länge, von den dünnen Wandungen einer eignen Mnndhöhle um- geben wird, wie etwa die Glans penis von dem Präputium (Fig. 5). Aus dieser Mundhöhle kann der betreffende Ab- schnitt nun auch, wie die Glans aus ihrem Präputium, her- vorgestossen werden, wohei die Wand der Mundhöhle sich umstülpt und dann gleichfalls aus der Mundöffnung hervor- tritt (Fig. 6). Der hervorgestossene Theil des Pharynx er- scheint übrigens nicht als ein geschlossenes Rohr mit vorderer Oeffnung, sondern löffelförmig (Ibid.) Die ganze untere Wand desselben ist gespalten und mit äusserst beweglichen Lippen versehen, die sich bald an einander legen, bald auch weit von einander entfernen. Von dem Nervensysteme wurde mit Bestimmtheit nur (Fig. 2) der zweilappige Hirnknoten aufgefunden. Derselbe liegt wie bei den Chaetopoden:dicht vor der Mundöffnung, im Innern des Kopfhöckers und entsendet ausser den Commis- suren des Schlundringes jederseits einen ansehnlichen Stamm nach vorn, in die Stirnlappen und seitlich in die Borsteneirren. Auf der Oberfläche des Hirnes liegen (Ibid.) ein Paar grosse Augen, mit doppelten, dicht an einander gedrängten Linsen, und vor den Augen noch ein Paar helle Bläschen, die viel- leicht für Gehörorgane zu halten sind, obgleich im Innern. derselben keine Concremente vorkommen.!) Die von Busch beschriebenen hellen Rosetten, die in 1) Gehörorgane mit zahlreichen unbeweglichen Conerementen fan- den wir auch bei dem von Busch beobachteten „jungen Röhrenwurme“ (a. a. O. Tab. XI. Fig. 7), den wir übrigens für ein ausgebildetes Thier halten müssen und als Typus eines besondern mit Terebella verwandten Genus betrachten. 592. Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: der vordern Wand der Fusswurzeln gelegen sind, haben wir (Fig. 3) als wimpernde Oeffnungen erkannt, die mittelst eines kurzen gleichfalls wimpernden Kanals in die Bauchhöhle hineinführen. Die erste dieser Oeffnungen gehört den Borsten- cirren und steht (T. onisciformis) in einiger Entfernung rechts und links von der Mundöffnung. Bei näherer Untersuchung findet man übrigens in jeder Fusswurzel zwei solcher Oefl- nungen, die eine mehr der Rückenfläche, die andere dem Bauche zugewendet, doch führen die aus beiden entsprin- senden Röhren sehr bald in denselben, schon oben erwähnten Hauptkanal zusammen. (Ibid.) Die Flimmerung ist deutlich nach Innen gerichtet; die beschriebenen Vorrichtungen dienen also wohl zur Wasseraufnahme in das Innere der Leibeshöhble, die mit zarten Flimmerhaaren ausgekleidet ist und, bei Ab- wesenheit eines geschlossenen Gefässsystems, den einzigen Blutraum unserer Thiere darstellt. Besondere Geschlechtsorgane fehlen; -die Eikeime ent- stehen (Fig. 3) in den Fussstummeln, wo sie im äussersten Ende der Leibeshöhle als einfache Zellen an der Innen- wand hervorknospen. Diese Zellen unterliegen übrigens vor ihrer Umwandlung in Eier einem Klüftungsprocesse; sie theilen sich in 4 und mehr Ballen, die jedes ein Keimbläschen ent- halten und dann einer nach dem andern zu einem Eie heran- reifen (Fig. 4). Man könne 'diese Vorgänge leicht dem von Meissner beschriebenen Typus der Eibildung einreihen. Die reifen oder doch wenigstens bereits herangewachsenen Eier lösen sich und fallen in die Leibeshöhle, wo man gele- gentlich aber auch schon die grössern Eiballen umhertreiben sieht. ; Als Geschlechtsöffnung dienen wahrscheinlicher Weise (Fig. 1) ziemlich grosse, von wulstigen Rändern umgebene, flimmernde Querspalten, die in einiger Entfernung von der Medianlinie des Bauches rechts und links vor dem vierten und fünften Fusspaare angebracht sind. Am dünnen ausgezogenen Hinterende des Thieres findet fortwährend die Ausbildung neuer Fusspaare statt, die Leibes- Untersuchungen über niedere Seethiere. 593 höhle erscheint dort (Fig. 1) spiralig gewunden und die Sei- tenwand mit; feinen Pigmentkörnchen besetzt. Die glashellen Thiere geben in Liquor conservativus und Glycerin sehr schöne mikroskopische Objekte. % Erklärung der Abbildungen auf Tab. XX. Fig. 1. Tomopteris onisciformis 20 Mal vergrössert. Fig. 2. Das vordere Körperende derselben mit Hirn und Borsten- basis, zur Hälfte gezeichnet. Fig. 3. Flossen mit den ÖOvarien und Flimmerkanal. Fig. 4 a—c, Entwicklung der Eier. Fig. 5. Pharynx im zurückgezogenen und Fig. 6. im ausgestülpten Zustande. Fig. 7. Tomopteris guadricornis 20 Mal ee Fig. 8. Flossen derselben mit rosettenförmigem Organe (b). Sagitta germanica. (Hierzu Tab. XXI.) Obwohl in den bekannten Arbeiten, besonders von Krohn und Wilms, die Anatomie der Sagitten mit grosser Klar- heit erläutert ist, und eine Untersuchung dieser Thiere wenig neue Ergebnisse versprechen konnte, mussten doch die neulich gemachten Mittheilungen Meissner’s!) „über die Wirbelthiernatur“ unserer Geschöpfe zu einer nochmaligen Prü- fung anregen. Das bekanntlich bei Helgoland häufige Vor- kommen der einen kleinen Species, $. germanica nob., und deren ausserordentliche Durchsichtigkeit erleichterten die Un- tersuchungen, deren Resultate ‘den "Angaben Meissner’s nicht günstig waren. Wir untersuchten Thiere in vollendeter Geschlechtsreiffe und von da hinunter in verschiedenen 1) Bericht über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie im Jahre 1856 p. 637 £. Müller’s Archiv. 1858. 38 594 Rud. Leuckart u. Alex, Pagenstecher: ‚Lebensaltern bis zur Grösse von kaum 2—3 Millimeter. Trotz- dem aber (und obgleich wir mit Eifer etwas derartiges zu entdecken strebten) fanden wir nicht die geringste Spur einer Chorda dorsalis. ‚Stellen wir daneben die Einfachheit der Eingeweidehöhle, die bei den Wirbelthieren doppelt ist (Bauch- höhle, Rückenhöhle), die Anordnung der Hautmuskulatur, welche bei unsern Thieren einen sackartigen aller Gliederung entbehrenden Schlauch bildet, die Bildung ferner des Nerven- systems nach Krohn’s Untersuchungen, sowie die Entwick- lungsgeschichte nach Gegenbaur, dann möchte der Wurm doch am Ende nicht im Stande sein, zum Wirbelthiere vor- zurücken, Was Meissner sah, wissen wir nicht; wir können es nicht einmal errathen. | In Betreff der Organisation der Sagitla germanica sind unsere Beobachtungen nicht wesentlich anders als die bis- herigen, und des Neuen ist nicht viel. Wilms hat unter Mit- wirkung des unvergesslichen Johannes Müller und Wage- ner’s eine sehr vollständige Arbeit über sie geliefert'). Wie ihm, so blieb auch uns die Bedeutung einiger De- tails, besonders am Kopfe, noch unklar. Eine genaue Zeich- nung ist hier vielleicht ein Ersatz. Am Kopfe stehen (Fig. 1) ausser den grossen, von be- sondern Scheiben an der Bauchfläche getragenen Haken jeder- seits mehr nach vorne noch zwei kleinere Gruppen von Spitzen, die auch den übrigen Arten nicht zu fehlen scheinen. Zwischen der ersten und der zweiten Gruppe dieser Spitzen beobachtet man jederseits, so wie auch in der Oberlippe, ein feinmaschiges Aussehen, als wenn dort ein System dicht ge- drängter seichter Grübchen läge; eine Einrichtung, deren oben auch bei Amphiozus gedacht wurde. Hinter der zweiten Gruppe von Spitzen liegt jederseits ein Häuflein von Zellen in einer Höhlung. Starke Kreisfasern umschnüren den trich- terförmigen Mund und setzen sich in ihn fort. Ein Kranz gekernter Zellen erinnert durch Grösse und Bildung an die innere Zellenlage des Oesophagus. Die grossen Scheiben, 1) Wilms, Observationes de Sagitta. Dissertatio. Berlin 1846. Untersuchungen über niedere Seethiere. ' 595 welche die in der Regel neun zählenden Mundhaken tragen, scheinen selbst nicht muskulös, sondern nur: allseitig mit Muskeln ausgerüstet, so dass die Bewegung ‘der einzelnen Haken wohl weniger durch spezielle Muskelbündel, als durch Bewegung der Scheibe im Ganzen oder in sich zu Stande kommt. Was wir über das Bichreitenkiane mitzutheilen haben, ist nur weniges. Wir erkannten ‚nur die beiden birnförmigen Ganglien, (denen die Augen aufliegen. Von jedem derselben ‘geht ein starker Nervenstamm nach |vorn.. Innen von dem Ursprung der letztern liegt noch eine kleine Zahl von bipolaren Ganglienzellchen. Die Augen selbst zeigen in der Mitte ein schwarzrothes körniges Pigment und. in der. Peripherie ‚re- gelmässig an einander gereihte feine, stark. lichtbrechende Körner (Krystallkegel). | Früher 'hat übrigens Einer von uns Gelegenheit gehabt, die Angaben Krohn’s über das Nervensystem der grossen Sagitta bipunctata vollständig — bis auf die von Kr. selbst jetzt zurückgenommene Nervenschlinge — bestätigt zu finden.!) Derselbe besitzt auch noch heute ein ebenso überzeugendes als wohlerhaltnes Spirituspräparat desselben. Die Unter- suchung des Nervensystems bei unserer :S. germanica ist un- ' gleich schwieriger, jedoch dürfte eine geeignete mikrochemi- sche Behandlung auch hier vielleicht noch einen Bere Er- - folg in. Aussicht: stellen. Im Rumpfe sieht man durch die feibgehtteifke Haut und den. in der ganzen Länge verlaufenden Muskelschlauch. hin- durch den Darm graden Weges bis zum Anfang des letzten Drittels, des sogenannten Schwänzes hinziehen. :Seine Innen- wand zeigt ein Oylinderepithel. Das Lumen ist durchgehends starker Erweiterung fähig, wie dies die Nahrung verlangt, Ganze Crustaceen und Crustaceenlarven von verhältniss- mässig) beträchtlicher Grösse: wurden wiederholt im Darme gefunden. (Fig. 3 a.) Auch die Bildung der Afteröffnung, die 1) Leuckart, zoologische Untersuchungen. Heft Ill. S. 1 Anm. HE 38 * | 4 596 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: eine'mehr dreigespitzte Gestalt hat und in Mitten einer lon- gitudinalen Grube der Körperwand liegt, scheint eine Bezie- hung zu ihrer. Ausdehnbarkeit zu haben. Vom Oesophagus abwärts ist der Darm durch ein besonderes Mesenterium be- festigt, welches vorne bogenförmig an beiden Seiten von der innern Wand der Körperhülle als feine mit Körnchen belegte Membran entspringt (Fig. 1a), den Darm umfasst und in der Medianebene desselben oben und unten zu einer Platte verschmelzend durch den Körper bis zum After. hinläuft. Auf solche Weise wird die Leibeshöhle unserer Sagitta in eine rechte und linke Hälfte getheilt. Deutlicher als vorn ist diese Scheidewand hinten im sogenannten Schwanze, wo ihre Untersuchung nicht durch den eingeschlossenen Darm behindert wird. Am After treten nämlich die Mesenterial- platten wieder auseinander (Fig. 2, 3 und 4c) und bilden an die Körperwand sich inserirend, eine Querbrücke. Sofort aber wiederum sich zurückschlagend treten dieselben dann zur. Bildung einer einfachen Schwanzscheidewand zusammen (Fig. 2 und 5 d). Uebrigens darf man nicht denken, dass unsere Sagilta eine eigentliche Eingeweidehöhle besässe, denn der Darm derselben ist nicht bloss durch die Mesenterien ,' son- dern ausserdem überall durch glatte, zu einem wahren Netze zusammentretende Stränge, wie bei Nematoden (und Anne- liden), befestigt. (Fig. 1 und 2) Was die horizontal gelagerten Flossen, die‘ paarigen Bauch- und Afterflossen, sowie die unpaare abgestutzte Schwanzflosse betrifft, so ist deren hauptsächliches Consti- tuens die Masse der Strahlen. Diese liegen einander dicht an und haben eine ziemliche Breite. Sie sind gewissermassen verklebt und nur durch eine Art von Membran überzogen, welche ausser einer unregelmässigen Granulation keine Struk- tur erkennen lässt. (Fig. 7.) Die .Wurzeln :der Strahlen dringen in einer obern und einer untern Lage in die Haut ein, so dass die Flossen gewissermassen aus einer obern und einer untern Lamelle zusammengesetzt erscheinen. Die borstenförmigen Spitzen der Haut (Fig. 2 e) mögen ursprüng- Untersuchungen über niedere Seethiere. 597 lich symmetrisch gestellt sein, sie waren aber oft bis auf wenige und manchmal ganz verloren.'!) Die erste Anlage der Genitalapparate geschieht von der Querbrücke des Mesenterium 'aus und zwar der Art, dass sich von der dem Kopfe zugewandten Platte die weiblichen Geschlechtstheile (Fig. 2 f) entwickeln, von der hintern aber die männlichen (Fig. 2 g). Der Anfang für beide ist sehr analog, ein einfacher in der Wand durch Prolifikation sich vermehrender Zellenhaufen. ‘Die Zellen der zwei hintern Haufen (Hoden) werden nach einiger Zeit frei und fallen dann in den getheilten Hohl- raum des Schwanzes hinein (Fig. 3 g). In diesen Zellen ent- wickeln sich hier kleinere Bläschen, deren jede: schliesslich einen Samenfaden liefert. Zunächst siebt man in den grossen Zellen eine Lage wandständiger Kernzellen, die die centrale Partie frei lassen (Fig. 6 a), dann aber ist die ganze Mutter- zelle mit jungen Samenzellen gefüllt (Fig. 6 b). Jetzt scheint die primäre Hülle zu schwinden, so dass man einen ovalen Haufen kleiner Zellen vor sich hat, von denen jede einen Faden enthält. Anfänglich stehen bloss einzelne freigewor- dene Fäden gleich Haaren aus dem Oonvolute heraus (Fig 6 c), dann springt der ganze Haufen in kolbige Büschel aus ein- ander (Fig.6du.e), um zuletzt zu einem Gewirre 'beweg- licher Fäden zu. zerfliessen (Fig.6f). Die reifsten Formen finden sich zwar mehr in den hintern Partien des Schwanzes, aber sie mischen sich auch unter die andern, wie denn über- haupt kein bestimmter Weg für diese Elemente besteht. ' Nach‘ dieser Auseinandersetzung, welche übrigens nur durch ihren ersten Theil die Darstellung von :Wilms zu er- gänzen im’Stande ist, bleibt uns nur noch übrig, die gleich- falls von demselben gegebene Beschreibung der männlichen Geschlechtsöffnung zu bestätigen (Fig.3 h). Da dieselbe als kurzer Kanal schräg von hinten nach vorn durch die Körper- 1) Eine büschelförmige Gruppirung dieser Gebilde, wie sie Krohn in seinen neuesten Mittheilungen den Sagitten zuschreibt, wurde von uns niemals beobachtet, 598 Rud. Leuckart u: Alex. Pagenstecher: wand hindurch tritt ‘und erweiterungsfähig ist, so kann 'sie nach Art der sog. Samenbläsen eine gewisse Quantität von Samen’ in sich aufnehmen. Gleichzeitig werden die Samen- fäden an dieser Stelle mit einer verhältnissmässig bedeutenden Menge feinkörniger Masse ‘gemischt und zu einem: zähen Ballen: vereint, der eine Art von Spermatophore därstellt. Schon mit blossem Auge erkennt man die jeweilige. An- wesenheit dieser Ansatımlung hier eben so gut, ‚als sie bei Sagitta bipunctata gesehen wurde (Fig. 5). ' IE Was die weiblichen Genitalien betrifft, so haben wir auf das Deutlichste ausser den Eierstöcken auch noch die paarige Samentasche gesehen, den Verlauf der Entwicklung aber nur für die Ovarien erkennen können. Indem der ganze ursprüng- liche Zellenhaufen zu einem Hohlraum auswächst, erhält jedes Ovarium eine besondere Wand (Fig. 2 f und Fig. 4 f), von welcher die Eizellen nach ihrer Ablösung nicht! frei in die Leibeshöhle, sondern in den Hohlraum gelangen. In den Keimbläschen der Eier sind Keimflecke zu erkennen. . Die jüngeren Eier liegen nach aussen, die grössern,'nach dem Darme zu, an dessen Wand der Eierstock durch einzelne Stränge befestigt ist. Die Eierstöcke füllen, dreieckig nach | oben zu sich ausdehnend); den Raum zwischen Darm und Leibes- wand ‘vollkommen aus. ‘Auf ihnen liegt leicht geschlängelt die lange und: schmale, mit dicken Wandungen versehene Samentasche (Fig. 3 i), welche oben durch ‚ein Ligamentum suspensorium befestigt: wird (Fig. 3 k). Dieses Receptaculum ist bekanntlich ‘lange Zeit übersehen und erst durch: die letzten Mittheilungen Krohn’s!) mit Bestimmtheit nachgewie- sen. Beifrühern Beobachtungen sah dieser Forscherallerdings schon Samen neben den Eiern, aber die Tasche wurde nicht erkannt, und Wilms konnte nicht einmal die erstere Angabe bestätigen ?).. Manchmal ist die Tasche leer, andremale aber 1) Arch. für Naturgesch. 1857. IL. S. 26. 2) Es ist übrigens wahrscheinlich, dass ‘Wilms die Samentasche 'mit ‚den Samenfäden: vor''sich hatte, -als er einen: wimpernden Aus- führungsgang des weiblichen Genitalapparates zu sehen glaubte:l.c. p. 13- 7 Untersuchungen über niedere Seethiere. 599 enthält sie ausser den lebhaften Spermatozoen nach dem Ausgange zu die feinkörnige Masse, welche in den Sperma- tophoren dem Samen beigemischt ist, und die zum Theil zu gelblichen Pfröpfen erhärtet zu sein scheint. | Ein Ausführungsgang für die Eier existirt kaum, indem der untere Rand des Eierstocks hart an der Austrittsöffnung anliegt. An dieser Stelle sind beiderseits die Mesenterial- platten durch bogig ausgespannte Faserbündel verstärkt. Unter diesen Bruchpforten gleichenden Arkaden hindurch müssen die Eier nach aussen treten, beim Austritt selbst der Einwirkung des Spermas ausgesetzt (Fig. 3 ]). Diese Anordnung des Geschlechtsapparats stimmt voll- kommen zu der Beobachtung Gegenbaur’s, dass die ge sammte Embryonalentwicklung frei im Wasser vor sich geht; sie scheint ferner ein ziemlich sicherer Hinweis, dass eine direkte Befruchtung durch Begattung stattfindet. Auch bei Helgoland dienen die Sagitten den winzigen Quallen zur Nahrung und auch dort bergen sie parasitische Würmer, wie dies von Busch u. A, für die Mittelmeerarten nachgewiesen wurde. Die Formen, welche wir fanden, waren zwei unreife Trematoden, welche frei zwischen Darm und Körperwand lagen und von denen die eine (Fig. 8) den Mo- nostomen, die andre (Fig. 9) den Distomen angehörte. Aehn- liche Formen fand auch Einer von uns im Mittelmeer in Heteropoden, Salpen und Akalephen!). Erklärung der Abbildungen auf Tab. XX1. Fig. 1. Kopf der Sagitia germanica, 140 Mal vergrössert. a. Die vordern Bogen des Mesenterium. Fig. 2. Eine junge Sagitia, 40 Mal vergrössert. a. Wie oben. 1) Beiläufig sei hier bemerkt, dass Einer von uns (gleichfalls im Mittelmeere) auch bei Hydrachnen und zusammengesetzten Ascidien Trematoden im eingekapselten Zustande antraf, ohne jedoch trotz um- fassender Nachforschungen bei Seeschnecken im Aufsuchen der Ammen- formen mehr als höchst unbedeutende Resultate zu erzielen. 600 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: . Die Grube am Bauche um: den After. .. Die Querbrücke des Mesenterium. . Die Scheidewand des Schwanzes. Die Stacheln. Die Ovarien. ' Die Hoden. ‚Fig. 3.‘ Das hintere ‚Ende einer reifen Sagitta. 70.Mal vergrössert. a. 'Der'Darm, eine Orustacee enthaltend. b—g. Wie oben. Stacheln und Afterflossen sind absichtlich weggelassen. Die Genitalien sind auf der Höhe der Entwicklung, die jedoch nicht beständig für die beiden Apparate zusammenfällt. hh. Die samenausführenden Oeffnungen. i..: Eine gefüllte Samentasche; die .der andern Seite Ider. k. Das Ligamentum suspensorium der Samentasche. l. Die weibliche Geschlechtsöffnung. m. der After. Fig. 4. Die un SOSeHHeUn MUNEr Entwicklung 270 Mal ver- grössert, mmpape a. b. .c. Wie oben. d. Die äussere. Haut. e. Die. die Leibeswand bekleidende Mesenterialplatte. f. u. g. Wie oben. Fig. 5. Die Spermatophore ' in dem männlichen Ausführungsgang. Fig. 6. a. b. c. d. e. f. Die Entwicklung der Samenelemente 540 Mal vergrössert. ‚Fig. 7. Die Struktur der. Flossen 540 Mal. vergrössert. Fig. 8. Monostoma. Fig. 9. Distoma aus Sagitta. Echinobothrium typus. (Hierzu Tab. XXII.) 4 eo Die Insel Helgoland dürfte als ein Ort:bezeichnet werden, welcher sich ganz besonders zu .belminthologischen Unter- suchungen eignet. Eine Menge Jäger aus der Zahl der In- sulaner und Badegäste stellen mit Pulver und Blei den ge- fiederten Gästen nach, welche, vom Ausgange des Sommers an den Süden suchend, in täglich erneuten Schwärmen auf derDüne und dem Felsen kurzeRast machen. Ueberdies ist die ganze Insel mit Stangen besetzt, an denen’ zu geeigneter Zeit Untersuchungen über niedere Seethiere: 601 grosse Fangnetze ausgespannt werden. Unter den auf solche Weise erlegten (bereits die Zahl von 320 Species überschreiten- den) Vögeln bilden Schwimm- und Watvögel einen ganz bedeu- tenden Antheil, so dass man bei Zergliederuang der Beute einer grossen Anzahl Helminthen zu begegnen sicher sein kann. Auch wir sahen mehrere interessante Formen, obwohl während unseres Aufentbaltes die kleinern Larus- und Sterna- arten ausschliesslich von Insekten gelebt hatten und frei von Helminthen waren. Auf der Niederelbe und der Nordsee selbst trieben nämlich zu jener Zeit fortwährend todte oder erschöpfte Insekten, besonders Dipteren, in grosser Zahl). Günstig für den Helminthologen ist ferner auch die grosse Menge der um Helgoland lebenden Rochen und Haie, welche letztere sogar von den Kurgästen an der’ mit vielen Haken versehenen langen Angelschnur ‘gefangen werden und’ um so leichter zu bekommen sind, als sie nur. wenig geachtet und nur für den Winterbedarf der Landesangehörigen ge- räuchert oder getrocknet: werden. Wie gross aber gerade der Helmintbenreichthum der Plagiostomen ist, davon haben wir noch jüngst durch van Beneden und Wagener über- raschende' Aufschlüsse' bekommen. Obne auf die andern gefundenen Formen hier eingehen zu wollen, beabsichtigen wir nur einige Notizen über das Echinobothrium typus beizubringen, welches wir in ‚grosser Anzahl von Exemplaren und in einer schönen Entwicklungs= reihe bei verschiedenen Rochenarten, sowohl glatten als stachligen, fanden. | Nach den Abbildungen von van Beneden?) bleibt wohl kein Zweifel, dass wir. es mit der oben’ genannten Art zu thun hatten, obwobl hier am Halse nur vier Hakenreihen. angegeben werden, während unsere Exemplare deren be- stimmt (acht hatten. ' Ueber diese Zahl kann kein Zweifel sein; man hat nicht selten fünf Reihen in derselben Ebene 1), Aehnliche Erscheinungen berichtet v. Siebold von.dem See- strande bei Danzig. Beiträge zur Fauna Preussens. (Neue Provin- zial-Bl. 1849, Bd. VII. S. 6.) 2) van Beneden: les'vers cestoides ou acotyles pl, XXIII. 602 Rud. Leuekart u: Alex. Pagenstecher: in Ansicht und kann die übrigen bei veränderter Einstellung mit Leichtigkeit nachweisen. Guido Wagener glaubt im Mittelmeere ebenfalls das Echinobothrium typus gefunden zu haben'), und in der That würden wir trotz einigen kleinen Differenzen der Darstellung (besonders wiederum der Zahl der Hakenreihen) seine Form mit unserer 'für identisch halten, wenn nicht ein weiterer Umstand hier in Betracht käme. Es betrifft derselbe ein Moment, welches bei der Artunterschei- dung der Cestoden von grosser Wichtigkeit ist, nämlich die bis zur Höhe geschlechtlicher Entwicklung ablaufende Glie- derzahl. Wagener beobachtete bei seiner Form nie mehr als drei Glieder, ven denen das letzte bereits geschlechtsreif war, während unsere Beobachtungen in dieser Beziehung ein abweichendes, genau mit van Beneden übereinstimmendes Resultat lieferten. Wir glauben deshalb mit Recht vermu: then zu dürfen, dass Wagener nicht das Echinobothrium fypus vor sich gehabt hat, sondern eine andere nahe ver- wandte Ari. Dazu kommt noch, dass die Form der Hals- haken weniger gestreckt ist (Fig. 7 c), als es Wagener zu seine Art zeichnet. Die seitlichen Wurzelfortsätze der Haken benachbarter Reihen treten einander sehr nahe und geben dem Halse das Ansehen, als sei er mit gegliederten Ketten gleichsam ge- panzert. Die Zahl der Haken beträgt in jeder Reihe bei reifen Thieren etwa 16—18, von denen die vordern zugleich die ältesten sind. Die Hakenbündel des Kopfes, am obern Rande der Näpfe, bestehen jederseits aus etwa 9 grössern und (etwas) kleinern Haken in regelmässigem Wechsel. Diese Haken erhärten zuletzt am Wurzelfortsetze und an noch unreifen Haken erhält man die zerdrückten und geknickten Bilder (Fig. 7 a), welche auch Wagener zeichnet. Die fer- tigen Haken besitzen vollkommene Solidität und sind aus- gezeichnet durch die gestreckte Gestalt und die feine rasch umgebogene Spitze. Verstärkt wird ausserdem noch jedes Hakenbündel des Kopfes durch vier sehr kleine Haken, 1) Entw. der Cestoden. Tab, VII. Fig. 80 fi. Untersuchungen über niedere Seethiere. 603 welche neben der Basis der grossen inserirt sind und eine entgegengesetzte Richtung haben. Der Kopf des Echinobo- ihrium selbst hat eine sehr veränderliche Gestalt; er ist bald einer Pfeilspitze, bald einem Hute, bald der Glans penis ähnlich und kann, weil sein Charakteristisches eben in dieser Veränderlichkeit liegt, nur dürftig wiedergegeben werden. Das Spiel der Saugnäpfe, ein Hauptmoment für die Gestal- tung des Kopfes, ist: sehr elegant und lebbaft. Niemals aber sieht man die Spitzen der grossen Haken aufgerichtet und zusammengelegt; ohne Zweifel bohren sich diese, Haken nicht, wie bei andern Eingeweidewürmern und namentlich den Echinörhynchen, gemeinschaftlich in die Darmwand, um dann schirmartig rückwärts auseinander zu treten, sondern sie hängen sich nur an die. Schleimbaut an, den Haft der Sauglappen verstärkend. Die übrigen bemerkenswerthen Eigenschäften "unserer Würmer können besser in den Entwicklungsgang eingeflochten werden. Die jüngsten zur Beobachtung gekommenen Formen bil- deten ovale Blasen (Fig. 1), die am hintern ‚Ende mehr ge- spitzt, am vordern breiter und grubenförmig vertieft ‘waren. Auf dieser Grube ruhte die schon ziemlich vorgerückte ovale Knospe des Scolex, eine jeder auszeichnenden Organisation entbehrende Zellenmasse. In der Wand der ausgewachsenen Embryonalblase waren ziemlich zahlreiche Kalkkonkremente und Gefässe zu erkennen. Bei etwas weiter vorgeschrittener Entwicklung (Fig. 2) zeigte jene Blase energische Muskel- thätigkeit, sie hatte auch an Grösse und Zahl der Kalk- körperchen zugenommen. Beide Pole waren im Stande sich stark einzuschnüren und zuzuspitzen. An dem vordern Pole befand sich eine deutliche Oefinung; dort bog sich die Wand der Blase nach innen um und bildete so eine innere Blase, auf deren Grund der Scolex; aufsass, in richtiger Lage und “mit; Andeutung seiner Gruben und Kopfhakenbündel. Ob- wohl nun der Sack immer noch an Ausdehnung zunahm, schritt, der Scolex doch weit rascher voran und hatte bald (Fig. 3) nur sehr gekrümmt noch Platz in demselben. Die 604 Rud. Leuckartu. Alex. Pagenstecher: Kopfhaken nnd Nebenhäkchen waren vollendet, von den Halshaken aber noch keine Spur zu sehn. Statt dieser ver- liefen in‘ der Längsrichtung, der hintern Hälfte des Halses und den grossen Gefässen entsprechend, vier Reihen gelb- licher Konkrementansammlungen (Fig. 3 a). Der Zahl nach und : auch desshalb, weil diese Streifen nicht vorne 'am Halse begannen, wie die Haken, konnte ihnen keine Bezie- hung zu’letztern eingeräumt werden. Querüber an der Basis des Halses lag ein Ring ziemlich diffusen rothen’ Pigments. "Wir müssen an dieser Stelle der Beobachtung gedenken, welche Lespes neuerdings über Echinobothrium mitgetheilt hat. Es ist klar, dass auch dieser Forscher das 'Echino- bothrium iypus oder ein dieser Art sehr nahe stehendes Thier vor Augen hatte, auf keinen Fall aber berechtigt war, auf die von ihm beohachteten unreifen Zustände hin eine neue Art ohne Halsstacheln aufzustellen. Dazu kommt noch, dass der sog. Saugnapf, in dem Verf. eine weitere Auszeichnung seiner Art suchte, schwerlich hinten, sondern vielmehr vorn gelegen war und wohl Nichts als die vordre Oeffnung der Finbryonalblase vorstellt. Die Zeichnung in Fig. 8 giebt den veränderlichen Kopfganz richtig wieder, in Betreff der grossen Haken jedoch ist entweder die Zeichnung ungenau, oder die Haken waren noch unreif— alles das natürlich nur in der Vor- aussetzung der Identität bei unsern Arten. Die Halspigmen- tirung war dieselbe und eine grössere Zahl von Kopfhaken wäre bei geringerer Reife nichts Aussergewöhnliches. Am meisten würde der Annahme’ einer Identität vielleicht der von Lespes angegebene Wohnsitz in der Leber von Nassa re- ticulata Schwierigkeiten machen. Doch davon’ später. Ist die lintwieklung unsres Cestoden so weit fortge- schritten, so kann man ‘das Gefässsystem sehr gut studiren. Die vier grossen Längsgefässe des Scolex bilden zwei dicht am Kopfe liegende Bogen, ohne dass ein Kranzgefäss ent- stände; sie sind ferner überall durch zahlreiche Verästelungen 1) Lespe&s, Annales des sciences nat. 1857. VII. 2. p. 118. PL I. ‚‚ Untersuchungen über niedere Seethiere. 605 in Verbindung und stehen da, wo.die Basis des Scolex dem Boden des Sackes aufsitzt, auch mit, dem Gefässsysteme der Mutterblase im schönsten Zusammenhange (Fig. 3 e). Die besondre Art dieser Kommunikation und die später zu be- sprechenden ‚Befunde bei’der Ausstülpung können vielleicht als Beweis gelten, dass ein Theil des Eingestülpten eigent- lich. der Mutterblase angehört und. dass an jener Stelle die Abtrennung zwischen Blase und Scolex erfolgt. Es treten nämlich ‚die Stämme jeder Seite etwas zurücklaufend zu einem ganz kurzen gemeinschaftlichen Stamme zusammen, um dann nach''mehreren Richtungen hin sich auf dem Sacke zu ver- zweigen. Streng genommen muss natürlich, in Berücksichti- gung der Entstehung, die Deutung eine umgekehrte sein, aber die Stämme des Scolex werden an Stärke jetzt nicht ‚mehr von. denen des Erzeugers erreicht und erscheinen somit als Ausgangspunkte des Systemes. Die zahlreichsten Gefässe kann man am. Sacke ‚beob- achten, der ja auch jetzt noch immer die hauptsächlichtse Rolle für die Ernährung hat. Hier.kann man: sich ‚auch. mit abso- luter Gewissheit davon überzeugen, dass die Kalkkörperchen nicht freiim Parenchym, sondern vielmehr in Auftreibungen der kleinen Gefässe. liegen. ‚Die Vermuthung von Claparede!), dass ‚seine für, Trematoden gemachte Entdeckung ‚auch. auf Cestoden Anwendung finden werde, erscheint hiernach als vollkommen gerechtfertigt (Fig. 8). Die gleiche Bedeutung des Gefässsystems: bei Trematoden und Cestoden kann über- haupt im Allgemeinen nicht bezweifelt werden. Im Einzelnen | dürften jedoch die Untersuchungen noch nicht als abgeschlossen zu betrachten sein. | Abgesehn von einzelnen ‚anatomischen Einrichtungen ‚bei Trematoden, bleibt es. wohl physiologisch immer noch etwas ungewiss, ob alle jene Konkremente in den’ Gefässen und demnach vielleicht auch alle Abtheilungen des Gefässsystems vollständig analog sind. ‚Was zunächst jene stark lichtbrechenden, ungeschichteten Konkretionen anbetrifft, welche bei eneystirten Trematoden 1) Sieboldiu. Kölliker, Zeitschr. f. w. Z. 1857, 99 ft. 606 Rud. Lenckart u. Alex. Pagenstecher: gebildet werden und da, wo die 'Oyste, wie bei Tetracotyle, nur eine alte Haut ist, durch deren Oeffnungen nach’ Aussen gelangen, während sie in wahren geschlossenen Cysten all- mälig aufgespeichert die Ausführungsgefässe stark ausdehnen, so möchten diese wohl ohne Zweifel als wahre Excremente betrachtet werden dürfen. Ob das aber für alle Konkretionen und besonders für die grossen, in der Haut der Oestoden und einzelner Trematoden (in unserm Falle ausschliesslich in der Scolexbildenden Blase) angesammelten Kalkkonkremente gilt, die mit ziemlicher Regelmässigkeit in den kleinen 'Ge- fässästen vertheilt sind und niemals in die grössern Stämme übergehen, dürftedoch noch nicht ingleichem Maasse ausgemacht sein. Man kann freilich denken, dass eine Entleerung wegen der Vergänglichkeit :der Blase oder der Proglottiden hier unnötbig sei und in der Kette kaum würde gedacht werden können. Aber das trifft nur für die Cestoden zu. Eben so möglich ist es vielleicht, dass diese um eine verschiedenartige Kernmasse (Fig. 7 d, e) oft mehrfach geschichteten Konkre- mente als Reservoirs von Kalk dienen, die je nach der Mischung der in den Gefässen treibenden Flüssigkeit, welche die Vermittlerin zwischen dem Parenchym und der Darm- flüssigkeit oder den Säften des Wohnthiers ist, Schichten an- zusetzen oder abzugeben im Stande sind, als Einrichtungen also, die jener Flüssigkeit einen bestimmten Sättigungsgrad an den in ihnen enthaltnen Kalksalzen sichern. Man sieht auch öfters Gefässstämme, deren Zweige nie Concremente enthalten, hart neben solchen mit derartigen Ablagerungen verlaufen, ‘ohne dass beide zusammenträten. Es bleibt demnach noch weiter die Möglichkeit, dass zwei im Grunde verschieden funktionirende Gefässsysteme ohne weitre Be- . ziehung zu einander schliesslich nur beide auf gleiche Weise in die grossen Längsstämme eintreten, welche letztere dann gleich Canälen und Pumpwerken die Durchspülung des ganzen Organismus besorgen. Jedenfalls aber bedarf es noch aus- führlicher Untersuchungen dieses Gegenstandes, um den Hy- pothesen, deren wir nun doch einmal nicht entbehren können, einigermassen genügende Grundlagen zu geben. Untersuchungen über niedere Seethiere, 607 An dem hintern Ende der Embryonalblase des Echino- bothrium war zwar eine deutliche Einziehung bemerklich, doch konnte eine Caudalöffnung nicht unterschieden werden. !) "In dem so eben ausführlich geschilderten Entwicklungs- zustande gelang es nicht nur, den Scolex künstlich aus der vordern Oeffnung der Blase auszudrücken, sondern es trat derselbe auch selbstständig hervor. Der Scolex zeigte eine beginnende Gliederbildung und hing der Schwanzblase nur noch locker an. Die Verbindung konnte im mikroskopischen Prä- parate aufbewahrt werden. Die Schwanzblase zieht sich stark “ zusammen, und so könnten vielleicht Zweifel bleiben, ob die in beigegebner Abbildung von uns gezeichnete Abschnürung derselben (Fig. 4) in einen hintern und vordern Theil eine zufällige sei, oder vielleicht jener Stelle entspräche, wo an der vordern Mündung des Sackes auch früher, während der Einstülpung des Scolex, die Ringmuskeln am kürzesten waren. Im letztern Falle würde zugleich der Beweis ge- führt sein, dass die innere Blase oder doch ein Theil der- selben der äussern durch Organisation, namentlich durch Ge- genwart der Concremente, gleich sei. Die Gefässverbindung sprach dafür, aber die Sache ist überhaupt wohl weniger wesentlich, als sie scheint und könnte leicht bei verschiednen Arten sich’ verschieden verhalten. Rasch und namentlich, bevor die Segmentirung weitre Fortschritte macht, wird die gesammte Schwanzblase abgestossen, Diejenigen Individuen, welche bereits im Darme der Rochen gefunden wurden, hatten jedoch wenigstens schon einen Theil der Halshakenreihen gebildet. Bei den er- wachsenen Thieren fanden sich meist acht deutlich ab- gesetzte Glieder (Fig. 5), nicht drei, wie es Wagener für seine Art angiebt. Die letzten Glieder zeigten eben erst den Beginn der männlichen Geschlechtsreife, noch kein fertiges Sperma, und enthielten in der Mittellinie, fern von der seit- lichen Geschlechtsöffnung, einen ansehnlichen, aufgerollten ' 1) An freien Scolices aus dem Darme der Makrele u. a. Fische wurde ein solcher Porus vielfach nachgewiesen. 608 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: Penis.. Schon. so’ unfertige Glieder lösten sich. jedoch mit grösster Leichtigkeit ab. Bis‘ zur vollständigen männlichen Reife (Fig. 6) erreichen dieselben übrigens vielleicht ‚das Zwanzigfache ihres Volumens. Da dann später auch noch die weiblichen Funktionen zu erfüllen sind, so-fällt bei Echi- nobothrium ein wichtigerer und längerer Theil der Lebenszeit auf das Einzelleben der Proglottis, als auf ibr Verweilen in der Kette. Es tritt: wie hier, so überhaupt vorzugsweise bei den ÜGestoden der Seefische die vom verehrten Meister der Helminthologie van Beneden erkannte Analogie zwischen Cestodengliedern und Trematoden hervor. Nur wer bei diesen die grosse Neigung zum Zerfall der Ketten und die le- benskräftige Individualität der Glieder erkannt hat, ist ganz im Stande, über jene Frage sich ein Urtheil zu bilden. Was die oben beschriebenen jüngern Zustände des Echi- nobothrium betrifft, so war es natürlich, dieselben ursprüng- lich in einem Thiere zu vermuthen, welches den Rochen ‚zur Nahrung dient. Unsre Rochen hatten nur Crustaceen .ge- fressen, ‘die zwei grössten, die uns zu Gebote standen, das eine Mai nur Paguren, das andre Mal nur Garnelen. Zwi- schen den Resten dieser Krebse lagen‘ die jüngsten, Formen des Cestoden.: Eine Mittheilung, welche wir Herrn van Be- neden verdanken; führt uns einen Schritt weiter. . Derselbe fand in. der That die eysticerke Form unsres Bandwurms in Gammarinen auf. Weil er die Echinobothrien ‚aber nur in jungen Rochen: fand, war'er geneigt gewesen, einige Aus- schliesslichkeit hierauf zu begründen, und zwar der Art, dass im Allgemeinen nur junge Rochen mit diesem Helminthen infizirt würden. ' Da unsre Exemplare zum Theil jedoch viele Pfunde wogen und trotzdem ganz junge Parasiten enthielten, so fällt ‘diese Hypothese wohl weg. Auch muss es nach unserm Befunde sehr zweifelhaft erscheinen, ob der sechs- hakige Embryo nur und ausschliesslich in Gammarinen zur Entwicklung zu gelangen vermöchte. Wahrscheinlich vielmehr, dass auch bei den Cestoden für diese Lebensperiode eine grössere Licenz ‚des Wohntkiers besteht, wenn wir unsere Thiere auch nicht vollständig: den in dieser ‚Beziehung so Untersuchungen über niedere Seethiere, 609 wenig beschränkten encystirten Zuständen der Trematoden gleich setzen dürfen. Ausserordentlich wichtig würde es für diese Frage sein, mit Bestimmtheit zu wissen, ob die oben angeführten Beobachtungen von Lespe&s dieselbe Art be- treffen. Wäre dem so, so würde die Licenz in Betreff des Wobnthiers hier allerdings eben so gross sein, als bei dem ruhenden Zwischenzustand der Trematoden. Von gefressnen Schnecken hatten wenigstens unsere Rochen keine Reste bei sich. Die Paguri waren alle ohne Haus; sie waren ver- muthlich ertappt worden, als sie sich nach einer neuen Woh- nung umsahen. Wie weit der Scolex des Echinobothrium !ypus vorgeschritten sein muss, um in der Raja fortleben und reifen zu können, bleibt ungewiss; selbst die jüngsten ge- fundnen Blasen sahen sehr gesund aus. Erklärung der Abbildungen auf Tab. XXI. Fig. 1. Die erste knospenförmige Anlage im Innern der Embryo- nalblase von Echinobothrium typus. Fig. 2. Die Blase, einen Scolex enthaltend, an welshem die Bil- dung der Kopfhaken und der Saugnäpfe begonnen hat. Fig. 3. Der Scolex mit fertigen Kopfhaken und zweierlei Pigment- ansammlungen am Halse ist bereits deutlich gegliedert. a. Gelbes Pigment. b. Rothes Pigment. c. Die Verbindung des Gefässsystems des Scolex mit dem der Blase. Fip. 4. Der Scolex selbstständig ausgestülpt mit anhängender, durch die Konkremente ausgezeichneter Schwanzblase, früherer umhüllender Embryonalblase. Fig. 5. Derselbe von der Blase gelöst, weiter gegliedert und ni zum Beginne männlicher Organisation entwickelt. Fig. 6. Ein frei lebendes Glied auf der Höhe männlicher Reife, Sperma enthaltend. (Fig. 1—6 sind in 7Ofacher Vergrösserung dargestellt.) Fig 7 a. Ein unreifer, an der Wurzel noch weicher Haken der Kopfbüschel, von den grössern, 600 Mal. b. Ein reifer, von den kleinern, auch aus den” Büscheln, - 600 Mal. Müller’s Archiv. 1858, 39 610 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: c. Ein dreiwurzliger Halshaken 600 Mal. „du. e. Verschiedene geschichtete Kalkkörner 300 Mal. Fig. 8. Die Lage der Kalkkonkremente in den Erweiterungen der feinen Gefässäste. | Die Entwicklung von Spio. « (Hierzu Tab. XXIII.) Die Entwicklung einer Annelidenlarve, welche nur eine Reihe ziemlich einfacher Veränderungen durchläuft, dürfte um so eher der Mittheilung werth erscheinen, als es bisher so selten gelang, den ganzen Cyklus, den eine Form zu durch- laufen hat, zu beobachten. ' Es handelt sich hier ohne Zweifel um eine Spio, deren Charaktere sich jedoch nicht so weit ausbildeten, dass sie eine Artanterscheidung mit Bestimmtheit gestattet hätten. Man könnte durch die in den entwickeltsten Formen (Fig. 5) bereits eingetretene Kerbung der Fühlereirrhen an Spio ere- nalicornis erinnert werden (und diese lebt in der That um Helgoland), jedoch sind die Schilderungen, welche Fabricius von seinen Arten gibt!), wie auch die Beschreibungen späterer Autoren so wenig erschöpfend, dass man den Vergleich mit einer Larve nicht ziehen und unmöglich sie auszuschliessen im Stande ist. | Die jüngsten beobachteten Formen bestehen aus einem fast kuglig erscheinenden Körper, welcher sich in steten ro- tirenden Bewegungen umhertreibt. Bei näherem Beschauen erweist sich derselbe jedoch als der etwas eingezogene Zu- stand einer länglichen Larve (Fig. 1), welche in der Mitte und hinten mit einem Wimperkranz ausgerüstet ist und einen granulirten Inhalt einschliesst. Die weitere Untersuchung lehrt, dass auch der Scheitel stark wimpert und dass 1) Am ausführlichsten in Schriften der naturf. Freunde zu Berlin ältere Folge VI. p. 260 ff. Tab. V. Untersuchungen über niedere Seethiere. 611 die ganze Oberfläche mit feinen Haaren bedeckt ist. Es ist wohl kein Zweifel, dass die Veränderungen, welche diese . Larve erlitt, seit sie als wimpernder Embryo das Ei verliess, fast gleich Null waren. Durch den mittlern Wimperkranz ist der Körper in eine vordre und hintre Hälfte getheilt. Die Wimpern bilden den Saum der vordern Abtheilung, welche sich kappenförmig über die hintere hinüberbiegt. Aus ihr bildet sich der Scheitel oder Kopflappen mit den Fühler- eirrhen, die zuerst als kurze wimpernde Läppchen erscheinen, während die hintre Körperhälfte sich zum Leibe gliedert und den Mund, sowie dicht hinter der Gränzlinie das vorderste grosse Borsterhöckerpaar hervortreibt (Fig. II). Das mit der An- deutung zweier Seitenhöcker versehne Afterende wird in der Art von dem hintern Wimperkranz umhüllt, dass es aus diesem vorgestreckt und in ihn zurückgezogen werden kann. Weiterhin lagert sich Pigment an den Marken der Glieder ab, auf den Gliedern entwickeln sich Borsten, die aber an Grösse weit hinter denen des vordern Endes zurück bleiben, und die Wimpern gehen immer mehr verloren. Die Seitenansicht (Fig. 3) ist instruktiv für die Lage des Mundes in der Rinne am Bauche zwischen den radförmig auslaufenden Enden des Wimperkragens. Wir haben nunmehr die Form vor uns, welche Busch in seinen Beobachtungen über wirbellose See- thiere Tab, VII. Fig. 6 und 7 als höhere Entwicklung des Loven’schen Typus zeichnet, vielleicht dieselbe Art. Gehen wir einen Schritt weiter (Fig. 4), so hat die immer noch in sich überkugelnder Bewegung schwimmende Larve keinen eigentlichen Wimperkragen mehr. Durch die weit stärkere Entwicklung und Gliederung des hintern Körper- theils nach vorne gerückt, ist derselbe an dem Kopflappen, welcher jetzt eine solide Masse bildet und ausser den An- fängen der Cirrhen nunmehr auch 2 Paar röthliche Augen- flecke und grünliche Pigmentkörner trägt, auf einzelne wim- pernde Stellen, so besonders um die Basis der Fühler, redu- eirt worden. Der Kopflappen selbst erscheint schon jetzt zuweilen eingedrückt in den Körper, so dass der Mund ganz vorn zu liegen kommt. Das vordre Borstenhöckerpaar hat 39* 612 Rud. Leuckart u. Alex. Pagenstecher: unterdessen seine Borsten vollendet. Es sind ihrer jederseits 30—40, sie haben fast die Länge des ganzen Körpers, sind schachtelhalmartig gezähnt (Fig. 6) und mit einigen wenigen kürzern, breitern, mehr schwerdtförmigen untermischt. Hinter ihnen bilden kleine schmale Lappen vielleicht die Anfänge von Rückenfäden. | Am Leibe sind zu dieser Zeit fünf gesonderte Glieder mit zwei Borstenbündelreihen zu erkennen, dahinter ein grösse- res borstenloses mit grossen sternförmigen Pigmentflecken und Wimperkranz, aus welchem ab und zu der After vor- gestreckt wird. Die Borstenbündel der Glieder enthalten etwa fünf Borsten, kleiner äls die des Mundsegmentes, aber gleich * gebaut; neben ihnen sind ganz kleine stäbchenförmige Spitz- chen in eine Gruppe gestellt, vorn zu je vieren, welche Zahl nach hinten auf zwei herabsinkt. Hier und da findet sich Wimperung auf der äussern Haut der Glieder. Es läge nun die Vermuthung nahe, dass bei Spio, nach Ana- logie mit der nahe verwandten Nerine'!), die gewaltigen Borsten- büschel neben dem Munde nur provisorische Organe seien nnd mit der Zeit abfielen. Es ist dies jedoch nicht 50. An gsrössern Exemplaren, bis zu vier und zwanzig Gliedern, welche entsprechend ihrer immer noch frei schwimmenden Lebensweise auch noch den hintern Wimpernkranz besassen, ' waren nicht allein die vordern Borsten erhalten, sondern die übrigen waren diesen in der Grösse soweit nahe gekommen, dass man alle zusammen als definitive Organe betrachten musste. Es schliesst dies freilich nicht aus, dass allmälig die Zahl derselben reducirt werden könnte. Die Fühler haben dann (Fig. 5), wenngleich nur eine mässige Länge, doch eine deutlich gestreckte Gestalt; sie sind geringelt und enthalten einen Hohlraum. Die Augen des vordern Paares sind jedes in drei Theile zerfallen. Die Wimperung des Kopfes wird nur noch an der Basis der Fühler bemerkt, starke schwarze Pigmentflecke sind an ihm zu Sehen. 1) Archiv für Naturgeschichte 1855, I. p. 63. Untersuchungen über niedere Seethiere. 613 Es schliessen sich diese Jugendzustände von Spio in ihrer pelagischen Lebensweise genau an die von Nerine an. Erst nach Verlust der Wimpern, dann, wenn die vordern Lappen mit dem dichten Borstenbündel nicht mehr fähig sind den ge- streckten Körper voran zu rudern, gehen die Thiere auf den Grund und bauen ihr Rohr, welches sie fortan nur noch selten verlassen, um durch Schlängelung des Leibes zu schwimmen oder zu kriechen. Ausser. den Larven von Busch, deren oben Erwähnung geschah, weist die Litteratur noch andere nach, die den ver- schiedenen Entwicklungsstufen unserer Spio sehr nahe stehn, oder mit ihnen gar identisch sind, So gleicht eine Figur von Slabber!) auffallend unsrer Fig. 4, eine von Oersted?) unsrer Fig. 2. Letztere wird zwar vom Verfasser auf Leuco- dore ciliata bezogen, aber nur weil sie in Gesellschaft dieses Kiemenwurms schwimmend gefunden wurde. Die von Frey und Leuckart?) beschriebene Form gehört zwar in die Nähe, ist aber doch wohl der Art nach nicht dieselbe, Erklärung der Abbildungen auf Tab. XXII. Fig. 1-4. Die Spiolarve in verschiedenen Entwicklungsstufen, 140 Mal vergrössert. Fig. 5. Kopf einer Spiolarve mit 24 Gliedern, 140 Mal vergrössert. Fig. 6. Spitze einer der grossen Borsten, 540 Mal vergrössert. 1) Naturk. Verlustigungen 1778. Pl. XVII. Fig. 5. V. 156. 2) Annul. Dan. Consp. fasc. I: 1843. Tab. VI. Fig. 96. 3) Beitr. z. Kenntniss wirbelloser Thiere. 'Tab. I. Fig. 19. p. 9. vr 614 sit W. Boceius: Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. Von WILHELM Boccıus. '!) (Hierzu Taf. XXIV.) Dass sich bei allen Vögeln, ausser dem den meisten zukom- menden stimmbildenden Organ, dem sogenannten unteren Kehlkopf, noch ein anderes Organ vorfindet, welches in seinem Bau unverkennbar dem larynx der übrigen Thierklassen ent- spricht, ist eine Thatsache, welche nicht nur den neueren, sondern auch schon den ältesten Naturforschern bekannt war; bereits Aristoteles erwähnt und beschreibt ihn in seiner histo- rja animalium.?) Merkwürdig verschieden aber und zum Theil gradezu entgegengesetzt sind von je her die Ansichten der verschiedenen Beobachter und Schriftsteller über die einzel- nen, dieses Organ zusammensetzenden Theile gewesen, sowohl was Form, Zahl und Anordnung derselben, als auch was ihre Deutung betrifft. Letztere namentlich ist es, welche den Schriftstellern viel zu schaffen machte und die heterogensten Ansichten hervorrief. Alle verglichen den oberen Kehlkopf mit dem larynx der Säugethiere, aber der Eine glaubte in diesem, der Andere in jenem Stück ein Analogon für ein be- stimmtes Element des Säugethierkehlkopfs zu finden, und gab ihm darnach den entsprechenden Namen, ein Verfahren, wel- 1) Diese Abhandlung ist als Inaugural-Dissertation in Rostock er- schienen und nicht weiter verbreitet worden. P. 2) Aristoteles historia animal. Libr. 4. Cap. 2. Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 615 ches begreiflicher Weise eine bedeutende Verwirrung in der Bezeichnung der einzelnen Theile herbeiführen musste. Noch grösser wurde diese Verwirrung dadurch, dass der eine For- scher da nur ein Stück sah und beschrieb, wo der andere zwei oder noch mehr zu erkennen glaubte, der eine also den Kehlkopf nur aus zwei, z.B. Fabrieiusab Aquapendente, der andere aus drei, wie Perrault, ein dritter endlich , wie Meckel, aus sechs Theilen bestehen liese. Uebereinstim- mender sind die Ansichten der älteren Schriftsteller darin, dass dem Vogelkehlkopf, ebenso wie dem der Säugethiere, Stimmbänder und eine Stimmritze zukommen. Als die die Stimmritze bildenden Theile werden die cartilagines arytae- noideae bezeichnet, diese knorpeligen, sehr häufig sogar knö- chernen Stücke also als Stimmbänder gedeutet. Nur Ouvier theilt diese Ansicht nicht. Er beschreibt die oberen Stimm- ritzenbänder, nimmt aber den Mangel der Giessbeckenknorpel an. Carus deutet die Giessbeckenstücke als Santorinische Knochen. Fast ebenso allgemein wird von den verschiedenen Schriftstellern - der Mangel des Kehldeckels angenommen (Aristoteles, Fabricius ab Aquapendente, Cuvier, Gasseri, Blumenbach, Tiedemann, Rudolphi). War- ren, Carus und Nitzsch beanspruchen ihn dagegen für einige Vogelgattungen und Species, und Geoffroy schreibt ibn sogar allen Vögeln zu. — Es liegt durchaus nicht in dem Plane dieser Arbeit, alle einzelnen Ansichten der verschiedenen Schriftsteller darzu- legen. Die Anführung dieser wenigen Einzelnheiten sollte nur zum Beleg dessen dienen, was oben über die wunderbare Verwirrung in Bezug auf Benennung und Deutung der ein- zelnen Theile gesagt jst. Eine genauere Angabe der verschie- denen Meinungen der älteren und neueren Forscher nebst Hinweisung auf die Quellen findet sich in Henle’s Schrift über den Kehlkopf,'!) und wird deshalb in dieser Beziehung 1) Vergleichende anatomische Beschreibung des Kehlkopfs mit be- sonderer Berücksichtigung des Kehlkopfs der Reptilien von D. J. Henle. Leipzig 1839. 616 W. Boeeius: auf die betreffenden Seiten verwiesen (pag. 55—97). Henle hat in genannter Schrift das Ausführlichste geliefert, was über die Anatomie des Vogelkehlkopfs vorliegt, und wird sich im Verlaufe dieser Arbeit oftmals Gelegenheit finden, auf dieses Werk zurückzukommen., Der Zweck dieser Abbandlung ist durchaus nicht dahin gerichtet, eine vollständige und geschlossene vergleichend-ana- tomische Abhandlung über den Kehlkopf der Vögel zu geben; es handelte sich nur darum, das Wichtige und Wesentliche von dem Unwichtigen und Unwesentlichen zu scheiden, und die einzelnen Haupttheile und Verhältnisse recht zu würdigen und klar darzulegen. — Vor jeder Beschreibung des Vogel- kehlkopfs sei noch in Bezug auf Nomenclatur bemerkt, dass bei der Bezeichnung der einzelnen Elemente diejenige gewählt ist, welcher Herr Professor Stannius sich bedient. Oefent- lich gebrauchte er dieselbe zuerst, als er auf der letzten Or- nithologenversammlung zu Rostock einen Vortrag über den oberen Kehlkopf der Vögel hielt, in welchem er sowohl sei- nen allgemeinen Bau, als auch seine Eigenthümlichkeiten bei grösseren Gruppen und einzelnen Arten an Präparaten er- läuterte. Herr Professor Stannius, der zuerst den Gedan- ken zu dieser Arbeit in mir erweckte, hat mich bei derselben nicht nur durch Ueberlassung eines Theils seiner vielen Prä- parate, sondern auch in jeder anderen Hinsicht rathend und helfend unterstützt, weshalb ich mich gedrungen fühle, meinem hochgeschätzten Lehrer hiemit Öffentlich meinen wohlgemein- ten und innigsten Dank auszusprechen. Lage des Kehlkopfs. Oeffnet man bei einem Vogel den Schnabel, und zieht, um die hinteren und tiefer gelegenen Theile besser überblicken zu können, die Zunge etwas hervor, so erblickt man hinter dem Ende des unbeweglichen Zungentheils (des auf dem Zun- genbeinkörper ruhenden eigentlichen Geschmacksorganes, nach Stannius) eine in der Mittellinie liegende länglich-vvale Oefl- nung. Diese Oeffnung, ostium laryngis, bildet den Eingang zu den Luftiwegen, und führt zunächst direkt in den oberen Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 617 Kehlkopf. Geht, was gewöhnlich der Fall ist,') von der Mitte des Zungenbeinkörpers ein nach unten und hinten ge- richteter, von Stannius als Zungenbeinkiel bezeichneter Fortsatz aus, so liegt derselbe unter dem Kehlkopf, und bil- det eine Grundlage für diesen. An die Basis des Kehlkopfs reihen sich die einzelnen, die trachea zusammensetzenden Ringe und Bogen. Beschreibung der Gestalt und Zusammensetzung der einzelnen, den Kehlkopf ausmachenden, soli- den Theile. Das grösste, so zu sagen das Hauptstück, der den Kehl- kopf zusammensetzenden Theile nimmt die ganze vordere Fläche derselben ein, pars thyreoidea. Sie bildet eine senk- recht stehende Platte, welche in der Mitte am höchsten ist und nach den Seiten hin allmälich sich abflacht. Ihre vor- dere Fläche ist schwach eonvex, ihre hintere schwach con- cav gebogen. Nach oben oder vorn hin endet sie mit einem freien Rande, der in der Mitte mehr oder weniger spitz oder abgerundet ist, Der untere, grade Rand liegt dicht über dem ersten Luftröhrenbogen, und ist durch eine Membran mit demselben verbunden. Die äusseren oder hinteren, meist niedrigen Ränder stehen entweder, ihrer ganzen Länge nach, mit dem zweiten, gleich näher zu beschreibenden Stücke in naher Verbindung, so dass beide Stücke einen eng zusam- menbängenden Ring bilden, oder jene Ränder gehen nur an einer beschränkten Stelle eine Verbindung mit dem zweiten Stück ein, indem sie eine kleine Gelenkfläche bilden, welche den entsprechend geformten Gelenkkopf der Seitenstücke auf- nimmt. Diese Seitenstücke, von Ilenle als „viereckige Knor- pel“, oder auch als Seitentheile der „cartilago tbyreoidea® bezeichnet, nennt Stannius pars cricoidea, wenn er beide Stücke als ein Ganzes bezeichnen will, welches ringförmig die seitliche und hintere Wand des Kehlkopfs umschliesst; 1) Ausnahmen von dieser Regel bilden z. B. die untersuchten Spechte und der Wendehals, indem ihnen der Zungenbeinkiel fehlt. - -618 Ä Ww. Boccius: will er dagegen die beiden Stücke dieser pars cericoidea ein- zeln bezeichnen, so thut er es durch die Ausdrücke crura partis ericoideae. Die crura bilden, wie schon oben er- wähnt, die seitliche und hintere, dorsale Wand des Kehlkopfs, und liegen hinten in der Mittellinie entweder mit ihren freien Rändern dicht neben einander, oder sind durch ein Gelenk mit einander verbunden. Sie sind entweder breit und plat- tenförmig, oder schmal und leistenförmig. Im ersteren Falle sind sie der pars thyreoidea unmittelbar ohne Gelenk ange- schlossen, haben eine nach aussen convexe, nach innen con- eave Fläche und vier Ränder, von denen der obere mehr oder weniger ausgeschweift, meist etwas verdickt und aufgeworfen ist und als unmittelbare Fortsetzung des oberen scharfen Ran- des der pars thyreoidea erscheint. Der vordere, äussere Rand steht mit dem entsprechenden Rande der pars thyreoidea in Verbindung, der hintere, innere liegt dem entsprechenden Rande des gleichnamigen Schenkels der andern Seite nahe an und der untere, den unteren Rand der pars thyreoidea fortsetzend, steht, wie dieser, unmittelbar über den ersten Ring der trachea. Unter der zweiten Bedingung bilden die mehr oder weniger gebogenen, im Verhältniss zur Länge schmalen und dünnen Schenkel der pars cricoidea einen nie- drigen Halbring, welcher die Kehlkopfshöhle seitlich und hin- ten umgiebt. — Das dritte Stück, von früheren Schriftstellern und auch von Henle als cartilago cricoidea bezeichnet, heisst pars articularis. Die Gestalt dieses kleinen, meist sehr unansehnlichen Mittelstücks ist verschieden; unregelmässig viereckig, rhombisch, dreieckig. Es liegt immer in der Mit- tellinie, und zwar gewöhnlich in dem Ausschnitt, welchen die Enden der crura partis cricoideae bilden. Nur selten ist es tiefer zwischen die hinteren, inneren Ränder des Ringstücks eingesenkt. Eine förmliche Einkeilung zwischen den hinteren, inneren Rändern der crura findet sich fast nur bei den Hüh- nervögeln und Tauben (Siehe das Nähere weiter unten bei Aufführung der einzelnen Species). Am oberen Rande trägt dieses Stück jederseits eine kleine Gelenkfläche zur Aufnahme der Basis der gleich näher zu beschreibenden partes arytae- Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel, 619 noideae. Häufig ist die pars articularis von aussen gar nicht zu sehen, weil dieselbe an sich unbedeutend und klein ist, ‚und weil sie bei vielen Vögeln etwas nach vorn in die Kehl- kopfshöhle hineingedrückt ist, so dass sie durch die pars cri- coidea und partes arytaenoideae, oder vielmehr durch die nach hinten ziehenden Fortsätze derselben fast ganz verdeckt wird, z. B. bei den untersuchten Striges.— Die partes arytae- noideae, ron Henle als cartilagines arytaenoideae bezeich- net, stellen zwei längliche, dünne und schmale, meist drei- seitige Stücke dar, welche sich von der pars articularis aus, dem oberen Rande der pars cricoidea und thyreoidea entlang, bis zur Spitze dieser letzteren hinziehen, und dort frei endi- gen. Die eine der langen Seiten ist also dem oberen Rande der pars cricoidea zugewandt, und liegt demselben meist ziem- lich nahe an, während die andere das ostium laryngis be- gränzt. Von dieser inneren Seite geht ungefähr in der Mitte ein Fortsatz ab, der, nach hinten ziehend, dem entsprechen- den Fortsatz der anderen Seite sich nähert. Diese von Stan- nius’ besonders hervorgehobenen und von ihm als processus spinosi bezeichneten Fortsätze finden sich ganz constant, und dienen zwei Stacheln zur Grundlage, welche an dem hinte- ren Ende des ostium laryngis zu beiden Seiten oberflächlich frei zu Tage liegen. Die Länge dieser Fortsätze ist bei den verschiedenen Vögeln verschieden; lang sind sie z. B. bei den Krähen, Hühnern und Raubvögeln, kurz bei den Papa- 'geien. Dass diese Fortsätze bei dem angegebenen "Verlauf nach hinten zu das ostium laryngis begränzen müssen, wäh- rend die Begränzung vorne durch die inneren Seiten der par- tes arytaenoideae selbst geschieht, wird einleuchtend sein. Diese bisher genannten und beschriebenen Theile sind die wirklich wesentlichen, soliden Bestandtheile des Kehlkopfs, was schon daraus hervorgeht, dass keiner derselben bei irgend einem Vogel fehlt. Die übrigen, von verschiedenen Schrift- stellern, und auch von Henle aufgeführten und beschriebe- nen Theile finden sich erstlich bei weitem nicht bei allen Vö- seln, und sind ausserdem häufig so undeutlich und wenig in die Augen springend, dass man sie höchstens in Betracht I 620 " W. Boceius: einer schwachen Analogie mit den Reptilien und Säugethie- ren erkennen kann., Der. eine dieser Theile ist der soge- nannte processus epiglotticus.. Mit diesem Namen hat man die obere Spitze der pars tbyreoidea bezeichnet, welche meistens gar nicht, oder nur sehr undeutlich von der pars thyreoidea abgegränzt ist. Näher besprochen und beschrie- ben ist dieser processus epiglotticus in einer Abhandlung von Nitzsch!) und auch in Henle’s Schrift. Ein zweiter, eben- falls viel besprochener, und von Alexander von Hum- boldt?) zuerst beachteter Theil ist ein longitudinaler Vor- sprung an der inneren Fläche der vorderen Wand des Schild- stücks. Man trifft diesen, von Humboldt als „Sockel“ be- zeichneten Fortsatz bei weitem nicht bei allen Vögeln an, oder wenigstens nur eine Andeutung desselben in Gestalt eines unbedeutenden tuberculum. Wenn er vollständig und deutlich ausgebildet ist, wie bei den meisten Schwimm- und Sumpfvögeln,®) so stellt er einen verticalen Längsvorsprung dar, welcher sich von der Innenfläche der pars thyreoidea erhebt, und oft weit in die Höhle des larynx hineinragt. Da dieser Vorsprung lange nicht allen Vögeln zukommt, so ist auch nicht einzusehen, wie Henle ganz allgemein bei der Beschreibung der „viereckigen Knorpel“ sagen kann: „Der obere Rand dieser Knorpel ist zum Theil frei, zum Theil von den folgenden bedeckt, und erscheint als eine Fortsetzung des oberen Randes des Sockels auf die hintere Kehlkopfs- fläche;,der untere Rand des viereckigen Knorpels, den unte- ren Rand des Sockels fortsetzend, ruht, wie dieser, auf dem ersten Trachealring. Demnach erweisen sich die viereckigen Knorpel fast nur als die nach hinten umgebogenen, niedrigen Seitentheile des Sockels, und in der That sind sie mit die- sem oft vollkommen verwachsen, so dass auch viele den Sok- 1) Meckel’s Archiv 1826 p. 616. 2) Observations de Zoologie p. 2. 3) Eine Aufzählung der einzelnen Ordnungen und Gattungen, bei welchen ein Sockel angetroffen wird, siehe in Meckel’s System der vergleichenden Anatomie p. 458—459. — Dieser Sockel ist bekanntlich bei einigen Schwimmvögeln in den Hohlraum der Luftröhre fortgesetzt. Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 621 kel und die viereckigen Knorpel zusammen als einen ring- förmigen, hinten offenen Knorpel beschrieben.“ Häutige Gebilde des Kehlkopfs. An allen Stellen, wo die einzelnen soliden Elemente nicht durch Naht, Knorpel oder Artieulation mit einander verbun- den sind, wird eine Verbindung zwischen denselben durch dünne Membranen hergestellt, so dass die Kehlkopfshöhle, ausgenommen oben und unten, von allen Seiten vollständig begrenzt ist. Ebenso befindet sich auch zwischen der Basis des Kehlkopfs und dem ersten Luftröhrenbogen eine verbin- dende Membran. — Die Ränder des ostium laryngis, sowie die ganze Höhle .des Kehlkopfs, ist mit einer Schleimhaut überzogen, eine Fortsetzung der den unbeweglichen Zungen- theil bekleidenden Schleimhaut. Struetur- und Texturverhältnuisse der einzelnen Elemente, Was den Bau der pars thyreoidea anlangt, so kann man bei den meisten Vögeln die Entstehung derselben aus einzel- nen Bogen oder Halbringen deutlich wahrnehmen. Bei jun- gen Vögeln sind sie fast immer deutlicher zu erkennen, als bei alten gleicher Art. Ein Beispiel unter vielen ist Corvus corazt. Aber auch noch bei vielen ausgewachsenen Vögeln findet sich die Andeutung solcher Halbringe am unteren Rande des Schildtheils, und zwar gewöhnlich in der Weise, dass die untersten sich am deutlichsten als Halbringe präsentiren, wäh- rend die oberen oft erst bei sehr genauer Besichtigung zu erkennen sind. Die Zahl derselben ist verschieden, meist je- doch finden sich nur einer oder zwei. Zwei fand ich z.B. bei der Krähe, bei Falco lagopus, drei beim Huhn, bei Crar Alector und bei Alcedo rudis. Henle führt (pag. 59) an, dass er bei Crypturus vier Halbringe, und ebenso auch bei Falco albicilla vier, von denen die beiden oberen jedoch sehr schwach waren, gesehen habe. Diese Trennung in einzelne Halbringe ist bald nur in der Mitte, bald nur an den Seiten deutlich wahrnehmbar. Wo sich die Spuren der Trennung 622 © W. Boeceinus: in einzelne Halbringe gar nicht auffinden lassen, oder. auch noch neben solchen Spuren, giebt sich die Entstehung des Schildtheils aus einzelnen Stücken dadurch zu erkennen, dass die Platte von mehreren, meist der Quere nach verlaufenden Spalten oder.Einziehungen durchzogen ist. — Fast immer fin- det man die pars thyreoidea, mit etwaiger Ausnahme der oberen Spitze, vollständig knöchern. Henle führt an, (pag. 58), dass bei den straussartigen Vögeln die ganze pars thy- reoidea aus Knorpel bestehe. Wegen dieser Wandelbarkeit der histologischen Verhältnisse, welche bei den übrigen Ele- menten noch bei weitem grösser ist, scheint es durchaus ge- rechtfertigt, wenn man, wie Stannius es gethan, die Benen- nung cartilago tbyreoidea, cricoidea etc. ganz fallen lässt, und die einzelnen Elemente als partes bezeichnet; denn soll man einen Theil, der ebenso häufig oder noch häufiger kuö- chern als knorpelig ist, nur desshalb Knorpel nennen, weil der Ausdruck einmal althergebracht ist? — Die Schenkel der pars cricoidea sind zum Theil knöchern, zum Theil krorpelig, nur in seltenen Fällen bestehen sie ganz aus Knochen oder Knorpel. Ersteres kann man bei den Papageien wahrnehmen, Letzteres nach Henle (pag. 58) bei den straussartigen Vö- geln. Dagegen sagt Meckel in Bezug auf den zweizebigen Strauss:!) „Merkwürdig ist noch, dass, mit Ausnahme des ganz knöchernen Schildknorpels, alle Theile blos knorpelig sind, unstreitig wohl eine Säugethierähnlichkeit.* — Eine voll- ständig knorpelige pars cricoidea fand ich bei Oraz Alector und Pierocles selarius. Am gewöhnlichsten findet man den mittleren Theil knöchern, während das vordere und hintere Ende, namentlich aber das erstere aus Knorpelsubstanz ge- bildet ist. Die geringsten Verschiedenheiten in histologischer Beziehung bietet das hintere Mittelstück, die pars articularis. Dasselbe ist nämlich ‘fast immer vollständig ossifieirt. Von knorpeliger Textur fand ich es nur bei Crax Alector, Piero- cles selarius, Upupa epops und Strie Aluco. Grössere Man- nichfaltigkeit zeigt sich in dieser Beziehung wiederum bei dem 1) Meckel’s System der vergleichenden Anatomie. pag. 478. Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 623 letzten Element. Gewöhnlich ist die pars arytaenoidea zum Theil knöchern, zum Theil knorpelig; knöchern meist nach der Basis, knorpelig nach dem freien Ende hin. Vollständig weich und knorpelig ist, nach Henle’s Angabe, (pag. 63) der Giessbeckentheil nur bei Ahea und beim Kasuar. Der pro- cessus spinosus ist ganz gewöhnlich von knorpeliger Textur, zuweilen ist nur sein hinteres Ende knorpelig, während die . Basis aus Knochensubstanz besteht, wie bei Scolopax rausti- eula, Yunz, Picus. Genauere Angabe der Verbindungsweise zwischen den einzelnen soliden Elementen, Die Verbindung zwischen der pars thyreoidea und cricoi- dea geschieht auf eine dreifache Weise; durch Artieulation, durch ein eingeschaltetes, breites Knorpelstück, oder, wenn man will, eine breite Knorpelnaht, und endlich drittens durch eine wirkliche Naht, d. h. eine schmale Knochen- oder Koor- pelnaht. Eine vollkommen deutlich ausgesprochene Gelenk- verbindung zeigt sich nach Maassgabe der neueren Untersu- ehungen des Herrn Prof. Stannius, die auf der Ornitholo- genversammlung mitgetheilt sind, bei allen Singvögeln (Os- eines im engeren von den neueren Ornithologen adoptirten Wortsinne) und ausserdem bei einigen, durch J. Müller,!) wegen abweichender Bildung des unteren Kehlkopfs, von ihnen ausgeschiedenen Vögeln, die gegenwärtig den Clamatores zu- gezählt werden. Die hinteren Ränder der pars thyreoidea tragen an ihrem oberen Theil kleine concave Gelenkflächen, welche den entsprechenden convexen Flächen an den vorde- ren Rändern der pars cricoidea angepasst sind. Die Verbin- dung. durch ein breites Knorpelstück sieht man bei den mei- sten Hühnervögeln sehr deutlich z. B. beim Hahn, Auerhahn und Penelope Marail, wo es sich als eine kleine Knorpel- platte" präsentirt, welche den ganzen nicht unbeträchtlichen 1) Ueber die bisher unbekannten typischen Verschiedenheiten der Stimmorgane der Passerinen, von J. Müller. Berlin, 1847. Ga - | W. Boceins: Raum zwischen den entsprechenden Rändern des Schild- und Ringstücks vollständig ausfüllt. Bei allen übrigen Vögeln wird die dritte Verbindungs- weise, die Nahtverbindung, angetroffen, und zwar bei fast . allen Scansores, Grallatores und Natatores eine Knorpelnaht, während eine wirkliche Knochennaht nur sehr wenigen Vö- geln dieser Ordnungen zukommt. Unter den von mir unter- suchten Species konnte ich sie nur bei Picus viridis, major und varius, Fulica atra und Porphyrio smaragnotus mit Bestimmt- heit nachweisen Bei den Raubvögeln geschieht die Verbin- dung zwischen Ring- und Schildstück allerdings ebenfalls durch Knorpelnaht, jedoch in einer wohl erwähnenswerthen, eigenthümlichen Weise. Das Ringstück der Raptatores ist nämlich nicht plattenförmig, wie bei den eben erwähnten Ord- nungen, sondern mehr leistenförmig, wie bei den Singvögeln, von diesem jedoch wiederum dadurch wesentlich unterschie- den, dass es bei weitem breiter und dicker ist. Dieses ziem- lich massige, leistenförmige Stück nun verbindet sich durch sein vorderes, etwas spitz zulaufendes Ende mit dem hinte- ren Rande des Schildstücks mittelst eines kleinen rundlichen Knorpelstücks, und zwar mit dem oberen Theil dieses Ran- des, gerade da, wo derselbe einen kleinen Vorsprung bildet. Durch diese Einrichtung wird dem Ringstück allerdings eine gewisse Beweglichkeit gestattet, jedoch lange nicht eine so ausgedehnte, wie wir sie bei den Singvögeln angetroffen ha- ben. Auf Henle hat diese Verbindungsweise den Eindruck einer Gelenkverbindung gemacht; er sagt nämlich (pag. 59): „Bei den grösseren (nämlich Raubvögeln und den meisten Passerini) sieht man zwischen den mittleren und den Seiten- theilen eine Art von Gelenk; denn sowohl das vordere Ende des Seitenstücks als der äussere Rand des Mittelstücks sind nicht ossifieirt und stellen gleichsam knorpelige Epiphysen an den übrigens grösstentheils knöchernen Stücken dar.“ Ge- gen diese Angabe ist jedoch zu erwähnen, dass bei den von mir untersuchten Raubvögeln von einem wirklichen Gelenk nie etwas zu sehen war, während bei den von Henle aufge- führten Passerini (Muscicapa, den Sylviae, Alauda, Fringilla Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 625 und Lozria) sich nicht nur ‚eine Art von Gelenk, sondern stets sein vollkommen ausgebildetes Gelenk wahrnehmen lässt. Deshalb ist auch Henle’s, kurz vor der angeführten Stelle gemachte Angabe, dass sich bei den meisten Passerini eine Nahtverbindung nachweisen lasse, als irrthümlich zurück- zuweisen. : Es heisst (pag. 59): „Mit Bestimmtheit konnte ich aber eine wirkliche Naht nachweisen bei den erwachsenen Raubvögeln und den meisten Passerini, namentlich Museicapa, den Sylvien, Alauda, Emberiza, Fringilla, Loxia, Crotophaga u. A.* — Bei einigen Vögeln findet man eine so innige Ver- bindung zwischen der: pars thyreoidea und cricoidea, dass “fast jede Spur von Trennung verschwindet. Dieses Verhalten fand ich bei Psittacus und Craz Alector. Bei ersterem bildet Schild- und Ringstück einen continuirlich zusammenhängenden knöchernen, bei letzterem einen 'knorpeligen Ring. Henle, welcher annimmt, dass das Schild- und Ringstück bei jungen Vögeln; verwachsen sind und sich im Alter trennen, sagt hier- über (pag. 58) Folgendes: „Es giebt viele Gattungen, bei wel- chen das ganze Leben hindurch die drei Theile zu einem einzigen verwachsen, oder richtiger gesprochen, noch unge- trennt sind. Dahin gehören z. B. die Straussartigen und die Papageien. Bei jenen ist. der ganze Knorpel, den ich nun- mehr Schildknorpel nennen werde, knorpelig, bei diesen knö- chern. Auch beim Schwan ist weder in der Jugend noch im Alter eine Spur von Theilung des Schildknorpels zu sehen,“ Hiegegen sei erwähnt, dass nach Herrn Prof. Stannius’ Untersuchungen bei jungen Vögeln eine breite Knorpelnaht vorhanden ist, } Ebenso wie die Verbindung des Schildstücks mit dem Ringstück auf dreifach verschiedene Weise zu Stande kommt, wird auch die Verbindung zwischen den beiden Schenkeln ‘ der pars cricoidea auf drei verschiedene Arten bewerkstelligt. Entweder nämlich liegen die hinteren Ränder derselben nahe nebeneinander und sind durch eine Membran verbunden, oder sie articuliren mit einander, oder endlich sie sind durch ein Knorpelstück mit einander vereinigt. : Am häufigsten, und bei den verschiedensten Ordnungen und Gattungen der Vögel Müller's Archiv, 1858. ‘ 40 626 W. Boceius: findet sich die erst genannte Verbindungsart, z. B. bei fast allen Grallatores, bei einigen Schwimm- und Klettervögeln. Der Abstand, welcher zwischen den beiden Rändern bleibt, ist verschieden weit bei den verschiedenen Vögeln, meist je- doch liegen sie fast unmittelbar nebeneinander. Häufig sind es allerdings nicht die Ränder, welche unmittelbar nebenein- ander liegen, sondern vielmehr die äusseren Flächen der bei- den Schenkel des Ringstücks, ein Verhalten, welches dadurch zu Stande kommt, dass sich die kleinen Platten an ihrem hinteren, inneren Ende etwas nach vorn in die Höhle des Kehlkopfs hineinbiegen. Diese Lagerungsart sieht man na- mentlich deutlich bei einigen Grallatores (Ardea cinerea, Ma- chestes pugnaz) und Natatores (Eudytes arctieus, Colymbus cristatus). Hier bekommt man die umgerollten Ränder erst dann zu Gesicht, wenn man die kleinen Platten etwas nach hinten zieht. Man sieht dann deutlich, dass sie in einer klei- nen Entfernung, durch eine Membran oder ein Knorpelstück verbunden, neben einander liegen. Die Gelenkverbindung kommt, so viel ich gesehen habe, ausschliesslich den Oscines und den ihnen durch Nitzsch zugezählten, jetzt von ihnen ausgeschiedenen, vorhin erwähnten Clamatores zu. Die Arti- ceulation geschieht einfach dadureh, dass die kleinen, entspre- chend gebauten Gelenkflächen der hinteren, ‘inneren Enden sich aneinander legen. Die ziemlich unbewegliche, durch ein Knorpelstück bewerkstelligte Verbindung fand sich bei allen von mir untersuchten Raubvögeln, ausserdem aber auch bei einigen Natatores (Eudytes arcticus, Colymbus cristatus) und Grallatores (Charadrius auratus, Ardea cinerea). Bei allen Raubvögeln sind die etwas in die Kehlkopfshöhle hinein um- gerollten knöchernen Enden durch ein niedriges, schmales Knorpelstück zusammengehalten. Dieses Verhaltens wegen sieht man, so lange die Theile in Ruhe sind, kaum ‚etwas von dem verbindenden Knorpelstück, sondern die Enden der Schenkel scheinen unmittelbar neben einander zu liegen. Die Verbindung der pars cricoidea mit der pars articu- laris geschieht- gewöhnlich in der Weise, dass das auf der Verbindungsstelle der beiden Schenkel ruhende Gelenkstück Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 627 entweder nur durch Bindegewebe, oder ganz schmale Mem- branen an denselben befestigt ist, oder auch an jeder Seite 'eine kleine, meist concave Gelenkfläche trägt, welche der des Schenkels entspricht. Diese Verbindung durch Artieulation sah ich bei fast allen Singvögeln; nur bei einigen konnte ich wegen der bedeutenden Kleinheit der einzelnen Theile das Vorhandensein eines Gelenks nicht mit Sicherheit constatiren. Bei’ den untersuchten Tauben, bei Pterocles und fast allen Hühnervögeln findet sich die Eigenthümlichkeit, dass die pars artieularis nicht unmittelbar über den Enden des Ringstücks, sondern zwischen seinen hinteren, inneren Rändern liegt, also eine förmliche Einkeilung erfährt. Der untere Rand des Ge- lenkstücks reicht dann ebensoweit, oder selbst noch weiter hinab, wie der untere Rand des Ringstücks. Auch bei eini- ‘gen anderen Vögeln wird eine solehe vollständige Einkeilung der pars articularis angetroffen, so bei Picus major, viridis und tarius, und bei den beiden Schwimmvögeln: Phaeton aethereus und Pachyptila villata. Bei manchen anderen Vögeln wird man beim ersten Anblick dadurch leicht zu der Annahme eines solchen Lagerungsverhältnisses verleitet, dass die pars articularis sehr fest in den von dem Ringstück gebildeten Aus- schnitt eingesenkt und zum Theil noch wirklich zwischen den hinteren, inneren Rändern desselben gelagert ist. Bei nähe- rer Betrachtung und Präparation sieht man jedoch deutlich, dass die beiden Schenkel des Ringstücks unten unter sich verbunden sind, der untere Rand des Gelenkstücks also im- mer noch über ihrem unteren Rande sein Ende erreicht. Die- ses Verhalten trifft man z. B. bei Charadrius auratus und Sco- lopaxz rusticula, bei Daption capensis und Anas crecca. Ein ähnliches Lagerungsverhältniss scheint sich nach Meckel’s Angabe!) auch beim Strauss vorzufinden. - Auf stets gleiche Weise, d. h. durch Articulation, kommt die Verbindung zwischen der pars articularis und den beiden partes arytaenoideae zu Stande. Das Gelenkstück trägt je- 1) Meckel’s vergleichende Anatomie p. 477. SE 40* 628 W. Boccius: derseits an seiner Basis eine kleine concave Gelenkfläche, welche den Gelenkkopf jeder pars arytaenoidea aufnimmt. Eine Abweichung von diesem Verhalten habe ich nirgends aufge- zeichnet gefunden und auch selbst nie gesehen. Interessant und beachtenswerth scheint mir die aus der Verbindungsart der einzelnen Elemente des Kehlkopfs her- vorgehende grosse Beweglichkeit derselben bei den Oscines und einigen, ihnen nahe verwandten Clamatores. Bei allen Vögeln jener Ordnung sind, wie wir gesehen haben, nicht nur das Schild- und Ringstück, sondern auch die Schenkel des Ringstücks unter sich, und diese und das Gelenkstück wiederum durch Articulation mit einander verbunden, eine Verbindungsweise, welche schon an und für sich eine be- trächtliche Beweglichkeit der einzelnen Theile.und eine be- deutende Ausdehnung der ganzen Kehlkopfshöhle gestattet. Ein diese Verschiebbarkeit und Ausdehnungsfähigkeit begün- stigendes Moment findet sich ausserdem aber noch in dem stets vorhandenen, durch eine elastische Membran ausgefüll- ten Interstitium zwischen dem unteren Rande der pars cri- coidea und dem ersten geschlossenen Luftröhrenringe. Wel- chen Einfluss diese Construction des Kehlkopfs auf den Cha- racter des Tons, den Klang, haben, und von welcher. Wich- tigkeit sie für denselben sein mag, lässt sich vorderhand allerdings nicht berechnen; dass sie aber überhaupt zur Bil- dung der verschiedenen Töne wesentlich mitwirken kann und auch wirklich mitwirkt, scheint durchaus einleuchtend zu sein. Ebenso wie die Schwingungen der elastischen Wände der Luft- röhre, der Bronchien und der übrigen Athmungsorgane einen Einfluss auf den Character des Tons ausüben können, wer- den auch die Schwingungen, und zwar wegen ihrer grossen Dehnbarkeit ausgiebigen Schwingungen der Kehlkopfswände bei den Singvögeln den Klang des Tons zu modifieiren im Stande sein. Man könnte den Kehlkopf nebst dem angren- zenden Ende der Luftröhre mit dem erweiterten Ende eines Blaseinstrumentes vergleichen. Unterschieden würden beide nur darin sein, dass bei diesem die einmal gegebene Erwei- terung stets dieselbe bleibt, während jener sich bald veren- Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 629 gen, bald erweitern, d. h. je nach der Stärke des eindringen- den Luftstroms bald geringere, bald ergiebigere Schwingun- gen machen kann. Muskeln des Kehlkopfs. Da es mir selbst an Zeit und Gelegenheit fehlte, um die Muskeln des Kehlkopfs genauer untersuchen zu können, na- mentlich aber wegen der jetzigen Jahreszeit an hinlänglichem Material gebrach, um die eigenthümliche und interessante Mus- kulatur der Gattung Picus und Junz durch Präparation näher verfolgen zu können, so werde ich im Folgenden gleich zu der Beschreibung einiger Species als Repräsentanten der ein- zelnen Gattungen und Ordnungen übergehen und nur noch vorher in Bezug auf die Bildung und Anordnung der Mus- keln kurz auf die hier einschlägige Literatur verweisen. Be- schrieben haben die Muskeln des Kehlkopfs Fabrieius ab Aquapendente (De larynge vocis organo P. I. Cap. VI. in opp. omnia Lips, 1687 p. 273), Oliger Jacobaeus (Anatome Psittaci in Act. Soc. Hafn. Vol. II. p. 313), Tie- demann (Zoologie Bd. II. pag. 649) und Meckel (Archiv p. 330 Vergl. Anatomie p. 472). Henle erwähnt in seiner Schrift (pag. 63) kurz die Ansicht dieser verschiedenen Schrift- steller und beschreibt dann im Folgenden selbst die einzel- nen Muskeln. Pag. 65 geht er näher auf die Beschreibung der Muskeln bei der Gattung Picus ein. Er weicht in seiner Beschreibung in manchen Stücken von der Huber’s ab, der dieselben in einer eigenen Schrift (De lingua et osse hyoideo Pici viridis. Stuttgart 1821, 4.) abgehandelt hat. I. Ordnung der Raubvögel, Aaptatores. 1. Falken, Accipitrini. a) Falco lagopus. Die pars thyreoidea läuft ziemlich spitz zu. Ueber ihrem unteren Rande zeigen sich deutlich die Spu- ren zweier Ringe. Der unterste Ring ist in der Mitte voll- ständig getrennt, an den Seiten dagegen, namentlich rechts, nur unvollständig. Der erste Trachealring ist hinten nicht geschlossen, ‘Die ganze pars thyreoidea ist, mit Ausnahme 630 ‚ıW, Boceius: des untern Ringes und der äussersten Spitze, vollständig knö- chern. -An der Stelle, wo die seitlichen Ränder des’ Schild- stücks kleine Vorsprünge haben, gehen sie ihre Verbindung mit dem Ringstück durch ein kleines rundliches Knorpelstück ein. Unterhalb dieser Verbindungsstelle sind die entsprechen- den Ränder des Schild- und Ringstücks durch eine Membran verbunden. Die Schenkel des Ringstücks bilden zwei dicke nach vorn zu sich verjüngende Knochenleisten, welche mit ihren hinter», innern umgebogenen Rändern nahe an einander liegen und durch eine kleine Knorpelplatte mit einander ver- bunden sind. Unmittelbar über dieser Knorpelplatte liegt die viereckige, unansehnliche pars artieularis. Sie ist mit den Schenkeln der pars erieoidea durch sehr schmale Membranen verbunden und trägt an ihrem ‚oberen Rande jederseits zwei Gelenkflächen zur Aufnahme der partes arytaenoideae. Die äusseren Flächen dieser hinten knöchernen, vorn knorpeligen Stücke sind der Länge nach etwas concav, während die in- nern, das: ostium laryngis begränzenden Flächen eben sind. Die von der Mitte abgehenden Fortsätze sind ziemlich lang und dünn, laufen sich einander entgegen und enden dicht neben einander in feine Spitzen. Sie dienen einem häutigen, stachelartigen Gebilde zur Grundlage, welches nach hinten hin die pars articularis und cricoidea und selbst ‘noch die ersten Luftröhrenringe überragt, so dass von diesen Theilen ohne Präparation nichts zu sehen ist. b). Falco albicilla. Der Kehlkopf des Seeadlers stimmt vollkommen mit dem vorhergehenden überein. . Am. unteren Rande der Schildplatte siebt man die Spuren dreier. Ringe. Henle will vier Ringe wahrgenommen haben. c) Falco naevius. Der Kehlkopf weicht nur in Folgen- dem von dem des Falco lagopus ab. Die pars cricoidea ist etwas massiger und breiter. Der erste Luftröhrenbogen be- ginnt vorne unter der Mitte der: Basis der Schildplatte und zieht sich nach rechts bis zu ‚ıhrem seitlichen Rande hin. Die beiden folgenden Bogen sind vorne vollständig, hinten dagegen offen. 1 | d) Bei der Weihe, Falco pygargus, ist der untere Rand Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 631 der Schildplatte nach unten hin ziemlich stark concav. Inu dieser Aushöhlung liegen die drei ersten Luftröhrenbogen, von welchen die beiden obersten kaum den dritten Theil der Luftröhre umfassen. Im Uebrigen stimmt auch dieser Kehl- kopf mit dem des Falco lagopus völlig überein. 2. Eulen, Sirigidae. a) Strie Aluco, Waldkauz. Gestalt und Verbindung der Elemente wie bei Falco, die pars artieularis ist von aus- sen schwer aufzufinden, weil sie sehr klein und weit nach innen gerückt ist, und wegen ihrer knorpeligen Textur sich undeut- lich von dem die erura partis cricoideae verbindenden Knor- pelstücke abgränzt. Am untern Rande der pars thyreoidea Andeutung zweier Ringe. Der erste Trachealring ist hinten nicht geschlossen. b) Strie flammea verhält sich ähnlich. II. Ordnung der Singvögel, Oscines. (Canori, Passerini. Sperlingsvögel.) Ä l. Raben, Corvini. a) Corvus coraz, Kolkrabe. Der Kehlkopf ist von an- sehnlicher Grösse, so dass alle einzelnen Theile sehr deut- lich zu sehen sind. Die pars thyreoidea ist unten ziemlich breit, nach oben hin allmälig schmaler, die Spitze abgestutzt. Sehr deutlich sind an dem untern Rande die Spuren zweier Ringe. Die ganze Platte ist, mit Ausnahme des obern Endes, knöchern. In der Mitte der Innenfläche findet sich ein nur wenig hervorragendes tuberculum. An den Seitenrändern trägt sie kleine concave Gelenkflächen, welche die Gelenk- köpfe der Schenkel des Ringstücks aufnehmen. Diese knö- chernen Schenkel sind nach vorn hin dünn, nach hinten dik- ker, gebogen, und hinten in der Mittellinie durch Artieulation mit einander verbunden. In dem von ihren hintern, innern Enden gebildeten Ausschnitte steht die ziemlich massige pars articularis.. Sie hat eine unregelmässig dreieckige Gestalt, sieht: mit der Basis nach oben und trägt an jeder Seite der- selben eine concaye Gelenkfläche zur Aufnahme des Gelenk- kopfes der pars arytaenoidea. Weiter unten findet sich eben- 632 om mh IWÄBoR eins: falls jederseits eine kleine concave Gelenkfläche an der Stelle, wo sie die pars-cricoidea unmittelbar berührt, und diese mit einer entsprechenden Gelenkfläche versehen ist, ' Das ganze Gelenkstück ist vollständig ossifieirt. Das Giessbeckenstück ist im Ganzen schlank, wird nach oben hin erst etwas dicker, dann wieder dünner, und endet in eine knorpelige Spitze. Der von der innern Seite ausgehende proc. spinosus ist lang und dünn. Mit Ausnahme dieses Fortsatzes und der Spitze ist die pars arytaenoidea von knöcherner Textur. —' Eigen- thümlieh ist die Pigmentirung, welche’ sich sowohl an der Schildplatte als auch an dem Ring-, Gelenk- und Giessbek- kenstück findet. ‘Ein hübsches Bild entsteht dadurch, dass sich gerade an der Gränze zwischen dem‘ knöchernen und knorpeligen Theile der pars thyreoidea ein bogenförmiger Pigmentstreif binzieht, indem so die helle, durchseheinende Knorpelsubstanz sich sehr scharf gegen den fast schwarzen Knochen markirt. A: b) Bei Corvus corone und Corvus glandarius sind alle Theile durchaus ähnlich gebaut und zusammengesetzt. Bei Corvus glandarius sieht man die Zusammensetzung des Schild- theils aus einzelnen Ringen sehr deutlich; man zählt drei am untern Rande. Der erste Trachealring ist hinten nicht ge- schlossen, der. zweite fliesst hinten mit dem dritten zusam- men, der vollständig geschlossen ist. ce) Corvus monedula, Dohle. Der Kehlkopf ist bedeutend kleiner, wie der der vorhergehenden Species, sonst jedoch in Form, Bau und Zusammensetzung vollkommen überein- stimmend. Gegen den untern Rand der Schildplatte sieht man die Spuren von vier Ringen. Der erste Trachealring ist hinten nicht geschlossen. Vor dem Eingang in die Höhle des Kehlkopfs findet sich eine quer gestellte Schleimhautfalte. In der Mitte der Innenfläche der pars thyreoidea findet sich ein kleines tuberculum. | j d) Pica pica. | e) Oriolus galbula, Pirol. Kirschvogel. Kleiner Kehl- kopf, der nichts Erwähnenswerthes darbietet. Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 633 2. Finken, Fringillidae. a) Pyrgita domestica L. b) Fringilla coelebs, Buchfink, ce) Emberiza citrinella, Goldammer., d) Lozia curvirostra L. e) Ploceus nitens. (Goldküste.) Die Kehlköpfe aller dieser Vögel stimmen im Wesentli- chen durchaus mit dem von Corvus coraz überein, nur sind sie alle sehr zierlich und klein, so dass die einzelnen Theile, namentlich die pars artieularis, sich erst bei genauer Präpa- ration deutlich präsentiren. Dasselbe gilt auch von den im Folgenden aufgeführten Familien. 3. Staare, Sturnidae. a) Sturnus vulgaris. b) Icterus baltimore Cuv. (Nordamerika.) c) Icterus spurius Gm. (Honduras.) d) Eulabes religiosa. Dieser Kehlkopf ist ziemlich gross, alle einzelnen Theile sehr deutlich, Alle soliden Elemente, wie auch die Luftröhrenringe ossifieirt. Das Schildstück ruht auf dem blattförmig ausgebreiteten Fortsatz des Zungenbeins. e) Quiscalus palustris. (Honduras.) 4, Drosseln, Turdidae. a) Turdus merula. An den Seiten der hier ziemlich an- sehnlichen pars articularis sieht man da, wo sie sich mit den obern Rändern der pars cricoidea berühren , kleine concave Gelenkflächen, welche die entsprechenden convexen Flächen des Ringstücks aufnehmen. b) Turdus visciworus. c) Mimus carolinensis L. (Honduras.) d) MHimus lividus. 9. Tanagridae. a) Tanagra jacapa. (Surinam.) b) Tanagra missisippiensis. | c) Tanagra sayaca. (Surinam). 6. Sylvidae, Sänger. a) Sylvia hortensis. 'b) Sylvia rubecula. , 634 loyi > W. Boceius: c) Troglodytes palustris. Wils. (Nordamerika.) d) Zosterops lugubris Hartl. (Insel St. Thome, Westafrika.) 7. Lerchen, Alaudidae. a) Alauda cristata. b) Alauda arvensis. 8. Meisen, Paridae. a) Parus major. b) Parus palustris. €) Parus coeruleus. 9. Schwalben, Hirmidihidie. a) Hirundo rustica. b) Hirundo urbica. 10, Lanidae. a) Lanius collurio. III. Ordnung der Schreivögel, Clamatores. 1... Colopteridae. a) Pipra pareola L. (Brasilien.) Kleiner en Kehl- kopf... Die Schildplatte gleichmässig breit, das obere. Ende abgerundet, Sie ist, mit Ausnahme des Saumes der Spitze, vollständig ossifieirt. An dem Seitenrande articulirt, ganz wie bei den Oscines die pars cricoidea.. Die schmalen, leistenförmi- gen Schenkel des Ringstücks sind auch hinten durch ein Ge- lenk mit einander. verbunden. ' Die übrigen Stücke zeigen nichts Besonderes. Die drei ersten Luftröhrenringe sind hin- ten nicht geschlossen. kei b) Tyrannus furcatus und T. cinerascens Spiz. (Norda- merika). Der Hauptsache nach dem Kehlkopf von Pipra durchaus gleich. Das obere Ende der pars thyreoidea läuft etwas zu. | c) Tyrannus sulphuraceus. 2. Eisvögel, Halcyonidae. a) Alcedo rudis. (Goldküste.) - Bei diesem. zierlich ge- bauten Kehlkopf findet sich keine Gelenk-, sondern Nahtver- bindung zwischen Schild- und Ringstück. . Die hier platten- förmigen Schenkel des Ringstücks sind. ‚den Seitenrändern des Schildstücks durch Knorpelnaht angeschlossen. Sehr deut- Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 635 lich sind im untern Theile der Schildplatte drei Ringe wahr- zunehmen. Die: pars articularis stellt ein hohes, schmales Knochenstück dar, welches noch zum Theil zwischen die hin- tern, inneren Ränder der pars cricoidea eingesenkt ist, Die partes arytäenoideae verlaufen sehr grade; ihre Fortsätze sind kurz; 3. Cypselidae. a) Cypselus apus. Auch bei den Mauerschwalben findet sich eine Knorpelnaht zwischen den entsprechenden Rändern des Schild- und Ringstücks. 4. Wiedehopf, Epopidae.. a) Upupa epops. Alle Elemente sind sehr weich und knor- pelig. Eine dentliche Abgränzung zwischen Ring- und Schild- stück lässt sich nicht wahrnehmen. Alle Luftröhrenringe sind sehr weich, hinten in der Mittellinie nach innen hin umgebo- gen, so. dass die äussern Flächen derselben neben einander zu liegen kommen. Diese Anordnung giebt anfänglich ‚den Anschein, als ob die Ringe hinten, mit einander zusammen- hingen, dies ist jedoch in Wirklichkeit nicht der Fall, son- dern sie sind getrennt und nur durch eine Membran’ mit 'ein- ander verbunden, die längs der ganzen Luftröhrenlänge aus- gedehnt ist. | 9. Wendezeher, Amphibolae. a) Corythaiz persa Ill. Verbindung der partes erieoideae mit der pars thyreoidea durch Naht ohne Gelunk. IV. . Ordnung der Klettervögel, Scansores. 1, Papageien, Psittacıni. a) Psittacus, species americana. Die knöcherne p. thy- reoidea ist. nieht: wie gewöhnlich yon ‚der ebenfalls knöcher- nen p. cricoidea getrennt, sondern mit derselben zu einem Stück verwachsen. Der auf diese Weise gebildete Ring ist vorn stark ausgehöhlt und im Verhältuiss zu dem. hinteren, sehr niedrigen Theil hoch. An ‚den Seiten desselben, d.h. an: der Stelle, wo die vordere höhere Partie in die sehr nie- drige, hintere ausläuft, gehen zwei.kleine, nach aussen sehau- ende Vorsprünge ab. -Die hinteren Enden des Ringes ..biegen 636 W. Boceius: sich fast rechtwinklig um, und treffen sich, jedoch ohne: 'zu verwachsen, in der Mittellinie. Die kleine rundliche p. arti- cularis steht sehr fest in dem von den Enden des Ringstücks gebildeten Ausschnitt. b) Conurus viridissimus L. (aus Honduras). Dieser Kehl- kopf stimmt vollkommen mit dem von Psittacus überein. Die vier ersten Luftröhrenbogen, welche an dem Präparat von “Psittacus fehlten, liegen in der vom unteren Rande des Ring- stücks gebildeten Aushöhlung. Sie umfassen kaum den drit- ten Theil der Luftröhre. 2. Bartvögel, Bucconidae. 'a) Bucco Vieilloti. Alle Elemente des sehr kleinen Kehl- kopfs sind fast vollständig ossifieirt. Schild- und Ringstück sind durch Knorpelnaht mit einander verbunden. Die Schen- kel des Ringstücks liegen hinten mit ihren Enden dicht neben einander, und sind durch eine Membran verbunden. Dicht über ihrer Verbindungsstelle liegt die sehr kleine, rundliche p- articularis. Die pt. arytaenoideae sind bis zur Spitze hin knöchern, ihre processus spinosi sehr klein, fein, spitz zulau- fend und vollkommen ossificirt. b) Trogon mezicanus. Im Wesentlichen stimmt dieser Kehl- kopf durchaus mit dem von Bucco überein. Die das Schild- und Ringstück verbindende Knorpelnaht ist hier verbältniss- mässig breit. | 3. Cuculidae. a) Cuculus Canorus. Die Verbindung zwischen Schild- und Ringstück erinnert hier sehr an die bei den Hühnervö- geln, indem sich ein ziemlich breites Knorpelstück zwischen den entsprechenden Rändern dieser Stücke hinzieht. Die Verbindung, Lage und Gestalt der anderen Elemente zeigt nichts Besonderes. Ä 4, Spechte, Picidae. a) Yunz torguilla, Wendehals. Dieser Kehlkopf bietet grosse und viele Eigenthümlichkeiten. Die p. thyreoidea ist sehr wenig gewölbt, platt, und bildet eine ziemlich lange, mit der Spitze nach unten gerichtete, dreieckige Platte, welche sich nach oben hin blattförmig ausbreitet. Dieses breite obere Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 637 Ende ist weich und häutig, und scharf von dem unteren knö- ehernen Theile abgegränzt. Nach unten hin steht sie durch eine longitudinal gestellte, dünne knorpelige Brücke mit einer zweiten Knochenplatte in Verbindung, welche die vordere Wand der Luftröhre bildet. — Von dem unteren Theil der Seitenränder der Schildplatte aus ziehen sich kleine über einander gelagerte und durch Membranen verbundene Bogen nach hinten, bis zu den vor- deren, äusseren Rändern des Ringstücks. Diese stellen also ‚die. Verbindung zwischen beiden Stücken her. Die pars cri- coidea besteht aus zwei schmalen, hohen Platten, welche mit ihren hinteren, inneren Rändern dicht neben einander liegen. Sie sind viereckig, nach oben zu aber bedeutend schmaler als unten. Ihre oberen Ränder sind mit kleinen, concaven Gelenkfächen versehen, welche die entsprechenden Flächen des Gelenkstücks aufnehmen. Die pars articularis, bat ;die Gestalt eines Kartentreffs, und trägt jederseits die eingelenkte, zierliche pars arytaenoidea. Von der erwähnten Knorpel- brücke uud der weiter unten gelegenen Platte’ gehen, nach hinten . ebenfalls Rudimente von Ringen ab, welche in der Mittellinie nicht geschlossen, sondern durch eine dünne Mem- bran verbunden sind. ‘Anihrem unteren Ende aber setzt sich die Platte 'continuirlich.nach hinten hin fort, so dass hier auch die hintere Wand der Luftröhre durch eine kleine Platte, oder, wenn man will, durch einen hohen Ring gebildet wird. Unterhalb dieser Stelle beginnt dann"die eigentliche, aus voll- ständig geschlossenen Ringen bestehende Luftröhre. , Vorn, ‚wo ‚die Platte nicht mit einem graden Rande endet, sondern in. Form ‚eines, Dreiecks ausgeschnitten ist, liegen in diesem Ausschnitte. die ersten, sehr kurzen Luftröhrenbogen. Die Giessbeckenstücke bieten nichts Besonderes; ihre -Fortsätze sind an der Basis 'knöchern. b) Pieus major. Die p. thyreoidea des kleinen Kehlkopfs ist verhältnissmässig lang, nach unten schmal und etwas ein- gezogen, nach 'oben hin, wie bei Yunz, blattförmig ausgebrei- tet und häutig. Die Gränze zwischen dem häutigen und. knö- ehernen Theil, wiederum sehr deutlich ausgesprochen. ‚Die 638 W. Boceius: Seitenränder hängen nicht in ihrer ganzen Länge mit der pars cricoidea zusammen, sondern nur der obere Theil’ der- selben ist mit dieser durch Knochennaht verbunden. Unter dem Ringstück liegen auf der linken Seite ein, auf der rech- ten zwei Ringrudimente, welche vorn in der fortgesetzten Richtung der Naht zwischen 'Schild- und Ringstück beginnen und hinten nicht geschlossen sind, aber sehr nahe in der Mit- tellinie neben einander liegen, und durch eine schmale Mem- bran verbunden sind. Der dann folgende Ring ist hinten ge- schlossen und hängt’ vorn und seitlich eontinuirlich mit dem Schildstück zusammen. ‘Der dann folgende Ring verhält sich ganz ebenso, ausgenommen, dass er nur noch an der rech- ten Seite mit der Schildplatte zusammenhängt. Alle übrigen Ringe sind knöchern und vollständig. Zwischen den kleinen, plattenförmigen knöchernen Schenkeln des Ringstücks, welche sich mit ihren hinteren Rändern fast erreichen und durch eine Membran verbunden sind, liegt die pars articularis. Sie ist schmal und hoch, in der Mitte etwas eingezogen, und er- reicht mit ihrem unteren Rande das erste Ringrudiment. Sie ist, ebenso wie die an ihren‘ Seiten artieulirenden, zarten pt. arytaenoideae, von knöcherner Textur. Die processus spinosi sind an ihrer Basis ebenfalls knöchern. : | c) Picus varius Gm. (Nordamerika.) Der Kehlkopf die- - ser Species hat im Ganzen viel Aehnlichkeit mit der von Picus major. Einzelne Abweichungen sind folgende: Der ganze Kehlkopf ist etwas kleiner, die Schildplatte kürzer. Das obere häutige Ende des Schildstücks ist nicht so breit, aber ebenfalls selir scharf von der knöchernen Partie geschie- den. Unter dem p. thyreoides durch Knochennaht aus- geschlossenen und, ebenso wie bei Picus major ‘gelagerten ‚Ringstück liegt jederseits nur ein Bogen, welche sich hinten in der Mittellinie sehr nahe kommen und durch eine’ Mem- bran geschlossen sind. Der dann folgende, hinten geschlos- sene Bogen geht an den Seiten continuirlich in die Schild- platte über, ist in der Mitte aber wieder deutlich von ihr ge- trennt. Ueber dieser Andeutung eines Ringes am unteren Rande der Platte sieht man ausserdem noch die Spuren’: von Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 639 vier Ringen. Der nächstfolgende. Ring nach unten hin ist vollkommen isolirt und "geschlossen, und bildet mithin den ersten Luftröhrenring. Die pars articularis liegt zwischen den Schenkeln des Ringstücks, und ruht mit ihrem unteren Ende auf dem Ring- rudiment. Die processus’ spinosi der partes arytaenoideae sind knöchern. 'd) Pieus viridis. Der ganze Kehlkopf ist ansehnlicher, und das Schildstück verhältnissmässig noch länger, als bei Picus major. ‘Das obere Ende desselben ebenfalls häutig, aber nicht so breit, wie bei jenem. Unterhalb der kleinen, 'plat- tenförmigen, ossificirten Schenkel des Ringstücks, welche mit dem Schildstück durch Knochennaht verbunden sind, liegen auch hier Ringrudimente, und zwar sechs. Sie reichen nach vorn bis zu den seitlichen Rändern der Schildplatte und er- reichen sich hinten in der Mittellinie, wo sie durch eine Mem- bran verbunden werden. Auf den sechsten Ring folgen zwei hinten vollständig geschlossene Ringe, von welchen der un- tere nach der rechten Seite nicht vollständig mit der pars thyreoidea verwachsen ist, während er auf der linken Seite, und ebenso der obere auf beiden Seiten continuirlich mit der Platte zusammenhängt. Die Gestalt und Lage der p. artieu- laris ist dieselbe wie bei Picus major; mit ihrem unteren Ende steht sie auch hier auf dem ersten Ringrudiment. e) Picus martius. Der Kehlkopf verhält sich ähnlich wie bei P. viridis. V.. Ordnung der Tauben. EEE l. Columba turtur. Die kleine abgerundete Schildplatte ist vollständig knö- chern; mit dem knorpeligen Ringstück ist sie durch eine breite Knorpelnaht verbunden. An ihrem unteren Rande die An- deutung von ‘drei Ringen. Die pars articularis erreicht mit ihrem’ untern Ende nicht gauz den unteren Rand des Ring- stücks, hat im Uebrigen aber dieselbe Lage und Form wie beim Hahn. 640 W. Era 2. Pteroclidae. a) Pterocles setarius. Diesen Kehlkopf hat eine a . oben abgestutzte, ganz und gar knöcherne Schildplatte. Die hohe, viereckige, knorpelige p. articularis ist ebenfalls zwi- schen den Rändern der Bi ericoidea, eingekeilt. Die fünf ersten Luftröhrenringe sind hinten nicht geschlossen, und zwar sind die oberen weiter durchbrochen als. die unteren, so däss durch die seitlichen Gränzlinien ihrer Enden ein mit der Basis nach oben gerichtetes Dreieck gebildet wird. Die Verbindung zwischen Schild- und ee geschieht durch Knorpelnaht. we: vl. Ordnung der Hühnervögel. (Gallinace:i.) 1. - Feldhühner, Tetraonidae. a) Tetrao urogallus, Auerhahn. Die breite und hohe Schildplatte ist grösstentheils ossifieirt, ebenso wie die p. cri- coidea. Von der p. articularis sind nur die Seiten,und das untere Ende knorpelig, von’ den pt. arytaenoideae die Spitzen und die langen Fortsätze. Das Schildstück ist mit dem Ring- stück durch ein breites Knorpelstück verbunden... Die hohe ‘ pars artieularis liegt zwischen den hinteren, inneren Rändern des Ringstücks, ihr oberer Rand ragt beträchtlich über die oberen Ränder des Ringstücks hervor, ihr unteres, spitzes Ende ruht unmittelbar auf dem ersten. Luftröhrenringe, wel- cher hinten vollständig geschlossen ist. Am unteren Rande der Schildplatte erkennt man sehr deutlich vier Ringe; wäh- rend von einem fünften nur eine Spur wahrzunehmen ist. Die Innenfläche der Schildplatte trägt ein flaches, breites tu- berculum. 2. Jakuhühner, Penelopidae. Ä a) Crazx. Alextor mas. Die p.thyreoidea und p. cricoidea sind vollständig knorpelig, so dass beide Stücke ohne. deut- liche Gränze in 'einander übergehen. Die ebenfalls knorpe- lige,; dreieckig gestaltete p. articularis steht zwischen den Rändern des Ringstücks. Ihre nach oben’ gerichtete Basis ragt über die oberen Ränder desselben hervor. Die an ihrer Seite eingelenkten pt. arytaenoideae sind ganz unten knöchern, Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 641 weiter oben dagegen ebenfalls knorpelig und weich. Das ostium laryngis liegt auffallend weit nach hinteu, etwa einen Zoll von dem Zungenbeinkörper entfernt. Dadurch, dass die Spitzen der Giessbeckenstücke nicht unmittelbar neben ein- ander liegen und ausserdem aus einer sehr weichen Substanz bestehen, wird der Eingang zum Kehlkopf weiter wie ge- wöhnlich. Von der Innenfläche der Schildplatte entspringt ein ‚ansehnlicher Sockel; an ihrem unteren Rande die Spuren von drei Ringen. | b) Penelope Marail. Dieser Kehlkopf stimmt im Wesent- lichen mit dem von Craz überein. Hier ist jedoch nur die p- ericoidea knorpelig, während die p. thyreoidea ossificirt ist. Die Verbindung beider Stücke durch ein breites Knor- pelstück ist deutlich. Die mehr viereckig gestaltete p. arti- cularis ist vollständig zwischen den Rändern des Ringstücks eingekeilt. Die Lage des Kehlkopfs ist die gewöhnliche. 5: i Hühner, Phasianidae. a) Phasianus Gallus. Die p. tbyreoidea ist hoch, nach oben schmal, die Spitze abgerundet. Gegen den unteren Rand ‘ die Andeutung von drei Ripgen sehr deutlich, weiter oben sehr unvollkommene Spuren von einem vierten und fünften Ring. Das Mittelstück der Platte ist knöchern, die Spitze und der untere Theil knorpelig. Die Verbindung zwischen- Ring- und Schildstück ist die den Hühnervögeln eigenthüm- liche. Die Schenkel des Ringstücks sind grösstentheils knö- chern, liegen hinten ziemlich nahe neben einander. Zwischen dieselben eingesenkt ist die p. articularis, welche ein vierek- kiges Knochenstück darstellt. Der obere Rand desselben ist breit und dick, und überragt die p. cricoidea. Die pt. ary- taenoideae sind dreiseitig, ihre äussere und innere Fläche ziemlich breit, ihre Fortsätze lang und dünn. Von den Luft- röhrenripgen ist der erste hintere nicht geschlossen. Die beiden ersten Luftröhrenringe sind durchweg knorpelig, wäh- rend der dritte schon Spuren von Verknöcherung trägt. Die dann folgenden Ringe sind an den Seiten schon ganz knö- chern und noch weiter nach unten schreitet die Ossification Müller's Archiv. 1858. .- 41 642 W. Boccius: immer weiter fort, bis schliesslich die ganzen Ringe knö- chern sind. VI. Ordnung der Wadvögel. (Grallatores.) l. Reihervögel, Herodü. a) Ardea cinerea fem., Fischreiher. Der Kehlkopf ist von mittlerer Grösse. Die p. thyreoidea trägt eine schna- belförmige, vollständig ossificirte Spitze. Gegen den untern Rand derselben Andeutung eines Ringes, an ihrer inneren Fläche in der Mitte ein tuberculum. An den Seiten ist sie durch Knorpelnaht mit der p. ericoidea verbunden.- Die bei- den plattenförmigen Schenkel derselben sind mit ihren hin- teren, inneren Enden in die Höhle des larynx hineingewandt. Sie sind an ihrem unteren Rande durch ein ganz schmales Knorpelstück verbunden, während zwischen ihren hinteren, inneren Rändern eine Membran ausgespannt ist. Unmittelbar über der Verbindungsstelle der Schenkel steht die p. articu- laris. Sie ist unverhältnissmässig hoch, unregelmässig vier- eckig, und in der Mitte eingeschnürt. Das Stück über der Einschnürung ist massiger, wie das untere, und ragt nicht, wie gewöhnlich, in die Kehlkopfshöhle binein, sondern im Gegentheil nach aussen hervor. Die p. articularis besteht ebenso wie pt. arytaenoideae, mit Ausnahme ihrer Spitzen und Fortsätze, aus Knochensubstanz. Die äussere und in- nere Fläche der dreiseitigen Giessbeckenstücke sind ziemlich breit, die äussern der Länge nach ausgehöhlt. 2. Schnepfenvögel. a) Scolopaz rusticula. Die schräg abgestutzte Spitze der p. thyreoidea ist im obersten Theil knorpelig und durch eine scharfe Linie von der knöchernen Platte abgegränzt. Am unteren Rande derselben findet sich keine Andeutung eines Ringes. Die Verbindung mit der pars cricoidea geschieht durch Knorpelnaht. Die hinteren, inneren, etwas nach ein- wärts gebogenen Enden der p. cricoidea nehmen die knor- pelige p. articularis zwischen sich auf. Sie reicht fast bis zu den unteren Rändern der beiden Schenkel hinab, ist ziem- lich hoch, so dass sie über die oberen Ränder derselben hin- Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 643 - wegragt, hat eine unregelmässig viereckige Gestalt, und trägt an ihrer Basis jederseits die articulirenden Gelenkköpfe der Giessbeckenstücke. Diese schicken von ihrer Mitte aus die an ibrer Basis knöchernen, weiterhin jedoch knorpeligen Fort- sätze ab. Der erste Luftröhrenring ist binten nicht geschlos- sen, alle folgenden aber vollständig. b) Machetes pugnax. Die pars thyreoidea ist schmal, läuft nach oben ziemlich spitz zu. Sie ist, mit Ausnahme der Spitze, knöchern. An der Seite ist sie durch Knorpel- naht mit der p. cricoidea verbunden. Diese hat einen oberen verdickten, knöchernen Rand, die übrige Partie ist knorpelig. Ihre inneren Ränder liegen nahe neben einander, sind etwas in die Kehlkopfshöhle hineingewandt, und durch eine Mem- bran verbunden, . In dem von den Enden der pars cricoidea gebildeten Ausschnitt liegt die kleine, rundliche pars articu- laris,. Sie ist vollständig ossificirt, und trägt an beiden Sei- ten die mit ihr articulirenden p. arytaenoideae. Diese sind schlank, dreiseitig und bis zur Spitze knöchern. Ihre Fort- sätze sind knorpelig und dünn. Am unteren Rande der p. thyreoidea sieht man von vorn nur schwach die Andeutung eines Ringes, an den Seiten dagegen sehr deutlich, so dass derselbe vollständig getrennt als selbständiges Stück nach hinten läuft, wo er ungeschlossen endet, c) Numenius borealis. Der Kehlkopf ist dem von Mache- tes sehr ähnlich. Die Innenfläche der pars thyreoidea trägt einen Sockel. d) ZLimosa rufa. Auch der Kehlkopf der Pfuhlschnepfe stimmt fast vollständig mit dem von Machetes überein. 3. Strandläufer, Charadriadae. a) Charadrius auratus. Die Spitze der sonst Knüchörkeh Schildplatte ist knorpelig, Die Verbindung zwischen Schild- und Ringstück geschieht durch Knorpelnaht. Die hinteren, inneren Ränder des Ringstücks sind durch einen kleinen Knor- pelstreif mit einander verbunden. Dicht über diesem liegt die kleine rundliche pars articularis. b) Der Kehlkopf von Charadrius squatarola weicht in nichts von dem der eben genannten Species ab. 3 41* 644 W. Boccius: c) Haematopus ostralegus. Der Kehlkopf des Austern- fischers bietet nichts Eigenthümliches. 4. Wasserhühner, ARallıdae. a) Porphyrio smaragnotus. Alle Elemente sind vollstän- dig knöchern. Schild- und Ringstück sind durch Knochen- naht verbunden. Die p. artieularis ist verhältnissmässig kleipv, steht sehr fest in dem von den Enden der p. cricoidea ge- bildeten Ausschnitt. | b) Fulica atra. Das obere Ende des Schildstücks ist spitz und häutig, die übrige Partie ossifieirt. Am unteren Rande findet sich die Spur eines Ringes. Zwischen Schild- und Ringstück ebenfalls Verbindung durch Knochennaht. Die pt. arytaenoideae sind kurz und dick, ihre äussere und innere Fläche breit, j VIII. Ordnung der Schwimmvögel. (Natatores.) 1. Taucher, 'Colymbidae. ' a) Eudytes arcticus fem. Die pars thyreoidea ‚hat eine abgerundete, knorpelige Spitze. In der Mitteilinie der Platte findet sich, wie bei fast allen Schwimmvögeln, eine longitu- dinal verlaufende Einziehung, in der der lange, knorpelige Fortsatz des Zungenbeinkörpers gelagert ist. Nach hinten und unten läuft dieser Fortsatz in einen feinen, sich an die trachea herunterziehenden Faden aus. Der erste und zweite Luftröhrenbogen hängen vorn ganz fest mit der Schildplatte zusammen, während sie an den Seiten getrennt sind. Die folgenden Ringe sind hinten vollständig geschlossen. Von der Innenfläche der Schildplatte erhebt sich ein dreiseitiger Längsvorsprung, der ziemlich weit in die Höhle des larynx hineinragt. Die plattenförmige, knöcherne pars cricoidea ist mit dem Schildknorpel durch Knörpelnaht: verbunden. Die breiten Schenkel sind hinten durch eine schmale Knorpel- brücke mit einander verbunden. Ihre hintern, innern Enden rollen‘ sich ziemlich stark in die Kehlkopfshöhle hinein. Un- mittelbar über dem verbindenden Knorpelstück ruht’ das ziem- lich ansehnliche, dreieckige, völlig ossificirte Gelenkstück. Es ragt weniger wie die Enden ‘des Ringtheils in die Keblkopfs- Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel.. 645 höhle hinein und ist deshalb schon in der Ruhe von aussen her deutlich sichtbar. Die Gestalt der Giessbeckenstücke ist die gewöhnlich dreiseitige. Ihre äussern Flächen sind breit, der Länge nach eoneav und nach vorn hin leicht gewunden. Die proe. spinosi sind knorpelig, lang und dünn. Die Schleim - haut bildet bei ihrem Eintritt in die Kehblkopfshöhle einen - vor dem ostium laryngis quergestelten Wulst, der den Ein- gang ein wenig verdeckt. Von da aus zielit sie sich conti- nuirlich über die innern Wände des Kehlkopfs fort. b) Bei Colymbus eristatus mas ist der Kehlkopf der Haupt- sache nach durchaus ebenso gebaut, wie der von Eudytes, im Einzelnen zeigen sich folgende Abweichungen: Die Innen- fläche der Schildplatte trägt nur ein kleines tuberculum; der Rand der Spitze ist knorpelig und sehr scharf von dem knö- chernen Theil der Platte abgegränzt. Unmittelbar unter die- ser Gränze findet sich die Andeutung eines Ringes. Die Spur eines Ringes sieht man auch am untern Rande der Platte. Die beiden ersten Luftröhrenringe hängen vorn nicht mit dem Schildstück zusammen, sie sind völlig ossifieirt. Die pars articularis ist kleiner wie bei Ewdytes und von 'dreiecki- ger Gestalt. 2. Anatidae, Enten, a) Anas erecca mas. et fem. Schild- und Ringstück sind durch Knorpelnaht verbunden. Die pars artieularis ist hoch und zum Theil zwischen die hintern, innern Rändern der pars ericoidea eingeschoben. - Ihr oberer Rand ragt über die pars ericoldea hervor. Die äussere und innere Fläche der pars arytaenoidea sind sehr breit. 3. Sturmvögel, -Procellariae. a) Procellaria vom Cap. Die Schildplatte ist klein, nie- drig, oben abgerundet, vollständig knorpelig,. An den Seiten geht sie ohne deutliche Gränze in die ebenfalls knorpeligen Schenkel des Ringstücks über. An der innern Fläche der Schildplatte ein kleines tuberculum. Die pars articularis und arytaenoidea haben knorpelige Textur, zeigen aber sonst nichts Besonderes. b) Anous stolidus. Form des Schildstücks wie 'bei Pro- [1 646 \ W. Boceius: cellaria. Das ganze Schildstück ist knöchern, mit dem Ring- stück durch Knorpelnaht verbunden. Von dem Ringstück ist nur das hintere innere Ende knöchern. Die Enden sind stark in die Höhle des Kehlkopfs hineingebogen, ihre Ver- bindung geschieht durch eine schmale Knorpelbrücke. c) Pachyptila villata. Das Schildstück stimmt in der Form wieder mit dem von Procellaria überein. Von den übrigen Elementen hat nur die pars articularis die Eigenthümlichkeit, dass sie, wie bei den Hühnervögeln, zwischen die Enden der pars ericoidea eingesenkt ist. Die Innenfläche der Schildplatte trägt einen kleinen Längsvorsprung. d) Daption (Procellaria) capensis. Die Schildplatte ist nicht so niedrig wie bei Procellaria vom Cap, sondern mehr länglich und schmal. Auch hier liegt die hohe, längliche pars articularis wenigstens zum Theil zwischen den hintern innern Rändern des Ringstücks. e) Thalassodroma pelagica. Der Kehlkopf ist klein. Die Schildplatte ist knöchern, das Ringstück knorpelig, beide durch Knorpelnaht verbunden. Alle Luftröhrenringe sind geschlos- sen, An der Innenfläche der pars thyreoidea ein kleiner Sockel. 4. Pelecanidae. , a) Phaeton aethereus. Verbindung zwischen dem knöcher- nen Schild- und Ringstück wie bei allen Schwimmvögeln durch Knorpelnaht bewerkstelligt.: Unterhalb der nach unten ausgehöhlten Basis der Schildplatte- liegen die beiden ersten Luftröhrenringe, welche so weit durchbrochen sind, dass sie etwa nur den dritten Theil der Röhre umfassen. Der dritte Ring reicht weiter nach hinten, ist daselbst, aber nicht ge- schlossen. Die pars artieularis ist, wie bei den Hühnervögeln, vollständig zwischen die hintern, innern Ränder der pars cri- coidea eingekeil. An der Innenfläche der pars thyreoidea befindet sich ein Sockel in Form einer spitz zulaufenden, drei- seitigen Platte. | b) Dysporus (Sula) fusca. Die Schildplatte ist ziemlich lang und schmal. Gegen den untern Rand hin die Andeu- tung eines Ringes, dessen Abgränzung in der Mitte sehr deut- Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 647 lich ist. Das knöcherne Schild- und Ringstück wie gewöhn- lich verbunden. Die bintern, innern Enden des Ringstücks sind stark nach innen gebogen und durch eine Membran ver- bunden. Ueber der Verbindungsstelle (hier also keine Ein- keilung wie bei Phaeton) liegt die kleine, länglich runde pars artieularis. Der Sockel ist lang und hoch. Alle Luftröhren- ringe sind geschlossen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Kehlkopf von Corvus corone in natürlicher Grösse, A. Seitliche Ansicht, um die Gelenkverbindung zwischen dem Ring- (a) und Schildstück (b) zu zeigen, und die Lage des Gelenkstücks (ce) und die Articulation desselben mit den Giessbeckenstücken (d) klar zu machen. Mit (f) sind die Spuren der beiden Ringe am unteren Rand’ der Schildplatte bezeichnet. Unter diesen sieht man die drei hinten offenen Luftröhrenringe, B. Hintere Ansicht, aus der man wiederum die Lage und die Verbindung des Gelenkstücks, und auch die hinten nicht geschlossenen Luftröhrenringe sehen kann. Bei (a) sieht man die langen, knorpeligen Fortsätze, bei (b) die Andeutung des untersten Ringes am unteren Rande der Schildplatte. C. Dieselbe hintere Ansicht in vergrössertem Maassstabe, um die einzelnen Theile und namentlich die processus spinosi deutlicher übersehen zu können. Fig. 2. Vordere Ansicht des Kehlkopfs und der Luftröhre von Alcedo rudis in natürlicher Grösse. Die Schildplatte ist mit (a), die Andeutung der drei Ringe mit (b) bezeichnet. Fig. 3. Kehlkopf des Auerhahns in natürlicher Grösse. A. Seitliche Ansicht, um die Verbindung zwischen pars ie reoidea (a) und der pars cricoidea (b) durch ein breites Knorpelstück zu zeigen. Die mit Punkten abgegränzten Partien des Schild und Ringstücks sind ossifieirt. Mit (ec) sind die vier Ringe am unteren Theil der Schild- platte bezeichnet. B. Hintere Ansicht, aus der man die Gestalt und Lage der pars artieularis (a) und der partes arytaenoideae (b) ent- nehmen kann. Die ossifieirten Partien des Ring- und Gelenkstücks sind auch hier mit Punkten bezeichnet. Bei 648 | W. Bocecius: (ce) sieht man den ersten geschlossenen Luftröhrenring, auf welchem die pars articularis unmittelbar aufruht. Fig. 4. Seitliche Ansicht des Kehlkopfs von Falco lagopus iu na- türlicher Grösse. Mit (a) ist das kleine rundliche Knorpelstück be- zeichnet, welches die Verbindung zwischen dem Schild- und Ringstück her- stellt, mit (b) der kleine Vorsprung an dem Seitenrande der Schild- platte. Bei (ce) sieht man die beiden Ringe am unteren Rande der Schildplatte, bei (d) den ersten, hinten offenen Luftröhrenring. — Von der kleinen pars articularis (e) ist nur ein kleiner Theil zu sehen. Fig. 5. Kehlkopf von Picus viridis in natürlicher Grösse. A. Ansicht von vorn, um die Länge der Schildplatte und das obere häutige Ende (a) derselben zu zeigen, B. Hintere Ansicht. Die punktirte, mit (a) bezeichnete Linie stellt die Knochennaht zwischen Schild- und Ringstück dar. (b) ist die pars articularis, welche mit ihrem unteren Ende auf dem ersten der sechs, mit (c) bezeichneten Ringrudimente ruht. Mit (d) sind die beiden hinten ge- schlossenen Ringe- bezeichnet, welche sich nach vorne hin in die Schildplatte fortsetzen. Fig. 6. Kehlkopf von Picus major (zweifache Vergrösserung.) A. Vordere Ansicht der Schildplatte. (a) ist der häutige, (b) der knöcherne Theil derselben. B. Hintere Ansicht. Mit (a) ist wiederum die Knochennaht _ zwischen dem Schild- und Ringstück bezeichnet. Die ' pars articularis (b) erreicht mit ihrem unteren Ende das erste Ringrudiment. Unter diesem sieht man das zweite, hinten offene Ringrudiment, und unter diesem wiederum den ersten, vollständigen Luftröhrenring. Bei (c) sieht man die kleinen, zierlichen partes arytaenoideae. Fig 7. Kehlkopf von Yunz Torquilla in zweifacher Vergrösserung, A. Ansicht desselben von vorn. (a) ist die Schildplatte, (b) die zweite, untere Platte, (c) die schmale Knorpelbrücke, welche beide verbindet. Am oberen Ende der Schild- platte sieht man die Gränze zwischen dem knöchernen und häutigen Theil angedeutet. Mit (d) sind die kleinen Bogen bezeichnet, welche sich vom Seitenrande der Platte aus nach hinten erstrecken. Bei (f) sieht man die Ring- rudimente, welche in dem dreieckigen Ausschnitt der unteren Platte liegen. B. Hintere Ansicht. (a) ist die Schildplatte, (a’) das Ring- stück, (c) die pars articularis und (d) die pars arytae- noidea. Mit (e) sind die Bogen bezeichnet, welche sich vom unteren Theil des Seitenrandes der Schildplatte nach hinten bin bis zu den vorderen äusseren Rändern Ueber den oberen Kehlkopf der Vögel. 649 des Ringstücks hinziehen. Bei (f) sieht man deutlich die lange Reihe von Bogen, welche die Luftröhre da hinten begränzen, wo vorn die Platte [b(A)] liegt. Unter dem letzten dieser Ringrudimente sieht man die vordere Platte [b(A)] sich auch nach hinten als Platte oder ein hohes Ringstück fortsetzen. Fig. 8.- Kehlkopf von Picus varius Beine Vergrösserung.) A. Vordere Ansicht, um die Gestalt der Schildplatte und die B. Andeutung der Ringe am unteren Rande zu zeigen. Hintere Ansicht. Bei (a) sieht man das Ringrudiment, auf welchem die pars articularis steht. Mit (b) ist der folgende, binten geschlossene Ring bezeichnet, welcher an den Seiten continuirlich mit der Schildplatte zusam- menhängt. Berlin, Druck dr Gebr. Unger’schen Hofbuchdruckerei. \ Corrieend% Seite 443, Zeile 14 v. o. lies „590“ statt 500. -.445, - 6 v..o. lies „550°,statt.505. Seite 456 nach Zeile 20 ist einzuschieben: „Länge des grössten Schädeldurchmessers von der Glabella bis zum Hinterhaupt . 5 Seite 464, Zeile 17 lies „35 Unzen“ statt 36 Unden. - 465, - 31 lies „Scheitel“ statt Schädel. - 473, - 17 lies „und über dem Zitzenfortsatz“. - 475, - 34 lies „1837“ statt 1835. 203 Mm.“ Pen 2 ee d en nn ee - _ — — I Nagenschieber se, I m Auperede. de ar | | Zn i in ni ef x u. en ee hehe REN, m D wg N { ans) \ x = s GGGCECEEIITEER GH, fi & Le \ „ ”\ ” Magenschiber se. | ae SEN Per rn ER, ige Se “ del. Hagenschieber sc | Wan | | Hl [ Malmmı HR SE RE Da Da u © 11 | 7 Kl li f I | 1] ne — ei N mar, m: d Am UN | N 1] | af N 1 I ya aan 17 GEL: SS — 38 \ 1 \ Mil) Il! N I Many „ae tl N Mil GGG IN m I Il it I! m ml 1218081 URRERTIIEHN SERIE FIT aa LIEILIENLIEIEN | L£ LEHRER III DITTIITS 19111717] DEE, SS S 1417 31 22 ve n_- SI Wagenschieber sc. a ee 7 4 r n r # ge - x Dr h ft Er \ ’ fi x - a een. RT IR BER a Be, en are x h f - . 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