ek nee te a ecenos a

hehe han

nu

A ee Pe ES ten Et ee ee rer os

> - Pr. Bu ie % u ERDE IN Au a te a Erw 2 . er Br oo - sten > ni ein 5 r ee Ber a antenne

mi Inpertie A Atar th

x 1

un,

a

FAlkohn

jr

ARCHIV

ANATOMIE, PHYSIOLOGIE

WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN.

HERAUSGEGEBEN

1 voNn

D*. CARL BOGISLAUS REICHERT,

PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHFNDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS U!:D ANATOMISCHEN THEATERS ,„ MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN,

UND

D*. EMIL DU BOIS-REYMOND,

PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA TORIUMS. MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

ZU BERLIN.

FORTSETZUNG VON REIL'’S, REILU’S UND AUTENRIETH’S, J. F, MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV.

JAHRGANG 1865.

Mit neunzehn Kupfertafeln.

WEIT PBATG,

VERLAG vos VEITET COMP.

Bir 7

Are 27

ame: y

AR wer

A DE ee ei KEN BA er na A. iekminran si:

Inhaltsverzeichniss.

Afanasieff, Dr. N., aus St. Petersburg. Untersuchungen über den Einfluss der Wärme und der Kälte auf die Reizbarkeit der motorischen Froschnerven. (Hierzu Taf. XVI. u. XVII.)

Bidder, F., in Dorpat. Erfolge von Nervendurchschneidung an einem Frosch.

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis nach Vereinigung desselben mit dem N. hypoglossus. . .

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts zu verschiedenen Abtheilungen des Nervensystems.

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des Nervus laryn- geus superior.

du Bois-Reymond, E., Geschichtliche Bemerkung. i

Burmeister, Dr. H., Director des Museo publico de Buenos Aires. Bemerkungen über die Arten der Gattung G/ypto- don im Museo publico de Buenos Aires. en IaE NY. B..VIlLA,) ©... EOMRINRAIS IE

Hautpanzer bei Mylodon. 3

Chase, Dr. Horace, aus Newhampshire i in Nordamerika. "Veber die Ausscheidung der Hippursäure bei Verschluss des Ductus choledochus. . .

Dönitz, Dr. W,, Beschreibung und Erläuterung von Doppelmiss- geburten. (Hierzu Fate! IE una 17.2" *. ug NE

Zweite Abhandlung. (Hierzu Taf. XII. u. XI). 92:

Eulenburg, Dr. Albert, Privatdocent in Greifswald. Ueber die

Wirkungen des schwefelsauren Chinins auf das Nerv ensystem.

Gerstäcker, Dr. A. Ueber die Artgrenzen der Honigbiene. Bestätigung der Parthenogenesis bei den Honigbienen. (Aus dem Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin vom 17. October 1865.) .

Gruber, Dr. Wenzel, Professor der Anatomie in St. Petersburg. Ein Nachtrag zur Kenntniss des Processus supracondyloideus (internus) humeri des Menschen. (Hierzu Taf. VIIIC. .

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius Musculi tensores proprii ligamenti annularis radii bei dem Men- schen. (Hierzu Taf. IX.) 4

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune für das Jejuno-Ileum und die grössere Anfangshälfte des Dickdar- mes bei seitlicher Transposition der Viscera aller Rumpf- höhlen. Resultate aus den bis jetzt gemachten Beobach- tungen seitlicher Transposition der Viscera aller Rumpf- höhlen zugleich, oder jener der Bauch- und Beckenhöhle, (Hierzu Taf. XIV) . .

Neue re Schlüsselbeinmuskeln. ( Hierzu Taf. RVHR)...2..

Hering, Dr. Ewald, Privatdocent der Physiologie in Leipzig, Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmun g-

Hermann, Dr. Ludimar, in Berlin. Ueber die Wirkungen ne Stickstofioxydgases auf das Blut. \

Hoyer, Professor in Warschau. Ein Beitrag zur Histologie binde- gewebiger Gebilde. (Hierzu Taf. IV.). NA

Huxley, Thomas H. Fernere Bemerkungen über die menschli- chen Ueberreste aus dem Neanderthale . .

Kaufmann, Dr. S., aus St. Petersburg, und Rosenthal, Dr. ie

Seite

IV

in Berlin. Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoff- gases auf den thierischen Organismus. .

Leuckart, Rudolf. Zur lintwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa. Zugleich eine Erwiederung gegen Herrn Can- didat Mecznikow. .

Leydig, Fr., in Tübingen. Ueber die Annelidengattung Aeolo- soma. (Hierzu Taf. VIIIB.) . .

Lieberkühn, N. Ueber das Wachsthum des "Stirnzapfens der Geweihe. . .

Beitrag zur Kenntniss der Gregarinen. (Aus dem Sitzungs- bericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 18. Mai.1865.) .

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. (Hierzu Taf. X.)

Mach, Ernst, Professor in Grätz. Bemerkungen über intermitti- "rende Lichtreize. .

Mayer, Prof. Nachtrag zu der Abhandlung: Zur Frage “über das Alter und die Abstammung des Menschengeschlechtes.

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel. ; $

Mecznikow, El., Ueber die Entwickelung von Ascaris nigrove- nosa, (Hierzu ar Re)ynurs

Mettenheimer, (., Dr. med. in Schwerin. Ueber fibröse Prä- patellargeschwülste. l

Meyer, Hermann, Professor in Zürich. Das Kiefergelenk. (Sie- benter Beitrag zur Mechanik des menschl. Knochengerüstes.)

Naunyn, Dr. B., Assistent an der medicinischen Universitäts- klinik. Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters.

Ueber die gährungswidrigen Eigenschaften des Benzin.

Neumann, Dr. E., in Königsberg i. Pr Mikroskopische Beob- achtungen über die Einwirkung elektrischer Ströme auf die Blutkörperchen. (Hierzu Taf. XV). .

Reichert, C. B. Ueber ein Schädel- Fragment des Glyptodon. (Aus dem Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin am 19. Mai 1863.)

Ueber die contractile Substanz (Sarcode, Protoplasma) und deren Bewegungserscheinungen bei Polythalamien und eini- gen anderen niederen Thieren. (Gelesen in der Sitzung der Akademie am 10. Äugust 1865.) .

Rose, Dr. Edmund, Docent der Chirurgie in Berlin. Die Mecha- nik des Hüftgelenkes. . Ineiss .

Rosenthal, Dr. I., in Berlin. Studien über Athembowegungen, Zweiter Artikel. . -

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut.

Ueber Herzgifte.

Schneider, Dr. Anton, Ueber Haematozoen des Hundes. .

Schröder, Dr. P. Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. (Hierzu Ta REN 3

Stieda, Dr. Ludwig, Prosectorgehülfe und Privatdocent in Dor- pat. Ueber den Bau der Haut des Frosches (Rana tempo- Tara L-).: ‚(Hierzu ;Taf. 1.)ı;..;

Volkmann, A. W.,'Zur Entscheidung der Frage: “ob die Zapfen der Netzhaut als Raumelemente beim Sehen fungiren.

Walther, Dr. A., Professor in Kiew. Studien im Gebiete der Thermophysiologie.

Winkler, F. N. Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. (Hierzu Taf. V, u. VL) lat a a ra

Seite

659

641 360

404

508 732

. 676

336

273

Verzeichniss der Abhandlungen in den Jahrgängen 1834 1858 =

ARCHIV

für

Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin

herausgegeben von N) n/a Johannes Müller. e 7

Mit Namen-Register und einer Uebersicht der Jahresberichte.

Zusammengestellt von der Verlagshandlung.

Leipzig,

Veit & Comp. 1566.

Meicn die Verlagshandlung den verehrlichen Besitzern und Abonnenten des „Archiv“ die nachstehende Arbeit übergibt und damit ein Hülfsmittel zur erleichterten Benutzung der Jahrgänge 1854 1858 zu bieten glaubt, bittet dieselbe um geneigte nachsichtige Aufnahme. Die gewählte Form dürfte darin ihre Rechtfertigung finden, dass auf diese Weise zugleich der Inhalt jedes einzelnen Bandes übersichtlich gezeigt wird.

Wir machen bei dieser Gelegenheit im Interesse Derjenisen, welche ihre Serien des „Archiv“ zu vervollständigen wünschen, darauf aufmerksam, dass einzelne der älteren Jahrgänge in nur noch sehr geringen

Vorräthen vorhanden sind.

Leipzig, im Januar 1866.

Hochachtungsvoll

Veit & Comp.

Verzeichniss der Abhandlungen in den Jahrgängen 1834 1858 des Archır.

1834.

d’Alton, E.. Muskelsystem eines Python bivittatus. Baer, K. E. v., Meta- morphose des Eies d. Batrachier vor d. Erscheinnng d. Embryo u. Folgerungen für die Theorie d. Erzeugung. Sog. Erneuerung des Magens der Krebse u. Bedeutung d. Krebssteine. Zur Entwicklungsgeschichte d. Schildkröten. Carus, (. 6., Der Begriff d. latenten Lebens. -— van Deen, Der Ramus lateralis Nervi vagi bei den Batrachiern. Edwards, M. Farbenveränderungen des Chamäleon. Ehrenberg, C. 6., Einige Structurverhältnisse bei Acalephen u. Echinodermen. Eschricht, D. F., Einige Muskeln am Kehlkopfe eines lang- armigen Affen (Hylobates albimanus). Zwei Beobachtungen von Darm- incarceration durch Diverticulum ilei. Gesichtsverdoppelung mit Mangel an Gehirn u. Rückenmark. 6Gottsche, C. M., Die Retina im Auge der Gräten- fische. Hall, M., Die reflectirende Function des verlängerten u. Rücken- marks. Jahresbericht über d. Fortschritte auf d. Gebiete d. Anat. u. Physiol. im J. 1833. Von Joh. Müller. Jordan, H., Das Gewebe d. Tunica dartos u. Vergleichung desselben mit andern Geweben. Mayer, Ein neu entdecktes Band, Jochband d. Rippen. Müller, Joh,, Structur d. eigenth. Körperchen in d. Milz einiger pflanzenfressenden Säugethiere. Kreosotwasser zur Conser- vation u. Präparation d. Gehirns u. Rückenmarks. Aeussere Geschlechtsth. d. Buschmänninnen. Vier getrennte, regelmässig pulsirende Herzen, die mit dem lymphat. System in Verbind. stehen, bei einigen Amphibien. Panizza, Die Lymphherzen der Amphibien. Poiseuille, Die wesentl. Ursache der Bewegung d. Blutes in d. Venen. Purkinje, Der mikrotomische Quetscher bei mikrosk. Untersuchungen unentbehrl. Purkinje u. Valentin, Continuir- liche, durch Wimperhaare erzeugte Flimmerbewegungen bei Amphibien, Vögeln u. Säugethieren. Retzius, A.. Der Circulus venosus im Auge. Schlemm, F,, Anat. Beobachtungen über d. Steissbeinnerven. Stern, M., Ueber Rückgrats- verkrümmungen. Sticker, Leop., Ueber Veränderungen d. Kräfte durch- schnittener Nerven u. über Muskelreizbarkeit. Valentin, &, Ueber die Dicke d. varikösen Fäden im Gehirn u. Rückenmarke d. Menschen. Wagner, Rud,, Ueber d. Zeugungsorgane d. Cirripeden u. ihre Stellung im System. Wendt, Alph., Ueber die menschl. Epidermis. Wutzer, €. W, Ueber d. Zusammen- hang sympathischer Nerven mit d. Spinalnerven. Ueber die Möglichkeit der Bildung von Muskelfasern durch pathologische Prozesse. Einmündung des Ductus thoracicus in die Vena azygos.

1835.

Baer, K. E. v,, Selbstbefruchtung einer hermaphroditischen Schnecke. Baumgärtner, Zur Entwicklungsgeschichte. Behn, F. W., Einfluss d. Pulses auf die Bewegung unserer Körpertheile. Ein v.d. Bewegungen des Rücken- gefässes unabhängiger, mit besonderem Bewegungsorgan versehener Kreislauf in d. Beinen halbflüglichter Inseeten. Berthold, A. A., Nervenhalsband einiger Mollusken. Bischoff, Th. L, Zur Lehre vom Blute u. der Transfusion desselben. Brandt, Differenzen im Schädel u. Zahnbau zwischen d. Stachel- schweinen der alten und neuen Welt. Burmeister, H., Bau der Augen bei Branchipus paludosus. Carus, C. 6, Ueber ein merkwürd. jede organ. Ent- wicklung begleitendes Phänomen d. Zerstörung (Dehiscenz). Zur Kenntniss der Geschlechtsorgane u. Functionen einiger Gasteropoden. Dulk, Chem. Untersuchung d. Krebssteine. 6ottsche, C. M., Vergleichende Anatomie des Gehirns d. Grätenfische. Gurlt, Die Haut des Menschen u. d. Haussäuge- thiere, in Bezug auf d. Absonderungsorgane d. Hauttalgs u. d. Schweisses.

1

2

Henle, J.. Die Gattung Branchiobdella u. die Deutung d. inneren Geschlechts- theile bei den Anneliden u. hermaphroditischen Schnecken. Huschke, E., Die Gehörzähne, ein Apparat in d. Schnecke d. Vogelohres. Jahresbericht über d. Fortschritte auf d. Geb. d. Anat. u. Physiol. im J. 1834. Von Joh.

Müller. Leo, F, Einige ausgezeichn. anatom. u. physiol. Verhältnisse d. Piscicola geometra. Magnus u. Joh, Müller, Untersuchung eines Schildkröten- harns. Mertens, H., Untersuchungen über d. inneren Bau von Lepas.

Minter, W., Eine Kothfistel, die von einem Darmanhange enstanden war. Müller, Joh., Die bei d. Erection d. männl. Gliedes wirksamen Arterien bei Menschen u. Thieren. Ueber die Kiemenlöcher der jungen Coecilia hypo- cyanea. Nasse, F., Reizbarkeit d. Staubfäden d. Glaskrauts u. d. Nessel. Otto, A. W., Die sog. Hottentottenschürze. Owen, R., Ein mikroskopischer Binnenwurm in den menschlichen Muskeln. Purkinje u, Valentin, Unab- hängigkeit der Flimmerbewegungen von der Integrität des centralen Nerven- systems. Retzius, A., Die Scheidewand des Herzens beim Menschen mit Rücksicht auf das Tuberculum Loweri. Schultz, A. W. F,, Ueber den Penis der Schnecken. Sebastian, Ueber die Reproduction der Schleimhäute. Stannius, Herrm., Ueber Missbildungen bei Inseeten. Steifensand, Karl, Ueber die Ampullen des Gehörorgans. Thielmann, C. H,, Drei Nieren im Leichname eines Menschen. Wagner, Rud., Ueber Blutkörperchen bei Regen- würmern, Blutegeln und Dipterenlarven. Die Anwendung histolog. Charaktere auf die zool. Systematik. Ueber das Keimbläschen (Vesicula germinativa). Ueber die Geschlechtswerkzeuge der Blutegel u. merkw. Eigenschaften ihrer Saamenthierchen. Weber, E. H., Ueber d. Tastsinn. Weber, Ed., Ueber das Lymphherz einer Riesenschlange (Python tigris). Wutzer, C. W., Ange- borne Missbildungen des Kniegelenks.

1856.

Baer, K. E. v., Doppelter Muttermund des einfachen Fruchthälters vom Ameisenfresser. Bischoff, T. L. W., Bau d. Crocodilherzens, bes. von Croco- dilus lJucius. Eschricht, D. F., Aeussere männl. mit inneren weibl. Genitalien bei einem menschl. Fötus. Gurlt, Die hornigen Gebilde des Menschen u. d. Haussäugethiere. Jahresbericht über d. Fortschritte auf d. Gebiete der Anat. u. Physiologie im J. 1835. Von Joh. Müller. Mitscherlich, C. 6., Wirkung d. essigsauren Bleioxyds auf d. thier. Organismus. Müller. Joh,, u. Schwann, Die künstl. Verdauung d. geronnenen Eiweisses. Nagel, Ueber d. Structur der Nebennieren. Pockels, Die Brunstzeit der Rehe. Purkinje, Flimmerbewegungen im Gehirn. Rathke, H., Zur Anatomie der Fische. Die Entwicklung der Decapoden. Remak, R, Mikroskop. Beobachtungen über d. Bau den Cerebrospinalnerven u. die Entwickl. ihrer Formelemente. Retzius, A., Ursprung des 5. u. 7. Nervenpaares. Rusconi, M., Erwiderung auf v. Baer’s Bemerkungen. über Rusconi’s Entwicklungsgesch. d. Frosch- eies. Die Metamorphosen d. Eies d. Fische vor d. Bildung des Embryo. Schönlein, Krystalle im Darmkanal bei Typhus abdominalis. Schwann, Th., Das Wesen des Verdauungsprozesses. Siebold, C. Th. v,, Ueber d. Sperma- tozoen der Urustaceen, Insekten u. Gasteropoden. Fernere Beobachtungen über Spermatozoen der wirbellosen Thiere. Zur Anatomie d. Seesterne. Valentin, &., Ueber d. Inhalt d. Keimbläschens. Ueber Bildung anorganischer Coneretionen in organ. Theilen. Wagner, Rud., Vergleichend anatomische Bemerkungen. Die Genesis d. Saamenthierchen. Weber, Ed. Einige Be- merkungen über die Mechanik der Gelenke, insbes. über die Kraft, durch welche der Schenkelkopf in der Pfanne erhalten wird.

1837. Ascherson, F. M. Relat. Bewegung der Blut- u. Lymphkörnchen in den Blutgefässen der Frösche. Berthold, Arn. A., Winterschlaf der Thiere.

Brandt, Zur Kenntniss d. innern Baues v. Glomeris marginata. Carus, C. 6, Auflindung d. ersten Ei- oder Dotterbläschens in sehr frühen Lebensperioden des weibl. Körpers. Eschricht, D. F., Richtung der Haare am menschlichen Körper. Gluge, 6, Krystallftormen in gesunden u. kranken Flüssigkeiten.

3

Grube, E., Zur Anat. d. Sipunculus nudus. Henle, J}. Ueber Enchytraeus, eine neue Annelidengattung. Der Musculus spinalis cervieis d. Menschen. Jahresbericht über d. Fortschritte auf d. Gebiete d. Anatomie u. Physiologie im J. 1836. Von Joh. Müller. Krause, (,, Vermischte Beobachtungen u.

Bemerkungen. Krohn, A. Structur der Iris der Vögel u. ihr Bewegungs- mechanismus. Das Auge der lebendiggebärenden Sumpfschnecke (Paludina vivipara). Magnus, A, Aufhebung des Willenseinflusses auf einige Hirn-

nerven. Marchand. R., Ueber d. Harnstoff in hydropischen Flüssigkeiten. Mitscherliceh, C. &, Wirkung des schwefelsauren Kupferoxyds auf den thier. Organismus. Wirkung d. diuretischen Mittel im Allgemeinen. Müller, Joh., Historisch- anatomische Bemerkungen. Nicholson, Eine Missgeburt ohne Rumpf. Rathke, H., Zur Anatomie der Fische. 2. Abth. Leber, Milz u. Harnwerkzeuge d. Fische. Reichert, C. B., Visceralbogen d. Wirbelthiere, deren Metamorphosen bei den Vögeln u. Säugethieren. Retzius, A. Der innere Bau d. Zähne mit Rücksicht auf den im Zahnknochen vorkommenden Röhrenbau. Siebold, €. Th. v., Fernere Beobachtungen über d. Spermatozoen der wirbellosen Thiere. Stannius, Herrm., Die Einwirkung d. Strychnins auf d. Nervensystem. Vogt, Carl. Vergleich. Untersuchung zweier Amnions- tlüssigkeiten aus verschiedenen Perioden des Foetuslebens. Weber, E. H,, Microscop. Beobachtungen über d. sichtbare Fortbewegung d. Lymphkörnchen in den Lymphgefässen der Froschlarven.

1838.

Ahrens, M., Structur d. Linse. d’Alton u. Schlemm, Nervensystem der Petromyzon (Kupfertafel hierzu im Jahrg. 1840). Berthold, A. A. Versuche über d. Aufsaugungsthätigkeit d. Haut. Linsenförm. Knöchelchen im Musecul. stapedius mehrerer Säugethiere.. Bischoff, Th. L. W., Bau d. Magenschleim- haut. Anat.-physiol. Bemerkungen. Physiol.-anat. Beobachtungen an einem Enthaupteten. Burow, Zur Gefässlehre des Fötus. Gefässsystem der Robben. Carus, C. 6, Sphäre d. Bildungslebens im Menschen. Colberg u. Marchand, Chem. Zusammensetzung d. menschl. Lymphe. Eschrieht, D. F,, Beobachtungen am Seehundsauge. Hagenbach, E., Partielle Verhärtung u. Anschwellung am Ganglion cervicale supremum des sympathischen Nerven. Henle, J., Ausbreitung d. Epithelium im menschl. Körper. Jahresbericht über d. Fortschritte d. physiol. Pathologie u. patliol. Anatomie in den J. 1836 u. 1837, von Henle. Jahresbericht über d. Fortschritte d. anatom.-physio- logischen Wissenschaften im J. 1837, von Joh. Müller. Jung, Die Structur d. Ammonshornes. Magnus, A., Faserstoff in einer hydrop. Flüssigkeit. Meyen, J., Ueber d. Mutterkorn. Mile, J., Einwendungen gegen d. Annahme, dass die Centralenden die primitiven Nervenfasern durch ihre relative Lage dem Empfindungsvermögen die relative Lage der Peripherieenden anzeigen. Mitscherlich, C. 6., Veränderungen, die d. Blut durch Arzneimittel erleidet. Pappenheim u. Purkinje, Untersuchung über künstl. Verdauung. Platner, E. A,, Beobachtung am Darmkanal der Taenia solium. Rathke, H., Entstehung d. Glandula pituitaria. Zur Entwicklungsgesch. der Thiere. Zur Anatomie d. Fische. (III.) Die Schwimmblase. Romberg, Anästhesie im Gebiete des (Quintus. Schleiden, N. J., Beiträge zur Phytogenesis. Siebold, €. Th. v., Ueber ein räthselhaftes Organ einiger Bivalven. Tourtual, Ueber d. Function d. Augenlider beim Sehen. Valentin, 6., Ueber d. Verlauf d. Blutgefässe in dem Penis des Menschen u. einiger Säugethiere. (Hierzu Anmerkung von Joh. Müller.) Ueber die Entwicklung der Follikel in d. Eierstocke der Säugethiere. Vanbeneden, P. J., Recherches anatomiques sur le Pneumo- dermon violaceum d’Orb. Völckers, G., Ueber Farbenmischungen in beiden Augen. Ueber combin. Bewegungen u. Mitbewegungen. Volkmann, A. W., Ueber d. Empfindung, welche entsteht, wenn verschiedenfarbige Lichtstrahlen auf identische Netzhautstellen fallen. Ueber Reflexbewegungen. Von d. Bau u. d. Verrichtungen d. Kopfnerven d. Frosches. Ueber die Faserung d. Rückenmarkes u. des sympath. Nerven in Rana esculenta. Wagner, Rud,, Histor. Bemerkungen über einige Entdeckungen in d. Entwicklungsgesch., mit besond. Berücksichtigung des Aufsatzes des Hrn. Carus im Archiv 1837. Weber, E, H., Ueber die in d. Adern lebender Frösche u. Froschlarven sicht-

1*

4

bare Bewegung von Körnchen, welche die Gestalt d. Lymphkörnchen haben, über die Geschwindigkeit, mit welcher sie sowohl als die Blutkörperchen in den Haargefässen sich bewegen.

1839.

Bergmann, Bewegungen von Radius u. Ulna am Vogelflügel. Bericht über d. Fortschritte d. menschl. Anatomie im J. 1858. Von 0. Krause. Bericht über d. Fortschritte d. Physiologie im J. 1835. Von Th. L. W. Bi- schoff. Bericht über d. Fortschritte d. mikroskop. Anatomie u. die ver- gleichende Anatomie d. Wirbelthiere im Jahre 1838. Von Joh. Müller. Bidder, F.,, Zur Anat. d. Retina, bes. zur Würdigung d. stabförm. Körper in derselben. (Mit Anmerkung von Henle.) Budge, J, Zur Lehre von d.

Sympathien. Carus, €. &, Die mikroskop. Bläschen der Hefe. Aus d. Physiologie d. Nervenlebens. Donne, A., Ueber mikroskop. Körperchen im Colostrum. Ehrenberg, €. 6., Fossile u. lebende Infusorien. Fäsebeck, F., Neurolog. Bemerkungen. dGueterbock, Die Donne’schen Corps granuleux d. Colostrum. Hagenbach, E., Hirn- u. Schädelbau d. sog. Hollenhühner. Hall, M., Irritabilität in den Muskeln gelähmter Glieder. Hannover, A., Contagiöse Confervenbildung auf dem Wassersalamander. Henle, J., Zur

mikrosk. Anat. der Retina. Jahresbericht über d. Fortschritte d. physiol. Pathologie u. patholog. Anatomie im Jahre 1838. Von Henle. Jäger, 6., Schädel einer Kuh mit einem überzähl. Horne an d. Stirne. Krohn, A. Zur Kenntniss d. Schneckenauges. Das Nervensystem des Sipunculus nudus. Das wasserführende System einiger Cephalopoden. Kronenberg, Ueber mo- torische u. sensible Nervenwurzeln. Mandl, Die Körperchen d. Colostrum. Marehand, R. F., Pathol. Secretionen im Allgem. Bildung d. Harnstoffs im thier. Körper. Martin, E., Eine seltene Abweichung d. Ursprungs d. grossen Gefässe aus d. Herzen. Meyen, J., Verdauungsapparat d. Infusorien. Zur Kenntniss unseres Süsswasser-Schwammes. Zur Bildungsgeschichte verschied. Pflanzentheile. Mile, J.. Empfindung, wenn verschiedenfarbige Lichtstrahlen auf dieselben Stellen der Retina eines Auges fallen. Müller, Joh., Der Nervus sympathicus d. Schlangen. Nasse, F,, Veränderungen d. Nervenfasern nach ihrer Durchschneidung. Peters, W., Zur Osteologie der Hydromedusa Maximiliani. Die Bildung des Schildkrötenskelets. Philippi, Die sogen. Saamenmaschinen d. Octopus. Rapp, W. v, Ein eigenthümliches drüsenähnl. Organ des Hirsches. Die Tonsillen. Rathke, H,, Entstehung d. Glandula pituitaria. Nachtrag. Remak, R., Zur mikroskop. Anatomie d. Retina. (Mit Anmerkung von Henle.) Schönlein, Zur Pathogenie der Impetigenes. Schultz, €. H., Ueber das Elephantenblut. Svitzer, Nachricht von einem weibl. Hemicephalus, bei welchem ein Theil der Unterleibseingeweide auf dem Rücken in einem Sacke zwischen d. Kopfe u. dem Rückgrate lag. Simen, Franz, Zur Physiologie d. Ernährung. Ueber die Corps granuleux v. Donne. (2. Art.) Simon, 6ustav, Die Structur d. Condylome. Stannius, Herrm,., Ueber Nebennieren bei Knochenfischen. Theile, Fr. W., Entdeckung der Rotatores dorsi beim Menschen u. d. Säugethieren, nebst Bemerkungen über die Processus transversi u. obliqui u. über d. Rückenmuskeln. Ueber den Triceps brachü u. d. Flexor digitorum sublimis d. Menschen. Tsehudi, J. J. v., Miescher u. Nordmann, Rhytis paradoxa Mayer ist kein Eingeweidewurm. Valentin, @., Ueber d. Scheiden d. Ganglienkugeln u. deren Fortsetzungen. Ueber die Structur d. Lymphherzen u. d. Lymphgefässe. Vogt, Carl, Zur Neurologie v. Python tigris. Volkmann, A. W., Erklärung einiger Gesichts- phänomene. Notizen über ein menschliches Ei aus der frühesten Periode.

1840.

d’Alton u. Schlemm, Nervensystem des Petromyzon. Asehersen, F. M,, Hautdrüsen der Frösche. Phys. Nutzen d. Fettstoffe u. eine auf deren Mit- wirkung begründete Theorie d. Zellenbildung. Bericht über d. Fortschritte d. Physiologie im J. 1859. Von Th. L. W. Bischoff. Bericht über die Fortschritte d. vergleich. Anatomie der Wirbelthiere im J. 1839. Von Joh. Müller. Bericht über die Leistungen im Gebiete d. Anat. u. Physiol. der

5)

wirbellosen Thiere im J. 1835. Von C. Th. v. Siebold. Bericht über die Leistungen im Gebiete der Physiologie der Sinne, ins Besondere des Gesichtssinnes, 1. J. 18388. Von Tourtual. Bidder, Entstehung, Bau u. Leben der menschlichen Haare. Buehlmann, F., Eigenthümliche, auf den Zähnen des Menschen vorkommende Substanz. Burow, Das Menstrualblut. Bau der Macula lutea des menschl. Auges. Greplin, Blasenschwänze, mit dem Urin ausgeleert. Fäsebeck, F., Zur Anat. d. Hirnnerven u. d. Sympathicus. Grube, E., Augen bei Muscheln. Günther u. Schön, Regeneration d. Nerven; Abhängigkeit der periph. Nerven von d. Centralorganen. Hall, M., Die Vis nervosa Haller’s. Hallmann, E.. Bau des Hodens u. Entwickl. d. Samen- tkiere der Rochen. Hannover, A. Die Netzhaut u. ihre Gehirnsubstanz bei Wirbelthieren mit Ausnahme des Menschen. Chromsäure, ein vorzügl. Mittel bei mikrosk. Untersuchungen. Hueck, A., Die Täuschung des Fern- rückens d. Gesichtsobjecte. Grenzen d. Sehvermögens. Krohn, A,, Augen- ähnliche Organe bei Pecten u. Spondylus. Luethi, J. (,, Das Vorkommen der krystallinischen Hornblättehen. Müller, Jeh., Die Lymphherzen d. Schild- kröten. Nebenkiemen u. Wundernetze. Nasse, F, Mikroskopische Be- standtheile der Milch. Cholestearine in pathologischen Flüssigkeiten. Oesterlen, F.. Der Magen des Flusskrebses. Pappenheim, $., Die Muskel- fasern des Mesometriums der Säugethiere. Vermischte Beobachtungen. Peters, W., Der Bau d. Needham’schen Körper. Das Geschlecht d. Seeigel. Rathke, H,, Bemerkungen über Syngnathus aequoreus u. Actinia plumosa. Rusconi, M., Künstl. Befruchtung v. Fischen u. Fröschen. Simon, Gustav, Ueber Structur d. Warzen u. über Pigmentbildung in d. Haut. Stannius, Herrm., Ueber die männlichen Geschlechtstheile der Rochen u. Haie. Zur Anatomie u. Physiol. der Arenicola piscatorum. Tourtual, Muskelfasern im erweiterten Harnleiter u. Nierenbecken eines Menschen. Harnstoff in Kröpfen. Valentin, 6, Zur Entwicklung d. Gewebe d. Muskel-, Blutgefäss- u. Nervensystems. Ueber eine gangliöse Anschwellung in der Jacobson- schen Anastomose des Menschen. Ueber eine physiol. interessante Varietät des Ursprungs der langen Wurzel d. Augenknotens. Distomeneneier in der Rückenmarkshöhle eines Fötus. Vogt, Carl, Ueber die Function d. Nervus lingualis u. glossopharyngeus. Volkmann, A. W,, Ueber d. motorischen Wir- kungen d. Kopf- u. Halsnerven. Ueber Nerven-Anastomosen. Weber, M. J., Beschreibung nebst Abbild. des Zwerchfells einer ausgewachsenen weiblichen Thorsa vitulina,

1841.

Bendz, H., Orbitalhaut bei den Haussäugethieren. Bergmann, Structur der Mark- u. Rindensubstanz des grossen u. kleinen Gehirns. Zerklüftung u. Zellenbildung im Froschdotter. Vergleichung d. Unterschenkels mit dem Vorderarm. Bericht über d. Fortschritte d. Physiologie im J. 1840. Von Th. L. W. Bischoff. Bericht aus der scandinavischen Literatur. Von A. Hannover. Bericht über d. Fortschritte d. vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Von Joh. Müller. Bericht über die Fortschritte der mikroskop. Anatomie in den Jahren 1839 u. 1840. Von 0. B. Reichert. Bericht über d. Leistungen im Gebiete d. Anatomie u. Physiol. d. wirbellosen Thiere in d. Jahren 1839 u. 1840. Von €. Th. v. Siebold. Bidder, F., 2. Beitrag zur Anatomie d. Retina. Bischoff, T. L. W,, Drehen des Dotters im Säugethiereie während dessen Durchgang durch d. Eileiter. Elektr. Ströme in d. Nerven. Bruecke, E, Stereoskop. Erscheinungen u. Wheatstone’s Angriff auf die Lehre v. den ident. Stellen der Netzhäute. Carus, C. 6, Anhäufung mikrosk. Krystalle am Hinterkopfe von Schlangenembryonen. Dietrich, K., Zur Kenntniss d. Schläfenbeine einiger schweizerischer Säuge- thiere. Engelhardt, E., Function d. obern u. untern Hälfte d. Rückenmarkes hinsichtl. der Beuge - u. Streckmuskeln d. Gliedmaassen. Erdl, Die Arteriae helicinae. Organisation d. Fangarme d. Polypen. Kreislauf d. Infusorien. Eschricht, D. F., Anat.-physiol. Untersuchung über d. Salpen. Ueber Diceras. Fellenberg. L. R. v., u. F, Valentin, Die bei d. Consolidation d. Faserstoffes stattfindenden Veränderungen d. elementar-analyt. Bestandtheile desselben. Hagenbach. E., Ueber ein bes. mit dem Hammer d. Säugethiere in Verbindung stehendes Knöchelehen. Heine, J., Die organ. Ursache d. Herzbewegung.

6

van der Hoeven, Die zellige Schwimmblase d. Lepisosteus. Krohn, A., Das Nervensystem d. Echiniden u. Holothurien. Kürschner, Ueber d. Herzstoss. Die Function d. hintern u. vordern Stränge d. Rückenmarkes. Meyer, 6. H,, Bedeutung d. Knochenkörperchen. Müller, Joh., Untersuchungen über Pseudo- branchien. Bewaftinung d. Zwischenkiefers d. reifen Embryonen d. Schlangen u. Eidechsen. Krankhafte parasitische Bildung mit specifisch organ. Samen- körperchen. Ueber Lungen u. Schwimmblasen. Nasse, H,, Form d. geron- nenen Faserstoffs. Peters, W.. Das Leuchten d. Lampyris italica. Reichert, C. B., Furchungsprocess d. Batrachier-Eier. Remak, R., Die zweifelhafte Flimmerbewegung an d. Nerven. Wimperblasen u. Hornfäden. Anatomische Beobachtungen über Gehirn, Rückenmark u. Nervenwurzeln. Retzius, A., Bau d. Magens bei d. in Schweden vorkommenden Wühlmäusen. Ein schleuder- förmiges Band im Sinus tarsi des Menschen u. mehrerer Thiere. Simon, Franz, Ueber Vorkommen d. Harnstoffes im Blute. Simon, Gustav, Zur Entwick- lungsgeschichte d. Haare. Stannius, Herrm., Ueber d. Verlauf d. Arterien bei Delphinus phocaena. Stilling, Ueber contagiöse Confervenbildung auf lebenden Fröschen u. den Einfluss der Nerven auf die Bluthewegung in den Capillargefässen. Valentin, &, Ueber ein Entozoon im Blute von Salmo fario. Vanbeneden et Ch. Windischmann, Recherches sur l’embryogenie des Limaces. Vogt, Carl, Ueber den Bau des Ancylus fluviatilis. Zur Anatomie d. Parasiten. Volkmann, A. W,, Ueber die Bewegung d. Athmens u. Schluckens.

1842.

Berg‘, F.. Anwendung von Blut zu Injectionen anatom.-pathol. Präparate. Bergmann, Zur Verständigung über d. Dotterzellenbildung. Bericht über d. Fortschritte d. Physiologie im J. 1841. Von Th. L. W. Bischoff. Bericht über d. Fortschritte d. vergleich. Anatomie d. Wirbelthiere im J. 1841. Von Joh. Müller. Bericht über d. Fortschritte d. mikroskop. Anatomie im J. 1841. Von C. B. Reichert. Bericht über d. Leistungen im Gebiete d. Anat. u. Physiol. d. wirbellosen Thiere im J. 1841. Von C. Th. v. Siebold. Berieht über d. Fortschritte d. Physiologie d. Gesichtssinnes in d. Jahren 1839 bis Mai 1842. Von Tourtual. Bidder, F., Vorkommen zweier Ovula in einem Graaf’schen Follikel. Versuche über die Möglichkeit des Zusammen- heilens functionell versch. Nervenfasern. Brueeke, E., Vorkommen d. Harn- säure im Rinderharn. Ursache d. Todtenstarre. Budge, J., Chem. Mittel zur Unterscheidung zwischen d. Muskelfaser u. der mittlern Arterienhaut. Erdi, Zur Anat. d. Actinien. Eschricht, D. F., Ueber Diceras. Fäsebeck, F,, Einige anatom. Beobachtungen. Ueber Doppelbildung. Fick, L., Umwand-

lung von Nerven in Fett. Gluge, 6, Ein eigenthüml. Entozoon im Blute des Frosches. Goeppert, H. R, Freie Bewegung d. Sporen von Nemaspora incarnata Pers. Grube, E., Resultate aus Untersuchungen über d. Anatomie der Araneiden. 6ruby, Ueber Tinea favosa. Hannover, A., Fernere Er-

läuterung der ccontagiösen Confervenbildung auf Fröschen u. Wassersala- mandern. Entophyten auf d. Schleimhäuten d. todten u. lebenden Körpers. Jäger, 6, Entwicklung der Gräthe d. Schädels bei Säugethieren u. d. Entwick-

lung u. Function d. Knochenhöhlen. Entwicklung u. Function d. Knochen- höhlen. Jordan, H., Der Wiederersatz verstümmelter Krystalle. Krohn, A., Der Vertumnus tethidicola. Der Sternaspis thalassemoides. Mayer, Ein

Eingeweidewurm von Testudo Mydas, Tetrarrhynchus cysticus. Meyer, @. H., Bau d. Hornschale d. Käfer. Das Säugethierei. Müller, Joh., Die Schwimm-

blase d. Fische mit Bez. auf einige neue Fischgattungen. Die Geschlechts- organe der Plagiostomen. Eigenthümliche Herzen am Arterien- u. Venen- system. Anatomische Bemerkungen über d. Quacharo, Steatornis caripensis

v. Humb. Müller u. Retzius, Parasitische Bildungen. 0Oesterlen, F., Die nutritiven Vorgänge u. ihre Beziehung zu andern Vitalitätsäusserungen. Peters, W,, Zur Anatomie d. Sepiola. Piper, 6. 0,, Die physiol. Vorbegriffe d. Chinesen. Robert, H. L, F,, Hemmungsbildung d. Magens, Mangel d. Milz u. d. Netzes. Sars, M, Entwicklung der Seesterne. Schultz, A. W. F,, Ueber Wärmeerzeugung bei d. Athmung. Simon, Gust.. Ueber eine in den kranken u. normalen Haarsäcken d. Menschen lebende Milbe. Stannius, Herrm,, Ueber das periph. Nervensystem des Dorsches, Gadus Callarias. Die

7

Augennerven d. Delphins (Delph. phocaena). Ueber d. Gebiss d. Lama. Ueber Gebiss u. Schädel d. Wallrosses. Stein, Fr.. Ueber Geschlechtsverhält- nisse d. Myriapoden u. einiger anderer wirbelloser Thiere, nebst Bemerkungen zur Theorie d. Zeugung. Valentin, @, Das centrale Nervensystem u. die Nebenherzen der Chimaera monstrosa. Vogt, Carl, Zur Entwicklungs- geschichte der Filarien. Volkmann, A. W,, Ueber d. Beweiskraft derjenigen Experimente, durch welche man einen directen Einfluss der Centralorgane auf die Eingeweide zu erweisen suchte. Walther, A. v., Zur Lehre von der Funetion der den cerebrospinalen Nerven beigemischten sympath. Fäden. Wutzer, GC. W., Ueber die Verbindung d. Invertebral-Ganglien u. d. Rücken- . markes mit dem vegetativen Nervensystem.

1843. Baumgarten, A, Mechanismus, durch den die venösen Herzklappen ge- schlossen werden. Bericht über d. Fortschritte d. Physiologie im J. 1842.

Von Th. L. W. Bischoff. Bericht über d. Fortschritte d. vergleichenden Anatomie d. Wirbelthiere. Von Joh. Müller. = Bericht über die Fortschr. der mikroskop. Anatomie im J. 1842. Von €. B. Reichert. Bericht über d. Leistungen im Gebiete d. Anat. u. Physiol. d. wirbellosen Thiere. Von C. Th. v. Siebold. Bidder, F., Zur Histogenese d. Knochen. Bischoff, Th. L. W., Erste Bildung d. Centralnervensystems bei Säugethieren. Bruecke, E., Der innere Bau des Glaskörpers. Carus, C. 6, Wissenschaftl. Kranioskopie. Fleischmann, Die Natur d. Knochenkörperchen. Hallmann, E., Die Leber- eirrhose. Hannover, A., Structur d. Netzhaut d. Schildkröte. Helmholtz, Das Wesen d. Fäulniss u. Gährung. Hyrtl, J., Die Caudal- u. Koptsinus d. Fische u. das damit zusammenhängende Seitengefässsystem. Kohlrausch, 0., Der Bau der haar- u. zahnhaltigen Cysten d. Eierstocks. Kölliker, A, Das Geruchsorgan v. Amphioxus. Zur Entwicklungsgesch. wirbelloser Thiere. Krohn, A., Die Geschlechtsverhältnisse bei d. Sertularinen. Krukenberg, A,, Ueber d. feineren Bau d. menschl. Leber. Lebert, H,, Blasenwürmer in der Leber d. Menschen. Leuckart, F. $., Der Magen eines Moschus javanicus. Meyer, H., Eigenthümlich gestaltete Blutzellen. Müller, Joh, Der Bau der Leber. Ueber ossificirende Schwämme od. Osteoid-Geschwülste. Wasse, H,, Eitörm. Zellen d.tuberkelähnl. Ablagerungen in d. Gallengängen d. Kaninchen. Pappenheim, 8. Die Nerven der fibrösen Gewebe u. Knochen. Philippi, Rhopalaea, ein neues Genus d. einf. Ascidien. Bau d. Physophoren u. eine neue Art derselben. Piper, 6. 0,, Berichtigung. Rapp, W. v., Die Ton- sillen der Vögel. Rathke, H., Die Macrocephali bei Kertsch in d. Krimm. Enwicklung d. Arterien, die bei den Säugethieren vom Bogen d. Aorta aus- gehen. Molecularbewegungen in thier. Zellen. Remak, R., Die äussern Athemmuskeln der Fische. Zusammenziehung d. Muskelprimitivbündel. Inhalt der Nervenprimitivröhren. Entwicklung des Hühnchens im Ei. Retzius, A. Ueber den Mechanismus des Zuschliessens d. halbmondförmigen Klappen. Rusconi, M., Die Lymphgefässe d. Amphibien. I. II. Simon, Franz, Ueber eigenthümliche Formen im Harnsediment bei Morbus Brightii. Die Gegenwart des Harnstoffs im menschl. Entzündungsblute. Stannius, Hlerrm., Ueber d. Bau d. Gehirnes d. Störs. Ueber Lymphherzen d. Vögel. Tsehudi, J. v., Vergleichend anatomische Beobachtungen. Volkmann, A. W,, Revision einiger in meinen Beiträgen zur Physiologie des Gesichtssinnes auf- gestellter Lehrsätze. Weber, E. H., Ueber den Bau der Leber d. Menschen u. einiger Thiere. Will, Fr,, Ueber einen eigenthümlichen (Bewegungs-) Apparat in den facettirten Insektenaugen. Ueber die Entstehung der Quer- streifen der Muskel.

1844.

Bericht über d. Fortschr. d. Physiol. im J. 1843. Von L. W. Bischoff. Bericht über d. Leistungen in d. scandinavischen Literatur im Gebiete der Anatomie u. Physiologie in d. J. 1541 —1843. Von Adolph Hannover. Bericht über d. Fortschritte d. vergleick. Anatomie d. Wirbelthiere im J. 1843. Von Joh. Müller. Bericht über d. Fortschritte d. mikroskop. Anatomie

8

im J. 1843. Von €. B. Reichert. Bidder, Ueber d. functionelle Selbst- ständigkeit des sympath. Nervensystems. Bruecke, E. Physiol. Bedeutung d. stabförmigen Körper u. der Zwillingszapfen in d. Augen d. Wirbelthiere. Budge, J., Verlauf d. Nervenfasern im Rückenmarke d. Frosches. Ecker, A., Flimmerbewegung im Gehörorgan von Petromyzon marinus. Fick, L. Das Labyrinth des Elephanten. Hein, J. A. Nerven des Gaumensegels. van der Hoeven, Die Schädel slavonischer Völker. Jäger, 6., Stellung u. Deutung d. Zähne des Wallrosses. Lebert, H., Physiolol.-pathol. Unter- suchungen über Tubereulosis. Mayer, Cysten mit Fadenpilzen aus d. äussern Gehörgange eines Mädchens. Acanthosoma chrysalis. Meekel, H. Ge- schlechtsapparat einiger hermaphroditischer Thiere. Rathke, H.. Entwickl. d. Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris). Platner, FE. A., Respirationsorgane u. Haut der Seidenraupen. Krystallisation der Gallensäure u. des gallen- sauren Natron. Noch Etwas über d. Galle. Ueber Bildung d. Capillar- getässe. Remak, R., Neurol. Erläuterungen. Rusconi, M,, Beobachtungen am afrikan. Chamäleon. Schlossberger, J., Analyse d. Milch eines Bocks. Schwann. Th., Versuche um auszumitteln, ob die Galle im Organismus eine für d. Leben wesentl. Rolle spielt. Simon, Gustav, Ueber die Tyson’schen Drüsen an d. Eichel d. männlichen Gliedes. Spengler, Ueber d. Stärke des arteriellen Blutstromes. Tellkampf, Th. 6. Ueber d. blinden Fisch d. Mam- muthhöhle in Kentucky. Touriual, Ein bisher unbekanntes Muskelpaar an d. hinteren Nasenöffnung des Menschen. Tsehudi, J. J. v., Ueber die Urein-

wohner von Peru. Valentin, 6, Entgegnung auf den Volkmann’schen Auf- satz über Nervenfasern. Vanbeneden, P. J., Sur les differents modes de reproduction dans la famille des Tubulaires. Volkmann, A. W., Ueber

Nervenfasern u. deren Messung mit Hülfe d. Schrauben- u. Glasmikrometer. Nachweisung d. Nervencentra, von welchen d. Bewegung d. Lymph- u. Blut- gefässherzen ausgeht. Walther, A. v., Ueber Epiphyten auf Weichselzöpfen. Will, Fr.. Ueber die Structur d. Ganglien u. d. Ursprung d. Nerven bei wirbel- losen Thieren. Wöhler, F., Analyse des Belugen - Steins.

1845.

Bergmann. Nichtchemischer Beitrag zur Kritik d. Lehre vom Calor ani- malis. Ueber eine Function d. Glottis. Bericht über d. Fortschritte d. vergleichenden Anatomie d. Wirbelthiere im J. 1844. Von Joh. Müller. Bericht über d. Fortschritte d. mikroskopischen Anatomie im J. 1844. Von C. B. Reichert. Bericht über d. Leistungen im Gebiete d. Anatomie u. Physiologie der wirbellosen Thiere in d. Jahren 1843 u. 1844. Von C. Th. von Siebold. Bidder, F.. Die Malpighi’schen Körper der Nieren. Versuche zur Bestimmung der Chylusmenge, die durch den Ductus thoracicus dem Blute zugeführt wird. Bruecke, E., Nachträgliche Bemerkungen über den innern Bau des Glaskörpers. Anatomische Untersuchungen über die sog. leuchtenden Augen bei den Wirbelthieren. Verhalten der optischen Medien des Auges gegen Licht- u. Wärmestrahlen. Ecker, A.. Filarien im Blute von Raben. Gefässsystem in eingepuppten Filarien. Eichholtz, H., Die sranulirte Leber und Niere und ihr Verhältniss zur tubereulösen und krebsigen Dyskrasie Zur physiologischen u. pathologischen Anatomie des Lungengewebes. Frey, H., Theorie der Wellenbewegung des Blutes in den Arterien. Gerlach, Jos., Zur Structurlehre d. Niere. Guensburg, Epiphyten auf Weichselzöpfen. Hannover, A., Der foetale Zustand d. Auges bei der Form des Coloboma. Der Bau des Glaskörpers. Der Bau d. ‚Linse bei Säugethieren u. dem Menschen. Harless, J. 6. E.. Physiolog. Versuche an Fröschen. Ablagerungen anorgan. Substanzen auf dem Plexus choroideus. Heckel, J.. Bemerkung über Lepidosiren paradoxa. Heintz, W., Die harn- sauren Sedimente. Helmholtz, Stoffverbrauch bei d. Muskelaction. Henle, J., Die Gattung Gregarina. Kölliker, A., Flimmerbewegungen in d. Primordial- nieren. Köstlin, O,, Mikroskop. Untersuchung eines puerperalen Osteophyts der innern Schädeloberfläche. Krause, (.. Der feinere Bau der Leber. Levy, €. E,&ine Missgeburt mit vollständ. Wirbelspalte u. Darmbruch in der Rückgratshöhle. Meyer, H, Das Vorkommen eines Processus vaginalis peritonaei beim weibl. Fötus. Müller, Joh., Physiol. Bemerkungen über die

9

x

Statik d. Fische. Patruban, C. v.. Die Einmündung eines Lymphaderstammes in die linke Vena anonyma. Peters, W,, Ueber einen dem Lepidosiren annectens verwandten Fisch von Quellimane. Bau des electr. Organs beim Zitterwels. Platner, E. A... Zur Lehre von der Verdauung. Purkinje, Mikroskop. neurolog. Beobachtungen. Retzius, A., Die Schädelformen der Nordbewohner. Sehlemm, F., Die neue Zungendrüse, Svitzer, Beobach- tung einer Theilung des Ductus thoracieus. Tschudi, J, J. v.. Ein Awaren- schädel. Volkmann, A. W,, Beitrag zur näheren Kenntniss der motorischen Nervenwirkungen.

1846.

Bericht über d. Fortschritte d. Physiologie in den Jahren 1844 u. 1845. Von Th. L. W. Bischoff. Berieht über die Fortschritte der mikroskop. Anatomie im Jahre 1845. Von C. B. Reichert. Bischoff, Th. L, W., Die Glandulae utriculares des Uterus des Menschen u. ihr Antheil an der Bildung der Decidua. Bruecke, Verhalten der opt. Medien des Auges gegen die Sonnenstrahlen. Musculus Cramptonianus u. Spannmuskel d. Choroidea. Budge, J., Ueber die Herzbewegung. Harless, E., Die Ganglienkugeln der Lobi eleetriei v. Torpedo Galvanii. Die functionell verschiedenen Partien d. Rückenmarks der Amphibien. Heintz, W., Die quantitative Bestimmung d. Harnsäure. Salpetersäure als Reagens auf Gallenbraun. Kohlrausch, O., Ueber die innere Wurzelscheide u. Epithelium d. Haares. Lebert, H., Die Mundorgane einiger Gasteropoden. Lebert, H., u. Robin, Ueber allg. ver- gleichende Anatomie niederer Thiere. Ludwig, C., Das Vorkommen u. die Bedeutung d. Proteinbioxyds im thier. Organismus. Mayer, Bau von Lepas balanoides. Meckel, H., Mikrographie einiger Drüsenapparate d. niederen Thiere. Müller, Fr., Geschlechtstheile von Clepsine u. Nephelis. Müller, Joh., Einige neue Thierformen d. Nordsee. Die typischen Verschiedenheiten d. Stimmorgane d. Passerinen. Peters. W., Eine neue Gattung v. Labyrinth- fischen aus Quellimane. Rathke, H., Luftröhre, Speiseröhre u. Magen der Sphareis coriacea. Ueber d. Entwicklung d. Schildkröten. Reichert, €. B., Der Furchungsprocess u. die sog. Zellenbildung um Inhaltsportionen. Rein- hardt, Beobachtung eines Muscul. accessorius flexoris hallueis longi superior. Rusconi, M., Das Gehirn der Schleie, Cyprinus Tinea. Sehmidt, 0, Zur Anatomie u. Physiologie der Naiden. Simon, Gustav, Ueber die Structur d. Pockenpusteln. Tourtual, Beobachtungen an einem Auge mit einer seltenen Deformität d. Pupille. Walther, A. v., Ueber Epiphyten auf Weichselzöpfen (2. Beitrag). Weber, E. H,, Ueber Eduard Weber’s Entdeckungen in der Lehre von d. Muskelcontraction. Zusätze zur Lehre vom Baue u. von den Verrichtungen d. Geschlechtsorgane. Ueber die Entwicklung d. medizinischen Blutegels u. d. Clepsine.

1847.

Benjamin, L, Zur Verbreitung des elast. Gewebes. Berzmann, Ueber d. Dotterfurchung. Bericht über d. Leistungen in der mikroskop. Anatomie d. Jahres 1846. Von €. B. Reichert. Biffi u. Morganti, Versuche am Nervus glossopharyngeus. Bischoff, Th. L. W., Zur Anat. des Duyong. Theorie der Befruchtung u. die Rolle, welche die Spermatozoiden dabei spielen. Bruecke, E., Bestimmung des specif. Gewichtes der Milch. Das Leuchten der menschl. Augen, u. Nachtrag. Eigenthüm]l. Ring an der Krystalllinse d. Vögel. Budge. J., Beschreibung eines fünfwöchentl. menschl. Embryo. Ueber d. Duetus vitelli intestinalis bei Vögeln. Busch, Ueber d. Tomopteris oniseiformis. Ueber d. Mesotrocha sexoculata. Eckhard, €., Das Zungenbein d. Säugethiere, mit Rücksicht auf d. Stimmorgan. Erlach, K. v., Mikroskop. Beobachtungen über organ. Elementartheile bei polarisirtem Lichte. Gruber, W., Untersuchungen einiger Organe eines Kastraten. Hal- bertsma, H. J,, Ein in d. Membrana interossea d. Unterschenkels verlaufender Nerv. Hall, M,, Retrograde Reflexthätigkeit im Frosche. Harless, J. 6. E., Das blaue Blut einiger wirbellosen Thiere u. dessen Kupfergehalt. Experi- mente zur Lehre von der Muskelirritäbilität. Jäger, 6, Ueber die am Schädel mehrerer Wirbelthiere im Verlauf d. Entwicklung bemerkb. Verände- rungen. Ludwig, C., Der Einfluss d. Respirationsbewegungen auf d. Blut-

m

lauf im Aortensystem. Müller, Joh., Verschiedenheiten der Stimmorgane d. Passerinen u. Nachtrag. Fossile Knochenreste eines von Koch in Alabama eingesammelten Hydrarchus. Einige Thierformen der Nordsee. (Forts.)

Rathke, H., Beschaffenheit der Lederhaut bei Amphibien und Fischen. Reichert, €. B., Zur Controverse über die Erweiterung der feineren Blut- sefässe bei Entzündungen. Zur FEntwicklungsgeschichte der Samen- körperchen bei den Nematoden. Retzius, A., Die Schädelform der Iberier, eines Sandwich -Insulaners u. d. sogenannten Flachkopf- Indianer. Schloss- berger, J., Bildung von Vivianit im thier. Organismus. Stannius, Herrm., Ueber Muskelreizbarkeit. Strahl, Joh. C., Versuche über d. Wirkung des Pankreas. Ueber Zuckerbildung im thier. Organismus. Theile, F. W,, Anat. Untersuchung eines Hypospadiaeus. Tiedemann, Fr., Ueber die Be- wegung des Herzens unter d. Recipienten der Luftpumpe. Wagener, R., Ueber eigenthüml. gestaltete Haare der Beroe u. Cydippe. Ueber d. Nessel- fäden der Tubularien. Ueber den Bau der Actinotrocha branchiata. Weber, E. H., Ueber d. Einfluss d. Erwärmung u. Erkältung d. Nerven auf ihr Leitungsvermögen. Ueber den Mechanismus d. Einsaugung d. Speisesaftes beim Menschen u. einigen Säugethieren. Ueber d. Descensus testiculorum bei den Menschen u. einigen Säugethieren. Weber, Ed. u. E. H. Weber, Ueber die Wirkungen electromagn. Reizung d. Blutgefässe lebender Thiere.

1848.

Bardeleben, Ueber Vena azygos, hemiazygos u. coronaria cordis bei Säuge- thieren. Bericht über d. Fortschr. d. mikroskop. Anatomie im J. 1847. Von C. B. Reichert. Bidder, F,, Vorl. Bericht über eine Reihe von Versuchen zur Ermittlung d. Rolle d. Speichels in dem thier. Haushalt. Bruecke, E., Ueber d. Bewegungen d. Mimosa pudica. Budge, Ichthyolog. Bemerkungen. Cramer, Herm., Ueber das Zellenleben in d. Entwicklung des Froscheies. Desor, E., Embryologie von Nemertes. Frerichs, Fr. Th., Ueber das Maass des Stoffwechsels u. die Verwendung der stickstoffhaltigen u. stickstofifreien Nahrungsstoffe. Gerlach, Zur Anat. der Niere. Grube, E., Bemerkungen über Tomopteris und die Stellung dieser Gattung. Gruber, Wenz., Seltene Beobachtungen aus d. Gebiete d. menschl. Anatomie. Helmholtz, H., Ueber die Wärmeentwicklung bei d. Muskelaction. Karsten, H., Harnorgane des Brachinus complanatus Fabr. Bemerk. über einige scharfe u. brennende Absonderungen verschied. Raupen. Leidy, Jos., Ueber einige Körper in d. Boa constrietor, welche den Pacini’schen Körperchen gleichen. Lieber- kühn, N., Ueber die Coagulation des Eiweisses. I. II. Loven, $., Ueber die Entwicklung d. kopflosen Mollusken. Ludwig, G., Ueber die Herznerven d. Frosches. Malmsten, P. H., Trichophyton tonsurans, der haarscheerende Schimmel. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung der das Abfallen der Haare bewirkenden Krankheiten Meyer, H,, Ueber d. Bau d. Haut des Gürtel- thiers. Müller, Joh., Bemerkungen über die Metamorphose der Seeigel. Nuhn, A. Ueber die Verbindung d. Saugadern mit d. Venen. Peters, W., Ueber eigenthüml. Moschusdrüsen bei Schildkröten. Reichert, C. B., Ueber d. Bildung d. hinfälligen Häute d. Gebärmutter u. deren Verhältniss zur Placenta uterina. Retzius, Andr., Beurtheilung d. Phrenologie vom Standpunkte der

Anat. aus. Ueber die Form d. Knochengerüstes d. Kopfes bei d. verschied. Völkern. Ueber die Schädel d. Griechen u. Finnen. Stannius, Herrm., Zootomische Bemerkungen. Ueber das Pankreas d. Fische. Beitrag zur

Geschichte d. Enchondroms. Versuche über d. Function d. Zungennerven.

Stein, Fr., Ueber d. Natur d. Gregarinen. Strahl, J. C., Ueber das chem.

Verhalten einzelner Skelettheile d. Sepien. Zu d. Pacini’schen Körperchen.

Wicke, E. C., Eine Berichtigung zu Ed. u. E. H. Weber’s Mittheilung im

a u. ö. Hefte 1847. Will, J. &. Fr., Ueber die Gallenorgane d. wirbeilosen hiere.

1849.

Bericht über d. Fortschr. d. mikroskop. Anatomie im J. 1848. Von C.B. Reichert. Berthold, Ueber d. Aufenthalt leb. Amphibien im Menschen. Transplantation d. Hoden. Busch, W., Beobachtungen über einige niedere

11

Thiere. Ueber die Larve der Comatula. (zermak. N., Ueber die Haut- nerven des Frosches. Desor, E., Ueber die Entwicklung der Asterien. -— Eckhard, C., Bau der Hautdrüsen d. Kröten u. Abhängigkeit der Entleerung ihres Secretes vom centr. Nervensystem. Fick, L., Zur Bindegewebsfrage. Versuche zur Erläuterung der Mechanik d. Herzens. Grube, Ed., Fehlt den Wespen- od. Hornissenlarven ein After od. nicht? Gudden, B., Das Verhältniss der Centralgefässe d. Auges zum Gesichtsfelde. Krukenberg, A., Zur Lehre von d. Röhrensystem d. Zähne u. Knochen. Die Zubereitung von Zahn- u. Knochendurchschnitten für mikroskop. Beobachtungen. Mayer (in Bonn), Ueber das Becken d. Delphins. Meyer, Herm,, Der Knorpel u. seine Ver- knöcherung. Ueber den Bau rhachitischer Knochen. Ueber die Laterne des Aristoteles. Müller, Frz., Das Verhalten des Nabelbläschens (Vesica umbilicalis) bei Pferde-Embryonen. Müller, Joh., Ueber die Bipinnarien u. die Metamorphose der Asterien. Ueber d. Larven u. die Metamorphose der Holothurien. Peters, W., Ueber eigenthüml. Moschusdrüsen d. Schild- kröten (Nachtrag zu 1848). Reichert, GC. B., Ueber eine eiweissartige Sub- stanz in Crystallform. Zur Kontroverse über d. Primordialschädel. Die glatten Muskelfasern in d. Blutgefässwandungen. Remak., R., Die genetische Bedeutung u. Entwicklung des oberen Keimblatts im Ei der Wirbelthiere. Retzius, Andr., Ueber Schädel v. Guarani-Indianern aus Brasilien. Kranio- logisches. Ein der Violdrüse gleichartiges Gebilde beim Wolfe. Die richtige Deutung der Seitenfortsätze an den Rücken- u. Lendenwirbeln der Menschen u. Säugethiere. Ueber d. Bau d. Leber. Ueber die Schädel- form d. Peruaner. Ueber das Lig. pelvioprostaticum. Stannius, Herrm., Die Deckknochen u. integrirenden Ossificationen d. Wirbel einiger Knochen- fische. Fortges. Untersuchungen über Muskelreizbarkeit. Die Muskeln des Tümmlers (Delphinus phocaena). Wahlgren, Fr.. Ueber den Uterus masculinus (Weber) beim Menschen u. d. Säugethieren. Weber, E. H., Be- weise, dass nur die Tastorgane fähig sind, uns Empfindungen von Wärme, Kälte u. Druck zu verschaffen. Wittich, v., Die Entstehung des Arachniden- eies im Eierstocke.

1850.

Barry, Mart., Neue Untersuchungen über die schraubenförm. Beschaffen- heit d. Elementarfasern d. Muskeln, nebst Beobachtungen über die muskulöse Natur d. Flimmerhärchen. Aus d. engl. Original übers. u. mitgeth. von Prof. Purkinje. Bergmann, (C,, Physiolog. Bemerkungen über einige bekannte Eigenthümlichkeiten d. Vögel. Bericht über d. Fortschr. d. mikrosk. Anat. im J. 1849. Von C. B. Reichert. Berthold, Ueber d. quantitative Ver- hältniss der Nagel- u. Haarbildung beim Menschen. Ueber d. Backenzahn- system d. Narwals. Betz. Fr., Ueber den Uterus masculinus. Beitrag zur Entwicklungsgesch. d. Geschlechtsorgane. Budge, Jul., Der Einfluss einiger Gehirnorgane auf die Speiseröhre u. d. Magen. Busch, Wilh., Ueber die Sexualorgane der Eudoxia. Corti, Alph., Beitrag zur Anat. der Retina. Fiek, Akustisches Experiment. Grube, Ueber die Holothurien - Gattungen Chirodota u. Synapta. Günsburg, Fr., Zur Kenntniss des Milzgewebes. Helmholtz, H., Messungen über d. seitlichen Verlauf d. Zuckung animalischer Muskeln u. die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. Vorl. Bericht über die Fortpflanzungs - Geschwindigkeit der Nervenreizung. Horn, Herm., Ueber d. Endschlingen des Geruchsnerven (Nervus olfactorius). Leydig, Frz., Ueber die Schleimkanäle der Knochenfische. Liebig, Georg, Ueber d. Respiration d. Muskeln. Luschka, H., Die Bursa mucosa patellaris profunda. Meckel v. Hemsbach, H.. Ueber die Verhältnisse d. Geschlechts, der Lebensfähigkeit u. der Eihäute bei einfachen u. Mehrgeburten. Metten- heimer, G., Mikroskop. Untersuchung einer Hydatidenmole. Beschreibung eines Cystosarcoma phyllodes mammae. Meyer, (., Beschreibung eines bei Kertsch (Krimm) aufgefund. Stirnbeines eines Macrocephalus. Müller, Joh. Ueber eine eigenthüml. Wurmlarve aus d. Classe d. Turbellarien u. aus der Familie d. Planarien. Anat. Studien über d. Echinodermen. Berichtigung u. Nachtrag hierzu. Ueber d. Metamorphose d. Echinodermen. (Forts.) Müller, Max, Ueber eine d. Sipunculiden verwandte Wurmlarve. Peters, W,,

re 2

Ueber d. Fortpflanzungsorgane d. Sipunculus. Rathke, Heinr., Bemerkungen über einen hochträchtigen Aal. Ueber die Carotiden der Krokodile u. der Vögel. Remak, R., Ueber den Bau d. Herzens. Histolog. Bemerkungen über die Blutgefässwände. Ueber blutleere Gefässe (Lymphgefässe) im Schwanze d. Froschlarve. Nachträgl. Bemerkung hierzu. Rinne, A., Ueber das Stimmorgan u. die Bildung der Stimme. Schulze, Max., Die männl. Geschlechtstheile der Campanularia geniculata. Stannius, Ueber eine der Thymus entsprechende Drüse bei Knochenfischen. Ueber eine osteologische Eigenthümlichkeit des Delphinus globiceps. Thaer, A., Ueber Polystomum appendiculatum. (Onchocotyle appendiculata, Diesing.) Vrolik, W. Ueber das Becken d. Braunfisches (Delphinus). Zenker, W., Ueber d. Geschlechts- verhältnisse der Gattung Cypris.

1851.

Agassiz, L., Ueber d. Entwickl. eines Seesterns. Bärenspruns, Felix v., Untersuchungen über d. Temperaturverhältnisse d. Fötus u. des erwachsenen Menschen im gesunden u. kranken Zustande. I. Bericht über d. Fortschr. d. mikrosk. Anat. im J. 1850. Von ©. B. Reichert. Busch, Wilh., Ueber das Inosteatoma, eine im Uterus gefundene Fettgeschwulst. Eekhard, G,„, Zur Theorie der Vagus- Wirkung. Fick, Ludwig, Ueber die Hirnfunetion. Gerlach, Ueber das Hautathmen. Gruber. Wenzel, Ueber den gesammten Apparat d. Bänder zwischen d. Hinterhauptsbeine u. d. obersten Halswirbeln überhaupt u. einen neuentdeckten Appendix superior des Ligament. cruciatum insbesondere. Huxley, Thom.. Die Sexualorgane der Diphydae u. Physo-. phoridae. Krohn, A., Ueber die Larve des Sipunculus nudus u. d. Sexual- verhältnisse d. Sipunculiden. Ueber d. Entwickl. einer lebendig gebärenden Ophiure. Zur Entwicklungsgesch. d. Holothurien u. Seeigel. Leydig, Frz,, Ueber die Nervenknöpfe in d. Schleimkanälen von Lepidoleprus, Umbrina u. Corvina. Zur Anatomie u. Histologie der Chimaera monstrosa. Ueber Psorospermien u. Gregarinen. Mazonn, F., Eigenthünl. pathol. Entwicklung d. Pflasterepithelien d. Harnkanäle. Meyer, Herm., Zur Streitfrage über die Entstehung d. Linsenfasern. Müller, Joh., Bemerkungen über einige Echino- dermenlarven. Ueber die Ophiurenlarven d. adriat. Meeres. Ueber eine eigenthüml. Meduse des Mittelmeeres u. ihren Jugendzustand. Müller, Max., Ueber d. Entwickl. u. Metamorphose d. Polynoen. Pflüger, Ed., Die psychischen Funetionen d. Medulla oblongata u. spinalis. (Auszug.) Reichert, C. B,, Ueber das Verhalten d. Nervenfasern bei d. Verlauf, der Vertheilung u. Endi- gung in einem Hautmuskel d. Frosches (Rana temporaria). Remak, R,, Ueber d. genetische Bedeutung d. obern Keimblattes im Ei d. Wirbelthiere. Ueber den Rhythmus d. Furchungen im Froscheie. Ueber die sogen. Blut- körperchen haltenden Zellen. Schacht, Herm., Mikroskop.-chem. Unter- suchung d. Mantels einiger Aseidien. Schmidt, Ose,, Ueber d. Entwicklung von Limax agrestis. Vanbeneden, Un mot au sujet du developpement des Tetrarhynques. Wagener, R. Guido, Enthelminthica. I. Ueber Tetra- rhynchus. Wallach, J.,, Zur Lehre v. d. Herzbewegung. Weber, C. ®,, Notiz über eine Verbindung von Teleangiektasie, Fett- u. Fasergeschwulst. Weber, E. Fr., Ueber ein Verfahren, den Kreislauf des Blutes u. d. Function des Herzens willkührlich zu unterbrechen. Weber, E. H., Ueber die Ab- hängigkeit der Entstehung der animal. Muskeln von der der animal. Nerven; erläutert durch eine von ihm u. E. Weber untersuchte Missbildung. Die Anwend. d. Wellenlehre auf die Lehre vom Kreislauf d. Blutes u. insbesondre auf die Pulslehre. Zusätze zu d. Untersuchungen über d. Bau d. Leber. Weja, N, Beiträge zur feineren Anat. d. Leber. Zenker, W., Physiologische Bemerkungen über die Daphnoiden.

1852.

Bärensprung, Felix v., Die Temperaturverhältnisse d. Menschen im ge- sunden u. kranken Zustande. II. Bericht über d. Fortschr. d. vergleichenden Anatomie d. Wirbelthiere in d. Jahren 1845, 1846, 1847. Von Alexander Ecker. Bericht über d. Fortschritte d. mikroskop. Anatomie im J. 1851.

15

Von ©. B. Reichert. Bidder, F., Ueber functionell verschied. u. räumlich

getrennte Nervencentra im Froschherzen. Ueber einen aus eylindrischen Zellen zusammengesetzten Epithelialkrebs. Bois-Reymond, E. du, Ueber eine orthopädische Heilmethode des Schielens. Busch, Wilh., Einiges über die

Wirkung d. Musculus obliquus superior oculi. Gottsche, Beitrag zur Anat. u. Physiologie d. Auges der Krebse u. der Fliegen. (Mit Anmerk. von Joh. Müller.) Helmholtz, H.. Messungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. II. Ueber die Theorie der zusammengesetzten Farben. Karsten, Ueber d. Bau u. d. Bildung d. Nesselorgane von Cyanea. Keber, Beschreibung des Eingeweide-Nervensystems in der Teichmuschel (Anodonta). Krohn, A. Ueber d. Entwickl. der Ascidien. Leydig, Frz., Anatomische Notizen über Synapta digitata. (Mit Anm. von Joh. Müller.) Ueber Flimmerbewegung in d. Uterindrüsen des Schweines. Luschka, Die Anatomie der männlichen Brustdrüsen. Ueber das Wesen der Pacchioni- schen Drüsen. Müller, Joh, Ueber die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Rathke, H., Ueber das Verhalten der Carotiden -Stämme des Huhnes während ihrer Entwicklg. Bemerkungen über mehrere Körpertheile d. Coecilia annulata. Reichert, €. B., Zur Streitfrage über d. Gebilde d. Binde- substanz, über die Spiralfaser u. über den Primordialschädel. Remak, R., Ueber extracellulare Entstehung thier. Zellen u. Vermehrung derselben durch Theilung. Ueber d. Ganglien d. Zunge bei Säugethieren u. beim Menschen. Ueber die Entstehung d. Bindegewebes u. d. Knorpels. Ueber runde Blut- gerinnsel u. pigmentkugelhaltige Zellen. Schultze, Max. Ueber d. Entwick- lung von Opbiolepis squamata, einer lebendig gebär. Ophiure. Stannius, H,, Zwei Reihen physiolog. Versuche. Theile. Fr. W., Ueber d. Arteriensystem v. Simia Inuus. Volkmann, A. W,, Beleuchtung einiger von E. H. Weber angeregten Streitfragen über Blutdruck u. Blutbewegung. Wagner, Rud,, Ueber die Tastkörperchen, Corpuseula tactus. Wagener, R. Guido, Ueber einen neuen in d. Chimaera monstrosa gefundenen Eingeweidewurm, Amphi- ptyches urna Grube u. Wagener. Enthelminthica. II. Waller, A,, Sur la reproduction des nerfs et sur la structure et les fonetions des ganglions spinaux. Weber, H., Experimente über d. Stase an d. Froschschwimmhaut. Lenker, Wilh,, Untersuchungen über die Pycnogoniden.

1853. Bericht über d. Fortschr. d. mikroskop. Anatomie im J. 1852. Von C.B. Reichert. Berlin, W.. Ueber einen Wurm aus d. Gruppe d. Anguillulae, Enoplus quadridentatus. Notiz über d. in d. Leibeshöhle d. Synapta digitata

vorkommenden Körper. Donders, T. G,, Ueber d. Verhalten d. unsichtbaren Lichtstrahlen von hoher Brechbarkeit in d. Medien d. Auges. Fick, Ad,, u. Paul du Bois-Reymond, Ueber die unempfindl. Stelle d. Netzhaut im menschl. Auge. Fick, Ludw., Ueber die Adaption des Auges. Mit einer Nachschrift von Ad. Fick. Beitrag zur Temperaturtopographie des Organismus. Ueber die Architectur d. Schädels d. Cerebrospinalorganismen. Beitrag zur Mechanik d. Gehens. Grube, Ed,, Ueber d. Bau v. Peripatus Edwardsii. Kohlrausch, 0©.. Beiträge zur Kenntniss der Schilddrüse. Ueber d. Schwell- sewebe an den Muscheln d. Nasenschleimhaut. Ueber sogen. Infarkten. Krohn, A., Ueber die Brut d. Cladonema radiatum u. deren Entwicklung zum Stauridium. -— Ueber die Entwicklung d. Seesterne u. Holothurien. Ueber die Larve des Echinus brevispinosus. Ueber die Larve von Spatangus pur- pureus. Ueber einige niedere Thiere. Leydig. Fr., Histol. Bemerkungen über den Schlammpeitzger (Cobitis fossilis). Lusehka, H. Der Nervus spinosus. Meyer, Herm., Das aufrechte Stehen. I. Beitrag zur Mechanik des menschl. Knochengerüstes. Das aufrechte Gehen. I. Beitrag zur Mechanik des menschl. Knochengerüstes. Die Mechanik d. Kniegelenks. Die Indi- vidualitäten des aufrechten Ganges. Moleschott, Jac., Versuche zur Be- stimmung der Rolle, welche Leber u. Milz bei der Rückbildung spielen. Ueber die Entwicklung der Blutkörperchen. Ueber die Bildungsstätte des Zuckers im Thierkörper. Müller, Aug., Beobachtungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. Müller, Joh. Ueber die Gattungen der See- igellarven. Ueber den Bau der Echinodermen. Ueber die Semiten der

14

Spatangoiden. Peters, Wilh., Ueber das Kiemengerüst d. Labyrinthfische. Schlemm, Fr., Ueber die Verstärkungsbänder am Schultergelenk. Schultze, Max, Ueber Chaetonotus u. Ichthydium (Ehrb.) u. eine neue verwandte Gattung Turbanella Weber, E. H., Wiederlesung der von Volkmann gegen meine Abhandlung über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreis- laufe d. Blutes u. insbesondre auf die Pulslehre gemachten Einwendungen. Wyman, Jeilreys, Ueber das Auge u. das Gehörorgan bei d. blinden Fischen (Amblyopsis spelaeus, Dekay) aus der Mammuthshöhle.

1854.

Bericht über d. Fortschr. d. mikrosk. Anat. im J. 1853. Von C. B. Reichert. Burow, A. Der gelbe Fleck, im eignen Auge sichtbar. Castell, T,, Ueber das Verhalten d. Herzens in verschied. Gasarten. Glaparede, Ed,, Ueber Actinophrys Eichhornii. Fiek, Ludw., Bemerkungen zur Physiologie des Sehens. Frerichs, F. Th., u. 6. Städeler, Ueber das Vorkommen von Leuein u. Tyrosin in d. menschl. Leber. Ueber d. Vorkommen v. Allantoin im Harn bei gestörter Respiration. Horner, Fr., Ueber die normale Krüm- mung der Wirbelsäule. (Mit einer Nachschrift von Prof. Herm. Meyer in Zürich.) Jaeger, G.. Musculus lumbocostalis. Vergl. anatomisch untersucht. Krohn, A. Beobachtungen über Echinodermenlarven. Leydig, Einige Be- merkungen über den Bau der Hydren. Kleinere Mittheilungen zur thier. Geweblehre. Zoologisches. Lieberkühn, N., Ueber die Psorospermien. I. I. Luschka, H., Der lange Halsmuskel des Menschen. Der Musculus lumbocostalis des Menschen. Mayer (Bonn), Ueber die spontane Bewegung der Muskelfibrillen der niedern Thiere. Mazonn. J. F., Untersuchungen über die Gewebselemente der glatten Muskeln u. über die Existenz dieser Muskeln in der menschlichen Milz. Müller, Joh,, Ueber zahlreiche Poren- canäle in der Eikapsel der Fische. Ueber den Canal in den Eiern der Holothurien. Ueber verschiedene Formen von Seethieren. Reissner, E., Zur Kenntniss d. Schnecke im Gehörorgan d. Säugethiere u. d. Menschen. Remak. R., Ueber Wimperblasen. Ueber vielkernige Zellen der Leber. Ueber Eihüllen u. Spermatozoen. (Mit Anmerk. v. J. Müller.) Ueber die Zusammenziehung des Amnions. Ueber den Entwicklungsplan der Wirbel- thiere. Ueber Theilung thier. Zellen. Retzius, A. Ueber die künstlich geformten Schädel der alten Welt. Schmidt, Ose,, Ueber die Entwicklung von Cyclas calyculata (Drap.). Schneider, A., Beiträge zur Naturgeschichte d. Infusorien. -— Volkmann, A. W,, Erläuterung u. Rechtfertigung d. hydrau- lischen Grundsätze, welchen ich in meinem Werke über Haemodynamik gefolgt bin.— Weinland, David Fr., Ueber d. Beutelfrosch. Wittich, v., Die grüne Farbe der Haut unserer Frösche; ihre physiol. u. patholog. Veränderungen. Der Mechanismus der Haftzehen von Hyla arborea. Entgegnung auf Hrn. Harless’s „Ueber die Chromatophoren des Frosches.“ Ueber den Metall- glanz der Fische. Zimmermann, G., Ueber das Serum - Kasein.

1855.

Bergmann, (., Anthropotomische u. zootom. Notizen. Bericht über die Fortschr. d. mikroskop. Anat. im J. 1854. Von ©. B. Reichert. Busch, W,, Zur Anatomie d. Trichodina. Beitrag zur Histologie d. Nieren. Fick. L., Ueber die Form des Stethoscops.. Häckel, Ernst, Ueber die Eier der Scomberesoces. Krohn, A., Ueber d. Sprösslinge v. Autolytus prolifera Gr. Ueber die frühesten Entwicklungsstufen d. Pelagia noctiluca. Leuckart, Rud., Ueber die Micropyle u. d. feineren Bau d. Schalenhaut bei d. Insecteneiern.

Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Befruchtung. Leydig, Frz, Zum feinern Bau der Arthropoden. Der hintere Sklerotikalring im Auge der Vögel. Ueber Cyclas cornea Lam. Lieberkühn, N., Beiträge zur Anat.

der Nematoden. Luschka, H., Zur Entwicklungsgeschichte der Gelenke. Müller, Joh., Fortsetzung der Beobachtungen über die Metamorphose der Echinodermen. Müller, Max., Ueber die weitere Entwicklung von Meso- trocha sexoculata. Ueber Sacconereis Helgolandica. Retzius, A., Ueber den grossen Fetttropfen in den Eiern der Fische. Ueber den Schädel eines

IB

Pampas-Indianers. Schlossberger, Beiträge zur chemischen Kenntniss des Fötuslebens. Schultz -Schultzenstein, Ueber Selbstbewegung der Muskel- faser. Wundt, Wilh., Versuche über den Einfluss der Durchschneidung der Lungenmagennerven auf die Respirationsorgane.

1856.

Bericht über d. Fortschritte d. mikroskop. Anatomie im J. 1855. Von C. B. Reichert. Billreth, Th., Ueber foetales Drüsengewebe in Schild- drüsengeschwülsten. Busch, W, Phänomene aus dem Leben der Pigment- zellen. Donders, F. C., Kritische u. experimentelle Beiträge zur Hämo- dynamik. Fick, Ad,, Ueber d. Anheftung d. Muskelfasern an d. Sehnen. Fick, Ludw., Ueber das vas deferens. Filippi, Ph. de, Sull’ origine delle Perle. Uebersetzt u. mit auf eigene Untersuchungen gegründeten Anm. ver- sehen v. Dr. Fr. Küchenmeister. Encore un mot sur la formation des perles. Frerichs, Fr. Th. u. @. Städeler, Weitere Beiträge zur Lehre vom Stoffwechsel. Ueber die Umwandlung der Gallensäuren in Farbestoff. Gegenbaur, (., Bemerkungen über die Randkörper der Medusen. Heiden- hayn, Rud,, Historisches u. Experimentelles über Muskeltonus. Hirt, Ernst, Ueber das numerische Verhältniss zwischen d. weissen u. rothen Blutzellen. Krohn, A., Beobachtungen aus der Entwicklungsgesch. d. Pteropoden, Hetero- poden u. Echinodermen. Küchenmeister, Fr., Ueber eine der häufigsten Ursachen d. Elsterperlen u. ein zur künstl. Vermehrung ders. vorgeschlagenes Verfahren. Lachmann, (. F. J., Ueber d. Organisation d. Infusorien, bes. d. Vorticellen. Leydig, Frz., Ueber Tastkörperchen u. Muskelstructur. Lieber- kühn, N,, Beiträge zur Entwicklungsgesch. d. Spongillen. Beiträge zur Anat. der Infusorien. Ueber parasitische Schläuche auf einigen Insectenlarven. Zur Entwicklungsgesch. der Spongillen. (Nachtrag.) Zusätze zur Entwick- lungsgeschichte d. Spongillen. Luschka, H., Ein Musculus supraclavieularis beim Menschen. Die sensitiven Zweige d. Zungenfleischnerven d. Menschen. Mayer, Ueber spontane Bewegung der Muskelfibrille. Müller, Aug., Ueber die Entwicklung der Neunaugen. Reichert, C. B., Ueber die Micropyle der Fischeier u. über einen bisher unbekannten, eigenthüml. Bau des Nahrungs- dotters reifer u. befruchteter Fischeier (Hecht). Ueber die Müller-Wolff- schen Körper bei Fischembryonen u. über die sog. Rotationen des Dotters im befruchteten Hechteie. Remak, R., Ueber die Enden der Nerven im electrischen Organ des Zitterrochen. Schlossberger, Concremente aus dem Bojanus’schen Organ. Schultze, Max, Beobacht. über die Fortpflanzung der Polythalamien. Ueber den Bau der Gallertscheibe der Medusen. Volkmann, A. W., Erörterungen zur Hämodynamik mit Beziehungen auf die neuesten Untersuchungen von Donders. Weisse, J, F, Eine kleine Zugabe zu A. Schneider’s Beiträgen zur Naturgeschichte der Infusorien. Wittich, v,, Ueber Eiweiss- Diffusion. (Vorl. Mittheilungen.)

1857.

Baur, Alb., Zur Lehre v. d. Verknöcherung d. primordialen Knorpels. Bericht über d. Fortschr. d. mikrosk. Anat. im J. 1856. Von C.B. Reichert. Billroth, Th., Beiträge zur vergleich. Histologie der Milz. (laparede, Ed,, Anatomie u. Entwicklungsgesch. der Neritina fluviatilis. Fiek, Ludw., Hand u. Fuss. Fürstenberg, Ueber einige Zellen mit verdickten Wänden im Thier- körper. Fogenhaun, Peneikuzsen über Trachelius ovum E. Häckel, Ernst, Ueber die Gewebe des Flusskrebses. Hoppe, Felix, Ueber den Einfluss des Wechsels des Luftdruckes auf das Blut. Hoyer, H,, Ueber d. Eifollikel der Vögel, namentl. der Tauben u. Hühner. Klopsch, E., Ueber die um- spinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. Krohn, A., Aus der Ent- wicklungsgeschichte der Pteropoden u. Heteropoden. -— Ueber einen neuen Entwieklungsmodus der Ophiuren. Kunde, T., Physiol. Bemerkungen über den Scheintod. Lachmann, J., Ueber Knorpelzellen. Leydig, Frz., Ueber Hydatina senta. Lieberkühn, N., Beiträge zur Anatomie der Spongien. Luschka, H., Ueber eine gegliederte Verbindung d. Knorpels mit d. Knochen der ersten Rippe. Ueber den Rippenursprung des Zwerchfelles. Die

sw,

Nervi spheno - etimoidales. Müller, Joh., Ueber ‘die Fische, welche Töne von sich geben und die Entstehung dieser Töne. Reichert, C. B. Der Nahrungsdotter des Hechteies eine kontraktile Substanz. Retzius, A, Bemerkungen über das Antrum Pylori beim Menschen u. einigen Thieren. Schlossberger, J., Die Krystalle in d. Malpighi’scheu Gefässen d. Raupen. Volkmann, A. W,, Versuche über Muskelreizbarkeit. Wagener, 6. R., Ueber Dieyema Kölliker. Wundt, Wilh., Ueber die Elastieität feuchter elastischer Gewebe.

1858. Billroth, Th., Ueber das ausgedehnte Vorkommen von Nervenanastomosen im Tractus intestinalis. Ueber die Epithelialzellen der Froschzunge, den

Bau der Cylinder- und Flimmerepithelien und ihr Verhältniss zum Binde- gewebe. Boceius, Wilh,, Ueber d. obern Kehlkopf d. Vögel. Claparede, Ed,, Zur Anatomie des Cyelostoma elegans. Gegenbaur, Ueber die Organisation von Phyllosoma u. Sapphirina. Zur Kenntniss der Krystallstäbchen im Krustenthierauge. Gorski, Gonst., Ueber die Beckenknochen d. beschuppten Amphibien. Heidenhayn. Rud,, Ueber die Bewegungen d. Froschherzens. Heidenhayn, Rud., u. Aug. Colberg, Versuche über den Tonus des Blasen- schliessmuskels. Krauss, Zur Östeologie des surinamischen Manatus. Krohn, A. Ueber Pilidium u. Actinotrocha. Leueckart, Rud., u. Al. Pagen- steeher, Untersuchungen über niedere Seethiere. Lusehka, H., Das Neben- thränenbein des Menschen. Mettenheimer, C., Ueber Töne bei Knorpel- fischen. Müller, Joh., Geschichtl. u. krit. Bemerkungen über Zoophyten u. Strahlthiere. Rathke, H,, Ueber die Entstehung der bei manchen Vögeln u. den Krokodilen vorkommenden unpaarigen gemeinschaftlichen Carotis. Remak, R., Die Theilung der Blutzellen beim Embryo. Ueber peripherische Ganglien an den Nerven d. Nahrungsrohrs. Retzius, A., Ueber den gegen- wärtigen Standpunkt der Ethnologie in Bezug auf die Gestalt des knöchernen Schädelgerüstes. Sandberger. Guide, Einige conchyliolog. Beobachtungen. Schaaffhausen, D., Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. Schloss- berger, J., Beiträge zur chem. Kenntniss d. Fötuslebens. II. Schneider, A., Ueber die Entwicklung d. Phyllirhoe bucephalum. Ueber 2 neue Thalassi- collen v. Messina. Ueber einige Parasiten d. Holothuria tubulosa. Ueber (die Seitenlinien u. das Gefässsystem der Nematoden. Schultze, Max, Innere Bewegungs-Erscheinungen bei Diatomeen der Nordsee aus den Gattungen

Coseinodiseus, Denticella, Rhizosolenia. Ueber die Endigungsweise des Hörnerven im Labyrinth. Zur Kenntniss des den electrischen Organen verwandten Schwanzorganes von Raja clavata. Volkmann. A. W,, Versuche

u. Betrachtungen über Muskelcontractilität. Weber, Ed., Ueber d. Elasticität der Muskeln. Eine Erwiderung auf Volkmann’s Aufsätze: Versuche über Muskelreizbarkeit u. Muskelcontractilität. I

Namen - Register

- zum Verzeichniss der Abhandlungen in den Jahrgängen

1894 —-1858

des Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftl. Medizin

herausgegeben

von

Johannes Müller.

(Die grösseren Zahlen bezeichnen den Jahrgang, die kleineren die Seitenzahlen.)

\ Bois- Reymond, E. du, 1852. 541.

Agassiz, L., 1851. 122.

Ahrens, M., 1838. 259.

d’Alton, E., 1834. 346. 432. 528. 262540: 5:

Ascherson, F. M., 1837. 452. 44,

38.

40. 15.

Baer, K. E. v., 1834. 481. 510. 544. |

35. 224. 36. 384. Bardeleben, 1848. 497.

Baerensprung, Fel. v., 1851. 126. 52.

2. Barry. M., 1850. 529. Baumgarten, Aug., 1843. 463. Baumgärtner, 1835. 563. Baur, A., 1857. 347. Behn, F. W. G., 1835. 516. 554. Bendz, H.. 1841. 196. Benjamin, L., 1847. 239. Berg, Fr., 1842. 468.

Bergmann, 1839. 296. 41. 89. 126. 201.742. 92.145.2.296. 300. #9.:33. 50. 365. 55. 337.

Berlin, W., 1853. 431. 442.

Berthold, A. A., 1835. 378. 38. 46. 177. 386.

Betz, Fr., 1850. 65.

Bidder, F., 1839. 371. 40. 538. 41. 4A, 359. 45.46. 508. 48. 353. 52. 163. |

248. 42, 86. 102. 43. 372.

178. Biffi, 1847. 357.

Billroth, Th., 1856. 144. 57. 88. 58.

148. 159. Bischoff, Th. L. W.,

1. 38. 351. 486. 503.

43. 252. 46. 11 ATIEHUR:

37. 63. i 49. 42. 430.:50. 156. ı Colberg, A., 1858. 437.

1835. 347. 36. 41. 14. 20.

' Bois-Reymond, P. du, 1853. 396. Boccius, W., 1858. 614.

| Brandt, 1835. 500. 548. 37.320.

| Bruecke, E., 1841. 459. 42. 91. 178. A. 345 2 Mara 130,202 387. 46. 370. 379, "47. 225. 409. 477. 479. 48. 434.

| Budge, T., 1839. 389. 42. 367. AA. 1602246.°299. 27.0, 1.14. AS. 383. 50. 517.

|

|

|

Buehlmann, Fr., 1540. 442. Burmeister, H., 1835. 529. 613. Burow, 1838. 44. 230. 54. 166.

Busch, W., 1847. 180. 187.” 49. 400. 239 A590. 1325, 55. 357. 363. 56. 415.

CarussC. .G., 1834. 551... 35.32, 487. 37.442. 38. 536. 39. 245. 366. 41. 216. .43., 149.

| Castell, T., 1854. 226. | Claparede, E., 1854. 398. „57. 109.

98. 1.

Colberg, C., 1838. 129.

| Corti,.A,,.1850.- 223.

Cramer, H., 1848. 20. Creplin, 1840. 149. Czermak, N., 1849. 252.

' Deen, van, 1834. 477.

Desor, E., 1848. 511. 49. 79.

Dietrich, C©., 1841. 55.

ı Donn&, A., 1839. 182. ı Donders, T., C., 1853. 459. 56. 433.

ı Dulk, 1835. 428.

Ecker, A., 1844. 520. 45. 501. 506. Eckhard, C., 1847. 39. 49. 425. 51. 205. Edwards, Milne, 1834. 474. Ehrenberg, C. G., 1834. 562. 39. 80. Eichholtz, H., 1845. 320. 430. Engelhardt, E., 18541. 206. Erdl, 1841. 278. 421. 423. Erlach, ©. v., 1847. 313. Eschricht, D. F., 1834. 218. 222. 268. 36. 139. 97.37. 98573. 41.8. 437. 42. 84.

42. 303.

Waesebeck, F., 1839. 70. 40. 69. 42. 61:7473:

Fellenberg, L. R. v., 1841. 542.

Fick, A., 1853. 396. 449. 56. 425.

Fick, L., 1842. 19. 44. 431. 49. 151. 283..50.,526. 51. 385.59. 49.88.

408. 449. 54. 220. 55. 32. 56. 473.

aa Filippi, Ph. de, 1856. 251. 490. Fleischmann, 1843. 202. Frerichs, Fr. Th., 1848. 469. 54. 382. 393.. 56. 37. 55. Frey, H., 1845. 132. Fürstenberg, 1857. 1.

Gegenbaur, C., 1856. 230. 57. 309. 38: 13.32.

Gerlach, J., 1845. 378. 48. 102. 51. 431.

Gluge, G., 1837. 463. 42, 148.

Goeppert, H. R., 1842, 145.

Gorski, C., 1858. 382.

Gottsche, C. M., 1834. 457.. 35. 244. 433. 52. 483.

18

Haeckel, E., 1855. 23. 57. 469.

Hagenbach, E., 1838. 90. 41. 46.

' Halbertsma, H. J., 1847. 303.

40. 451. 47. 486. Hallmann, Ed., 1840. 467. 43. 475. ı Hannover, A.,

478. 482.

14. 283. 47. 148.28! Heckel, J., 1845. 534.

479. Hein, J. A., 1844. 297. ' Heine, Jos., 1841. 234.

50. 71. 276. 52. 199. 461. ' Henle, J., 38. 103. 39. 170. 385. 45. 369. ı Hirt, E., 1856. 174.

' Hoppe, F., 1857. 63.

Horn, H., 1850. 74.

Horner, Fr., 1854. 478.

_ Hoyer, H., 1857. 52. | Hück, A., 1840. 76. 82. ı Huschke, E., 1835. 335. Huxley, Th., 1851. 380. Hyrtl, J. 1843, 224.

|

Jaeger, G., 1839. 13. 42.433. 44, 70.

47. 415. 54. 160. Jordan, H., 1834. 410. 42. 46. | Jung, 1838. 446.

Grube, Ed., 1837. 237. 40. 24. 36. 38. |

42. 296. 48. 456. 497 47.50..141. 53. 322:

Gruber, W., 1847. 463. 48. 112. 51. 291.

Gudden, B., 1849. 522. Günsburg, 1845. 34. 50. 161. Günther, 1840. 270.

Gurlt, 1835. 399. 36. 262. Gueterbock, 1839, 184,

Keber, 1852. 76.

Klopsch, E., 1857. 417.

Kohlrausch, O., 1843. 365. 53.. 142. 149. 151.

Kölliker, A., 1843. 32. 68. 45. 518.

Köstlin, O., 1845. 60.

Krause, C., 1837. 1. 45. 524.

Krauss, 1858. 390.

39. 311. Hall, Marschall, 1834. 374. 39. 200. 1839. 338. 40. 320. 549. 42, 73. 281. 43. 314. 45. 467.

Harless, J. G. E., 1845. 43. 354. 46.

Heidenhayn, R., 1856. 200. 58. 437.

| Heintz, W., 1845. 230. 46. 383. 399. ı Helmholtz, 1843. 453. 45. 72. 48. 144.

1855. 574. 37. 74. 297.

ı Hoeven, van der, 1841. 221. 44. 433.

Karsten, H., 1848. 367. 375. 59, 73.

46. 300.

Krohn, A., 1837. 357. 479. 39. 332. 40. 381. 41. 1. 42. 418.

348. 353. 426. 43. 174. 51. 338. 344. 368. 52. 312. 583. 137. 255. 317. 361. 420. 54. 208. 55. 489. 491. 56. 515. 57. 369. 459. 58. 289,

Kronenberg, 1839. 360.

Krukenberg, Ad., 1843. 318. 49. 403. 420.

Küchenmeister, Fr., 1856. 251. 269.

Kunde, Fr., 1857. 280.

Kürschner, 1841. 103. 115.

Lachmann, C.F. J., 1856. 340. 57. 15.

Lebert, H., 1843. 217. 44. 190. 46. 120. 435.

Leidy, J., 1848. 527.

Leo, F., 1835. 419.

Leuckart, F. S., 1843. 24. 58. 558.

Levy, C. E., 1845. 22.

Leydig, Frz., 1850. 170. 51. 241. 52. 375 507., 53113. 284. 296. 55. 40. 47. 376. 57. 404.

Lieberkühn, N., 1848. 285. 1. 349. 55. 314. 56. 1. 20. 496. DT. 376.

Liebig, Gg., 1850. 393.

Loven, S., 1848. 531.

Ludwig, C., 1846. 171. 47. 139.

Luschka, H., 1850. 520. 52. 53. 445. 54. 103. 153: 55. 02.282. m. 3137.32 .333.

Luethi, J. C., 1840. 446.

242. 48.

101. 402. 481. 56. 58. 302.

19

Mertens, H., 1835. 500. Mettenheimer, C., 1850. 207. 417. 58. 302.

| Meyen, J., 1838. 357. 39. 74. 83. 255. Meyer, C., 1850. 510. ı Meyer, H., 1841. 210. 42. 12. 17. 43.

206. 45. 363. 48. 226. 49. 191. 292. 358. 51 202. 53. 9. 365. 497. 548. - 54. 478.

| Miescher, 1859. 220.

Mile, Joh., 1838. 387. 39. 64. Minter, W., 1835. 507.

ı Mitscherlich, C. G., 1836. 298. 37. 91.

3042 38.395. Moleschott, J., 1853. 56. 73. 86. Morganti, 1847. 357. Müller, Aug., 1853. 260. 56. 320.

Müller, Fr., 146. 138. 49. 286. ı Müller, Joh., 1834. 95. 296. 319. 35.

55. 9. |

21.2335. 54. 270. | 56.150. |

323. 54. 399. 494. ı Müller, Max, 1850. 439. 51. 323. 55.

' Nasse, H., 1839. 405.

Magnus, A., 1835. 214. 37.258. 38.95. |

Malmsten, P. H., 1848. 1.

Mandl, 1839. 250.

Marchand, R. F., 1837. 440. 38. 129. 39. 57. 90.

Martin, Ed., 1839. 222.

Mayer, (Bonn), 1834. 273. 42. 213. 44. 404. 409. 46. 96. 49, 583. 54. 214. 56. 321. |

Mazonn, F., 1851. 316. 54. 25.

Meckel, H., 1844. 473. 46. 1. 50. 234.

202.214. 39% 36. 66.434.273... 98. 224. 2 39,59. -40, 1. 1015, 41.223, 263. 329. 477. 42. 1. 193. 307. 414. 477. 43. 338. 396. 45. 456. 46. 101. 314. 47. 157. 363. 397. 48. 113. 49. 84. 364. 50. 117. 225. 452. 485. 51. 1.1271223532 92... 1.497. 519.533; 175. 472. 54. 60. 69. 186. 256. 55. 67. 57. 249. 58. 90.

1 ler

Nagel, 1856. 365.

Nasse, Fr., 1835. 196.

40. 259. 267. 41. 439. 43. 209.

Nicholson, 1837. 328.

Nordmann, 1839. 220.

Nuhn, A., 1848. 173.

©esterlen, Fr., 1840. 387. 42. 149. Otto, A. W., 1835. 190. Owen, R., 1835. 526.

| Pagenstecher, Al., 1858. 558.

Panizza, 1834. 300. Pappenheim, 1838. 1. 43. 443.

40. 346. 533.

' Patruban, CO. vs 18430NB.

Peters, Wilh., 1839. 280. 290. 40. 98. 15'375. 46. 480. 48. 492. 49. 272. 50.382.

143.141: 229. 42. 331.045. 53. 427.

Pflüger, Ed., 1851. 484.

Philippi, 1839. 301. 48. 45. 58.

Piper, G. O., 1842. 455. 43. 248.

Platner, E. A., 1838. 572. 44. 38. 94.

522. 525, 4592 845. Pockels, 1836. 193. Poiseuille, 1834. 365.

Purkinje, 1834. 385. 391. 35. 159. 36.

289. 38. 1. 45. 281.

app, W.v., 1839. 189. 363. 43. 19. Rathke, H., 1836. 170. 187. 37. 335.

468. 38. 361. 413. 482. 39. 227. 40, 44, 27. 46. 292. 333. 47.338. 50. 184. 203. 52,

145. 49, 122. 270, 307% 53 12, 31} Reichert, C. B.,

Eye, HT

Surl250H 7. 16. Reinhardt, 1846. 298. Reissner, E., 1854. 420.

Remak, R., 1836. 145. 39, 165. 41. 39. 197. 478. 76. 79. 102. 182. 51. 209. 480. 495. 52.47.58. 63. 115. 54. 99. 184. 252. 369. 374. |

446. 506. 44. 463.

49. 49.

182. 190. 132930:

376. 56. 467. 58. 178. 189. Retzius, A., 1834. 292. 35.161.

263. 388. 49. 154. 171. 57. 74. 58. 106.

Rinne, A., 1850. ı

Robert, H. L. F., 1842. 57.

Robin, Ch.. 1846, 120.

Romberg, 1838. 305.

Ruseconi, Mauro, 1836. 205. 278. 40. 185. 45. 241. 244. 44, 508. 46, 478.

Sandberger, G., 1858. 5. Sars, M., 1842. 330. Schaafthausen, 1858. 453. Schacht, H.,. 1851. 176.

18927..120°°41. 523. 46. 196. 47. Ss. 480. 48, 78. 49. 51. 29. 52. 521. 56.

20

1}

|

ı Stern, M., | Sticker, L., 1834. 202.

| Svitzer,

Schleiden, M. J., 1838. 137.

Schlemm., F., 1834. 91. 38. 262. 45. 465. 53. 45.

Schlossberger, J., 1844. 439. 47. 221. 55. 504. 56. 540. 57. 61. 58. 309.

Schmidt, O., 1846. 406. 51. 278. 54. ATS.

Schneider, A., 1854. 323. 4206.

Schön, 1840. 270.

Schönlein, Su 258. 39. 82.

Schultz, A. W. F., 1835. 431.

Schultz, C. H., 1859. 252.

Schultz-Schultzenstein, 1855. 265.

ı91. 58. 35. 38.

42. 121.

Schultze, Max, 1850. 53. 52. 37. 53. 241.56.165. 311. 58. 193.'330.343.

Schwann, Th., 1836. 66. 90. 44. 127.

Sebastian, 1835. 609.

Siebold, C. Th. v., 1836. 13. 232. 291. 37. 381. 38. 9.

Simon, Franz, 1839. 1. 10. 187. 41. 454. Ad. 28.30

Simon, G., 1839. 17. 40. 169. 41. 361.

42. 218. 44, 1. 46, 178.

, Spengler, 1844. 49.

Städeler, G., 1854. 382. 393. 56. 37. 55.

Stannius, H., 1835. 295. 37. 223. 39. 97. 40, 41. 352.. 41, 379. 42, 338. 378. 388. 390. 43. 36. 449. AT, 443. 48, 132. 397.. 405.408. 49. 1. 533: 588. 50. 501. 508. 52, 85.

Steifensand, C., 1835. I71.

36 | Stein, F., 1842, 238. 48. 182. 362.37. 486. 41, 403.497. 42, 193. 43. 14. 45. 84. 47. 499. 48. 233. 182. 429. 543. 554. 593. H4. 439. :55..34.'498:

1834. 225.

Stilling, 1841. 279.

Strahl, J. C., .1847. 207. 215. 48, 165. 337.

1839. 35. 45. 21.

Mellkampf, Th. G., 1844. 381.

| Thaer, A., 1850. 602. ' Theile, F. W., 1839. 102. 420. 47, 17.

52. 419.

' Thielmann, C. H., 1835. 511. ı Tiedemann, Fr., 1847, 490.

Tourtual, 1838. 316. 40, 151. 240. 44, : 452. 46. 346.

ı Tschudi, J. J. v., 1839, 220. 43. 471.

..44,.98. 45,277.

Valentin, 'G., 1834. 391. 401. 35. 159. 36. 162. 256. 38. 182. 526. 39. 139.

176. 402 194. 287. 291. 317. AL, 435.

542. 42. 25. 44898.

Vanbeneden, P. J., 1838, 296. AL, 176.

47,110 Sl.

Vogt, C., 1837, 69. 39, 39. 40, 71. AL.

25. 33. 49% 189.

Völckers, C., 1838. 60. 469.

Volkmann, A. W., 1838, 15. 373. 39. 233. 248. AU. 475. 332, 4% 0312, 43.1. 7AEs9. 407. 52. 287. 54.: 119.56. 21 38.215.

Vrolik, W., 1850. 597.

510. 41. 419. 45, 523. 57.

70. 274.

21

t li

Wagener, R. Guido, 1847. 193. 195. |

202. 51. 211. 52. 543. 555. 57. 354. Wagner, R., !834. 467. 35, 220. 311. 314.4373.'36. 60. 225.38. 291559,

493.

Wahleren, Fr., 1849. 688.

Waller, A., 1852. 392.

Wallach, J., 1851. 21.

Walther, A. v., 1842, 444. 44, ati. 46. 149.

Weber, C..O©., 1851. 74.

Weber, Ed., 1835. 535. 36. 54. 47. 232. 51. 88. 497. 58. 506.

Weber, E. H., 1835. 152. 37. 38,450. 43, 303. 46. 421. 429. 483. 47. 232. 342. 400. 403. 49, SL 5417 55th

Weber, H., 1852. 361.

Weber, M. J., 1840, 236.

Weinland, D. F., 1854, 449.

Weisse, J. F., 1856. 160.

Weja, N., 1851. 79.

Wendt, A., 1-34. 278.

Wicke, E. C., 1848. 224.

Will, Fr., 1843. 349. 353. 44, 76.

will, J. G. Fr., 1848. 502.

Windischmann, Ch., 1841, 176.

Wittich, W.v., 1849, 113. 54. 41. 170. 257. 265. 56. 286.

267. 418. 23.

. Wöhler, F., 1844, 436. ' Wundt, W., 1855. 269. 57. 298.

Wutzer, €. W., 1834, 305. 311. 451. 33. 385. 42. 424. 51. 74. Wyman, Jeffreys, 1853, 574.

Denker, W., 1850. 193. 51. 112. 52,

379. Zimmermann., G., 1854, 377.

Verzeiehniss der Jahresberichte ın den Jahrgängen 1884 1858 des Archw.

(Die grösseren Zahlen bezeichnen das Jahr, auf welches der Bericht sich bezieht, die kleineren Zahlen in Parenthese den Jahrgang, welcher den Bericht enthält.)

Bischoff, Th. L. W, Bericht über die Fortschritte der Physiologie in den Jahren: 1838. (1839). 1839. (1840). 1840. (1841). 1841. (1842). 1842. (1843). 1843. (1844). 1844. 1845. (1846). Ecker, Alex. Bericht über die Fortschritte der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere in den Jahren: 1845. 1846. 1847. (1852). Hannover, Ad. Beiträge zum Jahresbericht aus d. scandinavischen Literatur in den Jahren: 1839. 1840. (1841). 1841. 1842. 1843. (1844). Henle, J, Bericht über die Fortschritte der physiolog. Patho- logie und patholog. Anatomie in den Jahren: 1836. 1837. (1838). 1838. (1839). Krause, ©. Bericht über die Fortschritte der menschlichen Anatomie in dem Jahre: 1838. (1839). Müller, Joh. Bericht über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie in den Jahren: 1833. (1834). 1834. (1835). 1835. (1836). 1836. (1837). 1837. (1838). —— —— Bericht über d. Fortschritte d. mikroskop. Anatomie und der vergleich. Anatomie der Wirbelthiere in d.J.: 1838. (1839). —— —— Bericht über die Fortschritte der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere in den Jahren: 1839. (1840). 1840. (1841). 1841. (1842). 1842. (1843). 1843. (1844). 1844. (1845). Reichert, €, B. Bericht über d. Fortschritte d. mikroskopischen Anatomie in den Jahren: 1839. 1840. (1841). 1841. (1842). 1842. (1843). 1843. (1844). 1844. (1845). 1845. (1846). 1846. (1847). 1847. (1848). 1848. (1849). 1849. (1850). 1850. (1851). 1851. (1852). 1852. (1853). 1853. (1854). 1854. (1855). 1855. (1856). 1856. (1857). | Siebold, €. Th. von. Bericht über die Leistungen im Gebiete der Anatomie u. Physiol. der wirbellosen Thiere in d.)J.: 1838. (1840). 1839. 1840. (1841). 1841. (1842). 1842. (1843). 1843. 1844. (1845). Tourtual. Bericht über die Leistungen auf .d. Gebiete d. Physio- logie der Sinne, insbes. des Gesichtssinnes in d. J.:

1838. (1840). 1839 bis Mai 1842. (1942).

Gedruckt bei E. Polz in Leipzig.

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste aus dem Neanderthale.

Von

Taomas H. Huxrry.

——

Aus dem Juli-Heft 1864 (No. XV.) der „Natural history Review“, übersetzt von Professor Dr. Fuhlrott in Elberfeld.

Seitdem der merkwürdige Schädel, welcher in einer Höhle des Düsselthals entdeckt wurde, der besonderen Aufmerksam- keit der englischen wissenschaftlichen Welt in den Blättern die- ses Journals empfohlen worden war, ist er der Gegenstand vie- ler Erörterungen und sogar nicht weniger besonderer Commen- tare geworden, von denen einige meiner Verantwortlichkeit an- heim fallen. Theils aus diesem Grunde, theils wegen des dem Gegenstande inne wohnenden Interesses, habe ich mir vorge- nommen, über die vier Abhandlungen über den Neanderthal- Schädel, die mir die wichtigsten zu sein scheinen, Bericht zu erstatten und meine Bemerkungen hinzuzufügen. Es sind dies die von Prof. King, von Prof. Mayer, von Prof. Schaaff” hausen und die von Mr. Turner.

I. Professor King ist der Ansicht, dass die Verschiedenhei- ten zwischen dem Neanderthal-Schädel und allen anderen menschlichen Schädeln so bedeutend sind, dass er nicht nur vollkommen überzeugt ist, derselbe gehöre wenigstens zu einer

besonderen Species Homo Neanderthalensis - sondern am Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 1

2 Thomas H. Huxley:

Ende seiner Mittheilung sich zu der Annahme sehr geneigt fühlt, „dass derselbe nicht nur specifisch, sondern generisch vom menschlichen Schädel abweiche“, indem er zu erwägen giebt, dass er hinlänglich bewiesen habe, „wie der Schädel nicht blos in seinen allgemeüren, sondern auch in seinen besonderen Eigen- schaften, die stärkste Aehnlichkeit mit dem Affen aufweise. Nur einige wenige Puncte annähernder Aehnlichkeit zwischen ihm und dem menschlichen Schädel hätten nachgewiesen wer- den können und diese reducirten sich streng auf den mensch- lichen Schädel im Zustande des Foetus.“

Da der ganze Zweck meiner Abhandlung über diesen Ge- genstand war, einen Satz zu beweisen, welcher dem des Prof. King geradezu entgegensteht, nämlich, dass es möglich ist, unter den menschlichen Schädeln der Jetztwelt eine Reihe aus- zuwählen, welche durch unmerkliche Uebergänge von dem Nean- derthal-Schädel zu den gewöhnlichsten Formen hinüberleitet, so muss ich mich auf die Beweisgründe beziehen, die dort an- geführt sind, indem ich mich damit begnüge, Prof. King zu versichern, dass ich nicht im Geringsten eine Aehnlichkeit an- genommen habe, die stärker wäre, als diejenige, welche zwi- schen gewissen australischen Schädeln und dem Neanderthal- Schädel existirt. Ich werde mich im Gegentheil bemühen, am Schlusse des gegenwärtigen Artikels durch weitere Zeugnisse darzuthun ‚. dass ein Abguss des Inneren des Schädels, welcher das Gehirn des Neanderthal-Menschen darstellt, sogar eine stärkere Aehnlichkeit in der Form mit einem Abguss des In- neren eines besonderen australischen Schädels aufweist, als das Aeussere. |

Il. Professor King, wie wir soeben gesehen, betrachtet den Neanderthal-Menschen wenigstens als neue Species, vielleicht als den Typus einer neuen Gattung. Geh. Rath Prof. Mayer in Bonn geht bis zum anderen Extrem in der Scala der An- siehten und stellt die Vermuthung auf, dass der fragliche Schä- del nichts weiter sei, als der eines verwachsenen „Mongolischen Kosacken“, der einer jener Horden angehörte, die von Russ- land im Jahre 1814 durch Deutschland nach Frankreich getrie- ben wurden.

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s.w. 3

Ich hatte geschrieben, dass Prof. Mayer im Ernst diese Hypothese aufgestellt habe, aber ich habe den unterstrichenen Ausdruck beseitigt; denn in der That hat der Aufsatz kein ernsthaftes Gepräge, sondern ist mit zahlreichen Scherzen von gewöhnlichem Schlage, aber von bedeutenden Ansprüchen über- laden, die gegen Mr. Darwin und seine Lehren gerichtet sind. Solche Fusstritte werden jenen kranken Löwen wenig kümmern; aber man muss bekennen, dass sie auch wenig geeignet sind, zur zarten Behandlung des Angreifers zu stimmen. Und doch, wie ich weiterhin zeigen werde, wurde es dem gelehrten Pro- fessor schwer, Angriffe von solcher Heftigkeit und so wenig Berechnung zu wagen.

Der einleitende Passus seines Aufsatzes z. B. enthält eben- soviel Irrthümer als Sätze.

„Der Fund dieser fossilen Fragmente eines Menschen-Ske- letes oder eigentlich nur der des Schädelfragmentes hat neuer- lich eine so grosse Aufmerksamkeit bei den Naturforschern Englands erregt und sind von diesen darauf, ohne davon mehr als die von Prof. Schaaffhausen (in Müller’s Archiv 1858) in kleinem Maassstabe gelieferte Abbildung der Calvaria des Schädels zu kennen (1), so weitgreifende Folgerungen gebaut wor- den, dass ich mich bewogen finde, meine Untersuchungen an diesen fossilen Ueberresten, welche auch mir, bald nach ihrer Auffindung, auf mein Ersuchen an den Bewahrer derselben, Prof. Fuhlrott in Elberfeld, zur Ansicht mitgetheilt wurden, hier noch nachträglich folgen zu lassen. Prof. Huxley erklärt namentlich, dass der fossile Schädel der Düsselthalhöhle dem des Affen unter allen bis jetzt als vorweltlich erkannten Schä- deln am ähnlichsten sei (2). Dabei und als diesen Satz be- weisend, spricht der berühmte Physiologe von einer kurzen Pfeilnaht, welche doch aussen und innen nicht mehr vorhanden und bei der dolichocephalen Form des Schädels früher jeden Falls lang war (3), ferner von einem Mangel an Raum für die hintern Lappen des Grosshirns, da doch die Calvaria des Schädels eine nicht unbeträchtliche Wölbung des oberen Thei- les der Hinterhauptschuppe zeigt (4). Ein homo pithecoides

L*

4 Thomas H. Huxley:

‚hätte also demnach vorweltlich in dieser Felsenhöhle, die klei- nere Feldhofgrotte genannt, als Troglodyte (5) gewohnt!?*“

Ich beabsichtige über die mit Nummern bezeichneten Theile des vorstehenden Passus meine Bemerkungen zu machen.

1. Es ist keineswegs wahr, dass die englischen Naturforscher ihre Betrachtungen auf die Abbildungen des Prof. Schaaff- hausen basirt. haben; denn, wie ich bei zwei Gelegenheiten öffentlich dargelegt habe, ist Dr. Fuhlrott so freundlich ge- wesen, uns sowohl Photographieen als Abgüsse zugehen zu lassen (vergl. „Lyell’s Antiquity of Man“, p. 82, und „Man’s Place in Nature“, p. 141).

2. Weder ich, noch, soviel ich weiss, irgend ein anderer englischer Anatom, hat jemals in Betreff des geologischen Alters des Neanderthal-Schädels, oder irgend eines anderen Schädels eine Ansicht ausgesprochen, sondern ich habe die Richtigkeit der Schlussfolgerungen Sir Ch. Lyell’s angenommen. Was ich behauptet habe und immer behaupte ist, dass der Schädel unter allen menschlichen Schädeln, die ich jemals gesehen habe, derjenige ist, welcher dem Affen am nächsten kommt, ohne mich dabei auf irgend eine Frage hinsichtlich seines Alters einzulassen.

3. Da ich sehe, dass nach Prof. Mayer’s eigenen Angaben die Kron- wie die lambdaförmige Naht vorhanden sind, so ist es durchaus von keiner Wichtigkeit für die Bestimmung der Länge der Pfeilnaht, ob sie noch zu unterscheiden ist oder nicht, da jene Naht weder länger noch kürzer sein könnte, als der Abstand zwischen der mittleren Partie der Kron- und lambdaförmigen Naht, welcher, wie ich schon gesagt habe, nur 4!/, Zoll beträgt. Aber wenn der Schädel im Original wirklich keine Spuren von der Pfeilnaht aufweist, so kann ich weiter nichts sagen, als dass Dr. Fuhlrott’s Abguss, den ich vor mir habe, die Täuschung veranlasst, da er allem Anscheine nach sehr geringe Spuren jener Naht zeigt, obgleich diese nicht so kenntlich ist als die Kronnaht und viel weniger in die Augen fällt, als die lambdaförmige Naht.

4. Ich muss fragen, was hat die Wölbung der Calvaria in der Supraoceipitalgegend mit dem Mangel an Raum für die

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s.w. 5

hinteren Lappen des Gehirns zu thun? Sicherlich steht doch ein locales Hervortreten nicht im Widerspruch mit der abge- platteten Form des ganzen Schädels? Und ich habe mir be- sondere Mühe gegeben, darauf hinzuweisen, dass trotz der ab- geplatteten Beschaffenheit des Hinterhaupts die hinteren Ge- hirnlappen sich bedeutend über das kleine Gehirn hinaus er- streckt haben müssen“ („Man’s Place etc.“ p. 143.)

5. Was den letzten Satz betrifft, (wenn er sich auf irgend eine muthmassliche Ansicht von mir bezieht) so kann ich ihn nur dadurch erklären, dass ich voraussetze, Prof. Mayer habe mir nicht die Ehre erwiesen das zu lesen, was ich über den Gegenstand veröffentlicht habe. Wenigstens ist es mir unbe- greiflich, wie er so hätte schreiben können Angesichts der. bei- den Sätze, die ich hier wörtlich anführen will:

„Ian keiner Hinsicht können demnach die Neanderthal-Kno- chen als die Reste eines menschlichen Wesens angesehen wer- den, das in der Mitte stände zwischen Menschen und Affen (Man’s Place etc. p. 157).

„Schliesslich darf ich sagen, dass die fossilen Reste des Menschen, welche bisher entdeckt worden sind, uns meiner Ansicht nach der Affengestalt nicht merklich näher bringen, durch deren Modification der Mensch wahrscheinlich geworden ist, was er ist.“ („Man’s Place etc. p. 189.)

Nach den ziemlich verfehlten einleitenden Bemerkungen, die ich soeben angeführt habe, geht Prof. Mayer auf eine Mit- theilung der Resultate seiner eigenen Beobachtungen an dem Schädel: über. Diese gebe ich in ihrer ganzen Ausdehnung, um dem kundigen Leser die Mittel an die Hand zu geben, durch Vergleichung mit dem, was bereits vorliegt, seine eigene Ansicht über den Werth der Beiträge des Prof. Mayer zur Erweiterung unseres Wissens zu bilden.

„Der vorliegende obere Theil des Schädels oder die Calva- ria ist dolichocephal, indem der Längendurchmesser derselben vom Arcus superciliaris bis zur Spina oceipitalis 7 '' 9''' beträgt. Die Circumferenz-Linie der Calvaria verläuft so, dass auf den sehr beträchtlichen Vorsprung der arcus superciliares eine Ein- buchtung der Stirne folgt, darauf diese sich wieder etwas wölbt,

6 Thomas H. Huxley:

wieder einsinkt und nun um etwas steigend eine platte Schei- telwölbung bildet, die nach hinten absteigend sich wieder ein- buchtet und sodann als beträchtliche Wölbung von der Spitze der Hinterhauptschuppe an, deren Sutura lambdoidea äusserlich und innerlich, obwohl nur schwach, sichtbar ist, nach abwärts reicht, fast noch die ganze Hinterhauptschuppe einnehmend. Die schöne Wölbung des Hinterhauptbeines ist noch dadurch merkwürdig, dass dessen Crista und Spina nur wenig vorsprin- gen, was auf schwache Entwickelung der Nackenmuskeln, nicht wohl auf die Wildheit eines vorgeblichen Zeitgenossen des Go- rilla’s, sondern mehr auf niedergedrückten Sklavensinn des Düs- selthal-Troglodyten einen Schluss erlauben könnte.“

Ich habe nun aber an einer anderen Stelle (Man’s Place etc. p- 142) Dr. Fuhlrott zu dem Ende citirt, dass die obere halb- cirkelförmige Linie einen sehr starken Höcker am Neanderthal- Schädel bildet, und ich finde, dass diese Angabe von dem Be- sitzer des Schädels durch den Abguss vollständig bestätigt wird. In diesem Puncte, wie in vielen anderen, bietet der Neander- thal-Schädel eine auffallend australisches Aussehen, obgleich ich nicht wage, aus diesem Grunde irgend eine besondere Verwandt- schaft zwischen dem Menschen, dem er angehörte, und der australischen Race zu folgern.

Ich würde mich nicht auf besonders sicherem Boden fühlen, wenn ich versuchte, Prof. Mayer in seiner Diagnose der gei- stigen Eigenthümlichkeiten nach dem Zustande der Spina und Crista des Oceipitalknochens zu folgen. Aber wenn man den „niedergedrückten Sklavensinn* eines Menschen von dem Zu- stande der Muscularhöcker an seinem Hinterkopfe ableitet, so schmeckt das sicherlich mehr nach jenem Hange, „weitgreifende Folgerungen zu ziehen“, dessen Prof. Mayer die englischen Naturforscher anklagt, als irgend etwas, was auf dieser Seite des Canals gesagt worden ist. Aber wir wollen Prof. Mayer weiter hören:

„Diesem entsprechend, ist natürlich von keiner Crista sagit- talis oder einem Vorragen daselbst die Rede, und ist die Stelle der Pfeilnaht vielmehr eingesunken. Ich möchte sagen: zeigt mir einen fossilen Menschenschädel mit Crista sagittalis,

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s.w. 7

wie die des Orang-Outang (dessen Männchen, das Weibchen besitzt selbe nur schwach, s. Mayer in Troschel’s Archiv für Naturgeschichte 1845), so will ich Euch unsere Abstammung von dem Urahn Pithecus zugeben.“

Aber ist es denn wirklich nothwendig, eine sagittale Crista zu tragen, um daraus einen Anspruch auf eine Abstammung vom Affen herzuleiten? Glaubt nicht Prof. Mayer selbst, dass die Chimpansen von einem „Urahn Pithecus* abzuleiten sind?. Und doch fehlen ihnen die Beglaubigungsschreiben, auf die er Nachdruck legt, da niemals Einer fähig gewesen ist, „eine Crista sagittalis, wie die des Orang-Outang* daran nachzuweisen.

Und Prof. Mayer scheint einen Umstand nicht zu kennen, welcher seine Beweisführung noch unhaltbarer macht, dass näm- lich gewisse männliche Orang-Outangs gar keine Sagittalerista haben! Prof. Mayer fährt fort:

„Ferner ist die Linea semieircularis der Schläfen ebenfalls nur schwach angedeutet, was auf schwachen Kaumuskel (musc. temporalis) hindeutet. Die Calvaria besitzt zwar eine feste Consistenz und den fossilen Knochen eigne Härte und Glätte, sowie bräunliche Färbung, zeigt aber keine Hyperossification, sondern zwei Lamellen mit nach hinten zunehmender Diploe, so dass sie an der Seitenwand 2, am Oceiput 3 ' Dicke hat. Auch die innere Oberfläche der Calvaria spricht nur für mässige Stärke der Knochenbildung, indem die Falx frontalis nur wenig vortritt, die Falx sagittalis gänzlich fehlt, die Falx cerebelli ossea schwach entwickelt ist und die Eindrücke der Gyri ce- rebri als Impressiones digitatae, namentlich zwei Vertiefun- gen an der innern Lamelle den Arcus supereciliares entspre- chend, und kleinere Impressiones am Seitenwandbein noch wahrnehmbar sind. Die Fossa oceipitalis superior für die hin- teren Lappen des Grosshirns ist links tief aber schmäler, rechts breiter aber flach. Die Rinne der Arteria meningea wedia ist unten noch vorhanden, verschwindet aber nach oben. Die Fossae der Glandulae Pacchionii zeigen sich besonders rechts neben der Stelle der Sutura sagittalis ziemlich gross. Ich füge noch hinzu, dass die Fossa ossea für die Glandula lacrymalis am Jochfortsatz des Stirnbeins auf beiden Seiten sehr merk-

8 Thomas H. Huxley:

lich tief ist. Es ist also eine besonders starke Knochenent- wickelung nicht vorhanden, das Verschwinden der Sutura sagit- talis nach Aussen und Innen, die Schwäche der Sutura lamb- doidea, bestätigen diesen Mangel von Knochenwucherung. Die bisher angeführten Charaktere unseres Schädelfragmentes spre- chen somit durchaus nicht für affenähnliche Bildung dessel- ben. Ist dieses aber nicht von dem grossen und breiten Vor- springen der Augenbraunbogen , worauf von Prof. Schaaff- hausen und Huxley ein so grosses Gewicht gelegt wird, der Fall? Man hat an den Arcus superciliares die Tuberositas seu Crista supereiliaris und die Wölbung der Stirnhöhlen hinter jenen wohl zu unterscheiden. Beide können unabhängig von einander bestehen. Die Crista superciliaris kommt bei den Affen, bei dem Gorilla besonders stark, vor und giebt dem Ge- sichte den wildthierischen Ausdruck, während gleichzeitig die Sinus frontales völlig mangeln! Bei unserm Neanderthal-Schä- del ist dagegen keine Crista supereiliaris zugegen, wie solche häufig bei menschlichen Schädeln mit Exostosis der Diplo& an- getroffen wird, wo sodann die Sinus frontales fehlen und die beiden starkknochigen Laminae des Os frontis fest aneinander anliegen. Es ist folgeweise auch durch dieses Vorspringen der Arcus superciliares unseres Schädelfragmentes eine Annäherung zum Affen- oder Gorilla-Typus nicht gegeben.“

Ich muss bekennen, dass es mir äusserst schwer wird, die Wichtigkeit einiger der Argumente zu erkennen, die Professor Mayer vorbringt.

Bei welchen der höheren Affenarten Gorilla, Chimpanse oder Orang-Outang hat er eine knöcherne falx sagittalis oder falx cerebelli angetroffen? Und wenn diese bei den Affen nicht anzutreffen sind, was hat dann ihr Nichtvorhandensein am Nean- derthal-Schädel mit der Frage zu thun?

Ferner, bei den höheren Affenarten verschwinden die Nähte mit dem Alter ganz und gar; wie kann denn ihr anerkanntes Nichtvorhandensein am Neanderthal-Schädel Zeugniss abgeben gegen seinen affenähnlichen Charakter?

Noch viel schwieriger finde ich es zu verstehen, wie die Verwachsung und das Verschwinden der Nähte angesehen wer-

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s.w. 9

den kann als herrührend von einem Mangel an Knochensub- stanz. Wenn das Argument irgend einen Werth hat, so sollte ich denken, dass es für die entgegengesetzte Ansicht spräche, da es doch in die Augen fällt, dass mehr Knochensubstanz er- forderlich ist, um eine Naht zu schliessen, als sie offen zu lassen.

' So scheint mir denn der erstere Theil des oben angeführ- ten Passus unerheblich zu sein; der letztere Theil ist dagegen erheblich genug, aber er ist unglücklicherweise nicht correct.

Zu dem Satze „die Crista superciliaris ist bei den Affen, besonders bei dem Gorilla, stark und giebt dem Gesichte sei- nen wilden Ausdruck, während zugleich die Frontalsinus nicht vorhanden sind* hat Prof. Mayer im Original ein Ausru- fungszeichen hinzugefügt. Und er hat wohl daran gethan; denn dasselbe drückt mit grosser Genauigkeit die Ueberraschung des Lesers aus, der zufällig weiss, dass sowohl beim Gorilla, wie beim Chimpanse die Frontalsinus existiren können, und bfswei- len weit grössere absolute und relative Dimensionen erreichen, als beim Menschen. In diesem Augenblick sind im Museum des königlichen Collegiums der Aerzte zwei aufgesägte Schädel zu sehen, der eine von einem Gorilla, der andere von einem Chimpanse, bei denen die Frontalsinus enorm entwickelt sind, während ihre Wände verhältnissmässig nicht dicker sind, als beim Menschen.

So weit über Prof. Mayer’s factische Angaben und Erör- terungen über den Neanderthal-Schädel; ich komme hiernach zunächst auf seine Bemerkungen über die anderen mit dem Schädel gleichzeitig aufgefundenen und zu demselben gehörigen Knochen.

„Das (linke) Darmbein besitzt nur mehr einen Theil des os ilıum, welcher oben beschädigt ist. Die Spina anterior supe- rior desselben ist stark, ebenso seine Crista, die Grube des Darmbeins tief, die Linea innominata vorspringend; das os pu- bis fehlt grösstentheils, das Acetabulum ist geräumig, die Inei- sura ischiadica major gross, aber schmal, die Incisura ischiadica minor und ihre Spina nicht mehr vorhanden, die Tuberositas ossis ischii ist sonderbarer Weise aufwärts, vorwärts und ein-

10 Thomas H,. Huxley:

wärts gedreht, dabei mässig stark. Die beiden Oberschenkel- beine sind gleichmässig gebildet, gegen 17° Zoll, also mittel- mässig lang, stark, dick und schwer. Sie sind beide nach vor- wärts convex gebogen und unten etwas einwärts gedreht. Diese Biegung ist nicht normal, und bemerkt man sie, wie auch die erwähnte Einwärtsbiegung der Tuberositates ossis ischii, bei Männern, welche von früher Jugend an als Reiter herangewach- sen sind. Der Winkel des Femur beträgt 110°, sein condylus ist stark, ebenso der trochanter major et minor, die Crista glu- taeorum scharf, der Condylus internus genu vortretend, und beide tubera dieser condylı stark. Das rechte Oberärmbein ist 11 Zoll 9 Linien lang, etwas an der oberen Hälfte gekrümmt; es ist fest und schwer, aber normal, das Tuberculum maj. et minus und die Linea aspera sind stark vortretend, ebenso der Condylus internus extensorius und die Trochlea nach Unten; die Fossa ant. major et minor, so wie besonders die Fossa poste- rior am untern Gelenkende tief. Von der Ulna dextra ist blos das obere Dritttheil erhalten. Dieses ist nach hinten con- vex; Oberarm und Processus coronoides sind normal, die Fossa sigmoidea et semilunaris ebenfalls. Der Radius würde daher, wenn er ganz wäre), 10'/, Zoll betragen. Die Knochen des linken Armes zeigen aber einen merkwürdigen Zustand. Vom Humerus sinister ist leider nur das mittlere und untere Drit- theil da. Dieses ist dünner als am rechten Humerus, die Linea aspera jedoch stark, dagegen der Condylus externus und inter- nus im Brachialende schwächer. Die Trochlea ist uach vorn knorrig aufgetrieben, nach hinten scharf gerandet, der Processus capitatus zwar klein, aber ebenfalls rauh und knorrig. Die Fovea anterior humeri major ist breit und gross; die Fovea minor fast platt; die Fovea posterior besonders tief und breit. Der Radius sinister fehlt, er kann aber nur 8 Zoll 4 Linien betragen haben. Die ganz vorhandene Ulna ist nämlich nur 9 Zoll lang, also um 1'/, Zoll verkürzt, indem sie, wenn nor- mal, 10'/, Zoll lang sein dürfte. Ihr Olekranon ist sehr gross,

1) Es ist wohl die Ulna gemeint. Prof. Schaaffhausen nennt den rechten Radius ganz, ohne seine Länge anzugeben.

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s. w. ul

diek und knorrig, ihre vier Gelenkeindrücke sind ungleich, und der Processus coronoides stark vortretend. Die Fovea semilu- naris für das Capitulum radii nur undeutlich. Die ganze Ulna ist ihrer Länge nach verdreht, so dass eine fixe Pronation des Vorderarmes stattfand, der Radius vorwärts, die Ulna auswärts zu stehen kam. Die Extremitas carpalis ulnae zeigte nichts unregelmässiges.*

Die Folgerung des Prof. Mayer aus diesen Missbildungen (von welchen, wie bemerkt werden muss, Prof. Schaaffhau- sen bereits eine hinreichende Erklärung gegeben hatte) ist, dass der Neanderthal-Mensch ein verwachsenes Individuum!) gewe- sen sei, eine Erklärung, welche den Eigenthümlichkeiten der Gliedmassen Rechnung tragen mag, aber so weit ich sehen kann, nicht denen des Schädels. Prof. Mayer möchte über diese Schwierigkeit indess mit Leichtigkeit hinweggehen; denn er sagt (a. a. O. S. 5):

„Die Wölbung der Augenbrauenbogen ist zum Theil, wie der Vorsprung der Crista, durch den Musculus corrugator super- eiliorum veranlasst, aber es braucht dieser dort nur schwach zu sein, wo der Muskel nur die bereits vorgetretene äussere La- melle des Stirnbeins zu heben hat.“

Eine strenge Kritik möchte vielleicht etwas allzu Mechani- sches in der Physiologie des Prof. Mayer finden; aber, die Prämissen zugegeben, so ist die Folgerung richtig. Man gebe uns ein rhachitisches Kind mit der schlechten Gewohnheit des Grinsens, etwa herrührend von inneren Blähungsbeschwerden, denen solche Kinder besonders ausgesetzt sind, und das Ergeb- niss wird ein Neanderthal-Mensch sein! Wahrlich, eine „weitgreifende Folgerung “!

. Nachdem der Mensch nun abgethan ist, so ist die nächste Schwierigkeit, ihn in die Grotte zu bringen, und in den Lehm- schutt zu begraben, welche den Boden derselben bedeckt.

Prof. Mayer giebt zu, dass die Knochen von wenigstens zwei Fuss hohem Lehm bedeckt waren ‘und in ungestörter Lage

1) Prof. Schaaffhausen, im Gegegtheil, unterlässt nicht, zu bemerken, dass die Ulna keine Spur rhachitischer Erkrankungen zeige.

12 Thomas H. Huxley:

zu einander sich befanden. (S. 19. 20.) Er ist völlig überzeugt, dass sie nicht durch Wasserfluthen in die Höhle geschwemmt, oder in alten, vielleicht vorkeltischen Zeiten begraben wurden, weil die Gebeine anderer Leichen und die sonstigen Attribute alter Gräber hier gänzlich fehlen. Daraus schliesst er, dass der Neanderthal-Mensch in die Höhle hineingekrochen sein muss, um dort zu sterben. Hieraus ergiebt sich für uns die Noth- wendigkeit, zu fragen: wie fing es dieser sonderbare Mensch an, sich unter eine wenigstens zwei Fuss hohe Schicht von Lehm zu begraben, nachdem er dort gestorben war? Und da die Höhle eine Oeffnung von nur zwei Fuss Höhe hatte, 60 Fuss über der Thalsohle an einem senkrechten Felsen mit einem nur schmalen Vorsprunge davor, so wird man einsehen, dass das Problem nicht ohne Schwierigkeiten ist. Prof. Mayer giebt diese zu, aber beseitigt sie, wie folgt:

„Wasserströme konnten somit nur von der abschüssigen An- höhe, die sich über der Grotte erhob, von Süden aus und nur durch Widerschlag, da die Oeffnung der Grotte gegen Norden lag, in dieselbe gelangen, und den aufgewühlten Löss dahin treiben.“

Und nun, nachdem er den Mann glücklich in die Höhle gebracht, und ihn durch den Widerschlag von Lehm führenden Sturzbächen zugedeckt hat, was für ein Mensch war es nun?

Ein „mongolischer Kosack“ von Tschernitscheff’s Armee- corps, das ist Prof. Mayer’s Vermuthung. Sie stützt sich auf drei Gründe: Der erste ist, dass die Oberschenkelknochen ge- krümmt sind, wie diejenigen von Menschen, welche ihr Leben auf dem Pferde hinzubringen pflegen; der zweite, dass jedes beliebige Herumrathen besser ist, als zuzugeben, dass das Ske- let möglicher Weise Tausende von Jahren alt ist; der dritte, dass, Alles genau besehen, der Schädel mehr dem eines Mon- golen gleicht, als dem eines Affen, oder eines Gorilla, oder dem eines Neuseeländers.

So redueirt sich denn die Hypothese, welche Prof. Mayer uns als ein Muster von wissenschaftlicher Nüchternheit darzu- stellen beliebt, auf folgendes, dass nämlich der Neanderthal- Mensch nichts war, als ein verwachsener, krummbeiniger, gräm-

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s.w. 13

licher Kosack, welcher, nachdem er sich sorgfältig seiner Waf- fen, seines Lederzeuges und seiner Kleider (von denen keine Spuren gefunden wurden) entledist, in eine Höhle kroch, um da zu sterben , und dass er dann mit einer zwei Fuss dicken Lehmschicht zugedeckt wurde durch den Widerschlag lehmfüh- render Sturzbäche, welche hypothetisch über, die Oeffnung seiner Grabhöhle sich ergossen haben. Prof. Mayer muss in der That der festen Zuversicht leben, dass der kühnste Erklä- rungsversuch dem Zugeständniss des hohen Alters des Schädels vorzuziehen sei!

III. Prof. Mayer hat kein Recht sich zu beklagen, wenn ich die Ansichten, die er angegriffen hat, mit den Waffen ver- theidige, die er zu wählen beliebt hat. Es ist indess weit an- genehmer, wissenschaftliche Fragen auf andere Weise zu be- handeln, und obgleich Prof. Schaaffhausen die Genauigkeit einiger meiner Angaben und Schlussfolgerungen auf eine weit gefährlichere Weise angegriffen hat, als Prof. Mayer, so würde ich einen grossen Missgriff begehen, wenn ich anders als mit Hochachtung die Ansichten des sorgfältigen und sinnreichen Beobachters behandelte, dem wir es zu danken haben, dass er zuerst den jetzt berühmten Schädel zur Kenntniss der Anato- men gebracht hat.

Prof. Schaaffhausen hat der Societe d’Anthropologie einen Auszug von einer Abhandlung über den Neanderthal-Schädel mitgetheilt, die er vor Kurzem dem Naturhistorischen Verein von Rheinland-Westphalen vorgelesen hat. Darin kommt fol- gender Passus vor:

„Mr. Huxley’s Angabe, dass der hintere Theil des Schä- dels noch auffallender sei als der vordere, ist ganz unbegrün- det. Der Schädel soll in der aufwärts und vorwärts gerichte- ten Hinterhauptsschuppe, in der kurzen Pfeilnaht, in der gerade verlaufenden Naht der Schläfenschuppe, wie überhaupt in seiner flach gedrückten Form, die es kaum begreifen lasse, wie die hinteren Lappen eines menschlichen Gehirns darin Raum ge- funden hätten, dem Affen mehr gleichen, als in der Bildung der unteren Stirngegend. Aber alle die genannten Eigenthüm- lichkeiten kommen auch bei anderen Schädeln niederer Racen

14 Thomas H. Huxley:

vor, was Huxley übersehen hat. Nur durch jenen thierisch- vorspringenden Wulst der oberen Augenhöhlenränder ist der Neanderthal-Schädel der einzige seiner Art.“

Indem ich bemerke, dass bei allem, was ich über diesen Gegenstand geschrieben habe, meine Hauptabsicht gewesen ist zu beweisen, dass der Neanderthal- Schädel nur dem Grade nach von gewissen existirenden Menschenschädeln abweiche, erwartete ich kaum den Einwurf, der mir in diesem letzten Satze begegnet, der indess irrig ist, wie ich anzunehmen wage, wenn er sagen will, dass die Eigenthümlichkeiten des Neander- thal-Schädels in gleicher Weise an irgend einem menschlichen Schädel sich finden, der jemals beschrieben worden ist. Es ist ganz richtig, wie ich zu zeigen mich bemüht habe, dass die charakteristischen Züge des Neanderthal-Schädels einfache Er- weiterungen der Charaktere sind, die auch bei anderen mensch- lichen Schädeln auftreten. Aber obwohl einige menschliche Schädel auffallend niedergedrückt sind, so ist doch noch keiner so niedergedrückt gefunden worden als jener; obwohl einige breite Augenbrauenhöcker zeigen, so hat sie doch keiner so breit als sie an jenem sind; und obwohl endlich einige das Hinterhaupt auffallend nach vorn geneigt haben, so ist doch keiner (mit Ausnahme vielleicht eines der Borreby-Schädel) ge- funden worden, welcher diese Eigenthümlichkeit in so merk- lichem Grade zeigt, als jener.

Prof. Schaaffhausen fährt fort: |

„Schliesslich ist die Bemerkung Mr. Huxley’s, dass die bei- den Sinus laterales d. h. die unteren Grenzen der hinteren Hirnlappen deutlich sichtbar seien, ganz im Irrthum. Diese Beobachtung stützt sich auf photographische Abbildungen; an dem Originale aber ist nur der Anfang des rechten Sinus da, wo er aus dem Sinus longitudinalis sup. entspringt, sichtbar.“

Ich bedauere sehr, von einem so competenten Anatomen abzuweichen, der ausserdem den Vortheil, den Originalschädel zu untersuchen, ‚gehabt hat, welcher mir versagt war. Aber nach wiederholter Prüfung der Photographieen und einem ein- gehenden Studium des Abgusses von dem Inneren des Schä- dels, welchen mir zu übersenden Dr. Fuhlrott so freundlich

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s. w. 15

war, muss ich bei meiner ursprünglichen Ansicht beharren, dass die unteren Grenzen der hinteren Hirnlappen genau an Ein- drücken auf der Innenfläche des Schädels erkennbar sind.

Prof. Schaaffhausen behauptet, dass „nur der Anfang des rechten Sinus da, wo er aus dem Sinus longitudinalis sup. ent- springt* vorhanden sei. Es zeigen aber beide, Abguss und Photographie, deutlich nicht blos den Anfang des rechten Si- nus lateralis, sondern volle 1'!/, Zoll davon, die nicht nur nach unten, sondern auch nach aussen fortgehen. Das äussere Ende von diesem Segmente des Lateral-Sinus deutet sicherlich die Anheftungslinie des Tentorium an, welches wiederum die Grenze des rechten Hinterlappens bezeichnet; und da beide Lappen annähernd von gleicher Ausdehnung sind, so darf ich meine Behauptung für wohl begründet halten, in der Voraus- setzung, dass nur der rechte Sinus vorhanden sei. Indessen scheint es mir noch immer, dass ich an dem Material, das mir zur Verfügung steht, klare Andeutungen sowohl des rechten wie des linken Sinus unterscheiden kann; auf jeden Fall zeigt die hintere Ansicht des Abgusses des Inneren unzweifelhaft die unteren Grenzen des rechten, wie des linken Hinterlappens.

Prof. Schaaffhausen bemerkt ferner:

„Es ist nicht weniger auffallend, dass Mr. Huxley einen Australier-Schädel fand, den er dem Neanderthaler verglei- chen konnte; nach dem übereinstimmenden Urtheile aller For- scher, wie Becker, Martin, Lucae, Ecker, ist der erste schmal und hoch, vom Scheitel dachförmig nach den Seiten ab- fallend; dieser aber ist sehr flach, hinten breit und ohne Spur der angeführten Bildung.“

Hierauf kann ich nur erwiedern, dass, wie auffallend und der gewöhnlichen Ansicht zuwiderlaufend es auch sein mag, die australischen Schädel, auf die ich mich bezogen habe, wirklich existiren und der Prüfung Jedermanns zugänglich sind, der sie im Museum des Königlichen Collegiums der Wundärzte unter- suchen will.

Prof. Schaaffhausen schliesst in folgender Weise:

„Ich bemerke ausserdem, dass No. 63 von Blumenbach’s Decades Craniorum, den Schädel eines Holländers von der Insel

16 Thomas H. Huxley:

Marken (Batavus genuinus) darstellend, eine grosse Aehnlichkeit mit dem des Neanderthals aufweist.“

Ich glaube nicht, dass Prof. Schaaffhausen diese Bemer- kung gemacht hätte, wenn er geneigt gewesen wäre, mit mehr Anerkennung zu betrachten, was ich in Beziehung auf die stark hervortretende Eigenthümlichkeit der Occipitalregion des Nean- derthal-Schädels gesagt habe. Es existirt allerdings eine ge- wisse Annäherung zwischen dem fraglichen Schädel und dem Neanderthaler in der plötzlichen Senkung der Frontalregion nach hinten; aber sie ist nicht grösser als ich sie bei vielen anderen Schädeln wahrgenommen habe, besonders an dem eines englischen Matrosen, auf den ich schon vor längerer Zeit durch Mr. Busk aufmerksam gemacht worden war. Andererseits un- terscheidet sich die Oceipitalregion des holländischen Schädels

Fig. 1.

ji‘ NR R E m Mm

Erklärung zur Figur. Verjüngte Copie von Blumenbach’s Abbildung eines „Batavus genuinus“. Der Umriss des Neanderthal- Schädels, auf dasselbe Längenmaass verjüngt ist auf die Abbildung so gezeichnet, dass die Glabellae zusammenfallen und die obere Curve des Neanderthal-Schädels mit dem anderen in dem Punkte (a) zusanı- mentrifit. Die Schädel sind nicht nach derselben Scala verjüngt und daher giebt die Figur nur die abweichenden Verhältnisse derselben an.

! Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s.w. 17

von dem ich hier eine treu verjüngte Copie gebe (Fig. 1), sehr merklich von der des Neanderthaler Menschen.

Die obere Curve des Hinterhauptbeins ist in Blumenbach’s Abbildung nicht angegeben, aber sie kann schwerlich höher sein als der Punkt (a). Wenn nun die Glabello-Oceipitallinien des Neanderthal-Schädels und des anderen auf einander gelegt werden, wie in Fig. 1, so wird der enorme Unterschied zwi- schen beiden augenfällig werden, da das Hinterhaupt des hol- ländischen Schädels weit über den Punkt a hinten hinausragt, während andererseits dasjenige des Neanderthal-Schädels auf- wärts und vorwärts davon verläuft.

Was meiner Ansicht nach Prof. Schaaffhausen irre gelei- tet hat, ist der Umstand, dass wenn der Umriss des Neander- thal-Schädels einfach auf den des Batavus genuinus aufgelegt wird, beide so ziemlich zusammenfallen. Aber das Trügerische, aus diesem Umstande den Schluss zu ziehen, dass die Schädel eine wirkliche Aehnlichkeit haben, erweist sich sofort durch die Thatsache, dass wenn die Umrisse auf einander gelegt werden, die obere halbkreisförmige Leiste des Hinterhauptbeins des Neanderthal-Schädels fast gleich hoch liegt mit der Spitze der Lambdoidalnaht des anderen. Mit anderen Worten: Je mehr man die beiden Schädel in der Stirn und oben mit einander in Uebereinstimmung bringt, um so geringer erweist sich diese Uebereinstimmung hinten und unten.

Hr. Pruner-Bey drückt in einigen Bemerkungen, die er Prof. Schaafhausen’s Mittheilungen beigefügt hat, die Ansicht aus, dass der Neanderthal-Schädel „unzweifelhaft der eines Cel- ten sei“:

„Zunächst gehörte er einer hochgewachsenen Person an; er ist umfangreich und dolichocephal, ferner weist er die Rinne an dem hinteren Drittheil der Pfeilnaht auf, die den Celten und Scandinaviern gemein ist; endlich ist die occipitale Pro- jeetion gleichmässig charakteristisch für beide Racen.“

Die Knochen indessen, welche zugleich mit dem Schädel gefunden sind, unterstützen die Ansicht nicht, dass der Nean- derthaler Mensch über das mittlere Maass von 5.Fuss. 6 Zoll

hinausragte; und da die beiden anderen Charaktere eingestan- Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1863. nr

18 Thomas H. Huxley:

dener Maassen den Kelten und Scandinaviern gemeinsam sind, so kann ich sie kaum für gute Unterscheidungs-Merkmale der Kelten halten. Australische Schädel mit einer ganz ähnlichen Formation des Hinterhaupts, wie die des Neanderthalers finden sich vor; was aber die Capacität des Schädels betrifft, so werde ich später mit Hülfe von Gypsabgüssen beweisen, dass einige australische Schädel sicherlich eben so gross waren. Pruner-Bey scheint sich zu der Hypothese zu neigen, dass der Neanderthal-Mensch ein Idiot war; aber ich bekenne, dass ich die energische Erwiederung Broca’s sehr gewich- tig finde: | „Ldiotismus, der fähig ist einen Schädel dieser Art hervor- zubringen, ist nothwendiger Weise mikrocephalisch; nun ist aber dieser Schädel nicht mikrocephal, folglich ist er nicht der eines Idioten.“

IV. Mr. Turner’s sorgfältige Abhandlung scheint mir einer der werthvollsten Beiträge zu sein, die über den vorliegenden Gegenstand geliefert worden. Durch Vergleichung mit einem Schädel von St. Acheul weist Mr. Turner das Vorhandensein der genauesten Aehnlichkeit zwischen dem Engis-Schädel und einem aus dem Sommethale nach, welchen für älter zu halten als die römische Periode kein Grund vorhanden ist. Seine Aus- führungen bringen den Schluss zur vollen Geltung, zu welchem Mr. Busk und ich gelangten, dass nämlich das Engis-Exemplar ein ächt normaler menschlicher Schädel ist.

In Bezug auf den Neanderthal-Schädel bemerkt Mr. Tur- ner Folgendes:

„Der Neanderthal-Schädel hat ohne Zweifel eine sehr auf- fallende Gestalt, eine solche, die ihn hinreichend von an- deren bekannten Schädeln unterscheidet. Aber wir müssen fragen, ob seine anatomischen Charaktere völlig exceptio- nell sind. Ist es nicht möglich, wenn man eine umfang- reiche Sammlung von Schädeln sorgfältig untersucht, wie sie dem Anatomen in einem grossen Museum oder einem Secirsaale zu Gebote stehen, Schädel aufzufinden, die in einigen der Eigenthümlichkeiten, die als die schärfsten Un- terscheidungs-Merkmale angesehen werden, mit ihm die grösste Aehnlichkeit darbieten? *

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u s. w. 19

Das ist gerade die Frage, die ich mir selbst vorlegte, als ich es zuerst unternahm, diese Materie zu ergründen, und ich freue mich, dass ein sorgfältiger Beobachter, wie Mr. Turner, durch unabhängige Beobachtung zu Resultaten gelangt, die den mei- nigen Ähnlieh sind. So findet Mr. Turner vier moderne bri- tische Schädel, die er auch theilweise abbildet, mit sehr her- vortretenden Superciliar-Höckern, obgleich, wie er gewissenhaft bemerkt, „keiner von diesen eine so massive Form in den Äusse- ren Orbitalwülsten aufweist als der Neanderthal-Schädel.“

Er zeigt auch, dass einige moderne britische Schädel eine sehr zurückweichende Stirn haben und dass viele diesen unter- scheidenden Zug mit einem abschüssigen Hinterhaupt vereini- gen, so dass sie in diesem Punkte dem Neanderthal-Schädel sehr nahe kommen. Mr. Turner macht die wichtige und rich- tige Bemerkung:

„Es würde mir leicht möglich sein, aus dem mir zugängli- chen Material eine Reihe von modernen britischen Schädeln aufzustellen, bei welchen die Abänderung von einer wohlgebil- deten hinteren Occipitalrundung zu einer Gestaltung der oberen Oeceipital-Region fortschritte, die sich völlig der Form des Nean- derthal-Schädels annäherte.* In der Schädelkappe, die er ın Fig. 5 dargestellt hat, ist die verminderte Ocecipitalwölbung bei- nahe derjenigen des zuletzt erwähnten Schädels gleich. Und er schliesst mit folgenden Worten:

„Nach der Vergleichung, die hier angestellt worden ist, trage ich kein Bedenken zu behaupten, dass uns, wenn wir auch nicht im Stande sein mögen, einen zweiten Schädel aufzuweisen, der ‚in sich alle jene Charaktere vereinigte, die als so unterschei- dend für den Neanderthal-Schädel gelten, die Prüfung einer ausgedehnten Reihe von Schädeln dennoch zeigen wird, dass diese Charaktere vollständig ihres Gleichen finden nicht nur bei den Schädeln von manchen noch existirenden wilden Racen, sondern selbst bei denen der modernen europäischen Nationen.“

„Wie vorsichtig sollten wir demnach sein, in Ansehung ent- weder der Affenverwandtschaft oder der geistigen Fähigkeiten des Menschen, dem der Schädel angehörte, ein eigenes Grenus aufzustellen! Derselbe ist bis jetzt ein isolirtes Exemplar; von

9*

20 Thomas H. Huxley:

seiner Geschichte bis zum Tage seiner Entdeckung wissen wir nichts; sein geologisches Alter ist ganz unsicher. Wollen wir also irgend einen Schluss ziehen, so fehlen uns alle Thatsachen mit Ausnahme solcher, die uns die Untersuchung seiner Stru- cetur-Verhältnisse geliefert hat. Und welche Merkmale für die tiefere Stellung diese auch immer ergeben mögen, so werden sie doch vollständig parallelisirt durch Schädel von Männern und auch Weibern, die gegenwärtig in unserer Mitte leben und sich bewegen.“

Allem Dem stimme ich von Herzen bei und wünsche nur noch eine Warnung hinzuzufügen, dass man ja nicht das Zeug- niss von dem Vorhandensein pithekoider Charaktere mit den Schlüssen verwechsele, die auf dieses Zeugniss gegründet wer- den möchten. Wenn der Zergliederer von Jeremias Bent- ham einen levator claviculae, oder ein Paar Muskelbäuche des Flexor brevis digitorum gefunden hat, die von den Sehnen der tieferen Beuger des Fusses entspringen, wie das zuweilen bei dem Menschen der Fall ist, so wird er mit vollem. Rechte sa- gen, dass dieses pithekoide Charaktere sind, aber es folgt kei- neswegs, dass er hätte vermuthen dürfen, der Philosoph sei das „fehlende Glied“ oder ein „Homo pithecoides“ (M ayer). Und ebenso sind die vorspringenden Superciliar-Höcker, das zurück- weichende Hinterhaupt u. s. w. am Neanderthal-Schädel, meiner Ansicht nach, höchst unzweifelhafte pithekoide Charaktere; den- noch brauche ich kaum die Ansicht zu wiederholen, die ich so bestimmt an anderen Orten ausgesprochen habe, dass der Nean- derthal-Mensch in keiner Hinsicht zwischen dem Menschen und dem Affen in der Mitte steht.

Die Pflicht des Anatomen scheint mir ebensowenig darin zu liegen, auf solchen Abweichungen des menschlichen Baues vor- eilige Theorieen aufzuführen, als darin, dieselben zu ignoriren, wenn sie vorkommen. Mögen sie vermerkt und nach ihrem wahren Werthe gewürdigt werden; die Zukunft wird uns ihre Bedeutung enthüllen.

Wenn wir nun das Resultat einer sorgfältigen Prüfung des gegebenen Materials, soweit es mir zugänglich ist, und alles dessen was über den Gegenstand geschrieben ist, aufstellen wol-

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u. s. w. 21

len, so könnten wir wohl sagen, dass der Neanderthal-Schädel den niedrigsten Typus des menschlichen Schädels darstellt, der augenblicklich bekannt ist, insofern derselbe gewisse pi- thekoide Charaktere in ausgeprägterer Weise darstellt, als ir- ‚gend ein anderer, dass aber, insofern eine vollständige Reihe von Abstufungen an modernen menschlichen Schädeln zwi- schen ihm und den am höchsten entwickelten Formen ge- funden werden kann, kein Grund vorhanden ist, seinem Träger specifisch und noch viel weniger generisch vom „Homo sapiens“ zu trennen. (sregenwärtig sind wir nicht hinreichend zu der Behauptung befust, dass er entweder der Typus einer verschie- denen Race oder ein Glied irgend einer existirenden sei; auch berechtigen uns die anatomischen Charaktere des Schädels zu keinem Schlusse in Betreff der geologischen Zeit; der er an- gehörte.

MS Mm \ I j Id N N j ) II ul

WHN N)

£ | ı

N

ii

1 M N, N I

11,2 777)

Il > DI, . N in 1 | 5 "M. Mm /

/ | \

Erklärung der Figur. Seitenansicht des Abgusses des In- neren des Neanderthal-Schädels, llälfte der natürlichen Grösse. Die Aussenlinie stellt den Umriss eines ähnlichen Abgusses eines australischen Schädels im Museum des Königlichen Collegiums der Wundärzte (Nr. 5331) in demselben verjüngten Maasstabe dar. a Ab- druck der inneren Oberfläche der Lambeoidalnaht, sy der sylvische Spalt.

Thomas H. Huxley:

Es ist kaum zu erwarten, dass jetzt noch Erhebliches mehr über den Schädel des Neanderthal-Menschen zu sagen ist; aber wir verdanken Prof. Schaaffhausen einige wichtige Aufschlüsse

in Betreff seines Gehirns.

A A PAS Hi j ran

AT: h | IHRE I

IHREN III)

\ ılıı IN FERR]

h ) III mi H Fl //& SG IIEh NA ih Anl

) \ IN \ I! \ N MAIN in ll N \ IN AU N; SUN u 3 I \ JB INNINNNNUINNN | SNHlN | \ NN) \\ il N 7 | "ANNIE IL Ir INNINS), IT | \ "ANINI | I | I IN N ff N m Mi | | I HIN Bun ull)|i | | ü

Erklärung der Figur. Sie stellt dieselben Gegenstände dar wie Fig. 2 von oben gesehen; Maasstab derselbe, aa wie oben.

Prof. Schaaffhausen erhielt, wie es scheint, von Dr. Fuhl- rott die Erlaubniss, einen Abguss von dem Inneren des Nean- derthal-Schädels anfertigen zu lassen. Von der Reproduction der Gestalt des Gehirns, die er auf diese Weise erhielt, sagt ‚er: „In Hinsicht der geringen Hirnentwickelung zeigt sich die

Fernere Bemerkungen über die menschlichen Ueberreste u.s.w. 93

grösste Aehnlichkeit dieses Abgusses mit demjenigen eines Australiers, welcher der Gesellschaft um dieselbe Zeit vorgelegt wurde. Der erstere hat sogar etwas günstigere Grössenverhält- nisse als der australische. Folgendes ist das Ergebniss der ver- gleichenden Messung der beiden Abgüsse:

Länge der Breite des vor- Grösste Grösste Hemisphären. deren Lappens. Breite. Höhe.!)

Neanderthaler: 173 Mm. 112 Mm. 156 Mm. 66 Mm. Australier: 164 - 100 - 125a0= Tqumie

„Herr Lucae fand, dass das Gewicht des Gehirns des Euro- päers dasjenige des Australiers um 300 Grammes übertrifft. In Betreff der Dimensionen übertrifft das erstere das letztere we- der an Länge noch an Höhe beträchtlich, sondern an Breite. So ist denn diese Verschiedenheit des Racentypus schon im höchsten Alterthum nachweisbar, als unsere Gegenden von Men- schen bewohnt wurden, die ohngefähr auf gleicher geistiger Stufe standen, wie der heute lebende australische Wilde.“

Ich verdanke Dr. Fuhlrott einen Abguss, den ich für eine Copie des Abgusses halte, den Prof. Schaaffhausen auf die angegebene Weise erhielt, und die beigegebenen Holzschnitte (Fig. 2 und 5) geben zwei Ansichten davon, die auf halbe na- türliche Grösse verjüngt sind. Zugleich mit beiden Ansichten ist, bei gleicher Lage, der Umriss des Abgusses des Inneren eines jener flachen australischen Schädel aus dem Museum des Königlichen Collegiums der Wundärzte dargestellt, worauf ich mich schon bezogen habe. Die Aehnlichkeit beider zeigt sich sofort als sehr auffallend. Das australische übertrifft das Nean- derthaler Gehirn etwas an Länge (7,1 Zoll : 6,85 Zoll), aber an- dererseits ist es an seiner breitesten Stelle schmaler (9,3 Zoll : 5,45 Zoll) und die Länge eines Verticalbogens, der über die höchsten Partieen der beiden Abgüsse von entsprechenden Punk- ten auf ihren Seitenoberflächen aus gelegt wird, ist ein klein

1) Von der Linie aufgenommen, welche die vorspringenden Punkte des vorderen und hinteren Lappens verbinde

2

24 Thomas H. Huxley: Fernere Bemerkungen u. s. w.

wenig geringer bei dem australischen (9,3 Zoll : 9,6 Zoll). An- dererseits ist der transversale Umriss, wie er zum Vorschein kommt, wenn man die Abgüsse von hinten betrachtet, mehr pentagonal an dem australischen, mehr ebenmässig gewölbt an dem Neanderthaler Gehirn. Und sowohl der vordere wie der hintere Lappen sind oben abgeplatteter und weniger abgerundet an ihren Enden am Neanderthaler Abguss. Aber alle diese Abweichungen verschwinden auf ein Minimum, wenn man sie mit denjenigen vergleicht, welche den fraglichen australi- schen Gehirnabguss von anderen in derselben Sammlung unter- scheiden. ')

So scheint es mir, dass die Folgerung, die in Prof. Schaaff- hausen’s Schlusssatz aufgestellt wird, durch die Thatsachen nicht förmlich zum Austrag gebracht ist; denn das Gehirn des Neanderthal-Menschen ist sicherlich lange nicht so verschieden von einigen australischen Gehirnen, als die extremsten Formen australischer Gehirne unter einander verschieden sind.

Die „Crania helvetica“ der Professoren Rütimeyer und His sind mir zugegangen, als der obige Aufsatz sich schon im Drucke befand. Unter der grossen Reihe älterer und moderner Schädel, die in diesem fleissigen und werthvollen Werke abge- bildet sind, habe ich nur einen Schädel finden können, der in etwas dem Neanderthal-Schädel nahe kommt. Es ist derjenige, welcher auf der Tafel B. III. abgebildet ist und aus Berolles im Canton Waadt stammt. Derselbe wird der burgundischen Pe- riode zugetheilt und von Rütimeyer und His als eine „Misch- form* zwischen ihrem Sion- und Hohberg-Typus, oder mit an- deren Worten, als celto-romanisch angesehen. Dieser Schädel steht indessen dem Neanderthaler lange nicht so nahe, als einige Borreby- und australische Schädel.

I) Wenn von der grossen Uebereinstimmung der erhaltenen Theile des Neanderthaler Schädels mit dem entsprechenden des Australiers geschlossen werden darf, dass die gleiche Aehnlichkeit sich auch in den fehlenden Theilen des ersten gezeigt haben würde, dann muss derselbe einen viel grösseren Inhalt gehabt haben als das Minimum 75 P. Z.), was ich ihm zuzuschreiben wagte; denn der Schädelinhalt des Australiers ist gleich 87% P.Z. Wasser. Nach Morton ist der grösste Inhalt australischer Schädel nur 83 P. Z., während das Mini- num auf 65 P. Z. sinkt.

A. Walther: Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 25

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. Von

Prof. Dr. A. WALTHER in Kiew.

Die Beobachtungen, welche ich, anknüpfend an meine vor- läufige Mittheilung in Virchow’s Archiv 1862, hier beschrei- ben will, sind nichts anderes als Bausteine zu einer besseren Physiologie der thierischen Wärme, sie bilden weder ein abge- rundetes Ganzes, noch sind sie vollkommen exact. Sie bahnen aber Forschungen in einer bisher nicht betretenen Richtung an, und deshalb halte ich sie für mittheilungswürdig selbst in einer Zeit der exacten Forschung, wie die unsrige. Ist doch die ganze Lehre von der thierischen Wärme viel mehr auf Wahr- scheinlichkeit als auf Genauigkeit gegründet. Das was ich dem wissenschaftlichen Publikum zu bieten habe, ist nichts anderes als ein Versuch, die Wärmeinanition zu studiren. Dieser Versuch hat nun allerdings zu interessanten Resultaten geführt, welche zum Theil schon in der vorläufigen Mittheilung (V-ir- chow’s Archiv 1362) niedergelegt sind, aber noch einer weite- ren Ausführung bedürfen, welche ich in Folgendem zu geben wünsche. Ferner aber habe ich den Gegenstand noch weiter verfolgt und bin zu noch anderen Resultaten gelangt, welche ebenfalls hier Platz finden sollen. Mein diesmaliger Bericht zerfällt also in vier Abtheilungen: 1) Von der künstlichen Re- spiration als Erwärmungsmittel abgekühlter Thiere. 2) Von der specifischen Wärme der Thiere, insbesondere von der Ver- gleichung der specifischen Wärme der winterschlafenden und nicht winterschlafenden Thiere, sowie von den Erscheinungen,

26 A. Walther:

welche bei der Abkühlung winterschlafender 'Thiere beobachtet werden. 3) Von dem Einflusse einiger Gifte und Medicamente auf die Abkühlung der Thiere. 4) Von dem Tode durch Ab- kühlung. £

1) Von der künstlichen Respiration als Erwärmungs- mittel abgekühlter Thiere.

Ich finde in der Literatur (man bedenke, dass ich dies in Kiew schreibe, wo vielleicht nicht alles in extenso zugänglich ist) nur eine Angabe, dass durch künstliche Respiration eine Erwärmung eintreten kann; in dem Artikel „thierische Wärme“ von H. Nasse in Wagner’s physiologischem Wörterbuch, S. 64, ist gesagt, dass Williams durch künstliche Respiration eine, wie es scheint, geköpfte Henne um ?/;° R. erwärmt habe. Sonst sind nur die Versuche von Brodie bekannt, welcher bei geköpften und enthirnten Thieren, obgleich die Carotiden unterbunden und der Blutverlust möglichst verhindert war, bei künstlicher Respiration das Sinken der thierischen Wärme nicht verhindern konnte. Brodie hat bekanntlich diese Versuche dazu benutzt, um den Antheil des Nervensystems an der Pro- duetion der thierischen Wärme, im Gegensatz zu Lavoisier und Genossen, welche die Verbrennungstheorie begründeten, zu beweisen. Es ist indessen bekannt, dass diese Brodie’schen Ver- suche überall angefochten wurden und ihre Beweiskraft geleugnet worden ist. Meine Versuche sind aber anders als die Versuche Brodie’s angestellt. Meine Thiere waren fast alle, bis auf die Tracheotomie, welche nothwendig war um die Luft im die Lun- gen einzuführen, vollkommen unverletzt. Nur eine kleine An- zahl von Kaninchen, wie weiter unten erklärt werden wird, wurden mit eröffnetem Brustkasten der künstlichen Respiration unterworfen, und bei diesen hatte dieselbe allerdings keinen Erfolg, im Gegentheil, die Thiere erkalteten. So interessant also auch die Wiederholung der Brodie’schen Versuche mit den verbesserten Methoden der künstlichen Respiration gewe- sen wären, so habe ich mich bis jetzt darauf nicht einlassen können.

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 37

Ich schieke alles dieses nur voraus, um den Leser auf den Standpunkt zu stellen, von wo aus er meine Versuche richtig beurtheilen kann. Zu demselben Zwecke, und um Wiederho- lungen zu vermeiden, will ich auch noch bemerken, dass mein Abkühlungsapparat- in folgendem bestand: Ein Blechkasten, so eng, dass ein gewöhnliches Kaninchen (ich meine die weis- sen oder grauschwarzen, von kleiner Race; die schönen grossen langhaarigen Kaninchen, welche ich in Deutschland, z. B. in Wien im Laboratorium Prof. Ludwig’s gesehen habe, sind in Kiew nicht aufzutreiben), darin sich wenig oder gar nicht bewe- gen kann, und mit einem Deckel und einer Oeffnung versehen, welche nur eben den Kopf und die Ohren durchzuziehen er- laubte, wurde mit dem Thiere darin in einen zweiten Blech- kasten gesetzt, welcher, ebenso wie der Raum über dem Deckel, mit kaltmachender Mischung so gefüllt war, dass eigentlich nur der Kopf des Thieres frei in der Luft ragte, alle übrigen Theile des Körpers aber von der erkältenden Mischung umgeben war, Als kaltmachende Mischung wandte ich beinahe nur Schnee und Kochsalz, oder gestossenes Eis und Kochsalz an, diese Mi- schung gab höchstens eine Kälte von 13° R., welche sich bis zum Ende des Versuchs, von 1—5 Stunden etwa, in statu quo erhielt. Der erkältende Erfolg hing, wie es schien, grössten- theils von der äusseren Temperatur ab; bei Temp. der Luft werden die Thiere in 3/, Stunden so kalt, als bei +16 oder +18°R. im 5, 4, 5 Stunden. Die Thiere blieben fast immer so lange im Apparat, bis die Wärme im Ohre auf +15 oder +20° C. gesunken war. Mehrere Male habe ich ausserdem Controllmessungen der Wärme im Rectum angestellt, aber nie eine wesentliche Differenz im Vergleiche mit der Wärme des Ohres gefunden. Ich muss aber bemerken, dass, um die Tem- peratur im Ohre zu finden, das Gefäss des Thermometers ge- hörig tief in der Vorder-Abtheilung des Kaninchenohrs gescho- ben werden muss, damit man das Maximum der jedesmaligen Wärme misst. Dazu ist nöthig, das Ohr etwas anzuziehen und das Thermometer sogar mit einiger Gewalt in’s Ohr zw schie- ben, denn sonst kann man sich, da das Thier überall von kalter Luft und kaltem Metall umgeben ist, argen Täuschungen hin- geben.

38 A. Walther:

Es ist leicht einzusehen, dass diese Erkältungsmethode in Beziehung auf Zeit und Raum, also in Beziehung auf exacte Messung keine genauen Resultate ergeben kann. Die Kanin- chen sind, da sie von verschiedener Grösse, nicht in allen Fäl- len gleich dicht von der abkühlenden Wand umgeben, d.h. in zwei Fällen ist die Wärmeentziehung nicht in gleichem Verhält- niss zur Körperoberfläche oder zur Masse des Thieres. Ich bin aber bis jetzt nicht so glücklich gewesen, eine bessere Methode zu erfinden, d. h. eine Flüssigkeit, welche hinreichend abkühlt und in welche immer derselbe Bruchtheil des Thieres einge- taucht wird, welche nicht erstarrt und also den Athembewe- gungen volle Freiheit gestattet, und welche sonst sich indiffe- rent zum Thiere verhält; ich glaube auch nicht, dass, bis diese Aufgabe gelöst ist, es möglich sein wird, eine exactere Physio- logie der Wärmeinanition zu schaffen. Diese Missstände werden noch erhöht dadurch, dass die Messung der Temperatur im Ohre des Thieres, wegen der Schwierigkeiten des Einführens des Thermometers, eine verschieden lange Zeit erfordert. Da- durch wird es unmöglich, z. B. genau alle 5 Minuten oder alle Viertelstunden die Temperatur zu messen und eine auf die Zeit basirte Curve der Temperaturschwankungen zu erhalten, welche den Modus der Abkühlung darstellen würde. Es sind dennoch die Messungen des Erfolges der Abkühlung auf diese Weise, durch viertelstündliche oder durch von 5 zu 5 Minuten wieder- holte Beobachtungen gemacht, weil man es eben nicht anders anstellen kann.

Durch meine in Virchow’s Archiv 1862 publieirten Beob- achtungen ist bekannt, dass ein auf 18—20° C. erkaltetes Ka- ninchen von selbst, bei einer Temperatur, welche nicht über dieser steht, nicht wieder zur normalen Wärme (beinahe 39° C.) erwärmt werden kann. Ebenso ist dort erwähnt, dass hierbei allemal eine bedeutende Verminderung der Quantität (Tiefe oder Frequenz) der Respiration stattfindet. Es lag also nahe, um diese räthselhafte Hülflosigkeit der Thiere, welche erst bei 25°C. aufhörte, zu erklären, die Respiration zu berücksichtigen. Es konnte sein, dass die Ventilationsvorrichtung

>

kältung von Muskel, Nerv oder Centralorgan so geschwächt

durch Er-

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 29

wäre, dass sie eine hinreichende Menge von Sauerstoff nicht zuzuführen im Stande wäre, wodurch also endlich die Ver- brennung auf ein insufficientes Minimum herabgedrückt würde. Diese Reflexion führte mich auf den Gedanken, den Einfluss der künstlichen Respiration auf die Erwärmung abgekühlter Kaninchen zu versuchen. Der Erfolg war überraschend, der Versuch aber: mit solchen Schwierigkeiten verknüpft, dass ich nicht umhin kann, die Hauptsachen genauer zu erörtern.

Die Versuche zur Erwärmung mittelst künstlicher Respira- tion wurden alle an bis auf etwa 18 oder 20° C. erkalteten Thieren gemacht. Die Wärme der Luft des Laboratoriums war dabei sehr verschieden, und, wie es auch wohl nicht anders sein kann, von Einfluss auf das Resultat des Versuches.

Nachdem die Thiere (allemal Kaninchen) abgekühlt worden waren, wobei man sich bemühte, diese Abkühlung so schnell als möglich zu machen, was hauptsächlich von der Wärme des umgebenden Mediums, d. h. der Luft, abhing, wurde die Tra- cheotomie ausgeführt. Zum Einblasen der Luft diente ein Löth- rohrgebläse aus Kautschuck, welches mit einem grossen Stücke Holz comprimirt wurde. Die Kautschuckröhre endigte in eine gleiche messingene, welche nicht luftdicht in die Trachea ein- gesetzt wurde, damit Schleim, seröse Flüssigkeit u. d. m. nicht in die Trachea eingesperrt bliebe und die Respiration verhin- dere, andererseits das Lungengewebe nicht zerreisse, was, wie man sehen wird, ziemlich leicht geschieht. Um diesen Zufall noch besser zu vermeiden, hatte die Kautschuckröhre einen Nebenzweig, welcher in einem Gefässe unter Quecksilber tauchte, so dass man diese Röhre tiefer oder weniger tief in’s Quecksilber eintauchen konnte. Dadurch wurde das Quecksilber zu einem Sicherheitsventil, welches um so leichter gehoben wurde, je weniger tief die Röhre in’s Quecksilber eintauchte. Der Sicherheit wegen überzeugte ich mich zu wiederholten Ma- ‚len, dass in dem Apparat selbst weder durch Mittheilung, noch durch Reibung oder sonst irgendwie, eine Wärmeerhöhung stattfand, sowie auch ein Thermometer fortwährend nachwies, dass die umgebende Luft in ihrer Temperatur nicht wesentlich

30 A. Walther:

variirte.') Letzteres war übrigens beinahe unnütz, denn schon in meiner vorläufigen Mittheilung ist gesagt, dass selbst eine Temperatur der Luft, welche gleich ist der Wärme des bis auf 18—20° C. abgekühlten 'Thieres, nicht im Stande ist, ein sol- ches T'hier wieder zu erwärmen oder seinen Tod zu verhindern. Ich glaube also sicher zu sein, dass im Apparat selbst keine Wärmezufuhr gegeben, dass also die auf die künstliche Respi- ration folgende Erwärmung nur durch die Einfuhr der Luft in die Lungen hervorgerufen ist, denn man wird doch nicht etwa die Reibung der eingesaugten Luft am Lungen- und Bronchien- Parenchym als die Erwärmungsursache ansehen wollen. Ich will noch bemerken, dass alle Temperaturmessungen im Ohr und Mastdarm mit demselben Greiner’schen Thermometer, welcher !/,,° C. abzulesen gestattete, gemacht sind, und dass, wenn man die Reibung der Luft in den Bronchien als Ursache der Erwärmung ansehen will, man dasselbe auch dem norma- len Athem wird zuschreiben müssen.

Die Erscheinungen bei der künstlichen Respiration an abge- kühlten Thieren sind nun folgende: Zuerst bemerkt man ein Sinken der Temperatur, manchmal bis 1—2°. Dieses scheint von der durch die Ventilation gesetzten Wärmeentziehung her- zurühren, denn das Maass dieser Abkühlung steht im umge- kehrten Verhältniss zur Temperatur der Luft.

Diese Abkühlung dauert nicht lange, etwa 5—10 Minuten, dann tritt eine Steigerung der Temperatur ein, welche allerdings unbedeutend ist, z. B. bei einer äusseren Wärme der Luft im Laboratorium von +15°R. stieg die der Wärme des Kaninchens bei der künstlichen Respiration etwa um 0,1°C. in 5 Minuten. Der richtigen Beurtheilung wegen setze ich den ganzen Ver- such, als den entscheidendsten unter allen vollständig hierher:

Kiew, am 23. Mai 1862, bei einer Temperatur von + 15°R. Das Kaninchen wurde in den Abkühlungsapparat gesetzt um S'/,; Uhr Morgens, und um 11 Uhr 50 Minuten war es auf

1) In anderen Fällen leitete ich das Kautschuckrohr durch kälteres Wasser als die Luft des Laboratoriums war, so dass von einer Wär- mezufuhr durch die Luft nicht füglich die Rede sein konnte.

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 31

13,3°C. erkältet. Die folgenden Messungen beziehen sich alle auf die 100theilige Scala.

Zeit IE a | Wärme im Ohr. rar 1.| Min. | | 1] 11 50 | 18,8 \ Die künstliche Respiration 12 | 19 \ eingeleitet. > | 10, 19,2 | 12 20 | 19,4 l 12 | 30! 19,7 | 12 40 || 19,9 | 12 50 || 20,2 # —_ı 20,4 | 1°: 50.) 20,7 | 11 | 20,9 N ae | 24;1.4%%.| a. 40. 21,4 N T E°50 21,6 | 24.|.510 21,9 | 2 20 22,1 | 2 30 22,2 j 2 | 22,4 | 2 | 50 22,6 | a ee 22,8 | Zirloske 22,9 | 2.20 231 | 3 30 23,5 Die künstliche Respiration 3 40 23,6 wird eingestellt. = _ 23,5 Da die Wärme sinkt, wird d. kstl.Resp. wied. been. B) 30 24,3 Mittagsmahl des Beobach- 5 40 24,5 ters von 4—5U,.30M. 5 50 24,6 6 _ 24,7 6 10 24,8 6 20 25 6 30 25,1 6 40 25,3 6 | 50 25,1 leg 25,8 7 10 26 7 | 20 26,05 7.| 30 26 R 40 26,1 ı Das Kaninchen kann sich 7 50 | 26,2 hinsetzen, wobei d. kstl. Resp. unterkroch. wird. 8 26,2 Die künstl. Respir. wieder | 4 eingeleitet. 8 10 26,3 Unterbrochen, das Thier - 8 20 26,4 athmet selbst. s | 30 | 26,5 8 40 | 26,6 |

32 A. Walther:

Men im Ohr. Stund.) Min. i TERN LS EN EN 8 50 || 27,6 | Bewegungen. 9 10 27,7 Harnausssonderung. 9 | 20 27,8 9 30 28,1 9 | 0 28,2 | 9x... 350 28,4 | 10 | 29,1 Ä |

Nachher fiel die Wärme wieder und war um 10 Uhr 5 Min. + 28,90.

Die Beobachtungen sind theils von mir, theils von meinem Assistenten. Herrn Kosakewitsch gemacht. Sie mussten um 10 Uhr Abends unterbrochen werden, da im anatomisch-physio- logischen Institut es nicht wohl möglich war, die Nacht über zu bleiben, andererseits die Resultate der Beobachtungen so positiv waren, dass wir glaubten sie mit Leichtigkeit wieder aufnehmen zu können. Das Kaninchen wurde in wollenes Zeug, Heu u. d. m. eingewickelt und im (geheizten) Laboratorium ge- lassen, welches wohl zur Nacht etwas erkaltete. Gegen Mor- gen, etwa 20 Stunden nach dem Anfange des Versuchs, fand man. das Kaninchen, bis auf etwa + 20° erkaltet, todt. Die Section wies etwas flüssiges Exsudat in der Pleura, keine Lun- genhyperaemie nach.

Diese Beobachtung ist die am besten gelungene von allen denjenigen, welche ich in Beziehung auf die Erwärmung durch künstliche Respiration unternommen habe. Sie ist in manchen Beziehungen merkwürdig.

1) ist kein Sinken der Temperatur im Anfange des Versu- ches verzeichnet, wobei aber nicht zu vergessen ist, dass die Wärme des umgebenden Mediums im Anfange sicher etwas hö- her als die Wärme des Thieres war.

2) Die Erwärmung war anfangs rascher als später. Durch- schnittlich wuchs die Eigenwärme des Thieres anfänglich um !/i0° ©. in 5 Minuten, später um !/,,°, gegen Ende des Ver- suchs war der Zuwachs mehr sprungweise.

3) So lange bis das Thier auf 26° erwärmt war, lag es wie

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 33

alle abgekühlten Kaninchen auf der Seite, war unfähig zu sitzen oder locomotorische Bewegungen zu machen, und machte über- haupt sonst gar keine Bewegungen. Bei +26° C. setzte es sich hin. Erst bei 27°C. trat die erste Harnaussonderung ein.

4) Als bei einer Eigenwärme von 23,5°C. die künstliche Respiration eingestellt wurde, trat ein Sinken der Temperatur ein. Erst bei mehr als 26° C. konnte das Thier sich selbst überlassen werden, d. h. die natürliche Respiration brachte ein Steigen der Wärme des Thieres von da an zu Wege. Dennoch dauerte dieses Anwachsen der Temperatur nicht lange, etwa von 8 Uhr 10 Minuten bis um 10 Uhr, und die Steigerung der Wärme war im Allgemeinen geringer als bei der künstlichen Respiration, nur zwei Mal trat eine bedeutende Steigung ein, das eine Mal durch Bewegungen des Thieres.

5) Die wichtigste Frage, zu welcher die mitgetheilte Beob- achtung Anlass giebt, ist die: weshalb trat um 10 Uhr am meisten Sinken der Wärme des Thieres ein, und wodurch ver- endet das Thier? Es kann dieselbe allerdings nicht mit Be- stimmtheit beantwortet werden. Die Section wies Pleuraexsu- dat nach, das Thier war tracheotomisirt und dann sich selbst überlassen, die Wärme im Laboratorium sank. Andererseits habe ich Fälle gesehen, wo die Thiere durch zugeführte Wärme ganz in den normalen Zustand gebracht wurden und, getödtet, dennoch Pleuraexsudate darboten. Man wird aber zugeben, dass von allen Erklärungsweisen des Todes am wenigsten Wahr- scheinlichkeit die hat, dass das Thier verendet sei, weil die Wärme überhaupt nicht hergestellt werden konnte. Die Wärme war fortwährend im Steigen, das Thier athımete selbst, dieses Anwachsen dauerte fast 2 Stunden, und dennoch trat wieder Sinken der Wärme des Thieres und Tod ein.

Ein besonderes Interesse bieten in dieser Beziehung auch diejenigen Beobachtungen dar, wo ich Kaninchen bis auf 26°C. erwärmte und dann bei einer niedrigeren Temperatur sich selbst überliess. In diesem Falle, wo die Thiere auch fast bewegungs- los dasassen, konnte von einem Zuführen der Wärıne keine

Rede sein. Wenn man also nicht ganz apokryphe Wärmequel- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 3

34 A. Walther:

len statuiren will, so bleibt nichts übrig, als die Erwärmung auch hier auf Rechnung der Respiration zu setzen.

Es kommen hierbei nun noch ganz interessante quantitative Verhältnisse in Betracht, welche mir brauchbar scheinen, ob- gleich die Zahlen nur annähernd genau sind. Wenn man ein auf 13°C. abgekühltes Kaninchen in denselben Abkühlungs- kasten setzt, diesen aber mit Wasser von 40° C. anfüllt, so kann man es in etwa 3 Stunden wieder auf seine normale Wärme (35—39° C.) erwärmen. Wenn man ein auf 25°C. abgekühltes Kaninchen in einer Temperatur von circa 15° R. sich selbst überlässt, so kommt es auch wieder zu seiner frü- heren Wärme, braucht dazu aber etwa 8 Stunden. Man sieht, der Zuwachs beträgt auf die Stunde etwas mehr als 11/,° G., während die künstliche Respiration bei derselben Temperatur der Luft das Kaninchen ungefähr um ebensoviel zu erwärmen im Stande war. Eine Temperatur der Umgebung von +40°C. er- wärmt ein Kaninchen von +18 auf +38° in 3 Stunden, führt also über vier Mal mehr Wärme zu als die künstliche oder natürliche Respiration erreicht. Ich muss dabei bemerken, dass die Ka- ninchen, deren ich mich bei meinen Versuchen bediente, ein mittleres Gewicht von etwa 800 Grm. hatten. Hiernach lässt sich die erwärmende Kraft der Respiration annähernd berechnen.

Angeregt von dem Interesse dieser Resultate, habe ich nun noch zu wiederholten Malen die künstliche Respiration zum Zwecke der Erwärmung von auf +15°C. abgekühlten Kanin- chen angewandt, doch war ich bisher nicht mehr so glücklich, Kaninchen bis auf 26° ©. durch die künstliche Respiration er- wärmen zu können. Dennoch ist es mir aber noch mehrere Male gelungen, eine Erwärmung von 5—5° durch die künstliche Respiration zu erzielen und ich kann es also mit Bestimmtheit aussprechen, dass die künstliche Respiration im Stande ist, solche erkaltete Thiere zu erwärmen, dass also die Einführung von Luft aller Wahrscheinlichkeit nach chemische Processe einleitet, welche die Erwärmung der Thiere bedingt. Es ist damit ein neuer Beweis für die Bedeutung der Respiration als Regulator der thierischen Wärme gewonnen, welche bis jetzt nur im Allgemei- nen und unbestimmt aufgefasst und neuerdings, von Liebermei-

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 35

ster, wiederum verworfen worden ist.!) Jedoch lässt sich gegen Liebermeister’s Versuche einwenden, dass sie nicht ganz beweiskräftig sind, insofern die quantitativen Verhältnisse nicht berücksichtigt sind. Wenn die foreirten Athembewegungen auf die Erwärmung seines Körpers keinen merkbaren Einfluss aus- übten, so kann das daran gelegen haben, dass der Wärmever- lust im Vergleich zum Wärmegewinn zu gross, die Dauer der foreirten Respiration zu kurz war, und endlich darin, dass auch bei Kaninchen unter Umständen eine Viertelstunde vergeht, wo die Wärme durch die künstliche Respiration nicht nur nicht steigt, sondern sogar sinkt. Liebermeister’s Beobachtungen also widerlegen meine Behauptungen nicht. Eine andere Frage ist allerdings, ob die erwärmende Kraft der Respiration oft von praktischer Bedeutung ist, ausgenommen die Fälle von Abküh- lung; dies kann natürlich nur bestimmt werden, wenn man den Wärmeverlust in jeder Zeiteinheit kennen wird.

Sowohl um die erwärmende Kraft der Respiration zu ver- stehen, als auch um Anderen die Anstellung dieser Versuche zu erleichtern, muss ich mich noch auf eine Erörterung derje- nigen Umstände einlassen, welche die Erwärmung auf diesem Wege beschränken oder verhindern. Sie sind, soweit ich sie ergründen konnte, zweierlei Art: 1) Niedere Temperatur des umgebenden Mediums. Es kommen Fälle vor, wo die künstliche Respiration keinen erwärmenden Einfluss äusserte, so lange das Thier nicht in ein wärmeres Zimmer geschafft wurde, ob- gleich die Luftwärme stets geringer als die Eigenwärme des Thieres blieb, wo dann sogleich eine Steigerung der Eigen-

ärme des Thieres durch die künstliche Respiration eintrat. 2) Das blutige Oedem der Lungen. Es ist dieses eine sehr schwer erklärliche Erscheinung, welche sehr leicht bei abge- kühlten Thieren eintritt, und von mir schon in meiner ersten Mittheilung erwähnt ist. Die Lungen erscheinen voll grösserer (bis 1 Cm. im Durchmesser) oder kleinerer tiefrother Flecke; beim Einschnitt fliesst blutiges Serum heraus, welches auch in den Bronchien vorhanden ist. Ausserdem findet sich nicht sel- ten wässeriges Exsudat in der Pleura. Wenn diese Lungen-

1) In diesem Archiv 1862.

36 A. Walther: .

hyperaemie ausgebreitet ist, so ist sie natürlich ein bedeutendes Hinderniss der künstlichen Respiration. Ich muss nun aus- drücklich bemerken, dass in dem oben mitgetheilten Versuche das Kaninchen keine Lungenhyperaemie darbot. Es wäre also von Wichtigkeit für den Erfolg des Versuches, wenn man die Abkühlung ohne diese Lungenhyperaemie hervorbringen könnte. Wie das anzufangen sei, kann ich nun allerdings nicht mit Sicherheit nachweisen, es scheint aber, dass vorzüglich die Schnelligkeit der Abkühlung darauf Einfluss hat, so dass schnell abgekühlte Kaninchen weniger diese Lungenhyperaemien zeigen, jedoch kommen noch andere Momente in Betracht, welche ich nicht kenne. Ebenso ist es mir nicht gelungen, den Mechanis- mus des Zustandekommens dieser Hyperaemien aufzuklären. Am nächsten lag es, dieselben von der Schwäche der Herzthätigkeit herzuleiten, welche durch die Kälte hervorgebracht wird. Ich

habe deshalb versucht, gleichzeitig die künstliche Respiration

einzuleiten und durch schwache constante Ströme das Herz zu grösserer Thätigkeit anzuregen. Es ist dieses aber am abge- kühlten Herzen ohne Erfolg und das Thier wurde nur noch kühler durch die künstliche Respiration bei eröffneter Brust.

In noch anderen Fällen war das Misslingen der Erwärmung durch künstliche Respiration entschieden Sache des Zufalls, es riss die Lunge oder ich manipulirte ungeschickt mit der Röhre, so dass sie sich mit blutigem Serum u. d. m. füllte.

Somit war die Möglichkeit allerdings da, dass die Ursache der Nichtrückkehr zur normalen Temperatuf von auf 18° C. abgekühlten Kaninchen die Abschwächung der Respiration sei. Es kommt also darauf hinaus, dass unter 28° C. die Wärme- sufficienz des Nerven- und Muskelsystems des Respirations-Ap- parates aufhört, obgleich die Muskeln und Nerven des Kanin- chens eine schwache Thätigkeit noch bei niederer Temperatur (Minimum +5° C.) bewähren.

Diese frappante Thatsache erregte in mir noch den Wunsch, einen Winterschläfer in dieser Beziehung zu untersuchen, da es bekannt ist, dass die Eigenwärme dieser Thiere bedeuten- den Schwankungen unterworfen ist, und von einer geringeren Höhe, ais + 18° C., mit Leichtigkeit wieder auf ihr früheres

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 37

Maass zurückkehrt. Der Winterschläfer, welchen ich zu die- sem Zwecke beobachtete, war der in Milliarden auf den süd- russischen Steppen hausende Spermophilus cifillus ( Ziesel, Suslik auf Russisch), ein kleiner Nager, welchen ich hiermit in die Gesellschaft der der Physiologie nützlichen Thiere einführe. Das Thier ist etwa 6—8 Zoll lang und etwa 2 Zoll hoch, sehr lebhaft und bissig. Dennoch kann man es leicht von oben mit einer flachen Zange am Kopfe packen und dann ihm die Schneidezähne abbrechen, wonach es unschädlich wird. Zum Behufe der Wärmemessung im Mastdarm wurden die Thiere auf ein Brettchen gebunden. Zur Abkühlung diente ein kleiner Blechkasten, aus welchem das Thier zum Behufe der Wärme- messung herausgenommen wurde.

2) Beobachtungen über Wärmeentziehung an Win- terschläfern, über die specifische Wärme der Win- terschläfer und Nicht-Winterschläfer.

Da eine Menge von Beobachtungen über den Einfluss nie- derer Temperaturen auf Winterschläfer vorhanden sind, so habe ich mich darauf beschränkt, zu ermitteln, ob der Suslik auch, wenn er abgekühlt wird, die Fähigkeit verliert, seine frühere Temperatur wieder zu erlangen. Dabei stellte sich Folgendes - heraus:

Der Suslik verlor seine Wärme weit schneller, als das Ka- ninchen, obgleich er nicht so eng von dem Blechkasten um- schlossen wurde als das Kaninchen. Dabei schlief der Suslik sogleich ein, und wäre es auch mitten im Sommer, was nie mit dem Kaninchen geschah. Er kugelte sich zusammen und lag regungslos da. Ein Suslik wurde von + 37° C. (das nor- male Maximum) bis auf +4°C. in !/,—?/; Stunden abgekühlt, während ein Kaninchen von 35 bis 15° durchschnittlich 3 Stun- den brauchte. Es war also klar, dass dem Suslik die Wärme viel schneller entzogen werden konnte als dem Kaninchen. Ein so erkalteter Suslik war vollkommen bewegungslos, lag da in welcher Stellung man ilın legen mochte. Dabei war auch die Itespiration geschwächt, doch nicht in dem Grade wie beim

38 A. Walther:

Kaninchen. Eben so schnell aber gewann der Suslik seine Wärme wieder, so dass man kaum mit dem Thermometer fol- gen konnte und, in !/, Stunde, bei einer Wärme von +7, 8, 10° R. im Laboratorium, war das Thier wieder normal warm. Auffallend war es, dass das Thier schon z. B. bei +10° C., ganz energische Bewegungen machte, dass schon früher lebhafte Respirationsbewegungen eintraten, und bei einer Eigenwärme von +20° C. ein Suslik schon biss, während ein Kaninchen bei dieser Wärme noch willen- und bewegungslos da lag. Die Wärmeökonomie, die Mittel zur Ausgleichung von Wärmever- lusten sind also beim Suslik ganz anders als beim Kaninchen, und dem Anscheine nach liegt die Ursache dieser Verschieden- heit allerdings in einer Verschiedenheit des Verhaltens des Nerven- und Muskelsystems zur Wärme. Die Energie beider Systeme ist bei gleicher Wärme unter der normalen, beim Suslik bedeutend höher als beim Kaninchen.

Die jetzt mitgetheilten Erscheinungen führen aber noch auf eine andere Reflexion. Da der Suslik so leicht, das Kaninchen so schwer die Wärme verliert und gewinnt, so verhalten sich offenbar beide Thiere ganz so wie zwei Körper von ungleicher specifischer Wärme, und es kommt nur darauf an, die Sache näher zu untersuchen, um dann mit Leichtigkeit den Unter- schied der Winterschläfer und Nicht- Winterschläfer in dieser Hinsicht zu begreifen. Wenn der Winterschläfer eine geringe, das Kaninchen eine grössere Wärmecapacität besitzt, so wäre klar, warum eine Temperatur, welche auf das Kaninchen kaum einen Einfluss ausübt, den Suslik so erkältet, dass er winter- schlafend wird. Ebenso würde dann begreiflich, warum der Suslik so schnell wieder zu sich kommt, das Kaninchen so langsam.

Um dies festzustellen waren also Versuche nothwendig. Ich setze wiederum einen in extenso hierher, und werde die übrigen übersichtlich behandeln.

Der Zweck des Versuches war, zwei lebende Thiere, ein Ka- ninchen und einen Suslik, einer möglichst gleichen Wärmeent- ziehung auszusetzen und die Wirkung derselben auf die Eigen- wärme des Thieres zu beobachten. Dazu wurden beide Thiere

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 39

in Blechkästen dem Einflusse derselben erkältenden Mischung ausgesetzt, welche eine Wärme von —17° R. darbot. Der Vortheil bei dieser Operation war auf Seiten des Susliks, denn er war in seinem Kasten nicht so genau und dicht um- geben als sein Leidensgenosse, auch war die Ausgangstempe- ratur des Suslik gleich + 36° C., des Kaninchens 37,8°. Beide Thiere wurden in demselben Moment in die Erkaltungskasten gesetzt, auch genau nach !/, Stunde wieder herausgenommen. Die Wärme der Luft ım Laboratorium war =-+16°C.

Nach Verlauf der halben Stunde war die Wärme im Mast- darm und im Ohr des Kaninchens = 34,4, des Susliks im Mast- darm = 10,4°C. Der Wärmeverlust des Kaninchens war also in derselben Zeit = 3,4° C., in welcher derjenige des Susliks =25,6° war. Welch’ ein Missverhältniss! Das Gewicht des Kaninchens war 1231,32 Grm., das des Susliks 163,25 Grm. Das Volumen des Kaninchens war gleich dem Volumen von 12,5 Decilitre Wasser, das des Susliks =1,5 Decilitre. Man sieht, dass das Verhältniss der Abkühlung weder dem Ver- hältnıss des Volumens noch dem des Gewichts der Thiere gleich ist. Es bliebe also nichts übrig als nach der Analogie todter Körper zu erklären, die Wärmecapaeität des Susliks sei geringer als die des Kaninchens. Ein solcher Schluss wäre aber nicht gerechtfertigt. Die vorhandene Wärme eines Thie- res ist nicht blos eine Folge der Wärmecapacität, sondern auch der Wärmeerzeugung und im vorliegenden Versuche ist natür- lich auch die Emissibilität zu berücksichtigen. Der Versuch kann allerdings bedeuten, dass die Wärmecapaeitäten der Thiere verschieden sind, er kann aber auch beweisen, dass Wärmeer- zeugung oder Wärmeemission verschieden sind. Es waren also noch andere Versuche nöthig.

Soviel mir bekannt ist, hat man eigentliche Versuche nicht angestellt, um zu untersuchen, wieviel Wärmeeinheiten in einem gegebenen Thiere zur gegebenen Zeit vorhanden sind. Denn die Versuche von Dulong und Despretz z. B. haben ganz andere Zwecke gehabt.

Um zu wissen, wieviel Wärmeeinheiten in einem gegebenen Momente in einem gegebenen Thiere vorhanden sind, muss man

40 A. Walther:

das Thier tödten und in demselben Moment in einen calorime- trischen Apparat setzen. Hier entsteht aber die Frage, welcher calorimetrische Apparat ist für diese Untersuchung der beste? Es ist leicht einzusehen, dass der einzige taugliche das Lavoi- sier’sche Eiscalorimeter ist, denn es ist das einzige, welches in seinen Aussagen beinahe unabhängig von der Emissibilität ist. Die Erkaltungsmethode setzt gleiches Volumen voraus, die Regnawit’sche Methode a melange mit Eintauchen des zu un- tersuchenden Körpers in Wasser von bestimmter Wärme und Quantität, ebenso die Hirn’sche Anwendung dieser Methode in Beziehung auf die Zeit, eliminiren den Coöfficienten der Emis- sibilität, die Methode Hirn’s bezieht sich ausserdem auf eine constante Wärmequelle, was das getödtete Thier natürlich nicht ist. Ein getödtetes Kaninchen, ja ein so kleines Thier wie der Suslik hat z. B., nachdem es 36—48 Stunden im Eisca- lorimeter gelegen und eine Menge Eis geschmolzen hat, noch +1,—h5°C. in der Bauchhöhle. Es giebt also, wie ich glaube, bei dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft schwerlich eine bessere Methode zum Zweck der Calorimetrie so eben ge- tödteter Thiere, wodurch der neue Zufluss der Wärme abge- schnitten wird, als das Lavoisier’sche, bekanntlich von den Physikern gegenwärtig verworfene Eiscalorimeter.

Ich habe mich bis jetzt vergeblich bemüht, eine Angabe der Physiker in der Literatur über die Fehlergrenzen des Lavoi- sier’schen Apparates zu finden, denn wie man weiter unten sehen wird, giebt das Lavoisier’sche Calorimeter abweichende Ergebnisse in Beziehung auf die Constanz der Wärmeeinheiten eines und desselben Thieres. Meine Untersuchungen hatten vorzugsweise zum Zweck, die Frage zu entscheiden, ob ein Un- terschied in der relativen Quantität der Wärmeeinheiten eines Kaninchens und eines Suslik stattfindet. Zu diesem Zwecke wurden beide T'hiere, d. h. je ein Kaninchen und ein Suslik mit einem Schlage auf den Hinterkopf getödtet und sogleich in das bereite Calorimeter geworfen, dabei ganz und gar mit fein gestossenem Eis oder Schnee umgeben. Es waren also allemal zwei Calorimeter zur Hand und war das Eis oder der Schnee al- lemal ganz gleicher Qualität, d. h. gleich trocken oder nass.

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 41

Dieses war nothwendig, weil eine von den Fehlerquellen des Eiscalorimeters in der Verschiedenheit der Durchfeuchtung des angewandten Eises oder Schnees liegt. Es blieb somit als Grund zu Ungenauigkeiten nur die Zufälligkeit der Anordnung der Schnee- und Eistheilchen übrig, welche auf die Capillarität und also auf die Quantität des abfliessenden Wassers von Ein- fluss sein konnte. Ob dieser Umstand die Ungleichheit der Resultate, welche ich erhalten habe, genügender klären kann, überlasse ich Anderen zu entscheiden; ich glaube es nicht, um es aber mit Bestimmtheit zu wissen, müssten die Fehlergrenzen ‘des Lavoisier’schen Calorimeters bekannt sein, was meines Wissens nicht der Fall ist. Sollte also die scheinbare Differenz der Wärmecapacität eines und desselben Thieres, welche ich gefunden habe, bloss den Unvollkommenheiten des von mir ge- brauchten Apparates zuzuschreiben sein, so müssten Lavoisier _ und Laplace, welche mit demselben bekanntlich wichtige Un- tersuchungen angestellt haben, die grössten Stümper genannt werden. Da das nun aber nicht der Fall ist, so glaube ich, dass meine Resultate nicht allein auf Rechnung des Apparates zu schieben sind, sondern dass sie allerdings die sonderbare Thatsache beweisen, 1) dass ein und dasselbe Thier zu ver- schiedenen Zeiten verschiedene Wärmequantität besitzt, oder mit anderen Worten, dass es, ohne bei Messungen im Ohr oder im After eine Aenderung seiner Wärme zu verrathen, dennoch eine verschiedene Zahl Calories enthalten kann; 2) dass in al- len meinen Versuchen das winterschlafende, aber vollkommen erwachte und erwärmte Thier (der Suslik) im Verhältniss zu seiner Grösse eine grössere Quantität Calories enthielt, als das nicht winterschlafende (das Kaninchen), obgleich beide Thiere als Nager im zoologischen System einander so nahe stehen. Ob dieses Verhältniss von winterschlafenden zu nichtwinter- schlafenden Thieren ein in allen Fällen constantes ist, kann natürlich aus einer so beschränkten Zahl von Versuchen, welche ich bis jetzt angestellt habe, noch nicht gefolgert werden, ist aber deshalb wahrscheinlich, weil ein Wachsen oder Abnehmen der Wärmecapacität des einen Thieres allemal ein Wachsen oder Abnehmen der Wärmecapacität auch des anderen Thieres

42 | A. Walther:

darbot. Es liegt die Folgerung nahe, dass die Wärmecapacität eines gegebenen Thieres wenigstens zum Theil von äusseren Einflüssen her regulirt wird. Wenn das Wachsen oder Abneh- men der Wärmecapacität bei beiden Thieren nicht gleichmässig stattfand, so möge man bedenken, dass das eine Thier, das Ka- ninchen, fortwährend genährt worden, während der Suslik im Winterschlafe bekanntlich nichts zu sich nimmt und erst nach- dem er zum Behufe des Versuches erwärmt und aufgeweckt war, gefüttert wurde. Um den Leser in den Stand zu setzen, die hier mitgetheilten Ansichten vollständig zu prüfen, setze ich in einer Tabelle meine mit dem Lavoisier’schen Apparate gewonnenen Zahlen her.

Nr. d.Vers.| Gewicht ‚Wärme i in| Gewicht | Wärm.i. | Quantität, Quantität u. Temper. go. Kanin- auc des ad Bauch- d. Schmelz, d.Schmelz d.Eises im! höhle en höhle |-wassers v.-wassersv. Calorimet.| chens. d. Versuch Susliks. n.d.Vers. | Kaninch. | Suslik. Nr. 9. | E. = -7°R.|1232 Grm. 220,6 G. | 13 Deeltr.| 11,7 Ditr. Nr. 10. | | Eis =0.| 895 | 05°C. 166,9 | 0,6°C. 36 7,5 Nr. 26. | | Eis =0.| 4857 | 02 10001 0,6 | 45 20 Ne 1a | | | Eis -0,| 12825 | ı5 | 1473| 06 | 80 | 16,5 Nr.14, Eis | | j | —.-1,5°0R.| 11095 | 15 1435| 1d,8lr 3 88 13,5 Nr. 12. | | Eis=0, 13733 | 05 13045 04 | 9 36

Annäherndes Verhältniss des Schmelzwassers zum

Körpergewicht. . Nr. des Ver- se Snchs: | Kaninchen | Suslik 9. ge an Me Terz 10. Leh2a | ale 235 26. 1:9 1:5 15. TC ge 14. | 1233 | 1 = Io 2. | 1:14 1:

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 43

In allen Versuchen war, als sie beendet worden, constatirt, dass der äussere Raum des Calorimeters noch ungeschmolzenes Eis und Schnee in Menge enthielt, ebenso aber auch der in- nere. Ein Einfluss der äusseren Luftwärme auf den Gang des Versuches konnte also wohl schwerlich zugestanden werden. Was die 0,5—1,5° C. betrifft, welche noch in der Bauchhöt le des einen und des anderen Thieres gefunden wurden, so sind sie nur ein Beweis davon, wie schwierig es ist, den Thieren alle Wärme zu entziehen, wie langsam die Wärmevertheilung ım todten thierischen Körper stattfindet, welche in diesem Falle als ein Conglomerat grösserer und kleinerer mit Flüssigkeit erfüllter und von feuchten Membranen begrenzter Räume an- zusehen ist, was natürlich Alles in sich vereinigt, was von schlechten Leitern denkbar ist. Die Calorimeter blieben mit den eben getödteten Thieren 36—48 Stunden lang stehen, und dennoch war es unmöglich, den letzten Rest der über vor- handenen Wärme zu entziehen. Eine noch längere Procedur schien bedenklich, weil mittlerweile der Schnee oder das Eis im äusseren Raume schmelzen konnte. Der Fehler, welcher auf diese Weise in die Beobachtung eingeführt wird, ist aber nicht hoch anzuschlagen, weil ja diese 0,5—1,5° C. nicht im ganzen Thiere, sondern nur an ganz beschränkten Stellen der Brust- und Bauchhöhle aufzufinden waren.

Ich habe also bei diesen Versuchen nur relativ brauchbare Grössen gefunden, und dennoch glaube ich nicht, dass man alle Sätze beanstanden kann), welche ich oben aufgestellt habe, nämlich dass nicht nur in allen von mir untersuchten Fällen die Wärmecapacität des Susliks grösser als die des Kaninchens war, sondern dass sowohl Suslik als Kaninchen zu verschiede- nen Zeiten verschiedene Quantitäten von Wärmeeinheiten ent- halten, obgleich im Ohr und Mastdarm die Eigenwärme des Thieres dieselbe blieb.

1) Ich bitte den Leser zu bedenken, dass ich eigentlich nur die Beziehungen der Calories zu eruiren suchte, und dass die Zahlen, welche die Ungleichheit der Wärmemengen eines und desselben Thie- res beweisen sollen, so zu sagen nur ein zufälliges Nebenproduct bil- den, welches ich als Material für fernere Untersuchungen, aber nicht als unumstössliches Resultat hinstelle.

44 A. Walther:

Wovon hängt diese auffallende Erscheinung ab? Es giebt nach dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaft mehrere Erklärungsgründe, welche aber alle im Gebiete der Hypothese liegen. Man könnte sich berufen auf die unzulängliche Kennt- niss, welche wir vom Wärmefassungsvermögen der organischen Körper besitzen ; man könnte bezweifeln, ob der thierische Körper in seiner Mannichfaltigkeit der Function und Abhängig- keit von der Aussenwelt zu jeder Zeit aus einer gleichen Com- bination gleicher Stoffe besteht, oder ob diese Stoffe sich stets in gleichen Aggregatszuständen befinden. Es giebt aber noch eine Antwort auf die aufgeworfene Frage, welche viel näher als die oben angegebene ist. Es könnte sein, dass die äusseren Körpertheile so abgekühlt oder erwärmt sind, dass, obgleich die Wärme im Ohr und Mastdarm die normale bleibt, dennoch die Summe der Wärmeeinheiten in einem gegebenen Thiere zu ver- schiedenen Zeiten varııren. Es müsste sich dann zeigen, dass zu warmer Zeit und bei warmer Lüft die Summe der Wärme- einheiten an demselben Thiere grösser als zu kalter Zeit in kalter Luft sind; doch so einfach ist die Sache nicht: damit die äussere Körperoberfläche kälter und die inneren Theile da- bei wärmer, oder eben so warm als vor der Erkaltung der Oberfläche bleiben, ist es nöthig anzunehmen, dass die Emissi- bilität der Wärme aus einem thierischen Körper im umgekehr- ten Verhältniss der Erkaltung stehe, dass die äussere Erkaltung die Emissibilität beschränke. Man hat das auch wohl schon zugegeben, meinend, dass die Wärmeentziehung an der Ober- fläche den Durchmesser der Capillaren und somit die Fähigkeit der Ausdünstung, also auch die Fähigkeit der Erkaltung ver- mindere. Man muss aber auch ausserdem bedenken, dass das Herz als Hauptmotor der im Körper befindlichen Flüssigkeiten, durch die Kälte in seinen Bewegungen verlangsamt wird, der Blutdruck also sehr vermindert, dass also dadurch das Thier so zu sagen einem todten Thiere immer ähnlicher wird, aus welchem die Wärme so schwer zu entnehmen ist. Dann kann man auch die sonderbare Thatsache erklären, welche zuerst Liebermei- ster entdeckt hat, dass nämlich in kaltem Wasser das Ther-

mometer ım Munde ein Steigen der Wärme anzeigen kann.

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 45

Ich kann diese Thatsache bestätigen und habe sie an mir selbst bei Flussbädern beobachtet. Das ist aber natürlich nur mög- lich, wenn das Thier lebt, natürlich unmöglich am getödteten Thiere. Dass wirklich die Verschiedenheit der Emissibilität eine Rolle spielt bei der Erzeugung der Differenz der Wärme- einheiten, welche in ein und demselben Thiere zu verschiede- nen Zeiten gefunden werden, dafür spricht noch der seltsame Umstand, dass dem Suslik die Wärme viel schneller entzogen werden kann, als dem Kaninchen, und dass dennoch eine klei- nere Anzahl Gewichtseinheiten des Suslik eben so viel Eis schmilzt als eine grössere des Kaninchens.. Denn wenn eine Gewichtseinheit Suslik mehr Calories beherbergt als eine gleiche Gewichtseinheit Kaninchen, und dennoch dieselbe Gewichtsein- heit Suslik die grössere Quantität Calories leichter verliert, so ist klar, dass das nur von zwei Ursachen abhängen kann, entwe- der von. einer kleineren Wärmeproduction beim Suslik, oder von einem leichteren Verlust. Der Suslik ist ein äusserst leb- haftes, agiles Thier, welches beisst und kratzt, während unser Stallhase diese Eigenschaften in weit geringerem Grade besitzt. Eine geringere Verbrennung beim Suslik anzunehmen, wider- spricht allen Thatsachen, was bleibt also übrig, als dem Suslik bei grosser Wärmecapacität eine grössere Emissibilität zuzu- schreiben ? |

Es lässt sich also das Phänomen des Winterschlafes keines- wegs einfach auf Verhältnisse der Wärmecapacität zurückführen.

3) Ueber den Einfluss einiger Gifte und Medicamente auf die Abkühlung der Thiere.

Da die Menge der in einem gegebenen Thiere zu einer ge- gebenen Zeit eingeschlossenen Wärmeeinheiten also keine be- ständige, sondern eine wechselnde Grösse darstellt, so kann man diese Quantität der Wärmeeinheiten beim gegenwärtigen Zustande der ‘Wissenschaft betrachten als Function 1) der In- tensität des Verbrennungsprocesses oder Stoffwechsels, 2) der Aufnahmefähigkeit des Thieres für Wärmeeinheiten, 3) der

Emissibilität, 4) der Agitation des in Höhlen, Zellen u. s. w. des

46 A. Walther:

Körpers eingeschlossenen Flüssigkeiten, d. h. der Grösse der Thätigkeit des Herzens und der Gefässe alle, Art, 5) der Thä- tigkeit des Nervensystems als desjenigen, welches diese Fun- ctionen mit einander verbindet. Wenn es möglich wäre, auf die Factoren der Erwärmung eines Thieres einzeln einzuwirken, und zu beobachten, was für einen Einfluss eine solche Einwir- kung auf die Zahl der im Thiere enthaltenen Wärmeeinheiten hätte, so könnte man einen experimentellen Beweis dieser theo- retischen Auseinandersetzung zu finden erwarten.

Es ist diese Ansicht schon von Anderen, so z. B. von Lud- wig in seinem Lehrbuche der Physiologie in ähnlicher Weise ausgesprochen worden, und schon von diesem Forscher bemerkt worden, dass es schwierig sei auf die einzelnen Factoren einzu- wirken, weil dergleichen isolirte Wirkungen nicht vorkämen; was auf den Stoffwechsel wirke, wirke auf das Nervensystem, was auf das Nervensystem wirke, auf den Stoffwechsel u. s. w.. Deshalb ist wohl, soviel ich weiss, eine praktische Lösung der Frage niemals versucht worden.

Ich habe nun mich der Lösung des Problems so zu nähern gesucht, dass ich zuerst festzustellen suchte, ob zwei Kaninchen von annähernd gleicher Grösse und gleichem Gewicht, wenn sie in den Abkühlungsapparat gesetzt werden, merkliche Un- terschiede in Beziehung auf die Zeit und den Modus der Ab- kühlung darböten. Zu diesem Behufe wurden je zwei Thiere in möglichst gleiche erkältende Bedingungen (bei circa —17° R.) gesetzt und nun von Viertelstunde zu Viertelstunde die Wärme in ihrem Ohre gemessen. Es erwies sich, dass unter solchen Umständen bei einer Abkühlung von etwa 38,5 20° C. kein merkbarer Unterschied sich darbot.

Darnach konnten also etwaige Abweichungen bei vergifteten Thieren nur auf Rechnung des Giftes geschrieben werden. Es wurden nun je zwei Kaninchen hergenommen und eines unver- giftet, das andere vergiftet, zu gleicher Zeit in den Abkühlungs- apparat gesetzt, dessen Wärme immer gleich war (etwa —17°R.). Als Gifte wurden ausgewählt: 1) Alkohol, als ein Gift, welches den Stoffumsatz wesentlich herabsetzt, 2) Morphium aceticum als direet auf die Nerven wirkend,, 3) Digitalin, von dem ich

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 47

erwartete, dass es auf’s Herz wirken werde, was es aber be- kanntlich beim Kaninchen nicht thut. Der Alkohol wurde in Form des gewöhnlichen Branntweins (nach Meissner’s Araeo- meter von 35°) etwa 20—30 Ce. durch den Mund eingeflösst, Morphium aceticum von !/;—1 Grm. in 2—3 Ce. Wasser auf- gelöst, Digitalin zu ',—1 Grm. ebenso unter die Haut mit einer Pravaz’schen Spritze injieirt. Das Digitalin brachte keine merkbare Wirkung auf den Herzschlag hervor, dennoch aber erkaltete das mit Digitalin behandelte Thier im Apparat etwas schneller als das unversehrte. Jedoch waren die Ver- suche mit Digitalin die am wenigsten auffallenden. Ich habe mit jedem Gifte drei Versuche, also im Ganzen neun Versuche angestellt. Am frappantesten waren die Versuche mit Alkohol. Ich setze einen in extenso hierher.

Zwei weisse Kaninchen, von der langhaarigen (also kleineren) Race. Dem Kaninchen A. in den Magen eingespritzt 35 Ce. Branntwein (siehe oben). Wärme im Ohre beider Kaninchen vor dem Versuche 38,5°C. Wärme des Laboratoriums 12,5° C. 20 Minuten nach dem Einflössen des Alkohols, als das Thier ganz betrunken war und schwach athmete, war die Wärme des- selben im Ohr, ehe das Thier noch in den Apparat gesetzt wurde, schon = 36,7°C. Als beide Thiere im Apparate wa- ren, wurde die Wärme wiederum gemessen und betrug

ıb. Kaninchen A| ib. Kaninchen B (dem betrunke- Kan, gesun- nen) | Reden 35,60 C - 37,6° C Nach + Stunde 34,3 37,4 a 32,7 37,4 Sehe 31,8 37,1 a 80,5 35,9 an lan 2859 I 4038 ee gerg ne 24,2 | 36,1 Era 21,8 | 35,7 ee 2108 et

In 9 Viertelstunden war also das Kaninchen A. von 38,8 auf 19,3° durch Kälte und Alkohol heruntergebracht, während die gleiche Kälte allein das andere Thier in derselben Zeit

48 A. Walther:

nur auf 35,6% abkühlen konnte. Die anderen Versuche mit Alkohol hatten ein ähnliches Resultat, nur waren die Unter- schiede weniger frappant, sobald die Quantität des Alkohols geringer war, und wenn die Berauschung des Thieres im Laufe des Versuches abnahm, so geschah das Sinken der Wärme auch weniger schnell.

Das Morphium hatte ebenfalls deutlich eine die Abkühlung beschleunigende Wirkung, und sank die Wärme solcher narko- tisirter Thiere auch schon vor dem Einsetzen derselben in den abkühlenden Apparat.

Ich möchte hierbei für’s Erste nur auf die genauere Bestä- tigung des ohnedies ziemlich allgemein geglaubten Satzes hin- weisen, dass die Berauschung mit Alkohol die Widerstandsfä- higkeit des Individuums gegen die Kälte herabsetzt. Bei schwachen Gaben von Alkohol trat im Anfange des Versuches, d. h. vor dem Einsetzen in den Apparat, eine kleine Steige- rung bis zu !/,° C. ein, welche aber alsbald dem Sinken Platz machte.

4) Ueber den Tod durch Abkühlung.

Ueber diesen Gegenstand herrschen im Ganzen ziemlich schwankende Ansichten, da die Frage nur aus dem patholo- gisch-anatomischen Befunde sogenannter Erfrorner beantwortet wurde. Bei Kaninchen könnte man auf den Gedanken kommen, dass das endliche Erlöschen willkürlicher und reflectorischer Bewegung (Tod der Centralorgane des Nervensystems ) in ir- gend einer Verbindung mit der Blutanhäufung und dem Oedem in den Lungen stehe, welche so häufig bei abgekühlten Thieren gefunden werden. Da jedoch der Tod auch eintritt, ohne dass man solche Engouements in den Lungen findet, da andererseits Thiere diese Abkühlung überleben, nach gehöriger Erwärmung wieder zu sich kommen, bei welchen, wenn man sie tödtet, dennoch dergleichen Flecke u. s. w. in den Lungen gefunden wer- den, so ist die Folgerung unabweislich, dass diese Engouements allein den Tod nicht bedingen. Ihr Zustandekommen ist, wie schon oben bemerkt worden, ebenfalls nicht ganz begreiflich. Am nächsten läge es, ihre Entstehung der geschwächten Herz-

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. _ 49

thätigkeit zuzuschreiben. Ich will hier nur noch bemerken, dass auch der Suslik, so leicht er auch abgekühlt wird, so schnell er auch wieder zu seiner früheren Wärme gelangt, dennoch auch das Phänomen der Lungencongestionen zeigt, und biswei- len auch, nachdem er schnell und völlig wieder zur normalen ‘Wärme zurückkehrt, dennoch crepirt, wo man dann diese Lun- gencongestionen findet.

‘Wenn man beobachtet, wie ein abgekühltes Kaninchen den Tod der Nervencentren erleidet (denn das Herz findet man noch später schlagend), so findet man, dass dieser Process allemal auf folgende Weise stattfindet. Nachdem das Thier immer schwächer geworden ist, seine Bewegungen, respiratorische so wie Gliederbewegungen immer schwächer geworden sind, tritt endlich eine eigenthümliche Erscheinung ein, welche man an weissen Kaninchen gut sehen kann.. Der bis dahin rothe Augengrund wird blass, schieferfarben, ohne Zweifel von Anae- mie des Auges. Diese Erscheinung ist ein sicherer Vorbote des Todes, welcher in einigen Augenblicken nachfolgt. Es tritt nämlich ein allgemeiner Krampfzustand, eine Art von Tetanus ein, welcher dem Leben ein Ende macht. Es sind das Er- scheinungen der Anaemie der Centralorgane, welche wahrschein- lich eintreten durch das allmählige Sinken der Herzthätigkeit. Ich habe schon in der vorläufigen Mittheilung in Virchow’s Archiv mitgetheilt, dass der Herzschlag bis auf 20 Schläge in der Minute sinkt, und dass ebenfalls der Blutdruck in den Ar- terien auf ein Minimum reducirt wird. Bei solchen Umständen ist die Anaemie vollkommen erklärlich, welche die Section in den Centralorganen auch nachweist. |

Es könnten diese Thatsachen dazu dienen, einiges Licht zu verbreiten auf die Methode, sogenannte erfrorene, d. h. abge- kühlte Menschen oder Thiere wieder in’s Leben zu bringen. Ich bin der Meinung, dass wenn einmal dieser eben beschrie- bene Zustand, die Anaemie der Centralorgane, ein paar Minu- ten angedauert hat, das Leben rettungslos verloren ist, dass aber bis dahin Belebungsversuche möglich sind. Ich kann auch in dieser Hinsicht einige neue oder vergessene Thatsachen an- führen. Erstens habe ich versucht, Amphibien, z. B. Frösche

Reichert’s n. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 5 4

50 A. Walther:

ganz bis zum Festwerden des Wassers in ihrem Körper zu er- kälten, weil man die Angabe findet, dass solche Thiere bei langsamer Erwärmung wieder zu sich kommen können. Mir ist dieses nicht gelungen, im Gegentheil, sobald die Thiere auf- gethaut waren, wurden die Muskeln unmittelbar todtenstarr, ganz wie bei Kaninchen, unmittelbar nach dem Tode durch Ab- kühlung.')

Andererseits habe ich es unternommen, Kaninchen, welche mit den angegebenen Erscheinungen der Anaemie der Cen- tralorgane gestorben waren und wo aller Wahrscheinlichkeit nach sogar das Herz noch fortschlägt (wie auch die Section solcher Fälle gelehrt hatte, wobei aber allerdings in den unter- suchten Fällen weder die Brusthöhle geöffnet, noch, um nicht Zeit zu verlieren, Nadeln in’s Herz eingeführt werden konnten, welche es möglich gemacht hätten, die Bewegungen desselben zu constatiren), sogleich in einen Wärmekasten zu setzen, wel- cher auf +40° R. durch Wasser erwärmt war. Ich habe solche Kaninchen Stunden lang erwärmt und nachdem im Ohr und Mastdarm bis 35° C. gemessen werden konnten, herausgenom- men; sie waren aber todtenstarr. So verführerisch also immer die Idee scheint, ein Thier, dessen Organisation ganz intact ist und dem nur die nöthige Quantität Wärme fehlt, durch Ein- flössen dieser Wärme wieder zu beleben, so ist sie doch nicht zu realisiren. Das Thier ist und bleibt todt, die Organisation bleibt nicht dieselbe wenn man ihr die Wärme entzieht, son- dern geräth in unheilbare Unordnung.

Die wichtigste Frage, welche man aufwerfen muss, wenn man ein erkaltetes Thier durch Erwärmung wieder zu sich bringen will, ist also die Frage, ob die Centralorgane noch von Blut gespeist werden oder nicht. Vielleicht kann darüber der Augenspiegel Auskunft geben. Dann muss die Erwärmung rasch vor sich gehen, denn je länger das Thier im abgekühl- ten Zustande bleibt, desto grösser sind die Chancen für das

!) Vergl. indess die über diesen Gegenstand von mir gesammelte Literatur und meine eigenen darauf bezüglichen Wahrnehmungen in meinen Untersuchungen über thierische Elektrieität. Bd. II. Abth. II. S. 33. Anm.l. [E. d. B.-R.]

Studien im Gebiete der Thermophysiologie. 51

Zustandekommen der Lungenhyperaemieen, für das Erlahmen der Herzthätigkeit, also desto grösser die Lebensgefahr. Es ist mir unmöglich gewesen zu erfahren, woher sich die wenig- stens in Russland verbreitete Ansicht herschreibt, dass man ab- gekühlte Menschen nur ganz langsam erwärmen soll. Man bringt solche Leute zuerst in ein kühles, dann in ein warmes Zimmer. Im Allgemeinen legt man sie auch nicht in ein war- mes Bad von etwa +30° R., was doch jedenfalls das Nothwen- digste ist, denn wenn auch, was kaum glaublich ist, der mensch- liche Körper eine unbegrenzte Fähigkeit hätte, bei Aufhebung der Wärmeentziehung von jeder beliebigen nicht tödtlichen nie- deren Temperatur zu seiner normalen Wärme zurückzukehren, so wäre dazu doch eine lange Zeit erforderlich und in dieser Verzögerung läge die Gefahr. Meiner Ansicht nach ist also das beste Mittel in solchen Fällen, einen durch Kälte ge- schwächten Menschen schnell in ein warmes Bad oder heisses Zimmer von etwa +30° R. zu bringen. Ob man auch beim Menschen die künstliche Respiration einleiten sollte, ist aller- dings bedenklich, da man auch hier leicht die Lunge zerreissen kann und jedenfalls diese Procedur viel langsamer zum Ziele führt als die directe Wärmezufuhr durch die Haut im Bade. Dagegen scheinen die von Ziemssen z. B. erlangten günstigen Resultate der Faradisation der Zwerchfellsnerven dafür zu spre- chen, dass auf diesem Wege eine Belebung der respiratorischen Thätigkeit nicht unmöglich sei.

Ich benutze diese Gelegenheit, um dem Herrn Stud. A. Hor- vat und meinem Assistenten Herrn Kosakewitsch, aus dem Cherson’schen Gouvernement, meinen Dank auszusprechen für die Hülfe, welehe sie mir bei diesen mühsamen Versuchen ge- leistet haben.

Kiew, den 1./12. Juli 1864.

52 Ludwig Stieda:

Ueber den Bau der Haut des Frosches. (Rana temporaria L.)

Von

Dr. LupwıG STIEDA, Prosectorgehülfen und Privatdocenten in Dorpat.

(Hierzu Tafel 1.)

Bei allen Exemplaren von Rana temporario, gleichviel ob Männchen oder Weibchen, findet sich auf der Stim ein kleiner _ weisslicher Fleck, der freilich nicht stets mit gleicher Deutlich- keit sichtbar ist. Herr Professor Reissner, der diesen Fleck ursprünglich entdeckt hat, hat mich auf denselben aufmerksam gemacht und dazu veranlasst denselben zu untersuchen.

Gerade in der Mitte zwischen den Augen eines Frosches (cf. Fig. 1) erscheint eine kleine, ungefähr einen Millimeter im Durchmesser haltende rundliche Stelle heller als die sie um- gebenden Hautpartieen; bei dunkel pigmentirten Individuen er- scheint sie ganz weiss. Ich nenne diese Stelle den Stirnfleck. Bei genauer Betrachtung dieses Stirnflecks’ gewinnt man die Ueberzeugung, es sei die Haut an dieser Stelle ein wenig er- haben.

Versucht man nun einem Frosch die Haut des Kopfes abzu- ziehen, so macht sich stets ein kleines Fädchen bemerkbar, welches zwischen der dem Körper zugewandten Hautfläche und der oberen Schädelfläche ausgespannt ist, der Art, dass es ge- rade an der dem Stirnflecke entsprechenden unteren Fläche der Haut befestigt ist. Ich will hier gleich bemerken, dass die

Ueber den Bau der Haut des Frosches. 53

mikroskopische Untersuchung dieses Fädchens ergiebt, dass dasselbe aus einem in lockeres Bindegewebe eingehüllten Bün- del markhaltiger Nervenfasern und einem kleinen Blutgefässe besteht, also sich analog verhält den vielen anderen Fäden und Fädchen, welche der locker der Körperoberfläche anliegenden Haut Nerven und Gefässe zuführen.

Hat man die Haut abgezogen und hält sie gegen das Licht, so überzeugt man sich leicht, dass der als Stirnfleck sich dar- stellende Theil derselben viel durchsichtiger ist als die Umge- bung. Dieses lässt auf eine geringere Ansammlung oder auf gänzlichen Mangel an Pigment schliessen. An derartig abge- zogenen Hautstücken kann man nach der Durchsichtigkeit mit grosser Sicherheit die Stelle des Stirnfleckes bestimmen, wenn derselbe sich bei der Ansicht von aussen nicht so scharf ab- grenzt, als es bisweilen der Fall ist.

Es lag nahe anzunehmen, dass jener constante Fleck doch also nicht zufällig sei, sondern eine besondere Bedeutung haben müsse. Um diese zu finden, nahm ich eine genaue Untersu- chung der Haut vor.

An frischen Hautstücken, welche ich bei SOfacher Vergrös- serung mit dem Mikroskop betrachtete, erkannte ich deutlich, dass das charakteristische Pigment der Cutis, welches die Haut sonst so undurchsichtig macht, am Stirnfleck fehlt, dass dage- gen in der Epidermie sich mitunter noch etwas Pigment auf- finden liess. Ferner bemerkte ich bisweilen noch eine oder zwei Hautdrüsen am Stirnfleck. Ausser der schon erwähn- ten Pigmentlosiskeit ergab die an der frischen Haut vorgenom- mene Untersuchung keine weiteren Resultate, welche mir die Natur und Bedeutung dieses Fleckes aufklärten. Ich suchte deshalb durch Untersuchungen, die ich in anderer Weise an- stellte zu meinem Ziele zu gelangen. Ich wählte Hautstücke, die ich entweder trocknete oder in Alkohol oder in wässeriger Chromsäurelösung erhärten liess und fertigte daraus feine Schnitte, senkrechte und horizontale, an, welche in Carminlösung imbibirt und durch Glycerin durchsichtig gemacht, sich sehr wohl aufhe- ben liessen. Ich muss dabei bekennen, dass ich der Methode der Erhärtung in Chromsäure den Vorzug geben muss, weil

54 Ludwig Stieda:

sich aus den so gehärteten Stücken der Haut am leichtesten feine Durchschnitte in verschiedenen Richtungen herstellen liessen.

Ich war dabei natürlich genöthigt, zuerst die Structur der Haut des Frosches im Allgemeinen zu erforschen, wobei ich Gelegenheit hatte, die im Ganzen nicht sehr zahlreichen Mit- theilungen über diesen Gegenstand einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.

Ich gebe zuerst als Resultat meiner Beobachtungen eine Be- schreibung des Baues der Haut, füge aber hinzu, dass ich vor- nehmlich die Haut des Kopfes und des Rückens und nur bei- läufig auch die Haut anderer Gegenden untersucht habe.

Beim Frosche liegt bekanntlich die Haut der Körperober- fläche nicht eng an, sondern umgiebt den Körper locker wie ein Sack. Dünne Stränge oder Fäden, welche der Haut Blut- gefässe und Nerven zuführen, befestigen die Haut an den Kör- per. An der Haut des Frosches lassen sich wie sonst bei der Haut deutlich von einander unterscheiden die Cutis oder Le- derhaut, welche aus Bindegewebe besteht, und die Epider- mis oder die Oberhaut, welche sich durch ihre Zusammen- setzung aus Zellen deutlich von der Cutis bei mikroskopischer Untersuchung abgrenzt.

Die Dicke der Haut ist an den verschiedenen Körpergegen- den sehr verschieden: während die Dicke der Haut des Rückens und der seitlichen Partieen 1—1,5 Millimeter beträgt, ist die dünnere und feinere Haut der Extremitäten kaum halb so dick.

Man kann die Epidermis sehr leicht, namentlich nach Be- tupfung mit etwas Kalilauge von der unterliegenden Lederhaut abziehen und erkennt erstere dann als ein äusserst dünnes und durchsichtiges Häutchen. Deutlicher und besser übersieht man die Epidermis in ihrer Mächtigkeit und ihr Verhältniss zum Derma an senkrecht durch die Haut geführten Durchschnitten. Es lassen sich dann an der Epidermis mit Leichtigkeit zwei Lagen unterscheiden, welche analog den entsprechenden Schich- ten der Epidermis des Menschen als Stratum Malpighii und Stratum corneum zu bezeichnen sind. Das Stratum cor- neum ist aber äusserst dünn; während die Dicke der Epidermis

Ueber den Bau der Haut des Frosches. 55

ungefähr 0,090 Mm. beträgt, misst das Stratum corneum nur 0,006 Mm., das Stratum Malpighii aber 0,084 Mm.

Der unterste der Cutis fest eingefügte Rand der Epidermis (Fig. 3d, Fig. 4a) erscheint an Durchschnitten nicht ganz glatt und eben, sondern zeigt an einigen Orten leichte Einkerbungen, welche gewissen Erhebungen der Cutis entsprechen. Der oberste Rand der Epidermis erscheint dagegen völlig glatt und eben.

Die Epidermis (Fig. 3d) besteht aus deutlich übereinan- dergeschichteten Zellen. Die Zellen, deren ich meist fünf oder sechs Lagen oder Reihen übereinander zählte, haben jedoch nicht überall ein gleiches Aussehen. Die Zellen der tiefsten Lagen sind länglich und so gelagert, dass ihr Längendurchmes- ser senkrecht auf der Cutis steht; es haben diese Zellen einen sehr grossen, fast die ganze Zelle erfüllenden Kern und ein kleines Kernkörperchen. ° Hat man Epidermis und Cutis von einander getrennt, so erscheint an senkrechten Durchschnitten der unterste Rand der Epidermis sehr fein gezähnelt. Diese feine Zähnelung wird dadurch bedingt, dass die Zellen der tiefsten Lagen je eine oder zwei sehr zarte Zacken haben, welche dazu bestimmt sind, in die entsprechenden Vertiefungen der Cutis einzugreifen. Mehr nach oben zu werden die Zellen grösser und runder, platten sich aber dabei ab, so dass die oberste unter dem Stratum corneum gelegene Schicht aus einer Lage vollständiger Platten besteht, die auf senkrechten Durch- schnitten der Haut nur einen sehr geringen Durchmesser haben. Auf horizontalen Durchschnitten dagegen erscheinen die Zellen dieser Schicht sehr deutlich als mehr oder weniger regelmäs- sige sechsseitige Platten, welche, eng aneinander gefügt, der obersten Schicht ein sehr zierliches, getäfeltes Ansehen geben.

Die Epidermis erscheint nicht selten pigmentirt. Das Pig- ment ist enthalten theils als ein feinkörnig dunkelbraunes oder schwarzes in den Zellen der Epidermis, namentlich in den tief- gelegenen Schichten des Stratum Malpighii. Theils rührt das dunkle Aussehen der Haut her von sehr grossen, stark ramifi- eirten Pigmentzellen, welche meist zwischen Cutis und Epider- mis gelagert sind, oft aber auch mitten unter den Zellen der Epidermis sich auffinden lassen. Feine Durehschnitte geben

56 Ludwig Stieda:

über die Lage und das Verhalten dieser ramifieirten Pigment- zellen keine rechte Anschauung, wohl aber giebt die mikrosko- pische Untersuchung eines abgezogenen und durchsichtig ge- machten Stückes der Epidermis ein sehr deutliches Bild.

Das Stratum corneum erscheint auf senkrechten Durch- schnitten als eine stark lichtbrechende, homogen aussehende Membran von ungefähr 0,006 Mm. dick. Erst nach Behand- lung mit Alkalien lässt sie sich in zellenähnliche Schollen zer- legen.

Die Cutis besteht aus fibrillärem Bindegewebe mit einge- lagerten Drüsen, Blutgefässen und Nerven. Ihr Bau ist nicht an allen Theilen gleich, wie man deutlich aus senkrechten durch die ganze Haut gemachten Durchschnitten ersieht. Es zeigt sich, dass in dem der Epidermis zugewandten Theile der obe- ren Lage der Cutis eine Menge rundlicher Körper, Hautdrü- sen, eingelagert sind; ich nenne diesen Theil die Drüsen- schicht der Cutis (Fig. 4b). Der darunter liegende nur aus Bindegewebe bestehende Theil (Fig. 3f, Fig. 4c) mag der cha- rakteristischen Anordnung des Bindegewebes wegen die Schicht der wagerechten Fasern genannt werden.

Diese untere Lage der Cutis (Fig. 3f, Fig. 4c) wird durch Bindegewebe gebildet, dessen Fasern und Bündel aber nicht, wie bei den Säugethieren und Vögeln, sich in unregelmässiger Weise vielfach durchkreuzen, sondern eine sehr regelmässige Anordnung zeigen, auf welche zuerst Rathke aufmerksam gemacht hat (Heinrich Rathke, Ueber die Beschaffenheit der Lederhaut bei Amphibien und Fischen. Müller’s Archiv. für Anatomie. Jahrgang 1847, S. 338.). Der grösste Theil der etwa 0,006 Mm. breiten Fasern zieht gerade oder in leicht wel- ligem Verlaufe, wie auf senkrechten Durchschnitten sichtbar, in wagerechter Richtung, also der Oberfläche des Körpers parallel. An Horizontalsehnitten, welche der unteren Schicht der Cutis entnommen sind, gewinnt man über den eigentlichen Verlauf dieser parallel der Körperoberfläche hinziehenden Bindegewebs- fasern eine sehr lehrreiche Anschauung. Man erkennt, dass die Fasern wohl alle in einer Ebene, aber keineswegs in einer »ichtung verlaufen, sondern sich meist unter rechtem Winkel

Ueber den Bau der Haut des Frosches. 57

kreuzen. Hieraus erklärt sich das eigenthümliche Verhalten, dass man auf senkrechten Durchschnitten der Haut, einerlei in welcher Richtung man schneidet, stets in der tiefsten Schicht die Fasern in wagerechter Richtung verlaufen sieht.

Die wagerechte Faserschicht wird ferner gekreuzt von an- deren Faserzügen, welche senkrecht von unten her die ganze Dicke der Cutis durchsetzen und die ich als die senkrechten oder aufsteigenden Faserzüge bezeichnen will. Diese senkrechten Züge durchsetzen nicht allein die Schicht der wa- gerechten Fasern, sondern auch die darüber liegende Drüsen- schicht und gelangen zum grossen Theil bis an die Epidermis. Ein grosser Theil der senkrechten Züge hängt in der Weise mit den Fasern der wagerechten Schicht zusammen, dass oben die bisher wagerecht laufenden Fasern unter rechtem Winkel umbiegend direct nach oben verlaufen, während sich die Ge- fässe und Nerven ihnen anschliessen. Der unterste Rarid der wagerechten Schicht zeigt dem entsprechend an senkrechten Durchschnitten in gewissen Entfernungen Einziehungen, in welche von unten her die Gefässe und Nerven eintreten. Zur Körperoberfläche hin wird dann die Cutis mit den hier befind- lichen Blutgefässen und Nerven von’ einem sehr lockeren und feinfasrigen Bindegewebe, dem viel elastisches Gewebe und meist auch ramifieirte Pigmentzellen beigemengt sind, abge- schlossen.

In der oberen Lage der Cutis, in der Drüsenschicht, ist das Bindegewebe nicht mehr sa charakteristisch angeordnet, wie bisher’ beschrieben: es ziehen die Fasern in mannichfacher Rich- tung sich vielfach durchkreuzend durcheinander und umspinnen die zahlreichen Drüsen, für dieselben Hüllen bildend. Nur die senkrechten Faserzüge ziehen in Bündeln in gerader Richtung aufrecht bis an den oberen Rand der Cutis. Nach Behand- lung feiner der frischen Haut entnommenen Schnitte mit Alka- lien lässt sich leicht eine Beimischung von elastischen Fasern zum Gewebe erkennen und zwar namentlich in den senkrecht aufsteigenden Bündeln. Nach Behandlung mit Essigsäure tre- ten im Bindegewebe zahlreiche Kerne auf, welche in der ver- zweigten Schicht eine sehr regelmässige Anordnung zeigen

(Fig. 3£.).

58 Ludwig Stieda:

Auf senkrechten Durchschnitten der Haut bietet die Cutis durch dies besonders in wagerechter und senkrechter Richtung angeordnete Bindegewebe ein eigenthümliches Ansehen, als sei die Cutis in eine Anzahl viereckiger oder ovaler Felder getheilt (Fig. 4. Dieses Aussehen der Cutis hat auch schon Ascher- son beobachtet (Dr. Ascherson, Ueber die Hautdrüsen der Frösche. Müller’s Archiv für Anatomie, Jahrgang 1840, S. 15), aber die Ursache nicht ermittelt. Er beschreibt diese Schicht der Cutis als eine aus durchsichtiger Substanz bestehende, welche in ziemlich regelmässigen Zwischenräumen von horizon- tal liegenden, länglichen, den Knorpelkörperchen ähnlichen Ge- bilden durchsetzt ist. Ascherson war geneigt, die viereckigen Felder, welche durch die senkrecht ziehenden Bündel in seiner „durchsichtigen Substanz“ gebildet werden, für Hohlräume zu halten, wenn die Färbung derselben mit Jod ihm nicht das Gegentheil gezeigt hätte. |

Czermak (Ueber die Hautnerven des Frosches von Jo- hann N. Czermak in Müller’s Archiv, Jahrgang 1849, S. 252) unterscheidet in der Cutis eine innere Lamelle aus ho- rizontal verlaufendem Bindegewebe und eine äussere aus ver- filztem Bindegewebe. Die Entstehung der viereckigen Felder deutet Czermak in folgender Weise. Er sagt, die horizontal verlaufenden Fasern der tiefsten Lage treten an bestimmten Punkten auseinander und bedingen so die Entstehung einer grossen Anzahl von Kanälchen, welche.das Derma senkrecht von innen nach aussen durchbohren, um den eintretenden Ner- ven und Gefässen den Weg zu weisen. Von senkrecht aufstei- genden Bindegewebsfasern erwähnt Czermak Nichts, sondern nur von senkrecht ziehenden Nervenbündeln.

Der oberste Rand der Cutis erscheint auf senkrechten Durch- schnitten nicht geradlinig, sondern zeugt deutliche Hervorra- gungen und Spitzen, welche zum Theil den Ausführungsgängen der Drüsen, grösstentheils aber den senkrechten Faserbündeln der Cutis entsprechen. Ich stehe nicht an, diese letzteren Er- hebungen (Fig. 3 und Fig. 4ee) der Cutis als Papillen zu bezeichnen und halte sie für Theile, welche den bekannten Pa- pillen der Haut des Menschen analog sind. Man findet bisher }

Ueber den Bau der Haut des Frosches, 59

nur angegeben, dass die Haut des Frosches papillenlos sei bis auf die Haut des Daumenballens, an welcher schon längst Papillen bekannt sind. Ich kann mich jener Angabe nicht an- schliessen, vielmehr betone ich, dass jene Erhebungen der Cutis, in welche die senkrechten Faserzüge sich hinein erstrecken, Papillen repräsentiren, in welche sich auch Nerven hinein ver- folgen lassen, worauf ich später noch zurückkomme.

Die alleroberste Lage der Outis, welche an die Epidermis stösst, ist zu einer homogenen, festen, das Licht stark brechen- den, gegen Alkalien sehr resistenten Membran geworden, welche 0,007 Mm. im Durchmesser hat. An dem der Epidermis zuge- kehrten Rande erscheint diese Membran auf senkrechten Durch- schnitten sehr fein gezähnt, so dass die feinen Zähne der Cutis und die entsprechenden Zacken der untersten Epidermisschicht in einander greifen. Die Bindegewebsstränge, welche von unten her zur Oberfläche der Cutis ziehen, verschmelzen zum grossen Theil mit dieser Membran.

Dicht unter der homogenen Grenzschicht der Cutis gegen die Epidermis bilden die vielfach sich kreuzenden Bindegewebs- stränge der Drüsenschicht grössere Maschen und Lücken, welche zum Theil von Blutgefässcapillaren, zum Theil von den eigen- thümlichen Pigmentzellen der Outis erfüllt sind. Letztere sind grosse, rundliche oder ovale oder eckige Zellen, gefüllt mit dunkelgelbem, braunem oder schwarzem körnigen Pigment. Von ihnen hängt hauptsächlich die Färbung der Haut ab.

Nach Hensche!') finden sich contractile Faserzellen in der Cutis des Frosches; dieser Angabe widerspricht Leydig (Lehr- buch der Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfurt a. M. 1857. S. 82). Ich habe Nichts gefunden, was ich für contractile Faserzellen hätte halten können, und muss daher das Vorkommen derselben abgesehen von den Drüsen in der Cutis in Abrede stellen.

Ueber die Blutgefässe der Haut ist nicht viel mitzutheilen.

1) A. Hensche, Ueber die Drüsen und glatten Muskeln in der äusseren Haut von Aana temporaria; in der Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie von Siebold und Kölliker. Bd. VII. Leip- zig 1856. 8. 273.

60 Ludwig Stieda:

Injectionen der Blutgefässe mit farbigen Massen sind bei Frö- schen sehr leicht auszuführen. Durch Untersuchung von inji- cirten Hautstücken stellt sich heraus, dass die Blutgefässe, eingehüllt in pigmentirtes Bindegewebe, sich von der Körper- oberfläche zur Haut begeben und dann mit den senkrechten Bindegewebssträngen aufwärts ziehen und in dem obersten Theil der Cutis ein sehr weitmaschiges Capillarnetz bilden. Man übersieht am besten dieses Netz an Hautstückchen, von denen die Epidermis entfernt ist, und die durch Terpenthinöl oder Kreosot durchsichtig gemacht sind. In der Schicht der wage- rechten Fasern finden sich keine Blutgefässe, unterhalb dieser Schicht dagegen einige gröbere Stämmchen von lockerem Binde- gewebe umgeben.

Mit den Blutgefässen werden auch Nerven der Haut zuge- führt. Ueber die Verbreitung der Nerven in der Haut liegen sehr schöne Untersuchungen von Czermak (a. a. O.) vor, de- nen ich nichts Neues hinzufügen kann. Die für die Haut be- stimmten Nervenbündel ziehen in stärkeren oder feinen Fäden durch die subeutanen Räume bis zur Haut und bilden hier an der unteren Fläche derselben ein grossmaschiges Netz ( Plexus nervorum interior seu profundus Czermak). Von diesem ge- hen Nervenfasern einzeln oder in Bündeln aus und ziehen mit den senkrechten Faserzügen nach oben, um sich in der Drü- senschicht zwischen den Drüsen zu vertheilen (Plexus nervorum superficialis).

Wie enden aber die Nerven? Czermak macht keine An- gabe über die Endigung; Leydig vermuthet, dass die Nerven zugespitzt enden.

Ich habe mich lange vergebens abgemüht, eine klare und sichere Anschauung über die Endigung der Nerven zu gewin- nen, was ich endlich gefunden, ist Folgendes: Die deutlich markhaltigen Nervenfasern verlassen, wie schon gesagt, einzeln oder in Bündeln von 2—4 den tieferen Plexus, dringen mit den Blutgefässen in die Schicht der wagerechten Fasern, wo- selbst sich ihnen die senkrechten Bindegewebsstränge anschlies- sen. Von diesen eingehüllt und umschlossen, ziehen die Ner- venfasern, meist nur einzeln, in eine Papille der Cutis. Die

Ueber den Bau der Haut des Frosches. 61

senkrechten Bindegewebsstränge, welche die Papille bilden, weichen, wie man an senkrechten Hautdurchschnitten sieht, aus- einander und lassen zwischen sich eine homogene, stark licht- brechende Faser bemerken, welche mit einer 0,0035 Mm. im Durchmesser haltenden Anschwellung endet. Ich halte diesen centralen Faden der Papille für das Ende der in die Papille eingetretenen Nerven; wie aber die markhaltige Nervenfaser in diesen centralen Endfaden übergeht, wie sich dabei die ein- zelnen Bestandtheile der markhaltigen Nervenfasern verhalten, darüber habe ich Nichts beobachtet. Soweit ich aus meinen . Präparaten ersehen kann, wird jenes peripherische Ende des Nerven nicht von der Cutis bedeckt, sondern liegt frei, so dass es an die Zellen des darüberliegenden Rete Malpighii anstösst.

Die in der Cutis befindlichen Drüsen sind nicht alle gleich gebaut. Ich unterscheide nach ihrem anatomischen Baue drei Arten.

Die eine Art der Drüsen, die ich ihres Aussehens wegen die dunklen Drüsen nennen will, haben wie aus der Com- bination horizontaler und senkrechter Schnitte hervorgeht, die Form eines rundlichen Schlauches, dem ein kurzer in der Epi- dermis liegender Ausführungsgang aufgesetzt ist, während die eigentliche Drüse dicht unter der Epidermis in der obersten Schicht der Cutis liegt. Jede Drüse ist umgeben von einer Schicht Bindegewebe, welche, der rundlichen Form der Drüse sich anschliessend, eine Hülle oder einen Balg zur Aufnahme der Drüse darstellt. Die homogene Grenzschicht der Cutis ge- gen die Epidermis senkt sich in diesen Sack hinein und bildet so die innerste Auskleidung des Balges. Die Drüsen (Fig. 3 und 4b) haben eine durchschnittliche Grösse von 0,09 0,12, selten bis 0,15 Mm. Die Drüsenzellen sind rundlich, selten polygonal, haben einen Durchmesser von 0,009—0,012 Mm.; der Inhalt der Zellen ist fein granulirt, besteht aus einer Menge glänzender, stark lichtbrechender Körnchen. Ein Zellenkern ist nicht immer sichtbar. Ein deutliches Lumen ist nicht immer an den Drüsen sichtbar. Die Zellen, welche den Ausführungs- gang der Drüse auskleiden, sind schmal und glatt und ähneln den Zellen der Epidermis, in welche sie ohne besondere Grenze

62 Ludwig Stieda:

allmählich übergehen. Charakteristisch ist für diese Drüsen un- bedingt der aus jenen feingranulirten Zellen bestehende Inhalt, welcher die Drüse undurchsichtig und dunkel erscheinen lässt.

Die zweite Art der Drüsen, welche ich die hellen Drü- sen nenne (Fig. 3 und 4a) sind durchschnittlich grösser als die erstgenannten, denn sie haben einen Durchmesser von 0,150 0,210 Mm. Sie sind oft länger als breit, so dass sie mitunter das Ansehen einer bauchigen Flasche darbieten, deren kurzer Hals, der Drüsengang, in der Epidermis sitzt. In Bezug auf die bindegewebige Hülle verhalten sich die hellen Drüsen ganz analog; den dunkelen, unterscheiden sich aber auffallend von diesen durch ihr Epithel. Die hellen Drüsen sind ausgekleidet mit einem einschichtigen Cylinderepithel, welches aus grossen, vollständig cylindrischen und durchsichtigen Zellen besteht. Die Zellen sind 0,045—0,060 Mm. lang und 0,012—0,015 Mm. breit, sind fast vollständig durchsichtig und besitzen einen un- bedeutenden an der Basis der Zelle gelegenen Kern. Die Drü- sen lassen auf gelungenen Durchschnitten meist ein Lumen er- kennen, welches aber nie sehr bedeutend ist. Von diesem Lu- men aus laufen wie aus dem Centrum eines Kreises die Con- touren der Zellen radienförmig und geben der Drüse ein sehr zierliches Ansehen. Da die Zellen stets durchsichtig sind, die Drüsen selbst auch niemals einen Inhalt zeigen, so erscheinen die Drüsen oben sehr durchsichtig hell und unterscheiden sich dadurch schon bei geringerer Vergrösserung von den erstge- nannten dunklen.

Was die Lage dieser beiden Drüsenarten betrifft, so ragen die zuletzt beschriebenen hellen Drüsen ihrer Grösse wegen ziemlich tief in die Cutis hinein, fast bis an die Schicht der wagerechten Fasern hinab, und stehen an einzelnen Partieen der Haut so dicht, dass sie seitlich einander fast berühren. Die dunkelen Drüsen, welche ihrer Kleinheit wegen nicht viel Platz einnehmen, sitzen dann zwischen je zwei hellen Drüsen einge- schoben dicht unter dem Epithel. Ascherson hat diese Art der Lagerung gekannt und sie dadurch beschrieben, dass er sagt, die Drüsen liegen alternirend übereinander (a. a. rd:

Ueber den Bau der Haut des Frosches. 63

An einzelnen Orten, z. B. der Kopfhaut in der Umgebung des später zu erwähnenden Stirnfleckes sind nur dunkle Drü- sen vorhanden, doch sind dieselben hier durchschnittlich etwas grösser als an anderen Orten.

Die dritte Art der Hautdrüsen ist nur spärlich vertreten (Fig. 3c). Die Drüsen sind ziemlich gross, 0,21 Mm. lang, ra- gen sehr tief bis in die unterste Schicht der Cutis. Was diese Drüsen von dentübrigen charakterisirt, ist, dass sie eine eigene musculöse Hülle besitzen. Jede Drüse hat eine Hülle, welche aus einer oder zwei Lagen contractiler Faserzellen besteht, de- ren stäbchenförmige Kerne nach Behandlung mit Essigsäure, zumal bei vorhergegangener Carminimbibition,, sehr deutlich entgegentreten. Umgeben wird die Drüsenwand von einer Schicht faserigen Bindegewebes. Der musculösen Wand der Drüse sitzt ein einschichtiges, 0,009 Mm. hohes Epithel auf, dessen Zellen meist nicht deutlich von einander abgegrenzt sind. Nach Behandlung mit Essigsäure ist ein 0,003 Mm. im Durchmesser haltender runder Kern sichtbar. Da die Drüsen ziemlich gross sind und das Epithelium nur einschichtig, so be- sitzen die Drüsen meist ein recht bedeutendes Lumen.

Ich nenne diese dritte Art der Drüsen die contractilen Drüsen.

Ascherson hat bei seinen Mittheilungen gar keine Unter- schiede der Hautdrüsen untereinander hervorgehoben , erst Hensche (a. a. ©.) machte auf das Vorkommen von contra- etilen Faserzellen in der Wand der grösseren Drüsen des Fro- sches aufmerksam und unterschied diese als grosse Drüsen von den kleinen. Leydig giebt dieser Unterscheidung seine Zustimmung. Auf Grund meiner Untersuchungen unterscheide ich bei den kleinen Drüsen der Autoren mit besonderer Be- rücksichtigung des Drüsenepitheliums dunkle und helle _ Drüsen.

Ich komme nun zum Ausgangspunkt meiner Mittheilungen, zu dem Stirnfleck zurück.

Senkrecht durch die Haut geführte Durchschnitte, welche den Stirnfleck glücklich getroffen haben, zeigen, dass die Haut an der diesem Fleck entsprechenden Stelle sich stark erhebt

64 Ludwig Stieda:

(Fig 4.), eine Beobachtung, die mit der mikroskopischen Un- tersuchung übereinstimmt. Es nehmen aber nicht alle Theile der Haut an dieser Erhebung Antheil, vielmehr zeigen sich da- bei folgende Eigenthümlichkeiten: Die tiefste Lage der Cutis, die Schicht der wagerech'ten Faserzüge (Fig. 4e) ist auch am Stirnfleck von der gewöhnlichen Mächtigkeit und macht in ihrer gänzen Dicke einen verhältnissmässig ziemlich starken Bogen, dessen Convexität nach aussen, dessen Concavität nach innen zur Körperfläche gerichtet ist. An die Schicht der wa- gerechten Fasern schliesst sich gewöhnlich unmittelbar die Epi- dermis (Fig. 4a), so dass die Drüsenschicht vermisst wird. Nur bei einzelnen Exemplaren ist auch die Drüsenschicht noch vor- handen, jedoch meist in sehr geringer Ausdehnung, so dass nur eine oder zwei sehr kleine dunkle Drüsen in derselben Platz haben. Aus dem gewöhnlichen Fehlen der Drüsenschicht, in welcher sich ja sonst die pigmenthaltigen Zellen der Cutis fin- den, erklärt sich auch das meist weisslicke Ansehen des Stirn- fleckes bei der Betrachtung mit unbewaffnetem Auge. Yerner ist zu erwähnen, dass die senkrechten Faserzüge der Outis hier viel reichlicher vertreten sind, als an anderen Stellen der Haut.

In der Aushöhlung, welche durch die beschriebene Erhebung der Cutis hier gebildet wird und welche nach unten durch lockeres Bindegewebe begrenzt wird, liegt ein Organ, welches den bisherigen Untersuchungen entgangen zu sein scheint, und dessen Gegenwart eben die Erhebung des Stirnfleckes andeutet. Das Organ (Fig. 4g) erscheint auf senkrechten oder horizonta- len Schnitten von rundlicher Gestalt, misst 0,120 0,150 Mm. im Durchmesser, besteht aus einer Schicht lockeren Bindege- webes, welches mit dem lockeren Gewebe der alleruntersten Cutisschicht in unmittelbarem Zusammenhange ist, und einem Inhalt von Zellen. Die dicht an einander gelagerten Zellen haben einen Durchmesser von 0,007 Mm., einen fein granulir- ten Inhalt und einen Kern. i

An diesen Körper tritt jenes Fädchen heran, dessen ich schon im Eingange erwähnte und das aus einem Blutgefäss und einem kleinen Bündel markhaltiger Nervenfasern besteht. Die Nervenfasern ziehen vorbei, um in gewohnter Weise die

Ueber den Bau der Haut des Frosches. 65

Haut senkrecht zu durchsetzen, während von dem Blutgefässe einzelne Zweige abtreten, welche jenes Organ versorgen.

Die Frage nach der Bedeutung dieses Organs, welches ich die subceutane Stirndrüse nenne, muss ich unbeantwortet lassen. Da heute die anatomische Terminologie den Ausdruck „Drüse * auf eine Menge Organe ohne nachweisbaren Ausfüh- rungsgang anwendet, so nehme ich weiter keinen Anstand, auch dieses Organ als eine Drüse zu bezeichnen.

Vielleicht, dass die Untersuchung grösserer Frösche, als mir hier zu Gebote standen, oder anderer geschwänzter und unge- schwänzter Batrachier, bei denen sich wohl etwas Aehnliches finden wird, bessere Aufklärung giebt.

Resultate: 1. Die Haut des Frosches besteht aus einer bindegewebigen Grundlage (Cutis) und einer zelligen Bedeckung (Epidermis). 2. In der Cutis verlaufen die Bindegewebsbündel vornehmlich in zwei Ebenen, der Körperoberfläche parallel, und in senkrecht auf die Haut gerichteten Zügen. 3. Die Cutis besitzt an ihrer der Epidermis zugekehrten Fläche kleine kegelförmige Erhebungen (Papillen), welche durch die senkrecht aufsteigenden Bindegewebsbündel . gebildet werden. 4. In dieser Papille enden die Nerven mit einer leichten An- schwellung. 5. Es lassen sich drei Arten von Hautdrüsen unterscheiden: a. Drüsen mit rundlichen Zellen und trübem Inhalt (dun- kele Drüsen),

b. Drüsen mit eylindrischen durchsichtigen Zellen (helle Drüsen),

c. Drüsen mit contractiler Hülle (contractile Drüsen).

6. Auf der Haut ist zwischen den Augen ein kleiner weissli- cher Fleck sichtbar (Stirnfleck des Frosches).

7. Der Fleck entspricht einer Erhebung der tiefen Cutisschicht, während die eigentliche Drüsenschichte fehlt. _

8. In dem durch diese Erhebung gebildeten Raume liegt ein Organ, welches aus runden Zellen besteht, keinen Ausfüh-

rungsgang hat (die subcutane Stirndrüse). Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 5

66 Ludwig Stieda: Ueber den Bau der Haut des Frosches.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1 stellt den Kopf eines männlichen Frosches in natürlicher Grösse dar, bei dem der Stirnfleck deutlich sichtbar ist.

Fig. 2. Horizontalschnitt durch die Haut des Frosches; nach einem mit Carmin imbibirten und in Glycerin aufbewahrten Präparate ge- zeichnet. Vergr. 180. aaa die hellen Drüsen, bb die dunklen Drüsen.

Fig. 3. Senkrechter Durchschnitt durch die Haut des Frosches. Nach einem mit Carmin imbibirten und mit Essigsäure behandelten Präparate gezeichnet. Vergr. 180. a eine helle Drüse, b eine dun- kele Drüse, ce Drüsen mit contractilen Faserzellen, d Epidermis, e Pa- pillen der Cutis, f Schicht der wagerechten Fasern, g senkrecht auf- steigende Fasern, i Pigmentzellen.

Fig. 4. Senkrechter Durchschnitt durch die Haut an der Stelle des Stirnflecks. Vergr. 80. a Epidermis, b Drüsenschicht, ce Schicht der wagerechten Fasern, d dunkele Drüsen, e Papillen der Cutis, f senk- ° recht aufsteigende Faserzüge, g subcutane Stirndrüse, i Blutgefässe.

24. December 1864.

Dorpat, den —, Tenuar 1865.

F. Bidder: Erfolge von Nervendurehsehneidung an einem Frosch. 67

Erfolge von Nervendurchschneidung an einem

Frosch.

Von

F. BIDDER in Dorpat.

Die folgenden Erfahrungen, die gelegentlich sich mir dar- boten und keineswegs neu sind, dürften doch, wegen der Prä- cision der gewonnenen Resultate, auch in weiteren Kreisen der Beachtung nicht unwerth sein.

Am 16./25. August 1863 benutzte ich in einer Vorlesung einen männlichen Frosch (Rana temporaria) zur Demonstration des Bell’schen Gesetzes. Es wurde dazu in üblicher Weise die Haut an der hinteren Hälfte des Rückens durch einen er- giebigen Kreuzschnitt in vier Lappen getrennt, und nachdem die durch die subeutanen Lymphräume hindurchtretenden Ner- venfäden durchschnitten worden, ward durch Zurückschlagen dieser Lappen die die Wirbelsäule deckende Musculatur blos gelegt, von den darunter liegenden Knochen abgelöst, die Bö- gen der vier letzten Wirbel mit einer Zange abgebrochen, das lockere das Rückenmark umhüllende Bindegewebe nebst den Kalkkıystallen entfernt, und die Cauda equina vollkommen ent- blöst. Es wurden darauf an der linken Seite die hinteren Wurzeln der drei grossen zur hinteren Extremität gehenden Nerven durchschnitten, und die peripherischen Durchschnitts- enden aus dem Rückgratkanale herausgehoben. Die Extremität war dadurch gegen die heftigsten mechanischen Reize völlig unempfindlich gemacht, und galvanische Reizung jener Durch- schnittsenden bewirkte durchaus keine Zuckung in der Muscu-

5*

68 F. Bidder:

latur des Schenkels, obgleich die willkürlichen Bewegungen desselben ganz unbeeinträchtigt erschienen. Dann wurden auf derselben Seite auch die vorderen Wurzeln derselben Spinal- nerven durchschnitten, wodurch alle willkürlichen Bewegungen der Extremität aufhörten, während galvanische Reizung der pe- ripherischen Durchschnittsenden dieser Wurzeln die lebhaftesten Zusammenziehungen an dieser Extremität zur Folge hatte. Der Versuch gelang in allen seinen Theilen so vollkommen, das Thier gab auf alle an dasselbe gerichtete Fragen so klare und präcise Antworten, dass es mein besonderes Interesse er- weckte, und ich es daher nach beendeter Demonstration nicht sofort tödtete und beseitigte, sondern die Haut des RKückens durch mehrere Näthe zusammenheftete, das entblösste untere Ende des Rückenmarks damit bedeckte, und das Thier in ein besonderes Gefäss that, in welchem es bei täglicher Erneuerung des Wassers mehrere Monate erhalten wurde. Nach vier Wo- chen schon war die Haut des Rückens vollkommen vernarbt, die Stelle der früheren Trennung nur durch zwei sich kreu- zende lineäre Einsenkungen bezeichnet, und eine feste Verbin- dung der Haut mit den tiefer gelegenen Theilen der Wunde hergestellt. Von gangränöser Zerstörung der Zehen, die bei Fröschen in der Gefangenschaft so leicht sich einstellt, zeigte sich gar nichts, ja nicht einmal eine Spur von Excoriation und dergleichen war an irgend einer Stelle der Haut wahrzunehmen. Das linke Bein blieb vollkommen gelähmt für Empfindung, wie Bewegung. Anfangs war es zwar in beträchtlichem Grade öde- matös angeschwollen; später verlor sich dies durchaus, und das Volum beider hinteren Extremitäten erschien ganz gleich. Beide waren in beträchtlichem Grade abgemagert, denn als Nahrung erhielt das Thier nur das, was das Flusswasser etwa an Infu- sorien oder anderen organischen Substanzen ihm darbot. Da- mit stand in Einklang die Seltenheit der Darmentleerungen, die nur alle 2—3 Wochen einmal erfolgte und sofort an der gelbbräunlichen Färbung des Wassers zu erkennen war, in dem das Mikroskop zahlreiche Amoeben, Monaden, Vibrionen, Fila- rien und andere Infusorien und Entozoen zeigte. Obgleich das Thier in einer Zimmertemperatur gehalten wurde, die zwi-

Erfolge von Nervendurchschneidung an einem Frosch. 69

*“ schen 12—14° R. schwankte, und nur vorübergehend unter das genannte Minimum hinabsank, so zeigten sich mit dem Eintritt der kühlen Witterung doch Erscheinungen, die auf eine Nei- gung zum Winterschlafe hinwiesen. Der Boden des Gefässes war nur bis zu einer Höhe von etwa ?/, Zoll mit Wasser be- deckt, so dass das Thier, auf die Vorderpfoten sich stützend, den Kopf und mit ihm die Nasenöffnungen bequem über dem Wasser halten konnte; es wurde überdies das Gefäss in ge- neigter Stellung erhalten, damit das Thier in dem Wasser nach Belieben tiefere und seichtere Stellen aufsuchen könne. Nichts- destoweniger fand ich während der Winterzeit, wenn ich Mor- gens in mein Arbeitslokal eintrat, meinen Frosch regelmässig so placirt, dass er mit dem Vordertheil seines Körpers nicht nur die tiefere Seite des Wassers einnahm, sondern dass sein Kopf ganz unter dem Wasser steckte, und dass er ihn in dieser Lage zu erhalten suchte durch die über den Kopf zusammen- geschlagenen vorderen Extremitäten, die überdies gewöhnlich gegen die Wand des Gefässes angestemmt waren; da durch solche Stellung des Kopfes der atmosphärischen Luft der Zu- gang zu den Respirationsorganen abgeschnitten war, so konnte von einer Aufnahme derselben unter diesen Umständen auch nicht die Rede sein. Die die Respiration begleitenden rhyth- mischen Bewegungen der Nasenlöcher wie der Kehle fielen gänzlich aus. Selbst bei mehrere Stunden hindurch fortgesetz- ter Beobachtung behielt das Thier völlig regungslos und mit geschlossenen Augen diese Stellung bei; wurde aber der Was- serbehälter in der Weise geneigt, dass das Wasser von dem Kopf des Thieres zurückweichen musste, so öffneten sich sofort die Augen, und an den Nasenöffnungen und der Kehle begann das regelmässige Spiel der Respirationsbewegungen. Wurde endlich das Thier innerhalb des Behälters berührt oder ander- weitig irritirt, oder gar aus dem Gefäss herausgenommen und auf eine feste Unterlage gesetzt, so bewegte es sich so munter und lebhaft, als das gelähmte und wie eine Last nachzuschlep- pende Bein dies gestattete, kehrte aber zu der früheren athem- losen Stille und Ruhe zurück, sobald es in den Wasserbehälter zurückgesetzt wurde.

70 F. Bidder:

Bei der sorgfältigsten Aufmerksamkeit und Pflege, die die- } sem Frosche zu Theil ward, gelang es, ihn fünf Monate hin- durch bei wenig verminderter Energie der wesentlichen Lebens- erscheinungen zu erhalten, und damit die seltene Gelegenheit zu gewinnen, die Erfolge der Nervendurchschneidung nach län- geren Fristen als bisher bei Fröschen ‚geschehen, zu prüfen! Ich hatte dabei namentlich die Möglichkeit im Auge, die Un- abhängigkeit der Muskelirritabilität von dem Einfluss der Ner- ven, die Unabhängigkeit der sympathischen Nerven vom Ein- fluss des Rückenmarks, und die Beziehung der Spinalganglien zu der normalen Ernährung gewisser Nervenfasern zu prüfen. Für alle drei Punkte haben sich ganz entschiedene Thatsachen ergeben.

Obgleich von den verschiedenen Wegen, die Irritabilitätsfrage zu erledigen, der älteste, in Eliminirung der Nerven durch Durchschneidung bestehende, in den letzten Jahren von ande- . ren rascher und glänzender zum Ziele führenden Methoden in den Hintergrund gedrängt worden ist, so dürften ihm doch mehrfache Vorzüge ganz unbestritten zukommen. Denn wenn es feststeht, dass ein von seinem Ernährungscentrum getrenn- ter Nerv seine Textur wie seine Reizbarkeit auf die Dauer nicht zu behaupten vermag, dass er ganz unvermeidlich der Fettmetamorphose und damit dem Verlust seiner wesentli- chen Lebenseigenschaften anheimfällt; dass ferner für die zu den Muskeln der Extremitäten hintretenden Nerven solches Centrum im Rückenmark gelegen ist, und selbst die äussersten peripherischen Enden dieser Nerven in der continuirlichen Ver- bindung mit diesem Centralorgane eine unerlässliche Bürgschaft für ihr lebensvolles Bestehen fordern, so wird der Ausschluss dieser Nerven aus dem thätigen Muskel auf dem Wege der Durchschneidung sich sicherer erlangen lassen als auf dem kei- neswegs zweifellosen Wege der Curare- Vergiftung, oder der Herbeiführung des Anelektrotonus durch den aufsteigenden con- stanten Strom, oder durch das Aufsuchen und Prüfen von Mus- kelpartieen, die durchaus nervenlos sind. Wenn in früheren’ Versuchen die Durchschneidung von Nerven über eine den Mus- keln eigenthümliche Irritabilität vollkommen sichere und ent-

Erfolge von Nervendurchschneidung an einem Frosch.

scheidende Resultate nicht lieferte, so lag der Grund davon wahrscheinlich theils in der nicht vollständig genug gehinderten 'Wiedervereinigung der getrennten Nerven, theils in der zur vollständigen Vernichtung der Nerven nicht hinreichend langen Dauer der Trennung vom Oentralorgane. In beiden Beziehungen versprach mein Thier vollständige Erfüllung aller Erfordernisse; denn von einer Wiedervereinigung der getrennten und mit ihren peripherischen Durchschnittsenden aus dem Rückgratkanal völlig herausgehobenen Nervenwurzeln konnte, wie auch die spätere anatomische Untersuchung bestätigte, nicht im Entferntesten die Rede sein, und die Frist von fünf Monaten, welche zur Prü- fung der Erfolge der Nervendurchschneidung gegeben war, ging nicht allein über die Termine der namentlich bei Fröschen bis- her angestellten Beobachtungen hinaus, sondern schien auch a priori ausreichend, alle Folgen jenes zerstörenden Eingriffs in ihrer ganzen Vollständigkeit zur Erscheinung zu bringen.

Zu solchen Folgen der Durchschneidung aller Wurzeln der zu einer Extremität sich begebenden Spinalnerven gehört nun aber, wie auch dieses Thier lehrte, nicht eine Störung in dem Capillarkreislauf der bezüglichen Schwimmhaut. Bei täglich wiederholter Prüfung dieses Verhältnisses, wobei der Blutlauf in der Schwimmhaut der linken Extremität mit den Circula- tionserscheinungen in der rechten intact gebliebenen Extremität verglichen wurde, habe ich niemals irgend einen erheblichen Unterschied weder in der Breite der bezüglichen Gefässe noch in der Schnelligkeit des sie durchströmenden Blutes wahrneh- men können. Auch in den übrigen Ernährungserscheinungen zeigte sich keine Differenz zwischen beiden Extremitäten ; die Farbe der Haut, das Volumen, die Consistenz der Muskeln zeigten keine Verschiedenheit. Das in den ersten Wochen beobachtete Oedem der betreffenden Extremität schwand bald ganz, war also nur eine zufällige von der Nervendurchschnei- dung unabhängige Erscheinung gewesen, mit einem Worte, Nichts wies darauf hin, dass durch die Ablösung sämmtlicher in die Extremität eintretenden Spinalnerven von dem Rückenmark, in den sogenannten vegetativen Lebensvorgängen dieses Gliedes irgend eine Aenderung stattgefunden hatte, die als nothwendige

12 F. Bidder:

Folge jener Nervendurchschneidung anzusehen gewesen wäre. Wenn aber diese Vorgänge nichtsdestoweniger unter dem Ein- Nuss des Nervensystems stehen, so muss derselbe aus anderen Quellen als dem Rückenmarke herstammen, und seine Bahnen können nicht, wenigstens nicht durchweg zusammenfallen mit den Wegen, welche die vom Rückenmark ausgehenden oder zu ihm hingerichteten Impulse einschlagen.

Im Gegensatz zu diesen völlig ungestörten Ernährungsvor- sängen waren Empfindung und Muskelbewegung in der betref- fenden Extremität durchaus erloschen. Keine mechanische Ir- ritation der Haut, kein Stechen und Quetschen der Zehen brachte auch nur die geringste Spur von Empfindung, von Schmerzensäusserung hervor, obgleich die Reizbarkeit des Thie- res eine recht beträchtliche war, und schon leichtes Anklopfen an das Gefäss, welches ihm zur Wohnung diente, durch sofor- tige Bewegungen beantwortet wurde. Ebensowenig war wäh- rend der ganzen fünfmonatlichen Beobachtungsdauer irgend eine Muskelaction in der linken hinteren Extremität wahrzunehmen; sie wurde in der letzten Zeit ebenso wie unmittelbar nach der Nervendurchschneidung als eine zu jeder selbstständigen Action unfähige, scheinbar völlig todte, angehängte Last nachgeschleppt, zum Zeichen, dass nicht allein der operative Eingriff alle Bahnen, auf denen ein motorischer Einfluss zu den Muskeln der Extremität gelangen konnte, ausnahmslos aufgehoben hatte, sondern dass auch-eine Wiedervereinigung der durchschnittenen Nerven in keiner Weise erfolgt war. Es kam also darauf an, zu ermitteln, ob unter solchen Umständen fünf Monate hin- reichten, die Leistungsfähigkeit der zu den Muskeln tretenden Nerven völlig zu vernichten.

Am 11./23. Januar stellte ich diesen Versuch zuerst an. Es wurde an der Rückenfläche des Schenkels nach der ganzen Länge desselben die Haut gespalten, der Gastroknemius dadurch blosgelegt, der ischiadischa Nerv aber durch Eingehen zwischen die Beuger und Anzieher des Schenkels zugänglich gemacht, von der neben ihm herablaufenden Arterie getrennt, und durch eine unter ihn geschobene Glasplatte von den Nachbartheilen isolirt. Hierbei war sogleich auffallend, dass das quergeringelte

Erfolge von Nervendurchschneidung an einem Frosch. 73

in abwechselnd weissen und dunkeln Linien sich äussernde Ansehen frischer Froschnerven gänzlich geschwunden war, und der ganze Nerv sich als ein durchaus gleichmässiger weisser Strang ausnahm, was entschieden auf eine Aenderung seiner anatomischen Verhältnisse hinwies.. Die Reizung des Nerven erfolgte durch den du Bois’schen Schlittenapparat, der durch ein einfaches Grove’sches Element in Bewegung gesetzt wurde. Auch wenn die beiden Rollen des Apparates vollkommen über- einander geschoben waren, und die zwischen die Enden der Leitungsdräthe eingeschaltete Nervenstrecke 4'' lang war, war weder an dem ganz frei daliegenden Gastroknemius, noch an irgend einem anderen Schenkelmuskel die leiseste Andeutung von Contraction wahrzunehmen. Bei Application der Elektro- den unmittelbar an dem Gastroknemius reichte dagegen schon eine ungleich geringere Intensität des angewandten Reizes hin, die kräftigsten Zusammenziehungen und in deren Folge ener- gische Streckung des ganzen Fusses zu bewirken. Dieser Er- folg zeigte sich nicht allein an dem oben bemerkten "Tage, bei mehrfacher Wiederholung des Versuches, immer in der gleichen Weise, sondern wurde auch an den beiden folgenden Tagen constatirt, nachdem die blosgelegten Nerven und Muskeln mit Hülfe der Haut möglichst zugedeckt erhalten gewesen waren. Die Lebhaftigkeit, mit welcher der Gastroknemius des linken Beins durch seine Contractionen auf den elektrischen Reiz ant- wortete, unterschied sich dem Augenschein nach durch Nichts von der Reactionsweise des entsprechenden Muskels vom ande- ren Bein, welcher schliesslich der Vergleichung halber auch geprüft wurde. « Nachdem hiermit die von den oben angedeuteten Gesichts- punkten aus an dem lebenden Thier zu machenden Erfahrun- gen erledigt waren, wurde dasselbe am 15./27. Januar getödtet, . um die Elementarzusammensetzung der Nerven des linken Beins mit dem Mikroskop zu prüfen. Mehrere aus dem Nerv. ischia- dieus, und zwar aus dessen Verlauf am Oberschenkel entnom- mene Präparate verfehlten denn auch nicht sehr auffallende Abweichungen von den normalen Verhältnissen darzubieten. Ein sehr beträchtlicher Theil der Nervenprimitivfasern zeigte

74 F. Bidder:

die Erscheinungen der fettigen Degeneration in unzweideutiger Weise und in verschiedenen Stadien. Zwar von dem ersten Stadium dieser Veränderung, wo der Inhalt der Nervenröhren in viereckige, quaderartige, dunkelrandige und doppeltcontou- rirte Stücke von verschiedener Länge sich scheidet, boten sich nur ein Paar Bilder dar. Fast eben so selten zeigten sich An- deutungen des folgenden Stadiums, nämlich haufenartige An- sammlungen des zerfallenden Primitivröhreninhalts neben ganz entleerten Stellen des Nervenrohrs.. Um so häufiger dagegen erschienen Nervenfasern, die entweder nur stellenweise oder in der ganzen Länge ihres im Gesichtsfelde wahrnehmbaren Ver- laufs von den Producten der Fettmetamorphose , feinen Körn- chen oder Fettmolekeln, erfüllt waren. Ein paar Male auch zeigte sich das auffallende aber mit aller Sicherheit beobachtete Verhältniss, dass ein und dieselbe über eine grössere Strecke des Präparates zu verfolgende Nervenfaser successive die ver- schiedenen Stadien in dem Zerfall und der Fettmetamorphose ihres Inhalts wahrnehmen liess, was zu der Ansicht nöthigt, dass in verhältnissmässig sehr kurzen Strecken des Nervenfaser- verlaufs sehr verschiedene Bedingungen der Ernährungsvorgänge zur Geltung kommen müssen. In der entschiedenen Mehrzahl aber boten die degenerirten Fasern eine so geringe Menge von Fettmolekeln dar, dass sie als ganz blasse, gleichmässig breite, von sehr zarten, aber scharf begrenzten Contouren eingerandete Bänder sich ausnehmen, in deren Innerem nur vereinzelte Fett- körnchen übrig geblieben waren. |

Neben diesen in auffallender Weise veränderten Nervenpri- mitivfasern fehlte es jedoch keineswegs an solchen, die alle be- kannten Merkmale, welche diese Elemente unter normalen Ver- hältnissen darbieten, in ganz unveränderter Weise an sich tru- gen; ja es kamen selbst Präparate vor, in denen neben einer überwiegenden Menge unveränderter Elemente nur einzelne der Fettdegeneration anheimgefallene Fasern wahrzunehmen waren. Namentlich die dünnsten Nervenfasern, die von Volkmann und mir als „sympathische“ bezeichneten, die in grösseren Ner- venstämmen bekanntlich nicht selten bündelweise zusammenge- lagert neben den breiten Nervenfasern auftreten, zeigten dieses

Erfolge von Nervendurchschneidung an einem Frosch. 75

unveränderte Aussehen, und es ist mir unter den zahlreichen Präparaten, die ich aus dem Stamm des Ischiadicus und seinen Zweigen herstellte, kein einziges Mal eine solche dünne Faser mit den unzweideutigen Spuren der Entartung entgegengetreten. Ich kann diese Thatsache, wie schon früher geschehen, auch jetzt nicht anders deuten, als dass im Ischiadicus und ohne Zweifel auch in anderen Spinalnerven Nervenfasern enthal- ten sind, die in dem Rückenmark weder ihr functionelles noch auch ihr Ernährungscentrum haben.

Indessen nicht blos schmale Fasern, sondern auch solche, die entschieden zu den breiten gerechnet werden mussten, zeig- ten sich unversehrt. Hierbei war es jedoch bemerkenswerth, dass die breitesten Fasern, die beim Frosch überhaupt beob- achtet werden, also Fasern von etwa 0,0006‘ Durchmesser, nie unverändert geblieben waren. Wenn nun in Betracht gezogen wird, dass bekanntlich diese breitesten Fasern nur in den vor- deren Wurzeln der Spinalnerven auftreten, so lag die Vermu- thung nahe, dass nur die aus diesen Wurzeln hervorgehenden Muskeläste durch die Unterbrechung des Zusammenhanges mit dem Rückenmark in ihrer Ernährung beeinträchtigt worden seien. Um die Richtigkeit dieser Vermuthung zu prüfen, suchte ich mehrere Muskeläste des Ischiadicus auf, wie sie am Öber- schenkel sowohl z. B. in dem seit Kühne’s Untersuchungen so wohl bekannten Nervenzweige zum Musculus sartorius, als auch am Unterschenkel in den zum Gastroknemius hintretenden Zweigen leicht zu finden sind, und brachte sie unter das Mi- kroskop. „" der That traf ich hier nur auf degenerirte Fasern, und zwar der breiten Art; schmale Fasern, die dem Obigen gemäss auch hier sich unverändert erhalten haben mussten, be- merkte ich gar nicht, wahrscheinlich weil sie bekanntlich in den Muskelästen überhaupt nur in geringer Zahl vorkommen und gegen die Endausbreitung der Nerven hin nicht mehr bün- delweise zusammengelagert, sondern nur vereinzelt erscheinen. Jene Texturverhältnisse der in die Muskeln eintretenden Ner- venäste waren um so auffälliger, wenn sie verglichen wurden mit dem Ergebniss der Untersuchung kleiner Hautnerven, die ebenfalls sowohl am Ober- als Unterschenkel leicht aufzufinden

76 F. Bidder:

sind. Hier waren nämlich der Fettdegeneration anheimgefallene Fasern gar nicht zu treffen ; kein Stadium der hierher führen- den Umwandlung der Nervenfasern war nachweisbar, und man hätte letztere für ganz normal- halten müssen, wenn nicht eine sichtlich verminderte Dunkelheit ihrer Ränder auf eine gewisse Beeinträchtigung der normalen Ernährung hingewiesen hätte. Ausdrücklich mag noch bemerkt werden, dass zur Constatirung der sich darbietenden Alterationen in den verschiedenen Ner- venästen ganz regelmässig auch die entsprechenden Nerven- zweige auf der rechten und ganz unversehrt gebliebenen Kör- perseite des Versuchsthieres der mikroskopischen Prüfung un- terzogen wurden. i

Diese Verschiedenheit in dem Zustande der Haut- und Mus- kelzweige des betreffenden Ischiadicus, oder der von den beiden Reihen seiner Wurzeln abzuleitenden Aeste, muss natürlich auf das an der hinteren Wurzel befindliche Ganglion bezogen wer- den. Beide Wurzeln waren dem Einfluss des Rückenmarks vollkommen entzogen, beide waren eben damit functionell eli- minirt, physiologisch todt. Während aber gleichzeitig hiermit die von den vorderen Wurzeln abzuleitenden Fasern auch in ihrem anatomischen Bestande sich nicht zu behaupten vermoch- ten, sondern der fortschreitenden Entartung anheimfielen, waren die Fasern, welche den hinteren Wurzeln entspringen, nicht weiter alterirt, als dass die Dunkelheit ihrer seitlichen Begren- zungslinien vermindert erschien, was vielleicht auf eine begin- nende Aenderung in dem Fettgehalte des Nervenmarks hinwies. Die motorischen Zweige des Ichiadicus waren, also durch die Trennung der vorderen Spinalnervenwurzeln nicht blo® von dem regulatorischen Centrum ihrer physiologischen Leistungen, son- dern auch von ihrem Ernährungscentrum geschieden, während die sensiblen Zweige zwar auch wirkungslos bleiben mussten, weil sie nicht mehr bis zum Centralorgan leiten konnten, aber in ihrer Ernährung nicht erheblich beeinträchtigt sich zeigten.

Die anatomische Untersuchung der Stelle, an welcher der erste operative Eingriff vorgenommen war, erwies ein völliges Verschwinden der derselben eigenthümlichen weiten subeutanen Lymphräume, und ein festes Verwachsen der Haut mit den |

Erfolge von Nervendurchschneidung an einem Frosch. 7er

unter derselben liegenden Gebilden durch eine dünne Schicht bindegewebiger Narbensubstanz. Nach Entfernung derselben bot sich die künstlich erzeugte Spina bifida dar, deren Ränder jedoch nicht mehr jene Zacken und Spitzen zeigten, die die Knochenzange bewirkt hatte, vielmehr auch nach Entfernung des Periosteums ganz glatt erschienen, so dass eine vollkom- mene Ausgleichung jener Unebenheiten durch Resorption der Vorsprünge stattgefunden hatte. Noch bemerkenswerther als diese durch die traumatische Reaction bedingte Veränderung an Hartgebilden war der Umstand, dass von den durchschnit- tenen Nervenwurzeln gar nichts mehr nachzuweisen war. Nicht allein die peripherischen Durchschnittsenden, die aus dem Rück- gratkanale hervorgehoben und über die Rückenmusculatur hin- gelegt worden waren, liessen sich, wie in der Narbensubstanz der Haut, so auch in den den Kanal einnehmenden Transsudat- massen nicht mehr erkennen, sondern auch die centralen mit dem Rückenmark in Zusammenhang gelassenen Durchschnitts- enden der Nervenwurzeln waren völlig verschwunden. Von der ganzen Strecke dieser Wurzeln vom Rückenmark bis zum In- vertebral-Ganglion war nichts mehr vorhanden; sie waren in dem Entzündungsprocess, der dem operativen Eingriff gefolgt war, völlig untergegangen. Auch die entsprechenden Wurzeln der anderen Seite hatten bei dem energischen Vernarbungs- processe sich nicht intact erhalten können; sie waren in dem grössten Theil ihrer Länge sichtlich verdickt und stark gelblich tingirt, aber ihre Nervenprimitivfasern waren unversehrt ge- blieben.

Es lag nun die Frage nahe, wie bei diesen Veränderungen der durchschnittenen Nervenwurzeln die centralen . Apparate, von denen sie die Impulse zu ihren Leistungen zu erhalten bestimmt gewesen waren, sich verhielten. In den betreffenden Spinalganglien habe ich eine Alteration in der Grösse, Fär- . bung und inneren Beschaffenheit der Nervenzellen durchaus nicht wahrnehmen können. Die hintere Hälfte des Rücken- marks meines Thieres hatte ich durch Alkohol zu erhärten ge- sucht; indessen gelang es nicht, die erforderliche schnittfähige Beschaffenheit herbeizuführen und hinreichend dünne Durch-

78 F. Bidder: Erfolge von Nervendurehschneidung an einem Frosch.

schnitte zu gewinnen, und bei wiederholten Versuchen dieser Art wurde das von dem disponiblen Rückenmarksfragment dar- gebotene spärliche Material verbraucht, ohne das gewünschte Ziel zu erreichen. Ueber etwaige Alterationen der Zellen in der grauen Substanz des Rückenmarks kann ich daher Nichts aussagen. |

Endlich bot auch die Textur der Muskeln der linken hin- teren Extremität gar keine Unterschiede vom rechten Beine dar; namentlich war von einem Schwinden der Muskeln, wie Fettdegeneration derselben Nichts zu bemerken. Die einzige Differenz zwischen den Muskeln der beiden Extremitäten war die, dass auf der linken Seite die bekannte ziekzackförmige Lagerung der Muskelelemente ungewöhnlich häufig, ja in der Mehrzahl der Muskelprimitivbündel sich zeigte, und wenn diese Erscheinung mit Ed. Weber für einen Ausdruck von Unthä- tigkeit im Muskelgewebe angesehen werden muss, so wird im vorliegenden Falle angenommen werden dürfen, dass sie einer auf aufgehobenem Nerveneinfluss beruhenden Verminderung des Tonus ihren Ursprung verdankt habe.

Auf die im Eingange erwähnten Fragen, über welche die Untersuchung dieses Thieres Aufschluss versprach, haben sich also folgende ganz entschiedene Antworten ergeben:

1) Das Muskelgewebe besitzt an und für sich und unab- hängig von dem Einflusse der in demselben sich ausbreitenden Nerven, ein lebendiges Verkürzungsvermögen ; im physiologi- schen Leben freilich werden die Impulse zur Aeusserung dieses Vermögens gewöhnlich nur in der Bahn der Nerven zum Mus- kel geleitet werden. !

2) Die aus dem Grenzstrange des Sympathicus in die Ner- ven der hinteren Extremität eintretenden Zweige bedürfen zur Fortführung der von ihnen abhängigen Functionen des ununter- brochenen Einflusses des Rückenmarkes nicht; bei der Verknü- pfung aller Theile des Gesammtorganismus "wie des Nerven- systems zu einem Ganzen ist hiermit nicht ausgeschlossen, dass nicht auch vom Rückenmark aus ein Einfluss auf die vom Sym- pathicus versorgten Organe oder Organtheile ausgeübt werden könne. °

Ewald Hering: Die Gesetze der binoeularen Tiefenwahrnehmung. 79

3) Die vorderen Wurzeln der Spinalnerven haben ihr Er- nährungscentrum im Rückenmark, die hinteren Wurzeln dage- gen erhalten sich auch abgelöst vom Rückenmark in ihrem normalen Bestande, und scheinen hierin durch das Spinalgan- glion gesichert zu sein.

Dorpat, den 16./28. December 1864. >

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. Von

Dr. Ewarp HERISG, Privatdocenten der Physiologie in Leipzig.

In einem Aufsatze über das Gesetz der identischen Sehrich- tungen correspondirender Netzhautstellen‘) habe ich auf die Ir- rigkeit der zeitherigen Ansicht, nach welcher die Netzhautbilder auf ihren Riehtungslinien erscheinen sollten, hingewiesen und erörtert, nach welchem Gesetze die Netzhautbilder betreffs ihrer scheinbaren Richtung wirklich lokalisirt werden. Dieses von mir schon vor mehreren Jahren?) ausführlicher dargelegte Ge- setz darf gegenwärtig wohl als gesichert angesehen werden, nachdem neuerdings auch Volk mann?), Aubert?) und Funke?) die Richtungslinien als Sehrichtungen völlig aufgegeben zu haben scheinen.

1) Dieses Archiv 1864, S. 27.

.2) Beiträge zur Physiologie. I. Heft, 1861.

3) Physiol. Untersuchungen im Gebiete der Optik. II. Heft, 1864,

4) Physiologie der Netzhaut. 1864. Breslau, bei Morgenstern.

5) „Zur Lehre vom blinden Fleck.“ Berichte der naturforsch. Ge- sellsch. in Freiburg. Band III. Heft II. 8. 12.

80 Ewald Hering:

Da auch meine weiteren Publikationen über die Physiologie des Gesichtssinnes wegen ihres zum Theil geometrischen Inhal- tes und der nicht zu umgehenden Kritik anderer Arbeiten eine etwas umständliche Leetüre bilden, so halte ich es für erlaubt, von einem mir besonders wesentlich scheinenden Theile ihres Inhaltes in derselben Weise eine abgekürzte Darstellung zu ge- ben, wie ich dies in Betreff des Gesetzes der Sehrichtungen schon gethan habe. Die Bekanntschaft mit letzterem setze ich für das Folgende voraus.

Wie das Gesetz der identischen Sehrichtungen nichts an- deres ist, als ein zusammenfassender Ausdruck für die Mannich-

faltigkeit der Thatsachen, so sind auch die im Folgenden auf-

gestellten Gesetze unabhängig von jeder vorgefassten Theorie über Identität und Nichtidentität u. s. w. lediglich aus den Thatsa- chen der Erfahrung abstrahirt. Ihre Beurtheilung wird daher nicht vom Standpunkte der Theorie, sondern nach dem der Beobachtung und des Experimentes zu unternehmen sein.

Bekanntlich sehen wir die Aussenwelt auf Grund der Er- fahrung u. s. w. auch mit nur einem Auge körperlich, d.h. nach der Dimension der Tiefe ausgebreitet. Dies monoculare Tiefsehen wird im Folgenden gar nicht berücksichtigt, daher es sich hier nur um solche Versuche handeln kann, bei denen dasselbe möglichst ausgeschlossen ist, und nur die specifische binoculare Tiefenwahrnehmung zur Geltung kommt.

Der Laie weiss meist gar nichts von Doppelbildern. Dies beruht bekanntlich theils darauf, dass er sich immer nur mit den Bildern der Netzhautmitte beschäftigt und, wenn die ex- centrisch gelegenen seine Aufmerksamkeit erwecken, sofort auch die Augen auf sie richtet; theils aber darauf, dass er mit dis- paraten!) Netzhautstellen einfach, d. h. stereoskopisch sieht. Dieses Einfachsehen mit disparaten Stellen ist hier insbesondere zu erörtern.

1) Ich nenne mit Fechner nicht correspondirende Stellen der Doppelnetzhaut „disparate“ und verstehe unter Grösse der Dis- paration den Grad der Abweichung zweier Bilder eines Objectes von der correspondirenden Lage. Sowohl das Wort correspondirend

trischen Sinne gemeint.

als das Wort disparat sind nur im physiologischen, nicht im geome- |

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. si

Da das Wort Doppelbild zweideutig ist und ebensowohl ein in beiden Augen auf nichtcorrespondirenden Stellen gelegenes Netzhautbild eines und desselben Aussendinges, als auch ein dop- peltes subjectives Bild des letzteren bezeichnet, so will ich die subjectiven Doppelbilder nicht als solche, sondern als Trug- bilder bezeichnen und zwar überhaupt jedes subjective Bild, welches bei gleichzeitigem Sehen beider Augen erscheint, dann Trugbild nennen, wenn es nur von einer Netzhaut, nicht durch (die gleichzeitige Erregung beider Netzhäute erzeugt ist. Dies nur im Interesse der Klarheit.

Es ist bekannt, dass einfach gesehene gekreuzte Doppel- bilder näher, ungekreuzte ferner erscheinen als der Fixations- punkt. Der scheinbare Ort des letzteren bildet gleichsam den Mittelpunkt für das jenseits und diesseits Erscheinende, wie er auch den Mittelpunkt des sogenannten Sehfeldes nach der Di- mension der Höhe und Breite darstellt. Wovon aber die schein- bare Ferne des Fixationspunktes selbst abhängt, sei hier nicht erörtert. Genug, sie wird als gegeben angenommen.

Alles auf correspondirenden Stellen Abgebildete erscheint in gleicher Ferne wie der Fixationspunkt.

Setzen wir aufrechte Kopfhaltung, horizontale Blickebene und symmetrische Augenstellung voraus, so erscheint natür- lich bei Ausschluss aller jener Motive des Tiefsehens, welche auch für das monoculare Sehen gültig sind alles correspon- dirend Abgebildete auf einer durch den scheinbaren Ort des Fixationspunktes gehenden, der Antlitzfläche parallelen senk- rechten Ebene.

Der objective Fixationspunkt und das subjective Bild dessel- ben müssen selbstverständlich unterschieden werden, schon des- halb, weil beide nicht nothwendig zusammenfallen. Ich nenne das subjective Bild des Fixationspunktes den Kernpunkt des Sehraumes und die erwähnte Ebene die Kernfläche ‚des Seh- raumes.

I. Versuch. Ordnet man eine Anzahl feiner senkrechter

Drähte oder Fäden so an, dass sie zusammen einen Abschnitt Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 6

82 Ewald Hering:

einer Cylinderfläche von wenigen Zollen Durchmesser darstellen und fixirt fest den mittleren Faden in seiner Mitte, während die Fäden sowohl als die vertikalen Trennungslinien senkrecht zur Blickebene stehen: so erscheinen die Fäden nicht in einer Cy- linderfläche, sondern in.einer Ebene dann, wenn man sie dem Auge so nahe und in eine solche Lage gebracht hat, dass sämmtliche Fäden den Müller’schen Horopterkreis durchschnei- den. Diesen Falls nämlich bildet sich jeder einzelne Faden auf correspondirenden Stellen ab, und sie erscheinen demnach sämmt- lich in der Kernfläche .des Sehraumes. Die Täuschung ist um so auffälliger, je näher man den Fixationspunkt und entsprechend enger man die Krümmung des Fadensystems gewählt hat.!)

Dieser einfache Versuch lässt sich vielfach varüren. Wie ich gezeigt habe, giebt es bei jeder beliebigen Augenstellung eine unendliche Zahl von Flächen (zweiten Grades, d. h. Cy- linder, Kegel, einschalige Hyperboloide, hyperbolische Parabo- loide), welche die Eigenthümlichkeit haben, dass jede in ihnen gelegene gerade Linie sich auf correspondirenden Stellen abbildet. Mit genauer Kenntniss dieser Flächen kann man sich also feine Dräthe oder Fäden z. B. auch in Form einer Kegelfläche an- ordnen und sieht sie dann, bei passender Lage binocular be- trachtet, stets als in einer Ebene, d. i. in der Kernfläche, ge- legen.

II. Versuch. Lässt man Jemand mit beiden Augen durch einen weiten Oylinder von wenigen Zollen Länge gegen eine einfarbige Wand oder gegen den Himmel sehen und bringt, während Jener seinen Kopf stark vor- oder zurückgebeugt, seine Gesichtslinien aber horizontal gestellt hat, einen feinen Fa- den vor dem Cylinder in die Medianebene des Beobachters und

1) Es ist zu bemerken, dass die genau im Müller’schen Kreise angeordneten Fäden immer noch eine schwache Concavität nach dem Gesichte hin zeigen, welche jedoch mit ihrer wirklichen gar nicht zu vergleichen ist. Es weist dies auf eine kleine Incongruenz in der Anordnung der correspondirenden Richtungslinien hin. Absichtlich nehme ich hier auf diese, wie auf andere bekannte Abweichungen von dem idealen Schema der Identität keine Rücksicht, um nicht die Dar- stellung durch Nebensächliches aufzuhalten.

Die Gesetze der: binoceularen Tiefenwahrnehmung. 83

seinen Augen möglichst nahe ; so wird der Beobachter diesen fest zu fixirenden Faden nur dann vertikal sehen, wenn der Faden in Wirklichkeit schief steht, d. h. mit dem oberen Ende näher ist, falls Beobachter den Kopf zurück-, ferner, falls er ihn vorgebeugt hat. Bei diesen Kopfhaltungen nämlich und bei gleichzeitig horizontaler Blickebene kann sich wegen eintre- tender Divergenz der vertikalen Trennungslinien der Faden nur dann auf letzteren, d. h. also correspondirend abbilden, wenn er zur Blickebene eine bestimmte Neigung hat. Gleichwohl scheint er dem Beobachter vertikal, d.h. in der Kernfläche des Sehraumes zu liegen.

Was nun hier an-geraden Linien gezeigt wurde, gilt ebenso von jeder krummen Linie, wenn sie in der Lage ist, sich cor- respondirend abzubilden, und selbstverständlich auch von ein- ' zelnen Punkten. Daher würde uns z. B. jene Curve doppelter Krümmung, welche, wie ich zeigte, bei gewissen Augenstellun- gen den Horopter') darstellt, wäre sie objectiv vorhanden, als

1) Im IV. Hefte meiner Beiträge zur Physiologie habe ich die erste vollständige, alle physiologisch wichtigen Seiten des Gegenstan- des umfassende Lösung des Horopterproblemes gegeben. Die kurz zuvor erschienene zweite Abhandlung von Helmholtz über den Ho- ropter (Arch. f. Ophthalmol. Bd. X. Abth. I.) beschäftigt sich nur mit dem Horopter gewisser Specialfälle, welcher nach der von mir schon im III. Hefte der Beiträge angewandten Methode, jedoch unter spe- - eieller Berücksichtigung gewisser z. B. hypothetischer Incongruenzen entwickelt wird. Den von den seinigen in mehreren Punkten abwei- chenden Ergebnissen meiner Arbeit hat der geschätzte Forscher nach- träglich beigepflichtet (Poggendorff’s Ann. d. Physik, 1864, S. 158), indem er frühere Angaben dahin änderte, dass die Horoptereurve nicht vierten, sondern dritten Grades sei, und dass es sich nicht um eine Curve mit zwei Zweigen, sondern nur um zwei Fragmente einer aus einem Zweige bestehenden Curve handle. Wenn aber Helmholtz hinzufügt, ich hätte übersehen, dass das hinter den Kreuzungspunkten der Richtungslinien gelegene Stück der Curve nicht realiter Horopter sein könne, so darf ich dem widersprechen. Der geschätzte Forscher hat nicht bemerkt, dass ich, um derlei Einwen- dungen abzuschneiden, den mathematischen Horopter nicht defi- nirt habe, als die Gesammtheit der Punkte, die sich correspondirend abbilden, sondern ($. 225) ausdrücklich als die Gesammtheit der Punkte, in denen sich corresp. Richtungslinien schnei-

6*

84 Ewald Hering:

ein ebener Kegelschnitt in der Kernfläche des Sehraumes er- scheinen.

Diese wenigen Versuche und Andeutungen genügen zur Er- läuterung des oben angeführten Satzes und gestatten eine Ein- sicht in die grosse Menge sehr auffälliger Gesichtstäuschungen, welche man bei Kenntniss der Sache leicht und mit unaus- bleiblichem Erfolge herstellen kann. Zu denselben gehört auch ein unten noch zu besprechender interessanter Versuch v. Reck- lingshausen’s.

den, gleichviel also ob mit entsprechenden oder entgegengesetzten Hälften. Da dies aber, wie Helmholtz selbst betont, auch in dem fraglichen Stücke der Curve der Fall ist , so gehört es auch zum mathematischen Horopter nach meiner Definition. Indem Helmholtz sagt, die Punkte dieses Stückes würden sich auf entgegengesetzten Hälften der Netzhäute abbilden, vergisst er, dass den Voraussetzungen der Rechnung gemäss nur Netzhäute von 180° in Betracht kommen, als deren Mittelpunkte die Punkte des directen Sehens angenommen sind, und dass somit je zwei Richtungslinien des fraglichen Curven- stückes die Netzhäute nur an correspondirenden Stellen, ausserdem aber nur die Sklerotika schneiden könnten. Auch habe ich gegen die bezüg- lichen Angaben von Helmholtz nur deshalb polemisirt, weil derselbe meinte, die Punkte des fraglichen Stückes würden sich auf symmetri- schen Stellen abbilden, was auf keine Weise denkbar ist. Ueberdies wird Niemand daran Anstoss nehmen, wenn man im Interesse des ma- thematischen Zusammenhangs von Horopterkreisen, statt von Kreisfrag- menten spricht, und Helmholtz selbst hat wiederholt von Kreisen, Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln gesprochen, obgleich es sich überall eigentlich nur um Fragmente derselben, letzterenfalls sogar um Frag- mente nur eines Zweiges der Hyperbel handelt: Jeder weiss jedoch, dass hinter den Augen nichts Sichtbares liegen kann. Keinenfalls liegt hier ein Versehen meinerseits vor. Uebrigens aber bin ich dem berühmten Physiologen sehr zu Danke verpflichtet dafür, dass er noch nachträglich durch seine gütige Rücksichtnahme auf die Arbeit eines jüngeren, wenig gekannten Forschers (der sich gern seinen, wenn auch nicht persönlichen Schüler nennt), nunmehr eine voll- ständige Uebereinstimmung der beiderseitigen Resultate herbeige- führt hat.

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung, 835

Was sich auf beiden Netzhäuten in ungleichem Ab-

stande oder auf entgegengesetzten Seiten von den

vertikalen Trennungslinien abbildet, erscheint, ein-

fach gesehen, in anderer Entfernung als der Fixa- tionspunkt.

Denken wir uns die Netzhaut der Einfachheit wegen als eine senkrecht zur Gesichtslinie stehende Ebene, und nennen wir jeden der vertikalen Trennungslinie parallel geführten Netz- hautschnitt einen Längsschnitt, vernachlässigen wir also vollständig die Krümmung der Netzhaut, was ja für die mittlere Netzhaut keinen erheblichen Fehler bringt, so lässt sich der Inhalt des obigen Satzes so formuliren:

Alle Aussenpunkte, welche sich auf disparaten

- Längsschnitten abbilden, erscheinen, einfach ge-

sehen, ausserhalb der Kernfläche des Sehraumes.

Dieser Satz ist, wenngleich nicht in dieser Form ausgespro- chen, doch durch die bekannten stereoskopischen Versuche an doppelt gezeichneten Punkten und Linien bereits hinlänglich festgestellt worden, eine Art des Beweises, die zwar vortrefflich ist, doch aber nur auf Umwegen das erreicht, was die Beob- achtung an nicht gezeichneten, sondern wirklichen und nur ein- fach vorhandenen Objecten direct lehrt. (Dasselbe gilt eigent- lich auch schon von dem vorigen Satze, insofern längst bekannt ist, dass zwei völlig congruente Zeichnungen unter dem Ste- reoskope keinen specifisch stereoskopischen Eindruck machen).

II. Versuch. Bringen wir möglichst nahe vor dem Ge- sichte und in einer der Antlitzfläche parallelen Ebene eine Reihe vertikaler Fäden an und fixiren, während die vertikalen Trennungslinien parallel und senkrecht zur horizontal gestellten Blickebene liegen, fest den mittleren, in der Medianebene ge- legenen Faden, so scheinen uns die Fäden nicht in einer Ebene, sondern in einer Cylinderfläche zu liegen, welche ihre Convexi- tät dem Gesichte zukehrt, und zwar ist diese scheinbare Con- vexität um so stärker, je näher die Fäden dem Gesichte liegen; daher ein Weitsichtiger bei diesem wie auch bei den vorigen Versuchen sich künstlich kurzsichtig machen muss, Wie sich

86 Ewald Hering:

leicht zeigen lässt, bildet sich nur der fixirte Faden auf cor- respondirenden Längsschnitten (d. h. auf den mittleren Längs- schnitten oder vertikalen Trennungslinien) ab, während alle übrigen sogenanäte ungekreuzte Doppelbilder geben, die aber dem im indirecten Sehen nicht besonders Geübten einfach er- scheinen und zwar ausserhalb, d. i. hier jenseits der Kern- fläche des Sehraumes.

Da leicht ersichtlich ist, dass die Fäden auf um so dispa- ratere Längsschnitte fallen, je weiter sie von dem in der Me- dianebene gelegenen mittleren Faden und also auch vom Mül- ler’schen Horopterkreise abstehen, so ergiebt der Versuch zu- gleich folgenden Satz:

Der scheinbare Abstand der Fäden von der Kern- fläche wächst mit der Abweichung ihrer Netz- hautbilder von der correspondirenden Lage und zwar insbesondere mit der Disparation der Längs- schnitte, auf welchen die Bilder gelegen sind.

IV. Versuch. Blickt man durch den oben erwähnten kur- zen Cylinder nach dem mittleren von drei nebeneinander in einer der Antlitzfläche parallelen Ebene gelegenen vertikalen Drähten und lässt dann von einem Gehülfen je nach dessen Belieben bald den rechten, bald den linken Draht, bald beide vor- oder zurückschieben, während man den mittleren fest fixirt, so wird man die Bewegung der Drähte nie verkennen. Das scheinbare Heraustreten der Drähte aus der Kernfläche des Sehraumes wird ihrer wirklichen Näherung oder Entfernung, d. h. also der zunehmenden Disparation ihrer Netzhautbilder annähernd proportional gehen. Sofern bei diesem Versuche der eine seitliche Draht sich eben entfernt, während der andere genähert und der mittlere fest fixirt wird, kann kein Zweifel darüber sein, dass die Wahrnehmung dieser beiden entgegen- gesetzten Bewegungen der Drähte sich nieht aus Augenbewe- gungen erklären lässt, denn man müsste sonst gleichzeitig con- vergiren und divergiren, gleichzeitig dem sich nähernden wie dem sich entfernenden Drahte mit den Augen folgen können, Der Versuch beweist eben so genügend, wie der Dove’sche Versuch mit dem elektrischen Funken, dass die Brücke’sche ,

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung, 87

scharfsinnige Erklärung der binocularen Tiefenwahrnehmung nicht zureichend ist, was übrigens auch aus verschiedenen an- deren Versuchen unzweideutig hervorgeht (s. u.)

Die Versuche Ill. und IV. lassen sich selbstverständlich auch unter dem Stereoskope, ersterer mit ruhenden Linien, letzterer mit beweglichen feinen Drähten oder Fäden ausführen, insofern man ja nur für künstliche Herstellung genau derselben Netzhautbilder zu sorgen hat, wie sie bei jenen Versuchen so zu sagen natürlich zu Stande kommen. Erzeugt man sich un- ter dem Stereoskope z. B. durch sechs passend und beziehent- lich beweglich angebrachte Drähte das scheinbare Bild dreier einfachen Drähte, von denen, während der mittlere fixirt wird, _ der linke sich scheinbar hinter, der rechte gleichzeitig vor die Papierebene bewegt, auf welcher der mittlere Draht erscheint: so wird man sich leicht überzeugen, dass ein solcher gleichzei- tig nach entgegengesetzten Richtungen gehender stereoskopischer Effect nicht durch einen Wechsel des Fixationspunktes erklärt werden kann.

Wenn, wie oben ausgesprochen und dureh diese Versuche erläutert wurde, der scheinbare Abstand eines einfach gesehenen Doppelbildes von der Kernfläche abhängig ist von der Grösse der Disparation derjenigen Längsschnitte, auf welchen die Bil- der liegen, so ist damit auch schon folgender Satz gegeben:

Alle einfach gesehenen gekreuzten Doppelbilder, welche aufLängsschnittpaaren von gleich grosser Disparation liegen, erscheinen ceteris paribus in einer und derselben Entfernung von der Kern- fläche des Sehraumes, und alle sich ebenso ver- haltenden ungekreuzten Doppelbilder in einer und derselben Entfernung hinter jener Fläche.

Mit anderen Worten heisst dies: wenn die Differenz des Abstandes zweier zu einem gekreuzten Doppelbilde gehörigen Netzhautbilder von der vertikalen Trennungslinie eben so gross ist, wie diejenige zweier anderer, vielleicht auf ganz anderen Längsschnitten gelegenen Netzhautbilder eines zweiten gekreuz- ten Doppelbildes, so erscheinen beide einfach gesehene Doppel- bilder gleichweit von der Kernfläche nach dem Gesichte hin

88 Ewald Hering:

abstehend, also vor derselben, und analog verhält es sich mit ungekreuzten Doppelbildern.

V. Versuch. Fixirt man fest einen senkrecht zur Blick-

ebene, in der Medianebene und den Augen möglichst nahe ge- legenen Draht, während die vertikalen Trennungslinien eben- falls vertikal zur Blickebene stehen, und lässt von einem Ge- hülfen einen zweiten, dem ersten stets parallel gehaltenen Draht nahe vor oder hinter dem fixirten in einer, der Antlitz- fläche parallelen Ebene vorbeibewegen, so scheint dieser Draht eine nach dem Gesichte hin convexe Cylinderfläche zu beschrei- ben, weil, wie sich zeigen lässt, die Disparation seiner Netz- hautbilder um so grösser ist, je weiter er selbst von der Me- dianebene entfernt ist. Lässt man nun aber den Draht so be- wegen, dass er die Blickebene nicht in einer geraden Querlinie, sondern in einem Kreise durchschneidet, welcher für einen et- was näheren oder ferneren Fixationspunkt, als der gewählte ist, Horopter sein würde, so scheint der Draht eine Ebene zu beschreiben, trotzdem dass er in Wirklichkeit eine Cylinder- fläche beschreibt. Sein Doppelbild behält nämlich bei dieser Art der Bewegung stets dieselbe Grösse der Disparation, d. h. dieselbe Differenz des Abstandes seiner beiden Einzelbilder von den vertikalen Trennungslinien, wie eine kurze geometrische Betrachtung sofort lehrt. - Uebrigens lehren auch alle stereoskopischen Versuche mit vertikalen Linien oder blossen Punkten, dass alle diejenigen binocular verschmolzenen Punktpaare, deren Horizontalabstand von einander gleich stark und in demselben Sinne von dem Abstande des eben fixirten Punktpaares differirt, auch gleich- weit hinter oder vor der Papierfläche erscheinen, auf welcher letzterer das fixirte Punktpaar, sowie alle diejenigen Punkt- paare gesehen werden, welche denselben Horizontalabstand von einander haben, wie das fixirte Punktpaar und zugleich die pa- rallelen Gesichtslinien.

Gleichgültig ist hierbei, ob die beiden zu einem einfachen subjectiven Bilde verschmelzenden Netzhautbilder zweier Punkte auf correspondirenden Querschnitten (das sind die der ho- tizontalen Trennungslinie parallel ‚geführten Schnitte der als Ebene gedachten Netzhaut) liegen oder nicht; denn die Dispa-

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung,. 89

ration der Querschnitte bedingt, wie im Folgenden gezeigt wird, kein Heraustreten des Bildes aus der Kernfläche. Wenn also zwei zu verschmelzende Punkte einer stereoskopischen Zeich- nung nicht auf gleicher Höhe mit einander liegen, d. h. sich auf disparaten Querschnitten abbilden, so erscheint ihr einfaches subjectives Bild nur dann ausserhalb der Kernfläche, wenn sie zugleich auf disparaten Längsschnitten liegen. Es kommt also bei jeder nicht correspondirenden Lage zweier, ein Doppelbild constituirender Einzelbilder für die Tiefenlocalisation des ein- fachen subjectiven Bildes nur die Differenz des Abstandes der Einzelbilder von der vertikalen, nicht auch von der horizon- talen Trennungslinie in Betracht.

Was sich zwar nicht auf correspondirenden Stellen, doch auf beiden Netzhäuten in gleichem und nach derselben Seite gehenden Abstande von dem verti- kalen Trennungslinien abbildet, erscheint, einfach gesehen, in gleicher Ferne wie der Fixationspunkt.

Das heisst also: Doppelbilder, welche auf correspondirenden Längsschnitten liegen , erscheinen, wenn sie einfach gesehen werden, in der Kernfläche des Sehraumes. Wenn man solche Doppelbilder nicht einfach sieht, sondern im indirecten Sehen geübt genug ist, sie zu unterscheiden, so erscheinen sie im All- gemeinen als zwei übereinander gelegene Trugbilder, weil sie disparaten Querschnitten angehören. Das Doppeltsehen sol- cher Doppelbilder kommt jedoch auch dem Geübteren beim ge- wöhnlichen Sehen sehr selten vor, weil die Gesetze der geo- metrischen Projection es mit sich bringen, dass die Höhendif- lerenz der Doppelbilder selten irgend erheblich wird.

Dass die so zu sagen übereinander liegenden Doppelbilder nicht aus der Papierebene heraustreten, haben die stereoskopi- schen Versuche längst gelehrt. Verschmilzt man z. B., wie Panum that, unter dem Stereoskope zwei Kreise von etwas verschiedenem Durchmesser, so sieht man einen ringsum ein- fachen, zur Papierebene derart geneigten Kreis, dass seine rechte Seite näher oder ferner liegt, als die linke, während die obere und untere Seite gleich weit vom Gesichte entfernt scheinen.

90 Ewald Hering:

Die Disparation der Bilder nach der Dimension der Höhe be- wirkt also keinen stereoskopischen Effect, wie die Disparation nach der Dimension der Breite.

Es herrscht das Vorurtheil, als würden „übereinander“ lie- gende Doppelbilder leichter doppelt gesehen, oder, wie man sagt, schwerer „verschmolzen“ als „nebeneinander“ liegende. Dieses Vorurtheil ist lediglich durch die stereoskopischen Ver- suche und zwar daraus entstanden, dass, wenn man nicht fest fixirt, die veränderliche Convergenz der Gesichtslinien die „ne- beneinander* liegenden Doppelbilder leicht zur Vereinigung bringt, während dies für „übereinander liegende* nicht möglich ist. Denn wir können nicht willkürlich die eine Gesichtslinie - nach oben und gleichzeitig die andere nach unten bewegen. Die zahlreichen Messungen, welche z. B. Volkmann über die Verschmelzungsfähigkeit der Doppelbilder in- der Richtung der einzelnen Meridiane gegeben hat, sind eigentlich nur Messun- gen der individuellen Unsicherheit des Fixirens, und es war also leicht erklärlich, dass die „Verschmelzungsfähigkeit“ in horizontaler Richtung am grössten, in vertikaler am kleinsten gefunden wurde. Sollten solche Messungen beweiskräftig sein, so müssten sie bei Momentanbeleuchtung angestellt werden." Dann würde sich vielleicht zeigen, dass die Verschmelzungs- fähigkeit nach allen Seiten genau dieselbe ist; dass sie es je- denfalls annähernd ist, wird der im festen Fixiren hinreichend Geübte bereits wissen. |

Auf disparaten Querschnitten gelegene Doppelbilder werden also beim festen Fixiren nicht leichter doppelt gesehen, als die auf disparaten Längsschnitten liegenden; der Unterschied, beider Arten von Doppelbildern liegt nur darin, dass erstere in der Kernfläche, letztere dagegen ausserhalb derselben erscheinen, so oft man sie einfach sieht. Bei Doppelbildern, welche auf disparaten Längs- und Querschnitten zugleich liegen, ist nur: die Disparation der ersteren für ihr scheinbares Heraustreten aus der Kernfläche maassgebend.

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 91

Von der Bedeutung des Horopters für die binoculare Tiefenwahrnehmung.')

Die vorstehenden lediglich aus der Erfahrung abstrahirten und an einigen Fundamentalversuchen erläuterten Sätze haben gezeigt, dass es wichtig ist, zu wissen, welche Punkte in Linien des Aussenraumes in der Lage sind, sich auf correspondiren- den Punkten oder wenigstens auf correspondirenden Längsschnit- ten abzubilden, denn hiervon hängt es ab, ob sie in gleicher Form wie der Fixationspunkt, d. h. in der Kernfläche des sub- jectiven Raumes, oder aber ausserhalb derselben erscheinen, im- mer vorausgesetzt, dass alle auch schon beim einäugigen Sehen wirkenden Motive des Körperlichsehens ausgeschlossen sind.

Berücksichtigen wir zunächst nur isolirte Punkte, so ver- steht sich, dass nur die im Horopter gelegenen sich wirklich correspondirend abbilden können. Ausser diesen aber werden, wie gesagt, auch alle auf correspondirenden Längsschnitten abgebildeten Punkte oder Linien, wenn sie einfach gesehen werden, in der Kernfläche des Sehraumes erscheinen. Die Ge- sammtheit dieser letzteren Punkte nun bildet, wie ich gezeigt habe, stets eine Fläche zweiten Grades, welche ich aus nahe- liegenden Gründen als Längshoropter bezeichnet habe. Wenn man durch einen beliebigen Längsschnitt der Netzhaut und durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinien eine Ebene legt, und durch den correspondirenden Längsschnitt der andern Netzhaut in dem zugehörigen Kreuzungspunkt eine dergleichen, so schnei- den sich beide Ebenen in einer geraden Linie, welche also, wenn sie objeetiv vorhanden wäre, sich auf correspondirenden Längsschnitten abbilden würde. Führt man nun diese Con- struetion für jedes andere correspondirende Längsschnittpaar eben- falls aus, so erhält man eine Gesammtheit von Geraden, welche

1) Die von der meinigen principiell verschiedene, wenngleich in einer einzelnen Folgerung übereinstimmende Ansicht, welche der hoch- verdiente Helmholtz über die Bedeutung des Horopters (l. c.) auf- stellte, habe ich im V. Hefte meiner Beiträge kritisirt,

92 Ewald Hering:

eine Fläche zweiten Grades, d. h. in den einfachsten Fällen eine Cylinder- oder eine Kegelfläche darstellen.

Liegen z. B. die vertikalen Trennungslinien vertikal zur Blick- ebene, so ist dieser Längshoropter eine durch den Müller’schen Horopterkreis gehende, senkrecht zur Blickebene stehende Cy- linderfläche, welche man früher für den eigentlichen Horopter (Totalhoropter) hielt. Convergiren die vertikalen Trennungsli- nien nach oben, so ist bei symmetrischen Convergenzstellungen der Längshoropter eine Kegelfläche, deren Mittelpunkt (Spitze) oberhalb der Augen liegt und der die Blickebene ebenfalls im Müller’schen Kreise durchschneidet; convergiren die vertikalen Trennungslinien nach unten, so liegt die Kegelfläche umgekehrt. Selbstverständlich enthält dieser Längshoropter jederzeit auch den eigentlichen, d. h. den Totalhoropter.

Auch die Gesammtheit derjenigen Aussenpunkte, welche sich auf correspondirenden Querschnitten, aber im Allgemeinen auf disparaten Längsschnitten abbilden, deren Doppelbilder also so zu sagen gleiche Höhe aber verschiedene Breite haben und, ein- fach gesehen, ausserhalb der Kernfläche erscheinen, bildet stets eine Fläche zweiten Grades, welche im einfachsten Falle in zwei sich schneidende Ebenen übergeht. Ich habe diese Fläche als Querhoropter bezeichnet.

Liegen die horizontalen Trennungslinien in der Blickebene, so stellt die letztere zugleich die eine Ebene des Querhoropters dar, während die andere senkrecht zu ihr steht und sie in der Halbirnngslinie des Convergenzwinkels der Sehaxen durchschnei- det, also bei symmetrischen Augenstellungen mit der Median- ebene zusammenfällt. Sind aber bei symmetrischer Augenstel- lung die horizontalen Trennungslinien zur Blickebene geneigt, so ist auch die eine Ebene des Querhoropters zur Blickebene geneigt; man findet sie, wenn man durch beide horizontalen Trennungslinien, d. h. also auch zugleich durch die Kreuzungs- punkte der Richtungslinien eine Ebene legt. Die andere Ebene des Querhoropters aber ist nach wie vor die Medianebene.

Auch der Querhoropter enthält nothwendig den Totalhorop- ter in sich; daher man letzteren findet, wenn man die Durch- schnittlinie des Längshoropters und Querhoropters bestimmt: diese +

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 93

ist der Totalhoropter, denn jeder Punkt derselben bildet sich zugleich auf correspondirenden Längsschnitten und correspon- direnden Querschnitten, d. h. also auf correspondirenden Punk- ten ab.

Diese Methode, den Horopter zu construiren, ist nicht nur in mathematischer Hinsicht die einfachste und übersichtlichste, sondern auch in physiologischer Beziehung die angemessenste. Denn in der That hat der Längshoropter, wie aus den vorange- schickten Sätzen hervorgeht, eine hohe Bedeutung für die bi- noculare Tiefenwahrnehmung, und dasselbe gilt von der ganzen Eintheilung der Netzhaut nach Längs- und Querschnitten, wie ich dieselbe in Anwendung gebracht habe.

Während isolirte, binocular gesehene Punkte nur dann in ‚der Kernfläche des Sehraumes erscheinen, wenn sie im Längs- horopter liegen, gilt nicht dasselbe von unbegrenzten, d.h. kei- nen sichtbaren oder beachteten Endpunkt habenden Linien. Denn die Doppelbilder einer Linie können sich so zu sagen mit nicht entsprechenden Punkten übereinander schieben, so dass zwar die einzelnen Punkte der Linie sich nicht correspondirend abbilden, wohl aber die Linie im Ganzen. Dies ist sowohl bei geraden Linien, als bei Curven einfacher und doppelter Krüm- mung möglich.

Die mathematische Untersuchung ergiebt nun, wie ich aus- führlich gezeigt habe, dass es im Aussenraum zahllose (gerad- linige) Flächen zweiten Grades giebt, welche so gelegen sind, dass jede in ihnen enthaltene gerade Linie sich auf correspon- direnden Stellen abbildet. Ich nannte diese Flächen Partial- horopteren. Da dieselben den ganzen Aussenraum erfüllen, so folgt, dass durch jeden Aussenpunkt mindestens eine Gerade gelegt werden kann, welche sich correspondirend abbildet, wie dies auf anderem Wege auch Helmholtz (l. e.) gezeigt hat. Mag nun eine solche Gerade übrigens gelegen sein, wie sie will, so wird sie doch einfach in der Kernfläche des Sehraumes erscheinen; und jedes System von geraden Linien, welches in einem jener Partialhoropteren liegt, also eylindrisch, kegelför- mig u. s. w. angeordnet ist, wird trotz seiner Form und Lage als ein ebenesSystem parallel, divergent oder sternförmig ange-

94 | Ewäld Hering:

ordneter Geraden in der Kernfläche des Sehraumes erscheinen. Einige der hieraus resultirenden zahlreichen Gesichtstäuschun- gen wurden oben bereits erörtert.

Es ist noch von besonderem Interesse, dass, wie ich zeigte, durch jeden Punkt des Totalhoropters eine unendliche Zahl ge- rader Linien in Form einer Kegelfläche gelegt werden kann, Linien, welche sich sämmtlich correspondirend abbilden und da- her als ein ebener Stern in der Kegelfläche des Sehraumes er- scheinen müssen. Ein solches Liniensystem lässt sich also auch durch den Fixationspunkt legen, welches selbstverständlich zum Totalhoropter gehört. Jede gerade Linie dieses Systemes bildet sich dann auf correspondirenden Meridianen der Netzhäute ab, weil sie im Partialhoropter der correspondirenden Meridiane, d. h.im Meridianhoropter liegt. Dieser ist (ausser wenn cor- respondirende Meridiane in der Blickebene liegen, wo er in zwei Ebenen übergeht) eine Kegelfläche zweiten Grades, d. h. ein Doppeltrichter, dessen Mittelpunkt der Fixationspunkt ist. v. Recklingshausen!) nannte diesen Kegel „Normalfläche*, weil er ihm eine ganz specifische Bedeutung zuschrieb, die aber, wie ich gezeigt habe, jedem der zahllosen Partialhoropteren zu- kommt. Er fand nämlich, dass eine Anzahl gerader, durch den Fixationspunkt gehender und in dieser Kegelfläche gelegener Linien ihm stets als ein ebener, senkrecht zur Medianlinie gelegener Stern erschien, eine Beobachtung, die ebenfalls ein specielles Beispiel für das oben erörterte Gesetz von der schein- baren Lage correspondirend abgebildeter Linien ist.

Was nun aber von Linien ohne sichtbaren Endpunkt silt, ist nicht zugleich für solche mit deutlichem Endpunkte gültig; denn solche fallen durchaus unter diejenigen, oben erörterten Gesetze, nach welchen isolirte Punkte localisirt werden, weil nämlich die zwischen zwei deutlich markirten Endpunkten ge- legene Linie in ihrer scheinbaren Lage lediglich durch diese ihre Endpunkte bestimmt wird.

Bietet man unter dem Stereoskope jedem Auge eine nicht sichtlich begrenzte horizontale Linie, so sieht man eine einfache

1) Arch. f. Ophthalmol. Bd. V. Abth. II. 1859,

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 95

Horizontale in der Kernfläche des Sehraumes. Bietet man aber jedem Auge zwei kurze Linien von etwas verschiedener Länge und mit deutlichen Endpunkten, so: sieht man eine zur Kerm- fläche geneigte einfache Linie, wie dies auch v. Reckling- hausen (l. ce.) hervorhob.

Auf das analoge Verhalten gewisser krummen Linien und auf die entsprechenden krummlinigen Partialhoropteren kann hier nicht eingegangen werden.

Das Vorstehende wird genügen, die hohe physiologische Be- deutung des Totalhoropters, der Partialhoropteren überhaupt und insbesondere des Längshoropters für die binoculare Tiefenwahr- nehmung zu beleuchten, und zugleich die Ausführlichkeit zu rechtfertigen, mit der ich nicht nur das Horopterproblem in seiner vollen Allgemeinheit behandelt, sondern auch entgegen- stehende Angaben anderer Forscher kritisirt habe.

Die Localisation der einfach gesehenen Doppelbilder

kann nicht lediglich aus Augenbewegungen erklärt

werden und widerspricht der sogenannten Identität der Netzhäute.

Während es, wie ich früher gezeigt habe, in Betreff der Sehrichtung, d. h. der scheinbaren Breite und Höhe (in astro- nomischem Sinne) ganz gleichgültig ist, ob ein Aussenpunkt sich auf der einen Netzhaut oder auf correspondirender Stelle der anderen Netzhaut oder endlich auf correspondirenden Stel- len beider zugleich abbildet, ist es für die Tiefenwahrnehmung ein grosser Unterschied, ob der eine oder der andere dieser Fälle stattfindet. Bieten wir z. B. dem linken Auge unter dem Stereoskope zwei horizontal nebeneinander liegende Punkte, dem rechten zwei dergleichen von etwas grösserem gegenseitigen Ab- stande, so sehen wir zwei Punkte, von denen der rechte ferner als der linke, und zwar, wenn wir letzteren, so zu sagen fixiren, hinter der Kernfläche des Sehraumes (hier der Papierebene) erscheint. Vertauschen wir jetzt beide Punktpaare mit einander, so erscheint uns der linke Punkt als der fernere, und wenn

wir ihn fixiren, scheint der rechte vor der Kernfläche zu lie-

96 Ewald Hering:

gen. Ganz dasselbe können wir auch bei Momentanbeleuchtung sehen. Wir erhalten also zwei gerade entgegengesetzte Ergeb- nisse, trotzdem, dass wir weiter Nichts gethan haben, als jedes der beiden indirect gelegenen Netzhautbilder von der einen Netzhaut auf die correspondirenden Stellen der anderen Netz- haut übertragen. Dies beweist also, dass beide Netzhäute zwar in Rücksicht auf die Sehrichtung {Sehbreite und Sehhöhe), aber nicht auch in Betreff der Seh- tiefe identisch sind.

Hieran besonders scheitert die alte Identitätslehre. Denn nach ihr müssten jede zwei correspondirenden Punkte in Be- treff der räumlichen Auslegung vollkommen, also auch bezugs der Localisation nach der Tiefe gleichwerthig sein, was sie nicht sind.

Brücke hielt an der alten Identitätslehre fest und wollte das stereoskopische Sehen lediglich aus dem Wechsel des Fixa- tionspunktes erklären. Nun denke man sich, ein Punkt der Aussenwelt werde fixirt, und ein zweiter in anderer Entfernung gelegener werde sichtbar oder lenke die Aufmerksamkeit auf sich: woran sollten wir erkennen, ob wir gekreuzte oder unge- kreuzte Doppelbilder haben, und ob wir demnach convergiren oder (so zu sagen) divergiren müssen, um die Gesichtslinien auf dem zweiten Punkte zur Durchschneidung zu bringen? Wir würden dies nothwendig nur durch Probiren herausfinden kön- nen und müssten in jedem Augenblicke von Neuem probiren. Wenn aber die in solchen Fällen stets zweckmässigen Be- wegungen der Augen als eine Art unwillkürlicher Reflexbewe- gungen aufgefasst werden sollten, so würde damit eben ausge- sagt sein, dass die Art dieses Reflexes bei einem gekreuzten Doppelbilde eine andere sei als bei einem ungekreuzten wenn- gleich auf denselben Netzhautstellen gelegenen und ersterem überhaupt ganz gleichen Doppelbilde; damit würde aber offen- bar auch nichts Anderes behauptet sein, als dass zwei corre- spondirende Stellen in dieser einen Be nicht als gleich- werthig angesehen werden können.

Uebrigens aber haben bekanntlich schon Dove, Panum und Andere bewiesen, dass die specifische binoculare Tiefen;

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 97

wahrnehmung auch unabhängig von jeder gleichzeitigen Augen- bewegung eintreten kann und zwingend wird Brücke’s Ansicht auch durch die Thatsache widerlegt, dass Doppelbilder z. B. eines in der Medianebene vor oder hinter dem fixirten Punkte gelegenen Objectes, auch wenn sie nicht „verschmolzen“ wer- den, bei Momentanbeleuchtung deutlich.vor oder hinter dem Fixationspunkte erscheinen, woraus, wie auch aus vielen ande- ren Versuchen, hervorgeht, dass die binoculare Tiefen- wahrnehmung nicht einmal an das Einfachsehen der Doppelbilder gebunden ist, sondern auch ohne dies in deutlicher und gesetzmässiger Weise zu Stande kommen kann.

Darf also zwar keinenfalls die specifische binoculare Tiefen- wahrnehmung; lediglich aus gleichzeitigen Augenbewegungen er- klärt werden, so ist doch die hohe Bedeutung der letzteren für das Tiefsehen im Uebrigen, wie ja für das binoculare Sehen überhaupt nicht zu verkennen, und Brücke hat das Verdienst, dies zuerst mit Nachdruck hervorgehoben zu haben.

(Schluss folgt.)

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 7

98 C. Mettenheimer:

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste.

Von

Dr. med. C. METTENHEIMER

in Schwerin.

Man findet in einigen Hand- und Lehrbüchern der Chirurgie gewisse fibröse Geschwülste erwähnt, die in der Gegend der Kniescheibe vorkommen und mit den daselbst liegenden Schleim- beuteln in genetische Beziehung gesetzt werden. Chelius 2. B. sagt über diese Geschwülste!):

„Die Schleimbeutel sind einer Degeneration fähig, wo sich in ihrer Höhle eine gleichmässige, feste, mit ihren Wandungen zusammenhängende, gewissermaassen fibröse Masse bildet und sich nach und nach zu einem bedeutenden Umfang vergrössert. Auf der Kniescheibe und am Ellenbogengelenk habe ich Ge- schwülste dieser Art beobachtet und mit glücklichem Erfolge exstirpirt. Jede andre Behandlungsweise ist zwecklos.“

Am eingehendsten, was Structur und Entstehung betrifft, sprechen sich, meines Wissens, einige neuere englische Chirur- gen über diese Geschwülste aus. Schon Brodie?) sagt in dem Capitel über chronische Entzündung der Schleimbeutel, wo man im Allgemeinen in den Hand- und Lehrbüchern der Chirurgie” das auf die fraglichen Geschwülste bezügliche zu suchen hat: „Zuerst sind die Wände des entzündeten Schleimbeutels dünn und die Fluctuation des Inhalts ist deutlich zu bemerken.

1) Handb. d. Chirurgie, VII. Aufl. Bd. II. Abth.1. S. 206. Anm, 2) Diseases of the joints, London 1850, p. 392, 3983. «

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste. 99

Wenn aber das Uebel lange dauert, so verdiecken sich die Wände des: Schleimbeutels, so dass dieser alle Eigenschaften einer festen Geschwulst annimmt. In einem Fall, wo der Schleimbeutel die Grösse einer kleinen Orange erreicht hatte, musste er durch eine Operation weggenommen werden. Man fand die Wände dieser Geschwulst einen halben Zoll dick und von fibröser Beschaffenheit, während ihr Inneres seine zellige Natur bewahrt hatte und eine seröse Flüssigkeit enthielt.“ Etwas mehr schon erfährt man über diese Geschwülste aus dem Werk von Bryant!), wo gesagt wird, dass die Ablage- rungen in der bursa patellae auch fibrinös sein und zwar ent- weder eine reticulirte Structur haben oder Schichten bilden und so nach und nach in eine beinahe feste Geschwulst über- gehen könnten. Ausdrücklich jedoch hebt Bryant hervor,. dass er kein Beispiel von einer ganz soliden Geschwulst kenne. Alle Geschwülste der Art, die er gesehen, hätten in der Mitte eine Cavität, wenn auch von sehr unbedeutenden Dimensionen enthalten. Andere englische Chirurgen haben von einer solchen Höhlung ebensowenig bemerkt, als Chelius, und beschreiben Tumoren von der Patellargegend, die durchaus solide waren und von ihnen als sarcomatös oder fibrös bezeichnet werden. Ich führe zunächst Fergusson?) an. Dieser sagt: „zuweilen bilden sich oberhalb des Ligam. patellae sarco- matöse Geschwülste. Ich habe dergleichen gesehen und weg- genommen. Alle zeigten sich auf dem Schnitt als harte, fibröse Massen. In einzelnen Fällen entwickelten sich diese Gebilde nur auf einer Seite des Schleimbeutels und stellten, so zu sa- gen, nur eine Verdickung desselben dar. In den meisten Fäl- len aber entstand der Tumor getrennt von dem Schleimbeutel, „und zwar gewöhnlich etwas tiefer als dieser. Die Geschwülste, die mir vorgekommen, hatten die Grösse einer Wallnuss oder einer Billardkugel und wurden durch ihren Umfang beschwerlich.* Mehrere englische Chirurgen, wie z. B. Miller?), erwähnen

1) Diseases and injuries of tbe joints. London 1859. p. 169. 2) System of practical surgery. London 1857. p. 442. 3) Practice of surgery. Edinburgh 1852. p. 611.

Ir

100 6. Mettenheimer:

des Vorkommens von fibrösen Tumoren in der Patellarge- gend nur mit einem Wort. Das Bündigste und Gründlichste, was bis jetzt über diese Tumoren überhaupt gesagt zu sein scheint, habe ich bei Erichsen!) gefunden. Hier lautet die bezügliche Stelle folgendermaassen: „Im Zusammenhang mit der Bursa patellae können sich auch solide Tumoren bilden. Manche halten sie für das Ergebniss einer Ablagerung von fi- brinösem Stoff, welcher nach und nach die Flüssigkeit eines gewöhnlichen Hydrops bursae patellaris (ordinary housemaids- knee) verdrängt, und anstatt die Gestalt gurkenförmiger Körper anzunehmen, sich in concentrischen Schichten ablagert und in dem Inneren der Cyste anhäuft. Dies hatte übrigens nicht stattgefunden in mehreren Fällen, die ich gesehen. Hier bil- dete sich, wie ich glaube, von Anfang an eine fibrinöse Abla- gerung in der Bursa; der Tumor fluctuirt niemals, sondern ist von seiner Entstehung an hart und fest, und nimmt langsam an Grösse zu, bis er soviel Unbequemlichkeiten verursacht, dass man ihn wegnehmen muss. In einigen Fällen ging eine syphi- litische Infeetion der Bildung der Geschwulst vorher; der Kranke empfindet in derselben Schmerzen, ähnlich denen, welshe syphi- litische Nodi verursachen, und es ist durchaus nicht unmöglich, dass diese Geschwülste einen syphilitischen Ursprung haben. Wie sich dies übrigens verhalten mag, in den Fällen, die mir zur Beobachtung gekommen sind, war der Tumor niemals flu- etuirend, noch war er durch Druck veranlasst, sondern schien aus einer primären Ablagerung fibrinösen Stoffes hervorgegan- gen zu sein.“ Die Beschreibung, welche der amerikanische Chirurg Gross?) von der chronischen Entzündung der Bursa mucosa patellae giebt, will ich hier anführen, weil die eine von den Geschwulsten, die ich selbst weiter unten beschreiben werde, meiner Schilderung zum Vorbild gedient haben könnte. bi; Gross sagt: „Die Wände des entzündeten Sacks sind manch- mal mehr als '/, Zoll dick und von einer derben fibrocellularen Beschaffenheit. Von ihrem ursprünglichen Bau ist nicht die

1) Science and art of surgery. London 1864. p. 819. 2) A system of surgery. Philadelphia 1859. I. p. 753.

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste, 101

leiseste Spur mehr zu erkennen. Unter diesen Umständen ist die Höhlung des Sacks im Allgemeinen sehr klein; sie enthält veränderte Synovialflüssigkeit und hat rauhe Wände, die sich nicht unpassend einer Honigwabe vergleichen lassen.“ Lin- hart!) gab schon ein Jahr früher eine Beschreibung der chro- nischen Entzündung der Bursa patellaris, von der er zwei For- men kennt, das Hygroma und die fibröse Entartung. Seine Schilderung der letzteren stimmt so sehr mit dem überein, was ich aus dem Werke von Gross citirte, dass eine specielle An- führung derselben unnöthig scheint. Nur einer Bemerkung, die Linhart macht, muss ich hier wohl besonders gedenken. Er sah nämlich in Folge lang anhaltenden Knieens im Betstuhle auf beiden Seiten mehr als faustgrosse Geschwülste entstehen, die unterhalb der Patella auf dem lig. patellae lagen. Die Geschwulst von Linhart, einer Söjährigen Dienstmagd aus- geschnitten, enthielt eine gelbliche, schwach durchscheinende Flüssigkeit. Wenn nun Erichsen behauptet, die fibrösen Ge- schwülste in der Patellargegend seien niemals die Folge von Druck (Knieen), so irrt er entweder, oder die Geschwülste, die er im Sinne hat, sind noch verschieden von den als chronische Entzündung der Bursa patellaris von Linhart und anderen Autoren beschriebnen Geschwülste. Um die Aehrenlese, welche ich in den Hand- und Lehrbüchern der Chirurgie angestellt habe, zu vervollständigen, will ich erwähnen, dass Nelaton?) sie nicht zu kennen scheint. Aus dem, was dieser erfahrene Chirurg über die Schleimbeutel und ihre Erkrankungen sagt; gehört der Vergleichung wegen die Bemerkung hierher, dass nach Blutergiessungen in den erkrankten Schleimbeutel der Fa- serstoff Schichten bilden kann, die die Wand des Sacks ver- dicken und einige Aehnlichkeit mit den Faserstoffschichten eines aneurysmatischen Sackes darbieten. Auch Follin?) er- wähnt der fibrösen Geschwülste auf der Patella nicht; dagegen

1) Ueber die Entzündung der bursae mucosae patellaris. Würz- burg. Verhandl. VIII. 1858. 8. 129 ff. Taf. 4.

2) El&mens de pathol. chirurg. 1. 417.

3) Pathologie externe. 11, 1, p. 123,

102 ©. Mettenheimer:

beschreibt dieser Schriftsteller eine andre, eigenthümliche Ent- artung der Schleimbeutel, die ich sonst bei keinem einzigen Autor gefunden habe. Es ist dies die Bildung einer Fettge- schwulst, über die sich Follin in folgenden Worten vernehmen lässt: „on voit quelquefois des bourses sereuses normales s’obli- terer, quand elles ne servent plus. Il se developpe par un me- canisme analogue & celui qui oblitere certains sacs herniaires une tumeur graisseuse dans la paroi de la bourse sereuse, qui ne conserve plus alors qu’une tres petite cavite, qu’on peut par une dissection soigneuse retrouver presque toujours.“

Ich will hier einschalten, dass ich mich, indem ich diesen Passus las, von dem Zweifel nicht ganz frei halten konnte, ob Follin in der That eine Fettgeschwulst (Lipom) gemeint ha- ben könne, Denn Lipome, welche eine mit seröser Flüssigkeit gefüllte Höhle enthalten, sind mir weder jemals in der Wirk- lichkeit vorgekommen, noch erinnere ich mich, irgendwo davon gelesen zu haben.

Eine kurze Bemerkung über die harten Geschwülste in der Patellargegend fand ich bei Bardeleben.:') Dieser Gelehrte kennt sie und sagt von ihnen, sie entständen, wenn auf die acute Entzündung eines Schleimbeutels eine chronische folgte, indem die durch die erstere bereits verdickten Wände fortfüh- ren sich zu verdicken. Ihr flüssiger Inhalt sei schwer zu er- kennen.

Aus dieser Zusammenstellung lässt sich entnehmen, dass die chirurgischen Schriftsteller allgemein?) die Bildung fester Geschwülste in der Patellargegend mit den Schleimbeuteln die- ser Gegend in Verbindung bringen. Mehrere von den Autoren haben solide Tumoren gesehen und operirt; andre kennen nur solche Tumoren, die eine Cavität enthalten. Die einen führen die Entstehung der Tumoren ganz allgemein auf eine Entar- tung der Schleimbeutel zurück, andre auf das Hygroma prae- patellare und auf eine chronische Entzündung desselben, noch andre auf eine speeifische (syphilitische) Entzündung. Einige

1) Lehrb. d. Chirurgie. Bd. 2. S. 838. 2) Ausgenommen Fergusson, s. oben.

Ueber fibröse Präpatellargeschwulste, 103

-betrachten sie als selbständige Geschwülste. Endlich war auch bereits von den Geschwülsten die Rede, deren Entstehung auf die Umwandlung von Haematomen zurückzuführen ist. Man sieht, der Gegenstand ist noch nicht erschöpft, enthält Unklar- heiten und zum Theil sogar noch innere Widersprüche,

Man würde irren, wenn man erwartete, von Seiten der pa- thologischen Anatomie vollständigere Aufschlüsse zu erlangen. In den Lehrbüchern der pathologischen Anatomie werden die Geschwülste der Patellargegend womöglich noch kürzer behan- delt, als in den chirurgischen Schriften. In dem ausserordent- lich fleissigen Werke von Gurlt!) über die Gelenkkrankheiten heisst es in dem Capitel über die Entzündung der an der Knie- scheibe gelegenen Schleimbeutel: „Die Faserstoffschichten füllen bisweilen den ausgedehnten Schleimbeutel ganz aus.“ Ebenso kurz, und jede Vorstellung über die Art der Entstehung der fraglichen Tumoren, vielleicht geflissentlich auschliessend, drückt sich Rokitansky?) aus in folgendem Passus: „Zuweilen fin- det man Schleimbeutel, namentlich jenen auf der Kniescheibe von faseriger und gallertähnlicher Bindegewebemasse vollständig ausgefüllt.“ Nach Förster°) bildet sich im Schleimbeutel zu- weilen Bindegewebe, wodurch der Balg verdickt wird oder durch Verwachsung verödet. Virchow’s!) Ansicht über Na- tur und Wesen der Schleimbeutel ist zwar sehr belehrend und interessant zu‘lesen, bietet aber keinen Aufschluss über die fi- brösen Geschwülste der Patellargegend dar, die von den Chi- rurgen mit den Schleimbeuteln in Beziehung gebracht werden. Das von ihm beschriebne und abgebildete?) Haemotoma prae- patellare kann allerdings unter Umständen Veranlassung zur Bildung eines fibrösen Tumors werden, wie auch Andere schon erkannt haben.

1) Beiträge zur vergleichenden pathologischen Anatomie der Ge- lenkkrankheiten. Berlin 1853. S. 530. 2) Pathol. Anatom, 3. Aufl. Bd. II. S. 22. 3) Pathol. Anat. 7. Aufl. Jena 1864, S. 578, - 4) Krankhafte Geschwülste, S. 196, 5) a. a. O0. S. 210. Fig. 32,

104 ©. Mettenheimer:

Wenn diese gedrängte Uebersicht ungefähr den Stand der gegenwärtigen Kenntnisse über die fibrösen Geschwülste der Präpatellargegend bezeichnet, so scheint es mir nicht unange- messen, die Beschreibung zweier derartiger Tumoren mitzu- theilen, die ich vor einiger Zeit einem und demselben Indivi- duum exstirpirte. Es konnten über die Entstehung dieser Ge- schwülste sehr genaue Angaben in Erfahrung gebracht werden, so dass ich hoffen darf, das Dunkel, das über Natur und We- sen dieser Geschwülste annoch herrscht, bis zu einem gewissen Grade zu erhellen.

Vor einiger Zeit kam eine Frau von 53 Jahren zu mir, de- ren rechte Wade ein grosses, sinuöses Geschwür einnahm. Sie suchte Hülfe theils gegen dieses Geschwür, theils aber auch gegen zwei harte Knollen von unregelmässiger Form, die be- weglich auf jeder Kniescheibe aufsassen. Die Frau hatte sich bis dahin mit Scheuern von Stubenböden und Treppen ernährt; nun konnte sie aber diese Beschäftigung nicht mehr fortsetzen, da die Beweglichkeit und Schmerzhaftigkeit jener Geschwülste es ihr unmöglich machten, auf den Knieen zu liegen.

Die Geschwulst auf der rechten Kniescheibe hatte ungefähr die Grösse und Form einer Kinderfaust, nur war sie etwas plat- ter. Die Geschwulst auf der linken Kniescheibe war etwas klei- ner. Beide Geschwülste waren unter der Haut ein wenig ver- schieblich und bedeckten den “unteren Theil der Patella und das Ligament, welches diese mit der Tibia verbindet. Ich ex- stirpirte die kleinere Geschwulst durch einen einfachen Längs- schnitt, die grössere, indem ich ein ovales Stück aus der Haut herausschnitt. Die Tumoren waren durch kurze, straffe, stellen- weise knorpelähnliche Stränge mit der Umgebung, dem Unter- hautzellgewebe und der Patella vereinigt. Sie herausspringen zu lassen oder loszureissen, wie Balggeschwülste, war unmög- lich; dazu waren die Verbindungen zu fest. !)

Die kleinere Geschwulst war durchaus nicht so scharf von

1) Auch die hydropischen Geschwülste der Patellargegend sitzen nach dem Urtheile erfahrener Chirurgen fester, als eine im Un- terhautzellgewebe neu gebildete Balggeschwulst, vergl. Langenbeck, Nosol. u. Therap. d. chir, Krankhtn. Bd. V. Abth. 4. S. 1445.

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste. 105

der Umgebung abgegrenzt, wie eine Balggeschwulst. Sie bil- dete eine solide Masse und sah ungefähr aus, wie eine grosse Gelenkmaus. Auf dem Schnitt war sie von blassröthlicher, stellenweise gelblicher Farbe. Zarte, wellenförmige Streifen, die hier und da concentrisch zu verlaufen schienen, sich aber auch an vielen Stellen durchkreuzten, waren besonders in der Nähe der Peripherie sichtbar. Auch nicht der kleinste Rest einer Höhlung liess sich an dieser Geschwulst auffinden.

Die grössere Geschwulst schien bereits ehe sie durchschnit- ten wurde, eine undeutliche Fluctuation darzubieten. Als ich die Geschwulst zerschnitt, sprang aus ihrer Mitte ein kleines Quantum gelblicher, viscider Flüssigkeit hervor, wie sie in Gan- glien enthalten zu sein pflegt. In den corticalen Schichten glich die Geschwulst ihrem Bau nach ganz dem kleineren Tu- mor. Jene der Peripherie ungefähr parallelen, einander durch- kreuzenden, wellenförmigen Streifungen fanden sich auch hier. Nach innen zu wurde das Gefüge immer lockrer und stellte in der Mitte der Geschwulst ein unregelmässig blättriges Maschen- werk von Faserstoff dar, dessen Zwischenräume die gelbliche Flüssigkeit enthielten. Beide Geschwülste bestanden wesent- lich aus Faserstoff in verschiedenen Zuständen der Festigkeit und Organisation. Die festeren Partien verhielten sich sowohl für das bewaffnete, als für das unbewaffnete Auge wie ein Fi- broid. Die kleinere Geschwulst verhielt sich ganz und gar so. Auch die Streifungen, die auf den Durchschnitten hervortraten, erinnerten an die wellenförmigen Zeichnungen, die man auf der Schnittfläche von Fibroiden wahrnimmt. Die Consistenz der kleineren Geschwulst war in allen ihren Theilen dieselbe. Dass sie an einigen Stellen mehr blassröthlich, an andern mehr blass- gelblich aussah, ist schon angeführt. Die blassröthliche Fär- bung rührte nicht von einem grösseren Gefässreichthum her. Das Gewebe beider Geschwülste enthielt im Ganzen nur we- nige, feine, geschlängelte Gefässe, die ziemlich gleichmässig vertheilt schienen. Mikroskopisch bestand die kleinere Ge- schwulst aus einem dicht verfilzten Faserwerk. Die Fasern waren plump, von unbestimmten Umrissen, und nicht so hübsch ausgebildet, wie man sie manchmal in Fibroiden findet. Ein

106 G, Mettenheimer:

besondrer Balg, eine Capsel gab sich auch bei der mikrosko- pischen Untersuchung durch irgend welche Verschiedenheit in den histologischen Elementen durchaus nicht zu erkennen.

Die histologische Beschaffenheit der grösseren Geschwulst war im Ganzen dieselbe. Doch bot sie einige kleine Abwei- chungen dar, die zu erwähnen nöthig sind. Von der Peripherie zum Öentrum fortschreitend fand man zuerst eine 4—5'' dicke, fibroide, blassröthliche Substanz, dann eine 1—2'' dicke, weiss- gelbliche, ganz undurchsichtige und streifenlose. Diese löste sich nach innen in das schon erwähnte blättrige Maschenwerk auf, das einige Aehnlichkeit mit einer Honigwabe darbot.") Die Flüssigkeit enthielt Gruppen von Blutkörpern, grosse Fettag- regatkugeln, und cytoide Körper von verschiedner Grösse, wie ein Eiterkörperchen und 2, 4, bis 8mal so gross. Diese Kör- perchen waren alle fein granulirt, sehr blass, zum Theil auch mit einem blassen Kern versehen.?) Meistens hing ihnen äus- serlich ein Häufchen der gelblichen Körner an, aus denen die Fettaggregatkugeln bestanden.

Der Faserstoff des Maschenwerkes war noch sehr weich; mikroskopisch fanden sich mannichfache Streifungen und Ma- schen in ihm angedeutet. Seine feinere Structur konnte nicht unpassend für eine Wiederholung dessen, was das blosse Auge wahrnahm, in den kleinsten Verhältnissen genommen werden. Nur an wenigen Stellen enthielt dieser weiche, leicht zerreiss_ liche Faserstoff Gefässe. Hier und da fand ich Haufen von moleculären, gelben Körnchen in ihm eingelagert, die bald mehr die Form von Ganglienkugeln, bald mehr die von verödeten Gefässen nachahmten. Je weiter nach der Peripherie hin, desto enger waren die Fasern verfilzt. Eine höhere Organisation als in der kleineren Geschwulst erreichte der Faserstoff auch hier nicht. Der weiche Faserstoff aus der Mitte der Geschwulst

1) Vergl. Gross a.a. 0.

2) Die in dieser Flüssigkeit vorkommenden histologischen Ele- mente gleichen einigermassen, jedoch nicht völlig denen, welche nach Frerichs (R. Wagners physiol. Handwörterbuch III. Abth. 1. S. > in der Gelenkflüssigkeit vorkommen sollen.

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste, 107

wurde in Essigsäure sehr schnell durchsichtig; alle seine Strei- fen verschwanden, ohne eine Spur von Kernen zurückzulassen. Die dichteren, der Peripherie näher gelegenen Theile der Ge- schwulst hingegen wurden bei Anwendung der Essigsäure gleich- falls sehr schnell durchsichtig; behielten aber ihre knorpelartige Härte bei. Die Essigsäure liess in diesen Theilen der Geschwulst eine Zeichnung mit rundlichen Maschen hervortreten, die von länglichen, gebogenen, faserartigen Kernen gebildet schienen. Nur jene weissliche Schicht, in der so viele Körnchen eingela- gert waren, hellte sich in der Säure nicht völlig auf. _

Die Organisation dieser Geschwülste stand demnach nicht auf einer höheren Stufe, als die Organisation gurkenkernförmiger Körperchen aus einem entarteten Schleimbeutel vom Ellenbogen, die mir einst zur Untersuchung gegeben wurden. Auch diese Körperchen wurden in Essigsäure durchsichtig, behielten aber auch ihre knorpelartige Härte und liessen kernartige Streifen und Fasern hervortreten. Ohne Zusatz von Säure zeigten sie sich zusammengesetzt aus Fasern, die immer geradlinig, spinne- webartig verliefen, sich an einer Stelle mehr anhäuften, an der andern weniger dicht zusammendrängten, und aus amorpher, grobkörniger Substanz.

Die gelblich-weisse, 1—2'' dicke Schicht der grösseren Ge- schwulst, von der oben die Rede war, zeichnete sich durch Derbheit und Farbe vor dem übrigen Gewebe der Geschwulst aus. Sie bot aber keine wesentlich verschiedenen Structurver- hältnisse dar. Sie erhielt ihre Farbe und Consistenz offenbar von der hier reichlicheren Einlagerung jener gelben Körnchen, die in den weichen Faserstoffblättern aus der Mitte der Ge- schwulst, und in der Flüssigkeit angetroffen wurden. Stückchen von dieser Schicht entwickelten in Salzsäure Luftbläschen; doch wurde keineswegs die ganze Masse jener eingelagerten Körn- chen von der Säure zerstört. Auch die gelblich-weisse Farbe einiger Stellen der kleineren Geschwulst rührte bloss von der Einlagerung vieler gelblicher moleculärer Körner her. .

Die grössere der beiden Geschwülste brauchte zwei Jahre zu ihrer Entwicklung, die kleine etwas über ein Jahr. Sie ist also die jüngere. Beide Geschwülste entstanden als kleine,

108 ©. Mettenheimer:

harte, von Anfang an schmerzhafte Körper; die kleinere von ihnen war, als sie zuerst bemerkt wurde, so gross, als eine kleine Erbse, die grössere war von Anfang an ein klein wenig umfangreicher. Die Bildung eines Hygroms oder einer acuten Entzündung der Schleimbeutel der Kniescheibe ging der Ent- stehung keiner von beiden Geschwülsten voraus. Sie bildeten, wie gesagt, gleich von ihrem ersten Auftreten an kleine, schmerz- hafte Knoten, in deren Umgebung sich auch nicht das geringste Zeichen von entzündlicher Röthe oder Geschwulst kundgab. Nach den von Erichsen gegebenen Andeutungen war es wich- tig, sich zu vergewissern, ob nicht an eine syphilitische Ursache gedacht werden musste? Meine Nachforschungen ergaben in dieser Hinsicht kein befriedigendes Resultat. Die Kranke leug- nete hartnäckig ab, jemals inficirt gewesen zu sein; von ande- rer glaubwürdiger Seite wurde mir jedoch versichert, dass ihr früherer Lebenswandel einen solchen Verdacht keineswegs aus- - schliesse. Ich bedaure sehr, über diesen Punkt nichts Positi- veres mittheilen zu können.

Das Wachsthum beider Geschwülste ging ebenso allmählig, als gleichmässig vor sich und bot in seinem Verlauf durchaus keine intereurrente Entzündungserscheinungen dar. Die klei- nere Geschwulst bietet weder in ihrer Structur, noch in ihrer Entwickelungsgeschichte die geringste Handhabe für die An- nahme dar. dass sie als ein degenerirter Schleimbeutel zu be- trachten sei. Sie widerlegt durch ihren Bau die Angabe von Bryant, dass solche Geschwülste immer wenigstens einen klei- nen Rest von .einer früheren Höhle enthalten müssten. Will man sich aber von der Vorstellung eines Zusammenhangs die- ser Geschwülste mit Schleimbeuteln nicht lossagen und ihnen als Bindegewebegeschwülste im subcutanen Gewebe nicht eine ähnliche Selbstständigkeit zugestehen, wie den Lipomen, so würde man in ihnen mit Linhart eine von den Hygromen verschiedene fibröse Entartung der Schleimbeutel aufstellen müssen. Dabei würde aber zu bedenken sein, dass diese fi- bröse Entartung nicht den ganzen Schleimbeutel, dem doch ge- wöhnlich eine gewisse, wenn schon veränderliche Grösse zuge- schrieben wird, mit einem Male ergreifen, sondern von einem

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste. 109

kleinem Punkte ausgehend, denselben nach und nach in ihren degenerativen Process hineinziehen würde. Man wird gestehen, dass diese Vorstellung etwas Gezwungenes und die Annahme einer Neubildung von Bindegewebegeschwülsten im Unterhaut- zellgewebe unter dem Einfluss des Drucks den Vorzug der Na- türlichkeit für sich hat, so lange man nicht beweisen kann, dass die ganz soliden Tumoren früher eine wenn auch kleine Cavität enthielten. Wenn sich dies aus dem Bau und der Ent- stehung der kleineren der beiden Geschwülste nicht erschliessen lässt, so gewinnt diese Ansicht doch eine gewisse Wahrschein- lichkeit durch die Vergleichung mit der grösseren Geschwulst Diese scheint auf den ersten Blick’ ganz das Bild eines ver- grösserten Schleimbeutels mit fibrös entarteten, verdickten Wän- den darzubieten. Sie enthält eine Höhle mit synovialer Flüs- sigkeit, und wenn auch Reste des Schleimbeutels nicht mit überzeugender Bestimmtheit erkannt werden können, so würde es doch nicht geradezu unerlaubt sein, in der weisslichen, an Körnchen so reichen Schicht der Wand die Ueberreste der frü- heren Epithelialschicht, mit der janach Luschka!) die Schleim- beutel ausgekleidet sind, zu erblicken. Aber auch diese Ge- schwulst war von Anfang an sehr klein und fühlte sich stein- hart an. Um diese Form der Entstehung mit dem schliessli- chen Bau der Geschwulst in Einklang zu bringen, wird man zwischen folgenden beiden Erklärungen zu wählen haben: ent- weder war von Anfang eine sehr kleine Höhle mit einem sehr festen Balg vorhanden und es haben sich die Rindenschichten bei zunehmendem Wachsthum der Höhle in gleichem Schritt erweitert und verdickt; oder aber die Geschwulst war von An- fang an eine solide Bindegewebegeschwulst, wie die auf dem anderen Knie befindliche, im welcher sich zufolge des durch das häufige Knieen ausgeübten Druckes eine Lücke gebildet hat, die sich mit einer der Synovia des benachbarten Gelenks ähn- lichen Flüssigkeit füllte. Zur Stütze dieser letzteren Ansicht liesse sich anführen, dass Fibroide Hohlräume enthälten kön- nen, die mit Flüssigkeit gefüllt sind.) Jedoch scheint es mir

1) Müller’s Archiv 1850, $. 520. 2

2) Vergl. Rokitansky, pathol. Anat. III. Auf, Bd.L, 8. 165,

110 0. Mettenheimer:

natürlicher, diese Geschwulst einem Ganglion zu vergleichen. Ganglien pflegen sehr derbe Wände zu haben und kommen be- kanntlich in der Nähe von Gelenken und Sehnenscheiden vor. Sie entstehen gewöhnlich durch äussere Gewaltthätigkeit, Druck, Zerrung u. s. w. und müssen, wie schon lange bewiesen ist!), häufig als wirklich neue Erzeugnisse betrachtet werden.

Wenn ich nun die grössere Geschwulst der rechten Knie- scheibe als Ganglion des Ligamentum patellae zu bezeichnen geneigt wäre, so würde ich mich fragen müssen, ob die solide Geschwulst des linken Knies nicht eine gleiche Bezeichnung verdiene? Ich habe mich oben dagegen ausgesprochen, dass sie die Entartung eines Schleimbeutels sein möchte. Wollte man in dieser Geschwulst aber ein Ganglion erkennen, das, nachdem es bis zu einem gewissen Grade gewachsen war, ver- ödete und von Anfang seiner Entstehung an mit sehr harten, festen Wänden und einer sehr kleinen Höhle versehen war, die schliesslich ganz verschwand, so würde ich nichts dagegen ein- zuwenden haben, obgleich ich nicht bis zur völligen Evidenz beweisen kann, dass diese Ansicht die richtige ist. Mit dieser Anschauung würde sich auch Bryant’s Angabe ganz gut ver- einigen lassen, dass nämlich stets im Inneren solcher solider Geschwülste der Patella eine kleine Höhlung angetroffen würde. Das völlige Verschwinden der Höhle, das anderen Beobachtern nicht unbekannt ist, ihm aber nicht vorgekommen war, würde dann als eine spätere Stufe eines auch von ihm erkannten de- generativen Vorgangs anzusehen sein.

Ganglien kommen am häufigsten auf dem Rücken der Hand und des Fusses vor; ist meine Anschauung, dass die fibrösen Präpatellargeschwülste, die ja der Mehrzahl nach eine Flüssig- keit enthalten, zu den neugebildeten Ganglien gehören, begrün- det, so muss man das Ligamentum patellae künftig auch als eine Körperstelle bezeichnen, wo Ganglien nicht selten vorkom- men, wahrscheinlich auch den Ellenbogen, wo sich nach Che lius ähnliche feste Tumoren, wie an der Kniescheibe bilden.

1) Meckel, pathol. Anat. II. Abth. 2. 8.158. Cloquet, arch. gener. de med. Fevr. 1824.

Ueber fibröse Präpatellargeschwülste. 111

Noch wäre ein Wort über die Lage der beiden beschriebe- nen Geschwülste zu sagen. Sie bedeckten das Lig. patellae') und den unteren Theil der Kniescheibe in der Weise, dass sie mir auf dem äusseren Rand dieser Theile zu liegen schienen.

Dieser Stelle entspricht keiner von den vielen Schleimbeu- teln, die von der Patellargegend beschrieben sind, namentlich keiner der von Schreger, Cruveilhier und Luschka?) be- schriebenen Schleimbeutel, die alle viel weiter nach oben liegen. Camper soll nach Nelaton’s?) Angabe einen Schleimbeutel von der unteren Hälfte der Patella beschrieben haben. Lin- hart erzählt von einer Bursa, welche nirgends beschrieben sei, seltener vorkomme, am Ligamentum patellae liege und dieje- nige Bursa sei, die sich durch Knien, besonders auf Kirchen- bänken entzünden oder gar zu einer: derben, bindegewebigen Geschwulst umwandeln könne.

Ich wünschte nun durch die vorstehende Abhandlung ge- zeigt zu haben, dass anhaltendes Knieen, auch wenn es nicht gerade auf Kirchenbänken geschieht, zur Bildung von Ganglien oder ganglienartigen Geschwülsten der Kniescheibengegend Ver- anlassung geben kann; dass diese Geschwülste ferner zwar eine gewisse Verwandtschaft mit den Hygromen zeigen, die Hygrom- bildung aber keineswegs als nothwendig voraussetzen, und dass sie ebensowohl eine Höhle enthalten können, als nieht. Noch bleibt immer der Beweis zu liefern, dass die ganz soliden Ge- schwülste auf einer früheren Entwickelungsstufe eine kleine Höhle enthalten nnd ganglienartig gebaut sind.

Die Beziehungen der fibrösen Geschwülste der Kniescheiben- gegend zu den Schleimbeuteln ist eben so klar, oder wenn man will, so dunkel, als die der Ganglien zu den Schleimbeuteln überhaupt. Auch von den Ganglien ist es gewiss, dass sie nicht immer aus Schleimbeuteln entstehen, sondern sich neu bilden können. Aber auch diejenigen Ganglien, die man als

1) Auch Fergusson und Linhart geben an, dass sie ihre fibroi- den Präpatellergeschwülste immer unterhalb der Patella, auf dem Lig. patellae gefunden haben. Siehe oben.

2) Vergl. Linhart a.a. 0.

3) A.a. 0. $. 406.

112 C. Mettenheimer: Ueber fibröse Präpatellargeschwülste.

entartete Schleimbeutel betrachten könnte, unterscheiden sich von Anfang an von der Hygrombildung. Der Vorschlag von Linhart, die eigenthümliche Erkrankung der Schleimbeutel, aus welcher die Geschwülste der Kniescheibengegend hervor- gehen, als fibröse Entartung zu bezeichnen, würde mir weniger treffend scheinen, als die Bezeichnung: ganglionartige Umbil- dung. Da es Patellargeschwülste mit einer Höhle und solche ohne Höhle giebt, so würde die Linhart’sche Bezeichnung gerade für die letzteren passender sein, für die sie doch eigent- lich nicht erfunden ist. Ueberdem führt sie in die pathologische Anatomie einen Begriff ein, der zwar in seinem Gegensatz ge- gen die Hygrombildung vollkommen berechtigt, sonst aber nicht klar genug ist.

Ich bin weit entfernt davon, hiermit diesen Gegenstand für erledigt zu halten; dafür sind meine Erfahrungen zu beschränkt. Doch sollte es mich freuen, wenn es mir gelänge, dieser wenn auch nicht sehr wichtigen, doch in theoretischer Hinsicht viel- fach ungenügend behandelten Materie auf’s Neue die Aufmerk- samkeit der Gelehrten zuzuwenden.

Indem ich schliesse, macht es mir Vergnügen, dem Herrn Hofrath Baum in Göttingen meinen Dank zu sagen dafür, dass er mir bei der Ausarbeitung dieses Gegenstandes den reichen Schatz seiner Bibliothek freundlichst öffnete.

W.Dönitz: Beschreibung u. Erläuterung v. Doppelmissgeburten. 113

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmiss- geburten.

Von Dr. W. Dönttz.

(Hierzu Tafel II. und III.)

Durch die im letzten Heft des vorigen Jahrganges in die- sem Archiv erschienene Abhandlung Reichert’s!) sind neue Grundlagen für die Beurtheilung von Doppelmissgeburten ge- wonnen worden. Den von demselben beschriebenen Doppel- embryo von der Gans habe ich bei der von mir entworfenen Zeichnung näher kennen gelernt und wurde dadurch veranlasst, die Doppelmissgeburten einer genaueren Analyse zu unterzie- hen, wozu mir mein hochverehrter Lehrer, Herr Prof. Rei- chert, das sehr reichhaltige Material des Berliner anatomischen Museums bereitwilligst zur Verfügung stellte. Für die gene- tische Beurtheilung dieser Klasse von Missbildungen sind be- sonders folgende Resultate aus der erwähnten Abhandlung her- vorzuheben. Es ist zunächst bei ihnen vorauszusetzen, dass sie an einem befruchteten Ei sich gebildet haben, dessen Fur- chungsprocess wie bei der normalen Entwickelung vor sich gegangen ist. Zweitens sind zwei Arten von Doppelmissgebur-

1) Reichert, Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger Doppelembryonen von Vögeln, zur Erläuterung der Entstehung von Doppelmissgeburten. Archiv für Anatomie und Physiologie von Reichert und du Bois-Reymond. 1864. S. 744—766.

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 8

114 W. Dönitz:

ten bei Wirbelthieren zu unterscheiden: solche, die aus einer Querspaltung hervorgehen, und solche, die einer Längsspaltung der unter der Umhüllungshaut gelegenen Bildungsdottermasse ihren Ursprung verdanken. In Bezug auf letztere hat Rei- chert gezeigt, dass das Verhalten des von ihm beschriebenen Gänseembryos nothwendig zu der Ansicht führt, dass jeder bi- lateral symmetrischen Hälfte eines einfachen Individuums die Fähigkeit inne wohnt, unter Umständen sich selbstständig zu einem Ganzen zu entwickeln, ein Vorgang, durch welchen ein paariges Individuum an die Stelle eines bilateral sym- metrischen gesetzt wird. In diesem Sinne werde ich die dem- nächst zu beschreibenden Missgeburten besprechen, indem ich der anatomischen Beschreibung jedes einzelnen Falles einige epikritische Bemerkungen über die vermuthlich ersten Anfänge der jedesmal vorliegenden Missbildung hinzufüge. Die daraus sich ergebenden Resultate gedenke ich am Schluss der Arbeit . noch einmal im Zusammenhang zu behandeln.

Um in der Beschreibung nicht weitschweifig zu sein, em- pfiehlt es sich, gewisse allgemeingiltige Bezeichnungen einzu- führen, über die hier einige Worte folgen mögen. In dem ein- fachen Individuum orientirt man sich nach gewissen im Körper gedachten Achsen und Ebenen (vergl. z. B. Henle, Handbuch der system. Anat. des Mensch. Bd.I. Abth. 1. S.2). Diese selben Wegweiser lassen sich mit Erfolg auch bei der Beschrei- bung von paarigen Individuen benutzen, indem man sie auf je- den einzelnen der beiden das Monstrum zusammensetzenden Körper bezieht. Um aber die Beschreibung der complicirten Doppelmissgeburten mehr zu vereinfachen, ist es zweckmässig, in die Nomenelatur noch ähnliche Bezeichnungen einzuführen, welche sich auf das ganze Doppelindividuum beziehen. Dieje- nige Linie, gemäss welcher die Spaltung des Keimes erfolgt, wird man füglich die Spaltungslinie nennen. Bei der Längs- spaltung geht diese Linie parallel der longitudinalen Achse. des Keimes, bei der Querspaltung dagegen ist sie transversell zu dieser gestellt. Eine andere Örientirungslinie wird durch den Abschluss der Rumpfhöhle solcher Doppelembryonen bestimmt, welche in grösserem oder geringerem Umfange mittelst des

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 115

Rumpfes in Vereinigung treten und einen gemeinsamen Nabel erhalten, da man gezwungen ist anzunehmen, dass hier der Ab- schluss in derselben Weise erfolgt, wie beim einfachen Embryo. Diese Linie mag die Schlusslinie heissen. Bei dieser Klasse von Doppelmissgeburten kann man durch die Spaltungs- und Schlusslinie eine Ebene legen, welche ich Vereinigungs- ebene nennen will. Die Ausdrücke vordere und hintere Seite der Doppelmissgeburt werde ich beibehalten, ohne sie indessen, wie bisher üblich, willkürlich anzuwenden. Vielmehr werde ich mit Rücksicht auf die Entwickelungsgeschichte die- jenige Seite, in welcher die Schlusslinie liegt, die vordere nen- nen, die ihr entgegengesetzte dagegen, in welcher die Spal- tungslinie liegt, die hintere. Ferner wird man ein rechtes und ein linkes Individuum unterscheiden müssen, deren jedes je einer symmetrischen Hälfte im einfachen Individuum entspricht. Welches das rechte und welches das linke sei, ergiebt sich ohne Weiteres, sobald man in Erfahrung gebracht hat, auf wel- cher Seite des Monstrums der Abschluss erfolgt ist.

Alle diese Ausdrücke sind leicht verständlich; doch war es nöthig, sie genau zu definiren, um sie mit Präcision anwenden zu können. Ich gehe nun zur Beschreibung selbst über.

Erster Fall,

Der erste Fall von Doppelmissbildung, den ich zu untersu- ehen Gelegenheit hatte, betraf ein ausgetragenes, weibliches, paariges Individuum, welches am 4. October 1864 bei Stolp in Pommern geboren wurde, 23 Tage lebte und, wie es scheint, an Brand des Nabels zu Grunde ging. Das eine Kind über- lebte das andere um drei Stunden.

Die beiden stark abgemagerten, sonst äusserlich wohl aus- gebildeten Kinder sind mit den Vorderseiten einander zugekehrt, so dass die Medianebene (Henle) des einen in der Verlänge- rung derselben Ebene des anderen Individuums liegt (Taf. II, Fig. 1). Ihre Verbindung erstreckt sich vom oberen Theile der Brust bis zum gemeinsamen Nabel. Letzterer liegt mitten auf der Unterseite des gemeinsamen Bauches, Wir haben also

gr

116 W. Dönitz:

einen Fall vor uns, den man mit dem Namen Thoracodidymus, Sternopages, Synthorax zu bezeichnen pflegt. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurden die beiden Aortae abdominales in auf- und absteigender Richtung mit Wachsmasse injieirt. Die ana- tomische Untersuchung ergab folgende Resultate:

Beide Körper sind etwa gleich gross. Die Entfernung vom Scheitel bis zur Spitze des Steissbeines misst. beiderseits 9!/,", von dort bis zur Ferse 6!/,', die ganze Länge demnach 16. Der Durchmesser des doppelten Brustkorbes (zwischen zwei Process. spinosi, in der Höhe der Schulterblätter gemessen) be- trägt 4°/,'. Abstand der Steissbeine von einander 7!/,". Brust- umfang unterhalb der Achselhöhle 13".

Kopfmaasse. Durchmesser: A. B: Grosser diagonaler 4' 10" 5 Kleiner diagonaler Bu Gerader A A Biparietaler BEN 1 62

Aus diesen Maassen ergiebt sich, dass der rechte Kopf A. im Ganzen runder erscheint als der mehr spitze und seitlich zu- sammengedrückte Kopf B. Eine geringe Asymmetrie des letz- teren scheint die Folge eines vom Kopfe A. ausgeübten Druckes zu sein. :

Der Abstand der Brustwarzen von einander auf der Vorder- seite ist gleich dem auf der hinteren oder Rückseite.

Hautsystem. Vom Hautsystem ist weiter Nichts zu be- merken, als dass an den Uebergangsstellen von dem einen Kör- per auf den anderen, selbst mit Hülfe des Mikroskops, keine Grenze nachgewiesen werden kann. Demnach gehört dieses Organ beiden Kindern gemeinschaftlich an. |

Wirbelsystem. Dasselbe gilt vom Wirbelsystem, welches an den Verbindungsstellen folgende Eigenthümlichkeiten zeigt. ‘Beide Kinder haben ein gemeinsames Brustbein, welches in der Grenzebene beider Körper gelegen und hufeisenförmig ge- krümmt ist; an demselben sind aber ein horizontaler Theil zwi- schen beiden einander zugekehrten Jugulis, und zwei von die- sem sich nach abwärts erstreckende Theile, ein vorderer und ein hinterer, zu unterscheiden. Anm den vorderen abstei-

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten, 117

genden Theil des Brustbeins (Taf. II., Fig. 2) heften eich die rechtseitigen Rippenknorpel des rechten und die linksseitigen Rippenknorpel des linken Kindes. Das umgekehrte Verhältniss findet auf der Rückseite statt. Die Schlüsselbeine verhalten sich analog den Rippen. Bemerkenswerth ist es, dass die In- eisurae jugulares des gemeinschaftlichen Brustbeins einander schräg gegenüberstehen, so dass die beiden Individuen seitlich gegen einander verschoben erscheinen (Taf. II., Fig. 3). Auch in der gegenseitigen Lage zweier grosser Knochenkerne im ho- rizontalen Theile des Brustseins macht sich diese seitliche Ver- schiebung bemerklich. Der vordere Knochenkern scheint dem rechten Individuum A. anzugehören, da er zum grössten Theil seitwärts von der Medianlinie, unmittelbar vor dem Jugulum A. liegt. Der hintere grosse Knochenkern würde dann auf das. linke Individuum B zu beziehen sein, da er zu diesem in dem- selben Verhältniss steht wie der vordere Knochenkern zum rechten Kinde. Im vorderen absteigenden Brustbeintheile lie- gen in der Medianlinie noch drei kleinere Knochenkerne. Die hintere Seite wurde auf einen so unwesentlichen Gegenstand hin nicht untersucht, um das Präparat möglichst zu schonen. Ein Schwertknorpel lässt sich weder auf der Vorderseite her- auspräpariren, noch auf der Hinterseite durchfühlen.

An den Bauchmuskeln zeigt sich insofern eine Abweichung von der Norm, als sie behufs der Bildung einer gemeinschaft- lichen Bauchhöhle eine zweckentsprechende Lageveränderung erlitten haben. Die Musculi recti abdominis entspringen bei beiden Individuen in normaler Weise vom Schambein und zie- hen in sagittaler Richtung einander entgegen bis zum Nabel. Dort angelangt, entfernen sie sich von einander und steigen, nach Umgehung des Nabels, in vertikaler Richtung zum Brust- korb hinauf, so zwar, dass der rechte M. rectus des rechten und der linke gleichnamige Muskel des linken Individuums ne- beneinander auf der Vorderseite des Bauches vom Nabel zum vorderen Brustbein aufsteigen, während sich die ‚beiden übrig bleibenden M. recti zum hinteren Brustbein wenden. Die Lage- abweichung der übrigen Bauchmuskeln ist zu gering und selbst- ‘verständlich, als dass sie einer besonderen Erwähnung bedürfte.

118 W. Dönitz:

Das, Zwerchfell schliesst die Bauchhöhle nach oben vollstän- dig ab. Auch an diesem Muskel ist die Verdoppelung nachzu- weisen, indem er zwei Centra tendinea enthält.

Im Thorax liegt ein grosser Herzbeutel, der durch eine in der Vereinigungsebene liegende, perforirte Membran in eine rechte und eine linke Kammer abgetheilt wird. Befestigt ist der Herzbeutel an beiden Wirbelsäulen durch das Mediastinum posticum, ferner längs des hufeisenförmigen Brustbeins (Media- stinum anticum) und am Zwerchfell.

Gefässsystem. In jeder der beiden Kammern des Herz- beutels liegt ein normal gebildetes Herz in normaler Lage zu dem zugehörigen Individuum, die Spitze des rechten Herzens nach hinten, die des linken nach vorne gekehrt (die hintere Seite der Missgeburt ist zu gleicher Zeit die linke des rechten Individuums, während der linken Seite des linken Individuums die Vorderseite der Missbildung entsprechen würde).

Die eirunden Fenster sind fast vollständig geschlossen. Die Ursprünge und die Vertheilung der Gefässe weicht von der Norm nicht ab; wenigstens ergab die Untersuchung der gut in- jieirten Gefässe des Halses A. keine bemerkenswerthen Ano- malien. Die Präparation der Grefässe des linken Kindes wurde unterlassen, da auf dieser Seite die Injection nicht gelungen war. Bei der Injection des rechten Individuums war nämlich eine Ruptur des schon ziemlich morschen Herzens erfolgt, und nachdem durch die Oeffnung in der Scheidewand des Herzbeu- tels die, Wachsmasse in die linke Kammer desselben gedrungen war, hatte sie das linke Herz und die grossen Gefässe so stark comprimirt, dass die Injection von der Aorta abdominalis aus misslingen musste.

Die Zahl der Nabelgefässe beläuft sich auf sechs (vier Ar- terien und zwei Venen); doch kann ich nicht sagen, ob der Nabelstrang eine gleiche Anzahl führte, da er längst schon ab- gefallen war, als mir die Missgeburt zuging.

Leber. Eine eigenthümliche Form zeigt die Leber (Taf. III., Fig. 5). Es füllt dieses Organ den ganzen oberen Theil der geräumigen Bauchhöhle aus. Man unterscheidet an ihr eine concave und eine convexe Fläche. Die erstere ist den

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten, 119

Gedärmen, letztere dem Zwerchfell zugekehrt. Ein sagittal verlaufendes Band verbindet die convexe Fläche mit dem Zwerchfell und theilt dieselbe in zwei Felder, ein vorderes und ein hinteres. Dieses Band wird durch ein zweites, in der Vereinigungsebene liegendes Band gekreuzt, dessen vorderer Theil als Ligamentum suspensorium aufzufassen ist, da es sich vorn an die eine Nabelvene heftet. Auf "diese Weise werden die beiden, durch das erste Ligament abgetheilten Felder der convexen Seite je in zwei kleinere Felder zerlegt, die im Allgemeinen, wie sich aus dem Weiteren ergeben wird, den beiden rechten und den beiden linken Lappen dieses Doppel-- organes entsprechen. Der concaven Seite sitzt mit breiter Ba- sis ein nach unten sich verjüngender conischer Lappen (C) auf, der die Bauchhöhle in einen rechten und einen linken perito- nealen Raum abtheilt. An der rechten sowohl wie an der lin- ken Seite trägt dieser Lappen eine Gallenblase (Fa, F,), deren Basis nach vorn gerichtet ist. Die Längsachsen dieser Organe divergiren nach hinten, indem die Ausführungsgänge je in ein Duodenum (D) münden. Oberhalb der Basis dieses Lappens dringen von vorn her, nach hinten zu divergirend, zwei oblite- rirte, durch eine Membran verbundene Nabelvenen (T u. T,) in die concave Seite der Leber ein. Die linke Nabelvene liegt nach vorn von der linken Gallenblase und zieht parallel mit derselben nach hinten und links zur Fossa transversa. Ihre Fortsetzung, das Ligamentum venosum zieht nach der Austritts- stelle der Lebervenen hin, welche in dem oben erwähnten sa- gittalen Bande verlaufen und dieses als Ligamentum coronarium erscheinen lassen. Der Lobus quadratus dieser Seite zwischen Gallenblase und Nabelvene ist stark in die Länge gezogen. Ein deutlich ausgeprägter Lobus Spigelii lässt sich nicht nachwei- sen, doch legt sich von hinten her ein Tubereulum papillare . über die Porta hepatis. Aus all diesen Umständen ergiebt sich, dass ein nach vorn von der linken Nabelvene gelegener Lappen dem linken Lappen des linken Kindes entspricht, während, was hinter derselben liegt, zusammen mit einem Theile des eonischen, die Gallenblase tragenden Lappens, auf den Lobus dexter die- ses Kindes bezogen werden muss, Auf der rechten Seite sind

120 W. Dönitz:

die Verhältnisse ein wenig schwieriger zu deuten, weil hier die Abgrenzung des rechten Lappens vom linken sich nicht deutlich markirt. Die rechte Nabelvene verläuft nämlich nicht in einer Furche, sondern dringt direct in die Substanz der Leber ein. Dieser Umstand macht es auch, dass eine Fossa transversa nicht deutlich ausgeprägt ist; die Porta hepatis ist nichts wei- ter als eine Fortsetzung der Furche der Gallenblase. Unmit- telbar dahinter erkennt man ein Tuberculum papillare, das einem weniger gut entwickelten Lobus Spigelii aufsitzt. Da die Furche für die Nabelvene fehlt, so ist natürlich auch der . Lobus quadratus schlecht ausgeprägt. Im Uebrigen geht er di- rect in den gleichnamigen Lappen des linken Kindes über. Ein flacher vorderer Lappen rechterseits, welcher seiner Lage und Gestalt nach dem linken Lappen des linken Kindes symmetrisch ist, giebt die Lebervenen an die rechte untere Hohlvene ab, Daraus folgt, dass in diesem Lappen und in dem angrenzenden Theile des conischen Lappens als Trägers der Gallenblase der rechte Leberlappen dieses Individuums gesucht werden muss. Nach hinten von der Gallenblase und vom Tuberculum papil- lare findet man den verkümmerten linken Lappen dieses Kin- des, der indessen, wegen Mangels der Nabelvenenfurche, nicht deutlich vom rechten sich abgrenzt.

Ein aus der Vereinigungsebene herausgenommenes Stückchen Leber zeigte weder makroskopisch noch mikroskopisch eine Grenze für die beiden Individuen.

Darmkanal. Jedes Individuum besitzt seinen eigenen Darmkanal, der nur durch die Anheftungsart des Colon von der Norm abweicht. An der einzigen Stelle nämlich, wo das Colon transversum über das Duodenum hinwegzieht, ist es durch ein kurzes Mesocolon ziemlich fest an letzteres geheftet. Die übrigen Theile des Mesocolon sind so breit, dass der Dick- darm ebenso frei beweglich ist wie der Dünndarm.

Harnapparat. Des rechten Kindes rechte Niere zeigt nor- male Grösse und Lage, während dessen linke Niere verhältniss- mässig klein und so tief gelagert ist, dass sie in das Becken hineinreicht. Dem entsprechend sind die ihren normalen Ur- sprung nehmenden, für die linke Niere bestimmten Gefässe be- deutend länger als auf der rechten Seite,

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 121

Die Nieren des linken Kindes haben normale Grösse und Lage.

Die übrigen Organe sind alle doppelt vorhanden und normal gebildet.

Ueber das Verhalten der Placenta, des Nabelstranges und der Eihäute konnte ich nichts Näheres in Erfahrung bringen.

Epikrise.

Die eben beschriebene Missgeburt gehört zu denjenigen nicht gerade häufigen Fällen der Duplicitas ab anteriore Meckel, wo die Mehrzahl der Organe in vollständiger Ver- doppelung auftritt. Von sämmtlichen Primitivorganen ist nur das Hautsystem, das Wirbelsystem und die Leber beiden Indi- viduen gemeinsam. Die Verdoppelung der übrigen Organe geht so weit, dass selbst die beiden Herzen je in einem besonderen Herzbeutel liegen. - Dieser letzte Umstand ist insofern auffal-. lend, als die Herzen entweder verwachsen zu sein pflegen, oder wenigstens in einem und demselben Herzbeutel liegen, wenn die Wirbelsäulen der paarigen Individuen in der Brustgegend sich einander nähern, nach der Beckengegend zu aber divergi- ren, wie es hier der Fall ist. Die meisten Fälle, in denen je- des der beiden Herzen in seinen eigenen Herzbeutel einge- schlossen ist, betreffen solche Missbildungen, wo die Vereini- gung der beiden Individuen sich mehr auf das Abdomen er- streckt, während die Spaltung des Kopfendes so tief herabreicht, dass die Brustkörbe fast nur in der Gegend des Schwertknor- pels mit einander in Verbindung treten. Meckel!) citirt nur einen hierhergehörigen Fall von Fanzago, wo zwei Herzen je in einem Herzbeutel liegen. Einige weitere Fälle bringt Otto.?)

Die vollständige Trennung der Darmkanäle ist nicht häufig. Gewöhnlich fliessen sie bald hier, bald da auf eine Strecke zu- sammen, um sich weiterhin von Neuem zu trennen. Einen

1) J. F. Meckel, De duplieitate monstrosa commentarius. Halae et Berolini 1815. p. 87. Der erwähnte Fall findet sich bei Fan- zago, Storia del mostro di due corpi. Padova 1803.

2) Otto, Monstrorum sexcentorum descriptio anatomica, Vratis- laviae 1841, No 279— 282.

129 W. Dönitz:

Fall von vollständiger Trennung der Darmkanäle hat neuerdings Tacke!) beschrieben ; er weicht nur darin von unserem Falle ab, dass der Blinddarm des einen Individuums fest an die Nie- renkapsel geheftet war, während wir beiderseits ein sehr brei- tes Mesocoecum vorfanden.

Von grossem Interesse ist das Verhalten der Leber. Wie gewöhnlich in solchen Fällen von Duplieität bildet sie auch hier ein beiden Individuen gemeinsames Organ’), dessen zwei Gallenblasen auf eine doppelte Anlage hinweisen. Obgleich nun directe Beobachtungen bisher noch nicht vorliegen, so dür- fen wir doch a priori annehmen, dass in jedem der beiden In- dividuen wie im normalen Embryo eine bilateral symmetrische Anlage für die Leber entstand, welche sehr bald, noch bevor weitere Differenzirungen erfolgten, mit einander verwuchsen, etwa in der Art, wie die Visceralbögen, von beiden Seiten des Kopf- und Halstheiles hervorsprossend, in.der Mittellinie zu- sammenfliessen, fast ohne eine Spur der ursprünglichen Tren- nung zurückzulassen.

Es fragt sich nun, welche Theile der einzeln angelegten Le- bern mit einander verwachsen sind. Wenn man als Kriterium des rechten Leberlappens das Vorhandensein der Gallenblase ansieht, so kommt man zu dem Resultat, dass hier die beiden rechten Lappen verschmolzen sind, da der unpaarige, conische untere Lappen die beiden Gallenblasen trägt. Dazu kommt, dass die obliterirten Nabelvenen seitwärts von dem conischen Lappen und von den beiden Gallenblasen liegen, Da nun auf

1) Tacke, De Sternopago. Diss. inaug. Hal. Sax. 1864.

2) Ich muss bier einen Irrthum berichtigen, der sich in Tacke’s Dissertation findet. Er sagt Seite 15: „Hepata omnino disjuncta, ita ut uterque embryo proprium hepar possideat nusquam inveniun- tur.“ Abgesehen von den Janusbildungen, bei denen gar nicht selten zwei Lebern auftreten, so kommen allerdings völlig getrennte Lebern bei solchen Missbildungen vor, welche äusserlich genau’ so gestaltet sind, wie die von Tacke und von mir beschriebenen. Einen solchen Fall erwähnt z. B. Otto a.a.O. p. 176 No. CCXCI : „Monstrum hu- manum duplex pectoribus et epigastriis coalitum: „In imo ventre duo sunt hepata.“ Nur die vordere, grössere Leber führt eine Gal- lenblase; die hintere kleinere besitzt kein solches Organ.

Beschreibung und Erläuteruug von Doppelmissgeburten. 123

der Unterfläche der Leber die Gallenblase das Organ in rechte und linke Hälfte scheidet, so können wir nicht umhin, in un- serem Falle den medianwärts von beiden Nabelvenen gelegenen und die Gallenblasen tragenden conischen Lappen als eine Ver- schmelzung der beiden rechten Lappen der Lebern aufzufassen, während Alles, was lateralwärts von den Nabelvenen gelegen ist, die linken Leberlappen vorstellt.

Dieser Annahme liegt implieite die Vorstellung zu Grunde, dass entweder eine seitliche Verschiebung der Lebern gegen einander stattgefunden hat, welche bewirkte, dass die beiden rechten Lappen der Lebern einander gegenüber lagen und ver- schmelzen konnten, während die beiden linken Lappen seitlich frei hervorragten; oder dass in dem einen Individuum ein Situs transversus statt hat, wodurch der rechte Lappen der einen Leber dem rechten Lappen der anderen gegenüber zu liegen käme und nun Gelegenheit hätte, mit diesem zu verwachsen; oder endlich dass an beiden Lebern eine Vierteldrehung um ihre senkrechte Achse stattgefunden hat. Für die letzte An- nahme ist mir kein Analogon bekannt, und nur einige Arten der Doppelmissbildungen eignen sich für eine solche Erklärungs- weise. Selbst Is. Geoffroy St. Hilaire'), der sich dieser Auffassung anschliesst, muss zugeben, dass sie nur bei einem Theile der Monstres doublesmonomphaliens Anwendung finden könne, während ein anderer Theil, z. B. die Ectopa- ges, sich ihr entziehen. Damit ist dieser Ansicht das Urtheil gesprochen, und es liegt uns ob, nach allgemeingültigen Prin- cipien, und Gesetzen bezüglich der Morphologie der Doppel- missbildungen zu forschen. Für einen Situs transversus finden wir in unserem Falle nun gar erst keinen Anhaltspunkt. Im Gegentheil muss es höchst unwahrscheinlich erscheinen, dass sämmtliche Organe beider Individuen ihre normale Lage inne haben, während in der Leber des einen die beiden Lappen ver- tauscht sein sollen.

Ich glaube daher den Befund anders erklären zu müssen.

1) Isid. Geoffroy St. Hilaire, Histoire des Anomalies de l’or- ganisation chcz I’homme et les animaux, Bruxelles. T, III. p. 81.

124 W. Dönitz:

Es handelt sich darum, nachzuweisen, wie es möglich ist, dass die Lebern, die ursprünglich einander gerade gegenüber lagen, sich seitlich in der Art verschieben, dass nun die rech- ten Lappen einander gegenüber zu liegen kommen. Die Spu- ren davon, dass ein solcher Vorgang hier statt hatte, finden wir in dem mittleren Theile des Brustbeins. Hier zeigt es sich, dass die Jugula gegen einander verschoben sind, so dass das Jugulum des rechten Individuums mehr nach vorn, das des linken mehr nach hinten liegt. Dies weist darauf hin, dass die beiden Individuen keineswegs parallel zu einander liegen, son- dern dass sie sich, wenn auch nur in geringem Grade, kreuzen, und zwar in der Weise, dass das Kopfende des rechten Kindes nach vorn, sein Schwanzende nach hinten gerichtet ist, wäh- rend das linke Kind die entgegengesetzte Lage hat. Bei die- ser Drehung umsdie transversale Achse mussten nothwendiger Weise die Lebern so an einander vorübergeschoben werden, dass schliesslich die beiden rechten Lappen mit einander cor- respondirten und nun verwachsen konnten. Die linken Lappen blieben natürlich frei, und das Resultat ist ein in eigenthüm- licher Weise symmetrisch gebautes Doppelorgan, bestehend aus zwei seitlichen (ursprünglich linken) Leberlappen und einem unpaaren mittleren (aus zwei verschmolzenen rechten Lappen gebildeten) Conus. Es zeigt diese Leber, wie zwei, ursprüng- lich einfach angelegte Organe verschmelzen können, ohne darum ihre Symmetrie aufzugeben. Freilich ist diese Art von, ich möchte sagen secundärer Symmetrie eine andere als die ur- sprüngliche, welche sich an der einfachen Leber eben durch das Auftreten eines rechten und eines linken Lappens charak- terisirt.

Verfolgen wir kurz einmal den Gang, den derartige Bildun- gen bei ihrer Entwickelung durchlaufen, so finden wir zuerst einen einfachen, einheitlichen Keim. Das nächste Stadium lässt Rechts und Links in Bezug auf eine Einheit erkennen (bilaterale Symmetrie). Diese Scheidung in Rechts und Links kann so tief eingreifen, dass jede der beiden Hälften einmal die Einheit re- präsentirt (paariges Individuum). Bei fortschreitender Ent- wickelung können dann einzelne aus noch nicht differenzirter

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 125

und vielleicht auch nicht von der Keimspaltung betroffener An- lage sich herausbildende Organe in die ursprüngliche Einheit zurückschlagen und sich mit Bezug auf bilaterale Symmetrie anstatt auf paarigen Individualismus weiter ausbilden.

Am Wirbelsystem fällt weiter Nichts auf, als der Mangel der Processus xiphoides und die eigenthümliche seitliche Ver- schiebung, die sich am Brustbein zu erkennen giebt; aus ihr war zu entnehmen, dass die beiden Individuen sich gegen ein- ander verschoben haben. So gar selten ist dieses Verhalten gerade nicht. Ich finde es z. B. an einem Skelett, welches Barkow nur kurzhin erwähnt.) Das Brustbein ist hier !/,' breit. Da es zu einer jüngeren Frucht gehört, so sind die Kno- chenkerne auch noch weniger ausgebildet, wie Fig. 4, Taf. II., zeigt. Die absteigenden Theile des Brustbeins sind in diesem Falle nicht gleich breit. und auffällig ist auch hier der Mangel der Schwertknorpel. Leider lässt sich jetzt Nichts mehr über die Lebern dieser Missgeburt in Erfahrung bringen, was um so mehr zu bedauern ist, als sich aus dem Verlauf der Nabelvene resp. des Lig. teres mit Sicherheit ergiebt, welche Seite des Individuums die vordere ist. Aus dem Gange des Abschnü- rungsprocesses muss man nämlich folgern, dass diejenige Seite des paarigen Individuums, von der aus die Nabelvenen in die Leber eindringen, das Analogon der Bauchseite bei einfachen Individuen vorstellt und deshalb nach unserer Auffassung die vordere genannt werden muss. Wenn sich an Skeletten, wie im Barkow’schen Falle, ein Unterschied in der Breite der Brustbeine zeigt, so wird man annehmen können, dass das schmalere Brustbein das hintere ist, Die Schädel dieses Prä- parates sind beide, aber in ungleichem Maasse, unsymmetrisch, was zum Theil auf unregelmässiges Trocknen nach der Präpa- ration bezogen werden muss, zum Theil aber auch anf ungleich- mässiger Entwickelung der Schädelknochen beruht, die ihren Grund in dem gegenseitigen Druck der Köpfe auf einander ha- ben mag.

1) Barkow , Monstra animalium duplicia. Th. I. 1828. 8. 30. Das Präparat wird im hiesigen (Berliner) anatomischen Museum unter Nr. 4938 aufbewahrt.

126 W.Dönitz: Beschreibung u. Erläuterung v. Doppelmissgeburten.

Wolleh wir uns nun eine Vorstellung von der Entwickelung unserer Missbildung machen, so müssen wir uns einen ursprüng- lich einfachen Keim vorstellen, aus dem nicht, wie gewöhnlich, zwei bilateral symmetrisch'e Hälften, sondern, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, zwei paarig symmetrische Hälften hervorgingen, d. h. zwei Hälften eines Keimes, deren jede ein Individuum repräsentirt. Diese Keimspaltung kam in- dessen nicht zum vollständigen Austrag, denn sonst würden Paarlinge!) das Resultat gewesen sein. Vielmehr hat sich das Wirbelsystem und das mit diesem bei der Entwickelung im Allgemeinen gleichen Schritt haltende Hautsystem nur in be- schränktem Maasse für jedes Individuum isolirt ausgebildet‘ Absolut ist die Spaltung beider Systeme am Kopf- und Schwanz- ende; am Thorax ist sie eine relative, indem hier zwar auch Verdoppelung vorhanden, aber doch ein intimer Zusammenhang beider Individuen im Bereiche dieser Systeme besteht.

Mit Rücksicht auf die ersten embryonalen Anlagen würden wir uns also folgendes Bild construiren: Einfache Umhüllungs- haut, paariges Nervensystem, paariges Stratum intermedium, paarige Anlage des Darmepithels, bilateral symmetrisches, nur am Kopf- und Schwanzende gespaltenes Wirbel- und Hautsystem.

(Schluss folgt.)

1) Man muss nnterscheiden zwischen Zwillingen und Paarlingen: Zwillinge entstehen aus zwei befruchteten Keimen, Paarlinge dagegen durch Spaltung eines einzigen befruchteten Keimes.

Nachtrag zu der Abhandlung von Prof. Mayer: Zur Frage u, s. w. 127

Nachtrag zu der Abhandlung: Zur Frage über das Alter und die Abstammung des Menschen- geschlechts.

Von Prof. MAYER.

(Jahrgang 1864, S. 696.)

Die neuesten Beobachtungen über das Vorkommen von Men- schen-Knochen in Felsengrotten hat Prof. van Beneden der Akademie der Wissenschaften von Paris mitgetheilt (Comptes rendus, 2. December 1864).

In einer Felsenhöhle bei Nutons an der Lesse, welche sich in die Maass ergiesst, 40 Metres über deren Wasserspiegel fand man verschiedene Knochen vorweltlicher Thiere, Menschenkno- chen, Kieselwerkzeuge u. d. m. Unter den Menschenknochen befanden sich auch zwei Schädel von schöner Conformation. Der eine war brachycephal und prognath, nach vorwärts abge- stutzt, besass aber eine grössere Capacität der Schädelhöhle als der andere. Dieser war orthognath, seitlich gewölbt und am Hinterkopf verlängert.

Diese neuen Funde fossiler Knochen bestätigen die von mir oben hervorgehobenen Resultate, nämlich:

1) Die Benennung brachycephal ist eine blos negative und zeigt nicht an, ob der Schädel orthocephal oder eurycephal ist. Man dürfte daher diesen Ausdruck oder diese Bezeichnung bra- chycephal ganz fallen lassen.

2) Die vorgefundenen Menschenschädel zeigten wieder we- der einen Affentypus, noch den einer niederen Race, sondern schöne Wölbungen!

3) Es traten ebenfalls zweierlei Typen, ein höherer und ein niederer auf.

128 Berichtigung.

Was die von mir (oben) angenommene Diluvial-Periode des Erscheinens des Menschen auf der Erde betrifft, so befindet sich die Zahl 7000-8000 auch nicht im Widerspruch mit den hebräischen Traditionen, indem nach der Zählung der Zweiund- siebenziger oder Alexandriner, welche unstreitig grosses Re- chentalent besassen, im Minimum 5270, im Maximum nach Pezron (antiquite des temps retablie et defendue) 5872 Jahre vor Christo verflossen sein sollen.

Berichtigung.

In einem im fünften Hefte des vorigen Jahrganges dieses Archivs veröffentlichten Aufsatz sagt Hr. Dr. L. Hermann (S. 522): „Von Vierordt (Art. Respir. in Wagners Wört. II. 864) wird eine Beob- achtung von Zimmermann (ohne Ortsangabe) angeführt, in wel- cher Kaninchen 20—31 Minuten lang reines NO geathmet haben sollen. Diese Angabe wird Jedem, der dergleichen Versuche ange- . stellt hat, höchst verdächtig erscheinen.“ Das vermisste Citat ist im Literaturverzeichniss zu finden, das ich zur Ermöglichung einer chronologischen Uebersicht an das Ende jener Arbeit verwies. Ferner haben die Herren Bromeis und Zimmermann die von Hrn. Her- mann angezweifelte Thatsache wirklich beobachtet (vide auch Va- lentin’s Bericht pro 1844, p. 179).

Wenn ferner Hr. Hermann sagt (S: 533): „Gewöhnlich werden (z. B. von Vierordt, a. a. O. S. 863) gewisse Versuche Davy’s angeführt, nach welchen durch die Athmung von NO die Lungen N abgeben sollen“, so verweise ich auf meine Aeusserung (a a.0. 860) über den „relativen Werth“ jener älteren Versuche. Zudem sind, wie der Kundige leicht sieht, gerade die Versuche mit Lustgas die besten Respirationsexperimente, die Davy überhaupt angestellt hat.

Bei dieser Gelegenheit muss ich auch der in dem nämlichen Heft dieses Archives, S. 583, gemachten Behauptung des Hrn. Prof. Fick, als hätte ich die Gebrechen des Haemodynamometers blos theoretisch begründet, durch Hinweisung auf $. 2 meiner „Lehre vom Arterien- puls“ entschieden entgegentreten, wo ich handgreifliche experimentelle Beweise der Unexactheit des Haemodynamometers gab. Wie dem auch sein mag, ich freue mich, dass endlich auch bei Denen, welche das Haemodynamometer lange Zeit als einen tadellosen Apparat verthei- digten, eine bessere Einsicht Platz greift, wobei es mir gleichgültig ist, ob Derjenige, der das kleine Verdienst hat, die Gebrechen des al- lerwärts gebrauchten Apparates zum ersten Male eindringlich darge- than zu haben, erwähnt wird oder nicht.

Tübingen, den 27. Februar 1865. K. Vierordt.

Zapf I Wagenschieber sc e

| 7 f : BR | Hi Be. ! } | H H) NY M NN ii

WAR

4 B vo [ Anat. u Phyf 7803.

Archiv FAnat:u.Biyf; 1605

Ki

BE en I a ee er

FAT EN

er ea Te At os ne

\ ! ® Ü a SEE \ r r N Ye

fi

ä x TE ! BE 55 er A N DE Dr 2 end pad en .- ir. ji n = x = 5 er = = + r i u I = . y r Pr ß ae a { 3 % Y < h : RP, A - ML a r EI ART: , : Eu Zee 2 2 nen -- 2 2 7a x ie ER s q Nr R f P Er 2 i 3 N # n i E R Ba » E ie £ “ng n N " -

Tap HH.

Wagenschieber er

W.Döniz: Beschreibung u. Erläuterung v. Doppelmissgeburten. 129

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmiss- geburten. Von Dr. W. Dönıtz.

(Hierzu Tafel II. und III.)

(Schluss der ersten Abhandlung.) Zweiter Fall.

Der zweite von mir untersuchte Fall betrifft. die im hiesigen anatomischen Museum unter der Nummer 9579 aufbewahrte weibliche Doppelmissbildung von etwa sieben Monaten. Die Verbindung reicht auf der Bauchseite der beiden Körper vom oberen Theile des Halses bis zum Nabel. Bei beiden Indivi- duen misst die Entfernung vom Scheitel bis zum Steiss 51/,", bis zur Ferse %'. In der Höhe der Schulterblätter sind die Wirbelsäulen einander so stark genähert, dass die Spitzen der Dornfortsätze nur 1'!/,'' von einander abstehen. In der Gegend der Lendenwirbel tritt dagegen eine starke Divergenz der Wir- belsäulen auf, die zwischen den Kreuzbeinen 4'/,'' beträgt. Auf der Vorderseite sind die Brustwarzen 11'', auf der Rückseite 7'" von einander entfernt. Die Bauchwand ist auf der Vorder- seite vom Nabel bis zu den Rippenbögen in grösserem Um- fange wulstförmig hervorgetrieben. Der rechte Kopf ist schmä- ler und spitzer als der linke und hat unter dem Druck des letzteren eine geringe Asymmetrie angenommen.

Die Anordnung der Organe in der Brust- und Bauchhöhle Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 9

130 W. Dönitz:

ist so verwickelt, dass ich es vorziehe, der systematischen Be- schreibung einige topographische Bemerkungen voraufzuschicken.

Das vordere und hintere Brustbein, auf deren Vorhan- densein man schon nach der äusseren Besichtigung schliessen musste, sind beide von einander getrennt; demnach gehen die beiden Jugula continuirlich ineinander über. Im oberen Theile des Brustkorbes nähern sich die beiden Wirbelsäulen so stark, dass die Wirbelkörper sich beinahe mit ihren freien, von der Pleura bekleideten Flächen berühren. Sie lassen nur soviel Raum zwischen sich, als nöthig ist, um eine beiden Individuen gemeinsame Speiseröhre aufzunehmen. Vor und hinter dersel- ben steigt eine Luftröhre von einem, beiden Individuen gemein- schaftlichen Kehlkopf herab. Die vordere Luftröhre vertheilt sich in die vordere rechte und linke Lunge. Die beiden hinte- ren Lungen hängen mit der hinteren Luftröhre zusammen. Die Speiseröhre und die beiden Luftröhren, sowie einige Nerven und Gefässe werden durch Bindegewebe zusammengehalten und verlaufen in der Längsachse durch den Thoraxraum an dessen Wandungen sie theils direct durch eigenthümlich verlaufende Membranen, theils indireet durch das Pericardium des vorderen Herzens befestigt werden. Die hintere Luftröhre steht vermit- telst einer in der Vereinigungsebene gelegenen Membran mit dem hinteren Brustbein und dem Zwerchfell in Verbindung. Eine zweite, gleichfalls senkrecht gestellte Membran, heftet sich desgleichen an die hintere Luftröhre, ferner an das linke hin- tere Schlüsselbein (rechtes Schlüsselbein des linken Individuums), an die Gelenkverbindungen der rechten Rippen des linken Kin- des mit den entsprechenden Wirbelkörpern und an das Zwerch- fell. Sie kammert also mit Hülfe der ersten Membran eine hintere linke Pleurahöhle ab. Auf ähnliche Weise wird durch eine dünne Membran eine hintere rechte Pleurahöhle gebildet, nur dass diese Membran erst in grösserer Entfernung von der Wirbelsäule sich an die Thoraxwand (resp. Rippen) ansetzt. Auf diese Weise entstehen zwei kleine hintere und eine vor- dere Pleurahöhle. Letztere wird ihrerseits durch einen man- gelhaft entwickelten Herzbeutel in eine rechte und linke Kam- mer abgetheilt. Diese vier Pleurasäcke werden von vier Lun-

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 131

gen eingenommen. Der Herzbeutel heftet sich unten an das Zwerchfell, hinten an die vordere Luftröhre, vorn zu beiden Seiten des Brustbeins, in einiger Entfernung von demselben, an die rechte und linke Thoraxwand. (Daraus erklärt es sich, dass mit Durchschneidung der vorderen Brustwand in der Mit- tellinie des Brustbeins zugleich der Herzbeutel eröffnet wurde). Das Pericardium ist oben zu beiden Seiten defect, so dass eine offene Communication der Pericardialhöhle mit den beiden vor- deren Pleurahöhlen besteht. In den Rändern dieser Oeffnungen verlaufen einige grössere Gefässe. Im Herzbeutel selbst findet sich ein abnorm breites, abgeplattetes Herz. Ein zweites, auf den ersten Blick herzförmig erscheinendes Organ liest im lok- keren Bindegewebe am Halse oberhalb des hinteren Brustbeins.

Sowohl auf der Vorder- wie auf der Rückseite liegen unter der Haut des Halses, dicht oberhalb des Brustbeins, je zwei (halbe) Thymusdrüsen. Nur das linke Individuum besitzt eine vollständige, wenngleich kleine, zweilappige Schilddrüse. Für das rechte Individuum ist nur der rechte Lappen dieses Organs ausgebildet.

In der Bauchhöhle finden sich zwei Lebern, eine vordere grosse und eine hintere kleine. Die hintere heftet sich mittelst Ligamente mit ihrem oberen, etwas nach vorn gerücktem Rande an das Zwerchfell, mit ihrem unteren, nach hinten gerichteten Rande an eine Dünndarmschlinge. Die grosse Leber ist durch Ligamente an die vordere Bauchwand befestigt. Ausserdem zieht von ihr aus ein Ligamentum teres nach der bruchsack- artig ausgedehnten Bauchwand in der Nähe des Nabels. Ein Ligamentum suspensorium hepatis fehlt gänzlich. Die Gallen- blasen werden an beiden Lebern vermisst.

Zwischen beiden Lebern liegt ein einfacher Magen, auf den ein einfacher Zwölffingerdarm und Dünndarm folgt. Erst hin- ter der Mitte seines Verlaufes theilt sich letzterer, so dass von da ab jedes Individuum seinen eigenen Darmkanal besitzt. Von der Theilungsstelle ziehen fadenartig zwei obliterirte Vasa om- phalomesaraica nach dem Nabel.

Es fand sich ferner nur eine, nicht abnorm grosse Bauch-

g*

132 W. Dönitz:

speicheldrüse. Dagegen waren sämmtliche übrigen Organe der Bauchhöhle und der Beckenhöhlen verdoppelt.

Ich wende mich nun zur systematischen Beschreibung.

Wirbelsystem. Die Hartgebilde des Wirbelsystems zei- gen nur geringfügige Anomalien. Zu bemerken ist nur die starke Lordose der beiden Wirbelsäulen, das Vorhandensein zweier getrennter Brustbeine, Mangel des Schwertknorpels und einige abnorme Verbindungen der wahren Rippen unter einan- der. So sind z. B., wie es Taf. III., Fig. 6 zeigt, auf der Hin- terseite die rechten Rippenknorpel von der vierten Rippe an abwärts brückenartig mit einander verbunden. Die vorderen sowohl wie die hinteren Schlüsselbeine articuliren mit ihren betreffenden Brustbeinen genau wie bei einfachen Individuen. Unter den Weichtheilen des Wirbelsystems sind besonders an der Musculatur des Halses und Bauches Abweichungen von der Norm zu bemerken. Die M. mylohyoides nehmen beiderseits ihren normalen Ursprung vom Unterkiefer, ziehen dann einan- der entgegen und verbinden sich in der Vereinigungsebene bei- der Individuen durch eine kaum nachweisbare, kurze Sehne. An ihrer Unterseite geben sie auch einige Fasern an die ein- ander stark genäherten Zungenbeine ab! Von den M. sterno- cleidomast. sich abzweigend, zieht je ein Muskelbündel zum Zungenbein, welches sich mit der Sehne des M. sternohyoideus verbindet (Fig. 6 und 7B‘). Der Sternohyoideus und Sterno- thyreoideus entspringen mit einem gemeinschaftlichen Bauche vom Brustbein und trennen sich erst in der Nähe ihrer An- satzpunkte.e. Der M. omohyoideus wurde überall vergeblich gesucht.

Weitere Abnormitäten der Musculatur finden sich am Bauche. Hier verlaufen die M. recti in der bei dem zuerst beschriebenen Monstrum angegebenen Weise. Die erwähnte wulstförmige Auf- treibung des Abdomens in der Nähe des Nabels beruht auf Aus- dehnung und entsprechender Verdünnung der Bauchwand, an- scheinend bedingt durch die übermässig starke Entwickelung der vorderen Leber.

Im Zwerchfell findet sich vorn links eine Spaltöffnung, welche durch einen Theil der grossen Leber und die Milz des

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 133

linken Individuums so vollkommen verlegt ist, dass dadurch den Därmen der Weg nach der Brusthöhle abgeschnitten wurde.

Eigenthümlich ist das Verhalten der Mediastina und Pleurae, das ich schon oben erwähnt habe und worauf ich noch einmal bei der Epikrise zurückkommen werde.

Weitere Anomalien des Wirbelsystems sind mir nicht auf- gefallen.

Hautsystem. Nach der Beschreibung des Wirbelsystems ist es kaum nöthig hinzuzufügen, dass das Hautsystem von dem einen Individuum ohne Unterbrechung auf das andere übergeht, dass es also beiden Individuen gemeinschaftlich zugehört.

Centralnervensystem. Am Nervensystem wurden keine Anomalien aufgefunden. Jedes Individuum hat seine ihm nor- mal zukommenden Nerven.

Gefässsystem. Das kleine, in lockeres Bindegewebe ober- halb des hinteren Brustbeins eingebettete herzartige Organ (Fig. 6 und 7C) hat eine in geringem Grade hufeisenförmig gebogene Form, mit gewulstetem unteren und spitz auslaufen- dem oberen Ende. Es ist von fleischiger Structur und um- schliesst einen Hohlraum, in welchen leistenförmige Erhaben- heiten vorspringen, die das Aussehen der Trabeculae carneae des Herzens oder der Herzohren haben. In das verdickte Ende münden vermittelst eines gemeinsamen häutigen Sinus verschie- dene Venen ein. Die beiden hinteren OÖberextremitäten,, ver- schiedenen Individuen zugehörig, senden je eine Vena subelavia zu diesem Gebilde. Mit ihnen vereinigen sich die entsprechen- den hinteren Venae jugulares und bilden dadurch zwei obere hintere Hohlvenen, die in horizontaler Richtung sich zu diesem Organ begeben, welches noch eine von der hinteren Leber auf- steigende Vene (J) aufnimmt. Diese letztere Vene, die man als Cava inferior auffassen kann, vereinigt sich dicht oberhalb ihres Ursprunges aus der Leber mit dem gemeinschaftlichen Stamm der hinteren Lungenvenen (Vp). Von der Vereinigungs- stelle der rechten hinteren Vena subclavia mit der jugularis zieht ein verhältnissmässig weiter Verbindungsast vor der rech- ten Wirbelsäule vorbei nach vorn, um von rechts her in den Vorhof des grossen Herzens einzumünden. An dem spitzen

134 W. Dönitz:

Ende des herzartigen Körpers entspringt ein dünner, stielrunder Strang, und zieht, allmählig sich verjüngend, längs einer noch näher zu beschreibenden Lungenarterie A über den gemeinsa- men Kehlkopf hinweg, schlägt sich, an Dicke wieder zuneh- mend, auf die Vorderseite herüber und mündet in die Wandung des vorderen Herzens, gerade vor den Ursprüngen der beiden grossen arteriellen Gefässe.

Das grosse Herz (Taf. III., Fig. 8) liegt ebenfalls in der Vereinigungsebene, aber nicht, wie das oben besprochene Organ am Halse, sondern im oberen Theile der Brusthöhle, hinter dem vorderen Brustbein. Es ist plattgedrückt und nähert sich der quadratischen Form. Nach unten zu läuft es in zwei Spitzen aus. Nach Entfernung des Brustbeins erblickt man nur die Ventrikelwandungen, die daraus entspringenden zwei grossen Gefässe und zwei Herzohren. Der Vorhof ist gegen die ge- meinsame Achse des Doppelindividuums gewendet. Leicht ge- langt man zu ihm, wenn man die Herzspitze in die Höhe hebt. Der Hohlraum des Herzens umfasst zwei Kammern und eine Vorkammer. An letzterer finden sich drei venöse Mündungen. Von unten her dringt eine von der grossen Leber kommende Vene in sie ein. Linkerseits mündet eine für das linke Indi- viduum bestimmte Vena cava communis in denselben. Dieses Gefäss verläuft längs des unteren Randes des oben erwähnten Spaltes im Herzbeutel und theilt sich in der Nähe der Wirbel- säule in eine Cava inferior und superior. Letztere indessen versorgt nur die vordere Seite (die linke Seite des linken In- dividuums), indem die entsprechende Vene der hinteren Seite sich zu dem kleinen herzartigen Organ begiebt. Die dritte ve- nöse Mündung ist für die Vena cava des rechten Individuums bestimmt. Von den hinteren oberen Körperhälften der beiden Individuen, sowie von den hinteren Lungen und der kleinen Leber, erhält diese Vene ihr Blut indireet durch den oben er- wähnten Verbindungsast, während die übrigen Venen des rech- ten Körpers sich direct zu dieser Hohlvene begeben.

Aus jedem der beiden Ventrikel entspringt ein grosses arterielles Gefäss, das man als Bulbus arteriosus auffassen muss, da es ausser der Aorta auch die Lungenarterien) ab-

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten, 135

giebt. Jeder Bulbus ist fast ausschliesslich für ein Indivi- duum bestimmt. Nur im Bereiche des kleinen Kreislaufs findet sich eine Ausnahme, indem die aus dem linken Bulbus kom- mende vordere Lungenarterie nicht blos die vordere linke, son- dern auch die vordere rechte Lunge versorgt. Die Vertheilung der Gefässe ist folgende. Aus dem linken Bulbus nehmen ihren Ursprung (Taf. II, Fig. 8):

]) eine Arteria pulmonalis anterior, welche die bei- den vorderen Lungen versorgt.

Da sie auf der Hinterseite des Bulbus entspringt, so ist sie in der Fig. 8 nicht sichtbar. -

2) ein Truncus communis für die rechte Lungenarterie A‘ des linken Individuums und für die Carotis communis dextra ©’ desselben.

3) die Arteria carotis sinistra, C,.

4) die Arteria subelavia sinistra, S, und

5) die Arteria subelavia dextra S’ des linken Kindes.

Aus dem rechten Bulbus und dessen Fortsetzung, der rech- ten Aorta, entspringen:

1) Die Arteria pulmonalis dextra posterior A.

2) ein Truncus communis G für die beiden Carotiden des rechten Kindes.

3) die Arteriae subelaviae S desselben Kindes.

Die beiden hinteren Lungenarterien, je aus einem Bulbus, unmittelbar an dessen Ursprung entspringend, steigen an der Vorderseite am Halse gerades Wegs in die Höhe, schlagen sich über den Kehlkopf hinweg auf die Rückseite hinüber, wenden sich abwärts und vertheilen sich dann in die zugehörigen Lun- gen. Die rechte Lungenarterie ist es, auf welcher, in lockeres Bindegewebe eingehüllt, der feine, oben beschriebene Faden vom vorderen Herzen zu dem kleinen herzartigen Organ zieht.

Nachdem die Aortenbögen die genannten Gefässe abgegeben haben, wenden sie sich je zu ihrer bezüglichen Wirbelsäule, um in die Aortae descendentes überzugehen, welche eigenthüm- licher Weise beide vor den nach vorn gelegenen Seiten der Wirbelkörper herablaufen, so dass die Aorta des linken Indivi- duums ihren normalen Lauf nimmt (d. h. auf der linken Seite

136 W. Dönitz:

der Wirbelsäule), während die des rechten Kindes rechtsseitig gelagert ist.

Wie schon erwähnt, ist der Herzbeutel defect, indem er sich nach rechts und nach links in die entsprechende Pleura- höhle öffnet. Am Vorhof steht der Herzbeutel in directer Ver- bindung mit dem Herzen. Die arteriellen Gefässe dagegen lie- gen eine Strecke weit frei im Pericardium.

In Betreff der Nabelgefässe ist zu erwähnen, dass eine Vene vom Nabel frei (das Lig. susp. hep. fehlt) durch die Bauch- höhle zur grossen Leber aufsteigt. Dem linken Individuum fehlt die linke Nabelarterie. Die drei übrigen, normal ver- laufenden Nabelarterien sind obturirt. An der kleinen Leber lässt sich keine Nabelvene auffinden.

Das Fortbestehen von Resten zweier Vasa omphalo-mesen- terica-wurde schon oben erwähnt.

Respirationssystem. Der beiden Kindern gemeinschaft- liche Kehlkopf ist höchst eigenthümlich gestaltet. Sein Gerüst besteht aus einem SchildKnorpel , zwei Ringknorpeln, vier Giessbeckenknorpeln u. s. w. Der Schildknorpel hat dachför- mige Gestalt, mit nach oben gekehrter Firste. Die Firste läuft nach rechts und nach links je in ein Pomum Adami aus. Auf der Vorderseite sowohl wie auf der Hinterseite setzt sich an diesen Knorpel ein senkrecht gestellter Ringknorpel an, auf den weiterhin die Luftröhrenringe folgen. Nach Eröffnung des Kehlkopfs durch einen längs der Firste geführten Schnitt (Taf. IIL, Fig. 9) erkennt man zwei Paar wahre Stimmbänder, der Lage der beiden Ringknorpel entsprechend. Die Giessbecken- knorpel sitzen dem untersten Theil der Ringknorpel auf, so dass die Stimmbänder im Ganzen senkrecht gestellt sind. Die untere Wand des Kehlkopfes, die wir bisher noch nicht betrach- tet haben, ist membranös. Mitten zwischen den beiden Stimm- bandpaaren ist sie durchbohrt, indem von hier aus die Speise- röhre O abgeht. Kehldeckel wurden nicht aufgefunden.

Dass die vordere Luftröhre zu den vorderen Lungen gehört, während die hintere in die hinteren Lungen eindringt, ist schon erwähnt worden. Die rechte hintere Lunge ist zweilappig, die übrigen einlappig mit unregelmässigen Einschnürungen, welche

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 137

indess nicht tief genug einschneiden, um eine wirkliche Lap- penform zu bedingen.

Darmkanal. Von der Mundhöhle eines jeden Individuums aus gelangt man direct in den eben beschriebenen Hohlraum, von dem vorn und hinten eine Trachea, mitten dazwischen aber der Oesophagus abgehen. Letzterer zieht in der Achse des Doppelindividuums zwischen den Wirbelsäulen zum Zwerchfell hinab, durchbohrt dieses in seiner Mitte und geht in den ein- fachen Magen über. Auch weiterhin ist der Darmkanal ein- fach bis über die Mitte des Dünndarms hinaus, wo dieser plötzlich nach rechts und nach links hin unter rechten Win- keln sich theilt, um jedes Individuum getrennt zu versorgen.

Der Verlauf des Peritoneums lässt sich nicht genau eruiren, da die Darmschlingen vielfach unter einander verklebt sind, wie es scheint, in Folge entzündlicher Vorgänge, deren Spuren sich auch an der herniösen Aussackung der Bauchwand wieder- finden. Nur soviel lässt sich feststellen, dass die Mesenterien ungewöhnlich breit sind. In Folge davon ist selbst das Colon ascendens beiderseits frei beweglich.

Etwa !/; unterhalb des Pylorus finden sich in gleicher Höhe, einander gegenüberstehend', zwei kleine Längsfalten in der Schleimhaut des Duodenum. Die hintere Falte bezeichnet die Einmündungsstelle des Gallenganges der kleinen Leber, während die vordere Falte den gemeinschaftlichen Eintritt des Gallenganges der grossen Leber und des Ductus Wirsungianus kennzeichnet.

Die Pfortader zieht zugleich mit Arterien und Nerven zur grossen Leber hin, läuft eine Strecke weit in einer Querfurche dieses Organs und vertheilt sich schliesslich in dasselbe. Nur ein kleiner Theil der Darmvenen begiebt sich zur kleinen Leber.

Epikrise.

Wenn man von den durch das ungleiche Alter bedingten Verschiedenheiten Abstand nimmt, so findet sich dem äusseren Ansehen nach die grösste Aehnlichkeit zwischen der zuerst be- schriebenen und der uns jetzt beschäftigenden Missgeburt. Der hauptsächlichste, äusserlich wahrnehmbare Unterschied besteht

138 W. Dönitz:

eben nur darin, dass die Verbindung der beiden Individuen im letzteren Falle auch auf einen Theil des Halses sich erstreckt, während im ersten Falle oberhalb des Brustbeins die Verdop- pelung vollständig ist. Um so mehr überrascht es, bei der Un- tersuchung der inneren Organe so mannichfaltige und auffallende Unterschiede zwischen beiden Missgeburten zu finden. Denn während das erste Monstrum alle inneren Organe, mit Aus- nahme der Leber, in Verdoppelung und im Allgemeinen auch in der normalen Lage zeigt, finden wir hier neben auffälligen Lageveränderungen einzelne Organe ganz oder theilweise in der Einzahl vor. Um nun die vorliegenden Anomalien richtig würdigen zu können, wollen wir vorerst die einzelnen Organe, resp. Systeme einer eingehenden Betrachtung unterziehen.

Das Fehlen einzelner Muskeln (Omohyoideus) und das Auf- treten überzähliger Muskelbündel, das wir im vorliegenden Falle beobachtet haben, scheint nicht in directer Beziehung zu den als paarige Individuen auftretenden Missbildungen zu stehen, da dergleichen Varietäten auch bei einfachen Individuen vor- kommen. Trotzdem darf man nicht übersehen, dass ähnliche Abnormitäten bei Doppelmissbildungen nicht gerade selten auf- treten. So hat z. B. Barkow von einem mit der uns beschäf- tigenden Missgeburt in vielfachen Beziehungen übereinstim- menden Dicoryphus Dihypogastrius N) ein ganz ähnliches accessorisches Muskelbündel zwischen Sternocleidomastoideus und Zungenbein beschrieben, wie es sich auch in unserem Präpa- rate vorfand. Die Zahl der vorliegenden Thatsachen ist indes- sen noch viel zu gering, um irgend welche berechtigte Schlüsse daraus ziehen zu können.

Es würde ein vergebliches Bemühen sein, an unserem Prä- parate die Mediastina aufsuchen zu wollen. Mediastinum, Zwi- schenfellraum ist ja nur ein sehr vager Begriff, unter dem man sich Nichts weiter vorstellen kann, als ein wenig lockeres Bin- degewebe, durch welches gewisse, durch die Brusthöhle zie- hende Theile aneinander gehalten werden, und welches die zwischen diesen Theilen gelegenen Lücken ausfüllt. Dies ist

1) Barkow, a.a. 0. 8. 10,

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 139

aber durchaus keine Eigenthümlichkeit der Brusthöhle'; vielmehr begegnen wir solchem die innige Verbindung. vermittelndem Zellgewebe überall wo heterogene Theile eng neben einander liegen, oder wo benachbarte Theile derart verbunden sind, dass sie gegen einander verschoben werden können. Wo Nerven und Gefässe neben einander verlaufen, da wird die Verbindung durch Zellgewebe vermittelt; wo ein Organ an das andere stösst, ZB. Blase, Uterus und Mastdarm, da werden die Lücken durch lockeres, eine gegenseitige Verschiebung gestattendes Bindege- webe ausgefüllt. Nirgends aber tritt dieses Zellgewebe selbst- ständig auf. Demgemäss ist es für den typischen Bau des Wir- belthierorganismus von ganz untergeordneter Bedeutung und kann nur nach Maassgabe der Umstände Berücksichtigung fin- ‚den. Es wäre also unverständig, an unserem complicirten Prä- parate die Analoga des vorderen und hinteren Zwischenfell- ‚raumes aufsuchen zu wollen. Es genügt die Angabe, dass die beiden Luftröhren und die Speiseröhre durch Bindegewebe zu- sammengehalten, und dass die Gefässe und Nerven innerhalb des Thoraxraumes durch lockeres Bindegewebe in ihrer Lage erhalten werden.

Dass die beiden Brustbeine völlig von einander getrennt sind, darf nicht auffallen, da die Verbindung der beiden Indi- viduen sich auch auf den Hals erstreckt. Diese Art des Verhal- tens der beiden Brustbeine zu einander bildet nach Meckel') das eine Extrem in der Reihe der möglichen Formen. Das andere Extrem bilden zwei mit den unteren Enden resp. Schwertknorpeln verwachsene Brustbeine. Dazwischen reihen sich verschiedene Uebergangsformen ein, von denen ich nur die kreuzförmigen und« die bei der ersten Missgeburt erwähnten und abgebildeten Formen besonders hervorheben will. Je tiefer die Spaltung des Kopfendes der Missgeburt reicht, um so selbst- ständiger werden die Brustbeine, und zwar in der Art, dass am Ende der Reihe jedes Individunm sein eigenes Sternum erhält. Je höher dagegen die Vereinigung sich gegen den Scheitel hin erstreckt, um so mehr verliert jedes Brustbein an Selbststän-

1) Meckel, a,a. 0. S. 84.

140 W. Dönitz:

digkeit, bis schliesslich, wie in unserem Falle, je zwei und zwei, verschiedenen Individuen angehörige Brustbeinhälften sich vereinigen. Das Resultat dieser Vereinigung sind wieder zwei völlig getrennte Brustbeine, die sich an und für sich von den ersten, nur einem Individuum angehörigen, äusserlich nicht unterscheiden. Nur die Betrachtung, dass an ein derartiges Brustbein sich verschiedenen Individuen angehörige Rippen- reihen ansetzen, lässt hierin etwas Besonderes erkennen, und veranlasste Serres') derartige Brustbeine Sternum hetero- genes zu nennen.

Vergegenwärtigt man sich die Bildung des Brustbeins, so kommt man zu dem Schluss, dass das vordere und das hintere Sternum der paarigen Individuen ganz verschiedene Bedeutung haben müssen. Am einfachen Individuum bildet sich bekannt- lich das Brustbein bei der Vereinigung der Bauchplatten des Wirbelsystems aus zwei symmetrischen Hälften. Ein Analogon desselben muss sich auch bei den uns beschäftigenden Doppel- missgeburten vorfinden. Wenn wir uns nämlich, auf Grund der schon beobachteten Doppelembryonen aus sehr frühen Perioden, die frühesten Bildungsstufen unserer Missgeburt construiren, so müssen wir annehmen, dass in den ersten Keimanlagen eine Spaltung, und zwar eine Längsspaltung eingetreten ist. Dass es eben eine Längs- und nicht eine Querspaltung war, darauf weist vor allen Dingen der einfache Nabel hin, der seinerseits wieder eine gemeinsame Rumpfhöhle voraussetzt, die bei Quer- spaltung des Keimes, aus der die Monstra mit zwei Nabeln und Bauchhöhlen, die Monstres doubles eusomphaliens Isidor Geoffroy St. Hilaire hervorgehen, nicht wohl denkbar ist, Fangen wir, indem wir diesen Gedankengang verfolgen, mit der obersten Keimschicht, mit der Umhüllungshaut an, so wird es uns wahrscheinlich, dass dieselbe als einfache Membran über das gesammte Embryonalfeld hinwegzog, wie das in ähnlichen Fällen von Reichert?) thatsächlich nachgewiesen wurde. Die

1) Serres, Theorie des Formations et des Deformations organiques. Mem. de l’Acad. des Sciences. T. XI. p. 683. 2) Reichert, 2.2. 0. S. 744 u. 757.

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 141

zweite primitive Schicht, die Anlage des Centralnervensystems, hat sich nicht, wie sonst, durch das Auftreten der primitiven Rinne, in eine rechte und eine linke symmetrische Hälfte ge- sondert, sondern sie ist in zwei, allerdings auch symmetrische Theile auseinandergegangen, deren jeder aber ein Ganzes re- präsentirt. Auf das Wirbelsystem muss die Keimspaltung we- niger eingreifend eingewirkt haben. Sie hat hauptsächlich das Kopf- und das Schwanzende betroffen. Im Rumpftheile müs- sen die Anlagen des Wirbelsystems der beiden Embryonen con- tinuirlich in einander übergegangen sein. An der Uebergangs- stelle nun wird sich im Bereiche des Thorax mit dem Hervor- sprossen der accessorischen Visceralplatten das hintere Sternum ausgebildet haben, während das andere auf normalem Wege durch den Abschluss der Rumpfhöhle durch die resp. Visceralplatten zu Stande kam. Letzteres würde demnach das normale, das erste hingegen ein accessorisches Brustbein vorstellen. Einen Anhaltspunkt für eine solche “Anschauungsweise giebt der von Reichert!) beschriebene Gänseembryo, an welchem das Vor- handensein zweier parallel nebeneinander verlaufender Chordae dorsuales die Längsspaltung des Wirbelsystems genugsam cha- rakterisirt, während im Rumpftheile die Anlagen des Wirbel- systems der beiden Individuen unter Bildung einer Längsleiste augenscheinlich mit einander verschmolzen sind oder vielmehr von vorn herein zusammenhangen. Die Visceralplatten dieses Embryos würden bei ihrer Weiterentwickelung unter Bildung einer gemeinsamen Rumpfhöhle sich auf der Bauchseite verei- nigt haben, obgleich sie verschiedenen Individuen angehören, ein Vorgang, der darauf hinweist, dass die beiden durch Keimspaltung entstandenen Individuen genetisch als die zwei seitlichen symmetrischen Hälften eines In- dividuums aufgefasst werden müssen. Diesen Weg, den der Reichert’sche Embryo eben erst betreten, hat der oben beschriebene Foetus schon vollständig durchlaufen: Die Abschnürung der Visceralplatten ist mit Bildung eines beiden Individuen gemeinsamen Nabels erfolgt. Welche Seite indessen

1) Reichert, a. a. O0. S. 749. Taf. XVII, Fig. ı u. 2, [3

142 W. Dönitz:

als die untere, auf der die Abschnürung erfolgte, betrachtet werden müsse, lässt sich aus dem Verhalten des Wirbelsystems nicht ersehen, da die Gestalt der Brustbeine und die Anord- nung der Muskeln auf der (von uns sogenannten) Vorder- und Rückseite in allen Stücken übereinstimmen ; doch wird sich aus dem Weiteren ergeben, dass diejenige Seite, die wir provi- sorisch die vordere genannt haben, es in der That auch ist.

Während demnach bei der Entwickelung des Embryos im Bereiche des Thorax das Bestreben unverkennbar ist, die Du- plieität aufzugeben und in die Einheit zurückzukehren, ist am Kopf die Verdoppelung eine vollständige geworden. Erst im Bereiche des dritten Visceralbogens (Kiemenbogens) finden sich Spuren, welche auf einen Kampf zwischen Duplieität und bila- teraler Symmetrie hinweisen. Die Zungenbeine haben sich für jedes Individuum getrennt entwickelt; aber ein ‚Theil der Mus- keln, welche sich an dieselben ansetzen, sind nach den Gesetzen der bilateralen Symmetrie angeordnet. So vereinigen sich z. B. die Musculi mylohyoidei der beiden Individuen, einander ent- gegenziehend, in der Grenzebene, während ein Theil ihrer Fa- sern sich in normaler Weise an das zugehörige Zungenbein heftet. Daraus ergiebt sich, dass die vollkommene Spaltung des Kopfendes bis zum dritten Visceralbogen reicht. Am Schwanzende reicht die Spaltung, wie sich auf den ersten Blick erweist, bis zur Höhe des Nabels.

Wenden wir uns nun, mit Ueberspringung des Stratum in- termedium, zur primitiven Anlage des Cylinderepithels des Darmkanals, so finden wir auch hier, in Uebereinstimmung mit dem Wirbelsystem, vollständige Spaltung am Kopf- und Schwanz- ende. Da der hintere Theil des Dünndarms, Dickdarm und Rectum doppelt sind, so kann man nicht umhin, anzunehmen, dass die hierin enthaltene Epithelschicht schon in der Anlage für beide Individuen getrennt aufgetreten ist. Erst in der Ge- gend des Darmnabels, die sich hier durch das Fortbestehen der Vasa omphalo-mesenterica genau kennzeichnet, hört die Spal- tung auf und beginnt erst wieder am äussersten Kopfende, be- zeichnet durch das Doppeltsein des Pharynx.

Im höchsten Grade eigenthümlich erscheint bei näherer Be-

Beschreibung und Erläuterung yon Doppelmissgeburten. 143

trachtung der obere, ein einfaches Rohr darstellende Theil des Speisekanals (Oesophagus, Magen, Anfang des Dünndarms). Jedes Individuum schickt nämlich zwei Nervi vagi zum Oeso- phagus und Magen, und in das Duodenum mündet von beiden Seiten her je ein Gallengang ein. Es weist dies Verhalten mit Bestimmtheit darauf hin, dass dieses Rohr aus einer paarigen Anlage entstanden. Wir werden aber annehmen müssen, dass, wie beim Rumpftheile des Wirbelsystems, trotz der Spaltung die Anlagen der beiden Darmrohre noch mit einander in Ver- bindung standen. Später erfolgte der Abschluss auf der Vor- derseite in der Weise wie beim einfachen Individuum, und so entstand ein einfaches Rohr, in welchem die Anlagen zweier Darmkanäle enthalten sind, obgleich es in seiner Form genau mit dem bilateral symmetrischen Darme des einfachen Indivi- duums übereinkommt, d. h. bilateral symmetrisch erscheint. Diese bisher noch nicht beachtete secundär eintretende Art von Symmetrie glaube ich mit dem-Ausdrucke „bilaterale Symmetrie eines paarigen Individuums* bezeichnen zu können. Im Laufe unserer Untersuchungen werden wir ihr noch öfter begegnen. Was nun die mit dem Namen der Adnexa des Darmes be- zeichneten Organe betrifft, so ist zu beachten, dass sich nur eine Bauchspeicheldrüse, dagegen zwei Lebern finden. Wenn man bedenkt, dass in das einfach erscheinende Darmrohr die Anlagen zweier Darmkanäle aufgegangen sind, so wird man es erklärlich finden, dass auch zwei Lebern vorhanden sind. Man muss sich eben vorstellen, dass in jedem Indivi- duum eine Leberanlage entstand, die sich bei ihrer Weiterent- wickelung zu der auf dieses Individuum bezüglichen Hälfte des Darmkanales gerade so verhielt, als ob diese Hälfte ein Ganzes wäre. Daher die Einmündungen der Gallengänge auf entgegen- ‘gesetzten Seiten des Darmes. Für die Einfachheit des Pankreas dagegen haben wir keine völlig zutreffende Erklärung. Viel- leicht dass ursprünglich zwei angelegt wurden, von denen aber das eine verkümmerte. Vielleicht auch, dass beide Anlagen in eine verschmolzen, oder dass überhaupt nur eine Anlage des Pankreas entstand, wie beim einfachen Individuum, nachdem die beiden Anlagen der Darmkanäle sich zu einem einfachen

144 W. Dönitz:

Rohre vereinigt hatten, eine Annahme, die mit Rücksicht auf die Duplieität der Leber etwas gewagt erscheinen könnte, die sich aber damit rechtfertigen liesse, das$ die Bauchspeicheldrüse sich später bildet als die Leber und in unserem Falle zu einer Zeit entstanden sein kann, wo die doppelte Anlage des Darmes nicht mehr zur Geltung kam, sondern wo sich die Entwicke- lung der zum Darmkanale in nähere Beziehung tretenden Or- gane in der Weise regulirte, als ob dieser von Anfang an nur einfach, (d. h. bilateral symmetrisch) gewesen wäre. Welche von diesen Annahmen die zutreffende ist, werden fernere Beob- achtungen an jungen Doppelembryonen ergeben.

Das Fehlen der Gallenblasen ist als Hemmungsbildung auf- zufassen, die insofern interessirt, als sie bei vielen Säugethieren, z.B. bei Hirschen, Kameelen, einigen Dickhäutern u. s. w. den normalen Zustand darstellt.

Es bleibt uns noch die Betrachtung des Stratum interme- dium übrig, welches auch den Anlagen der bisher noch nicht erwähnten Organe das Material liefert. Dass diese schichtför- mige primitive Anlage wenigstens am Kopf- und Schwanz- ende vollständig gespalten gewesen sei, das beweisen einerseits die zwei Lungenpaare, andererseits die Verdoppelung der Nie- ren und der Geschlechtswerkzeuge. Das Herz und die grossen Gefässstämme, welche ebenfalls aus dem Stratum intermedium hervorgehen, bedürfen einer eingehenderen Untersuchung.

Das grosse, quadratische Herz trägt unzweifelhafte Spuren der Duplicität an sich. Dahin rechne ich die doppelte Herz- spitze und das eigenthümliche Verhalten der beiden Kammern. Diese machen nämlich keineswegs den Eindruck eines rechten und eines linken Ventrikels, sondern vielmehr zweier linker Ventrikel. Die Wandungen beider Kammern haben ungefähr gleiche Dicke, und die Hohlräume sind durch ein auf dem Quer- schnitt nicht bogenförmig, sondern geradlinig erscheinendes Septum von einander getrennt. Es fehlt also das bogenförmige Herumgreifen des einen Ventrikels um den andern, wie es bei einfachen Herzen die Norm ist. Den Ausschlag aber geben die beiden Bulbi arteriosi. Es ist klar, dass von einem einfachen Herzen nur ein Bulbus entspringen kann, da dieser nichts

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 145

weiter ist als das vordere, arterielle Ende des ursprünglichen Herzschlauches. Da hier aber in der That zwei Bulbi vorlie- gen, wie es oben bei der Beschreibung des Herzens nachge- wiesen wurde, so liegt es auf der Hand, dass wir es mit einem Doppelherzen zu thun haben. Daraus folgt, dass die beiden Ventrikel als die in der Entwickelung weiter vorgeschrittenen arteriellen Theile der Herzschläuche aufgefasst werden müssen, an denen die rechten Kammern nicht zur Entwickelung gekom- men sind.

So weit ist die Bildung des Herzens klar. Mehr Schwie- rigkeiten bietet dagegen der venöse Theil desselben. Hier sind es die Venae omphalo-mesentericae, welche Anhaltspunkte für die Deutung des Befundes liefern. Mit Sicherheit kann man annehmen, dass zwei Dottervenenstämme, der eine von rechts, der andere von links her in den Doppelembryo eintraten, in der Art, wie es Reichert’s Gänseembryo zeigt; und wir wür- den uns vorstellen können, dass die Anlage unseres Doppel- herzens genau so gestaltet gewesen sei, wie bei jenem Embryo, wenn nicht das kleine herzartige Organ auf der Rückseite des Foetus uns Schwierigkeiten in den Weg legte. Das Rudiment eines dritten Herzens kann es nicht sein, denn in diesem Falle müsste man annehmen, dass in dem Theile des Stratum inter- medium, aus welchem das Herz sich bildet, nach der ersten Spaltung, aus welcher die das grosse Doppelherz constituiren- den Theile hervorgingen, eine zweite Spaltung eingetreten sei, und dass der dadurch abgetrennte Theil sich zu diesem kleinen Organ ausgebildet habe. Ein solcher Vorgang ist nach dem Verhalten der übrigen Organe ganz undenkbar, abgesehen da- von, dass dem fraglichen Gebilde gar nicht der Name eines Herzens vindicirt werden kann, da es nur Venen aufnimmt und zu Arterien in gar keiner Beziehung steht; es müsste denn sein, dass der Verbindungsfaden mit dem grossen Herzen eine obliterirte Arterie vorstellt; eine Annahme, für die jeder Beweis mangeln würde, und die sich einfach aus dem Fehlen der Aor- tenbögen widerlegen liesse. Nun nöthigt uns aber die ganze Construction dieses Gebildes, es als herzartiges Organ aufzu- fassen. Wir müssen es also in nähere Beziehung zu den Dop-

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 10

146 W. Dönitz:

pelherzen setzen; und der Mangel der Arterien weist ge- nugsam darauf hin, dass es nur auf den venösen Theil bezo- gen werden kann. Sind wir einmal zu der Ueberzeugung ge- kommen, dass es nur am venösen Ende des Herzschlauches, oder vielmehr der combinirten zwei Herzschläuche entstanden sein kann, so fällt es nicht mehr schwer, uns eine Vorstellung von der Art und dem Orte seiner Entstehung zu machen. Man darf nur annehmen, dass die Bulbi arteriosi weiter von einan- der getrennt waren als im Reichert’schen Falle, und dass beide an ihrem hinteren Ende in einen gemeinsamen Venen- sinus übergingen, in den von rechts und von links her die Dottervenen einmündeten. Stellt man sich ferner vor, dass die- ser Sinus ein wenig in die Breite gezogen war, etwa in der Art, wie es die zu diesem Zwecke construirte schematische Fig. 10, Taf. III. zeigt, so konnte sich an diesem Sinus in der Medianlinie das fragliche Organ nach Art der Herzohren ent- wickeln. Diese Anschauungsweise wird noch plausibler, wenn man sich vorstellt, dass höchst wahrscheinlich ausser den bei- den von rechts und von links her eintretenden Dottervenen noch kleinere venöse Stämme vom Kopfende her zwischen den Bulbi zu dem Venensinus hinzogen. An ihrer Einmündungs- stelle mag sich das fragliche Organ gebildet haben. Diese An- nahme würde auch erklären, weshalb gerade von der Hinterseite (der accessorischen) der Missgeburt Venen in dasselbe einmün- den. Später wurde es bei der Verschiebung, die sämmtliche in der Nähe gelegenen Theile erfuhren (man vergleiche die eigen- thümliche Lage der Lungen) von dem Herzen entfernt und nach der Rückseite gedrängt und stellt nun gewissermaassen ein isolir- tes, zu den accessorischen Hälften gehöriges Herzohr dar. Der Sinus selbst bildete sich, wie wir annehmen, zu dem gemein- schaftlichen Vorhof um, während die beiden arteriellen Herz- enden sich an einander legten und zu zwei mit ihren Wänden verwachsenen, nicht communicirenden Kammern ausbildeten. Eine ganz ähnliche Bildung, die ich zu verificiren Gelegen- heit hatte, fand Barkow!) an dem schon erwähnten Dihypo-

1) Barkow, a, a. ©. S. 13—16. Das Präparat führt im Berliner anat. Museum die Nummer 6059.

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 147

gastrius dicoryphus; nur ist seine Deutung verschieden. Er hält das kleine, auch bei ihm nur Venen aufnehmende Organ“ für ein Herz. Dieselben Gründe, welche mich bewogen, dieses Gebilde als isolirtes Herzohr aufzufassen, haben auch für diesen Fall Geltung. Wie sich nämlich aus dem Abgang der Aorten und der Lungenarterien ergiebt, hat sein grosses, vorderes Herz die Bedeutung eines Doppelorganes. Es bleibt demnach Nichts weiter übrig, als sein hinteres, kleines Herz zu einem blossen Herzohr zu degradiren. Interessant ist es, dass auch in diesem Falle das obere spitze Ende der isolirten Auricula einen dün- nen Faden abschickt, der in der Gegend der einen Thymus verschwindet. Leider konnte ich' diesen Faden nicht weiter verfolgen, da ich ihn im Präparat abgerissen vorfand.

Weiterhin ist es auffällig, dass diese beiden Monstra, was die Anordnung, Zahl und Lage der Organe in der Brust- und Bauchhöhle betrifft, in so hohem Grade übereinstimmen, ob- gleich in Barkow’s Falle die Verbindung der beiden Indivi- duen sich bis auf den ersten Visceralbogen erstreckt. Es lässt sich dies daraus erklären, dass in beiden Fällen der Zusammen- hang der beiden Individuen nach oben bis über den Bereich des Thorax hinausgeht; denn der Umstand, dass in dem einen Falle die Spaltung des Kopfendes nur bis zum ersten, in dem anderen Falle bis zum dritten Visceralbogen reicht, kann auf die Bildung der Organe in der Brust- und Bauchhöhle keinen grossen Einfluss haben.

Die Vergleichung der Monstra ergiebt ausserdem das wich- tige Resultat, dass die in der Beschreibung als vordere behan- delte Seite unserer Missgeburt in der That die vordere ist, auf welcher der Abschluss der Bauchplatten des Doppelembryos er- folgte. In Barkow’s Falle nämlich sind die zum Theil ver- schmolzenen Gesichter gerade nach der Seite gewandt, auf wel- cher das Herz und die grosse Leber gelagert sind Da nun, wie erwähnt, die Organe der Rumpfhöhlen in beiden Fällen die grösste Uebereinstimmung zeigen, so drängt sich uns die Nothwendigkeit auf, auch in unserem Falle die Seite, wo das Herz und die grosse, mit der Nabelvene versehene Leber lie- gen, für die vordere zu nehmen. Zu demselben Resultate füh-

10*

148 toll ar Dee

ren übrigens auch die Betrachtungen, die wir über die Art der Entwickelung des Doppelherzens angestellt haben.

Schliesslich will ich noch bemerken, dass Alles, was ich bei dem zuerst beschriebenen Falle über die symmetrische Ent- wickelung der Doppelorgane gesagt habe, in voller Ausdehnung auch für diesen Fall gilt. Am Herzen z. B. finden wir zwei neben einander gelagerte Ventrikel, die durchaus gleiche Be- deutung haben. An symmetrischen Stellen haben sich die Bulbi arteriosi ausgebildet, und die Vertheilung der grossen Gefässe muss eine symmetrische genannt werden. Dasselbe gilt für den einfachen Theil des Tractus intestinalis, wo haupt- sächlich die symmetrisch gelegenen Einmündungsstellen der Ductus hepatici zu berücksichtigen sind. So giebt sich also, wie am Darmkanale, so auch am Herzen das Streben kund, das Paarigsein aufzugeben und symmetrisch zu werden, nur nicht bilateral, sondern paarig symmetrisch, wie ich es oben genannt habe.

Erklärung der Abbildungen.

Tafel II.

Fig. 1. Weibliches, paariges Individuum, welches am 4. October 1864 zu Stolp in Pommern geboren wurde und 23 Tage gelebt hat. Das mit A bezeichnete Kind überlebte das andere um 3 Stunden. Die Verbindung der beiden wohl ausgebildeten, doch stark abgema- gerten Individuen reicht auf der Bauchseite vom Manubrium sterni bis zum gemeinschaftlichen Nabel. Aeusserlich ist kein Unterschied zwischen der in der Figur dargestellten und der ihr gegenüberliegen- den Seite wahrzunehmen, und in der inneren Organisation kommen die beiden Individuen vollkommen mit einander überein, nur dass die beiden Nabelvenen von der Seite her in die Leber eindringen, welche hier abgebildet ist. Dieser Umstand beweist, dass diese Seite die vor- dere, und somit das mit A bezeichnete Kind das rechte, das mit B bezeichnete das linke ist. ;

Fig. 2. Vorderes Thoraxskelett der in Fig. 1 abgebildeten Miss- geburt. C, rechtes Schlüsselbein des rechten Kindes, C, linkes

. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. ° 149

Schlüsselbein desselben. C, rechtes und C, linkes Schlüsselbein des linken Kindes. Das hufeisenförmige Brustbein gehört beiden Indivi- duen gemeinschaftlich an und liegt in der Grenzebene der Kinder. Auf der Vorderseite führt es, wie die Figur zeigt, einen grossen und drei kleine Knochenkerne. Der nur zum Theil sichtbare grosse Kno- chenkern gehört zum hinteren Theil des Sternum und liegt gerade vor dem Jugulum des linken Kindes B, während der vordere grosse Knochenkern vor dem rechten Jugulum A gelegen ist. Vergleiche die folgende Figur.

Fig. 3. Der mittlere Theil des gemeinschaftlichen Brustbeins, von oben gesehen. Die Jugula liegen nicht diametral einander gegenüber, sondern erscheinen seitlich verschoben. Vor jedem derselben findet sich ein grosser Knochenkern.

Fig. 4. Obere Ansicht eines dem vorigen ähnlichen Brustbeins, nach einem Präparate des Berliner anatomischen Museums (Nr. 4938). Die seitliche Verschiebung der Jugula stimmt mit der in unserem Falle (Fig. 3) überein. Das Präparat wird von Barkow, Monstra ani- malium duplicia, Th, I. p. 30, kurz erwähnt.

Tafel II.

Fig. 5. Unterseite (U) und das hintere Feld der Oberseite (H) der gemeinschaftlichen Leber des auf Taf. II. Fig. 1 abgebildeten Mon- strums. Der conische Lappen C liegt in der Vereinigungsebene, ist aus der theilweisen Verschmelzung der rechten Lappen der ursprüng- lich doppelten Lebern hervorgegangen und enthält die beiden Gallen- blasen F. Zum rechten Lappen des rechten Individuums muss noch das mit A bezeichnete Stück gerechnet werden. E ist als linker Le- berlappen des rechten, B als linker Leberlappen des linken Kindes aufzufassen. P bezeichnet das Tuberculum papillare dextr. V Magen; D Duodenum; L Milz; U Nabel; T Ligam. teres; S Ligament in der Vereinigungsebene, als Fortsetzung des hier nicht sichtbaren Ligam. suspens. hep.

Fig. 6 und 7. Hinterseite des paarigen Individuums, welches als zweiter Fall beschrieben wurde. Das Präparat wird im Berliner ana- tomischen Museum unter No. 9579 aufbewahrt. Das hintere Brust- bein ist der Länge nach gespalten. Die mit I. bezeichnete Seite ge- hört dem rechten, die mit II. bezeichnete dem linken Individuum an. Die auf letzteres bezüglichen Buchstaben in Fig. 7 sind von den cor- respondirenden Bezeichnungen für das rechte Individuum durch einen hinzugefügten Strich unterschieden.

In den beiden, durch die Membran M geschiedenen Pleurahöhlen liegen die beiden Lungen P. In dieser Membran läuft die aus die- sen Lungen entspringende Vena pulmonalis Vp nach abwärts und steigt wieder, nach Vereinigung mit der aus der kleinen Leber H

150° W. Dönitz:

stammenden Lebervene als grösserer Stamm J zu dem Organ © auf, welches als gesondert aufgetretener venöser Theil (Herzohr) des auf der Vorderseite liegenden und in Fig. 8 abgebildeten Doppelherzens gedeutet wurde. In dieses Herzohr münden die Venae jugulares Jg und subclaviae der hinteren Seite, nachdem sie sich jederseits zu einem gemeinschaftlichen Stamm S (Vena cava superior) vereinigt haben. Vom spitzen Ende des Herzohrs zieht ein feiner Faden auf der Lungenarterie A entlang nach dem Doppelherzen hin. Seitlich von der Arterie A erkennt man einen Theil der hinteren Luftröhre Tr, welche von dem gemeinschaftlichen Kehlkopf L ihren Ursprung nimmt. Durch eine Schnittöffnung in der Pleura Pl erkennt man ein Stückchen Wirbelsäule V des rechten Individuums I. Am Halse sieht man zwei (halbe) Thymus T und einen 'Theil der Glandula thyreoidea E, des linken Kindes II. Mit B, ist ein accessorisches Muskelbündel zwischen dem M. sternocleidomast. und der Sehne des M. stylohyoi- deus resp. Zungenbein bezeichnet. A Arteriae pulmonales posteriores. B Aceessorisches Muskelbündel zwischen dem Kopfnicker und dem Zungenbein. C Isolirt gebildetes Herzohr. Cl Claviculae. D Dia- phragma. E Glandula thyreoidea. G Musculus stylohyoideus. H He- par minus. J Vena cava inferior. Jg Venae jugulares. L Larynx. M Membran, welche die hinteren Pleurahöhlen trennt. Mh Musculus mylohyoideus. O Os hyoideum. P Pulmones. Pl Pleura zwischen den beiden Pleurahöhlen des rechten Kindes. S Vena cava superior. Sc Musculus scalenus anticus. Sh Musculus sternohyoideus und ster- nothyreoideus. Sm Musculus sternocleidomastoideus. St Sternum. T Thymus. Th Musculus thyreohyoideus. Tr Trachea. V Columna vertebralis dextra. Vp Vena pulmonalis.

Fig. 8. Das Doppelherz der Vorderseite (Fall II). Es ist stark platt gedrückt und hat eine doppelte Spitze. Man sieht die Wandun- gen der beiden Ventrikel, an welche sich oben von hinten her die beiden Herzohren Au anlegen. Aus jedem Ventrikel entspringt ein Bulbus arteriosus, aus denen die Lungenarterien ihren Ursprung nehmen und deren Fortsetzung die beiden Aorten darstellen. Die hinteren Lungenarterien A ziehen über den gemeinschaftlichen Kehl- kopf L hinweg und schlagen sich auf die Rückseite hinüber. Auf der einen verläuft der feine, von dem in Fig. 6 C abgebildeten Herz- ohr kommende Faden und inserirt sich in der Mittellinie des Doppel- herzens gerade vor dem Ursprung der Bulbi arteriosi. Zwischeu die- sen beiden Lungenarterien erscheint die vordere Trachea Tr. Das Pericardium P hat beiderseits oben einen Spalt, durch welche es mit den Pleurahöhlen communieirt. Beiderseits findet sich eine Glandula thyreoidea E. Der venöse Theil des Doppelherzens liegt hinter dem arteriellen Abschnitt und ist deshalb in der Figur nicht sichtbar, C Truncus communis für die Carotiden, S Subelavia dextra, A Ar-

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 151

teria pulmonalis sinistra des rechten Kindes. A, Arteria pulmonalis dextra, S, Art. subelavia dextra, S, Art. subelavia sinistra, ©, Art. Carotis dextra, C, Art. Carotis sinistra des linken Kindes,

Fig. 9 (Fall II). Der gemeinschaftliche Kehlkopf, von oben ver- mittelst eines Schnittes durch die Firste des Schildknorpels T er- öffnet. Nach I. hin liegt der Kopf des rechten, nach II. hin der des linken Kindes. Beiderseits erkennt man eine Glottis, und zwar G die vordere, G, die hintere. Zwischen beiden, mehr in der Tiefe, sieht man den Eingang in den Oesophagus 0.

Fig. 10. Schematische Figur, zur Erläuterung der Entstehung des Herzens und des isolirten Herzohrs. I. und II, stellt die beiden Kopfenden des Doppelembryos vor, C und C, die arteriellen Theile der beiden Herzschläuche, B und B, die beiden Dottervenenstämme, die sich wie ein rechter und ein linker in einem einfachen Embryo verhalten, hier aber auf ein rechtes und ein linkes Individuum zu beziehen sind. A stellt einen gemeinsamen Venensinus vor, von welchem vielleicht einige Venenstämmchen D und D, zum Ersatz für die beiden ausgefallenen Dottervenenstämme nach dem Kopfende hin abgingen. An ihrem Ursprung aus dem Sinus entstand nach der im Texte gegebenen Deutung das isolirte Herzohr, Fig. 6 u.7C.

152 Ewald Hering:

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. Von

Dr. EwaLp HeErmG, Privatdocenten der Physiologie in Leipzig.

(Schluss.)

Von der scheinbaren Ferne der Trugbilder.

Es wurde bereits vorhin erwähnt, dass das Einfachsehen der Doppelbilder zur Erzeugung eines specifisch binocularen Tiefen- effectes gar nicht nöthig ist. Panum hat dies gesehen. Die übliche Ansicht, nach welcher die Trugbilder stets auf einer durch den Fixationspunkt gehenden Fläche erscheinen sollen, habe ich schon im II. Hefte meiner Beiträge ausführlich wider- legt. Neuerdings haben Volkmann (a. a. ©.) und Helmholtz (a. a. O.) diese Ansicht auch bekämpft, und sie darf nunmehr wohl als hinreichend widerlegt angesehen werden. Uebrigens lehrt jeder Augenblick ihre Unhaltbarkeit.

Ich habe gezeigt, dass gekreuzte doppelseitige Doppelbilder') im Allgemeinen näher, ungekreuzte Doppelbilder ferner erschei- nen als der Fixationspunkt, auch dann, wenn man sie als doppelt unterscheidet, und dass ihr scheinbarer Abstand vom Fixationspunkt, d. i. zugleich von der Kernfläche, zunimmt mit der Disparation ihrer Lage, daher ihre scheinbare Ferne

1) Ich nenne doppelseitige Doppelbilder solche, welche entgegen- gesetzten Hälften der Netzhäute angehören, einseitige aber die, deren Einzelbilder auf correspondirenden Netzhauthälften liegen.

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung, 153

mit der wirklichen des bezüglichen Objectes für gewöhnlich an- nähernd in Einklang ist. Ich darf diesen Satz um so mehr als feststehend ansehen, als neuerdings auch Helmholtz ihn (a. a. O.) experimentell verfochten hat.

VI Versuch. Blicken wir durch den erwähnten Cylinder nach einer Nadelspitze oder sonst einem isolirten Objecte, wäh- rend ein Gehülfe ein kleines Kügelchen von unbekannter Grösse vor oder hinter der Nadelspitze in der Medianebene herabfallen lässt, so täuschen wir uns nie darüber, ob die Kugel diesseits oder jenseits des Fixationspunktes herabgefallen ist, sondern sehen dies ganz deutlich und wissen sogar annähernd anzuge- ben, in welchem Abstande vom Fixationspunkte sie gefallen ist. Ich selbst sehe hierbei trotz der Kürze der Beobachtung den Weg, den die Kugel beschreibt, häufig doppel:, sobald er nicht dem Fixationspunkte zu nahe liegt. Eine Bewegung der Augen ist hierbei so gut wie ganz ausgeschlossen. Es würde zweck- mässig sein, weisse Kugeln und einen schwarzen Hintergrund zu wählen.

Fällt hierbei die Kugel vor dem Fixationspunkte nieder, so erzeugt sie ein gekreuztes doppelseitiges Doppelbild, d. h. die Bilder ihres Weges liegen auf den äusseren Netzhauthälften und zwar auf symmetrischen!) Stellen der Doppelnetzhaut. Es ergiebt also der Versuch (vorausgesetzt, dass man das Doppel- bild nicht einfach sieht), dass Trugbilder, welche den äusseren Netzhauthälften angehören, vor der Kern- fläche und (bis zu einer gewissen natürlichen Grenze) um so mehr von ihr abstehend gesehen werden, je wei- ter ihre Netzhautbilder von der vertikalen Tren- nungslinie abweichen; und andererseits lehrt der Versuch, wenn die Kugel jenseit des Fixationspunktes fällt, dass Trug- bilder, welche den inneren Netzhauthälften angehö- ren’, jenseit der Kernfläche erscheinen und um so

1) Symmetrische oder Gegenstellen nenne ich im Gegensatz zu den correspondirenden oder Deckstellen diejenigen Netz- hautpunkte, welche bei symmetrischer Augenstellung symmetrisch zur Medianebene des Körpers liegen.

154 Ewald Hering:

mehr, je weiter die bezüglichen Netzhautbilder von den vertikalen Trennungslinien abliegen.

Nennen wir den directen Abstand eines Punktes der als Ebene gedachten Netzhaut von der vertikalen Trennungslinie seinen Breitenwerth, der positiv oder negativ ist, je nach- dem der Punkt nach rechts oder links von der Trennungslinie liegt; nennen wir ferner den directen Abstand eines Netzhaut- punktes von der horizontalen Trennungslinie seinen positiven oder negativen Höhenwerth, je nachdem er nach oben oder unten liegt; so können wir bekanntlich die scheinbare Breite und Höhe eines Aussenpunktes als bedingt auffassen durch den Breiten- und Höhenwerth seines Netzhautbildes, und nach dem Gesetze der identischen Sehrichtungen folgt zugleich, dass cor- respondirend gelegene Bildpunkte unter derselben Höhe und Breite im Sehraume erscheinen.

Wollen wir nun das Resultat des obigen Versuches unter einen analogen Ausdruck bringen, so können wir den Abstand eines Netzhautbildpunktes von der vertikalen Trennungslinie nach innen oder aussen seinen Tiefenwerth nennen, der po- sitiv ist, wenn der Punkt nach innen, negativ, wenn er nach aussen von der Trennungslinie liegt. Demnach folgt aus jenem Versuche, dass die positive oder negative scheinbare Tiefe eines Trugbildes, d. h. sein scheinbarer Ab- stand jenseits oder diesseits von der Kernfläche des Sehraumes abhängig ist vom Tiefenwerthe des be- züglichen Netzhautbildes, nämlich von dessen Lage nach innen oder aussen von der vertikalen Tren- nungslinie, und dasssym metrischen Netzhautstellen gleich grosse und gleichsinnige Tiefenwerthe zu- kommen.

Correspondirende Stellen haben also identischen Breiten- und Höhenwerth, symmetrische Stellen (Gegenpunkte) identischen Tiefenwerth.

Dieser höchst wichtige und hier nur des leichteren Ver- ständnisses wegen zunächst an Trugbildern, d. h. an doppelt gesehenen Doppelbildern erläuterte Satz findet in den Thatsa- chen des Binocularsehens durchgängig seine Bestätigung.

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung, 155

Zunächst sei hier noch der interessanten Versuche Panum’s gedacht, durch welche dieser um die Lehre vom Binocularsehen so verdiente Forscher nachwies, dass zur Erzeugung eines bi- nocularen stereoskopischen Effectes das Vorhandensein eines Doppelbildes gar nicht unumgänglich nöthig ist, sondern dass schon ein einfaches Trugbild unter Umständen dazu ausreicht.

Vo. Versuch (Panum). Wenn man unter dem Stereos- kope dem linken Auge z. B. zwei einander nahe vertikale Pa- rallellinien, dem rechten nur eine dergleichen bietet, sieht man, so lange die nur einfach vorhandene Linie nicht unter dem Wettstreite der Sehfelder leidet, zwei Linien in verschiedener Entfernung und zwar die linke ferner als die rechte. Wird nämlich z. B. die linke Linie des linken Paares mit der ein- fachen Linie der anderen Seite verschmolzen, so bildet sich die rechte des linken Paares auf der äusseren Netzhauthälfte des linken Auges ab und erscheint, gemäss dem negativen Tiefen- werthe der äusseren Netzhauthälfte,, diesseits der Kernfläche, d. i. näher als die verschmolzene, so zu sagen fixirte Linie; verschmilzt man die rechte Linie des linken Paares mit der einfachen Linie, so fällt die linke jenes Paares auf die innere Netzhauthälfte, ıhr Bild hat also einen positiven Tiefenwerth und erscheint demgemäss jenseits der Kernfläche, d. i. ferner als die verschmolzene Linie. In beiden Fällen also wird die linke Linie ferner erscheinen müssen, als die rechte, was denn in der That der Fall ist.

Diese Versuche mit nur einfach vorhandenen oder als dop- pelt unterschiedenen Trugbildern haben meist nicht die Ein- dringlichkeit, welche den gewöhnlichen stereoskopischen Ver- suchen mit „verschmolzenen* Doppelbildern eigen ist, und zwar deshalb nicht, weil, wie ich (a. a. O. V. Heft S. 356) ausführ- lich gezeigt habe, ihre Tiefenwerthe ebenso wie ihre Licht- werthe unter dem Wettstreite der Netzhäute leiden. Ich lege darum überhaupt weniger Gewicht auf diese Versuche mit Trug- bildern, da das binoculare Tiefsehen „verschmolzener* Doppel- bilder hinreichendes Material bietet, das obige Gesetz zu er- läutern und zu beweisen, wie M Folgenden gezeigt wird,

156 Ewald Hering:

Von der scheinbaren Ferne der einfach BARFLGNER Doppelbilder.

Wenn ein Aussending sich auf nicht correspondirenden Stel- len abbildet, so ist jedes seiner beiden Bilder dem Wettstreite der Netzhäute ausgesetzt, weil auf die correspondirende Stelle der anderen Netzhaut meist ein anderer Lichtreiz wirkt. Beim räumlichen Sehen handelt es sich indessen lediglich um die Contouren der Objecte, welche bekanntlich im Wettstreite meist Sieger sind und dies um so mehr, wenn sie nicht an- dauernd auf einer und derselben Netzhautstelle liegen bleiben, sondern, wie dies beim gewöhnlichen Sehen stets der Fall ist, wegen der Beweglichkeit der Augen fortwährend verschoben werden und sich dadurch gleichsam immer wieder auffrischen. Die Einzelbilder eines solchen Doppelbildes existiren also im- mer nur auf Kosten der anderen Netzhaut, deren Erregung an correspondirender Stelle sie übertönen. Ich nehme für das Fol- gende an, dass dieses Uebertönen ein vollständiges ist, wie dies beim gewöhnlichen Sehen in der That meist sehr angenähert stattfindet. ;

Da also hierbei jedes Einzelbild die von der correspondiren- den Stelle der anderen Netzhaut kommende Erregung völlig aus dem Felde schlägt, so wird es durch den entgegengesetzten Tiefenwerth dieser correspondirenden Stelle auch nicht in der Geltendmachung seines eigenen Tiefenwerthes beeinträchtigt, was beim Einfachsehen mit correspondirenden Stellen allerdings der Fall ist, weil hier die Gleichartigkeit der Reize eine Be- siegung des einen durch den andern nicht fordert, vielmehr beide so zu sagen gleiches Recht zur Existenz haben.

Jedes Einzelbild eines Doppelbildes behält hiernach den Tiefenwerth, der ihm nach dem Gesetze vom identischen Tie- fenwerthe symmetrischer Netzhautstellen zukommt. Nun wer- den aber beim gewöhnlichen Sehen die nicht allzu disparaten Einzelbilder eines Doppelbildes (und nur von solchen spreche ich hier) nicht als solche unterschieden, sondern es erscheint uns ein einfaches Bild. Die ®heinbare Tiefe dieses ein-

Die Gesetze der binoeularen Tiefenwahrnehmung. 157

fachen Bildes nun ist stets das Mittel zwischen den beiden Tiefenwerthen der Einzelbilder.

Dieser interessante Satz ist nur ein anderer Ausdruck für die oben erörterten Sätze von der scheinbaren Tiefe einfach ge- sehener Doppelbildee. Liegen z. B. die beiden Einzelbilder eines Doppelbildes beide auf correspondirenden Netzhauthälften, und ist das auf der inneren Hälfte der Netzhaut gelegene wei- ter von der vertikalen Trennungslinie entfernt, als das auf der äusseren Hälfte der anderen Netzhaut gelegene, so hat letzteres einen kleineren negativen Tiefenwerth, als der positive Tiefen- werth des ersteren ist, und das arithmetische Mittel beider Werthe wird nothwendig positiv ausfallen müssen und seine Grösse wird abhängen von der Differenz des Abstandes beider Bilder von der vertikalen Trennungslinie, d. h. von der Grösse ihrer Disparation. Das einfache Bild wird dem entsprechend hinter der Kernfläche erscheinen.

Liegen die Einzelbilder auf symmetrischen Netzhautstellen, so werden beide denselben positiven Tiefenwerth bekommen, und -das arithmetische Mittel beider wird so gross sein, wie je- der Einzelwerth. Wird ein solches Doppelbild einfach gesehen, was hier freilich nur unter besonders günstigen Umständen ein- tritt, so erscheint es also vor oder hinter dem Fixationspunkte in der Medianebene entsprechend dem negativen oder positiven Tiefenwerthe seiner Einzelbilder.

Liegen die beiden Einzelbilder auf correspondirenden Längs- schnitten, aber in verschiedener Höhe, so haben sie gleich grosse aber entgegengesetzte Tiefenwerthe, dieselben heben sich also auf, und ihr arithmetisches Mittel ist daher gleich Null; dem entsprechend erscheint das einfach gesehene Doppelbild in der Kernfläche selbst, wie ebenfalls schon oben aus den That- sachen abstrahirt worden ist. Es wird Jedem leicht sein, sich überhaupt aus dem eben angeführten Gesetze über die Tiefen- localisation einfach gesehener Doppelbilder alle oben erörterten empirischen Sätze vom binocularen Tiefsehen abzuleiten.

Wenn ich hier die scheinbare Tiefe eines einfach gesehenen Doppelbildes als das arithmetische Mittel der Tiefenwerthe seiner

Einzelbilder bezeichnet habe, so heisst dies nichts Anderes, als

158 Ewald Hering:

dass das einfach erscheinende Doppelbild diejenige scheinbare Ferne hat, welche in der Mitte liegt zwi- schen den beiden Fernen, die den beiden Einzelbil- dern nach dem Gesetze der Tiefenwerthe zukommen würden.

Wir haben hier nur von einfach gesehenen Doppelbildern gesprochen. Der Satz lässt sich aber auch auf correspondi- rend gelegene binoculare Bilder anwenden. Solche haben, wenn sie nicht etwa auf den vertikalen Trennungslinien liegen, deren Tiefenwerth gleich Null zu setzen ist, offenbar entgegen- gesetzte Tiefenwerthe, werden aber einfach empfunden und der Tiefenwerth des einfach erscheinenden Bildes ist abermals das arıthmetische Mittel der Tiefenwerthe der beiden Einzelbilder, d. i. also hier gleich Null. Mit anderen Worten ausgedrückt, heisst dies nichts Anderes, als dass correspondirend abgebildete Punkte in gleiche Ferne wie der Fixationspunkt, d. h. in der . Kernfläche des Sehraumes erscheinen, wie dies oben gezeigt wurde.

Es wäre ungerechtfertigt, zu glauben, dass das, was ich. hier als Tiefenwerth bezeichnet habe, irgend etwas Hypothetisches sei. Wenn wir sagen, die scheinbare Breite und Höhe eines mit correspondirenden Stellen gesehenen Punktes, d. h. also sein scheinbarer Abstand nach oben oder unten, rechts oder links vom Kernpunkte des Sehraumes hänge ceteris paribus ab vom Abstande seiner Netzhautbilder von der vertikalen, bezie- hentlich horizontalen Trennungslinie, welchen Abstand man eben als Höhen- und Breitenwerth bezeichnen kann: so wird Jeder zugeben müssen, dass damit ganz und gar nichts Hypotheti- sches, sondern nur ein allgemeiner Ausdruck für Thatsächliches gegeben ist. Ganz ebenso verhält es sich mit dem Satze von den Tiefenwerthen, der nur deshalb »icht so auf der Hand liegt, weil die symmetrische Anordnung der identischen Tie- fenwerthe eine fortwährende gegenseitige Beeinträchtigung der beiden Tiefenwerthe der Einzelbilder eines einfach gesehenen Doppelbildes mit sich bringt. Dadurch werden die ursprüng- lichen Tiefenwerthe verdeckt, was bei den congruent angeord-

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 159

neten Höhen- und Breitenwerthen bei Weitem nicht so, und wenn die Bilder correspondirend liegen, gar nicht der Fall ist.

Allgemeines Gesetz der Localisation binocularer Netzhautbilder.

Im vorigen Abschnitte wurde gezeigt, dass einfach gesehene binoculare Bilder, gleichviel ob sie auf correspondirenden oder disparaten Netzhautstellen liegen (bei Ausschluss aller auch beim einäugigen Sehen wirksamen Motive der Tiefenauslegung) diejenige scheinbare Tiefe haben, welche dem arithmetischen Mittel der Tiefenwerthe ihrer Einzelbilder entspricht. Genau das Analoge gilt nun auch in Betreff der scheinbaren Höhe und Breite eines solchen Bildes. Die scheinbare Höhe (oder Breite) eines auf correspondirenden Stellen abgebildeten Punktes entspricht dem arithmetischen Mittel der’Höhen- (oder Breiten-) werthe der beiden Einzelbilder,; da diese Werthe in diesem Falle gleich sind, so ist auch ihr arithmetisches Mittel jedem der beiden Einzelwerthe gleich, d. h. das einfach gesehene Bild erscheint unter derselben Höhe (oder Breite), unter der es auch erscheinen würde, wenn es nur mit einer Netzhaut gesehen würde. Bildet sich dagegen ein Aussenpunkt auf disparaten Stellen ab und wird gleichwohl einfach gesehen, so erhält er, wie aus den stereoskopischen Versuchen zur Genüge bekannt ist, eine scheinbare Höhe (und Breite), welche das Mittel der Höhen (und Breiten) ist, die den beiden Einzelbildern zukom- men würden.

Und so lässt sieh denn schliesslich ganz allgemein folgendes Gesetz aussprechen:

Die binocularen, eorrespendirend oder disparat gelegenen, einfach gesehenen Netzhautbilder wer- den ("bei Ausschluss aller anderweiten, in der Erfah- rung u. s. w. begründeten Motive der Localisation) an dem Orte relativ zum Kernpunkte des Sehraumes gesehen, welcher bestimmt wird durch die arıthme- tischen Mittel je der Höhen-, Breiten- und Tiefen-

160 Ewald Hering:

werthe der beiden als eines erscheinenden Netzhaut- bilder.

Hierbei ist selbstverständlich weiterer Untersuchung vorbe- halten, nach welchem Verhältniss die positiven und negati- ven Höhen-, Breiten- und Tiefenwerthe der Netzhautstellen wachsen mit dem Abstande der letzteren von der bezüglichen Trennungslinie; und zweitens ist vorausgesetzt, dass man die mit der scheinbaren Ferne des Kernpunktes wachsende Grösse aller Raumwerthe der Netzhaut überhaupt bedenke.

Somit wäre denn die grosse Mannichfaltigkeit der Thatsa- chen des räumlichen Binocularsehens unter ein ganz allgemei- nes, alle drei Dimensionen des Raumes umfassendes Gesetz ge- bracht, ein Gesetz, welches man überall bestätigt finden wird, so oft man die Netzhautbilder lediglich auf Grund ihrer selbst, nicht auf Grund anderweiter Erfahrungen, Schlüsse u. s. w. lo- calisiren muss. Mischen sich letztere mit ein, was man meist leicht erkennt, weil sie dann auch bei nur monocularem Sehen wirksam sind, so wird selbstverständlich die nach obigem Ge- _ setze zu erwartende Localisation mehr oder weniger, bisweilen sehr bedeutend alterirt. Dabei hört die Kernfläche, welche die Gesammtheit des correspondirend Abgebildeten enthält, meist auf, eine zur Medianlinie vertikale Ebene zu sein, ihre Bilder unterliegen der auf Erfahrung und Urtheil gegründeten Tiefen- auslegung ganz ebenso wie die Bilder des monocularen Sehfel- des, welches ursprünglich auch eine vertikale stehende Fläche ist. Doch bleibt auch dann noch das, was nach den Tiefen- werthen der Bilder hinter die Kernfläche verwiesen ist, hinter ihr, was vor ihr zu erscheinen hat, vor ihr, wenngleich sie selbst so zu sagen verzerrt und verschoben ist.

Wie die binocularen Raumwerthe zu erklären sind, d. h. wodurch jedes Doppelnetzhautbild uns den Zwang auflegt, es unter einer bestimmten Höhe, Breite und Tiefe relativ zum scheinbaren Orte des Fixationspunktes zu sehen, dies war hier nicht zu untersuchen, wo es mir nur um Darlegung der Gesetze zu thun war, nach denen die Localisation erfolgt. Ich gedenke später selbst in diesen Blättern einen Versuch zu machen, diese Gesetze theoretisch zu erklären.

Die Gesetze der binoeularen Tiefenwahrnehmung. 161

Zuvörderst möge man an dem blossen, aus der Erfahrung abstrahirten Gesetze Genüge finden, es nach allen Seiten hin prüfen, und dabei über den mannichfaltigen kleinen Correetu- ren, die esim Einzelnen erheischt, während ich es hier nur in seinen wesentlichen Zügen gezeichnet habe, diese letzteren, d.h. also die Hauptsache nicht vergessen. Denn dies wäre nicht besser, als wenn man das Gesetz der geradlinigen Bewegung des Lichtes darum verwerfen wollte, weil unter Umständen Beugung eintritt.

Ich behalte mir vor, diese Correcturen später selbst ausführ- lich zu besprechen. Es bedarf z. B. einer besonderen Unter- suchung, in wie weit wir annehmen dürfen, dass alle Punkte eines Querschnittes denselben Höhenwerth, alle Punkte eines Längsschnittes denselben Breiten- und Tiefenwerth haben. Dass es für die mittlere Netzhaut sehr angenähert gilt, ist bekannt. Ferner ist zu untersuchen, nach welchem speciellen Gesetze die Höhen-, Breiten- und Tiefenwerthe mit dem Abstande der Netz- hautpunkte an der bezüglichen Trennungslinie wachsen; dass sie überhaupt mit demselben wachsen, steht fest. Nach Kundt’s Versuchen!) ist es wahrscheinlich geworden, dass die Breiten- werthe auf der äusseren Netzhauthälfte etwas rascher wachsen, als auf der inneren, womit die bei Versuch I. in einer Anmer- kung mitgetheilte Beobachtung in Einklang sein würde. Auch gehört hierher die von v. Recklinghausen, Volkmann und Helmholtz besprochene Incongruenz in der Anordnung der correspondirenden Richtungslinien u. A. m.

Vom Einfachsehen binocularer Bilder.

Zum Schluss noch einige Bemerkungen über das Einfach- sehen correspondirender und das sogenannte „Verschmelzen * disparater Bilder. Beides habe ich im Obigen kurzweg in Pa- rallele gebracht; es zeigen sich aber zwischen Beiden wesent- liche Verschiedenheiten.

1) Poggendorff’s Annalen der Physik, Bd. CXX., 1863, $. 118. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 11

1623 Ewald Hering:

Das Einfachsehen mit correspondirenden Stellen fällt unter das ausnahmslos gültige Gesetz, dass die gleichzeitigen Erre- gungen zweier solcher Stellen stets nur eine einfache Empfin- dung auslösen. Was man auch auf Grund ungenauer Beobach- tungen, die ich (a. a. O. 5. 81—108) ausführlich kritisirt habe, behauptet hat, so ist doch kein einziges Beispiel bekannt, dass Jemand mit normalen Netzhäuten die beiden Lichtreize eines physiologisch correspondirenden Stellenpaares gleichzeitig ge- sondert neben einander empfundeg hätte. Sind die beiden gleichzeitigen Reize verschieden, so kann man sie abwech- selnd jeden in voller (oder angenäherter) Reinheit empfinden, und dazwischen treten sogenannte Mischempfindungen, nie aber doppelte, räumlich gesonderte Empfindungen auf. Man kann, wie ich zeigte, die Bilder correspondirender Stellen, wenn sie nicht congruent sind, hinter einander sehen, ebenso wie man auch mit nur einem Auge so zu sagen doppelt sehen kann, wenn man mittelst eines durchsichtigen Spiegelglases zwei Bil- der, ein direct gesehenes und ein gespiegeltes auf dieselben Netzhautstellen fallen lässt: aber dieses Doppeltsehen entsteht hier wie dort nur dadurch, dass wir die an sieh doch raum- und farblosen Contouren beider Bilder durch unser Urtheil son- dern. Die die Contouren ausfüllenden Farben aber bleiben stets einfach und man sieht sie abwechselnd bald die nähe- ren bald die ferneren Umrisse füllen, je nachdem die Aufmerk- samkeit hier oder dort ist. Bildet sich z. B. auf correspondi- renden Stellen links ein entfernteres blaues, rechts ein nähe- res gelbes Object ab, und sehen wir beide Bilder hintereinan- der, so helfen oft Theile des im Wettstreite eben siegreichen Gelb des vorderen Objectes die Contouren des hinteren füllen und umgekehrt, obwohl hier die beste Gelegenheit wäre, die in verschiedenen Fernen vorgestellten Bilder nun auch doppelt d. h. jedes in seiner Farbe zu empfinden. Dies beweist, dass das Einfachempfinden mit correspondirenden Stellen nicht Folge eines Urtheils ist, welches beide Bilder an dieselbe Stelle verlegt.

Daher habe ich gesagt, das Einfachsehen oder vielmehr Ein-

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 163

fachempfinden mit correspondirenden Stellen sei obligatorisch, Keine Uebung und keinerlei Kunstgriff macht es möglich, zwei gleichzeitige verschiedene Reize solcher Stellen gleichzeitig ge- sondert neben- oder hintereinander zu sehen.

Das Einfachsehen mit disparaten Stellen ist dagegen so zu sagen nur facultativ, d. h. Uebung und allerlei Kunstgriffe können uns fähig machen, das doppelt zu sehen, was beim ge- wöhnlichen Sehen einfach erscheint, d.h. ein ursprünglich ein- fach gesehenes Doppelbild in zwei gesondert erscheinende Trug- bilder aufzulösen.

Entschieden muss ich mich nun gegen jene Auffassung aus- sprechen, welche das Einfachsehen mit disparaten Stellen für eine Sache der Angewöhnung und Erfahrung hält. Das heisst meiner Ansicht nach das richtige Verhältniss umkehren. Ueberall finden wir, dass nicht sowohl die Verbindung, als vielmehr die Auflösung, Sonderung eines Complexes nahverwandter Empfin- dungen ein Ergebniss der Uebung ist. Die beiden Einzelbilder eines Doppelbildes aber sind stets einander nah verwandte Em- pfindungen, sowohl in Betreff ihrer Raumwerthe als der Licht- qualitäten, daher es schwer wird, sie zu sondern. Wie aber der Physiologe am Ende einer langen Versuchsreihe feinere Di- stanzen unterscheidet, als im Anfange, so unterscheidet auch der im Auflösen von Doppelbildern Geübte zwei Bilder da, wo der Ungeübte einfach sieht. Der Raumwerth eines einfach ge- sehenen Doppelbildes aber ist natürlich bestimmt durch die Raumwerthe beider Einzelbilder, etwa so, wie die Klangfarbe eines Tones bestimmt ist durch die Gesammtheit der gleich- zeitig erklingenden Töne, die der Ungeübte für einen einfa- chen Ton nimmt, während der Geübte sie vielleicht einzeln zu unterscheiden vermag.

Volkmann und Burckhardt haben zum Beweise dafür, dass das Einfachsehen disparater Bilder das Ergebniss eines Schlusses, also „psychologisch“ zu erklären sei, Versuche ange- führt, bei welchen unter dem Stereoskope Bilder, die anfangs einfach erschienen, dann als doppelt unterschieden wurden, wenn ihre Aehnlichkeit irgendwie in Form oder Farbe gemin-

12%

164 Ewald Hering:

dert wurde. Aber was ist erklärlicher, als dass zwei Empfin- dungen, wenn man sie unähnlicher, d. h. unterscheidbarer macht, nun auch leichter unterschieden werden ?

Burckhardt sagt in seinem trefflichen Aufsatze über „die Empfindlichkeit. des Augenpaares für Doppelbilder*): „Was ich mir durch Uebung und sorgfältige Beobachtung ab gewöhnen kann, das darf ich auch als durch Angewöhnung erworben be- trachten.“ Keineswegs.. Wenn ich nach einiger Uebung im ‚Unterscheiden kleiner Distanzen die Berührung zweier Zirkel- spitzen doppelt empfinde, obgleich ich sie früher nur einfach empfand, so wird doch Niemand sagen wollen, dass dies frü- here Einfachempfinden Folge einer Angewöhnung gewesen sei, die ich nun erst wieder abgelegt hätte; oder wenn ich durch fleissige Uebung meines musikalischen Gehörs in einem Ton- complexe, den ich früher für einfach nahm, mehrere Töne un- terscheiden lerne, so kann das frühere Einfachempfinden auch nicht Sache einer Angewöhnung gewesen sein.

Eine physiologische Erklärung der Thatsache,, dass ver- wandte gleichzeitige Empfindungen schwer gesondert werden, weiss ich freilich nicht zu geben; auch kam es hier nur darauf an, das Einfachsehen mit disparaten Stellen mit anderen That- sachen der Empfindung in Parallele zu bringen. Jene „psy- chologische Erklärung“ ist doch eigentlich auch keine Erklä- rung. Ebensowenig weiss ich zu erklären, warum wir mit cor- respondirenden Stellen einfach empfinden müssen. Es wäre von höchstem Interesse zu wissen, ob auch verschiedenfar- bige Bilder disparater Stellen, falls sie einfach gesehen würden, den Wettstreit der beiden Farben zeigten. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass sich dies kaum mit Sicherheit wird entscheiden lassen.

Jedenfalls also halte ich das Einfachsehen mit disparaten Stellen für ebenso ursprünglich, wie das mit correspondirenden Stellen. Während aber letzteres aus einem völlig unbekannten Grunde auch im späteren Leben stets unausbleiblich ist, kann

1) Poggendorff’s Annalen der Physik, Bd. CXIL, 1861, S. 596.

Die Gesetze der binocularen Tiefenwahrnehmung. 165

ersteres durch Uebung im feineren Unterscheiden indirecter Bilder mehr und mehr beschränkt werden. Dies ist nicht blos eine Ansicht, sondern dafür zeugen die Thatsachen.

Ob man aber aus philosophischen Gründen die räumliche Auslegung unserer Empfindungen überhaupt für etwas Erwor- benes oder aber für ein unmittelbares Ergebniss der Empfin- dung halten will, ist für den Werth oder Unwerth der im Obi- gen entwickelten Gesetze völlig gleichgültig; ebenso die Frage, worin die Raumwerthe oder Lokalzeichen eigentlich bestehen. Ich habe oft gelesen, wie aus intensiven Empfindungen exten- sive erzeugt werden, wie das Sehfeld und wie die dritte Di- mension „entsteht“, aber ich habe es bis jetzt nicht verstanden; und deshalb begnüge ich mich damit, einzugestehen, dass ich es ebensowenig zu erklären vermag, wie die Entstehung einer

Licht- oder Tonempfindung.

166 B. Naunyn:

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters.

=

Von

Dr. B. Naunyn, Assistent an der medieinischem Universitätsklinik zu Berlin.

Nachfolgende Arbeit wurde in dem Laboratorium der hiesi- gen medicinischen Universitäts-Klinik in der Charite ausgeführt. Die zur Untersuchung gekommenen Flüssigkeiten wurden zum grössten Theile auf ersterer,‘ deren reiches Material mir ihr Dirigent, Herr Geheimrath Frerichs, mit grösster Liberalität zur freiesten Benutzung überliess, gewonnen.

Ueber die chemischen Bestandtheile der in den normal vor- handenen oder krankhaft gebildeten Höhlen des thierischen, speciell des menschlichen Körpers als Product pathologischer Vorgänge vorkommenden Flüssigkeiten liegen bereits sehr zahl- reiche und zum Theil sehr umfassende Untersuchungen vor.

Dieselben erstrecken sich jedoch meist nur auf den Gehalt der fraglichen Flüssigkeiten an Albumin und anorganischen Salzen. In dieser Beziehung ist es durch die Untersuchungen von C©. Schmidt‘), Lehmann’), Frerichs°), Hoppe‘) und anderer Forscher längst festgestellt, dass diese pathologischen

1) ©. Schmidt, Zur Kenntniss des vegetativen Lebens. Th. 1. Zur Charakteristik der epidemischen Cholera. Leipzig und Mitau.

2) Lehmann, Lehrbuch der physiologischen Chemie, Leipzig 1852, und Lehmann, Handbuch der physiologischen Chemie, Leipzig 1859.

3) Frerichs: Die Bright’sche Nierenkrankheit, Braunschweig 1851,

4) Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie. Bd. VII. Bd. IX, Bd, XVI.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 167

Flüssigkeiten in ihrer chemischen Zusammensetzung sich eng der des Blutserums anschliessen. Es sind namentlich von C. Schmidt!) (a. a. OÖ.) einige zum Theil durch vielfach überein- stimmende Erfahrungen zu hoher Geltung erhobene Gesetzmäs- sigkeiten erkannt, welche die Transsudate in ihrem Gehalt an Albumin und anorganischen Salzen je nach dem Orte und dem Modus ihres Entstehens, sowie nach der Zeitdauer ihres Beste- hens und der gleichzeitigen chemischen Beschaffenheit des Blut- serums zeigen.

Weniger reichhaltig und durchaus zur Feststellung solcher allgemeiner Gesichtspunkte nicht ausreichend sind die Kennt- nisse, welche wir von den fraglichen Flüssigkeiten haben in Bezug auf jene zahlreichen Producte des thierischen Stoffwech- sels, wie Harnstoff, Harnsäure, Xanthin u. s. w.

Harnstoff ist schon seit langer Zeit wiederholt in pathologi- schen Transsudaten gefunden worden und namentlich in sol- chen, die aus an Morbus Brightii erkrankten Individuen stamm- ten?) So von Nysten?), Rees®), Marchand°), Simon®),

1) Dass namentlich das Gesetz, welches C. Schmidt für die Ab- hängigkeit des Eiweissgehaltes der Transsudate vom Orte der Trans- sudation aufstellte, nicht unbedingt allgemein gültig ist, wurde schon von Lehmann, Frerichs, Hoppe hervorgehoben. Auch nachfol- gende Untersuchungen erweisen dies (Nr. XV.)

2) Man hat namentlich in solchen Fällen eine quantitative Bestim- mung des Harnstofies versucht. Es scheinen die Resultate dieser Be- stimmungen wegen der in diesen Flüssigkeiten dem Harnstoff ge- genüber in kolossal überwiegender Masse vorhandenen anorganischen Substanzen wenig Vertrauen erweckend. Jedenfalls ist es vorläufig völlig unzulässig, die von Liebig für den Harn angegebene Titrir- methode ohne Weiteres auf die Transsudate anzuwenden, wie dies von Redtenbacher (Ueber die Zusammensetzung hydropischer Trans- sudate bei Lebereirrhose, Inaug.-Dissert., Giessen 1858) geschehen.

Ich selbst habe diese Titrirversuche mehrfach wiederholt. Die durch salpetersaures Quecksilberoxyd erhaltenen Niederschläge bestan- den jedoch, wie sich nach der Zersetzung derselben erwies zum aller- grössten Theile aus anorganischer (unverbrennlicher) Substanz.

3) Journal de Chimie medic. 2e Serie, Tome III.

4) Cfr. Frerichs, Die Bright'sche Nierenkrankheit, $. 82,

5) Journal für pract. Chemie, Bd. 11.

6) Medicin, Chemie.

168 B. Naunyn:

Frerichs'), Lehmann?), Schmidt?), Heller‘), Neukomm‘?) und vielen Andoren®).

‘Auch Harnsäure wurde mehrfach in verschiedenen Transsu- daten gefunden, so früher von Heller’), in neuerer Zeit von Neukomm?°) und Liebermeister®°).

Zucker ist als constanter Bestandtheil der Transsudate aus Diabetikern längst bekannt; in den Transsudaten aus nicht dia- betischen Individuen ward er häufig (meist jedoch nur durch die Trommer’sche Reaction) nachgewiesen, eben so häufig in- dessen vermisst.!%) In den Transsudaten aus icterischen Indi- viduen wurden einzelne Bestandtheile der Galle, namentlich die Gallenfarbstoffe häufig beobachtet (Lehmann, a. a. O.).

Kreatin und Kreatinin sollen nach den Beobachtungen Schottin’s!!) einen constanten Bestandtheil aller Transsudate bilden; doch verdient diese Behauptung bei der vollkommen fehlenden Angabe der Methode wenig Vertrauen.

In der aus Echinococcencysten gewonnenen Flüssigkeit wurde schon vor längerer Zeit durch Heintz'?) und Bödeker'®), auch neuerlich mehrfach Bernsteinsäure nachgewiesen. Später wurde in derselben Flüssigkeit aus Thieren constant Inosit!*) gefunden

1) a. a.0. und Klinik der Leberkrankheiten.

2), 22.32.0;

3) a2 2.0.

4) Heller’s Archiv für physiol. Chemie u. Mikkoskopie, 1844.

5) Ueber das Vorkommen von Leucin und Tyrosin u. s w. Ar- chiv f. Anatomie u.s. w. von Reichert u. du Bois-Reymond, 1860,

6) So Grohe, Heiker, Kletzinsky, Müller, Hoppe u.s. w.

7).a. 0

8) a. a.0.

9) Beiträge z. pathol. Anatomie u. Klinik d. Leberkrankheiten, 1864.

10) Frerichs, Neukomm, Heller, Kletzinsky, Lehmann, Hoppe u.s. w., a.a. 0.

11) E. Schottin, Ueber die Ausscheidung von Kreatin und Krea- tinin durch Harn und Transsudate. Archiv für Heilkunde, 1860.

12) Jenaische Annalen der Physiologie und Medicin, Bd.I. Pog- gendorff’s Annalen, Bd. 80.

33) Henle und Pfeuffer’s Zeitschr. £. rat. Med. N. F.-Bd. VII.

14) Naunyn, Ueber die Bestandtheile der Echinococcenfllüssigkeit. Archiv £. Anat. u.s. w. von Reichert u. duBois-Reymond, 1863.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters, 169

und durch die Erfahrungen von Wyss!) das Vorkommen die- ser Substanz auch für die Echinococcenflüssigkeiten vom Men- schen bestätigt. ;

W. Müller?), Kletzinsky°) und G@. Fischer*) fanden in Hydrocele- resp. Ovarialeystenflüssigkeit eine organische Säure, deren Identität mit Bernsteinsäure sehr wahrscheinlich war.

Simons?) fand in einer „mit klarer Flüssigkeit gefüllten Cyste aus dem Bulbus olfactorius eines Pferdes * zahlreiche „Krystalle von oxalsaurem Kalk.“

Bödeker °) konnte im Eiter wiederholt Leucin, Neu- komm’) in einem eitrigen Pleuraexsudate Leucin und Tyrosin, Frerichs°) in einer klaren Aseitesflüssigkeit geringe Mengen von Leucin mit Sicherheit nachweisen.

Viele dieser Angaben, namentlich die Eingangs erwähnten scheinen dafür zu sprechen, dass die Transsudate sich in ihrer chemischen Zusammensetzung auch in Bezug auf die hier in Rede stehenden Substanzen eng der des Blutserums anschlies- sen. Andere, so namentlich die über die Zusammensetzung der Echinococcenflüssigkeiten gemachten, welche freilich keineswegs ohne Weiteres für die Chemie der Transsudate überhaupt ver- werthet werden dürfen, lassen der Ansicht Raum, dass in den Transsudaten wenigstens unter gewissen, noch nicht näher be- stimmten Bedingungen chemische Umwandlungen eigenthümli- cher Art vor sich gehen.

Die Beantwortung der Frage, ob solche chemische Umwand- lungen in den Transsudaten überhaupt stattfinden und ob und in welcher Weise dieselben den in klinischer wie in anatomischer

1) Mündliche Mittheilung.

2) Ueber die Zusammensetzung der Hydroceleflüssigkeit. Henle und Pfeuffer, Zeitschrift f. rat. Mediein. N. F. Bd. VII.

3) Heller’s Archiv, 1852.

4) Beiträge zur Frage über die Entstehung des Zuckers im thie- rischen Körper. Inaug.-Dissert. Göttingen 1859. Henle u. Meiss- ner’s Jahresbericht 1859.

5) Scherer’s (Canstatt’s) Jahresbericht pro 1852.

6). au

2: 2.0:

8) Klinik der Leberkrankheiten, Bd, II,

170 B. Naunyn:

Hinsicht bekannten Verschiedenheiten jener Flüssigkeiten ent- sprechen, wurde in Nachfolgendem anzubahnen versucht.

Die betreffenden Flüssigkeiten wurden meist durch Punction aus dem Lebenden oder kurz (5—10 Minuten) nach dem Tode gewonnen. Zum Theil wurden dieselben erst bei der Section aus der Leiche entnommen.

Bei der Untersuchung wurde im Wesentlichen die von Stä- deler und seinen Schülern angegebene Methode befolgt. Im Allgemeinen war der Gang der Untersuchung folgender.

Die betreffenden Flüssigkeiten wurden (bei sehr bedeuten- dem Albumingehalt nach Wasserzusatz) im Wasserbade bis auf 930—95° erhitzt, bis unter Hinzufügung von in sehr wechseln- der Menge erforderlicher Essigsäure eine flockige Gerinnung er- folgte. In einzelnen Fällen war eine solche überhaupt nicht zu erreichen; dann ward die Flüssigkeit von dem klumpig ge- ronnenen Eiweiss durch Leinwand abgepresst, das rückblei- bende Eiweiss mit viel Wasser nochmals bis fast zum Kochen erwärmt und die Flüssigkeit abfiltrirt. Die vorhin durch Abpressen erhaltene Flüssigkeit ward durch: Erhitzen bis zum Kochen vollständig desalbuminisirt und nochmals filtrirt.

Die vereinigten Filtrate, oder im Falle einer guten flockigen Gerinnung die sofort genügend desalbuminisirt erhaltene Flüs- sigkeit, wurden auf dem Wasserbade in grossen Schaalen mög- lichst schnell bis zur dicken Syrupsconsistenz eingedampft; der erhaltene Syrup mit Alkohol von 90°/, gekocht; die alkoholische Lösung ward abfiltrirt, das Filter mit verdünntem Alkohol aus- gewaschen. Der Rückstand vom Alkoholextract ward dann mit Wasser extrahirt und heiss filtrirt.

Beide Extracte wurden stets gesondert untersucht.

Das alkoholische Extract ward abgedampft.!) Der Rückstand ward in der Kälte mit Alkohol absolutus extrahirt, die ge- wonnene Lösung so lange mit Aether versetzt, als noch eine Trübung erfolgte. Die aetherische Lösung ward abgegossen

1) Das Abdampfen wie ähnliche Operationen wurde selbstverständ- licher Weise stets auf dem Wasserbade vorgenommen.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters, 171

und zum dicken Syrup eingedampft. Der erhaltene Syrup ward mit wenig Wasser extrahirt.

Zu der filtrirten wässrigen Lösung wurde dann Salpeter- säure hinzugefügt, bis sich, was öfter erst nach geringem Ein- engen über Schwefelsäure geschah, Krystalle von salpetersau- rem Harnstoff ausschieden. Dieselben wurden stets mit dem Mikroskope auf ihre Krystallform und auf ihre Verbrennlichkeit geprüft. In einzelnen Fällen wurden dieselben in Wasser ge- löst, die Lösung mit Lösung von salpetersaurem Quecksilber- oxyd versetzt. Der Niederschlag ward durch Schwefelwasser- stoff zersetzt, die erhaltene Lösung über Schwefelsäure zur Kry- stallisation eingeengt; es schieden sich dann wieder verbrenn- liche Krystalle von der Form des salpetersauren Harnstoffs aus. In einzelnen Fällen wurde der in Wasser unlösliche Theil des nach .Abdunsten des aetherischen Extractes erhaltenen Syrups, in welchem die stets reichlich vorhandenen Myelinformen mit, wie Beneke angiebt, fast genügender Sicherheit die Gegen- wart von Cholestearin erwiesen, mit alkoholischer Kalilösung tüchtig gekocht; die erhaltene Lösung ward mit Aether ver- setzt, so lange noch eine Trübung entstand. Nach dem Ver- dunsten der vorsichtig abgegossenen aetherischen Lösung schie- den sich Krystalle aus, die an Form, und durch die Reaction mit Schwefelsäure und Jod als Cholestearin erkannt wurden.

Die durch Aether aus der absolut-alkoholischen zur Dar- stellung des Harnstoffs benutzten Lösung gefällten Substanzen, sowie der im absoluten Alkohol unlösliche Theil des ersten Al- koholextractes, d. h. alle in letzterem enthaltenen Bestandtheile nach Abzug des Harnstoffs und Cholestearins, wurden vereinigt, mit Wasser aufgenommen und in der essigsauren Lösung mit essigsaurem Kupferoxyd zum Kochen erwärmt.!)

Der erhaltene flockige, schmutzig braune Niederschlag ward

1) Es ward zur Darstellung des Xanthins dieser Weg der von Staedeler angegebenen Fällung durch essigsaures Quecksilberoxyd vorgezogen, um die bei letzterem Verfahren durch die vorhergehenden Fällungen durch neutrales und basisch essigsaures Bleioxyd beding- ten Verluste an jener Substanz zu vermeiden,

172 B. Naunyn:

gesammelt, sorgfältig ausgewaschen, in Wasser suspendirt, durch Schwefelwasserstoff zersetzt; die erhaltene Lösung erwärmt, fil- trirt, auf ein geringes Volum eingeengt. Es schied sich ein feines braunes Pulver aus, welches, unter dem Mikroskope be- trachtet, kleine knollige oder kugelige Massen zeigte ; dasselbe löste sich in Salpetersäure unter Gasentwickelung und hinter- liess nach dem Eindampfen mit dieser Säure einen ceitronen- gelben Fleck, der sich nach dem Hinzubringen von Kalilauge rothgelb färbte.

Das braune Pulver löste sich in Wasser schwer, leicht in Ammoniak. Die ammoniakalische Lösung liess auf Zusatz von Höllensteinlösung ein flockiges Sediment von bläulich - gelber Farbe fallen. Dasselbe ward in warmer concentrirter Salpeter- säure gelöst. Beim Erkalten entstand ein leichter, bläulich- weisser Niederschlag. Unter dem Mikroskop betrachtet, zeigte derselbe die äusserst charakteristischen Formen des salpeter- sauren Xanthinsilberoxyds, feine zum Theil etwas gebogene, zu dichten Sternen gruppirte Nädelchen.

In mehreren Fällen ward der erhaltene Niederschlag von salpetersaurem Xanthinsilberoxyd gesammelt, ausgewaschen, in Wasser suspendirt, durch Schwefelwasserstoff zersetzt. Die heiss filtrirte Lösung ward eingedampft, der Rückstand in ammoni- akalischem Wasser gelöst. Beim Neutralisiren der Lösung durch Essigsäure fiel ein schneeweisses Pulver nieder, welches die Scheerer’sche Xanthinreaction mit Salpetersäure und Kali in der unzweifelhaftesten Weise gab. Es darf demnach diese Substanz als Xanthin angesehen werden; eine Verwechselung könnte nur mit dem sehr ähnlichen Hypoxanthin statthaben. Ob vielleicht von letzterer Substanz neben den grösseren Men- gen Xanthins Spuren vorhanden waren, ist nicht zu entschei- den; in der aus der ammoniakalischen Lösung des betreffenden Körpers erhaltenen Silberverbindung fanden sich mitunter For- men, die dem salpetersauren Hypoxanthin-Silberoxyd sehr ähn- lich waren. Zu einer etwaigen Trennung waren die vorhande- nen Mengen überall zu gering.

Das Filtrat von dem durch essigsaures Kupferoxyd erhalte- nen Niederschlage ward nach einander mit neutralem und ba-

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 173

sisch essigsaurem Bleioxyd behandelt, die Niederschläge wohl ausgewaschen. Der Niederschlag durch basisch essigsaures Bleioxyd nach etwa 24stündigem Stehen gesammelt, in Was- ser suspendirt, durch Schwefelwasserstoff zersetzt und nochmals filtrirt.

Das Filtrat zur Syrupsconsistenz eingeengt, wobei viel salz- saure Dämpfe entwichen, gab, mit absolutem Alkohol versetzt, oft krystallinische unverbrennliche Niederschläge von der dem Inosit sehr ähnlichen Krystallform des Gypses. Inosit, ebenso Bernsteinsäure ward nie gefunden.

In einigen Fällen ward das Filtrat von dem durch basisch essigsaures Bleioxyd erhaltenen Niederschlage mit Ammoniak im Ueberschuss versetzt. Aus dem entstandenen Niederschlage ward nach der, wie im Vorigen angegeben, vorgenommenen Zer- setzung u. s. w. in zwei Fällen Tyrosin gewonnen.

Es scheint dieses Verfahren da, wo neben gleich- zeitig reichlich vorhandenem Leucin sich sehr ge- ringe Mengen Tyrosin finden zum Nachweise des letzteren, welches dann aus dem stark leucinhalti- gen Syrupe sehr schwierig oder gar nicht krystalli- sirt, recht geeignet.

In weitaus den meisten Fällen ward das Filtrat vom ersten durch basisch essigsaures Bleioxyd allein erhaltenen Nieder- schlage sogleich durch Schwefelwasserstoff vom Blei befreit. Die Lösung filtrirt zum Syrup eingedampft.

Waren in dem Syrup, wie dies meist der Fall war, reich- liche Mengen anorganischer essigsaurer Salze vorhanden , so wurden dieselben aus dem in Alkohol von 90°/, stets vollkom- men gelösten Syrupe in der von Neukomm!) angegebenen Weise durch Schwefelsäure entfernt. Der so von den essigsau- ren Salzen befreite, oder beim Mangel grösserer Mengen dieser störenden Substanzen der direct erhaltene Syrup wurde längere Zeit hindurch sich selbst überlassen.

Das etwa anschiessende Leucin und Tyrosin ward in der

1) A. 2.0.

174 B. Naunyn:

bekannten Weise getrennt, gereinigt, und an Verbrennlichkeit, Krystallform, und der stets vollkommen charakteristisch erhal- tenen Scheerer’schen, resp. Piria’schen Reaction erkannt.

Neben Leucin und Tyrosin schied sich nie irgend etwas Be- merkenswerthes aus.

Der nach ungefähr acht Tage langem Stehen vom etwaigen Leuein und Tyrosin befreite Syrup ward zur Untersuchung auf Kreatin und Kreatinin benutzt. Er ward längere Zeit mit Salz- säure erhitzt ; die überschüssige Salzsäure durch kurzes Dige- riren mit Bleioxyd bis zur alkalischen Reaction entfernt, di® Lösung nach dem Erkalten abfiltrirt, und von dem in geringer Menge gelösten Chlorblei und Bleioxyd befreit, das gebildete Schwefelblei durch Filtriren entfernt. Die erhaltene Lösung ward abgedampft. Der Rückstand noch warm mit Alkohol von 90°/, behandelt, blieb einige Stunden in der Kälte stehen. Dann ward die alkoholische Lösung abfiltrit, mit essigsaurem Natron und einigen Tropfen alkoholischer Chlorzinklösung versetzt. Niemals, auch nach heftigem Umrühren und wochenlangem Stehen nicht, ward ein krystallinischer Niederschlag erhalten.

Kreatin und Kreatinin konnten also in den untersuchten Flüssigkeiten nie nachgewiesen werden.

Das wässerige Extract aus den in Alkohol unlöslichen Be- standtheilen der untersuchten Flüssigkeit ward zur gesonderten Untersuchung auf Bernsteinsäure und Harnsäure getheilt.

Der zur Darstellung der Harnsäure verwandte Theil ward nach einander mit neutralem und basisch essigsaurem Bleioxyd behandelt. Der durch letzteres erhaltene Niederschlag ward nach 24stündigem Stehen gesammelt in erwähnter Weise zer- setzt. Aus der heiss filtrirten Lösung schied sich nach dem Einengen auf ein kleines Volum beim Erkalten ein verbrenn- liches gelbes krystallinisches Pulver ab, welches unter dem Mi- kroskop die Formen der Harnsäure zeigte und, mit Salpeter- säure abgedampft, mit Ammoniak und Kalilauge die für Harn- säure charakteristischen Färbungen in deutlicher Weise gab.

Der zur Darstellung der Bernsteinsäure bestimmte Theil des wässerigen Extractes ward zum Syrup eingedampft, noch warm mit Salzsäure oder Schwefelsäure im Ueberschuss versetzt und

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 175

mit alkoholhaltigem Aether noch warm wiederholt geschüttelt, ‚die aetherische Lösung abgegossen. In dem nach Verjagen des Aethers bleibenden Rückstande wurden meist nur fettige Sub- stanzen, keine Krystalle erhalten.

Waren Krystalle erhalten worden, deren anorganische Natur irgend zweifelhaft sein konnte, so wurde der betreffende Rück- stand mit Kalkmilch bis zur alkalischen Reaction erwärmt; die erhaltene Lösung warm filtrirt, ward eingedampft, zunächst mit Alkohol von 90°/,, dann. mit Wasser extrahirt; beide Ex- tracte gaben nach dem Einengen und dem Versetzen mit Salz- säure nie irgend Bemerkenswerthes.

Die positiven wie die negativen, bei den im Nachfolgenden einzeln angeführten Fällen gemachten Angaben, sind die Resul- tate in dieser Weise ausgeführter Untersuchungen. Wurde, wie es in einzelnen Fällen geschah, zur Darstellung einzelner Sub- stanzen ein anderer Weg eingeschlagen, so ist dies besonders bemerkt. Auf die in den einzelnen Fällen nicht erwähnten Substanzen wurde bei der betreffenden Untersuchung nicht be- sonders geprüft.

Dies ist leider namentlich im Beginne der Arbeit häufig ge- schehen, da sich erst im Verlaufe derselben der angegebene Gang der Analyse als allseitig brauchbar herausstellte.

In Bezug auf Inosit, Bernsteinsäure, Kreatin und Kreatinin sind wegen des stets negativen Befundes im Allgemeinen die besonderen negativen Angaben nicht gemacht.

Dennoch wurde auf Inosit in allen Fällen, auf Bernsteinsäure EI NEON RU RT RI RTV, X VIRVE RER ERKXL,, auf Kreatin und Kreatinin in Nr. X., XI., XIH., XIV., XV., XVIL, XIX., XXV.—XXIX. ganz besonders in der angegebenen Weise gesucht. Irgend bedeutende Mengen dieser Substanzen konnten auch in den meisten der hier nicht besonders ange- führten Fälle nicht übersehen-werden ; da die Bernsteinsäure in dem fast überall durch basisch essigsaures Bleioxyd bewirk- ten Niederschlage, das Kreatin oder Kreatinin in dem hinter den Bleifällungen erhaltenen letzten Filtrate gefunden werden mussten.

176 B. Naunyn: 2

| 18 Riefstahl. Apoplexia cerebri. Klares gelbes Transsudat. Aus der Leiche entnommen. pp. 100 Ce. alkalisch. Harnstoff. Cholestearin.

Il. Fabel. Stenose der Mitralis. Seit 14 Tagen unter ent- zündlichen Erscheinungen aufgetretene linksseitige Pleuritis. Trübe, mässig viel Blut und Eiter-Körperchen enthaltende Flüssigkeit, aus der Leiche entnommen. Harnstoff. IM. Schmiedel. Langsam (seit 3 Jahren) entstandener Aseites. Section Lebercirrhose. Klare, gelbe, wenig Exsudatkörperchen enthaltende Flüssig- keit 2500 Ce., alkalisch, aus der Leiche entnommen. Harnstoff. Cholestearin, Spuren von Leucin, kein Tyrosin.

IV.

Aorteninsufficienz. 2 Tage vor dem Tode ohne entzünd- liche Erscheinungen entstandene beiderseitige pleuritische Er- güsse.

Alkalische gelbe klare Flüssigkeit, aus der Leiche entnommen.

Viel Harnstoff.

Y.

Ascites. Vor 4 Wochen Punction, seitdem schnelle Wieder- ansammlung.

Diesmalige Punction 4000 Ce. alkalischer klarer gelber, we- nig Exsudatkörperchen enthaltender Flüssigkeit. 750 Ce. zur Untersuchung.

Harnstoff, Cholestearin, Harnsäure.. Spuren von Leucin. Kein Tyrosin.

Section. Lebercirrhose.

VI. Ackermann. Carcinoma hepatis. Langsam entstandener Ascites. Icterus.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 177

700 Ce. einer stark stinkenden, fast klaren, gelben, wenig Exsudatkörperchen haltenden Flüssigkeit.

Gallenfarbstoff. Harnstoff. Xanthin. Viel Harnsäure (aus dem Wasserextract fiel nach dem Einengen beim Erkalten ein Sediment von harnsauren Salzen). Kein Leucin. Kein Ty- rosin.

Vl.

Behlig. Nierenschrumpfung. Beiderseitige allmählig ent- standene pleuritische Ergüsse.

pp. 500 Ce. einer klaren, gelben, alkalischen Flüssigkeit aus der Leiche entnommen.

Viel Harnstoff. Cholestearin. Sehr viel Harnsäure (wie bei VI.) Viel Xanthin. Kein Leucin. Kein Tyrosin.

VII. Liebig. Klare Flüssigkeit, aus dem Pericardium der Leiche entnommen (Tuberculosis pulmonum). Harnstoff. Harnsäure.

IX.

Scholtz. Pneumothorax der rechten Seite bei Tuberculosis pulmonum. Unter heftigen entzündlichen Erscheinungen ver- laufende Pleuritis derselben Seite. (Section. Lunge geschrumpft. Pleura costalis und visceralis verdickt, vascularisirt. Oeffnung in der Pleura nicht mehr nachweisbar).

3000 Ce. einer alkalischen, ganz wenig getrübten gelben, wenig Exsudatkörperchen enthaltenden Flüssigkeit, durch Pun- ction 5 Minuten post mortem erhalten.

Harnstoff sehr reichlich. Cholestearin. Harnsäure. Spuren von Leucin. Kein Tyrosin.

X. Jaksch. Im Verlaufe von 6 Monaten entstandener Asecites. (Miliartubereulose des Bauchfells. Section). 5000 Ce. einer ganz wenig getrübten, gelben, alkalischen, wenig Exsudatkörperchen enthaltenden Flüssigkeit durch Pun-

ction intra vita. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1365. 12

178 B. Naunyn:

Viel Harnstoff. Kein Xanthin. Cholestearin. Harnsäure. Kein Leucin. Kein Tyrosin.

Vor der Punction hatte der Patient 24 Stunden lang Kal. jod. genommen. Dasselbe war in der enteiweissten Flüssigkeit mit Sicherheit nachweisbar.

XI.

Schubert. Seit Jahren unter heftigen Schmerzen allmäh- lig entstandener Ascites. (Carcinoma hepatis. Careinose des Peritoneums. Peritonitis chronica. Section.)

5000 Ce. einer durch suspendirtes Fett (kleine stark licht- brechende Kügelchen) molkig getrübten, gelblich-rothen, wenig Exsudatkörperchen enthaltenden Flüssigkeit. Durch Punction intra vitam.

Harnstoff. Viel Cholestearin. Viel verseifbares Fett. Harn- säure. Kein Xanthin. Kein Leucin. Kein Tyrosin.

Die Patientin hatte 24 Stunden hindurch vor der Punction Kal. jodat. genommen. Dasselbe war in der enteiweissten Flüs- sigkeit mit Sicherheit nachweisbar.

XI.

Ascites bei Insufficienz der Mitralis.

P.P. 6000 Ce. einer klaren, rothbraunen, wenig Exsudatkör- perchen, Spuren von Zucker (Trommer’sche Probe) enthalten- den Flüssigkeit, durch Punction intra vitam.

Fast die ganze Flüssigkeit nur auf Bernsteinsäure (entei- weisst, eingedampft, warm mit Schwefelsäure behandelt, mit Aether-Alkohol wiederholt extrahirt etc.).

Keine Bernsteinsäure. In einem kleinen Theile der Flüs- sigkeit Harnsäure nachweisbar.

XII. Mettke. Nephritis chronica. Ascites allmählig entstanden. 6000 Ce. einer klaren, gelben, alkalischen, wenig Exsudat- körperchen enthaltenden Flüssigkeit durch Punetion intra vitam. Spuren von Zucker. 3000 Ce. nur auf Bernsteinsäure ( wie unter XII.). Keine Bernsteinsäure. Harnsäure. Xanthin.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters, 179

XIV.

Innerhalb pp. 6 Wochen unter entzündlichen Erscheinungen entstandener kolossaler, pleuritischer Erguss der linken Seite. Potator.

(Section Miliartuberculose der Pleura.)

2000 Ce. einer klaren alkalischen Flüssigkeit aus der Leiche entnommen.

Harnstoff. Cholestearin. Xanthin. Harnsäure.

AV:

Baack. Mässige Albuminurie. Langsam entstandener As- cites. (Section. Amyloide Degeneration der Nieren und Milz.)

3000 Ce. einer wasserhellen, alkalischen, ganz wenig opa- lescirenden, wenig Exsudatkörperchen enthaltenden Flüssigkeit, durch Punction, bei Lebzeiten.

Spuren von Eiweiss.!) Spuren von Zucker (Trommer’sche Probe).

Harnstoff. Harnsäure. Cholestearin. Kein Leucin. Kein Ty- rosin. Kein Inosit. Keine Bernsteinsäure. Kein Xanthin.

AN:

7000 Ce. einer braunrothen, diekflüssigen, wenig getrübten, alkalischen Flüssigkeit aus einer ÖOvariencyste, bei Lebzeiten entleert, enthält geschrumpfte Blutkörperchen, wenig Exsudat- körperchen.

Harnstoff, Cholestearin, Harnsäure. Spuren von Leuein. Kein Tyrosin.

xVI. Koch. Ovarieneyste, vor einem Jahre punctirt. Diesmal durch Punction bei Lebzeiten 12000 Ce. Flüssigkeit, wie unter XVL, enthält ausserdem Cholestearin-Krystalle.

1) Heller giebt (a. a. O.) an, einmal eine Ascitesflüssigkeit beob- achtet zu haben, die nur Spuren von Eiweiss enthielt. Doch fehlt dort die Section.

12*

180 | B. Naunyn:

Viel Cholestearin, Harnstoff, Harnsäure verunglückt.)

Die Patientin hatte vor der Punction einige Tage hindurch Kal. jodat. genommen. Dasselbe war in der enteiweissten Flüs- sigkeit mit Sicherheit nachzuweisen.

XV.

3000 Ce. einer gelben, klaren, dickflüssigen, alkalischen Flüs- sigkeit aus einer vordem noch nicht punctirten Ovariencyste, durch Punction bei Lebzeiten.

2500 Ce. nur auf Bernsteinsäure untersucht (wie unter XII.).

In 500 Ce. Harnsäure.

NIX: 800 Ce. einer klaren, gelben Hydroceleflüssigkeit, durch Punction bei Lebzeiten erhalten. Harnstoff. Harnsäure.

XX. 500 Ce. einer Hydroceleflüssigkeit wie unter XIX. Harnstoff. Cholestearin. Kein Xanthin. Harnsäure verun- glückt (s. Anm. zu XVIl.).

XXI. Ungefähr 500 Ce. einer Hydroceleflüssigkeit wie unter IX, durch Punction bei Lebzeiten. Alkohol- und Wasserextract nur auf Bernsteinsäure unter- sucht (wie unter XII.). Keine Bernsteinsäure.

XXL. Lindner. Seit 8 Tagen bestehende heftige Pleuropneumo- nie der linken Seite.

1) Hier blieben nach der Behandlung des durch basisch essigsau- res Bleioxyd erhaltenen Niederschlages mit Schwefelwasserstoff be- trächtliche Mengen Schwefelblei in Lösung. Auch das von Stüde (Henle und Pfeuffer's Zeitschrift 1864) zur Beseitigung dieses Uebel- standes angegebene Verfahren blieb ohne Erfolg.

En

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 181

Ungefähr 200 Ce. einer schwach sauer reagirenden, geruch- losen, trüben, wenig Blutkörperchen, ziemlich viel Eiterkörper- chen enthaltenden Flüssigkeit, aus der Leiche entnommen.

Harnstoff. Harnsäure.

XXIH.

Schultz. Peritonitis puerperalis. Acute, unter heftigen entzündlichen Erscheinungen aufgetretene Pleuritis der linken Seite.

Ungefähr 500 Ce. einer trüben, dünnflüssigen, ziemlich viel Eiterkörperchen enthaltenden , geruchlosen Flüssigkeit aus der Leiche.

Xanthin.

XXIV.

Dornenburg. Acute, unter heftigen entzündlichen Erschei- nungen aufgetretene Pleuritis der rechten Seite. (Section. Amy- loide Degeneration der Nieren und Milz, Miliartuberculose der betreffenden Pleura.)

800 Ce. Flüssigkeit wie unter XXIIL, aus der Leiche.

Harnsäure. Harnstoff verunglückt.

XXV.

Anaemie in Folge ausgedehnter Narbenbildung im Magen nach Uleus ventrieuli. Linksseitige, ohne entzündliche Erschei- nungen verlaufende Pleuritis.

800 Ce. Flüssigkeit wie unter XXTIII., aus der Leiche ent- nommen.

Harnstoff. Viel Xanthin. Harnsäure. Viel Leuein. In dem durch basisch essigsaures Bleioxyd und Ammoniak erhal- tenen Niederschlage geringe Mengen von Tyrosin.

XXVl. Heyn. Seit ungefähr 4 Wochen unter heftigen entzündli- chen Erscheinungen verlaufende Pleuropneumonie rechterseits. Bei der Section aus der rechten Pleurahöhle entnommen:

182 i B. Naunyn:

700 Ce. einer dicklichen, vollkommen gutem Eiter gleichenden, geruchlosen, neutralen Flüssigkeit. Viel Leuein und Tyrosin. Kein Harnstoff.) Xanthin(?).

XXVI.

Francke. Vor einem Jahre acut aufgetretene, seitdem un- ter fortdauernden entzündlichen Erscheinungen bestandene Pleu-_ rıtis rechterseits,.

Durch Punction 5 Minuten nach dem Tode wurden 1300 Ce. einer dicklichen, etwas fade riechenden neutralen Flüssigkeit, im Gehalt an Eiterkörperchen und makroskopischen Aussehen voll- kommen gewöhnlichem Eiter gleichend, gewonnen.

Das heiss filtrirte Alkoholextract liess beim Erkalten ein im kalten Wasser fast vollkommen unlösliches, in heissem Wasser nur zum Theil lösliches Sediment fallen. Der in heissem Was- ser unlösliche Theil desselben ward mit einem aus dem heiss filtrirten Wasserextracte beim Erkalten ausfallenden Sedimente vereinigt.

Die betreffende Substanz war in kochendem Wasser ganz wenig löslich. Beim Aufhören des Kochens entstand jedoch so- fort wieder eine schnell zunehmende milchige Trübung. Durch Zusatz von Ammoniak ward die Löslichkeit der betreffenden Substanz durchaus nur vermindert.

Diese Substanz ward in stark ammoniakalischem Wasser suspendirt und warm mit einer Lösung von essigsaurem Queck- silber versetzt und tüchtig umgerührt. Es entstand ein massen- hafter flockiger Niederschlag, über welchem nach dem Absetzen eine völlig klare Flüssigkeit stand.

Der Niederschlag ward auf dem Filter gesammelt, ausge- waschen, in viel Wasser suspendirt, durch Schwefelwasserstoff

1) Die Untersuchung auf Harnstoff ward hier erst in dem, nach der Behandlung des Alkoholextractes mit neutralem und basisch essig- saurem Bleioxyd erhaltenen Filtrate nach der Entbleiung durch Schwe- felwasserstoff vorgenommen. Eine Kochung mit essigsaurem Kupfer- oxyd ward nicht vorgenommen, doch fand sich in dem letzten Syrup des Alkoholextractes neben Leuein und Tyrosin ein braunes Pulver, welches eine undeutliche Xanthinreaction gab.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 183

zersetzt. Die heisse Lösung ward von dem entstandenen Schwe- felquecksilber abfiltrirt und letzteres mit kochendem Wasser mehrfach ausgewaschen.

Die erhaltene Lösung gab abgedampft einen pulverigen, un- ter dem Mikroskop aus kleinen Körnchen zusammengesetzt er- scheinenden Rückstand. ' Derselbe löste sich sehr schwer in Wasser, nicht in Ammoniak, in Salzsäure ziemlich leicht. Die salzsaure Lösung gab nach dem Einengen Krystalle, die nach dem Umkrystallisiren in langen, dem salzsauren Guanin nicht unähnlichen Nadeln anschossen. Diese lösten sich in Wasser ziemlich schwer, leichter unter Zusatz etwas überschüssiger Salz- säure. In der salzsauren Lösung entstand beim Uebersättigen mit Ammoniak ein weisser, pulveriger, unter dem Mikroskop feinkörnig erscheinender Niederschlag. Dieser Niederschlag verhielt sich wie das ursprünglich durch Zerlegung des Queck- silber-Niederschlages erhaltene Pulver. Es löste sich in kochen- dem Wasser sehr schwer. Ammoniakzusatz fällte auch das ge- löste sofort wieder als weisses Pulver aus.

In Salpetersäure löste sich derselbe beim Erwärmen unter Gasentwiekelung auf. Die Lösung gab beim Abdampfen einen schön eitronengelben Fleck, der beim Hinzubringen von Kali- lauge zunächst rothgelb, dann beim Erwärmen schön purpur- roth und schliesslich violett ward.

Aus der salzsauren Lösung schossen beim Einengen Krystalle von der Form des salzsauren Guanin an.

Bei der Darstellung des salpetersauren Salzes ging leider der grösste Theil der Substanz verloren.

Ein kleiner geretteter Theil ward in Salpetersäure gelöst, die Lösung mit Höllensteinlösung versetzt. Nach dem Hinzu- fügen von Ammoniak entstand ein flockiger, bläulich - weisser Niederschlag. Derselbe löste sich in heisser Salpetersäure, fiel beim Erkalten in Form feiner federartiger Flocken wieder aus der Lösung nieder. Unter dem Mikroskop zeigte die Silber- verbindung kleine zu Sternen gruppirte Nädelchen, die sich von dem salpetersauren Xanthinsilberoxyd dadurch unterschie- den, dass jedes dieser Nädelchen breiter und am freien Ende abgestumpft erschien.

184 B. Naunyn:

Zur weiteren Untersuchung war die erhaltene Menge der Silberverbindung zu gering.

Es muss der hier erhaltene Körper nach seiner Reaction mit Salpetersäure und Kali, nach seiner Unlöslichkeit in Am- moniak, sowie nach der charakteristischen Krystallform der salz- sauren Verbindung, als Guanin angesprochen werden.

Im Uebrigen wurden in gewöhnlicher Weise erhalten: Viel Xanthin sehr beträchtliche Mengen von Leucein und Tyrosin. Kein Harnstoff. Keine Harnsäure.

ZXVII.

Ungefähr 400 Ce. eines dickflüssigen vollkommen (sogenannt) guten Eiters, aus einem acut entstandenen Abscesse der Bauch-- decken. Noch warm in Arbeit genommen.

Viel Leucin und Tyrosin. _Wenig Xanthin. Kein Harn- stoff. Keine Harnsäure. :

2.9.4.6

600 Ge. guten Eiters aus 3 verschiedenen Abscessen gesam- melt. Die einzelnen Eitermengen jedesmal frisch enteiweisst, abgedampft, sofort mit Alkohol ausgekocht und mit viel Alko- hol aufgestellt.

Viel Leucin, Tyrosin, Xanthin. Kein Harnstoff. Keine Harnsäure.

Aus dem heiss filtrirten Wasserextract schied sich beim Er- kalten ein spärliches Sediment von oxalsaurem Kalk aus.

KXIX.—XXXIV.

Es wurden jedesmal kleinere Mengen 50 100 Ce. stets ganz frischen, guten Eiters aus frischen Abscessen untersucht, es gelang stets mit Sicherheit Leucin und Tyrosin in verhält- nissmässig grossen Mengen nachzuweisen.

XXRV. Aus einer Ovariencyste, deren Wandung, wie sich nach der Obduction erwies, der äusseren Haut vollkommen analog gebil- det, auf ihrer Höhlenoberfläche ein reichlich geschichtetes, aus

Ueber die Chemie der Transsudate und des Riters. 185

verhornten Zellen gebildetes Plattenepithelium, einige Zähne, viele blonde Haare und um dieselben gruppirt, zahlreiche Talg- drüsen trug, wurden durch Punction bei Lebzeiten 1500 Ce. einer dünnbreiigen, schwach sauer reagirenden Flüssigkeit von 1028 spec. Gewicht entleert. Unter dem Mikroskop zeigten sich in derselben unzählige Epithelialschuppen und feine Fett- tröpfchen.

Die Flüssigkeit liess sich durch Filtriren vollkommen klar gewinnen. und zeigte dann auf Zusatz von Salpetersäure, sowie beim Kochen eine kaum bemerkbare Trübung.

Ein Theil der Flüssigkeit ward filtrirt, ein anderer sogleich abgedampft. In den auf beide Weisen erhaltenen Rückständen schieden sich beim Erkalten weisse, bis stecknadelknopfgrosse Kügelchen aus, die unter dem Mikroskope die Drusenform des Tyrosin zeigten und die Piria’sche Tyrosinreaction gaben.

Die erhaltenen dick syrupösen Rückstände wurden zunächst zur Entfernung des Fettes mit Aether extrahirt.

Das aus den in Aether unlöslichen Substanzen gewonnene Alkoholextract ward wie gewöhnlich behandelt. Es ward auf diesem Wege gefunden: Harnstoff, Xanthin, Leucin und Tyrosin.

Ausserdem ward in einem durch Behandlung des Filtrats von dem wie gewöhnlich durch basisch essigsaures Bleioxyd ge- wonnenen Niederschlage, mit essigsaurem Quecksilberoxyd er- haltenen Niederschlage eine Sukstanz gefunden, die für Allan- toin angesehen werden muss.

Dieselbe löste sich in Wasser ziemlich schwer, noch schwe- rer in Alkohol; in der durch Ammoniak alkalisch gemachten Lösung entstand bei Zusatz von salpetersaurem Silberoxyd nach längerem Stehen ein Niederschlag, der unter dem Mikroskop betrachtet, zum Theil dunkelcontourirte Kügelchen zum Theil zu garbenförmigen Drusen angeordnete Prismen zeigte. |

Die Substanz selbst ward nach wiederholtem Umkrystallisi- ren in Krystallen erhalten, die bei der mikroskopischen Besich- tigung vollkommen den Habitus des Allantoins darboten.

Aus dem wie gewöhnlich gewonnenen und heiss filtrirten Wasserextracte fiel beim Erkalten ein feinflockiges geringes Sediment, welches sich auf Zusatz von Alkohol zur Flüssig-

186 B. Naunyn:

Flüssigkeit etwas mehrte; in demselben erkannte man unter dem Mikroskope octa@drische Krystalle von der Form des oxal- sauren Kalkes.

Das Sediment ward auf dem Filter gesammelt, zuerst mit Wasser, dann mit Essigsäure sorgfältig ausgewaschen. Das Rückbleibende ward in Salzsäure gelöst, die Lösung mit essig- saurem Ammoniak, und Ammoniak bis zur alkalischen Reaction versetzt. Nach 24stündigem Stehen hatten sich Krystalle aus- geschieden, die unter dem Mikroskop deutlich die Form des oxalsauren Kalkes zeigten.

Harnsäure ward nicht gefunden.

AXXVI.

Bickel. Amyloide Degeneration der Nieren.

a) Blut pp. 50 Ce. 5 Minuten vor dem Tode durch Venae- section. Xanthin; durch Reaction und die Krystallform der Silberverbindung.

b) 250 Ce. einer röthlich gefärbten, wenig Eiterkörperchen enthaltenden, alkalisch reagirenden, fast klaren Flüssigkeit aus der linken Pleurahöhle. Bei der Section 12 Stunden p. m. Xanthin.

c) 250 Ce. einer trüberen, mehr Eiterkörperchen enthalten- den, übrigens wie die unter b) beschaffenen Flüssigkeit. Aus der rechten Pleurahöhle Xanthin.

d) 300 Ce. einer stark stinkenden, viel Eiterkörperchen ent- haltenden,, trüben, sauer reagirenden Flüssigkeit. Aus der Bauchhöhle. Xanthin.

XXXVI.

1200 Ce. eines schwach fade riechenden, frischen, durch Punction aus einem Leberabscesse gewonnenen Eiters von aäl- kalischer Reaction.

Viel Xanthin. Viel Leucin und Tyrosin. Viel Cholestearin.

Kein Harnstoff. Keine Harnsäure.

XxXXXVI. Müller. Aseites bei cirrhotischer Fettleber.

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters. 187

pp. 2000 Ce. einer braunrothen, klaren, alkalischen Flüssig- keit. Xanthin. Auch im Blute aus derselben Leiche, welches Hr. Dr. Schultzen untersuchte, ward diese Substanz gefunden.

Es liegen im Vorstehenden Untersuchungen über in man- nichfachen Beziehungen verschiedene Transsudate und Flüssig- keiten anderer Art vor.

Ascitesflüssigkeiten, Flüssigkeiten aus der Pleurahöhle, de- ren krankhafte Ansammlung durch Herzfehler oder Nieren- krankheiten ohne jede locale Entzündung, oder andererseits durch acute und chronische Entzündungen der betreffenden Höh- lenwandungen, mit und ohne Ablagerung von Aftergebilden auf letzteren, bedingt war; Hydroceleflüssigkeiten, Flüssigkeiten aus Ovarieneysten sehr verschiedener Art; Eiter aus verschiedenen Organen.

Alle Transsudate zeigten in Bezug auf die hier in Betracht kommenden Bestandtheile ein sehr constantes und gleichförmi- ges Verhalten.

Harnstoff, Harnsäure und Cholestearin wurden in keinem derselben vermisst.

Es ist wohl wahrscheinlich, dass diese Substanzen aus dem Blutserum, als dessen constante Bestandtheile sie ja längst er- kannt sind, in die oder mit den betreffenden Flüssigkeiten transsudirt sind. Es gehen ja auch andere von aussen in den Körper eingeführte Substanzen mit Leichtigkeit in dieselben über (X., XL, XV).

Das mehrfach in den Transsudaten gefundene Xanthin darf wohl auf denselben Ursprung zurückgeführt werden, da diese Substanz im krankhaft veränderten Blute bereits oft gefunden wurde und da es in Fall XXXVI. und XXXVII. gelang, die- selbe sowohl in dem bei Lebzeiten oder aus der Leiche gewon- nenen Blute als auch in den aus verschiedenen Höhlen der Leiche entnommenen Transsudaten nachzuweisen.

Einige andere Substanzen, deren constantes Vorkommen im Blute von einigen Forschern angegeben wird, wie Kreatin, Krea-

188 B. Naunyn:

tinin, Hippursäure u. s. w. wurden in den Transsudaten nie beobachtet. Ob dies der Mangelhaftigkeit der angewandten Me- thode Schuld zu- geben ist, oder in welcher Weise sonst das Fehlen dieser Substanzen in den Transsudaten zu erklären ist, müssen weitere Untersuchungen lehren.

Nirgends wurden Stoffe gefunden, welche dafür sprächen, dass ausser bei der einen, gleich zu erwähnenden, sehr eingrei- fenden Umwandlung der Transsudate, in diesen eigenthümliche chemische Umsetzungen statthaben, die etwa von dem Orte oder dem Modus der Transsudation oder dem kürzeren oder längeren Bestehen derselben abhängig wären.')

Nur mit einer auch anatomisch sehr evidenten Umwandlung der Transsudate geht das Auftreten eigenthümlicher Substanzen in denselben Hand in Hand.

In den Transsudaten von der gewöhnlichen (serösen) Be-

schaffenheit, welche constant eine äusserst geringe Menge der

als Exsudatkörperchen oder Eiterkörperchen bezeichneten mor- phologischen Bildungen enthalten, sind bereits früher von Fre- richs (a. a. O.) und wiederholt in vorstehenden Untersuchun- gen äusserst geringe Mengen von Leucin beobachtet (III, V.,IX.).

Tritt eine reichlichere Bildung von Eiterkörperchen, eine Vereiterung, in dem Transsudate ein, so findet sich die Menge des Leucins beträchtlich vermehrt (XXV.), gleichzeitig treten daneben Xanthin in reichlicher Menge (XXIII, XXV.), und Tyrosin in sehr geringer Quantität (XXV.) auf, während der Gehalt der Flüssigkeit an Harnstoff und Harnsäure (XXII, XXIM., XXIV., XXV.) noch die Abstammung derselben von den einfachen (serösen) Transsudaten erweist. Wird die Bil- dung von Eiterkörperchen in den Transsudaten noch reichlicher so dass die betreffenden Flüssigkeiten schon makroskopisch so-

1) Die Angaben von Kletzinsky, betreffend das Vorkommen von Bernsteinsäure in Flüssigkeit aus Ovariencysten (a. a. O.) sind, wie schon Scherer im betreffenden Jahresbericht hervorhebt, jeder wissenschaftlichen Prüfung unzugänglich.,. Die Angabe W. Müller’s betreffend das Vorkommen derselben Substanz in Hydroceleflüssigkeit steht zu isolirt da, um vorläufig für das Allgemeine verwerthbar zu sein. Dasselbe gilt von der obenerwähnten Angabe von Simons.

©

Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters 189

wie in ihrem Gehalt an jenen dem an anderen Orten unter gleichzeitigem Zerfall von Geweben gebildeten Eiter gleichen, so finden sich in ihnen (XXVI., XXVII.) Xanthin, Leucin und Tyrosin, dieselben Stoffe und in annähernd denselben Mengen- Verhältnissen, wie sie nach obigen Untersuchungen constant im Eiter (XXVIIL—XXXIV.) vorkommen.

Harnsäure und Harnstoff fehlen dann in ihnen, wie sie im Eiter fehlen (XXVI.—XXIX.).

Es scheint, dass das Auftreten dieser eigenthümlichen Sub- stanzen in den vereiternden Transsudaten durch einen der Bil- dung der Eiterkörperchen parallel gehenden Zerfall der Eiweiss- körper bedingt sei. Wenigstens entbehrt die Annahme, dass etwa minimale und wegen ihrer geringen Menge bis jetzt jeder Analyse entgangene, im Blute constant oder wenigstens äusserst häufig vorkommende Quantitäten von Leuein und Tyrosin sich gerade in den vereiternden Transsudaten und ebenso auch im in Organen gebildeten Eiter vermöge eigenthümlicher Diffusions- verhältnisse in überwiegender Menge anhäufen möchten, zur Zeit jeder thatsächlichen Berechtigung.

Ob die im Eiter nur einmal beobachtete Oxalsäure!) (oxal- saurer Kalk XXIX.) auf eine etwa in demselben stattgefundene Zersetzung der Harnsäure zu beziehen ist, muss dahingestellt bleiben, doch sprechen dafür die Ergebnisse von der unter XXXV. untersuchten Ovariencystenfüüssigkeit. In dieser kann eine solche Zersetzung der Harnsäure möglicherweise stattgefun- den haben, da neben Harnstoff Allantoin und Oxalsäure gefun- den wurden.

Im Uebrigen steht die letzterwähnte Flüssigkeit vollkommen ohne alle Beziehungen zu den Transsudaten da. Ob die che- mischen Bestandtheile jener Flüssigkeit als Producte der zer- setzten Hornsubstanzen anzusehen sind, ob und wie weit sie als Secrete der reichlich in der Cystenwand enthaltenen Talg- drüsen zu deuten sind, bleibt dahingestellt.

1) In dem in bronchiectatischen Höhlen in Hammellungen stagni- renden Schleime beobachtete ich früher häufig Krystalle von Sand- korngrösse, die in Krystallform wie in Lösungsverhältnissen vollkom- men dem oxalsauren Kalk glichen.

190 B. Naunyn: Ueber die Chemie der Transsudate und des Eiters,

Inosit und Bernsteinsäure, die bekannten, sehr häufigen Be- standtheile der Echinococcenflüssigkeiten, wurden in keiner der untersuchten Flüssigkeiten beobachtet, obgleich die sonst freilich vielfach verschiedene unter XXXV. abgehandelte Flüs- sigkeit aus einer Ovariencyste, sowie die Ascitesflüssigkeit unter XV. in Bezug auf ihren Gehalt von nur sehr geringen Mengen Eiweiss, letztere auch in Bezug auf gleichzeitig vorhandene kleine Mengen Zucker ihnen glich.

Es scheinen also diese Bestandtheile den Echinococcenflüs- sigkeiten eigenthümlich. Es ist das Auftreten dieser eigenthüm- lichen Bestandtheile in den Echinococcenflüssigkeiten leicht be- greiflich, da zwischen der in der Echinococcenceyste enthaltenen Flüssigkeit und. den Säften des dieselbe umschliessenden Orga- nes ein wenig reger Stoffaustausch stattzuhaben scheint, wie dies die Beobachtungen von Frerichs lehren. Es gelang die- sem Forscher nicht, in Echinococcenflüssigkeit aus einem Indi- viduum, das wochenlang vor der Punction Jodkalium in reich- licher Menge genommen hatte, irgend welche Jodverbindung nachzuweisen (Klinik der Leberkrankheiten, Th. II., S. 247.)

Für die Entstehung des als Guanin angesprochenen, in dem Eiter aus einer Pleurahöhle in reichlicher Menge gefundenen Körpers, ist zur Zeit kein Anhalt zu finden.

Berlin, den 10. October 1864.

J. Rosenthal: Studien über Athembewegungen. 191

Studien über Athembewegungen.

Von

Dr. J. ROSENTHAL in Berlin.

Zweiter Artikel.

Im ersten Artikel !) habe ich nachzuweisen gesucht, dass jegliche Abnahme des Sauerstoffgehaltes des Blutes zu einer Reizung des respiratorischen Centralorganes führt. Indem ich hier zunächst die Fragen bei Seite lasse, welche Rolle dabei die übrigen Bestandtheile des Blutes spielen, wende ich mich zur Erörterung der Art und Weise, wie diese Reizung zu Stande kommt.

Zwei Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen. Entweder das sauerstoffarme Blut wirkt unmittelbar erregend auf die Ganglien des Centralorganes, oder diese Erregung wird vermit- telt durch sensible Nerven, welche an ihren peripherischen En- digungen erregt, ihrerseits reflectorisch die Athemnerven zur Thä- tigkeit veranlassen.

Diese letztere Ansicht ist bekanntlich von Volkmann und Vierordt schon vor längerer Zeit vorgetragen worden. Ihr zu- folge sollen die Athembewegungen angeregt werden durch das „Athembedürfniss sämmtlicher Organe des Körpers.“) Indem

1) Dieses Archiv, Jahrgang 1864, S. 456. 2) Volkmann in Müller’s Archiv, 1841, 342. Vierordt in Wagner’s Handwörterbuch II. 912.

192 J. Rosenthal:

nämlich in diesen Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure gebil- det wird, soll eine Reizung der in ihnen enthaltenen sensiblen Nerven entstehen, welche zur Medulla oblongata fortgeleitet, diese zu ihrer Thätigkeit anregt. Andererseits hat Marshall Hall die Nervi vagi allein als die Erreger der Athembewegun- genangesehen. Nach Durchschneidung beider Vagi dauert da- her seiner Ansicht nach das Athmen nur als willkürlicher Act durch Einfluss des Grosshirns fort. Eine vermittelnde Ansicht hat Schiff aufgestellt. Nach dieser soll der Vagus die Inspi- ration anregen. Sind beide Vagi durchschnitten, so wächst der Reiz, welcher sonst durch Vermittelung der Vagi wirkte, bis er durch andere, schwerer erregbare Nerven die Inspiration aus- löst. Daher die Verminderung der Athemfrequenz und, da jede Reflexbewegung eine mit dem erregenden Nerven wechselnde Form hat, der veränderte Modus der Athmung.t)

Im Gegensatz hierzu habe ich schon früher die Meinung ausgesprochen?), dass der Reiz des Blutes unmittelbar auf die Medulla oblongata einwirke, indem die Athembewegungen noch fortdauern, wenn das Grosshirn entfernt, das Rückenmark unter- halb des Abgangs der Athemnerven und ausserdem die Vagi durchschnitten sind. In diesem Falle sind nur noch sehr we- nig sensible Bahnen erhalten, auf denen Erregungen zur Me- dulla oblongata gelangen können.

Gegen diese Anschauung ist neuerdings Rach mit Versu- chen aufgetreten, welche er unter Leitung v. Wittich’s ange- stellt hat.) Danach sollen die Athembewegungen aufhören, wenn sämmtliche hinteren Wurzeln im Halstheile des Rücken- marks durchschnitten werden. Der Tod erfolgte dabei stets ohne suffocatorische Erscheinungen. Wurden nicht alle Wur- zeln durchschnitten, so wurde die Respirationsfrequenz geringer, die einzelnen Athemzüge aber tiefer. Dies erklärt Rach so, dass bei Abnahme der Zahl der erregenden Fasern, der Reiz

1) Lehrbuch der Physiologie, 1. 413 1.

2) Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus va- gus. Berlin 1862. S. 14 ff.

3) E. Rach, Quo modo medulla oblongata, ut respirandi motus efficiat, incitetur. Diss. inaug. Regiomonti Pr. 1863.

Studien über Athembewegungen. 193

stärker werden muss, um wirken zu können. Ob die Vagi vor- her durchschnitten waren oder nicht, war gleichgültig, ebenso, ob der Brusttheil des Rückenmarks vom Halstheile abgetrennt war, oder nicht. Die Anschauung Rach’s kommt im Wesent- lichen überein mit der von Volkmann und Schiff schon frü- her vorgetragenen, nur dass nach Rach die aus dem Halstheil des Rückenmarks entspringenden sensiblen Nerven allein im Stande wären, die Erregung der Medulla oblongata zu bewirken. Ich selbst habe schon früher, bevor mir die Rach’schen Ver- suche bekannt geworden, eine experimentelle Entscheidung über die hier behandelte Frage herbeizuführen versucht. Ausgehend von den bekannten Kussmaul - Tenner’schen Versuchen, suchte ich den Beweis für die unmittelbare Erregung der Me- dulla oblongata zu führen. In jenen Versuchen werden Hirn- theile in heftige Erregung versetzt durch Abschneiden der Blut- zufuhr zu denselben. Das in den Hirngefässen plötzlich zum Stillstand gebrachte Blut muss offenbar seine chemische Zusam- mensetzung ändern durch Wechselwirkung mit dem umgeben- den Gewebe. Seine Wirkung auf das Gehirn kann nur die Folge dieser chemischen Umänderung sein. Daraus folgt, dass dieselben Wirkungen eintreten müssen, wenn im Blute diesel- ben chemischen Umwandlungen eintreten, auch wenn dasselbe in Bewegung bleibt. In der That sehen wir Erscheinungen, welche den von Kussmaul und Tenner beschriebenen durch- aus gleichen, unter Umständen, wo nur von einer Verarmung des Blutes an Sauerstoff die Rede sein kann. Hier wie dort treten zuerst Dyspnoe, später Krämpfe, endlich Asphyxie und zuletzt der Tod ein. Hier wie dort erweitert sich die Pupille, entsteht starker Exophthalmus, verliert die Conjunctiva ihre Reizbarkeit. Sind diese Anschauungen richtig, so handelt es sich auch bei den Versuchen von Kussmaul und Tenner nur um Erregung von Hirntheilen durch sauerstoffarmes Blut und diese Hirntheile unterscheiden sich von den Centralorganen der Athembewegungen nur durch den Grad der Erregbarkeit gegen jenen Reiz. Bei geringem Sauerstoffmangel, wie er in normalem Arterienblut besteht, wird nur das Athmungscentrum

in Erregung versetzt; diese steigert sich bei zunehmendem Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1365. 13

194 J. Rosenthal:

Sauerstoffmangel zur Dyspnoe, bei noch grösserem Verlust von Sauerstoff werden endlich auch die anderen Hirntheile betrof- fen und allgemeine Krämpfe sind die Folge.

Um diese Anschauungen zu prüfen, änderte ich die Ver- suche von Kussmaul und Tenner dahin ab, dass die Com- pression der Arterien erst vorgenommen wurde, nachdem das Thier durch reichliche Zufuhr von Sauerstoff apnoisch gemacht war. In die Trachea wurde eine T-förmige Canüle luftdicht eingefügt, mit derselben ein kurzes Glasrohr verbunden, in wel- chem seitlich eine kleine Oeffnung sich befand; letzteres stand durch einen Gummischlauch in Verbindung mit dem Blasebalg. Die Brusthöhle wurde entweder ganz eröffnet, oder nur das Manubrium Sterni fortgenommen und nach dem von Kussmaul angegebenen Verfahren die Gefässe des Kopfes blosgelegt.!) Dann wurde so reichlich atmosphärische Luft in die Lungen geblasen, dass jede Spur von Athembewegungen aufhörte. Der Ueberschuss der zugeführten Luft, sowie die Exspirationsluft entwichen durch die obenerwähnte kleine Seitenöffnung. Es ist auf diese Weise gar nicht schwer, ein Kaninchen beliebig lange Zeit in vollständiger Apnoe zu erhalten. Sobald der Ar- cus aortae mit dem aus ihm entspringenden Kopfgefässen frei präparirt war, wurden letztere mit kleinen Charriere’schen Pincetten zugeklemmt, und zwar wurde eine Klemme an den gemeinsamen Stamm des Truncus anonymus und der linken Carotis angelegt?), die andere an die linke Subelavia. Einige Zeit nach dem Verschluss der Gefässe entstand eine Athembe- wegung, dieser folgten bald mehrere, welche, heftiger werdend, sich zur Dyspnoe steigerten, endlich allgemeine Krämpfe. Wurde in diesem Stadium der Blutlauf wieder freigegeben, so hörten die Krämpfe auf, die Athembewegungen verschwanden und das Thier war nach wie vor apnoisch. Dauerte die Un- terbrechung des Kreislaufs länger, so schwanden die Krämpfe und alle Zeichen der Asphyxie traten ein. Löste man dann

1) Kussmaul in den Würzb. Verh. VI. S. i6. 2) Diese entspringen bei den Nagern bekanntlich zusammen, so dass der Areus aortae nur zwei Gefässe abgiebt.

. Studien über Athembewegungen, 195

die Klemme, so war der erste Erfolg der erneuerten Blutzufuhr zum Gehirn stets ein heftiger inspiratorischer Krampf, welchem einige allmählich schwächer werdende Athemzüge folgten, bis auch diese ausblieben und die Apnoe wieder hergestellt war, Bei noch längerer Pause konnte leicht der Tod eintreten. Vergleicht man diese Erscheinungen mit denen, welche bei Sauerstoffentziehung eintreten, und welche ich im ersten Arti- kel dieser Studien näher geschildert habe, so kann man keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass beide in ihrem Wesen durch- aus zusammenfallen, dass sie derselben Ursache ihre Entstehung verdanken. Gewisse Hirntheile gerathen in Erregung, wenn das in ihnen enthaltene Blut seine chemische Zusammensetzung- ändert; sie verlieren ihre Erregbarkeit, wenn diese Aenderung einen zu hohen Grad erreicht, können sie jedoch wiedererlan- gen, wenn die Beschaffenheit des Blutes wieder die normale wird. Der Unterschied in beiden Versuchsreihen liegt nur da- rin, auf welchem Wege die Aenderung der Blutbeschaffenheit herbeigeführt wird. Bei der Erstickung geschieht dies durch Abschneiden des Gasaustausches in den Lungen. Hier befällt die in Rede stehende Aenderung der Blutzusammensetzung die gesammte Blutmenge des Thieres. Bei den Kussmaul-Ten- ner’schen Versuchen dagegen in der Gestalt, wie wir sie an- gestellt haben, bleibt der Gasaustausch in den Lungen ungeän- dert, nur das Blut der oberen Körperhälfte wird in Stillstand versetzt und daher von jenem Gasaustausch ausgeschlossen. Dies Blut allein erleidet daher Veränderungen, welche den bei Sauerstoff - Entziehung eintretenden ähnlich oder gleich sind. Wenn trotzdem dieselben Erscheinungen auftreten, wie sie sonst der Erstickung zukommen, so folgt daraus, dass allein die obere Körperhälfte, welche von den Gefässen versorgt wird, die aus dem Arcus aortae entspringen, der Sitz des Apparates sein könne, welchem die Athembewegungen und die Erstickungs- krämpfe ihre Entstehung verdanken. Aber die Versuche, welche ich beschrieben habe, geben keine Entscheidung darüber, ob die Erregung jenes Apparates durch eine unmittelbare Einwirkung des Blutes zu Stande kommt, oder mittelbar durch Erregung sensibler Nerven. Denn 13*

196 J. Rosenthal:

ausser dem Hirn werden auch noch peripherische Organe von der Hemmung des Blutlaufes betroffen ; peripherische Organe, welche zum Theil ihre Nerven aus dem Halsmarke empfangen, also gerade solche, welche nach Rach vorzugsweise oder allein in reflectorischer Beziehung zu dem respiratorischen Centralor- gan stehen. Der Erfolg des Versuches würde daher auch ge- deutet werden können als eine Bestätigung der Anschauungen, welche Rach vorgetragen hat. Und diese Deutung wird nur dann von der Hand zu weisen sein, wenn es gelingt, die näm- lichen Erscheinungen hervorzurufen durch alleinige Unterbre- chung des Blutlaufs im Gehirn, oder zu zeigen, dass jene Er- »scheinungen ausbleiben, wenn in allen peripherischen Organen der Blutlauf gehemmt wird, während er im Gehirn ungeän- dert bleibt.

Um das letztere auszuführen, hat man nur nöthig, die Aorta descendens, beide Subelaviae nach Abgang der Vertebrales und beide Carotides externae zu unterbinden. Da aus den bespro- chenen Versuchen jedoch folgt, dass es auf die Aorta descen- dens gar nicht ankommt, und da die Anastomosen zwischen Carotiden und Vertebrales den Blutlauf im Gehirn auch dann noch gestatten, wenn selbst nur eines dieser vier Gefässe offen bleibt, so vereinfacht sich der Versuch dahin, dass man die bei- den Carotiden zuklemmt und ausserdem die beiden Subelaviae nach Abgang der Vertebrales, oder dass man die beiden Sub- claviae zuklemmt und ausserdem die beiden äusseren Carotiden. Die erstere Aufgabe wird erfüllt werden, wenn wir nur die beiden inneren Carotiden und die beiden Vertebrales zuklem- men, oder auch die beiden Carotidenstämme und die beiden Vertebrales, wenn wir, von den Anschauungen Rach’s ausge- hend, annehmen, dass die von den äusseren Carotiden versorg- ten peripherischen Organe in keiner besonderen Beziehung zu deren Athmungscentrum stehen.

Ich habe den Versuch in beiden Formen angestellt und beide haben mich zu übereinstimmenden Ergebnissen geführt. Wur- den die Schlüsselbein-Arterien nach Abgang der Wirbel-Arte- rien zugeklemmt, so trat der oben geschilderte Erfolg nicht ein, auch wenn beide Carotiden unterbunden waren. Dagegen

Studien über Athembewegungen. 197

erhielt man trotz künstlicher Athmung Athembewegungen und Krämpfe, wenn ausser den Carotiden beide Wirbelarterien un- terbunden wurden. Ich habe diesen schwierigen Versuch!) beim Kaninchen mehrmals ausgeführt. Freilich waren dabei die Er- scheinungen nicht so heftig, als bei der gewöhnlichen Form des Kussmaul-Tenner’schen Versuches, auch kam es niemals zur vollständigen Asphyxie. Allein dies letztere ist wohl erklärlich, wenn man bedenkt, wie häufig Anastomosen zwischen den Hirn- arterien ünd den Nackengefässen vorkommen. Ich verweise in dieser Beziehung auf den berühmt gewordenen Versuch A. Coo- per’s, welcher von Panum mit gleichem Erfolge wiederholt worden ist.?) ı

Diese Erfahrungen lassen die oben als möglich hingestellte Deutung zu Gunsten der Rach’schen Ansicht als wenig be- gründet erscheinen. Es wird vielmehr kaum zweifelhaft sein, dass wir es in unserem Versuche wirklich mit einer unmittel- baren Erregung von Hirntheilen zu thun haben. Dies ist auch für die fallsuchtartigen Zuckungen, wie sie Kussmaul und Tenner beschrieben haben, niemals bezweifelt worden. Stellt man aber den Versuch in der Form an, wie ich ihn beschrie- ben habe, so wird man sich leicht überzeugen, dass der Ueber- gang von Apnoe durch normale Athmung und Dyspnoe zu den

1) Kussmaul selbst hat die Unterbindung der Vertebrales nie- mals ausgeführt. Er sagt darüber: „Das Isoliren der Wirbelschlag- adern ist aber beim Kaninchen eine sehr schwierige Operation, wobei noch überdies das benachbarte untere Halsgauglion oder doch die zahlreichen von ihm abgehenden Fäden kaum unverletzt bleiben kön- nen.“ Würzb. Verh. VI, S 4. Die Verletzung des Sympathicus, welche freilich bei meinen Versuchen weniger geschadet hätte, habe ich immer vermeiden können. Dagegen riss mir in einem Falle die Arterie bei dem Versuch, sie zuzuschnüren, ein, und ich musste zur Unterbindung der ganzen Subclavia schreiten. In einem anderen Falle verletzte ich den Ductus thoraeicus, was jedoch die Fortsetzung des Versuches nicht hinderte.. Die rechte Vertebralis ist leichter zu prapariren, als die linke. Es ist gut, beide Vagi im Voraus frei zu präpariren, so dass sie leicht bei Seite geschoben werden können, da sie sonst sehr hinderlich sind.

2) Kussmaul nnd Tenner in Moleschott’s Untersuchungen, Bd. 3, S. 27.

198 J. Rosenthal:

allgemeinen Krämpfen ein so allmählicher ist, dass es sich hier nur um verschiedene Stadien desselben Vorgangs handelt. Es scheint unzweifelhaft, dass nicht nur die von Kussmaul und Tenner untersuchten Hirntheile durch Absperrung der Blutzu- fuhr in Erregung versetzt werden können, sondern auch andere und insbesondere das Centralorgan der Athembewegungen. Es ist aber dieses letztere gegen jenen Reiz, welcher vom Blute aus wirkt, in viel höherem Grade empfänglich, als irgend ein anderer Theil des Gehirns. Dadurch wird bewirkt, dass schon das normale Arterienblut jenes Centralorgan zu dauernder Wir- kung anregt, und dass nur vollkommen mit Sauerstoff gesättig- tes Blut im Stände ist, dasselbe in Unthätigkeit zu versetzen, Diese Eigenschaft nervöser Centralorgane scheint aber eine ganz allgemeine zu sein. Vom Darme ist es bekannt, dass er durch Hemmung der Blutzufuhr in starke peristaltische Bewegungen versetzt wird, und Krause hat erst neuerdings nachgewiesen, dass dieser Erfolg auch eintritt, wenn dem Blute Sauerstoff 'ent- zogen wird.!) Vom Vaguscentrum haben Traube, Landois und Thiry gezeigt, dass es durch sauerstoffarmes Blut in hef- tige Erregung versetzt wird. Dasselbe fand neuerdings Thiry für das Centralorgan der Gefässnerven.?) Alle diese Erschei- nungen, abgesehen natürlich von den peristaltischen Bewegun- gen des Darmes, treten auch bei der Unterbindung der grossen Kopfschlagadern auf und diese grosse Uebereinstimmung spricht wohl noch mehr dafür, dass die Vorgänge in den Centralorga- nen bei Hemmung des Blutlaufes dieselben sind, wie die bei Sauerstoffentziehung.

Ich wende mich nun zu den Versuchen Rach’s, durch welche unmittelbar der Beweis geführt werden soll, dass die Medulla oblongata nur allein durch die sensiblen Nerven des Halsmarkes erregt werde. So unwahrscheinlich diese Ansicht auch nach den Ergebnissen der eben besprochenen Versuche sein mag, so kann eine wirkliche Widerlegung doch nur durch

1) Studien des philosophischen Instituts zu Breslau. 2. Heft, S. 31.

2) Traube, Allg. med. Centralzeitung, 1863, Nr. 99. Landois, Ebenda Nr. 89. Thiry, Zeitschrift f. rat. Med.’ (3) XXI. 17. Cen- tralblatt £. d, med. Wissensch, 1864, S. 722.

Studien über Athembewegungen. 199

Wiederholung der Versuche herbeigeführt werden. Ich habe mich dieser Aufgabe unterzogen und derselben viele Thiere geopfert. Denn ich muss offen bekennen, dass auch mir, wie Rach, die Thiere während der Operation plötzlich starben. Nur kann ich nicht behaupten, dass dies gerade nach Durchschneidung sämmt- licher hinteren Wurzeln geschehen sei. Im Gegentheil, es ge- schah häufig vor oder während der Durchschneidung der Wur- zeln, auch vermag ich nicht zu glauben, dass der Tod die Folge der aufgehobenen Respiration gewesen sei. Denn wenn ich auch sofort nach Aufhören derselben die künstliche Athmung einleitete (es war zu diesem Zwecke schon vorher eine Canüle in die Luftröhre eingebunden), so waren und blieben die Thiere dennoch todt. Anfänglich glaubte ich den Grund in der ange- ‚wandten Aetherbetäubung suchen zu müssen. Ich unterliess diese daher, doch ging es mir deshalb nicht besser. Schliess- lich kam ich zu dem Resultate, dass der Grund des Todes al- lein in dem Blutverlust zu suchen sei, denn das Blut strömte in der That aus den durchschnittenen Wirbeln sehr reichlich und war kaum zu stillen. Ich bescheide mich gern, anzuneh- men, dass eine grössere Geschicklichkeit Rach’s in Anstellung von Vivisectionen den Grund enthält, warum er uns Nichts von solchem Missgeschick zu erzählen hat. Wie dem auch sei, ich versuchte die Blutung zu beschränken, indem ich die Thiere mehrere Tage vor dem Versuch nur mit trockenem Hafer füt- tern liess und ihnen alles Wasser entzog. Und dies Mittel, welches sich schon Kussmaul und Tenner sehr nützlich er- wiesen hattet), half auch mir. Denn ich bin jetzt im Stande, von mehreren glücklich abgelaufenen Versuchen sprechen zu können, bei denen sämmtliche hinteren Wurzeln des Halsmar- kes durchschnitten, das Rückenmark am ersten Brustwirbel ge- trennt und ausserdem das Gehirn in der Gegend der Vierhügel abgetragen wurde, ohne dass die Thiere merklich Blut verloren hätten. Die Arterien zeigten sich bei diesen Thieren nach 8- bis 14tägigem Dursten ausserordentlich dünn, bei Eröffnung der Wirbelsäule floss kaum ein Tropfen Blut, und wo die Blutung

1) Moleschott’s Unters, II, 70.

200 J. Rosenthal:

nicht gänzlich ausblieb, wie beim Aufbrechen des Atlasbogens oder Eröffnung des Sinus transversus, war sie doch sehr ge- ringfügig, und das ausfliessende Blut gerann auffallend schnell.

Die Versuche wurden nun in folgender Weise angestellt. Nachdem eine Canüle in die Luftröhre eingebunden, die Nervi vagi frei präparirt und Seidenfäden lose unter dieselben geführt waren, wurde das Thier auf den Bauch gelest, die Muskeln abpräparirt und die Halswirbelsäule möglichst frei gelegt. Ich fasste dann dieselbe mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand, hob sie möglichst und brach mit einer Knochenzange einen Wirbelbogen nach dem anderen ab, bis das ganze Hals- mark in möglichster Breite völlig frei lag. Der Arachnoidalsack wurde dann mit einem spitzen Messerchen der Länge nach in der Mittellinie gespalten. Ein Gehülfe fasste die eine Hälfte der Dura mater und indem er sie sanft empor hob, traten die Ursprünge der hinteren Wurzeln sehr scharf hervor, welche ich sodann mit einem feinen, scharfen. Häkchen der Reihe nach durchschnitt. Auf der anderen Seite geschah dasselbe. Sodann wurde das Rückenmark in der Höhe des ersten Brustwirbels durchschnitten; das nun völlig gelähmte Thier wieder auf den Rücken gelegt und beide Vagi mittelst ihrer Seidenfäden her- vorgezogen und durchschnitten. Zum Schluss wurde dann noch das Gehirn in der Gegend der Vierhügel abgetragen.

Der Erfolg dieser Versuche war übereinstimmend der, dass ein so verstümmeltes Thier, zu dessen Medulla oblongata kaum noch Gefühlseindrücke gelangen konnten, dennoch regelmässig athmete. Auch war der Erfolg der Vagus - Durchschneidung nach vorausgegangener Trennung der sensiblen Wurzeln und des Rückenmarkes ganz der nämliche, wie sonst; die Athembe- wegungen wurden langsamer und tiefer. Freilich litt das Thier sehr unter der Lähmung derjenigen Athemnerven, welche un- terhalb des Schnittes aus dem Rückenmark ihren Ursprung nehmen. Und dies ist der Grund, warum ein so operirtes Thier nach Durchschneidung. beider Vagi ausserordentlich schnell zu Grunde geht. Doch dies tritt auch dann ein, wenn nur das Rückenmark an der bezeichneten Stelle durchschnitten ist und die Durchschneidung der hinteren Wurzeln des Halsmarkes hat

Studien über Athembewegungen. 201

keinen wesentlichen Einfluss auf diesen Erfolg. Als Beispiel führe ich hier an, dass ein Thier nach Durchschneidung sämmt- licher hinteren Wurzeln des Halsmarkes 14 Athmungen in 15 Secunden machte. Nach Durchschneidung des Rückenmarkes stieg die Frequenz auf 22 und fiel nach Durchschneidung bei- der Vagi sofort auf 11 Athemzüge in 15 Secunden, eine Vier- telstunde später betrug sie nur noch 6 und blieb ungeändert, als. das Grosshirn abgetragen wurde; kurze Zeit darauf starb das Thier.

Eine Medulla oblongata, welche auf die angegebene Weise möglichst von allen sensiblen Nerven losgetrennt ist, verhält sich gegen Veränderungen der Blutzusammensetzung ganz wie die Medulla oblongata eines normalen Thieres. Bläst man häu- fig atmosphärische Luft in die Lungen, so hört das Thier zu athmen auf und kann für längere Zeit apnoisch gemacht wer- den, hemmt man im Gegentheil den Gasaustausch in den Lun- gen, so wird die Athmung verstärkt und das Thier stirbt, frei- lich ohne allgemeine Krämpfe wegen der Durchschneidung des Rückenmarkes. Daraus geht wohl mit aller Bestimmtheit her- vor, dass die Einwirkung des Blutes auf das Centralorgan der Athembewegungen eine unmittelbare ist, und nicht durch sen- sible Nerven vermittelt, wie Rach und die früheren Forscher annahmen.

Ich muss zum Schluss noch auf die Bewegungen Rücksicht nehmen, welche an abgeschnittenen Köpfen zur Beobachtung kommen und welche in ihrem Charakter energischen Athembe- wegungen sehr ähnlich sind. Rach glaubt, dass auch diese auf reflectorischem Wege zu Stande kommen. Es ist sehr schwer , hierüber ein begründetes Urtheil zu gewinnen, doch muss ich soviel festhalten, dass in jenen Bewegungen kein trif- tiger Grund gegen die von mir ausgesprochene Ansicht zu fin- den ist, nach welcher die Athembewegungen durch unmittelbare Erregung des Centralorganes von Seiten des in ihm kreisenden Blutes zu Stande kommen. In den Gefässen des abgeschnitte- nen Kopfes wird freilich sehr wenig Blut zurückbleiben, aber gerade deswegen und weil diese geringe Blutmenge nicht er-

202 J. Rosenthal:

neuert wird, muss in den Ganglien derselbe Vorgang Platz greifen, wie bei Verschluss der Arterien oder bei Veränderung der Zusammensetzung des gesammten Blutes. Wir haben es darum in einem abgeschnittenen Kopfe, falls der Schnitt unter- halb der Medulla oblongata geführt ist, mit denselben Erschei- nungen zu thun, als wenn bei einem lebenden Thier das Rük- kenmark an derselben Stelle getrennt wäre, und ausserdem die Blutzufuhr zum Gehirn abgeschnitten würde. In diesem Falle müssen nothgedrungen die Athemmuskeln des Kopfes für kurze Zeit in die heftigste Erregung versetzt werden. In der That sieht man bei Ausführung dieses Versuches dieselben Er- scheinungen, nämlich Aufsperren von Maul und Nase, Erweite- rung der Pupille, Hervortreten des Augapfels, ganz wie beim abgeschnittenen Kopfe. Dieselben Erscheinungen treten natür- lich auch ohne Hemmung der Blutzufuhr zum Gehirn, nur et- was langsamer ein, weil wegen der Lähmung des Rumpfes die Athembewegungen des Brustkastens und somit der Gasaustausch in den Lungen, aufgehoben sind. Sie fehlen dagegen, wenn künstliche Athmung eingeleitet wird, sobald diese genügend ist, das Blut ganz mit Sauerstoff zu sättigen. Sie treten in schwä- cherem Grade auf, wenn die künstliche Athmung geringer ist, so dass das Centralorgan zwar noch erregt wird, aber nicht seine Erregbarkeit einbüsst. Diese Bewegungen treten aber auch dann ein, wenn die vor der Medulla oblongata gelegenen Hirntheile entfernt sind, so lange nur die motorischen Bahnen von dem Athmungscentrum zu den betreffenden Muskeln un- versehrt bleiben. Nach alle Dem glaube ich in diesen Erschei- nungen weniger eine Wiederlegung als vielmehr eine neue Stütze für die von mir aufgestellte Behauptung sehen zu dürfen. Fassen wir das Ergebniss der hier mitgetheilten Versuche zusammen, so kommen wir zu dem Schluss, dass jedesmal, wenn in den Gefässen des respiratorischen Centralorganes nicht vollkommen mit Sauerstoff gesättigtes Blut kreist, in den Gan- glien dieses Organes Bewegungseffecte ausgelöst werden, weiche je nach dem Sauerstoffgehalt des Blutes verschieden gross aus- fallen. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass auch sensible

Studien über Athembewegungen. 203

Nerven zu jenem Centralorgan in reflectorischer Beziehung ste- hen können, der Art, dass durch ihre Einwirkung die Thätigkeit jenes Organes hervorgerufen oder vermehrt werden kann. Eine andere Frage ist es allerdings, welches die Zwischenglieder sind, zwischen dem Sauerstoffgehalt des Blutes und den Erre- gungsvorgängen in den Ganglien. Doch glaube ich schwerlich, dass auf diese Frage bei dem jetzigen Zustande unserer Kennt- nisse schon eine genügende Antwort gegeben werden kann.

Berlin, im März 1869.

204 Prof. Hoyer:

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde.

Von

Prof. HovEr in Warschau.

(Hierzu Taf. IV.)

In meiner Arbeit über die Pacini’schen Körperchen') habe ich nachzuweisen versucht, dass die bisher für „Bindegewebs- körperchen“ angesehenen und den Kapselmembranen des Pa- eini’schen Körperchens eingelagerten kernähnlichen Gebilde in der That als Kerne zu betrachten sind und zwar als Kerne von zarten platten Zellen, welche nach Art eines Epithels und in einfacher Lage die innere Oberfläche einer jeden Kapsel über- ziehen. Ich stützte mich dabei einerseits auf den Umstand, dass man an frischen, unversehrt untersuchten Präparaten die Kerne stets der inneren Oberfläche der Kapseln anhaften sieht, gewissermaassen als wenn sie durch einen den Kern mit ein- hüllenden Kitt der Kapsel von Innen her angeklebt wären; an- dererseits zeigte ich, dass mittelst Höllensteinlösung auf der in- neren Oberfläche einer jeden Kapsel ein Netzwerk von feinen, schwarzen geschlängelten Linien sich darstellen lasse, welches in seiner Form ganz übereinstimmt mit den Bildern, welche bei Anwendung dessslben Mittels an den Epithelien der serösen Membranen auftreten; innerhalb der Maschen dieses Netzwerkes

1) Ein Beitrag zur Histologie der Pacini’schen Körperchen. Die- ses Archiv 1864, Heft II.

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 205

liegen obige Kerne, welche durch Karmintinetion besser zum Vorschein gebracht werden können. Der Beweis blieb indess mangelhaft, insofern es mir trotz der mannichfaltigsten Versuche nicht gelungen ist, jenes Epithel von der Kapselwand abzulösen und nach der Richtung jener schwarzen Linien in einzelne Zellen zu zerlegen.

Ich hatte es bei Abfassung jener Arbeit nicht für nöthig er- achtet, ausdrücklich hervorzuheben, dass ich mich vor Aufstel- lung obiger Ansicht genau unterrichtet hatte über die Wirkungs- weise der Silberimprägnation und däss ich durch Prüfung der- selben an den verschiedenartigsten Epithelien mich von ihrer An- wendbarkeit für die histologische Untersuchung auf’s Bestimmteste überzeugt hatte. Ich hegte damals die, wie es sich jetzt zeigt, irrthümliche Meinung, dass die Thatsache in der wissenschaftli- chen Welt bereits allgemeine Anerkennung gefunden hätte. Mittlerweile sind aber mehrere Arbeiten bekannt gemacht wor- den, welche sich die Aufgabe gestellt haben, nachzuweisen, dass die mittelst der Versilberungsmethode an den Geweben zum Vorschein gebrachten Bilder entweder gar Nichts mit den Ele- menten derselben gemein haben und ganz künstlich dargestellt werden können, oder dass mindestens die Wirkungsweise des Höllensteins vor den älteren Tinetionsmethoden Nichts voraus habe, höchst unsicher, unzuverlässig und ganz zu verlassen sei, weil die damit verdeutlichten Structuren durch Kunstproducte entstellt würden und zu vielen Täuschungen Veranlassung gäben.')

Wenn ich auch zugestehen muss, dass die von mir hochge- schätzten Vertreter dieser Meinung in mancher Hinsicht voll-

1) Dr. R. Hartmann, Ueber die durch den Gebrauch der Höllen- steinlösung künstlich dargestellten Lymphgefässanhänge, Saftkanälchen und epithelähnlichen Bildungen. Dieses Archiv 1864, Heft II.

Dr. Karl Harpeck, Ueber die Bedeutung der nach Silberimpräg- nation auftretenden weissen, lücken- und spaltähnlichen Figuren in der Cornea. Ebendaselbst.

Der durch Prof. Reichert in der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin im April 1864 über denselben Gegenstand gehal- tene Vortrag, sowie die in der Zeitschrift für rationelle Pathologie 1864 abgedruckte Arbeit von H. Adler stehen mir leider nicht zu Gebote,

206 Prof. Hoyer:

kommen Recht haben, so kann ich ihnen dennoch keineswegs beistimmen, wenn sie die Versilberungsmethode absolut verwer- fen; im Gegentheil bin ich der Ansicht, dass dieselbe in vieler Beziehung ein unschätzbares Mittel bietet zur Verdeutlichung von Structuren, die wegen des geringen Unterschiedes im Licht- brechungsvermögen der einzelnen Gewebselemente sonst nur sehr schwer oder wenigstens nicht deutlich genug wahrzuneh- men sind. Die gewöhnlichen 'Tinetionsmethoden unterscheiden sich insofern in ihrer Wirkung von der Versilberungsmethode, dass sie meist nur den Zellenkern deutlich hervortreten lassen, namentlich in den Bindegewebssubstanzen, während die Grenze zwischen Zellkörper und Zwischensubstanz wegen nahebei glei- cher Färbung derselben undeutlich bleibt; die Höllensteinlösung macht dagegen den Kern gewöhnlich undeutlich (durch gleich- zeitige oder nachfolgende Behandlung mit Säuren lässt sich je- doch derselbe gewöhnlich wieder zum Vorschein bringen), da- für markirt sich aber mit der grössten Klarheit die Grenze zwischen den einzelnen Zellen sowohl, wie zwischen dem Zell-- körper und der Intercellularsubstanz. Bei einiger Uebung und Anwendung der nöthigen Vorsicht lernt man es bald, alle künst- lich erzeugten Niederschläge von den innerhalb der natürlichen Structuren entstandenen zu unterscheiden und die etwaigen Täuschungen zu vermeiden. Am Sichersten wird man dies er- reichen, wenn man es sich zum Grundsatz macht, mit den durch Höllenstein erzeugten Bildern sich nicht genügen zu las- sen, sondern dieselben nur als Richtschnur zu benutzen für Auf- suchung der gleichen Structuren an frischen Präparaten und für die Anwendung älterer bewährter Methoden. Diesem Grund- satze bin auch ich gefolgt bei der Anstelluug von Untersuchun- gen, deren Resultate ich im Nachfolgenden kurz zusammenge- stellt habe; alle mittelst der Silbersolution erhaltenen Bilder habe ich auf ihre Realität geprüft einerseits an ganz frischen Präparaten, die entweder ohne allen Zusatz oder in Humor aqueus untersucht wurden, andererseits an Objecten, die mit Jod oder Karmin, mit Kali oder Essigsäure, mit Chromsäure, Sublimatlösung u. s. w. vorher behandelt worden waren. Ein specielles Eingehen auf die gegen die Anwendbarkeit der Sil-

%

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 207

bersolution vorgebrachten Gründe würden mich hier zu weit vom Ziele abführen. Die weiterhin angeführten Beobachtungen werden den Beweis liefern, dass ich die Wirkungsweise des Höllensteins nach allen Richtungen genau studirt und die durch diese Methode zu Tage geführten Zeichnungen in ihrer Ent- stehung schrittweise verfolgt habe.

Die mittelst der Höllensteinlösung an den Kapseln der Pa- cini’schen Körperchen zum Vorschein gebrachten schwarzen Linien verdeutlichen zwar die Contouren von aneinander gren- zenden flachen Zellen'), indess hat man es hier nicht mit einem eigentlichen Epithel zu thun, nach Analogie der Epithelien seröser Membranen, da stets nur die eine und zwar die innere Fläche jeder Kapsel mit einer solchen Zellschicht überkleidet ist, während die äussere, gleichfalls von Flüssigkeit bespülte Fläche der Kapseln meist der Zellen ganz entbehrt. Die nä- here Untersuchung lässt kaum einen Zweifel darüber aufkom- men, dass jene Zellen die wahren Bindegewebszellen sind, welche an vielen anderen bindegewebigen Ge- bilden gleiche Form zeigen und in gleicher Weise aneinander gelagert sind. Der Nachweis dieses Factums bildet eine der Hauptaufgaben dieser Arbeit.

1) Trotz der von den vorerwähnten Forschern dagegen vorgebrach- ten Gründe kann ich doch nicht umhin, an der Ansicht festzuhalten, dass durch die Höllensteinlösung die Contouren von aneinander stos- senden Zelleu des Epithels an solchen Stellen deutlich markirt wer- den, wo wirklich Epithelien existiren. Ich habe mich davon zu viel- fach und zu bestimmt überzeugt, als dass ein Zweifel in mir darüber aufkommen könnte. Auch in Betreff der an den Kapselmembranen der Pacini’schen Körper durch Silberlösung erzeugten Netze von feinen schwarzen Linien hege ich die feste Ueberzeugung, dass die Entstehung derselben in der Textur dieser Gebilde begründet sei, da ihr Auftreten und ihre Form zu constant sind, als dass sie vom Zu- falle abhängig sein könnten, und ausserdem die Zeichnungen sich stets nur auf der inneren Oberfläche jeder Kapsel bilden. Die im Eingange angeführten Beweise, sowie das den unten näher zu be- schreibenden zelligen Gebilden analoge Verhalten haben mich zu der Annahme bewogen, dass die mit Kernen versehenen Maschen jener Netze wirklichen flachen Zellen entsprechen, welche den bindegewe- bigen Kapseln deshalb so fest anhaften, weil sie denselben genetisch zugehören.

208 Prof. Hoyer:

Den Beweis liefert einerseits die Entwickelung des Pacini’- schen Körperchens und andererseits die ganz gleiche Form und Zusammenlagerung der Zellen in anderen bindegewebigen Ge- bilden.

Was zunächst die erstere anbetrifft, so sieht man an den Pacini’schen Körpern aus dem Mesenterium neugeborner und mehrere Wochen bis Monate alter Kätzchen ganz deutlich, dass der sogenannte Innenkolben aus Bindegewebe besteht mit deut- lichen Längsstreifen, welche der Ausdruck sind von um die Terminalfaser herumgelagerten bindegewebigen Lamellen. Die- selben sind durch von einer zur anderen Platte hinübertretende Fäden aneinander geheftet; in die zwischen den Platten ver- bleibenden Lücken sieht man deutliche ovale Kerne eingelagert. Die Untersuchung wird hierbei am Besten ohne jeden Zusatz oder in Humor aqueus vorgenommen. Das Wachsthum der Körperchen geht unzweifelhaft auf die Weise vor sich, dass die seröse Flüssigkeit sich einerseits zwischen den äusseren Kapseln vermehrt, dieselben ausdehnt und weiter von einander entfernt, andererseits, indem sie allmählig auch zwischen die äusseren Lagen der noch unmittelbar aneinander haftenden Lamellen des Innenkolbens eintritt und dieselben von einander abhebt (da- neben vergrössert sich das Körperchen auch noch durch inne- res Wachsthum der Nervenfaser und der bindegewebigen Be- standtheile). So werden die äusseren Kapseln an dem wach- senden Körperchen immer zahlreicher und man sieht einen all- mähligen Uebergang, beginnend von den dicht zusammengela- gerten Lamellen des Innenkolbens 'zu den äusseren durch Flüs- sigkeit von einander abgehobenen Kapseln. Die Fäden, welche im Innenkolben die Lamellen zusammenhielten, verschwinden nicht, sondern dehnen sich allmählig aus und man sieht sie daher auch noch von einer Kapselmembran durch die Flüssig- keit hindurch zur nächstfolgenden treten. Für diesen Modus der Entwiekelung spricht auch diein HenleundKölliker’s Werke!)

1) Das Originalwerk stand mir nicht zu Gebote; ich fand die Copie der Zeichnung in der „Anatomie microscopique par L. Mandl, a Pa- ıis 1838—1847, Tom I., planche 40, Fig. 11.“

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 209

(Ueber die Pacini’schen Körperchen an den Nerven des Men- schen und der Säugethiere, Zürich 1544) enthaltene Zeichnung, welche eine einzelne Nervenfaser darstellt, die in ein Pacinv- sches Körperchen eintritt, am anderen Ende es aber wieder verlässt, um erst in einem zweiten gleichen Körperchen auf ge- wöhnliche Weise zu endigen. Dafür spricht ferner die Zusam- menheftung der sämmtlichen Kapseln am peripherischen Ende des Körperchens durch eine centrale bindegewebige Masse, so- wie die nicht vollkommen concentrische Schichtung der Kap- seln, indem einzelne Lamellen oft schräg von einer Kapsel zur anderen hinübertreten und mit ihr verschmelzen oder eine ein- zelne Kapsel an begrenzter Stelle in zwei Lamellen gespalten zu sein scheint u. s. w. Diese Umstände bestätigen also die bereits von Reichert ausgesprochene Ansicht !), dass die Kapseln des Körperchens sich bilden durch Ansammlung von seröser Flüssigkeit zwischen den mehr oder weniger concentrisch angeordneten bindegewebigen Lamellen, aus welchen das Neu- rılemma der Nervenfaser zusammengesetzt ist. Dieser An- schauungsweise gemäss entspricht also der Innenkolben den noch in ursprünglicher Weise übereinander gelagerten und fest zusammengehefteten Lamellen des bindegewebigen Neurilemmas, die noch nicht durch Flüssigkeit von einander abgehoben sind. Die Lücken zwischen den Lamellen enthalten allein die Binde- gewebszellen, von denen jedoch nur die Kerne wahrzunehmen sind, da der stark abgeflachte Zellkörper wegen seines schwa- chen Lichtbrechungsvermögens .sich der Beobachtung entzieht. Sammelt sich nun zwischen den Lamellen Flüssigkeit an und hebt dieselben von einander ab, so bleiben die Zellen nicht ım Inneren der ausgedehnten Lücken liegen, sondern haften der ihnen zugehörigen Lamelle fest an und zwar finden wir sie fast stets nur auf der Innenfläche der Kapseln, selten und vereinzelt

1) K.B. Reichert, Vergleichende Beobachtungen über das Binde- gewebe und die verwandten Gebilde, Dorpat 1845. Die betreffende Stelle auf S. 69 lautet folgendermaassen: „Es sammelt sich zwischen den Lamellen des Neurilemms an Stelle des künftigen Pacini’schen Körperchens das eiweissartige Fluidum an und spannt dieselben zu einem eingeschachtelten Kapselsystem allmählig aus.“

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 14

210 Prof. Hoyer:

auch auf der Aussenfläche. Da nun hierbei die Lücken, welche ursprünglich nur die Zellen einschliessen, gewaltsam ausgedehnt werden und mit einander zusammenfliessen, so dass die vorher umfangreicheren Zusammenheftungen der Lamellen zu dünnen, zarten Fäden ausgedehnt werden, die rur noch hier und da die Kapseln zusammenhalten, so wird dadurch den Zellen die Mög- lichkeit geboten, auf der Innenfläche der Kapseln membranartig sich auszubreiten und mit ihren seitlichen Rändern, ähnlich wie die Zellen von Epithelien, sich aneinander zu legen. Nur wo jene feine Fäden an die Kapseln sich ansetzen, muss die un- mittelbare gegenseitige Berührung der Zellen eine ganz unmerk- liche Unterbrechung erleiden. Ä Was nun den anderen Beweis anbetrifft, so bietet ihn die Untersuchung der Hornhaut von der Katze, zunächst vermittelst der Versilberungsmethode, sodann auch mittelst anderer oben bereits erwähnter Methoden. Man lege zu diesem Zwecke die aus frischem Auge vorsichtig ausgeschnittene Hornhaut in eine grössere Menge einer 0,2procentigen Lösung von Höllenstein, warte 1—2 Minuten, bis sich die Innenfläche derselben völlig getrübt hat, schüttele dann die Hornhaut, dieselbe mit einer Pincette vorsichtig am Rande fassend, leise in der Lösung hin und her, bis das weisslich getrübte Epithel der Descemet’- schen Membran. in Fetzen sich abgelöst hat, oder man pinsele dasselbe herunter mit Vermeidung jedes stärkeren. In- sultes, lasse sie noch einige wenige Minuten in der Lösung lie- gen, bringe sie dann in reines Wasser und setze sie in dem- selben, und zwar mit der Innenfläche nach oben gekehrt, der Einwirkung der Sonne aus, welche in wenigen Minuten die ganze Hornhaut braun gefärbt hat. Zu lange Einwirkung der Lösung ist zu vermeiden, weil das Präparat sonst zu dunkel gefärbt wird (ÜUeberhaupt halte man sich bei Wiederholung dieser Untersuchungen möglichst genau an die gegebene Vor- schrift, die durch zahlreiche Versuche als die beste sich mir bewährt hat. Pinselt man z. B. vor dem Einlegen des Präpa- rates in die Silberlösung das Epithel herunter, so ist man nicht sicher, ob man es auch vollständig abgelöst habe). Mit einem scharfen Rasirmesser macht man sich alsdann feine Flächen-

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 211

schnitte von der Innenfläche der Hornhaut. Man lernt es bald, die an dem Epithel der Descemet’schen Membran entstehen- den Bilder zu unterscheiden von den uns hier mehr interessi- renden Zeichnungen in der Substanz der Hornhaut und zwar in der unmittelbar unterhalb der Descemet’schen Haut gele- genen Schicht. Die auf dem etwa noch hängengebliebenen Epi- thel sich zeigenden schwarzen Linien umgrenzen regelmässige Sechsecke; das Epithel selbst ist sehr undurchsichtig geworden und mit einem feinkörnigen, braunen Niederschlage überzogen, der sich in vielen Fällen theilweise herunter pinseln lässt. Die Descemet’sche Membran, wo sie an zufälligen Faltungen des Präparates deutlicher wahrgenommen wird, zeigt sich schwach braun gefärbt, durchsichtig und structurlös. (Zum Studium die- ser Verhältnisse ist es gut, wenn man am Rande des Schnittes absichtlich kleine Falten erzeugt, an denen man sich leicht überzeugen kann, dass die gleich zu beschreibenden Zeichnun- gen unterhalb der structurlosen Membran in der Hornhautsub- stanz selbst gelegen sind.) In dem braun gefärbten Gewebe der eigentlichen Hornhaut sieht man scharf begrenzte, helle, unregelmässig gestaltete Flecke von der ver- schiedensten Form und Grösse. (Es begegnet dem mit diesen Bildern noch nicht genügend Vertrauten, dass er die innerhalb der Substanz der Hornhaut gelegenen Zeichnungen an die Ober- fläche verlegt. So ging es mir selbst im ersten Augenblicke bei Untersuchung der Hornhaut von der Katze, doch gelang es mir bald, mich zu orientiren und den wahren Sachverhalt auf- zudecken.)

Auf gleiche Weise behandelte Hornhäute vom Kaninchen, Schwein, Kalb, Ochsen, Meerschweinchen zeigen mehr zer- streute, kleinere, mit Fortsätzen versehene und mittelst dersel- ben untereinander zusammenhängende Flecke von mehr regel- mässiger Gestalt (die sogenannten „Saftkanälchen* nach von Recklingshausen), die auch annähernd übereinstimmen mit den in der Hornhaut des Frosches auftretenden Zeichnungen. Beim Hunde erhält man dagegen ähnliche Bilder, wie bei der Katze. Die Hornhaut von alten Katzen nähert sich indessen in der Form und Anordnung ihrer hellen Flecke der Hornhaut

14”

912 Prof. Hoyer:

anderer Thiere; es ist daher für unseren Zweck besser, wenn man die Augen jüngerer Thiere zur Untersuchung verwendet, obschon am Rande der Hornhaut auch bei alten Thieren ähn- liche Zeichnungen sich darbieten, wie bei jungen. Die Flecke stellen sich hier vollständig wie ein unregelmässiges gezacktes Kanalsystem in einer dunkelen Substanz dar. Die grossen hel- len Flecke finden sich, wie bereits erwähnt, nur in den der Descemet’schen Haut zunächst gelegenen Schichten, während die mehr in der Tiefe gelegenen Theile der Hornhaut bei allen Säugethieren sich im Wesentlichen ziemlich gleich verhalten, d. h. die Flecke sind daselbst kleiner, zerstreut und nur durch feine Ausläufer untereinander zusammenhängend ; im Besonde- ren bieten die Hornhäute verschiedener Thiere mehr oder we- niger in die Augen fallende Unterschiede.

Je nach der Stärke der Einwirkung sowohl der Höllenstein- lösung, als auch des Lichtes, und je nach der grösseren oder geringeren Permeabilität der Hornhautsubstanz für die Höllen- steinlösung erstreckt sich die Wirkung mehr in die Tiefe der Hornhaut oder bleibt nur auf die äussersten dem Lichte direct ausgesetzten Schichten beschränkt. Die bereits dunkel gefärb- ten Stellen scheinen dem weiteren Eindringen und der tieferen Einwirkung des Lichtes ein bedeutendes Hinderniss zu bieten; keine der Hornhäute, welche einen etwas bedeutenderen Dicken- durchmesser besitzen, zeigte mir je eine so durch alle Schich- ten gleichmässig ausgebreitete Färbung, wie man dies an der Hornhaut vom Frosche beobachtet. Auch scheint durch das schnelle Schrumpfen der oberflächlichen Schichten der Gewebe dem tieferen Eindringen der Höllensteinlösung selbst ein star- kes Hinderniss gesetzt zu werden. Dafür spricht unter Ande- rem das Verhalten derjenigen Theile der Hornhaut, welche vom Epithel bedeckt bleiben. So findet man den vorderen vom ge- schichteten Conjunctivaepithel bedeckten Theil der Hornhaut fast nie gefärbt und die mit einschichtigem Epithel der Des- cemet’schen Membran bedeckt gebliebenen Theileder Substanz zeigen entweder gleichfalls keine Spur der Einwirkung oder dieselbe ist schwach und sehr ungleichmässig. Man kann sich sehr leicht über diese Verhältnisse unterrichten, wenn man

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde, 213

das letztere Epithel nur theilweise von der Descemet’schen Membran sich ablösen lässt. Hieraus folgt die Nothwendigkeit der vorherigen Ablösung des Epithels, wenn man eine Färbung der eigentlichen Hornhautsubstanz herbeiführen will. Die Zellen dieses Epithels selbst werden nicht so diffus braun ge- färbt !), wie das Hornhautgewebe, sondern bedecken sich mi einem körnigen braunen Niederschlage; am stärksten bildet sich; derselbe gewöhnlich entlang den Zellenrändern, gleichsam wie eine Verbreiterung der schwarzen Linien, welche die Contouren der Zellen begrenzen. Mit einem Pinsel lässt sich dieser Nie- derschlag oft mit Leichtigkeit entfernen, ein Beweis, dass er nur oberflächlich abgelagert ist; die feinen schwarzen Linien dringen dagegen tiefer zwischen die Zellen ein (wie man dies am umgeschlagenen Saume zusammengefalteter und mit Kali oder Essigsäure durchsichtig gemachter Stückchen des abgelös- ten Epithels beobachten kann), und lassen sich nie ganz voll- ständig beseitigen. Dieses Verhalten der Epithelzellen erklärt uns auch, einigermaassen die Entstehung der hellen Flecke in der Hornhautsubstanz. Da, wie wir gleich sehen werden, jene hellen Stellen oder Lücken den Orten entsprechen, an welchen einzelne Zellen oder ganze Zellencomplexe abgelagert sind und diese Zellen der Höllensteinlösung gegenüber sich ganz analog den Epithelzellen yerhalten, so werden nur diejenigen Theile der Hornhaut gefärbt werden, welche aus Intercellularsubstanz zusammengesetzt sind. Hat eine tiefere Einwirkung des Höl- lensteins stattgefunden, so sind die hellen Stellen nicht ganz farblos, sondern man sieht die darunter liegende braun gefärbte Schicht schwach durchschimmern; andererseits schimmern durch die dunkelen Stellen helle Flecke hindurch, entsprechend tiefer gelegenen Schichten von Zellen; bei entsprechender Einstellung, wozu es nur einer sehr geringen Verschiebung des Focus be-

1) Die diffuse Färbung der Grundsubstanz entsteht wahrscheinlich nur in Folge einer ausserordentlich feinen Vertheilung des Silbernie- derschlages zwischen den Molekeln der leimgebenden Substanz; in manchen Fällen findet man dagegen auch hier einen deutlich körni- gen Niederschlag, dessen Entstehungsursachen noch nicht ganz aufge- klärt sind.

214 Prof. Hoyer:

darf, erhält man diese letzteren Flecke scharf begrenzt, wäh- rend die vorher deutlich gesehenen Flecke aus dem Sehfelde herausrücken und undeutlich werden. Aus diesem Umstande geht schon hervor, dass jene Flecken oder Lücken eine nur. geringe Dicke haben und schichtweise angeordnet sind.

Wird die Höllensteinlösung nicht zu concentrirt angewandt und bleibt ihre Einwirkung auf eine möglichst kurze Zeit be- schränkt, so sieht man schon ohne alle weitere Behandlung, dass in jedem solchen hellen Flecke ein grosser, ova- ler, scharf begrenzter, mit einem oder zwei Kern- körperchen versehener Kern enthalten ist. (Durch die Einwirkung der angewandten Reagentien entsteht häufig eine etwas abweichende, oft sogar eckig verzerrte Form des Kernes, namentlich beobachtet man dies an den grossen zarten Kernen in den Hornhautzellen des Frosches.) Sind dagegen die Kerne unsichtbar geworden, so lassen sie sich meist wieder zum Vor- schein bringen durch Einlegen der Hornhaut während einiger Zeit in höchst verdünnte Säuren (am Besten Salzsäure oder Schwefelsäure in etwa 500facher Verdünnung). Schon dieser Umstand beweist, dass jene hellen Flecke den Stellen entspre- chen müssen, an welchen die Zellen oder wenigstens die Zel- lenderivate des Bindegewebes abgelagert sind.

Was nun im Besonderen die Hornhaut der Katze anbetrifft, so zeichnen sich die durch Silberbehandlung daran zum Vor- schein gebrachten Flecken nicht blos aus durch ihre unregel- mässige Form und ihre Vereinigung zu grossen, bandartigen, hellen Streifen und eckigen Flecken , sondern auch durch das Auftreten von feinen, schwach gebogenen oder etwas geschlän- gelten, schwarzen Linien, die vollkommen übereinstimmen mit den an einschichtigen Epithelien durch Silberimprägnation erzeugten Linien, sowie auch mit den an den Pacini’schen Körperchen bei gleicher Behandlung zu Tage tretenden Zeich- nungen. Diese Linien durchschneiden entweder in querer oder in schräger Richtung die Flecken, indem sie von dem einen zum anderen Rande des Fleckes hinübertreten, oder sie bilden ein weitmaschiges, mehr oder weniger ausgedehntes Netz- werk, welches die ganzen Flecke ausfüllt. Dieselben werden

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 315

dadurch je nach ihrer Grösse in mehr oder weniger zahlreiche unregelmässig polygonale Maschenräume oder Felder getheilt, 3 bis 6 und mehr. Auf den ersten Blick glaubt man auf der . Oberfläche der Descemet’schen Membran zurückgebliebene Reste des Epithels vor sich zu haben, doch überzeugt man sich leicht, dass solche scheinbar epithelhaltigen Lücken unterhalb der homogenen Membran und in gleicher Ebene mit den an- deren Flecken liegen, dass die Netze bildenden Linien vollstän- dig übereinstimmen mit den die Flecken quer durchsetzenden schwarzen Streifen und dass die Felder nicht so regelmässig gestaltet sind, wie am Epithel. Nach dem Rande der Horn- haut zu sind solche grosse mit netzartiger Zeichnung versehe- nen Flecken zahlreicher und umfangreicher, als wie nach der Mitte zu, wo sie mehr und mehr sich verkleinern, von einan- der absondern und gleich den mehr nach der Tiefe zu gelege- nen Flecken nur noch durch schmale und lange Fortsätze un- ter einander zusammenhängen. Je jünger die Thiere sind, de- nen die Hornhaut entnommen ist, desto zahlreicher und bedeu- tender sind diese Flecken mit netzförmiger Zeichnung; je älter das Thier, desto mehr nähert sich die Form und Anordnung der Flecken dem gewöhnlichen Typus, wie er sich bei den mei- sten Thieren vorfindet, d. h. die Flecken erscheinen kleiner, mehr zerstreut und abgesondert und hängen nur noch durch feine Ausläufer unter einander zusammen.

Die die Flecken einfach durchsetzenden Linien beobachtet _ man regelmässig an den Stellen, wo zwei Flecken aneinander stossen, so dass dieselben dadurch gegen einander bestimmt ab- gegrenzt werden. Wo die Flecken eine mehr bandförmige Ge- stalt haben, wird der helle Raum durch eine oder mehrere sol- cher Linien (entsprechend seiner geringeren oder grösseren Aus- dehnung) in kürzere‘ Abschnitte abgetheilt. Oft wird eine solche Linie durch ein oder mehrere Häufchen dunkelgefärbter Zwischensubstanz in mehrere Stücke getheilt; es sieht aus, als ob ein dunkler aus grösseren Körnern bestehender Niederschlag auf der Linie sich abgelagert und dieselbe unterbrochen hätte oder als ob mehrere sehr kurze und breite Fortsätze von Lücken, die fast unmittelbar aneinander stossen, durch eine Linie von

216 Prof. Hoyer:

einander abgegrenzt wären, welche sämmtliche Fortsätze durch- schneidet. Schwerer ist es schon, diese Linien in längeren und schmäleren Fortsätzen aufzufinden, doch habe ich sie auch da- rın nie vermisst und bin überzeugt, dass sie überall vorkom- men und sich nachweisen lassen würden, aber bei der grossen Zartheit und Feinheit der Fortsätze können diese Grenzen na- türlich nur punktförmig sein. Uebrigens findet man die Li- nien in den längeren und nicht zu schmalen Fortsätzen nicht in der Mitte derselben, sondern sie gehen sehr schräg von einer Seite des Fortsatzes zur anderen und finden sich meist nur am Beginn oder am Ende der Fortsätze, also stets da, wo ein Fort- satz mit dem Binnenraum der anderen Lücke sich verbindet. Die Fortsätze scheinen also fast nie in der Mitte sich zu ver- einigen. Die Hornhäute anderer Thiere können, wenn unsere weiter unten zu begründende Ansicht richtig ist, nicht ganz dieser Linien entbehren ; auch dort müssen sich die Flecken gegen einander abgrenzen. Da aber die Flecken meist klein und nur mit sehr feinen Fortsätzen versehen sind, so kann, wie schon gesagt, ebenso wie an den feinen Fortsätzen der Flecken in der Hornhaut der Katze, die Ablagerung nur punktförmig sein. Indess findet man auch hier und da Linien, welche die Flecken in der Mitte durchsetzen und in zwei Theile theilen; ich sah sie z. B. oft beim Kaninchen, seltener beim Frosch. Beim Hunde verhält sich die Hornhaut ganz ähnlich wie bei der Katze, doch hatte ich nicht ausreichendes Material zur nä- heren Verfolgung dieses Factums. Schliesslich will ich hier noch erwähnen, dass die Hornhautsubstanz durch die Einwir- kung des Höllensteins schrumpft und in Folge dessen jene Flecke oder besser die Lücken und ihre Fortsätze ein wenig über ihr natürliches Maass vergrössert und verbreitert werden; indessen ist die Schrumpfung durchaus nicht der Art, dass sie die Entstehung der Lücken künstlich bewirken könnte. Wer einmal die Lücken an der hinteren Fläche der Hornhaut von der Katze gesehen hat, wird es für ganz unmöglich erklären müssen, dass dieselben durch Spaltung der Hornhautsubstanz entstanden sein könnten. Wollte man behaupten, dieselben be- ruheten auf einer ungleichmässigen Einwirkung des Höllen-

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 317

Fr

steins, welcher die einen Stellen braun färbe, während er an- dere ungefärbt lasse, so wäre darauf zu erwiedern, dass diese constante Erscheinung und die an den Hornhäuten verschiede- ner Thiere immer in ganz gleicher und charakteristischer Weise auftretenden Zeichnungen nicht von zufälligen äusseren Umstän- den abhängen können, sondern in dem Bau der Membran ihren bestimmten Grund haben müssen. Diese Erscheinung steht so fest, die eben beschriebenen Bilder sind so constant, hängen so wenig vom Spiele des Zufalls ab, lassen sich in ihrer Entste- hung schrittweise unter dem Mikroskope verfolgen, dass dieses Factum sich auf keine Weise mehr negiren lässt.

Anders verhält sich dagegen die Sache, wenn man daran geht, die erhaltenen Bilder zu deuten. Hier ist der Beweis sehr schwierig, der Phantasie ist grosser Spielraum gegeben und die subjeetive Ueberzeugung spielt eine grosse Rolle. Wer überhaupt im Bindegewebe Lücken zu sehen gewöhnt ist, wird die oben als „helle Flecke* bezeichneten Stellen für einfache Lücken ansehen oder als Spalten deuten. Ein Anderer sieht darin die Anfänge der Lymphgefässe , Saftkanälchen u. s. w. und betrachtet die daselbst wahrnehmbaren kernartigen Gebilde als zufällig dorthin gelangte zur Textur des Gewebes in keiner Beziehung stehende Derivate von Zellen u. dergl.

Gestützt auf die Thatsachen der Entwickelungsgeschichte, ausgehend von dem Factum, dass die Entwickelung des Eies und der Gewebe im Allgemeinen mit der Zellbilduug beginne und dass sowohl im zuerst entstehenden, als auch in lebhaft wach- senden Geweben die zelligen Elemente prävaliren, vermag ich mich von der einmal erworbenen Ueberzeugung nicht zu tren- nen, dass auch das Bindegewebe nothwendig durch Vermitte- lung der Zellen sich entwickeln müsse, dass die darin enthal- tenen zelligen Elemente demselben nothwendig zugehören und dass sie einen wesentlichen, ja in histogenetischer Beziehung den wesentlichsten Theil desselben ausmachen. Indessen habe ich mich bemüht, bei der Erforschung dieser Verhältnisse und bei der Erklärung des Gesehenen mich auf einen möglichst ob- jeetiven Standpunkt zu stellen. Wenn ich auf Thatsachen ge- stossen wäre, welche unvereinbar gewesen wären mit der obi- gen Anschauungsweise und mit der Lehre von den Zellen, so

218 Prof. Hoyer:

hätte ich der Wahrheit zu Liebe diese Grundanschauungen fal- len gelassen. Anstatt dessen bin ich aber zu Ansichten ge- langt, welche die früheren Lehren nicht nur nicht umzustossen drohen, sondern im Gegentheil noch eher befestigen und ver- schiedene bisher noch; ziemlich unklare Verhältnisse sehr na- türlich erklären. Indessen sind, wie schon oben erwähnt, die beizubringenden Beweise noch immer nicht ausreichend und die Controllirung derselben sehr umständlich und mühevoll. Aus diesem Grunde betrachte ich die weiterhin zu entwickeln- den Anschauungen auch nur als eine Vorarbeit auf einem noch auszubeutenden Felde, welches, richtig behandelt, noch recht fruchtbringend zu werden verspricht. Ich werde zufrieden sein, wenn sowohl das Thatsächliche,- wie auch das Theoretische die- ser Arbeit einer sorgfältigen Prüfung werden gewürdigt werden.

Endlich muss ich hier auch noch im Voraus erwähnen, dass ich trotz der von höchst beachtenswerther Seite beigebrachten Beweise dennoch nicht vermocht habe, mich von der Unhalt- barkeit der früheren Zellentheorie zu überzeugen. Zwar gebe ich zu, dass die Lehre von der Bläschennatur der Zelle nicht mehr überall unbedingt durchzuführen sei, dass namentlich der Inhalt nicht in allen Zellen gänzlich aus dünnflüssiger Masse bestehe und die festere peripherische Schicht des Zellkörpers sich nicht immer als homogene Membran vom Inhalte abheben und als gesonderter indifferenter Theil ansprechen lasse; im Gegentheil glaube ich in einem grossen Theile der zelligen Ge- bilde einen hauptsächlich aus fest-weicher Masse bestehenden und mit eigenthümlicher „Organisation“ versehenen Zellkörper statuiren zu müssen; doch bin ich andererseits überzeugt, dass jede Zelle nach Aussen so bestimmt abgegrenzt wird, wie die Zellen der Epithelien, und dass diese Abgrenzung vermittelt wird durch einen mit etwas festerer Consistenz versehenen Saum, der nur deshalb nicht wahrgenommen wird, weil einer- seits sein Lichtbrechungsvermögen von dem des übrigen Zell- körpers sich nicht unterscheidet, und weil andererseits eine scharfe Grenze zwischen dem peripherischen und centralen Theil der Zelle nicht nachzuweisen ist. Anstatt daher vom „Proto- plasma* mit eingeschlossenen Kernen zu sprechen, werde ich

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde, 219

im Folgenden den Ausdruck „Zelle“ beibehalten für denjenigen elementaren Formbestandtheil des Bindegewebes, welcher aus einem Kern und einem denselben einhüllenden scharf begrenz- ten Zellkörper besteht. Andere Forscher werden allerdings in den beschriebenen Lücken nichts Anderes sehen, als wie einen Kern, der von einer die Gewebslücke ausfüllenden körnig ge- rinnenden Substanz eingeschlossen ist, doch hege ich durchaus nicht die Absicht, mich in eine Erörterung dieser Fragen hier einzulassen, da ich keine unbestreitbaren Beweise für diese nur subjective Auffassung beizubringen vermag.

Die erste Thatsache, auf welche ich mich bei Erklärung der mittelst Höllensteinlösung in der Hornhaut zum Vorschein ge- brachten Bilder stütze, ist die, dass jeder helle Fleck eine ge- wisse messbare Dicke besitzt; man muss die Röhre des Mikro- skopes nicht unbedeutend heben und senken, um den Fleck aus dem Gesichtsfelde verschwinden zu lassen und die denselben von oben und von unten begrenzenden Schichten der braun ge- färbten Zwischensubstanz abwechselnd in den Focus zu bringen. Dieser Umstand beweist, dass der Fleck wirklich als eine Art Lücke zu deuten ist, die von einer ungefärbt bleibenden Sub- stanz ausgefüllt wird. Dafür sprechen auch die an gut gelun- genen Präparaten von der Hornhaut der Katze deutlich wahr- nehmbaren doppelten Contouren der braunen Grundsubstanz, da wo die Lücke von derselben begrenzt wird; dieselben ent- sprechen gewissermaassen der oberen und unteren Begrenzungs- linie eines in eine Platte von bestimmter Dicke ausgestemmten; conischen, unregelmässig geformten Loches.

Ein zweites wichtiges Moment für die Deutung dieser Lü- cken bietet der Umstand, dass in jeder derselben bei gehöriger Behandlung ein deutlicher Kern bestimmt nachzuweisen ist und das; an den mit netzförmigen Linien versehenen Lücken jede Masche des Netzes gleichfalls mit einem Kern versehen ist, wodurch die Aehnlichkeit mit epithelialen Bildungen noch viel auffälliger wird. Ueberhaupt enthält jede Abtheilung der Lü- cken, welche von den feinen schwarzen Linien begrenzt ist, einen Kern eingeschlossen. Der Kern ist ziemlich gross, von einem doppelten Contour scharf begrenzt und durch die Ein-

220 Prof. Hoyer:

wirkung der angewandten Agentien meist unregelmässig verbo- gen und verzerrt, so dass seine Gestalt in vielen Fällen der Form der Zelle sich anzupassen scheint (namentlich ist dies der Fall in der Hornhaut des Frosches); im frischen Zustande scheint er jedoch stets regelmässig oval zu sein. Da derselbe, gleich der ganzen Zelle, abgeplattet ist, so muss er auf dem Querschnitt der Hornhaut als stäbchenförmiger Körper sich dar- stellen.

Eine weitere für unsere Ansicht sprechende Thatsache sind die am Rande der Katzenhornhaut häufig auftretenden Pigment- zellen, welche auf Flächenschnitten als nicht ganz regelmässig polygonale, mit einem deutlichen hellen Kerne versehene Zellen sich darstellen, meist in grösserer Zahl dicht zusammengelagert sind, so dass sie mit ihren deutlich wahrnehmbaren Rändern sich gegenseitig unmittelbar berühren und grosse Aehnlichkeit zeigen mit den pigmentirten Epithelzellen von der Innenfläche der Chorioidea des Auges. Die Identität zwischen jenen Pig- mentzellen und dem in den grossen hellen Flecken der Horn- haut darstellbaren und mit Kernen versehenen Maschenwerk ist so in die Augen fallend, dass sie sich nicht wohl verkennen lässt. Die Uebereinstimmung dieser beiden in der Hormhaut darstellbaren und mit Kernen versehenen Maschenwerke ist so in die Augen fallend, dass sie sich nicht wohl verkennen lässt. Die Uebereinstimmung dieser beiden in der Hornhaut gleich- zeitig und dicht nebeneinander vorkommenden Zellenformen ist eben so gross, wie die zwischen den pigmentirten und pigment- losen sternförmigen Zellen im Schwanze der Batrachierlarven. Will man die Identität der letzteren Gebilde läugnen, so muss man ihnen vor Allem den zelligen Charakter absprechen. (Ne- ben den polygonalen Pigmentzellen kommen am Hornhautrande auch noch dergleichen sternförmige Zellen vor, welche sichtlich übereinstimmen mit den in den tieferen Schichten der Horn- hautsubstanz enthaltenen sternförmigen Zellen, von denen gleich die Rede sein wird. Endlich findet man-hier auch noch zu- weilen Formen des Pigments, welche die grösste Uebereinstim- mung zeigen mit künstlich injieirten Hornhautlücken.)

Die Ueberzeugung von der zelligen Natur des kernhaltigen

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 921

Maschenwerkes befestigt sich noch mehr, wenn man zufällig Präparate zur Untersuchung bekommt, wo durch die Höllenstein- lösung keine Färbung der Grundsubstanz und keine Ablagerung eines körnigen Niederschlages in derselben herbeigeführt wor- den ist, sondern nur in Folge einer körnigen Gerinnung des Lückeninhaltes derselbe sich deutlich von der Zwischensubstanz abgehoben hat. Man findet dann die Contouren jener Netze in den grossen Lücken ganz eben so deutlich hervortretend, wie bei der Bildung des schwarzen netzförmigen Niederschlages, und ausserdem erkennt man auch noch deutlich die in der Mitte der Maschen enthaltenen Kerne. Ebenso sieht man hier auch die Linien, welche die schmalen Lücken durchsetzen und in kleinere Abtheilungen zerlegen. Dasselbe bekommt man zu sehen, wenn auch weniger gut, sobald man mittelst anderer ge- eigneter Flüssigkeiten eine Gerinnung jenes Lückeninhaltes her- beiführt, z. B. mittelst sehr verdünnter Sublimatlösung oder noch besser mittelst der nach Kühne’s!) Vorschrift bereiteten Lösung von Chromsäure und Kochsalz (bestehend aus 1 Theil Chromsäure, 2!/, Theile Kochsalz und 1000 Theile Wasser). Mit Hülfe dieser Mittel kann man sich auch überzeugen, dass die in der Tiefe (nach der Vorderfläche zu) gelegenen entspre- chenden Gebilde mehr sternförmig sind, stets Kerne enthalten und ganz übereinstimmen mit den auf dieselbe Weise zu ver- deutlichenden Texturen der Hornhäute von anderen Thieren, z. B. vom Kaninchen, Schwein u. A.

Zur näheren Erforschung dieser Gebilde wird auch mit Vor- theil die von His?) angegebene und demnächst durch ihn und durch von Recklinghausen‘) bestimmter festgestellte zweite Wirkungsweise des Höllensteins angewandt, nämlich die Erzeu- gung eines körnigen Silberniederschlages innerhalb des Lücken- ee selbst. Das Verfahren, welches mir hierbei vortreffliche

1) Dr. W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma und die Contractilität. en. 1864. S. 140.

2) Dr. W. His, Beiträge zur normalen und pathologischen Histo- logie der Cornea. Basel 1856. S 67.

3) Dr. F. von Recklinghausen, Die Lymphgefässe na ihre Beziehung zum Bindegewebe. Berlin 1862. 8. 4.

222 Prof. Hoyer:

Dienste geleistet hat und das ich an den Hornhäuten der ver- schiedensten Thiere mit dem besten Erfolge wiederholt ange- wandt habe, war folgendes:

Die zu untersuchende ausgeschnittene Hornhaut übergiesst man in einem flachen Gefässe mit ungefähr 40 Cc. der 0,2 pro- centigen oder selbst noch schwächeren Höllensteinlösung, bewegt sie durch leichtes Schwenken des Gefässes vorsichtig hin und her, um den entstehenden copiösen weissen Niederschlag her- unterzuspülen und noch unzersetzte Schichten der Lösung stets von Neuem mit ihr in unmittelbare Berührung zu bringen, und lässt sie geschützt vor der Einwirkung des Lichtes so lange in der Flüssigkeit liegen, bis sie vollständig von derselben durch- tränkt worden ist. Im Allgemeinen ‚reichen 10 bis 15 Minuten hin, um die Hornhaut durch alle Schichten hindurch milchig trübe zu machen, doch wird man in vielen Fällen vergeblich sich bemühen, eine solche Durchtränkung zu Wege zu bringen, selbst wenn man das Präparat Tage lang in der Lösung liegen lassen sollte. Wie es scheint, setzen diejenigen Hornhäute dem Eindringen der Lösung einen grösseren Widerstand entgegen, welche arm an Parenchymflüssigkeit sind und unter der Ein- wirkung des Höllensteins schnell zusammenschrumpfen. Nach erfolgter Imprägnation unterwirft man die Hornhaut der Ein- wirkung einer grösseren Menge höchst verdünnter (etwa 0,1 pro- centiger) Salzsäure. Sie quillt darin auf und die Lücken, in welchen die Zellen abgelagert sind, füllen sich mit einem fein- körnigen Silberniederschlage an (dasselbe kann man, obschon weniger gut, erreichen durch Einlegen der silbergetränkten Horn- haut in Kochsalzlösung). Ich verwende mit grossem Vortheile eine schwache Lösung von Jodkali, der eine Spur von Salzsäure zugesetzt wird; diese Mischung giebt einerseits einen sehr gleichmässigen, dichten, feinkörnigen Niederschlag, andererseits erleichtert die schwache Quellung der Hornhaut die Anfertigung von feinen Flächenschnitten, indem sie sich fast wie Knorpel schneiden lässt. (Der Lösung von Jodkali setze ich gewöhnlich noch etwa !/;,, Gewichtstheil eines YO procentigen Alkohols zu, welcher einerseits die zu starke Quellung verhindert, anderer- seits dazu dient, das Präparat längere Zeit hindurch zu conser-

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 223

viren. In einer gleich starken Alkoholmischung lassen sich auch die durch Höllenstein braun gefärbten Hornhäute für län- gere Zeit ganz gut aufbewahren.)

Die auf diese Weise zum Vorschein gebrachten, mit körni- gem Niederschlage erfüllten sternförmigen Gebilde der Hornhaut stimmen vollkommen mit den Bildern überein, welche His nach gediegenen Untersuchungen an Holzessigpräparateh ausführlich beschrieben und als Zellen gedeutet hat.') Sie sind an gut ge- lungenen Versilberungspräparaten scharf begrenzt und enthalten sämmtlich einen ovalen, hellen, deutlich begrenzten, mit Kern- körperchen versehenen Kern. Den letzteren vermisst man nur dann, wenn er entweder durch einen ungewöhnlich reichlichen und dichten Niederschlag verdeckt oder durch eine zu intensive Wirkung der Silberlösung sowohl wie auch der Salzsäure zu einem gestaltlosen Klümpchen zusammengeschrumpft ist. Die äusserst dünnen, mit Reihen feiner Körnchen erfüllten zahlrei- chen Fortsätze benachbarter sternförmiger Gebilde stossen in gerader oder in ziemlich senkrechter Richtung zusammen. In- dem sie sich unmittelbar unter einander vereinigen, geben sie den Anlass zur Entstehung von zierlichen, flachen, schichtweise geordneten, der Hornhautfläche parallelen Netzen feiner, in meist senkrechter Richtung einander kreuzender Linien. Indem ein- zelne in ziemlich regelmässigen Abständen angeordnete Knoten- punkte dieser Netze sich verbreitern, bilden sie eben jene stern- förmigen zellenähnlichen Gebilde. Macht man von einer auf die eben beschriebene Weise präparirten Hornhaut in zur Ober- fläche senkrechter Richtung feine Schnitte, so überzeugt man sich zunächst, dass die Körnchen des Silberniederschlages zwi- schen die lamellenartigen Schichten der Hornhaut abgelagert sind und sich zumeist an den Stellen angehäuft haben, wo auch die hier mehr stäbchenförmig erscheinenden Kerne sich vorfin- den, andererseits aber sieht man deutlich, dass die Körnchen- schichten durch die Lamellen nicht in lauter streng parallele Schichten abgesondert werden, sondern vielmehr zwischen den unregelmässig durcheinander geschobenen und sich durchflech-

1) A. a. 0. Taf. 1., Fig. 5 8.

224 Prof. Hoyer:

tenden Schichten der Hornhautsubstanz sich ausbreiten, aus oberflächlicher Lage in die Tiefe herabsteigen und somit auch in dieser Richtung unter einander in Verbindung treten.

Es frägt sich nun: sind diese Netze gebildet von wahren Ausläufern jener sternförmigen zellenähnlichen Gebilde, welche zu einem System hohler „Saftzellen* verschmolzen sind, oder hat man es hier nur mit einem in die Substanz der Hornhaut- ausgegrabenen System communicirender „Saftkanälchen“ zu thun, die nur in stellenweisen Anschwellungen zellenartige Gebilde enthalten sollen?

Dass die Körnchen des Silberniederschlages innerhalb lücken- und kanälchenförmiger Räume abgelagert sind, wird wohl Nie- mand in Zweifel ziehen wollen, zumal es feststeht, dass diese Räume zwischen den normalen lamellenartigen Schichten der Hornhaut sich vorfinden und gleichzeitig auch die Kerne ent- halten. Dass die röhrenförmigen Räume unter einander zusam- menhängen, wird auch Jeder zugestehen, der ein solches mit körnigem Niederschlage erfülltes Netz sehr breiter und kurzer Kanälchen von der Vorderfläche irgend einer Hornhaut, oder die grossen breiten, unmittelbar in einander übergehenden Lü- cken aus der hintersten Schicht einer Katzenhornhaut gesehen hat. Dass jene körnerführenden Röhrchen durch die Fortsätze der Zellen gebildet sein sollen, erscheint jedoch höchst unwahr- scheinlich, und ebensowenig wahrscheinlich ist es, dass diesel- ben für gewöhnlich leer oder vielmehr blos mit Gewebsflüssig- keit angefüllt sein sollten. Es lässt sich auch in der That nach- weisen, dass die Ausläufer der Lücken für gewöhnlich eine Substanz enthalten, welche die Verlängerung bildet von der in den grösseren Lücken enthaltenen und die Kerne einschliessen- den Substanz, welche wir auf Grund der Beobachtungen an der Hornhaut der Katze als Zellkörper zu deuten uns für berechtigt halten. Diese Substanz bleibt, wie wir gesehen haben, unter der Einwirkung des Höllensteins farblos, lässt sich aber in den Lücken sowohl, wie in den Ausläufern derselben dadurch be- stimmt nachweisen, dass man sie zur Gerinnung bringt. Das Eindringen der eigentlichen Zellenfortsätze in alle, selbst die einsten kanälchenartigen Lücken sieht man am Besten an un-

Ein Beitrag zbr Histologie bindegewebiger Gebilde, 225

gefärbt gebliebenen Stellen von Versilberungspräparaten, wo in Folge der Gerinnung die Zellsubstanz zu einer compacten glän- zenden Masse sich umgewandelt hat, die nun deutlich von der umgebenden Zwischensubstanz sich abhebt. Noch deutlicher überschaut man aber diese Verhältnisse an Hornhäuten von der Katze, welche mit Silber- und Jodlösung behandelt worden sind. Hier sieht man in den hintersten Schichten die oben beschrie- benen, nun mit körnigem Niederschlage mehr oder weniger an- gefüllten Lücken in breitere und feinere Fortsätze übergehen, man erkennt deutlich die alle diese Räume ausfüllenden Zell- körper und findet auch jetzt noch, selbst in den schon ziemlich stark verschmälerten Ausläufern die dieselben durchschneiden- den und die Zellen von einander abgrenzenden feinen schwar- zen Linien. (Auf die von Kühne!) beschriebenen Contractions- erscheinungen dieser Zellen kann ich hier nicht eingehen, zu- mal die wenigen Beobachtungen, welche ich in dieser Beziehung bisher angestellt, mir ein bestimmtes Urtheil nicht gestatten.) Manche der sternförmigen, mit körnigem Niederschlage erfüllten Gebilde erscheinen oft wie mit einer Membran versehen und namentlich markiren sich in solchen Fällen die zarten Fortsätze als glänzende Linien, welche grosse Aehnlichkeit zeigen mit feinsten elastischen Fasern. Die genauere Untersuchung lehrt indess, dass diese Erscheinung auf einer optischen Täuschung beruht und bedingt wird durch die kaum merkbare dunklere Färbung der Zwischensubstanz und den dadurch herbeigeführten grösseren Unterschied im Lichtbrechungsvermögen der letzteren und des Inhaltes der Lücken. Das Licht wird an der Rand- einfassung der Lücken diffus refleetirt und verleiht dadurch der Umgrenzung grösserer solcher Räume das Ansehen dunklerer doppeltcontourirter Membranen, die Fortsätze macht es dagegen zu glänzenden Fäden.

Wenn nun also die in der Hornhautsubstanz ausgegrabenen Lücken und Kanälchen einerseits von Zellen und ihren Fort- sätzen wirklich ausgefüllt sind, die selbst keine Silberkörnchen einschliessen , andererseits der Niederschlag dennoch in dem

. A.a0, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. r

226 Prof. Hoyer:

Lückensystem 'enthalten ist, so kann er sich nur zwischen der Wand und dem Inhalte der Lücken, also auf der Oberfläche der Zellen und ihrer Ausläufer abgelagert haben. Diese An- sicht erscheint mir nach Allem, was ich an zahlreichen aus den verschiedenartigsten Hornhäuten angefertigten Präparaten gese- hen habe, als die wahrscheinlichste und.annehmbarste und wird auch noch durch mancherlei andere Gründe unterstützt. So weist dieselbe unter Anderem eine grosse Uebereinstimmung nach zwischen den Zellen des Hornhautgewebes und des Epi- thels (speciell des Epithels der Descemet’schen Haut) in ih- rem Verhalten gegen die Höllensteinlösung, indem sowohl an den einen, sowie auch an den anderen die Zellsubstanz selbst durch die Einwirkung der Lösung nicht gefärbt wird, sondern nur oberflächlich mit einem körnigen Niederschlage sich über- zieht. Wenn aber die Ablagerung des letzteren nur an der Oberfläche Statt hat, so wird sie auch dort erfolgen, wo zwei Zellen zusammenstossen und mit der schmalen Seitenfläche sich aneinanderlegen, wodurch die Contouren der Zellen verdeutlicht und von scheinbar netzförmigen Niederschlägen eingerahmt wer- den müssen. Dass übrigens die Körnchen nicht blos in den feinen Kanälchen, sondern auch in den grösseren den Zellkörper einschliessenden Lücken enthalten sind, davon habe ich mich an jedem meiner nach obiger Vorschrift mittelst Jodlösung dar- gestellten Präparate auf's Schlagendste überzeugt; man sieht dort meist noch den Kern, welcher selbst nie mit körnigem Niederschlage angefüllt ist, durch die dünne gleichmässige Schicht von Körnern durchscheinen; in manchen Hornhäuten hatte sich jedoch ein so reichlicher Niederschlag gebildet, dass mit Ausnahme der mit Körnchen dicht angefüllten grösseren Lücken und feinen Ausläufer Nichts weiter zu erkennen war. Nur an solchen Präparaten, in welchen der Niederschlag nur sehr sparsam sich abgelagert hat, wird er scheinbar blos in den Ausläufern wahrgenommen, doch habe ich ihn auch in solchen Fällen, wenigstens an der Peripherie der Lücke, stets vorge- funden.

Unterwirft man die mit Silberlösung imprägnirte Hornhaut der Einwirkung des Jods, nachdem sie zuvor durch Sonnen-

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde, 297

. licht braun gefärbt worden ist, so lassen sich daran gleichzeitig die Wirkungen der ersten und zweiten Anwendungsweise des Höllensteins beobachten. Einerseits sieht man nämlich an Schnitten von der Hinterfläche der Hornhaut noch deutlich die hellen Lücken umgeben von dunklerer Zwischensubstanz, ande- rerseits findet man dieselben Lücken nebst ihren Fortsätzen angefüllt mit dem körnigen Niederschlage; war dabei ein Theil der Hornhaut nngefärbt geblieben,gso erhält man beide Wir- kungsweisen neben einander, man findet sowohl die hellen Lücken in dunkler Grundsubstanz, als auch die sternförmigen mit Körnern angefüllten Gebilde inmitten ungefärbter Substanz, und beobachtet den Uebergang der einen Form von Zeichnun- gen in die andere. Diese Beobachtungen lassen keinen Zweifel übrig, dass man es hier in dem einen und dem anderen Falle mit identischen Gebilden zu thun habe.

Die durch letztere combinirte Behandlungsweise erhaltenen Präparate sind auch noch ın anderer Beziehung sehr instructiy. Man sieht nämlich daran deutlich, wie der körnige Niederschlag sich wesentlich nur an der Peripherie der Lücken markirt, wäh- rend die Mitte sowie der Kern frei davon zu sein scheinen. Dieses Factum spricht sehr zu Gunsten der Annahme einer nur oberflächlichen Ablagerung der Niederschläge an den die Lücken ausfüllenden Zellen.

Die Entstehung dieser interessanten, der Zellenausbreitung folgenden, netzförmigen Niederschläge erkläre ich mir durch folgende Hypothesen: Die Silberlösung tritt in das Innere der Hornhaut auf zweierlei Wegen; einmal dringt sie durch die physikalischen Poren aller Hornhauttheile , stösst aber dabei gleich von vorn herein auf grossen Widerstand an den Epithe- lien, welche die vordere und hintere Hornhautfläche überkleiden (besonders zeichnet sich in dieser Beziehung das geschichtete Epithel der Vorderfläche aus); andererseits verbreitet sie sich darin auf den Wegen, auf welchen die zur Ernährung dienen-. den Flüssigkeiten in das Innere des Gewebes eindringen, resp. dasselbe verlassen, und auf welchen sie den geringsten Wider- stand antrifft. Dies sind aber die eben geschilderten Lücken, welche die Zellen der Hornhaut sammt deren Fortsätzen ein-

157

225 Prof. Hoyer:

schliessen. Zwar werden die Lücken von ihrem Inhalte fast gänzlich ausgefüllt, indessen glaube ich, dass, während die ab- geflachte Zelle mit der einen sie begrenzenden Schicht der Zwischensubstanz inniger verklebt ist, ähnlich wie die Zellen an den Kapseln der Pacini’schen Körper, ‚demnach zwischen der anderen freien Oberfläche der Zelle und der sie begrenzen- den lamellösen Schicht (der zweiten Wand der die Zelle um- fassenden platten Lücke) Raum genug übrig bleibt für die Fort- bewegung von Flüssigkeiten. (Bei vermehrter Ansammlung von Parenchymflüssigkeit dürfte sich die Lücke wohl in ähnlicher Weise ausdehnen, wie bei künstlicher Injection des Gewebes durch Einstich.) Wird nun die mit Höllensteinlösung durch- ‚ränkte Hornhaut mit Jod- oder Chlorsalz behandelt, so lagert sich der entstehende Niederschlag von Jod- oder Chlorsilber gleichfalls an den Orten des geringsten Widerstandes ab, d. h. in den beschriebenen Lücken und wird daselbst durch die Ein- wirkung des Lichtes zersetzt.

Versuchen wir es nun, aus dem vorhergehend Erörterten Schlüsse über die Textur verschiedener bindegewebiger Gebilde zu ziehen, so werden wir zunächst zu constatiren haben, dass das Bindegewebe wirkliche, ihm eigenthümlich zugehörende Zellen enthalte. Dieselben sind früher nur deshalb nicht deutlich erkannt worden, weil man bei Untersuchung des Binde- gewebes meist nur solche Mittel zu Rathe gezogen hat, welche gewöhnlich nur die Kerne der Zellen deutlicher hervortreten lassen, während der zarte und durchsichtige Zellkörper entwe- der durch getrübte oder faserige Zwischensubstanz verdeckt oder selbst bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde. Indessen will ich gern zugestehen, dass die mittelst der neueren Metho- den (Untersuchung ohne jeden Zusatz von Flüssigkeit und ohne Deckgläschen oder mittelst Humor aqueus, Serum, Höllenstein, verdünnter Chromsäure u. dergl. m.) erlangten Beweise für die Anwesenheit eines den Kern einschliessenden Zellkörpers so lange noch als unvollständig angesehen werden müssen, bis die zellige Natur dieser Gebilde aus ihrer Entstehung und stufen- weisen Fortentwickelung unzweifelhaft nachgewiesen sein wird.

Die Form und Anordnung der Zellen kann, wie wir gesehen

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 229

haben, an einem und demselben Gebilde, wie z. B. in den ver- schiedenen Schichten der Hornhaut, eine ganz verschiedenartige sein; dennoch lassen sich alle diese Modificationen auf gewisse Grundformen zurückführen und in ihrer Entstehungsweise leicht erklären. Gehen wir zunächst von der Hornhaut und den Pa- cini’schen Körperchen aus, so finden wir in beiden Gebilden einen lamellösen Bau, der nun insofern einen äusserlichen Un- terschied darbietet, als in der Hornhaut die Lamellen in ihrer Uebereinanderlagerung eine von parallelen Flächen begrenzte Haut erzeugen, während sie in den Pacini’schen Körperchen ebenso wie im Neurilemma der in dieselben eintretenden Pri- mitivfaser concentrisch angeordnete Schichten bilden. Die La- mellen sind aber weder an den Pacini’schen Körperchen, noch an der Hornhaut streng von einander abgesondert und gleich- mässig parallel über einander geschichtet, sondern sie sind auf höchst mannichfaltige Weise durch einander geschoben, spalten sich in mehrere Platten, die mit den benachbarten Lamellen in Eins wieder zusammenfliessen, und verhalten sich überhaupt zu einander auf ähnliche Weise, wie die Fasern im elastischen Ge- webe, nur dass man es hier mit platten Bändern, anstatt der Fasern zu thun hat. Zwischen diese Lamellen sind die abge- flachten schüppchenförmigen Zellen eingelagert, welchen die Zwischensubstanz höchst wahrscheinlich ihre Entstehung zu danken hat; dabei scheint es, als ob einer bestimmten Zellen- schicht immer nur eine einzelne Lamelle angehöre, welche mit den Zellen inniger zusammengekittet ist. Die Zellen können sich nun theilweise unmittelbar berühren, wie wir das an der Homhaut der Katze gesehen haben, und wovon die Kapseln des Pacini’schen Körperchens das eclatanteste Beispiel liefern; meist sind sie aber von einander abgesondert durch aus Zwi- schensubstanz bestehende Bandmassen, welche die zusammen- geschichteten Lamellen unter einander verbinden und zusam- - menhalten. Sind diese Zusammenheftungen sparsam, so werden die Zellen mehr Gelegenheit erhalten zu flächenhafter Ausbrei- tung und gegenseitiger Berührung, sie lagern sich epithelartig an einander, die Lamellen lassen sich in Folge dessen leichter won einander abheben, die Zwischenräume („Zellen* im Sinne

230 Prof. Hoyer:

der älteren Autoren) können leichter mit Luft oder Flüssigkei- ten (Injectionsmasse, Exsudaten u. dgl.) angefüllt werden, man erhält also ein weiches „formloses“ Bindegewebe. Werden da- gegen die Zusammenheftungen stärker, breiter und ausgedehn- ter, so müssen die Zellen auseinanderrücken, sie berühren sich gegenseitig nur noch an einigen Stellen vermöge feiner, mehr oder weniger lang ausgedehnter Fortsätze, die Ablösung der Lamellen von einander wird schwieriger, das Gewebe erhält ein compactes Ansehen und die nur mit Mühe zu bewerkstelligende Injection desselben vermittelst Einstich bewirkt blos eine schwache Anfüllung der nur sehr mässig sich ausdehnenden zellenhaltigen Lücken und ihrer zu einem Kanalsystem verbundenen Ausläufer. (Es ist mir noch nicht gelungen, bestimmt nachzuweisen, wes- halb bei Injection der Hornhaut durch Einstich die eingespritzte Masse nur innerhalb der parallel gerichteten Lücken und Fort- sätze sich verbreitet, so dass die angefüllten Kanälchen einer jeden Schicht mit denen der darüber und darunter gelegenen Schichten sich unter ziemlich grossen Winkeln schneiden. Der Grund liegt wahrscheinlich in der eigenthümlichen Anorduung der Lücken und ihrer Ausläufer und diese scheint ihrerseits wieder bedingt zu sein durch die eigenthümliche noch näher zu erforschende Anordnung und gegenseitige Verbindung der Lamellen. Am Rande der Hornhaut von der Katze findet man häufig mit schwarzen Pigmentkörnern angefüllte Lücken, welche in Form und Anordnung ganz übereinstimmen mit künstlich in- jieirten Lücken. Die durch Proliferation neugebildeten Zellen des Bindegewebes müssen natürlich gleichfalls zunächst die von der Mutterzelle eingenommenen Lücken und Spalträume zwi- schen den Lamellen ausfüllen und demnächst können sie auch in die dieselben vereinigenden feinen Ausläufer eindringen und dieselben röhrig erweitern, falls sie nicht direct in denselben aus den feinen Zellfortsätzen sich entwickeln, was in der That der Fall zu sein scheint. Man findet daher in den ersten Sta- dien der Hornhautentzündung dieselben Lücken, welche durch die Injectionsmasse künstlich ausgedehnt werden, angefüllt mit den reihenförmig angeordneten neugebildeten Zellen.)

In ganz analoger Weise werden sich. diejenigen bindegewe*

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 231

bigen Gebilde verhalten, welche eine den beiden näher beschrie- benen Körperbestandtheilen ähnliche Textur zeigen. Dass z.B. das Neurilemma kleinerer Nervenstämme aus ähnlichen lamel- lösen Schichten gebildet ist, zwischen denen die Zellen dicht zusammengelagert sind, dafür sprechen die durch Silberbehand- lung leicht zum Vorschein zu bringenden Netze feiner schwar- zer Linien innerhalb der Scheide frischer dünner Nervenästchen vom Frosch. Aehnlich verhält sich das interstitielle Bindege- webe innerhalb verschiedener Organe, namentlich da, wo die bindegewebigen Lamellen und Bänder mehr oder weniger con- centrisch um locker zusammengeheftete Drüsenkanälchen ange- ordnet sind, wie z. B. innerhalb des Hodens und der Niere. Im Hoden lassen sich die Lamellen sehr leicht von einander ablösen und die Injection der Spalten ist besonders leicht aus- zuführen. Die „Lymphräume“ sind hier in der That die netz- förmig unter einander zusammenhängenden Spalten -zwischen den locker zusammengehefteten Lamellen des Bindegewebes. Injieirt man, wie es His!) gethan hat, diese Spalten mit Sil- bersolution, so werden sich die entstehenden Niederschläge vor- züglich ablagern an den die Oberfläche der Lamellen überklei- denden Zellen, welche, wie man leicht begreift und wie ich mich in der That überzeugt habe, hier die epithelartige Zu- sammenlagerung besonders deutlich zu Tage treten lassen müs- sen. Die die Contouren der Zellen veranschaulichenden Netze feiner schwarzer Linien werden also einerseits den Anschein von die Wand der Lücken überkleidenden Epithelien erzeugen, wie es His richtig gesehen hat, andererseits wird man, falls keine Entzündung des Organes vorausgegangen ist, innerhalb der injieirten „Lymphräume“ oder Spalten jede Spur von freien Bindegewebszellen vermissen, da dieselben in der That, wie Tomsa?) richtig bemerkt, den Bindegewebslamellen anhaften, ganz wie wir dies an den Zellen auf der Innenfläche der Kap- seln von Pacini’schen Körperchen kennen gelernt haben. Wie

1) Centralblatt für die medicin. Wissenschaften, 1863, S. 673. Die Originalabhandlung steht mir nicht zu Gebote,

2) W. Tomsa, Beiträge zur Anatomie des Lymphgefässursprun- ges. Wien. akad. Sitz.-Ber. Math,-naturw. Classe, 2. Abth. XLVI.

232 Prof. Hoyer:

die Zwischenräume der letzteren nur von einer Seite mit epi- thelartigen Lagen überkleidet sind, so können auch an den die Spalten des Hodens bildenden Lamellen stets nur einseitig die epithelähnlichen Auflagerungen der Bindegewebszellen vorkom- men. Wo an mit Leimmasse injieirten Präparaten die Zellen im Inneren der Bindegewebsbündel zu liegen scheinen, da sind die Lamellen noch nicht von einander abgehoben worden. Aus dieser Anschauungsweise lässt sich nun auch leicht die eigenthümliche Form der „Lymphräume* auf dem Querschnitt ableiten; dieselben werden selten eine drehrunde Form zeigen, sondern je nach dem Zustande der Anfüllung werden sie sich darstellen als schmale Spalten, als dreieckige oder unregelmäs-. sig polygonale Lücken u. s. w.

Da nun, wie man sich an den Pacini’schen Körperchen und an anderen ähnlich construirten Gebilden mit injieirten Blutgefässen leicht überzeugen kann, die Gefässe auf der Innen- fläche der bindegewebigen Lamellen sich verzweigen, so müs- sen sowohl die durch die Gefässwand filtrirende Flüssigkeit, als auch die Extravasate von Blut oder künstlichen Injectionsmas- sen zunächst stets in die zwischen den Lamellen befindlichen Spalträume oder Lücken treten, als in die Orte des geringsten Widerstandes. Die Injectionen von Ludwig und Tomsa') zeigen, dass bei Einspritzung der Lymphgefässe die Masse gleichfalls innerhalb jener Lücken sich verbreitet. Da es nun ferner feststeht, dass die Extravasate des Blutgefässinhaltes vom Gewebe aus leicht in die Lymphgefässe gelangen und da die Versuche von Tomsa?).exact nachgewiesen haben, dass mit der vermehrten Transsudation durch die Wand der Blutcapillaren und der Bildung von Oedem die Vermehrung. der Lymphab- sonderung Hand in Hand geht, so ist es wohl nicht mehr zu bezweifeln, dass die Lymphgefässanfänge zu jenen Lücken in einer näheren Beziehung stehen. Die Frage nach der Art die- ser Verbindung lasse ich indessen hier unerörtert, da meine

1) C. Ludwig und W. Tomsa, die Lymphwege des Hodens und ihr Verhältniss zu den Blut- und Samengefässen. Ebendaselbst.

2) W. Tomsa, Beiträge zur Lymphbildung. Wiener Sitzungs- berichte XLVI.

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 233

bisher vorgenommenen Injectionsversuche der Lymphgefässur- sprünge mir noch kein competentes Urtheil gestatten über die von Ludwig, Tomsa und Zawarykin!) erhaltenen Resultate.

Die hier entwickelten Anschauungen zeigen uns also die Identität der „Saftkanälchen* nach von Recklinghausen, der „Lymphräume“ nach Ludwig und Tomsa, der „Lücken“ oder „Spalten“ anderer Autoren und den mit Flüssigkeit erfüll- ten Kapselzwischenräumen in den Pacini’schen Körperchen. Die Spalten sind im gewöhnlichen Zustande von abgeplatteten Zellen ganz ausgefüllt (His); werden sie jedoch auf irgend eine Weise ausgedehnt, z. B durch Injection, seröses Transsu- dat u. dergl., so findet man die Zelle nicht frei in der Lücke oder in deren Ausläufern, sondern sie bleibt mit der einen la- mellösen Wand der Lücke verklebt; nur in den Fällen, wo die Zellen begonnen haben, sich aussergewöhnlich zu vermehren, findet man in den Lücken freie rundliche oder ovale, mit „Eiter- körperchen“ übereinstimmende Gebilde. In grossen Lücken, wie sie im lockeren Bindegewebe vorkommen, sind die Zellen epithelartig an einander gelagert, ähnlich wie an den Kapseln des Pacini’schen Körperchens oder in den hinteren Schichten der Hornhaut von der Katze. Im compacten Gewebe sind da- gegen die Lamellen meist nicht so regelmässig angeordnet und an zahlreichen und ausgebreiteten Stellen mit einander verwach- ‚sen, die zellenhaltigen Lücken sind vereinzelt und zerstreut und hängen nur durch feine Ausläufer unter einander zusammen. Die Lücken stehen in naher Beziehung zu den peripherischen Anfängen der Lymphgefässe und stellen augenscheinlich die Wege dar, auf welchen die Ernährungsflüssigkeiten im Binde- gewebe sich verbreiten. Bei Behandlung mit Silbersolution werden entweder alle aus Zwischensubstanz bestehenden Theile des Gewebes braun gefärbt, während der Inhalt der Lücken ungefärbt bleibt, oder es entsteht innerhalb der Lücken, als den Orten des geringsten Widerstandes, auf der Oberfläche der Zel- len und ihrer Fortsätze ein körniger Niederschlag von reducir-

1) C. Ludwig und Th. Zawarykin, Die Lymphwurzeln in der Niere der Säugethiere.. Wiener Sitzungsberichte XLVII.

234 Prof. Hoyer:

tem Silber, wenn das Gewebe in eine jod- oder chlorhaltige Flüssigkeit getaucht wird, bevor noch die Einwirkung des Lich- tes stattgefunden hat. Die Aehnlichkeit zwischen der Zu- sammensetzung dieser Gebilde und der Textur des Knochenge- webes ist sehr in die Augen fallend. Wie hier, so sind auch im Knochen sternförmige abgeflachte Zellen enthalten, die sich mit ihren Fortsätzen einander nähern. Die die Zellen und de- ren Fortsätze einschliessenden sternförmigen Lücken hängen unmittelbar mit einander zusammen. Die Zusammenlagerung der Zellen zu flachen Schichten, welche die gefäss- und nerven- führenden kanalartigen Lücken concentrisch umgeben, erzeugt einerseits das lamellöse Aussehen des Knochens, andererseits bedingt sie die in gewissen Fällen erfolgende Zersplitterung des Knochens in lamellenartige Scherben.

Versuchen wir es nun, die gewonnenen Anschauungen auch auf diejenigen bindegewebigen Gebilde zu übertragen, welche in ihrer Textur von dem im Vorhergehenden näher erforschten Typus bedeutend abweichen, so werden wir zunächst folgende Punkte in nähere Erwägung zu ziehen haben: Die meisten dieser Gebilde zeigen, statt einer lamellösen Schichtung der Zwischensubstanz , eine Zusammensetzung aus gröberen oder feineren Bündeln. In den sehnigen Gebilden sind gröbere Bün- del ziemlich regelmässig parallel aneinander gelagert, im reti- culären Gewebe zeigen sie eine mehr netzförmige Anordnung, in den tieferen Schichten der Lederhaut, in der Sclerotica des Auges u. A. durchkreuzen sie sich in den verschiedensten Rich- tungen. Nach der Papillarschicht der Haut zu werden die Bündel immer feiner und in den Papillen selbst oder in der an die Epidermis unmittelbar anstossenden Schicht scheinen die- selben in ein Netzwerk feinster Bindegewebsfasern ınit dazwi- schen eingestreuten „Bindegewebskörpern“ übergegangen zu sein; Aehnliches sieht man in der vordersten, an das Epithel gren- zenden Schicht der Hornhaut. Diesem Verhalten der Zwischen- substanz entsprechend müssen auch die Zellen selbst eigenthüm- lich geformt und angeordnet sein. Da, wie ich mich überzeugt zu haben glaube, die Zellen dieser Gebilde denjenigen Bündeln innig adhäriren, welchen sie speciell zugehören (in ähnlicher,

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde, 235

Weise, wie dies mit den Lamellen der eben genauer beschrie- benen Gebilde der Fall ist), so müssen sie sich auch der Ge- stalt und Anordnung der Bündel accommodiren; sie werden mit- hin eine andere Form zeigen in den Gebilden mit parallelen, eine andere in den mit gekreuzten Bündeln ; sie werden sich anders dort darstellen, wo grobe Bündel vorkommen, und an- ders, wo die Zusammensetzung aus Bündeln nicht mehr deut- lich zu erkennen ist. Endlich wird hier noch zu erwägen sein, dass in den meisten dieser Gebilde auch noch elastische Ele- mente enthalten und in verschiedenartiger Weise angeordnet sind. Die von den Zellen erfüllten Lücken werden dem ent- sprechend gleichfalls je nach der Beschaffenheit, Anordnung und Verbindung der Bündel unter sich besondere Formen zei- gen und im Falle sie injicirt werden, müssen sie sich bald als mehr parallel verlaufende, langgestreckte, auf dem Querschnitt dreieckige oder polygonale Hohlräume, oder als die Bündel in verschiedenster Richtung umflechtende Röhren, oder als feinste, mannichfach verzweigte Kanälchen darstellen. Da indess meine bisherigen Erfahrungen noch zu sparsam sind, als dass ich im Stande wäre, durch specielle Beobachtungen dem schematischen Bilde eine exacte Grundlage zu geben, so halte ich es für an- gemessener, es hier vorläufig bei diesen allgemeinen Andeutun- gen bewenden zu lassen.

Eine Reihe interessanter und instructiver Beobachtungen habe ich an den Sehnen der Hinterfüsse vom Frosch angestellt und füge eine Beschreibung derselben der vorliegenden Arbeit als zweiten Theil bei, weil dadurch die eben entwickelten An- schauungen nicht nur in manchen Punkten bestätigt und ver- vollständigt, sondern selbst noch erweitert werden.

Legt man irgend eine der Sehnen z. B. die Achillessehne oder eine Sehne der Zehenbeuger, nachdem man sie vorsichtig und mit Vermeidung jeglicher Insültation herauspräparirt hat, in ein Gefäss mit Höllensteinlösung von gewöhnlicher Concen- tration, lässt sie I—2 Minuten ruhig in derselben liegen, bringt sie alsdann unter möglichster Vermeidung von Berührung ihrer

236 Prof. Hoyer:

äusseren Oberfläche in reines Wasser, um sie darin der Ein- wirkung der Sonne auszusetzen, und überträgt sie endlich vor- sichtig auf den Objectträger des Mikroskopes (von der dicken Achillessehne muss man sich natürlich mit einem Rasirmesser erst ein feines Schnittchen parallel zur Oberfläche bereiten), so gewahrt man an der bei normaler Lage frei nach Aussen gekehrten Oberfläche der Sehne ein weitmaschiges Netzwerk schwarzer geschlängelter und stark gebogener Linien, welche zwar im Ganzen ziemlich gleich grosse, aber sehr unregelmäs- sig geformte, gezackte und stark ausgebuchtete, mit einem fein- körnigen braunen Niederschlage bedeckte Felder einschliessen. Ziemlich in der Mitte eines jeden Feldes zeigt sich ein mässig grosser, ziemlich scharf begrenzter, ovaler, heller Fleck, welcher sich ganz so darstellt, wie eine vom braunen Niederschlage ent- blösste Stelle. Es liegt nahe, diese ganze Erscheinung auf die Anwesenheit eines einschichtigen flachen Epithels zurückzufüh- ren; die schwarzen Linien umschliessen die Contouren der Zel- len, die hellen Flecke in jeder Zelle könnte man als Kerne deuten, wenn die directe Messung nicht den Beweis lieferte, dass der helle Fleck grösser ist als der wirkliche (an frischen Präparaten gemessene) Kern und dass er nur an der hervorge- wölbten Oberfläche der Zelle sich bildet, da wo der durch Es- sigsäure oder Kali zum Vorschein zu bringende Kern gelegen ist.

Dass wir es hier aber wirklich mit einer Art Epithel zu thun haben, dafür sprechen die nachfolgenden Beobachtungen: Bringt man eine vorsichtig herauspräparirte dünne Sehne des Zehenbeugers in Humor aqueus so unter das Mikroskop, dass sie auf der Kante liegend und die freie Oberfläche nach der Seite wendend, gewissermaassen im Profil gesehen wird, so er- kennt man sofort, dass die Oberfläche nicht glatt und eben, sondern vielmehr mit deutlichen ovalen Kernen bedeckt ist, die den Contour der Sehne von Aussen überragen und durch eine Art feinkörnigen Kittes an die Oberfläche angeheftet sind. Es ist also ganz dieselbe Erscheinung, wie wir sie oben an den Kapseln der Pacini’schen Körperchen beschrieben haben und wie sie Klebs an dem Epithel der Descemet’schen Membran

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 337

vom Frosch beobachtet hat.) Hier wie dort sind die Kerne abgeplattet und mit ihrer breiten Fläche der Sehne oder den Kapseln aufgelagert. Bei Betrachtung von der schmalen Kante her sind sie leichter wahrzunehmen, als wie von der Fläche aus, weil das durchtretende Licht einen grösseren Weg zurück- zulegen hat und somit stärker gedämpft wird, doch lassen sich die Kerne an den Sehnen ebenso wie an den Pacini’schen Körperchen auch von der Fläche her wahrnehmen, wenn man nur frisch und in Humor aqueus untersucht, nur ist die Auffin- dung derselben in diesem Falle um Vieles schwieriger. Er- leichtert wird sie durch Tinction der Sehne mit Jod, Carmin, durch Behandlung mit verdünnter Chromsäure,, starke Kalilö- sung von 35°/, u. dgl. Mittelst dieser Methoden kann man sich auch überzeugen, dass die Kerne in einer weichen Substanz eingeschlossen sind, die in den letzteren Reagentien körnig ge- rinnt und selbst die oben beschriebenen Zelleontouren zuweilen wahrnehmen lässt. Setzt man zu einer tingirten Sehne so viel Essigsäure, dass dieselbe stark aufquillt, so sieht man zuweilen, wie das Epithel von der Öberfläche abgelöst wird, immer mehr zusammenschnurrt und schliesslich sich darstellt, wie ein die Oberfläche der Sehne überziehendes Netz von breiten Fasern. Das Epithel der Sehnen lässt sich mit grösster Leichtigkeit entfernen, sowohl im frischen Zustande, als wie nach bereits erfolgter Höllensteineinwirkung. Pinselt man die Oberfläche einer frischen Sehne theilweise ab, so erblickt man nach der Behandlung mit Höllensteinlösung an der betreffenden Stelle nicht mehr die Zeichnung des Epithels, sondern die durch Sil- berwirkung erzeugte Zeichnung im darunter befindlichen Ge- webe, von dem gleich die Rede sein wird; an der unversehrt gebliebenen Stelle sieht man dagegen noch deutlich das Epithel, welches nach der Seite des Defects hin entweder scharf abge- brochen aufhört oder in selteneren Fällen faltig umgeschlagen und zusammengerollt ist. Wischt man das Epithel erst herun- ter, nachdem die Sehne zuvor der Silberbehandlung unterworfen

1) Dr. Klebs, Das Epithel der hinteren Hornhautfläche. Central- blatt für die medic. Wissensch., 1864, S. 513.

238 Prof. Hoyer:

worden war, so stellt sich der übriggebliebene Rest des Epi- thels am Rande wie scharf abgebrochen dar, während die ent- blösste Stelle entweder blass und ohne jede Zeichnung erscheint, oder die Einwirkung der Silberlösung hat durch das Epithel hindurch auch in der Tiefe stattgefunden und das darunter lie- gende Gewebe zeigt dieselben eigenthümlichen Bilder, wie bei vorhergehender Entfernung des Epithels, nur weniger markirt.

Aus diesen Beobachtungen folgt, dass die Wirkung des Höl- lensteins auf tiefer gelegene Theile gehindert oder wenigstens erschwert wird durch die Anwesenheit des Epithels, und dass man, will man das Epithel zum Vorschein bringen, die Sehnen mit möglichster Schonung herauspräpariren und in die Höllen- steinlösung eintragen muss, will man dagegen die Einwirkung auf tiefer gelegene Theile, so muss man das Epithel zuvor ent- fernen. Da, wie wir gleich sehen werden, die Bilder innerhalb der bindegewebigen Substanz der Sehne viel Aehnlichkeit zei- gen zum Epithel, so wird dadurch der Anlass gegeben zu zahl- reichen Irrthümern, denen man beim Erforschen dieser eigen- thümlichen Verhältnisse ausgesetzt ist. Man wird nämlich in dem einen Falle einen scheinbar dem Epithel ganz analogen Nie- derschlag erhalten, trotzdem man das Epithel vorher wirklich entfernt hat; in einem anderen Falle wird man einen allmähli- gen Uebergang zu sehen glauben vom Epithel zum Bindege- webe, indem an Stellen, wo zufällig das Epithel herunterge- wischt ist, die Zeichnung im eigentlichen Sehnengewebe zum Vorschein kommt und zu einem Bilde mit der Zeichnung des Epithels zusammenfliesst; ferner scheint an Stellen, wo das dar- unter liegende Gewebe gleichfalls gefärbt ist, ein zweiter netz- förmiger Niederschlag innerhalb des erstbeschriebenen zu ent- stehen u. dgl.m. Da die Substanz des Zellkörpers am Epithel ziemlich dünn, zart und weich ist (sie ist bedeutend dünner wie der Kern, obschon derselbe ebenfalls abgeplattet ist) so sind die Contouren der Zellen im frischen Zustande entweder gar nicht oder nur sehr schwer zu erkennen, die Isolirung der Zel- len ist unmöglich und die Widerstandsfähigkeit gegen äussere Insulte eine sehr geringe. Die weiche schleimartige Masse, aus der der Zellkörper besteht, unterliegt unter der Einwirkung des

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 239

Höllensteins einer Art Gerinnung, wird spröde und brüchig, ähnlich wie das Epithel der Descemet’schen Haut. Es wird sich daher Mancher, dem diese Deutungsweise nicht zusagt, veranlasst finden anzunehmen, dass die Oberfläche der Sehne von einer schleimigen Masse. überzogen sei, die hier und da Kerne einschliesst; durch den Höllenstein werde in derselben ein dunkler körniger Niederschlag erzeugt, der besonders in ge- wissen Richtungen in Gestalt eines Netzwerkes von schwarzen Linien sich ablagere. Unerklärbar wäre es nur in diesem Falle, weshalb das Auftreten des Netzwerkes so constant, unfehlbar und so gleichmässig in der Form und Grösse der Maschen ist, und weshalb sich stets in der Mitte der Maschen, da wo die Substanz des Zellkörpers durch die Kerne hervorgewölbt ist, die ovalen hellen Flecke bilden. Mir scheint die Deutung als Epithel viel annehmbarer, zumal ich Grund habe anzunehmen, dass dasselbe einen Theil darstellt: von dem Epithel, welches die grossen unter der Haut des Frosches vorkommenden Säcke auskleidet, indem die Sehnen mit ihrer freien Fläche in diese Säcke hineinragen. Es war nöthig, dieses Verhalten hier so ausführlich zu be- sprechen, nm Jeden, der Lust haben sollte, diese so leicht an- zustellenden Beobachtungen einer Prüfung zu unterwerfen, von vornherein über den wahren Sachverhalt in’s Klare zu setzen. Uns interessirt hier mehr das Verhalten des Sehnengewebes an sich selbst und insbesondere das Verhalten der Achillessehne vom Frosch. Die an den Sehnen der Zehenbeuger in Folge der Silber- behandlung zu Tage tretenden Zeichnungen haben sehr viel Aehnlichkeit mit den an der Hinterfläche der Hornhaut von der Katze darstellbaren Bildern; auch hier sieht man inmitten einer braun gefärbten Substanz grössere und kleinere, eckige, durch feine schwarze Linien in kleinere Felder abgetheilte helle Flecke; nur sind die Flecke im Allgemeinen der Längsaxe und dem Faserverlauf der Sehne gleichgerichtet, haben eine mehr lang- ausgezogene Gestalt und hängen weniger unter einander zusam- men. Die dieselben in kleinere Abtheilungen zerlegenden fei- nen schwarzen Linien sind oft gleichmässig gebogen, so dass

240 Prof. Hoyer:

die Maschen der durch dieselben gebildeten Netze eine mehr bogenförmige Begrenzung erhalten; doch findet man an man- chen Stellen auch Bilder, welche ganz übereinstimmen mit den Lücken in der Hornhaut vom Kaninchen, Schwein u. A., also einfache, kleinere, mit Ausläufern versehene eckige Flecken. Ist die Wirkung des Höllensteins blos oberflächlich, d. h. auf die dünne, die Sehne bekleidende Membran beschränkt, so herr- schen im Allgemeinen letztere Bilder vor, während bei tiefer- gehender Wirkung die ersteren Bilder überwiegen. Man sieht in letzterem Falle auch ganz deutlich die Contouren von abge- flachten Zellen, welche senkrecht zur Oberfläche gestellt sind, also mit der einen schmalen Kante die Oberfläche berühren, mit der anderen aber in die Tiefe dringen und dort sich ver- lieren. Oft sind die Zellen durch eine ganz dünne Schicht von gefärbter Zwischensubstanz anstatt einer feinen schwarzen Linie von einander abgegrenzt; man erkennt dies namentlich an sol- chen Präparaten, wo die Zellen gleich den Knorpelzellen in ihrer Höhle durch die Einwirkung der Höllensteinlösung ge- schrumpft sind und die Höhlung nicht mehr ganz ausfüllen. Die in jedem hellen Flecke oder jedem durch die feinen Linien abgegrenzten Masche enthaltenen Kerne lassen sich durch Tin- ction, durch verdünnte Säuren oder Alkalien deutlicher zum Vorschein bringen. Dass man es hier mit wirklichen Zellen zu thun habe, sieht man, wie eben erwähnt, zuweilen unmittel- bar, oder man bringt an frischen Präparaten die Zellen zum Vorschein durch Tinction mit Carmin und nachfolgenden Zusatz von Essigsäure, durch Kalilösung von 35°/,, die man durch all- mähligen Zusatz von Wasser so lange verdünnt, bis das Prä- parat anfängt durchsichtig zu werden u. dgl. m. Die letztere Flüssigkeit ist auch ganz geeignet, den Nachweis zu liefern, dass die dünnen, unversehrt untersuchten Sehnen der Zehen- beuger vom Frosch auch im Inneren wirkliche Zellen enthalten, und zwar längliche, abgeplattete, zuweilen breitere, zuweilen sehr schmale und mehr in die Länge ausgezogene Zellen mit markirter Membran, hellem klarem Inhalt und ovalem abgeplat- tetem Kern, welche zwischen den Bündeln in Längsreihen an- geordnet sind und unmittelbar aneinanderstossen. Dieselben

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde, 241

ai

sind keineswegs spindel- oder sternförmig, sondern schüppchen- oder bandförmig, und stellen sich an mit Essigsäure gequolle- nen Sehnen dar als in Längsreihen geordnete Stäbchen oder als mehr abgesonderte geschlängelte „Spiralfasern“.

Am deutlichsten sieht man diese Zellen an feinen Schnitten von der knorpeligen Verdickung in der Achillessehne vom Frosch. Ich hatte der letzteren meine Aufmerksamkeit zugewandt, noch ehe mir die Arbeit von Lehmann!) zu Gesichte gekommen war, und kann daher dessen Angaben nach unbefangen ange- stellten Untersuchungen vollkommen bestätigen. Schon im ganz frischen Zustande erkennt man hier die grossen schönen Zellen der Sehne oder vielmehr des Sehnenknorpels, welche in Haufen zusammengelagert und zwischen die Faserbündel eingebettet sind; jedesmal findet man neben dem Schnitte zahlreiche iso- lirte Zellen mit deutlichem Kern und durch doppelte Contouren sich markirender Membran. Ich hege die Ueberzeugung, dass diese Zellen nicht etwas dem Sehnengewebe ausnahmsweise Beigemengtes seien, sondern dass dieselben wesentlich die glei- chen sind, wie in den eben beschriebenen einfachen Sehnen der Zehenbeuger, nur haben sie hier eine mehr mit den Knorpel- zellen übereinstimmende Grösse und Form. Der ganze Bau des Sehnenknorpels unterscheidet sich nicht wesentlich von dem einer gewöhnlichen Sehne und dürfte sich sehr empfehlen zum Studium der wahren Textur des Sehnengewebes.

Behandelt man diesen Theil der Achillessehne mit Höllen- steinlösung, nachdem man das Epithel von der freien Fläche zuvor entfernt hat, und fertigt feine Schnitte mit einem schar- fen Rasirmesser an, so erscheint die dem Gelenk zugewandte Fläche wie mit einem aus unregelmässig geformten Zellen be- stehenden Epithel bedeckt; es sind die Contouren der dicht zu- sammengelagerten Knorpelzellen, zwischen denen nur sehr we- nig Zwischensubstanz zu erkennen ist. Aehnlich stellen sich

1) Dr. J. Chr. Lehmann, Ueber den Knorpel in der Achilles- sehne des Frosches. Zeitschrift für wissenschaft!. Zoologie, Bd. XIV., Heft 2, 1864.

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 16

242 Prof. Hoyer:

die’ Bilder an Schnitten von der freien Fläche dar, wenn die Wirkung des Höllensteins sich hinreichend in die Tiefe erstreckt hat. Bei oberflächlicher Wirkung sieht man dagegen ähnliche Bilder, wie in dem äusseren Ueberzuge der dünnen Sehnen, nur noch mannichfaltiger und eigenthümlicher configurirt. Die- selben stimmen in ihrer Form wesentlich überein mit den Zeich- nungen, wie sie v. Recklinghausen am Zwerchfell des Meer- schweinchens beobachtet hat. Man sieht hier ein System un- gleich grosser, unregelmässig gestalteter, ausgezackter, kanal- artig unter einander zusammenhängender Lücken. An sorgfältig bereiteten Präparaten wird man jedoch nie die feinen schwar- zen Linien vermissen, welche ganz wie in der Hornhaut der Katze die Lücken durchsetzen und in kleinere Abtheilungen zerlegen. Man hat es hier also auch mit Lücken zu thun, welche von Zellen angefüllt sind, und die Zellen grenzen sich bestimmt gegen einander ab, obschon sie sich sonst unmittelbar aneinanderlegen; hin und wieder findet man auch hier anstatt der einfachen Linien einen die Zellen von einander absondern- den schmalen Streifen von Zwischensubstanz. Am Besten er- kennt man diese Verhältnisse an Präparaten, wo die Höllen- steinwirkung nicht zu sehr in die Tiefe gedrungen ist; bei tie- ferer Wirkung vermischen sich die von unten her durchschei- nenden Figuren mit den oberen und verwirren die Zeichnung. Setzt man Essigsäure zu, so quillt das eigentliche Sehnenge- webe auf, während die oberflächliche die Zeichnungen enthal- tende Schicht sich ausdehnt. In Folge dessen löst sich die letztere von dem ersteren ab, rollt sich wie eine elastische Platte zusammen und ist für die weitere Untersuchung verloren. Dies zeigt, dass die eigenthümlichen Zeichnungen an der freien Fläche des Sehnenknorpels sich in der äusseren fibrös-elastischen Schicht desselben bilden, ganz wie am Centrum tendineum vom Meerschweinchen, welches ich wegen Mangel an Material nur ein einziges Mal habe untersuchen können. Soviel ich mich aber überzeugt habe, stimmt das Verhalten des letzteren ganz mit dem eben erwähnten; auch die feinen die Lücken durch- setzenden Linien habe ich nicht vermisst; dieselben sind auch

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 243

in den Zeichnungen von v. Recklinghausen!) hier und da angedeutet, aber nicht näher berücksichtigt. Es bietet alse die Achillessehne vom Frosch ein viel leichter zu erlangendes und bequemeres Object der Untersuchung, als wie das Zwerchfell vom Meerschweinchen, wo es darum gilt, die wahre Bedeutung des Lückensystems an sich zu ergründen.

Sehr wichtig erscheint uns die Untersuchung der oberfläch- lichen Schicht der Achillessehne durch das eigenthümliche Ver- halten der sich daselbst verzweigenden Gefässe. Man sieht hier nämlich nach der Silberbehandlung ausgezeichnet deutlich ein in der fibrös-elastischen Membran enthaltenes Netzwerk von Gefässen, welche an den meisten Präparaten mit zahlreichen, sehr starken varicösen Erweiterungen versehen sind, ganz wie man dies an injieirten Lymphgefässen beobachtet; die Ausbuch- tungen finden sich sowohl im Verlaufe, als auch an den Thei- lungsstellen der Gefässe. Als ich dieselben das erste Mal vor die Augen bekam, glaubte ich in der That, Lymphgefässe vor mir zu haben, zumal sie auch ganz frei von Inhalt waren, bald aber sah ich meinen Irrthum ein und überzeugte mich, dass ich es mit Blutgefässen zu thun hatte. Ich erkannte dies am Bau der Arterien und besonders an dem an Versilberungs- präparaten nur selten wahrnehmbaren Inhalte (meist sind die (efässe leer), welcher aus rothen Blutkörperchen bestand. In der Folge habe ich vielfach Gelegenheit gehabt, durch gleiche Beobachtungen das Factum zu bestätigen. Die Ausbuchtungen finden sich hauptsächlich an den Venen und entstehen wahr- scheinlich durch die unter der Einwirkung des Höllensteins er- folgende Schrumpfung der fibrösen Schicht, welche die Gefässe enthält, wobei die Gefässlumina aus einander gezogen werden und je nach der von verschiedenen Umständen abhängigen Nachgiebigkeit der Wandung sich mehr oder weniger erweitern.

Innerhalb der Gefässe sieht man die von v. Reckling- hausen beschriebenen länglichen Netze von feinen schwarzen Linien, welche die Contouren des Gefässepithels markiren sol- len. Meiner Ueberzeugung nach ist die letztere Deutung ganz

1) A.a.0. Taf. I. Fig. 1 und 2. 16°

244 Prof. Hoyer:

entsprechend. Man kann ganz gleiche Configurationen auch an den Epithelien grosser Gefässstäimme von Säugethieren überall zum Vorschein bringen und nachweisen, dass das abgelöste Epithel nach der Richtung jener Linien in einzelne platte Fa- serzellen zerfällt. Es ist auch nicht schwer, sich zu überzeu- gen, dass dieses Netzwerk die ganze innere Oberfläche der Ge- fässe überzieht, indem bei Hebung und Senkung der Mikro- skopröhre einmal die die obere Wand bekleidende, das andere Mal die der unteren Wand entsprechende Schicht in’s Gesichts- feld rückt. Das Gleiche habe ich an den von v. Reckling- hausen als Lymphgefässe gedeuteten Gebilden im Centrum tendineum vom Meerschweinchen beobachtet.

In den stärkeren Gefässen ist natürlich das Netzwerk um- fangreicher und deshalb deutlicher wahrnehmbar, als in den dünneren Gefässen; es fehlt aber, wie man sich an guten Prä- paraten überzeugen kann, an keinem Gefässe, auch nicht in den dünnsten, d. i. in den Capillarien. In demselben findet man die feinen schwarzen Linien nur spärlich und zwar wohl deshalb, weil schon eine einzelne Zelle ausreicht, um einen grossen Theil der Gefässwand zu überkleiden. Meiner Ansicht nach liegen die bekannten „Kerne* der Capillaren innerhalb dieser die Oberfläche des Gefässes überziehenden Zellen, welche zur Wand des Capillargefässes in demselben Verhältnisse ste- hen, wie die Zellen in den Pacini’schen Körpern zu den Kap- seln, doch bedarf diese Hypothese noch der Bestätigung durch überzeugendere Beweise.

Die hellen Lücken treten an die Gefässe so dicht heran, wie nach v, Recklinghausen die „Saftkanälchen“* an die Lymphgefässe. Meist sind sie zwar durch die Contouren der Gefässwand von dem Lumen scharf abgegrenzt, zuweilen scheint es aber, als ob die Lücke direct mit dem Blutgefässe commu- nicire, was indessen wohl Niemandem einfallen wird zu be- haupten. Ferner hat man hier oft Gelegenheit zu beobachten, wie an den Stellen, wo ein Blutgefäss nach Unten zu umbiegt und in den tiefergelegenen Gewebsschichten verschwindet, der Anschein entsteht von blind endigenden, zugespitzten oder

Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. 245

sackförmigen Divertikeln der Gefässe. Alle hier angeführten Beobachtungen machen eine wiederholte genaue Prüfung der v. Recklinghausen’schen Präparate sehr wünschenswerth.

Warschau, den 18. Januar 1869.

Erklärung der Abbildung.

Ein feiner Schnitt von der Hinterfläche der Hornhaut eines 5 Wo- chen alten Kätzchens, nach Behandlung mit Höllensteinlösung. Man sieht in der braun gefärbten Grundsubstanz neben einer grossen, von flachen Zellen erfüllten Lücke noch mehrere dergleichen kleinere, theilweise durch feine Ausläufer mit ihr und unter einander zusam- menhängende Lücken. Die Ausläufer durchsetzen an mehreren Stel- len die dunkle Substanz, so bei bb Bei aa schimmern die tiefer ge- legenen Lücken durch, bei ce ist die Grundsubstanz auch in der Tiefe gefärbt.

246 F. Bidder:

Beobachtung doppelsinniger Leitung ım N. lingualıs nach Vereinigung desselben mit dem N. hypoglossus.

Von

F. BippEr in Dorpat.

J. Rosenthal’s Mittheilung über die Vereinigung des N. lingualis mit dem N. hypoglossus (Centralblatt für die medieci- nischen Wissenschaften, 1864, Nr. 23) rief mir einen Gegen- stand in’s Gedächtniss zurück, der vor mehr als 20 Jahren mich lebhaft beschäftigt hatte (Ueber die Möglichkeit des Zusammen- heilens functionell verschiedener Nervenfasern, Müller’s Archiv 1842, S. 102). Die blos negativen Resultate, die ich damals auf dem von mir versuchten Wege über die angeregte Frage erhalten hatte, hätten zum weiteren Verfolgen desselben schwer- lich auffordern können, wenn nicht du Bois-Reymond (Un- tersuchungen über thierische Elektricität, I. Bd., I. Abtheilung, Berlin 1849, S. 570 £#.) bei schärferer Formulirung der Frage und neben Erledigung derselben auf dem neuen von ihm eröff- neten Wege, die Bedeutung der früheren Versuche in das rechte Licht gesetzt hätte. Dies war ohne Zweifel die Ursache, dass Gluge und Thiernesse (Annales des Sciences naturelles, IV. Serie, 1859, Tom. XI, p. 181), sowie Schiff (Muskel- und Nervenphysiologie, Lahr 1859, S. 154) die Versuche mit dem Lingualis und Hypoglossus wieder aufgenommen hatten, jene mit zweifelhaftem, letzteren mit entschieden negativem Erfolge, und dass es endlich Philipaux und Vulpian (Comptes ren- dus, 1863, Tom. LVI., p. 54) und Rosenthal (in der oben er- wähnten Notiz) gelang, das gewünschte Ziel zu erreichen. Ob-

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N, lingualis u. s, w. 947

gleich die Angelegenheit hiermit für abgeschlossen erachtet wer- den dürfte, so lag der Wunsch doch nahe, die positiven Ergeb- nisse, um die es sich handelte, aus eigener Erfahrung kennen zu lernen, und die Brauchbarkeit eines experimentellen Bewei- ses für die doppelsinnige Nervenleitung, der von dem hiesigen physiologischen Institute ausgegangen war, auch hier an Ort und Stelle einer erneuerten Prüfung zu unterwerfen. Ich habe die bezüglichen Versuche mit Dr. L. Mandelstamm behufs seiner Inauguraldissertation vorgenommen, glaube jedoch den Gang dieser Untersuchung und die wesentlichen Resultate der- selben den Fachgenossen auch hier mittheilen zu müssen.

° Zu unseren Versuchen dienten auch dieses Mal Hunde, und zwar junge Thiere, die meistens zwischen 2—4 Monaten alt waren. Da die früheren erfolglosen Versuche an erwachsenen Thieren angestellt, die neuesten positiven Resultate aber an jungen Geschöpfen gewonnen worden waren, so war die Ver- muthung gerechtfertigt, dass der lebhaftere Regenerationsprocess in jugendlichen Thieren eine wesentliche Bedingung des Ge- lingens sei. Die Thiere wurden unmittelbar vor dem Experi- ment durch Injeetion von 60— 100 Tropfen Tinct. Opii in die Vena jugularis narkotisirt, um jede Störung des operativen Ver- fahrens durch unruhige Bewegungen abzuschneiden. Wir ope- rirten regelmässig nur auf einer und zwar der linken Seite, weil nach der früheren Erfahrung unter der beiderseitigen Durchschneidung der fraglichen Nerven die Thiere zu sehr lei- den oder gar zu Grunde gehen, und weil bei der während der Operation einzühaltenden Lagerung der Thiere die linke Seite derselben uns zugänglicher erschien. Die beiden Nerven wur- den in der Rückenlage der Thiere durch Trennung des Mylo- hyoideus blos gelegt. Bei ihrer Durchschneidung fehlte niemals . lebhafter Schmerz, und zwar nicht blos beim Lingualis, sondern in der entschiedensten Weise auch beim Hypoglossus, der, wie seit Volkmann’s Arbeiten (Müller’s Archiv, 1840 S. 510) bekannt, auch sensible Fasern beherbergt. Die Enden der durchschnittenen Nerven wurden in gekreuzter Weise wieder vereinigt; von den zwei Arten solcher Vereinigung wurde der- jenigen der Vorzug gegeben, bei welcher das centrale Ende des

248 F. Bidder:

Lingualis mit dem peripherischen des Hypoglossus verbunden wird. Denn, gelingt es hierbei eine continuirliche Nervenbahn herzustellen, so läuft dieselbe an ihrem peripherischen Ende in Gewebe aus, von denen die centrifugale Leitung in unzweideu- tiger Weise sich äussern kann, und steht zugleich an ihrem centralen Ende mit Apparaten in Verbindung, die die centri- petale Leitung zur Perception zu bringen vermögen. Wird da- gegen die Verbindung der beiden Nerven in der Weise einge- leitet, dass das centrale Ende des Hypoglossus mit dem peri- pherischen des Lingualis verheilen soll, so wird im Falle des Gelingens an der nunmehr hergestellten Bahn die centrifugale Leitung nicht wahrnehmbar sein, weil der Lingualis nicht"in contractionsfähigen Gebilden endet, und die centripetale Leitung wird nicht als ein Erfolg des Zusammenheilens functionell ver- 'schiedener Nervenfasern angesehen werden dürfen, weil der Hypoglossus neben einer überwiegenden Menge motorischer Elemente doch auch ganz unzweifelhaft sensible Fasern beher- bergt. Dennoch haben wir nicht unterlassen auch den letzteren Weg einzuschlagen, nicht allein um die an dieser Stelle mög- lichen verschiedenen Formen des Versuchs und die dadurch be- dingten mehrfachen Antworten auf die vorliegende Frage nicht unbenutzt zu lassen, sondern auch wegen der günstigeren Aus- sicht, die dieser Weg für das Gelingen der gekreuzten Verei- nigung eröffnet. Die gegenseitige Lage des Lingualis und Hy- poglossus bringt es nämlich mit sich, dass das peripherische Ende des ersteren mit dem centralen Ende des letzteren sich leicht in eine gerade Linie zusammenordnen lassen und eben dadurch grössere Gewähr für die Beibehaltung dieser Lage während des Heilungsprocesses bieten, als wenn der centrale Stumpf des Lingualis mit den Aesten des Hypoglossus unter einem rechten Winkel vereinigt werden muss. Von den sechs Versuchen, über die hier berichtet werden kann, wurden vier in der ersten und zwei in der zweiten Weise ausgeführt. Bei der gekreuzten Vereinigung der durchschnittenen Nerven wur- den die Durchschnittsflächen in möglichst innige Berührung ge- bracht und in solcher Lage erhalten durch zwei Seidenfäden, die durch das Neurilemm hindurchgeführt und verknüpft wur-

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis u. s. w. 949

den. Nach Vereinigung von zwei Nervenenden wurden die bei- den übrigen Stümpfe in einer Länge von 8—10 Linien exstir- pirt, um der bekannten Neigung derselben, in die Narbe ein- zutreten, möglichst zu begegnen, und endlich wurde die äussere Hautwunde durch einige Näthe geschlossen.

Die unmittelbar nach der Operation sich darbietenden Er- scheinungen waren die bekannten. Die Zungenmuskeln der linken Seite waren vollständig gelähmt. Schon bei ruhiger Lage des Organs in der Mundhöhle zwischen den Zähnen des Un- terkiefers war es daher etwas nach rechts hinübergezogen. Bei jeder Bewegung aber, die nur durch die Muskeln der rechten Seite bewerkstelligt werden konnte, trat die Lähmung der lin- ken Seite ungleich entschiedener hervor. Die aus. der Mund- höhle hervorgestreckte Zunge wich immer nach der gelähmten Seite ab, eine auf den ersten Blick auffällige Erscheinung, die jedoch ihre vollständige Erklärung in dem Umstande findet, dass diejenigen Muskeln, welche die zum Ausstrecken der Zunge erforderliche Hebung des Zungenbeins bewirken, na- mentlich der Genio- und Mylohyoideus auf der einen Seite ge- lähmt waren, wodurch ein Uebergewicht der entsprechenden Muskeln der anderen Seite entstehen, und eine schiefe Stellung des Zungenbeins eintreten musste, die auch auf die Zunge selbst nicht ohne Einfluss bleiben konnte. Ein Symptom gestörter Muskelaction, auf das bisher wenig geachtet und zuerst von Schiff (a. a. ©. S. 171) aufmerksam gemacht worden ist, war ein unaufhörliches Vibriren in den dem Willenseinfluss entzo- genen Muskeln, auch während die gesunde Seite sich ganz ruhig verhielt. Die entsprechende Zungenhälfte bot dabei eine stete wellenförmige Bewegung an ihrer Oberfläche dar, die von der Zungenspitze gegen den gewölbtesten Theil des Zungenrückens hin gewöhnlich zunahm. Diese Osecillation soll nach Schiff am dritten Tage nach Durchschneidung des Hypoglossus auf- treten, nach etwa 8 Tagen ihr Maximum erreichen, und anhal- ten bis entweder der Nerv regenerirt ist, oder der Muskel seine Contractionsfähigkeit ganz eingebüsst hat. Schiff sucht die Erklärung dieser Erscheinung darin, dass die andauernde wenn- gleich schwache Thätigkeit der Nervenenden ihre Erregbarkeit

950 F, Bidder:

fortwährend auf einer das Normale übersteigenden Stufe erhält, indem eine an den Enden der durchschnittenen Nerven eintre- tende vermehrte Zellen- und Kernbildung einen Reiz für den Nerven abgeben soll. Wir haben die fraglichen Oscillationen nie vor dem achten oder zehnten Tage nach Durchschneidung des Hypoglossus eintreten, und erst am zwölften Tage ihre volle Intensität erreichen sehen. Wären sie von der Zellenneubildung an den Durchschnittsenden der Nerven abhängig, so müssten sie nicht nur schon früher erscheinen, sondern es müsste die an dem centralen Durchschnittsende ohne Zweifel ebenso lebhafte Neubildung eine nicht minder beständige Steigerung centripe- taler Leitung und dadurch Schmerzen hervorrufen, wofür jeder Beweis fehlt. Uns schien es daher a priori richtiger zu sein, dies Vibriren der Muskeln von dem Eintreten und Fortschreiten der Fettmetamorphose in dem peripherischen Durchschnittsende des Hypoglossus abzuleiten. Wenn Aenderungen in der che- mischen Beschaffenheit eines Nerven, Aenderungen seines Ei- weiss-, Wasser-, Fettgehaltes u. s. w. Zuckungen in den zugehö- rigen Muskeln hervorrufen können, so darf wohl mit Grund vermuthet werden, dass die der Nervendurchschneidung folgende Fettmetamorphose ebenfalls als chemischer Reiz wirke, und dass sie erst nach 8—12 Tagen den Grad erreiche, dass sie Zuckun- gen in den bezüglichen Muskeln hervorruft. Um die Richtig- keit dieser Vermuthung zu prüfen, durchschnitten wir an zwei jungen Hunden den Hypoglossus der einen Seite mit geringem Substanzverlust. Bis zum achten Tage nach diesem Eingriff war von einem Vibriren der betreffenden Muskeln Nichts zu sehen; am neunten und zehnten Tage begannen Andeutungen desselben sich zu zeigen, und am zwölften Tage war die Er- scheinung‘ vollkommen ausgebildet. Die Thiere wurden nun getödtet und die mikroskopische Untersuchung der bezüglichen Nerven vorgenommen. In beiden Fällen hatte das peripherische Ende des Hypoglossus seine weisse Farbe eingebüsst und war fast durchscheinend geworden. An einzelnen Primitivfasern wa- ren zwar noch Reste des Marks zu sehen in den bekannten dunkelcontourirten länglich-runden oder quaderförmigen Portio- nen; meistentheils aber bestand der Inhalt der Primitivröhren

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis u, s. w. 251

nur aus grösseren und kleineren Fetttröpfehen, deren Menge nach der Behandlung mit Aether sich sichtlich minderte, so dass die blasse Nervenscheide ganz leer übrig zu bleiben schien. Dennoch glaube ich, dass in derselben der Achsenceylinder nicht fehlte. Einmal musste bei dem wesentlichen Antheil, der dem Achseneylinder an der Leitungsfähigkeit der Nerven mit gutem Grunde zugeschrieben wird, a priori wahrscheinlich sein, dass, so lange in den atrophischen Nerven noch ein Rest von Lei- tungsvermögen vorhanden war, auch der Achsencylinder nicht ganz fehlen könne. Das peripherische Durchschnittsende des Hypoglossus behielt aber viele Wochen hindurch das Vermögen bei der verschiedenartigsten Reizung Zuckung der Zungenmus- keln zu veranlassen, und hatte auch in den beiden hier erwähn- ten Fällen trotz der fortgeschrittenen Degeneration der Nerven dies Vermögen noch nicht eingebüsst. Dann aber glaube ich auch gewisse anatomische Erfahrungen auf die Persistenz des Achsenceylinders beziehen zu müssen. Frische gesunde Nerven mit Karmin behandelt, liessen nach einiger Zeit innerhalb der Markscheide einen schmalen, schwachröthlich tingirten Streifen wahrnehmen, der nichts Anderes als der Achsencylinder sein konnte. Die atrophischen Nervenfasern, derselben Behandlung unterworfen, zeigten, einen bedeutend breiteren Streifen von licehterer Färbung, der durch einen ganz farblosen Saum von der ebenfalls tingirten Primitivscheide unterschieden war, und den ich für den in dem degenerativen Process aufgequollenen Achseneylinder halten möchte. Es muss hiernach also behaup- tet werden, dass, so lange die Entartung der vom Centrum ge- trennten Nervenröhren über das Stadium des Zerfallens ihrer Markscheide in quaderförmige Stücke nicht hinausgegangen ist und das dürfte bis zum Ende des achten Tages dauern die Oseillationen der bezüglichen Muskeln nicht eintreten, weil die chemische Veränderung noch nicht weit genug vorgeschrit- ten ist, um als Erreger auf den Nerven zu wirken. Von hier an aber und zwar sowohl in Folge der eigentlichen Fettum- wandlung der Marksubstanz wie auch der Veränderung des Achseneylinders selbst, beginnt ein Erregungszustand der Ner- ven, der auf die Muskeln fortgeleitet wird, und so lange anhält

252 F. Bidder:

bis entweder der Nerv und endlich auch der Muskel völlig zu Grunde geht, oder bis im Gegentheil unter begünstigenden Um- ständen der Regenerationsprocess die durchschnittenen Nerven- fasern wiederum zur Leitung befähigt hat. Für den ersten Fall haben uns unsere Experimente keinen Beleg geliefert; dagegen haben wir allerdings beobachtet, dass das bald nach der Ope- ration sehr lebhafte Vibriren allmählig schwächer und undeut- licher wurde, und dass in diesen Fällen die Durchschnittsenden des Hypoglossus trotz aller dagegen getroffenen Maassnahmen doch wieder zusammengetreten waren, und in ihren letzten Muskelästen wiederum ziemlich normale markhaltige dunkelran- dige und meistens doppelcontourirte Fasern darboten. Ausdrück- lich mag noch bemerkt werden, dass von einer Alteration der Muskeln selbst jene Oscillationen der Zunge nicht abgeleitet werden dürfen, da auch bei der höchsten Entwickelung der fraglichen Erscheinung in der Textur dieser Muskeln durchaus keine Veränderung wahrzunehmen war, so dass sie in Farbe und Breite der Primitivbündel, in der Anordnung der Querstrei- fen u. s. w. von den Muskeln der anderen Zungenhälfte sich kaum unterschieden, und, namentlich keine Spur von Fettum- wandlung im Inhalte der Primitivbündel darboten.

Wie die Beweglichkeit, so war auch die Empfindlichkeit der linken Zungenhälfte gegen Tasteindrücke und schmerzerregende Einflüsse durch die Durchschneidung des genannten Nerven ganz aufgehoben. Während auf der rechten Seite die leiseste Berührung der Schleimhaut ein sofortiges Zurückziehen des ganzen Organes zur Folge hatte, blieb auf der linken Seite selbst beim Kneifen mit der Pincette oder bei tiefeindringenden Nadelstichen jeder Ausdruck von Empfindung oder gar von Schmerz aus, ein Unterschied, der am auffallendsten an der Zungenspitze zu beiden Seiten der mittleren Einsenkung; sich zeigte. Mit dieser Unempfindlichkeit hingen auch die von den Zähnen herrührenden Verletzungen der Zunge zusammen, die bald nach der Operation den ganzen linken Rand rissig und blutig erscheinen liessen. Nach ein paar Wochen vernarbten diese Wunden gewöhnlich, und stellten sich später nur selten und ausnahmsweise wieder ein. Dies möchte ich nicht auf wie-

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis u. s. w. 253

dergekehrte Sensibilität der Zunge beziehen, da es nicht wahr- scheinlich ist, dass schon in 2—3 Wochen eine leitungsfähige Verbindung zwischen den beiden Enden des durchschnittenen Lingualis sich herstellen konnte, und da eine Irritation der Zungenschleimhaut auch weiterhin ebenso erfolglos blieb, wie unmittelbar nach der Operation. Ich halte es für wahrschein- licher, dass die Empfindlichkeit des Schleimhautüberzuges der Lippen und Backen hier compensirend eingegriffen habe, indem auf ihm bei Berührung mit der Zunge die Wunden der letzte- ren eine lästige Empfindung erwecken mochten, die zum Fern- halten der Zunge aufforderte, und somit auch ihre Berührung mit den Zähnen verhinderte.

Der Verheilungsprocess ging bei unseren Thieren nach dem ersten operativen Eingriff in verschiedener Schnelligkeit von Statten. Gewöhnlich war schon nach 8S—10 Tagen die äussere Wunde vollkommen vernarbt; mitunter aber, und aus Ursachen, die sich der Ermittelung entzogen, folgte eine mehrwöchentliche Eiterung. Dieser verschiedene Gang des Reorganisationspro- cesses scheint für den Erfolg der Operation keineswegs gleich- gültig zu sein. Die Heilung per suppurationem giebt schon durch ihre längere Dauer Anlass zu Aenderungen in der Lage der künstlich an einander gefügten Nerven; die durch sie be- dingte grössere Ausdehnung der Narbe scheint überdies das Hineinwachsen der anderen Nervenstümpfe in dieselbe zu be- günstigen, und erschwert die nachfolgende anatomische Unter- suchung, oder macht ein Verfolgen der neugebildeten Nerven- fasern durch die Narbe hindurch ganz unmöglich. Die Heilung per primam intentionem gewährt also auch hier ungleich gün- stigere Aussichten für den Erfolg des Experimentes.

Wenn seit der Durchschneidung der Nerven ein Paar Mo- nate verstrichen waren, so trat eine Atrophie der betroffenen Zungenhälfte ganz unverkennbar hervor; das Organ erschien nach allen Dimensionen sichtlich verkleinert. Die Längenfurche auf der oberen Fläche nahm nicht mehr die Mittellinie ein, sondern der linke Rand war der letzteren sichtlich näher ge- rückt. Ueberdies erschien die ganze linke Hälfte der Zunge eingesunken, und wurde von der rechten Hälfte bedeutend über-

354 F. Bidder:

ragt; sie bot endlich zahlreiche Querrunzeln dar, als ob der nicht vollständig erfüllte Schleimhautsack durch eine Verkür- zung seiner Inhaltsmassen in Falten zusammengedrängt sei. Für eine solche Verkürzung der linken Zungenhälfte sprach auch der Umstand, dass die äusserste Spitze der Zunge beständig nach links gerichtet war. Endlich war auch die Schleimhaut bei dieser Atrophie nicht unbetheiligt geblieben, namentlich waren ihre Papillae fungiformes ganz geschwunden,, während sie auf der gesunden Seite zwischen den filiformes deutlich her- vortreten. Da die Durchschneidung des Hypoglossus allein, die eigens zur Feststellung dieses einen Factums vorgenommen wurde, auch nach Verlauf von 5 Monaten solchen Einfluss auf die Papillae fungiformes nicht äusserte, dieselben sich vielmehr ganz intact erhielten, so scheint nur der Lingualis einen tro- ‘phischen Einfluss auf diese Papillen auszuüben. Im Uebrigen litt die Ernährung-der Thiere durch den operativen Eingriff und seine Folgen durchaus nicht, vielmehr hatten sie alle am Ende der Beobachtungszeit in dem Maasse an Grösse zugenom- men, wie es in ihrer Altersperiode nur irgend zu erwarten war.

Die Beobachtung unserer Versuchsthiere wurde bei jedem derselben durchschnittlich drei Monate fortgesetzt. Diese Frist wurde zwar nur aus äusseren Gründen eingehalten, scheint in- dessen auch ganz ausreichend, um die beabsichtigten Erfolge der Operation, wenn dieselben überhaupt sich einstellen, zur Erscheinung zu bringen. Denn wir haben bei dieser Versuchs- weise auf’s Neue die Erfahrung machen müssen, dass trotz aller Maassnahmen zur dauernden Verheilung des Hypoglossus mit dem Lingualis, und zur Fernhaltung der entsprechenden Durch- schnittsenden der Nerven von einander, ein günstiger Erfolg doch nur dem glücklichen Zufall zu danken ıst. Es besteht namentlich für den Hypoglossus ein so überwiegendes Bestre- ben seiner Durchschnittsenden, wiederum zusammen zu treten, dass selbst die Exstirpation von 10'' langen Stücken aus dem Verlauf des Nerven, und die Verbindung des peripherischen Endes mit dem Lingualis mittelst doppelter Seidenfäden die Wiederherstellung der früheren Bahnen keineswegs mit Sicher- heit zu verhindern vermag; hierüber darf man sich selbst dann

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis u. s. w. 955

keiner trügerischen Hoffnung hingeben, wenn mehrere Monate hindurch alle willkürliche Bewegung der getroffenen Zungen- hälfte ausbleibt. Denn es hat sich auch in dieser Versuchsreihe wiederum gezeigt, dass, wenngleich Willensimpulse bis zu den Muskeln der betroffenen Zungenhälfte nicht gelangen, hieraus noch nicht auf eine fortdauernde Unterbrechung jeglicher Lei- tung in dem Hypoglossus geschlossen werden darf. Oefters ha- ben wir nämlich in solchen Fällen gesehen, dass galvanische Reizung des Hypoglossus oberhalb der Stelle, an welcher vor drei Monaten die Durchschneidung stattgefunden hatte, kräftige Contractionen der Zungenmuskeln veranlasste, ja dass auch auf reflectorischem Wege schwache Zusammenziehungen sich her- vorrufen liessen. Wenn nun zugleich in der Narbe neugebil- dete Nervenfasern nachzuweisen waren, die sich von normalen Nervenfasern gar nicht unterschieden, so ist man zu dem Aus- spruch berechtigt, dass die Fortleitung der Willenseinflusses in den Nerven sich von der Fortleitung galvanischer Reizung un- terscheide, vielleicht dadurch, dass die Willensimpulse verhält- nissmässig schwache Reize sind, und daher in den neugebilde- ten und vielleicht noch nicht zu voller Ausbildung gediehenen Nervenfasern Hindernisse finden. Die Durchschnittsenden des Lingualis waren nicht in gleichem Maasse zur Wiedervereini- gung geneigt; gegen schmerzerregende Einflüsse blieb die Zunge auch nach drei ‚Monaten unempfindlich, namentlich da, wo das centrale Ende des Lingualis mit dem peripherischen des Hypo- glossus vereinigt worden war. Bei Verbindung des centralen Endes des Hypoglossus mit dem peripherischen des Lingualis kehrten allerdings gegen Ende der Beobachtungsfrist Zeichen von Empfindlichkeit der Zunge zurück, so dass eines dieser Thiere bei Nadelstichen in die Zunge selbst laut aufschrie. Auf eine Vereinigung motorischer und sensibler Fasern war diese Erscheinung jedoch nicht zu beziehen, da auch der Hypoglossus sensible Fasern enthält. Dagegen lehrte sie, vorausgesetzt, dass die Heilung in der beabsichtigten Weise erfolgt und das cen- trale Ende des Lingualis nicht weit in die Narbe hineinge- zogen war, dass centripetalleitende Fasern aus verschiedenen Nervenbahnen unter geeigneten Bedingungen sich mit einander

256 F. Bidder:

zu vereinigen vermögen, und dass durch eine solche neugebil- dete Bahn schmerzerregende Einflüsse sehr wohl zum Centrum fortgeleitet werden "können.

Nach Ablauf von drei Monaten schritten wir bei allen un- seren Versuchsthieren zur experimentellen Prüfung der etwa hergestellten Verbindung zwischen beiden Nerven. Aus den vorhin erwähnten Gründen wandte sich unsere Erwartung ganz besonders denjenigen Fällen zu, in denen das centrale Lingua- lisende mit dem peripherischen Hypoglossusstumpf in Verbin- dung gesetzt war. Durch Reizung des Lingualis oberhalb der Narbe mussten wir falls der Versuch gelungen war nicht allein Schmerzensäusserungen des Thieres, sondern auch Bewe- gungen der Zunge hervorrufen können. Bei dem vorgängigen Bloslegen des Lingualis schlugen wir einen Weg ein, der von dem bisher üblichen Verfahren verschieden war. Die Nachbar- schaft der ersten Operationsstelle dazu zu benutzen ist wegen des mitunter weitgreifenden Narbengewebes und wegen der Kürze der Strecke, in der der Lingualis hier blosgelegt werden kann, mit mancherlei Inconvenienzen verbunden. Wir suchten daher den Lingualis von der Mundhöhle aus auf, ein Verfahren, das; sich als durchaus praktisch erwies. Die Thiere wurden durch Injection von Opium in eine Vene abermals narkotisirt, der Mund durch eine geeignete Vorrichtung weit eröffnet er- halten, und der Lingualis an der inneren Fläche des Unterkie- fers, wo er am vorderen Rande des Musc. pterygoides intern. nach Spaltung der Schleimhaut leicht zu finden ist, in einer hinreichend langen Strecke blosgelegt. Durch eine unter ihn gebrachte Glasplatte wurde der Nerv von den Nachbartheilen isolirt, durch Inductionsschläge gereizt, wobei immer der soge- nannte Schlüssel in Anwendung kam, um etwaige unipolare Zuckungen auszuschliessen, und weiterhin vom Gehirn getrennt, um. reflectirte Muskelzusammenziehungen unmöglich zu machen.

Unter den von uns angestellten Versuchen verdienen für die Lösung der vorliegenden Frage nur zwei eine nähere Erwäh- nung. Der erste fand an einem Thiere von etwa sechs Mona- ten Statt, an welchem nach Vereinigung des centralen Endes des Lingualis mit dem peripherischen des Hypoglossus auch

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis u. s. w. 257

nach drei Monaten keine selbstständige Bewegung oder Schmerz- empfindung in der gelähmten Zungenhälfte wahrzunehmen war. Nachdem mit dem blosgelegten und isolirten Lingualis die Pole des Inductionsapparates überbrückt waren, erfolgte bei jedesma- ligem Oeffnen des Schlüssels ein Zusammenfahren des ganzen Körpers unter lautem Stöhnen des Thieres. Neben diesen un- zweideutigen Aeusserungen des durch centripetale Leitung des Lingualis bedingten Schmerzes zuckte auch die ganze Zunge. Da hierbei aber zweifelhaft blieb, welchen Antheil der neben anderen Muskeln auf dem Wege des Reflexes zur Action be- stimmte gesunde Hypoglossus hieran hatte, so wurde der Lin- gualis durchschnitten, um sowohl alle Reflexbewegungen auszu- schliessen, als auch den Nerven bequemer und sicherer über die Elektroden hinlegen und alle Stromschleifen ausschliessen zu können. Im Momente des Durchschneidens des Lingualis seufzte das Thier tief auf, und es stellte sich eine deutliche Contractson der linken Zungenhälfte ein; als aber das mit der Narbe zusammenhängende Lingualisende galvanisch gereizt wurde, zeigte sich wiederholentlich beim Oeffnen des Schlüs- sels neben ungestörter Ruhe aller anderen Muskeln deutliche Zuckung in der linken Zungenhälfte, namentlich an der unte- ren Fläche derselben in einer Zone, die dem unmittelbar unter der Schleimhaut gelegenen Theile der M. styloglossus und genio- glossus entsprach. Ganz dasselbe zeigte sich, als der Lingualis mechanisch gereizt, d. h. mit einer einfachen anatomischen Pin- cette zusammengedrückt wurde, und zwar wiederholte sich dies mehrere Male, indem successive neue, näher nach der Narbe zu gelegene Partieen des Nerven mit den Armen der Pincette er- fasst wurden. Je unzweideutiger dieses Resultat der physio- logischen Prüfung gewesen war, um so gespannter war ich auf das Ergebniss der anatomischen Untersuchung. Es wurde die- selbe sofort vorgenommen, nachdem durch Einblasen von Luft in die Vena jugularis das Thier rasch getödtet worden war. Indessen war es unmöglich, die Vereinigungsstelle des Lingualis mit dem Hypoglossus aus einem Narbenklumpen zu isoliren, der in allen Richtungen .etwa einen Zoll Ausdehnung hatte,

von ausserordentlich derbem Gefüge war, und mit den Nach- Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 17

258 F. Bidder:

bartheilen eng zusammenhing. Ohne Zweifel war dies dadurch bedingt, dass die Narbenbildung in diesem Falle von einer mehrwöchentlichen Eiterung begleitet gewesen war. In diese Narbenmasse traten alle vier Nervenenden ein, und liessen sich nicht weiter in derselben verfolgen, da die Derbheit des Ge- webes dies nicht gestattet. Die anatomische Untersuchung musste sich daher auf die Nervenstrecken oberhalb und unter- halb der Narbe beschränken. Die centralen Enden des Lin- gualis und Hypoglossus verhielten sich makroskopisch wie mi- kroskopisch normalen Nerven ganz entsprechend. Von den pe- ripherischen Enden beider Nerven hatte das des Lingualis seine natürliche weisse Farbe ganz eingebüsst, war blass und fast durchscheinend und bestand nur aus Nervenscheiden, die ihres Markes ganz beraubt waren und vereinzelte Fettkügelchen ent- hielten. In den Hypoglossuszweigen waren neben entarteten Fasern auch ganz normale anzutreffen. Diese letzteren waren ohne Zweifel in der Narbe mit Lingualisfasern zusammengetre- ten, und hatten sich dadurch vor weiterem Zerfall erhalten und ihre Leitungsfähigkeit bewahrt. Denn die oben erwähnten wäh- rend des Lebens beobachteten Erscheinungen wiesen ganz un- zweideutig darauf hin, dass die Vereinigung unserer beiden Nerven in erwünschter Weise vor sich gegangen war. Trotz- dem konnte das Resultat dieses Versuchs nicht als durchaus zufriedenstellend bezeichnet werden, weil die physiologischen Erscheinungen durch die nachfolgende anatomische Untersuchung nicht ihre entschiedene und unbestrittene Grundlage und Er- läuterung fanden. N

Diesem Postulat entsprach ein zweites Experiment in der vollständigsten Weise. Es wurde an einem zweimonatlichen Hunde in der oben beschriebenen Art angestellt. Die äussere Wunde war nach 10 Tagen vollkommen verheilt, und nach drei Monaten war keine Spur von Bewegung oder Empfindung in der linken Zungenhälfte wiedergekehrt. Die Prüfung auf cen- trifugale Leitung im Lingualis wurde auch hier so angestellt, dass der Nery in der Mundhöhle blosgelegt, isolirt, und mit mässigen Inductionsschlägen gereizt wurde. Beim jedesmaligen Oeffnen des Schlüssels trat Zuckung des ganzen Körpers und

Beobachtung doppelsinniger Leitung im N. lingualis u. s. w. 259

auch der Zunge ein. Der Lingualis wurde hierauf mit einer Ligatur umgeben, im Momente des Zuschnürens derselben stellte sich unter heftigem Aufschreien des Thieres eine deut- liche Zuckung der gelähmten Zungenhälfte ein, wobei die Zun- genspitze nach links und unten gedreht wurde. Hierauf wurde der Lingualis oberhalb der Ligatur durchschnitten, wobei das Thier abermals aufschrie, die linke Zungenhälfte aber unbewegt blieb. Der mit der Narbe zusammenhängende centrale Stumpf des Lingualis wurde nun galvanisch und mechanisch gereizt, jedesmal trat eine Zuckung ein, besonders deutlich dann, wenn durch Zusammendrücken der Pincette eine frische Stelle desselben irritirt wurde. Namentlich zuckten auch hier die unmittelbar unter der Schleimhaut an der unteren Zungenfläche gelegenen Bündel des Stylo- und Genioglossus. Diesen bei dem lebenden Thier beobachteten Erscheinungen entsprach auch nach der Tödtung desselben der anatomische Befund auf's Vollkommenste. Das centrale Ende des Lingualis hing nämlich mit dem peripheri- schen des Hypoglossus ununterbrochen zusammen, und zwar durch eine von der Nachbarschaft deutlich abgesetzte Narben- brücke von röthlicher Färbung, durch welche ein weisslicher

Strang hindurchzog; beide Nervenenden waren an der Vereini-

4

gungsstelle mit diesem Strange etwas verdickt, der Lingualis mehr als der Hypoglossus. Das centrale Ende des Hypoglossus und das peripherische des Lingualis lagen um 1'/, Zoll von der Narbe entfernt, und waren ebenfalls kolbig angeschwollen. Die centralen Enden beider durchschnittenen Nerven waren aber un- gleich dicker als die peripherischen, und letztere unterschieden sich durch ihre Farbe auffallend von einander. Das periphe- rische Ende des Lingualis war ganz blass, während dasjenige des Hypoglossus durch sein weisses Aussehen einem normalen Nerven entsprach. Die mikroskopische Untersuchung der Narbe selbst zeigte in dem mittleren weisslichen Strange neben Binde- gewebsfibrillen zahlreiche Nervenfasern, die in Bezug auf Mark- inhalt, dunkle Ränder und doppelte Contouren, von gesunden Nerven kaum unterschieden waren. Das peripherische Ende des Lingualis enthielt ausschliesslich degenerirte Fasern, fast ganz entleerte und theilweise zusammengefallene, nur hier und 177

260 F. Bidder: Beobachtung doppelsinniger Leitung u. s. w.

da noch ein grösseres Fettkörperchen in einem feingranulirten Inhalte beherbergende blasse, mit zahlreichen Kernen besetzte Nervenscheiden. Das mit der Narbe verbundene peripherische Ende des Hypoglossus dagegen enthielt noch recht viele mark- haltige Fasern, daneben freilich auch Elemente, die ihr Mark zum Theil eingebüsst hatten, nirgends aber so weit degenerirte Fasern wie im Lingualis. Diese Verschiedenheit, zusammen- gehalten mit den während des Lebens beobachteten Erscheinun- gen berechtigt vollkommen zu der Annahme, dass vom Centrum ausgehende Impulse durch den Lingualis und die Narbe hin- durch auf das peripherische Ende des Hypoglossus sich geltend gemacht haben mussten, ehe die Atrophie der Fasern des letz- teren soweit vorgeschritten, dass jede Restitution unmöglich ge- worden, und dass eben dadurch sowohl der weitere Zerfall sei- ner Elemente aufgehalten, als auch ihr Einfluss auf die zuge- hörigen Muskeln erhalten oder wiederhergestellt wurde.

Die Möglichkeit des Zusammenheilens functionell verschie- dener Nervenfasern und dadurch bedingter Herstellung einer Bahn, an welcher die doppelsinnige Nervenleitung mit Entschie- denheit dargethan werden kann, darf also auch mit den vorste- henden Versuchen als bewiesen angesehen werden.

Dorpat, am 31. December 1864.

F. N. Winkler: Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 261

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur.

Von

F. N. WmKLER.

(Hierzu Tafel V. und VI.)

Die Schwierigkeiten in der Verfolgung der Muskelfasern des Herzens sind Ursache unserer bisherigen mangelhaften Kennt- niss dieses Organs, und trotz zahlreicher Arbeiten aus den letz- ten Decennien können wir uns eben nur gewisser Fortschritte gegen die früheren Zeiten rühmen; Klarheit aber, ja selbst die vor Allem nothwendige Uebereinstimmung in Bezug auf das bis jetzt Bekannte fehlen noch immer.

Während frühere Arbeiten mit grossem Aufwand von Kraft den so verflochtenen und complicirten Verlauf der Herzmuskel- fasern zu entwirren und dadurch Material für die topographisch- anatomische Beschreibung der Herzmusculatur herbeizuschaffen suchten, so sieht man jetzt das Zwecklose eines solchen Bemü- hens ein und bestrebt sich fortan, die allgemeinen Gesetze für den Verlauf der Herzmuskelfasern aufzusuchen. Die verdienst- volle Arbeit Ludwig’s (Henle und Pfeuffer’s Zeitschrift, Vol. 7, S. 189) hat in Deutschland wesentlich dazu beigetragen, dass Forschungen in diesem Sinne von Neuem unternommen wurden.

Vorliegende Arbeit ist auf Veranlassung einer durch die Berliner medicinische Facultät von Herrn Prof. Reichert ge- stellten Preisaufgabe entstanden, und zwar waren die gestellten Fragen wörtlich folgende: „In quibus locis cordis fasciculorum

262 F, N, Winkler:

laquei oceurrant, quonam ii ordine positi sint, et contra quae- nam musculorum partes talem decursum non exhibeant.“

Möge es gestattet sein, die bei Beschäftigung mit dieser Aufgabe ermittelten Thatsachen hier mitzutheilen.

I. Beschreibender Theil. 1) Nebenmusculatur des Herzens.

Sie begreift die von den Autoren als „äussere Schicht“ ver- standenen Fasern, zugleich aber auch deren an der Innenwand der linken Kammer verlaufende und daselbst endende Fortsetzungen. Die äusseren Enden!) dieser Fasern setzen sich im ganzen Um- fange beider venösen Oeffnungen an die daselbst befindlichen Faserknorpelringe an, verfolgen alsdann alle nahezu dieselbe Richtung und enden schliesslich auf gleiche Weise ; ausserdem

liegen sie Alle bis zum Eintritt in den Vortex in einer und derselben Ebene der Musculatur des Herzens, oder im Mantel

eines und desselben Kegels, falls man sich zu dieser Vorstel- lung des Bildes bedienen will, dass die Musculatur des Herzens zahlreiche in einander geschobene Kegel darbietet. Weiter un- ten wird noch ausführlicher erörtert werden, dass diese Faser- lage sich in der That scharf genug markirt, um den Namen einer selbständigen Schicht beanspruchen zu können.

Es besteht diese im Ganzen sehr dünne Schicht aus platten, bandförmigen Fasern, die näher der Basis so zerstreut liegen,

1) Der alte Streit, welches Ende der Herzmuskelfaser als Ursprung anzusehen sei, ist durchaus unstatthaft, weil ihm der falsche Vergleich der Herzmuskelfasern mit anderen Muskeln zu Grunde liegt. Der me- ‚chanische Effect ist bei beiden ganz verschieden. Während man näm- lich bei letzteren als Ursprung stets den fixen Punkt, als Ansatz aber den mobilen ansieht, sind an den Herzmuskelfasern beide Enden fixe, beide also Ursprünge. Der Punkt hingegen, welcher dem Ansatz an- ‚derer Muskeln zu vergleichen wäre, ist eben das Centrum der von den Herzfasern gebildeten Spiralen. Man kann nun das eine Ende der Herzmuskelfasern, weil es in Bezug auf das andere der Aussen- fläche näher liegt, äausseres, das andere aber inneres Ende nen- nen; auch erleichtert es die Beschreibung sehr, wenn man, vom äus- seren Ende einer Faser ausgehend, dieses als Ursprung benennt, ohne ‚ihm, aber, damit eine besondere physiologische Bedeutung zu verleihen.

Beiträge’ zur Kenntniss der Herzmusculatur, 263

dass sie oft die unter ihnen liegenden Fasern durchschimmern lassen, erst näher dem Apex etwas gedrängter werden und hier die Schicht ein Wenig dicker erscheinen lassen. Alsdann ge- hen sie in ziemlich steiler Richtung von der Basis der Spitze zu, so dass sie die Längsachse des Herzens unter einem Win- kel von ungefähr 20—30° schneiden, senken sich an der Spitze unter Vortexbildung in die Tiefe und dringen schliesslich in das Innere der linken Kammer ein.

Sie sind alle linksgewunden. Linksgewunden kann man nämlich eine Faser nennen, die auf ihrem Wege vom äus- seren zum inneren Ende auf der Vorderseite des Herzens von rechts nach links zieht. Umgekehrt wird man in entgegenge- setzter Richtung laufende Fasern rechtsläufige nennen.

a) Nebenmusculatur der rechten Kammer. An der rechten Kammer entspringen die Fasern am ganzen Um- fange ihres Faserknorpelringes.. An der Hinterwand!) kom- men in der Nähe der hinteren Längsfurche gewöhnlich noch einige Fasern von dem der Scheidewand zugewandten Theile dieses Ringes über den hinteren Theil des oberen Septumrandes her. An der Vorderwand dagegen laufen von demselben Theile des Ringes herstammende Fasern über die zwischen dem rech- ten Ostium atrioventrieulare und dem Ost. pulmonale befindliche musculäre Brücke. An der Vorderwand bieten die Fasern die Eigenthümlichkeit dar, dass sie nicht so schräg wie die übrigen Fasern dieser Schicht laufen (Taf. V. Fig. 1), sondern noch et- was steiler (a), und zwar dicht an der vorderen Längsfurche, letzterer durchaus parallel. Je weiter aber die Fasern von dieser entfernt und gegen den rechten Herzrand zu gelegen sind, desto mehr accommodiren sie sich der allgemeinen Richtung. In dieser mehr longitudinalen Richtung laufen die Fasern nach der Spitze abwärts , bis sie auf die vordere Längsfurche (d) stossen, wo sie mittelst einer plötzlichen Biegung in die Rich- tung der übrigen Fasern eintreten. Eben dadurch aber, dass

1) Hinterwand ist stets die plane, Vorderwand die convexe Herz- fläche; dem entsprechend werden auch die Bezeichnungen „vorn“ und „hinten“ gebraucht werden. Dagegen ist bei Angaben von Richtun- gen „oben“ stets auf die Basis, „unten“ auf die Herzspitze zu beziehen.

264 F. N. Winkler:

diese Fasern sonst longitudinal verlaufen, entsteht an der Basis, dicht an der Furche zwischen den oben beschriebenen Fasern und ihren bereits der linken Kammer angehörenden Nachbar- fasern (b) eine Lücke (c), die ungefähr die Gestalt eines schie- fen Dreiecks besitzt, und in welcher man die nächst tieferen Fasern in ihrer eigenthümlichen Richtung fast quer nach links ziehen sieht.

b) Nebenmusculatur der linken Kammer. An der linken Kammer entspringen die Fasern im ganzen Umfange des Ringes der Vorhoföffnung. Ausserdem sieht man in der Nähe sowohl der hinteren als der vorderen Längsfurche einige Bündel vom Septumantheil des Aortenringes herkommen, was sich daraus erklärt, dass dieser Theil in die dort vom Fa- serknorpelringe des Ost. atrioventr. gebildete Lücke eintritt. Alle diese im Umkreise der linken Kammer entspringenden Fasern haben eine gleiche, von der Norm durchaus nicht ab- weichende Richtung nach dem Apex zu.

c) Gesammtverlauf der Nebenmusculatur. Die Fa- sern dieser Kategorie ma- chen, ehe sie zum Vortex

Diagr. 1.

gelangen, etwas mehr als eine sanze spiralige Windung und zusammen mit dem im Inne- ren noch verborgenen Theile circa 1!/,;, Windungen um die Längsachse des Herzens. Als Schema des Verlaufs die- ser Fasern diene das Diagramm Nr. 1.1) Die Bündel a und b entspringen beide an der Hin- terwand, also der planen Wand

1) In den Holzschnitten bezeichnet: = das entsprechende Ostium atrioventriculare.

A = Aorta. P = A, pulmonalis. D = dexter h int } ventrieulus. S = simister

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 265

‘des Herzens, beide nahe an der hinteren Längsfurche, aber a der rechten, b der linken Kammer angehörig. Das Bündel c . dagegen entspringt an der Vorderwand der linken Kammer.

Schliesslich gelangen alle Fasern zum Apex und gruppiren sich hier alsbald so, dass die eine Hälfte von links her, die andere von rechts in den Vortex eindringt. Diese Art der Gruppirung ist sehr anschaulich mit zwei gebogenen und in einander geschlungenen Fingern zu vergleichen, daher auch diese zwei Hälften Digitationen zu nennen. Taf. V. Fig. 2 stellt diese Digitationen überaus deutlich, Fig. 3 aber so dar, wie sie am häufigsten erscheinen. Hier am Apex nun verschwinden die Fasern, sie sind aussen nicht mehr sichtbar, und, um ihnen "nachzugehen ist es nöthig, die linke Kammer zu eröffnen. Ueber das Charakteristische der Wirbelbildung soll weiter un- ten noch ausführlich gehandelt werden, hier sei nur erwähnt, dass die Fasern sich plötzlich stark umbiegen, fortan aufwärts ziehen und, in die linke Kammer gelangt, sich so vertheilen, dass die Fasern aus der rechten Digitation in den vorderen, die aus der linken in den hinteren Warzenmuskel eindringen, um schliesslich vermittelst der sehnigen Ausläufer dieser Mus- keln mit der Mitralklappe und durch diese mit. dem Faser- knorpelring in Verbindung zu treten.

J. Reid, H. Searle und Andere haben irrthümlicherweise angegeben, dass einzelne dieser Fasern im Verlaufe sowohl der vorderen, wie der hinteren Längsfurche sich in die Tiefe sen- ken und auf diese Weise zum Septum gelangen; doch ist dies durchaus nicht der Fall.

Ferner hat man behauptet, dass die oberflächlichen Fasern beiden Kammern gemeinsam seien; auch dies ist nicht der Fall. Die im Umfange der rechten Herzbasis entspringenden Fasern gehen freilich alsbald auf die linke Kammer über, allein die von der linken Kammer und zwar von hinten her kommenden . Fasern befinden sich, wenn sie den rechten Herzrand erreichen dem Apex schon ganz nah und zwar an jener Stelle des rech- ten Herzrandes, die nicht mehr der rechten, sondern der linken Kammer angehört. Demnach sind die vom Umfange der rech- ten Herzbasis entspringenden Fasern beiden Kammern gemein-

266 F. N. Winkler:

sam, während die von der linken Basis die rechte Kammer gar nicht berücksichtigen und der linken ganz eigenthümlich sind. d) Oberflächlich bleibende Fasern der Nebenmus- culatur. In einzelnen und nicht gerade seltenen Fällen findet sich ein ganz eigener Verlauf einiger Bündel, der sich freilich nur an Schöpsen-, nicht aber an anderen Herzen zeigte, was indes- sen wohl lediglich vom Zufall Diagr. 1". abhängen mag. Der Verlauf dieser Fasern ist im Diagramm Nr. 1' dargestellt, und das Ei- genthümliche besteht darin, dass diese Fasern, ausgehend von der rechten Herzbasis, mit den übrigen Fasern an der Vor- derwand aa in gewöhnlicher Weise verlaufen, auf dem Apex aber (b) sich nicht in den Vor- tex versenken, sondern durch- aus oberflächlich bleiben (Taf. V. Fig. 4), zwischen den bei- den Digitationen (bb) sich mit einer Sförmigen Windung hin- durchschlängeln (aa) und nun ganz oberflächlich an der Hin- terwand zur linken Herzbasis hinaufsteigen.

2) Hauptmusculatur des Herzens.

Unter dieser Bezeichnung werden die bisher allgemein als zwei besondere Schichten angesehenen mittleren und inneren Fasern zusammengefasst. Sie werden hier als ein Ganzes be- trachtet,, das aber weder in Bezug auf die Nebenmusculatur eine Schicht ist, noch selbst aus Schichten besteht, sondern eine zwar aus zahlreichen differenten Bestandtheilen gebildete, im Uebrigen aber zusammenhängende Masse darstellt, deren Fasern auf das Innigste mit einander verflochten sind, vielfache Win- dungen machen, in den verschiedensten Gegenden und Ebenen

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 267

des Herzens wiedererscheinen, ja auf so intricate Weise ver- wickelt sind, dass man nicht einmal benachbarte und anschei- nend gleichartige Fasern in jedem Falle für einander analog in Bezug auf Ursprung und Verlauf ansehen darf.

In Anbetracht dieser Umstände musste allerdings zunächst, falls man nicht ganz planlos zu Werke gehen wollte, entschie- den werden, auf welchem Wege ein Verständniss dieses Mus- kelkörpers erzielt werden könne. Prof. Ludwig versuchte an einzelnen Stückchen der Herzwandung den Verlauf der Fasern zu studiren, und es ist nicht zu läugnen, dass auf diese Weise wohl etliche, aber nicht alle Gesetze des Verlaufes dieser Fa- sern bestimmt werden können. Um aber über alle diese Ge- ‚setze klare Einsicht zu erlangen, ist nur ein Weg vorhanden, nämlich die einzelnen Faserbündel in ihrem ganzen Verlaufe zu verfolgen, und erst aus den so gewonnenen Elementen die allgemein gültigen Gesetze abzuleiten. Freilich hat Prof. Lud- wig Recht in seiner Behauptung, dass diese Methode ihre be- sonderen Schwierigkeiten habe, aber eben nur solche, wie sie jedes Ding, das mit emsiger und zeitraubender Sorgfalt behan- delt sein will, darbietet und dennoch bewältigt werden kann.

a) Erste Faserart. Nach Abnahme des äusseren Theils der Nebenmusculatur zeigen die nun sichtbaren Fasern einen fast queren Zug, so namentlich im Basaltheil des Herzens, während, je näher dem Apex, desto mehr sich die bis dahin quere Richtung in eine steile nach abwärts gehende umwan- delt und schliesslich ganz nahe am Apex vollständig in die der Digitationen der Nebenmuscu- latur übergeht, wo die Fasern mit diesen zusammen in den Vortex eindringen. Diagramm Nr. 2 stellt ein Schema dieser jetzt zunächst sichtbaren Fa- sern dar: es verlaufen diesel- ben fortdauernd dicht unter der Nebenmuseulatur, haben

268 F.N. Winkler:

ihre Ursprünge an den venösen Faserknorpelringen, machen circa zwei Windungen um die Längsachse des Herzens, gelan- gen auf gleiche Weise mit der Nebenmusculatur in den Vortex und durch diesen in die linke Kammer, wo sie sich auf beide Warzenmuskeln vertheilen. Die Zahl dieser Fasern, welche nach der oben gegebenen Erklärung linksläufig zu nennen sind, ist im Allgemeinen klein, bisweilen lassen sich ihre äusseren mit dem Faserknorpelringe verbundenen Enden nicht anders als nur auf einem Durchschnitt durch die Wandung nachwei- sen. Ebenso wie die der Nebenmusculatur verlaufen auch diese Fasern in einer einzigen Ebene bis zum Eintritt in den Vortex, wo ein plötzlicher Wechsel derselben stattfindet.

Somit haben diese Fasern scheinbar viel Aehnlichkeit im Verlauf mit der Nebenmusculatur, der sie indessen durchaus nicht angehören und in ihrem Verhalten hauptsächlich auf die Hauptmusculatur angewiesen sind, indem sie mit dieser einen gleichen, queren Zug haben, ferner mit ihr nur und nicht mit der Nebenmusculatur weder durch Theilung der Fasern ver- flochten, noch durch Zwischenfasern verwachsen und endlich noch von der Nebenmusculatur durch eine besondere Bindege- webslage getrennt sind.

b) Zweite Faserart. Diagramm 3. Von dem der rech- ten Kammer zugekehrten Rande des Ringes der Aorta (A) zwi- schen dieser und der Art. pulm. entspringt eine beträchtliche Anzahl Muskelbündel (b), die im Septum, und zwar näher sei- ner rechten Fläche, ohne aber an die Innenfläche selbst her- anzutreten und vom Inneren der rechten Kammer aus sicht- bar zu werden, schräg nach vorn und unten ziehen, in der vorderen Längsfurche das Sep- tum verlassen, und sich bei a plötzlich nach links umbiegen. Gleichzeitig breiten sie sich in der Fläche mehr aus und bil-

Diagr. 3.

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 269

den nun bei bezeichneter Umbiegungsstelle gleichsam Schlingen oder Curven, deren geometrischer Ort für ihre Scheitel eine li- neare Ausbreitung, entsprechend der vorderen Längsfurche, zeigt und deren Oeffnungen nach links zu liegen. Nach dieser Um- biegung laufen sie in der Wandung ziemlich quer fort, doch nähern sie sich dem Apex immer mehr. Zunächst nach der Umbiegung schlagen sie sich um die linke Kammer, ziehen an der Hinterwand über die hintere Längsfurche fort, gehen um den rechten Herzrand nach vorn (ec), dann weiter über die vor- dere Längsfurche und umschlingen nochmals die linke Kammer. Diese gleichfalls linksläufigen Fasern sind dadurch, dass sie in ihrem Laufe sich von der Aussenfläche des Herzens’ allmäh- lig immer mehr entfernt haben, jetzt bereits der Innenfläche ziemlich nahe gerückt. Indem sie nun nach der letzten Um- schlingung der linken Kammer, von hinten in der Längsfurche bei b zum Septum eindringend, in diesem nach vorne ziehen, um sich wieder der linken Kammer zuzuwenden, stossen sie auf den rechten Rand des vorderen Warzenmuskels. Von hier ab wird ihrem Laufe in der bisherigen Richtung ein Ziel ge- steckt; wie von einem Strudel ergriffen, biegen sie plötzlich nach innen um, wenden sich nach oben zur Basis und treten in den vorderen Warzenmuskel ein. Allein diese Fasern, welche anfangs einen fast queren Zug hatten, bilden an dieser Stelle, wo sie in den longitudinal stehenden Warzenmuskel eindringen, dennoch keinen rechten Winkel, weil sie eben mit dem allmäh- ligen Wechsel ihrer Ebene (denn sie nähern sich nach und nach erst der Innenfläche) auch ihre Richtung insofern gewechselt haben, als sie schliesslich eine longitudinal aufsteigende Rich- tung angenommen haben und darum bei jener Umbiegung einen nach oben offenen stumpfen Winkel bilden; siehe dazu Taf. VI. Fig. 8. ee zeigt dergleichen Enden bei ihrem Eintritt in den vorderen Warzenmuskel, dessen rechter Rand die Grenze die- ser Umbiegungen nach rechts markirt.

Die bisherige Beschreibung hielt sich, um jeder Verwirrung zu entgehen, genau an das gegebene Schema, und obschon sie im Allgemeinen für alle Fasern gültig ist, so findet doch darin noch eine Verschiedenheit statt, dass die Fasern nicht alle in

270 F,N. Winkler:

den vorderen, sondern zur Hälfte auch in den hinteren War- zenmuskel eindringen. Die Zahl nämlich der nach diesem Schema verlaufenden Fasern ist recht bedeutend; sie bilden darum eine Lage, deren Dickendurchmesser grösser ist als die Breite des Raumes, in welchem der Eintritt in den vorderen Warzenmuskel möglich ist. Aus diesem einfachen Grunde kann sich nur der der Innenfläche zugewandte Theil dieser Fa- serlage in letzteren Muskel einsenken, während der andere von der Innenfläche abgewandte Theil (Taf. VI. Fig. 9 cc) noch den schmalen seitlichen Interpapillarraum durchzieht und sich in den hinteren Warzenmuskel (b) einsenkt. c) Dritte Art. Diagramm Nr. 4 An dem der linken Kammer zugekehrten Rande des Aortenringes (i) entspringt eine gleichfalls nicht unbe- bes 2 trächtliche Zahl von Bündeln, die, anfangs nebeneinander in _ der Fläche ausgebreitet und bedeckt von den dort befindli- chen Fasern der Innenfläche der linken Kammer, zur Basis und nach vorn laufen. Alsbald aber nehmen sie einen mehr queren Zug an und breiten sich am Umfange der ganzen linken Herzbasis aus. Auf de- ren Höhe angelangt, befinden sie sich dicht unter dem Faserknorpelring (Taf. VI. Fig. 13 Bdd), ohne aber mit ihm in Verbindung zu treten, und schlagen sich nun allmählig über die tieferen Fasern der Musculatur hinweg, auf denen sie im ganzen Umfange der freien Wandung der linken Herzbasis wie eine Kappe aufsitzen und gleichsam in schiefer Stellung auf ihr reiten (Diagramm 4). Sie bilden demnach hier Schleifen, „Basalschleifen *, deren Scheitel in einer Fläche neben einander geordnet sind und dicht unter dem Faserknor- pelring liegen ; dieselben nehmen den ganzen Rand der freien Wandung der linken Herzbasis ein, so dass der geometrische Ort jener Schlingenscheitel durchaus parallel der die linke

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 971

Atrioventricularöffnung begrenzenden Linie läuft, somit eine eir- culäre Figur darstellt. Auf diese Weise wechseln die Fasern mit geringer Veränderung ihrer Richtung in Bezug auf die Längsachse des Herzens, indem sie von jetzt ab etwas nach unten, d.h. dem Apex sich zuwenden, ihre Ebene. Sie liegen jetzt der Aussenfläche näher und laufen um den linken Herz- rand nach hinten, dort bis zur hinteren Längsfurche vordrin- gend. Hier im Apicaltheil dieser Furche theilen sich die Bün- del, jedes in zwei Aeste (ac), und zwar wahrscheinlich so, dass die vorher nur ein Bündel darstellenden Fasern jetzt einfach nur nach zwei Richtungen aus einander gehen, nicht aber, dass die einzelnen Primitivfasern sich an diesen Stellen theilen. Diese Theilungsstellen bilden eine der hinteren Längsfurche parallel laufende Linie (Taf. V. Fig. 5a); die gegenseitige Lage der Aeste ist aber eine derartige, dass gleich nach der Thei- lung jeder untere Ast (Diagramm 4 c,d) den oberen der zu- nächst liegenden Faser (e,f) überdeckt.

Von den durch jene Theilung entstehenden zwei Aesten läuft der untere (c) ziemlich steil abwärts, gelangt um den rechten Herzrand herum auf die Vorderfläche und zugleich nah an die Innenfläche der linken Kammer, und hier, vom Wirbel ergriffen, schlägt er sich einwärts, um in die Warzenmuskeln einzudringen.

Der obere Ast (a) hat einen zwar im Ganzen immer gleich- artigen Lauf, indessen zeigt er Modificationen, je nachdem er dem Apex näher oder entfernter liegt; im Allgemeinen aber gehen diese oberen Aeste um den rechten Herzrand in ziem- lich querer Richtung auf die Vorderwand über und enden Alle auf der Innenfläche der rechten Kammer, theils an ihr zum Ringe aufsteigend, theils dort die Warzenmuskeln bildend. Die dem Apex zunächst liegenden oberen Aeste, die also auf den untersten Theil der vorderen Längsfurche stossen, gehen eben hier vermittelst einer leichten Umbiegung in die rechte Kam- mer ein (b im Diagramm), laufen an der Innenfläche ihrer freien Wandung in die Höhe (Taf. V. Fig. 6h) und werden hier hauptsächlich zur Bildung eines Warzenmuskels (i) benutzt, aus dem noch einige den M. communicans (k) darstellenden Bündel

272 F.N. Winkler: Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur.

heraustreten. Die vom Apex entfernteren biegen sich längs der ganzen vorderen Längsfurche einwärts zum Septum (Dia- gramm bei g) und laufen auf dessen rechter Fläche aufwärts, bedecken dabei mindestens deren vordere drei Viertheile und enden theils am oberen Rande des Septum (Taf. V. Fig. 6 dd), theils in den dort befindlichen Warzenmuskeln (e,f). - Bei diesen Umbiegungen werden somit wieder Schleifen gebildet, deren Scheitel einen linearen geometrischen Ort besitzen und deren Oeffnungen nach rechts zu liegen. Der geometrische Ort dieser Curven fällt somit mit dem hierselbst befindlichen der Fasern zweiter Art fast zusammen und der Unterschied besteht nur darin, dass letztere Curven sich nach links, erstere aber nach rechts zu öffnen.

Auch diese Fasern sind linksläufig und zeigen gleichfalls von ihrem Ueberschlagen über den Basilarrand der linken Kam- mer ab einen allmähligen Wechsel der Ebene und zugleich da- wit auch der Richtung. Sie sind die einzige als Schema der Theilung hier angeführte Faserart, allein auch anderwärts scheinen ähnliche Theilungen der Bündel vorzukommen, nur ohne die so auffallende Regelmässigkeit und ohne Beständigkeit des Ortes, wie sie den oben beschriebenen Fasern eigen sind.

(Schluss folgt.)

u. 2Ryf 1868.

%

De

MET renschisber se,

8% Hz

{ ö { "= u he F er eg ER ns ui un u Le u EEE us ren he Re - Sanatzede.

. x FE

n.

N S

Arco Anal: u. Pig, 1865.

| | | N |

ehacber sc.

Mearorers

i % RER TE ur j

« >%

a

>

F. N. Winkler: Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 273

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur.

Von

F. N. WINKLER.

(Hierzu Tafel V. und VI.)

(Schluss.)

Vierte Faserart. Diagramm Nr. 5. Die Endstücke die-

ser Fasern liegen beide ım Inneren der linken Kammer und

zwar jedes in einem Warzenmuskel.

zenmuskel liegende Endstück (a) verlässt diesen vermittelst einer Umbiegung im Verein mit den entsprechenden Fasern der zweiten Faserart,, zieht rechtsläufig alsbald in’s Sep- tum hinein (c), kommt in der hinteren Längsfurche wieder aus ihm hervor, umschlingt die linke Kammer, läuft dann bis zur vorderen Längsfurche (d), geht nun zur Innenfläche der rechten Kammer und setzt sich

Das im vorderen War-

Diagr. 5.

auf den hinteren Theil der freien rechten Septumfläche fort (e), nach oben und hinten ziehend (Taf. V. Fig. 6mm). Hier aber wenden sich die Fasern dem Rande der rechten Herzbasis

Reichert's u. du Bois-Reymond’s ‘Archiv. 1865.

18

974 F. N. Winkler:

zu, breiten sich weit in die Fläche aus und schlagen sich im ganzen Umfange der freien rechten Herzbasis, dicht unter dem dortigen Faserknorpelringe liegend, über diese hinweg (Dia- gramm 5 b), und zwar genau in derselben Weise, unter Bildung von Basalschleifen, wie es die oben beschriebenen Fasern der zweiten Art am oberen Rande der linken Kammer thaten. Zu diesem Zwecke brauchen die der Basis zunächst liegenden Fasern nur einfach auf den Rand der freien Wandung überzu- treten, während die von der Basis entfernteren vorher noch auf der Innenfläche der freien Wandung eine Strecke hinlaufen müssen, um nach oben zur rechten Basis zu gelangen. Als- dann werden die Fasern Iinksläufis, laufen in der Vorderwand beider Kammern, setzen also über die vordere Längsfurche hin- weg, nähern sich dabei der Innenfläche der linken Kammer im- mer mehr und gelangen endlich zum hinteren Warzenmuskel, in welchen sie sich einsenken. An Zahl nicht zu unter- schätzen, zeigen auch diese Fasern zugleich mit dem Wechsel der Ebene den der Richtung.

e) Fünfte Art. Ausser den bisher erwähnten Fasern, die alle wenigstens mit einer Schlinge die rechte Kammer umfas- sen, giebt es noch eine Menge gleichfalls linksläufiger Fasern, die sich in ihrem Laufe vollständig auf die linke Kammer be- schränken und, um der rechten zu entgehen, stets ihren Weg, von hinten eindringend, durch’s Septum nehmen. Ein Dia- sramm dieser Fasern ist nicht gegeben, weil ihr Lauf sonst nichts Bemerkenswerthes darbietet. Sie entspringen an dem Aortenring, ziehen nach vorne, und indem sie dann, in die Musculatur der Wandung übergehend, einen fast transversalen Zug annehmen, machen sie 2—5 Windungen um die linke Kammer und gehen schliesslich vermittelst einer Umbiegung zum grösseren Theil in den hinteren, der Rest aber in den vorderen Warzenmuskel ein.

f) Sechste Art. Schliesslich giebt es noch ganz sicher eine gewisse Zahl rechtsläufiger Fasern, obschon diese sich bisher in ihrem ganzen Verlaufe noch nicht haben bestimmen lassen. Dass es aber solche rechtsläufige Fasern wirklich giebt, beweist allein schon Taf. VI. Fig. 14, welche zeigt, wie

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 275

die Fasern dd in die Hinterseite des hinteren Warzenmuskels umbiegen. Es stammen diese Fasern von der Vorderwand der linken Kammer her, von wo sie dann durch’s Septum nach hinten gegangen waren.

II. Allgemeine Gesetze über Herzmuskelfasern und deren Verlauf.

1) Mikroskop. Verhältnisse der Herzmuskelfaser. Die Muskelfasern des Herzens (Taf. V. Fig. 7a,b, c,d) sind, so weit es unsere jetzigen Instrumente erkennen lassen, im We- sentlichen nicht sehr verschieden von anderen quergestreiften Muskelfasern ; selbst ihre Theilung (b,c) findet die entspre- chende Analogie in den Muskelfasern der Zunge, nur die Ver- bindung der einzelnen Fasern unter einander durch dünne Zwischenfädchen (a, c, d), ohne dass die Hauptfasern dadurch etwas an Volumen einbüssen, ist den Herzfasern ganz eigen- thümlich.

Das Sarkolemma, von Vielen geläugnet, glaube ich mit Be- stimmtheit einige Male gesehen zu haben; doch ist es in den allermeisten Fällen auf keine Weise nachzuweisen, so dass es schwer ist, ein bestimmtes Urtheil darüber abzugeben. Weitere bindegewebige Scheiden sind jedoch im Herzfleisch nicht zu unterscheiden; mitunter nur scheint es, als ob man noch die Primitivbündel durch Bindesubstanzscheiden zu primären Bün- deln vereinigt sähe. Hingegen kann mit Bestimmtheit behaup- tet werden, dass zu stärkeren Bündeln die Fasern nicht mehr aggregirt seien, dass also gröbere Bündel mit Scheiden, und noch viel mehr grössere Fasermassen mit fascienartigen Schei- den vollständig fehlen.

Die durch die vorhin erwähnte Theilung der Primitivbündel des Herzens entstehenden Aeste sind zusammen stets dicker als ihr Stamm, und diese Verdickung wird durch Zunahme des In- halts, nicht der Scheide bewirkt, da letztere, falls sie eben über- haupt sichtbar ist, durchaus nicht dicker als sonst erscheint.

2) Faserenden. Faserenden sind nur da vorhanden, wo

18*

276 F. N. Winkler:

eine Verbindung mit den Faserknorpelringen, sei es auf direc- tem Wege, sei es indirect durch Vermittelung der Klappen, be- werkstelligt werden soll, und es fehlt jeder Grund zu der vagen Behauptung, dass auch anderwärts Enden vorkommen mögen, da noch Niemand bisher an irgend einer anderen als den be- zeichneten Stellen Faserenden aufgefunden hat.

Ebenso beruht auch die Weber’sche Annahme von in sich zurücklaufenden Fasern, die weder dieser Forscher selbst noch sonst Jemand durch Präparation nachgewiesen hat, auf einer nicht ganz richtigen Anschauung. Allerdings hat Weber Recht, dass der Querdurchschnitt aller Herzfasern in ihrem weiteren Verlaufe eine grössere Fläche hat, als ein nahe an ihren Ursprüngen gemachter, indessen darf man hieraus noch nicht die Folgerung ziehen, dass die noch näher zu bezeich- nenden Ursprünge nicht ausreichten, um davon sämmtliche Muskelfasern der Kammern abzuleiten. Denn oben ist bereits erwähnt, dass durch Theilung der Fasern eine Vermehrung des Einzelvolums der Fasern entstehe, dass ferner die Zwischenfa- sern dasselbe in Bezug auf das Gesammtvolumen hervorbringen, dass also beide Umstände dazu beitragen, eine Verdickung der Musculatur im weiteren Verlaufe gegenüber den Partieen nahe an den Ursprüngen zu erzeugen. Bedenkt man noch dazu, wie leicht dadurch, dass die Fasern die Kammern mehrmals um- schlingen, eıne Täuschung des Augenmaasses veranlasst werden mag, so kann man nicht anders, als der Weber’schen Vermu- thung nicht beipflichten.

Die Enden der Fasern aber setzen sich an folgenden Stel- len an:

a) Die äusseren Enden, die in der Beschreibung auch oft Ursprünge genannt werden, befinden sich, mit Ausnahme der Fasern, die beide Endstücke in den Warzenmuskeln haben, durchweg am äusseren Umfange der in den vier Ostien liegenden Faserknorpelringe. Ganz besonders durch Zahl und Verschiedenheit der Fasern ausgezeichnet ist das Septum, namentlich sein dem Bereich des Aortenringes angehöriger Theil.

b) Die inneren Enden gehen zum grössten Theil in die War-

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. Zr

zenmuskeln; eine sehr geringe Zahl aber läuft auch an den Innenflächen entlang aufwärts direct zu den inneren Rändern der Faserknorpelringe.

Fasern, deren äussere Enden an einem gleichen Orte ih- ren Ursprung nehmen, haben auch einen gleichen oder analo- gen Verlauf, wobei es als unwesentlich erscheint, ob ihre inne- ren Enden in einen Warzenmuskel eingehen , oder ihn meiden und an der Innenfläche entlang zu dem inneren Rande der Fa- serknorpelringe hin laufen. Auch ist es nicht nöthig, dass gleichartige Fasern von ihrem Ursprunge ab fortdauernd an einander gekettet sind; sie können wohl etwas aus einander strahlen, behalten aber dessenungeachtet analogen Verlauf.

In Betreff der Beziehung beider Endstücke einer und der- selben Faser können zwei Möglichkeiten auftreten: Entweder setzen sich beide Enden an einem und demselben Ringe an, oder an verschiedenen. Beide Fälle finden in der That statt, nur mit dem Unterschiede, dass der zweite Fall, nämlich dass beide Enden an verschiedenen Ringen haften, eine viel allge- meinere Geltung hat.

3) Wechsel der Ebene. Die verschiedenen Theile der Fasern liegen nicht in derselben, sondern in verschiede- nen Ebenen der Herzmusculatur; mit anderen Worten, ein Theil einer Faser liegt näher der Aussen-, ein anderer näher der Innenfläche. Dieses allgemeine Gesetz bietet mehrere Mo- difieationen dar:

a) Jede Faser kann an jeder beliebigen Stelle plötzlich umbiegen und dadurch in eine sehr entfernte Ebene, ja selbst direct von der Aussen- zur Innenfläche gelangen.

b) An den Stellen aber, wo keine plötzlichen Umbiegungen vorhanden sind, haben die Fasern, indem sie in einem leichten, weiten Bogen hinziehen, das Bestreben, ihre bis- herige Ebene zu verlassen und ganz allmählig in an- dere Ebenen vorzudringen.

c) Allmähliger Wechsel der Ebene findet also überall da statt, wo nicht gerade plötzlicher vor sich geht: letzteren aber zeigt jede Faser mindestens einmal, kann solche plötzlichen Umbiegungen in ihren verschiedenen 'Theilen

278 F. N. Winkler:

indessen auch wiederholen, und es ergiebt sich daraus leicht, wie complieirten Verhältnissen man oft begegnen kann.

d) Fasern, die nur in einer Ebene verlaufen, kommen auch nur ausnahmsweise vor (Diagramm 1°).

Es erscheint praktischer, eine Zusammenstellung der Stellen, welche durch die in ihnen gleichzeitig erfolgenden Umbiegun- gen vieler Fasern markirt werden, erst nach Besprechung des Vortex zu geben, da auch letzterer auf dem Gesetz der plötzli- chen Umbiegung beruht.

4) Wechsel der Richtung. Der Wechsel der Ebene ist gewöhnlich auch mit einer Veränderung der Richtung gegen die Längsachse des Herzens verbunden. Auch hier sind meh- rere Modificationen:

a) Geht der Wechsel der Ebene plötzlich vor sich, so erfolgt auch eine eben so plötzliche Veränderung in der Richtung.

b) Tritt dagegen ein allmähliger Wechsel der Ebene ein, so nehmen die Bündel eben so allmählig eine andere Rich- tung an.

c) Auch hier schliessen sich die Fälle, wie oben, gegenseitig durchaus nicht aus.

5) Allgemeine Richtung der Faserzüge. Was die Richtung der Fasern anbelangt, so bilden sie mit der Längs- achse des Herzens alle möglichen Winkel. Den regelmässigen Wechsel der Richtung in den verschiedenen Tiefen der Wan- dung hat bereits Ludwig richtig und sehr präcise beschrieben.

Die Fasern bilden bekanntlich in ihrem Laufe sogenannte Achtertouren, oder, weil dadurch ein zu schematisches Bild ver- anlasst wird, besser zu sagen, verschieden und vielfach gewun- dene Spiralen um den Herzkegel. Diese Spiralen sind bei der grossen Mehrzahl der Fasern linksläufig, allein auch rechtsläufige sind hinreichend vertreten.

6) Verhältniss beider Kammern zu einander. Nur die linke Kammer besitzt ihr eigenthümliche Fasern, welche die rechte Kammer ganz unberücksichtigt lassen. Die die freie Wandung der letzteren constituirenden Fasern stammen entwe- der alle von der linken Kammer her, oder gehen, soweit sie im

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 279

Bereich der rechten entsprungen sind, gleichfalls auf die linke über. Mit einem Worte völlige Selbstständigkeit kann nur der linken Kammer zugeschrieben werden; die rechte erscheint vielmehr wie ein blosser Anhang der linken. Der ganze Bau scheint darauf eingerichtet zu sein, durch Zahl und Verflechtung der Fasern der linken Kammer überwiegende Kraft und Selbstständigkeit zu verleihen, so zwar, dass sie zu- gleich bestimmend auf die rechte einwirkt, und letztere in jeder Beziehung von ihr abhängig ist.

7) Vortexbildung. Die aussen sichtbaren Fasern sieht man einem, allen gemeinsamen, auf der Herzspitze belegenen Punkte zueilen, dann in ihn sich versenken und endlich in die linke Kammer eindringen: eine Configuration der Fasern, die mit vollem Recht mit einem Strudel im Wasser verglichen und danach benannt worden ist.

Gerdy, der, weil er sich am klarsten darüber auslässt, als Repräsentant vieler anderen Autoren hier angeführt wird, stellt den allgemeinen Satz auf, dass alle Fasern Schlingen bilden, deren Spitzen im Apex liegen, und scheint demnach der Mei- nung zu sein, dass alle Fasern auf dieselbe Weise und an dem- selben Orte zur Bildung des aussen sichtbaren Vortex beitra- gen. Indessen kann diese Gerdy’sche Behauptung unmöglich richtig sein, weil sonst die Herzspitze offenbar der dickste Theil des Herzens sein müsste. Das Volumen der Herzspitze weist aber nicht allein jene Ansicht völlig zurück, sondern ist sogar von der Art, dass man von vornherein eben erwartet, nicht alle Herzfasern in der Herzspitze vertreten zu sehen. Dass dies in der That nicht der Fall ist, beweist auch noch die genauere Untersuchung der Fasern. Demnächst wäre noch zu entschei- den, wie sich die übrigen am äusseren Vortex nicht theilneh- menden Fasern verhalten.

a) Aeussere Vortexbildungen. Den äusseren Vortex bilden alle Fasern der Nebenmuseulatur und von der Haupt- museulatur die dicht unter jenen liegenden und oben. als erste Art beschriebenen Fasern; von den übrigen Herzfasern gehört keine mehr hierher. Dieser äussere Vortex (Taf. V. Fig. 2. 3) ist gleichsam nur ein Sammelpunkt, in welchem jene Fasern

380 F. N. Winkler:

von allen Seiten wie Radien eines Kreises im Centrum zusam- menkommen, hier plötzlich um- und einwärts biegen, nun nach- dem sie die tieferen Fasern aus einander gedrängt haben, von Neuem wie Radien aus einander strahlend, aufwärts in das In- nere der linken Kammer laufen. Hier gehen sie theils in die Warzenmuskeln, theils an der Innenfläche lang zum. inneren Rande des entsprechenden Faserknorpelringes. Unmittelbar an der Umbiegungsstelle, also am äussersten Ende des Apex, be- rühren sich noch beide Schenkel der Schleifen (Taf. VI. Fig. 13 A, ein schematischer Durchschnitt), bald darauf aber, je wei- ter vom Apex entfernt, lagern sich allmählig immer mehr Fa- sern zwischen beide Schenkel und drängen sie mehr und mehr aus einander. Wäre es möglich, die‘ den äusseren Vortex constituirenden Fasern sowohl aussen wie auch im Inneren der linken Kammer abzulösen, so würde am Apex eine runde Oefi- nung hinterbleiben, durch die man von aussen in das Innere der linken Kammer gelangte, und deren Ränder von Fasern der Hauptmusculatur gebildet würden.

b) Innere Vortexbildungen. Die übrigen Herzfasern, die am äusseren Vortex nicht theilnahmen, die aber gleichfalls alle mit einem Ende in die linke Kammer eindringen, thun dies auf eine den obigen durchaus analoge Weise. Sie bilden hierselbst eleichfalls Schlingen, deren Scheitelpunkte aber nicht mehr in einen Punkt zusammenfallen, sondern vielmehr in einer gewissen begrenzten Fläche zerstreut liegen, die, unten am Apex mit dem äusseren Vortex beginnend, nach oben bis zu der Höhe hinaufreicht, wo die Warzenmuskeln sich von der Wandung ab- heben und frei in die linke Kammer hineinragen, und deren seitliche Grenzen mit den dem Septum zugekehrten Rändern beider Warzenmuskel zusammenfallen.

Die zum vorderen Warzenmuskel gehenden Fasern sind alle linksläufig und verhalten sich folgendermaassen (Taf. VI. Fig. See): Die allertiefsten Fasern biegen, sobald sie auf den rech- ten Rand dieses Muskels stossen, unmittelbar nach oben um und gehen in ihn ein. Von diesen Fasern biegen die vom Apex am meisten entfernten unter einem fast rechten Winkel um, je näher sie aber dem Apex liegen, einen desto stumpferen Winkel

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 281

machen sie bei ihrer Umbiegung, weil sie bereits vorher eine etwas ascendirende Richtung angenommen hatten.

Die auf diesen tiefsten lagernden Fasern müssen nun zum Zweck ihres Eingehens in den Warzenmuskel weiter nach links vorrücken, und auch bei diesen machen die dem Apex näheren Bündel einen stumpferen Winkel als die im Basilartheil befind- lichen. Auf diese Weise erreichen die Fasern mit den Schei- telpunkten ihrer Schleifen allmählig den linken Rand des vor- deren Warzenmuskels, und den übrig bleibenden Bündeln ist somit der Eingang in den vorderen Warzenmuskel verschlossen; sie müssen sich nun anschicken, in den hinteren Warzenmuskel einzudringen. Zu diesem Zwecke durchziehen sie den am lin- ken Herzrande befindlichen Zwischenraum zwischen beiden War- zenmuskeln (Taf. VI. Fig. 9ce) und führen zum Theil auch hier schon einzelne Schlingenbildungen aus; ihre eigentlichen Um- biegungen zur Endigungsstelle hin finden aber erst statt, sobald der linke Rand des hinteren Warzenmuskels erreicht ist. Hier wiederholen sich die Verhältnisse ganz wie am vorderen War- zenmuskel, nur in umgekehrter Ordnung. Kurz vor der hinte- ren Grenze dieser Fläche sieht man (Taf. VI. Fig. 10 dd) auch noch die Umbiegungsstellen der rechtsläufigen (dd) und im hin- teren Warzenmuskel endenden Fasern.

ec) Gesammtvortex. Im Allgemeinen also hat der Raum, in welchem die Schlingenbildungen überhaupt stattfinden, die Gestalt eines sphärischen Dreiecks mit nach unten zugewand- ter, als Vortex aussen sichtbarer Spitze. Eine strenge Regel- mässigkeit in Bezug auf die Art der Vertheilung der so ent- standenen Curvenscheitel in diesem Raume besteht nicht, son- dern jede Faser biegt sich im Allgemeinen dort immer um, wo sie gerade der Innenfläche der linken Kammer nahe genug ge- kommen ist; trotzdem aber ist eine Häufung solcher Scheitel- punkte an den seitlichen Grenzen dieses Raumes nicht zu ver- kennen, also eben in den Säumen, die der Breite der Warzen- muskeln entsprechen. In dem Reste dieses Raumes kommen gleichfalls noch Schleifen vor, nur in verhältnissmässig viel ge- ringerer Zahl, so dass man berechtigt ist, zwei mit den War- zenmuskeln durchaus pärallele, also convergirend der Spitze

282 F. N. Winkler:

Al

zulaufende Vortexachsen zu statuiren, die sich gerade an der Spitze schneiden und dort den wirklichen Vortex der Fa- sern veranlassen ; diese zwei Achsen würden dann gerade an Länge, Lage und Breite den zwei seitlichen Säumen jener oben besprochenen Vortexfläche entsprechen. Für diese Auffassung spräche noch ein anderer Umstand. Es gelingt immer mit grosser Leichtigkeit nachzuweisen, dass sich die Fasern auf ziemlich deutliche Weise so sondern, dass die eine ihrer Hälf- ten dem vorderen, die andere dem hinteren Warzenmuskel an- gehört. Die Scheidelinie dieser Hälften läuft stets längs des linken Herzrandes hin, ihr oberer Theil ist sichtbar in Taf. VI. Fig. 11, der untere in Taf. VI. Fig. 12. Dasselbe Bild ge- währt Taf. VI. Fig. 8.

Das Eigenthümliche dieser Einbiegungen besteht demnach zunächst darin, dass die betreffenden Fasern gleichzeitig mit der Schleifenbildung oder eben durch sie veranlasst, ihre Ebene sowie die Richtung in Bezug auf die Längsachse des Herzens wechseln; auch pflegen ihre bei den Umbiegungen gebildeten Winkel, wenn auch nicht gerade spitz, so doch mindestens nicht besonders weit zu sein. Allein dies sind nicht die einzigen Merkmale, denn sonst wäre man offenbar genöthigt, die Schleil fen der oberen Aeste jener sich theilenden Fasern, die oben als dritte Art beschrieben worden, während ihres Eingehens in die linke Kammer gleichfalls hierher zu rechnen; ja schliesslich wäre man sogar gezwungen, dasselbe zu thun in Bezug auf die Fasern, welche über die Basalränder beider Kammern sich von Innen nach Aussen überschlagen, also die Fasern dritter Art am oberen Rande der rechten und die vierter Art an dem der linken Kammer. Die Abhängigkeit dieser vortexartigen Umbiegungen der Fasern von ihrem Eingehen in die linke Kammer und hier be- sonders in deren zwei Warzenmuskeln ist nämlich durchaus nicht gering zu achten; sie darf nicht übersehen werden, eben weil die Fasern erst dann sich umbiegen, wenn sie der Innenfläche so nahe gekommen sind, dass sie unmittelbar nach der Umbiegung an die Innenfläche herantreten können, sei es, um an dieser fortzuziehen, sei es, um in einen Warzenmuskel einzudringen.

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseculatur. 283

Durch diesen Umstand ist also den Fasern gewissermaassen der Weg vorgezeichnet, und eben dies Moment, der Uebergang der Fasern zur Innenfläche, weil es als veranlassende Ursache der ganzen Vortexbildung anzusehen ist, darf nicht unterschätzt und noch viel weniger von den charakteristischen Merkzeichen der Vortexbildungen ausgeschlossen werden.

Der Bereich der Vortexachsen in der Dicke der Wandung selbst ist ziemlich beschränkt. Die Grenze liegt nicht weit von der Innenfläche ab, allein alle diese Fasern, die in diesen Be- reich gelangen, und es kommen schliesslich alle Herzfasern in ihn hinein müssen nothwendig ihre Umbiegungen in die- sem begrenzten Raume ausführen.

Schliesslich, um den Begriff der Vortexbildung nicht auf unnatürliche Weise zu weit auszudehnen, ist es nöthig, auf das dieser Benennung von den Alten zu Grunde gelegte Bild näher einzugehen. Es ist richtig, dass dasselbe in seiner ganzen Klarheit eben nur an dem unteren, in einen Punkt zulaufenden Ende des Vortexraumes zu beobachten ist, wo die Fasern, wie von einem Strudel ergriffen, alle nach einem Punkte hinziehen und in diesem in die Tiefe sich versenken. Allein man kann es unmöglich verkennen, dass dieselben Vorgänge auf durchaus analoge Weise in dem übrigen Theile des Vortexraumes statt haben, nur dass das Bild, je mehr man sich von dem unteren Ende entfernt, scheinbar immer undeutlicher wird, weil diese Umbiegungen nicht mehr gleichzeitig von vielen Fasern in einem allen gemeinsamen Punkt ausgeführt werden, sondern die Scheitel der durch jene Umbiegungen entstandenen Schlei- fen über eine Fläche zerstreut liegen. Somit werden die in den oberen Partieen dieses Vortexraumes befindlichen Schleifen nicht geradezu der äusseren Form nach mit dem eigentlichen Vortex verglichen, sondern nur mit Rücksicht auf den allmäh- ligen und sehr deutlichen Uebergang des letzteren zu den vom Apex weiter entfernten Bildungen, sowie auf die übrigen allen diesen Fasern gemeinsamen charakteristischen Merkmale im Verlaufe zur Innenfläche mittelst Umbiegung und Schlingenbil- dung in Beziehung gebracht.

Nimmt man aber alle diese Merkmale zusammen, so über-

954 F. N. Winkler:

zeugt man sich leicht, dass dieser ganze Vortexraum wirklich als ein zusammengehöriges Ganzes aufzufassen ist, dass allen den über ihn hin zerstreuten Schleifen der Fasern ein gemein- sames Streben, ein gemeinsames Gesetz zu Grunde liegt, des- sen Eigenthümlichkeit darin besteht, dass alle Fasern unter FBinfluss der Warzenmuskeln an dieser Stelle behufs Ueber- tritt zur Innenfläche Umbiegungen ausführen. Durch diese Ge- meinsamkeit ihres eigenthümlichen Gesetzes unterscheiden sich diese Vortexschleifen wesentlich von anderen anderwärts vor- kommenden Schleifenbildungen und sind darum von letzteren streng aus einander zu halten.

8) Schleifenbildungen. Bildung von Schleifen mit plötzlicher Umbiegung der Fasern ist in der Musculatur des Herzens so verbreitet, dass sie unbedingt als ein allgemein gül- tiges Gesetz anzusprechen ist. Indessen kommen solche Schlei- fen unter sehr verschiedenen Umständen vor, so dass es nicht ohne Interesse ist, eine Uebersicht dieser schon oben mehrfach erwähnten Schlingen zusammen zu stellen und zwar erst jetzt, nachdem ihr Typus, nämlich die Vortexschleifen eingehend be- schrieben sind.

Unterschiede werden dadurch bedingt, ob Schlingen in der Nähe der papillaren (also inneren) Enden, oder ob sie im Be- reiche der ostialen (also äusseren) Enden der Fasern statt ha- ben. Während nämlich im Bereiche des papillaren Endes alle Fasern ohne Ausnahme Schlingen bilden, können solche auch am ostialen sich finden, indessen kommen sie nur an einer be- schränkten Zahl von Fasern vor, und dann nur zum Zwecke des Uebergangs aus dem Septum in die freie Wandung oder umgekehrt. Somit besitzen letztere Fasern, da sie in ihrem papillaren Ende gleichfalls die allen F asern zukommende Schlin- senbildung zeigen, in ihrem Verlaufe zweierlei Schleifen.

A) Schleifen an papillaren Enden. Hierher gehören zunächst:

a) die den Gesammtvortex darstellenden und durch alle Fasern gebildeten Schleifen. Von diesen sind wieder zu unterscheiden :

«) Solche Schleifen, deren Scheitelpunkte alle in einem

b)

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 285

Punkte zusammenfallen, wie an dem schon den Alten bekannten Vortex.

ß) Solche, deren Scheitelpunkte über eine begrenzte Fläche hin, aber ohne besonders auffällige Regelmäs- sigkeit zerstreut sind. Hierher gehört der übrige Theil des Gesammtvortex.

Ausserdem giebt es noch Fasern, deren innere Enden

nicht in die linke Kammer, sondern in die rechte einge-

hen, hier aber eben solche Schleifen bilden. Es sind dies die oberen Aeste der sich theilenden Fasern dritter Art

(Diagramm 4a). Dieselben wenden sich, die Museulatur

der freien Wandung verlassend, längs des ganzen Verlau-

fes der vorderen Längsfurche nach Innen (g), um auf die der rechten Kammer zugewendete Septumfläche zu gelan- gen (S. 270). Die auf diese Weise gebildeten Schleifen sind regelmässig neben einander gelagert, so dass ihre

Scheitelpunkte zu einer geraden, der vorderen Längsfurche

parallelen Linie geordnet sind.

B) Schleifen an ostialen Enden bilden nur gewisse Fasern und zwar nur die Minderzahl. Hierher gehören:

a)

Jene schon mehrfach erwähnten Fasern, die über den freien Rand der Basis beider Kammern sich hinüber schla- gen und hier die Basalschleifen bilden, also die Fasern dritter Art am Basilarrand der linken (Diagramm 4k), und die der vierten Art (Diagramm 5b) an dem der rech- ten Kammer. Die Scheitelpunkte dieser Schleifen bilden eine ungefähr circuläre Linie.

Zweitens finden sich solche Schleifen bei den Fasern zweiter Art (Diagramm 5a), ebenfalls nicht weit von ih- ren Ursprüngen entfernt und mit linearem geometrischem Ort für ihre Scheitel (S. 269). Dem Ort nach fallen also letztere Scheitel in der vorderen Längsfurche mit den ebendaselbst befindlichen Scheiteln der Fasern zweiter Art zusammen, nur dass letztere sich nach rechts, erstere nach links öffnen.

9) Lagerung der Fasern. Die Vorstellung von einer Schichtung der Kammermusculatur ist der Analogie , welche

256 F. N. Winkler:

man zwischen Herz und anderen musculösen Hohlorganen zie- hen zu können glaubte, entnommen worden, ohne dass man be- dachte, wie unmöglich es sei, die Anordnung der Museulatur im Herzen mit beispielsweise derjenigen in Harnblase oder Darm- kanal zu vergleichen. Diese in ihrem Entstehen bereits krank- hafte Idee fand in der Folgezeit mancherlei scheinbare Stützen in vielen oberflächlichen Untersuchungen.

Allgemein wurden 3 Schichten angenommen, bis Palicki 1539') überhaupt jegliche Schichten läugnete und Pettigrew 1560?) deren sogar 9 statuirte.

Den Begriff einer Schicht fassen die verschiedenen Autoren sehr verschieden auf und gebrauchen ihn oft so, dass man sich darunter überhaupt nichts Concretes vorstellen kann. Offenbar kann im Herzen da nicht von Schichten die Rede sein, wo Fa- sern, verschiedenen Kategorieen angehörend, zufällig an einer beliebigen Stelle zusammenkommen und, parallel an einander gelagert, eine gewisse mehr oder minder grosse Strecke hinzie- hen, um endlich doch wieder aus einander zu gehen. Einer solchen leichten Auffassung des Begriffes der Schicht dürfte wohl bei wissenschaftlicher Betrachtung nicht Raum zu geben sein. Fasern, die eine Schicht bilden, müssen auch wirklich zusammen gehören, namentlich müssen es Fasern einer und derselben Kategorie sein, mit gleichem Ursprung, Lauf und An- satz. Weiter muss eine Schicht nicht Theile eines Kegelman- tels, sondern vielmehr einen ganzen der vielen Kegelmäntel des Herzens darstellen. Endlich pflegt im Organismus überall da, wo eine wirkliche Schichtung besteht, dieselbe deutlich genug markirt zu sein. In der That ist im Herzen die Grenze zwi- schen Schichten, soweit diese eben bestehen, durch stärkere Anhäufung von oft noch mit ‚Fett durchsetztem Bindegewebe ausgezeichnet. Desgleichen findet sich nur geringe (vielleicht gar keine) Verbindung solcher einzelnen Schichten weder durch gabelförmige Theilung der einzelnen Fasern noch durch Re- mak’sche Zwischenfasern vor.

1) Dissert. de museul. cordis structura. Vratısl. 1839. 2) Proceedings of the royal society in Edinb. medie. Journ. 1860. December.

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 287

Prüft man nun in Bezug auf die eben gegebenen Merkmale die von Alters her angenommenen 3 Schichten, so ergiebt sich, dass letztere die Probe nicht bestehen.

Die äussere Schicht der Alten bestand aus den an der Aussenfläche sichtbaren , oben S. 264 beschriebenen Fasern, die nach ihrem durch die Vortexbildung bewerkstelligten Ein- gang in die linke Kammer hierselbst die innere Schicht bil- den sollten. Oben aber ist bereits erörtert, dass diese Fasern nach der Vortexbildung, wie schon äusserlich durch die Digi- tationen angedeutet ist, sich in die zwei Warzenmuskeln ver- theilen und dass nur sehr wenige Fasern einfach von der In- nenfläche der Wandung zum Insertionsringe hinziehen. Somit bilden die Fasern dieser Kategorie ganz gewiss keine innere Schicht. Die Möglichkeit aber, dass die Alten eine wirklich etwa bestehende innere Schicht nur ihren Bestandtheilen nach falsch gedeutet hätten, ist gleichfalls unzulässig; denn trotz der durch das Bestreben der Fasern, den Faserknorpelring zu er- reichen, bedingten Aehnlichkeit in der Richtung, haben die an der Innenfläche sichtbaren Fasern durchaus nichts Gemeinsames. Es sind dies eben nur die Endstücke von vielerlei den verschie- densten Kategorieen angehörenden Fasern, eine eigenthümliche Beziehung zu den Innenflächen fehlt ihnen ganz; auch unter einander besitzen sie nicht die geringste Analogie. Je nach der Stelle, an welcher sie aus der Musculatur heraus- und an die Innenfläche getreten waren, haben sie eine verschiedene Länge; ausserdem sind diese Endstücke mit den ihnen nächst- anliegenden Fasern der Musculatur wie gewöhnlich stark ver- filzt. Hiernach ist die Annahme einer „inneren Schicht“ durch- aus nicht zu rechtfertigen und ınan muss von diesem irrthüm- lichen Bilde vollständig abstrahiren.

Die „äussere Schicht“ der Alten ist aber in der That eine Schicht, die den äussersten Kegelmantel des Herzens bildet, deren Fasern alle ganz analogen Ursprung sowie bis zum Apex gleichen Lauf haben und zwar untereinander verfilzt, mit den unter ihnen liegenden Fasern aber, namentlich in der Basilar- hälfte fast gar nicht verbunden, sondern vielmehr von ihnen durch eine im Verhältniss zu dem sonst in der Herzmusculatur

288 F. N. Winkler:

so sparsam vertheilten Bindegewebe ziemlich starken Lage des- selben getrennt sind. Ja, bei stark mit Fett durchwachsenen Herzen findet sich öfters in dieser Bindegewebslage auch noch solches abgelagert, so dass hierdurch die natürliche Trennung noch viel deutlicher hervortritt und mit Leichtigkeit constatirt werden kann. Es ist also den älteren Autoren nur beizupflich- ten, wenn sie die an der Aussenfläche belegenen Fasern in ih- rer Ausdehnung bis zum Apex als eine wirkliche Schicht an- sahen.

Schliesslich wäre nur noch der von den Alten als „mittlere Schicht“ zusammengefasste Rest der Musculatur zu betrachten. Es bedarf eigentlich blosser Andeutungen, um diese Auffassung als unhaltbar darzuthun ; denn in dieser „mittleren Schicht“ sind mit alleiniger Ausnahme der äussersten Fasern alle übri- sen Herzfasern enthalten, die, wie aus der oben gegebenen Be- schreibung der einzelnen Bündel erhellt, aus den heterogensten Faserarten bestehen. Wie wenig dieser Theil der Musculatur ein wirklich zusammengehöriges Ganze bildet, beweist auch schon der Umstand, dass Pettigrew in dieser „mittleren Schicht“ noch 7 besondere Schichten abgetrennt hat. Uebri- gens lässt sich aus den Schriften der Alten entnehmen, dass sie eigentlich mit dieser Benennung nichts weiter sagen woll- ten, als dass dieser Theil der Musculatur von der „äusseren Schicht“ gesondert und als Ganzes zu behandeln sei, wogegen sich im Wesentlichen auch kein Einwand erheben lässt.

Fasst man nun Alles zusammen, so ergiebt sich, dass nur die ganz’aussen liegenden Fasern eine Schicht bilden, dass also Schichtbildung durchaus nicht als ein den Herzfasern gemein- sames Merkmal zukommt und demnach die Kammermusculatur nicht nach Schichten abgetheilt werden kann. Zugleich war oben erörtert worden, dass die an der Innenfläche sichtbaren Fasern nicht allein keine Schicht bilden, sondern nicht einmal wirklich als etwas Besonderes zusammengehören, da sie eben blosse Endstücke überhaupt aller Herzfasern darstellen und dar- um mit dem Rest der Musculatur, namentlich mit der soge- nannten mittleren Schicht als ein untrennbares Ganze aufzufas- sen sind. Andererseits aber sind von der so vereinigten mitt-

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 289

leren und inneren Schicht, die Fasern der äusseren Schicht streng zu sondern. Demgemäss ist auch die Kammermuscula- tur in folgende zwei Theile abzutheilen:

l) Nebenmusculatur des Herzens, welche die äus- serste Schicht der älteren Anatomen nebst der im Inne- ren der linken Kammer belegenen terminalen Ausbrei- tung begreift, und

2) Hauptmusculatur des Herzens, alle übrigen Herz- fasern umfassend.

Die Hauptmusculatur macht anatomisch die Hanptmasse der Kammermuseculatur aus; ihre Fasern sind durchaus gleich- mässig auf alle nur denkbaren Richtungen in Bezug auf die Längsachse des Herzens vertheilt, so dass bei Zusammenziehung der Fasern in der That auch die Hohlräume in allen ihren Di- mensionen gleichmässig verkleinert werden; ja es scheinen so- gar die mit ihren Scheiteln im ganzen Umfange der Atrioven- trieularöffnungen gelegenen starken Faserbündel dafür zu spre- chen, dass diese Hauptmusculatur verhältnissmässig am stärk- sten in der Richtung der Längsachse des Herzens wirke. Die Fasern dieser Hauptmuseulatur unterliegen alle den oben an- geführten Gesetzen; jede einzelne Faser befolgt dieselben, aber gegen einander verhalten sie sich ziemlich indifferent, kreuzen sich fortwährend, schlingen sich zwischen den anderen hindurch und bilden einen verworrenen Knäuel; dazu kommt noch, dass sie, gegenseitig durch Remak’sche Zwischenfasern verbunden, einem fast unentwirrbaren, wie verfilzten Gewebe gleichen. Stellenweise aber und wie nur zufällig lagern sich Fasern etwas regelmässiger und ordnen sich alsdann wie in begrenzten La- gern in einer Ebene neben einander; auf diese Weise ziehen sie mehr oder minder grosse Strecken parallel neben einander fort, bis sie wieder aus einander gehen und jede Faser nun- mehr ihren eigenen Weg verfolgt. Diese begrenzten Partieen, die sich einer grösseren Regelmässigkeit in Anordnung der zu- fällig diese Stelle passirenden Fasern erfreuen, gleichen einer Lichtung in dem Dickicht des Ganzen.

Solche regelmässigere Partien haben aber nicht alle gleiche

Bedeutung ; man muss zweierlei Arten unterscheiden. Die eine Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1365. 19

390 F. N. Winkler:

besteht aus Fasern, die hauptsächlich im Septum vom Aorten- ring als dieke Stränge entspringen, alsbald in die Musculatur der freien Wandung übergehen, sich hier natürlich mehr in die Fläche ausbreiten und noch eine gewisse Strecke neben und mit einander hinziehen. Während diese Stellen von Fasern einerlei Art gebildet werden, geschieht es an anderen Orten, dass verschiedenen Kategorieen angehörende Fasern an bestimm- ten Stellen in der Musculatur zusammen kommen, um in Ge- meinschaft eine bestimmte Strecke hinzuziehen. Niemals aber kommt es vor, dass ein solches Lager, gleichviel auf welche Weise es entstanden, auf der Wandung eine grössere Ausbrei- tung gewinnt, nie reicht es von der Basis bis zur Spitze, nie dehnt es sich um den ganzen Umfang einer Kammer aus.

Diese Hauptmusculatur bildet eine für die anatomische Un- tersuchung in ihre einzelnen Bestandtheile wohl aufzulösende Masse, in physiologischer Hinsicht aber erscheint sie ganz com- pact und unzugänglich für die Analyse der einzelnen Druck- kräfte ; als untrennbares Ganzes gleicht sie aber am Anfange der Systole einer aufgeblähten Gummiblase, die bei ermöglich- ter Entweichung ihres Inhaltes durch ihr in allen Richtungen gleichmässiges Zusammenziehen die Systole dieser Hauptmus- culatur versinnlicht. Ihrer Gestalt nach ist die Musculatur einer kurzhalsigen Flasche mit nach unten gerichteter, nicht verschlossener Oefinung zu vergleichen ; der Verschluss, also gleichsam der Pfropf, wird erst durch die .hierselbst gelegenen Schleifen der Nebenmusculatur gebildet.

Die Nebenmusculatur steht an Masse und physiologi- scher Dignität der vorigen bedeutend nach. Ihre Wirkung geht hauptsächlich nur in der einen Richtung von der Spitze nach der Basis zu vor sich, und sie dient somit nur zur Verstärkung der Wirkung, welche überhaupt den Inhalt der Hohlräume in die von ihm weiter zu verfolgende Richtung, nämlich in die arteriellen Gefässe gelangen lässt, also nur zur Verstärkung und Ergänzung der Hauptmuseulatur, so dass die Verkleinerung des Längendurchmessers des Herzens relativ stets bedeutender sein muss, als die aller anderen Durchmesser.

Diese Eintheilung in Haupt- und Nebenmusculatur lässt sich

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 29]

aus dem Verlaufe der Fasern vollkommen rechtfertigen. Dass der äussere Theil der Nebenmusculatur von den unter ihr lie- genden Fasern sich deutlich genug und natürlich abgrenzt, ist längst bekannt und auch oben ausführlich erörtert. Der eine- Einwurf kann allerdings gemacht werden, dass ihr innerer Theil sich viel weniger abgrenzen lasse. Indessen ist dieses nur dann der Fall, wenn man das Secirmesser allein im Auge hat, denn für die physiologische Vorstellung bleibt dennoch jene Sonde- rung der Fasern bestehen.

Uebrigens ist die in Obigem vorgeschlagene Eintheilung der Herzmusculatur nicht so ganz neu; sie hat, wenn auch nicht ganz klar, schon manchen Autoren vorgeschwebt. So finden sich bei Winslow Stellen, die auf ein ähnliches Bild hinwei- sen. Am deutlichsten spricht sich aber H. Scarle gelegentlich darüber aus, indem er sagt: „Das Herz steckt in der äusser- sten Schicht, welche mit den übrigen Fasern einen Winkel von fast 90° bildet.“

Früher hat man oft auch die Schichtenbildung aus Längs- durchschnitten der freien Wandung beweisen wollen. Ein au beliebiger Stelle geführter Durchschnitt ist Taf. VI. Fig. 13, A und B, wieder gegeben. An den Ring a legen sich die Fa- sern der Nebenmusculatur b und die überhaupt an der Innen- fläche befindlichen Endstücke (ce) dieser und auch anderer Fa- sern an. Von den übrigen Fasern (d) lässt sich der Ring ohne grosse Schwierigkeit abheben (B); er bildet nebst den sich an ihn ansetzenden Fasern gleichsam eine Kappe auf der übrigen Museulatur. Diese letztere aber lässt auf dem Durchschnitt nur zweierlei Unterschiede bemerken; zunächst der Mitte der Wandung befinden sich lauter ganz quer durchschnittene Fa- sern (ee), während näher der Basis noch schief durchschnittene Bündel (dd) liegen. Die auf dem Durchschnitt sich ergeben- den Unterschiede des Bildes sind demnach nur dadurch bedingt, dass die Fasern bei dem Schnitt nicht alle unter gleichen Win- keln getroffen wurden, dass also die Fasern d eine von der den Fasern e eigenen abweichende Richtung besitzen. Die Fa- sern d sind oben schon mehrfach erwähnt, gehören an der lin- ken Kammer der dritten -Faserart (Diagramm 4k) und an der

137

292 F. N. Winkler:

rechten der vierten an (Diagr. 5b). Sie reiten gleichsam mit ihren Schlingen in schiefer Stellung auf den queren Fasern e, und von ihren zwei Schenkeln nähert sich der eine der Me- dianlinie des Herzens, während der andere sich von ihr ent- fernt. Allein die Fasern d haben nur im Basilartheil des Her- zens eine gegen die Längsachse so steile Richtung, allmählig aber werden sie immer transverseller und im Apicaltheil schon so vollständig transversal, dass sie mit den Fasern e eins wer- den und sich von ihnen nicht mehr auf dem Durchschnitt un- terscheiden lassen. Im Apicaltheil sieht man demnach nur dreierlei Fasern: äussere Längsfasern von der Nebenmusculatur, quere von der Hauptmusculatur und die Endstücke der letzte- ren, an der Innenfläche wiederum eine Längsrichtung annehmend.

Es scheint somit keiner näheren Auseinandersetzung zu be- dürfen, dass nur eine oberflächliche und flüchtige Beobachtung, weil sie eben andere Umstände ganz ausser Acht lässt, aus sol- chen Durchschnitten auf wirkliche Schichtbildung zu schliessen vermag.

Schliesslich wäre noch die Arbeit von J. Pettigrew zu er- wähnen. P. statuirt 9 Schichten, von denen die äusserste (1) und die innerste (9) mit den entsprechenden Schichten der A- ten zusammenfallen. Die übrigen 7 hat P. in der „mittleren Schicht der früheren Autoren unterschieden. In Betreff dieser letzteren 7 Schichten ıst klar, dass sich P. durch die oben er- wähnten und in der Hauptmusculatur befindlichen regelmässi- geren Lager zu seiner irrthümlichen Ansicht hat verleiten las- sen. Andererseits liess er sich wieder dadurch irre führen, dass er in der ganzen Höhe der Wandung parallel neben ein- ander liegende Fasern bloslegte und diese, ohne sonstige Kri- terien anzulegen, als Schichten bezeichnete. Man weiss, dass die Fasern während ihres Verlaufes von Aussen nach Innen durch die Dicke der Wandung ihre Richtung gegen die Längs- achse verändern; es kann also durchaus nicht schwer fallen, im Bereiche der ganzen Wandung einer Kammer und in ihrer gan- zen Höhe von der Basis bis zum Apex durchaus parallel ne- ben einander hinziehende Fasern herauszupräpariren. Allein die so blosgelegten Fasern liegen nie der Oberfläche eines ein-

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 293

zigen Kegelmantels auf, nie sind es gleichartige Fasern, nie kann man sie ohne Anwendung grosser Kunst bloslegen, da sie immer mit über oder unter ihnen liegenden Fasern stark ver- filzt sind.

Hauptsächlich aber scheint P. jene vorhin erwähnten Lager als besondere Schichten angesehen zu haben, da er ausdrück- lich hervorhebt, dass die Meisten nicht der ganzen Höhe einer Wandung entsprechen, sondern wie dieser letzteren aufgesetzte Bänder erscheinen. Von Schichten kann demnach hier über- haupt nicht die Rede sein, ja nicht einmal blosse Lager las- sen sich unterscheiden.

Seine ö. Schicht ist die mittelste und geht horizontal, be- steht aber aus Fasern, über die nirgends bei ihm Aufklärung zu erlangen ist, weil sie nirgends ihrem Ursprunge, Verlaufe, Zahl der Windungen und Ende nach genauer beschrieben sind.

An der Basis sollen die 2. in die 8., die 3. in die 7., die 4. in die 6. Schicht übergehen. Freilich sind solche Schleifen an der Basis vorhanden, aber gebildet von Fasern, die bei jeder Kammer durchaus einer und derselben Kategorie angehören, ohne auch nur den geringsten Unterschied unter einander. Hätte nur P. eine einzige dieser Fasern genauer verfolgt, nim- mer hätte er da Unterschiede angenommen, wo keine bestehen, freilich hätte er aber auch von einer so imponirenden Zahl von 9 Schichten abstehen müssen.

Endlich sollen durch In- und Evolution die anfangs äusser- lichen Fasern am Apex zu inneren werden und dann an der Basis wieder zu äusseren. Für diesen Zweck müssten die Fa- sern aber eine Länge und einen Verlauf haben, wie sie dem Verfasser vorliegender Arbeit unter keinen Umständen zu Ge- sicht gekommen sind.

Im Ganzen aber scheint es, dass P. viel zu wenig Werth der Analyse der einzelnen Fasern beimisst, und, mehr von aprioristischen Anschauungen ausgehend, sich der Wirklichkeit oft fast diametral widersprechende Bilder construirt. Eben darum fällt es schwer, auf P.’s Vorstellungen näher einzugehen, da sie mit den am Eingang vorliegender Arbeit gegebenen streng anatomischen Daten auf keine Weise in Einklang zu

294 F. N, Winkler:

bringen sind und überhaupt, namentlich was P.’s Schlussfolge- rungen anbelangt, auf viel zu wenig positive Beobachtungen begründet erscheinen.

10) Linke Kammer als Typus. Schon unter 6 ist der rechten Kammer jede Selbstständigkeit abgesprochen worden, sie ist immer nur das Anhängsel der linken, nach der sie in ihren Bewegungen und in der Configuration ihrer Fasern sich richtet. Der wichtigste Theil ist und bleibt die linke Kammer, an die sich alle übrigen Theile nur anlehnen. Sie ist als Typus den obigen Betrachtungen zu Grunde gelegt, und mit Recht wird sie auch von Pettigrew als typical ventricle bezeichnet. Die oben angeführten allgemeinen Gesetze finden demnach ihre volle Anwendung auf diese linke Kammer, da sie eben von ihr hauptsächlich abgeleitet sind. Die Lagerung der Fasern im rechten Ventrikel ist der im linken durchaus analog, aber es ist unstatthaft, beide Kammern gleich zu setzen, wie es Pet- tigrew thut, indem er sich den Hohlraum des ganzen Herzens erst durch Hineinwachsen des Septums in die rechte und Iinke Kammer getheilt denkt; in diesem Falle dürfte eben kein Un- terschied zwischen der rechten und linken Kammer bestehen. Vielmehr muss man in der Vorstellung die linke Kammer nebst Septum gleichsam als das Primäre auffassen und erst allmählig die rechte entstehen lassen dadurch, dass sich mehr und mehr Schlingen, welche sich schliesslich unter einander vereinigen, von der linken Kammer abheben und auf diese Weise die rechte bilden, die unter allen Umständen als secundäre von der linken Kammer ausgehende Bildung anzusehen ist.

11) Unregelmässig laufende Fasern. Von den im Obigen aufgestellten Gesetzen giebt es gewisse Ausnahmen. Es giebt Fasern, die sich entweder nur gleichzeitig mehreren oder auch keinem dieser Gesetze unterordnen, im Allgemeinen aber von keinem wesentlichen Belang zu sein scheinen, da sie nicht einmal constant vorkommen. Hierher gehören demnach:

a) Fasern, die der Nebenmusculatur angehören und ganz äusserlich bleiben (Diagramm 1°). ; b) Gewisse Fasern, die dem Bereich der halbmondförmigen

Klappen angehören mögen und im Ganzen sehr kurz sind. (Taf. V. Fig. 62.)

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 295

c) Endlich kurze Fasern, die zwischen den Faserknorpelrin- gen ganz auf der Basis ausgespannt sind; sie sind gering an Zahl und scheinen keine besondere Bedeutung zu ha- ben (Taf. VI. Fig. 14a,b, c.).

12) Construction der physiologischen Wirkung. Zum Schlusse dürfte es nicht ohne Interesse sein, aus den er- haltenen anatomischen Daten, soweit eben diese ausreichen, den Mechanismus der Herzbewegung zu construiren.

a) Die Verhältnisse beider Kammern gegen einander erhei- schen es unter allen Umständen, dass sich beide Kammern gleichzeitig in dem nämlichen Zustande befinden müssen.

b) Wird die Kammerbasis als sehr wenig beweglich, und an ihr der Basilartheil des Septums als ganz sicher fixirt ange- nommen, so ist klar, dass bei der überwiegenden Mehrzahl der linksläufigen Fasern in der Systole eine Drehung des Herzens um seine Längsachse stattfinden müsse, so dass also der linke Herzrand ein "Wenig nach rechts hinübergeht. Es wird also in jeder Systole eine kleine bohrende Bewegung der Herzspitze ausgeführt, die in der Diastole-natürlich in umgekehrter Rich- tung erfolgt, da das Organ, seiner Eigenschwere alsdann nach- gebend, in die Ruhelage zurückzukehren bestrebt ist.

- ec) Die Kammern müssen sich in der Systole relativ am be- deutendsten im Längsdurchmesser verkleinern ; geringer, aber unter einander durchaus gleichmässig, die übrigen Durchmesser.

d) Als Theil des Organismus hängt das Herz nicht im Herz- beutel, sondern es liegt dem Zwerchfell vollständig auf. In dieser Stellung folgen natürlich alle Theile der Schwere und die Kammerbasis plattet sich von der convexen Herzfläche her etwas ab, während sie in der Systole ihre Rundung wiederer- hält, da die entsprechenden Theile fester werden und der Schwere Widerstand leisten. Ebenso folgt auch die Herz- spitze ihrer natürlichen Schwere, sie senkt sich in der Diastole und liegt mit der planen Herzfläche mehr oder minder in einer Flucht. In der Systole wird die Spitze aber auf jeden Fall gehoben, da die Fasern von ihren fixen und an der Basis be- legenen Punkten aus einen von allen Seiten gleichmässigen Zug auf ihren Angriffspunkt,-eben diesen Apex ausüben, und diesen

296 F. N. Winkler:

demnach nothwendigerweise in die Richtung der sich aus der Summe dieser einzelnen Kräfte ergebenden Resultirenden hin- einziehen. Letztere aber nähert sich immer mehr oder minder der durch die Mitte des Herzkörpers gehenden Längsachse des Herzens. In wie weit jedoch diese Bewegung der Herzspitze durch andere Momente verdeckt oder modificirt werde, diese

Frage zu behandeln, liegt ausserhalb des Planes vorliegender Arbeit.

Uebersicht der Ergebnisse der Arbeit.

a) Muskelfaserenden befinden sich an den Faserknor- pelringen, sowie in den Warzenmuskeln.

b) Gleichartige Muskelfaserenden bedingen analogen Verlauf der entsprechenden Muskelzüge.

c) Die Fasern wechseln ihre Ebene in der Musculatur, indem sie durch die Dicke der Wandung von der Innen- zur Aussenfläche oder umgekehrt vordringen. Letzteres geschieht entweder allmählig oder plötzlich.

Gleichzeitig mit der Ebene wechselt die Richtung, ebenso bald plötzlich, unter Bildung von mehr oder minder spitzwinkligen Schlingen, bald allmählig, und dann mehr- fach gewundene Spiralen (sogenannte Achtertouren) dar- stellend.

d) Das gegenseitige Lagerungsverhältniss der über einander laufenden Faserbündel beschreibt Ludwig richtig und sehr präcise also: Jedes Wandstückchen zeigt eine mehr oder min- der steile Kreuzung der inneren mit den äusseren Fasern; zwi- schen beiden bestehen die regelmässigen Uebergänge aus einer Richtung in die andere; mitunter aber können auch einzelne Uebergangsstufen ausfallen.

e) Die allermeisten Fasern sind in dem oben festgestellten Sinne linksläufig (d. h. laufen auf der Vorderwand von_ der rechten zur linken Kammer), und verhältnissmässig nur we- nige rechtsläufig.

f) Nur die linke Kammer ist selbstständig, die rechte ist in jeder Beziehung nur ein untergeordneter Theil der linken.

Beiträge zur Kenntniss der Herzmusculatur. 297

2

5) Der an der Spitze sichtbare Vortex ist nur ein Ausdruck eines fast allen Muskelfasern zu Grunde liegenden Gesetzes, dessen Geltung auch im Inneren der Wandung der linken Kammer nachgewiesen werden kann. Indem alle Fasern mit ihrem der linken Kammer angehörigen Papillarende ihre bishe- rige mehr oder minder quere Richtung in der Wandung ver- lassen, um vermittelst einer mehr oder minder plötzlichen Um- biegung in einen der zwei Papillarmuskeln der linken Kammer einzugehen, entstehen zwei Vortexachsen, deren Lage, Ver- lauf und Ausbreitung genau den der Wandung der linken Kam- mer adhaerenten Theilen der zwei Warzenmuskeln entsprechen. Demnach convergiren diese zwei Vortexachsen nach unten und bilden, indem sie an der Herzspitze zusammenstossen, den hier bekannten äusseren Vortex.

h) Eine Eintheilung der Kammermusculatur nach Schichten ist, da solche nicht vorhanden, zu verwerfen. Dafür empfiehlt sich die Eintheilung in eine Haupt- und Nebenmuscula- tur, deren letztere alle Fasern der früheren äusseren Schicht, erstere aber den ganzen Rest der Kammermuseulatur angreift.

i) Fasern, die den allgemeinen Gesetzen nicht folgen, sind sehr gering an Zahl und theils nicht constant, theils sehr kurz und ohne besondere Bedeutung. Es sind dies:

«) Oberflächlich bleibende Fasern der Nebenmusculatur (Dia- gramm 1’).

#) Auf der Basis befindliche und zwischen den Oeffnungen ausgespannte Fasern (Taf. VI. Fig. 14).

’) Kurze Fasern, die mit den Semilunarklappen in Verbin- dung stehen.

k) Faserarten.

1) Nebenmusculatur. Ihre Fasern gehen von den Faser- knorpelringen der Vorhoföffnung abwärts zum Apex und dann durch den Vortex zu den Warzenmuskeln der lin- ken Kammer. Sie machen etwas über eine ganze Win- dung (Diagramm 1).

2) Hauptmusculatur.

«e) Erste Art. Haben denselben Lauf wie die Fasern der Nebenmuseulatur, nur mehr quer, und machen eirca 2 Windungen (Diagramm 2).

298 1)

%)

:)

F. N. Winkler:

Zweite Art. Entspringen am rechten Theil des Aor- tenringes, laufen von da im Septum nach vorn, gehen alsdann in der vorderen Längsfurche auf die linke Kam- mer und später nach einigen Windungen um beide Kam- mern in den Vortex (Diagramm 5).

Dritte Art. Entspringen am linken Theil des dem Septum anliegenden Aortenringes, breiten sich am Rande des linken Ost. atrioventrieulare aus, gehen unter Schlin- genbildung über ihn hinüber, so dass sie auf ihm reiten, winden sich um die linke Kammer und theilen sich im Verlauf derhinteren Längsfurche in zwei Aeste, deren obere nach der Basis zu gelegenen in die rechte Kammer eingehen, um hier die Warzenmuskel zu bilden, die unteren, dem Apex zugekehrten aber in die Vortex- achsen eingehen (Diagramm 4).

Vierte Art. Beide Enden dieser Fasern befinden sich in den Warzenmuskeln der linken Kammer. Jedes Ende umschlingt zunächst die linke Kammer, und läuft dann zur rechten, um dort nach der Vereinigung beider eine Schlinge zu bilden, deren Scheitel neben einander auf dem Rande des rechten Ostium atrioventriculare lie- gen (Diagramm 5).

Die zwei Arten y und d haben trotz ihrer sonstigen grossen Unterschiede die gemeinsame und von anderen Fasern wieder abweichende Eigenschaft, dass sie die auf den Rändern beider Atrioventricularöffnungen reitenden, sogenannten Basalschlingen darstellen.

Fünfte Art. Ihre Fasern entspringen an dem Aorten- ring, gehen in mehreren spiralen Windungen um die linke Kammer, indem sie das Septum zum Durchgang benutzen, und dringen endlich in die Vortexachsen ein. Sechste Art. Ausser den bisher erwähnten linksläufi- gen hat auch das Vorhandensein rechtsläufiger Fasern constatirt, doch über ihren Verlauf nichts Näheres ermit- telt werden können.

Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur. 299

Erklärung der Abbildungen.!)

Taf.V. Fig. 1. Faserzug der Nebenmuseulatur (äussere Schicht) an der Vorderwand des Herzens.

Fig. 2 und 3. Der von der Nebenmusculatur am Apex gebildete äussere Vortex mit seinen zwei Digitationen.

Fig. 4. Der äussere Vortex ist in seinem Centrum durch die un- regelmässig verlaufenden Fasern a,a, welche ganz oberflächlich blei- ben, verdeckt, dafür scharfes Hervortreten der Digitationen (b,b).

Fig. 5. a Sehr regelmässig am rechten Herzrande neben einander geordnete Theilungsstellen der dritten Faserart.

Fig 6. Die an der Innenfläche der rechten Kammer sichtbaren Faserzüge. a,b,c Schnittflächen, letztere durch die musculäre inter- ostiale Brücke verbunden. e,f,i die 3 Warzenmuskeln, gebildet durch analoge Fasern (h), nämlich durch die bei der Theilung der Fasern dritter Art entstandenen oberen Aeste (S. 271). Die beiden Warzen- muskeln i und f sind durch einen Musc. communicans (k) verbunden. Die Fasern d, von gleicher Herkunft wie h, gehen direct an der In- nenfläche zum Ring hinauf. m,m sind die Fasern vierter Art (S 273) in ihrem Zuge an der Innenfläche zur Herzbasis, um an dieser die Basalschleifen zu bilden. g kurze, zu den am Ostinm pulmonale (x) befindlichen Semilunarklappen hinziehende Fasern.

Fig. 7. Muskelprimitivbündel des Herzens. a mit Zwischenfaser, b Theilung, ce Theilung und Zwischenfaser, d Verbindung durch Zwi- schenfasern.

Taf. VI. Fig. 8. Ein Herz von vorn und vom linken Rande aus gesehen. Die rechte Kammer ganz intact; ein Schnitt im Verlauf der vorderen Längsfurche erleichterte die Ablösnng der Fasern und da- durch das Eindringen in die Tiefe. a hinterer, b vorderer Warzenmus- kel; zu ihnen ziehen aus dem äusseren Vortex*die Fasern ce resp. d, und sondern sich auf natürliche Weise in 2 Abtheilungen, die hier aus ein- ander gedrängt, in der Tiefe das Endocardium erblicken lassen. e,e sind Fasern der S. 269 beschriebenen zweiten Art. Die am tiefsten liegenden machen am rechten Rande der vorderen Vortexachse ihre Umbiegungen und stellen den ersten Beginn der Vortexachse dar. f sind Fasern, die schon so nah der Basis liegen, dass sie in gleicher Höhe mit dem frei in das Innere hineinragenden Theil des Warzen- muskels, also ausserhalb des Bereiches der Vortexachse sich befinden. Sie sind nach rechts hinübergezogen.

1) Die Abbildungen sind nach Präparaten von Schaafherzen darge- stellt, da nur solche ein für die Untersuchung günstiges Object dar- bieten. Die nachträglichen Vergleiche mit Menschenherzen haben durchaus keine wesentlichen Unterschiede ergeben.

300 F. N. Winkler: Beiträge zur Kenntniss der Herzmuseulatur.

Fig. 9. Linke Kammer, ist vermittelst eines Schnittes durch die hintere Längsfurche geöffnet. Die Fasern c,c, weil sie in die vordere Vortexachse nicht mehr eingehen können, durchziehen den Interpapil- larraum, um dann am linken Rande des hinteren Warzenmuskels (b) ihre ersten Einbiegungen zu machen. d,e Fasern auf der rechten Kammer. f die aus dem äusseren Vortex stammenden! und hier ge- trennten Fasern des hinteren Warzenmuskels.

Fig. 10. Der hintere Warzenmuskel, von hinten betrachtet, und zwar nach Abtragung einer ziemlichen Menge von Fasern. Alsdann erscheinen die rechtsläufig in ihm endenden Fasern d,d. c,c wie in Fig. 9. Zu bemerken ist das zackenförmige Ineinandergreifen beiderlei Fasern.

Fig. 11 und 12. Der linke Herzrand mit Sonderung der Fasern in zwei Hälften a für den vorderen, b für den hinteren Warzenmus- kel. Es ist dies eben die Grenze zwischen beiden Vortexachsen in Fig. 11 im Basal-, Fig. 12 im Apicaltheil.

Fig. 13, A und B, letzteres etwas künstlich gezerrt, stellen dar einen Längsdurchschnitt der freien Kammerwandung.

Fig. 14. Kurze Fasern, a, b, c, die zwischen den Ostien ausgespannt, der Basis aufliegen.

I. Rosenthal: Ueber das elektromot. Verhalten d. Froschhaut. 301

Ueber das elektromotorische Verhalten der Frosehhaut.

Von

Dr. I. RosENTHAL in Berlin.

Herr Dr. Grünhagen zu Königsberg i. Pr. kommt im einem Aufsatze: „Ueber ein neues Schema des Nerven- und Muskelstromes* (Königsberger med. Jahrbücher, Bd. IV. S. 199) u. A. auch auf die Ströme der Froschhaut zu sprechen und wiederholt hier im Wesentlichen die Angaben Budge’s!), welche angeblich mit denen du Bois-Reymond’s im Wider- spruch stehen sollen. Dies veranlasst mich, den Gegenstand hier einer Besprechung zu unterziehen, obgleich ich das We- sentlichste schon anderweitig veröffentlicht habe, freilich an einem Orte, welcher wol auch noch anderen Physiologen, als Herrn Grünhagen, unbekannt geblieben sein mag.?)

Ich werde im Folgenden zunächst die Thatsachen mittheilen, welche du Bois-Reymond über die Ströme der Froschhaut ermittelt hat, sodann die Versuche der Herren Budge und Grünhagen beleuchten, welche angeblich den du Bois-Rey- mond’schen widersprechen, endlich meine eigenen Versuche mittheilen, aus welchen hervorgeht, dass nicht die Herren Budge und Grünhagen, sondern vielmehr du Bois-Rey- mond das Wesen und Verhalten der elektromotorischen Kräfte der Froschhaut richtig erkannt hat, schliesslich meine Ansich-

1) Budge in Pogg. Ann. CXI. 537. 2) Fortschritte der Physik, dargestellt von der physikalischen Ge- sellschaft zu Berlin. Jahrg. 1860, S. 538 u. S. 544.

302 I. Rosenthal:

ten über die physiologische Bedeutung dieser Ströme und ihre Beziehungen zum Muskel- und Nervenstrom auseinandersetzen.

Bei dem Bestreben, den Muskelstrom am lebenden unver- sehrten Frosch nachzuweisen, fand du Bois-Reymond beim ersten Auflegen des Frosches auf die (damals mit gesättigter Kochsalzlösung getränkten) Bäusche sehr häufig, dass der Aus- schlag zuerst verkehrt war, später aber stets richtig im Sinne des Muskelstromes erschien. Dies veranlasste ihn, zu untersu- chen, ob vielleicht die Froschhaut selbst elektromotorisch wirke. Dies fand sich wirklich, und er ermittelte hierüber Folgendes’): Berührt man die äussere Fläche eines Stückes Froschhaut mit Fliesspapierbäuschen, welche mit concentrirter Kochsalz- lösung getränkt sind, und die Enden des Multiplicatordrahtes darstellen, so erhält man Ströme, welche in der Haut gerichtet sind von der Stelle, welche zuletzt berührt wurde, zu der erst- berührten. Berührt man möglichst gleichzeitig, so bleibt die Nadel in Ruhe. Auch die durch ungleichzeitiges Berühren er- haltenen Ströme sind nur von kurzer Dauer, die Nadel kehrt binnen wenigen Minuten zum Nullpunkt zurück und dann ist es nicht mehr möglich, durch ungleichzeitiges Berühren der- selben Stellen Ströme zu erhalten. DBerührt man aber jetzt eine dieser Stellen und eine frische, so erhält man einen Strom von der frischen Berührungsstelle zur alten, selbst wenn diese die später berührte ist. Bepinselt man eine Partie der äusse- ren Froschhautfläche mit Kochsalz, so wird sie dadurch unfähig, bei ungleichzeitiger Berührung Ströme zu geben. Aus diesen Angaben folgt, dass bei Berührung der äusseren Hautfläche mit dem Bausche jede Berührungsfläche der Sitz einer elektromo- torischen Kraft wird, welche vom Bausch in die Haut hinein gerichtet ist, dass jedoch die Salzlösung diese Kraft sehr bald zerstört. Unter dieser Annahme erklären sich die angeführten Erscheinungen auf die einfachste Weise.

Berührt man mit den Bäuschen die innere Fläche der

1) Untersuchungen über thier. Elektr. Bd. II. Abth.2. 8.9; Monatsber. d. Berl. Akad. 1851, S. 380; Moleschott’s Untersu- chungen u.s.w. Bd. II. S. 138.

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 303

Froschhaut, so erhält man nur sehr schwache Ströme und zwar im entgegengesetzten Sinne als an der äusseren, nämlich in der Haut selbst von der zuerst nach der zuletzt berührten Stelle gerichtet. Berührt man die innere und die äussere Fläche gleichzeitig oder die äussere zuletzt, so erhält man einen star- ken Strom, der stets von der äusseren nach der inneren Fläche hin gerichtet ist. Auch dieser Strom verschwindet allmählig. Hat man die äussere Fläche vorher mit Kochsalzlösung bepin- selt, so erhält man gar keinen Strom. Verrückt man den der äusseren Fläche anliegenden Bausch an eine Stelle, welche noch nieht mit Kochsalzlösung in Berührung war, so erhält man so- fort wieder einen starken Strom, welcher nach einiger Zeit ver- schwindet; Verrücken des Bausches dagegen, welcher der In- nenfläche anliegt, ist ganz ohne Einfluss.

Bringt man an den mit Kochsalzlösung getränkten Bäuschen des Multiplicators mit Brunnenwasser getränkte Hülfsbäusche an und berührt mit diesen die äussere und innere Fläche der Froschhaut, so erhält man starke und beständige Ströme, in der Froschhaut von aussen nach innen gehend. Hat man aber die äussere Fläche mit Kochsalzlösung bepinselt, so erhält man auch mit den Wasserbäuschen keine Ströme mehr. Aus alledem folgt, dass in der Froschhaut überall eine von aussen nach innen gerichtete elektromotorische Kraft ihren Sitz habe, welche durch Kochsalzlösung schnell zer- stört wird, besonders wenn diese auf die äussere Fläche ein- wirkt. Bei Berührung der äusseren und inneren Fläche macht sich diese Kraft rein geltend, bei Berührung zweier Stellen der- selben Fläche kommt nur die Differenz der elektromotorischen Kräfte an den beiden Stellen zur Erscheinung. Bei ungleich- zeitiger Berührung der äusseren Fläche mit Kochsalzbäuschen muss diese Differenz natürlich einen Strom von der letztbe- rührten Stelle zur erstberührten ergeben.

Du Bois-Reymond untersucht nun, ob etwa Differenzen der elektromotorischen Kräfte an verschiedenen Stellen sich constant nachweisen lassen. Das war nicht der Fall zwischen den grünen und weissen Stellen, auch nicht zwischen symme- trischen Stellen beider Körperhälften. Hautstreifen, vom Nacken

304 I. Rosenthal:

bis zu den Fussgelenken herausgeschnitten, zeigten Ströme von der Kreuzgegend nach aufwärts und nach abwärts.

Ebenso wie mit Kochsalzlösung getränkte Bäusche zerstören die elektromotorische Kraft und geben daher starke Ströme bei ungleichzeitiger Berührung Bäusche, getränkt mit Lösungen von Chlorammonium, Jodkalium, Alaun, schwefelsaurem Kupferoxyd, verdünnter Schwefelsäure, käuflicher Salpetersäure, concentrirter Kalihydratlösung, Ammoniakflüssigkeit.

Wie die Froschhaut, zeigte diese Ströme die Haut aller nackten Amphibien, welche du Bois-Reymond untersuchen konnte, am stärksten die der Kröte. Sie fehlen ganz bei Fi- schen. Sie scheinen also in Beziehung zu stehen zu der secre- torischen Thätigkeit der Amphibienhaut. Diese Vermuthung wird noch bestätigt durch folgenden Umstand: Walzt man ein Stück Froschhaut unter starkem Druck zwischen Fliesspapier oder schabt man die äussere Fläche bis zur Entfernung der Drüsenschicht ab, so werden die Ströme sehr schwach oder ver- schwinden ganz. Die elektromotorische Kraft muss also ihren Sitz in der Haut selbst haben, und zwar wie es scheint in der Schicht der flaschenförmigen Drüsen. Dass jedenfalls nicht die Berührung der Haut mit den Bäuschen Ursache der elektromo- torischen Kraft ist, beweisen schon die Versuche mit den in verschiedenen Flüssigkeiten getränkten Bäuschen, da Flüssig- keiten der verschiedensten chemischen Natur die Ströme stets in derselben Richtung auftreten liessen. Da die äussere Fläche der Froschhaut (ebenso wie die innere) zwar alkalisch reagirt, bei starkem Druck jedoch aus den Drüsen eine saure Flüssig- keit sich ausdrücken lässt, so könnte man an diesen chemischen Gegensatz als Ursache der elektromotorischen Kraft denken, dem widerspricht aber der Umstand, dass die elektromotorische Kraft der Froschhaut viel beträchtlicher ist, als die der stärk- sten Säure-Alkalikette.

Schliesslich berichtet du Bois-Reymond noch, dass zwei Minuten währender Aufenthalt in siedendem Wasser die Ströme der Froschhaut zwar schwächt, aber nicht aufhebt, fünf Minu- ten langes Kochen dagegen sie gänzlich vernichtet. Getrock- nete und wieder aufgeweichte Haut zeigt noch Spuren der

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 305

Ströme im richtigen Sinne, Haut von einem faulenden Frosch keine Spur. Lange gefangen gehaltene Frösche geben schwä- chere Ströme, als frische. Hebt man mit Kochsalz benetzte le- bende Frösche in Wasser auf, so wird die Haut wieder wirksam.

Die Angaben des Herrn Budge über unseren Gegenstand sind in Kurzem folgende: Die Froschhaut verhält sich elektro- motorisch und zwar im umgekehrten Sinne, wie die Muskeln, indem nämlich der Längsschnitt negativ ist gegen den Quer- schnitt. (Unter Längsschnitt versteht Herr Budge die äussere Oberfläche). Um dies nachzuweisen, rollt er ein Stück Frosch- haut zu einem Cylinder zusammen, legt mit einer scharfen Scheere einen Querschnitt an, und prüft diesen Cylinder zwi- schen Bäuschen, die mit schwefelsaurer Zinkoxydlösung getränkt sind. Ob Längs- ob Querschnitt zuerst aufgelegt wird, ist gleichgültig. Die Stärke der Ströme ist sehr beträchtlich; ein Cylinder von nur wenigen Millimetern Dicke wirft die Nadel eines Sauerwald’schen Multiplicators von 30,000 Windungen an die Hemmung und giebt eine dauernde Ablenkung von 50 bis 80° welche während mehrerer Stunden nur wenig abnimmt. Legt man eine Rolle in Kochsalzlösung, so wird ihr Strom schnell sehr bedeutend geschwächt. Eben so gut als an Rollen kann man auch an einzelnen Hautstreifen diese Ströme nach- weisen, wenngleich dieselben sehr schwach sind. Gerade wie beim Muskel finden sich auch bei der Froschhaut Ströme zwi- schen verschiedenen Punkten des Längsschnittes (äussere Fläche) und zwar ist stets der dem geometrischen Aequator nähere Punkt der negative. Diese Ströme sind stets viel schwächer, als die zwischen Längs- und Querschnitt. Beide Querschnitte sind einander nahe oder ganz gleichartig. Ein Unterschied, je nachdem die Haut der Länge oder der Quere nach gerollt wird, ist nicht nachzuweisen. Bei Ableitung der Froschhaut von in- nerer Fläche und Querschnitt erhält man gar keine oder nur schwache Ströme.

Vergleicht man diese Angaben des Herrn Budge mit den oben mitgetheilten von du Bois-Reymond, so ergiebt sich

als einziger Unterschied, dass Herr Budge statt der inneren Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 20

306 I. Rosenthal:

Fläche den Querschnitt eingeführt hat. Es muss daher zu- nächst gefragt werden, ob die in der Froschhaut vorhandene elektromotorische Kraft gerichtet ist von der äusseren Fläche nach der inneren (du Bois-Reymond) oder nach dem Quer- schnitt (Budge). Im ersteren Falle wären die von Herrn Budge untersuchten, im anderen die von du Bois-Reymond entdeckten Ströme abgeleitete oder Zweigströme. Auffallender Weise hat Herr Budge niemals äussere und innere Fläche mit einander verglichen, statt dessen polemisirt er gegen du Bois- Reymond, welchem er die Ansicht unterschiebt, dass jene Ströme nur durch ungleichzeitige Berührung entständen (mit welchem Rechte, geht aus unserem obigen Referate hervor). Herr Budge scheint zu glauben, dass der Nachweis von Strö- men zwischen äusserer Fläche und Querschnitt der Froschhaut etwas für die Würdigung des Muskelstromes zu bedeuten habe, aber die Analogie zwischen einer aus Haut gewickelten Rolle und einem Muskel wird schwerlich dadurch hergestellt, dass man die Oberfläche jener Rolle Längsschnitt tauft.

Herr Grünhagen glaubt auch, dass du Bois-Reymond die an der Froschhaut beobachteten Ströme „denen gleichsetzt, welche bei ungleichzeitigem Eintauchen zweier sonst gleichar- tiger, metallener Elektroden beobachtet werden.“ Hätte er sich die Mühe gegeben, die Stelle, welche er dabei vor Augen hatte, ganz zu lesen, statt flüchtig in dem Werke zu blättern, so hätte er wenige Zeilen weiter finden können, dass du Bois-Rey- mond diese Ströme nicht gleichsetzt, sondern die Unterschiede beider betont.!) Er selbst findet ebenfalls wie Herr Budge Ströme zwischen äusserer Fläche und Querschnitt und zwischen verschiedenen Punkten der äusseren Fläche, ausserdem aber auch Ströme zwischen innerer Fläche und Querschnitt und zwar ent- gegengesetzt gerichtet, als zwischen äusserer Fläche und Quer- schnitt. Diese Thatsache ist richtig. Ich selbst habe sie schon - mitgetheilt.?)

Auch Valentin?) hat den Strom zwischen äusserer Fläche

1) Untersuch. Bd. II. Abth. 2. 8. 11. 2) Die Fortschritte der Physik im Jahre 1860. 8. 546. 3) Zeitschr. f. rat. Med. (3) XV. 207.

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 307

und Querschnitt einer Hautrolle beobachtet. Auffallend ist, dass nach ihm die Ableitung der Aussen- und Innenfläche der Froschhaut weit schwächere Ströme geben soll, als die der Aussenfläche und des Querschnittes, während jene Combination doch die stärksten Ströme unter allen möglichen Combinationen giebt, wie wir bald sehen werden. Vielleicht aber meint Herr Valentin die Ableitung zweier Punkte einer und derselben Fläche. Dass ein Hautstück nach eine Minute langem Eintau- chen in eoncentrirte Kochsalzlösung noch einen Ausschlag von 10—15° bei ganzer Multiplieatorlänge gab, wenn es mit Aussen- fläche und Querschnitt abgeleitet wurde, bedeutet gar Nichts, da ein solcher Ausschlag bei der ungemeinen Empfindlichkeit des Multiplicators in der Nähe des Nullpunktes nur einem aus- serordentlich kleinen Rest der ursprünglichen elektromotorischen Kraft entsprechen würde. Zuweilen sah Herr Valentin eine geringfügige negative Schwankung des Hautstromes bei Reizung der feinen Hautnerven.

Ich wende mich nun zur Besprechung meiner eigenen Ver- suche, deren Inhalt zum Theil schon in dem mehrfach ange- führten Bericht in den Fortschritten der Physik veröffentlicht ist. Um zu entscheiden , welche Richtung die elektromotorischen Kräfte der Froschhaut haben, wurde zunächst ein einfaches Stück Froschhaut mit äusserer und innerer Fläche zwischen die mit concentrirter Zinkvitriollösung getränkten Endbäusche des Multiplicators eingeschaltet. Man erhält dann einen sehr star- ken Strom, welcher in der Haut von aussen nach innen gerich- tet ist, und bei Anwendung der halben Multiplicatorlänge (14,000 Windungen) die Nadel an die Hemmung wirft und während längerer Zeit auf 70—80° beständiger Ablenkung hält. Aber dieser Strom verschwindet allmählig, denn die Zinkvitriol- lösung gehört gleichfalls in die Reihe der Flüssigkeiten, welche die elektromotorische Kraft der Froschhaut zerstören. Nur wirkt sie etwas langsamer, als die anderen (oben angeführten), weil sie vermöge ihrer geringeren Diffusibilität nur langsam in das Gewebe eindringt. Schützt man daher die Haut (oder auch nur die äussere Fläche derselben) durch Thonschilder, wie sie du Bois-Reymond jetzt statt der Eiweisshäutehen anwen-

20*

308 I: Rosenthal:

det!), vor der zerstörenden Wirkung des schwefelsauren Zink- oxyds, so erhält man einen starken von aussen nach innen durch die Haut gehenden Strom, welcher bei der Abwesenheit der Polarisation Stunden lang fast unverrückt die Nadel auf einer Ablenkung von 50—80° erhalten kann.

Leitet man einen Hautstreifen von der äusseren Fläche und dem Querschnitt ab, so erhält man sehr schwache Ströme. Diese Ströme sind constant, wenn man die aufgelegte Stelle der äusseren Fläche vor der Einwirkung der Zinkvitriollösung schützt, im anderen Falle verschwinden sie allmählig. Rollt man aber die Haut zu einem Cylinder zusammen, so dass die äussere Fläche nach aussen gekehrt ist, so erhält man bei Ab- leitung von einem Punkte des Cylindermantels und dem Quer- schnitt sehr starke Ströme, nicht blos, weil jetzt der Wider- stand sehr viel geringer ist, sondern auch, weil jede der vielen Lagen der Hautrolle jetzt Ströme in gleichem Sinne durch den Multiplicator schickt. Die Ströme zeigen sich jetzt auch dauernd, selbst ohne Anwendung eines Thonschildes, weil zwar die un- mittelbar berührte Stelle des Cylindermantels ihre Wirksamkeit einbüsst, alle tieferen Lagen sie aber ungeschwächt behalten. Wäscht man die äussere Fläche der Haut vor dem Rollen mit Kochsalz- oder Zinkvitriollösung, so ist die Rolle ganz un- wirksam.

Bei Ableitung der inneren Fläche und des Querschnittes sind die Ströme noch schwächer, aber, was Herr Budge anzu- führen vergisst, Herr Grünhagen dagegen richtig beobachtet hat, umgekehrt gerichtet, als im vorigen Falle. Sie verlaufen nämlich im Multiplicator von der inneren Fläche nach dem Querschnitt. Die Ströme zwischen innerer Fläche und Quer- schnitt eines einzigen Hautstückchens von etwa 1 Cm. Breite sind immerhin stark genug, um bei Anwendung der ganzen Multiplicatorlänge (28,000 Windungen) 10—15° constanter Ab- lenkung zu geben, rollt man aber die Haut mit der inneren Fläche nach aussen zu einem Cylinder auf, so kann man die Nadel an die Hemmung fliegen und bei 80° constanter Ablen- kung beharren sehen. Die Gründe für die verstärkte Wirkung

1) Du Bois-Reymond, Vorrichtungen u. Versuchsweisen, S 92 ff.

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 309

sind hier dieselben, wie im vorigen Falle: Verminderung des Widerstandes und Summation der elektromotorischen Kräfte je- der einzelnen Lage.

Statt die Hautstreifen zu Cylindern zusammen zu rollen, kann man auch mehrere Lagen über einander schichten, so dass alle mit ihren äusseren Flächen nach derselben Seite gerichtet sind. Stellt man eine solche Säule auf einem Träger zwischen den Bäuschen auf, so kann man mit Hülfe eines dritten Bau- sches nach Belieben die äussere und innere Fläche oder eine dieser und den Querschnitt ableiten und so die Ströme der drei Combinationen mit einander vergleichen. Die Ströme zwischen äusserer und innerer Fläche sind immer die stärksten, dann folgen die zwischen äusserer Fläche und Querschnitt, endlich die zwischen Querschnitt und innerer Fläche.

Ein Schluss auf den Sitz und die Richtung der elektromo- torischen Kräfte, welchen diese Ströme ihre Entstehung verdan- ken, lässt sich unmittelbar nicht ziehen. Die Stärke der Ströme hängt ausser der elektromotorischen Kraft auch noch von dem Widerstande ab, welcher bei den drei Arten der Ableitung zu ungleich ausfällt. Ich versuchte daher direct die Spannungs- differenzen zu messen, welche in den drei Combinationen auf- treten. Zu diesem Zwecke schlug ich mit einem und demsel- ben Locheisen Löcher in zwei Glimmerblätter, legte zwischen beide ein Stück Froschhaut und schnitt dasselbe an dem einen Rande der Glimmerblätter scharf ab, während an den drei an- deren Seiten die Haut von dem Glimmer überragt wurde. Die Haut wurde sodann mit ihrem scharfen Querschnitt auf einem Hülfsbausch gestellt, welcher mit schwefelsaurem Zinkoxyd getränkt war und horizontal auf einer isolirten amalgamirten Zinkplatte lag. Zwei mit plastischem Thon angefüllte kurze Glasröhrchen wurden beiderseits an die Glimmerblättchen an- gedrückt und durch Heranschieben der gewöhnlichen Bäusche zwischen denselben festgeklemmt. Je nachdem man nun diese Bäusche oder einen von ihnen und den Hülfsbausch mit den En- den des Multiplicatordrahtes verband, konnte man nach Belieben den Strom von äusserer und innerer Fläche oder von einer der- selben und dem Querschnitt ableiten. Dabei war durch die Einrich-

310° I. Rosenthal:

tung der Glimmerblättchen dafür gesorgt, dass die Grösse der ab- geleiteten Fläche stets die gleiche war. Die Messung der Span- nungsdifferenzen geschah mit Hülfe der von du Bois-Reymond abgeänderten Poggendorff’schen Compensationsmethode.')

Auf diesem Wege fand sich, dass die Spannungsdifferenz zwischen äusserer und innerer Fläche stets viel beträchtlicher ist, als die zwischen äusserer Fläche und Querschnitt , diese aber wieder beträchtlicher als die zwischen Querschnitt und in- nerer Fläche. In den meisten Fällen war die Summe der Spannungsdifferenzen zwischen äusserer Fläche und Querschnitt und zwischen Querschnitt und innerer Fläche nahezu gleich der Spannungsdifferenz zwischen äusserer und innerer Fläche. Dar- aus geht, glaube ich, unwiderleglich hervor, dass die elek- tromotorischen Kräfte der Froschhaut gerichtet sind von der äusseren Fläche nach der inneren, wie es du Bois-Reymond angegeben hat, und es kann sich jetzt nur noch darum handeln, zu erklären, wie durch diese Kräfte zu- gleich die schwächeren Spannungsdifferenzen der beiden Flä- chen gegen den Querschnitt zu Stande kommen.

Diese Erklärung ist aber sehr einfach zu geben, wenn man annimmt, dass am Querschnitt stets eine Schicht eines unwirk- samen Leiters vorhanden ist, in welchem die sonst in der Haut regelmässig vertheilten elektromotorischen Kräfte fehlen. Und diese Annahme hat gewiss nichts Unzulässiges, wenn man be- denkt, dass der Schnitt einer noch so scharfen Scheere immer- hin doch quetschend wirkt, also auf eine gewisse Strecke hin zerstörend auf das Gewebe und mithin auch auf die elektro- motorischen Kräfte der Haut wirken muss. Nehmen wir an, mm, sei die Mitte eines Hautstückes, in welchem die elektro- motorischen Kräfte längs der mit + und bezeichneten Linie regelmässig angeordnet sind, während sie in der Nähe des Querschnittes fehlen. Die ganze Haut ist dann mit Stromes- curven erfüllt, welche besonders in der unwirksamen Schicht des Querschnittes dicht gedrängt sind. Sie sind in der Figur gestrichelt dargestellt; die auf ihnen senkrechten iso@lektrischen

1) Vgl. du Bois-Reymond, Vorrichtungen und Versuchsweisen, S. 107 ff. Rosenthal, Elektriciiätslehre für Medieiner, S. 128 ff.

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 311

Curven, in der Figur punktirt, zeigen die aus jener Strömung resultirende Spannung an. Man ersieht daraus sofort, dass der Querschnitt positiver wird, als die äussere Fläche, negativer, als die innere Fläche. Und somit ist erklärt, was zu erklären war, nämlich warum Ströme erhalten werden, welche gehen

im Multiplicator von der inneren Fläche zum Querschnitt und vom Querschnitt zur äusseren Fläche.

Diese Annahme einer dünnen unwirksamen Schicht am Quer- schnitt lehrt aber auch, dass Ströme bestehen müssen zwischen verschiedenen Punkten der äusseren Fläche allein, sowie zwischen verschiedenen Punkten der inneren Fläche allein. Und zwar

312 I. Rosenthal:

müssen diese gerichtet sein an der äusseren Fläche von Punk- ten, welche dem Querschnitt näher liegen im Multiplicator zu Punkten, welche vom Querschnitt entfernter sind, umgekehrt aber an der inneren Fläche. Und beides wird durch den Ver- such vollkommen bestätigt. Ja es lässt sich sogar mit aller Bestimmtheit behaupten, dass, wenn nur die Haut dick genug wäre, auch am Querschnitt selbst schwache Ströme sich müss- ten beobachten lassen, welche stets von den der inneren Fläche näheren Punkten zu den der äusseren Fläche näheren gerichtet sein müssten.

Es folgt aus der von mir gemachten Annahme unmittelbar, dass wenn die unwirksame Schicht am Querschnitt nur schmal ist, ihre Wirksamkeit sich nur auf kurze Strecken der äusseren und inneren Fläche erstrecken kann. In der That gelingt es nicht, von zwei Punkten der äusseren Fläche irgend welche Ströme zu erhalten, wenn man sich zu weit vom Querschnitt entfernt. Nun aber besitzen wir in den oben bezeichneten Flüssigkeiten, besonders aber in der Kochsalzlösung ein Mittel, jede beliebige Strecke der Haut durch Zerstörung ihrer elektro- motorischen Kräfte in einen unwirksamen Leiter zu verwandeln. Dies können wir benutzen, um die Stichhaltigkeit jener An- nahme auf die Probe zu stellen. Ich führte den Versuch in folgender Weise aus: Eine Hautrolle wurde mit zwei Punkten der äusseren Fläche so auf die Bäusche gelegt, dass der eine Querschnitt etwa S Mm. von der ihm zunächst gelegenen Ab- leitungsstelle entfernt blieb. Ich erhielt einen Ausschlag von 12° und Ablenkung bei ganzer Multiplicatorlänge. Nun wurde das überragende Stück der Hautrolle in einer Ausdeh- nung von etwa 4 Mm. vom Querschnitt mit Kochsalzlösung be- pinselt, Sofort flog die Nadel an die Hemmung, einen Strom anzeigend, welcher in der Haut nach der bepinselten Stelle hin verlief.

Ebenso wie dieser Versuch ergab auch ein ähnlicher ein tesultat, wie es als Consequenz unserer Annahmen vorauszu- sehen war. Statt einen Theil der Haut in einen unwirksamen Leiter zu verwandeln, kann man auch einen beliebigen unwirk- samen Leiter an den Querschnitt anlegen, und dies muss eben-

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 313

falls das Auftreten der Ströme an den Flächen erleichtern. In einem Versuch erhielt ich von zwei Punkten der äusseren Fläche einer Hautrolle, welche dem Querschnitt ziemlich nahe waren, 17° Ausschlag. Als ich einen kleinen mit schwefelsau- rer Zinkoxydlösung getränkten Fliesspapiercylinder an den Quer- schnitt der Rolle anlegte, flog die Nadel an die Hemmung, und die Ablenkung blieb auch nach Entfernung des Papiercylinders etwas vergrössert, offenbar weil die an der Hautrolle haften ge- bliebene Lösung etwas eingedrungen war und die elektromoto- rischen Kräfte zerstört hatte.

Wir haben oben gesehen, dass die Spannungsdifferenz zwi- schen Querschnitt und innerer Fläche viel geringer ist, als die zwischen äusserer Fläche und Querschnitt. Dies erklärt sich am einfachsten durch die Annahme, dass die elektromotorischen Kräfte der Froschhaut der äusseren Fläche viel näher ihren Sitz haben, als der inneren. Denn dadurch wird bewirkt, dass die iso@lektrische Fläche von der Spannung 0 der äusseren Fläche sehr nahe rückt, wie es auch in der Figur dargestellt ist. Die mittlere Spannung des gesammten Querschnittes ist daher positiv, und ergiebt mit der gleichfalls positiven inneren Fläche nur schwache Ströme, starke dagegen mit der negativen äusseren Fläche. Diese Annahme ist in Uebereinstimmung mit den Angaben du Bois-Reymond’s, welche ich vollkommen bestätigen kann, nach denen der Sitz der elektromotorischen Kräfte etwa in der Schicht der flaschenförmigen Drüsen zu su- chen wäre.!) Dass sie aber mit diesen Drüsen nicht blos in zufälligem, sondern in einem wesentlichen Zusammenhange ste- hen, ist nach du Bois-Reymond’s Auffassung sehr wahr- scheinlich, und ich stimme ihm hierin vollkommen bei. Ich glaube sogar, dass hier eine Eigenschaft aufgedeckt sei, welche der Drüsensubstanz als solcher zukommt und welche ebenso eine wesentliche Eigenschaft der Drüsen ausmacht, wie die elektromotorischen Kräfte der Muskeln und Nerven wesentliche

1) Vergl. Czermak in Müller’s Archiv 1849, S. 252 u. Taf. IV. Ascherson in Müller’s Archiv 1840, S. 15 u. Taf. II.

314 I. Rosenthal:

Eigenschaften dieser Gebilde sind. Freilich habe ich mich ebenso wie viele Forscher vor mir vergeblich bemüht, an ver- schiedenen Drüsen unzweifelhafte Spuren elektromotorischer Kräfte nachzuweisen, aber ich habe deswegen die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Und ein Schritt ist mir schon gelun- gen, der, wie ich glaube, nicht ohne Bedeutung ist.

Ich glaube nämlich, dass der Grund, weshalb gerade an der Amphibienhaut diese Ströme so stark und leicht nachweisbar sind, einzig und allein zu suchen ist in der regelmässigen An- ordnung der Drüsen, welche hier alle in gleicher Tiefe mit den Ausführungsgängen senkrecht auf die Hautoberfläche stehen. Um daher auch an anderen Drüsen elektrische Ströme nachzu- weisen, mussten Gewebe geprüft werden, welche dieselben gün- stigen Bedingungen darbieten. Als solche bietet sich zunächst die Magenschleimhaut dar. Und in der That liefert die Magenschleimhaut sowohl vom Frosch als vom Kaninchen äus- serst starke Ströme, welche in der Schleimhaut von der freien Fläche nach der äusseren, der Muskelschicht zugewandten Fläche gerichtet sind. Diese Richtung ist aber ganz die näm- liche, welche die Ströme in der Amphibienhaut haben, wenn man die Stromesrichtung in Beziehung bringt zu den drüsigen Elementen. In beiden Fällen nämlich entspricht die beobach- tete Richtung einer elektromotorischen Kraft, welche gerichtet ist von den Ausführungsgängen der Drüse in den Drüsengrund hinein. Eine solche Kraft muss die Oberfläche der Schleimhaut beziehlich der Haut, negativ machen gegen die untere Fläche, wie es die Beobachtung in der That ergiebt.

Darf man diese an zwei Gebilden, deren Secrete so ver- schiedene Eigenschaften haben, gemachten Beobachtungen ver- allgemeinern,, so würden auch in anderen drüsigen Elementen elektromotorische Kräfte anzunehmen sein, welche von den Aus- führungsgängen nach dem Drüsengrund gerichtet wären. Aber bei dem verwickelten Bau der meisten Drüsen würden diese einzelnen elektromotorischen Kräfte so nach allen möglichen Richtungen durch einander gelagert sein, dass keine beträcht- liche nach aussen wirkende Componente zu Stande käme, ähn-

Ueber das elektromotorische Verhalten der Froschhaut. 315

lich wie im weichen Eisen die nach allen möglichen Richtun- gen durch einander liegenden magnetischen Molekeln nach aus- sen keine magnetische Wirkung zu äussern vermögen. Die Labdrüsen der Magenschleimhaut aber und die Hautdrüsen der nackten Amphibien wären zu vergleichen einer Anzahl von re- gelmässig neben einander gelagerten Zinkkupferpaaren, welche durch einen angelegten Bogen ihre Ströme alle in gleicher Richtung schickten.

Da die Labdrüsen ein sauer reagirendes Secret absondern und da das Secret der Froschhautdrüsen, wie du Bois-Rey- mond fand, ebenfalls sauer ist, so könnte man allerdings ge- neigt sein, in dem Gegensatz dieser Reaction zu der alkalischen der unteren Hautfläche die Ursache der Ströme zu suchen. Al- lein du Bois-Reymond hat schon gezeigt, dass die elektro- motorische Kraft der Froschhaut viel grösser ist, als die der stärksten Säure-Alkalikette, und dieses gilt noch viel mehr von der Magenschleimhaut. Zudem giebt es auch Drüsen mit alka- lisch reagirendem Secret, welche Ströme zeigen, nämlich die der Darmschleimhaut, sowohl aus dem Dünn- als dem Diekdarm. Freilich sind diese Ströme sehr schwach, aber die Drüsen der Darmschleimhaut sind auch von sehr geringer secretorischer Energie und stehen nur vereinzelt im Vergleich zu den Lab- drüsen in der Magenschleimhaut. Was aber wichtig ist, die Ströme der Darmschleimhaut haben dieselbe Richtung, wie die der Magenschleimhaut, d. h. sie gehen von der freien Schleim- hautfläche durch die Schleimhaut zur Muskelschichtfläche. Weit entfernt also, in der Reaction des Secretes die Ursache der Ströme suchen zu wollen, werden wir vielmehr annehmen müssen, dass die elektromotorische Kraft ein nothwendiges At- tribut der Drüsensubstanz sei. Wir könnten selbst versucht sein, auf die Existenz dieser elektromotorischen Kraft eine Theorie des Secretionsvorganges aufbauen zu wollen, doch wi- derstrebt es meinen Gefühlen, Theorieen zu ersinnen, wo die thatsächlichen Grundlagen noch so spärlich und mangelhaft sind.

Immerhin aber werden wir es uns nicht versagen können, Gewicht darauf zu legen, dass neben Muskeln und Nerven ge-

316 I. Rosenthal: Ueber d. elektromotor. Verhalten d. Froschhaut.

rade die Drüsen mit elektromotorischen Kräften begabt sind, die Drüsen, deren Thätigkeit durch Einwirkung der Nerven an- geregt wird, wie die Thätigkeit der Muskeln durch Einwirkung der Nerven angeregt wird. Es veranlasst uns dies zu der Ver- muthung, dass auch die elektromotorische Thätigkeit der Drü- sen durch Erregung der zu ihnen gehenden Nerven vielleicht Aenderungen erfahre. Meine Versuche über diesen Punkt scheinen jene Vermuthung zu begründen, doch sind sie noch nicht zum Abschluss gelangt, weshalb ich mich jeder weiteren Auseinandersetzung vorläufig enthalte. Eine darauf hinzielende Beobachtung Valentin’s habe ich oben angeführt.

Berlin, Anfangs März 1869.

H. Burmeister: Bemerkungen über die Arten n. s. w. 317

Bemerkungen über die Arten der Gattung G/yp-

todon im Museo publico de Buenos Aires. Von

Dr H. BURMEISTER,

Director des Museo publico de Buenos Aires.

(Hierzu Taf. VII. und VIII. A.)

Die günstige Lage von Buenos Aires auf einem Boden, der mit zahlreichen Resten urweltlicher Thiere begabt ist, hatte mich hauptsächlich veranlasst, diesen Ort zu meinem ferneren bleibenden Wohnsitze zu machen. Von der hiesigen Regierung eingeladen, die Direetion des National-Museums zu übernehmen, war ich keinen Augenblick mehr zweifelhaft, was ich zu thun habe, um der Wissenschaft an einer Stelle nützlich zu werden, die bisher nur als Fundgrube für europäische Museen gedient hatte, und die sich mehr als viele andere dazu eignete, eine vortreffliche Sammlung für eigene Rechnung und zu ihrem eige- nen Vortheil aufstellen zu können. Seit den 2 Jahren, die ich in dieser neuen Stellung bin, ist das Museum bereits weit vor- geschritten; ich habe Gegenstände zusammengebracht, welche sich in keiner anderen Sammlung vereint vorfinden, und werde davon einzelne von Zeit zu Zeit besprechen, welche mir zur Mittheilung neuer und werthvoller wissenschaftlicher Resultate ganz besonders geeignet scheinen. Die Reihe dieser Mitthei- lungen eröffne ich mit einigen Notizen über unsere Arten der Gattung G/yptodon.

318 H. Burmeister:

Damit das Neue und bereits Bekannte in den Angaben sich leichter sondern lasse, werde ich in meiner Schilderung histo- risch zu Werke gehen und jedesmal kurz andeuten, was die verschiedenen Schriftsteller, soweit sie mir hier in Buenos Ay- res zugänglich geworden sind, von dem Gegenstande berichten.

Die älteste Notiz über G/yptodon findet sich in Cuvier’s Recherches sur les ossem. fossil. Tom. V. p. 1 u. 191, wo er in einer Note mittheilt, dass Damaso Larranaga in der Banda oriental den Panzer eines grossen Thieres gefunden habe, das mit Megatherium verwandt zu sein scheine. Der preus- sische Reisende Sellow war der Erste, welcher Knochen und Panzerstücke davon nach Europa sandte, und diese beschrieb Weiss im Jahre 1825 in den Schriften der Akademie zu Ber- lin (vom Jahre 1827), ohne ihre zoologische Affinität festzu- stellen. Doch war er geneigt, sie zu Hegatherium zu bringen, eine Meinung, die Clift (Notice on the Megatherium ete., Lon- don 1835. 4.) direet aussprach und die auch von Buckland (Bridgewater Treat. of Geology, London 1837) getheilt wurde. Gleichzeitig mit den Panzerstücken waren Fussknochen nach Berlin gekommen, deren Beschreibung d’Alton unternahm (Schrift. d. Königl. Akademie d. Wissensch. aus d. Jahre 1833). Die Beschreibung ist vollständig und die Abbildungen sind eben so schön wie genau, aber die Deutung missrieth, weil d’Alton die drei vorhandenen Zehen des Vorderfusses für die dritte, vierte und fünfte nahm, während die letztere dem Thiere fehlt, jene drei also als zweite, dritte und vierte zu deuten sind. Auch unterliess er es, dem Thiere, das er richtig für ein mit Dasypus nah verwandtes Geschöpf ansah, einen eigenen Namen zu geben. Dies Geschäft übernahm R. Owen bei Be- schreibung der inzwischen auch nach London gelangten Reste vom Panzer wie vom Skelett (Transact. geolog. Soc. VI. 31 Zoology of the Beagle Vol. 1), wobei er nachwies, dass jene früher bekannt gewordenen Panzerstücke nicht zu MHegatherium, sondern zu dieser neuen Gattung G/yptodon zu rechnen seien; er stellte die Art G/. clavipes auf und vervollkommnete später (Descript. Catalogue of the Collec. of the Royal college of Surg. I. 1845) seine früheren Angaben durch die Beschreibung des

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 319

beinahe vollständigen Panzers, des Kopfes, Schwanzes und Hin- terbeines, zu welchem letzteren J. Müller (Schriften d. Aka- demie zu Berlin aus dem Jahre 1846) noch einige erläuternde Zusätze bei Gelegenheit der Beschreibung desselben Körper- theiles machte,

Alle diese Mittheilungen gründeten sich auf Reste, die ent- weder bei Buenos Aires, oder in der Banda oriental gefunden waren. Inzwischen hatte Dr. Lund dasselbe Geschöpf auch in den Knochenhöhlen von Minas geraes aufgefunden und Theile seines Panzers wie Skeletts unter dem Namen Hoplophorus be- schrieben ( Schriften der Königl. Akademie zu Kopenhagen. Phys. Klasse, VIH.). Man sieht unter den Abbildungen, welche seine werthvolle Abhandlung begleiten, Panzerstücke, die un- zweifelhaft zu Owen’s Gattung G/yptodon gehören und in einem späteren Nachtrage vom Jahre 1842 (IX. Thl.) auch die Zähne, so leicht kenntlich an ihren beiden tiefen Furchen an jeder Seite, die ihnen eine‘ wie aus 3 Prismen zusammenge- setzte Form ertheilen, nebst 5 in ein Stück verwachsenen kur- zen- Halswirbeln (a. a. ©. Taf. 35 Fig. 1). Daneben beschreibt Lund eine zweite Gattung mit viereckigen Panzerplatten (die von G/yptodon sind sechsseitig) und anders gebauten, seichter gefurchten Zähnen (Chlamydotherium), von denen die vordersten drei viel kleiner und einfacher gebaut sind, als die hinteren sechs, während G/yptodon oder Hoplophorus acht gleichgestaltete, nach demselben Typus gebildete Zähne besitzt.

Dies war die Sachlage unserer Kenntnisse der Gattung bis zur Publication der Arbeit von Nadot, Director des Museums zu Dijon. Darin werden nach der Form des Panzers zwei Gattungen: Glyptodon und Schistopleurum angenommen und zu jener 10, zu dieser 4 Arten gerechnet. Typus der ersten Gat- tung ist Gl. clavipes, Typus der zweiten G/. tuberculatus Ow. Jene 10 Arten theilen sich nach der Form des Schwanzes in zwei Gruppen: a) solche mit cylindrischer Schwanzform und b) solche mit konischer. Das ist Alles, was mir von dieser Arbeit mittelst Auszüge in Zeitschriften bekannt geworden, das Original selbst habe ich noch nicht erhalten können.

Dagegen ist mir ganz kürzlich eine kurze Schilderung des

320 H Burmeister:

Skeletts von G/yptodon durch Prof. Huxley zugegangen, welche er in Medical Times u. Gazette v. Febr. 1363 veröffentlicht hat. Verf, beschreibt besonders die Wirbelsäule und den Vorderfuss, und wiederholt den Irrthum d’Alton’s, ihm fünf Zehen zu geben, während in der That nur vier vorhanden sind.

Ich selbst habe über G/yptodon eine kurze Notiz nach Europa gesendet, in welcher ich die drei Arten unseres Mu- seums nach den Schwänzen unterschied ; die erste ist G/. cela- vipes Owen, die zweite nannte ich G/. spinicoudus und die dritte @/. robustus. Letztere ist identisch, wie ich später er- kannte, mit @l. tuberculatus Owen. Für meinen @l. spinicau- dus habe ich noch kein Synonym auffinden können, weil mir Nadot’s Arbeit nicht vorliegt. Die Art gehört zu der Gruppe mit konischem Schwanz und hat 6 Ringe konischer Warzen auf dessen Oberfläche. Eine kurze Notiz über das in der hiesigen Sammlung aufgestellte Skelett veröffentlichte ich hier in Buenos Aires im Nacional vom 11. Dec. 1362 (Nr. 3140).

Was zuvörderst die Artunterschiede betrifft, so glaube ich, dass deren Zahl ganz über alle Gebühr vervielfältigt worden ist. Nach einzelnen Panzerplatten lassen sich dieselben nur von geübten Kennern mit Sicherheit unterscheiden, weil die Form der Platten und selbst ihre Zeichnung auf der Oberfläche nach der Stellung an verschiedenen Punkten des Panzers sich abändert. Regelmässig sechseckig sind diese Platten nur in der Mitte des Panzers, nach den Seiten zu werden sie länglich sechseckig und gegen den äusseren Umfang des Panzers hin gewöhnlich etwas kleiner. Bekanntlich hat jede Platte auf ih- rer Oberfläche eine mittlere grössere sechseckige Figur und rings umher sechs Ähnliche kleinere, welche den sechs Seiten der Knochenplatte entsprechen und häufig, namentlich in der Mitte des Panzers, mit denen der benachbarten Platte in ein gemeinsames Sechseck zusammenfallen. Diese Figuren sind durch tiefe glatte Furchen von einander abgesondert, die Flä- chen dazwischen aber höckerig rauh, selbst feilenartig scharf. In den 6 Ecken der mittleren Figur sieht man offene Gruben, die vielfach verloschen, nur angedeutet erscheinen und darin steckten lange steife Borsten, welche über die von Hornschil-

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 321

dern gebildete Oberfläche des Panzers hervorrasten,; denn auf jeder der beschriebenen höckerig rauhen Sechsecke lag ein glattes ebenso geformtes Hornschild. Diese Anlage des Panzers findet sich in der Gegenwart ganz ebenso bei derjenigen Gruppe von Dasypus, welche ich Praopus nenne (System. Uebers. der Thiere Brasiliens, I. Bd. S. 295), aber durchaus nicht bei den Arten mit 5 Vorderzehen und grossen Krallen zum Graben. Es ist also beachtenswerth, dass G/yptodon ebenfalls nur vier Vor- derzehen hat, wie Praopus Nob. Ganz verschieden von dieser Zeichnung und Bedeckung des Panzers ist G/. tuberculatus, Nadot’s Schistopleurum, und darum dürfte diese Form als Un- tergattung festzuhalten sein. Seine Panzerplatten sind einzeln viel grösser und auf der Oberfläche gleichmässig mit kleinen, unter sich ziemlich gleich grossen, eckigen, 4-, ö- oder 6-sei- tigen erhabenen Feldcehen besetzt, welche ohne Zweifel auch ähnliche Hornschildchen trugen, aber Haarbälgegruben sehe ich dazwischen nur sehr vereinzelt und unregelmässig vertheilt, ob- gleich es wahrscheinlich ist, dass anfangs jede Platte auch de- ren sechs hatte, wie bei den ächten G/yptodon-Arten.

Der Rand des Panzers ist mit grossen Buckeln oder rauhen Knochenwarzen besetzt, welche einen ebenso geformten Horn- überzug trugen. Ihre Form ist nach den Arten und nach der Körpergegend verschieden; vorn und hinten, wo Kopf und Schwanz aus dem Panzer hervortreten, sind sie stumpf und breit, an den Seiten mehr konisch oder zugespitzt, namentlich an den Schulterecken des Panzers, wo sie die Form langer auf- wärts gebogener Kegel annehmen. An den Bauchseiten schei- nen sie in 2 oder mehreren Reihen über einander zu sitzen so dass die oberste Reihe den Rand des Panzers einnimmt, die folgenden darunter in der Haut sassen und blos als spitze, von Horn bekleidete Warzen daraus hervorragten. Ich finde näm- lich an unserem vollständigen Panzer keine Stelle, wo diese Warzen an ihm selber hätten haften können, und da die Bil- dung ihrer Basis deutlich zeigt, dass sie frei in der Haut sas- sen, so nehme ich an, dass ihre Stellung am Bauch oder viel- leicht auch an den Schenkeln gewesen sein müsse. Nadot

sagt etwas Aehnliches von Schistopleurum; aber ich behaupte Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 2

322 H. Burmeister:

nachweisen zu können, dass auch G/yptodon solche beweg- liche Warzenreihen neben dem Panzerrande besessen haben müsse. &

Als Charakter des ganzen Panzers ist noch erwähnenswerth, dass die Platten auf der Mitte mit dem Alter innig zu einem gemeinsamen Schilde verwachsen, an den Rändern dagegen bis ins hohe Alter hinauf durch Näthe an einander hängen. Daher kommt es, dass die Ränder der gefundenen Panzer fast immer fehlen oder unvollständig zu sein pflegen. Ein ganz unversehr- ter Panzer ist eine grosse Seltenheit, dagegen gehören halbe Panzer aus der Mitte zu den häufigsten Vorkommnissen.

Was die Zahl der Arten betrifft, so bin ich nicht im Stande, nach den ungemein reichen Vorräthen der hiesigen Sammlung mehr als drei Arten aus der Gegend von Buenos Aires fest- zustellen. Die häufigste darunter ist diejenige, welche ich Glyptodon spinicaudus nenne. Sie hat den kurzen konischen Schwanz, dessen Oberfläche mit sechs Ringen grosser kegel- förmiger Warzen bekleidet ist, wozu noch ein siebenter als kurze stumpfe Endspitze hinzukommt. Im ersten quer ellipti- schen Ringe sitzen am hinteren freien Rande 23 Warzen, wo- von die unteren 9 flach sind, ohne Kegelspitzen, welche auch an den oberen klein und niedrig bleiben. Der zweite fast kreis- runde Ring hat 18 Warzen am Hinterrande, der dritte 15, der vierte 11, der fünfte 9, der sechste 7 und der letzte 5, deren untere 2—5 stets flach und kleiner sind, als die oberen, ge- gen die Mitte der Oberseite an Grösse und Länge der Spitze zunehmenden. Der hintere Panzerrand über dem Schwanz trägt 16 runde Warzen von der Grösse eines mässigen Apfels, alle ohne Kegelspitze, der vordere Kopfrand 10 oder vielleicht 12; die Seitenränder sind nicht vollzählig erhalten. Die Pan- zerplatten haben eine sehr rauhe, feilenartige Oberfläche der Täfelchen, von denen das mittlere am ganzen Umfange des Panzers sehr viel grösser ist, als die seitlichen. Je mehr nach der Mitte hinauf, desto kleiner wird es im Vergleich mit den Randtäfelchen der Platten, bis zuletzt auf der ganzen Mitte des Rückens, beide gleich gross werden, das mittlere Täfel- chen sich nicht mehr von den Randtäfelehen im Ansehen un-

terscheiden lässt.

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 323

Diese Art ist die kleinste, der Rücken des Panzers unseres Individuums misst in der Krümmung 5'/, Fuss, der Schwanz nicht ganz 2 Fuss. Sie findet sich besonders im Süden der Provinz. s

Einen eigenen Panzer kleiner Platten trägt der Kopf auf der Oberfläche, vom Nacken bis zum Nasenrücken und seit- wärts bis zu den Augen hinab; aber er ist nicht vollständig erhalten, daher ich ihn nicht weiter beschreiben kann.

Auch die Haut der Backen und der Beine war mit Kno- chenwarzen versehen, von denen sich mehrere Tausend in der Umgebung des Panzers vorfanden , ohne dass es möglich war, ihre Stellung gegen einander sicher anzugeben. Sie sind sehr ungleich in Form und Grösse, einige länglich, andere eckig, mitunter sogar sternförmig.

Von der zweiten Art, die ich für Glyptodon clavipes halte, liegt mir ein unvollständiger Panzer nebst vier Schwanzpanzern vor. Sie ist grösser, als die vorige, namentlich länglicher, ge- streckter, und der Schwanz ist viel länger, mit cylindrischer Spitze, Die Panzerplatten sind einzeln grösser und haben ein nach Verhältniss grösseres mittleres Täfelchen. Ihre Ober- fläche ist nicht rauh und scharf, sondern glatthöckerig uneben, indem die Unebenheiten keine spitze zackige , sondern eine langgezogene gratförmige (Gestalt haben und lange nicht so hoch sind. Die grossen Randhöcker sind auch grösser, weniger rauh und auf der Mitte mit einer flachen konischen Spitze ver- sehen. Neben ihnen zieht sich am äussersten Umfange ein eigenthümlicher dicker halbrunder, auf der Oberfläche rauten- förmig getäfelter Saum hin, der der vorigen Art fehlt.

Der Schwanz hat am Grunde mehrere (wie viele, weiss ich nicht, wahrscheinlich aber sechs) bewegliche Ringe, die ein- zeln aus 2 Plattenreihen bestehen, wie die der vorigen Art; aber die Randplatten sind fach, mit einer mittleren elliptischen Tafel. Die cylindrische, 1'!/, Fuss lange Endspitze ist anfangs etwas dicker, winkelig, dem ersten dickeren Theile des mit Ringen bekleideten Schwanzes sich anschliessend, dann leicht aufwärts gebogen und am Ende zugerundet; ihre Oberfläche hat grosse elliptische Tafeln, zwischen denen in einfacher

a1

324 H. Burmeister:

Reihe andere kleinere eckige Täfelchen sich hinziehen. In den Winkeln der Furchen dazwischen sieht man kleine Haarbälge- grübchen. An den Seiten liegt eine Reihe nach hinten grösse- rer Tafeln, von denen die zwei letzten grössten die Seiten der Schwanzspitze einnehmen. Die Tafeln zunächst neben ihnen sind mehr oder weniger kreisrund.

Die dritte Art, @!I. tuberculatus, S. Schistopleurum, ist an der abweichenden Sculptur der Panzerplatten leicht zu erken- nen; sie ist die grösste von allen, denn die im Museum vor- handene vollständige Schwanzspitze ist 32 Zoll lang und durch- gehends 6 Zoll breit. Vor ihr bekleideten den Schwanz eben- falls bewegliche Ringe, welche auf jeder Platte eine grosse mittlere Ellipse tragen, deren Fläche strahlig runzelig ist und in der Mitte sich höckerartig erhebt. Eben solche Ellipsen sieht man auf dem Endtheil des’ Schwanzes am Grunde wie an den Seiten. Dort bilden sie 2 Querreihen hinter einander mit 8 ungleichen Ellipsen in jeder Reihe, hier 2—3 Längsreihen, von denen die mittlere aus 4 sehr grossen Ellipsen besteht, welche nach hinten immer grösser werden, bis auch hier das letzte Paar an den Seiten der stumpfen Spitze auftritt. Der Umfang des Schwanzes ist anfangs dreh-, dann flachrund und seine Richtung leicht aufwärts gebogen, wie bei der vorigen Art. Zu Gl. tuberculatus gehört das Stück des Schwanzpanzers, welches schon Weiss in seiner Abhandlung abbilden liess; es ist von einem grösseren Individuum, als unsere Spitze. Aber das Museum besitzt noch eine doppelt so grosse von wahrhaft kolossalen Dimensionen, deren Panzerdicke über 3 Zoll beträgt; und deren letzte Rosette neben der Spitze beinahe 1 Fuss lang ist, während die der vollständigen Schwanzspitze nur 5 Zoll misst. Zwischen den elliptischen Rosetten ist die ganze Ober- fläche des Schwanzes ebenso fein getäfelt, wie die des Rücken- panzers. Die Art ist selten und bis jetzt noch nicht in ganz vollständigen Exemplaren aufgefunden.

Owen hat ausser dem Gl. clavipes und Gl. tuberculatus noch 2 Arten unterschieden, welche er G/. ornatus und Gl. re- ticulatus nennt. Die erstere möchte die hier als Gl. spinicau- dus aufgeführte Art sein können, worüber indessen nur die noch

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 395

nicht bekannte Form des Schwanzes derselben entscheiden kann; die zweite, welche keine Rosette, sondern blos netzartige Furchen auf der Oberfläche einer jeden Panzerplatte hat, ist ohne Zweifel auf die Rückenschilder des @l. fuberculutus ge- gründet und mit ihm identisch.

Dr. Lund unterscheidet 3 Arten Hoplophorus, nämlich H. euphractus, H. Sellowii und H. minor, jene beiden vielleicht identisch mit @!. elavıpes und G!. spinicaudus, diese dritte ent- schieden viel kleiner als jede von beiden, also offenbar davon verschieden. Zu Chlamydotherium zieht er 2 Arten, Chl. Hum- boldtii von der Grösse des Tapir und Chl. gigas von der des Rhinoceros. Beide sind mir bei Buenos Aires noch nicht vor- gekommen.

Vom Knochengerüst des G/yptodon war bisher nur der Schädel, der Schwanz und ein Theil der Extremitäten bekannt, bis kürzlich Huxley auch die Wirbelsäule und das Becken be- schrieben hat. Aber sein Skelett ist so lückenhaft, dass es nicht auffallen kann, auch in der Beschreibung auf Lücken zu stössen. Unser Museum besitzt nicht blos ein ganz vollständi- ges Skelett, dessen photographische Abbildung beiliegt, sondern auch mehrere einzelne Skelettheile von 5 verschiedenen Indi- viduen, welche zum Theil deutliche Artunterschiede der beiden oben geschilderten Species zu erkennen geben; auch am Skelett drückt sich der gedrungene kürzere Bau des G/. spinicaudus neben dem gestreckteren des @/. clavipes klar aus.

Der Schädel, nur von G/. spinicaudus vollständig erhalten, ist auffallend kurz und der Unterkiefer ganz enorm hoch; ich kenne kein Säugethier, das sich in der Höhe des aufsteigenden Astes des Unterkiefers mit G/yptodon messen könnte. Nase, Stirn, Scheitel und Hinterhaupt liegen fast genau in derselben Ebene und sind zusammen 11 Zoll lang, bei 5!/, Zoll Breite zwischen den Augenhöhlen. Bei der Ansicht von oben fällt die kurze breite Nasengegend sehr auf, wenn man an die lang ausgezogene Figur von Dasypus denkt. Daher kommt es, dass der Unterkiefer beträchtlich über den Rand des Oberkiefers nach vorn hervorragt. Offenbar hat das Thier einen sehr star- ken Nasenknorpel gehabt, wie es eine breite, zum Aufwühlen

326 H. Burmeister:

des Bodens geeignete Nase verlangt; denn eine solche kann mit Bestimmtheit aus der Form der vordersten Partie des Schädels gefolgert werden. Wie weit die Nasenbeine reichten und welche Form sie hatten, lässt sich nicht angeben, da alle Kopfnäthe verschwunden sind. Man weiss also eben so wenig genau, wie Stirnbein und Scheitelbein, wie Zwischen- und Ober- kiefer gestaltet waren ; auch das Jochbein ist nirgends durch eine Nathspur selbstständig angedeutet. Die Augenhöhlen sind nach hinten geöffnet, aber durch eine stumpfe Orbitalecke, von der eine geschwungene Leiste herabsteigt, von der Schläfen- grube gesondert. Ihre Form ist völlig kreisrund. Mitten im vorderen Rande zeigt sich das ziemlich grosse Foramen lacry- male und unter demselben, im breiten Jochbogen, das grosse, senkrecht ovale Foramen infraorbitale. Darunter steigt der Joch- bogen mit einem starken Aste senkrecht herunter und liegt da- mit seitwärts neben dem Unterkiefer, wie die Ansicht des Schä- dels von hinten deutlich macht. Die hintere Partie des Schä- dels ist ungemein klein, sehr flach und der senkrechte Theil des Hinterhauptes auffallend niedrig. Das Foramen oceipitale hat eine querovale Form und wird an jeder Seite vom Condy- lus oceipitalis überragt. Die sehr geringe Grösse der Hirnhöhle zeigt ein ganz stumpfsinniges Geschöpf an, besonders wenn man den enormen Umfang der Mundhöhle und des Kieferappa- rates dagegen in Anschlag bringt. Der Unterkiefer ist im ho- rizontalen Theile sehr dick, im senkrechten breit aber dünn; beide sondern sich durch eine tiefe Bucht am Hinterrande von einander. Der Winkel, unter dem sie sich vereinen, ist kleiner als ein rechter, wenn man die Mittellinie beider Aeste für die Schenkel des Winkels nimmt. Vorn erweitert sich der Unter- kiefer mit waschkannenförmiger Spitze. Der Kronenfortsatz ist klein, aber der Gelenkfortsatz hoch, in die Breite ausgezogen, mit schiefgestellter Gelenkfläche an der Vorderseite, welche an die ebenso gestellte der Endecke des Jochbogens sich anlehnt. In allen diesen Punkten weicht G/ypfodon von den Eigenschaf- ten der lebenden Dasypus auffallend ab. Dagegen erinnert die schmale und lange Form der Gaumenfläche an die lebende Gat-

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 327

tung, obgleich die hoch herabsteigende Entwickelung des Al- veolarrandes davon ganz verschieden ist.

Den Zahnbau bespreche ich nicht, da er durch Owen’s Beschreibung zur Genüge bekannt ist. G/yptodon hat 8 Zähne an jeder Seite in jedem Kiefer und jeder Zahn ist aus 3 mit einander in der Mitte verbundenen rautenförmigen Prismen zu- sammengesetzt. Die vordersten Ränder sind schmäler und die Rauten schief gegen einander gestellt, die hinteren Zähne brei- ter und ihre Rauten genau opponirt. Der Unterschied im Zahn- typus von @!. spinicaudus und @l. clavipes drückt sich deut- lich in der Form der Rauten aus, welche bei jener Art aus- wärts gebogene Seiten haben, bei dieser ganz gerade, oder leicht einwärts gebogene. Daher sind die Kanten der Zähne von Gl. spinicaudus stumpfer als die von @/. clavipes, und die Rauten jenes dicker, dieses schlanker. Dr. Lund hat in seiner zweiten Abhandlung, Taf. 35. Fig 4, den vordersten, Fig. 2 und 3 den hintersten Zahn einer Art abgebildet, die in der Rautenform von beiden mir vorliegenden Zahntypen verschieden ist, mehr aber mit @/. clavipes, als mit @/. spinicaudus Aehn- lichkeit zeigt. Beide Zähne sind aus der linken Zahnreihe des Oberkiefers, die des Unterkiefers haben etwas schwächere Rau- ten und breitere Furchen dazwischen.

Im Halse hat G/yptodon sieben Wirbel, wie es bei den Säugethieren Regel ist, aber nur am Anfange und Ende Be- weglichkeit; er ist kurz aber breit geformt und nur 5 Zoll lang. Der Atlas ist gross, stark und völlig beweglich; seine Seiten gehen in breite, schief nach hinten aufsteigende Flügel aus. Der Epistropheus ist mit den vier folgenden Wirbeln innig in einen ungetheilten Knochen verwachsen; vier runde Löcher an jeder Seite zeigen die Grenzen der einzelnen Wirbel an. Da- neben geht ein gemeinsamer dieker, knieförmig nach hinten gebogener Querfortsatz aus, und über den verwachsenen Bogen erhebt sich ein anfangs niedriger, nach hinten aufsteigender, am Ende dreizackiger Kamm. Vorn hat dieser Knochen drei Gelenkflächen, die an den Atlas stossen; die mittlere ist höcker- artig gewölbt und stellt den Zahnfortsatz vor. Das Alles sieht man deutlich in der Figur, die Dr. Lund in der zweiten Ab-

328 H. Burmeister:

handlung, Taf. 35. Fig. 1, davon gegeben hat.

Der siebente Wirbel ist frei, aber ein so feiner zarter Kno- chen, dass ich mich darüber nicht genug wundern kann, ihn so vollständig erhalten zu finden. Er gleicht einem einzelnen der hinteren 4 mit dem Epistropheus verwachsenen Wirbel in Grösse und Gestalt, hat wie jene keinen Körper, sondern nur eine dünne untere Wand und einen kleinen Querfortsatz an je- der Seite. Seine Länge beträgt, wie die jener, in der Mitte der Unterfläche nur einen halben Zoll.

Die Wirbelsäule ist offenbar der merkwürdigste Theil des Skeletts von Glyptodon, denn sie besteht nicht, wie bei den anderen Säugethieren, aus einer Reihe von Wirbelkörpern mit Bogen, Quer- und Dornfortsätzen, sondern aus einem dün- nen, sanft nach der Krümmung des Rückens gebogenen Kno- chenrohr, das auf der oberen Seite mit drei erhabenen Leisten versehen ist. Dieses Rohr wird von vorn nach hinten enger aber höher, und danach richtet sich auch die Form der drei Leisten auf seiner gewölbten Aussenseitee Das ganze Rohr zerfällt durch Gelenkung in 3 Abschnitte.

Der erste oder kleinste Abschnitt ist auf der oberen Seite 4 Zoll, auf der unteren nur 2!/, Zoll lang und in der Mitte bis 7 Zoll breit; er besteht aus drei Wirbeln, von denen der erste klein und kurz ist, die beiden folgenden aber viel grösser sind, wie sich aus der Lage der Löcher an den Seiten zum Austritt der Spinalnerven ergiebt. An der Seite des zweiten Wirbels sitzt ein dicker, absteigender Proc. transversus, und auf dem gemeinsamen Bogen erhebt sich nach hinten ein noch dickerer, vorwärts gebogener Proc. spinosus. Hinter dem Proc. transver- sus jeder Seite zeigt sich die Gelenkgrube für das dritte Rip- penpaar; da zweite sitzt am Querfortsatz nach aussen und das erste ebendaran nach vorn. Mit dem nachfolgenden Stück der Wirbelsäule ist dieses erste Stück durch eine sehr bewegliche Gelenkung verbunden und auf dieselbe Weise auch mit dem siebenten Halswirbel; es kann auf diese Art sowohl ziemlich weit nach vorn vorgeschoben, als auch nach hinten mit dem vorderen Theile zurückgebogen worden, in Folge welcher Ein- richtung der Kopf dieselbe Bewegung mitmacht und im erste-

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 329

ren Falle aus dem Panzer heraustritt, im zweiten in die vor- dere ÖOeffnung desselben sich einklemmt und sie schliesst. Eben diese Bewegung machen die lebenden Tatus beständig, als passive Vertheidigung, wenn sie angegriffen werden.

Huxley, der diesen Knochen als trivertebrate bone be- schreibt, nimmt an, dass er die Respirationsbewegung des Tho- rax bilden helfe, weil die Rippen des Thieres nicht beweglich seien, allein ich kann diese Ansicht nicht theilen; die Rippen sind in der That beweglich und die Inspiration wie Exspiration hat keine Schwierigkeiten durch Bewegung der letzteren in ihren Gelenkgruben, wie bei allen Säugethieren, obgleich eine drehende Bewegung ihnen allerdings nicht gestattet ist, wie die Form der »förmigen Gelenkgruben lehrt.

Das zweite Stück der Wirbelsäule ist ein gebogenes Rohr von 17 Zoll Länge in der Krümmung gemessen, das vorn breit und flach ist und nach hinten immer schmäler aber auch höher wird. Es hat drei hohe Leisten auf der nach aussen liegenden gewölbten Seite, die vorn niedrig anfangen und hinten hoch enden. An den beiden äusseren Leisten sitzen aber neben der Kante nach aussen die Gelenkgruben für die Rippen, sie stel- len also die Proc. transversi vor, die mittlere dritte den Proc. spinosus. Zehn runde Löcher an jeder Seite des Rohres etwas über seiner Mitte nach oben zeigen an, dass dieser Theil der Wirbelsäule aus eilf Wirbeln verwachsen ist. Die untere Seite des Rohres ist ohne alle Spur von Wirbelkörpern.und nicht dieker, als mässige Pappe.

Der dritte Abschnitt schliesst sich an das hintere Ende die- ses zweiten nicht durch Gelenkung, sondern durch eine Knor- pelschicht (Synchondrosis). Zu dem Ende erweitern sich die Ränder am Umfange und stossen mit etwa 2 Linien breiten Flächen an einander. Der darauf folgende Abschnitt ist eben- falls ein einfaches Knochenrohr, das nach hinten etwas breiter wird und ohne Grenze in das Os sacrum übergeht. Seine Sei- ten haben sechs (bei @!/. clavipes) oder sieben (bei @/. spi- nicaudus) grosse, meistens ovale Löcher zum Austritt der Ner- ven, das Rohr besteht also aus eben so vielen Wirbeln. Statt der drei Leisten des vorigen Abschnitts hat dieser Theil nur

330 H. Burmeister:

einen mittleren hohen Kamm und vorn 2 kurze Ohren, welche sich an die Seitenleisten des vorigen Abschnitts anschliessen und mit ihnen zusammen die Gelenkgrube für das letzte Rip- penpaar bilden. Gl. spinicaudus hat also 3+ 11 Rückenwirbel, d.h. 14, und 7 Lendenwirbel, mithin auch 14 Rippenpaare. Von @!. clavipes kann ich blos die Lendenwirbel zu sechs an- geben, und ebenso den ersten dreiwirbeligen Knochen bei ihm nachweisen; das mittlere Stück der Wirbelsäule dieser Art habe ich noch nicht unversehrt gesehen, obgleich mir Reste von 3 Individuen durch die Hände gegangen sind.

Ein anderer höchst merkwürdiger Theil des Knochengerüstes ist das Becken; es hat den grössten Umfang von allen Kno- chen, denn auf ihm ruht die ganze Last des Panzers. Zu dem Ende erhebt sich das Darmbein mit einem hohen Kamm nach vorn, dessen breiter Rand zackig ist, mit Lücken zur Aufnahme der Knorpelsubstanz, welche die elastische Verbindung mit dem Panzer bewirkt. Diese hohen Darmbeine stehen senkrecht ge- gen die Achse der Wirbelsäule und bilden mit ihr ein Kreuz, dessen Ansatzstelle auf der inneren Seite des Panzers in ähn- licher Form sich zu erkennen giebt. In dem ganzen Skelett fehlt leider die Mitte dieses Kreuzes, aber an einem anderen Exemplar der Sammlung ist es vorhanden, wie ich es in der Photographie von vorn angedeutet habe. Bis zum Acetabulum steigen die Darmbeine senkrecht herunter und enden, wie be- kannt, in dessen Höhlung. Schambein und Sitzbein laufen geneigt nach hinten abwärts und sind sehr ungleich. Jenes beginnt als ganz dünner Griffel, vom Umfange eines starken Bleistifts, und verbindet sich später mit dem Sitzbein nach hin- ten in einer breiten Fläche. Wie die Symphysis beschaffen war, weiss ich leider nicht, denn die fehlt an allen unseren Skeletten; aber nach der Anlage des Schambeins zu urtheilen, kann sie nur schwach gewesen sein. Das Sitzbein ist dagegen ganz enorm entwickelt und erhebt sich, wie das Darmbein, mit einem hohen senkrechten Flügel nach oben, dessen dicker Rand ebenfalls in Zacken mit Lücken dazwischen ausgeht, um sich durch elastische Zwischensubstanz an den Panzer zu heften und ihn tragen zu helfen. Nach unten ist das Sitzbein in 'eine

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u.s. w. 331

dünne Fläche erweitert, deren Rand sich etwas mehr nach hin- ten zu verdickt.

Wir haben in der Sammlung von Buenos Aires Reste von 5 Becken, unter denen sich die beiden Arten &/. clavipes und GI. spinicaudus deutlich an der verschiedenen Form der einzelnen Theile nachweisen lassen. Besonders ist die Gegend des Sitz- beines vom Acetabulum abwärts charakteristisch und wie das ganze Becken viel schlanker und gestreckter bei G/. clavipes als bei GI. spinicaudns. FErsteres hat nur sechs Lendenwirbel gehabt, aber vielleicht mehr als 14 Rippen tragende Rücken- wirbel.

Mit diesem höchst umfangreichen Becken ist das ebenfalls sehr grosse Kreuzbein innig verwachsen. Es besteht aus neun grossen Wirbeln,, die von vorn nach hinten allmählig länger werden, aber sich einzeln nur an den Löchern für die Spinalnerven unterscheiden lassen. Die 3 ersten Wirbel sind kurz, sie verwachsen mit dem Darmbein und gehen ohne Un- terbrechung nach vorn in die Lendenwirbel über, mit ihnen den Längsast des Kreuzes bildend, das den Panzer trägt. Dar- auf folgen 5 lange dünne Wirbel, welche zusammen einen Bo- gen beschreiben, einen hohen Kamm bilden, aber nicht mit dem Becken direct sich verbinden. Dies thut dagegen der letzte kräftigste Wirbel, indem er zwei breite wagerechte Querfortsätze abgiebt, die sich an die innere Seite des Sitzbeins begeben und mit ihm verwachsen. Ein dünner, nach hinten gerichteter Quer- fortsatz des vorhergehenden achten Wirbels verbindet sich mit dem breiten Querfortsatze des neunten in der Mitte.

Die Schwanzwirbel sind sehr gross und stark, besonders im Körper, hängen aber nur durch Knorpelsubstanz zusammen. Sie haben breite Querfortsätze und niedrige Dornfortsätze, die durch hohe schiefe Fortsätze an einander stossen. Unten tra- gen sie kräftige sogenannte Hämapophysen. Ihre Zahl ist ver- schieden nach den Arten; Glyptodon spinicaudus hat 10, wovon 3 noch mit unter dem Rumpfpanzer stecken, die anderen 7 den 7 Schwanzringen entsprechen. Die Anzahl der Wirbel im Schwanz von G/. clavipes ist mindestens 13, wenn nicht gar 15, wie ich Grund habe anzunehmen. Bei Gl. tuberculatus,

332 H. Burmeister:

der den längsten Schwanz besitzt, möchte sie sich bis auf 17 oder 18 Wirbel steigern.

Die Zahl der Rippenpaare ist bei Gl. spinicaudus 14, davon dürften 8 wahre, 6 falsche sein. Sie sind am Anfange sehr dünn und flach und haben einen breiteren, aber nicht dickeren Kopf, der nach vorn und hinten in einen Gelenkhöcker ausgeht, welche durch einen Ausbucht des Randes getrennt sind. Nach unten zu werden sie dicker und zuletzt völlig dreh- rund. Ihre Verbindung mit dem Brustbein geschieht durch starke sehr kräftige Sternocostalknochen, von denen ich aber nur 5 Paare vor mir habe. Ebenso fehlen alle Reste des Brust- beines und die Schlüsselbeine ; auch die ersten und letzten - Rippenpaare sind verloren gegangen.

Eine sehr besondere Form hat wieder das Schulterblatt; es ist eine breite, verschoben rautenförmige Platte, die einen vor- deren abgerundeten Rand hat und nach hinten in eine lange Spitze ausgezogen ist. Auf der vorderen Hälfte dieser Platte. erhebt sich ein niedriger Kamm, der nach unten immer höher wird und zuletzt in ein sehr grosses, flaches, hakenförmig nach innen gekrümmtes Akromion ausgeht. Die Gelenkfläche hat keinen besonders grossen Umfang und wenig vortretende Rän- der; neben ihr sitzt nach innen am Vorderrande der kurze dicke Proc. coracoideus.

Arm- und Beinknochen, besonders aber die letzteren, sind von kräftigem Bau und eigenthümlicher Form, die aus den Ab- bildungen besser als aus der Beschreibung erkannt wird. Ra- dius und Ulna bleiben getrennt, sind aber so gestaltet und so fest an einander gefügt, dass Pronation,. und Supination unmög- lich wird. Tibia und Fibula hängen oben wie unten zusam- men und bilden einen einzigen höchst merkwürdig geformten Knochen. - ;

Die Hand hat drei vollständige Finger und einen unarti- culirten Daumen. An der Handwurzel befinden sich sieben Knöchelchen, indem das Os hamatum (s. unciforme) fehlt. Be- sonders merkwürdig ist das Os pisiforme, als ein breiter, ohr- förmiger Knochen , der mit einer Gelenkfläche an die Ulna stösst. Der Metacarpus des Daumens ist klein, und nach unten

Bemerkungen über die Arten der Gattung Glyptodon u. s. w. 333

in einen knopfförmigen Fortsatz verlängert. Darüber sitzt, mit- telst einer kleinen Gelenkfläche, das Krallenglied unmittelbar, das Fingerglied fehlt. Die 3 Metacarpusknochen des Zeige-, Mittel- und Ringfingers sind sehr gross, aber die darauf folgen- den Fingerglieder sehr kurz. Dagegen erreicht das Krallenglied eine bedeutende Grösse, denn es ist länger, als das Metacarpus und Fingerglied zusammen. Unten an der Basis hat jedes Krallenglied einen starken vorragenden Rand, auf den sich die Hornkralle stützte, und vor ihm liegt auf der Unterseite der Hand ein breites queres Sesambein, das die beiden Fingerglie- der trägt und direct an den Metacarpusknochen stösst. Solcher Sesambeine sind 3 für die 3 Finger vorhanden; dem Daumen, der frei nach vorn vortritt und höher sitzt, als die Finger, fehlt es.

D’Alton und Huxley haben 5 Finger angenommen, was wie gesagt, ein Irrthum ist; das Thier hat nur die beschriebe- nen vier und harmonirt darin mit Praopus 9-cinctus und den übrigen Arten dieser Gruppe.

Der Fuss ist sehr plump gebaut und bereits gut bekannt, daher ich ihn nicht weiter zu besprechen habe; er besitzt fünf Zehen mit grossen breiten hufförmigen Krallen. Auch die Fuss- wurzelknochen und Zehenglieder sind vollzählig da, doch sind die letzteren ganz kurze dünne Platten, zumal das vor dem Krallengliede. Sesambeinchen hat der Fuss zehn, nämlich je „2 für die mittleren Zehen, die auf der unteren Seite des Endes des Metatarsusknochen paarig in divergirender Stellung neben einander sitzen, und ausserdem ein unpaares für die zweite bis fünfte Zehe, das unter dem zweiten Zehengliede vor dem Kral- lengliede liegt. Endlich ist in der Mitte des Vorderfusses noch ein grosser freiliegender Sehnenknochen vorhanden, der eine so merkwürdige Form hat, dass man ihn ohne genaue Abbildun- gen nicht gut beschreiben kann. Ich behalte mir das für die Zukunft vor, wenn ich die ausführliche Monographie der Gat- tung Glyptodon, woran ich arbeite, an’s Licht treten lasse.

334 H. Burmeister:

Erklärung der Abbildungen. Taf. VII.

Fig. 1. Panzer des Glyptodon spinicaudus B. Ansicht von hinten. Fig. 2. Skelett des Glyptodon spinicaudus, von vorn gesehen. Fig. 3. Skelett des Giyptodon spinicaudus, Seitenansicht.

Fig. 4. Schädel des Glyptodon spinicaudus, von oben gesehen. Fig. 5. Derselbe Schädel, von hinten gesehen.

Taf. VIII. A.

Fig. 6. Vorderfuss des Glyptodon spinicaudus: a Os naviculare, b Os lunatum, c Os triquetrum, d Os pisiforme, e Os capitatum, f Os multangulum minus, g Os multangulum majus, h'—h? Ossa metacarpea digitorum.

Fig. 7. Hinterfuss des Glyptodon spinicaudus : a Calcaneus, b aan c Os navieulare, d Os cuboideum, e,f,g Ossa ceuneiformia,

—h? Ossa metatarsi dieitorum.

Hautpanzer bei Mylodon. Nach Beobachtungen von

Dr. H. BURMEISTER,

Director des Museo publico de Buenos Aires.

Während meines letzten einmonatlichen Ausflugs nach dem Süden der Provinz, in die Umgegend des Rio Salado, hatte ich Gelegenheit, eine bisher unbekannte Art der Gattung Mylo- don aufzufinden und an ihr, was mehr Werth hat, als die Ent” deckung einer neuen Species, auch den Hautpanzer wahrzu- nehmen, mit welchem sie im Leben bekleidet gewesen ist. Da das von mir gefundene Individuum nicht vollständig war, so kann ich es noch nicht, in allen seinen Organen mit Mylodon robustus vergleichen, aber die Zähne des Unterkiefers beweisen klar, dass die Species sowohl von M. robustus, als auch von M. Darwini verschieden ist. Neben beiden existirt im Museum zu Buenos Aires noch eine dritte, so dass mit Mylodon Harlani gegenwärtig fünf Species sich sicher unterscheiden lassen. Hierüber werde ich mich später weiter auslassen, für jetzt will ich nur den Hautpanzer dieser neuen Art, die ich Hylodon gra-

Hautpanzer bei Mylodon. 335

cilis nenne, weil sie in allen Theilen kleiner und zierlicher ge- baut ist, als M. robustus, kurz beschreiben.

Derselbe besteht aus einer Anzahl verschieden geformter, mehr oder weniger rautenförmiger, trapezoidaler oder unregel- mässig elliptischer Knochenstückchen von durchschnittlich '/, bis '/, Zoll, selten 1 Zoll Länge und etwas weniger Breite, de- ren Oberfläche nach aussen, vom Körper abwärts, sanft gewölbt und mit kleinen rundlichen Grübchen von etwa 1—1'/, Linien Durchmesser besetzt ist, während die untere Seite gegen den Körper zu, sich gegen die Mitte hin sanft erhebt und eine Art Höcker oder Kiel bildet. Von den Rändern ist die eine Seite des Umfanges stets mehr zugeschärft, als die andere, damit dieser schärfere Rand sich etwas unter den stumpferen der be- nachbarten Stückchen schieben kann. In dieser Stellung liegen sie, fast wie Pflastersteine, neben einander offenbar auf die Art, dass der überragende Rand nach unten gegen die Bauchseite des Thieres, der bedeckte nach oben gegen den Rücken, oder dieser nach vorn gegen den Kopf, jener nach hinten gegen den Schwanz des Thieres gerichtet war. Da ihre Grösse so sehr ungleich ist, bilden sie zusammen ein völlig unregelmässiges Tafelwerk, wie die ungleichen Stücke eines Mosaikbildes. Es kommen selbst ganz kleine runde von der Grösse eines Hasen- schrotkorns vor, und diese liegen dann in den Ecken dreier benachbarter grösserer, die hier eine Lücke liessen. Das Ganze nimmt sich wie die nebenstehende Skizze aus.

Durch diese interessante Entdeckung ist es also ent- schieden, dass wenigstens Mylodon einen Hautpanzer hatte und darum seine An- wesenheit auch bei Mega- therium, Scelidotherium u. Megalonyz höchst wahr- scheinlich. Vielleicht hat Blainville, der dem Me- galherium so bestimmt einen Panzer zuspricht (Comptes rendus etc., 1839 p. 65), schon ähnliche Hautknochen desselben vor

336 C. B. Reichert: Ueber ein Schädel-Fragment des Glyptodon.

sich gehabt. Dass dergleichen vorhanden waren, möchte ich gegenwärtig nicht mehr bezweifeln.

Die beschriebenen Knöchelchen lagen übrigens ursprünglich nicht auf der Haut, sondern in der Haut selbst, etwa wie die ähnlichen, aber viel grösseren der Krokodile.

Ueber ein Schädel-Fragment des G/yptodon. Von C. B. Reıcnerr.

(Aus dem Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 19. Mai 1863.)

Zu der von Burmeister aufgestellten Ansicht, dass die Nasen- Partie des Obergesichtes beim G/yptodon in den Weichtheilen vorherr- schend entwickelt und auch sehr beweglich gewesen sein müsse, bin ich ebenfalls durch Untersuchung eines Schädel-Fragments gelangt, welches das anatomische Museum zu Berlin im Jahre 1863 erworben hatte. Die Ergebnisse meiner Untersuchung sind in den gedruckten Sitzungsberichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin in folgender Weise niedergelegt: ,

Das Schädel-Fragment besteht: aus dem vorderen Theile der Stirn- beine, mit welchen höchst wahrscheinlich die in einer Art Spina na- salis hervortretenden rudimentären Nasenbeine verwachsen sind ; aus den beiden Oberkiefern, welche mit den Stirnbeinen die weite Nasen- öffnung vollständig begrenzen, und deren starker Jochfortsatz von dem auffallend grossen Foramen infraorbitale durchsetzt wird; endlich aus den Jochbeinen mit ihrem 1?/2 Zoll breiten, quer Sestellten, im seit- wärts gekrümmten Bogen tief herabsteigenden Fortsatze, an dessen hinterer Fläche die Gruben für den Ansatz des Masseter, an der vor- deren Vertiefungen und rauhe Erhabenheiten für den Ansatz kräftiger Muskeln des Obergesichtes sichtbar sind. Der Zwischenkiefer ist, nach Beschafienheit des Randes der Apertura pyriformis zu urtheilen, nicht vorhanden gewesen; namentlich fehlt es an Raum für denselben zwi- schen den Alveolarfortsätzen der Oberkiefer, die in der Mittellinie nahe an einander stossen. Auch den Thränenbeinchen ist keine Stelle anzuweisen. Die weite knöcherne Nasenhöhle bildet demnach nur einen kurzen Abschnitt des frei an der Schädelkapsel hervortretenden Obergesichts. Dagegen muss aus der weiten Apertura pyriformis, aus dem grossen Foramen infraorbitale und aus den Muskel-Ansatzstellen am absteigenden Fortsatze des Jochbeines geschlossen werden, dass das Obergesicht in seinen Weichtheilen stark entwickelt, sehr reich an Gefühlsnerven und an Muskeln gewesen sei. Desgleichen leitet die mangelhafte Beschaffenheit der Zwischenkiefergegend, die bei der Aus- bildung der Oberlippe wesentlich betheiligt ist, so wie die grosse Ap. pyriformis darauf hin, dass die bezeichneten Weichgebilde im Ober- gesicht des Glyptodon nicht auf die Oberlippe, sondern auf die Nasen- gegend und, nach den bekannten Bildungsgesetzen des Obergesichts in normalen und pathologischen Fällen, auf eine Rüsselbildung bezo- gen werden müssen.

F. Bidder: Ueber die Unterschiede in den Beziehungen u. s. w. 337

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts zu verschiedenen Abtheilungen des Ner-

vensystems.

Von

F. BiDDEr in Dorpat.

Der gefälligen Vermittelung des Herrn Dr. E. Pelikan in St. Petersburg verdanke ich eine Quantität Curare, die mir Ver- anlassung gab, die für die Physiologie des Nervensystems so bedeutungsvollen Wirkungen dieses merkwürdigen Gifts einer erneuerten Prüfung zu unterwerfen. Ich habe diese Untersu- chungen mit Herrn Dr. Böhlendorff unternommen, der in seiner Inauguralschrift ausführlicher darüber berichten wird, glaube jedoch an diesem Orte einige Punkte hervorheben zu müssen, die bei der voraussichtlich steigenden Verwendung die- ses Mittels zu physiologischen und therapeutischen Zwecken der näheren Beachtung besonders werth scheinen.

Zur Charakteristik des von mir angewendeten Präparates muss ich vorausschicken , dass ich eine wässerige Lösung des- selben bereitete, in der auf 1 Gr. destillirten Wassers 0,01 Gr. Curare-berechnet wurden. Da bei der sofort erfolgenden Auf- lösung der spröden olivenfarbenen Masse nur ein ganz unbe- deutender Rückstand übrig blieb, so hatte ich es also mit einer 1°/, Solution zu thun. Um möglichst genau abzumessende Mengen dieser Flüssigkeit in eine geöffnete Vene oder eine Hautwunde eines Thieres einzuführen, wurde dieselbe -in eine Pipette aufgehängt, die bis auf 0,01 Ce. calibrirt war, und an

deren Oeffnung der frei- heraustretende Inhalt Tropfen bildete, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 22

338 F, Bidder:

von denen jeder genau .0,05 Ce. entsprach. 1 Cc. der Flüssig- keit enthielt also 20 Tropfen, und jeder Tropfen 0,0005 Grm. Curare. Doch liessen sich mittelst der Pipette auch geringere Quantitäten der Lösung mit nur 0,0001 Grm. des Giftes in An- wendung bringen, und durch Vermischung eines Tropfens mit neuen Mengen destillirten Wassers beliebige Verdünnungen der ersten Solution herbeiführen. Ein Tropfen der letzteren unter die Rückenhaut eines Frosches gebracht, bewirkte gewöhnlich in 10 Minuten völliges Erlöschen aller Muskelactionen an Kopf, Rumpf und Extremitäten, so dass er durchaus regungslos dalag. Eben so rasch wirkten zwei Tropfen in den leeren Magen von Fröschen eingeführt, die seit mehreren Monaten in der Gefan- genschaft gehalten worden waren. Ein grosses kräftiges Kanin- chen wurde durch vier Tropfen, die aus der Pipette in die, ge- öffnete Jugularvene eingebracht wurden, fast augenblicklich in denselben Zustand versetzt, und bei Application von sechs Tro- pfen mit 0,003 Grm. Curare in eine Hautwunde genügten 3—5 Minuten, die gleichen Folgen zu entwickeln. Mit Gaben wie die oben bezeichneten wurden daher die meisten Versuche, die den folgenden Bemerkungen zu Grunde liegen, ausgeführt. In- dessen zeigte es sich, dass auch weit geringere Gaben von nur 0,00002 Grm. oder !/,, Mgrm. hinreichten, einen Frosch inner- halb 20—30 Minuten in dem bezeichneten Grade zu vergiften. Es unterlag daher keinem Zwreifel, dass das von mir benutzte Präparat die höchste bisher beobachtete Grenze der Wirksam- keit dieses Giftes vollkommen erreichte. Hinzufügen muss ich noch, dass alle Versuche bei der gewöhnlichen FR is ratur von 13—15° R. angestellt wurden.

Den bisherigen Erfahrungen über die durch Curare bewirkte Lähmung sämmtlicher cerebrospinalen motorischen Nerven (mit Einschluss der Nerven der Lymphherzen, deren Stillstand das erste auffallende Vergiftungssymptom zu sein pflegt), über den Beginn dieser Wirkung in den intramusculären Nervenendigun- gen und über das trotzdem unveränderte Contractionsvermö- gen der Muskeln bei directer Reizung derselben, über die un- versehrte Leitungsfähigkeit sensibler Nerven und die unzwei- deutig sich erhaltende Reflexfunetion des Rückenmarks, finde

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 339

ich zum Zwecke der vorliegenden Mittheilung nichts Wesent- liches hinzuzufügen. Dagegen muss ich der Angabe, dass mit den bewegungerzeugenden auch die bewegunghemmenden Wir- kungen der Nerven aufgehoben seien, dass namentlich der Va- gus seinen hemmenden Einfluss auf’s Herz eingebüsst habe, auf’s Bestimmteste widersprechen. Bekanntlich sind über die- sen Punkt der Curarevergiftung ganz entgegengesetzte Erfah- rungen bekannt gemacht worden. Während Bernard (Lecons sur les efiets des substances toxiques, Paris 1857, p. 348, 352,

375) aufs Entschiedenste behauptet, dass nach Eintritt der Cu- rarevergiftung der Nervus vagus seinen hemmenden Einfluss auf’s Herz verloren habe, während Kölliker (Virchow’s Ar- chiv, Band X., S. 11, 17, 39, 73, und Medic. Centr. - Zeitung, 1858, Nr. 558) in eben so unzweideutiger Weise den Vagus in seiner Einwirkung auf’s Herz gelähmt sein lässt, und die Va- gusramificationen im Herzen als unzweifelhaft todt bezeichnet, während Heidenhain (allg. medic. Centralzeit., 1850, Nr. 64) in gleichem Sinne sich äussert, und auch Funke (Lehrbuch der Physiologie, 4. Aufl., S. 959) und Goltz (Virchow’s Ar- chiv, Bd. XXVI., S. 24) dieser Ansicht folgen, hat dagegen v. Bezold (Centralzeitung 1855, Nr. 49 und 59) die fortge- hende Wirksamkeit der zum Herzen gehenden Vagusfasern auf- recht erhalten, und haben Vulpian (Gazette medic. de Paris, 1858, Nr. 27, p. 429) und Meissner (Zeitschr. für rat. Med. 3. Reihe, Bd. Vl., S. 506) nach gelegentlichen Beobachtungen, ersterer übrigens „dans un grand nombre des cas“ das Fortbe- stehen der Hemmungswirkungen des Vagus behauptet.

Diesen letzteren Angaben muss auch ich mich anschlies- sen. Ich finde, dass bei Fröschen, Kaninchen und Hunden, wenn das Curare bereits alle willkürlichen und automatischen (Athmungsorgane, Lymphherzen) vom cerebrospinalen Ner- vensystem abhängigen Bewegungen beseitigt hat, wenn kein Nervenstamm selbst bei kräftigster galvanischer Reizung mit- telst des du Bois-Reymond’schen Schlittens auch nur die geringste Spur von Contraction in den zugehörigen Mus- keln hervorzurufen vermag, der Schlag des ungestört fort- arbeitenden Herzens sogleich geändert, verlangsamt, oder gar

22*

340 F, Bidder:

zum vollkommensten diastolischen Stillstand gebracht wird, so- bald beide Vagusnerven, oder auch nur ein einziger, elektrisch gereizt werden. Dieser Erfolg ist ein so constanter, dass in der nicht geringen Zahl von Versuchen, die dem so eben ge- thanen Ausspruch zu Grunde liegen, er bei Säugethieren kein einziges Mal vermisst wurde, und wenn er bei Fröschen mit- unter ausblieb, so lag dies ohne Zweifel nur daran, dass die Präparation des Nerven nicht ohne Zerrung und Quetschung erfolgt war, wodurch seine Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit aufgehoben wurde. Der Stillstand des Herzens bei Vagusrei- zung dauert auch bei vergifteten Thieren bis 1 Minute und darüber, und macht einer sofortigen Wiederkehr der Schläge in ihrem früheren oder gar beschleunigtem Rhythmus Platz, so- bald die Irritation des Nerven unterbrochen wird. Wenn ich ferner hinzufügen kann, dass auch bei vergifteten Thieren nach Durchschneidung der beiden Vagi die Frequenz der Herzschläge in mehr oder weniger auffallender Weise gesteigert wird!), so kann ich nicht anstehen zu behaupten, dass in der Wirkung des Vagus auf's Herz kein Unterschied zwischen vergifteten und gesunden Thieren besteht.

Bezold hebt jedoch einen Unterschied in der Wirkung verschiedener Dosen Curare hervor, indem dieses Gift bei ge- ringen Gaben zwar die Herznerven und ihre Centralorgane un- verändert lassen, in grösseren Gaben aber ihre Thätigkeit er- höhen, und in noch grösseren sämmtliche Nerven lähmen soll, so zwar, dass die Lähmung des Vagus früher eintrete, als die der excitirenden sympathischen Fasern. Obgleich auch ich bei grösseren Dosen einen Einfluss des Pfeilgifts auf den Vagus zugeben muss, kann ich doch nicht umhin, in Bezug auf die mitgetheilten Versuche v. Bezold’s (Untersuchungen über die

1) Dies gilt für Frösche ebensowohl, als für Säugethiere, und ich muss in dieser Beziehung den Angaben von Funke (a.a. 0. S. 523) durchaus beistimmen. In den Fällen, die wegen muthmaasslicher Quetschung des Nerven die hemmende Wirkung nach der Vergiftung nicht mehr wahrnehmen liessen, war die Frequenz der Herzschläge in der Regel in unverkennbarer Weise gesteigert, mitunter selbst bis auf 80 in einer Minute,

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 341

Innervation des Herzens, Leipzig 1863, S. 315, 318 u. and.) zu . bemerken, dass die Frequenz der Herzschläge jedesmal, wenn _ auch nur vorübergehend, gesteigert wird, sobald durch die Vena jugularis irgend ein fremdartiger Stoff in’s Herz eingeführt wird. Abgesehen von etwa mit eindringenden Luftblasen, deren Ein- wirkung auf den Herzschlag bei solchen Experimenten .oft ge- nug in sehr störender Weise sich geltend macht, thut auch ein- faches Wasser dasselbe, namentlich wenn es vor der Injection nicht auf die Temperatur des Versuchsthieres gebracht worden war. Die innere Herzfläche scheint eine ausserordentliche Em- pfindlichkeit gegen derartige Berührungen zu besitzen, so dass durch dieselben die Bewegungscentra im Herzfleisch zu augen- blicklich vermehrter Action bestimmt werden können. In Be” zold’s Versuchen Nr. 132 und 135 kann ich daher die ver- mehrte Zahl der Herzschläge und den momentan gesteigerten aber sofort wieder herabsinkenden Druck in den Arterien von einer specifischen Wirkung des in die Vene eingeführten Giftes keineswegs herleiten, ja gerade die von Bezold hervorgeho- bene Flüchtigkeit der erwähnten Erscheinungen spricht gegen ihre Beziehung zu den in die Blutmasse eingeführten und wie weiter unten gezeigt werden wird nur langsam dieselbe verlassenden Gifte. Was aber die Wirkungslosigkeit des Vagus “nach Beibringung grösserer Gaben Curare betrifft, so muss ich bekennen, dass ich in den bezüglichen Experimenten Bezold’s einen unzweideutigen Beweis dafür nicht finden kann! Denn bei der unausbleiblichen Schwäche und Erschöpfung des durch mehrfache operative Eingriffe (Bloslegen des Halsmarkes, Blos- legen und Durchschneiden beider N. vagi und sympathici, Anlegen einer Trachealfistel, Einbringen eines Manometers in die Carotis, Einbinden einer Canüle in die Vena jugularis) misshandelten Versuchsthieres, und bei der im Verhältniss zum entblössten Rückenmark rascheren Abkühlung des freigelegten Vagus, könnte das Erlahmen des letzteren ebensowohl hiervon als von der zweiten Dosis Pfeilgift hergeleitet werden. Ueber- dies tritt der Unterschied „geringer“ und „grösserer“ Gaben in den Versuchen Bezold’s nicht mit überzeugender Bestimmt- heit hervor. Bezold scheint nämlich überhaupt nur mit sehr

349 F. Bidder:

bedeutenden Mengen Gift seine Versuchsthiere (Kaninchen) in den von ihm beabsichtigten Zustand der Muskelruhe gebracht zu haben. Denn die von ihm als „äusserst geringe“ bezeich- neten Gaben, „die eben ausreichen, die Endigungen der Nerven in den willkürlichen Muskeln zu lähmen, ohne einen irgendwie erheblichen Einfluss auf eines der Nervensysteme des Herzens auszuüben“ (a. a. O. S. 315), bestanden in 0,02 Grm. Curare in 1 Ce. Wasser (8. 192) oder in 2 Ce. dieser 2°/, Pfeilgiftlösung (S. 195) oder gar in 4 Ce. derselben (S. 199), so dass also 20, 40—80 Mgrm. Curare subcutan applieirt wurden. Die „grös- seren Gaben Gift* bestanden aber in 2 oder 3 Üc. einer ver- dünnten Pfeilgiftlösung von 2 Grm. in 100 Grm. Wasser (8. 315 und 316), wodurch also 40—60 Mgrm. Curare direct in die Vena jugularis eingeführt wurden. Der Unterschied ist also nicht in der absoluten Menge des angewendeten Gifts, sondern nur in der Verschiedenheit der Applicationsstellen zu suchen. Nun wirkt allerdings bei direeter Einführung in’s Blut das Gift weit rascher, fast augenblicklich, während bei subeutaner Appli- cation einige Minuten bis zum Eintritt der Lähmungserschei- nungen vergehen. Wenn indessen bei einem Kaninchen, wie ich bereits bemerkte, 2—4 Msrm., unter die Haut gebracht, vollkommen ausreichen, alle charakteristischen Erscheinungen der Curarevergiftung herbeizuführen (dasselbe fand auch Bern- stein inReichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1864, S. 641), so müsste man die Application von 20—80 Mgrm. doch unbedenklich eine „grössere Dosis“ nennen. Ich finde daher eine Erklärung für Bezold’s Angaben nur in der Vermuthung, dass das von ihm in Anwendung gezogene Präparat ungleich weniger wirksam war, als das von anderen Beobachtern ge- brauchte Gift.

‘Was meine eigenen in der fraglichen Beziehung gemachten Erfahrungen betrifft, so habe ich bei Fröschen nach Anwendung von 4 Mgrm., also nach einer 200 Mal stärkeren Dosis, als zum Hervorrufen aller charakteristischen Vergiftungssysteme er- forderlich ist, den Vagus doch noch seinen Einfluss auf’s Herz behalten sehen, ja sogar 24 Stunden nach der Vergiftung, wäh- rend welcher Zeit das regungslose Thier in einer „feuchten

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 343

Kammer“ aufbewahrt worden war, hatte das Herz seine rhyth- mischen Pulsationen nicht eingebüsst, und konnte die hemmende Einwirkung des Vagus constatirt werden. Auch 8 Mgrm. brin- gen noch nicht ein sofortiges Erlahmen des Vagus zu Wege. Bei Application von 15—20 Mgrm. aber hat gleichzeitig mit dem Erlahmen sämmtlicher Rumpf- und Extremitätenmuskeln auch der Vagus seinen Einfluss auf das Herz eingebüsst. Bei so ausserordentlicher Menge des in’s Blut eingeführten Giftes werden nämlich auch die Nervenstämme sofort ergriffen; ja dies geschieht selbst dann, wenn ihre peripherischen Enden vor dem Einflusse des Giftes völlig geschützt werden. Es ergiebt sich dies aus dem Verhalten des Ischiadieus in Froschschenkeln, welche mit Ausschluss der Nerven unmittelbar oberhalb des Kniees mit einer Ligatur en bloc umschnürt wurden, so dass zwar der ganze oberhalb der Ligatur gelegene Theil des Ner- ven von dem vergifteten Blute umspült wurde, der Unterschen- kel und Fuss aber von dem Gifte frei blieben, wie auch schon Kölliker (a. a. 0. S. 47) gethan hat. Galvanische Reizung des Ischiadicus oberhalb solcher Unterbindung, sowohl am Ober- schenkel wie am Plexus ischiadicus, vermochte keine Zuckung mehr in den Muskeln hervorzurufen, während unterhalb der Ligatur jede Irritation des Nervenstammes oder seiner beiden Hauptäste durch die kräftigsten Muskelzusammenziehungen be- antwortet wurde. Dass nun bei solchem Ergriffensein sämmt- licher Stämme des cerebrospinalen Systems auch der Vagus seine Wirkung auf’s Herz eingebüsst hat, ist nicht befremdlich ; um so auffallender aber musste es erscheinen, dass es hierbei einen Zeitpunkt giebt, in welchem zwar von dem Vagusstamme aus Stillstand des Herzens nicht mehr erzielt werden kann, weiter gegen die Peripherie hin jedoch die Rami cardiaci sich noch wirksam erweisen. Aehnliches hat schon Heidenhain angegeben, indem er bei vergifteten Fröschen den pulsirenden Theil der Hohlvene elektrisch reizte, und dabei unter allen Um- ständen den „gewohnten“ Herzstillstand eintreten sah. Dies ist mir nicht gelungen, dürfte .wohl auch nur auf Stromschleifen zu beziehen sein, die über die Hohlvenen und den Hohlvenen- sinus hinausgreifen. Wenn ich dagegen nach Durchschneidung

344 F. Bidder:

beider Aortenbogen die Basis des Herzens nach vorne zurück- schlug, und die dadurch zugänglich gemachten zur hinteren ‘Wand der Arterien herablaufenden Ramicardiaci galvanisch reizte, liess sich das Herz doch zu Ruhe bringen. Die letzten Enden der Herzzweige des Vagus blieben also noch reizbar zu einer Zeit, wo der Stamm desselben Nerven dem Gifte bereits erle- gen, und die Enden aller anderen Muskelnerven des cerebro- spinalen Systems bereits ertödtet waren. In den Endigungen der Rami cardiacıi des Vagus müssen also andere Verhältnisse obwalten, als an den Enden anderer Muskelnerven. Während ferner auch das Herz selbst den eingeführten grossen Dosen des Giftes gegenüber anfangs noch seine rhythmischen Actionen zu behaupten vermag, ist es nach ein Paar Stunden doch eben- falls zum Stillstande gebracht, so dass es bei directer Reizung zwar noch eine einmalige Contraction darbietet, seinen regel- mässigen Puls aber nicht mehr fortzusetzen vermag.') Auch

1) Indessen sind mir doch auch Fälle vorgekommen, wo die Ver- hältnisse sich anders gestalteten; beispielsweise führe ich folgende Beobachtung an. Einem Frosch wurden 26 Merm. Curare subcutan beigebracht, und zwar in der Weise, dass dicht an der Spitze _des Steissbeins ein kleiner Einstich in die Haut gemacht, und das Stück- chen Curare in dem grossen Lymphraum des Rückens bis an den Kopf des Thieres nach vorne geschoben wurde, wo es sich sehr bald auflöste, und wobei das Thier in einer Lage erhalten wurde, die das Ausfliessen der Giftlösung durch die Wunde nach aussen verhütete. Die bekannten Vergiftungssymptome traten alsbald ein, aber nach 32 Stunden war der Capillarkreislauf in der Schwimmhaut noch recht lebhaft, und machte das blosgelegte Herz noch 42 Contraetionen in der Minute, während freilich nunmehr die Galvanisirung nicht allein der Ischiadici, sondern auch der Vagi keine Wirkung erzeugte. Ich kann ferner nicht unbemerkt lassen, dass in diesem Falle wie in allen anderen, wo darauf geachtet wurde, unter den Erfolgen der Cu- rarevergiftung auch eine auffallende Dunkelung der Körperoberfläche eintrat. Bei Thieren, deren Haut an der Rückenfläche von Kopf, Brust und Extremitäten hellbraun erschien, stellte sich bald nach der Vergiftung, um so eher und intensiver, je stärker die beigebrachte Dosis war, eine schwarzbraune Färbung ein, bald die ganze Rücken- fläche einnehmend, bald stellenweise erscheinend , nicht selten auch den Ort und die Intensität wechselnd. Mit vollständig eingetretenem Tode wurden indessen diese Stellen wieder aufgehellt und kehrten

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 345

das Centrum der den automatischen Herzbewegungen dienen- den Nerven wird also von so grossen Gaben Gift endlich ange- griffen, während das Herzfleisch selbst sein an Contrac- tionsvermögen noch bewahrt.

Aehnlich wie bei den Fröschen verhält sich der Nervus va- gus gegen das Curare auch bei Säugern, namentlich bei jungen Hunden und Katzen ; Kaninchen standen mir nur in sehr be- schränkter Zahl zu Gebote. 2 Mgrm. Curare in die Vene eines Hundes von etwa 2,5 Kgrm. Körpergewicht injieirt, genügten, alle Merkmale der Curarevergiftung fast augenblicklich hervor-. zurufen. Aber selbst wenn 8 Mgrm. Gift direct in’s Blut ein- geführt wurden, und unmittelbar darauf angebrachte galvanische Reizung des Ischiadieus keine Zuckung mehr in den betreffen- den Muskeln hervorrief, wenn daher schon eine Curarevergif- tung höheren Grades vorlag, war dennoch selbst bis 40 Minuten nach dem Erlöschen der Respiration die hemmende Einwirkung des Vagus auf’s Herz in der unzweideutigsten Weise zu erken- nen. Dasselbe zeigte sich bei jungen Kätzchen. Wurden aber den letzteren etwa 20 Mgrm. Gift subcutan applieirt, so hatte bei künstlicher Unterhaltung der Respiration durch eine Tra- chealfistel und bei kräftigsten Pulsationen des blosgelegten Her- zens, der Vagus doch allen Einfluss auf dasselbe verloren. Es kann nach solchen Erfahrungen nicht zweifelhaft sein, dass die Widersprüche, die hinsichtlich der Wirkung des Curare auf die Herzzweige zu Tage getreten sind, in der verschiedenen Dosis und Qualität des angewandten Giftes ihre Erklärung finden, und es wird künftighin bei Versuchen über diese Substanz Al- lem zuvor erst festgestellt werden müssen, welche Minimaldose die charakteristischen Vergiftungssymptome hervorzurufen ver- mag, weil nur hierdurch ein Urtheil darüber gewonnen werden kann, welche Gabe eine „grössere“ zu nennen sei.

Aber noch in anderer Beziehung macht es einen erheblichen

zu ihrer ursprünglichen Farbe zurück. Ohne Zweifel ist dieser Far- benwechsel ein Ausdruck einer durch das Curare bewirkten Aende- rung in der Contractilität gewisser Lagen der Pigmentzellen der Haut. An der Bauchfläche der Versuchsthiere habe ich einen ähnlichen Far- benwechsel nicht bemerkt.

346 F. Bidder:

Unterschied, ob man ein Thier mit grossen oder kleinen Gaben Curare vergiftet. Denn analog den von Kölliker (a. a. O. 8. 15) angeführten Erfahrungen habe auch ich mich öfters davon überzeugt, dass Frösche, die durch Gaben von !/„—!/s; Mgrm. in wenigen Minuten zu völliger Regungslosigkeit gebracht wa- ren, so dass der Capillarkreislauf in der Schwimmhaut das ein- zige sichtbare Zeichen fortdauernden Lebens war, nach 48 Stun- den auf Reizung sensibler Nerven doch wieder zu reagiren be- gannen, nach drei Tagen die Willensherrschaft über ihre Mus- keln wiedererlangt hatten und zu anscheinend ganz ungestörtem Wohlsein zurückgekehrt waren. Nach Beibringung grösserer Dosen des Giftes, namentlich von 0,0005 Grm. an, scheint da- gegen der Tod ganz unvermeidlich zu sein, so dass nach 48 bis 96 Stunden der Capillarkreislauf sichtlich schwächer wird, endlich stille steht, und dann auch das Herz leblos angetröffen wird. Diesen verschiedenen Erfolg glaube ich daher leiten zu müssen, dass bei kleineren Dosen die Zeit, während welcher die äussere Haut den unentbehrlichen Gasaustausch mit der at- mosphärischen Luft zu unterhalten vermochte, auch zur Elimi- nirung des Giftes und damit zur Restituirung der Athembewe- gungen ausreichte. Bei grösseren Dosen dagegen, deren Weg- schaffung mehr Zeit erfordert, hat schon vor Erreichung dieses Zieles der auf die Dauer ungenügende Ersatz der Athembewe- gungen in dem Verhältnisse der Blutgase Veränderungen her- beigeführt, die mit dem Fortgange des Lebens unvereinbar sind. Dasselbe gilt von Säugethieren, wo das Aufhören der Athem- bewegungen und des Gasaustausches mit der Atmosphäre so- fortigen Tod bedingt. Wenn dieses äusserste Ende durch künstlich eingeleitete Respiration eine Zeit lang aufgehalten wird, und wenn die unterdessen fortgehende Cireulation des Blutes u. s. w. das Gift eliminiren konnte was selbstver- ständlich nur bei kleineren Dosen zu erwarten ist —, so kann auch hier mit der Rückkehr der Athembewegungen die Resti- tutio in integrum erfolgen. So stelle ich mir auch den Verlauf der Dinge in dem vielbesprochenen Falle der Waterton’schen Eselin vor (Bernard a.a. ©. S. 270). Die Dosis Gift, welche diesem Thier beigebracht worden war, ist zwar nicht näher be-

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 347

zeichnet; dass sie jedoch eine geringe gewesen, darf mit Sicher- heit daraus entnommen werden , dass ihre Wirkung erst nach 10 Minuten einzutreten begann, und schon nach zweistündiger künstlicher Respiration der Hauptsache nach überwunden war. Auch der Hund, über welchen Zelenski (Virchow’s Archiv, Bd. 24, S. 404, Vers. 16) berichtet, kann zum Beweise dienen, dass die tödtlichen Wirkungen des Curare von der Affeetion der Athemmuskeln bedingt sind. Die Quantität des Giftes, die in diesem Falle zur Anwendung kam, muss ebenfalls nur ge- ring gewesen sein, da die Wirkung desselben erst nach einer halben Stunde begann. Daher hörten willkürliche wie automa- tische Bewegungen auch nicht ganz auf: nach 2'/, Stunden we- delte das Thier noch mit dem Schwanze; nach 3 Stunden wandte es den Kopf mit grosser Begierde zu vorgesetzter Milch hin, späterhin kehrten die Schlingbewegungen wieder, und nach 5 Stunden konnte das Thier wieder herumgehen. Die Athem- muskeln waren zwar auch gestört, aber die Athembewegungen hatten nie ganz cessirt, nur anfallsweise war Athemnoth einge- treten; auch ohne künstliche Hülfe hatte eben daher die Blut- ceirculation sich erhalten, und die Abscheidung des Giftes Statt finden können. Die Möglichkeit vollständiger Eliminirung des Giftes wird auch durch diesen Fall bewiesen ; die Wege, die dieselbe vermitteln, sind freilich noch nachzuweisen.

Das Lurare beschränkt also bei mässiger Gabe seine An- griffe auf die Enden der cerebrospinalen motorischen Nerven, Bleiben nun aber die zum Herzen tretenden Vaguszweige von dem Gifte unbeeinträchtigt, während die motorischen Zweige desselben Nerven, z. B. die zum Oesophagus gehenden ‚®leich allen übrigen cerebrospinalen Muskelnerven gänzlich wirkungs- los gemacht werden, so weist dies unverkennbar darauf hin, dass die Endigungsweise der centrifugalen Vagusfasern im Her- zen eine andere sein müsse als im Oesophagus oder als in al- len anderen von cerebrospinalen Nerven versorgten Muskeln. Und wenn es gegenwärtig als feststehend angesehen werden darf, dass das Pfeilgift zunächst nur die innerhalb der Muskeln liegenden äussersten Enden der Nerven angreift, so ergiebt sich aus dem ungestörten Fortwirken der zum Herzen tretenden

348 F. Bidder:

Vagusfasern, dass sie nicht in Muskeln enden, und dass also die Einwirkung auf das Herzfleisch nicht eine unmittelbare sein könne. Dasselbe ergiebt sich aber auch aus der Wirkungsweise grösserer Dosen Ourare, wenn auch hierbei die Endigungen der Herzzweige des Vagus vor dem Einflusse des Giftes geschützt bleiben zu einer Zeit, wo die Stämme bereits erlahmt sind, so wird man bei Erwägung der Thatsache, dass die Nervenzellen dem Gifte am längsten widerstehen, aus der Immunität der En- den der Rami cardiacı schliessen dürfen, dass sie einem solchen zwar nicht näher definirbaren, aber jedenfalls schützenden Ein- fluss der Zellen nicht fremd sind, oder mit anderen Worten, dass sie in die Ganglien des Herzens eintreten. So gewinnt durch das Studium der Curarewirkungen die schon längst und zwar bereits von Ed. Weber (Handwörterbuch der Physiolo- gie, Bd. III. 2, Leipzig 1846, S. 47) angedeutete, von Volk- mann (Hämodynamik, Leipzig 1850, S. 407) näher entwickelte Ansicht, dass die Vaguswirkung auf’s Herz in einer Einwirkung auf die Zellen der Herzganglien beruhe, eine neue Stütze, wäh- rend andererseits die Budge-Schiff-Moleschott’sche Hypo- these, dass der Vagus der motorische Nerv des Herzens sei, kaum von einem empfindlicheren Einwand getroffen werden konnte, als von dem aus den angedeuteten Erfahrungen abzu- leitenden Satz, dass der Vagus mit dem Herzmuskel direct gar nichts zu schaffen habe. . Nachdem ich die Ueberzeugung von der Immunität der Hemmungsfasern des Vagus gegen das Curare gewonnen hatte, lag es nahe, auch andere Hemmungsnerven auf ihre Beziehun- gen Zu diesem Gifte zu prüfen. Rücksichtlich der Einwirkung des N. splanchnicus auf die peristaltische Bewegung des Darms hat bekanntlich Kölliker (Virchow’s Archiv, Bd. X. S. 20) angegeben, dass nach Einspritzung von Curare in die Jugular- venen von Kaninchen die Elektrisirvung des Rückenmarks nie- mals Stillstand des Darmes hervorzurufen vermochte, dass die Peristaltik vielmehr lebhafter von Statten ging, als man sie sonst sieht, und auch länger als gewöhnlich dauerte. Kölli- ker hat drei solcher Versuche angestellt, auf deren einen er selbst kein grosses Gewicht legt, da das Gift nicht vollständig

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 349

gewirkt zu haben schien. Pflüger (Hemmungsnervensystem, Berlin 1857, S. 72) hat diesen Aussagen sich angeschlossen, und lässt daher beide bis dahin bekannt gewordenen Hemmungs- nerven, den Vagus wie den Splanchnicus, von dem Pfeilgifte gleichmässig ihrer Lebenseigenschaften beraubt werden. Be- denkt man aber, dass bei der Umständlichkeit der zum Erweise einer Hemmung der Darmperistaltik erforderlichen Versuche, die Pflüger ausführlich hervorgehoben hat, Störungen nur allzu leicht sich einschleichen können, so wird man dem nega- tiven Erfolge zweier Experimente ein entscheidendes Gewicht um so weniger beimessen dürfen, wenn die Erwägung analoger Verhältnisse jenes Resultat a priori als zweifelhaft erscheinen lässt. Nachdem daher die hemmende Einwirkung des galvani- sirten Rückenmarks auf die Darmbewegungen bei früheren Er- fahrungen auch mir nicht unbekannt geblieben war, stellte ich dieselben Versuche an vergifteten Thieren an. Ich verfuhr dabei im Wesentlichen in der von Pflüger empfohlenen Weise. An Kaninchen wurde eine Trachealfistel zur erforderlich wer- denden künstlichen Unterhaltung der Respiration angelegt, und durch subcutane Application von Curare die Vergiftung herbei- geführt. Nachdem hierauf durch einen ergiebigen Schnitt den Proc. spinosi entlang die Rückenhaut in erforderlicher Ausdeh- nung gespalten, wurden die Elektroden des durch ein Grove’- sches Element in Thätigkeit gesetzten du Bois-Reymond’- schen Schlittenapparates, nach Einschaltung des Schlüssels, mit je einer Stecknadel verbunden, die durch Staniolblättchen ge- steckt und dicht neben den Proc. spinosi des 5. und 12. Rük- kenwirbels tief in’s Fleisch eingeführt wurden. Dann wurde die Unterleibshöhle in der Linea alba geöffnet, ein hinreichen- des Stück des Dünndarms hervorgezogen, und wenn die peri- staltische Bewegung in vollem Gange war, der Schlüssel geöff- net. War die Curarevergiftung noch nicht vollständig einge- treten, so stellte sich wohl tetanische Zusammenziehung der Gesammtmusculatur des Rumpfes und der Extremitäten ein, zum Beweise, dass der Strom in der That durch’s Rückenmark ging; bald aber hörten diese auf, und es zeigten sich beim Oeffnen des Schlüssels fur leichte Zusammenziehungen der vom

350 F. Bidder:

Strome direct getroffenen Muskeln. Die Wirkung der motori- schen Spinalnerven war somit aufgehoben ; trotzdem bewirkte jedesmaliges Oeffnen des Schlüssels einen momentanen, mitun- ter aber auch bis 20' anhaltenden Stillstand der Darmperistal- tik, der ganz unzweifelhaft ein diastolischer war und mit einem Nachlass der Aetionen zusammenhing. Denn aufgerichtete Darm- schlingen sanken dabei rasch zusammen, verengte Stellen wur- den sichtlich ausgeglichen, das runde Darmrohr collabirte zu. einem platten Bande, und es trat Ruhe ein, die sofort einer er- neuerten und anscheinend verstärkten Bewegung Platz machte, sobald dem galvanischen Strom wiederum der kürzere Weg durch den Schlüssel dargeboten wurde. Ich muss hiernach be- haupten, dass ebensowenig wie die hemmenden Fasern des Va- i gus auch die vom Rückenmark ausgehende hemmende Einwir- kung auf die Darmperistaltik durch Curare alterirt wird, und glaube ebendaher auch hier zu der Annahme berechtigt zu sein, dass die diese Einwirkung vermittelnden und in der Bahn der Nervi splanchniei verlaufenden Nervenfasern nicht unmittelbar in die Darmmusculatur eintreten, sondern zunächst auf die Centra der geordneten Darmbewegungen , die sympathischen Ganglien in Mesenterium oder Darmwand, einwirken.

In Bezug auf das Verhalten des sympathischen Nervensy- stems nach‘ Curarevergiftung stimmen alle Beobachter darin überein, dass der Rhythmus der Herzbewegungen und die Pe- ristaltik des Darmes wenig oder gar nicht alterirt erscheinen. Es müssen also sowohl die Nervencentra, von denen aus diese automatischen Bewegungen bestimmt werden, als auch die von diesen Centren zu den bezüglichen Muskeln verlaufenden Ner- ven von dem Gifte nicht angegriffen werden, und ich kann hinzufügen, dass bei Fröschen, selbst 24 Stunden nach Einfüh- rung von 8 Mgrm. Curare unter die Haut, also nach Beibrin- gung einer Dosis, die 400 Mal grösser war, als die zur Erzeu- gung aller charakteristischen Erscheinungen der Curarevergiftung erforderliche , Herz- und Darmbewegungen ganz in derselben Weise sich äussern wie bei unvergifteten Thieren. Wie die Im- wunität der Nervenzellen in den cerebrospinalen Centren na- mentlich in Reflexbewegungen sich kund giebt, die in solchen

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 351

Muskeln auftreten, von denen der Zufluss vergifteten Blutes fern gehalten wurde, ebenso und noch entschiedener giebt die Fort- dauer der erwähnten automatischen Bewegungen nicht blos die Unversehrtheit der Nervenzellen in den bezüglichen Ganglien, sondern auch der zu den Muskeln hingehenden sympathischen Nervenfasern zu erkennen. Die Endigungsweise dieser Nerven- fasern, gleichviel ob sie in quergestreifte oder glatte Muskeln eintreten, muss also eine andere sein, als die der cerebrospina- len motorischen Fasern, und die ersten Erfahrungen, welche auf diesem bisher ganz unbearbeiteten Gebiete der Histologie ge- macht worden sind (Klebs in Virchow’s Archiv, Bd. 32, S. 183) haben zwar eine vollkommen befriedigende Einsicht in diese Verhältnisse noch nicht gebracht, indessen der Voraus- setzung jener Differenz doch schon empirische Stützen darzu- bieten angefangen.

Bei solcher Uebereinstimmung der über die Actionen des Herzens und Darmkanals gewonnenen Erfahrungen musste die Angabe um so auffallender erscheinen, dass die Iris, an welcher die motorische Einwirkung des Sympathicus sich so entschieden nachweisen lässt, nach der Curare-Vergiftung sich diesem Ein- fluss gänzlich entziehen soll. Kölliker (a. a. O. S.17 u. 75) spricht es wiederholentlich aus, dass der Sympathieus nicht mehr auf die Iris wirke, dass er in seiner Stellung zur Iris ge- lähmt werde; ähnlich äussert sich Zelenski (a. a. ©. 8. 382). Auch diesen Aussprüchen bin ich entgegen zu treten genöthigt und zwar auf Grund folgender Erfahrungen. Wenn als erstes Symptem der beginnenden Curarevergiftung bei Fröschen ganz regelmässig der Stillstand der hinteren Lymphherzen sich .dar- bietet, so ist der Zeitfolge nach das zweite und eben so con- stante Symptom derselben eine Erweiterung der Pupille, so dass, sobald alle von cerebrospinalen Nerven abhängigen Bewe- gungen aufhören, die Iris auf einen schmalen Saum um die weitgeöffnete Pupille reducirt ist. Gleichzeitig hiermit pflegen auch die Augäpfel stärker hervorzutreten. Dieser Zustand er- hält sich unter geringen Schwankungen 24 und mehr Stunden, und erst wenn die vom’ Sympathicus abhängigen Bewegungen nachzulassen beginnen, und das Leben dem Erlöschen nahe ist,

352 F. Bidder:

kehrte auch die Pupille zu ihrer normalen Beschaffenheit und der Bulbus in seine Gleichgewichtslage zurück. Ganz dasselbe _ zeigte sich bei Säugethieren, nur mit dem Unterschiede, dass in Folge des rascheren Eintretens des allgemeinen Todes, also schon nach !/),—?/, Stunde die Stellung der Augen, und der Iris zur völligen Ruhe gelangt. Auch Bernard (a. a. O.S$. 272 u. 274) hat bereits beobachtet, dass bei der Curarevergiftung die anfangs verengte Pupille sich erweiterte und in diesem Zu- stande verharrte, und Kölliker selbst berichtet (a. a. O. S. 17, 18, 19) über Erweiterung der Pupille und Hervortreten des Auges, ohne jedoch diese Erscheinungen, die auch von Peli- kan (Virchow’s Archiv, Bd. XI. S. 406) bemerkt worden sind, näher zu erläutern. Es kann aber wohl kaum einem Zwei- fel unterliegen, dass die Erweiterung der Pupille daher zu leiten ist, dass mit dem Erlöschen der Wirkung der zum Sphincter pupillae gehenden Fasern des N. oculomotorius, der Dilatator pupillae, weil unter dem Einflusse des vom Curare nicht afficirten Sympathicus stehend, das Uebergewicht erlangt. Auch Zelenski (a. a. O. 5. 407) leitet die Pupillenerweiterung nach Curarevergiftung von der „definitiven Schwächung der In- nervation des Oculomotorius* ab. Da der Oculomotorius aber auch den Musc. retractor oder suspensorius bulbi der Thiere versorgt, so muss der Curarevergiftung auch ein Nachlass in der Wirkung dieses Muskels folgen, und der Bulbus ebendaher hervortreten. Inwiefern nach den bekannten Erfahrungen von R. Wagner (Neurologische Untersuchungen, Göttingen 1854 8. 152) und Cl. Bernard (Gazette medic. de Paris, 1853, Nr. 5, p. 71) auch einer mindestens relativ gesteigerten Action des Sympathicus ein Antheil an jener Erscheinung zugeschrie- ben werden dürfe, darüber stehen mir keine eigenen Erfahrun- gen zu Gebote. Dagegen hat sich der Einfluss des Sympathi- cus auf die Iris auch nach der Vergiftung bei unmittelbarer Reizung des Halsstammes auf’s Entschiedenste darthun lassen. Auch diese Versuche wurden an Kaninchen und Hunden vor- genommen. Wenn das in eine Hautwunde eingeführte Gift so weit gewirkt hatte, dass die Thiere ganz regungslos dalagen, dass galvanische Reizung des Ischiadicus keine Zusammen-

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 353

ziehung der zugehörigen Muskeln mehr bewirkte, so hatte die Reizung des Sympathicusstammes am Halse regelmässig eine zunehmende Erweiterung der Pupille zur Folge. Bei Hun- den, wo zugleich mit dem Sympathicus auch der Vagus dem galvanischen. Strome ausgesetzt werden muss, stellte sich, falls nicht der gemeinsame Nervenstamm vorher durchschnitten wor- den war, gleichzeitig mit der Erweiterung der Pupille auch Stillstand des Herzens ein. Die Einwirkung auf die Pupille erhielt sich selbst, nachdem die rhythmische Action des Her- zens erloschen, und der hemmende Einfluss des Vagus also nicht mehr nachzuweisen war. In keinem einzigen hierauf ge- richteten Experiment ist der erwähnte Erfolg vermisst worden, so dass ich die völlige Unversehrtheit der zur Iris gehenden sympathischen Fasern bei der Curarevergiftung auf’s Bestimm- teste behaupten muss. In der Iris bieten also die Enden des Oculomotorius dem Gifte die erforderlichen Angriffspunkte dar, die Enden des Sympathicus dagegen nicht, und es stellt sich somit der histologischen Forschung die Aufgabe die anatomi- schen Bedingungen dieses verschiedenen Verhältnisses aufzu- decken. Die einzige bisher in dieser Richtung unternommene Untersuchung von J. Arnold (Virchow’s Archiv, Band 27, S. 360) hat zwar Verschiedenheit der zum Sphinkter und Dila- tator pupillae gehenden Nervenfasern, aber gleiche Beschaffen- heit der terminalen (?) Netze beider angegeben. Auf das Ver- hältniss der Nerven- und Muskeleiemente zu einander ist Ar- nold noch nicht eingegangen, so dass auch dies künftigen Un- tersuchungen vorbehalten bleibt.

Auch als vasomotorischen Nerven hat man den Sympathicus dem lähmenden Einflusse des Curare erliegen lassen. So be- richtet Bernard (a. a. OÖ. p. 349 u. 350), dass bei vergifteten Kaninchen die Durchschneidung des zum Kopf ansteigenden Fadens nicht mehr die bekannte Temperaturerhöhung hervor- bringe, so wenig als Reizung der zur Submaxillardrüse gehen- den Nerven die Speichelabsonderung befördere.. In ähnlicher Weise spricht sich Kölliker aus. Zwar äusserte er (a. a. OÖ. S. 12), dass die glatten Muskeln der Gefässe vom Urari nicht

angegriffen werden, obgleich dies noch nicht einer genaueren Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 23

354 F. Bidder:

Untersuchung unterzogen sei; dagegen heisst es an anderen Stellen (S. 10 u. 11), dass bei Fröschen nach eingetretener Lähmung die Hautgefässe oft deutlich erweitert, und nament- lich die Schwimmhäute sehr blutreich gefunden werden ; dass bei Säugethieren Leber, Lunge, Nieren meist hyperämisch sind (S. 17), dass das Auge stark thräne und .immer nass bleibe, dass in der Trachea sich reichlicher Schleim bilde und starkes Schleimrasseln erzeuge, dass allerdings die Speichelsecretion gering und der derselben vorstehende Nerv gelähmt sei (5. 20), dass die Nieren dagegen sehr viel secerniren und der Harn „von selbst“ abfliesse (S. 19). Hierin findet Kölliker (S. 22) den untrüglichen Beweis, dass das Pfeilgift auch die Nerven der vegetativen Sphäre lähme, dass es also alle Nerven ohne Ausnahme und somit auch die Gefässnerven lähme, dass es da- her ähnlich wie die Durchschneidung des Sympathicus wirke. Zum Theil im Anschluss an diese Beobachtungen von Bernard und Kölliker, zum Theil aber auch auf eigene an Hunden gemachte Erfahrungen fussend spricht auch Zelenski (a. a. ©. S. 408, 426 u. 427) von einer vermehrten Absonderung der Thränen, der Speicheldrüsen, des Pankreas und der Nieren. Im Gegensatz zu Kölliker leitet aber Zelenski diese Secretions- vermehrung von einem der Erschlaffung vorangehenden Erre- gungszustand sowohl des gesammten Nervensystems wie des N. sympathicus ab.

Aber auch mit diesen Aussprüchen kann ich, soweit ich ihre empirischen Grundlagen geprüft habe, mich nicht einver- standen erklären. Was zunächst den Halsstamm des Sympa- thicus in seiner bekannten Einwirkung auf die Gefässe und Temperaturverhältnisse des Ohrs der betroffenen Seite anlangt, so ist dieser Einfluss auch bei vergifteten Thieren in der un- zweideutigsten Weise zu erkennen. Man lege bei weissen Ka- ninchen den Sympathicus am Halse blos, vergifte das Thier durch Application von Curare in die Haut, leite gleichzeitig die künstliche Respiration durch eine Trachealfistel ein, und warte bis nach einigen Minuten die Wirkung des Giftes vollständig eingetreten ist. Wenn die Pupillen sich erweitert und die Bulbi hervorgedrängt haben, werde der Sympathicus auf einer

Ueber dia Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 355

Seite durchschnitten, und augenblicklich-wird man die entspre- chende Pupille sich verengern , die Gefässe des Ohrs der ope- rirten Seite beträchtlich turgesciren, das ganze Ohr sich röthen sehen, und die Temperaturerhöhung bei Vergleichung mit der anderen Seite auf’s Unverkennbarste wahrnehmen. Wird das Kopfende des durchschnittenen Nerven galvanisch gereizt, so tritt ganz wie gewöhnlich mit der Erweiterung der Pupille auch die Verengerung der Öhrgefässe ein, um nach Aufhören der Reizung sofort zu dem früheren Zustande zurückzukehren. Bei künstlicher Fortführung der Respiration erhalten sich Herzschlag und Blutbewegung eine Stunde lang und mehr in voller Leb- haftigkeit, und man kann die Einwirkung der Durchschneidung und Reizung des Sympathicus auf die Gefässe des Ohrs belie- big oft wiederholen, ohne die bezüglichen Erscheinungen sich irgend anders gestalten zu sehen als bei nicht vergifteten Thie- ren. Ich müsste nach meinen Erfahrungen die Angabe Ber- nard’s für ganz unverständlich halten, wenn nicht die Vermu- thung offen bliebe, dass Bernard bei den bezüglichen Versu- chen künstliche Respiration nicht unterhalten habe. Bei dem alsdann allerdings überaus raschen Erlöschen der Bluteircu- lation erfolgte die Durchschneidung des Sympathicus vielleicht zu spät, um eine Aenderung der Gefässfülle herbeiführen zu können. Ebensowenig vermag ich in anderen Körpertheilen eine Lähmung und Erweiterung der Gefässe und dadurch be- dingte grössere Blutfülle<als Wirkung des Curare zuzugeben. Wenn Kölliker die Eingeweide der Brust- und Bauchhöhle, die bei diesen Experimenten gewöhnlich schon vor dem Ein- tritt des Todes blosgelegt werden, „meist“ hyperämisch fand, so wird bei dem Urtheil hierüber die Aufhebung des Druckes der Leibeswandungen auf die Gefässe nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Die Erweiterung aber der Hautgefässe und den Blutreichthum der Schwimmhäute von Fröschen nach Cu- rarevergiftung muss ich nach meinen Erfahrungen ganz in Ab- rede stellen. So lange das Herz nach Einführung des Giftes in ungestörter Weise fortwirkt und das kann selbst in tödtlich endenden Fällen 48—96 Stunden hindurch geschehen 23*

356 F. Bidder:

so lange geht auch der Capillarkreislauf in der Schwimm- haut ganz ungestört von Statten, und ich habe weder in der Breite der Gefässe, noch in der Schnelligkeit der Blutbewegung, noch in dem Mengenverhältniss der Blutkörperchen zum Plasma wesentliche und constante Abweichungen von der Norm bemer- ken können. Wird freilich der Herzschlag schwächer und die Blutbewegung langsamer, dann findet auch eine Anhäufung der Blutkörperchen und eine Röthung der Schwimmhaut statt. Aber dies ist keineswegs ein Symptom von Lähmung der Blutgefässe, sondern lediglich die Folge geschwächter Triebkraft des Her- zens, die im vorliegenden Falle auch nicht als directe Wirkung des Curare, sondern nur als entfernteres Resultat der, wesent- liche Lebensbedingungen vernichtenden , Eigenschaften dieses Giftes angesehen werden darf.

Was die Einwirkung des Curare auf verschiedene Secretio- nen betrifft, so habe ich Nichts bemerken können, was eine vermehrte Thränensecretion bewiese. Ein Ueberfliessen dieser Absonderung über die Augenlidränder habe ich nicht beobach- tet; und wenn bei Kaninchen mitunter die Augen etwas feuch- ter zu sein scheinen, so dürfte dies wohl nur daher zu leiten - sein, dass mit der Lähmung der Augenlider die durch das Blinzeln bewirkte gleichmässige Vertheilung der Thränen über die ganze vordere Fläche des Augapfels, und ihre Ableitung gegen den inneren Augenwinkel und in die Thränenpunkte nicht mit der früheren Regelmässigkeit erfolgte. Ueber Schleimrasseln in der Trachea als Folge der durch Curare vermehrten Secretion habe ich noch weniger zu berichten, da es, wo es etwa bemerkt wurde, nur von den bei Anlegung der Trachealfistel von aussen in die Luftröhre eingetretenen Flüs- sigkeiten abzuleiten war. Eine Aenderung in der Speichel- absonderung ist mir niemals aufgefallen, und ich kann nicht umhin, daran zu erinnern, dass vermehrter Ausfluss aus dem Munde zunächst doch nur auf die durch das Gift gehemmte Schlingbewegung bezogen werden dürfte; über die Erfolglosig- keit der Reizung des Submaxillardrüsennerven habe ich bisher keine Erfahrungen gemacht. Die vermeintliche Steigerung der

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 357

Nierensecretion muss ich dagegen durchaus zurückweisen. Al- lerdings hat Bernard ganz Recht, wenn er (a. a. ©. p. 273 u. 274) bei Aufzählung der Folgen der Öurarevergiftung auch sagt: „l’urine s’echappe de la vessie*, und ebenso Kölliker, wenn er (8. 19) bemerkt, dass der Harn „von selbst“ abfloss. Auch ich habe bei keinem einzigen Versuchsthiere aus der Zahl der Säuger, gleichviel ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, in einem gewissen Stadium der Curarevergiftung das Heraus- treten des Urins vermisst, und ich kann hinzufügen, dass ge- wöhnlich auch Fäcalmassen aus dem After entleert werden. Aber Bernard’s Hinweisung: „les sphincteres se detendirent“ schien mir zur Erklärung der Erscheinung ganz hinreichend. Zur näheren Prüfung derselben habe ich jedoch mehrere Ver- suche an jungen Hunden in folgender Weise angestellt: Die Unterleibshöhle wurde in der Linea alba zwischen Nabel und Schambeinfuge geöffnet, ein Ureter hervorgeholt, in denselben ein in eine feine Spitze ausgezogenes Glasrohr eingebunden und letzteres hierauf mit Wasser gefüllt. Selbst bei dem Druck einer Wassersäule von 0,3 Meter Höhe, bei welchem die Blase sich beträchtlich füllte, trat doch nicht ein einziger Tropfen Flüssigkeit aus der Harnröhre hervor. Nun wurden die Thiere mit Curare vergiftet und zugleich künstliche Respiration einge- leitet. Sobald die Wirkung des Giftes in den bekannten Läh- mungserscheinungen sich aussprach, sank die Wassersäule rasch bis auf 0,150 Meter, unter gleichzeitigem Ausfluss aus der Harnröhrenmündung und unter sichtlicher Zusammenziehung der Blase, so dass letztere schliesslich zu einer kleinen, kaum wallnussgrossen, derben Masse zusammenschrumpfte. Und das geschah, während das Herz kräftig agirte, die Darmperistaltik energisch von Statten ging, die galvanische Reizung des Ischia- dieus und Phrenicus keine Muskelzusammenziehungen mehr bewirkte, Irritation des Vagusstammes am Halse (nebst Sym- pathicus) aber sowohl Stillstand des Herzens als Erweiterung der Pupille hervorrief. Das Ausfliessen des Harns war hiernach nicht anders zu erklären, als durch einen Nachlass in der Thä- tigkeit des Sphinkters, soweit derselbe durch spinale Fasern.

358 F, Bidder:

beherrscht wird, bei gleichzeitigem Fortbestehen der Wirksam- keit des vom sympathischen System aus versorgten Detrusors. Auch im Sphincter vesicae müssen also die vom Rückenmark ausgehenden und dem Willenseinfluss unterworfenen Nerven- fasern diejenige Einrichtung besitzen, welche ihre Enden der Einwirkung des Giftes zugänglich macht, während auch in der Blasenwand die Elemente des Sympathicus dem Gifte die nö- thigen Angriffspunkte nicht darbieten. Die letzterwähnten Ver- suche liefern überdies die vollständige Bestätigung der Hei- denhain’schen Erfahrungen über die Abhängigkeit des Tonus der Sphinkteren von dem Einflus:e der Nerven, und die oben angeführten durchschnittlichen Maasse stimmen ganz wohl über- ein mit den Zahlen, die nach Heidenhain das Verhältniss der beim Verschluss der Harnblase betheiligten elastischen und Muskel-Kräfte ausdrücken.

Nach den im Vorstehenden gegebenen Andeutungen scheint nun über die Wirkungen des Pfeilgifts auf verschiedene Ab- theilungen des Nervensystems ein verständlicheres Gesammtbild entworfen werden zu dürfen, als es aus den früheren Angaben abgeleitet werden konnte. Das Curare lähmt bei mässiger Dosis die Enden aller vom cerebrospinalen System ausgehenden motorischen Nerven, gleichviel ob diese Enden in quergestreif- ten oder glatten Muskeln sich befinden, sowohl in Bezug auf willkürliche als automatische Bewegung. Dagegen werden die von den cerebrospinalen Centren ausgehenden Hemmungsnerven und die zu ihnen tretenden sensiblen Nerven gleich den Cen- tren selbst von dem Gifte unangetastet gelassen. Ebenso wird das ganze sympathische Nervensystem vom Gifte nicht affhcirt. Der Tod nach Curarevergiftung ist lediglich die bald früher, bald später eintretende Folge der Lähmung der Athemmuskeln und des dadurch gestörten Gaswechsels mit der atmosphärischen Luft. Vermag die Hautathmung (Frösche) oder die künstliche Respiration (Säugethiere) die Blutcireulation in Gang zu erhal- ten, bis das in die Säftemasse eingetretene Gift wieder elimi- nirt wurde, so"nehmen die Athemmuskeln ihre rhythmische Thätigkeit wieder auf, und es kehrt vollkommenes Wohlbefin-

Ueber die Unterschiede in den Beziehungen des Pfeilgifts u. s. w. 359

den zurück. Die Menge des beigebrachten Giftes ist für diesen Erfolg bestimmend. Bei grösserer Dosis wird nicht allein die Eliminirung des Giftes unmöglich, sondern auch die Zahl der Punkte, gegen welche es seine Angriffe richtet, wird vermehrt, indem auch die Stämme der cerebrospinalen Nerven dem Gifte erliegen. Am längsten widersteht das sympathische Nervensy- stem; ob die Vergiftung auch hier von den Nervenenden aus- geht, oder ob das Aufhören der unter dem Einflusse dieses Sy- stems stehenden Bewegungen von einer Veränderung der Ner- venstämme oder gar der bezüglichen Ganglien ausgeht, bleibt vorläufig unentschieden.

Dorpat, am 8. Mai 1865.

360 F. Leydig:

Ueber die Annelidengattung Aeolosoma.

Von

Fr. Leyvıc in Tübingen.

(Hierzu Tafel VIII. B.)

Ehrenberg entdeckte auf seiner afrikanischen Reise (1820 bis 1825) in Dongola eine kleine Naide, die er die schönste ihres Geschlechts nannte.!) Sie lebte zwischen Conferven und war im März sehr häufig. Es wurde an Ort und Stelle eine genaue Beschreibung des eleganten Thierchens aufgenommen.

Nach Hause zurückgekehrt, fand genannter Forscher nicht ohne Ueberraschung, dass eine ähnliche, wenn nicht dieselbe Naide auch bei Berlin vorkomme und zwar ebenfalls sehr zahl- reich zwischen Conferven. Er nannte das Genus Aeolosoma und unterschied „non sine dubitatione* die in Dongola beob- achtete Art als Aeolosoma Hemprichü von der bei Berlin ge- fundenen und Aeolosoma decorum bezeichneten Species. Dann lernte er in den Gewässern der Heimath noch eine dritte Art kennen, aber nur in einem einzigen Exemplar; er nannte sie Aeolosoma quaternarium. Natürlich konnten die zu Hause be- obachteten Thiere einem noch sorgfältigeren Studium unterzo- gen werden, und wir verdanken daher dem Entdecker zahl- reiche Angaben über äusseres und inneres Verhalten, sowie über die Lebenserscheinungen.

Nach Ehrenberg gedenkt fast zwanzig Jahre später zum

1) Symbolae physicae. 1828. (Phytozoa, Tab. V. Fig. 2.)

Ueber die Annelidengattung ‚Aeolosoma. 361

erstenmal wieder Oersted in einer mir nicht zugänglichen Zeitschrift!) dieser Wurmgattung. Er scheint eine neue Art ‚als A. Ehrenbergi aufgestellt zu haben.

Ich kenne dieses schöne Würmchen seit 1847, in welchem Jahre ich es im Main und in der Tauber angetroffen habe, Von meinen Beobachtungen veröffentlichte ich nur ein Ergeb- nisse, welches mir von allgemeinerem Interesse schien. Dazumal nämlich zählte man noch zu den charakteristischen Merkmalen eines Anneliden, dass die Haut flimmerlos sei; bei Aeolosoma aber sah ich, „dass die Haut des Kopfes?) bis zur Mundöffnung hin einen Wimperbesatz hat.“

Im Herbst 1864 untersuchte ich diese Naide von Neuem, und erlaube mir hier davon zu sprechen, da die Kenntniss über das genannte Thier noch nicht als völlig abgeschlossen angese- hen werden kann.

Die Art, welche ich zu beobachten fand, muss ich für Aeo- losoma quaternarium Ehrbg. halten. Es ist dieselbe wohl die kleinste und zarteste unserer Naiden, so dass sie mit freiem Auge eben noch unterschieden werden kann, nachdem man sie aber zuvor mit der Lupe erblickt hat.

Ich traf sie in dem Schmutz, welcher die Steine der ge- nannten Flüsse überzieht, in Gesellschaft von Anguillulen, Was-

1) Kroyer's Tidskıft. Bd. IV. (1844.)

2) Zeitschrift f. wiss. Zool, Bd. III., 1851, S. 323, Anmerkung. Ebenso hatte ich im Winter 1850 eine kleine Nereis beobachtet, welche am Kopf und allen Leibesringen, mit Ausnahme der Fussstummeln und der gegliederten Fortsätze, wimperte. Quatrefages sah wimpernde Kopfsegel bei Polyophthalmus (1850). Max Schultze bemerkte Wim- pern an den Kopfeirrhen und anderen Anhängen bei Spio (1853). Endlich reihte ich diesen Beispielen von Flimmerung auf der Körper- oberfläche von Anneliden später noch eine kleine Serpula an (Archiv f. Anat. u. Phys., 1854, S. 313), die an einzelnen Stellen Wimper- kränze der äusseren Haut zeigte. Keine dieser Beobachtungen scheint zur Kenntniss des Verfassers einer im Jahre 1860 erschienenen Sy- nopsis des, Thierreiches gekommen zu sein, indem es dort mit fetter Schrift heisst: „Annulata, Ringelwürmer, nie mit Flimmerwim- pern auf der Oberfläche.“

362 F. Leydig:

serbären, Stentoren, Rotatorien, vereinzelten Lynceiden, Cyclo- piden und zahlreichen Dipterenlarven. Zwar scheint dort das Thierchen in grösster Menge zu leben, aber es ist nicht ganz leicht, dasselbe isolirt zu bekommen. Ich schabte von den Steinen Partieen der Schmutzhülle ab und durchsuchte sie mit geringer Vergrösserung. Dabei kann man die Thiere dennoch sehr leicht übersehen, da sie sich gerne in dem Schlamme ver- steckt halten und blos mit dem Kopfende hervortasten. Viel- leicht, dass das Würmchen, wie Saenuris, in Röhren lebt, wo- für mir auch zu sprechen scheint, dass das völlig isolirte Thier in seinen Bewegungen etwas Eckiges an sich hat.

Unser Annelid (vergl. Fig. 1) ist von cylindrischer Gestalt, das Kopfende breiter, als das Hinterleibsende. Ausser dem rundlichen Kopflappen zähle ich 9 Hauptsegmente oder Ringel.

Die Borsten sind sehr zart, haarfein und deutlich in jedem Ringel in vier Bündel geordnet, so dass zwei davon der Bauch- seite angehören und zwei dem Rücken. Die Bündel am Rücken bestehen aus weniger Borsten als die am Bauch. Die Einzel- borsten werden gegen die Magengegend oder Mitte des Leibes am längsten und verkürzen sich allmählig wieder gegen das Hinterleibsende zu.

An der äusseren Haut unterscheidet man die Cuticula und deren Matrix. In letzterer liegen orangerothe oder richtiger weinrothe Fetttropfen, welche unserem Thierchen ein so ge- geschmücktes Aussehen verleihen. In der Spitze des Kopflap- pens beginnen sie mit einigen noch farblosen Tropfen, dann nehmen sie genannte Farbe in hellerer und dunklerer Abstu- fung an und sind am übrigen Theile des Kopfes, namentlich an der Bauchseite, hinter der Mundspalte gehäuft, ebenso an der Schwanzspitze.

Ehrenberg lässt, wenn ich ihn recht verstehe, die orange- rothen Kugeln durch das ganze Innere des Thieres sich er- strecken; ich sah sie nur in der Haut. Aber richtig schon ver- gleicht sie der genannte Forscher den gefärbten Oelkugeln der Cyclopen und Entomostraceen. Diese Gebilde sind in Tro- schel’s Handbuch der Zoologie zur Diagnose von Aeolosoma als „rothe Wärzchen“ bezeichnet, welche den Körper besetzen,

Ueber die Annelidengattung Aeolosoma. 363

was mir anzudeuten scheint, dass der Verfasser das Thierchen nicht selber gesehen hat.

Dass die äussere Haut am Kopfe flimmert, wurde, wie schon erwähnt, zuerst von mir gezeigt. Ich kann jetzt im Nä- heren hinzubemerken, dass die Wimperung nur auf der Bauch- seite des Kopflappens zugegen ist und sich von der Mundhöhle heraus verbreitet. Die Rückenseite des Kopflappens wimpert so wenig mehr als die übrige Körperoberfläche. Hingegen ste- hen hier wie bei vielen anderen verwandten Würmern längere und kürzere unbewegliche Borsten (Tastborsten); am Kopf- und Schwanzende sind sie am zahlreichsten.

Gleichwie nun schon die äussere Haut eine wesentlich gleiche Zusammensetzung mit jener der übrigen Lumbrieinen hat, so ergiebt die weitere Untersuchung, dass auch sonst unser Thierchen trotz seiner winzigen Gestalt mit anderen Naiden übereinstimmend gebaut ist. Nur wird eben wegen der ausser- ordentlichen Kleinheit, selbst bei Anwendung starker Vergrös- serungen das Vorhandensein gewisser Organe zum Theil nur schwierig erkannt. So habe ich den Hautmuskelschlauch blos nach Gebrauch von Reagentien mir zur sicheren Anschauung bringen können.

Auch vom Nervensystem habe ich nur das Gehirn oder die obere Portion des Schlundringes gesehen (vergl. Fig. 2). Es liegt im Kopflappen und hat, von oben betrachtet, unverkennbar einen paarigen Charakter. Das Bauchmark, welches gewiss nicht fehlt, mir vorzuführen, gelang nicht.

Die Mundöffnung hat die gewöhnliche Lage und ist sehr beweglich; erscheint daher bald als Querspalte, bald rundlich oval erweitert, bald gebuchtet. Das Thier verschlingt unter den Augen des Beobachters Sandkörnchen, Diatomeen, Algen und allerlei Detritus.

Die Mundöffnung führt in einen Schlundkopf mit dicker Muskellage. Von ihm beginnt ein ziemlich langer Schlund, der in einen bräunlich gefärbten Magen übergeht, von dem sich wieder ein engerer, heller Darm absetzt. Diese ganze Gliede- rung des Nahrungsrohrs tritt besonders klar an getödteten Thie- ren hervor. Vom Nahrungskanal zur Leibeswand gehen zahl-

364 F. Leydig:

reiche, wenngleich sehr zarte Diaphragmen, wie bei anderen Lumbrieinen.

Im Hinblick auf den feineren Bau bemerke ich blos, dass sich die an der Unterseite des Kopflappens beginnende Flim_ merbewegung durch den ganzen Schlundkopf und Schlund er- streckt, im Mag enaber zu fehlen scheint, während dann wieder der Darm flimmert und besonders stark das Endstück dessel- ben. Der bräunliche Anflug des Magenabschnittes hängt von ähnlichen braungelben Zellen („Leberzellen“), wie sonst bei Lumbriceinen ab. Im Magen fluctuirt ein gelblicher Saft. Lässt man auf das lebende Thier einen methodischen Druck wirken, so kommen in der Magenwand lichte Querstreifen zur Ansicht, die wohl auf die Anwesenheit der von mir bei anderen Lum- brieinen beschriebenen Blutgefässe des Darmrohres zu bezie- hen sind.

Vom Blutgefässystem erkannte ich weiter ein Rückengefäss und ein Bauchgefäss. Ersteres ist contractil; zu ihm gehören im Kopf zwei sehr schwierig erkennbare Schlingen. Das Bauch- gefäss ist nicht contractil. Das Blut selber ist fast völlig farb- los, kaum mit einem leisen Stich in’s Gelbliche. Als Lymph- raum ist die Leibeshöhle zu betrachten; im Kopf erscheint die Höhlung etwas erweitert und es durchziehen dieselbe feine Fä- den (Muskeln?), ähnlich wie etwa bei Lumbricus variegatus!). Auch liegt in eben diesem Raume das Gehirn und vor ihm die erwähnten Schlingen des Rückengefässes.

Schleifenkanäle scheinen auf den ersten Blick zu fehlen; doch sind sie vorhanden, wie man sich besonders durch pas- senden Druck des lebenden Thieres überzeugen kann. Man unterscheidet vier Paare, wovon das erste aın Anfang des Ma- gens liegt, das zweite weiter hinten.

Von Geschlechtsdrüsen habe ich Nichts bemerkt. Sowohl die früher als die gegenwärtig beobachteten Thiere vermehrten sich durch Theilung. Wobei jedoch nicht unerwähnt zu lassen ist, dass ich immer nur in ein und derselben Jahreszeit: Ende Sommers, Anfangs Herbst, das Würmcehen mikroskopirte. Eh-

1) Meine Tafeln z. vergl. Anat. Taf. VI. Fig. 6.

Ueber-die Annelidengattung Aeolosoma. 365

renberg hat von Aeolosoma decorum, indem er es im Zimmer pflegte, Eier erhalten, die an die Wand des Glases, in wel- chem sich die Thiere befanden, angeklebt erschienen. Auch hat der vor Kurzem zu früh für die Wissenschaft verstorbene d’Udekem die Generationsorgane, Hoden und Eierstock, von Aeolosoma Ehrenbergi beschrieben.')

Die Anwesenheit der oben erwähnten grossen Oelkugeln in der Haut von Aeolosoma ist etwas so Charakteristisches und in’s Auge Springendes, dass schon der Entdecker des Thieres hervorhebt, es sei ihm bei anderen Annulaten noch nichts Aehnliches vorgekommen Deshalb erlaube ich mir zum Schlusse noch von einem Würmchen zu reden, das vielleicht eine neue Art der abgehandelten Gattung bildet.

Zur Zeit nämlich, als ich zum erstenmale Aeolosoma qua- ternarium im Main kennen lernte, beobachtete ich zugleich da- mit, aber viel seltener, eine ähnliche, jedoch erheblich klei- nere Naide, die sich ebenfalls durch grosse Oelkugeln in der Haut auszeichnete. Da sie farblos waren, fühlte ich mich ge- neigt, das Thierchen blos für ein junges Aeolosoma zu halten, an dem sich die Oelkugeln noch nicht gefärbt hätten. Gegen diese Auffassung spricht aber eine Beobachtung Ehrenberg’s welcher sah, dass der noch im Ei eingeschlossene Embryo von Aeolosoma decorum schon dieselben rothgefärbten Fetttropfen besitzt, wie das erwachsene Thier. Somit ist es mehr als wahrscheinlich, dass fragliche Naide eine neue, meines Wissens noch nirgends erwähnte Art ist, und ich halte es daher für zweckdienlich, die damals gefertigte Skizze jetzt (vergl. Fig. 3) zugleich mit zu veröffentlichen.

Abgesehen vom Kopflappen zählt man am Körper 6 Ringe.

1) Bulletins de l’academie royale de Belgique 1861, 2. Ser. 4, T. XI. Die mir unbekannte, von d’Udekem untersuchte Species muss um Vieles grösser sein, als Aeolosoma quaternarium, wenigstens nach der dort beigefügten Zeichnung (a. a. O. Fig. 1) zu urtheilen. Es müsste denn sein, dass die Figur sehr schematisch gehalten wäre, wofür mir auch der völlige Mangel der Fettkugeln in der Haut zu sprechen scheint.

366 F.Leydig: Ueber die Annelidengattung Aeolosoma.

Die Borsten stehen einzeilig, in Bündeln von drei und vier. Der Mund erscheint als Querspalte, hinter ihm folgt ein Schlund- kopf, dann ein davon abgesetzter engerer Schlund, dann ein erweiterter Magen; der ganze Tractus scheint zu wimpern. Zur Seite des Magens wurden ein paar Schleifenkanäle unterschie- den. In der Haut zerstreut farblose Oelkugeln.

Zur einstweiligen Bezeichnung mag das Würmchen den Na- men Aeolosoma niveum tragen.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Aeolosoma quaternarium Ehrbg., durch Theilung sich ver- mehrend. Vergr. ungefähr 300 mal.

Fig. 2. Kopfende desselben Thieres von der Seitenansicht und im optischen Längsschnitt. Etwas stärker vergrössert.

Fig. 3. Aeolosoma niveum sp. nov. Vergr. ungefähr 300 mal.

W. Gruber: Ein Nachtrag zur Kenntniss u. s. w. 367

Ein Nachtrag zur Kenntniss des Processus supra-

condyloideus (internus) humeri des Menschen. Von

Dr. WENZEL GRUBER,

Professor der Anatomie in St. Petersburg.

(Hierzu Taf. VIIF. C.)

Der Processus supracondyloideus humeri internus des Men- schen ist ein rudimentäres Analogon jener vis a vis der Rinne am Humerus schief gelagerten, und die Rinne zu einem Kanale schliessenden Wand des bei vielen Säugethieren vorkommenden knöchernen Canalis supracondyloideus humeri. A. W. Otto hat diese Analogie nur errathen; erst Knox, Wilbrand, Quain, Tiedemann, besonders aber Struthers und ich hatte seine Beziehung zum Nervus medianus und den Vasa brachialia durch Reihen von Fällen dargethan, und seine Ana- logie mit jenem Kanale hei den Säugethieren bewiesen.

Der Processus hat die Bedeutung des Tubereulum muscu- lare, dessen Vorkommen fast immer durch «ine von da entstan- dene anomale Portion des M. pronator teres, ganz ausnahms- weise durch den M. brachialis internus (einmal von mir beob- achtet) bedingt ist, wie ich bewiesen habe. Mit ihr kommt ein musculös-fibröser Canalis supracondyloideus vor, welcher fast immer von ihm nach abwärts liest und ein Canalis brachio-eu- bitalis ist, ganz ausnahmsweise von ihm aufwärts sitzt und ein Canalis brachialis ist. Im ersteren Falle hilft er die Apertura superior, im letzteren die Apertura inferior des Kanales bilden.

368 W. Gruber:

Der Processus hat auch eine praktische Wichtigkeit, wo- rauf Struthers und ich hingewiesen haben. Er kann bei ge- nügender Grösse schon durch die Haut hindurch gefühlt, oder sogar gesehen werden. Ich kenne einen jungen Arzt, der Trä- ger desselben ist. Ist er wenig entwickelt, so kann er in einer in der Region seines Sitzes gemachten Wunde gefühlt werden. Er steht in constanter Beziehung zur Arteria brachialis, weshalb ich ihn Tuberculum brachiale nannte. Er bedingt anomale Gefässlagerung, ist daher zu suchen, um dieselbe zu diagnosti- ciren und dadurch vor Irrthümern sich zu schützen. Patru- ban!) hat auf die Möglichkeit und Wirklichkeit seiner Ver- wechselung mit Exostosen aufmerksam gemacht.

Fr. Tiedemann (1822) hat dieses Processus zuerst ge dacht, aber denselben unrichtig für eine krankhafte Excrescenz genommen. Die Anatomen, welche über den Fund dieses Pro- cessus Nachricht gaben, sind meines Wissens: Tiedemann (3 F. 1822 u. 1846), Otto (10 F. 8 aus eigener Beobach- tung, 2 aus dem Museum in Dresden 1839), Knox (2 F. davon 1 F. mit einer Spur vom Processus 1841), Unge- nannter (2 F. im vormaligen Museum in Wilna 1842), Wilbrand (1 F. 1843), R. Quain (1 F. 1844), Struthers (14 F. 1848), Deville (2 F. 1849), Barkow (1 F. 1851).?) Bei Patruban sah ich 1849 2 Fälle. Es sind demnach von Anderen 38 Fälle bekannt. Ich habe aus eigener Beobachtung 39 Fälle kennen gelernt. Die Resultate der Untersuchung von 3l Fällen, welche mir bis 1856 vorgekommen sind, habe ich

1) Amtlicher Bericht über die Versammlung deutscher Naturfor- scher und Aerzte in Königsberg. 1861. 4. S. 134.

2) R. Knox: „On the occasional presence of a supracondyloid process in the human humerus.“ The Edinburgh medical and surgi- cal journal. Vol. 56 p. 125, Pl. 3. hat nicht einen Fall, wie ich früher angab, sondern 2 Fälle beschrieben und abgebildet, wie ich aus dem mir jetzt vorliegenden Originale ersehe. An einem linken Arme kam ein entwickelter Processus, an einem rechten ein rudimen-

tärer vor. Deville’s 2 Fälle Bull de la soc. anat. de Paris, ann. 1849, p. 213: „Canal ou conduit sur-epitrochleen“, und demonstrirt in der Sitzung am 6. Juli hatte ich übersehen. Die Werke der

Anderen findet man in meiner Monographie eitirt.

Ein Nachtrag zur Kenntniss des Proc. supracondyloideus u. s. w. 369

in dreien meiner Werke mitgetheilt.!) Es wird schwer sein, zu dem in meiner Monographie Enthaltenen Neues hinzuzufügen. Trotzdem habe ich unter den neuen 3 Fällen, welche mir von 1856 bis 1865 zur Beobachtung kamen, an 2 ein Verhalten gesehen, wie es bis jetzt nicht vorgekommen war, an den übrigen 6, wovon 3, darunter 1 von 10 L. Länge, in den Sitzun- gen des Vereins praktischer Aerzte in St. Petersburg demonstrirt worden waren?), nur Bekanntes bemerkt.

Um die Anatomie des merkwürdigen Processus noch mehr zu vervollständigen, liefere ich im Nachstehenden die Beschrei- bung der beiden Fälle mit dem bis jetzt noch nicht gesehenen Verhalten, die an der Leiche eines Mannes im Januar 1865 vorkamen.

Entwickelter Processus supracondyloideus und fi- brös-musculöser Kanal im Suleus bieipitalisinternus und S. eubiti anterior internus für die Vasa brachia- lia und den Nervus medianus, welcher von der Fo- vea axillaris bis zur Fovea cubiti reicht und im Be- reiche des Processus supracondyloideus eine ellip- tische Brachialapertur besitzt. Beiderseits.

Der Processus supracondyloideus (1) sitzt an beiden Humeri am inneren Theile der vorderen Fläche, 2 Z. über dem Condylus internus und 3—4 Z. vom Angulus internus auswärts, mit einer fast vertical und dem Angulus internus parallel ab- wärts steigenden Basis auf. Er hat die Gestalt eines von vorn und aussen nach hinten und innen comprimirten, vor-, ein- und

1) W. Gruber: Neue Anomalien als Beitrag zur phys., chir. und path. Anat. Mit 7 Taf. Berlin 1849. 4. S.8. Taf.2 u. 4. Fig. 1. Abhandlungen aus der menschl. u. vergleich. Anat. Mit 11 Tafeln. St. Petersburg 1852. 4. S. 152. Taf. 2. Fig. 1. Monographie des Canalis supracondyloideus humeri und der Processus supracondy- loidei humeri et femoris der Säugethiere und des Menschen. Mit 3 Taf. Mem. des sav. etrang. de l’acad. imp. des sc, de St. Peters- bourg. Tom. VIII. Besond. Abdr. St. Petersburg u. Leipzig 1856. 4. (78 S.)

2) Sitzungsprotokoll v. 11. October 1861 St. Petersburger me- die. Zeitschr. Bd. 1. 1861. S. 365. u. Sitzungsprotokoll v. De- cember 1864 dieselbe Zeitschr. 1865.

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 24

370 W. Gruber: 2

und abwärts hakenförmig gekrümmten Dornes. Seine vordere äussere Fläche ist in vertiealer Richtung convex, in transver- saler concav, seine hintere innere Fläche ist concav. Der obere, schräg nach vor- oder einwärts absteigende Rand ist Sförmig gekrümmt, der untere Rand ist tief halbmondförmig ausgeschnit- ten. Seine etwas angeschwollene Spitze bildet ein Köpfchen, das 1°/, Z. über dem Condylus internus hervorsteht. Der Pro- cessus am rechten Humerus ist 6 L. lang; an der Basis 6 L., in der Mitte 3 L., am Köpfchen 2 L. in verticaler Richtung breit; an der Basis 1!/, L., in der Mitte °/, L., am Köpfchen 1'/; L. dick. Der Processus am linken Humerus ist etwas kürzer.

Der Pronator teres (10) ist beiderseits ungewöhnlich ent- wickelt und verbreitert. Er entspringt, abgesehen von den ge- wöhnlichen Ursprungsstellen vom Angulus internus humeri, bis 1!/, Z. über dem Condylus internus aufwärts mit einer breiten, ununterbrochen zusammenhängenden Portion (b), und mit einem von dieser breiten Portion losgelösten , bandförmigen, 6 L. langen, bis 2 L. breiten Köpfchen (), von dem Köpf- chen des Processus supracondyloideus. Der Muskel weist somit eine der Formen der höheren Entwickelungsstufen seiner Ano- malie auf. '

Der Brachialisinternus (8) beiderseits lässt einen Theil seiner Bündel von der vorderen Fläche des Processus supracon- dyloideus abgehen.

Der Coracobrachialis (7) beiderseits verhält sich normal.

Beide Fälle hatten bis jetzt nur Bekanntes an sich.

Das Caput breve des Biceps (s‘‘) beiderseits giebt aber einen supernumerären Bauch ab, welcher den Suleus bici- pitalis internus bis zum Processus supracondyloideus (1) herab grossen Theiles ausfüllt. Der Bauch des rechten Biceps ist schmäler als der des linken. Die Insertion des ersteren: ist etwas verschieden von der des letzteren. Jeder Bauch geht vom inneren Rande des Caput breve, davon durch eine sehnige Scheidewand geschieden, ab und zwar von einer Stelle ange- fangen, welche 1—1°/, Z. unter dem Processus coracoideus liegt, bis zu einer Stelle, welche 1'/; Z. unter der Trennung des Co-

Ein Nachtrag zur Kenntniss des Proc. supracondyloideus u.s. w, 371

racobrachialis vom Caput breve des Biceps sich befindet. Von letzterem Abgangspunkte an ist jeder Bauch vom Biceps sepa- rirt, steigt im Suleus bicipitalis internus als ein breiter, band- förmiger Muskel abwärts und endigt in zwei Zipfel, einen inneren und äusseren, geschieden. Am rechten Bauche sam- meln sich der grösste Theil seiner inneren Bündel zum inneren Zipfel, welcher in eine schmale aber 1'!/, Z. lange Aponeurose übergeht, die mit dem Lig. intermusculare internum, !/, Z. ein- wärts vom Angulus internus humeri verwächst. Eine geringe Summe äusserer Bimdel sammelt sich in dem schmalen, aber langen, bandförmigen, äusseren Zipfel. Dieser ist an der oberen Hälfte fleischig, an der unteren und fast am ganzen äusseren Rande sehnig. Die platte Sehne inserirt sich an das Köpfchen des Processus supracondyloideus und daneben an dessen oberen Rand, theilweise geht sie in das von da entspringende Köpfchen des Pronator teres über. Derselbe ist 1'/, Z. lang; am Anfange des Fleischtheiles 3 L., am Ende desselben 1 L., am Anfange der Sehne 1 L., am Ende 3 L. breit. Der linke Bauch (a) hat an seiner hinteren Fläche ein starkes Sehnenblatt. Dieses beginnt schon 1 Z. unter der Trennung des Bauches vom Bi- ceps und spaltet sich in zwei breite Zipfel. An der vorderen Fläche des Sehnenblattes endigen nach und nach die Fleisch- bündel des Bauches, indem der grössere Theil zum inneren Zipfel der kleinere zum äusseren Zipfel sich begiebt. Der linke Bauch endigt daher wie der rechte in zwei Zipfeln getheilt, seine Zipfeln sind aber von jenen der rechten verschieden. Der innere Zipfel (2?) endigt in eine 2 L. schmale und 1°), Z. lange Aponeurose, welche sich übrigens wie der des rechten inserirt. Der äussere Zipfel («) endigt auch in eine Apo- neurose. Diese ist !/, Z. breit und 1?/, Z. lang. Sie inserirt sich an den inneren Theil der vorderen Fläche des Humerus zwischen dem Brachialis internus und Anconaeus internus über dem Processus supracondyloideus, dann an den oberen Rand, das Köpfchen und die hintere Fläche des Processus supracon- dyloideus selbst und geht mit einigen Bündeln in das von da kommende Köpfchen des Pronator teres über. Jeder Bauch hat, von seiner Trennung vom Biceps abwärts, eine Länge von 24*

312 W. Gruber:

5 Z. Am Abgange vom Caput breve nimmt er von oben nach abwäıts an Breite zu. Von der Trennung von demselben ange- faugen, bleibt er sich fast gleich breit. Die Breite der isolirten Portion des rechten Bauches beträgt '/, Z., die des linken 12. Die Dicke jedes Bauches misst 2 L.

Jeder Bauch überragt den Coracobrachialis weit nach ein- wärts und bedeckt, vom Latissimus dorsi angefangen, die Arte- ria brachialis (c) und Venae brachiales mit dem Nervus media- nus (d) bis zu einer Stelle I—1!/, Z. über dem Köpfchen des Processus supracondyloideus herab völlig. Weder Bauch hat so- nach den Sulcus bieipitalis internus zu einem langen Canalis für die genannten Vasa und den genannten Nerven umgewan- delt, welcher nach unten am rechten Oberarm innen, am linken sogar innen und aussen völlig abgeschlossen ist. Zu dem Ka- nale führt von unten her eine von den Zipfeln des supernume- rären Bauches, dem Processus supracondyloideus etc. gebildete Apertur, die an und über dem Processus supracondyloideus liegt. Der Pronator teres bedeckt im unteren Theile des Sulcus bieipitalis internus und $S. cubiti anterior internus dieselben _ Vasa mit dem Nervus medianus und bildet mit anderen bekann- ten Theilen auch einen Kanal, den Canalis brachio-cubitalis, zu dem von oben her die von dem Pronator teres, dem Processus supracondyloideus etc. gebildete Apertur führt, welche an und unter dem Processus supracondyloideus liegt. Die Apertura in- ferior des Canalis brachialis und die Apertura superior des Ca-. nalis brachio-cubitalis jeder Seite liegen sich daher gegenüber. Die Wände beider Kanäle gehen hinten, aussen und innen in einander über, nicht aber an der vorderen Wand, welche im Bereiche des Sitzes des Processus supracondyloideus durchbro- chen ist. Da nämlich die den vorderen Umfang der Apertura inferior des Canalis brachialis begrenzenden Zipfel des super- numerären Bauches des Caput breve des Biceps über dem Pro- cessus supracondyloideus eine dreieckige Lücke, deren Basis nach abwärts sieht, zwischen sich lassen, und die supernume- räre Portion des Pronator teres mit ihrem vom Processus supra- condyloideus entspringenden Köpfchen, welche den vorderen Umfang der Apertura superior des Canalis brachio-cubitalis be-

Ein Nachtrag zur Kenntniss des Proc. supracondyloideus u. $. w. 373

grenzen, ebenfalls eine dreieckige aber kürzere Lücke, deren Basis nach aufwärts sieht, zwischen sich haben; so hat der grosse, von der Fovea axillaris bis zur Fovea cubiti reichende Kanal in seiner vorderen Wand im Bereiche des Sitzes des Processus snpracondyloideus eine vertikal elliptische Bra- chialapertur (*), welche von den beiden Endzipfeln des ano- malen Bauches des Caput breve des Biceps, von der supernu- merären Portion des Pronator teres mit seinem Köpfchen, von dem Köpfchen des Processus supracondyloideus, welches zwi- schen dem mittleren und unteren Dritttheil des äusseren Ran- des liegt, und von dem Ligamentum intermusculare internum gebildet wird. Nur an dieser Apertur, welche in vertikaler Richtung 1'/, Z. nnd in transversaler !/, Z. weit ist, werden die Vasa brachialia mit dem Nervus medianus in dem Kanale am Oberarme sichtbar.

Der Processus supracondyloideus trat mit einer der Formen der höheren Entwickelungsstufe der Anomalie des Pronator te- res auf, und der von der supernumerären Portion des letzteren Muskels völlig geschlossene Canalis brachio -cubitalis enthielt die Vasa brachialia und den Nervus medianus. Da ersteres in der Regel, letzteres bei den meisten der bis jetzt beobach- teten Fälle vorkam, so gehören die neuen Fälle in Beziehung des Processus und des Canalis brachio-cubitalis und des Inhal- tes des letzteren in die meistens vorkommende Kategorie.

J. Cruveilhier, R. Quain und ich haben in vielen Fäl- len anomale Bündel vom Pectoralis major, Coracobrachialis, Biceps brachii und Brachialis internus beobachtet , welche die Vasa brachialia mit dem Nervus medianus oder, bei hohem Ur- sprunge der Arterisradialis oder ulnaris, die Vasa ulnaria com- munia oder den Truncus für die Arteria radialis und interossea mit den begleitenden Venen und den genannten Nerven kreu- zend bedeckten oder für sie über dem Bereiche des Ca- nalis brachio-cubitalis sogar streckenweise förmliche Kanäle bildeten. So habe ich') einen Fall beschrieben, in welchem der Pectoralis major vom untersten Bündel eine Sehne

1) Neue Anomalien, S. 31.

374 W. Gruber:

vor den Vasa brachiaha und vor dem Nervus medianus bis zum Condylus internus humeri abwärts sandte. Drei andere Fälle kamen mir 1860, 1864 und 1865 vor. In dem Falle, dessen Cruveilhier') gedenkt, mag sich die Sehne zu den genannten Gefässen und dem Nerven vielleicht auf gleiche Weise verhal- ten haben. Fälle, in welchen ein anomales Bündel des Co- racobrachialis vor den Vasa brachialia und vor dem Nervus me- dianus zur Aponeurosis brachii und zum Ligamentum intermus- eulare internum schräg ein- und abwärts sich begab, oder um dieselben sogar einen kurzen Kanal bildete, habe ich?) mitge- theilt. Ueber mehrere Fälle des Ursprunges des anomalen dritten Kopfes des Biceps mit zwei Zipfeln vom Humerus, wel- cher damit zuerst.die Vasa brachialia mit dem Nervus medianus oder, bei hohem Ursprunge der Arteria radialis, die Vasa. ulna- ria communia ringförmig umgab, und diese, im weiteren Ver- laufe zur Ellenbogenregion herab, mehr oder weniger bedeekte, habe ich?), berichtet. Ein Fall, in welchem ein anomaler, spin- delförmiger, 9 L. breiter Bauch vom Caput breve des Biceps die Arteria brachialis und den Nervus medianus schräg kreu- zend bedeckte und zum Ligamentum intermusculare internum verlief, hat Quain‘) mitgetheilt. Einen anderen Fall, in wel- chem ein derartiger Bauch den Stamm für die Arteria radialis und interossea bedeckte, dann, zwischen seinem sehnigen Ende, welches theils in die Armaponeurose überging, theils an das Ligamentum intermusculare internum und den Condylus inter- nus humeri sich inserirte, die Vena basilica, den Nervus cuta- neus medius und die hoch entstandene Arteria ulnaris gelagert hatte, habe ich?) beschrieben. Zwei andere noch nicht veröf- fentlichte Fälle sind mir 1858 vorgekommen, Verschiedene Fälle von losgelösten Bündeln und Schichten des Brachialis in-

}) Traite, d’anat. descer. 3. edit. Tom. 2. Paris 185t. p. 150, note.

2) Neue Anomalien, S.28. Taf. 1, Fig. 1.

3) Vier Abhandl. a. d. Gebiete d. med.-chir. Anat. Berlin 1847. 8. S. 938. Neue Anomalien, S. 28, 38. Taf. 1, Fig. 2. Taf. 3, Fig. 1.

4) The anatomy ofthe arteries of the human body. London 1848. 8. p. 225, 270. Atlas Fol. Pl. 37, Fig. 5.

5) Neue Anomalien, S.30. Taf. 6, Fig. 1.

Ein Nachtrag zur Kenntniss des Proc. supracondyloideus u. s. w. 375

ternus, welche am inneren Muskelvorsprunge der Ellenbogenre- gion aponeurötisch endigten oder an den Biceps sich ansetzten oder wieder in den Brachialis internus übergingen, und die Vasa brachialia nebst dem Nervus medianus oder, bei hohem Ur- sprunge der Arteria radialis, die Vasa ulnaria communia mit dem genannten Nerven bedeckten oder kanalartig einhüllten, haben Quain!) und ich?) veröffentlicht. Aber es kam in kei- nem dieser Fälle zugleich ein Canalis brachio-cubitalis vor, sei es nun bei Anwesenheit des Processus supracondyloideus, oder bei Abwesenheit des letzteren, wie Nuhn°) und später auch ich zweimal bei Vorkommen der höheren Entwickelungs- stufe der Anomalie des Pronator teres, und ich?) u. A. bei Vor- kommen der niederen Entwickelungsstufe der Anomalie dessel- ben beobachtet haben, oder wie einen solchen Kanal, welcher vom Brachialis internus allein gebildet wurde und, bei hohem Ursprunge der Arteria radıalis, die Arteria ulnaris communis mit dem Nervus medianus enthielt, Quain?’) beschrieben und abgebildet hat. Insofern die beschriebenen neuen Fälle - des Processus supracondyloideus nicht nur den gewöhnlichen Muskelkanal unter seinem Sitze, sondern auch einen zweiten über seinem Sitze aufweisen, welche Kanäle obendrein nicht durch einen Zwischenraum von einander separirt sind, sondern unmittelbar am Processus ineinander übergehen, und daher für die Vasa brachialia mit dem Nervus medianus einen gemeinschaftlichen Muskelkanal bilden, der von der Fo- vea axillaris bis zur Fovea cubiti reicht, also den ganzen Sul- eus bicipitalis internus und S. cubiti anterior internus einnimmt, ausser einer Axillar- und Cubitalapertur noch eine Brachial- ' apertur im Bereiche des Sitzes des Processus besitzt: so zeigen

1) Op. eit. p. 225. Pl. 37, Fig. 3.

2) Seltene Beobachtungen. Müller’s Arch. f. Anat. etc. Berlin 1848. S. 427. Neue Anomalien, S. 30.

3) Untersuchungen und Beobachtungen aus dem Gebiete d. Anat,, Physiol. u. prakt. Mediein. H. 1. Heidelberg 1849. Fol. S. 20, Pape 3, Ric.

4) Neue Anomalien. Taf. 2, Fig.2. Taf.4. Fig.2, Monographie.

5) Op. eit. p. 225. PI. 37, Fig. 4.

376 W. Gruber: Ein Nachtrag zur Kenntniss u. s. w.

dieselben ein bis jetzt noch nicht beobachtetes, von mir!) seit lange vermuthetes Verhalten, dessen Kenntniss selbst

für die operative Chirurgie nicht ganz ohne Interesse sein dürfte,

Erklärung der Abbildungen.

Linker Arm. 1. Processus supracondyloideus (internus) humeri. 2. Musculus deltoideus. 3. M. teres major. 4. M. latissimus dorsi. 5. M. biceps brachii, 5‘. Caput longum, 5’. Caput breve desselben. 6. M. triceps brachii. 7. M. coracobrachialis. 8. M. brachialis internus (die vom Processus supracondyloideus entstandene Portion am Ur- sprunge ausgeschnitten). 9. Eminentia muscularis externa der vor- deren Ellenbogenregion. 10. M. pronator teres. a Supernumerärer Bauch des Caput breve des Biceps, « äusserer, 8 innerer Insertions- zipfel desselben. b Supernumeräre Portion des Pronator teres, Köpf- chen derselben vom Processus supracondyloideus. c Arteria brachialis. d Nervus medianus. e N. ulnaris. (*) Brachialapertur des Muskelka- . nales im Sulcus bieipitalis internus und S. ceubiti anterior internus für die Vasa brachialia und den Nervus medianus.

1) Neue Anomalien, S. 30.

W. Gruber: Die eigenen Spanner des Ringbandes u.s. w. 377

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radıus Museuli tensores proprn ligamenti annularıs radıı

bei dem Menschen.

Von

Dr. WENZEL GRUBER,

Professor der Anatomie in St. Petersburg.

(Hierzu Tafel IX.)

Das Ligamentum annulare radii besitzt zwei eigene Span- ner Musculi tensores proprii ligamenti annularis radii einen hinteren und einen vorderen. Der hintere ist ein in der Regel vorkommender Muskel, der vordere ein anomaler. Ersterer ist daher ein Muskel von Bedeutung, letzterer doch berücksichtigungswerth. Der hintere liegt auf und theilweise unter dem hinteren und lateralen Segmente des Lig. annulare radii; der vordere auf oder unter dem mit der vorderen Portion des Lig. eubiti laterale (externum) verschmolzenen vorderen Segmente desselben. Der hintere liegt ganz unter dem M. su- pinator (brevis) verborgen; der vordere wird an seinem Ende von diesem Muskel, übrigens vom M. brachialis internus be- deckt. Der hintere entspringt von der lateralen Fläche der Ulna, namentlich von der Tuberositas minor oder über und ne- ben dieser; der vordere von der vorderen Fläche der Ulna über und neben der Tuberosites major. Beide krümmen sich um das Capitulum radii schief auf- und lateralwärts. Beide endi- gen im Bereiche des lateralen Umfanges des Capitulum radii

378 W. Gruber:

und zwar inserirt sich hier der hintere feischig an das Lig. annulare oder an dieses und zugleich an die vordere Portion .des Lig. laterale, während der vordere mit seiner Sehne in letzteres Ligament allein oder in dieses und ersteres zugleich übergeht. Ihre Insertionen stossen nicht nur an einander, son- dern schieben sich zugleich etwas übereiander und so, dass jene des hinteren neben, unter und etwas hinter die vorderen in ein- ander kreuzender Richtung zu liegen kommt. Beide Muskeln bilden die tiefste Schicht der Museulatur, welche das Capitulum radii umlagert. Von der Endsehne des vorderen entspringt die vorderste Portion der tiefsten Schicht des Supinator. Der wich- tigere hintere Spanner war bis jetzt unbekannt, den vorderen hat J. Cruveilhier entdeckt.

Die Ulna (Fig. 1) besitzt nur am oberen Ende ihres Kör- pers eine laterale Fläche. Diese Fläche ist dreiseitig, kehrt ihre Basis auf-, ihre Spitze abwärts. Die Basis liegt unter dem Absatze, welche der Proeessus eoronoideus durch sein Hervor- ragen über den Körper des Knochens mit der lateralen Seite bildet, welche die Cavitas sigmoidea minor trägt. Die Spitze fällt: mit der Theilung der Crista interossea in ihre beiden La- bia zusammen. Den vorderen und hinteren Rand bilden die Labia dieser Crista. Sie ist concav, oben unter dem Processus coronoideus grubenartig vertieft. Sie zeigt in der Regel am hinteren Rande und knapp vor diesem 1—3L. unter dem hin- teren Ende der Cavitas sigmoidea minor, selten sogleich darun- ter oder sogar erst 5—6 L. tiefer, eine Rauhigkeit, welche mei- stens auf einer erhöhten Stelle oder auf einem beträchtlichen Höcker sitzt (b). Diese Rauhigkeit an der lateralen Fläche der Ulna liegt ziemlich in gleicher Höhe mit der Tuberositas an der vorderen Fläche derselben. Sie ist kleiner als letztere. Erstere ist Tuberositas minor (b), letztere T. major (a) zu nen- nen. Die Tuberositas minor ist von dem hinteren Ende der Cavitas sigmoidea minor entweder durch eine glatte, plane oder convexe, verschieden grosse Stelle, oder dureh eine verschieden weite, bald seichte, bald bis 1 L. tiefe Ineisur (*), oder aus- nahmsweise sogar durch eine tiefe Gefässrinne geschieden. Die Gefässrinne kann neben sich noeh eine zweite haben. Letzere

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius u. s. w. 379

setzt dann über die Tuberositas, was aber auch durch die er- stere geschehen kann.

Das Lig. annulare radii (Fig. 2, 3, 4, 5, 7e) ist als immer vorhanden anzusehen. Es ist eine höchst seltene Ausnahme, wenn dasselbe fast ganz durch das Lig. cubiti laterale (exter- num) substituirt wird. Es setzt sich nicht nur an die Enden der Cavitas sigmoidea minor, sondern mit Zipfeln auch darüber und darunter an die Ulna an. Die vorderen Zipfel inseriren sich an die vordere Fläche des Processus coronoideus über und unter der Cavitas sigmoidea minor. Von den hinteren Zipfeln befestigt sich der obere an das Olekranon, der untere besonders lange und breite («) an die laterale Fläche des Körpers der Ulna und zwar entweder an den oberen Umfang der Tuberosi- tas minor oder vor dieser an die gmubenartige Vertiefung in der Richtung einer schiefen vom hinteren Rande dieser Fläche nach ab- und vorwärts divergirenden Linie. Das vom Condy- lus externus humeri ausgehende und mit dem von da kommen- den Ursprunge des Supinator verwachsene Lig. laterale (Fig. 2, 3, 4, 5, 7 d)) theilt sieh am Lig. annulare angekommen in zwei von einander divergirende Portionen. Die vordere Portion (d‘) verschmilzt immer mit dem vorderen Segmente des Lig. annu- lare, nicht so die hintere (d’). Diese bleibt in der Regel von dem hinteren Segmente des Lig. annulare bis auf den oberen Rand ganz oder doch unten oder hinten geschieden, nur aus- nahmsweise ist sie damit aueh ganz verschmolzen. Sie inserirt sich mit dem oberen Zipfel (3‘), welcher fehlen kann, gemein- sehaftlieh mit dem Lig. annulare und mit dem sehnigen Ur- sprunge des Supinator, der hier auch fehlen kann, an das hin- tere Ende der Cavitas sigmoidea minor, mit dem unteren star- ken: Zipfel (3) an den hinteren Rand der lateralen Fläche des Körpers der Ulna oder an den hinteren Umfang der daselbst befindlichen Tuberositas minor. Sie ist mit dem hinteren Seg- mente des Lig. annulare grösstentheils durch kurzes Bindege- webe vereinigt. Zwischen dem unteren Zipfel der hinteren Por- tion des Lig, laterale und dem hinteren unteren Zipfel des Lig. annulare existirt unter dem hinteren Ende der Cavitas sigmoi- dea, minor gewöhnlich ein dreiseitiger Raum (Fig. 2, 7) in dem

380 W. Gruber:

>

die Tuberositas minor sitzt und ausser Bindegewebe und Fett die Ursprungsportionen des neuen Muskels und eines Theiles der tiefen Schicht des Supinator enthalten sind. Beide Portio- nen des Lig. laterale bedecken nicht völlig das Lig. annulare. Sie lassen einen mehr oder weniger grossen Abschnitt des Lig. annulare, welcher dem lateralen und theilweise dem hinteren Segmente desselben angehört, namentlich unter der Stelle ihrer Divergenz frei. Die hintere Portion des Lig. laterale und das hintere Segment des Lig. annulare, sind an ihrer Insertion, im Bereiche der Incisur zwischen der Cavitas sigmoidea minor und der Tuberositas minor oft von einem Loche (Fig. 3, 4**) durch- bohrt. Dadurch werden die unteren Zipfel’genannter Ligamente von den an das hintere Ende der Cavitas sigmoidea minor be- festigten geschieden. Durch dieses Loch tritt ein Zweigchen der Art. recurrens interossea zur Ellenbogengelenkkapsel oder ein Verbindungsast dieser Arterie mit der Art. ulnaris commu- nis, oder ein Ast der letzteren Arterie, welcher die fehlende Art. recurrens interossea ersetzt oder die vorhandene vervielfäl- tigt. Siehe dieses Archiv Jahrgang 1864, S. 437. Diese Arterien sind es, welche zuweilen über oder an der Tuberositas minor die oben angegebenen Gefässrinnen veranlassen.

Der M. supinator (brevis), welcher von der Stelle angefan- gen, wo ihn der Ram. profundus des Nerv. radialis durchbohrt, in zwei Schichten geschieden ist, entspringt mit dem Lig. ceu- biti laterale (externum) verwachsen sehnig vom Condylus ex- ternus humeri, sehnig und fleischig von dem lateralen (äusseren) Theile der Ellenbogengelenkkapsel und sehnig von dem hinte- ren Ende der Cavitas sigmoidea minor der Ulna; ferner flei- schig oder fleischig-sehnig vom oberen !/, bis !/; der hinteren Fläche des Körpers der Ulna an einem verschieden breiten Streifen ihres lateralen Theiles neben ihrer Crista und deren Labium posterius, und von der lateralen Fläche desselben, na- mentlich von der Tuberositas minor, mit Ausnahme der gruben- artigen Vertiefung unter der Cavitas sigmoidea minor, die ganz oder doch an einer Stelle frei bleibt und Bindegewebe nebst Fett enthält. Einige Anatomen lassen in der Beschreibung dieses Muskels von den Ursprungsstellen gerade die an der

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius u, s, w. 381

Ulna, also die hauptsächlichsten, weg; andere wieder und viele dehnen den Ursprung auch auf das Lig. annulare, namentlich auf dessen ganze äussere Seite (laterales und hinteres Segment), ans. Erstere irrige Annahme ist in der zu grossen Sucht, kurz zu sein, die Ausdehnung des Ursprunges auf das Lig. annulare aber in einem Beobachtungsfehler begründet. Vom hinteren und vorderen Segmente des Lig. annulare entsteht nämlich der M. supinator direct nicht, vom lateralen Segmente bald nicht, bald nur an der unter der Divergenz beider Portionen des Lig. laterale befindliche Stelle, soweit diese vom neuen Muskel un- bedeckt bleibt. Die von da entspringenden Bündel des Supi- nator gehören der Portion seiner tiefen Schicht an, welche nach vorn und oben die oberflächliche überragt (Fig. 6fy). Die Du- plieität dieses Muskels, welche Bonn am rechten Arme eines robusten Weibes beobachtet haben soll Ed. Sandifort Exercitationes academicae, Lugd. Batav. 1783, 4. Lib. I. Cap. 6. p- 998 war wohl nur eine ungewöhnlich ausgesprochene Tren- nung seiner Schichten. Aber es kann jede seiner Schichten ein supernumeräres Köpfchen erhalten. Ich besitze ein Präparat, an welchem ein isolirtes Fleischköpfchen der oberflächlichen Schicht vom Condylus externus humeri entsteht, und ein ande- res Präparat, an welchem eine dreiseitige Fleischzacke der tie- fen Schicht von der vorderen Wand der Ellenbogengelenkkapsel im Bereiche der Eminentia capitata humeri entspringt. Die- selbe Zacke ist von der vom Condylus externus humeri kom- menden Portion der oberflächlichen Schicht durch einen drei- eckigen, oben !/, Z. breiten Raum geschieden, in welchem der Insertionstheil des neuen Muskels frei zu Tage liegt. Dieselbe geht mit einer kurzen, platten, nur ?/, L. breiten Sehne in die tiefe Schicht über, ist 1!/, Zoll lang und am Ursprunge 4 L. breit.

1. Tensor ligamenti annularis radii posterior (Gruber). (Fig. 2, 3, 4, 5, 7h.)

Ein gekrümmt verlaufender, platter, länglich dreiseitiger (häu-

fig), oder länglich vierseitiger (weniger häufig), oder bandförmi-

ger Muskel, welcher an seinem Insertionsende , bisweilen an

382 W. Gruber:

beiden Enden wie schief abgeschnitten erscheint. Derselbe ist bald sehnig-Hleischig, d.i. am Ursprungstheile sehnig am Inser- tionstheile fleischig (häufig), bald fleischig-sehnig, d. i. an erste- rem fleischig, an letzterem sehnig (selten), bald endlich sehnig- fleischig-sehnig, d. i. an beiden Enden sehnig, in der Mitte flei- schig (selten). Ist der Muskel dreiseitig, so strahlen die Mus- kelbündel fächerartig gegen die Insertion aus (Fig. 2, 4, 7), ist derselbe vierseitig, so verlaufen die Fleischbündel parallel ne- ben einander (Fig. 3). Am unteren Rande des Fleischkörpers ist bisweilen ein Sehnenfaden zu sehen. Dieser geht vom Ur- sprunge des Muskels aus, setzt sich eine kürzere oder längere Strecke oder selbst bis zur Insertion fort. Von demselben ge- hen allmählig die Fleischbündel ab, oder es setzen sich die un- teren an seinen Anfangstheil, während die übrigen direct zum Lig. annulare verlaufen. Der Muskel besitzt bisweilen an sei- ner inneren Fläche ein Sehnenblatt. Dieses erstreckt sich bald über jene ganze Fläche, bald und namentlich von der Insertion aus über einen kleineren oder grösseren Theil derselben. Es kann die äussere Fläche am Ursprungstheile, die innere am In- sertionstheile ein Sehnenblatt aufweisen. Der Muskel ist in der Regel in einer deutlichen eigenen Scheide eingehüllt, welche bisweilen fibrös erscheint.

Lage. Unmittelbar auf dem hinteren und lateralen Seg- mente des Lig. annulare, und mit einer bald grösseren, bald kleineren Portion auch abwärts vom hinteren Segmente dessel- ben; in und unter dem Bereiche des Capitulum radii rückwärts und im Bereiche desselben lateralwärts; in schiefer, selten ganz paralleler Richtung zum Lig. annulare. Der Muskel wird vom Supinator, rückwärts am Ursprunge auch von der hinteren Por- tion des Lig. laterale bedeckt. Vom Lig. annulare ist er im- mer bis zu seiner Insertion durch etwas Bindegewebe bisweilen durch etwas Fett geschieden, vom Supinator durch seine Scheide und bisweilen durch eine Fettschicht getrennt. Von dem ihn bedeckenden Theile der hinteren Portion des Lig. laterale ist er bald isolirt, bald wird er damit zusammenhängend angetrof- fen. Im ersteren Falle liegt zwischen beide Bindegewebe und Fett, im letzteren Falle ist er entweder isolirbar vereinigt oder

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius u.s. w. 383

damit ganz verschmolzen. Ist er schon am Ursprunge flei- schig, so kann bisweilen sein unterer Rand daselbst mit dem obersten, von der Tuberositas minor entsprungenen, den Hals des Radius halbringförmig umgebenden Bündel der tiefen Schicht des Supinator verschmolzen sein.

Ursprung. Unter dem hinteren Ende der Cavitas sigmoi- dea minor von dem hinteren Rande und dem hinteren Theile der lateralen Fläche "der Ulna an verschiedenen Stellen einer !/, Z. hohen Strecke, namentlich von über oder neben der Tu- berbsitas minor in dem dreiseitigen Raume zwischen dem un- teren Zipfel des Lig. laterale und dem hinteren unteren Zipfel des Lig. annulare. Der Muskel entspringt selten zugleich auch von dem hinteren Ende der Cavitas sigmoidea minor, oder von diesem allein. Sein Ursprung ist bisweilen mit dem Rande des unteren Zipfels der hinteren Portion des Lig. laterale oder dessen vorderer Fläche verschmolzen. Nur ganz ausnahmsweise verläuft der sehnige Ursprung des Muskels hinter diesem Zipfel oder kommt von dessen hinterer Seite. Nur in einem Falle lag der fleischige Ursprung an der Tuberositas minor '/, Z. un- ter der Cavitas sigmoidea minor. Der Ursprung ist sehnig -(häufig), fleischig, oder fleischig-sehnig (weniger häufig), und in der Regel von der Portion der tiefen Schicht des Supinator deutlich geschieden, welche von der Tuberositas minor entsteht. Die Ursprungssehne ist verschieden lang und breit. Die Länge varırt von 2—6 L., ausnahmsweise bis 9 L. Die Breite be- trägt !/,—3 L., ausnahmsweise 5 L. Ihre beiden Extreme sind: die fadenförmige Sehne und die Muskelaponeurose (Fig. 5). Der fleischige oder fleischig-sehnige Ursprung ist 2—6 L. breit. Die Ursprungssehne und der fleischige oder fleischig-sehnige Ursprungstheil kreuzen die Zipfel des Lig. laterale und des Lig. annulare in schiefer Richtung. Die Sehne ist von beiden oder doch vom Lig. annulare durch Bindegewebe und Fett geschie- den, oft mit dem Lig. laterale, ausnahmsweise mit dem Lig. annulare vereinigt, davon aber gewöhnlich deutlich zu unter- scheiden und zu isoliren. Der fleischige oder fleischig-sehnige Ursprungstheil verhält sich auf gleiche Weise, geht oft mit Bündeln auch von der vorderen Fläche des Zipfels des Lig. la-

584 W. Gruber:

terale ab. Die Sehne besteht ausnahmsweise aus zwei von einander getrennten Bündeln und der fleischige Ursprung aus- nahmsweise aus zwei von einander geschiedenen Schichten.

Verlauf. Der Muskel krümmt sich in mässig schief auf- steigender Richtung, von der Ulna unter dem Processus coro- noideus (rückwärts und unten), um das hintere Segment des Lig. annulare und das Capitulum radii und unter denselben zum lateralen Segmente (auf-, lateral- und vorwärts), welches er bis zum Uebergange in das vordere Segment bedecken kann. Der Muskel umgreift bei diesem Verlaufe '/,—?/; der Länge des Lig. annulare, muss von der Portion der tiefen Schicht des Supinator, die vom Ulna-Körper entspringt, divergiren, von der Portion derselben Schicht dieses Muskels aber, welche von dem Condylus externus humeri, der Ellenbogengelenkkapsel und dem Processus coronoideus entsteht, völlig bedeckt und gekreuzt werden.

Insertion. Der Muskel endigt in der Regel fleischig, sel- ten mit kurzen sehnigen Fasern oder mit einer förmlichen Sehne. Die Fleischbündel, welche oft fächerförmig ausstrahlen, inseriren sich längs einer schiefen, von oben und hinten nach unten und vorn absteigenden Linie an das laterale Segment, bisweilen schon an das hintere des Lig. annulare allein, oder zugleich mit einigen Bündeln oder einer dünnen oberflächlichen Schicht an den Rand und die vordere Fläche der vorderen Por- tion des Lig. laterale. Diese Insertionslinie erreicht mit ihrem vorderen unteren Ende den unteren Rand des Lig. annulare nicht, sondern hört schon '/;,—2 L. darüber auf. Die Länge dieser Linie varürt. Sie kann bis 9 L. betragen. Endigt der Muskel kurz sehnig, oder, wie einmal, mit einer 3 L. langen und 2 L. breiten Sehne, so setzen sich die Sehnenfasern na- mentlich in die des Lig. annulare fort. Es ist die Ausnahme, wenn die Insertionslinie quer verläuft (Fig. 4), oder die unteren Bündel des Muskels knapp über dem unteren Rande des Lig. annulare oder an diesen selbst sich ansetzen. Die Insertion ist von jener des Tensor anterior bedeckt, wenn dieser zugegen ist (Fig. 7), kann aber davon auch 3 L. entfernt liegen.

Nerv. Der Muskel erhält seinen Nerven vom Ram. pro

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius u. s. w. 385

fundus des Radialis. Bevor dieser den Supinator durchbohrt, geht von ihm ein Aestchen ab, welches mit dem Stamme zwi- schen die Schiehten dieses Muskels eindringt. Es verläuft als oberstes Aestchen etwa '/, Z. unter dem Capitulum radii zwi- schen den Schichten des Supinator nach rückwärts und giebt Zweige ab. Eines derselben tritt, etwa '!/; Z. von der Ulna entfernt, zwischen den Bündeln der tiefen Schicht in die Tiefe, -krümmt sich auf- und wieder lateralwärts, giebt dieser feine Zweige, und endigt in ganz feine Zweige getheilt im neuen Muskel.

Grösse. Die Länge des Muskels beträgt vom 12jährigen Individuum aufwärts 6—18 L., wovon auf die Sehne, falls eine zugegen ist, !/;—!/, (selten) derselben kommt. Nimmt der Muskel vom Ursprunge zur Insertion allmählig an Breite zu, wie dies häufig der Fall ist, so ist er am Ursprunge !/,—3 L., am Ende ®/,—6 L. in vertikaler Richtung und bis 9 L. nach der schiefen Insertionslinie breit; bleibt er vom Ursprunge an bis zur Insertion gleich breit, wie dies weniger häufig vorkommt, so varlüirt die Breite von 2—6 L.; in einem Falle (Fig. 5), ın dem er vom Ursprunge zur Insertion an Breite abnahm, betrug diese am Ursprunge °5 L., in der Mitte 1?/,;, L., am Ende 2L. Die Dicke varürt von !/;—2!/, L. Beim neugeborenen Kinde wurde der Muskel bis 1 L. breit gefunden.

Wirkung. Der Muskel ist ein Spanner des Lig. annulare. Er zieht bei der Supination des Unterarmes das laterale Seg- ment des Lig. annulare und dadurch auch das vordere desselben an. Er spannt aber nicht nur dieses Ligament, sondern drückt, vermöge der Insertionsweise seiner unteren Bündel, den unte- ren Rand desselben auch an den Hals des Radius, wodurch er die Anordnung des Ligamentes zur Verhinderung der Luxation des Capitulum radii aus dem von diesem Ligamente und der Ulna gebildeten Ringe unterstützt.

Vorkommen. Zur Bestimmung der Häufigkeit seines Vor- kommens wurden 110 Leichen untersucht. Von diesen Leichen gehörten 100 jungen Individuen vom 12. Lebensjahre aufwärts

und Erwachsenen, 10 neugeborenen Kindern an. Von diesen Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 25

386 W. Gruber:

Individuen waren 75 männlichen und 35 weiblichen Geschlechts. Der Muskel wurde bei 86 Individuen und zwar: bei 76 an bei- den Armen, bei 5 nur am rechten und bei 5 nur am linken Arme vorgefunden. Der Muskel kam somit in der Regel bei- derseitig vor. Er wurde unter 220 Armen an 162 gesehen und an 58 vermisst. Er war nach der Leichenanzahl in mehr als 3/, der Fälle, nach der Extremitäten-Anzahl fast in ?/, der Fälle, d. i. unter 4 Fällen 3 Mal zugegen. Sein Vorkommen ist da- her Regel, sein Fehlen Ausnahme. Das Geschlecht der Indi- viduen hat auf die Häufigkeit seines Vorkommens oder seines Mangels keinen Einfluss.

Bedeutung. Da der Tensor posterior nach obiger Be- schreibung nicht als Bündel des Supinator genommen werden kann, da er ferner in der grössten Mehrzahl der Fälle, also in der Regel vorkommt, da er endlich auf das Lig. annulare radii direct wirken kann, was durch andere mit der Ellenbogenge- lenkkapsel oder mit dem Lig. eubiti laterale externum verwach- sene Muskeln entweder nicht oder doch nur in sehr unterge- ordneter Weise geschehen kann, so ist er ein selbstständi- ger Gelenkmuskel, der. seine Existenz nicht dem Zufalle, sondern seiner Nothwendigkeit verdankt. Vor anderen eigenen Gelenkmuskeln zeichnet er sich durch den Besitz einer eigenen Scheide und durch die Richtung seines Verlaufes aus, welche jene der ihn bedeckenden Muskeln kreuzt. An Häufigkeit sei- nes Vorkommens steht er anderen nicht ganz constant vorkom- menden Muskeln der oberen Extreurität, welche unter die nor- malen Muskeln gezählt werden, nicht-viel nach.!) Der Muskel ist daher nicht als ein anomaler oder bedeutungsloser Muskel zu betrachten, sondern als ein neuer, nicht unwichtiger Muskel unter die Zahl der normalen Muskeln der oberen Extremität aufzunehmen.

1) Unter 110 Leichen fehlte z. B. der Palmaris longus an je 8 beiderseitig oder einseitig I Mal.

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius n.s. w. 387

2. Tensor ligamenti annularis radii anterior (Cru- veilhier) (Fig. 6, 7).

J. Cruveilhier!) gedenkt dieses Muskels als „Appendice du court supinateur* mit folgenden Worten: „J’ai vu une petite languette charnue, appendice de ce muscle, recouyrir la moitie anterieure, dont elle pouvait &tre consideree comme le muscle tenseur“*; und Bourgery?) wahrscheinlich nicht aus eigener Beobachtung, sagt darüber Folgendes: „Parfois il existe un pe- tit faisceau superieur surnumeraire, qui se porte transversalement sur le ligament annulaire du radıus, dont il semble &tre muscle tenseur (Cruveilhier.).“ Beide haben diesen Muskel nicht näher beschrieben, die anderen Anatomen haben denselben ganz ignorirt.

Ich werde den Muskel nach den Resultaten beschreiben, welche seine Untersuchung in 21 Fällen ergab:

Ein länglich vierseitiger oder dreiseitiger Muskel, welcher gegen seine Insertion in der Regel an Breite ab-, ganz aus- nahmsweise zunimmt; am Ursprunge in der’ Regel fleischig oder fleischig-sehnig, ganz ausnahmsweise sehnig, an der Insertion immer sehnig ist, in der Regel eine beträchtlichere Grösse und grössere Mächtigkeit als der Tensor posterior erreicht.

Lage. Mit seinem Ursprungstheile und Körper hinter dem Brachialis internus, mit seinem Insertionstheile hinter der tiefen Schicht des Supinator, welche mit einer Portion von seiner Sehne abgeht, entweder quer ganz auf dem vorderen Segmente des mit der vorderen Portion des Lig. laterale verwachsenen Lig. annulare, oder mit seinem Körper theilweise darauf, theil- weise darunter, oder selten damit, ganz unterhalb des Ligamen- tes, mit seinem Insertionstheile auf dem lateralen Segmente des Lig. annulare in grösserer oder geringerer Entfernung über dem unteren Rande des letzteren.

1) Anat. deser. Tom. I. Bruxelles 1837. p. 312. Traite d’anat. deser. 3. edit. Tom. II. Paris 1851. p. 295. 2) Anat. deser., ou physiol. Tom. Il. Paris 1852. Fol. p. 82.

25”

388 W. Gruber:

Ursprung. Von der vorderen Fläche des Processus coro- noideus und vom Körper der Ulna neben der Tuberositas ma- jor an und neben dem Rande zwischen der vorderen und late- ralen Fläche fleischig oder fleischig-sehnig, ausnahmsweise mit einer 3—4 L. langen und breiten Sehne bisweilen mit einzelnen Sehnen- und Fleischbündeln von dem mit der vorderen Portion des Lig. laterale (externum) verwachsenen Lig. annulare selbst. Der Ursprung beschränkt sich anf den Processus coronoideus (häufig), oder dehnt sich zugleich auf den Körper der Ulna aus (weniger häufig), oder existirt am Körper der Ulna allein (selten). In beiden ersteren Fällen liegt der Ursprung meistens mit einem bald kleineren bald grösseren Theile vor dem vor- deren Ende der Cavitas sigmoidea minor. Der oberste Ur- sprungspunkt liegt 4—8 L. unter dem oberen Rande des Pro- cessus coronoideus, ausnahmsweise ('/,, der Fälle) gleich unter diesem Rande und unter der Anheftung der Ellenbogengelenk- kapsel. Der Ursprung ist bald vertikal oder schief linienför- mig, bald flächenförmig. Das Ursprungsfeld erstreckt sich vom lateralen Rande des Processus coronoideus und vorderen Ende der Cavitas sigmoidea minor bis zur Mitte oder sogar bis zum medialen Viertel der vorderen Fläche desselben über der Tu- berositas major, und vom vorderen Rande der lateralen Fläche etwas auf diese und auf die vordere Fläche des Körpers bis zu derselben Tuberositas. Die Höhe des Ursprunges variirt von 2—10 L., die Breite desselben bis 5 L.

Verlauf. Grösstentheils gestreckt, am Ende gekrümmt; bald schief auf- und lateralwärts, bald quer.

Insertion. Geht mit einer ziemlich starken, platten Sehne in die vordere Portion des Lig. laterale, bisweilen mit einem Theile derselben zugleich auch in das Lig. annulare über. Die Sehne ist '/,—6 L. breit, schmäler als der Muskelkörper, aus- nahmsweise breiter als dieser. In einem Falle, in welchem die oberflächliche Schicht des Supinator auch mit einem super- numerären, isolirten Fleischköpfchen vom Condylus externus humeri kam, theilte sich die Sehne in zwei Schichten. Die tiefe Schicht vereiniste sich hinter dem Supinator mit der hin- teren Portion des Lig. laterale und ging damit bis zur Tubero-

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius u, s, w. 389

sıtas ulnae minor. Die oberflächliche Schicht drang zwischen der tiefen Schicht des Supinator und dem anomalen Fleisch- köpfchen der oberflächlichen Schicht nach rückwärts, verlief dann aussen ringförmig um die letztere Schicht und vereinigte sich an der Tuberositas ulnae minor mit der daselbst mit dem Lig. laterale verwachsenen Ursprungsportion des Supinator. Während seines Verlaufes giebt er bisweilen sehnige Bündel zum vorderen mit dem Lig. laterale verschmolzenen Segmente des Lig. annulare ab.

Grösse. Seine Länge variirt von 9—18 L.; seine Breite am Ursprunge von 2—10 L., an der Insertion von !/,—6 L.; seine Dicke am Fleischkörper von °/,—1!/, L. Die Breite nimmt vom Ursprunge zur Insertion in der Regel ab, ausnahms- weise zu oder ist in seiner Mitte geringer als an seinen Enden.

Bursa mucosa. Eine solche kann unter dem Muskel im Bereiche des lateralen Segmentes des Capitulum radii vorkom- men. In einem aufbewahrten Falle, in welchem der Muskel quer verlief, mit seiner Endportion an und unter dem Capitu- lum des Radius auf dessen Halse lag, bevor er sich zur vorde- ren Portion des Lig. laterale aufwärts krümmte, befand sich zwischen dieser Portion, zwischen dem Lig. annulare und dem Halse des Radius eine Bursa mucosa, welche 4—6 L. in querer Richtung und 3 L. in vertikaler weit war.

Wirkung. Obgleich der Muskel mit seiner Sehne in das Lig. annulare gar nicht oder doch nur theilweise sich fortsetzt, daher auf dasselbe gar nicht oder doch nur auf geringe Weise direet wirken kann, so kann er doch, in Folge der Verwach- sung der vorderen Portion des Lig. laterale mit dem vorderen Segmente des Lig. annulare und in Folge seines Ueberganges in ersteres, indirect auf letzteres wirken. Er wird bei der Pronation des Radius und der Hand nicht nur das Lig. laterale, und dadurch die Gelenkkapsel spannen, sondern auch das la- terale Segment des Lig. annulare medianwärts ziehen, dadurch dieses und damit auch das hintere Segment, d. ı. das Lig. an- nulare ebenfalls und zwar in entgegengesetzter Richtung von derjenigen spannen, in welcher es durch den Tensor posterior ge- spannt wird. Er ist somit ein Antagonist des Tensor posterior.

390 W, Gruber: ;

Vorkommen. Unter 100 Leichen Erwachsener, wovon 85 Männern und 15 Weibern angehörten, kam der Muskel an 10, und zwar: beiderseits an 4, rechts an 4 und links an 2 vor. Unter den 15 Leichen von Weibern wurde der Muskel an 1 beiderseits gesehen. Der Muskel ist somit unter 10 Lei- chen und unter 14—15 Armen an 1 zu erwarten. Der Muskel ist ein anomaler Muskel, kommt aber jedenfalls häufiger als z. B. der anomale M. supraclavieularis Haller-Luschka vor, welchen man in neuester Zeit sogar unter die normalen Muskeln reihte, und ist jedenfalls wichtiger als letzterer. Er kann auch vorkommen, wenn der Tensor posterior fehlt.

Varianten. Ausser dem oben angegebenen Falle, in wel- chem die Sehne, in zwei Schichten getheilt, die Tuberositas ulnae minor erreichte und daselbst sich inserirte; ging in einem anderen Falle der Muskel in das oberste, den Hals des Ra- dius halbringförmig umgebende, von der Tuberositas ulnae mi- nor entsprungene Bündel der tiefen Schicht des Supinator über, und bestand in einem dritten Falle selbst aus zwei Schichten, wovon die tiefe wie der Muskel anderer Fälle sich verhielt, die 1',, Z. lange, 3 L. breite und 1 L. dicke oberflächliche, aber von der Mitte der hinteren Seite der Sehne des Brachialis in- ternus 10 L. über deren Insertion, kam, am oberen Rande mit der tiefen Schicht verschmolzen, von dieser lateralwärts verlief und theils kurzsehnig in das Lig. laterale überging, theils da- neben medianwärts an der Ellenbogengelenkkapsel endigte.

Bedeutung. Der Muskel ist entweder ein selbstständiger, anomaler Gelenkmuskel, wie ich meine, oder ein abirrendes Bündel des Supinator, wie Cruveilhier annimmt. Wäre auch nur das Letztere das Richtige, so ist der Muskel deshalb noch nicht bedeutungslos. Auch als abirrendes Bündel wird er Span- ner des Lig. annulare radıı bleiben.

St. Petersburg, im Februar 1865.

Die eigenen Spanner des Ringbandes des Radius n. s. w. 39]

Erklärung der Abbildungen. Fig. 1—7.

(An Fig. 4 und 5 Ansicht des neuen Tensor posterior bei geöffne- ter Ellenbogengelenkkapsel von der Gelenkhöhle aus.)

1. Ulna. 2. Radius. 3. Humerus. 4. Ellenbogengelenkkapsel. a Tuberositas major der Ulna. b Tuberositas minor der Ulna. e Li- gamentum annulare des Radius. d Ligamentum laterale (externum) des Ellenbogengelenkes. d’ Vordere, d‘‘ hintere Portion desselben. e Ligamentum obliguum des Unterarmes. f Musculus supinator (bre- vis). g Sehne des M. biceps brachii. h Neuer hinterer Span-

ner des Ringbandes des Radius. Tensor ligamenti annularis radii posterior. i Vorderer Spanner des Ringbandes des Radius. Tensor ligamenti annularis radii anterior. « Hinterer unterer Zipfel

des Lig. annulare.. # Unterer Zipfel der hinteren Portion des Lig. laterale. Oberer Zipfel derselben. y Vorderste Portion der tiefen Schicht des M. supinator. (*) Ineisur zwischen der Cavitas sigmoidea minor und der Tuberositas minor der Ulna. (**) Loch zwischen den beiden Zipfeln der hinteren Portion des Lig. laterale, oder zwischen diesen und zugleich zwischen dem hinteren Ende des Lig. annulare und seinem unteren Zipfel,

392 H. Chase:

Ueber die Ausscheidung der Hippursäure beı Ver- schluss des Ductus choledochus.

Von

Dr. HorACE CHASE aus Newhampshire in Nordamerika.

Die Untersuchungen Kühne’s über die Ausscheidung der Hippursäure nach Genuss von Benzo@säure haben eine Reihe von anderen Arbeiten veranlasst, deren Resultate in Betreff eines Punktes der verhinderten Ausscheidung der Hippursäure bei Verschluss des Ductus choledochus durchweg den Kühne’- schen Angaben widersprechend ausgefallen sind.')

Um diese Versuche, welche von den angeführten Beobach- tern ausser von Kühne nur an ikterischen Menschen angestellt waren, auch auf experimentellem Wege zum Abschluss zu brin- gen, wurden Hunde als Versuchsobjeete gewählt. Dieselben wurden mehrere Tage hinter einander mit reiner Fleischnah- rung gefüttert. In dem zum Sammeln des Urins bestimmten Gefäss befand sich etwas Bleizuckerlösung, um die Zersetzung der Hippursäure zu verhüten.

Eine Untersuchung des normalen Hundeharns, welcher nach Fleischnahrung entleert war, liess Hippursäure mit Sicherheit nicht erkennen, da die Menge der aus dem Aetherextract ge- wonnenen, der Hippursäure sehr ähnlichen Krystalle zur An-

1) Folwarczny, Zeitschr. d. Gesellsch. d. Aerzte in Wien. N. F. Bd. II. S. 15. 1859. Neukomm, Frerichs’ Leberkrankbheiten. Ba. II. S. 537. Schultzen, ’Archiv f. Anat. S. 204. 1863. Huppert, Archiv der Heilkunde. 1865. 1. Heft.

Ueber die Ausscheidung der Hippursäure u. s. w. 393

stellung aller Reactionen zu gering war. In einigen Fällen, wo zur Extraction der Hippursäure aus dem Rückstande des Weingeistauszuges statt reinen Aethers Aetherweingeist ange- wandt war,*wurden Krystalle erhalten, welche der Form und den Reactionen nach für Kynurensäure genommen werden muss- ten. Zuweilen zeigten diese Krystalle eine grosse Aehnlichkeit mit denen der Hippursäure, so dass die Form allein keinen Aufschluss über die Identität der Krystalle gab. Um Täuschun- gen zu vermeiden, wurde daher später stets reiner Aether zur Gewinnung der Hippursäure benutzt.

Nach dreitägiger Beobachtung wurde einem Hunde in der von Kühne angegebenen Weise (Virchow’s Archiv Bd. XII.) der Ductus choledochus unterbunden, und nach dem Vernähen der Bauchwunde eine Quantität Natron benzoicum mittelst der Schlundsonde eingebracht. Der Hund erholte sich bald, soff und frass, allem Anscheine nach wenig genirt durch den ope- rativen Eingriff. Der nach 24 Stunden entleerte Harn wurde durch Schwefelwasserstoff vom überschüssigen Blei befreit, ein- gedampft, der Rückstand mit Alkohol extrahirt, abermals ver- dampft, mit Salzsäure versetzt und mit Aether geschüttelt. Nach dem Abdampfen desselben hinterhlieb eine zu allen Reactionen ausreichende Menge Hippursäure. Die am Tage nach der Ope- ration entleerten Fäcalmassen waren frei von Gallenfarbstoff und lieferten so den Beweis, dass der Verschluss des Ductus chole- dochus vollständig war. Am zweiten Tage wurde dem Futter reine Benzo&säure beigemengt. Der am dritten Tage entleerte Harn gab dann bei der Untersuchung dasselbe positive Resul- tat. Am 4. Tage erschien der Hund sehr niedergeschlagen, verschmähte die Nahrung und wurde am 5. Morgen todt ge- funden.

Die Section ergab, dass der Gallengang an der Ligaturstelle durchgeeitert war. Die Galle hatte so einen Weg in die Bauch- höhle gefunden, und eine lethale Peritonitis veranlasst.

Zwei andere Versuche ergaben dasselbe Resultat, während in zwei Fällen der Uebergang der eingeführten Benzoösäure in den Harn gar nicht beobachtet wurde. Der Aetherextract enthielt hier weder Hippur- noch Benzo&säure. Eine Erklärung dieser

394 H. Chase: Ueber die Ausscheidung der Hippursäure u. s. w.

Thatsache vermag ich nicht zu geben, da alle Cautelen beob- achtet und die Operation wie die Harnuntersuchung in der- selben Weise wie früher ausgeführt waren.

Diese Versuche werden neben den.von Neukomm, Schul- tzen, Huppert und Folwarcezny hinreichen, um zu beweisen, dass der Verschluss des Ductus choledochus auf die Paarung der Benzoösäure im Organismus von wesentlichem Einfluss nicht ist.

Die vorstehenden Untersuchungen wurden unter der freund- lichen Beihülfe des Herrn Dr. Schultzen theils in der hiesi- gen Anatomie, theils im Laboratorium der Universitäts -Klinik ausgeführt. Den Herren Professoren Frerichs und Reichert sage ich meinen herzlichsten Dank für die Liberalität, mit der sie mir die Benutzung der Räumlichkeiten und Materialien ge- statteten.

A, W. Volkmann: Zur Entscheidung der Frage u. s. w. 395

Zur Entscheidung der Frage: ob dıe Zapfen der

Netzhaut als Raumelemente beim Sehen fungıiren.

a Von

A. W. VoLKMANnN.

Ich habe‘in meinen physiologischen Untersuchungen im Ge- biete der Optik die vorstehende Frage verneint und behauptet, dass die Zapfen für sensible Elementartheile zu gross seien.

Ein besonderes Gewicht legte ich auf den Nachweis, dass man bei Bestimmung der kleinsten erkennbaren Distanzen die Irradiation nicht in Anschlag gebracht hatte, welche auch im accommodirten Auge statt findet, und welche, indem sie die Netzhautbilder zweier distanten Punkte oder Linien allseitig vergrössert, nothwendig den zwischen denselben gelegenen Raum verkleinert. Da nun diese Verkleinerung der Distanz einerseits und die von der Irradiation ausgehende Vergrösserung der sie begrenzenden Punkte oder Linien andererseits sich entsprechen muss, so bestimmte ich für jedes zu prüfende Auge die Grösse der Irradiation, und zog von dem Werthe der kleinsten Distanz, welche eben dieses Auge zu erkennen vermochte, den Durch- messer des Zerstreuungskreises ab.

Das Resultat, zu welchem ich kam, war ein derartiges, dass zwei in der Nervenlehre allgemein angenommene Ansichten nicht neben einander bestehen zu können schienen. Die Rich- tigkeit meiner Beobachtungen und Folgerungen vorausgesetzt, ist entweder irrig: dass ein Nervenende (Weber’s Empfindungs- kreis) nur zu einer einfachen Empfindung befähigt ist, oder die Auffassung der Zapfen als einfacher Nervenenden ist unhaltbar.

396 A. W. Volkmann:

Es hat bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft allerdings grosse Schwierigkeiten, die eine oder die andere die- ser Ansichten fallen zu lassen, und verdienen daher die von Funke, Aubert und Bergmann gemachten Versuche, sie beide aufrecht zu halten, der Intention nach unstreitig Dank. Dagegen kann ich von sachlicher Seite die gegen mich erho- bene Opposition nicht anerkennen, und glaube die von mir aufgestellte Behauptung durch einen entscheidenden Versuch rechtfertigen zu können. Ehe ich diesen vorlege, mögen von den verschiedenen mir gemachten Einwürfen wenigstens zwei eine besondere Erwähnung finden.

Funke sagt: „Ich will zu zeigen suchen dass Volk- mann’s Öorrectur (bezüglich der Berechnung der kleinsten er- kennbaren Distanzen) nicht nur durchaus unstatthaft ist, son- dern dass sogar, wenn ja eine Berücksichtigung der Irradiation bei den fraglichen Bestimmungen nothwendig ist, durch die- selbe die kleinste erkennbare Distanz mit besserem Recht’ zu vergrössern, statt zu verkleinern ist,-und zwar, dass diese entgegengesetzte Berücksichtigung der Irradiation eine unab- weisliche Consequenz ist der von Volkmann selbst aufgestell- ten (beiläufig von Funke gebilligten) Thesen über die Prineci- pien, welche die Seele bei der Auslegung der Irradiationser- scheinungen leiten.*

Dieser Einwurf, welcher in der Abhandlung Funke’s von fundamentaler Bedeutung ist, beruht auf einem eigenthümlichen Missverständnisse. Mein geehrter Gegner meint,. es sei eine Consequenz meiner eigenen Grundsätze, dass die kleinste er- kennbare Distanz mit Rücksicht auf die Irradiation vergrös- sert werden müsse, aber abgesehen davon, dass er hierin si- cherlich irrt, ist einleuchtend, dass die Frage: ob eine zwischen zwei Linien bemerkbare Distanz durch die Irradiation vergrös- sert oder verkleinert werde, nicht nach irgend welchen Thesen, sondern nach den gegebenen Thatsachen beurtheilt werden müsse.

Ich habe erwiesen, dass zwei schmale weisse Streifen auf schwarzem Grunde und ebenso zwei schmale schwarze Streifen auf weissem Grunde ohne Ausnahme breiter erscheinen, als der

Zur Entscheidung der Frage: ob die Zapfen u. s. w. 397

zwischen beiden befindliche, realiter gleich breite Zwischenraum. Sieht man die Streifen relativ zu breit, so sieht man die Di- stanz relativ zu schmal. Folglich ist es Thatsache, dass eine zwischen zwei schmalen Streifen oder dünnen Fäden gelegene Distanz durch den Einfluss der Irradiation verkleinert werde, und meine Correcetur entspricht dieser Thatsache.

Dagegen ist ein anderer, zuerst von Helmholtz mir brief- lich gemachter Einwurf, allerdings richtig. Ich habe den Satz E. H. Weber’s, dass zwei Hautpunkte nur dann als zwei em- pfunden werden können, wenn zwischen den beiden gereizten Empfindungskreisen mindestens einer unberührt bleibe, in un- zulässiger Weise auf das Auge übergetragen. Ich habe nämlich für die kleinste erkennbare Distanz zunächst die Grösse des Netzhautbildes berechnet, habe dann von der gefundenen Grösse den Durchmesser eines Zerstreuungskreises abgezogen und schliesslich angenommen, dass der so erhaltene Rest als der grösste mögliche Durchmesser eines Empfindungskreises im Sinne Weber’s gelten müsse. Ich meinte nämlich, eine weisse Distanz zwischen zwei schwarzen Linien könne nicht wahrge- nommen werden, wenn nicht wenigstens ein Empfindungs- kreis zur Perception des Lichten zwischen dem Dunkeln gege- ben sei. Dies ist unrichtig.

Gesetzt nämlich, die Netzhautbilder zweier schwarzen Punkte bedeckten zwei Empfindungskreise nicht nur vollständig, son- dern überragten dieselben dermaassen, dass ein zwischen ihnen gelegener Elementartheil ebenfalls, obschon nicht vollständig, beschattet würde, so könnte das in der Mitte liegende sensible Element, als ein nur theilweise beschattetes, von seinen Nach- baren, als vollständig beschatteten, demungeachtet unterscheid- bar sein, nämlich unterscheidbar nach der Lichtstärke. Unter diesen Umständen ist die von mir angewendete Correctur al- lerdings zwecklos. Zwar ist richtig, dass das optische Bild der von mir beobachteten Distanzen durch die Irradiation der Mikrometerfäden um den Durchmesser eines Zerstreuungs- kreises verkleinert wird, aber man hat kein Recht anzu-

nehmen , dass nach Abzug eines Zerstreuungskeises , vom

398 A. W. Volkmann:

Netzhautbilde der Distanz, ein Empfindungskreis unverkürzt übrig bleibe.

Die Grösse der sensiblen Elementartheile lässt sich nur be- rechnen, wenn man ausser der kleinsten erkennbaren Distanz mindestens noch einen der distanten Punkte oder Streifen, die ihrerseits auch zu den kleinsten erkennbaren gehören müssen, mit in Anschlag bringt. Wenn als Axiom gilt, dass ein sen- sibler Blementartheil nur zu einer einfachen Empfindung be- fähigt ist, so gehören zur Wahrnehmung zweier gesonderten Objecte und des zwischen ihnen befindlichen freien Raumes mindestens 3 Klementartheile, oder, allgemeiner ausgedrückt: zur Distincetion von n Punkten im Sehfelde sind mindestens n Elementartheile in der Netzhaut nothwendig. Unter Zugrunde- legung dieses Princips rechnet Aubert auf folgende Weise):

Das Netzhautbild eines Objectes, welches aus 2 Fäden be- steht, deren Distanz an der Grenze des Erkennbaren liegt, setzt » sich aus folgenden Theilen zusammen:

1) aus der kleinsten Distanz d, 2) aus den Breiten der bei- den Fadenbilder, 2%, und 3) aus der von der Irradiation ab-

.. . . c hängigen Verbreiterung der Fadenbilder nach aussen, also 2. 5 wenn © den Durchmesser des Irradiationskreises bedeutet.

Dieses Netzhautbild = d + 2% +£.ermöglicht 3 Empfindun- gen und verlangt daher mindestens 53 Empfindungskreise, so dass wenn man den Durchmesser eines solchen mit e bezeich- net, der Maximalwerth von e = Ihaals sein würde.

Aubert berechnet nun für den sehr scharfsichtigen E. Volk- mann e= 0,0024 Mm. Indess lässt sich nachweisen, dass die- ser einem Zapfendurchmesser entsprechende Werth noch einer Reduction bedürfe. Nach $. 83 meiner physiologischen Unter- suchungen im Gebiete der Optik waren die Bedingungen, unter welchen E. Volkmann experimentirte, folgende:

Dicke der Mikrometerfäden (B) = 0,05 Mm.

Grösse der Distanz (D‘), welche dem Werthe B gleich er- schien, = 0,108 Mm.

1) Physiologie der Netzhaut. S. 226.

Zur Entscheidung der Frage: ob die Zapfen u. s. w. 399

- Grösse der kleinsten erkennbaren Distanz (D) = 0,0645 Mm.

Sehweite = 407 Mm.

Da nun die Verbreiterung der Mikrometerfäden, bezeichnet D'—B a

0,108 0,05

2

Das dem Auge gebotene Object ist demnach

-D+2B+Z

0,0645 + 0,1 + 0,029 Mm.

= 0,1955 Mm. Bei einer Sehweite von 407 Mm. erfährt das Object eine 27- fache Verkleinerung und redueirt sich daher das Netzhautbild auf 0,0072 Mm. Dividiren wir dieses Netzhautbild, welches 3 gesonderte Empfindungen vermittelt, mit 3, so erhalten wir

e = 0,0024 Mm. also den Werth, welchen Aubert berechnet.

Nun ist aber noch Folgendes zu berücksichtigen: In kei-

mit Z, = ist, so ergiebt sich für Z der Werth

Mm. = 0,029 Mi.

nem einzigen der von mir vorgelegten Versuche entspricht die Distanz D' = B der kleinsten erkennbaren, vielmehr ist letztere immer auffallend kleiner als D‘, bisweilen nahezu um das Dop- pelte, wie im vorliegenden Falle.

Der Beobachter muss also, wenn er die Mikrometerfäden auf die kleinste erkennbare Distanz einstellen will, die Distanz D'=B verkleinern, ein unzweideutiger Beweis, dass D' für den Raumsinn keine einfache, sondern eine zusammengesetzte Grösse ist. Hieraus folgt.aber, dass die Grössenwahrnehmung D' von der Erregung mehr als eines, also mindestens zweier Elemen- tartheile ausgehe, und muss demnach, weil B=D', auch die scheinbare Breite des Fadenbildes durch die Erregung zweier, wo nicht mehrerer Empfindungskreise bedingt sein.

Mit Rücksicht hierauf ist der grösste mögliche Werth für

PER ne 0 Se 2B+L e nicht = ——- 2 ‚„ wie Aubert rechnet, sondern = ER

+

0,0072 Mm. = —— = 0,0014 Mm. Bei meinem früheren Rechnungs-

5) verfahren hatte ich 0,0013 Mm. gefunden, und meine Behaup-

400 A. W. Volkmann:

tung, dass Elementartheile von der Grösse der Zapfen für die Schärfe des menschlichen Auges viel zu gross sind, wird also durch die berichtigte Rechnung bestätigt.

Erlaubt man sich mit Aubert den Einfluss der Irradiation auf die Verschmälerung der zwischen den Mikrometerfäden ge- legenen Distanz zu vernachlässigen, so kann man noch einen ‚Schritt weiter gehen und kann auch die Verbreiterung der Fa- denbilder nach aussen, den Werth Z der Formel, fallen lassen. Man braucht nur die Zahl der betrachteten Fäden oder Strei- fen von 3 auf 5 zu steigern. Sind nämlich dem Auge 5 oder mehr neben einander gelegene Streifen geboten, so könnte zwar die Erkennbarkeit der beiden Grenzstreifen auf ihrer Verbrei- terung durch Irradiation beruhen, aber die Erkennbarkeit der nach innen gelegenen kann hiervon nicht abhängen. Denn die Verbreiterung , welche einer oder zwei der inneren Streifen. durch die Irradiation erfahren, könnte nur durch eine Ver- schmälerung der beiden übrigen, resp. des einen dritten, ver- mittelt werden, und würde also der von der Extension des Reizes abhängigen Erkennbarkeit jedes einzelnen, nach einer Seite hin eben so viel schaden, als nach der anderen Seite hin nützen.

Von diesen Betrachtungen ausgehend, hat Bergmann zur Bestimmung der Empfindungskreise Objecte benutzt, in welchen zahlreiche weisse und schwarze Streifen von gleicher Breite neben einander lagen. Als Grundsatz gilt, dass die Unterschei- dung von n Streifen durch die Function von n Elementarthei- len gesichert sei. Indem Bergmann die Wirkungen der Ir- radiation gänzlich vernachlässigt, hat er die Irrungen, zu wel- chen meine Correctur führte, allerdings vermieden, hat aber an- dererseits den Rechnungsfehlern, welche ich zu beseitigen suchte, ein freies Spiel gelassen. Während meine Subtraction des Zerstreuungskreises zur Folge haben kann, dass man die Grössen der sensiblen Elementartheile unterschätzt, liess Berg- mann’s Berechnung die Möglichkeit übrig, dass man sie über- schätzt. Würden beispielsweise die realiter gleich breiten weis- - sen und schwarzen Streifen im Versuche ungleich breit erschei- nen, und zwar entweder alle weissen oder alle schwarzen breiter,

Zur Entscheidung der Frage: ob die Zapfen u.s.w. 401

so würde die Vernachlässigung dieser von der Irradiation. ab- hängigen Ungleichheit offenbar zu einer Ueberschätzung der Empfindungskreise führen. Denn nach dem oben Erörterten kann eine Grösse, welche grösser als die kleinste erscheint, keine einfache sein, und ist also die der Rechnung zu Grunde liegende Annahme, dass zur Wahrnehmung von n gesonderten Punkten die Summe von n Elementartheilen ausreiche, in die- sem Falle unzulässig.

Ich bemerke noch beiläufig, dass Beegmann um die in Frage kommenden kleinsten Netzhautbilder zu erhalten, sein Object, so weit als die Sehkraft erlaubte, vom Auge entfernte, ein Verfahren, welches in so fern nicht angemessen ist, als es Accommodationsfehler veranlassen konnte.

Zum Schlusse dieser kritischen Erörterung muss ich zuge- ben, dass zur Lösung der in Angriff genommenen Frage das Verfahren Bergmann’s vor dem meinen den Vorzug verdient. Denn da ich zu zeigen beabsichtige, dass für die Schärfe un- seres Sehorgans Elementartheile von der Grösse der Zapfen zu gross sind, so ist ein Rechnungsverfahren , welches wie das meine zu einer Ueberschätzung der Sehschärfe Gelegenheit bie- tet, das am wenigsten geeignete.

In dem nun folgenden Versuche ist alles Vorstehende be- rücksichtigt worden. Um Accommodationsfehler zu vermeiden, wird die Verkleinerung des betrachteten Objectes nicht durch eine ungewöhnlich grosse Sehweite, sondern durch Benutzung eines Makroskops bewerkstellist. Mein Instrument ist mit einer achromatischen Linse von 81 Mm. Brennweite versehen. Die Entfernung des hinter der Linse befindlichen Bildes vom Auge beträgt in den Versuchen nur 307 Mm. und entspricht vollkom- men der Accommodationskraft.e. Als Object benutze ich 4 auf weissem Grunde gezogene schwarze Linien, deren Breite um ein Geringes kleiner ist, als die der weissen Zwischenräume. Die Breite der 4 schwarzen Linien und der 3 weissen Zwi- schenräume zusammen genommen beträgt 6 Mm., so dass auf jeden der 7 Streifen durchschnittlich 0,859 Mm. Breite kommen.

Ein Neffe von mir erkennt in einer Entfernung von 2010 Mm.

nicht nur die Richtung der schwarzen Linien, sondern giebt auch Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 26

402 A. W. Volkmann:

die ihm unbekannte Zahl derselben richtig an. Bemerkenswerth ist, dass er dieselben für etwas breiter hielt, als die weissen Intervalle. Nun berechnet sich die Grösse jedes einzelnen Streifens im Bilde hinter der Glaslinse auf 0,036 Mm., und da bei einer Sehweite von 307 Mm. sich die Grösse dieses Bildes zu dem auf der Netzhaut wie 307 ::15 verhält, so beträgt die Breite jedes einzelnen Streifens auf der Netzhaut nur 0,0017 Mm., eine Grösse, welche '/, geringer als der Durchmesser der Za- pfen ist.

Um die Beweiskraft dieses Versuches, welcher bei Wieder- holung mit verschiedenen Objecten stets übereinstimmende Re- sultate ergab, vollständig zu würdigen, sind noch folgende Punkte in Anschlag zu bringen.

1) Sind die Augen des jungen Mannes, mit dem ich expe- rimentirte, zwar sehr scharfe, aber keineswegs die schärfsten, die überhaupt vorkommen. Im Gegentheil versicherte mir der- selbe, dass er bei Seereisen vielfältig Gelegenheit gehabt habe, sich zu überzeugen, dass im Vergleich mit der enormen Scharf- sichtigkeit der Matrosen seine Sehkraft von geringem Belang sei. |

2) Da die 4 schwarzen Linien breiter erschienen, als die 3 weissen Intervalle, so hätten sie ohne Beeinträchtigung der Er- kennbarkeit bis dahin verschmälert werden können, wo die scheinbare Breite der einen und anderen zur Ausgleichung kam. Durch eine Verschmälerung der schwarzen Streifen hätte das Object im Ganzen eine Verschmälerung erfahren, und würde unter solchen, in der That rationaleren Bedingungen der Ver- such noch kleinere Werthe für die Empfindungskreise ergeben haben. .

3) Gründet sich unsere Rechnung auf die Voraussetzung, dass zur Unterscheidung der 7 vorliegenden Streifen das Vor- handensein von 7 Nervenelementen ausreiche, eine Voraus- setzung, welche offenbar die Annahme einschliesst, dass die Netzhautbilder der Streifen und die Durchmesser der Empfin- dungskreise dieselben Dimensionen haben. Dies anzunehmen, ist ganz unstatthaft. Denn da die Zapfen nach dem Principe der möglichsten Raumersparniss, wie gleich grosse und in ein- ander geschobene Sechsecke gelagert sind, so würde ein gerad-

Zur Entscheidung der Frage: ob die Zapfen u. s. w. 403

liniges Netzhautbild, von der Breite der Zapfen, in ziemlich regelmässigem Wechsel den einen Empfindungskreis ganz und den nächstfolgenden halb decken. Es würde das Bild eines schwarzen Streifens auch die Hälfte der Empfindungskreise, die zu dem weissen Streifen gehören, beschatten, und umgekehrt das Bild des weissen Streifens die Hälfte der Empfindungs- kreise des benachbarten schwarzen Streifens beleuchten müssen. Unter so ungünstigen Umständen, denn die Irradiation vermehrt noch die Verwirrung der Bilder, könnte nur tie Empfindung eines mehr oder weniger gleichmässigen Grau entstehen, und ergiebt sich also wiederum, dass der oben aufgestellte Werth von 0,0017 Mm., als Durchmesser eines Empfindungskreises, noch beträchtlich zu gross ist.

Mit Rücksicht auf die eben erörterten 3 Punkte halte ich meinen Versuch für vollkommen ausreichend, zu beweisen, dass Weber’s Lehre von den Empfindungskreisen und die Auffas- sung der Zapfen als Netzhautelemente sich nicht vereinigen lassen, und mögen daher alle übrigen Gründe, auf welche ich meine Ansicht gestützt habe, unerwähnt bleiben. Ohnehin würde ein Eingehen auf diese Nebenmomente , gegen welche einige der geachtetsten Autoritäten Bedenken erhoben haben, ohne eine sehr weitläufige und den Leser ermüdende Discussion kaum möglich sein.

26°

404 N. Lieberkühn:

Ueber das Wachsthum des Stirnzapfens der Geweihe.

Von

N. LIEBERKÜHN.

In der Sitzung der Gesellschaft naturforschender Freunde im Mai machte ich eine Mittheilung über eine Reihe von Prä- paraten, welche für das Wachsthum und die Össification der Stirnzapfen und Geweihe lehrreich sind. Das Wesentliche des Vortrags gebe ich hier wieder.

Von den drei vorgelegten Stirnzapfen der Rehe war der eine etwas über !/, Zoll, die beiden anderen gegen einen Zoll hoch. An geeigneten Schnitten derselben nimmt man Folgendes wahr: das Stratum corneum und das Malpighi’sche Netz verhalten. sich wie gewöhnlich; das darunter liegende bindegewebige Stroma ist durch ein netzförmiges Gerüst sehnigen Gewebes ausgezeichnet, dessen langgezogene, von senkrecht dazu verlau- fenden Bindegewebsbündeln ausgefüllte Maschen meist mit der Längsachse parallel der Oberfläche ziehen; in demselben befin- den sich zahlreiche Haarsäcke mit Talgdrüsen, nirgends dage- gen deutliche Spuren von Schweissdrüsen. Gegen den Knochen hin tritt eine Schicht junger Bindesubstanz auf, welche als eine Matrix sowohl für die wachsende Knochensubstanz als für die Haut angesehen werden muss. Die Gefässe treten von der Haut aus in den Knochen über, und bleibt das Verhältniss das- selbe, wenn nunmehr das erste Geweih hervorwächst, das nur eine Verlängerung des Stirnzapfens ohne bestimmte Abgrenzung darstellt,

Ueber das Wachsthum des Stirnzapfens der Geweihe. 405

Die vier vorgezeigten Exemplare erster Geweihe von Reh. kälbern besitzen, wie die dazu gehörigen Stirnhöcker, eine sehr verschiedene Länge; die kürzesten sind noch nicht zwei Linien, die längsten über einen halben Zoll hoch; die Stirnzapfen con- vergiren gewöhnlich, nur bei einem sind sie nahezu einander parallel. Von zwei noch nicht entbasteten Geweihen ist das eine mit einer breiten Schicht von hyalinem Knorpel versehen, die zwischen der vorher erwähnten Matrix und dem Knochen liegt und gleichfalls von Gefässen durchbrochen wird. Die Knorpelschicht geht nach oben zu und in der Peripherie ganz allmählig in die junge Bindesubstanz über, welche noch keine deutlichen Zellengrenzen, sondern nur Kerne zeigt und über- haupt das Ansehen von unreifer Bindesubstanz bietet, wie sie als Vorläufer aller specifischen Bindesubstanzen beobachtet wird. Das Knorpelgewebe besitzt eine durchsichtige von sphäroidi- schen Hohlräumen vielfach durchbrochene und feste Grundsub- stanz; die Zellen unterscheiden sich in keinem Punkte von de- nen, welche man sonst überall in hyalinem Knorpel findet. Die Grundsubstanz liefert beim Kochen Chondrin. Gegen die Stirn- zapfen hin ist das Gewebe in der Verknöcherung begriffen und enthält zuerst feine Körhchen in grosser Masse, die nach ab- wärts durch immer reichere Ablagerung der Kalkerde mit ein- ander verschmelzen und homogene Knochensubstanz liefern, zu- gleich engen sich die Knorpelhöhlen mehr und mehr ein und entstehen so die Knochenkörper; der Vorgang bei der Bildung der Ausstrahlungen derselben ist jedoch noch nicht aufgeklärt. Noch weiter nach abwärts ist die Knochensubstanz so fest, dass sie sich nur schwer mit dem Messer schneiden lässt. Während die Knorpelverknöcherung fortschreitet, verknöchert in der Pe- ripherie des Geweihes die dort befindliche junge Bindesubstanz aus der durch kochendes Wasser kein Chondrin dargestellt wer- den kann. Die Annahme, dass die junge Bindesubstanz stern- förmige Zellen enthält, ist durch Nichts begründet, wird viel- mehr dadurch, dass sie in ihrer unteren Lage in hyalinen, mit kugeligen Zellen versehenen Knorpel übergeht, äusserst unwahr- scheinlich. Nachträglich findet auch noch eine endostale Ossi- fication statt, wodurch die Gefässräume so eingeengt werden

406 N. Lieberkühn:

können, dass das Knochengewebe ganz compact wird. Doch kommen hierin grosse Variationen bei verschiedenen Geweihen vor, ebenso wie in der Resorption schon gebildeter und in der Bildung begriffener Knochensubstanz. An einem noch nicht ausgewachsenen Hirschgeweih ist in dem oberen Theile durch- weg eine dicke Lage hyalinen Knorpels oder junger Knochen- substanz zwischen den Gefässen sichtbar, während sie weiter abwärts nur schwache Septa zwischen den von reichlichen Mas- sen junger Bindesubstanz umgebenden Gefässen bildet.

Dieselbe junge Bindesubstanz ist es jedenfalls, aus welcher in der verknöchernden Sehne der zwischen den Strängen be- findliche Knorpel hervorgeht. Bevor die Kalkablagerung be- ginnt, treten die Sehnenbündel deutlicher als sonst hervor. Man bemerkt in der Regel hier noch keine Knorpelzellen, sondern dieselben Reihen von Körperchen, wie sie sonst in der jungen Sehne vorkommen. Erst wenn die Bündel so scharf abgegrenzt sind, wie sie es während der Kalkablagerung bleiben, sieht man sie auftreten. Man erkennt sie alsdann nicht blos auf Längs-, sondern auch auf Querschnitten, wo sie mitten in den von mir beschriebenen Scheiden liegen, namentlich an den Stellen, wo ihrer drei zusammentreffen ; auf Zusatz von verdünnter Kalı- lauge erscheinen sie als kugelige, ovale oder würfelförmige Ge- bilde. Die die Zellen einer Reihe von einander trennende Grundsubstanz ist jetzt noch ganz so homogen, wie die des hyalinen Knorpels und zeigt sich auf freien Rändern von Längs- schnitten nicht selten in Form vorspringender Septa, zwischen denen die Zellen herausgefallen sind.

An einem anderen Geweih eines Rehkalbes ist es auch an der Spitze gar nicht zur Ausbildung von hyalinem Knorpel ge- kommen, sondern es findet sich hier die junge Bindesubstanz vor, welche bei ausgewachsenen Geweihen auch stets die Spitze einnimmt und in Knochensubstanz übergeht.

Zwischen dem entbasteten Geweih und dem Stirnzapfen nimmt man nunmehr auf Längsschnitten in der Regel eine deutliche Grenze wahr.

An den in der Bildung begriffenen Rosenstöcken wurden mehrfach Sharpey’sche Fasern beobachtet, welche auf Schliffen

Ueber das Wachsthum des Stirnzapfens der Geweihe. 407

als feine Kanäle sichtbar sind und an Schnitten mit Säuren behandelter Knochen sieh durch ihr Lichtbrechungsvermögen von der fertigen Knochensubstanz unterscheiden lassen. Sie bestehen hier aus unverknöcherter Bindesubstanz, welche so- wohl mitten im Knochengewebe, als besonders auch an der Os- sifieationsgrenze in den mannichfaltigsten Formen auftreten kann, z. B. in Form von Scheiden, die Stränge fertiger Knochensub- stanz umgeben, oder in Form von halbmondförmigen Gebilden, so dass das Aussehen von Interglobularräumen des Zahnbeines entsteht ; diese unverknöcherte Substanz kann blos Grundsub- stanz sein, oder auch noch Bindesubstanzkörper enthalten. Knochensubstanz von dem Aussehen der verknöcherten Sehne findet sich constant in manchen Vogelknochen, z. B. den Tra- chealringen, den Wadenbeinen und sonst; ceireulär um die Ge- fässräume verlaufende Züge können alsdann wie bei der Sehne das Ansehen von homogener Knochensubstanz annehmen.

Neuerdings ist die Verknöcherung der Geweihe für eine pe- riostale erklärt worden, während sie ursprünglich für eine Knor- pelverknöcherung gehalten wurde. Insofern das Wachsthum in der Spitze von dem in der Peripherie sich nicht wesentlich un- terscheidet und bei jenem der Knorpel gar nicht aufzutreten braucht, so hat diese Auffassung eine gewisse Berechtigung. Wenn man jedoch überhaupt einen Unterschied zwischen pe- riostaler und Knorpelverknöcherung statuiren will, so kann er nur Sinn haben, wenn man von Knorpelverknöcherung dann redet, wenn chondringebender hyaliner Knorpel sich in glutin- gebende Knochensubstanz verwandelt, wo es auch geschehen mag, ob an den Diaphysen und Epiphysen der Röhrenknochen, oder an den Geweihen, oder am Condylus des Unterkiefers u. Ss. w., während es sich nicht um Knorpelverknöcherung han- delt, wo dies Gewebe mit seinen bekannten Eigenschaften vo der Ossification nicht wahrzunehmen ist.

408 Geschichtliche Bemerkung von E, du Bois-Reymond.

Geschichtliche Bemerkung

von

E. ou Bors-Reymono.

Die schöne, neuerdings von Hrn. Zalesky in Tübingen gemachte Beobachtung, dass die Unterbindung der Ureteren bei Vögeln Ablage- rung harnsaurer Salze in vielen Organen zur Folge hat (Untersuchun- gen über den uraemischen Process und die Function der Nieren. Tü- bingen 1865. 8. Mit 4 Tafeln in Farbendruck. S. 38), ist fast genau ein Jahrhundert alt, und es ist somit nicht ganz richtig, dass Herr Hoppe-Seyler der Erste und Einzige war, welcher auch einem an- deren als einem Säugethiere die Ureteren unterband (S. 56). Jene Thatsache ist nämlich schon 1766 von Galvani, dem späteren Ent- decker der nach ihm genannten elektrischen Erscheinungen, beschrie- ben worden, mit dem Unterschiede freilich, dass Galvani die harn- sauren Salze nicht als solche, sondern nur als den festeren Theil des Vogelharnes zu bezeichnen weiss. In dessen Festrede: De Renibus atque Ureteribus Volatilium (De Bononiensi Scientiarum et Artium In- stituto Commentarii 1767. T. V. Il. p. 500; Opere edite ed in- edite del Professore Luigi Galvani ec. Bologna 1841. 4 p. 15° [Vergl. auch p. 99 des Rapporto sui MSS. dell’ Autore]) heisst es:

„Devinxi.... ureteres vivente pullo (id quod in volatilibus acu filo instructo post anum profunde ex una parte ad alteram trajecto, indeque nodulo quidquid intra fili capita reperitur, arctissime devincto haud diffieile, et absque ulla sectione obtinetur) ea spe ductus, ut cum vinculo urinae cohiberetur ex ureteribus effluxus, urina ipsa alba in volatilibus, atque ad concrescendum adeo apta, in minimis usque ex- cretoriis ductibus congesta, atque concreta, quaesitam renum structu- ram patefaceret. Paucis post diebus pullus periit; qui celer interitus in singulis, in quibus deinceps idem periculum cepimus, semper evenit.

Ejus cadavere dissecto alba terrestris materies conspicitur, quae omnes ferme partes coinquinat, atque membranas potissimum, inter quas praesertim pericardium, quod gypseum evasisse videtur, atque extima hepatis membrana.

„Renes vix a naturali magnitudine recedunt, at lobos praeseferunt alba materie repletos, quam non est dubitandum, urinae fuisse cras- siorem, solidioremque partem.“

Von der physiologischen Bedeutung, welche die Erscheinung für uns hat, weiss natürlich Galvani Nichts, sondern er geht einfach zur Untersuchung des Baues der Niere mittelst dieses neuen Injections- verfahrens über. In dieser Rücksicht findet sich seine Arbeit übrigens in Joh. Müller’s Drüsenwerk erwähnt (De Glandularum secernentium Structura penitiori ete. Lipsiae 1830. Fol. p. 23).

Wenn es an sich billig ist, dass die ersten Urheber wichtiger Be- obachtungen unvergessen bleiben, und wenn es stets von Neuem in- teressirt, zu sehen, wie noch so gut beobachtete und wichtige That- sachen lange wirkungslos schlummern können, bis ihre Zeit kommt; so schien mir in diesem Falle die Erinnerung an jene älteren Ver- suche um so mehr passend, als Galvani’s Unterbindungsweise der des Hrn. Zalesky in mancher Hinsicht vorzuziehen sein dürfte.

Ärehio f Anat: w. Ryf FS65.

Taf UA.

ER

- Wagenschteber se.

en

ARTEN 7 VERET, ea a

hie FAradt u Roy! 7803.

Are

nenn en une

0

By

ie nd

SR

ee.

x

] 70.

Wargenschees.

24

El. Mecznikow: Ueber die Entwickeluug von A. nigrovenosa. 409

Ueber die Entwickelung von Ascarrs nıgrovenosa. Von

EL. MECZNIKOW.

(Hierzu Taf. X.)

Im Folgenden will ich Einiges über die eigenthümliche Ent- wickelung von Ascaris nigrovenosa, welche ich im zoologischen Laboratorium in Giessen untersuchte und worüber Herr Prof. Leuckart') schon kurz berichtete, mittheilen.

Das ausgebildete Thier lebt bekanntlich in den Lungen des braunen Frosches, dessen Blut es als Nahrungsmittel benutzt. Um an die charakteristischen Eigenschaften unseres Thieres zu erinnern, habe ich auf der Fig. 1 sein vorderes Körperende ab- gebildet.

Die den Mund umgebenden Lippen zeigen eine sehr schwache Entwickelung. Hinter der Mundöffnung liegt eine kleine, mit Chitinwandungen versehene Höhle (Fig. 1ph), die man gewöhn- lich als Pharynx bezeichnet. Auf diese folgt der sog. Oeso- phagus (Fig. loe), in dessen Innerem man neben den Quer- streifen noch dunkle Körnchen und helle Zellenkerne bemerkt.

1) Helminthologische Experimentaluntersuchungen. 4. Reihe, in Göttinger Nachrichten, 1865, Nr. 8, S. 219. Da man nach dem ci- tirten Aufsatze meine Rechte auf die beschriebene Entdeckung der Ent- wickelung von A. nigrovenosa in Zweifel setzen könnte, so fühle ich mich gezwungen, sie möglichst fest zu beweisen. Da dies aber keine rein wissenschaftliche Arbeit ist, so halte ich für zweckmässig, es in einem besonderen Zusatze zum vorliegenden Aufsatze zu thun.

Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 27

410 El. Meeznikow:

Die Cuticula des Körpers, sowie die daneben liegende Muskel- schicht sind verhältnissmässig dünn, was der geringen Bewe- gungsfähigkeit des Thieres vollkommen entspricht. Der übrige Theil des Leibesraumes ist mit einer Menge Körnchen erfüllt, welche entweder isolirt, oder in einigen gemeinschaftllichen Hau- fen sich einlagern.

Ascaris nigrovenosa legt eine grosse Anzahl 0,015 Mm. lan- ger Eier, welche schon vollständig entwickelte Embryonen ent- halten (Fig. 2). Die embryonale Entwickelung der letzteren wurde bereits von Kölliker') untersucht.

Die ausgebildeten von der Eischale befreiten Embryonen er- langen eine Länge von 0,56 Mm., wobei sie folgende Eigen thümlichkeiten zeigen (Fig. 3). Sie erscheinen als cylindrische nach hinten mehr wie nach vorne verjüngte Körper. Die Mund- öffnung findet man von einer Öuticularlippe (Fig. 5]) umgeben und in einen, an dasselbe Gebilde der Mutter erinnernden Pha- rynx (Fig. 3ph) führend. Der Oesophagus zeigt zwei An- schwellungen (Fig. 50oe), von denen die zweite durch einen besonderen Chitinapparat (wie es Prof. Leuckart zuerst be- merkte) (Fig. 3d) sich auszeichnet. Der darauf folgende Darm verläuft gerade nach hinten, bis er in eine Afterröhre sich fort- setzt; seine Wand enthält helle Kerne (Fig. Sn) und eine die- selben umgebende körnige Zellensubstanz. In der Mitte des Körpers ist eine mächtig entwickelte Geschlechtsanlage vorhan- den (Fig. 38); in dieser findet man viele mit Kernkörperchen versehene Zellenkerne (Fig. 3c), welche in einem gemeinschaft- lichen Protoplasma eingelagert sind. Aehnliche Zellen findet man am Schwanze und im Vordertheile des Körpers.

Die beschriebenen Embryonen zeichnen sich also besonders durch die bedeutende Entwickelung ihrer Geschlechtsanlage und durch die zweifache Erweiterung am Oesophagus eine Eigen- thümlichkeit der frei lebenden Gattung Diplogaster (Rhab- ditis prop.), welche Prof. Leuckart noch früher bei den jun- gen Larven von Dochmius trigonocephalus auffand.

Aus den Lungen gelangen die Eier, resp. Embryonen in den

1) Müller’s Archiv, 1843.

Ueber die Entwickelung von Ascaris nigrovenosa. 411

Darmkanal des Frosches, grösstentheils im Mastdarme desselben sich ansammelnd. Hier wachsen sie um nicht Unbedeutendes (da sie eine Länge von 0,55 Mm. erreichen), erleiden aber keine sonstigen Veränderungen. Diese treten erst ein, wenn die Embryonen nach Aussen kommen und in der feuchten Erde sich aufhalten.') Bei solchen Verhältnissen wachsen die jungen Larven wie früher und häuten sich nach ungefähr 12 Stunden?) zum ersten Male.

Nach dieser Häutung kann man schon zwei Arten von In- dividuen erkennen.“ Die ersten (Fig. 4) behalten eine grössere Aehnlichkeit mit der früheren Larvenform, da sie blos durch die Grössenzunahme und ziemlich bedeutendes Wachsthum der Geschlechtsanlage sich unterscheiden. Die zweite Art der In- dividuen (Fig. 5) zeigt aber viel grössere Unterschiede. Der auffallendste besteht in einer bedeutenden Verkürzung und Krümmung des Schwanzendes. Bei solchen Individuen nimmt auch die Geschlechtsanlage die Form eines bis zum Afterdarme hinlaufenden Bandes (Fig. ög) an. Der erwähnte Abschnitt des Darmkanales zeichnet sich durch eine besondere Dicke und Festigkeit aus.

Das weitere Wachsthum besteht, ausser der Grössenzunahme, noch in einer weiteren Differenzirung anderer Organe und vor Allem in der Umwandlung der Geschlechtsanlage

1) Im Wasser gehen die Embryonen stets zu Grunde, was auch das Missglücken meiner ersten Versuche verursachte. Um aber den Larven die Möglichkeit einer weiteren Entwickelung zu geben, muss man den Inhalt des Mastdarmes der Frösche, in welchen man die Ascaris-Larven findet, mit der feuchten Erde vermischen und auf einem Uhrgläschen in die feuchte Kammer setzen. Ich muss hier noch hervorheben (was Prof. Leuckart auf der S. 227 seines Auf- satzes schon gethan hat), dass die direct aus dem Mutterleibe heraus- genommenen Ascaris-Larven sich nicht bis zur vollen Reife entwik- keln, was auf die Nothwendigkeit des Verweilens im Mastdarme deut- lich hinweist.

2) Ich muss hervorheben, dass die Zeitdauer, resp. die Intensität des Wachsthums von der Jahreszeit sehr bedeutend abhängen, so dass im Sommer die ganze Entwickelung der freien Larven nur die Hälfte der Zeit beansprucht, welche im Herbste (als ich die ersten Beobach- tungen anstellte) dazu nothwendig ist.

27°

412 El. Mecznikow:

in vollkommen entwickelte Geschlechtsorgane. Schon am dritten Tage des freien Lebens (im Sommer) gehen diese Veränderungen vor sich und dann unterscheidet man Männchen und Weibchen. Man erkennt alsbald, dass die ersteren aus den oben beschriebenen kurzschwänzigen Individuen (Fig. 5) ent- standen sind, während die’ Weibchen weitere Entwickelungs- stufen anderer, auf der Fig. 4 abgebildeten Individuen reprä- sentiren.

Es erklärt sich also, dass die mannichfach von ihren Aeltern verschiedenen Larven der Ascaris nigrovenosa frei le- ben und hier zu einer geschlechtlichen Entwickelung gelangen.

Die Organisation der vollständig ausgebildeten Männchen dieser freien Generation von Ascaris nigrovenosa (Fig. 6) zeigt im Allgemeinen eine grosse Aehnlichkeit mit dem Baue oben beschriebener kurzschwänziger Larven (Fig. 5), unterscheidet sich aber durch die weitere Differenzirung einiger Organe.

Der Körper des Männchens ist ziemlich plump, da seine Länge zur Breite sich wie 14:1 verhält. Die Grösse zeigt be- deutende Differenzen: während einige Individuen blos 0,59 Mm. lang werden, besitzen andere 1,1 Mm. in der Länge. Der bo- genförmig nach Innen gekrümmte Schwanz ist ziemlich dick und stumpf; an ihm bemerkt man jederseits eine Reihe kleiner Zapfen (Fig. 6p), welche mit einer dünnen Membran zusam- menhängen und dadurch derartige Gebilde repräsentiren, wie man sie so oft bei verschiedenen freien und parasitischen Ne- matoden antrifft.

Die übrige äussere Organisation des Körpers beim Männ- chen unterscheidet sich von dem beschriebenen Baue der jün- geren Larven blos durch das Vorhandensein einer besonderen im Vordertheile liegenden Excretionsöffnung (Fig. 6ex). Der Darm erfährt während der Entwickelung keine besondere Mo- dification, während die am vorderen Körperende liegenden Zel- jen einen centralen Nervenring (Fig. 6n) bilden. In diesem Stadium bemerkt man auch differenzirte Muskelfasern.

Die Geschlechtsorgane bestehen aus einem unpaarigen Strange, an dessen oberem (oft gekrümmten) Ende sich die saamenbil-

Ueber die Entwickelung von Ascaris nigrovenosa. 413

denden Zellen befinden (Fig. 6c); hinter diesen liegen die rei- fen äusserst kleinen Saamenkörperchen (Fig. 6sp). Der untere Theil des Geschlechtsapparates besteht aus einem dickwandi- gen Vas deferens (Fig. 6 vd), welches in den Afterdarm mündet. Aus den Wandungen dieses Darmabschnittes entsteht das Be- gattungsorgan, welches bei unserem Thiere aus zwei am spitzen Ende verwachsenen Spiculae (Fig. 6s) und aus einer unpaaren Stützchitinleiste (Fig. 65‘) zusammengesetzt ist.

Im Schwanze befindet sich ein Haufen Drüsenzellen, wel- cher, wie ich gesehen zu haben glaube, sich nach Aussen aus- mündet.

Das Weibchen (Fig. 7) unterscheidet sich vom Männchen zunächst durch den längeren und schmäleren Schwanz, wie es schon von mir bei jüngeren Individuen (Fig. 8) beschrieben wurde. Die Excretionsöffnung (Fig. 7ex) ist hier, wie beim Männchen vorhanden; anders aber mit dem Nervensystem, wel- ches bei den Weibchen nur aus einem undifferenzirten Zellen- haufen (Fig. 7u gebildet zu sein scheint.

Das entwickelte Weibchen erscheint noch plumper als das Männchen, da die Länge des ersteren zu der Breite sich wie 12:1 verhält. Während des Wachsthums der Eier, resp. Em- bryonen nimmt das Weibchen noch mehr an Breite zu. Die Länge der Weibchen ist im Allgemeinen bedeutender als die des Männchen, zeigt aber auch Differenzen: neben den grösse- ren, 1,13 Mm. langen Individuen findet man andere, welche bloss 0,65 Mm. lang sind.

Die Vagina (Fig. 7v) liegt in der Mitte des Körpers; sie führt in die paarigen Geschlechtsorgane, welche bei unserem Thiere äusserst einfach gebaut sind. Sie bestehen blos aus ne- ben einander liegenden, zu Eiern werdenden Zellen, von denen nur diejenigen ihre vollständige Ausbildung durchlaufen, welche am nächsten zur Geschlechtsöffnung liegen. An den weibli- chen Geschlechtsorganen konnte ich durchaus keine besonderen Wandungen, welche Professor Leuckart!) hervorhebt, auffin-

DPA, 228,

414 El, Mezenikow:

den. Ebenso membranlos sind auch die befruchteten Eier un- seres Thieres.!)

Die embryonale Entwickelung der neuen Generation geht im Inneren des frei lebenden Weibchens vor sich und zeigt nichts Bemerkenswerthes. Auf der Fig. 7em', em'', em'’' sind von mir einige Entwickelungsphasen abgebildet. Die neuen Embryonen, welche in keine besondere Eischale eingeschlos- sen sind und in der Zahl von 1 bis 4 sich entwickeln, strecken sich bald nach ihrer Ausbildung aus, wobei sie freie Bewegun- gen im Inneren des Mutterleibes vollziehen. Gleichzeitig be- ginnen sie mit unentwickelten Eiern und den inneren Organen der Mutter sich zu ernähren und auf Kosten derselben sehr rasch zu wachsen. Nach einigen Stunden bleibt von den Or- ganen des Mutterkörpers nichts als die Cutieula übrig (Fig. 3), in welcher die lebhaft sich bewegenden, von einer Menge dunk- ler Körnchen umgebenen Embryonen sich befinden.

Am fünften Tage nach dem Heraustritte der jungen Larven von Ascaris nigrovenosa aus dem Mastdarme des Frosches krie- chen schon die Embryonen einer neuen Generation (deren Ent- wickelung ich eben geschildert habe) aus der Cuticula ihrer gefressenen Mutter. Diese neuen Larven, welche eine Länge von 0,65 Mm. eriangen, unterscheiden sich von ihren Aeltern durch sehr lebhafte Bewegungen, resp. durch eine viel schlan- kere Form; das Verhältniss ihrer Länge zur Dicke ist wie 25:1. Ihre Outicula ist mit deutlichen, scharfen Längsstreifen versehen. Die kleine Mundöffnung führt in den Oesophagus, welche eine Zeit lang, wie derselbe bei den Aeltern, zwei Anschwellungen (Fig. Soe) besitzt, später aber diese Eigenschaft verliert und dann als ein dünnes, langes, mit einer terminalen Erweiterung versehenes Organ (Fig. 9oe) sich auszeichnet. Der darauf fol- sende Darm ist ein gerade verlaufender Cylinder, welcher im Inneren einen engen Hohlraum einschliesst; am Hintertheile des Körpers mündet er durch eine Afteröffnung nach Aussen.

1) Ich muss hier bemerken, dass eine ebenso einfache Bildung der Genitalien auch bei manchen anderen freien Nematoden vorkommt.

Ueber die Entwickelung von Ascaris nigrovenosa. 415

Die Geschlechtsanlage unserer Larve liegt in der Mitte des Kör- pers (Fig. 9g), und erscheint sehr unbedeutend.

Die Lebensweise der eben beschriebenen Larven unterschei- det sich von derjenigen ihrer Aeltern durch das Vermögen des normalen Lebens im Wasser, wo unsere Larven ausserordentlich rasche schlängelnde Bewegungen zu vollziehen im Stande sind.

In diesem Zustande leben diese Larven unbestimmt lange Zeit im Schlamme, ohne irgend welche Veränderungen zu er- leiden. Diese geschehen aber bald nachdem sie in den Körper des Frosches gelangen.') Durch die Fütterung kleiner Frösche?) mit dem Schlamme, in welchem die neue Generation von Äs- carıs nigrovenosa sich entwickelt hat, giebt man den Larven die Möglichkeit, in die Lungen einzudringen. Nachdem sie es gethan haben, häuten sie sich zum ersten Male°), wobei man an ihnen schon einige Veränderungen bemerken kann. Die alte, längsgestreifte Cuticula wird jetzt‘ abgeworfen, wodurch der Schwanz viel stumpfer (Fig. 10) wie früher erscheint. -Der Kopf zeigt nach der Häutung kleine hervorragende Lippen (Fig. 101) im Umkreise der Mundöffnung. An solchen Indivi- duen bemerkt man auch die Excretionsöffnung (Fig. 10ex) und eine Differenzirung der späteren Muskeln, welche jetzt aus einer äusseren homogenen und aus einer inneren körnigen, Zellenkerne enthaltenden Schichte bestehen.

Während des Aufenthaltes in der Froschlunge wachsen die eben beschriebenen Individuen um nicht Unbedeutendes. Am vierten Tage ihres parasitischen Lebens habe ich schon ziemlich heran gewachsene Larven im Begriffe der (zweiten) Häutung ge- troffen, leider aber sind sie verloren gegangen, so dass ich von ihnen keine passende Abbildung zu entwerfen im Stande war.

1) Die Vermittelung der Süsswassermollusken zur Uebertragung der Ascaris-Larven in die Frösche, wie es die früheren Beobachtungen zeigten (Leuckart, a. a. O. S. 229) ist als unnöthig erwiesen, weil die Larven unmittelbar in den Körper des Frosches zu gelangen im Stande sind.

2) Für die Fütterungsversuche ist der grüne Frosch, wegen der Sicherheit der Resultate, angewendet worden.

3) Dieselbe Häutung erleiden übrigens die Ascaris-Larven, welche in den Darmkanal des Frosches gelangt sind.

416 El. Mecznikow:

Acht Tage nach der Uebertragung der jungen Larven von Ascaris nigrovenosa in den Körper des Frosches habe ich diese Parasiten in einem weiteren Entwickelungsgrade getroffen (Fig. 11). Sie hatten schon eine Länge von 1,25 Mm. Ihre Mund- öffnung, welche von kleinen Lippen umgeben ist, führt in eine kleine mit Chitinwandungen versehene Höhle (Fig. 11oe) hin. Der darauf folgende Oesophagus (Fig. 1loe) besitzt (wie der der vollkommen ausgebildeten Ascaris nigrovenosa der Frosch- lunge) nur eine einzige terminale Erweiterung und zeigt im Inneren körnige Querstreifen und helle Zellenkerne.

Der Darm solcher Individuen erscheint als eine lange, mit drüsigen Wandungen versehene Röhre, die bis zum Afterdarm gerade verläuft, und welche man beständig mit einem rothbrau- nen, aus veränderten Blutzellen des Frosches bestehenden In- halte erfüllt vorfindet. Der Afterdarm (Fig. 11r) ist, wie ge- wöhnlich, durch einen dünnen, auf der Bauchfläche nach Aussen mündenden Kanal repräsentirt; an seinem Ursprunge vom eigent- lichen Darme befinden sich grosse Drüsenzellen (Fig. 11 gl, en). Nicht so mächtig entwickelte Zellen findet man auch im Schwanze des Thieres.

Bei den beschriebenen Individuen findet man auch eine be- sondere, auf der Bauchfläche des Vorderkörpers liegende und mit einem Ausführungsgang in die Excretionsöffnung mündende körnige Drüse (Fig. 11gl), in deren Innerem ein oder zwei mit Kernkörperchen versehene Zellenkerne sich befinden. Das Ner- vensystem (Fig. 11n) besteht in diesem Stadium aus einem Oesophagealringe und aus zwei mit der Muskelschicht ver- schmolzenen Stämmen. Die Muskeln erscheinen als vollkom- men entwickelte spindelförmige Zellen. Die sehr stark ent- wickelten Seitenlinien bestehen aus dicht neben einander ste- henden, 0,013 Mm. im Durchmesser haltenden Zellen (F. 11A), in welchen man einen Kern mit einem 0,006 Mm. grossen Kern- körperchen beobachtet. Das Seitengefäss konnte ich nicht wahr- nehmen.

Alle parasitischen Individuen von Ascaris nigrovenosa, welche ich im beschriebenen Entwickelungsstadium zu untersuchen Ge- legenheit hatte, erwiesen sich als Weibchen. Dieser Umstand

Ueber die Entwickelung von Ascaris nigrovenosa. 417

spricht sehr viel für die Vermuthung von Leuckart (a. a. O. S. 230), dass das parasitische Weibchen von Ascuris nigrove- nosa eine parthenogenetische Fortpflanzung besässe. Die weib- lichen Generationsorgane (Fig. 11g) bei den beschriebenen Indi- viduen sind doppelt vorhanden und zeigen schon eine Differen- zirung im Eierstock, Ausführungsgang und Uterus. Im ersten sind 0,085 Mm. grosse Keimbläschen mit Keimflecken (von 0,025 Mm. Grösse im Durchmesser) eingelagert. Die Vagina ist in der Form eines langen Kanales (Fig. 11v) gebildet.

Alle beobachteten parasitischen Exemplare im beschriebenen Stadium waren im Processe der Häutung begriffen, da man an ihnen die alte Haut (Fig. 11c) sich abheben sehen konnte.

Wenn man die zuletzt beschriebenen, in der Froschlunge lebenden Individuen mit den vollkommen ausgebildeten parasi- tischen Asraris nigrovenosa vergleicht, so gewinnt man die Ueberzeugung, dass der Unterschied zwischen beiden nur ein gradueller ist, da er hauptsächlich in der bedeutenderen Grösse und im Zerfallen einiger innerer Organe der letzteren besteht. Deshalb scheint es mir keine besondere Lücke zu bilden, dass ich die letzten Zwischenstadien nicht beobachtete, was ich übri- gens lediglich aus Mangel an Material und Zeit unterliess.

Aus dem Beobachteten geht aber deutlich hervor, dass A s- caris nigrovenosa zwei geschlechtliche Generationen besitzt, von denen eine parasitisch lebt, während die andere, die Eigenthümlichkeiten der Gattung Ahab- ditis zeigende Generation eine freie Lebensweise führt.

Diese Thatsache zeigt nicht allein eine merkwürdige Fort- pflanzungsart, sondern auch besondere Beziehungen zwischen der parasitischen und freien Lebensweise. Die Uebereinstim- mung einiger freier Nematoden mit den parasitischen ist theil- weise schon von vielen früheren Forschern anerkannt. Götze und Dujardin!) haben z. B. beobachtet, dass die jungen Lar- ven von Ascaris acuminala im Wasser zu leben im Stande sind.

1) Dujardin, Histoire naturelles des Helminthes. 1845. p. 228.

418 El. Mezenikow:

Will!) hat nachgewiesen, dass Angiostoma limacis nicht blos im Inneren von Schnecken, sondern auch frei im Wasser vorkommt.

Die genetischen Beziehungen zwischen den parasitischen und freien Nematoden wurden aber erst durch die Beobachtung von Prof. Leuckart, der die Rhabditisartigen Larven von Doh- mius trigonocephalus im. Freien wachsen sah, erklärt.

Diese innigen Beziehungen, sowie der Umstand, dass die Nematoden einen viel mehr entwickelten Verdauungsapparat, als alle anderen parasitischen Würmer besitzen, zeigen schon zur Genüge, dass die Lebensweise der parasitischen Nematoden irgend welche Eigenthümlichkeiten darbieten muss. Es scheint mir mehr als wahrscheinlich zu sein, dass viele von den darm- bewohnendenNematodenkeineächtenParasitensind, da sie sich nicht mit Theilen des lebendigen Körpers, sondern mit den Excretionsstoffen ihrer Wirthe ernähren. Dafür spricht eine schon vor vierzehn Jahren von Dujardin gemachte Beob- achtung, dass im Darme von Oryuris curvula verschiedene feste Pflanzenreste sich befinden. Ich habe auch im Darme von Sclerostomum des Schafes eine Menge verschiedener Kothbe- standtheile dieses Wiederkäuers beobachtet.

Zusatz.

Nachdem ich die wichtigsten Momente aus der Entwicke- lung von Ascaris nigrovenosa geschildert habe, muss ich zu einer unangenehmeren und viel weniger wissenschaftlichen Ar- beit, nämlich zur Wahrung meiner, von Prof. Leuckart mir un- vollständig zugegebenen Rechte auf diese Entdeckung übergehen.

Herr Prof. Leuckart sagt Folgendes: „Was ich im Fol- genden zu berichten mir erlaube, enthält nur denjenigen Theil meiner Beobachtungen, der bisher zu einem mehr oder weni- ger vollständigen Abschlusse gekommen ist. Ich habe die Mehrzahl derselben während des verflossenen Wintersemesters angestellt und mich dabei fastüberall der Beihülfe und

1) Archiv für Naturgeschichte, 1849, S. 179. 2) Annales des Sciences naturelles, 1851, p. 302.

Ueber die Entwickelung von Äscaris nigrovenoso. 419

Theilnahme des Herrn Cand. Mecznikow zu erfreuen gehabt“ (a. a. O. S. 221).

Obgleich die Bezeichnungen „Beihülfe* und „Theil- nahme“ keiner genaueren Bestimmung unterliegen, wird doch wohl Niemand unter ihnen eine Anerkennung vollkommen selbst- ständiger Entdeckungen, welche ich in nicht geringer Zahl ge- macht habe, verstehen. Die wichtigste von allen in der eitir- ten Abhandlung von Prof. Leuckart berichteten Thatsachen ist "ganz zweifellos die eigenthümliche Entwickelung von Ascaris nigrovenosa, welche von mir allein während der Herbst- ferien'), als Prof. Leuckart in seinem Laboratorium noch nicht arbeitete, entdeckt wurde. Aber nicht blos das Factische in der Entstehung einer geschlechtlichen freien Lar- ven-Generation aus den Embryonen von Ascaris ist von mir selbst entdeckt und geprüft, sondern auch die Methode des Versuches (welche in Aufbewahrung der jungen Larven in der feuchten Erde besteht) ganz unabhängig von Prof. Leuckart, der mir verschiedene andere (missglückte) Behandlungsarten empfahl, gefunden.

Bei der anatomischen Untersuchung verschiedener Entwicke- lungsstadien hat mich Herr Prof. Leuckart auf einige Eigen- schaften, hauptsächlich auf die Anwesenheit der Chitinbildungen in der zweiten Oesophagealanschwellung bei der freien Genera- tion zuerst (wie ich schon oben hervorhob) aufmerksam gemacht. ?)

Die letzten in der Froschlunge durchlaufenen Entwickelungs- stadien von Ascaris nigrovenosa (Fig. 11) wurden von mir allein beobachtet.

1) Diese Thatsacbe spricht auch für meine Ansprüche an die Ent- deckung, da sie zeigt, dass die letztere noch früher als im Winterse- mester, in welchem Prof. Leuckart seine Beobachtungen anstellte (siehe die oben angeführte Stelle der 221. Seite seines Aufsatzes), ge- macht wurde.

2) Ueberhaupt, um das Meinige in dem citirten Aufsatze von Prof. Leuckart vom Seinigen zu unterscheiden, muss ich bemerken, dass mein Lehrer alle von ihm zuerst gesehenen Thatsachen mit dem Zu- satze des Pronomens „ich“ beschreibt, während er die von mir zuerst beobachteten Facta mit den Worten „man beobachtet“, „man erkennt“, „man sieht“ u, s. w. bezeichnet.

420 El. Mecznikow: Ueber die Entwickelung von A. nigrovenosa.

Schliesslich muss ich meine Hoffnung aussprechen, dass die Leser, sowie Herr Prof. Leuckart selbst, nicht anstehen wer- den, meine Rechte auf die beschriebene Entdeckung anzuer- kennen,

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Vorderer Körpertheil von Ascaris nigrovenosa aus der Froschlunge. ph Mundhöhle, die man als Pharynx bezeichnet, oe Oeso- phagus, ce Cuticula, m Muskelschicht. Vergrösserung 90mal.

Fig. 2. Ei einer parasitischen A. nigrovenosa.

Fig. 3. Larve von A. nigrovenosa aus dem Mastdarme des Fro- sches. ] Lippe, oe Oesophagus, d Chitinbewaffnung in seiner zweiten Erweiterung, n Zellenkerne der Darmwand, g Geschlechtsanlage, nc Zellenkerne.

Fig. 4 Eine weibliche,

Fig. 5. Eine männliche Larve nach der ersten Häutung. g aus- gewachsene Geschlechtsanlage.

"Fig. 6. Ein ausgebildetes Männchen der freien Generation von A. nigrovenosa. n Nervensystem, ex Excretionsöffnung c Hoden, sp entwickelte Saamenkörperchen, vd Vas deferens, s Spiculae, s’ Stütz- chitinleiste, p Schwanzpapillen.

Fig. 7. Ausgebildetes Weibchen der freien Ascaris - Generation. n Nervenzellen, ex Excretionsöffnung, ov unbefruchtete Eier, em’, em”, em‘ drei Stadien der Embryonalentwickelung, v Genitalöffnung.

Fig. 8. Zwei junge Individuen der parasitischen Generation von Ascaris in der Cuticula ihrer Mutter. oe Oesophagus.

Fig. 9. Eine Larve der parasitischen Generation. g Geschlechts- anlage.

Fig. 10. Dieselbe Larve nach der ersten Häutung. 1 Lippen, ex Excretionsöffnung.

(Die Fig. 2—10 sind bei der Vergrösserung von 190 gezeichnet.)

Fig. 11. Ein parasitisches, noch unvollkommen ausgebildetes Weib- chen von A.nigrovenosa. n Nervensystem, gl körnige Drüse, ov Eier- stock, v Vagina, c alte Cutieula, glan Afterdarmdrüsen. Vergrösse- rung 90 mal.

Fig. 11A. Drei Zellen der Seitenlinie.

A. Schneider: Ueber Haematozoen des Hundes. 491

Ueber Haematozoen des Hundes.

Von

Dr. Anton SCHNEIDER.

Leisering hat vor Kurzem (Virchow’s Arch. Bd. XXXII. S. 111) eine neue Art von Nematoden aus dem Blute des Hun- des beschrieben. Obgleich ich dieselben nicht selbst beobach- tete, möchte ich mir doch erlauben, zu seinen Angaben einige Bemerkungen zu machen.

Leisering hat die Würmer in 2 Hunden gefunden, wir wollen jedoch nur den einen am genauesten beschriebenen Fall in Betracht ziehen. Nachdem der Hund getödtet war, wurde er zerlegt und die hintere Körperhälfte, in ein feuchtes Tuch eingeschlagen, 10 Tage in einem kalten Raume aufbewahrt. Nach dieser Zeit fanden sich bei näherer Untersuchung in den stark mit Blut angefüllten Venenräumen der Corpora cavernosa zahlreiche Nematoden von 1—2 Mm. Länge. Sie waren ge- schlechtsreif, getrennten Geschlechts und bewegten sich munter. Leisering nimmt an, dass diese Thiere schon bei Lebzeiten in dem Blute des Hundes gelebt haben. Es muss nun sogleich auffallen, dass Nematoden, welche angewiesen sind, in einem warmblütigen Thiere zu leben, noch nach 10 Tagen bei einer niedrigen Temperatur und selbst nachdem das Blut in Fäulniss übergegangen ist, ihre Bewegungen besitzen sollen. - Alle bis- herigen Erfahrungen widersprechen Dem.

Eingeweidewürmer aus warmblütigen Thieren leben immer nur bei der Körpertemperatur, sowie sie herausgenommen wer- den, selbst bei einer nur um 10° niedrigeren Temperatur er-

422 A. Schneider: Ueber Haematozoen des Hundes.

starrep sie und sind nur wieder zur Bewegung zurückzubringen wenn man die Temperatur erhöht. Diese Versuche kann man bei jeder Section, die Würmer liefert, wiederholen, sie sind jetzt bei Gelegenheit der Trichinen-Untersuchungen häufig ge- macht worden. Ich glaube demnach zu der Vermuthung be- rechtigt zu sein, dass diese Hämatozoen des Hundes nicht ur- sprünglich im Blute des lebenden Hundes existirt haben, es scheint vielmehr eine andere Erklärung ihres Auftretens wahr- scheinlich. In jeder todten thierischen Substanz finden sich nämlich sehr leicht gewisse Nematoden aus der Gattung ARhab- ditis Duj. ein. Man ist nicht immer im Stande, sich über ihre Herkunft Rechenschaft zu geben und ihr Auftreten ist eben so räthselhaft und plötzlich, wie das gewisser Infusorien. Sie ver- mehren sich mit einer unglaublichen Schnelligkeit und spielen durch ihre Masse, um mich teleologisch auszudrücken, eine ähnliche Rolle im Haushalt der Natur, wie die Fliegenlarven und andere Zerstörer des organischen Lebens, ja sie überneh- men diese Rolle sogar im Winter, zu einer Zeit, wo die Flie- genlarven selten sind.

Meine Vermuthung, dass diese angeblichen Hämatozoen nur solche Fäulnisswürmer sind, wird noch durch die naturgetreue Abbildung derselben unterstützt, welche in der That das Cha- rakteristische der Gattung Rhabaitis vollkommen wiedergeben. Ich selbst habe mich seit vielen Jahren eingehend mit der Na- turgeschichte dieser Würmchen die zu den interessantesten mikroskopischen Objeeten gehören beschäftigt und bin weit entfernt, mich darüber zu wundern, dass Leisering in diesen Irrthum gefallen ist, denn ich wüsste kaum ein Gebiet der Be- obachtung, ausser den Infusorien, wo die Gefahr des Irrthums so nahe liest.

Berlin, den 9. Juli 1869.

A. Eulenburg: Ueber die Wirkungen u. s. w. 4923

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins auf das Nervensystem.

Von

Dr. ALBERT EULENBURG,

Privatdocent in Greifswald-

In Gemeinschaft mit Herrn Dr. Th. Simon habe ich bereits im Winter 1862/63 eine Reihe von Versuchen über die Wir- kungen des schwefelsauren Chinins auf das Nervensystem an Fröschen angestellt, deren Veröffentlichung durch meinen Weg- gang von Berlin und verschiedene andere Umstände seither verzögert wurde. Die Angaben Schlockow’s, die in seiner Inaugural-Dissertion (de Chinii sulfuriei vi physiologica expe- rımenta nonnulla, Vratisl. 1560) und im 1. Hefte der von Heidenhain herausgegebenen Studien des physiologischen In- stituts zu Breslau niedergelegt sind, wurden von uns theilweise bestätigt, in mehreren nicht unwesentlichen Punkten jedoch durch unsere Untersuchungen erheblich modifieirt und erwei- tert, so dass diese, wie ich glaube, wohl darauf Anspruch machen dürfen, ein treueres Gesammtbild der toxischen Wir- kungen des Chininsulfats zu liefern.

Um eine Gleichmässigkeit und Präeision in der Wirkung zu erzielen, bedienten wir uns bei allen Versuchen, wo eine allgemeine Intoxication beabsichtigt wurde, einer und derselben Applicationsmethode, nämlich der hypodermatischen In- jeetion durch Einbringung des Mittels in das Unterhautzell- gewebe des Rückens. Das benutzte Präparat war das löslichere Chinium sulf. neutrale (1 Theil in 6 Theilen Aq. dest. gelöst

424 A. Eulenburg:

und bei der bald erfolgenden partiellen Ausscheidung des ba- sischen Salzes durch einige Tropfen concentrirter Schwefelsäure in Lösung erhalten). Das auf einmal injieirte Flüssigkeits- quantum varüirte zwischen 3—12 Tropfen, = !,—2 gr. Die Stärke der Dosis zeigte sich von integrirendem Einfluss sowohl auf Intensität und Reihenfolge der Vergiftungserscheinungen, als auch besonders auf die Dauer des Latenzstadiums, so dass eine allgemeine Angabe hinsichtlich des letzteren kaum thun- lich erscheint. Schlockow berichtet, dass bei der subeutanen Application 4—18 Minuten bis zum Eintritt der Giftwirkung vergingen. Wir haben bei den von uns injieirten stärkeren Dosen einen fast momentanen Eintritt der so charakteristischen Wirkung auf die Respiration und Herzaction in vielen Fällen beobachtet; äusserst selten verzögerte sich dieselbe länger als 5 Minuten. Die „Tödtung* des Thieres, d. h. völlige und dauernde Sistirung der Respiration, sahen wir bei starken Do- sen oft nach 10—15 Minuten, bei schwächeren nach 15—70 Minuten erfolgen.

Was die einzelnen Intoxicationsphänomene betrifft, so wur- den von uns die Veränderungen der Respiration, der Circula- tion, der Sensibilität und Reflexaction, und der Motilität einer speciellen Betrachtung unterworfen.

Der Einfluss des Chininsulfats auf die Respiration äussert sich a) in Veränderungen des Modus, der Intensität, b) in Ver- änderungen der Frequenz und des Rhythmus der Athemzüge. Schlockow sagt hierüber nur ganz im Allgemeinen: „Die Respiration wird sehr bald unregelmässig, intermittirend, die Athembewegungen werden schwächer, nur noch an der Kehle wahrnehmbar, und stehen schliesslich ganz still“. Unsere Ver- suche bestätigten dies, führten jedoch in Hinsicht auf den zeit- lichen und typischen Verlauf der Respirationsstörungen zu fol- genden genaueren Feststellungen:

1) Die Veränderungen im Modus der Respiration sind, un- abhängig von der injieirten Dosis, constant die nämlichen: sie zeigen sich in einer bis zu gänzlicher Lähmung stetig fort- schreitenden Intensitätsabnahme der Athembewegungen. Immer werden zuerst die Flankenexcursionen schwächer und stehen

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 425

nach kurzer Frist ganz still, so dass man bei flüchtiger Be- trachtung des in Bauchlage befindlichen Frosches fast glaubt, dass derselbe gar nicht mehr athme zumal auch die Bewe- gungen der Nasenflügel zu dieser Zeit öfters kaum noch wahr- nehmbar sind. (Zuweilen hören die Excursionen der Rumpf- wandungen auf einer Seite etwas früher auf, als auf der an- deren.) Es ist jedoch eine constante Erscheinung, dass mit dem Stillstande der Flanken nicht alle Respirationsbewegungen des vergifteten Thieres erlöschen; vielmehr sind stets noch rhyth- misch erfolgende Hebungen und Senkungen in der Kehlgegend, und gewöhnlich auch deutliche Bewegungen der Nasenflügel vor- handen, die nach längerer oder kürzerer Zeit ebenfalls schwä- cher werden und schliesslich cessiren.

2) Die Unregelmässigkeiten im Rhythmus, die übrigens auch im physiologischen Zustande bei Fröschen nicht zu den Seltenheiten gehören, gesellen sich ebenfalls, unabhängig von der Dosis, constant zu den durch das Gift gesetzten Respira- tionsstörungen: in der Regel begleiten sie dieselben von Anfang an immer jedoch nehmen sie in den Endstadien der Respi- ration, wo kein Rumpfathmen, nur noch schwaches Kehlathmen sichtbar ist, progressiv zu, und sind namentlich kurz vor dem völligen Erlöschen - der Athemthätigkeit in frappanter Weise bemerkbar.

3) Die Wirkung des Giftes auf die Respirationsfrequenz unterliegt, je nach der Stärke der injieirten Dosis, erheblichen Variationen.

a) Bei starken Dosen (1!/;,—-2 gr.) fällt, wenn wir uns die Frequenz durch eine Curve ausgedrückt denken, die Ordinaten- höhe sofort stetig und ziemlich steil ab und erreicht binnen kurzer Zeit in 10—15 Minuten die Abscissenaxe.

b) Bei schwachen und mittleren Dosen (!/,—1 gr.) wurde ein doppeltes Verhalten beobachtet.

In der Mehrzahl der Fälle war das Sinken der Curve von einer einmaligen oder wiederholten Erhebung unterbrochen, wobei die Ordinatenhöhe vorübergehend sogar das ursprüng- liche Niveau um etwas überschreiten konnte. Die Curve sank

also langsam und in ünregelmässigen Schwankungen bis zur Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 28

426 A. Eulenburg:

Abseissenaxe, und zeigte, bevor sie diese erreichte, gewöhnlich noch eine etwas stärkere Erhebung. |

In selteneren Fällen sank die Curve stetig, obwohl langsam, und zeigte höchstens kurz vor dem Ende eine kleine Erhebung, verweilte aber längere Zeit auf einer gewissen Mittelhöhe zwi- schen dem ursprünglichen Niveau und der Abscissenaxe. In beiden Fällen erreichte sie die letztere erheblich später, als nach Application stärkerer Dosen: öfters nach 45— 50, einmal sogar erst nach 70 Minuten.

Der Einfluss des Giftes auf die Herzaction äussert sich ebenfalls in doppelter Weise, nämlich in Verminderung der Energie und Frequenzabnahme der Herzcontractio- nen. Die Wirkung tritt constant auf, sowohl bei Injection grösserer als kleiner Dosen. Die Abnahme der Energie mani- festirt sich besonders scharf am Ventrikel, der auch während der Systole nicht blutleer wird, ausgedehnt und dunkelroth bleibt. Oft wird die Herzspitze gar nicht mehr gehoben und man bemerkt namentlich gegen das Ende des Versuchs nur noch schwache, über die Ventrikeloberfläche hinstreifende, undulirende Bewegungen, während Atrien und Hohlvenensinus noch kräftig pulsiren. Zuweilen sahen wir auch 2—3 Contrac- tionen der Atrien zwischen je 2- Ventrikelpulsationen sich ein- schalten. Characteristisch ist das äussert langsame Zustande- kommen der Gesammteontractionen, die, als ob sie einen be- deutend erhöhten Widerstand zu überwinden hätten, sich vom Sinus venosus zu den Atrien und von diesen zum Ventrikel hin fortschleppen. Eine Irregularität des Rhythmus wurde nur aus- nahmsweise beobachtet. |

Was die Abnahme der Pulsationsfrequenz betrifft, so fällt die Pulscurve in der Regel anfangs bald nach der Vergiftung (namentlich bei Injection grösserer Dosen) ziemlich steil ab sinkt aber weiterhin nur sehr allmählig und erreicht langsam, wenn auch stetig absteigend, die Abseissenaxe. Immer tritt völliger, andauernder Stillstand des Herzens erst verhältniss- mässig lange nach Cessation der Athembewegungen ein zu- weilen erst 4—5 Stunden nach der Vergiftung. Die Pulscurve folgt in keiner Weise den Schwankungen der Respirationscurve;

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 427

sie zeigt das eben geschilderte Verhalten auch dann, wenn die letztere sehr steil oder unter wiederholten Erhebungen abfällt, und der gänzliche Stillstand der Herzaetion wird auch durch Vergrösserung der Dosis nicht wesentlich beschleunigt. Aus diesen Thatsachen lässt sich schliessen: einmal dass das Gift auf die Herzaction einen von der gleichzeitigen Re- spirationsstörung unabhängigen, direeten Einfluss ausübt; sodann dass die direete Einwirkung auf die Cireulation geringer ist als die auf die Respiration.

In Betreff des Zustandekommens dieser Einwirkung hat be- reits Schlockow nachgewiesen, dass dieselbe nicht auf einer Reizung des Vagus als Hemmungsnerven des Herzens beruhen kann, da auch nach bilateraler Vagusdurchschneidung die Chi- ninvergiftung noch denselben Effeet hat nämlich verminderte Energie und Verlangsamung der Herzcontraetionen. Wir haben dieses Experiment mit ganz demselben Resultat wiederholt; die Pulseurve zeigte nach Chinininjeetion mit vorgängiger Vagi- durchschneidung ganz dasselbe Verhalten, wie bei intacten Va- gis, und der Herzstillstand erfolgte ceteris paribus in beiden Fällen ziemlich gleichzeitig. Die Wirkung des Chininsulfats auf die Herzaction wird also durch Section beider Vagi nicht alterirt während dagegen die Wirkung auf die Respiration gar nicht zur Erscheinung gelangt, da nach Vagi-Durchschnei- dungen überhaupt nur noch wenige, schwache und unregel- mässige Athembewegungen beobachtet werden.

Es bleibt somit nur die Möglichkeit offen, dass das Gift entweder auf die automatischen Erregungsganglien des Herzens oder auf die Herzmusculatur direet functionsstörend einwirkt. Das Letztere ist freilich schon deswegen minder wahrscheinlich, weil das Chinin,, wie wir sehen werden, vom Blute aus die Contraetilität der der Willkür unterworfenen quergestreiften Muskeln gar nicht beeinflusst obschon es bei localer Appli- cation vom Querschnitt aus als Muskelreiz wirkt und den ein- getauchten Muskel sehr rasch tödtet. Diese Versuche mit lo- caler Application des Giftes wurden am Herzen ebenfalls ange- stellt. Wir liessen zunächst das ausgeschnittene und fortpulsi- rende, mittelst der Gefässe aufgehängte Herz eines unvergifte-

28”

428 A. Eulenburg:

ten Frosches längere Zeit in eine Chininlösung von der ange- gebenen Concentration (1:6) eintauchen konnten aber keine irgend erhebliche Verminderung der Anzahl (und Energie) der Pulsationen wahrnehmen. Wurde dagegen das ausgeschnittene Herz nicht blos mit der Spitze in die Lösung eingetaucht, son- dern ganz in dieselbe versenkt, so wurden die Contractionen sofort verlangsamt und unregelmässig und das Herz in sehr kurzer Zeit wenn auch 2—4Amal langsamer als ein willkür- licher Muskel dauernd unerregbar.

Die Verschiedenheit in dem Ausfall dieser beiden Versuche ist nicht recht erklärlich man müsste denn annehmen, dass die Abnahme der Pulsfreguenz und das rasche Erlöschen der Herzcontractionen im letzteren Falle daher rühren, dass die Hauptheerde der rhythmischen Erregung, die am Ventricular- rand liegenden Ganglien des Herzens, mit dem Gifte in unmit- telbare Berührung gelangen und sehr schnell der paralysirenden Wirkung desselben unterliegen, wobei freilich nicht abzusehen ist, warum nicht auch im ersteren Falle durch allmählige Im- bibition dasselbe Resultat, wenn auch später, erzielt werden sollte. Die Frage, ob das Gift seinen lähmenden Einfluss vor- zugsweise auf die Musculatur oder auf die gangliösen Erregungs- apparate des Herzens entfaltet, ist also vorläufig noch als un- erledigt zu betrachten.

Ueber das Verhalten der (hinteren) Lymphherzen wurden mehrere Versuche angestellt, aus denen hervorging, dass bereits kleine Dosen ('/, Grm.) dauernden Stillstand der Lymphherzen bewirken, und zwar in verhältnissmässig, kurzer Zeit (10— 40 Minuten). Die Lymphherzen werden rascher gelähmt als die Respiration, und erheblich rascher als das Blutherz. In der Regel zeigen dieselben, wie das Blutherz,, eine continuirliche Abnahme der Pulsfrequenz von ihrer ursprünglichen Höhe bis auf selten eine vorangehende Erhebung, worauf die Curve dann meistens sehr steil absinkt. Der Stillstand der Lymph- herzen ist, wie gesagt, ein dauernder, kann also nicht von einer Functionsstörung des von Volkmann beschriebenen, spinalen Centrums allein abhängen, da nach Zerstörung des letzteren die Lymphherzen wieder zu pulsiren anfangen. Durch welche

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 429

Bahnen das Chinin seinen lähmenden Einfluss auf die Lymph- herzen ausübt, darüber will ich, bei der Unsicherheit unserer Kenntniss über die Innervation dieser Organe, keine weiteren Vermuthungen aufstellen.

Ich gehe nun zu der Einwirkung des Giftes auf die sen- siblen und motorischen Functionen über. Ehe ich die Resultate unserer Versuche nach dieser Richtung hin näher er- örtere, wıll ich kurz zusammenstellen, was sich bei Schlockow (l. e. p. 164) über diesen Gegenstand findet. Es heisst dort: „Bei Fröschen hören die spontanen Locomotionsbewegungen auf und die durch mechanische Insulte veranlassten sind unsicher, schwankend und unbeholfen; die Thiere bleiben platt auf dem Bauche liegen, indem sie sich nicht mehr ordentlich auf die vorderen Extremitäten stützen; sie lassen sich die Rückenlage und andere Stellungen gefallen, die ein gesunder Frosch nie duldet, und erscheinen im Ganzen träge und betäubt; in ein- zelnen Experimenten war eine das gewöhnliche Maass über- schreitende Empfindlichkeit zu beobachten. Empfindlichkeit und Reflexe verschwanden in regelmässiger Reihenfolge von den Nasenflügeln, den oberen und unteren Extremitäten und der Schwimmhaut. Höchst auffallend war das überaus schnelle Verschwinden der Empfindlichkeit von der Cornea. Während sich sonst bei Berührung der Hornhaut mit einer Nadelspitze das Auge sofort schliesst, gehörte es nach allen 3 Arten der Application des Mittels zu den allerersten Vergiftungssympto- men, dass die Nickhaut nach mechanischer Reizung der Cornea nicht mehr vorgezogen wurde.“ Weiter (S. 167) heisst es bei Vergleichung der Symptome der Chininintoxication mit de- nen des gestörten Kreislaufs: „Die Empfindlichkeit schwindet fast constant zuerst an der Hornhaut, dann von der Nasen- schleimhaut die Reflexbewegung erhält sich sehr lange Zeit.“

Es muss auffallen, dass hier wiederholt vom Erlöschen der Sensibilität gesprochen wird, ohne dass eine genauere Erklärung und Darstellung der Erscheinungen, aus denen dies Erlöschen zu folgern sei, gegeben würde. Auch in der Dissertation, ın der die einzelnen Versuche mitgetheilt sind, heisst es gleich

430 A. Eulenburg:

bei Exp. I. (p. 12): „Caput et extremitates normalem praestant sensibilitatem“ und weiter (p. 13): „Post min. 55 reflexus om- nes evanuerunt.“

Die Empfindlichkeit der Cornea wird von Schlockow in der Weise geprüft, dass er"mit einer Nadelspitze die Cornea berührt und nun zusieht, ob die Membrana nictitans vorgezogen wird oder nicht. Es ist dies aber entschieden eine reine Re- flexbewegung, und schon dies Factum stösst den Satz um: „die Reflexthätigkeit erhält sich sehr lange Zeit.“ Ja, unter Schlok- kow’s eigenen Versuchen findet sich eine Bemerkung, die auf das gerade Gegentheil seiner allgemeinen Sätze hinausläuft. Es heisst nämlich im Exp. III. (p. 14), noch dazu mit gesperrten Lettern: „Cornea tacta extremitates moventur, mem- brana nictitans non movetur.“ Dies würde darauf hin- deuten, dass der Theil des Hirns, in welchem die Erregung der Corneanerven auf die Membrana nietitans refleetirt wird, bereits gelähmt war zu einer Zeit, wo die Cornea noch sensibel war, da ja Berührung derselben allgemeine Bewegungen hervor- rief wenn anders nicht dieses Zusammentreffen ein rein zu- fälliges war; wir haben wenigstens eine derartige Beobachtung an der Cornea niemals gemacht, wohl aber oft allgemeine Be- wegungen ohne speciell nachweisbare äussere Veranlassung auf- treten sehen.

Auch im Uebrigen wird die Erscheinung, dass auf mecha- nische Reizung eines Theils Bewegungen gemacht werden, bald für das Vorhandensein von Empfindung, bald als Reflexthätig- keit angesprochen. Wir gingen dagegen von der Ansicht aus, dass zunächst einfach die Thatsachen so aufzustellen wa- ren, wie sie beobachtet wurden, und dass es erst einer genaue- ren Analyse bedürfe, um aus dem Erscheinen oder Nichter- scheinen gewisser Bewegungen nach Reizung sensibler Nerven auf das Vorhandensein oder Fehlen von Sensibilität, Reflexthä- tigkeit und Bewusstsein zu schliessen.

Zunächst stellte sich bei unseren Versuchen constant heraus: dass mechanische Reizung der Haut (durch Kneipen, Stechen u. s. w.), sowie chemische (durch Bepinseln

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 431

mit Essigsäure) einige Zeit nach der Vergiftung keine Bewegungen mehr hervorruft.

Der Zeitpunkt, in dem die völlige Reactionslosigkeit eintrat, war bei grösseren Dosen 10—15—20 Minuten nach der Injec- tion und fiel so ziemlich zusammen mit dem dauernden Still- stand der Respiration ; bei kleineren Dosen vergingen bis zu dem genannten Stadium oft 30—40 Minuten, selten noch mehr. In Bezug auf die Reihenfolge, in der die Reactionslosigkeit die verschiedenen Hautstellen befällt, fanden wir, dass dieselbe an allen Orten ziemlich gleichzeitig zur Erscheinung gelangte. Zwar stellt Schlockow, wie wir oben sahen, für das Erlö- schen der Sensibilität eine bestimmte Reihenfolge auf; allein in den 5 bezüglichen Versuchen, die er giebt (Exp. L.—V.), sind zwei, in denen diese Reihenfolge nicht zutrifft, denn in Exp. I. heisst es ausdrücklich: „Post 35 min. extremitates an- teriores ac pes si contorta sunt, motus provocantur, e membrana natatoria irritatione mechaniea non proyocantur“, und in Exp. II.: „Extremitatum inferiorum irritatio mechanica inefficax, digitos superiorum si contorsimus, motus universi orti sunt* und in den übrigen Versuchen sind wenigstens keine bestimm- ten Angaben über diese Reihenfolge enthalten.

Auch in einem unserer Versuche trat die Reactionslosigkeit an den oberen Extremitäten erst 5 Minuten später ein als an den unteren; doch blieb dieser Fall vereinzelt. Dagegen konn- ten wir bei allen unseren Versuchen beobachten, dass auf Berührung des Augapfels die Membrana nictitans noch vorgezogen wurde zu einer Zeit, wo die Reac- tion auf Essigsäure und auf mechanische Reize von allen Hautstellen aus schon seit längerer Zeit nicht mehr eintrat. So z. B. fand sich der letztere Zustand in einem Versuche nach 20, in einem zweiten nach 35 Minuten, während das Vorziehen der Membrana nictitans noch nach 40, resp. 60 Min. und später betrachtet wurde.

Diese Thatsache steht in eclatantem Widerspruch zu der Behauptung Schlockow’s, dass gerade die Empfindlichkeit der Cornea bei Weitem am frühesten verschwinde. Die Er- klärung dieses Widerspruchs liegt vielleicht in einem Umstande,

L

432 A. Eulenburg:

der gewiss auch anderen Beobachtern nicht entgangen ist, auf den ich jedoch nirgends ausdrücklich aufmerksam gemacht finde. Es giebt nämlich an der Cornea eines jeden gesunden, unver- letzten wie decapitirten Frosches eine mehr oder weniger um- fangreiche Partie, welche man mit Nadeln stechen oder mit Irishäkchen eindrücken kann, ohne Bewegung der membr. nic- titans dadurch zu erzeugen. Diese „unempfindliche* Partie liegt im oberen Theile der Cornea, hat jedoch nicht bei allen Fröschen genau dieselbe Ausdehnung und Lage. Bei vielen ist es der obere ‚vordere (nach der Nase zu gelegene) Theil, bei einzelnen aber eine mehr centrale Region der Cornea. Dagegen ruft Berührung der Bfndehaut in den Augenwinkeln sogleich und stets Bewegung der Nickhaut hervor. Diese Erscheinung wurde von uns an einer grossen Anzahl von Fröschen ausnahms- los constatirt, und wir prüften seitdem stets den ganzen Be apfel auf seine Reaction gegen mechanische Reize.

Als das erste Resultat dieser Versuchsreihe bezeichnen wir also das schnelle Erlöschen der Reaction gegen mechanische (oder chemische) Reizung der Haut, wobei die Reaction am übrigen Körper ziemlich gleichzeitig, an der Cornea jedoch zu- letzt schwindet.

Eine zweite fast ebenso constante Erscheinung ist das pe- riodische Auftreten rasch vorübergehender, tonischer Convul- sionen, die fast alle willkürlichen Muskeln des Körpers, beson- ders den Rumpf und die oberen Extremitäten, in Mitleidenschaft ziehen. In der Rückenlage boten dieselben durch gewaltsame Vorwärtsbeugung des Oberkörpers meist das Bild eines Em- prosthotonus; sie waren von verstärkten respiratorischen Bewe- gungen, und, selbst wenn die rhythmische Athmung längst auf- gehört hat, von einzelnen heftigen Bewegungen der Kehldecken und Nasenflügel begleitet; ihre Dauer betrug meist nur einige Secunden, selten eine halbe Minute und darüber. Bei dem tetanischen Character dieser Convulsionen lag der Verdacht nahe, dass dieselben durch zufällige, ausser Acht gelassene äussere Insulte bei abnorm gesteigerter Reflexerregbarkeit des Thieres bedingt würden; allein dieser Verdacht erwies sich als unbegründet, da es durch intentionirte mechanische Reize nie-

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 433

mals gelang, die beschriebenen charakteristischen Krampfanfälle auszulösen, und ausserdem den anderweitigen Ergebnissen zu- folge die Annahme einer gesteigerten Reflexerregbarkeit an sich haltlos erscheinen musste. (Die spontanen Convulsionen traten in mehreren Fällen noch ein, nachdem jede Reaction auf me- chanische und chemische Reizung aufgehört hatte.)

Schliesslich verdient auch der Umstand hervorgehoben zu werden, dass (elektrische) Reizung des Rückenmarks, der Plexus, der peripherischen Nervenstämme und Muskeln noch kräftige Bewegungen in den Extremitäten hervorrief zu einer Zeit, wo die Fähigkeit, auf Hautreize zu reagiren, längst aufgehört hatte.

Es kam jetzt vor allen Dingen darauf an, festzustellen, wo- durch diese Reactionslosigkeit eigentlich bedingt werde. Dass eine Unterbrechung der Leitung vom Rückenmark bis zu den Muskelfasern nirgends stattfinde, bewiesen die spontanen, sowie die auf Reizung des Rückenmarks, der Plexus, der Nerven- stämme und Muskeln eintretenden Bewegungen. Es lag also nur die doppelte Möglichkeit vor, dass entweder die Endorgane der sensibeln Nerven in der Haut durch das Gift ausser Thä- tigkeit gesetzt würden, also die Receptivität für Reize durch dasselbe zerstört werde oder dass derjenige Apparat, wel- cher in den Centralorganen den Uebergang der Erregung von sensibeln auf motorische Fasern vermittelt (sei es zum Zwecke reflectorischer oder bewusster, willkürlicher Action), eine Be- hinderung erleide.

Mit Rücksicht auf diese Frage wurde eine weitere Reihe von Versuchen in der Weise angestellt, dass durch Abschnei- dung der Blutzufuhr eine der hinteren Extremitäten des Thieres der Giftwirkung entzogen wurde. Die hierzu anwendbaren Me- thoden sind bekanntlich drei: Amputation des Schenkels mit Erhaltung des N. ischiadieus Massenligatur (natürlich eben- falls excepto nervo) und Unterbindung der Blutgefässe. Ueber den relativen Werth dieser 3 Methoden wurden an nicht vergifteten Fröschen eine Reihe von Versuchen ausgeführt, die zugleich als CGontrolversuche für die späteren Vergiftungen dien- ten, indem die Reactionsfähigkeit beider Schenkel auf Essig- säure vor und nach der Operation vergleichend geprüft wurde.

434 A. Eulenburg:

Hierbei stellte sich heraus, dass die Amputation entschieden die am wenigsten brauchbaren Resultate lieferte, indem bei An- wendung derselben das Bepinseln des amputirten Schenkels mit Essigsäure öfters schon in Zeit von 15—20 Minuten keine Be- wegungen mehr auslöste. Es blieb sich dabei ziemlich gleich, ob vor der Amputation eine Ligatur angelegt wurde oder nicht. Die Nervenbrücke war durch die Bewegungen des Frosches, durch die unvermeidlichen Fluchtversuche u.s. w. so gezerrt, dass zuweilen auch Reizung des Nervenplexus oder des Ischiadicus selbst keine Bewegung in der amputirten Extremität mehr her- vorbrachte. -

Ebenso wenig entsprach die Ligatur en masse unseren Er- wartungen; auch bei ihr wird öfters der Stamm des N. ischia- dieus in nicht zu langer Zeit stark erschöpft, so dass auf ein sicheres Resultat nicht bestimmt gerechnet werden kann. Dagegen erwies sich die Unterbindung der Art. iliaca oberhalb des Schenkels (mit Durchschneidung der Art. coccygea) als das passendste Mittel, um die Wirkung des Gifts auf die Haut des Schenkels auszuschliessen und zugleich die Reactionsfähigkeit möglichst zu conserviren, indem letztere sich zwar durchschnitt- lich nach einiger Zeit (!/, Stunde) um etwas vermindert, aber niemals aufgehoben zeigte; und es wurde daher diese Methode von uns vorzugsweise in Anwendung gezogen.

Die Resultate dieser Versuche sind besonders in einer Hin- sicht klar und entschieden ; sie beweisen, dass die Reac- tionslosigkeit gegen mechanische, chemische, elek- trische Reize, welche auf die Haut applieirt werden, unmöglich auf eine Functionsstörung in den peri- pherischen Endorganen der sensiblen Hautnerven zurückgeführt werden kann, da auch an dem nicht ver- gifteten Schenkel constant die Reactionsfähigkeit zu derselben Zeit aufhörte, wie an dem vergifteten.

Eine zweite Thatsache, die namentlich in einzelnen Versu- chen sehr frappant hervortrat, und die ebenfalls dafür spricht, dass die Endapparate der sensibeln Nerven in ihrer Verbindung mit dem Hirm intaet oder doch wenigstens nicht ganz vernichtet sind, ist folgende Erscheinung, die von uns, seitdem wir sie ein-

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 435

mal zufällig beobachteten, constant hervorgerufen werden konnte: das Thier, dessen Rücken man mit Essigsäure bepinselt, mit Nadeln gestochen, mit der Pincette geklemmt hatte, ohne die geringste Bewegung hervorzurufen machte die kräftigsten Abwehrbewegungen, sobald es auf den Rücken gelegt wurde, und öfters gelang es ihm in der That, sich wieder auf den Bauch herumzuwerfen.

Diese Beobachtung constatirt ohne Zweifel die vorhandene Leitungsfähigkeit der sensibeln Nervenbahnen bis in’s Gehirn; denn die Versetzung in Rückenlage ruft nur bei intactem Gehirn jene heftigen Abwehrbewegungen hervor, die auf’s Deutlichste den grossen Widerwillen des Frosches gegen diese Lage be- kunden.

Diese Thatsache ist meines Wissens zuerst von Goltz in seiner Arbeit gegen die Rückenmarksseele hervorgehoben wor- den, und wir stellten uns die Aufgabe, dieselbe an vergifteten und unvergifteten Fröschen zu prüfen, indem wir das Gehirn an der Stelle des Noeud vital mit einer eingestossenen und ro- tirend herumbewegten Staarnadel anbohrten. Diese Versuche ergaben Folgendes:

1) Beim gesunden, unvergifteten Frosch, dessen Hirn in der beschriebenen Weise angebohrt worden ist, wird die Rücken- lage ohne jegliche Reaction ertragen.

2) Bei dem mit Chinin vergifteten Frosche, der eben noch auf das Heftigste gegen die Rückenlage protestirte, tritt mit der Anbohrung des Hirns sofort absolute Toleranz gegen die- selbe ein. (Es geschah dies, je nach Anordnung des Versuchs, oft zu einer Zeit, wo die Reaetion auf Hautreize noch keine Veränderung zeigte.)

Aus allen in diesem Abschnitt angeführten Versuchen geht somit, unter Ausschluss aller anderweitigen Möglichkeiten, über- einstimmend hervor: dass die Reactionslosigkeit, die wir bei der Chininintoxication beobachten, auf einer Funetionsstörung derjenigen Apparate des Rücken- marks beruhen muss, welche die Umsetzung sensib- ler Erregung in motorische Action vermitteln, und dass diese Apparate ausser Thätigkeit gesetzt sind

436 A. Eulenburg:

zu einer Zeit, wo die Leitung der sensibeln Erre- gung durch das Rückenmark in’s Gehirn und der mo- torischen Erregung vom Gehirn zu den Muskelfasern noch ungestört vor sich gehen.

Wenn man nun die Bewegungen, welche der Frosch beim Kneifen mit der Pincette, wie beim Betupfen mit Essigsäure ausführt, als reine Reflexbewegungen ansieht, so kann man den Satz einfach dahin aussprechen: Chinin lähmt zunächst die Gentralheerde der Reflexaction im Rückenmark, später erst die Centralheerde der Empfindung und willkürlichen Bewegung im Gehirn.

Wer dagegen an der Rückenmarksseele festhält, wird die Er- scheinungen der zweiten und dritten Versuchsreihe dieses Ab- schnitts wohl kaum anders deuten können, als durch den Satz: Chinin lähmt die Thätigkeit der Rückenmarksseele zu einer Zeit, wo die Hirnseele noch thätig ist. Ich will in dieser schwierigen und so vielfach discutirten Frage Nichts aussprechen, was irgendwie nach einem Urtheil ausse- hen könnte, muss aber bekennen, dass ich mich aus persönli- cher Ueberzeugung mehr der ersteren Auffassungsweise zuneige.

Um der Entscheidung noch einen Schritt näher zu kommen, musste auf das Eintreten oder Nichteintreten solcher Bewegun- gen geprüft werden, die allgemein (und mit Recht) als reine Reflexbewegungen gelten. Zu diesen gehören namentlich die durch Strychninwirkung bedingten tonischen Convulsionen. Um einen etwaigen antagonistischen Einfluss des Chinins in dieser Beziehung nachzuweisen, wurde in folgender Weise verfahren:

Ein Frosch wurde an zwei Gestellen mit den vorderen und hinteren Extremitäten so befestigt, dass er frei in der Luft schwebte.e Alsdann wurde er mit einer minimalen Dosis von Strychnin, durch hypodermatische Injection vom Rücken aus, vergiftet. (1 Grm. Strychn. nitr. in 1000 Ce. destillirten Was- sers gelöst und 1 Cmm., ungefähr anderthalb Tropfen, dieser Lö- sung auf einmal injicirt.) Als Folge dieser Strychninvergiftung mit minimaler Dosis tritt nach einiger Zeit (nach etwa !/,—!/, Stunde) ein Zustand derartig gesteigerter Reflexthätigkeit ein, dass das Thier bei jeder Erschütterung oder leisen Berührung

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 437

gerade eine Zuckung ausführt und dann wieder in Ruhe ver- harrt. Dabei bleibt aber Respiration und Cireulation durchaus unverändert. -

Die Versuche, die an so vergifteten Fröschen angestellt wur- den, denen wir nach !/,—'/, Stunde wenn das eben cha- rakterisirte Stadium eingetreten war Chininlösung subcutan injieirten, führten zu folgenden Resultaten:

In einer Reihe von Fällen war die Strychninwirkung von vornherein etwas intensiver, als eben geschildert; es traten auf jedesmaligen Anstoss tetanische, wenn auch rasch vorüberge- hende Anfälle ein. Diese hielten noch durchschnittlich eine Stunde nach der Chinin-Injection an, worauf dann die Reflex- action vollständig erloschen war, während Reizung der motori- schen Nerven noch Zuckungen bewirkte.

In der Mehrzahl der Fälle, wo die Reflexerregbarkeit sich genau in der oben beschriebenen Weise verhielt, trat der Ein- fluss des Chinins auf dieselbe schon weit früher (nach 10— 20 Minuten) deutlich zu Tage. Die Reaction wurde schwächer, erschien nicht mehr bei einmaligem Reiz, sondern erst bei Wie- derholung desselben oder überhaupt nur periodisch, und hörte endlich meist ungefähr gleichzeitig mit der Respiration ganz auf. An den Störungen der Respiration, die durch Strych- nin in der obenerwähnten Minimaldosis gar nicht beeinflusst wird, hatte man ein sicheres Maass für den Eintritt und die Intensität der Chininwirkung. Sobald die Athembewegungen erheblich geschwächt, verlangsamt und unregelmässig wurden, durfte man auch eine Abnahme der durch Strychnin gesteiger- ten Reflexerregbarkeit unmittelbar erwarten. Die völlige Reactionslosigkeit des Thieres erfolgte in unseren Versuchen, je nach der eingespritzten Dosis, 20—65 Minuten nach der Chinin-Injection. (Auffallend war in einem Versuche, dass die Reaction gegen Essigsäure nicht mehr eintrat zu einer Zeit, wo mechanische Insulte, Erschütterung u. s. w. noch dieselbe hervorriefen.)

Schön gelungene Versuche der Art liessen die so zu sagen „antidotische* Wirkung des Chinins dem Strychnin gegenüber stadienweise auf das Evidenteste verfolgen. Statt der kräftigen

438 A. Eulenburg:t

einmaligen, tetanischen Gesammtzuckung erst schwächere, vi- brirende Bewegungen einzelner Muskeln dann Beantwortung des Reizes nur bei Wiederholung oder in längeren Intervallen, gleichzeitig mit Frequenzabnahme und Schwächung der Respi- ration, und den der Chiminwirkung eigenen spontanen Convul- sionen endlich völliges Erlöschen der Reflexaction, meist co- ineidirend mit dauerndem Stillstand der Athembewegungen. Die in einzelnen Fällen ungewöhnlich lange Dauer des Latenzsta- diums und der ebenfalls verspätete Eintritt der Apnoe (einmal erst nach 90 Minuten) rechtfertigen die Vermuthung, dass vor der Entfaltung der respiratorischen Chininwirkung ein durch das Strychnin gesetztes Hinderniss erhöhter Erregungszu- stand der Medulla oblongata? erst überwunden werden musste.

Jedenfalls geht aus dieser Versuchsreihe hervor, dass die Reflexerregbarkeit durch das schwefelsaure Chinin aufgehoben wird, mag dieselbe normal oder patho- logisch erhöht sein. Dass im Anfange der Chininwirkung zuweilen eine Steigerung der Erregbarkeit eintritt, wie Schloe- kow angiebt, haben wir niemals beobachtet; wahrscheinlich hat derselbe die früher beschriebenen spontanen Convulsionen in dieser Weise gedeutet. Ausserdem ist aus unseren Versuchen zu schliessen, dass sich Strychnin und Chinin hinsicht- lich ihrer Einwirkung auf die Reflexerregbarkeit an- tagonistisch verhalten ein für die Therapie der Strych- ninvergiftungen vielleicht nicht ganz unverwerthbares Factum!

Um den Einfluss des Giftes auf die motorischen Nerven zu ermitteln, wurde eine Reihe von Experimenten nach der Bernard-Kölliker’schen Methode angestellt. Schlockow (l. e. p. 176) sagt bereits über diesen Gegenstand Folgendes: „Zwanzig Versuche, die die locale!) Einwirkung des Chinin- sulfats auf die peripherischen Nerven zum Gegenstand hatten

1) Ein, wie mir scheint, nicht ganz glücklich gewählter Ausdruck; derselbe passt eher auf die Methode unserer nächstfolgenden (letzten) Versuchsreihe.

"Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 439 e

und die nach der bekannten Kölliker’schen Methode ange- stellt wurden, indem beide Nervi ischiadiei eines nach einsei- tiger Unterbindung der Art. iliaca vergifteten Frosches in Bezug auf ihre Erregbarkeit durch elektrische Inductionsströme mit einander verglichen wurden, ergaben so wechselnde Resultate, dass sich keine irgendwie constante locale und eigenthümliche Einwirkung des schwefelsauren Chinins auf periphere Nerven- stämme annehmen liess“. Ich habe bereits früher beiläufig erwähnt, dass nach dem völligen Erlöschen der Respiration, der Herzthätigkeit und der Reflexaction noch spontane Bewe- gungen eintraten, und die Erregbarkeit des motorischen Appa- rats für äussere Reize sich in allen Theilen (Muskel, Nerven- stamm, Plexus, Rückenmark) fast unverändert zeigte. In den nach obiger Methode angestellten Versuchen, wobei die Erregbar- keit der Nerven und Muskeln durch Inductionsströme von wech- selnder Stärke, die der Muskeln ausserdem auch durch Koch- salz geprüft wurde, zeigte sich allerdings nach längerer Zeit eine Abnahme der Erregbarkeit in den Nerven und Muskeln, und zwar rascher in den Nervenstämmen, die nach 3—4 Stun- den nicht mehr reagirten. Eine irgend erhebliche und con- stante Differenz zwischen Muskeln und Nerven der vergifteten und der unvergifteten Seite war jedoch nicht zu erkennen; ja, in einigen Fällen erhielt sich die Erregbarkeit sogar in den Muskeln der vergifteten Seite etwas länger, so dass jedenfalls eine Jlähmende Einwirkung des Giftes auf die intra- museulären motorischen Nervenendigungen (resp. auf die contractile Substanz selbst) mit Sicherheit aus- geschlossen werden kann. In einem Versuche, wo nach Injection einer starken Chinindosis (2 gr.) Apnoe und völlige Reactionslosigkeit nach kaum 15 Minuten, Herzstillstand nach 90 Minuten eintrat, war nach 2 Stunden die Erregbarkeit der Nervenstämme und plexus noch ganz unvermindert. Aus diesen Versuchen ergiebt sich, dass, wenn überhaupt eine Ein- wirkung des Giftes auf die motorischen Nerven statt- findet, dieselbe jedenfalls äusserst geringfügig ist und verhältnissmässig sehr spät zur Erscheinung ge- langt. Ein Gleiches gilt auch von denjenigen Ab-

440 A. Eulenburg:

> schnitten des Rückenmarks, deren unmittelbare Rei-

zung Bewegungserscheinungen hervorruft, also von den centralen Endigungen der motorischen Nerven- fasern im Marke: eine Lähmung derselben findet (wie bezügliche Versuche ergaben) entweder gar nicht, oder doch erst so spät und in so inconstanter Weise statt, dass sie neben der frappanten Einwirkung des Giftes auf die Centralorgane der Respiration, der Herz- action, der Lymphpulsation, der Reflexaction und Sensibilität kaum in Betracht kommt.

Die letzte Versuchsreihe bezweckte, die locale Einwir- kung des Chinins auf Nerven und Muskeln in der Weise zu prüfen, dass ausgeschnittene Theile eines unvergif- teten Thieres mit der Chininlösung in Berührung gebracht wurden.

Wenn man den Nerven eines Froschschenkelpräparats mit dem frisch angelegten Querschnitt oder mit einer längeren, 1—2 Ctm. langen Strecke in die Lösung eintaucht, so ent- stehen selbst bei längerer Dauer der Immersion (15 20 Mi- - nuten) niemals Zuckungen. Ungefähr so lange bleibt der ein- getauchte Querschnitt auch für elektrische Reizung empfindlich. Wartet man noch länger, so entstehen bisweilen andauernde, tetanische Zuckungen, welche den bekannten Character der durch Austrocknen erzeugten an sich tragen und darauf ist der Nerv dann natürlich nicht mehr erregbar. Das Chinin ist also bei localer Application vom Querschnitt aus kein Nervenreiz. Wird dagegen ein frischer Querschnitt des M. sartorius mit der Lösung in Berührung gebracht, so zuckt derselbe augenblicklich in sehr lebhafter Weise, wobei noch bemerkenswerth ist, dass man von demselben Querschnitt aus wiederholt Zuckungen hervorrufen kann, das Gift also nicht sofort tödtend einwirkt. Wenn man aber den ganzen Muskel in die Lösung hineinlegt, so wird derselbe binnen 2 Minuten vollständig unerregbar. (In destillirtem Wasser kann man, was wir der Controlle wegen constatirten, einen Muskel 10 Minuten

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 44]

und länger aufbewahren, ohne dass derselbe auch nur die ge- ringste Abnahme seiner Erregbarkeit darbietet.)

Das Chinin ist also ein „Muskelreiz“; es gehört zur klasse derjenigen Substanzen, die (wie Kühne nachwies) nur vom Muskel-, nicht vom Nervengquer- schnitt aus Zuckungen hervorrufen, wie z.B. Ammo- niak, und tödtet in concentrirter Lösung den einge- tauchten Muskel sehr rasch.

Ueberblicken wir kurz die Resultate der vorliegenden Un- tersuchungen, so lassen sich aus denselben für die Wirkungen des schwefelsauren Chinins folgende Hauptpunkte feststellen:

1) Das schwefelsaure Chinin, in Dosen von !/,—2 Grm. bei Fröschen subeutan injieirt, bewirkt nach einer kurzen Latenz- periode von höchstens 5 Minuten Abnahme der Respiration und Herzthätigkeit.

2) Die Respiration wird unregelmässig, schwächer ; die Flanken stehen zuerst still, später auch die Bewegungen der Nasenflügel und Kehldecken. Dauernde Apnoe erfolgt bei grösseren Dosen nach 10—15, bei kleineren nach 15—70 Mi- nuten.

3) Die Respirationsfrequenz zeigt nur bei grösseren Dosen eine stetige und in der Regel sehr rasche Abnahme, bei klei- neren dagegen wird diese Abnahme häufig von vorübergehenden Frequenzbeschleunigungen unterbrochen, die selbst über das ur- sprüngliche Niveau (vor der Vergiftung) hinausgehen können.

4) Die Störungen der Herzaction zeigen sich ebenfalls in Verminderung der Energie und Verminderung der Pulsfrequenz, welche stetig, jedoch langsam vorschreiten und von den Verän- derungen der Respiration durchaus unabhängig sind; der Still- stand des Herzens erfolgt weit später als der der Respiration, zuweilen erst nach 4—5 Stunden.

5) Diese Veränderung der Herzaction ist nicht Wirkung der N. vagi (und der Med. oblongata), sondern tritt auch nach

Vagi-Durchschneidung in.derselben Weise auf und scheint von Reichert's u. du Bois-Reymond’'s Archiv. 1565. 29

442 A. Eulenburg:

einer Functionsstörung der automatischen Erregungsganglien des Herzens selbst abzuhängen.

6) Das in eine Chininlösung getauchte ausgeschnittene Frosch- herz wird bald, jedoch langsamer als ein willkürlicher Muskel, dauernd unerregbar.

7) Die Bewegungen der Lymphherzen werden verlangsamt und bald sistirt, anfangs auch zuweilen beschleunigt. Der Still- stand erfolgt noch vor Cessation der Athembewegungen und ist ein dauernder (kann also nicht von einer Functionsstörung des spinalen Centrums der Lymphherzen allein abhängen).

8) Meist gleichzeitig mit dem Schwächerwerden der Respi- ration zeigt sich eine verminderte Reaction gegen äussere (me- chanische oder chemische) Reize. Einige Zeit nach der Ver- eiftung (und vor oder nach dem Eintritt der Apnoe) rufen Haut- reize der genannten Art an allen Körperstellen, mit Ausnahme der Cornea, keine Bewegung mehr hervor.

9) Die Cornea zeigt bei Reizung des überhaupt empfind- lichen Abschnittes derselben stets noch Reaction zu einer Zeit, wo dieselbe am übrigen Körper völlig aufgehört hat.

10) Die Reactionslosigkeit der Haut gegen äussere Reize beruht nicht auf einer Functionsstörung in den peripherischen Endigungen der sensibeln Nervenfasern auch nicht auf einer aufgehobenen Leitung durch die Nervenstämme ; sondern auf einer behinderten Action derjenigen Apparate in den Central- organen, welche die Umsetzung sensibler Erregung im reflecto- rische Bewegung vermitteln; und diese Apparate sind ausser Thätigkeit gesetzt zu einer Zeit, wo die Leitung der sensibeln Erregung durch das Rückenmark in’s Gehirn noch vor sich geht und wo auch spontane Bewegungen noch möglich sind. Anders ausgedrückt: Chinin lähmt zuerst die Centralheerde der Reflexaction im Rückenmark und später erst die Central- heerde der Empfindung und willkürlichen Bewegung im Gehirn.

11) Die Aufhebung der Reflexaction erfolgt immer, mag die letztere normal oder (durch Strychnin) pathologisch erhöht sein. Strychnin und Chinin verhalten sich in Hinsicht auf die Re- flexerregbarkeit antagonistisch.

Ueber die Wirkungen des schwefelsauren Chinins u. s. w. 443

12) Das Chinin ist ohne Einfluss auf die directe Muskeler- regbarkeit und die intramusculären Nervenendigungen; es wirkt wenig oder gar nicht auf die Erregbarkeit der motorischen Ner- venstämme und die Ursprünge der motorischen Nervenfasern im Rückenmark.

13) Das Chinin bewirkt bei localer Application vom Mus- kelquerschnitt (nicht vom Nervenquerschnitt) aus Zuckungen und tödtet den hineingelegsten Muskel sehr rasch.

Greifswald, den 3. Juni 1865.

444 P. Schröder:

Ueber dıe Nervenplexus im Darm des Kindes.

Von

Dr. P. SCHRÖDER.

(Hierzu Taf. XI.)

Im Jahre 1857 veröffentlichte Meissner seine Beobachtung: „Ueber die Nerven der Darmwand“ (Henle und Pfeuffer: Zeitschrift für rationelle Mediein. Neue Folge. Bd. VII. S. 364—-366). Er erklärt darin die Tunica nervea für das nerven- reichste Gebilde, denn er fand in jedem mit flachem Scheeren- schnitt abgetragenen Stückchen zahlreiche mikroskopische Ner- venstämmchen. Diese bilden, wie er sagt, durch,vielfache Anasto- mose Geflechte, und die feineren daraus hervorgehenden Zweige scheinen hauptsächlich in die Muskelhaut einzudringen, sowie es denn auch die tieferen zunächst der Muskelhaut liegenden Schichten sind, die so reichlich von Nervengeflechten durchzo- gen werden. Die Primitivfasern gehören zum bei Weitem gröss- ten Theile (vielleicht ausschliesslich) den blassen, nicht doppelt contourirten an, sind mit zahlreichen Kernen besetzt und bilden zu 5—30 in kernhaltige Scheiden zusammengesetzt, die feine- ren und dickeren Stämmchen. Als das Interessanteste und Wichtigste aber an diesen Darmwandgeflechten stellte er den. grossen Reichthum an Ganglien hin, welche „in wahrhaft er- staunlicher Menge“ überall in die Plexus eingelagert seien. In den Ganglien sah er zahlreiche Ganglienzellen, welche „das be- kannte Verhalten“ darboten, d. h. wahrscheinlich deutlich den charakteristischen Kern und das Kernkörperchen erkennen lies-

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 445

sen. Meissner behandelte den Darm mit rectificirtem Holz- essig in mässiger Concentration, welcher das Bindegewebe nach einiger Zeit durchsichtig machte und Nerven und Ganglien deutlich, ja fast unverändert erkennen liess.

Nach diesen klaren und einfachen Angaben Meissner’s konnte man kaum daran zweifeln, dass er wirklich Ganglien mit Zellen und Nervenplexus gesehen hat. Das Vorkommen von Nervenplexus, welche durch Faseraustausch zwischen den Ner- venstämmchen entstehen, ist eben nichts Seltenes und findet im Körper ja vielfache Analogie. Er lässt ungesast, ob er den Darm des Erwachsenen oder den des Kindes untersucht habe. Ist das erstere der Fall, dann liegt es, da vorliegeude Arbeit hauptsächlich den Darm des Kindes betrifft, eigentlich gänzlich ausser dem Bereiche derselben. Indessen glaube ich auch in diesem Falle mir die Bemerkung erlauben zu dürfen, dass die Frequenz des Vorkommens der Ganglien im Darm an der be- zeichneten Stelle jedenfalls bedeutend geringer sein muss, als Meissner angegeben hat, da ich bei zahlreichen Versuchen solche Gebilde, in denen unzweifelhafte Ganglienzellen nachge- wiesen werden konnten, nie im Darm des Erwachsenen gefun- den habe, und überhaupt nur einmal ein Präparat gehabt habe, in dem die mikroskopischen Gebilde vielleicht als Gan- glienzellen, doch nicht bestimmt, hätten angesprochen werden können. Von Plexus der Nerven war auch in diesem Falle Nichts zu sehen. Hat Meissner den Darm des Kindes unter- sucht und darin an der bezeichneten Stelle die Nervenplexus und Ganglien gefunden, so wird, was ich in Folgendem mitzu-. theilen habe, auch auf seine Angaben Anwendung finden. In- dessen lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden, was Meiss- ner gesehen hat, da er in der „vorläufigen Mittheilung“ keinen Aufschluss darüber giebt, und ausser derselben keine weitere erfolet ist.

Der Erste, der die Meissner’schen Angaben zu bestä- tigen suchte, war Billroth (Müller’s Archiv 1857, S. 148 #f.), indessen sind doch seine Angaben wesentlich ver- schieden von denen Meissner’s. Im Dünndarm eines 6 Tage alten Kindes fand er die Ganglien und Nerven in so dichten

446 P. Schröder:

Anastomosen, dass man sich, wie er sich ausdrückt, kein schö- neres Bild denken könne. An den Nervenstämmen waren weder einzelne Primitivfasern, noch in den feineren Fasern einzelne Schichten zu unterscheiden, sondern sie bestanden alle aus einer körnigen, blass glänzenden Substanz. Die Ganglien zeigten keine Zellen, sondern in der mit den Nerven in unmit- telbarer’ Fortsetzung stehenden fein granulirten Masse nur Kerne, die in den grösseren Ganglien bereits zu einigen Gruppen ver- einigt waren; viele einzelne Kerne der Art bildeten kleinste Anschwellungen in den feineren Fasern. Die Capillargefässe sah er bereits völlig ausgebildet, so dass sie nicht leicht mit diesen Nervennetzen verwechselt werden konnten. Diese Ver- hältnisse erhielt er am Besten von einem Darm, der 3—4 Tage in zur Hälfte mit Wasser verdünntem Holzessig gelegen hatte, aber nur von einem Kinderdarm. Am Darm des Erwachsenen hat er diese Verhältnisse nie gesehen, und zwar, wie er glaubt, deshalb nicht, weil die Drüsenschicht sich nicht so leicht her- unterschaben lässt, weil das Bindegewebe fester ist und nicht so klar wird, und weil die Elemente durch das Wachsthum beim Erwachsenen weiter aus einander liegen, als beim Kinde. Es schiebt sich daher in Billroth’s Mittheilung die Vorstel- iung hinein, dass man es mit noch in Entwickelung begriffenen Nervenelementen zu thun habe.

Der Hauptunterschied zwischen Meissner’s und Billroth’s Angaben besteht nun darin, dass Ersterer Nervenplexus be- schreibt, welche durch Faseraustausch zwischen den Nerven- .stämmen zu Stande kommen, Letzterer hingegen von Nerven- fasernetzen spricht, d.h. Netzen, welche durch Anastomose der Nervenfasern gebildet sind. Billroth’s Angaben finden in dem ganzen übrigen Körper keine thatsächlichen Analogien, da ja die Verbindung zwischen Ganglienzellen vermittelst ihrer Ausläufer, selbst im Rückenmark, mehr angenommen als bewiesen ist. Nach seiner Beschreibung steht der Inhalt der Ganglien, oder vielmehr des Ganglienkörpers mit dem Inhalte der Nervenfasern in unmittelbarem Zusammenhange, sowie der Inhalt einer Gan- slienzelle mit dem der Fortsätze und der sich daran schliessen- den Nervenfasern; ebenso sind die Zeichnungen so, dass man bei

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 447

oberflächlicher Beobachtung anastomosirende Nervenkörper und Nervenfasern zu sehen glauben kann. |

Ein anderer, wesentlicher Unterschied zwischen den Anga- ben beider Autoren ist der, dass Billroth die beschriebenen Gebilde nur im Darm des Kindes, nie in dem des Erwach- senen gesehen hat, während Meissner darüber keine Be- stimmung macht und also möglicher Weise in jedem Darm, auch dem des Erwachsenen Nervenplexus und Ganglien gefun- den hat.

Vorausgesetzt, beide Forscher haben dasselbe Object vor Augen gehabt, so ist doch klar, dass Billroth ganz etwas An- deres gesehen hat als Meissner, und dass ihre Angaben kaum in einem anderen Zusammenhange stehen, als dem, dass Beide Nerven zu sehen glaubten.

Wenn wir nun die Billroth’schen Beschreibungen näher in’s Auge fassen, so ist es leicht, von vornherein die gänzliche Unhaltbarkeit derselben einzusehen. Er hat in der Tunica ner- vea des kindlichen Darmes Netze gesehen und dieselben für Nervenanastomosen gehalten; aber den Beweis dafür ist er durchaus schuldig geblieben.

Die Billroth’schen Zeichnungen, von denen wir annehmen müssen, dass sie das wiedergeben, was der Verfasser sehen konnte, haben bei genauer Betrachtung nur geringe Aehnlich-. keit mit Nervenfasern; sie gleichen vielmehr den bekannten Bildern unregelmässig gefüllter Capillaren. Billroth’s Auf- gabe war es, mit Hülfe des Mikroskops festzustellen, dass das vorliegende Gebilde die charakteristischen Eigenschaften der Nervenfasern und der Ganglienkörper besitze und als Capillar- gefäss in keiner Weise zu deuten sei. Eine Injection, so ge- schickt sie ausgeführt sein mag, kann eine sichere Ansicht, ob etwas Nervenfaser ist oder Gefäss, nicht in allen Fällen her- stellen. Wenn der betreffende Theil injieirt ist, oder bewiesen werden kann, dass von Extravasaten nicht die Rede sein kann, so hat man allerdings mit Sicherheit ein Gefäss, ist er aber nicht injieirt, so kann er doch noch Gefäss sein, weil eine so vollkommene Injection wohl kaum herzustellen sein dürfte, dass man sagen könnte, Alles was nicht injieirt ist, ist auch kein

448 P. Schröder:

Gefäss. Nach meiner Ansicht haben demnach diejenigen For- scher, welche zwar zugeben, dass die Bilder mit Nervennetzen nur geringe Aehnlichkeit haben, dennoch aber die nervöse Na- tur derselben behaupten, sich jeglichen festen Boden unter den Füssen genommen. Man kann nicht sagen, dass etwas Nerven- faser ist, ehe man nicht die für cerebrospinale Nerven cha- rakteristischen Eigenschaften oder den deutlichen Zusammenhang mit unzweideutigen Nerven nachgewiesen hat; man kann nicht eher behaupten, dass etwas Ganglienzelle ist, wenn man nicht die für diese Zellen charakteristischen Merkmale, den bläschen- förmigen Kern und das Kernkörperchen aufgefunden hat. Bill- roth hat, wie gesagt, nichts Derartiges nachgewiesen; mir aber ist es gelungen, sowohl den Zusammenhang der Billroth’schen Körper zu sehen, als auch (einmal) dieselben zu injieiren. Das Nähere darüber ist in dem zweiten Theile der Arbeit zu finden.

Billroth nun, indem er einsieht, dass die als Nervenfasern und Ganglienkörper hingestellten Gebilde allerdings nicht wie Nervenfasern und Ganglienkörper aussehen, sucht jede weitere Nachfrage durch die Erklärung abzuschneiden, dass die beschrie- benen Plexus in der Entwickelung begriffen seien, dass diesel- ben die unentwickelte Form der später im Darm des Erwach- senen entwickelten Nervenfasern und Ganglien darstellen. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die Ganglienzellen im Darm noch nicht entwickelt sein sollen, welche im Verhältniss zu denen des Gehirns viel vollkommner functioniren, während alle Ganglien und Nerven des cerebrospinalen und sympathischen Systems ausgebildet sind.

Da nun, wie aus dem eben Gesagten hervorgeht, wohl schwerlich unentwickelte Ganglienzellen und Nervenfasern im Kinderdarm zu finden sind, so ist es auch erklärlich, dass Billroth das, was im Darme des Kindes kein Nerv ist, auch im Darme des Erwachsenen nicht als Nerven finden konnte. Die Gründe, welche Billroth dafür geltend macht, dass er im Darme des Erwachsenen keine Ganglien und Nerven gesehen habe, sind theils unzureichend, theils falsch. Unzureichend in- sofern, als das allerdings erschwerte Abschaben der Drüsen- schicht bei Querschnitten gar nicht in Betracht kommt, wo man

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 449

doch auch die Ganglienzellen sehen kann; falsch insofern, als die Bindesubstanz der Tunica nervea des Erwachsenen ebenso klar, vielleicht noch klarer zu machen ist durch Reagentien, besonders Essigsäure, als die des kindlichen Darmes.

Es spricht also Alles dagegen und Nichts dafür, dass die von Billroth beschriebenen Netze nervöser Natur sind.

Der Erste, welcher diese Unhaltbarkeit in Billroth’s An- gaben erkannte und nachwies, war Reichert. Er machte dar- auf aufmerksam, dass die Anastomosen zwischen Nervenfasern bisher noch nicht bewiesen und demonstrirt wären, und zwei- felte deshalb vor seinen Untersuchungen schon an der nervösen Beschaffenheit der Billroth’schen Netze. Wenn er auch nicht daran zweifelte, dass in allen Organen Ganglien des sympathi- schen Nervensystems vorkämen, und dass sicherlich eine grosse Anzahl bisher noch unbekannt geblieben wären, so läugnete er doch das Vorkommen von Nervenfaseranastomosen in der peri- pherischen Ausbreitung überhaupt, auf Grund eigener Beobach- tungen. Auch bei den von Billroth beschriebenen und ge- zeichneten Körpern kam er bald nach Untersuchung des Tractus intestinalis einer grösseren Anzahl von Kindern zu dem Resul- tat, dass dieselben nichts Anderes wären, als ein unregelmäs- sig mit stagnirendem, geronnenem Blute erfülltes Capillarnetz. Er injieirte sie mit Leim und Zinnober und konnte die angeb- lichen Nervenfaseranastomosen deutlich in ihren continuirlichen Uebergängen zu den injieirten Gefässen verfolgen. Am instruc- tivsten waren solche Fälle, wo wenig, vielleicht nur ein Körn- chen Zinnober in die scheinbaren Nerven eingedrungen war, und wo man die scheinbare Nervenstructur neben der Injection noch erkennen konnte. In einem Falle fand er auch das zer- setzte Haematin, welches, wie es ja öfters geschieht, in schwar- zes Pigment umgewandelt war, in den feineren Fäden reihen- weise geordnet, in den scheinbaren Nervenkörpern in mehr un- regelmässiger Anordnung und grösserer Anzahl vor. Bei Auf- bewahrung mehrerer Präparate in Glycerin zeiste sich, dass die in den Fäden des Netzes eingeschlossenen Blutzellen, welche sich bisher nur andeutungsweise, besonders an den verdickten

450 P. Schröder:

Stellen markirten, so klar und deutlich als Bläschen hervortre- ten, dass nunmehr auch beim ersten Anblick von einer Ver- wechselung mit Nervenfaseranastomosen nicht die Rede sein konnte.

Da man wegen des Gefässverlaufes auf horizontalen, der Fläche parallelen Schnitten den Zusammenhang der scheinbaren Nervenfasern mit unzweifelhaften Gefässen selten zu sehen be- kommt und deshalb der Täuschung sehr ausgesetzt ist, so em- pfiehlt Reichert im Gegensatz zu Billroth, senkrechte Schnittchen aus der ganzen Dicke der Darmwand anzufertigen, wenn auch da die Aehnlichkeit mit anastomosirenden Nerven- fasern nicht so auffällig ist. |

So klar und schlagend auch die von Reichert angeführten Thatsachen gegen Billroth’s Ansicht sprachen, und so leicht auch seine Untersuchungen nachzumachen waren, so sind den- noch fast alle Forscher, die nach ihm die Sache untersucht ha- ben, durch ihre Untersuchungen zu einer Ansicht gelangt, die der Reichert’schen entgegengesetzt ist. Nur Hoyer stimmt mit Reichert überein, er erklärt (Reichert’s und du Bois- Reymond’s Archiv, 1860, S. 543), dass die Billroth’schen Körper sowohl zu injieiren seien, als auch nachweisbar mit un- zweifelhaften Gefässen in Verbindung ständen.

Ausser Hoyer aber ist keiner der anderen Untersucher im Stande gewesen, die Billroth’schen Körper zu injiciren, viel- mehr kommen alle darin überein, dass dieselben zum Nerven- system zu rechnen seien. Ganz unberücksichtigt lassen Alle, worauf Reichert ganz ausdrücklich aufmerksam gemacht hat, dass Billroth Nervenfasernetze und nicht etwa Nervenplexus beschreibt; sie erwähnen alle über diesen Punkt kein Wort, so wichtig auch das Sein oder Nichtsein von Nervenfaseranastomo- sen für die Physiologie ist. Sehen wir nun, was jeder Einzelne beschreibt. |

Dr. Wilhelm Manz (Ueber die Ganglien und Nerven des Darms. Gedruckt in: Die Verhandlungen der naturf. Gesellsch. in Freiburg, 1356) veröffentlichte Beobachtungen über die Ner- ven und Ganglien des Darms. Er fand Ganglien und in den- selben wirkliche Ganglienzellen in dem Darme verschiedener

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 451

Thiere und auch des erwachsenen Menschen. Am Darme des Kindes beschreibt er Gebilde wie Billroth, nur vermeidet er dabei die Ausdrücke „Ganglienkörper* und „Nervenfaser“. Das Ganglion besitzt nach ihm eine einfache, meistens ganz kern- lose Hülle, welche direct in die Nervenscheide sich fortsetzt, in der dann erst längsgestellte Kerne auftreten. Der Inhalt der Hülle ist eine feinkörnige Masse, die entweder ohne Diffe- renzirung dieselbe ausfüllt, oder in einzelne rundliche Häufchen getrennt liegt, oder sich auch in mehrere grössere Partikel theilt, die dann durch schmale lichte Zwischenräume von ein- ander getrennt sind. Wo man solche grössere Partieen fand, will er überall einen deutlichen Kern gesehen haben. Manz betrachtet, wie Billroth, die Nerven und Ganglien im Kin- derdarm auch als noch in der Entwickelung begriffen.

Was nun diesen letzten Punkt anbetrifft, so findet das vorher bei der Betrachtung der Billroth’schen Ansichten Gesagte hier seine volle Anwendung. In Bezug auf die Beschreibung seiner Ganglien ist nur zu bemerken, dass dieselbe vortrefflich passt auf die mit geronnenem Blute gefüllten Capillaren, besonders wenn das Präparat einige Tage in verdümnter Essigsäure oder in verdünntem Holzessig gelegen hatte. Auch einen scheinba- ren Kern in solchem Theile des geronnenen Inhaltes zu sehen, ist mir mehrmals begegnet, indessen, da der Kern nicht in allen scheinbaren Ganglienzellen lag und überhaupt der Zusammen- hang des Ganglions mit Blutgefässen hinreichend deutlich war, so ist das Erscheinen desselben entweder so zu erklären, dass man ein Blutkörperchen als Ursache dazu annimmt, oder so, dass es durch irgend welche rundliche Conformation des In- haltes herbeigeführt sei. Beides ist möglich, welches in jedem Falle das wahrscheinliche oder wirkliche sei, will ich unent- schieden lassen.

W. Breiter und H. Frey berichteten (Zeitschrift für wis- senschaftliche Zoologie, herausgegeben von Carl Theod. Sie- bold und Albert Kölliker: Zur Kenntniss der Ganglien in der Darmwand des Menschen) ihre gemeinschaftlichen Untersu- chungen, um die nervöse Natur der Billroth’schen Körper zu vertheidigen. Sie erklären sich aber nicht dafür, dass diesel-

452 P. Schröder:

ben ein noch auf embryonaler Stufe der Entwickelung stehen- des Nervengeflechte darstellen, sondern meinen, dass dieselben, ursprünglich wirkliche Ganglien mit Ganglienzellen und Ner- venstämme mit Nervenfasern, durch zu lange Einwirkung des Holzessigs sich so verändert haben, dass sie die von Billroth beschriebenen Bilder zur Anschauung bringen, d. h. dass in den Ganglien die Zellen zerstört sind und in den Nervenstäm- men die Differenzirung der Nervenfasern aufgehört hat. Es ist nach ihrer Meinung aber nur eine gewisse Stufe der Reagens- einwirkung , wo Nervenstämmehen und Ganglien schön und wenig angegriffen hervortreten, und diese muss man treffen, wenn 'man dieselben sehen will. Injeetionen von den Arterien und der Pfortader aus liessen allemal trotz feiner Injections- masse die Nervengeflechte uninjicirt, obgleich der Durchmesser der Nervenstämme oft stärker war, als der der injicirten Ge- fässe. Einen Uebergang von den Nerven zu den injieirten Ge- fässen konnten Beide nicht finden.

Die beiden Forscher scheinen, wenn sie es auch nicht deut- lich aussprechen, doch keine Anastomosen zwischen Nervenfa- sern oder zwischen -Ganglienzellen durch Nervenfasern in den sogenannten Nervennetzen finden zu wollen, indem sie die von Billroth beschriebenen Nervenfasern als Nervenstämmchen .be- zeichnen. Die Zeichnung, welche sie liefern, entspricht durch- aus im Wesentlichen den Bildern, die man aus einem unvoll- kommen injieirten Darm bekommen kann, nämlich die Bill- roth’schen Körper mit darüber hinlaufenden injieirten Capil- laren; nur die Ganglienzellen, die sie darin gezeichnet haben, liegen nicht darin, mag das Präparat frisch sein, oder noch so kurze Zeit in einem Reagens gelegen haben. Wenn auch durch längere Einwirkung des Holzessigs die Bilder etwas verändert werden, so werden doch keine Ganglienzellen zerstört, die in der That nie so deutlich, wie sie es gesehen haben wollen, zur Anschauung gebracht werden können. Weshalb sie bei ihren Injeetionen die Plexus nicht gefüllt haben, werde ich im zweiten Theile der Arbeit, wo ich den Gang meiner Untersu- chungen darlegen werde, zu erklären suchen.

Dr. J. Kollmann (Preisschrift: „Ueber den Verlauf des

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 453

Lungenmagennerven in der Bauchhöhle*“: Zeitschrift für wis- senschaftliche Zoologie, Bd. 10, S. 413) erklärt, wenn ich ihn recht verstanden habe, dass die Ganglienzellen und Nervennetze vom Lungenmagennerven, d.i. Vagus gebildet werden oder doch in seinem Verlaufe liegen. Er verwirft die Maceration in Holz- essig, weil derselbe zu viel Kunstproducte hervorbringe. Fr will an den Nervenfasern immer eine doppelte Contour gesehen haben, und wenn diese, welche er als constant und sicheres Charakteristicum aufstellt, fehlt, so glaubt er das Fehlen der- selben als Folge der Einwirkung des Holzessigs betrachten zu müssen. Er fand als Inhalt der Billroth’schen Körper deut- liche Ganglienzellen. Einen Zusammenhang zwischen den Bill- roth’schen Körpern und Capillaren konnte auch er nie wahr- nehmen.

Kollmann lässt in seiner Darstellung ganz unerwähnt, ob er Nervenfasern und Ganglienkörper, oder Nerven und Ganglien gesehen hat, er spricht nur von Fasern. Dass die Nerven, wenn es solche wären, zur Ausbreitung des Vagus gehören sol- len, scheint mehr als unwahrscheinlich zu sein nach Dem, was die Anatomie über den Verlauf desselben lehrt. An den frag- lichen Gebilden doppelte Contouren, wie bei cerebrospinalen Nervenfasern zu sehen, dies ist bisher keinem Forscher ge- lungen. Hier muss ein Irrthum obwalten, obwohl ich nicht zu sagen weiss, wie oder durch welche Erscheinung derselbe hervorgerufen sein könnte.

W. Krause, Professor in Göttingen (Anatomische Untersu- chungen, 1861, Hannover), glaubt zwar Reichert zugestehen zu müssen, dass diese Bilder mit Nervennetzen nur geringe Aehnlichkeit, die allergrösste aber mit einem unregelmässig ge- füllten Capillarnetz haben, dennoch aber erklärt er sich für die nervöse Beschaffenheit derselben. Die Ganglienzellen, die er gesehen hat, waren häufig als bipolare zu erkennen. Auf ver- tikalen Schnitten sah er, wie Nervenfasern‘ von dem Geflechte aus nach der Tunica mucosa und muscularis hin abgingen. Ueber die Endigungsweise der Nerven war Nichts zu ermitteln. An frischen Präparaten mit Hülfe von verdünnter Essigsäure sah er feine Nervenplexus und Ganglien in der Tunica nervea,

454 P. Schröder:

die in ihrer Verbreitung den Billroth’schen Präparaten durch- aus entsprachen, in den Ganglien aber eine Menge von geson- derten Zellen und getrennten, sehr feinen Nervenfibrillen in den Nervenstämmen erkennen liessen. Ebenso war es nach 24 Stun- den in gewöhnlichem Essig oder in stark mit Wasser verdünn- tem Holzessig (5°/,),. Längere Maceration, nicht ganz frischer Darm, starker Druck: das sind Momente, durch welche die Nervenstämmchen zu undeutlich granulirten Strängen, und die Ganglien zu einer feinkörnigen, zahlreiche Kerne enthaltenden, übrigens homogenen Masse werden können und werden, wie Billroth sie beschrieben hat. Bei längerem Liegen in Essig färben sich, nach Krause’s Beobachtung, die meisten Kerne an den mit Karmin injieirten Präparaten schön roth.

Auf den Widerspruch, der darin liegt, wenn man einerseits erklärt, dass ein Gebilde Nervennetze darstellt, andererseits aber nicht läugnet, dass dieselben allerdings mit ihnen nur ge- ringe Aehnlichkeit, die allergrösste aber mit einem unregelmässig gefüllten Capillarnetz haben, glaube ich oben hinreichend auf- merksam gemacht zu haben.

In neuester Zeit ist von Leopold Auerbach in Breslau (Broschüre: Ueber einen Plexus myentericus, einen bisher un- bekannten ganglio-nervösen Apparat im Darmkanal der Wirbel- thiere. Breslau 1862), der ebenfalls die Nervennetze in der Sub- mucosa des Darms annimmt, noch ein neuer ganglio-nervöser Apparat im Darmkanal der Wirbelthiere entdeckt worden, der in der Tunica muscularis externa zwischen der Ring- und Längs- faserschicht liegen soll. Da aber die kleine Schrift nur eine vorläufige Mittheilung ist, die verhiessene ausführlichere Dar- stellung aber noch nicht erschienen ist, und da der Gegenstand auch ausser dem Bereiche meiner Arbeit liest, so kann er hier übergangen werden.

Fassen wir nun Alles kurz zusammen, so finden wir, dass alle Forscher, ausser Reichert und Hoyer, darin überein- stimmen, dass sie die in der Tunica nervea des Kinderdarms sichtbaren Gebilde Billroth’s oder Meissner’s für Nerven- geflechte mit intercurrenten Ganglien halten; sie differiren in- sofern, als Billroth und Manz die Gebilde als noch unent-.

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 455

wickelt auffassen, die Anderen aber als-entwickelt. Den Aus- druck „Nervenfasernetze* gebraucht nur Billroth. Auf Grund eigener Beobachtungen schliesse ich mich an Reichert an und erkläre die von Billroth etc. für Nerven gehaltenen Gebilde für Netze, die zu den Capillaren, und zwar zu dem venösen Theil derselben gehören. ı Dass damit auch die Nervenfaser- anastomosen verworfen werden, brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen.

Eigene Beobachtungen.

Was nun meine Untersuchungen anbelangt, so muss ich vor- her bemerken, dass ich dasselbe Billroth’sche Präparat, wel- ches Reichert zuerst gesehen hatte, und das sich auch gegen- wärtig noch im guten Zustande befindet, einer genauen Revi- sion unterworfen, bevor ich zu arbeiten begann. Das Bild, welches man unter dem Mikroskop sieht, entspricht vollkommen der Beschreibung und der Zeichnung, welche Billroth gege- ben hat (Fig. 1).

Mein erstes Bestreben war darauf gerichtet, dieselben Bilder wie Billroth darzustellen. Nach einigen missglückten Versu- chen gelang es mir immer, nach der von Billroth angegebe- nen Methode die Netze anschaulich zu machen. Die nach die- ser Methode mit der Scheere dargestellten Präparate waren aber zu dunkel, um den eben vorhandenen Zusammenhang mit Gefässen, nach dem ich suchte, zur Evidenz nachweisen zu las- sen. Man sah aber deutlich die vermeintlichen Nervenstämme, an denen auch keine Primitivfasern nachzuweisen waren, eben so die Ganglien mit dem körnigen Inhalt und den scheinbaren Kernen, welche auch in den Fasern selbst hin und wieder zer- streut gefunden wurden. Zwar etwas anders aber doch hinrei- chend charakteristisch waren die Gebilde zu erkennen, wenn der Darm einige Tage in verdünnter Essigsäure gelegen hatte (Fig. 2).

Sodann machte ich mehrere Injecetionen. Die erste Injection wurde nach den Angaben von Reichert mit Zinnober und Leim von der A. mesaraieca sup. aus gemacht. Der injieirte

456 P. Schröder:

Darm wurde dann nach den Billroth’schen Angaben mit Holz- essig, der zur Hälfte mit Wasser verdünnt war, behandelt, und die Präparate wurden hierauf ebenfalls mit der Scheere herge- stellt. Ein beweisendes Resultat konnte aus dieser Injection nicht gezogen werden, denn dieselbe war nicht vollständig, und ‚dann gab auch hier die Präparationsmethode zu dunkle Bilder, als dass man vielleicht einen Zusammenhang zwischen nicht in- jieirten und injicirten Netzen hätte auffinden können, oder aus dem Nichtfinden auf ein Nichtexistiren hätte schliessen dürfen. Verschiedene injicirte Stellen zeigten vollkommen die äussere Gestalt der sog. Ganglien, aber, da zwischen diesen injieirten sanglioformen Stellen und den nicht injieirten kein Zusammen- hang gefunden werden konnte, so fehlte diesem Befunde eben die Beweiskraft. Leider’habe ich von diesem Darm Nichts ge- trocknet, so dass ich später, als ich feinere, durchsichtigere Präparate fertigen gelernt hatte, darüber keine neuen Untersu- chungen anstellen konnte. Soviel kann man nur sagen, dass von den evident als Billroth’sche Körper sich präsentirenden Netzen keines injieirt war.

Eine zweite Injection wurde mit Karmin gemacht. Das grob- körnige Karmin war durch einige Tropfen Ammoniak zu einem weichen Brei umgewandelt und dann durch Alkohol verdünnt. Das Karmin war deshalb, weil es, ohne im Ammoniak vollstän- dig gelöst zu sein, nachträglich durch Alkohol gefällt wurde, unter dem Mikroskop als körnige, nicht als homogene Masse zu schen, und dieser Körnigkeit muss ich es auch zuschreiben, dass die Injection nicht bis in die sog. Nervennetze gedrungen war. Die Untersuchung dieses Darmes, der sich noch schön frisch zeigie, ergab zunächst, dass ebenfalls die Billroth’schen Körper nicht injieirt waren, dass über dieselben injieirte Gefässnetze wegzogen, und dass ein Zusammenhang zwischen beiden nicht zu finden war. Es war ganz das Bild, wie Breiter und Frey es beschrieben und gezeichnet haben (Fig. 3).

Da es auf die bisherige Weise nicht gelang, die Billroth’- schen Gebilde zu injieiren und ihren Zusammenhang mit Ge- fässen nachzuweisen, so war nun mein Bestreben darauf gerich- tet, die für Nerven charakteristischen Merkmale aufzufinden:

Ueber die Nervenplexws im Darme des Kindes. 457

an den Ganglien Zellen mit bläschenförmigem Kern und dem so ausgezeichneten Kernkörperchen, an den Fasern doppelte Contour oder Zusammenhang mit unzweifelhaften Nerven. Dazu nahm ich den frischen Darm, weil an diesem die eigentlichen Ganglienzellen am besten zu finden sein sollten nach den An- gaben von Breiter und Frey, Kollmann, Krause. Das Stück Darm wurde mit Nadeln auf dem Tische ausgespannt und dann die Tunica serosa und die äussere Muskelschicht ohne Schwierigkeit abgezogen; hierauf wurde das Darmstück umge- dreht und wieder ausgespannt. Dann konnte man mit dem Scalpellstiel die Zotten und die Drüsenschicht abschaben und mit einer feinen Pincette und einem scharfen Messer mit eini- ger Vorsicht auch die innere Muskelschicht abpräpariren,; so dass nur die Tunica nervea übrig blieb. War der Darm in verdünnte Essigsäure einige Zeit gelegt, und drückte man mit dem Scalpellstiel beim Schaben etwas auf, so ging die Muskel- schicht mit der innersten Schicht zugleich ab. Von der nun frei daliegenden Tunica nervea konnte man nach Belieben grös- sere oder kleinere Stücke mit der Scheere ausschneiden und unter das Mikroskop bringen, wo man dann die schönsten Bil- der von den Netzen hatte, über welche man die injicirten Ca- pillarnetze hinweglaufen sah. Aber Ganglienzellen mit bläschen- törmigem Kern zu sehen, war mir nicht möglich, ebensowenig jemals einen Zusammenhang mit evidenten Neryen, oder gar eine doppelte Contour, wie Kollmann angiebt. Der Inhalt eines sog. Ganglions war eine feinkörnige Masse, die dasselbe entweder ganz ununterbrochen ausfüllte oder in einzelne Häuf- chen von unregelmässiger Begrenzung getrennt lag. Diese Häuf- chen aber als Ganglienzellen zu betrachten, war nicht möglich, da jedes Charakteristicum dazu fehlte.

Diese Befunde waren nicht wesentlich andere, wenn der Darın mehrere Tage in verdünntem Holzessig gelegen hatte. Auf senkrechten Schnitten durch die ganze Dicke des Darms sah man in der Tunica nervea wenig injieirte Gefässe, zu bei- den Seiten desselben aber, in der Muscularis ext. und der Drü- senschicht, ein vollständig injieirtes Capillarnetz. Die Bill- roth’schen Körper waren- sichtbar, sie zogen sich hauptsächlich

Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv. 1365. 30

458 P. Schröder:

in der Nähe der äusseren Muskelschicht hin, standen mit ein- ander in Verbindung und schickten Ausläufer nach beiden Sei- ten hin ab, welche sich dann in den Capillaren verloren, so dass man sie nicht weiter verfolgen konnte. Am besten konnte man die Billroth’schen Körper mit ihren Verbindungen und Ausläufern dadurch sichtbar machen, dass man etwas mit dem Deckgläschen auf das Präparat drückte, weil dadurch die Tu- nica nervea viel durchsichtiger wurde, indem die einzelnen Theile auseinander gedrängt wurden. Einen evidenten Zusam- menhang zwischen einem solchen Billroth’schen Körper und einem injieirten Capillargefäss konnte ich aber nicht entdecken. Eine dritte Injection wurde am Darm eines 1—1!/, Jahr al- ten Kindes mit Berliner Blau und mit Karmin gemacht, welches letztere zuvor in Ammoniak vollständig gelöst und mit Alkohol gefällt war. Das Berliner Blau wurde von der Vena portarum aus, das Karmin von der Vena mesaraica sup. aus injieirt. Der Darm war frisch und schön; die Tunica serosa und Muscularis externa liessen sich von der einen Seite, die Drüsenschicht und innere Muskelschicht von der anderen ohne allzu grosse Mühe abpräpariren. Die Billroth’schen Körper waren unverkennbar vorhanden und injieirt mit der rothen Lösung. Einen Zusam- menhang mit den Gefässen, welche mit derselben Masse injieirt waren, konnte man nicht deutlich finden. In den Gebilden waren aber keine Zellen mit Kern und Kernkörperchen zu fin- den, sondern nur Aggregate von unbestimmter Conformation. Diese letztere Thatsache, ganz abgesehen von der Injection, widerspricht schon der Ansicht, dass die Gebilde als Ganglien mit Ganglienzellen aufzufassen sind; denn an den Ganglien des Gränzstranges eines Neugeborenen sind schon ausgebildete Gan- glienzellen vorhanden und keineswegs erst in Entwickelung be- griffene. Der Neugeborene, von dessen Gränzstrang ich das Ganglion mir darstellte, war schon stark in Verwesung über- gegangen, während das Kind, an dem ich die Injection machte, frisch war. Dadurch ist auch dem Gedanken vorgebeugt, dass die Ganglien im injieirten Darm etwa durch Fäulniss zerstört gewesen seien. Auch darf nicht angenommen werden, dass me- chanisch, durch die Art der Präparation die Ganglienzellen im

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 459

Darm zerstört worden wären, die aus dem Ganglion des Grenz- stranges aber nicht; denn die letzteren stellte ich dar, indem ich ganz gewaltsam, jedenfalls nicht vorsichtig, das Ganglion zerriss und die zu möglichster Kleinheit zerrissenen Stücke un- ter das Mikroskop legte, während ich die Präparate aus dem frischen Darm mit grosser Sorgfalt und Vorsicht zubereitete. Wenn nun bei so gewaltsamer Behandlung die Zelle nicht zer- fiel, so ist es ganz unmöglich, dass dies bei der vorsichtigen Präparation am Darım der Fall sein sollte. Die Ganglienzellen sind also bestimmt in den Billroth’schen Körpern als nicht vorhanden zu betrachten, wenn kein Moment aufgefunden wer- den kann, durch welches dieselben verloren gegangen sein könnten, wie: Fäulniss, Maceration durch Flüssigkeiten oder mechanische Gewalt.

Abgesehen also von der Injection muss man schon die ner- vöse Natur der Billroth’schen Gebilde sehr bezweifeln, aber wenn man auch trotzdem geneigt sein sollte, sich für die ner- vöse Beschaffenheit derselben auszusprechen, so wird diese Mög- lichkeit doch geradezu abgeschnitten durch die Injection, vou deren Gelungensein sich ausser mir Reichert, Prof. Lieber- kühn, Dr. Wagner und Dr. Hartmann überzeugt haben.

Nur ein Umstand, der den Verbindungszweigen an diesen injieirten Präparaten eine Aehnlichkeit mit Nervenfasern geben konnte, war zu finden, nämlich die an vielen Theilen deutliche Längsstreifung der Verbindungszweige zwischen den Billroth’- schen Körpern (Fig. 4). Da aber gerade an diesem Präparat so viele Dinge gegen, und nur dieser eine Umstand für die nervöse Natur der Gebilde angeführt werden kann, so wird man .dadurch keineswegs genöthigt, letztere anzuerkennen, zu- mal da jeder einzelne von den Gründen, die dagegen sprechen, viel schlagender ist, als der einzige, der dafür spricht. Woher die Streifung kommt, will ich ganz unentschieden lassen.

Die Netze sind also doch zum Gefässsystem gehörig, und glaube ich berechtigt zu sein anzunehmen, dass sie zum Ve- nensystem gehören. Sie liegen aber nicht in dem Bezirke, wo aus den arteriellen Capillaren sich die venösen zusam- men setzen, in welchem Falle man die Uebergänge deutlich

30*

460 P. Schröder:

sehen müsste, sondern es sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, secundäre Capillaren, die noch keine ausgesprochenen Ve- nen sind, und nur mittelbar mit den arteriellen Capillaren zu- sammen hängen, die aber nun in der Tunica nervea Netze bil- den (die Billroth’schen Körper), aus denen sich dann die Ve- nen erst zusammen setzen.

Der Verlauf der Blutgefässe erscheint demnach im Darm etwas eigenthümlich, und von Dem, was bisher darüber bekannt war, abweichend. Die bisherigen Angaben beziehen sich zwar speciell auf die Gefässvertheilung im Magen, haben aber gewiss ihre Bedeutung auch für den übrigen Theil des Tractus inte- stinalis. Die Beschreibungen von Frey (Histologie und Histo- chemie des Menschen, S. 469, Lips. 1859) und Henle (Hand- buch der systematischen Anatomie, Bd. II. S. 160) sind voll- kommen übereinstiinmend. Nach ihnen ist der Gefässverlauf folgender: Die Arterien zertheilen sich schon im submucösen Gewebe, so dass sie mit feinen Aestchen schief aufsteigend zur Unterfläche der eigentlichen Schleimhaut gelangen Hier lösen sie sich unter unbeträchtlicher Verfeinerung zu einem zierlichen Haargefässnetz auf, das bis zur Oberfläche der Schleimhaut vor- dringt. Aus der letzteren Partie des Haargefässsystems allein findet der Uebergang des Blutes in die venösen Anfangsäste statt, welche unter rascher und starker Zunahme des Quermes- sers zu Gefässstämmen sich gestalten, die in senkrechter Rich- tung absteigend die Schleimhaut durchsetzen, um in ein unter- halb letzterer gelegenes, weitmaschiges, horizontales Venennetz sich einzusenken. ;

Bei dieser Beschreibung bleibt das feine Gefässnetz in der Tunica vasculosa, welches zum Venensystem gehört, ganz uner- wähnt. Den Verlauf der Arterien kann man bei einem injieir- ten Darm, auf Querschnitten besonders, immer leicht erkennen, sie zertheilen sich in der Tunica vasculosa zu feinen Gefässen, die schliesslich die Drüsenschicht und die Zotten mit vielen Capillaren versehen. Aus diesem letzteren dichten Capillarnetz gehen die Venenwurzeln nicht ohne Verästelung und ohne Ana- stomosenbildung in das weitmaschige horizontale Venennetz über, sondern es zeigen sich, wie schon bemerkt, feine venöse

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 461

Gefässe auch in der Vasculosa, und diese sind es, durch welche, bei Stagnation des Blutes in denselben, die Billroth’ schen Körper gebildet werden. Bei Querschnitten kann man, wie ge- sagt, alle diese Verhältnisse am besten übersehen, ich habe sie bei meiner zweiten Injection häufig gesehen. Neben dem dicke- ren injieirten, zu den Arterien der Tunica nervea gehenden, Ar- terienzweig verlief ebenfalls ein stärkerer, nicht injieirter Zweig, welcher sich unmittelbar in die sogenannten Nervennetze fort- pflanzte. Hieraus erklärt sich nun Vieles.

Erstens ist klar, weshalb man bei Flächenschnitten keinen oder doch nur einen seltenen Zusammenhang zwischen den Ar- terien und den Netzen finden kann, weshalb man vielmehr viel- fach abgerissene Enden findet.

Ferner ist die Schlussfolgerung von Breiter und Frey als unrichtig erwiesen, denn es ist nun nicht mehr wunderbar, wenn bei einer Injection von der Arterie aus die feineren Ca- pillaren der Tunica nervea injieirt sind, während die manchmal stärkeren sog. Nervenäste ungefüllt geblieben sind; denn die Injectionsmasse muss erst die Capillarnetze der Drüsenschicht passiren, sie muss noch etwas über die Capillaren hinaus den Rückweg des Kreislaufs antreten, ehe sie in diese Netze hinein kann. Die Injection derselben von der A. mesaraica aus wird daher nur selten, selbst bei Anwendung grosser Kraft nur aus- nahmsweise gelingen, und man kann viele, scheinbar vollkom- mene Injectionen der Capillaren haben, ohne dass auch nur ein Körnchen in die sogenannten Nervennetze gelangt ist. Mir ist es zufällig einmal gelungen, auf diesem Wege eine flüssige Masse in dieselben zu befördern, denn die rothe wurde von der Arterie aus injieirt, und mit derselben Masse sind die Bill- roth’schen Körper gefüllt.

Wunderbar könnte es nun erscheinen, warum bei Injectio- nen von der Vena portarum aus ebenfalls so oft Nichts in die Netze kommt, aber bei genauer Betrachtung kann man es sich doch leicht erklären. Das Venensystem überhaupt, besonders aber die Pfortader (wegen des behinderten Abflusses durch die Leber) ist mit Blut gefüllt, welches nach einiger Zeit gerinnt, und der Injection ein unüberwindliches Hinderniss entgegensetzt.

462 P. Schröder:

Jedenfalls ist es in diesem Falle schwerer, irgend eine, selbst dünnflüssige Masse bis zu den schon gefüllten Capillaren zu treiben, als von der Arterie aus durch die Capillaren zurück zu den Netzen. Wenn das Blut noch flüssig wäre, dann wäre es vielleicht leichter, durch die Injectionsmasse das Blut zu verdrängen; dann würde man aber vielleicht gar keine Netze mit gangliformen Anschwellungen finden , indem dadurch die (restalt derselben gewiss verändert werden würde. Ob man aber jemals diese Zeit, wo die Gerinnung des Blutes im Darm noch nicht vor sich gegangen ist, wird antreffen und dann inji- eiren können, das ist eine Frage, deren Beantwortung auf einem anderen Blatte steht. Bei einem Kinde ist es gewiss nicht mög- lich, da die Processe der Gerinnung und Zersetzung des Blutes schon weit vorgeschritten sind. Bei einem frisch getödteten jungen Thiere ist es denkbar. Doch komme ich darauf später noch zurück. In allen den Fällen, die ich untersucht habe, war die Gerinnung und Zersetzung des Blutes, wenigstens in den Netzen, immer schon eingetreten. In einem Falle, auf den ich ebenfalls noch zurückkomme, lagen in denselben schwarze Pigmentflecke, offenbar Residuen des Blutfarbstoffes.

(Gegen den etwaigen Einwurf, dass die dritte Injection nicht gelungen sei, will ich nun noch Verwahrung einlegen. Es könnte wohl Jemand sagen, dass die Injectionsmasse nicht di- rect zu den Netzen gekommen sei, sondern aus den Gefässen wäre der Farbstoff diffundirt und hätte so, bei seiner Neigung dem Achsencylinder der Nerven und dem Kerne der Ganglien- zellen anzuhaften, die Färbung der Nervennetze hervorgebracht. Dieser Einwurf ist nach meiner Meinung nicht zu halten, weil ihm kein Analogon von irgend einem Beobachter zur Seite steht. Das Karmin liegt, wenn der Darm abgekühlt ist, von er- starrtem Leim umschlossen, wie soll es also diffundiren? Krause hat allerdings beobachtet, dass bei seinen mit Karmin injicirten Präparaten, wo Nichts in die Netze gekommen war, bei länge- rem Liegen in Essig sich die meisten Kerne schön roth färb- ten; aber ich fand die Billroth’schen Körper roth injieirt am Tage nach der Injection, ohne dass ein Reagens angewendet worden war, und da wüsste ieh nicht, wie die Färbung der

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 463

Netze, wenn sie auch nervöser Natur gewesen wären, hätte stattfinden sollen. Die rothe Masse wurde in der That injieirt.

Wie aus Obigem hervorgeht, schliesse ich mich den Ansich- ten des Prof. Reichert vollkommen an, die Billroth’schen Körper sind zum Gefässsystem gehörig und injieirbar. Ueber- gänge von ihnen zu offenbaren Gefässen habe ich auch gesehen (Fig. 5a), wenn auch selten aus den angegebenen Gründen. Da der Durchmesser der Verbindungsfäden zwischen den Anschwel- lungen oft für Capillaren zu stark sind, so glaube ich den Theil derselben als bei der Bildung der Netze betheiligt ansehen zu müssen, welcher den Uebergang von den eigentlichen Capilla- ren zu den ausgebildeten Venen darstellt. Es ist nur das Spe- cielle von Dem, was Reichert im Allgemeinen schon ge- sagt hat.

In einer Angabe aber kann ich ihm ausserdem noch beitre- ten, nämlich in Betreff des Pigments in den Netzen, welches sich offenbar aus dem Blutfarbstoff gebildet hat (Fig: 5). Rei- chert hat nämlich einen Theil der Därme, welche er damals (Anno 1358) mit Zinnober und Leim injieirt hatte, aufbewahrt, so dass sie mir zur Untersuchung neben meinen Injectionen zu Gebote standen. Ich verfertigte, nachdem der getrocknete Darm 24 Stunden in verdünntem Essig gelegen hatte und aufgequol- len war, mit grosser Mühe (die Gewebe waren etwas mürbe) ein Präparat, von der Fläche gesehen, durch vorsichtiges Ab- ziehen der Häute, wie es bei der zweiten Injection angegeben ist. An dem so gewonnenen Präparat, an dem ich von den Netzen nichts mit Zinnober injieirt fand, waren in der Substanz der scheinbaren Nervenfasern und Nervenkörperchen schwarze Pigmentkörnchen sichtbar, gerade so wie in den Venen selbst. In den feinen Fäden waren sie mehr reihenweise geordnet, in den schmäleren Nervenkörpern in mehr unregelmässiger Anord- nung und grösserer Zahl vorhanden. In den von mir injieirten Därmen habe ich solche Pigmentkörnchen nie gesehen. Es scheint demnach, dass das Pigment der Blutkörperchen gewöhn- lich auf andere Weise aus den Gefässen herauskommt, und dass diese Absetzung desselben in Form von körnigem Pigment nur ein zufälliger, allerdings aber ein sehr interessanter und

464 P. Schröder:

wichtiger Befund ist. Von allen genannten Forschern hat kei- ner bei allen seinen Präparaten jemals diese Erscheinung be- merkt, die für die Auffassung der Gebilde als Gefässe von so grosser Wichtigkeit ist.

Die Stagnation des Blutes und die Bildung von Gerinnseln gerade an den Stellen, wo mehrere Venenstämme. zusammen kommen, wird aus den Hindernissen verständlich, welche der Blutstrom gerade an den Theilungs- und Verästelungsstellen der Gefässröhren findet.

Ausserdem darf die Frage aufgeworfen werden, warum in den aus den Capillaren das Blut abführenden feineren und grö- beren Venennetzen gerade im Darm der Kinder die Stagnation mehr Statt hat, als bei Erwachsenen? Die Ursachen sind wohl darin zu suchen, dass der Pfortaderkreislauf überhaupt im Fö- tus noch nicht ordentlich entwickelt und bei dem Neugebornen, nach dem Hinschwinden der Vena umbilicalis, erst in der Ent- wiekelung begriffen ist. Mögen aber die Bedingungen sein, welche sie wollen, das steht fest, dass die Billroth’ schen Körper sich in dem kindlichen Darm oder dem eines neugebo- renen Thieres finden, in dem eines erwachsenen Menschen oder Thieres aber gewöhnlich nicht.

Wenn nun die Billroth’schen Körper wirklich durch Stauung entstehen, so ist vorauszusehen, dass, wenn man künst- lich eine Stauung im Gebiete der Pfortader hervorruft, auch ähnliche Gebilde an solchen Därmen hervorgebracht werden können, an denen sie sonst nicht zu finden sind, also am Darm eines erwachsenen Säugethiers. Um die Richtigkeit dieser Vor- aussetzung zu prüfen, unterband ich die Pfortader am lebendi- gen Thier und bewirkte so Anfüllung der bezeichneten feinen Venennetze mit Blut. Diese Gefässe behandelte ich dann mit verschiedenen Reagentien, um die verschiedenen Metamorpho- sen, wie bei Neugeborenen, hervorzubringen. War die Voraus- setzung richtig, so mussten sich Bilder zeigen, die den ge- nannten Körpern ähnlich waren. Diesen Versuch nun habe ich zur Controlle meiner Angaben an einem erwachsenen Kaninchen zemacht,. und zwar mit sehr glücklichem Erfolge. Nach der

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 465

Unterbindung lebte das Thier noch 15 Minuten, während wel- cher die Venen des Darms sich füllten und der Darm blauroth gefärbt wurde. Der Darm wurde darauf nach einiger Zeit, nachdem die Gerinnung vor sich gegangen sein konnte, mit verdünnter Essigsäure behandelt, und nachdem er zwei Tage darin gelegen hatte, auf die bei der zweiten Injection angege- bene Weise präparirt und untersucht Man konnte die Bill- roth’schen Körper in exquisiter Form erkennen (Fig. 6), das Hämatin war aus denselben vollständig geschwunden. Inter- essant aber an dem Präparat war noch, dass dicht neben dem Körperchen ein stärkeres Gefäss verlief (Fig. 6b), in dem der Inhalt ganz ähnliche Configurationen angenommen hatte, wie in den Billroth’schen Körpern, in welchen aber gleichzeitig das Hämatin noch in Gestalt dunkler Pigmentkörnchen sichtbar war. Daraus geht hervor, dass durch Gerinnung des Blutes solche Configurationen entstehen, wie sie in den Billroth’- schen Körpern gefunden werden, und es werden dadurch die Forscher widerlegt, welche sagen, dass geronnenes Blut denn doch anders aussehe, als die sogenannten Ganglien.

Ferner beweist der Controllversuch, dass die Gefässverthei- lung im Darm des erwachsenen Säugethieres derjenigen im Darm des neugeborenen ähnlich ist. Man kann sich davon auch leicht überzeugen, wenn man den Darm eines erwachse- nen Thieres in verdünnter Essigsäure etwa 2 Tage liegen lässt und dann untersucht. Man findet die langgestreckten Gefässe, die mit einander in Verbindung treten und wie die Ausläufer von den sogenannten Ganglien aussehen, welche aber an der Vereinigungsstelle keine Anschwellungen mehr zeigen. Der einzige Unterschied zwischen beiden ist aber nur der, dass die Maschen des Netzes im Darm des erwachsenen Thieres etwas weiter sind als in dem des neugeborenen.

Da man nun im Stande war, durch künstlich hervorgerufene Stagnation des Blutes die bezeichneten Körper hervorzurufen, so musste man weiter folgern, dass durch Aufhebung aller Be- dingungen, welche Stauung im Gebiete des Pfortaderkreislaufs hervorbringen, die Bildung der Körper verhindert werden könnte.

466 P. Sehröder:

Ein solcher Versuch ist auf die Weise auszuführen, dass man bei einem jungen Thiere, bei dem man die Körper sonst findet, die Pfortader öffnet und von der A. mesaraica sup. aus lauwar- mes Wasser durch die Gefässe hindurchpresst. Durch diesen Versuch wird nicht nur der Abfluss des Blutes aus den Venen des Darms begünstigt, sondern es kann dadurch das Blut über- haupt aus den Gefässen mehr weniger, ja vollständig entfernt werden.

Diesen Versuch habe ich ebenfalls gemacht. Von 2 jungen Kaninchen, die von einer Mutter an gleichem Tage geboren waren, tödtete ich zuerst das eine und untersuchte dessen Darm auf die sogenannten Ganglien. Hätte ich dieselben nicht ge- funden, so wäre der Versuch ohne Beweiskraft gewesen; da ich sie aber in ausgezeichneter Weise fand, so kann ich mit Be- stimmtheit behaupten, dass, wenn durch das angegebene Expe- riment die Bildung der Körper verhindert oder auch nur alte- rirt würde, dadurch sicherlich die Zugehörigkeit der Netze zum (sefässsystem dargethan würde. Das zweite Kaninchen machte ich durch einen Schlag auf den Hinterkopf kewusstlos, öffnete das Abdomen, führte eine Kanüle in die Aorta, nachdem die- selbe dicht unterhalb der Arteria mesaraica superior unterbun- den worden war, und spritzte so lauwarmes Wasser in die A. mesaraica sup. Dies setzte ich so lange fort, bis aus der ge- öffneten Vena portarum fast klares Wasser herauskam. Einige Darmpartieen, die hoch lagen, wurden weiss, wie Wachs, wäh- rend andere Theile des Darms, welche tiefer lagen, die Farbe nicht ganz verloren ; aus diesen letztgenannten Theilen kam röthlich gefärbtes Wasser, mit feinen Gerinnseln untermischt heraus, aus den ersteren dagegen ganz klares Wasser. Die mikroskopische Untersuchung ergab demnach an diesem Darm, dass an den Stellen, wo die rothgefärbte Flüssigkeit herausge- kommen war, die Billroth’schen Körper noch theilweise zu finden waren, an den fast absolut anämischen Stellen dagegen meist gar nicht.

Der Versuch lehrt jedenfalls, dass wir es in unserer Ge- walt haben, auch bei Neugeborenen die Bildung der sogenann-

Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes. 467

ten Billroth’schen Körper zu verhindern, sopald man den Darm unter Bedingungsverhältnisse bringt, welche die Stagna- tion des Blutes in den bezeichneten feinen Venennetzen unmög- lich machen.

Es ist demnach bewiesen, dass die von Billroth zuerst ausführlicher beschriebenen und dargestellten Körper im Darm des Kindes zum Gefässsystem gehören, und dass die Deutung derselben als Bestandtheile des Nervensystems (Nervenfasern, Nervenkörper in anastomosirender Verbindung) nicht eine ein- zige Thatsache für sich aufzuweisen hat.

Eine andere Frage ist die nach der Ausbreitung des sym- pathischen Nervensystems ınnerhalb der Wandung des Tractus intestinalis. Meine Beobachtungen sind auf diesen Punkt direet nicht gerichtet gewesen; doch will ich nicht unbemerkt lassen, dass ich bei der Untersuchung der Billroth’schen Körper im Darm der Menschen und Thiere weder Netze noch einzeln lie- gende Ganglien mit Ganglienzellen gesehen habe, wie sie Manz (nach seinen Zeichnungen zu urtheilen) gesehen zu ha- ben scheint.

Wenn es einerseits auch sicher nervöse Apparate im Darm giebt, durch welche die peristaltische Bewegung vermittelt wird, so ist nach meiner Ansicht auch ebenso sicher, dass dieselben in den Billroth’schen Körpern nicht gefunden sind, und dass die Auffindung dieser Apparate noch der Zukunft über- lassen ist.

Ergebnisse meiner Arbeit,

1) Die Forscher, die bisher über die Nerven im Darm ge- schrieben haben, stimmen in ihren Angaben nicht überein; die- selben haben nur das gemeinsam, dass sie die betreffenden Ge- bilde als zum Nervensystem gehörig betrachten.

2) Die Billroth’schen Körper werden gebildet von einem mit stagnirendem Blute gefüllten Gefässnetz, wie früher schon Reichert und nach ihm Hoyer angegeben haben.

3) Die genannten Körper gehören zu dem Theil des Gefäss- systems, welcher den Uebergang von den Capillaren zu den

468 P. Schröder: Ueber die Nervenplexus im Darm des Kindes,

Venen vermittelt und in dem Stratum vasculosum Netze bildet.

4) Die Billroth’schen Körper lassen jedes charakteristische Merkmal für Nervenfasern und Ganglienkörper, oder für Ner- ven und Ganglien vermissen.

9) Nach Injection der Gefässe des Darms mit Karminlösung kann man im Stratum vasculosum imjicirte Netze finden, die ganz das Bild der Billroth’schen Körper haben. Durch die Injectionsmasse hindurch kann man die für dieselben charakte- ristischen Formationen erkennen.

6) Uebergänge zwischen offenbaren Gefässen und den Bill- roth’schen Körpern sind mit Sicherheit zu constatiren.

7) Auch in Därmen erwachsener Thiere, an denen die ge- nannten Netze für gewöhnlich nicht zu finden sind, kann man dieselben durch künstliche Stauung im Gebiete der Pfortader hervorrufen.

8) Man kann die Bildung der Billroth’schen Körper auch im Darme neugeborener 'Thiere verhindern, wenn man die Be- dingungen aufhebt, unter denen sie sonst zu Stande kommen.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Die Billroth’schen Körper aus einem Darm, der nach Billroth mit zur Hälfte mit Wasser verdünntem Holzessig behan- delt ist.

Fig. 2. Dieselben aus einem einige Zeit mit verdünnter Essigsäure behandelten Darm.

Fig. 3. Capillargefässe über die Billroth’schen Körper hinweg laufend (Breiter und Frey).

Fig. 4 Die Billroth’schen Körper mit Karmin injieirt. In den Ausläufern ist Streifung sichtbar.

Fig. 5. Die Billroth’schen Körper, in denen Pigment zu sehen ist, das ohne Zweifel aus dem Hämatin entstanden ist. a Uebergang von dem Billroth’schen Körper zu einem injieirten Gefäss.

Fig. 6. Die Billroth’schen Körper durch künstliche Stauung im Gebiet der Pfortader hervorgebracht. Daneben verläuft ein dickeres Gefäss (b), dessen Inhalt ähnliche Configurationen, wie der in den Körpern angenommen hat.

L. Hermann: Ueber die Wirkungen u. s. w. 469

Ueber die Wirkungen des Stickstoffoxydgases auf das Blut.

Von

Dr. Lupımar HERMANN in Berlin.

Untersuchungen über die Gase der Muskeln, welche noch nicht 'abgeschlossen sind, führten mich unter Anderem zu Ver- suchen über die Wirkung des Stickoxydgases (NO,) auf das Blut. Das merkwürdige Resultat, welches dieselben ergeben haben, veranlasst mich, sie gesondert zu veröffentlichen.

Die Eigenthümlichkeit des Stickoxydgases, mit den gering- sten Mengen freien Sauerstoffs sofort rothe Dämpfe von Unter- salpetersäure!) zu bilden, macht besondere Vorsichtsmaassregeln nöthig, welche die Versuche complieiren, und bringt ausserdem Erscheinungen hervor, welche sehr geeignet sind, den wahren Sachverhalt zu verhüllen, wie das Nachfolgende wiederholt zei- gen wird.

In der Literatur habe ich zwei Angaben über den mich be- schäftigenden Gegenstand gefunden: eine ältere von Humphry Davy, und eine aus jüngster Zeit von Hoppe-Seyler. Er- sterer schüttelte bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über das Stickoxydulgas mehrere Portionen Venenblut über Queck- silber mit verschiedenen Gasen, darunter auch eine mit Stick-

1) Obgleich das NO, unter Umständen mit O auch andere Pro- ducte als NO, bildet, ist in diesem Aufsatze, soweit es nicht genauer darauf ankommt, der Kürze halber das Product immer als NO, be- zeichnet. :

470 L. Hermann:

oxydgas („Salpetergas“). Er sagt hierüber‘); „Das Blut in dem Salpetergase war dunkel und obenauf weit purpurfarbener, als das im Stickgase. Als es nach dem Schütteln die Wände des Gefässes mit einer dünnen Schicht überzog, war diese Pur- purfarbe augenscheinlich tief und glänzend (evidently deep and bright). Mehr als der achte Theil des Gases war absorbirt worden.“ Hoppe->Seyler?) liess, um zu sehen, ob der Sauer- stoff des Blutes chemisch gebunden sei, oder durch NO, dem Blute entzogen werde, durch O-haltige Blutlösung NO, hindurch- gehen, und sah keine Veränderung der Absorptionsstreifen, woraus er auf eine chemische Bindung des Sauerstoffs schliesst. Beide Beobachtungen, deren erstere ich erst am Schlusse mei- ner Arbeit bemerkte, sind an sich richtig, wenn sie auch den wahren Sachverhalt nicht aufklären.

Ehe ich meine Versuche mit NO, darstelle, muss ich eine gelegentliche Bemerkung in meiner Arbeit über das Stickoxy- dul?) ergänzen, resp. berichtigen. Ich hatte darin darauf auf- merksam gemacht, dass man die verdunkelnde Wirkung der Kohlensäure auf hellrothes Blut nicht mit der des Wasserstoffs, Stickstoffs, Stickoxyduls u. s. w. identificiren dürfe, dass jene das Blut sofort verdunkle, die anderen Gase aber erst nach so langem Durchleiten, dass ich annahm, sie treiben den Sauer- stoff gar nicht aus, sondern derselbe verschwinde durch Oxy- dationen im Blut, wie es nachweislich bei stehendem Blute der Fall ist. Ich habe mich indess später durch Versuche meines Freundes W. Kühne, welcher Hämoglobinlösungen durch H- Durchleitung O-frei werden salı (bei spectroskopischer Beobach- tung) zu neuen Versuchen veranlasst gesehen und mich dabei überzeugt, dass in der That H, N, NO den Sauerstoff aus dem Blute auszutreiben vermögen, freilich viel schwächer als CO,.

1) Humphry Davy’s chemische und physiologische en gen über das oxydirte Stickgas u. s.w. Lemgo 1812. Bd. 2. 8.51,

2) Ueber die optischen und chemischen Eigenschaften = Blut- farbstoffs. Centralblatt für die medic. Wissensch 1864. S. 819. u der physiologisch- und pathologisch - chemischen un

. Aufl. Berlin 1865. S. 204.

3) Dies Archiv 1864. S. 527.

Ueber die Wirkungen des Stickstoffioxydgases auf das Blut. 47]

Die Methode, welche ich hierzu anwandte, ist äusserst ein- fach, und, wie mir scheint, für derartige Untersuchungen sehr zweckmässig. Das Durchleiten von Gasen durch Blut ist we- gen des so gut wie unvermeidlichen Schäumens und Ueberstei- gens eine höchst unangenehme und unsaubere Arbeit. Ausser- dem kommen stets nur sehr geringe Bruchtheile des Blutes mit den Gasblasen in Berührung, so dass es ausserordentlich lange dauert, bis das Gas auf die ganze Blutmasse völlig eingewirkt hat; daher dauert es bei niederer Temperatur, wie ich früher angegeben habe, stundenlang, ehe arterielles Blut!) durch H verdunkelt wird. In äusserst kurzer Zeit dagegen und ohne Verlust durch Schäumen kommt man zum Ziel, wenn man nur eine sehr kleine Probe des Blutes in ein etwa 5 Mm. Lumen haltendes, senkrecht stehendes Glasrohr bringt, welches an einer oder zwei Stellen zu Kugeln erweitert ist und unten in einen nur wenig nach oben steigenden, fast horizontalen Schenkel umbiegt ; leitet man in diesen Schenkel Gas in mässigem Strome ein, so wird das Blut in die Höhe getrieben, vertheilt sich an den Wänden des Rohres in dünnen Schichten, bis es vom Gase durchbrochen wird, sammelt sich dann wieder im Knie, wird wieder in die Höhe getrieben u. s. w. Do kommt die geringe Blutmenge mit grosser Oberfläche mit dem Gase in Berührung und die Einwirkung geschieht mit unglaublicher Schnelligkeit. Durch H und NO wird das arterielle Blut (fast zu allen in dieser Arbeit erwähnten Versuchen wurde frisches defibrinirtes Hundeblut verwandt) in wenigen Minuten dunkel, diehroitisch, und zeigt statt der beiden Absorptionsstreifen des O-haltigen Blutes den zwischenliegenden des O-freien. (Man kann das Blutrohr unmittelbar vor dem Spalt des Spectralap- parats aufstellen und während das Gas hindurch geht, beobach-

1) Es ist für die Austreibbarkeit des O sehr wesentlich, ob das Blut unmittelbar aus der Arterie entleert oder gleich nach der Ent- leerung wenigstens durch das Schlagen hellroth gemacht ist, oder ob es erst.längere Zeit nach der Entleerung durch Schütteln mit O arteriell geworden ist. Im letzteren Falle ist der O durch alle be- kannten Mittel viel leichter austreibbar, und schwindet auch beim ein- fachen Stehen viel schneller.

472 L. Hermann:

ten.) CO, macht das Blut fast augenblicklich dunkel und nach einiger Zeit vollständig missfarbig ; der Streifen des Hämatins in saurer Lösung (im Roth) tritt auf, und bald verschwindet der Hämoglobinstreif vollständig; solches Blut ist nunmehr un- fähig, durch O und selbst durch CO wieder hellroth gemacht zu werden, während dies bei einfach mit H oder NO O-frei gemachtem Blut sehr leicht gelingt, obgleich die Färbung nicht ganz so hell wird, als sie sonst zu sein pflegt. Ich komme später noch einmal auf diese Erscheinung zurück.

Um nun die Wirkung des Stickoxyds auf das Blut zu prü- fen, musste ich jede Spur von Sauerstoff zuerst aus dem Ap- parate entfernen. Zu diesem Zwecke verfuhr ich folgender- maassen: Durch den Kork eines Glaseylinders, dessen Boden mit Wasser bedeckt ist, gehen drei, aussen rechtwinklig umge- bogene Röhren: die eine a reicht nur durch den Kork, die zweite b bis nahe zur Oberfläche des Wassers, die dritte c durch das Wasser bis auf den Boden; a ist mit dem oben er- wähnten Blutrohr, b mit einem H-Entwickelungsapparat ver- bunden; ce wird aussen durch einen Quetschhahn verschlossen, nachdem man mittels augenblicklichen Zudrückens der Verbin- dung zwischen a und dem Blutrohr durch das sich entwickelnde H-Gas das Wasser bis an das äussere Ende von .c hat steigen lassen. Das Blutrohr, durch welches fortwährend H strömt, ist am oberen Ende mit einem Wasserventil verbunden, dessen Ab- zugsrohr durch das Fenster nach aussen geleitet ist. Nachdem durch den H aller Sauerstoff aus dem Cylinder und aus dem Blute im Rohr ausgetrieben ist, wovon man sich durch den Spectralapparat leicht überzeugen kann (s. oben), wird das Rohr ce mit dem NO,-Entwickelungsapparate, der bereits längere Zeit im Gange war und dessen Gas bis dahin nach aussen geleitet wurde, verbunden und das Rohr b verschlossen. (Das NO, wurde aus Kupfer und Salpetersäure ohne Erwärmung bereitet und durch Wasser gewaschen; zu den späteren Versuchen wurde es im gewöhnlichen Gasometer aufbewahrt.) Nunmehr geht statt des H Stickoxyd durch das O-freie Blut. Man sieht jedesmal augenblicklich das Blut seinen Dichrois- mus verlieren und eine schöne hell carmoisinrothe

Ueber die Wirkungen des Stickstoffoxydgases auf das Blut. 473

Farbe annehmen; zugleich treten im Spectralapparat, wäh- rend der Streifen des O-freien Bluts verschwindet, zwei Ab- sorptionsstreifen an derselben Stelle wie im O-haltigen Blute auf, von denen weiter unten genauer die Rede ist. Andere Veränderungen treten nicht ein, so lange man auch das Durch- leiten des NO, fortsetzt. Es ändert Nichts an dem Resultate, wenn man zum Auswaschen des O statt des Wasserstoffs NO oder CO, anwendet; ım letzteren Falle aber darf man nur kurze Zeit durchleiten 3 weil sonst die CO, das Blut zersetzt und es missfarbig, zum Wiederhellwerden unfähig macht (s. oben).

Oeffnet man jetzt das Rohr, so verwandelt sich natürlich sofort das Blut in eine grünbraune schmierige Masse, durch die beim Eindringen der Luft in das Glasrohr sich bildende Unter- salpetersäure. Man muss daher, um das Blut aus dem Apparat zu entfernen, entweder das NO, wieder durch H verdrängen, oder auch das Blutrohr an zwei vorher ausgezogenen Stellen oberhalb und unterhalb des Blutes abschmelzen. Der H hat übrigens jetzt keine Einwirkung auf die Blutfarbe.

Das so erhaltene Blut ist merklich dunkler als arterielles oder CO-Blut, nicht dichroitisch, und zeigt zwei Absorptionsstreifen genau an derselben Stelle wie das O-Blut, aber viel weniger in- tensiv als bei diesem. Von den Streifen des CO-Bluts unterschei- den sich dieselben, wie die des O-Bluts dadurch, dass der dem Roth zunächst liegende Streifen diesem etwas näher gerückt ist als beim CO-Blut. Die Blutkörperchen sind vollkommen erhalten. Nach bekannten Methoden liefert das Blut Krystalle von Hämoglo- bin, die sich von den aus O- oder CO-Blut dargestellten in ihrer Gestalt durchaus nicht-unterscheiden. Das mit NO, behandelte Blut zeigt sich an der Luft und in Röhren eingeschmolzen ebenso dauerhaft in seiner Farbe wie CO-Blut. Mit Schwefel- ammonium versetzt, welches gewöhnliches Blut sofort vollkom- men missfarbig macht, behält es seine rothe Farbe ebensogut wie CO-Blut.

Spätere Versuche werden zeigen, dass die wahre Farbe des NO,-Bluts fast ebenso hell ist wie die des CO-Bluts; in der That rührt die dunklere Färbung bei dem oben mitgetheilten

Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1565.

474 L. Hermann:

Versuche hauptsächlich daher, dass das Blut zuerst O-frei ge- macht werden musste, wodurch es unfähig wird, durch Auf- nahme von Gasen wieder ganz so hell zu werden als sonst, worauf ich schon oben aufmerksam gemacht habe. Lässt man bei dem obigen Versuche CO statt des NO, durch das Blut streichen, so erhält man eine nur sehr wenig hellere Färbung als durch NO,.

Die bisher angegebenen Erscheinungen erweckten in mir die Vermuthung, dass das NO, ebenso wie und CO sich mit dem Hämoglobin der Blutkörperchen chemisch verbinde, und dass diese Verbindung an Festigkeit die des O übertreffe und mit der des CO wetteifere. Die folgenden Versuche bestätigten und erweiterten diese Vermuthung.

Um grössere Quantitäten Blut mit NO, zu behandeln, musste ich, da hier das vorherige Durchleiten von H, wie schon er- wähnt, unangenehm ist, Quecksilbersperrung anwenden. Zu diesem Behufe wurde ein zur Hälfte mit Quecksilber gefülltes Absorptionsrohr vollends mit dem zu behandelnden Blute ge- füllt, und nach einigem Warten die zu oberst sich sammelnden kleinen Bläschen mit dem Daumen abgestrichen und das Rohr in der Quecksilberwanne umgestürzt. Ich muss gleich hier be- merken, dass man selbst bei der grössten Sorgfalt hier immer nach einiger Zeit einige wenige Bläschen in der Kuppe des Rohrs sich ansammeln sieht. Dieser Umstand liess sich auch dann nicht vermeiden, wenn ich das Blut in das völlig mit gas- freiem Quecksilber gefüllte und umgestürzte Rohr durch eine Pipette von unten her einbrachte. Zu dem Blute wurde dann NO, zugelassen, häufig umgeschüttelt u.s. w.

Hierbei zeigen sich nun folgende Erscheinungen: Schüttelt man arterielles oder durch Schütteln mit Luft hellroth gemach- tes Blut mit NO,, so tritt augenblicklich eine beträchtliche Ver- dunkelung ein, unter starker Volumabnahme des Gases. Venö- ses Blut wird durch NO, nicht merklich heller, doch hat der Schaum eine deutliche Purpurfarbe; starke Volumabnahme des Gases. CO-Blut wird durch NO, in der Farbe kaum verändert,

eine sehr geringe Verdunkelung tritt ein; die Absorptions-

Ueber die Wirkungen des Stiekstoffoxydgases auf das Blut. 475

streifen werden dagegen augenblicklich verschoben, und zwar an die Stelle, welche dem NO,-Blut zukommt, d. h. dem am wenigsten brechbaren Ende des Spectrums etwas ge- nähert. Eine Volumänderung ist nicht zu bemerken.

Die eben erwähnte Verschiebung der Absorptionsstreifen schien darauf zu deuten, dass das NO, das CO aus dem Blute verdrärge und zwar ohne Volumänderung Um zunächst das letztere zu entscheiden, wurde jetzt im Absorptionsrohr eine Quantität NO, aufgefangen, ihr Volum bestimmt, dann sorgfäl- tig mit CO gesättigtes Blut hinzugeleitet, mehrmals geschüttelt und später wiederum das Volum des Gases bestimmt. Ich theile als Beispiel einen dieser Versuche mit:

| Yolum" Druck. Temperat. Redueirt auf 1M.

| 6; | Druck und Ursprüngliches NO, | 1692 | 0,5747 239° 89,42 Nach dem Schütteln | | mit CO-Blut | 158,5 | 0,6085 239 | 88,69

Wie man sieht, hat keine merkliche Volumveränderung stattgefunden, denn die Differenz von 0,73 Vol. kann sehr wohl auf die Fehlerquellen bezogen werden, weil das obere Niveau des Blutes, wegen des Schaums etc., und auch das obere Ni- veau des vom Blute bedeckten Quecksilbers, nicht genau ables- bar sind.

Es wurde nun in anderen Versuchen eine Probe des über dem Blute stehenden Gases für sich in einem anderen Absorp- tionsrohr auf CO untersucht; zuerst wurde das Gas längere Zeit mit Kalikugeln behandelt, um beigemischte CO, und etwa vorhandene NO, zu entfernen, dann das CO durch Papier- mache-Kugeln, die mit einer Lösung von Kupferchlorür in Salz- säure getränkt waren, absorbirt, und endlich die CIH-Dämpfe durch eine Kalikugel fortgenommen. Ich führe als Beispiel zwei dieser Versuche an.

476 L. Hermann:

I | Temperat. Reducirt aufıM. Nr. | Volum. | Druck. m a Druck und 0°. N (Gas, nachBehand- | lungmitKO.HO) 137,9 0,5786 24.0.5) 73,35 Nach Absorption | den GO 0-20 |roil2giEnt re es 2. ‚Gas, nachBehand- lungmitKO.HO| 125,8 0,56935 26,5 65,290 Nach Absorption | des CO 109,3 0,56715| 24,0 56,985

Es waren also im ersten Falle 4,94, im zweiten 8,305 Vol. CO in der untersuchten Gasprobe enthalten, was in beiden Fäl- len auf das Volum des angewandten Blutes und das Kaliber des ersten Absorptionsrohrs verrechnet, ergiebt: im ersten Falle 19,2 und im zweiten 20,3 Volumprocente des angewandten CO- Bluts. Man kann wohl annehmen, dass dies die ganze Menge des im Blute enthaltenen CO ist. Man sieht also, dass das NO, aus CO-Blut das CO verdränst, und zwar ohne Aenderung des Gasvolums; es muss demnach selbst, und zwar mit grösserer Kraft, in gleichem Volum wie CO von den Blutkörperchen chemisch gebunden werden.

Der einzige Unterschied, welchen man, abgesehen von den Absorptionsstreifen und etwas grösserer Helliskeit des ersteren, zwischen CO- und NO,-Blut bemerkt, besteht in dem entschie- den bläulichen Farbenton des ersteren, der dem letzteren fehlt; auch wird man bemerken, dass das aus CO-Blut hervorgegan- gene schön hellrothe NO,-Blut etwas Dichroismus zeigt. Letz- terer rührt aber nur davon her, dass eine geringe Sauerstoff- beimischung in allen diesen Versuchen unvermeidlich ist, daher etwas Untersalpetersäure entsteht, von der eine Spur hinreicht, das Blut dichroitisch zu machen. Ich werde sogleich eine Me- thode angeben, diesen Fehler zu eliminiren.

Kehren wir zunächst zu der Wirkung des NO, auf O-halti- ses Blut zurück; wir hatten gesehen, dass das NO, hier eine starke Verdunkelung bewirkt, dass also hellrothes Blut durch NO, verdunkelt wurde, während doch dunkeles, völlig O-freies Blut dadurch hell gemacht wird. Eine Erklärung jener That- sache ist nicht schwer. Offenbar nämlich muss das NO, den

Ueber die Wirkungen des Stickstoffoxydgases auf das Blut. 477

O noch leichter aus dem Blute verdrängen können als das CO; der frei werdende O muss aber dann mit dem überschüssigen NO, eine geringe Menge NO, bilden, welche sofort das Blut dunkel macht. Um diesen Umstand zu beseitigen, muss man die Untersalpetersäure durch einen vorhergehenden Zusatz zum Blute unschädlich machen; unter den hierzu sich bietenden al- kalischen Substanzen sind kaustische und kohlensaure Alkalien unbrauchbar, weil sie die Blutkörperchen zerstören, und so die Farbenphänomene beeinträchtigen; kohlensaure alkalische Erden mit dem Blute zusammengerieben geben ebenfalls kein gutes Resultat, weil sie wegen ihrer Unlöslichkeit die Säure zu lang- sam binden, auch ist die sich entwickelnde Kohlensäure eine, ähnlich wie die zu vermeidende Untersalpetersäure, schädlich wirkende Substanz. Dagegen erhielt ich sehr gute Resultate mit Barytwasser. Versetzt man das Blut mit einer nicht zu geringen Menge desselben, so erhält man beim Schütteln mit überschüssigem NO, eine schön hellrothe Farbe ohne Dichrois- mus; auch das CO-Blut zeigt bei dieser Behandlung nach dem Schütteln mit NO, keinen Dichroismus.

Der Kunstgriff, die sich bildende Untersalpetersäure durch vorherigen Zusatz von BaO.HO zum Blut unschädlich zu ma- chen, setzte mich zugleich in den Stand, die von Hoppe- Seyler aufgeworfene Frage zu entscheiden, ob das NO, durch seine Affinität zum den letzteren dem Ö-haltigen Blute zu entziehen vermöge (s. oben S. 470). Hoppe-Seyler’s Versuch beantwortet diese Frage nicht, weil, wie wir jetzt wissen, die von ihm beobachteten Absorptionsstreifen nicht mehr dem O- Hämoslobin, sondern dem NO,-Hämoglobin zukamen. Zur Ent- scheidung der Frage muss man das Blut mit einer zu seiner Sät- tigung unzureichendenMenge NO, schütteln; es kommen dann drei Affinitaten mit einander in Conflict, die zwischen Hämoglobin und O, Hämoglobin und NO,, endlich und NO,. Es siegt in diesem Falle immer die letztere, d. h. das vorher mit Barytwas- ser versetzte hellrothe Arterienblut wird beim Schütteln mit einer geringen Menge NO, sofort dunkel. Am instructivsten ist der Versuch, wenn man das’ NO, in kleinen Portionen zu dem über Quecksilber befindlichen mit Barytwasser versetzten Blute zu-

478 L. Hermann:

treten lässt, und nach jedem Zusatz stark umschüttelt. Die ersten Portionen machen das Blut unter starker Volumvermin- derung (fast Verschwinden) der Gassäule sehr dunkel, allmäh- lig fast schwarz. Weiterer Zusatz macht dann das Blut, wie- derum unter starker Gasabsorption, immer heller roth, die Ab- sorptionsstreifen, jetzt vom NO,-Hämoglobin herrührend, er- scheinen schwächer als vorher. Die erste Gasabsorption rührt her von der Lösung der durch NO, und den des Blutes ge- bildeten Untersalpetersäure"), die spätere von der Bindung des NO, durch die Blutkörperchen. Der Versuch ist so schlagend, dass man versucht sein könnte, ihn zu einer Titrirung des O- Gehalts im Blute zu verwerthen, wenn sich das Stadium genau bestimmen liesse, in welchem das Blut O-frei geworden ist; dies ist aber leider nicht der Fall; bei sehr zahlreichen hierauf ge- richteten Versuchen, theils mit unverdünntem, theils mit stark verdünntem Blute (um durch dicke Schichten beobachten zu können) ist es mir nie gelungen, ein Stadium wahrzunehmen, in welchem der Streifen des O-freien Hämoglobins auftrat, selbst wenn ich, um das NO, recht allmählig zusetzen zu können, dasselbe vorher mit H verdünnt hatte. Alles, was man sehen kann, ist, dass plötzlich die scharfen dunkeln Streifen des O- Hämoglobins in die schwächeren des NO,-Hämoglobins überge- sangen sind. Uebrigens kann man sich dies Verhalten leicht er- klären: setzt man nämlich eine Portion NO, zum O-haltigen Blut, so bildet dieselbe vor dem Umschütteln mit der ihr zunächst liegenden Blutschicht, auf welche sie im Ueberschusse einwir- ken kann, eine kleine Menge NO.-Hämoglobin, und erst beim Umschütteln wirkt der Rest des NO, O-entziehend auf die ganze Blutmasse. Das einmal gebildete NO,-Hämoglobin kann aber nicht wieder zerstört werden, denn O-Hämoslobin und NO,-Hämoglobin wirken nicht zersetzend auf einander?), und

1) Wenn Untersalpetersäure mit freiem Baryt zusammenkommt, so muss sich offenbar salpetrigsaurer und salpetersaurer Baryt bilden; in der That lässt sich in so behandeltem Blute sowohl NO, als NO, nachweisen; eine quantitative Bestimmung derselben ist aber nicht ausführbar. |

2) Hiervon habe ich mich durch eine besondere Versuchsreihe sehr

Ueber die Wirkungen des Stickstoffoxydgases auf das Blut. 479

so kommt es, dass ein Stadium, in welchem nur O-freies Hämo- globin vorhanden wäre, unmöglich ist.

Diese Versuche lehren also, dass allerdings das NO, dem Blute seinen O durch seine Affinität zuihm entzieht; mir scheint aber dies kein Beweis zu sein, dass der O im Blute nicht (locker) chemisch gebunden wäre. Zugleich sehen wir, dass die Versuche mit NO,- und O-Blut Nichts darüber ent- scheiden können, ob die Verwandtschaft des NO, zum Hämo- globin grösser oder kleiner sei, als die des O zu demselben Körper ; diese Frage wird erst durch das Verhalten des CO- Bluts zum NO,, man kann sagen a majori, wie wir gesehen ha- ben, im ersteren Sinne entschieden. Ferner ergiebt sich, dass die O-Austreibung aus dem Blute durch überschüssiges NO, ein aus zwei Theilen bestehender Vorgang ist; zuerst verbindet sich ein Theil des NO, mit dem des Blutes, und dann nimmt ein anderer Theil des NO, die Stelle des entzogenen Sauerstoffs ein. Volumbestimmungen geben wegen dieser complicirten Ver- hältnisse nur inconstante Resultate; hervortretend ist die schon von Davy bemerkte ausserordentlich starke Volumabnahme des Gases, welche oben bereits erklärt ist; natürlich ist sie um so bedeutender je O-reicher das Blut ist.

Zum Ueberfluss habe ich mehrmals den Versuch angestellt, ob CO auf NO,-Blut einwirke. Stets blieb Farbe, Absorptions- streifen und Gasvolum unverändert, und in dem Gase war nur eine Spur (vermuthlich einfach diffundirt gewesenes) NO, durch FeO.SO, nachzuweisen; der Rest bestand aus CO und CO,.

So sind wir denn also zu dem Resultat gekommen, dass NO, ebenso wie und CO, und zwar in gleichem Volum wie

sorgfältig überzeugt; ich stellte dieselbe deshalb namentlich an, weil wenn die Affinität des zum NO, so gross wäre, dass beim Zusam- menbringen von NO,-Hämoglobin und O-Hämoglobin NO, entstände, und O-freies Hämoglobin zurückbliebe, dies offenbar zu einer höchst bequemen Titrirmethode für die O-Bestimmung im Blute führen würde, wie eine leichte Ueberlegung ergiebt. Ich konnte aber durch allmäh- lige Vermischung von NO,-Blut und O-Blut (mit Ba0.HO versetzt) über Hg nie ein Stadium hervorrufen, in welchem der Streifen des O- freien Hämoglobins erschienen wäre.

480 L. Hermann:

diese beiden Gase, vom Hämoglobin gebunden wird, dass die Verbindung genau dieselbe Krystallform zeigt wie jene des oder CO; dass ferner unter diesen drei Verbindungen die des am lockersten, die des NO, am festesten ist, während die des CO in der Mitte steht. Alle drei Verbindungen sind nicht dichroitisch.

Betrachtet man die Aequivalent- und Volumverhältnisse die- ser drei Verbindungen, so ergiebt sich ein höchst merkwürdiges Resultat, auf das man schon früher, als man neben der O-Ver- bindung nur die CO-Verbindung kannte, aufmerksam gemacht worden ist. Die drei Gase, welche eine analoge, volumenome- trische, nicht atomistische Zusammensetzung haben!), vertreten sich nicht nach Aequivalenten, sondern nach Volumen. Setzen wir 1 Aeq. CO = 1 Volumen, so bindet eine bestimmte Menge Hämosglobin:

2Aed.O =1Vol.=1!J Vol. O + !/, Vol. ©. lem Oele aa. sehe NOalkeennsellgenbsNerele aß:

Man muss die drei Körper: Sauerstoff-Hämoglobin, Kohlen- oxyd - Hämoglobin, Stickoxyd - Hämoglobin offenbar als iso- morph bezeichnen, und hat also hier ein Beispiel von Isomor- phismus durch Vertretung gleicher Volume, nicht gleicher Aequi- valente, ein Verhalten, das sich an den von Dana sogenannten heteronomen Isomorphismus anschliessen würde. Möglicher Weise findet dies Verhältniss allgemeiner bei Vertretung von Gasen in lockeren chemischen Verbindungen statt, was für die theoretische Chemie nicht unwesentlich wäre. Unter den mir bekannten Beispielen lockerer chemischer Gasbindungen (z. B. CO durch Cuw,Cl, NO, durch FeO.SO,) befindet sich kein Bei- spiel gegenseitiger Vertretung. Bine weitere Verfolgung dieser Frage liest indess ausserhalb des Bereichs meiner Arbeiten, so dass ich sie Chemikern von Fach überlassen muss.

1) Eine beiläufige Erwähnung der Volumzusammensetzung des CO in meiner Arbeit über das (dies Archiv 1864, S. 524) ist irrig.

Ueber die Wirkungen des Stickstoffoxydgases auf das Blut. 48]

Die physiologische Wirkung des NO, würde nach dem hier Mitgetheilten offenbar der des CO analog oder noch schreckli- cher als diese sein, wenn es nicht unmöglich wäre, auch nur Spuren von NO, bis zum Blute gelangen zu lassen; durch die beständige Gegenwart von Sauerstoff in den Luftwegen werden nämlich sofort beim Versuche, NO, einzuathmen, saure Dämpfe von NO, gebildet, so dass das NO, zum Glück wie ein völlig irrespirables Gas wirkt. Davy hatte „in einem enthusiastischen Augenblick, worin ihn die berauschende Kraft des oxydirten Salpeterstoffgases (NO) versetzt hatte“, die Kühnheit, die Ath- mung von NO, zu versuchen!); zu diesem Zwecke suchte er zuerst seine Luftwege, durch längeres Athmen von NO, von zu befreien, was ihm aber nicht gelang, so dass er beim Ein- athmen des NO, sofort von entsetzlichen Erstickungszufällen befallen wurde und versichert, „er wolle in seinem Leben nie wieder einen so verwegenen Versuch anstellen.“ Wir können jetzt sagen, dass er, wäre es ihm wirklich gelungen, seine Luft- wege Ö-frei zu machen, erst recht dem NO, ein sicheres Opfer gewesen wäre.

Ich habe mich vergebens bemüht, Frösche durch Ausdrücken unter Wasser und darauf folgenden längeren Aufenthalt in durch- geleitetem H von freiem O zu befreien; beim Zutritt des NO, zeigten sie stets die deutlichsten Schmerzenszeichen, und bei längerem Aufenthalt zeigte sich weissliche Anätzung der gan- zen Haut. Selbst ein gelungener Versuch würde aber bei Frö- schen wenig lehren.

Wiederum habe ich erwünschte Gelegenheit, Herrn Professor du Bois-Reymond für die Güte, mit welcher er mir fortge- setzt das Arbeiten im physiologischen Laboratorium der hiesi- gen Universität gestattet, öffentlich meinen innigen Dank aus- zusprechen.

Berlin, im Juni 1865.

1) Ara Bi 2, 8182.

482 Prof. Mayer:

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel.

Als schliessliche Replik auf Prof. Huxley’s Entgegnungen (8. dieses Archiv 1865, Heft 1).

von

Prof. MAYER in Bonn.

Das ausserordentliche Phänomen des Vorkommens von (nach Aussage unbefangener Arbeiter beim Ausgraben) in ruhiger regelmässiger Stellung in einer Felsenhöhle gefundenen, nur mit einer Lehmschicht von zwei Fuss bedeckten Knochen eines menschlichen Skeletts, ohne gleichörtliche Anwesenheit von Kno- chen bekannter Thiere aus der Diluvial-Periode, musste zur Be- sonnienheit mahnen und zum Versuch, eine einfache, nicht so- gleich auf die noch unerschlossenen Wunder der Vorwelt auf- gebaute, sondern in historische Zeit fallende Erklärung zu er- mitteln. Ich habe eine solche Erklärung sine ira et studio, als meine unmaassgebliche und blos hypothetische Ansicht (Nr. I. dieses Archivs, 1864) gegeben, und ist mir von Herrn Prof. Huxley und Fuhlrott cum ira et studio geantwortet worden. Ich habe diese meine Ansicht durch local-terrestrische, histo- rische und anatomische Gründe zu stützen gesucht, und durfte denselben um so mehr vertrauen, als bisher geologische Data, welche für den diluvialen Charakter des Fundes sprechen, nicht vorhanden sind. Die Erscheinung von Dendritfiguren auf die- sen Knochen, welche ich zuerst bemerklich machte, durfte ich selbst, als auf Knochen in einem mit Maganeisen geschwänger- ten Lehmlager in kurzer Zeit sich niederschlagende Krystalli- sationen, nicht als Zeugen eines so hohen Alters ansehen. Ich

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel. 483

hatte gleich anfangs nach der ersten Bekanntmachung des Fun- des, welchen wir dem Herrn Pieper aus Hochdahl verdanken, durch dessen Liberalität derselbe dem Prof. Fuhlrott anver- traut war, um die Knochen für unser anatomisches Museum ge- beten, (denn solche Funde gehören doch eigentlich zu den Do- mänen der Wissenschaft), und etwas später sie zur Ansicht er- halten. In dem Museum der Universität deponirt, selbst wie ich vorschlug, auf Rückforderung, wären sie in- und ausländi- schen Gelehrten zugänglich gewesen, welche sich nun aber spärlich mit einem Miniaturbild und mit Abgüssen, welche, wie wir unten sehen werden, zu irrigen Schlüssen Veranlassung ga- ben, behelfen mussten. Als nun durch die engländischen Na- turforscher der Fund zu einer europäischen Frage erhoben und der Düsselthal-Schädel selbst als ältestes Denkmal fossiler Men- schen-Ueberreste und als den Affentypus derselben unwiderleg- lich beweisend, gepriesen wurde, als selbst Prof. Huxley dem fossilen sog. Neanderthal-Menschen ein Atavis edite simiis zu- rief, schien es mir Zeit, mit meinen früheren Beschreibungen und mit meinen Bedenken hervorzutreten. Hat doch jeder wis- senschaftliche Mann ebenso das Recht wie die Pflicht, seine Ueberzeugungen zu veröffentlichen und nicht zu scheuen, wenn ihm von anderer Seite mit einem Kampfe, der einerseits für den Vorzug eigener Ansichten, andererseits pro domo, so zu sagen, geführt wird, entgegengetreten wird. Es hing auch diese Frage über das Alter des Düsselthal-Schädels mit meiner, in verschiedenen Publicationen bezeichneten Stellung gegen die von dem berühmten Naturforscher Ch. Darwin, dessen zoo- nomischen Scharfsinn und dessen reichhaltigen Porträte der or- ganischen Welt ich ja nur mit Hochachtung anerkennen kann, wieder aufgenommene Hypothese der Abstammung des Menschen vom Affengeschlecht, zusammen mit der Frage über das Alter des Düsselthalfundes. Ich habe niemals, wie Andere?), von ethischer Seite Verwahrung gegen diese alte Lehre einge- lest, welche mir schon durch die historischen Urtraditionen aller sesitteten Völker hinreichend widerlegt zu sein schien, sondern

1) Noch neuerlich L. R. You ng, Prof. der Mathematik in Belfast.

484 ‚Prof. Mayer:

im Namen einer auf reine Logik gegründeten Naturwissenschaft. Diese spricht den immanenten Gesetzen unserer Intelligenz und den Erfahrungen des Sinnen - Bewusstseins gemäss das Axiom aus, dass: bei dem unermesslichen Reichthum und der Mannich- faltigkeit der Schöpfung jede Gattung und selbst jede Species organischer Wesen aus sich selbst, nicht aus einem Anderen entstanden sei, und dass somit eben so wenig der Mensch aus dem Genus des Affen sich entwickelt habe, als etwa der Ele- phant aus der Rüsselmaus, die Erde aus dem Monde, die Sonne aus der Erde. Man hört häufig für die Wahrheit der Theorie Darwin’s als Beweise die Uebergangsthiere der fossilen Fauna anführen, den Ornithocephalus, Archaeopteryz u. s. f.; allein auch in dem jetzigen Thierreich sind solche Uebergangsthiere vorhanden, als: der Ornithorhynchus, das Ay, die Chiropteren. Allein diese (wie wohl auch jene) bleiben isolirt und seit Jahr- tausenden stationär, weder nach vorwärts noch nach rückwärts Metamorphosen bildend. Millionen von Jahren oder Cyelen für solche NMetamorphosen anzunehmen , setzt an die Stelle der Wahrnehmung und Erfahrung nur Träumereien.

Doch zu unserer näheren Sache. Ich glaube, dass meine anatomischen Gründe gegen die Affencharaktere des Düsselthal- Menschen nämlich denn an dem Skelett konnte ich wenig- stens keine langen Gorilla- Arme und kurze Beine etc. bemer- ken und es ist schon einseitige Beweisführung, immer nur allein vom Schädel und dessen Affentypus zu sprechen, sowie auch selbst meine Hypothese über das Vorkommen des Skeletts nicht durch Prof. Huxley’s oder Fuhlrott’s Repliken wider- lest sei. Die von Prof. Huxley und früher von Prof. Schaaff- hausen an dem fraglichen Schädel namhaft gemachten anato- mischen Charaktere zuvörderst betreffend, halte ich sie nicht als den Unterschied zwischen Menschen und Affen wesentlich bezeichnende. Ich wende mich aber speciell und in Kürze nur zu den Punkten der Opposition, welche Prof. Huxley gegen meine Ansichten in obiger Schrift vorgebracht hat, um darzu- thun, dass die von diesem gelehrten Zoologen als Beweise einer Affenähnlichkeit des Düsselthal-Schädels angeführten anatomi- schen Kennzeichen, zu solchem Beweise nicht hinreichen.

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel. _ 485

Jedoch muss ich mit Genugthuung bemerken , dass Prof. Huxley zwar wiederholt ausspricht, wie er behaupte und im- mer behauptet habe, dass der fossile Schädel vom Düsselthal dem des Affen unter allen bis jetzt als vorweltlich erkannten Schädeln am ähnlichsten sei (S. 5 dies. Archivs), dagegen auf der gegenüberstehenden Seite äussert, dass die fossilen Reste, welche bisher entdeckt worden sind, uns, seiner Ansicht nach, der Affengestalt nicht näher bringe, in welchem letzten Satze ich mit Prof. Huxley ja völlig übereinstimme. Wenn Prof. Huxley sodann hinzusetzt, dass er sich auf eine Frage hin- sichtlich des Alters des Schädels nicht einlasse, so hat der ge- lehrte Naturforscher mit der Behauptung des Affentypus des Schädels bereits für sein diluviales Alter entschieden. Ich gehe aber zu den anatomischen Momenten der Discussion über:

1) Das Vorspringen der Augenbrauenbogen beim Düssel- thal-Schädel wird als wesentlicher Charakter des Affentypus bezeichnet. Ich bemerkte und bemerke noch dagegen, dass nur die Crista supraorbitalis solche Aftenähnlichkeit anzeige, welche gerade bei unserem Schädel fehle, dass dagegen die Sinus frontales, welche dem Gorilla, nach des berühmten Meisters in den anatomischen Wissenschaften, des Prof. Owen, früherem Ausspruche, gerade abgehen. Prof. Huxley erklärt nun meine diesfallsige Annahme für incorrect, weil in diesem Augenblick (seit wann? ich konnte wohl dieses früher nicht wissen!) in dem Collegium der Aerzte ein Gorilla- und Chimpanse-Schädel mit enorm grossen Sinus frontales sich befinde. Ich muss die- sem vertrauen und meine Annahme in Betreff des Gorilla mo- difieiren, ob im Allgemeinen oder vielleicht nur für diesen be- sonderen Fall, als Ausnahme von der Norm, oder als Spielart. Aber es widerlegt dieser Fall nicht meine Ansicht, dass es nur die Crista supraorbitalis sei, welche einen etwaigen Affentypus anzeige, nicht die Sinus frontales selbst, welche also auch beim Gorilla und Chimpanse (ich freue mich, dass endlich ein alter Schädel des letzteren, denn ein solcher muss er doch sein? obwohl Prof. Huxley Nichts davon bemerkt, nach England kam) bisweilen aber jedenfalls ausnahmsweise vorkommen kön- nen, wie es auch bei menschlichen Schädeln theils von Idioten

486 Prof. Mayer:

theils von intelligenten Männern (höchst selten Frauen von männ- licher Natur) der Fall ist. Ich bitte aber Prof. Huxley, mich zu belehren, über die Frage, was ist die Bestimmung, der Zweck, der Nutzen, wie man sagt der Sinus frontales; warum sind sie bei intelligenten Männerschädeln bald da und bald feh- len sie diesen ganz. Wer wird etwa wegen seiner hervor- springenden Augenbrauenhöhlen den Paracelsus für einen Affen- abkömmling halten?

Ich wage es auch, Prof. Huxley gegenüber noch zu erwäh- nen, dass Gall in die Augenbrauenwülste den Sitz des Orts- gedächtnisses versetzt und sie bei Malern ete. sehr entwickelt fand. Ich habe immer gegen Gall’s System Protest eingelegt, aber seinen scharfen Beobachtungsblick immer bewundert, auch als praktischer Arzt in Paris, wo ich noch das Glück hatte, mit dem liebenswürdigen Gelehrten zusammen zu kommen. Doch lassen wir die Craniomantik Gall’s und fragen nur, wie kommt es, dass der gelehrte asiatische Elephant enorme Sinus frontales, der wilde afrikanische nur geringe hat? Wir sind also noch in Betreff des psychischen Verhältnisses der Sinus frontales ganz ım Dunkeln und könnten aus ihrer Grösse bei den schwimmfähigen Riesensäugethieren, bei den Vögeln und bei den Krokodilen, nur anf eine Erleichterung des Gewichtes des Schädels zum hydrostatischen Zwecke des Aufenthaltes ım Wasser etwa u. s. w., einen Schluss uns gestatten.

2) Die niederliegende Stirn unseres Schädels obwohl nach mir eine kleine Wölbung sich an der Glabella vorfindet ist allerdings ein thierisches oder pithekoides Kennzeichen, jedoch nur, wenn ein solches Zurückweichen der Stirne mit Abplattung des Hinterkopfes wie solche dem Affenschädel eigen, verbunden ist, nicht aber wenn solches durch relativ grössere Wölbung des Hinterkopfes oder der hinteren oberen Oceipitalgruben , wie es gerade beim Düsselthal Schädel der Fall ist, compensirt wird. Da diese Wölbungen doch von der grösseren Entwickelung der hinteren Lappen des grossen Ge- hirns, welche bei den Affen schwinden, Zeugniss geben, so be- greife ich nicht, wie Prof. Huxley sagen kann, dass diese Wölbungen resp. Excavitäten mit dem Mangel an Raum für

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel. 487

die hinteren Lappen des Gehirns Nichts zu thun haben (Nr. 4 a.a. O.), da man gerade auf grössere hintere Lappen des Ge- hirns aus der grösseren Excavität oder Wölbung der oberen Oceipitalgruben von Aussen schliessen muss.

3) Prof. Huxley nahm früher eine kurze Pfeilnath am Düsselthal-Schädel an, jetzt nimmt derselbe seine Annahme zu- rück, erklärend, dass er zu diesem Irrthum durch den Abguss des Schädels, welcher also hier fehlerhaft war, verleitet wor- den sei.

4) (Zu S. 6 a.a.0.). Wenn der von Prof. Fuhlrott ihm geschickte Abguss einen starken Höcker oberhalb der Linea semieircularis aufweist, so ist er roh und fehlerhaft, da die ge- ringen Vorsprünge des Schädels gerade charakteristisch und antipithekoid sind. Prof. Huxley sagt zwar, gewisse (welche?) auch männliche Schädel von Orang-Outangs hätten keine Crista sagittalis. Ich kann solche aber nach meinen Beobachtungen an gegen 20 Orang-Outang-Schädeln nur für Schädel von jun- sen oder weiblichen Individuen oder etwa für eine besondere, dem Gibbon nahestehende Abart halten, eine mehr zahme Va- rietät etwa; denn Prof. Huxley wird doch nicht läugnen, dass die Crista sagittalis prominens ein Kennzeichen der Wildheit, der Stärke des Gebisses und seiner Muskeln und der Ferocität der Hyäne, des Tigers u. s. f. sei. Dasselbe gilt, wie ich ge- gen Prof. Huxley wiederholen muss, auch in Etwas von den an unserem Schädel geringen Vorspringen der Falx frontalis und cerebelli, welche wenigstens den Raum für das Gehirn beengen. Dass ich von der Schwäche der Crista oceipitalis als Ausdruck - des Sklavensinnes spreche, sei ein unerhörtes Wagniss. Ich er- innere für meine Ansicht an die Nackenhöcker und deren Mus- kelmasse des Löwen, des Stieres, auch an die Worte Hart- näckigkeit, Stiffneckedness, stubbornness u. s. f. auf der einen, und Niederträchtigkeit, baseness, ‚bondage auf der anderen Seite. Prof. Huxley findet meine Physiologie viel zu mechanisch (ein Vorwurf, der mir noch nie gemacht worden), aber ihre Folge- rungen richtig, was ja für dieselbe sprechen möchte.

5) Ausser diesem Mangel oder dieser Schwäche der äusseren sonst auf Stärke thierischer Musculatur hinweisenden Protuberan-

458 Prof. Mayer:

zen an unserem Schädel, welche gegen Affenähnlichkeit desselben Zeugniss ablegen, ist aber als ein sehr gewichtiges oder das ge- wichtigste Unterscheidungsmerkmal des Menschenschädels noch einmal von mir zu betonen, hierüber geht Prof. Huxley nur leicht hinweg, obwohl es des geistvollen Geologen Sir Lyell’s Bedenken erregte: nämlich der beträchtliche Rauminhalt oder sog. Capacität des Schädels, die des Gorilla-Schädels weit über- treffend. Prof. Huxley hat früher diese Capacität zu gering angesetzt, nämlich zu 75 P. Z., jetzt erhöht er dieses Maass. Es steht also der Düsselthal-Schädel in der Scala des Gehirnrau- mes selbst viel höher als das Minimum des Inders, der 67 nach Morton beträgt, vom Gorilla nicht zu reden.

Der Unterschied des Menschen vom Affen gehört aber in erster Instanz vor das Forum des Psychologen, welcher in dem Sprachtalent des Menschen, in dem Begriff der Causalität, in seinem Fortbildungstrieb und insbesondere in seinen ethischen Ideen und Idealen eine unermessliche Kluft zwischen Mensch und Affe constatirt findet. Frägt nun der Psycholog den Ana- tomen um den Nachweis dieses Unterschiedes im Körper oder im Schädel und Gehirn, als präsumtivem Ausdruck und Organ der Intelligenz, so werden wir ihm nicht antworten, dieser Un- terschied ruht in der Grösse der Augenbrauenbogen, oder in dem Zurückweichen der Stirn, weil dieses compensirt werden kann, sondern in dem Rauminhalt des Schädels, als Ausdruck der Grösse des Gehirns, wodurch der Mensch absolut, mit Aus- nahme der Riesensäugethiere, relativ zur Masse des Körpers mit ebenfalls wenigen Ausnahmen, ganz kleiner Säugethiere und Vögel, absolut aber durch Grösse des Grosshirns gegen die Masse des verlängerten Markes, des Rückenmarkes und der austretenden Nerven, das Thier und den Affen selbst weit übertrifft. Es sind dies die Sömmering’schen Gesetze, welche Tiedemann feierlich wiederholte. Jedoch dürfen wir nur in Betreff des Unterschiedes des Menschen vom Thier (Affen) auf das Volumen des Schädelraumes und des Encephalums ein Ge- wicht legen, bei der Vergleichung der Menschen unter sich sind Unterschiede von Maass und Gewicht des Seelenorgans‘, des

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel. 489

Gehirns, nur von auf diesen Kreis beschränktem Werth, wie es noch die letzten Messungen und Wägungen von R. Wagner wieder ergaben. Wir bemerkten so, dass bisweilen Gehirne von intelligenten Menschen unter das Medium des Maasses und Ge- _ wichtes etwas herabsinken, während die von Idioten dieses Me- dium weit übersteigen können. Um diesen Gegensatz zu er- klären, bleibt uns aber der Recurs auf den feineren und zar- teren Bau der Faser-Strahlen und auf die Beweglichkeit und Bildsamkeit der Molecule des Nervenmarkes übrig, indem jene wohl die nervösen Vibrationen beim Acte des Willens, diese die Reproduction der Sinnes-Bilder, die Productionen der Bil- der der Phantasie und der Abstractionen des Denkens vermit- teln.') Es wird dieser Recurs dadurch gerechtfertigt, dass man beim Idioten und im Wahnsinn das Gehirn entweder erweicht oder zu elastisch hart gefunden, und dass auch bei den Thie- ren das Gehirn eine grosse Derbheit besitzt. Vielleicht dass die mikroskopische Forschung hierüber noch näheren Aufschluss erringt! Doch kehre ich nach dieser Abschweifung zum sog. Neanderthal-Schädel zurück.

Die Hauptfrage war, ist dieser Schädel sammt Skelett ein Beweis eines niederen oder selbst Affentypus? Ich glaube vom anatomischen Standpunkte aus diese Frage negativ ent- schieden zu haben. Eine Nebenfrage blos oder eine Frage zweiten Ranges ist aber die, wie kam das Skelett oder die- ser Mensch in die Feldhofer Höhle? Ich habe zur Beant- wortung dieser Frage die Möglichkeit des späteren histori- schen Alters desselben namhaft gemacht, und vom Schädel- und Skelett-Bau entnommene anatomische, sowie historische Gründe hierfür angeführt, während andere Forscher den sog. Neanderthal - Menschen, sogar Homo Neanderthalensis ( statt Duesselvallensis)”) genannt, für einen Idioten, R. Wagner für einen Holländer (wie der des’noch viel tiefer typisirten Schä-

1) Was frommt es, das Gehirn zu wägen und zu messen, Wenn drob wir sein Gespinnst, das zarte, ganz vergessen!

2) Eigentlich ist schon der Name Neanderthal-Schädel falsch, denn es giebt kein Neanderthal, sondern blos eine Neanderhöhle, wo dieser geistreiche Mann vor Idioten sich verbergen musste.

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 32

490 Prof. Mayer:

dels in Blumenbach’s Decades craniorum, welcher vielleicht einem Pfahlbauern der Insel der Zuidersee angehörte), Pru- ner-Bey für einen Kelten, obwohl Caesar von Kelten unter den Ubiern Nichts berichtet, u. s. w., halten. Ich habe mir nun deshalb unrichtige und sich selbst widersprechende Ent- gegnungen von Seite des Prof. Fuhlrott zugezogen (s. dessen Vorlesungen: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal), auf welche ich hier gelegentlich ein Paar Worte erwiedern muss. Darin wird mir vorgeworfen: 1) dass ich selbst den Namen fossiler Neanderschädel gebrauche, als ob man nicht von fos- silen Knochen im Allgemeinen reden könnte, ohne ihr verschie- denes Alter, ob diluvial-fossil oder subfossil, zu erwähnen. 2) dass ich behaupte, „die Feldhofer Grotte sei applanirt wor- den“, während in Prof. Fuhlrott’s Bericht wörtlich steht, S. 134: „die beiden Grotten sind durch Abbruch fast spurlos ver- schwunden“. 3) dass ich die Schichtenspalte, welche zur Grotte führe und welche Sir Ch. Lyell abbilde, nicht gekannt hätte. Im früheren Berichte des Prof. Fuhlrott ist davon nicht die Rede und meine Abhandlung war früher abgefasst, als mir Lyell’s Werk zu Gesicht kam. Prof. Fuhlrott macht übrigens selbst diese Spalte zweifelhaft, indem er sagt, dass Lyell das Nean- derthal zu einer Zeit besucht habe, wo wegen theilweisem Ab- bruch der Fundgrotte die ursprünglichen Bedingungen der Ein- führung ihres Lehmlagers nicht mehr, nn übersehen werden konnten!!

Ich bezweifle nun gerade nicht die von so einem richtigen Geologen behauptete Spalte von Oben, und habe selbst gegen die Einschwemmung des Körpers oder Skeletts aus derselben und durch dieselbe Nichts einzuwenden, obwohl die regelmäs- sige Lage der Gebeine unten an dem Ausgange der Höhle dann schwer zu erklären ist. 4) Allein auch diese geordnete Lage der Knochen des Skeletts nennt jetzt Prof. Fuhlrott eine irr- thümliche Angabe der ausgrabenden Arbeiter. Sei diesem, wie ihm wolle, ich habe meine Hauptentgegnung gegen.den Affen- typus des Neanderthal- Skeletts nur auf die widersprechenden anatomischen Charaktere des Schädels basirt, wobei ich die Knochen des Skeletts nur zu einer von mir als möglich be-

Ueber den sog. Neanderthal-Schädel. 491

zeichneten Hypothese in Anschlag brachte. 5) Dass ich die einzige authentische Quelle, die mir zur- Berichtigung irriger Voraussetzungen zu Gebote stand, nämlich den ersten Bericht des Verfassers, nicht benutzt hätte. Allein dieser Bericht war selbst ein anderer (2) oder ein irriger (4), und Prof. Fuhlrott gesteht selbst ein (S. 57), dass er den Eingang der Grotte in seinem früheren Bericht an Prof. Schaaffhausen für von oben herab zugänglich bezeichnet habe, was irrig sei, und so hätte ein Irrthum den andern erzeugt. Sic!

Doch genug hiervon. Der Affentypus des Neander-Schädels oder auch die tiefste Stufe anthropoider Bildung ist an dem- selben nicht erwiesen. Seine diluviale Fossilität ist noch zwei- felhaft und erfordert nähere geologische Beweisgründe. Das Auffinden fossiler Knochen von Diluvial- Thieren in benach- barten Höhlen ist kein zureichendes Argument hierfür, noch weniger das Vorkommen von Knochen eines unserem Haus- schwein verwandten Schweines und eines von Prof. Fuhlrott nur schüchtern vermutheten Backzahns des Höhlenbären in der nahen Teufelskammer. Es bedarf daher die Streitfrage über den Diluvial-Charakter der Knochen der Feldhofer-Grotte noch der Untersuchung durch gewichtige Paläontologen.

Wean aber endlich die Prof. Schaaffhausen und Hux- ley ihre früher geäusserten Aussprüche grösstentheils jetzt wie- der zurücknehmen, so ist über das Wesentliche der Streitsache für mich oder meine Ansicht auch von ihrer Seite aus ent- schieden.

32"

492 F. Bidder:

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des Nervus

laryngeus superior. Von

F. BipDEr in Dorpat.

Aus einer Reihe von Untersuchungen über die Beziehungen des Nervus laryngeus superior zum Centrum der Athembewe- gungen, zu der Rosenthal’s bekannte Arbeit (die Athembe- wegungen und ihre Beziehungen zum N. vagus, Berlin 1862) den Anlass gab, und die ich bereits im vorigen Jahre mit Dr. J. Blumberg begonnen, neuerdings aber einer abermaligen Revision unterzogen habe, glaube ich Folgendes für weitere Kreise veröffentlichen zu müssen.

Die bezüglichen Experimente wurden vorzugsweise an Katzen angestellt, nicht allein weil diese Versuchsthiere sich hier am Orte leichter als andere beschaffen lassen, sondern auch, weil bei ihnen, wie bereits Rosenthal (S. 49) hervorhebt, die ener- gischen Bewegungen des Zwerchfells den Stand dieses vorzüg- lichsten Respirationsmuskels entschieden zu beurtheilen gestat- ten. Nach ausgiebiger Eröffnung der Unterleibshöhle und Durchschneidung des Ligamentum suspensorium der Leber ist die blosse Anschauung des Zwerchfells zum Gewinnen einer sicheren Ueberzeugung hinreichend, und die Anwendung ande- rer Hülfsmittel ganz entbehrlich (S. 72). Ueberdies participiren bei den Katzen die den Thorax bildenden Theile so kräftig und sichtlich an den Athembewegungen, dass auch sie zur Beurtheilung der Respirationsphasen und ihrer etwaigen Alte- rationen benutzt werden können. Die Thiere wurden mei-

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des N. laryngeus sup. 493

stentheils vor dem Versuche narkotisirt durch Injection von 60 bis 100 Tropfen Opiumtinctur in eine Jugularvene. Diese Vor- bereitung empfahl sich nicht allein zur Herbeiführung einer alle weiteren Manipulationen wesentlich unterstützenden Ruhe der Versuchsthiere, sondern ebensowohl durch die hiermit ermög- lichte Sicherheit des Urtheils darüber, ob die im Verfolg der Experimente auftretenden Erscheinungen der sensiblen Sphäre angehören oder ganz von derselben getrennt werden müssen. Die Bloslegung des Nervus laryngeus bei den auf dem Rücken befestigten Thieren geschah in der gewöhnlichen aus den anato- mischen Verhältnissen sich ergebenden Weise. Obgleich ent- weder dicht am Kehlkopf oder auch schon in ganz ansehnlicher, wohl '!/;, Zoll betragenden Entfernung von demselben der frag- liche Nerv bei Katzen ebenso wie bei Hunden in sichtlicher Weise in den äusseren, zum Musc. cricothyreoideus gehenden, und in den inneren in die Höhle des Kehlkopfs eintretenden Ast sich theilt, und es daher besonders bei grösseren Thieren nicht schwer gewesen wäre, die Reizversuche auf den letzteren Ast zu beschränken, so wurde dies doch unterlassen, um die bei der Präparation dieses feinen Nervenästchens mit Messer und Pincette kaum zu umgehende Beschädigung desselben zu ver- meiden, und um zugleich durch die beibehaltene Verbindung mit seinem stammverwandten Nachbar die Gefahr des raschen Abkühlens und Eintrocknens thunlichst zu verringern. Der ganze Laryngeus wurde daher dicht am Kehlkopf mit einem Ligaturfaden umgeben, vor dem letzteren durchschnitten , mit- telst desselben erhoben und gegen den Vagusstamm freigelegt, und mit Hülfe derselben Handhabe auf die stromzuführende Vorrichtung gebracht. Indem auf solche Weise der fragliche Nerv durch Luft isolirt und der Uebergang von Stromesschlei- fen auf benachbarte Theile unmöglich gemacht war, wurde zu- gleich durch Anwendung des du Bois-Reymond’schen Schlüs- sels eine -unipolare Erregung abgeschnitten. Zur genaueren Be- obachtung des Thorax, die auch ohne weitere Vorbereitung ganz wohl ausführbar ist, wurden zuweilen die Integumente der vorderen Brustfläche mit einigen Messerzügen gelöst, und der Muse. pectoralis maj. nebst einem Theil der Intercostalräume

A9IA F, Bidder:

blosgelegt. Die exspiratorische Action der Bauchmuskeln und namentlich des Obliquus abd. externus liess sich nach Blosle- gung der oberen äusseren Partie desselben ohne Schwierigkeit auffassen; am besten geschah dies nach Eröffnung der Unter- leibshöhle, wahrscheinlich weil die hierdurch aufgehobene ela- stische Spannung der fraglichen Muskeln dem verhältnissmässig schwachen Verkürzungsimpuls nicht mehr hindernd entgegen- trat. Die Beschaffenheit der Stimmritze und Stellung der Stinmmbänder wurde in der Regel von oben her beobachtet, in- dem zwischen Zungenbein und Schildknorpel der Schlundkopf eröffnet, der Kehldeckel nach vorn gezogen und dadurch ein ganz freier Blick in die Höhle des Kehlkopfs gewonnen wurde. Zu gewissen Zwecken wurde indessen auch die Luftröhre ge- öffnet, und durch Herausschneiden eines Stückes ihrer vorderen Wand ein Fenster gebildet, durch welches, wenn es nahe ge- nug an den Kehlkopf hinaufgerückt wurde, die Stimmritze auch von unten her sich beobachten liess. Zur elektrischen Er- regung des Nerven diente der du Bois-Reymond’sche Schlit- ten, ohne Helmholtz’sche Modification, der durch ein einfa- .ches Grove’sches Element in Bewegung gesetzt wurde. Ich kann übrigens nicht umhin zu bemerken, dass die Untersuchung der Wirkungen des Nervus laryngeus superior mir keineswegs zu den schwierigeren, geschweige denn zu den schwierigsten Aufgaben der vivisectorischen Physiologie zu gehören scheint, ‚da bei einiger Vorsicht kein Versuch misslinst und die Erschei- nungen rein und unzweideutig sich darbieten. Uebereinstimmend nämlich mit den Erfahrungen Rosen- thal’s finde auch ich, dass Reizung des centralen Endes des Laryngeus superior mit Strömen von mässiger Stärke Verringe- rung der Respirationsfrequenz durch Zunahme der Pausen zwi- schen den Athemzügen, bei bedeutenderer Stromstärke aber Stillstand der Respiration zur Folge hat. Diese Wirkung be- ginnt gewöhnlich bei einem Rollenabstand von etwa 30 Cm. sich zu äussern, indem bei dieser Reizstärke die Respirationsfrequenz, die nach beendeter Vorbereitung zum Versuch z. B. 15 in 30‘ betragen hatte, auf 12 bis 10 herabsank, bei Verringerung des Rollenabstandes auf 20 Cm. bis auf 8, bei 15 Cm. Entfernung

Beiträge zur Kenntniss -der Wirkungen des N. laryngeus sup. 495

bis auf 4 Athemzüge in 30 fiel. Die Respirationspausen be- ginnen durchschnittlich bei 12 Cm. Rollenabstand, ihre Dauer steigt mit der Verringerung dieses Abstandes und währt bis 30° und darüber. Dann aber stellt sich trotz fortwirkenden Reizes die Athmung wieder her, gewöhnlich so, dass zuerst sel- tene aber um so tiefere Athemzüge eintreten, denen manchmal auch wohl ein Paar schwache abortive Athembewegungen vor- angehen, und dass bald darauf der frühere Rhythmus vollkom- men restituirt wird! Dass der Athmungsstillstand in der Ex- spirationsphase Statt finde, darüber kann nicht der geringste Zweifel obwalten. Nicht allein der bleibende Stand der Rip- pen während dieser Ruhe verglichen mit dem Wechsel ihrer Stellung beim Fortgang der Athmung, wie er unmittelbar vor- her und nachher beobachtet wurde, lehrt dies auf’s Entschie- denste, sondern auch die unmittelbare Betrachtung des Zwerch- fells nach Eröffnung der Unterleibshöhle zeigt in überzeugend- ster Weise, dass es mit vollständiger Wölbung tief in die Brusthöhle hineinragt, und dass seine Muskelbündel in völliger Ruhe sind; das ganze Organ bietet daher eine glatte Ober- fläche dar. Der Gegensatz zur Inspiration tritt auf das Prä- gnanteste hervor, wenn an demselben Versuchsthier das centrale Ende des durchschnittenen Vagusstammes gereizt wird. Auch hierbei zeigt sich Stillstand der Respiration, aber bei sichtlicher Erhebung der Rippen, bei Abflachung des Zwerchfells bis zur horizontalen Stellung, bei Durchfurchung des Organs durch zahlreiche dem Verlaufe seiner Fleischbündel folgende, und von den Knocheninsertionen derselben gegen das Centrum tendineum convergirende Gruben mit dazwischen sich erhebenden Wülsten oder Kämmen. Zugleich ist dieser scharf ausgeprägte Unter- schied in den Erfolgen der Vagus- und Laryngeus-Reizung ein Beweis dafür, dass bei der Zuführung des erregenden Stromes zu den fraglichen Nerven, trotz ihrer nahen Nachbarschaft Stromesschleifen doch ausgeschlossen blieben.

Auch in anderen bei dem Athmen in Betracht kommenden Theilen äussern sich die Erfolge der Laryngeusreizung. Die Stimmritze hört auf, den Athembewegungen zu folgen, und mit dem Wechsel ihrer Weite die Inspirations- und Exspirations-

+

496 F. Bidder:

phase zu begleiten. Die Stimmbänder werden vielmehr unbe- weglich und zwar in der Exspirationsstellung, so dass sie sich fest an einander legen und die Stimmritze ganz geschlossen er- scheint. Wenn man nun erwägt, dass, bei normalem Fortgange der Athembewegungen, während der Exspiration namentlich bei älteren Thieren die Stimmritze immer noch eine ge- ringe Oeffnung in Form einer engen Spalte zeigt, so ist der vollkommene Verschluss derselben ein Beweis dafür, dass die Reizung des Laryngeus nicht blos den Inspirationsort ausfallen macht, und die bezüglichen Organe in der durch den Nachlass der elastischen Spannung bedingten Ruhelage verbleiben lässt, sondern dass auch active Exspirationsbewegungen hervorgerufen werden. Also nicht allein die Muskeln, welche die Erweite- rung der Stimmritze bewirken, die Cricoarytaenoidei postici werden zu Ruhe gebracht, sondern zugleich die Verengerer der Stimmritze, die Cricoarytaenoidei laterales und Arytaenoidei proprii in Thätigkeit gesetzt. Als active Exspirationsbewegung ist auch die bei intensiver Stärke der angewendeten Reize wahr- nehmbare Contraction des Musc. obliquus abd. ext. anzusehen, die sich mir jedoch nicht als constante Erscheinung dargeboten hat, und deren Bedingungen daher noch manche Unklarheit bergen.

Dass es für die eben angedeuteten Erfolge der Laryngeus- reizung gleichgültig sei, ob die Thiere vorher narkotisirt wer- den oder nicht, wie Rosenthal (S. 69) behauptet, kann nach den hiesigen Erfahrungen, wenigstens für Katzen, nicht zuge- geben werden. Denn während narkotisirte Thiere auch bei in- tensiver Reizung des Laryngeus in ihrem tiefen Schlafe nicht gestört werden, und eben deshalb das Urtheil über den Weg- fall der Inspiration keinem Zweifel unterliegt, geben nicht nar- kotisirte sogleich beim Beginn der Reizung, wie es bei einem sensiblen Nerven auch gar nicht anders zu erwarten ist, heftige Schmerzen zu erkennen, und machen die gewaltsamsten An- strengungen, sich aller Fesseln zu entledigen. Dadurch wird es äusserst schwierig, den Nerven mit den Elektroden in Ver- bindung zu erhalten, und selbst wenn die Zuführung des erre- genden Stromes gesichert wird, machen die ungestümen trotz

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des N. laryngeus sup. 497

aller Fesseln nicht zu unterdrückenden Bewegungen des Thie- res ein sicheres Urtheil über den Stand der Respiration ganz unmöglich. Jedenfalls berechtigt der Umstand, dass auch in der Opiumbetäubung, in der alle Schmerzempfindung schweigt, durch den Laryngeus Stillstand der Respiration doch herbeige- führt werden kann, zu der Behauptung, dass die die Athem- hemmung bewirkenden Elemente dieses Nerven von den Schmerz vermittelnden verschieden sein müssen, und dass, um die Wir- kung der ersteren kennen zu lernen, es vortheilhaft sei, die von den letzteren ausgehenden Störungen zu beseitigen. Wahr- scheinlich sind diese Hemmungsfasern des Laryngeus es auch, deren peripherische Endigungen in der Schleimhaut des Kehl- kopfs im irritirten Zustande Husten, d. h. Exspirationsbewegung zu bewirken vermögen. Ehe jedoch hierauf näher eingegangen werden kann, muss eine andere die Laryngeusreizung beglei- tende Erscheinung in Betracht gezogen werden.

Während bei mässiger Stärke des dem Laryngeus zugelei- teten erregenden Stromes der Stillstand der Respiration sich in der vollständigen Ruhe des Zwerchfells und der Brustwand auf ganz unzweideutige Weise darbietet, ist bei grösserer Reizstärke die Respirationspause zwar länger aber nicht mehr so rein wie früher. Es treten nämlich am Zwerchfell, obgleich es im All- gemeinen in der Exspirationsstellung verharrt, kleine Bewegun- gen auf, die besonders in dem mittleren Theile desselben als kurze auf- und absteigende Excursionen erscheinen. Dem ent- sprechend wird auch die Ruhe der Brustwand von kleinen ruck- weisen Bewegungen unterbrochen. Rosenthal, der diese Be- wegungen namentlich bei Hunden und Katzen wiederholentlich (S. 49, 67, 219 u. an and. Stellen) hervorhebt, und bei der Kleinheit derselben die Bestimmung ihrer Art, d. h. ihrer in- spiratorischen oder exspiratorischen Natur, für schwierig hält (5. 222), erklärt sie doch, soweit sie am Zwerchfell sich äus- sern, für passiv, indem sie bei der Ruhestellung desselben selbst nach Durchschneidung beider Phrenici nicht fehlen. Nicht so entschieden ist seine Ansicht über die Ursache dieser passiven Zwerchfellsbewegungen. Theils nämlich hält er sie für die Folge schwacher exspiratorischer Action (S. 223) der

498 F. Bidder:

Bauchmuskeln , die den Thorax verengern, die Ansatzpunkte des Zwerchfells nähern, den Lungen dadurch Gelegenheit ge- ben, sich in Folge ihrer Blastieität zu verkleinern und das Zwerchfell nach oben zu ziehen, bis bei verstärkter Reizung diese „abortiven* exspiratorischen Bewegungen in deutliche und dauernde Contraction der Bauchmuskeln übergehen, die die Rippen niederziehen ($S. 221). Anderentheils meint Rosen- thal (S. 220), dass bei länger dauerndem Stillstande des Zwerch- fells kleine inspiratorische Bewegungen des Brustkorbes begin- nen, die den Thorax erweitern, den Druck innerhalb desselben verringern, und dadurch das Zwerchfell nach oben ziehen, wäh- rend es bei Verengerung des '[horax wieder abwärts steigt. Solche passiven Zwerchfellbewegungen seien also den Phasen der Respirationsbewegung entgegengesetzt. Dieser zwiefachen Möglichkeit entsprechend wird dann auch von Rosenthal eine und dieselbe mittelst des Phrenographen gezeichnete Respira- tionscurve (Taf. II., Fig. 3), auf S. 224 zum Beweise dafür be- nutzt, dass die in Rede stehenden passiven Bewegungen exspi- ratorische seien, auf S. 74 aber zur Erläuterung der durch fort- dauernde Costalrespiration hervorgebrachten Zwerchfellsbewe- gungen gebraucht. Die exspiratorische Natur dieser Bewe- gungen dürfte aber schon deshalb unhaltbar sein, weil auch nach vollständigster Durchschneidung der Bauchwände mittelst eines ergiebigen Kreuzschnitts, der jeden Zug der Bauchmus- keln auf die Rippen völlig abschneidet, die fraglichen Bewe- gungen weder ausfallen noch auch verringert werden, sondern in ganz unveränderter Weise fortbestehen. Eher schon würden sie sich als Inspirationserscheinung auffassen lassen. Denn es könnte die durch Laryngeusreizung bedingte Hemmung der In- spirationsmuskeln für das Zwerchfell sich längere Zeit geltend machen als für andere Muskeln dieser Kategorie. Es könnten bei fortdauernder Erschlaffung des ersteren die Inspirationsmus- keln des Thorax doch wieder in eine wenn auch nur schwache Action gerathen, die selbstverständlich auf die Stellung des an sich ruhenden Zwerchfells einwirken muss, und zwar, wie er- wähnt, in einer der normalen Respirationsphasen entgegenge- setzten Weise. Es wäre endlich aber auch noch denkbar,

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des N, laryngeus sup. 499

dass das Zwerchfell selbst in activer Weise diese Bewegungen bedinge, indem die Hemmung der Inspiration nicht vollständig eintritt und das Zwerchfell, wenngleich an der Grenze der durch seine Ruhe bedingten Stellung angelangt, doch noch klei- nen Schwankungen unterliege. Hierbei würde es nur auffallend sein, dass stärkere galvanische Erregung eines Hemmungsner- ven weniger sicher Muskelruhe herbeiführen sollte als eine Ir- ritation geringeren Grades. Eine genauere Betrachtung sämmt- licher durch Laryngeusreizung bedingter Erscheinungen hebt indessen nicht allein über diese Schwierigkeit hinweg, sondern giebt auch eine ganz andere Erklärung für diese „kleinen Be- wegungen“ des Thorax und Zwerchfells an die Hand.

Schon Rosenthal hat in mehreren der von ihm mitgetheil- ten Versuchs-Protokolle ein „hastiges“ Auf- und Absteigen des Kehlkopfs bei Reizung des Laryngeus notirt (S. 70, 229). Mit dieser Bezeichnung dürfte aber die S. 227 gegebene Erklärung, dass die das Athmen begleitende Kehlkopfbewegung bei Laryngeusreizung nicht immer ganz aufgehoben sei, sehr wenig übereinstimmen. Denn die Ortsveränderung, die der Kehlkopf beim normalen Athmen erleidet, seine geringe Senkung bei der Inspiration und dem entsprechende nur unbedeutende Erhebung bei der Exspiration sind so wenig „heftige* Bewegungen, dass für die letzteren schon deshalb ein anderer Grund gesucht wer- den müsste. Jene Kehlkopfbewegungen sind, wie auch ich finde , allerdings eine ganz beständige Erscheinung , sobald Ströme von grösserer Intensität an den Laryngeus herantreten. Es wird aber dabei der Kehlkopf nicht blos gehoben, sondern zugleich kräftig nach vorn gezogen, so dass er wie die Er- öffnung des Pharynx zwischen Schildknorpel und Zungenbein lehrt gegen die Zungenwurzel angedrückt und der Kehl- deckel dadurch nach hinten über die Stimmritze hinüberge- presst wird. Aus dieser Stellung kehrt jedoch der Kehlkopf

alsbald in die frühere Lage zurück, er macht um es mit einem Worte zu bezeichnen ganz, dieselben Bewegungen,

die er beim Schlingact zu beschreiben hat, und da bei gehöri- ger Entfernung der Kiefer von einander gleichzeitige Contra- ctionen an der hinteren Wand des Pharynx und deutlich wahr-

500 F. Bidder:

nehmbare Zusammenziehungen der Gaumenbögen und des wei- chen Gaumens überhaupt diese Kehlkopfbewegungen begleiten, so darf behauptet werden, dass durch Reizung des Laryngeus Schluckbewegungen auf dem Wege des Reflexes ausgelöst wer- den. Der Verdacht, dass durch Stromschleifen die Rami pha- ringei des Vagus oder gar die Schlingmuskeln direct gereizt worden seien, wird entschieden abgewiesen durch den Umstand, dass mechanische Reizung des Laryngeus, Zerquetschen dessel- ben mit der Pincette, den gleichen Erfolg hat, und dass man, mit solchem Druck vom durchschnittenen Ende des fraglichen Nerven gegen seine Abgangsstelle vom Vagus fortschreitend, 4—6 Mal den Schlingact hervorrufen kann. Nun lässt es sich aber leicht darthun, dass die Zahl der durch intensive Laryn- geusreizung bewirkten Schlingacte der Zahl der gleichzeitigen kleinen und ruckweisen Bewegungen der Brustwand und des Zwerchfells vollkommen entspricht. Schon hierdurch wird die Vermuthung nahe gelegt, dass ein Zusammenhang zwischen Beiden bestehe, und es lässt sich denken, dass die zum Schling- act wesentlich gehörende Erhebung des Kehlkopfs und Schlund- kopfs, vermittelst der Luftröhre und Speiseröhre einen Zug auf die Lungen und den Zwerchmuskel ausübt, der den letzteren unmittelbar in Bewegung setzt, und durch Vermittelung der ersteren auch auf die Brustwand einwirkt. Diese Vermuthung wird im Experimente durchaus bestätigt. Trennt man nämlich unterhalb des Larynx die Luftröhre und den Oesophagus durch einen Querschnitt vollständig, so dass ein Zug auf die Lungen und das Zwerchfell von ihnen nicht mehr ausgeübt werden kann,‘ so hören auch die kleinen Bewegungen des Diaphragma und der Brustwand 'ganz auf, obgleich der Kehlkopf noch ra- scher als vorher auf- und absteigt, wahrscheinlich weil seinem Aufsteigen das Gewicht der Lungen nicht mehr entgegenwirkt.

Sind demnach die „kleinen Bewegungen“ des Thorax und Zwerchfells in keiner Weise als Respirationsbewegungen aufzu- fassen, so tritt die durch Laryngeusreizung bewirkte Inspira- tionshemmung um so reiner und bestimmter hervor. Da aber die gleichzeitig auftretenden Schluckbewegungen nur bei narko- tisirten Thieren sich zeigen, so müssen wir annehmen, dass

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des N. laryngeus sup. 501

neben den sensitiven und den die Respirationshemmung bewir- kenden Fasern eine dritte Art centripetaler Elemente im La- ryngeus vorkomme, nämlich excitomotorische, die das Centrum der Schluckbewegungen zu energischer Action veranlassen. Oder wir müssen, was wohl das Richtigere sein dürfte, statui- ren, dass gewisse Laryngeusfasern zwar bis zum Centrum der Gemeingefühle leiten und Schmerz veranlassen können, dass aber in der Narkose, wo dieses Centrum ausser Wirkung ge- setzt ist, die betreffende centripetale Leitung schon in der Me- dulla oblongata ihr Ende erreicht, und die Erregung vielmehr auf centrifugale Bahnen übertragen wird. Jedenfalls stimmt mit der Reflexnatur dieser Schlingbewegungen auch der Um- stand überein, dass sie nur bei Anwendung stärkerer Reize eintreten, während sie von der willkürlich eingeleiteten, den automatischen Schlingbewegungen sich dadurch unterscheiden, dass sie auf den obersten Theil des Schlingapparats beschränkt bleiben, und nicht unaufhaltsam durch die ganze Länge des Oesophagus bis zum Magen sich fortsetzen.

Bekanntlich hatte Rosenthal zu seinen Untersuchungen über die Hemmungsfunction des Laryngeus sich durch die Er- wägung veranlasst gesehen, dass Reizung der Endausbreitung dieses Nerven im Kehlkopf Husten, d. h. Exspirationsbewegung erzeuge. Demgemäss sucht er denn auch die von ihm bei La- ryngeusreizung beobachteten Erscheinungen zur Erklärung des Hustens zu benutzen, und meint namentlich, dass der Ausfall der Inspiration die exspiratorischen Muskeln zu voller Wirk- samkeit bringe, und dass eben diese vorangehende Erschlaffung des Zwerchfells den Husten nach Laryngeusreizung von dem willkürlich erzeugten Husten unterscheide (S. 226), indem bei letzterem die Exspiration (Bauchmuskeln) zuerst in Action tra- ten, und das Zwerchfell hierdurch nach oben gedrängt werde. Wie dem auch sei, so bleibt es doch sehr auffallend, dass zu den Erfolgen der Reizung des Laryngeusstammes Husten nie- mals gehört, selbst wenn gleichzeitig beide Nerven und bei nicht narkotisirten Thieren mit starkem Strome behandelt wer- den. Noch überraschender aber sind die Ergebnisse unmittel- barer Reizung der Kehlkopfschleimhaut. Um den Reiz auf be-

502 F, Bidder:

stimmte Loealitäten beschränken zu können, ist es zweckmässig sich zunächst mechanischer Mittel zu bedienen, Berühren mit einer Sonde, Messerspitze, feinen Federfahne und dergl. Wird zu solchem Zweck der Kehlkopf oberhalb des Schildknorpels eröffnet, so ergiebt sich, dass seine Schleimhaut bis zur Stimm- ritze hin keine Hustenbewegungen auszulösen vermag, und dass bei Berührung der Stimmbänder selbst nur die Glottis auf kurze Zeit sich schliesst, ein Erfolg, der nach wiederholter Berührung auch vermisst wird. Ebensowenig zeigt sich Husten oder eine dem ähnliche Erscheinung, wenn eine durch die Stimmritze in die Luftröhre eingeführte Sonde in verschiedenen Theilen .der Trachealschleimhaut hin und her geführt wird; auch macht es keinen Unterschied, ob die Thiere vorher narkotisirt wurden oder nicht. Wenn jedoch unterhalb des Ringknorpels ein hin- reichend grosses Fenster aus der vorderen Luftröhrenwand her- ausgeschnitten wird, so dass mit der inneren Wand der Trachea auch der untere Theil des Larynx bis zur Stimmritze deutlich zu übersehen ist, so hat zwar die Berührung der Luftröhren- schleimhaut wiederum keinen Erfolg; aber sobald die Sonde die oberhalb des unteren Randes des Ringknorpels gelegene Partie der Schleimhaut berührt, treten sofort heftige Husten- stösse ein. Ueber diese Partie muss daher die von oben her eingeführte Sonde hinweggehen, ohne sie zu berühren. Die durch diese eigenthümliche Reactionsweise ausgezeichnete Partie der Schleimhaut reicht nach oben nicht ganz bis zum freien Rande der wahren Stimmbänder; indem eine etwa 1’ breite Zone unterhalb jenes Randes keinen Husten erregt. Dagegen schliesst sich bei jedesmaliger Berührung dieser Zone die Stimmritze so fest, dass die Sonde oder Federfahne geradezu eingeklemmt wird. Jene hustenbewirkende Empfindlichkeit der Schleimhaut ist an der hinteren Wand des Kehlkopfs unmittel- bar unter der Glottia respiratoria am grössten und andauernd- sten, so dass nach 1!/,—2stündigem Experimentiren, wo andere Theile der Schleimhaut ihre Empfindlichkeit bereits eingebüsst haben, von der genannten Stelle aus auch bei der leisesten Be- rührung Husten hervorgerufen werden kann. Ganz dasselbe zeigt sich, wenn die Schleimhaut der Luftröhre und des Kehl-

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des N. laryngeus sup. 503

kopfs chemisch gereizt, etwa mit gesättigter Kochsalzlösung be- tupft wird. Dass aber der von gewissen Schleimhautstellen aus mit Sicherheit zu erzielende Husten durch den Laryngeus und nicht durch andere Zweige des Vagus oder den Sympathi- cus bedingt werde, lehrt auf’s Ueberzeugendste die Durchschnei- dung dieser Nerven. Nach Trennung beider Laryngei ist auf keine Weise mehr Husten zu erzeugen, und auch die Stimm- ritze schliesst sich bei Berührung der oberen Partieen der Kehlkopfschleimhaut nicht mehr, obgleich bei fortgehender Re- spiration die Stellung der Stimmbänder den gewöhnlichen Wech- sel zeigt. Nach Durchschneidung der Vagusstämme aber mit Einschluss der Sympathici, unterhalb des Abganges der La- ryngei, sind durch Reizung der bezeichneten Schleimhautstellen kraftvolle Hustenstösse zu erzeugen, obgleich der begleitende Ton ohne Zweifel wegen Lähmung der Stimmbänder etwas geändert erscheint. Wenn hieraus unzweifelhaft hervorgeht, dass im Laryngeus und nur in ihm die Nervenelemente eingeschlossen sind, deren Erregung Hustenbewegungen auszulösen vermag, so entsteht die Frage, warum Reizung dieses Nervenstammes keinen Husten zu erzeugen im Stande sei. Dass ein etwa gleichzeitig entste- hender krampfhafter Verschluss der Glottis die Ursache hiervon nicht sein könne, das lehrt das Ausbleiben des Hustens auch nach angelegter Trachealfistel, und es bleibt daher nichts Ande- res übrig als anzunehmen, dass an den peripherischen Endigun- gen dieses Nerven besondere Vorrichtungen angebracht sind, die, von äusseren Reizen getroffen, Husten auslösen, während im Laryngeusstamm dieselben Nervenfasern nur Schmerz erzeu- gen können. Da nun aber, obgleich der Laryngeus die Schleim- haut des ganzen Kehlkopfs versorgt, doch nur Berührung der unteren Partie derselben Husten hervorruft, während die obere Partie selbst in der Narkose Verschluss der Stimmritze und Un- terbrechung der Respiration bedingt, so werden die schon frü- her erwähnten functionell verschiedenen Elemente des Laryn- geus an ihrer Endausbreitung auch räumlich getrennt sein müs- sen, so dass die hemmenden Fasern zum oberen Theil des La- ıynx, die Schmerz und Husten erzeugenden zur unteren Partie

504 F. Bidder:

[4

desselben gehen, und unter Umständen auch Schlingbewegun- gen auslösen können. Dass die hemmenden, Fasern bei me- chanischer Reizung ihrer Enden nur flüchtig vorübergehenden Schluss der Stimmritze, bei galvanischer Reizung im Laryn- geusstamm weit länger andauernde Unterbrechung der Respi- ration veranlassen, mag in der graduellen Verschiedenheit der angewandten Reize seinen Grund haben, während die husten- vermittelnden Fasern nur bei Irritation ihrer peripherischen Endausbreitung diese Wirkung äussern, bei Reizung im Laryn- geusstamm dagegen Schmerz und in der Narkose Schlingbewe- gung bedingen. | ;

Die im Vorstehenden angedeuteten Erfahrungen sind, wie bemerkt, vorzugsweise an Katzen gemacht. Da nun bei diesen Thieren der Laryngeus, durch die Cartilaga thyreoidea selbst in den Kehlkopf eintretend, unter den wahren Stimmbändern zur Schleimhaut gelangt, so könnte man meinen, dass Reizung der oberen Partieen der Kehlkopfschleimhaut keinen Husten zur Folge hat, weil der fragliche Nerv sich hierher gar nicht verbreitet. Aber die Schleimhaut des Kehlkopfs empfängt bei Katzen gar keinen anderen Nerven als den Laryngeus superior, und man kann bei genauerer Präparation desselben sich auch bald überzeugen, dass er, an der inneren Fläche des Schild- knorpels angekommen, sich in zwei Aeste spaltet, deren einer zu den oberen Partieen des Kehlkopfs sich wendet. Es bleibt also dabei, dass der Laryngeus, obgleich die ganze Kehlkopf- schleimhaut versorgend, doch nur an der unterhalb der wahren Stimmbänder gelegenen Partie derselben äussere Impulse in Hustenbewegung umzusetzen vermag. Bei Hunden, bei denen der Laryngeus durch die Membrana hyothyreoidea direct zu den oberen Theilen des Larynx tritt, lehrten ein paar verglei- chende Versuche im Wesentlichen dieselben Reizbarkeitsver- hältnisse kennen. Dasselbe scheint auch für den Menschen zu gelten. Die Angabe von Hyrtl (Handbuch der topographi- schen Anatomie, II. Aufl. 1. Bd. Wien 1853, S. 326), dass bei einem Kranken mit einer Trachealfistel eine Borste an der hin- teren Wand der Luftröhre 3 Zoll fortgeführt werden konnte, ohne Husten zu erregen, während sie aufwärts geführt im Mo-

Beiträge zur Kenntuiss der Wirkungen des N, laryngeus sup. 505

ment des Anstosses an die Stimmbänder einen heftigen und erschütternden Hustenanfall hervorrief, spricht auf’s Deutlichste für die eigenthümlichen Beziehungen zwischen den Hustenbe- wegungen und der Schleimhaut unterhalb der unteren Stimm- bänder. Dass die oberhalb der letzteren gelegenen Schleim- hautpartieen eine Beziehung zur Hustenbewegung nicht haben, dem scheint allerdings die Erfahrung von Bruns (die erste Ausrottung eines Polypen in der Kehlkopfhöhle u. s. w. Tübin- gen 1862, S. 23, und Nachtrag v. J. 1863, S. 5) zu wider- sprechen, indem in diesen Fällen gerade die hintere Fläche des Kehldeckels und die oberhalb der wahren Stimmbänder ge- legenen Abtheilungen der Kehlkopfhöhle bei der leisesten Be- rührung Husten hervorriefen. In einem ähnlichen Fall bemerkte Ritscher (Schuchardt’s Zeitschrift für praktische Heilkunde, Göttingen 1864, S. 557) dass Berührung des Glottispolypen, der an dem Stimmbande selbst ansass, sofort Hustenanfälle und Würgbewegungen hervorrief. Dagegen beobachtete aber auch Bruns, dass, wenn ein Draht durch die Stimfnritze in den unteren Kehlkopfraum eingeführt wurde, die wahren Stimmbän- der denselben so fest umfassten, dass die den Draht haltende Hand diess deutlich empfand, auch der Kranke es wohl spürte, nichtsdestoweniger aber weder Schmerz noch Hustenreiz wahr- nahm. Hiermit stimmen auch die zahlreichen Erfahrungen über Inhalationen reizender Pulver z. B. von Höllenstein (Siehe Vir- chow, Handbuch der spec. Pathologie und Therapie, Bd. V. Abth. I. Erlangen 1856. S. 155) überein, denen zu Folge hier- bei entweder gar kein Hustenreiz oder nur ausnahmsweise und in geringem Grade sich einstellte.e Auch der Umstand, dass der im Schlingaet auf die geschlossene Stimmritze fest aufge- drückte Kehldeckelwulst (Siehe Czermak in Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre, Bd. IX, Giessen 1862, S. 489) keinen Husten erzeugt (Ludwig, Lehrbuch der Physiologie, 2. Aufl., Heidelberg und Leipzig 1861, Bd. II. S. 609) stimmt mit den bei Katzen gemachten Erfahrungen überein. Das Um- schliessen eines eingeführten Drahts mittelst der Stimmbänder, der damit gegebene Verschluss der Stimmritze und die hier-

durch bedingte Unterbrechung der Respiration werden ebenfalls Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 33

506 F. Bidder:

auf die Verbreitung von Hemmungsfasern in diesen Partieen der Kehlkopfschleimhaut bezogen werden dürfen. Auch der Laryn- geus des Menschen beherbergt also hemmende Fasern, deren Endausbreitung jedoch, wenn bei den erwähnten auf laryngosko- pischem Wege gemachten topographischen Bestimmungen nicht etwa eine Täuschung Statt gefunden hat, räumlich anders be- grenzt ist, als die bei der Katze beobachteten Verhältnisse zu lehren scheinen.

Bekanntlich sind gegen die Lehre von den Hemmungs- nerven überhaupt, und so auch gegen die Respirationshemmung durch Reizung des Laryngeus, von Schiff und Moleschott mehrfache Einwände erhoben worden; auf welche hier näher einzugehen um so weniger Veranlassung vorliegt, als nament- lich Rosenthal selbst dieselben bereits einer eingehenden Beurtheilung unterzogen hat. Nur in Bezug, auf die von Mo- leschott mit Hülfe des Multiplieators angeblich nachgewiesene „Erschöpfbarkeit“ des Vagusstammes bei Anwendung stärkerer Reize, habe ich über ein Paar nach dem Vorgange v. Bezold’s angestellte Experimente zu berichten, die ganz im Sinne des von dem letztgenannten Forscher gewonnenen Ergebnisses aus- fielen. (Siehe dessen Untersuchungen über die Innervation des Herzens, Abthl. I, Leipzig 1863, S. 68). Der Vagusstamm und zwar im Zusammenhange mit dem Herzen wurde bei narkoti- sirten Katzen zur Prüfung benutzt. Er wurde auf einer Seite am Halse in möglichst weiter Ausdehnung blos gelegt, hoch oben durchschnitten, und an diesem einen Ende vermittelst zweier Thonstiefel mit dem Multiplicator in der Weise verbun- den, dass der Querschnitt des Nerven mit der einen, der Längs- schnitt mit der anderen Elektrode in Verbindung war. In drei in dieser Weise angestellten Versuchen betrug die Nadelab- lenkung (Multiplicator von Sauerwald mit 31,000 Windun- gen) 25, 26 und 28°. Der erregende Strom wurde mittelst desselben du Bois’schen Schlittens, der zu den vorhergehenden Versuchen gedient hatte, zwischen der abgeleiteten Strecke und dem Herzen dem Nerven zugeführt, und zwar auch hier mit Einschaltung des „Schlüssels zum Tetanisiren.“ Bei Anwen- dung eines einfachen Grove’schen Elementes wurden jedoch

Beiträge zur Kenntniss der Wirkungen des N. laryngeus sup. 507

die beiden Rollen des Inductionsapparates ganz übereinander geschoben. Das Herz, das von der Reizung resp. 200, 190 u. 194 Schläge in der Minute gemacht hatte, gelangte nach Oeff- nung des Schlüssels bei dem ersten Versuch zu völligem Still- stand, während bei den anderen beiden die Frequenz auf 4 u. 6 Schläge in 10 Secunden herabsank. An der Multiplicator- nadel zeigte sich unterdessen ein Rückschwung um resp. 10° 8’ und 6°, so dass das Maass der negativen Stromesschwankung nach dem Grade der hemmenden Einwirkung wechselte, und die Erschöpfung des Nervus vagus damit auf’s Entschiedenste wider- legt wurde.

Dorpat, am 24. Juni 1869.

35*

508 N. Lieberkühn:

Beitrag zur Kenntniss der Gregarinen.

Von

Prof. Dr. LIEBERKÜHN.

(Aus dem Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 18. Mai 1865.)

Hr. Dr. Lieberkühn theilte folgende Beobachtungen über die Gregarinen mit. In der Leibeshöhle der Regenwürmer finden sich zwischen Darm und Leibeswand schlauchförmige Gregarinen von etwa !/, Linie Länge und !/., Linie in der Dicke, welche eine regelmässige, von abwechselnden Erhaben- heiten und Vertiefungen auf der Innenfläche der ganzen Cor- ticalsubstanz herrührende Längsstreifung besitzen und lebhafte Bewegungen im Wasser ausführen, wobei die in der Körper- höhle eingeschlossene Flüssigkeit nebst den darin suspendirten Körnchen und dem sogenannten Kern von dem einen Ende des Körpers zu dem andern hin- und hergetrieben wird. Die- selben Bewegungen dauerten auch bei Exemplaren fort, welche sich in Conjugation befanden, bei je zwei Gregarinen, die der ganzen Länge des Körpers nach so fest mit einander verklebt waren, dass sie sich ohne Zerstörung nicht von einander tren- nen liessen; an der Vereinigungsstelle ist die Leibeswand bei- der so dick wie sonst, und die Längsstreifung noch zu er- kennen.

Hin und wieder findet man ein®sich noch bewegende Gre- garine von einer structurlosen, überall geschlossenen, äusserst elastischen Hülle umgeben, welche einer Cystenmembran gleicht;

Beitrag zur Kenntniss der Gregarinen. 509

die häufig in der Mitte angeschwollene Gregarine ist so ge- lagert, dass die dünneren Enden so gegen den verdickten Theil umgebogen sind, dass sie sich unter einander berühren. Der Leibesinhalt wird nun wechselsweise aus dem Mittelstück in die umgebogenen Enden und aus diesen wieder nach der Mitte getrieben; oder die ganze Inhaltsmasse geht in eines der Enden hinein und die Wandungen des entleerten Theils fallen zusammen um wieder aus einander zu weichen, sobald die Körnchenmasse in sie zurückkehrt. Wenn die Umhüllungs- membran platzt, so streckt sich die Gregarine gerade. Es ist schon mehrfach beobachtet worden, dass Gregarinen innerhalb Zellen vorkommen; bei Regenwürmern finden sie sich oft in den bläschenförmigen Körpern des Hodens und zwar in solchen, auf deren Oberfläche die Samenfäden in den verschiedensten Entwicklungsstufen aufsitzen; eine solche Gregarine ist bis- weilen so klein, dass sie noch nicht den dritten Theil des Durchmessers des Bläschens erreicht, in anderen Fällen aber so gross, dass sie das Bläschen vollständig ausfüllt, in noch anderen ist sie weit grösser, als dieses im. gewöhnlichen Zu- stande, und von Samenfäden an dem letzteren sind nur noch Spuren wahrzunehmen. Hiermit sind die Cystenmembranen nicht zu verwechseln, in denen auch noch die Gregarinen bis- weilen Bewegungen zeigen. In einer Cyste lagen z. B. ihrer zwei, welche insofern sich eigenthümlich verhielten, dass die contractile Corticalschicht und der Leibesinhalt sich nicht mit bestimmter Grenze gegen einander absetzten, es schien viel- mehr die Rindensubstanz ganz geschwunden zu sein und nur ein auf seiner Oberfläche unebener Körnerklumpen vorzuliegen. Die Bewegungen bestanden darin, dass die Vorsprünge und Vertiefungen auf der Oberfläche sich fortdauernd veränderten, so dass eine Vertiefung entstand, wo zuvor ein Vorsprung war und umgekehrt; wo die Körner weit über die Oberfläche vorsprangen, war die hyaline contractile Verbindungsmasse zwischen ihnen sichtbar. Nach einiger Zeit veränderte sich das Präparat im Wasser bei zunehmendem Druck des Deckglases so, dass die beiden Gregarinen kugelrund erschienen und sich,

510 N. Lieberkühn:

wie sonst, der körnige Inhalt scharf gegen die doppelt contou- rirte Körperhülle absetzte, als wäre Wasser in’s Innere einge- drungen.

Bei den Bewegungen, die eine grössere kugelige Gregarine im Wasser macht, sieht man die hyaline Corticalschicht sich an einzelnen Stellen verdicken, und dabei die Oberfläche der Kugel daselbst einsinken ; wenn die Verdickung sich über die ganze Gregarine ringförmig ausbreitet, so erscheint sie mehr oder weniger eingeschnürt; die Verdickungen können auch an mehreren Stellen zugleich auftreten, und solche Vertiefungen verursachen , dass die Gregarine einer Amöbe mit stumpfen Pseudopodien ähnlich sieht, in welche grössere Körnermassen eingedrungen sind. An kleinen Exemplaren fallen die wech- selnden Verdickungen und Verdünnungen nicht so auf, weil die Cortiealschicht überhaupt zu dünn ist, um derartige Unter- schiede wahrnehmen zu lassen.

Man hat bisher allgemein angenommen, dass die Gregarinen von einer Cyste umgeben werden, wenn die Bildung der Pseu- donavicelle oder Psorospermie vor sich gehen soll. In der Re- gel ist dies auch der Fall, und die von Kölliker, Stein und Anderen darüber mitgetheilten Beobachtungen sind durchweg bestätigt worden. Aber es kommt doch auch ohne Incystirung die Pseudonavicellenbildung vor. In den Hoden einzelner Re- genwürmer finden sich Pseudonavicellenklumpen von der ver- schiedensten Gestalt vor, welche wegen ihrer Grösse zu den kleineren Formen der Gregarinen gehören. Man könnte daran denken, dass es Bruchstücke von Inhaltsmassen grösserer Cy- sten seien; wenn man sie jedoch einem starken Druck mit dem Deckglase aussetzt, so lösen sich die Pseudonavicellen nicht von einander, wie es sonst stets geschieht, sondern sie bleiben durch eine durchsichtige Substanz fest zusammen ge- halten. Man kann die grösseren Klumpen überdies auch schon bei schwacher "Vergrösserung in den unversehrten Hoden er- kennen.

Es ist auch nicht allgemein gültig, dass die Gregarinen in den sogenannten Ruhezustand übergehen müssen, wenn es zur

ES

Beitrag zur Kenntniss der Gregarinen. 511

Psorospermienbildung kommen soll, wenigstens nicht, wenn man nach Leydig’s Vorgange die Psorospermbehälter der Fische hierher rechnet. Bei den in der Harnblase des Hech- tes lebenden Gregarinen findet man nämlich häufig Exemplare, welche sonst vollständig den noch nicht in Psorospermbildung begriffenen entsprechen, aber doch schon vereinzelte Psoro- -spermbläschen neben Fetttropfen, Hämatoidinkrystallen u. s. w. an verschiedenen Stellen des Körpers enthalten.

512 W. Dönitz:

Beschreibung und Erläuterung von Doppel missgeburten.

Von

Dr. W. Dönıtz.

Zweite Abhandlung. (Hierzu Tafel XII. u. XII.)

Die zwei ersten von mir beschriebenen Doppelmissbildungen betrafen solche Monstra, deren sämmtliche Primitivorgane eine deutlich ausgesprochene Duplieität aufzuweisen hatten. Daher konnten sie mit vollem Recht „paarige Individuen“ genannt werden. Ich wende mich nun zu dem anderen Extrem der Doppelmissgeburten, wo nur das eine oder das andere Primitiv- organ verdoppelt, und zwar nur theilweise verdoppelt erscheint. .

Dritter Fall.

Im Herbste vorigen Jahres wurde aus Lauenburg an das hiesige anatomische Museum die Missgeburt eines Kalbes, ein Diprosopus conjuncetus Gurlt eingeschickt, die einige Wochen nach der Geburt gelebt haben soll und deren Untersuchung Folgendes ergab. Der Rumpf und die Extremitäten sind ein- fach und wohlgestalte. Duplieität zeigt sich nur am Kopfe, und dort auch nur in denjenigen Partieen, welche aus dem vor- dersten Abschnitt des Kopfendes des Embryos hervorgehen; das heisst, es fand sich ein doppeltes Obergesicht mit zwei Nasen-

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 513

rücken, die eine grosse, von einem dritten accessorischen Auge eingenommene Lücke zwischen sich liessen. Von unten her griff der einfache Unterkiefer in diese Lücke ein und verdeckte das Auge mit seinen Schneidezähnen. Wie weit nun die das Wirbelsystem und das Centralnervensystem betreffende Keim- spaltung sich nach rückwärts erstreckt, wird die genauere Ana- lyse ergeben.

Der hintere Theil des Schädels ist durchaus einfach. Es finden sich ein Hinterhaupts-, zwei Schläfen- und zwei Schei- telbeine. Dagegen sind die zwei symmetrischen Hälften des Stirnbeins aus einander gewichen und zu ihnen haben sich als Ergänzungen zwei neue accessorische Stirnbeinhälften herange- bildet. Demnach wird die Stirn von vier neben einander gela- gerten, schalenförmigen Knochenstücken eingenommen, welche durch drei zumgTheil schon verschmolzene Nähte mit einander verbunden sind. Die beiden lateralen Stirnbeinhälften (Fig. 1, F, F,) haben im Allgemeinen die normale Form, sind unter ein- ander symmetrisch und verbinden sich je mit den zugehörigen Gesichtsknochen in der gewöhnlichen Weise; d. h. der vordere Rand des normalen rechten resp. linken Stirnbeines verbindet sich mit dem normalen rechten resp. linken Thränen- und Na- senbein (Fig. 1, Lund N). Die beiden mittleren accessorischen Stirnbeinhälften (Fig 1, Fund F,), während sie einerseits die zu- gehörigen lateralen Hälften ergänzen, treten mit einander in der Spaltungslinie in so innige Beziehung, dass sie andererseits auch wie zwei zu einander gehörige, bilateral- symmetrische Hälften sich verhalten. Dabei zeigen sie folgende Eigenthüm- lichkeiten. Der vordere Rand zerfällt je in eine laterale und eine' mediale Abtheilung. Die laterale Abtheilung verbindet sich zumeist nach aussen, mit einem regelmässig gebildeten ac- cessorischen Nasenbein (Fig. 1,nu.n,), welches sich seinerseits an das vorher erwähnte normale Nasenbein seiner Seite anlegt. Medianwärts davon heftet sich je ein accessorisches Thränen- bein (Fig. 1,l1u.1,) von verhältnissmässig grosser Ausdehnung an. die laterale Abtheilung des vorderen Stirnbeinrandes. Da- gegen endet die mediale Abtheilung dieses letzteren vorn mit freier Kante. Auf diese Weise wird eine rechte und eine linke

514 W. Dönitz:

Nase gebildet, die beide durch eine weite Lücke im Skelett von einander getrennt sind. Weiter nach vorn wird jeder Na- senrücken durch entsprechende Knorpel vervollständigt. Wenn ich noch hinzufüge, dass lateralwärts von jeder Nase die nor- malen Öberkiefer und Zwischenkiefer sich finden, während die medianwärts zu erwartenden, accessorischen Zwischenkiefer (Fig. liundi,) rudimentär ausgebildet sind und die entsprechenden Öberkiefer ganz fehlen, so wird man sich ein ungefähres Bild von dem doppelten Obergesicht machen können. In die mäch- tige Lücke zwischen beiden Nasen greift der einfache und durchaus regelmässig gebildete Unterkiefer ein.

Die Schädelbasis ist in ihren hinteren Partieen einfach. Erst im Bereiche des hinteren Keilbeinkörpers treten Spuren der Duplieität auf, indem dieses Knochenstück ungewöhnlich in die Breite gezogen ist. Der vordere Keilbeinkärper ist verdop- pelt; er besteht nämlich aus zwei neben einander liegenden Stücken, die eine Lücke zwischen sich lassen. Jedes dieser Stücke schickt zwei grosse Flügel aus, von denen die lateralen normal ausgebildet sind und an der Wurzel das Foramen opticum enthalten, während die medialen rudimentär gebildet sind und mit Knochen der accessorischen oberen Gesichtshälfte jederseits (Lamina papyracea, Stirnbein und Vomer) in Verbindung treten. Ausserdem aber haben sie sich in der Spaltungsebene zu einer schmalen Brücke vereinigt, welche von vorn und oben ein Loch umgreift, welches unten durch den hinteren Keilbein- körper, seitwärts durch die beiden vorderen Keilbeinkörper begrenzt wird und als eine, beiden accessorischen Keilbeinhälf- ten gemeinsame Fissura orbitalis superior aufgefasst werden muss. Es diente einem accessorischen Nervus oculomotorius zum Durchtritt. Oberhalb der Brücke findet sich zu jeder Seite derselben eine nach vorn ziehende Furche, in welcher die bei- den Nervi optiei des dritten Auges ihren Verlauf nehmen. Vorn schliessen sich an die Keilbeine zwei Siebbeine an. Desglei- chen finden sich zwei Pflugscharbeine, welche theilweise zur Bildung der medialen Wände der beiden Nasen beitragen. Einige Knorpelplättchen und die accessorischen Thränenbeine und Zwischenkiefer helfen diese Wände vervollständigen, indem sie zugleich die accessorischen Nasenhälften medianwärts ab-

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 515

schliessen. Die äusseren oder normalen Nasenhälften öffnen sich nach unten gegen die Mundhöhle; es ist beiderseitiger Gaumenspalt vorhanden. Eine Brücke von sehr straffem Faser- knorpel, welche die beiden Pflugscharbeine verbindet, schliesst die Mundhöhle gegen die Lücke zwischen den beiden Nasen vollkommen ab und bildet zugleich die untere Wand einer Kammer, die seitlich von den accessorischen Nasenhälften, oberwärts von den accessorischen Stirnbeinen begrenzt wird. Da die hintere Wand fehlt, so bildet diese Kammer eine di- recte Fortsetzung der Schädelhöhle und wird durch das er- wähnte dritte Auge ausgefüllt, welches bei geschlossenem Maule die Schneidezähne des Unterkiefers fast vollständig verdecken.

In Uebereinstimmung mit dem Schädel ist das Gehirn in seinem hinteren Abschnitt einfach, im vorderen verdoppelt. Von oben betrachtet erkennt man zu hinterst ein einfaches Kleinhirn, und davor zwei scheinbar einfache Grosshirnhemisphären, die durch die Ineisura pallii von einander getrennt sind. Die ge- nauere Untersuchung lehrt indessen, dass zu jeder Seite der Längsfurche zwei grosse Hemisphären liegen, eine hintere grössere (Fig. 2D) und eine vordere kleinere (Fig. 2D,), welche durch einen tiefen, bis auf den Hirnstock reichenden Einschnitt (Fig. 2Z) geschieden werden. Diese Einschnitte di- vergiren nach vorn und liegen in der Gegend, an der man beim einfachen Gehirn die Centralfurche Rolando’s suchen würde.

Betrachtet man die untere Fläche, so erkennt man zu den Seiten dieser Spalten je zwei Tractus olfactorii mit den Riech- kolben (Fig. 2,Iu.1,), woraus sich unzweideutig ergiebt, dass die betreffenden Furchen die wahre Fortsetzung der Incisura pallii sind, und dass demnach die vorderen, rudimentären He- misphären Ergänzungsstücke zu den hinteren, grösseren Hemi- sphären bilden, in der Spaltungsebene mit senkrechten Wänden an einander stossen und somit durch eine accessorische Incisur von einander geschieden werden.

Interessant ist es, an der unteren Fläche die nach vorn im- mer deutlicher werdende Spaltung des Hirnstocks zu verfolgen. Die Medulla oblongata ist ‘noch einfach. An der Brücke cha- rakterisirt sich die beginnende Duplicität durch die Spaltung

516 W. Dönitz:

der bisher einfachen Arteria basilars. An den Crura cerebri ist nun die Spaltung nicht mehr zu verkennen. Die Hirn- schenkel (Fig. 2F) weichen nämlich ungewöhnlich stark aus einander und nehmen zwei symmetrische Theile (Fig. 2F,) zwischen sich auf, die, obgleich sie ungewöhnlich schmal sind, doch unverkennbar den Habitus von Hirnschenkeln an sich tra- gen, mithin also als accessorische, mangelhaft entwickelte Crura cerebri aufgefasst werden müssen. Dass diese Auffassung rich- tig ist, ergiebt sich aus der Anwesenheit von zwei Hirnanhän- gen, die genau in der Fortsetzung derjenigen seichten Furchen sich finden, welche je ein normales und ein accessorisches Crus cerebri von einander trennen. Die normalen Pedunculi cerebri lassen je einen Nervus oculomotorius (Fig. 2III) austreten, wäh- rend ein dritter gleichnamiger Nerv aus der Medianlinie ent- springt (Fig. 2III,), in welcher die beiden accessorischen Hirn- schenkel sich vereinigen. Vor den beiden Trichtern, an denen die beiden Hypophyses cerebri befestigt sind, findet sich je ein Chiasma nervorum opticorum (Fig. 2II), welches folgendes Ver- halten zeigt. Um die äusseren, normalen Crura cerebri schlägt sich je ein Tractus opticus zur Basis herum nach unten; beide werden durch eine Querleiste verbunden, deren Aussehen dem der Tractus optiei gleichkommt. An den beiden Stellen, wo diese Leiste an die seitlich herabkommenden Tractus optiei sich anlegt, entspringen je zwei Sehnerven, deren einer an das normale Auge seiner Seite herantritt, während der andere, pa- rallel der Mittellinie, sich auf dem beschriebenen Wege nach vorn wendet, um in das dritte accessorische Auge (Fig. 20) einzudringen. Letzteres erhält auf diese Weise zwei Sehnerven und ist somit von vorn herein als Doppelorgan aufzufassen. Die obere Seite des Hirnstocks ist einfach; wenigstens sind nur zwei Vierhügelpaare vorhanden.

Verfolgen wir nun die Arterien an der Unterfläche des Ge- hirnes weiter, so zeigt sich, dass die beiden Basilares noch im Bereich des Pons sich von Neuem theilen, wie es häufig bei Thieren vorkommt. Kurz nach ihrem Ursprung verbinden sich dic beiden innersten Basilararterien durch eine kurze, aber weite Anastomose. Unmittelbar vor den Hypophysen treten

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 517

die zwei Basilares jeder Seite wieder zusammen, um dann je- derseits einen Circulus Willisii in der gewöhnlichen Weise zu bilden.

Eigenthümlich ist das Verhalten der Hohlräume des Gehir- nes. Der vierte Ventrikel, die Sylvius’sche Wasserleitung und der dritte Ventrikel sind sämmtlich nur in der Einzahl vorhan- den. Letzterer ist aber abnorm weit, und ermangelt der Com- missura mollis. Gegen sein vorderes Ende finden sich zwei Infundibula, die beide durch den vertikal geführten Schnitt ge- troffen wurden, der in Fig. 3 dargestellt ist. Eine auf dem Durchschnitt halbkreisförmig erscheinende Masse (Fig. 3H,), welche die gemeinsamen Sehhügelregionen der accessorischen Gehirnhälften darstellt, trennt sie von einander. Etwas weiter nach vorn erheben sich von diesem Sehhügel die hintersten Partieen der accessorischen Grosshirnhemisphären und scheiden somit den vordersten Theil des dritten Ventrikels in einen rechten und einen linken Abschnitt. Dringt man in diese Hohlräume weiter nach vorn ein, so trifft man jederseits am Boden auf eine Commissura cerebri anterior (Fig. 3a), über denen sich die Säulchen des Fornix erheben (Fig. 3W), welche hier, im Verein mit der zugehörigen Lamina terminalis anterior, den dritten Ventrikel jederseits nach vorn begrenzen. Die Fo- ramina Monroi (Fig. 3M), welche den Eingang zu den Seiten- ventrikeln der normalen Hemisphären bilden, haben die gewöhn- liche Lage und Weite. Dagegen sind die Zugänge zu den Ventrikeln der accessorischen Hemisphären abnorm weit und bestehen aus einem senkrechten Spalt, der bis auf den Boden der dritten Kammer reicht. Oberhalb der vorderen Abtheilun- gen des dritten Ventrikels sieht man eine brückenartige Ver- bindung von den normalen zu den anliegenden accessorischen Hemisphären hinüberziehen (Fig. 35). Es ist der Fornix, oder besser die sichelförmige Platte!), aus welcher der Fornix, das Cornu Ammonis und die Fascia dentata u. cinerea hervorgehen. Ich wähle den Ausdruck „sichelförmige Platte“, weil in Bezug auf die accessorischen Hemisphären die genannten Differenzi-

1) Reichert, der Bau des menschlichen Gehirns, II. Abth. S. 20,

518 W. Dönitz:

rungen nicht eingetreten sind. Unmittelbar davor erkennt man die schon besser ausgebildete, aber trotzdem nach hinten wenig entwickelte Commissura magna cerebri (Fig. 3T), die sich nach unten in die Lamina terminalis fortsetzt.

Ich wende mich nun zur Beschreibung des accessorischen Auges, welches, wie erwähnt, die Lücke zwischen den beiden Nasen einnahm. Von vorn betrachtet lassen sich drei Augen- lider daran unterscheiden, ein unteres und zwei obere. Von letzteren ist das linke weniger entwickelt und kürzer als das rechte. Die Lider sind straff an die Sklera geheftet und kön- nen nicht zur Bedeckung des Auges verwandt werden. Eine Cornea ist nicht mit Deutlichkeit zu unterscheiden ; nur über der Mitte des unteren Lides ist die Sklera etwas stärker durch- scheinend, wodurch sich ein unregelmässiger, schwärzlicher Fleck markirt. Von diesem Fleck aus bis zum linken Augenlide er- hebt sich die Conjunctiva sclerae in unregelmässigen faltigen Wucherungen ; im rechten Augenwinkel ist eine Plica semilu- naris ausgebildet.

Nach der Herausnahme aus seiner Lücke zeigt der Bulbus walzenförmige Gestalt, mit sagittal gerichteter Längsachse. An der Oberfläche finden sich schräg verlaufende Depressionen. Die hintere, zwischen dem Eintritt der beiden Augennerven gelegene Seite entbehrt der Sklera, die hier mit scharfem Rande endigt und ein kreisförmig begrenztes, halbkugelig hervorgewölbtes Stück freilässt, so dass die Chorioidea zu Tage tritt. Diese Partie legt sich direct an die Unterseite der accessorischen He- misphären an, und das kleine, in Fig. 2U gezeichnete, unbe- deckte Stück der Chorioidea scheint sich erst bei der Präpara- tion gelöst zu haben.

Ein verticaler Querschnitt durch den Bulbus lehrt, dass er aus der Vereinigung zweier Augenanlagen hervorgegangen ist. Die Sklera schickt nämlich ein Septum aus (Fig. 45), welches den von ihr umschlossenen Hohlraum in eine rechte und eine linke Kammer scheidet. Das Septum ist etwas schräg gestellt und verläuft von links hinten nach rechts vorn, woselbst es mit scharfem, concavem Rande frei endet. Der schiefe Verlauf der Scheidewand ist der Ausdruck einer geringen Verschiebung

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 519

der Augen gegen einander. Das linke in der gemeinsamen Sklera enthaltene Auge ist weiter vorgeschoben als das rechte, denn während ein vertical geführter Transversalschnitt rech- terseits vor die Iris fiel, wurde linkerseits die Retina getroffen. Vergl. Fig. 4. Leider konnte der Schnitt nicht ausgeführt wer- den, ohne einige Zerstörungen zu machen und so lässt es sich nachträglich nicht mehr entscheiden, ob eine gemeinsame vor- dere Augenkammer vorhanden war, oder ob auch sie durch eine Scheidewand in eine rechte und linke Abtheilung zerlegt wurde. Wie dem auch sein mag, so finden wir doch in der gemeinsamen Sklera paarige Bestandtheile eines Bulbus, nämlich zwei Retinae, zwei Linsen, zwei Glaskörper, zwei Regenbogen- häute. Die Linsen sind unregelmässig gestaltet, von vorn be- trachtet mehr oval als kreisförmig. Die Iris ist mit der Linse in der ganzen Ausdehnung verwachsen, in der sie ihr aufliegt, so dass es nicht zur Bildung von hinteren Augenkammern ge- kommen ist.

Der Bewegungsapparat des accessorischen Bulbus war sehr mangelhaft entwickelt und wurde nicht genauer untersucht. Nur so viel wurde festgestellt und es ist bereits darauf hingewiesen, dass der dritte Nervus oculomotorius durch die accessorische Fissura orbitalis superior ging.

Epikrise.

Die im Voraufgehenden beschriebene Doppelmissgeburt vom Kalbe habe ich -Diprosopus conjunctus genannt, zu dessen cha- rakteristischen Merkmalen nach Gurlt ') unter Anderem der einfache Unterkiefer gehört, während Rokitanski?), der al- lerdings nur menschliche Missgeburten berücksichtigt, seinem Genus Diprosopus ausdrücklich zwei Unterkiefer vindieirt. Da- nach würden wir es mit einem Dricranus triophthalmus zu thun haben. Es scheint, dass analoge Fälle beim Menschen noch

1) Gurlt, Lehrbuch der pathol. Anatomie der Haussäugethiere. 1832: Th, S72216. 2) Rokitansky, Lehrbuch der path. Anatomie, 1855. Bd. I. S. 32.

520 W.Dönitz: Beschreibung u. Erläuterung v. Doppelmissgeburten.

nicht zur Beobachtung gekommen sind. So viel ich mich auch in der Literatur umgesehen habe, fand ich immer neben der Duplicität des Obergesichtes zugleich Duplieität des Unterkie- fers verzeichnet. Jedenfalls gehört unser Monstrum zu den sel- teneren, wenngleich ich überzeugt bin, dass die von Förster!) gegebene Statistik nicht genau zutrifft, da es sich wahrschein- lich herausstellen wird, dass gewisse Missgeburten, die bisher unter anderem Namen beschrieben wurden, unter der Gattung Diprosopus einzureihen sind. So glaube ich, dass ein Theil der sogenannten einfachen Monstra mit Antlitzspalt hierher gehören ; eine Vermuthung, in der mich die Untersuchung eines Präparates des hiesigen anatomischen Museums bestärkt, das von Gurlt?) als Schistocephalus bifidus beschrieben und somit zu den einfachen: Missgeburten gerechnet wurde. Leider ist das Knochenpräparat so stark macerirt, dass sämmtliche Knorpel verloren gegangen sind; dennoch glaube ich Andeu- tungen von accessorischen Hälften daran zu finden. Die Pflug- scharbeine nämlich machen nicht den Eindruck, als ob sie die aus einander gewichenen symmetrischen Hälften eines ein- fachen Vomer wären, sondern als ob jedes derselben ein Gan- zes repräsentirte, dessen mediane, accessorische Hälfte aber nur mangelhaft entwickelt ist. Ausserdem aber setzt sich das Keil- bein nach vorn in einen breiten, platten Knochen fort, dessen Deutung geradezu unverständlich sein würde, wenn man ihn auf ein einfaches Individuum beziehen wollte. Für ein Doppel- individuum würde er die Bedeutung einer rudimentären,, zu dem doppelten Obergesicht gehörigen Gesichtsbasis gewinnen. (Schluss folgt.)

1) Förster, die Missbildungen des Menschen. 1861. S. 22. Förster fand unter 500 Fällen von Doppelmissbildung nur 29 Di- prosopi.

2) Gurlt, a. a.0., S. 126 u. 127”. Im Museum Nr. 4204.

TENE

FAnat u, Piyf 1805.

\ Andao

Wagenschieber se

I

1 Sn >

>

TAT,

beho £ Anat u Lhuf 7803

j ran A Taf AU

ke

WI Deniz del.

Wagenschzeber so,

ara Te N ».r

{| 7 y } Pr I DI er R Ch Vale“ R h I ar j 2 , A £ A ; 3 \ . E £ £r = Son y N ) z 6;

E. Rose: Die Mechanik des Hüftgelenkes. BD

Die Mechanik des Hüftgelenkes.

Von

Dr. Epmunn Rose, Docent der Chirurgie in Berlin.

Inhalt:

1. Abänderung der Weber’schen Versuche, S. 521.

2. Versuche über die Betheiligung von Luftdruck und Moleeular- kräften bei der Cohärenz von Plattenpaaren, S. 532.

3. Versuche über die Betheiligung von Luftdruck und Molecular- kräften bei der Cohärenz modificirter Plattenpaare, 8. 547.

4. Versuche mit einem Hahngefäss, S. 550.

Beobachtungen am Lebenden, welche im vollkommenen Ge- gensatz stehen zu der populären Weber’schen Theorie von der Aequilibrirung des Beins im Hüftgelenk durch den Luft- druck !) haben mich zum Versuch veranlasst, die bekannten

1) Die mit Gänsefüssen angezogenen Stellen beziehen sich auf das Buch: „Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. Eine anatomisch- physiologische Untersuchung von den Brüdern Wilhelm Weber, Professor in Göttingen, und Eduard Weber, Prosector in Leipzig. Göttingen, in der Dieterich’schen Buchhandlung 1836* und auf den Aufsatz in den Annalen der Physik und Chemie von J.C. Pog- gendorff, Bd. 40. Leipzig, bei Barth, 1837. S. 1—14: „Ueber die Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge, nebst Beschreibung eines Versuches über das Herausfallen des Schenkelkopfs aus der Pfanne im luftverdünnten Raum von W, u: E. Weber.“ Die An- sichten finden sich auch reeipirt und ausgeführt von

Joh. Müller, Handb. d, Physiol. d. Mensch. Bd. II. S. 122. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 34

522 E. Rose:

Weber’schen Schenkelkopfversuche nachzumachen und zu va- riiren, sowie die daraus gezogenen Schlüsse zu prüfen. Da ich nun der Ueberzeugung bin, dass jene nicht so allgemein gültig sind, wie es auf den ersten Blick scheint, und diese durchaus nicht nothwendig daraus folgen, will ich mich bemühen zu zei- gen, dass sich die Erfahrung am Lebenden, wie die Versuche an der Leiche besser mit einer andern Auslegung vertragen, der Luftdruck für die Mechanik des Hüftgelenkes ohne Wich- tigkeit ist. Am einfachsten und zweckmässigsten wird es sein, die vier Weber’schen Sätze, wie sie aufgestellt, durchzugehen und in derselben Reihenfolge Versuche und Schlüsse zu be- sprechen.

Fangen wir mit dem ersten an!

„Wenn das Bein einer menschlichen Leiche frei (vom Tisch) herabhängt, so kann man alle Muskeln zwischen Bein und Becken durchschneiden, ohne dass es abfällt“...

Dies ist das Resultat des ersten Weber’schen Versuches über die Aequilibrirung des Beins im Hüftgelenk durch den Druck der atmosphärischen Luft. &

Jeder Arzt, der die Auslösung des Oberschenkels an der Leiche übt, ist damit bekannt; er weiss, dass die Schwierigkeit der Operation nach dem Schnitt durch die Weichtheile erst an- fängt; er schliesst daraus, dass die Muskeln allein es nicht sein können, welche den Kopf im Gelenk halten.

Es folgt daraus nicht, dass „das schwebende Bein nicht an diesen Muskeln hängt, weil es danach nicht die leiseste Ver- rückung erleidet“ (I). Denn diese Verrückung wird noch durch eine andere Einrichtung, das Gelenk selbst mit seinen Bändern . verhindert. Der Fehlschluss liegt in der Voraussetzung, dass die Natur, ihren Zweck zu erreichen, .nur ein Mittel anwende, während sie doch fast all’ ihre Bedürfnisse mit vielfachem Ueberschuss deckt; dass Muskeln und Bänder den Gelenkkopf jedenfalls nicht gleich straff halten müssten. Allein dass die

Joh. Müller-Pouillet, Lebrb.d. Physik, IV. Aufl. Bd. I. S. 132. Funke, Lehrb. d. Physiol., II. Aufl. Bd. II. S. 580. Hyrtl, Handb. d. topogr. Anat., Bd. II. S. 590. 595 u. A. m.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 523

Muskeln, welche, wie z. B. die Fasern, die von dem unteren vorderen Darmbeinstachel (Spin. il. ant. infer.) entspringen und unmittelbar über das Gelenk zum kleinen Rollhügel laufen, ja vom Oberschenkelhals in gestreckter Stellung gespannt werden, eine wesentliche Rolle für den Halt der Gelenke spielen, zeigt einmal die freilich nicht alltägliche Erfahrung, dass man oft spontan in gelähmten Gliedmaassen ein Schlottergelenk sich ausbilden sieht, was, wie ich sehe!), schon früher von Baum am Schultergelenk nach Lähmung des Deltamuskels bemerkt ist.

Man kann am Krankenbett noch eine andere Erfahrung ma- chen, welche ebenso zeigt, wie wesentlich die Muskeln für den Halt der Gelenke sind.

Wenn man bei tiefliegenden und ausgedehnten Bindegewebs- entzündungen um an sich ganz gesunde Gelenke gezwungen ist, durch die bedeckenden Muskeln mehrfache grosse Ein- schnitte zu machen, so nımmt man nach Monaten in der Re- convalescenz (falls man den Kranken dahin überhaupt zu brin- gen das Glück hat) oft wahr, wie sich, auch ohne secundäre Betheiligung des Gelenks Subluxationen einzelner Knochen ein- - stellen, beispielsweise des Radius nach Intermuscular-Phlegmo- nen des Ellenbogens. Aehnliches kommt am Knie, an der Hand vor. Bei den tief gelegenen endlos schleichenden Binde- gewebsentzündungen der Kniekehle und der Umgebung der Kniekapselausstülpungen habe ich sogar durch die Autopsie in Folge secundärer Tuberculose dabei Gelegenheit gehabt, mich von der Integrität des Gelenkes selbst zu überzeugen. Zeigt dies nicht hinreichend, wie wichtig für den Halt der Gelenke die Unversehrtheit der bedeckenden Weichtheile ist?

Dasselbe lehren ferner folgende Versuche, die, um vollstän- dig frische Objecte zu haben, an Thieren angestellt worden sind.

Ein stämmiges gesundes altes Kaninchen wird durch einen Stich in’s Herz getödtet, und sofort das Hüftgelenk herausge- nommen. Nachdem alle Muskeln sorgfältig, ohne zu reissen und ohne Verletzung des Gelenks, nicht etwa blos durchschnitten, sondern ganz entfernt sind, wird ein Loch durch die Darm-

1) Ludwig, Physiol., I. 514, 34 *

524 E. Rose:

schaufel, ein zweites durch die breite Fläche des Oberschenkels dicht unter den Rollhügeln gebohrt. Durch jenes und das Hüftloch wird ein Bindfaden zum Aufhängen gezogen, durch dieses ein zweiter, an dem 10 Pfd. befestigt werden.

Sowie das Gewicht allmählig losgelassen, wirbelte es sich um seinen Faden und fiel genau im Beginn der dritten Minute herab.

Die Gelenkkapsel war durchgerissen.

Sofort wurde die andere Seite genommen die warmen Muskel zuckten noch, Peristaltik noch da und das Experi- ment wiederholt mit Schonung der Muskeln.

Statt 10 Pfd. wurden 15 angehängt, die am andern Mor- gen noch frei daran hingen.

Bei einem Stoss gegen den straffen Faden fiel das Ge- wicht.

Die Untersuchung zeigte, dass am herabgefallenen Faden der halbe Oberschenkel hing. Er war dort, wo er durchbohrt und dabei etwas gesplittert war, mitten durchgerissen; das Gelenk selbst hing oben und war unverletzt.

Ein anderes ebenso kräftiges Kaninchen wurde zu einem Controlversuch verwendet, Nur die Haut wird entfernt und das Becken mit den beiden Oberschenkeln in der Art aufge- hängt, dass es mittelst eines starken durch die Hüftlöcher und zwischen die weit hinaufreichenden Darmschaufeln und dem Kreuzbein geführten Bindfadens in natürlicher Lage schwebte.

Beide Oberschenkel wurden durch eine Schlinge verbunden, deren Enden dicht um die Knochen unmittelbar oberhalb der Rollhügel (Trochanter) herumgeführt und dann jederseits fest- geknotet wurden, ohne sonst Knochen und Muskeln zu ver- letzen.

An die Mitte der Schlinge wurden 17 Pfd. gehängt und befanden sich nach 20 Stunden noch in derselben Lage.

Um ungefähr einen Maassstab für den Halt zu haben, hing ich jetzt das Ganze an das Ende eines Wagebalkens, dessen eine Schaale ich statt des Gewichtes anhing. Auf die Schaale stellte ich einen Menschen, an das andere Ende des Wagebal- kens hing ich mich selbst. Der Erfolg war, dass dort der

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 525

rabenfederdicke Bindfaden dicht oberhalb der Schaale zerriss; als ich den Versuch mit stärkerem immer an demselben Becken wiederholte, riss endlich ein Oberschenkel aus dem Hüftgelenk aus, während die Schlinge vom andern abglitt.

Das noch nicht zerrissene wurde darauf einzeln aufgehängt; eine Last von 30 Pfd. trennte es jetzt nach so vielen Versu- chen endlich.

Man sieht also, dass das Gelenk ohne Muskeln nicht 10 Pfd. trägt, mit Muskeln über 17. Kann man daraus nicht schliessen, dass fast die halbe Last im Gelenk von der Elastieität der Muskeln getragen wird?

In all’ den mitgetheilten Fällen war es mir unmöglich, den Schenkel, der einmal ausgerissen war, im Gelenk durch An- drücken zu befestigen. j

Es folgt daraus, dass auch die Gelenke selbst wichtig für ihren Halt sind, nicht blos die anliegenden Muskeln.

Was giebt nun den Gelenken mehr Halt, die Musculatur oder die Kapselbänder?

Da ja grade beide nicht die Hauptursachen des Zusammen- halts sein sollen, lässt sich schwer darüber experimentiren.

Die Beobachtung am Lebenden kann uns hier wieder aus- helfen. Die Frage hängt schliesslich davon ab, ob die Cohä- sion (Festigkeit) der Musculatur oder der Sehnen und Bän- der bei Lebzeiten grösser ist.

Ich habe Querrisse (einfache Muskelrupturen) durch die Glutaeen, durch den Pectoralis major bei Verletzungen, sehr häufig, in Folge schwerer Geburten, der Sternocleidomastoidei') gesehen. Stets konnte man auf frischer That, wie noch nach Tagen beiderseits die retrahirten Muskelenden fühlen zum Zei- chen, dass der Muskel selbst zerrissen, nicht sein Ansatz ab- gerissen. Dasselbe lehrten durch die anatomische Lage des Muskelcallus die Fälle bei Kindern, wo, ich sah sie bis jetzt

1) Dieselben sind in der letzten Zeit als „angeborene Sklerose“ (!) des Sternocleidomastoideus beschrieben; Stromeyer, der sie 1838 zuerst erwähnt, sah sie meistens dicht über dem Brustbein (Chirurgie II. 426); in seiner unteren Hälfte habe ich bis jetzt noch keinen Fall beobachtet.

596 E. Rose:

nicht frisch, bald ein, bald beide Bäuche einge- oder zer- rissen waren.

Sehnenzerreissungen sind jedenfalls sehr viel seltener, be- sonders wenn wir alle die ausschliessen, welche durch directe Gewalt zu Stande gekommen.

Eine Beobachtuug an einem Selbstmörder könnte für diese Frage von Belang sein.

Der Schusskanal ging ohne Verletzung der Lungen mitten durch das Herz, die linke Seite des Zwerchfelles und die ganze Leber an ihrem obern Rande streifend bis zur rechten Niere, mit Zerwühlung der ganzen Umgebung um die Schusslinie durch eine sehr explosive Wirkung des Schusses. Interessant war das Herz, welches dadurch senkrecht gespalten war in der Art, dass an den Herzohren und Gefässursprüngen die Ventri- kelmuskela ganz frei, wie zwei zerfetzte Fahnen hingen. Es war mir sehr interessant und auffallend zu finden, dass alle Klappen unverletzt waren, insbesondere aber die Mitralis. Kein einziger der feinen Sehnenfäden (Chordae tendineae) war zerrissen, sondern an jedem hing ein etwa !/;—!/, Zoll langes Muskelbündel (Muse. papillaris), welches quer dort durchrissen und von seinem Ansatzpunkt abgerissen war, an einer Stelle, wo seine Dicke meist etwa '/, Zoll beträgt, so dass von oben gesehen die Mitralis ihren Trichter bildete, wie bei einem ganz (Gesunden. Dieser Fall ist besonders deshalb so lehrreich, weil nirgends im Körper sonst die Musculatur so frei von binde- gewebigen Theilen ist als im Herzen, nirgends dabei der Ge- gensatz in Reinheit und Dicke zwischen Muskel und Sehne so gross ist als hier.

Spricht das nicht für eine grössere Cohäsion der bindege- webigen Theile? Ist man nicht gezwungen, wenn schon fast die halbe Gelenklast beim Kaninchen von den Muskeln getragen wird, mindestens ebensoviel den Bändern und der Kapsel zu- zuschreiben ? ;

Erlaubt es dann aber die vergleichende Physiologie anzu- nehmen, dass bei den so gleichen anatomischen Verhältnissen in dem einen Thierkörper (Kaninchen) die Muskeln und Bän-

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 327

der beim Halten des Schenkels eine wesentliche, in dem an- dern (Mensch) gar keine Rolle spielen?

Es wäre doch zu auffallend, wenn es sich wirklich beim Menschen so ganz anders verhalten sollte!

Freilich heisst der zweite Satz: „das schwebende Bein hängt nicht an der Kapselmembran, weil es nicht allein hängen bleibt, nachdem die Kapselmembran durchschnitten ist, sondern auch in seiner Lage nicht einmal die geringste Verrückung erleidet* (U) und der dritte:

„Es hängt endlich auch nicht am Rumpfe, weil es an der untern Seite seines Schenkelkopfs vom Pfannenrande unterstützt, sondern weil es an der obern Seite seines Schenkelkopfes zu- rückgehalten wird.* (II).

Um mich davon zu überzeugen, verschaffte ich mir die Hüften aus der frischen Leiche einer jungen Person, präparirte vorsichtig von der einen Hälfte die Muskeln ab, und nagelte das Präparat an ein vertikales Brett in ihrer natürlichen Stel- lung an, nachdem ich am Oberschenkelstumpf ein 2 Pfd.-Gewicht aufgehängt hatte. Den Rollhügeln ziemlich nah schnitt ich die Kapsel ringsum ein ohne Veränderung am Gewicht. Leider kam ich nun bei einer ungeschickten Bewegung mit der Spitze der geschlossenen Scheere der Pfanne dort, wo sie oben den Kopf berührt, streifend nah; in demselben Augenblick polterte der Kopf und das Gewicht herab, ohne dass deshalb der halbe Theelöffel Synovia, der sich in der Pfanne fand, ganz heraus- fliessen konnte. Als ich den Kopf wieder fest hineindrückte, blieb er danach dort, fiel jedoch heraus, als ich 12 Pfd. statt 2 anhing. Als ich endlich 5 Pfd. anhing, blieb der Kopf darin, wobei ich das Brett vornüber bis zur horizontalen Ebene nei- gen konnte. Die Brüder Weber schätzen das Gewicht eines ausgewachsenen Beines zu 20 Pfd. bis 25 Pfd; die Hälfte die- ses Gewichts wurde also bei diesem Versuch vom Gelenk nicht getragen, und bei einer noch viel schwächeren Belastung ge- nügte eine leichte Erschütterung, den Kopf fallen zu machen.

Ich schliesse daraus, dass der Schenkel zum Theil aller- dings von der Pfannenfläche gehalten wird, jedoch dass dieser

528 E. Rose:

Halt allein ohne Kapsel und Muskeln nicht an jeder Leiche ausreicht, um den ganzen Schenkel zu tragen.

Kaum brauche ich wohl hinzuzufügen, dass die ganze Hüfte, wie auch die Gelenkflächen in meinem Falle durchaus wohlge- bildet und gesund waren.

Ich fuhr danach fort, die Weber’schen Experimente zwar nicht wörtlich nachzumachen, aber zur Controlle zu variiren, indem ich zunächst den Pfannenboden dicht oberhalb des un- tern Horns und neben dem Lig. teres von der Pfanne aus durch- bohrte, um so die Kugel nicht zu verletzen, was bei umgekehr- kehrter Richtung, da sich Pfanne und Kugel berühren, den Me- chanikern unvermeidlich scheint!), wonach dann freilich noth-

1) Die Weber haben bei ihrem dritten Versuch das Bein in dem Augenblicke fallen sehen, „wo die Spitze des Bohrers die Pfanne eben durchbrochen hatte und den Schenkelkopf noch nicht berührte.“ Bohrt man von der Beckenhöhle aus nach der Knorpelfläche durch und sieht nach jeder Bohrdrehung nach, so bemerkt man bald einen un- durchbohrten Knorpelhügel entstehen, der sich vor der Durchbohrung über Messerrücken dick erhebt. Dieser Höcker verhindert natürlich das Haften. Nach einem derartigen Versuche mit einem feinen Bohrer drang sofort bei Bewegung Luft in die Gelenkkapsel, wie man aussen vom Pfannenrand sah, und es war danach ganz unmöglich, den Kopf wieder haften zu machen, man mochte das feine Loch offen lassen ‘oder mit dem Finger schliessen. Der Schenkelstumpf war dabei nur durch die Last seiner Muskeln beschwert, die zum Theil vorher, zum Theil hinterher durchschnitten waren. Es gelang auch nicht, uach- dem ich innen die Oeffnung umschnitten und möglichst geglättet. Ganz eben so erfolglos war ich an der andern Hüfte gewesen, die ich erst herausgenommen, dann eben so fein im oberen Horn durch- bohrt und in der Pfanne am Bohrloch geglättet hatte mit Aus- nahme der ersten Augenblicke, wo wirklich der hineingepresste Kopf haftete. Er sass da aber auch ohne Fingerschlass fest, und zwar anscheinend nicht weniger, wie wenn man es zuhielt. Beide Bohr- ° löcher waren sehr fein, etwa vom Durchmesser einer Linie.

Auch die Brüder Weber haben nicht-gleiche Resultate stets er- zielt, weil „beim Herausnehmen des Gelenkes die Ineisura acetabuli zu sehr entblösst war, so dass die Luft das in derselben befindliche Fett und Zellgewebe in sie hineindrängte und das Gewicht am Stumpf schon in freier Luft beide Gelenkflächen etwas von einander entfernte.“

In diesen beiden Fällen hatte ich die Ineisur sogar von den Mus- keln bedeckt gelassen; durch Gesicht und Gefühl konnte man sich

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 529

wendig der Schenkel stets herausfallen wird. Der Durchmesser des Lochs betrug !/, Zoll, allerdings wohl nicht ein „feines Loch*!), wie will man aber sonst den Einfluss der Capillarat- traction ausschliessen! Nachdem ich alles Bohrpulver vorsich- tig entfernt, drückte ich jetzt den Kopf wieder hinein und hielt aussen den Finger auf dem Pfannenloch. Er sass fest, liess ich los, so fiel er, was ich mehrmals constatirte. „Dieser Versuch kann ja mit demselben Bein nach Belieben wiederholt werden und gelingt immer.“

Als ich aber kaum 5 Minuten später diesen Versuch Jeman- den zeigen wollte, misslang er vollständig; ich mochte den Fin- ger darauf halten oder nicht, der Schenkel fiel stets herab, so weit es das Lig. teres zuliess.

Ich sägte darauf von dem Schenkelkopf das Stück ab, was die Pfanne ausfüllt. Vielleicht glückte der Versuch, wenn so das Gewicht vermindert. Drückte ich es nun hinein, so sass es manchmal so fest, dass ich seine Sägefläche nach. unten keh- ren konnte, wenn ich den Finger aussen auf das Loch drückte; zuweilen auch ohnedem. Meist sass es aber auf keine Weise fest, wobei es nach vielen Versuchen schliesslich blieb. Ich tauchte darauf beide Stücke des Gelenks, das noch überall glänzte, in Wasser, und die Kugelschale hing ohne Finger- druck, selbst nachdem Lig. teres abgeschnitten und der ganze

leicht überzeugen, dass hier dasselbe mit den Muskeln vor sich ging, wie die Weber dort von dem Fett in der „zu sehr entblössten Inci- sura acetabuli“ schildern.

Das Hineindrängen wird nicht durch die zu grosse Entblössung veranlasst, weil kein Platz da ist, wo etwas. könnte hineingedrängt werden unter normalen Verhältnissen, und weil es sonst auch ohne Entblössung dazu kommt. Es #t eben die erste Folge davon, dass die Gelenkflächen nicht mehr dicht an einander haften und los- lassen, abreissen. Haften sie doch manchmal auch nach dem Aus- schneiden der Weichtheile aus der ganzen Fovea acetabuli (freilich nieht so sicher wie bei Lebzeiten, wo die Verdunstung der Schmiere verhindert ist); und dann hat die Luft doch den freiesten Zutritt.

1) Im vierten Abschnitt wird nachgewiesen werden, dass, je grös- ser das Loch, um so auffallender der Unterschied in der Belastung ist, welche mit oder ohne Verschluss desselben (durch den Finger) tragbar ist.

530 E. Rose:

Inhalt der Fovea acetabuli entfernt, so dass die Luft freien Zu- tritt hatte. Bald glückte es aber nicht mehr; ‚ich legte es dann nur wieder in’s Wasser. Blieb es zu lange liegen, so ging es danach aber auch nicht. Diese beiden Gelenkstücke habe ich an der Luft trocknen lassen; stark muss man auf die Umgegend des Loches klopfen, ehe die Schale herausfällt.

Wenn der Luftdruck die Kugel hält, warum sitzt sie bald fest, bald nicht, da der Barometerstand doch kaum dabei ge- schwankt hat? Die Kugel hat sich nicht geändert, nicht die Pfanne, wohl aber das Bindemittel.

Hiernach, däucht mir, kommt es gar sehr beim Weber’- schen Versuch auf die Consistenz der Gelenkschmiere an, mehr als auf den „Luftdruck“. Dafür spricht auch, dass, als ich 2 Tage später erst im Stande war, das andere Gelenk von den stark riechenden Muskeln zu befreien und zu präpariren, der Kopf sofort aus der Pfanne fiel, sowie ich die Kapsel aufschnitt, und auf keine Weise in derselben gehalten werden konnte.

Jedenfalls scheint mir hiernach theilweise auch beim Men- schen dasselbe Verhältniss vorzuwalten, wie beim Kaninchen.

Der vierte Weber’sche Satz lautet:

„Das schwebende Bein hängt (also) am Rumpf, blos gehal- ten und getragen durch den Druck der atmosphärischen Luft, und kann nur herabfallen, wenn dieser Druck vermindert oder der luftdichte Schluss zwischen Schenkelkopf und Beckenpfanne aufgehoben wird.“

Aus den von mir angestellten Probeversuchen folgere ich:

Der Schenkel wird zum grössten Theil in der Pfanne ge- halten durch die Spannung und Elastieität der Bänder und Muskeln, welche mit der Gelenkkapsel unmittelbar verwach- sen sind. :

Zu einem geringen Theil wird der Kopf von oben ohne sie in der Pfanne gehalten. Hierbei spielt die Molecularattraction (die Adhäsion der Schmiere an den Knorpeln und ihre Cohä- sion) eine bedeutende Rolle, die mittelst der Gelenkschmiere (Synovia) zu Stande kommt zwischen Kopf und Pfanne. Ihr Abfluss wird durch die Kapsel verhindert, ihre Gleichmässigkeit in Menge und Beschaffenheit ist zur Beständigkeit der Wirkung

Die Mechanik des Hüftgelenkes, 2,29

erforderlich und vom Leben des Lörpers und der normalen Be- schaffenheit des Gelenkes abhängig.

Wie weit der Luftdruck mit der Adhäsion concurrirt, da doch mit Sicherheit behauptet!) und durch Percussion und die Resection bei Lebzeiten nachgewiesen werden kann, dass in den Gelenken keine freie Luft vorhanden ist, die ausserdem, wenn sie da ist (nach Verletzungen), nicht Bestand hat, son- dern sofort eine Verjauchung des Gelenkes oder günstigsten Falls ausnahmsweise ihre schnelle Resorption zur Folge hat darüber habe ich keine directen Versuche angestellt.

Sicher ist, dass ihre Mitwirkung überflüssig; denn noch Nie- mand hat beim Bruch der Pfanne ein Herabsinken des Schen- kels, also ein Schlottergelenk bemerkt.

Die Kranken können dabei allerdings nicht gehen, aber nicht wegen einer solchen materiellen Folge, sondern wegen einer scheinbaren Lähmung der gequetschten Muskeln. Den Beweis zu führen, bin ich dadurch in der günstigen Lage ge- wesen, dass ich bei solchen Kranken zweimal das Delirium

1) Die Versuche der Weber „ergeben, dass das Hüftgelenk wie eine Luftpumpe betrachtet werden kann.“ „Das Bein wird von der- selben Kraft getrageu, von welcher das Quecksilber in der Barome- terröhre emporgehalten wird.“ Da ja aber nach ihren anatomischen Untersuchungen der Schenkelkopf die Pfanne völlig erfüllt, wo ist da ein Hohlraum, der Recipient der Luftpumpe oder die Toricelli’sche Leere der Barometer?

Bringt man das Gelenk unter eine Luftpumpe und entleert die Luft, so „treibt man das Blut aus den Gefässen der Knochen.“ Da- bei wird die Consistenz der Schmiere sicher nicht ungeändert bleiben ; schliesslich bei weiterer Auspumpung werden beide Knochentheile aus- einander getrieben, wenn die zusammenhaltenden Bänder und Mus- keln entfernt sind, indem die (wässerige) Schmiere anfängt zu ver- dampfen und ihre absorbirten Gase zu entwickeln, gerade wie eine mit Gewichten beschwerte Blase im Recipienten dann dieselben zu heben beginnt. Schon Robert Boyle überzeugte sich, dass alle Or- gane (Leber, Herz, Rückenmark) und Secrete (Blut, Milch, Galle) im Recipienten der Luftpumpe durch das Auspumpen sich blähen und reichlich Gas entwickeln. Cf. Philos. Transact. abridgd. II. 1, p. 230. The expansion of blood and other animal juices and of the soft parts of the body.

a2 E. Rose:

tremens mit seiner gewöhnlichen Abstumpfung der Schmerz- empfindung habe ausbrechen sehen. Unter diesen Umständen begannen beide den anscheinend gelähmten, freilich nicht schlot- ternden Schenkel zu bewegen und sich aufzurichten; ja der eine fing sogar an aufzustehen und fortzulaufen, obgleich er, beider- seits gleich verletzt, vorher beiderseits gelähmt erschienen war. Wenige Stunden nachher bestätigte der jähe Verlauf des De- liriums die Diagnose durch die Section. Beide Schenkel waren unverletzt, hafteten so fest wie gewöhnlich in der Pfanne, die auf beiden Seiten gespalten war und also der Luft freien Zu- tritt zum Gelenkkopf liess, wie ich es durch Abbildungen!) dar- stellen zu lassen mich bemüht habe. Auf der rechten Seite sieht man einen Theil des Gelenkkopfs offen daliegen, aber mehr weniger eng an den grössten Pfannenstücken anhaften. Keine Spur von Unterleibs- oder Gelenkentzündung, oder von Ausschwitzung, die den Luftzutritt zu den Schenkelköpfen ver- hindert hätte. Sicher hat die Natur hier besser experimentirt als der Mensch vermag, indem sie die an der Leiche unerreich- bare Gleichmässigkeit der Schmiere hergestellt und die Pfanne ohne Einwirkung auf den Schenkelkopf eröffnet hat!

Vergeblich babe ich mich bemüht, um mich näher zu un- terrichten, die Natur nachzuahmen und die Veränderlichkeit der Synovia zu eliminiren, da ja die Kraft, ebene Platten von einander zu reissen, wesentlich nur von der Natur ihres flüssi- gen Bindemittels?), abgesehen von der Grösse ihrer Oberfläche abhängt’). Adhäsionsplatten in der Form eines Nussgelenks herzustellen, ist sehr schwierig, wenn überhaupt möglich, und kostbar. Schliesslich hätten sich alle Messungen doch nur auf das benutzte Schema von Apparat bezogen.. Ausserdem weiss

1) In meinem Aufsatze über „die Diagnostik der einfachen Becken- fraeturen* in dem Jahrgang 1865 der Chariteannalen.

2) Experiences relatives a l’Adhesion par Dutou'r in Observations sur la Physique. T. XV. 1780. p. 234.

3) Taylor’sches Gesetz, cf. B. Taylor: Experiments on the co- hesion between a board and the surface of water. 1721 in Phil. Trans.

abridgd. Vol. VI. P.II. p. 2. Achard’s: Physisch-chemische Schrif- ten, 8. 360. Berlin 1780.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 533

jeder, der irische Adhäsionsplatten besitzt, wie vergänglich die die damit erzielten Resultate sind, schon wegen der bei ver- schiedenen Wärmegraden verschiedenen Ausdehnung ihrer Be- standtheile. An Stelle positiver Versuche muss hier für’s Erste die positive Beobachtung am Krankenbette treten. Und das umsomehr, da ja selbst die sehr viel einfacheren Verhältnisse bei ebenen Adhäsionsflächen und beliebiger Flüssigkeit den ex- perimentirenden Physikern grosse Schwierigkeiten machen.

„Die Versuche mit Adhäsionsplatten scheinen so leicht zu sein, dass man sich wundern muss, sie so wenig zahlreich zu finden. Aber wer selbst Beobachtungen machen und nicht blos entfernte Annäherungen erlangen will, findet bald, dass diese Versuche trotz der Einfachheit der Instrumente zu den schwierigsten und wegen der zahlreichen Störungen zu den unangenehmsten in der ganzen Physik gehören.“*!)

Allein auch so scheint es mir möglich, die Fragen, welche sich noch aufdrängen, hier zu entscheiden.

Dass nun zunächst die Molecularattraction fester und flüssi- ger Theile (Co- und Adhäsion) ebensoviel leistet als der Luft- druck, ist bekannt.

Die ‚hohlen Halbkugeln des Magdeburger Bürgermeisters liessen sich, wenn ihre Luft unter der Pumpe entleert, bei 3/, Ellen Durchmesser nur von 16 Pferden trennen, eben so schwer gewiss aber die Adhäsionsplatten, an die man ja blos durch ihre Adhäsion viele Centner aufhängen kann, zumal wenn man die Unebenheit ihrer Flächen durch ein Bindemittel ausgleicht.

Spiegelscheiben darf man bekanntlich gar nicht verschicken, ohne Papier dazwischen zu legen, weil sie sonst so haften, dass sie nicht mehr zu trennen?) sind. |

Dass die Adhäsion mehr leisten kann, als der Luftdruck hier auf Erden gewöhnlich vermag, braucht nicht erst bewiesen

1) Frankenheim, die Lehre von der Cohäsion. Breslau 1835. S. 62. - 2) Cf. in Pogg. Annalen, 1833, XXVIII., S. 82 die Erfahrung von Airy und die Versuche.von Brayley in Proceedings of the Royal Society, Vol. V., p. 450.

534 E. Rose:

zu werden. Ich erinnere beispielsweise an einen alten und be- kannten Versuch von Huyghens!) aus dem Jahre 1672, welcher in einer mit Alkohol sorgfältig gereinigten Barometerröhre das Quecksilber in ihrer ganzen Länge von 75 Zoll’ über dem Ni- veau durch Adhäsion haften sah, während es doch gemeinhin auf 28“ sinkt, also unter die Hälfte. _

Dasselbe lehren speciell für das Hüftgelenk die Erfahrun- gen, die man im Mittelalter beim Viertheilen maehte, wo sich Pferde stundenlang beim Zerreissen quälten, bis man endlich mit dem Messer nachhalf und die Gelenke öffnete. Der Luft- druck allein hätte den Pferden doch nicht solchen Widerstand geleistet.

Ferner bin ich schuldig, noch die Beweiskraft des 5. und letzten Weber’schen Versuchs zu besprechen, und meine Er- klärung desselben zu begründen.

Es liegt anf der Hand, dass eine Erscheinung, die vom Luftdruck abhängen soll, im luftleeren Raume geprüft wird.

Gerade so wurde Bernoulli’s Ansicht, die Adhäsion rühre vom Luftdruck her, geprüft.

Als man sich aber überzeugt, dass ım Freien ein Tropfen dieselbe Gestalt hat, wie im luftleeren Raum?), die Flüssigkeiten in Capillarröhren dort wie hier gleich hoch steigen?), zwei ebene polirte reine und trockene Blei- oder Glasplatten mit oder ohne Bindemittel draussen so fest halten als innen*), Flüssigkeiten

= 1) The cause of the suspension of the mercury at an unusual height by Mr. Hugens in Philos. Transact. 19. Aug. 1672 Nr. 86 oder abridged Vol. II. p. 23, oder im Journal des scavans, 25. Juli 1672, p. 133: Extrait d’une lettre de M. Hugens de l’Academie Royale des Sciences & l’Auteur de ce journal touchant les phenomenes de l’Eau purgee d’air.

2) Elementa Physicae a Petro van Mussehenbroeck. Neapoli 1751,84 Suolal

3) El. Ph., $. 531, und The cause of the ascent and suspension of Water in Capillary Tubes by Dr. J. Jurin, in Philos. Transaet. abridgd. Vol. IV. p. 423. |

4) El. Ph. 8.497. Huyghens loc. eit. p. 23. Martin Triewald: „Queries concerning the cause of cohesion of the parts of matter“, 1729 in Phil. Trans. abridg. Vol. VI. P.II. p.3. Cf. „Ueber die che-

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 535

zwischen nahe parallele Glaswände unter beiden Verhältnissen gleich hoch steigen'), zwei mit heissem Talg verklebte platte Cylinder dieselben schweren?) Gewichte trugen, so schloss Mus- schenbroeck, dass alle diese Erscheinungen der Cohärenz von der Attraction- der Molecule und nicht vom Luftdruck ab- hängen.

Die Magdeburger Halbkugeln dagegen, die kein Mensch trennen kann, fallen dort von selbst auseinander. Es sprach dies dafür, dass man es hier eben mit dem Luftdruck zu thun hat.

Dass die Adhäsion nicht vom Luftdruck, weder von dem Me- tus vacui der Peripatetiker noch der Repugnantia vacui des Galilei, sondern von der Attraction abhänge, erwies sich da- durch, dass zwei metallene Cylinder je nach dem Bindemittel verschiedene Gewichte tragen?) ohne dass dabei doch der Luft- druck variirt, und noch dazu schwerere, als die auf einem glei- chen Flächenraum drückende Luft wiegt, ja dass endlich bei gleich grossen Cylindern die Gewichte um Centner variirten‘), wenn ihre Substanz oder die Dicke des zwischengeschmierten Talgs sich veränderte.)

Später hat man nach dem Vorgange von Taylor°) die Er- scheinungen meist unter einfachern Verhältnissen studirt, indem man eine glatte Platte, die an einem Arm einer Wagschaale mit einem Gegengewicht aufgehängt war, nach hergestellten Gleichgewicht durch eine Gewichtszulage von angenäherten Flüssigkeiten abreissen liess. Auch das wurde von La Grange und Cigna für Wirkung des Luftdrucks erklärt, aber Guyton

mische Zersetzung und Verbindung mittelst Contactsubstanzen“, von E. Mitscherlich. Pogg. Annalen, 55, 216.

1) El. Ph. $. 533.

2) Introducetio ad cohaerentiam corporum firmorum p. 440.

3) Introductio ad cohaerentiam corporum firmorum p. 434. 439. El. Ph. $. 555.

4) Introd. ete. p. 440.

5) Ibid. p, 443.

6) Experiments of the cohesion between a board and the surface of water, von B. Taylor. Philos. Transact. abridgd. VI. 2, 2.

536 E. Rose:

de Morveau überzeugte!) sich auch ‚hierbei, dass man im luft- leeren Raume dasselbe Gewicht zum Abreissen nöthig hat als im freien, der Luftdruck also hierfür gleichgültig sei.

Die Brüder Weber haben nun auch unter dem Reeipien- ten der Luftpumpe ein Schenkelpräparat befestigt und beobach- tet, dass der Schenkelkopf mit 2 Pfd. belastet, sowie die Baro- meterprobe auf 3 Zoll sank, herausfiel, soweit es sein rundes Band zuliess (über !/, Zoll).

Hiernach könnte es in der That scheinen, dass das Hüft- gelenk mehr den Magdeburger Halbkugeln, als Adhäsionsplat- ten gleicht.

Allein dem aufmerksamen Leser des Musschenbroeck’- schen Werkes und der späteren Abhandlungen wird es nicht entgangen sein, dass die Versuche mit Platten um so sparsamer werden, je mehr sie Aehnlichkeit bekommen mit dem Verhält- niss, das uns interessirt. Unter den vergleichenden Versuchen unter der Luftpumpe, die ich, soweit sie mir bekannt, oben zusammengestellt, findet man nur den von Musschenbroeck selbst, welcher mit Talg verbundene Metallcylinder betrifft, den von Triewald, der blos frisch geschnittene Bleikugeln ohne Wei- teres nahm, von E. Mitscherlich, welcher Quarz und Glas- platten so an einander presste und die von Huyghens, der Glasplatten mit Weingeist und ausgekochtem Wasser (water purged of air) verband. {

Es wird deshalb vielleicht gerechtfertigt erscheinen, wenn ich einige Versuche mittheile, die ich nur zu meiner Belehrung angestellt, soweit es eben meine Verhältnisse mir ermöglichten,

Angewendet wurden zwei sogenannte Adhäsionsplatten aus polirtem Glas 4 Zoll im Durchmesser und etwa 1'/, Linien dick aufgekittet auf entsprechende Messingplatten, welche auf der andern Seite in der Mitte Oesen (feste Metallringe) trugen.

Unter der Luftglocke wurden die vergleichenden Beobach- tungen so angestellt, dass der Tisch des Recipienten mit einem durchlöcherten Pappstück bedeckt wurde. Dann wurden die Gewichte darauf gestellt, welche an die Scheiben gehängt waren.

4) Journal de Physique, 1773. Vol. 1. p. 168 (172).

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 537

Endlich wurde der feste Ring, der obere, am Deckel der Glocke ein- gehakt an einem Haken, welcher das Ende eines senkrechten Mes- singstocks bildete, der ziemlich luft- dicht, aber mühvoll im Deckel auf- und abgeschoben werden konnte. Nach dem Ueberstülpen der Glocke wurde das Ganze durch den Stock so weit in die Höhe gezogen, bis das tiefste Gewicht etwa einen Fin- ger breit oberhalb der Pappscheibe schwebte, und alsdann mit einer Klemme der Stock ausserhalb der Glocke festgeklemmt. Gegen seitli- ches Abrutschen waren die Glas- scheiben durch einen übergestülp- ten, locker anliegenden und mit Fenstern zur Controlle versehenen Blechkranz geschützt.

1) Beide Platten waren nicht mehr neu, daher kam es, dass sie ohne Bindemittel trocken sich nicht mehr gegenseitig hielten, auch wenn sie mit Seife und mit Alkohol noch so sorgfältig waren gereinigt worden.

2) Mit Knochenfett bestrichen und mit starkem Druck auf einander geschoben, konnte man leicht ein angehängtes 25 Pfd.- Gewicht und einen noch viel schwereren Steinblock damit heben.

Sie bewegten sich leicht an einander, konnten aber nicht von zwei Männern, selbst den kräftigsten, von einander gerissen werden, wenn man sie durch den Blechkranz vor dem Abglei- ten sicherte.

3) Erst nach 8 Tagen war es möglich. Das Fett war, wie sich dann zeigte, ganz ausgetrocknet; ein Oeltropfen dazwischen gebracht, machte es auf’s Neue unmöglich.

4) Jetzt wurden sie so in die Glocke einer Luftpumpe ge-

hängt, mit einer angehängten Belastung von 7 Pfd. Der Blech- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1865. 35

538 E. Rose:

kranz schützte gegen das Abgleiten, ein Pappkranz die Glocke gegen etwaiges Herabfallen; in der That trat es ein, als das Quecksilber auf 6 Zoll gesunken war. Merkwürdig war es da- bei, dass fast an einer Hälfte der einen Platte Newton’sche Ringe zu sehen waren. Es war also auch zwischen Kitt und Glas eine Trennung eingetreten.

Ich wollte darauf den Versuch mit Wasser wiederholen. Da es mir jedoch nicht gelang, die Oelschicht an den anscheinend reinen und trockenen Platten so zu entfernen, dass sie vom Wasser benetzt wurden, und sie ausserdem nicht ganz vollstän- dig eben sein sollten, liess ich sie abschleifen und möglichst glatt poliren, wozu schliesslich nur noch Wasser angewendet wurde.

5) Drückte man sie danach fest mit Wasser benetzt an ein- ander und liess sie so kurze Zeit trocknen, so konnte man sie kaum wieder von einander entfernen. 24 Stunden nachdem dies geschehen, wurden sie unter die Luftpumpe gebracht und mit 8 Pfund belastet, trennten sie sich nicht, während man den Luftdruck bis auf 7 Linien sinken liess. Weiter liess sich die Verdünnung nicht treiben, muthmaasslieh weil der Stoek, an dem die Platten in der Glocke hingen, nicht besser schloss.

6) Unmittelbar darauf wurde die Tragkraft in freier Luft durch Anhängen einer Wagschale gemessen; bei Belastung mit 19 Pfd. trennten sich jetzt die Flächen, die ziemlich trocken zu sein schienen; 17 Pfd. hatten sie getragen.

7) Darauf wurden sie frisch mit Wasser der Wasserleitung benetzt, mit 3 Pfd. belastet und unter die Luftpumpe gebracht. Bei 8!/, Zoll Barometerstand rissen sie sich dagegen jetzt los.!)

S)Mit Watte abgetrocknet, wurden sie jetzt mit ganz altem dickflüssigen Knochenfett bestrichen und wieder mit der Last von 8 Pfd. unter die Luftpumpe gebracht. Diesmal musste län-

1) Huyghens benutzte bei seinen Versuchen stets ausgekochtes Wasser oder Wasser, das 24 Stunden im luftleeren Recipienten der Luftpumpe gestanden hatte. Die kleinste kaum sichtbare Luftblase verhinderte das Zustandekommen seines Versuches mit der umgekehr- ten Kugelröhre im luftleeren Raume. Cf. Journal des Scavans, 1672. Se 19D.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 539

ger. gepumpt werden, jedoch auch sie rissen sich aus einander, als der Luftdruck auf 1!/, Zoll Quecksilber sank.

9) Nach 8 Stunden bemühte ich mich so noch in freier Luft die Tragkraft der Platten zu bestimmen. 50 Pfd. trugen sie, ‚ich stieg bis 63, dann 65. Mehr Gewichte besass ich nicht, allein während ich schwerere suchte, rissen die Platten aus ein- ander, und zerschellten vielleicht durch Auffallew auf die Erde.

An den Scherben konnte man sehen, dass die Platten nur mit einer sehr dünnen und sehr ausgetrockneten Fettschicht waren bedeckt gewesen.

Interessant war es mir, das grösste Scherbenstück, von dem der Kitt abgesprungen, so dass es durchsichtig war, wie bisher gegen die unversehrte zweite Platte zu drücken. Nur nach sehr grosser Mühe gelang es mir durch Drücken und Schieben in der Fettschicht all die zahlreichen kleinen Bläschen zu entfernen, welche beim Anlegen kaum zu vermeiden waren, wenigstens so weit man es mit dem Gesicht verfolgen kann.

‘Im Ganzen gleichen diese Versuche den Weber’schen mit dem Schenkelkopf, nur dass die Oberfläche der Platten (r?r, wo r=2Zoll) noch einmal so gross als die Oberfläche der Pfan- nen (einer Halbkugel, deren Radius gerade 1 Zoll an dem oben von mir benutzten Präparat war (also 2,?z: wo „= 1 Zoll).

Berechnet man danach den Luftdruck, so wäre die untere Platte von 190 Pfd., der Schenkelkopf von 95 Pfd. gehoben worden, wenn man den Luftdruck für 1 Quadratzoll 15'/, Pfd. gleichstellt.

Rechnet man die Platte zu '!/, Pfd., so riss sie also von 190 Pfd. getragen nicht ab, fiel jedoch im

4. Versuch, obgleich sie von 33"),

7: - - - 50,

8. - - Fira= 1 -Atkid. Kraft (nach Aufhebung der übrigen) aufwärts getrieben wurde, doch abwärts.

1) Dem Druck von 6 Zoll Quecksilber entsprechen für die Fläche 404 Pfd., davon fallen fort #-Pfd. Gewicht und 7 Pfd. Last,

35*

540 E. Rose:

Im 6. fiel sie sogar, trotzdem sie von 170 Pfd. aufwärts ge- trieben wurde.

Und umgekehrt fiel sie im 5. wieder gerade nicht, obgleich sie von 4'/, Pfd. herabgezogen wurde.

Aus dieser einfachen Rechnung, die zu solchen Widersprü- chen führt, folgt einmal, dass hier irgend ein Vorgang stattge- funden und im entgegengesetzten Sinne gewirkt haben muss, der die auftreibende Kraft des Luftdruckes überbietet. Wie lies- sen sich sonst der 4., 7. und 8. Versuch erklären.

Zweitens folgt aber aus dem 5. und 6., dass auch, wenn der Luftdruck aufgehoben, doch noch eine andere Kraft da ist, welche die Platten zusammenhält.

Was vorgegangen, ist sehr einfach; unausbleiblich und wohl

auch eigentlich der Grund, warum man die Taylor’sche Me- thode der Anwendung zweier Platten vorgezogen hat. Die Versuche mit zwei Platten geben im Gegensatz zu der Taylor’schen Methode stets unreine Resultate. Nie hat man es dabei einfach mit Adhäsion zweier Metallplatten zu thun, selten und nie kann man es vorher wissen, wenn es ge- schieht, blos mit der Summe der Cohäsion der Flüssigkeit in sich und ihrer Adhäsion an die Glasplatten. Meist hat man es dabei mit einem bunten Gemisch von Kräften zu thun, wie sich leicht nachweisen lässt und schon daraus folgt, dass man in der Physik nicht die Platten so eben darstellen kann, als es die mathematische Theorie voraussetzt.

Da die Molecularkräfte in endlicher Entfernung wirken, wie denn oben die angekitteten Platten hielten, obgleich sie soweit gelockert, dass man Newton’sche Farbenringe dazwischen sah?),, und Musschenbroeck noch starke, wenn auch geschwächte Wirkungen maass, selbst wenn er seine Cylinder durch zwi- schengelegte einfache, doppelte und dreifache Seidenfäden etwas von einander entfernte?), so sind bei dem Abreissen soge-

1) Ein Umstand, der auch schon von E. Mitscherlich in Pog- gsendorff’s Annalen, 55, S. 216 angegeben ist. 2) Musschenbr. Elementa Phys. $. 498.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 541

nannter Adhäsionsplatten:) stets dreierlei Kräftegruppen zu überwinden, nämlich

1) die Attraction beider Platten, wo sie sich unmittelbar in Zacken (Unebenheiten) berühren oder nur soweit getrennt sind, dass sich die Zacken der einen bis in die Wirkungs- sphäre der andern erstrecken.

2) Die Attraction jeder Platte mit den Molecülen des Binde- mittels, soweit ihre gegenseitige Wirkungssphäre jedes- mal reicht, und endlich

3) die Attraction der einzelnen Molecüle der Flüssigkeit unter sich.

Die Attraction der Plattenmoleeüle unter sich kommt nur dann in Betracht, wenn jene so gross, dass beim Abreissen Plattenstücke mit abreissen, wie es wohl bei Spiegelscheiben vorkommt.

Jene drei Kräftegruppen sind aber ohne Ausnahme stets thä- tig, weil es mechanisch unmöglich ist, ebene?) Adhäsionsplatten im’ Sinne der mathematischen Physik herzustellen.

Wenn aber auch die bestpolirtesten Platten stets mit (un- sichtbaren) Buckeln und Zacken bedeckt, da ja das Poliren in einem möglichst gleichmässigen Schrammenmachen mittelst Putz- pulver besteht, so ist auch stets ein Bindemittel da, welches mitspielt, und zwar zunächst wenigstens die Luft und Wasser- dämpfe, wie sie sich ja auf jeder freien Oberfläche verdichten.

Dass in der That die Unterscheidung zwischen Cohäsion und Adhäsion bei Plattenpaaren eine mathematische Fiction und nicht darstellbar ist, folgt daraus, dass es auf die Dauer keine absolut reinen und ebenen Flächen giebt?), und deshalb ein

1) Vorausgesetzt, dass sie nicht eben ganz frisch chemisch oder mechanisch hergestellt.

2) Könnte man an zwei Gegenständen zwei wirklich parallele und ebene Flächen anschleifen, so dürfte man sie dabei nicht in die Nähe des Athems bringen, geschweige anfassen, weil bei feinen physikali- schen Instrumenten (Libellen) sichtlich schon die höhere Wärme der ausgeathmeten Luft genügt, die Gestaltung der Flächen sofort auffal- lend und messbar zu verändern.

3) Die Kunst des Vergolders, Spiegelfabrikanten besteht darin, die Adhäsion zur Wirkung zu bringen unmittelbar noch ehe die Platten beschlagen. Chemische Reinheit besteht nur in statu nascenti.

542 E. Rose:

Plattenpaar, wenn es sehr gut ist, doch schlecht haftet, wenn es mässig ist, freilich gar nicht.

Herr Mechanikus Oertling besitzt eine planconvexe Glas- linse, welche so genau in eine planconcave Glasplatte passt (ein Prisma mit veränderlichem Winkel) dass es nur eines leisen Hauchs bedarf, um beide Platten an einander haften zu machen. Da man ihn nicht sieht, kann man ihn nach der gewaltsamen Trennung auch nicht zerrissen sehen. Wie bunt das Gemisch der Kräfte bei den besten Cohäsionsplatten wirkt, konnte man selbst dann sehen, als er meine Platten mit der ausserordent- lichsten Sorgfalt eben polirt hatte, an den wunderbar verästel- ten Figuren, die man stets nach dem Abreissen darauf sieht. Vor dem Poliren bildeten sie meist eine Art Baum, der sich auf beiden Seiten entsprach und zwischen den Aesten anschei- nend trockene, aber doch nur scheinbar reine Flächen liess. Die reinen und die nassen Flächen beiderseits deckten sich. Nachher (8) sah man ein eckiges Netz über die Flächen ge- spannt, welches moosartigen Figuren als Grundlage diente und in der Mitte der Maschen stets einen anscheinend trockenen Punkt hinterliess.

Diese Figuren entstehen auch bei ganz neuen Platten, mag man als Bindemittel den Hauch des Mundes oder reines Was- ser benutzen.

Es ist das ein sichtbares Zeichen, dass die Platten nicht an allen Stellen zugleich abreissen, also dass die Kräfte nicht auf all’ ihren Punkten gleichmässig vertheilt sind.

Je diekere Schichten das Bindemittel a desto undeut- licher werden die Figuren.')

1) Bei de Taylor’schen Verfahren mit Abreissen einer Platte von Flüssigkeiten verhält es sich anders, weshalb man annimmt (nach Dutour), dass man (bei benetzenden Flüssigkeiten) dabei ihre Cohä- sion allein, nicht die Adhäsion misst. Allein Dutour’s Worte selbst lassen einige Zweifel über die Constanz zu: Chacun en s’en deta- chant en a entraine une couche ou des gouttes, qui restaient adhe- rentes & sa surface. Haben sich hier die Tropfen aus dem Ueber- zug erst mit der Zeit gebildet, oder hat er auch sofort nach dem Ab- reissen ähnliche Figuren bemerkt? Journal de phys. p. 235. A. 1780. Tom, 15.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 543

Da man es nun stets bei solchen Versuchen mit einem Bindemittel zu thun, so leiden all’ die Versuche auch an der Veränderlichkeit desselben. Bei Anwendung derselben Platten kann man die erste und letzte Gruppe von Attractionskräften vernachlässigen, während es sich hauptsächlich um die At- traction der Molecüle des Bindemittels unter sich und mit den Platten handelt.

Andrerseits folgt aber aus dem Umstande, dass stets ein elastisch- oder tropfbar-flüssiges Bindemittel vorhanden, die Widerlegung einer Annahme von Musschenbroek über den Luftdruck, den er bei der Adhäsion als Ursache zwar zurück- wies, als Helfer jedoch zuliess').,. Denn da sich jeder Druck in Flüssigkeiten gleichmässig nach allen Seiten fortpflanzt, so ist der Druck von 28 Zoll Quecksilber, wie es das Barometer zeigt, nicht bloss auf der oberen Fläche der oberen und der unteren Fläche der unteren Platte, sowie den concaven Rändern des Bindemittels vorhanden, sondern auch auf allen übrigen Be- grenzungsflächen desselben, so dass also der Luftdruck mittelst des Bindemittels grade so stark die Platten auseinandertreibt, als er sie zusammenpresst.

Demnach ist bei allen Adhäsionsplattenpaaren, also über- haupt bei der Cohärenz?), der Luftdruck nicht von Belang.

Betrachten wir nun aber jetzt" die Veränderungen, welche bei Wiederholung der Versuche im luftleeren Raum eintreten.

Zunächst verwandelt sich das relative Gewicht der Luft in das absolute, weil alle Körper nach dem Archimedischen Prin- cip soviel Gewicht in einer Flüssigkeit verlieren als der ver- drängte Raum wiegt. Dieser Unterschied ist aber bei dem klei- nen Volum der verdrängten Luft verschwindend klein und kommt also nicht in Betracht. Die Attraction der Platten und

1) Introductio ad cohaerent. c. f. p. 461. Deshalb ist in Gehler's physikalischem Wörterbuch, Art. Adhäsion (I. S. 174), auch bei Mit- theilung seiner Versuche der Luftdruck mit 41 Pfd. bei Berechnung der Adhäsionskraft abgezogen.

2) Mit Ausnahme höchstens der Adhäsion fester Körper unter sich auf frischen Flächen, bei denen jedoch auch Triewald keinen Un- terschied im luftleeren Raum wahrnahm. Cf, 1. e.

544 E. Rose:

der festen Partikeln im Bindemittel (bei dickflüssigen Schmieren) ändert sich nicht, wohl aber die übrigen Bestandtheile des- selben. Je schneller der Luftdruck abnimmt, desto stärker fangen die Flüssigkeiten an zu verdampfen, und die Gase, die sie stets absorbirt enthalten, auszustossen; desto mehr dehnen sich die Gase aus und das um so gewaltsamer, je plötzlicher die Variation im Luftdruck zu Stande kommt. |

Während daher vorher die elastischen Bestandtheile der Schmiere, und jede enthält welche absorbirt, besonders aber die organischen indifferent waren, und die flüssigen und festen die Cohärenz mit Erhaltung der Beweglichkeit vermit- teln, werden jene jetzt störend mit sprengendem Einfluss thätig und dabei noch von den flüssigen so lange unterstützt, bis die Hüssigen Antheile durch Verdampfung verschwunden sind. Da nun die Cohärenzsphären endlich, aber äusserst klein sind, so braucht diese sprengende Thätigkeit der Gasentwicklung und Verdampfung nur wenig Wirkung zu haben um auch die erste Gruppe von Molecularkräften unwirksam zu machen, welche thätig sind zwischen benachbarten und sehr nahen Punkten un- ter den Unebenheiten der polirten Platten, und das Auseinander- fallen derselben zu bewirken. Zugleich sieht man daraus, dass der Zerfall wesentlich eine Folge der Schnelligkeit der Veränderung ist. Deshalb ist selbst dieser ganze Vorgang fär die Theorie der klimatischen Kurorte gänzlich ohne Belang, indem deren Erreichung doch immer an eine sehr lange Zeit gebunden ist.!)

1) Die beiden Nutzanwendungen der Lehre von der Aequilibrirung des Beins im Hüftgelenk durch den Druck der atmosphärischen Luft lassen sich auch sonst leicht widerlegen.

Ueber die Weber’sche Theorie „des freiwilligen Hinkens oder des Hüftwehs“ kann ich wohl schweigen, wenn sie sich auch sogar unter dem Publicum einer merkwürdigen Popularität erfreut.

Es genüge der Bericht über eine gerichtliche Section, von der ich jüngst Zeuge war. Ein Brunnenmacher mit Malum coxae war bei der Arbeit durch den Einsturz der benachbarten Mauer begraben und todt aus dem Schutt hervorgezogen. Ausser andern Verletzungen hatte er eine Beckenverrenkung nach hinten in der Art, dass die ohrförmi- gen Flächen des Kreuzbeins frei im Becken lagen und einen Pfannen-

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 545

Wenn nun diese Veränderlichkeit der Schmiere wirklich der Grund des auffallenden Versuchs mit Adhäsionsplatten sowohl

bruch der linken Seite. In den fingerbreiten Spalten zwischen seinen 3 Bruchstücken sah man den Oberschenkelkopf liegen und überall die drei Pfannenstücke berühren, trotzdem so durch den Bruch nicht blos das Gelenk eröffnet, sondern durch die Krankheit der Kopf am Hals und Knorpelrand usurirt und neben dem Ansatz des Lig. teres der Knorpel ganz unterminirt war durch die Erosion des Knochens, Das Präparat befindet sich in meinem Besitz.

Es giebt noch eine andere Anwendung, die allgemein bei dem Glauben an die Lehre ich will nicht sagen bei der Ueberzeugung fast stets davon gemacht wird —, ich meine bei Gelegenheit der Theorie der klimatischen Kurorte, und ja auch schon sofort nach Mit- theilung der Versuche von Alex. v. Humboldt gemacht worden ist zur Erklärung der Ermüdung beim Besteigen hoher Berge.

Mir scheint, dass dieselbe nur Anfangs durch die ungewohnte Be- wegung veranlasst wird. Sje hängt vom Steigen und nicht von der Höhe ab. Biot und Gay-Lussac, die im Luftballon höher als Humboldt gewesen, haben Nichts davon bemerkt.

Die Gebrüder Weber drücken sich darüber so aus:

„Durch die Aequilibrirung seines Gewichtes erhält das Bein eine so vollkommene Drehbarkeit in seiner Pfanne, als zur Ausführung so geregelter Bewegungen, als das Gehen und Laufen sind, erforderlich ist. Wenn man sich nun denkt, dass der Luftdruck, unter welchem wir uns befinden, vermindert werde, so muss ein Punkt eintreten, wo derselbe der Schwere des Beins nicht mehr das Gleichgewicht halten kann.“

Be#+ 24 Zoll Barometerstand trägt die Luft das Bein, „für jeden Zoll tieferen Barometerstand müssen die Muskeln durch ihre Thätig- keit wenigstens $ Pfund mehr tragen.“

Warum die Muskeln und nicht zunächst die Bänder?

Betrachten wir einmal einen reellen Fall!

Beispielsweise also geht der Kurgast in Gastein (etwas über 3000’, durchschnittlich 25 Zoll) mit Luftdruck, auf den benachbarten Bergen fängt die Last an; auf der Schneekoppe trägt man 2, auf dem Piz Languard (10,000') 8 Pfd. mit sich herum! Und diese kleine Zugabe entgeht einem dort so ganz und gar

Werden die Muskeln beim Spazierengeben in Gastein müde, so fallen beide Schenkelköpfe heraus, und der Kranke kann sehen , wie er mit verrenkten Öberschenkeln wieder nach Hause kommt.

Gilt nun aber gar die Theorie des Luftdrucks auch für andere Gelenke, so mag man sich ausrechnen, wie centnerschwer die frische freie Bergesluft sich Einem an die Glieder hängt,

546 E. Rose:

wie mit dem Weber’schen Schenkelpräparat ist, so muss die- selbe auch nachweisbar sein. Sie ist es für das Gesicht an der Austrocknung, welche sich nach dem Auspumpen unter der Luftglocke an den Platten zeigt, ebenso wie nach längerem Lie- gen in freier Luft, wo die dünne Schicht des Knochenfetts bei der relativ grossen Oberfläche trotz der Berührung der Platten ganz diekflüssig und klebrig wird und lässt sich auch dadurch mes- sen, dass dieselben Platten nach achttägigem Liegen (3) sich von einander abreissen liessen, bei denen es vorher unmöglich war. Und ist in der That im 5., 6. und 7. Versuch gemessen, indem bei Anwendung einer äusserst dünnen Wasserschicht sie sich weder so, noch durch 8 Pfd. unter der Luftpumpe ab- reissen liessen. Nach der Herausnahme trugen sie jedoch im Freien nur 19 Pfd., sie, die sich vorher nicht durch die Kraft

Diese ganze Rechnung basirt darauf, dass der Luftdruck von allen Seiten auf den Oberschenkel drücke, ihm also im Gelenke einen Auf- trieb gebe.

Allein man sollte doch denken, dass die Luft mit dem Knochen überhaupt nicht in Berührung kommt, wenn man annimmt, dass die harte Oberhaut ihr undurchgängig. Da aber die Haut dafür durch- gängig, so ist gar nicht abzusehen, warum sie nicht erst recht in den Blutgefässen und Weichtheilen der Knöchen und Pfannengrube mit demselben Drucke sein solle? Triebe der Luftdruck den Knochen nicht am Ende sonst gar ebenso gegen den Unterschenkel als gegen das Becken, da er doch mit Beiden durch Gelenkkapseln ohne freie Luft verbunden ist?

Zeigt sich so die Unrichtigkeit der Theorie, welche dem Luftdruck zumuthet, was von der Cohärenz herrührt, schon in ihren Consequen- zen, so könnte man doch veranlasst sein, der Gasentwiekelung im Gelenk unter der Luftpumpe einige Wichtigkeit bei dieser Frage zu- zugestehen. Allein da sie wesentlich von der Schnelligkeit der Luft- verdünnung abhängt, kann sie hier von keinem Belang sein, da wir doch nicht im Stande sind, uns entsprechend schnell in so luftver- dünnte Regionen zu versetzen.

Der Leser wird diese Abschweifung verzeihlich und anderetseits erklärlich finden, wenn er (wie ich) allein dies Frühjahr drei Vorträge über Alpenklima und Verwandtes mit angehört hätte, in denen diese Humboldt-Weber’sche Theorie wie ein unumstössliches und zwei- felloses Grundgesetz behandelt wird, wo denn doch diese Consequen- zen so nahe liegen!

Die Mechanik des Hüftgelenkes, 547

zweier Männer hatten trennen lassen, das beste Zeichen, dass unter der Luftpumpe materielle und wesentliche Veränderun- gen im Bindemittel vor sich gegangen waren, nämlich eine Verwandlung eines Theils Wasser in Gas, Veränderungen, die jedoch bei dem geringen Material nicht stürmisch genug vor sich gegangen waren, um ein Sprengen hervorzubringen.

Ein Controllversuch mit reichlichem Bindemittel von luft- haltigem Wasser zeigte sofort einen grossen Unterschied im Verhalten unter der Luftpumpe, indem die sprengende Kraft der Verdampfung und Gasentwicklung schon bei 8!/, Zoll Quecksilberdruck ihr Ziel erreichte. Zu erwähnen ist, dass, weil der Apparat sehr gut, aber freilich nicht absolut luftdicht schloss, die Luft ohne Absetzen stets hintereinander weg, so schnell es die Kräfte erlaubten, ausgepumpt wurde, wodurch also nur noch die sprengende Thätigkeit des sich entwickelnden Gases befördert wurde.

Aus dem Allen schliesse ich, dass der Weber’sche Ver- such mit dem Schenkelpräparat im luftverdünnten Raum nur die Veränderlichkeit der Gelenkschmiere bestätigt hat.

Nicht der Auftrieb der Luft mindert sich, sondern die At- traction wird gestört.

So hat der Weber’sche Schenkelkopfversuch also eine Ana- logie in dem alten Versuch von Johann Christoph Stur- mius!), der ein mit doppelter Blase verschlossenes Gefäss in den Recipienten einer Luftpumpe brachte und das Ganze bei schnellem Auspumpen mit grossem Lärm .springen sah, jedoch nur eine Analogie, insofern die Luft im Gelenk nicht frei ent- halten ist.

Die Mechanik des Gehens ist nicht das einzige Kapitel in der Physik, in dem man dem Luftdruck allein zuschreibt, wo wesentlich oder ausschliesslich?) eine Wirkung der Adhäsion vorliegt.

1) Philos. Transact. abridgd. Vol. Il. 252. 2) Magdeburger Halbkugeln von 3 Zoll Durchmesser werden nicht

548 E. Rose:

Folgeudes Beispiel genüge, weil es eine Verwandtschaft mit unserm Thema hat:

In den Lehrbüchern') wird ein einfaches Experiment so be- schrieben:

„Wenn man ein geschliffenes Trinkglas, dessen Rand recht gleichförmig ist, ganz mit Wasser füllt, ein Papier darauf deckt und dann das Glas umkehrt, so läuft das Wasser nicht aus; der gegen die untere Fläche des Papiers wirkende Luftdruck hindert das Herabfallen der Wassermasse. Das Papier ist nur deshalb nöthig, um zu verhindern, dass das Wasser beim Um- kehren des Glases an den Seiten ausläuft und statt desen Luft- blasen in das Gefäss eindringen.“?)

nur in der Kraft eines Centners durch den Luftdruck zusammenge- halten, sondern sehr viel stärker, wenn die Ränder selbst mit Wachs auf einander vereint sind, so dass dann noch deren Cohärenz hinzu- kommt, während man eigentlich nur die Vereinigungsfläche an ihrer Peripherie gegen den Luftzutritt äusserlich damit bedecken darf.

1) z. B. Müller-Pouillet. 1852. I. 74. 164.

2) Wenn das richtig wäre, müsste ein Papierkranz dasselbe leisten. Macht man aber in der Karte ein centrales Loch, so stürzt Wasser und Karte herab, vorausgesetzt, das Loch sei nicht so fein, dass es durch einen capillaren Tropfen schon ausgefüllt gird.

Zwei nasse mattgeschliffene Glasplatten haften an einander, auch wenn die untere mitten ein grosses Loch hat.

Nimmt man endlich ein unten abgesprengtes, also ziemlich rauhes Glas, so kann man auch damit die Versuche (bei Vorsicht) wiederho- len, obgleich man bei Luftverminderung innen durch die Schrammen des Randes leicht Luft zwischen Glasrand und Karte eindringen ma- chen kann.

Uebrigens ist das Papier auch nach dem Umkehren nothwendig, und ebenso, wenn man das ganze Experiment ohne Umkehren macht, etwa in folgender Art:

Ich habe mir einen Glascylinder von 25 Cm. Länge und 1 Cm. Dicke bei 4 Cm. Lichtung (im Durchmesser) machen und unten und oben möglichst glatt poliren lassen.

Eine Folge der Dicke war es, dass unter seiner Oeffnung nicht blos eine nasse Karte, ein Glimmerblatt haften blieb, wie auch bei dem Hahngefäss (das noch weiter unten beschrieben werden wird, und 1 Linie etwa dick war) wenn man den Hahn offen liess, sondern (bei einiger Vorsicht im Fortdrehen und Drücken) selbst die schwere 2 Li- nien dicke polirte Glasplatte,

Die Mechanik des Hüftgelenkes, 549

Der Versuch gelingt am besten wenn sich Papier und Glas- rand benetzen. Ä

Davon, dass dabei nur eine Wirkung der Cohärenz im Spiele ist und der Luftdruck unschuldig, kann man aus folgen- der Modification sich überzeugen.

Man schiebe vorsichtig die vorher entsprechend benetzte Karte auf das theilweis gefüllte Glas und kehre es um, während man durch den Handteller so lange dabei Karte und Glasrand aneinander presst, dass nichts aus noch ein kann, bis die Karte vom Wasser allseitig bedeckt ist; lässt man nun die Hand fort, so sitzt die Karte auch fest.

Sie sitzt fest, mag das Verhältniss von Luft und Wasser im Glas verschwindend gross oder klein sein. Sie sitzt fest, wenn nur eine Luftblase im Wasser ist, und sitzt fest, wenn man gar keins sieht, so lange nur Glas und Karte benetzt.')

Wenn man nicht so ungeschickt gewesen ist, etwas beim Umkehren zu verschütten, so ist vor- und nachher das Verhält- niss von Luft und Wasser zwischen Glas und Karte dasselbe.

Jetzt machte ich eine Platte Kartenpapier mitten nass, drückte sie von unten gegen den senkrecht gehaltenen Cylinder und trug ihn mit der Glasplatte, die ich trocken unter die untere trockene Fläche der Karte gebracht hatte. Nachdem ich darauf den Cylinder zu #, 1, 3 oder ganz hatte füllen lassen, liess ich wieder nasses Kartenpa- pier über die obere Oeffnung schieben.

Bei einiger Vorsicht denn jede kleine Erschütterung zerstört solche Versuche gelingt es jetzt, durch Senken der unterstützen- den Hand die Glasplatte zu entfernen.

Danach schwebt jetzt eine Wassersäule von über 300 Ccm.; nur seitlich vom Glase, oben und unten von Kartenpapier gehalten.

Dabei ist es gleichgültig, in welchem Verhältniss Wasser und Luft zusammen eingeschlossen sind.

Statt eines nassen Kartenpapiers kann man auch mehrere durch Wasser zusammenhaftende darauf legen.

1) Ich habe statt der Karten auch Glimmerplatten benutzt, ohne einen Unterschied wahrzunehmen, nur dass diese schwerer, und man also etwas vorsichtiger verfahren muss. Kartenpapier ist deshalb bes- ser, weil man es sofort darauf sehen würde, wenn beim Umkehren einige Tropfen aus uud über den trockenen Kartenrand geflossen wären.

550 E. Rose:

Nach dem Mariotte’schen Gesetz entsprieht demselben Volum derselben Luft ein gleicher Druck, also ist nach der Umkehr der Druck im Glase derselbe wie draussen. Demnach ist der Auftrieb gegen die Karte so stark als der Luftdruck auf dem Niveau des Wassers. Schliesslich trägt also die Karte nicht blos sich, sondern die ganze Wassersäule und zwar durch Adhäsion am Glase, ohne dass eine Differenz im Luft- druck vorläge.

Die Adhäsion ist dabei verstärkt durch die Cohäsion eines flüssigen Bindemittels, gerade wie am Hüftgelenk durch die Synovia. Das Hüftgelenk, wie die Combination von Glas und Karte, stellt Nichts als eine räumliche Modification der Ver- suche mit dem Plattenpaar dar.

Wenden wir das auf unseren Fall an, so zeigt sich, dass das Hüftgelenk keine „Luftpumpe*“ ist, weil der luftverdünnte Hohlraum fehlt.

Wäre überhaupt ein Hohlraum da, so könnte er dauernd nicht Luft enthalten, am wenigsten verdünnte, da nachrückende Synovia sofort den Druckunterschied ausgleichen und die Luft absorbiren würde.

Aber selbst, wenn ein Hohlraum da wäre und er freie Luft enthielte, zeigt der Versuch mit dem Glase Wasser, dass nur Adhäsion, nicht der Luftdruck beim Haften in Anrechnung käme.

Man kann diesen Versuch auch mehrfach modificiren, be- sonders ist es eine Art, welche uns hier interessirt.

Man nimmt statt des Glases Wasser ein Gefäss von der Form einer Arzneiflasche mit abgesprengtem, aber polirtem Bo- den und steckt eine grade !/, Zoll starke kurze Glasröhre durch den Pfropfen luftdicht hinein, welche mit einem Hahn geöffnet oder geschlossen werden kann.

Wiederholt man jetzt den Versuch und öffnet danach den Hahn, so stürzt Karte und Wasser herab. Damit sei bewiesen, ist mir eingewandt worden, dass der Luftdruck beide getragen. Zunächst ist zu erwähnen, dass, wenn man ihn recht vorsiehtig

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 551

und langsam öffnet, kein Sturz eintritt, sondern das Wasser zwischen Rand und Karte herausrinnt, besonders wenn man das Ganze ein Wenig neigt. Auch eine Glimmerplatte haftet, aber nicht eine starke (2"') Glasplatte.

Dann verbinde man jetzt das Glasrohrende mit einem an- dern (etwa 1'/, Fuss langen) Glasrohr durch ein Kautschuck- rohr luftdicht.

Wenn man nun das Glas- und Kautschuckrohr bis zum ge- schlossenen Hahn mit Wasser gefüllt hat, aus der Leitung muss jede Luftblase herausgeschwemmt sein und das zackige Ende des Glasrohrs unter das Niveau in ein Becken mit Wasser geleitet hat, so mache man jetzt mit dem neuen Gefäss den Versuch mit einer trockenrandigen Karte, ohne Luftblasen beim Umkehren eindringen zu lassen.

Danach kann man beliebig den Hahn öffnen und schliessen, ohne dass die Karte durch etwaigen Abfluss nass wird,

Daraus folgt, dass das Wasser beim Glasversuch nur durch Cohärenz und nicht durch Luftdruck gehalten wird. Denn das Niveau im Becken steht unter dem Druck der Atmosphäre, also bei der gleichmässigen Druckfortpflanzung in Flüssigkeiten

552 E. Rose:

auch der Wasserinhalt der Röhren vor dem Oeffnen des Hahns, und nachher der Inhalt des Gefässes.

Hätte sich nun der Druck im Gefäss verändert, so müsste dabei entweder zwischen Gefässrand und Karte Luft in Blasen eingesaugt oder Wasser ausgetreten sein. Da Beides nicht stattgefunden hat, denn weder ist die Karte am Rand nass geworden, noch sieht man danach Luftbläschen zwischen Glas- rand und Karte hineinschlüpfen muss sich das Wasser schon vorher unter dem Druck einer Atmosphäre befunden haben. Also hat es damit die obere Fläche der Karte gedrückt, so dass von einer haltenden Wirkung des Luftdrucks gegen ihre untere Fläche nicht die Rede sein kann.

Es folgt daraus, dass der Luftdruck auf das Niveau der Flüssigkeit, zwischen Karte und Glasrand hindurch sich fort- pflanzt in das Glas auf alle Flüssigkeitsgrenzen.

Die einzige Kraft, welche trägt, ist die durch Wasser ver- mittelte Attraction zwischen Glas und Karte, und die Last, welche getragen wird, ist das Gewicht der ganzen Karte und der Wassersäule im Glase.

Da das Ganze nur eine Abänderung des Weber’schen Ver- suchs mit dem durchbohrten Gelenkpräparat ist, eine Ver- besserung, weil man den Hahn leiser öffnen kann, als dort den Finger wegziehen so dass man in diesem Fall leichter eine Erschütterung vermeidet, die immer so störend, so folgt, dass auch hier dasselbe gilt.

Die einzige Kraft welche nach Eröffnung des Gelenks den Schenkel trägt, ist die durch die Synovia vermittelte At- traction zwischen Pfanne und Kopf, und die Last, welche getra- gen wird, ist dann das Gewicht des Schenkels.

Es giebt zwei Merkmale, an denen man überhaupt, und so auch am Schenkelpräparat, sofort sieht, dass-man es mit At- traction und nicht mit Luftdruck zu thun hat. Erstens das so ungemein leichte Abgleiten, und dann der so sehr störende Einfluss der leisesten Erschütterung.

Wird etwas durch Luftdruck gehalten, so sitzt es ganz an- ders fest.

Um sich davon zu überzeugen, nehme man eine so leichte Gaslplatte, dass sie eben noch bei offenem Hahngefäss haftet.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 553

Wie muss man sich vor jeder Erschütterung selbst nach Schluss des Hahns hüten; bei jeder leisen Neigung läuft sie unten hin und her.

Saugt man aber jetzt vor dem Schlusse etwas am Hahnrohre, so sitzt die Platte so unbeweglich fest, dass man das Ganze be- liebig schwenken kann, ein wirklich sehr auffallender Unter- schied.

Dass die Karte am Hahngefäss weder luft- noch wasserdicht schliesst, sahen wir schon vor dem Ansetzen des Kautschuck- rohrs. Man kann sich auch jetzt leicht davon überzeugen, wenn man nur das Gefäss ausserhalb des Beckens füllt und umkehrt.

Der Hergang ist derselbe, so lange die Karte nicht unter. das Niveau des Beckens sinkt. Hält man das Becken höher, so fliesst alles Wasser aus dem Becken durch die Leitung ab und dann zwischen Karte und Glasrand aus. Erhebt man das Gefäss nicht wieder, so tritt zuletzt vom Becken aus Luft ein, und der Wasserrest aus dem Gefäss stürzt herab. Hält man dagegen die Karte sehr viel höher, so dringen zahlreiche Luft- blasen zwischen Gefässrand und Karte ein, die sich dabei in die Gefässlichtung wölbt.

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 36

554 E. Rose:

Dies Verhältniss ist unabhängig von der Länge des Kaut- schuckrohrs, eine kleine Störung bewirkt die Capillarattraction der Leitungsröhren.

Alle diese Versuche misslingen, sowie das Kautschuckrohr mit Luft gefüllt. Sowie dann der Hahn geöffnet, steigt das Wasser aus dem Becken in das Rohr, und etwas fliesst auf die Karte ab, bis die Luft den höchsten Theil der Leituig ein- genommen hat und ein Gleichgewicht eingetreten, wonach man dann Becken und Gefäss nach Belieben über- oder untereinan- der bringen kann. Ist aber keine Luft darin, so geschieht das- selbe, wie oben erwähnt, ehe der Kautschuckschlauch angelegt. Man sieht jetzt aber den Grund; es ist die von der Niveau- differenz abhängige Schwere der Wasserlast, welche beim offe- nen Hahn das Verschwinden des Wassers verursacht und zwar um so mehr sturzweis, je plötzlicher sie eintritt, wenn das Hahngefäss tiefer ist; wenn es aber höher, negativ wird und eine saugende Wirkung auf die untere Begrenzungsfläche (Karte und Wasserschicht) ausübt.

Die Schwere des Wasser ist es, die den Sieg über die bei der geringen Oberfläche des Glasrandes so geringe Attraction der Karte davonträgt.!)

Sie würde dasselbe bei geschlossenem Hahn hervorrufen, wenn dabei nicht die Attractionsfläche beträchtlich stiege.

Der abgeschlossene Hohlraum stellt dann dasselbe nur ver- grössert dar, was die kleinen zwischen gläsernen Adhärenzplat- ten sichtlichen Blasen sonst thun.

Bei gleichem Barometerdruck sind sie indifferent und nur insofern von Belang, als sie die Summen der attrahirenden Molecüle verringern.

1) Das Ganze stellt dann einen Heber dar, der doch auch nur durch die ungleiche Schwere der beiden Flüssigkeitssäulen und die _ stärkere Cohäsion der Flüssigkeit in sich in Gang kommt, wenn beide Enden verschiedenes Niveau haben. Auch hier ist (trotz Müller- Pouillet, I. 165) der Luftdruck unschuldig, der ja an beiden Schen- keln gleich stark wirkt; wie schon Huygens nachgewiesen hat (Phil. Transact. abridgd. II. 24), dass der Heber auch im luftleeren Raum läuft.

Die Mechanik des Hüftgelenkes. 555

Die Karte adhärirt dann mit ihrer ganzen Fläche.

Ist der Hohlraum aber offen, so adhärirt sie nur kranzför- mig am Gefässrand.

Schon vor dem Abreissen wird die seitliche Begrenzungs- schicht des Bindemittels allmählig immer concaver, bei offenem Hohlraum rücken sich der Gefässdicke entsprechend die der innern und äussern Wand entsprechende Begrenzungsschicht früher entgegen als bei geschlossenem, wo, auf dem Längs- schnitt gesehen, sich nicht 2mal 2, sondern nur 2 entgegen- rücken, beide den äussern Flächen des Gefässes entsprechend.

Bei offenem Hohlraum hat man es mit der Attraction eines Kranzes, bei geschlossenem mit der Attraction eines Stücks, wenn man will, einer soliden Platte zu thun, die nur der Menge Luft entsprechend gelitten hat durch Verschlechterung des Bindemittels.

Wenn der oben besprochene Versuch mit Woasserglas und Karte sich nur in der Form von dem Versuch mit den Platten- paaren unterscheidet, so hat er den Vorzug, dass man jede Luftblase sehen und vermeiden kann. Der jetzt besprochene Versuch mit dem Hahngefäss ist auch nur eine Modification, welche es jedoch möglich macht, durch zeitweiliges Oeffnen des Hahns sofort willkürlich die unvermeidlichen Fehler der Plattenpaarversuche, nämlich die Luftbeimengung, herzustellen.

Dasselbe Ergebniss findet sich nach der Taylor’schen Me- thode bei dem Hahngefäss.

- Reisst man ein solches Gefäss offen vom Wasser ab, so muss man dazu dem Gleichgewicht beispielsweise 41 Gran zu- fügen; schliesst man seine Oeffnung durch einen Oeltropfen, wodurch man bei feinerer Spitze den Hahn ersetzen kann, so bedarf man unter denselben Verhältnissen 53.

Wenn eine Holzscheibe bei einem Uebergewicht von 35 Gran und ein Holzkranz (von ‘demselben äussern Durchmesser) bei einem Uebergewicht von 24 Gran haften bleibt, so kann man dadurch, dass man seine Lichtung oben durch eine Glocke ab- schliesst, dieses Gewicht von 24 bis auf 33 steigern, aber nicht auf 39.

36*

556 E. Rose:

Versuche der Art sind schon längst gemacht; grade diese Zahlen sind die eigenen Angaben Dutour’s!).

Eine Erklärung giebt er nicht ausführlich?), sieht jedoch da- rin eine Widerlegung des Taylor’schen von Achard bestätig- ten Gesetzes’), dass die Kraft der Cohäsion benetzender Flüssig- keiten nach dem Taylor’schen Verfahren durch Abreissen be- stimmt, der Oberfläche der Platten proportional sei, und des Guyton de Morveau’schen Beweises*) für die Unabhängigkeit der Resultate des Taylor’schen Verfahrens vom Luftdruck, dem er, wie früher Cigna und Lagrange, grossen Einfluss bei der Taylor’schen Methode zuschrieb.

Diese Widerlegung ist, wie wir schon sahen, nicht richtig. Dieser künstlich unreine Versuch beweist nichts gegen das ein- fache Taylor’sche Verfahren. Ist das Dutour’sche Gefäss ge- schlossen, so bildet es ein solides Ganze. Es wirkt wie meine Adhäsionsplatten, nur durch die grosse Blase noch schlechter, wie der Vergleichsversuch mit dem Kranz und der Scheibe zeigt.

Ist das Dutour’sche Gefäss offen, so bildet es einen Ad- häsionskranz, der, wie der Vergleich zeigt, nur entsprechend seiner untern Berührungsfläche, also sehr viel schwächer aber doch streng nach dem Taylor-Achard’schen Gesetz wirkt.

Derselbe Unterschied zeigt sich bei meinem Hahngefäss, je nachdem der Hahn offen oder geschlossen ist.

Nach alledem wird man es wohl aufgeben müssen, das Hüftgelenk „als eine Luftpumpe“ zu betrachten. Denn: 1) Die Weichtheile (Bänder und Muskeln) halten das Ge-

1) Experiences relatives a l’adhesion par M. Dutour in Observa- tions sur la physique, sur l’histoire naturelle et sur les arts par Ro- zier et Mongez. 1780. T. XV. Paris. 4. p. 240..

2) Die Versuche sind nicht ganz getreu von Frankenheim wie- dergegeben (die Lehre von der Cohäsion. Breslau. 8. 1835. S. 69), dessen andern Orts versprochene Erklärung ich nicht aufgefunden habe.

3) Franz Carl Achard’s chymisch-physische Schriften. Berlin. 8. b. Wever. 1780. S. 360. Tab. 4.5: „Versuche über die Kraft, mit welcher die festen und flüssigen Körper zusammenhangen“ u. s. w.

4) Journal de physique par Rozier. 1773. T. I. p. 168.

Die Mechanik des Hüftgelenkes, 937

lenk zusammen, und werden darin zu einem unwesentlichen Theile von der Adhäsion der Gelenkflächen und der Cohäsion der Schmiere unterstützt, gar nicht im geringsten vom Luft- druck.

2) Das Hüftgelenk ist ein in der Form modificirtes Platten- paar und nicht „eine Luftpumpe“, da ein abgeschlossener und luftverdünnter Raum darin nicht entstehen kann.

3) Bei allen Cohärenzversuchen (selbst der Plattenpaare) ist der Luftdruck belanglos, also auch für das Hüftgelenk.

4) Wenn bei rapider Luftverdünnung unter gewissen Ver- hältnissen die Cohärenz der Platten (also auch des Hüftgelenks) nachlässt, so rührt dies nicht vom Luftdruck her, sondern von der stürmischen Gasentwickelung und Verdampfung der Schmiere, welche die Verbindung sprengt; ein Vorgang, der also nicht ım Entferntesten den Einfluss des Luftdrucks auf die Cohärenz der Platten beweist.

Nicht der Druck der Atmosphäre hört dabei auf zu tragen, sondern die Luftentwickelung in der Schmiere überwindet die Cohärenz und sprengt die Platten aus einander.

558 W, Gruber:

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium com-

mune für das Jejuno-Jleum und die grössere An-

fangshälfte des Dickdarmes bei seitlicher Trans- position der Viscera aller Rumpfhöhlen.

Resultate aus den bis jetzt gemachten Beobachtungen seitlicher Trans- position der Viscera aller Rumpfhöhlen zugleich, oder jener der Bauch- und Beckenhöhle allein.

Von

Dr. WENZEL GRUBER, Professor in St. Petersburg.

(Hierzu Taf. XIV.)

In 3 Aufsätzen: „Ueber einige seltene, durch Bildungsfeh- ler bedingte Lagerungsanomalien des Darmes bei erwachsenen Menschen.“ Mit 2 Abbildungen. Bull. de Pacad. imp. des sc. de St. Petersbourg. Tom. V. No. 2. p. 49 —; „Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien.“ Mit 2 Abbil- dungen. Dies. Archiv, Jahrg. 1862, S. 588, Taf. XIV.B. —; „Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesente- rien.* Mit 2 Abbildungen. Dieses Archiv, Jahrg. 1864, S. 478, Taf. XI. habe ich durch eigene Beobachtungen nachgewiesen, dass die Mesenterien bei völlig entwickeltem Darmkanale und übrigens wohl gebildeten Individuen auf allen Bildungsstufen, welche dieselben beim Embryo durchzu- machen haben, stehen bleiben und so zeitlebens sich erhalten können,

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s, w. 559

Ich fahre mit der Mittheilung meiner Beobachtungen über die Bildungshemmungen der Mesenterien fort und liefere im vorliegenden Aufsatze durch einen neuen Fall den Beweis, dass die Mesenterien auch bei seitlicher Transposition der Eingeweide durch Bildungshemmung auf ihren embryo- nalen Bildungsstufen verbleiben können.

Am 25. September 1864 wurde ein 23jähriger Soldat in die Arrestanten-Abtheilung des II. Landmilitairhospitales aufge- nommen. Der Kranke litt an Enteritis und starb an dieser am 20. October. In der Krankheitsgeschichte ist keine Aussage des Kranken über eine früher von ihm überstandene Peritonitis zu finden. Auch existirt darin keine Angabe von Seiten des Arztes über eine vielleicht nebenbei gemachte Diagnose der Transposition der Eingeweide. Durch Erkundigungen nach dem Tode konnte nicht erfahren werden, mit welchem Arme das In- dividuum vorzugsweise gearbeitet habe.

Bei der pathologischen Section wurde man nach Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle ganz unverhofft seitliche Trans- position der Organe beider Höhlen gewahr. Professor Illinski liess mich von dem Ereignisse in Kenntniss setzen. Nach vorgenommener Besichtigung sprach ich mich vor der Hand dahin aus, dass der Fall, soweit aus seiner Untersuchung ohne Präparation geschlossen werden könne, abgesehen von einem daran sichtbaren, in Folge von Bildungshemmung auf- getretenen Mesenterium commune für das Jejuno-Ieum und die grössere Anfangshälfte des Dickdarmes, was denselben al- lerdings schon interessant mache, kaum etwas Besonderes vor anderen bekannten Fällen voraus haben möge. Professor Il- linski, der weiss, dass Bildungshemmungen der Mesenterien seit geraumer Zeit Gegenstand meiner Forschungen sind, stellte mir den Rumpf der Leiche behufs genauer Untersuchung durch Zergliederung bereitwilligst zur Verfügung.

Die Untersuchung der Rumpfhöhlen nach vorausgeschickter Injection der grösseren Gefässstämme ergab folgende Resultate:

Das Herz (2) liegt umgekehrt, mit dem grösseren Theile in der rechten Brusthälfte. Es hat die Spitze nach rechts unten und vorn, die Basis nach links, oben und hinten gerichtet, Das

560 W. Gruber:

Lungenherz befindet sich vorn und links, das Körperherz hin- ten und rechts. Die Form, die Grösse, der Bau, die Ostia, die Valvulae der einzelnen transponirten Abtheilungen des Herzens waren so beschaffen, wie bei einem Herzen mit normaler Lage seiner Abtheilungen u.s. w. Das Pericardialligament für den Rest der Vena cava superior sinistra primitiva der Norm, welches wie gewöhnlich zwischen der Theilung der Arteria pulmonalis und dem Atrium pulmonale ausgespannt ist, ist an der rechten Seite zu sehen, also mit dem Reste von links nach rechts ver- setzt. Die Art. pulmonalis communis (a) liest am Ursprunge vor dem der Aorta (b) und etwas links davon, dann aber rechts von letzterer, und theilt sich wie gewöhnlich in die Art. pulm. dextra (a') und sinistra (a'), wovon aber letztere unter dem Arcus aortae zur linken Lunge sich begiebt. Das Lig. arterio- sum (£) zum Arcus aortae geht von der Art. pulm. dextra ab und inserirt sich an einer Stelle der concaven Seite des Arcus aortae, welche !/, Z. unter dem Abgange der Art. subelavia dextra von der convexen Seite und etwas mehr über dem Uebergange des Arcus der Aorta in deren Pars descendens sich befindet. Die Aorta krümmt sich über der rechten Lungen- wurzel zur rechten Seite der Wirbelsäule nach rück- und ab- wärts und erreicht diese am 4. Brustwirbel.e. Vom Arcus aortae entsteht: zuerst und am meisten nach links und vorn die Art. anonyma (c), die sich in die Art. carotis communis sinistra (d‘) und Art. subelavia sinistra (e‘) theilt, dann weiter nach rechts die Art. carotis communis dextra (d), und am meisten nach rechts und hinten die Art. subclavia dextra (e). Den Arcus aortae umschlingt der Nerv. recurrens vagi dextri (y) rechts neben der Insertion des Lig. arteriosum. Die Ven. cava supe- rior (f) liegt links vom Arcus aortae. Die Ven. anonyma dextra (g) ist viel länger als die Ven. anonyma sinistra (g'). Erstere begiebt sich in etwas schiefer Richtung vor den Stämmen aus dem Arcus aortae über letzterem nach links, um sich mit letz- terer zur Ven. cava superior zu vereinigen. Der Brusttheil der Ven. cava inferior liegt links und vorn vom Oesophagus. Die Aorta thoracica steigt vor der rechten Hälfte des Bruststückes der Wirbelsäule abwärts, sie hat neben sich links den Ductus

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 561

thoracicus und noch weiter nach links die Ven. azyga liegen. Der Ductus thoracieus war durch Unvorsichtigkeit theilweise weggeschnitten worden. Nach einem rechts nicht weit von der Vereinigung der Ven. jugularis dextra mit der Ven. subclavia dextra noch aufgefundenen Stücke, lässt sich aber schliessen, dass er rechts gemündet habe. Die Ven. azyga tritt an der Stelle der Ven. hemiazyga gewöhnlicher Fälle, also links, durch das Zwerchfell, krümmt sich mit ihrer Endportion über der lin- ken Lungenwurzel nach vorn und mündet in die nach links versetzte Ven. cava superior. Rechts und hinter der Aorta thoracica verlaufen auf der rechten Seite des Bruststückes der Wirbelsäule die Ven. hemiazygae. Die Ven. hemiazyga supe- rior nimmt die Venen der 6 oberen rechten Zwischenrippen- räume auf und geht hinter der Aorta zur Ven. azyga. Die Ven. intercostalis dextra VII. u. VIII. münden unmittelbar in die Ven. azyga, nachdem sie sich durch einen queren Ast ver- einigt hatten, bevor sie sich hinter der Aorta versteckten. Die Ven. hemiazyga inferior nimmt die Venen der noch übrigen rechten unteren Zwischenrippenräume auf und&mündet ebenfalls in die Ven. azyga.

Die Richtung der Sförmigen Krümmung des Oesophagus und seine Drehung sind umgekehrt. Sein Halstheil ragt über die rechte Seite der Trachea hervor, wodurch der Sulcus tra- cheo-oesophageus rechts, statt links, zu liegen kommt. Sein Brusttheil kreuzt den Bronchus dexter, statt des B. sinister, von hinten, und die Aorta am Uebergange ihres Arcus in die Pars descendens links, statt rechts. Die Drehung des Oesopha- gus ist derartig, dass seine rechte Seite unten vordere wird. Die Longitudinalschicht der Muskelhaut des Oesophagus em- pfängt vom Bronchus dexter, statt vom B. sinister, drei unter- einander liegende Bündel M. broncho-oesophageus Hyrtl. Davon ist das obere °/, Z. lang und 4 L. breit; das mittlere 1 Z. lang und 1—2 L. breit; das untere 1'/, Z. lang und so breit, wie das mittlere.

Im Sulceus tracheo-oesophageus steigt der Ramus recurrens vagi dextri aufwärts. Am unteren Theile des Oesophagus begiebt sich der Vagus dexter auf dessen vordere Seite, sendet

562 W. Gruber:

an diese Zweige und endiget mit dem Plexus gastricus anterior an der vorderen (rechten) Magenwand.

Jede Lunge (3, 3‘) besitzt nur zwei Lappen. Der obere Lappen der rechten verlängert sich in den die Herzspitze um- gebenden zungenähnlichen Anhang, welcher 1?/, Z. lang, 1'/, Z. an seiner Basis und 6 L. an seinem Ende breit ist (0). In der rechten Lungenwurzel liegen oben die Art. pulmonalis, in der Mitte und hinten der Bronchus, unten die Ven. pulmona- les; in der linken: oben und hinten der Bronchus, in der Mitte die Art pulmonalis, unten die Ven. pulmonales. Die Lungen sind somit denn doch seitlich transponirt, weil die rechte alle Kennzeichen einer linken Lunge gewöhnlicher Fälle, die linke, abgesehen von ihrer Lappung, alle einer rechten Lunge besitzt.

Der Brusttheil der Wirbelsäule ist vom 4.—7. Brustwirbel nach links (mit der Convexität) gekrümmt, d. i. diese laterale Krümmung ist eine von der normaler Fälle verkehrte.

Die Hälften des Zwerchfelles (4) und dessen Oeffnungen liegen seitlich umgekehrt. Es befindet sich daher das Foramen venae cavae inferioris in seiner linken Hälfte.

Alle Organe der Bauchhöhle und der in der Beckenhöhle befindliche Darmabschnitt liegen verkehrt. Die Leber (5), an der die Furchen, Lappen u. s. w., welche sich sonst rechts befinden, links zu sehen sind, liegt mit ihrem grösseren Theile im Hypochondrium sinistrum und reicht mit dem nach rechts transponirten linken Lappen, womit sie den Magen bedeckt, in das Hypochondrium dextrum hinüber. Ihre obere Fläche ist in Folge einer Peritonitis aus früherer Zeit grösstentheils mit dem Zwerchfelle unmittelbar verlöthet, vorn aber in ihrer gan- zen Breite und vom vorderen Rande 2!/,—2°,, Z. nach rück- wärts durch viele kurze Pseudomembranen mit demselben ver- einiget. Der Grund der Gallenblase liegt im Bereiche des 8.—9. linken Rippenknorpels. Der Magen (6) liegt im Hypo- chondrium dextrum und erstreckt sich mit der Pars pylorica durch die Regio epigastrica bis.in das Hypochondrium sinistrum. Die Milz liegt hinter dem Magengrunde im Hintergrunde des Hypochondrium dextrum in dem vom Lig. phrenico-colicum und

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 563

der Wurzel des Mesenterium commune gebildeten Saccus coe- eus. Ausser ihr sind 2 Nebenmilzen zugegen. Die kleinere rundliche hängt mittelst einer breiten und ?/, Z. langen Mem- bran (Lig. colico-lienale), welche mit dem Lig. gastro-lienale nichts Gemeinsames hat und in das Lig. phrenico-colicum über- geht, am vorderen Rande des unteren Endes der Milz. Die grössere, ovale hängt an den Vasa gastro-epiploica im®Omen- tum majus, 1 Z. unter der Curvatura des Magens und 2'!/, Z. von der Milz entfernt. Erstere hat einen Durchmesser von

'/; L., letztere ist in transversaler Richtung 1 Z. lang, in ver- ticaler 8 L. breit und in sagittaler 7 L. dick. Das Pancreas hat seine Cauda rechts und sein Caput links gelagert. Das Caput ist mit der ersten Krümmung des Duodenum vereinigt. Das Omentum majus entsteht von der Curvatura major des Magens und von der ersten Krümmung des Duodenum, inserirt sich an das Colon transversum und an den oberen Theil des Colon ascendens. Der Eingang in die Bursa omentalis minor (Foramen Winslowii) befindet sich im Hypochondrium sinistrum und sieht nach links. Im Lig. hepato-duodenale’ ist enthalten nach links der Ductus choledochus, nach rechts die Art. hepa- tica und dahinter die Ven. portae. Die linke Niere liegt 1'/, bis 1?/, Z. tiefer als die rechte, welche mit ihrem oberen Ende um 1 Z. das Pancreas überragt. Jene reicht mit ihrem unteren Ende bis gegen das Lig. intervertebrale, zwischen dem 3. und 4. Lendenwirbel, diese damit bis zum Lig. intervertebrale zwi- schen dem 2. und 3. Lendenwirbel abwärts. Erstere liegt 2'/, bis 2°/, Z., letztere 1 Z. über der Theilung der Aorta abdomi- nalis in die Art. iliacae. Die rechte Nebenniere reicht mit ihrer grösseren oberen Hälfte über das Pancreas herauf, die linke wird theilweise von der Ven. cava inferior bedeckt. Das Duodenum (7) liegt vor der linken Seite der Wirbelsäule und vor dem medialen Theile der linken Niere bis zum Lig. intervertebrale zwischen dem 2. u. 3. Lendenwirbel und bis °/, Zoll über das untere Ende der linken Niere abwärts. Die Flexura duodeno- jejunalis (£) liegt zur linken Seite der Ven. cava inferior (u) und etwas vor dieser im Bereiche des 2. Lendenwirbels und 1'/, Z. über dem unteren Ende der linken Niere. Das Jejuno-Lleum (8) nimmt im mittleren und linken Theile der Bauchhöhle und

564 W. Gruber:

im Becken Platz. Das Coecum (m) liegt vor der Fossa iliaca sinistra zwischen Dünndarmschlingen, konnte jedoch viele an- dere Stellen zur Lagerung einnehmen. Der Processus vermi- cularis (7) geht vom Coecum am Uebergange der vorderen Wand desselben in die rechte seitliche ab. Er krümmt sich vor dem Ende des Ileum nach aufwärts und hat sein Endstück rechts wom Colon ascendens gelagert. Der freie Rand seines Mesenteriolum sieht nach aufwärts. Er ist somit in seitlicher und sagittaler Richtung transponirt. Das Colon ascendens (n) steigt im linken Theile der Bauchhöhle von dem Jejuno-Ileum aufwärts. Das Colon transversum (o) zieht an der Grenze zwi- schen der Regio epigastrica und mesogastrica von links nach rechts und bildet vor seinem Uebergange in das Colon descen- dens aus einem 12 Z. langen Stücke eine 7 Z. lange Schlinge (9). Das Colon descendens (p) steigt in der Regio iliaca dextra abwärts, und die Flexura sigmoidea (q) ist in der Fossa iliaca dextra angeheftet. Die Flexura sigmoidea geht vor der Sym- physis sacro-iliaca dextra in das Rectum (r) über, welches mit seinem oberen Theile rechts in der Beckenhöhle gelagert ist. Erstere ist ganz abnorm klein, welche als ein nur 7 Z. langes Dickdarmstück eine 3 °Z. hohe Darmschlinge darstellt, deren Mastdarmschenkel 2'/, Z. lang ist. Vor dem Colon descendens: und der Flexura sigmoidea hängt bis zum Arcus cruralis dexter jene anomale Schlinge frei herab, welche die rechte Portion des Colon transversum bildet. Die Schenkel derselben sind durch einen 3/,—1 Z. ‚breiten Ausläufer des Mesenterium commune vereinigt. 2 | Das Duodenum verläuft ziekzackförmig, macht drei hinter- einander liegende Krümmungen oder Schenkel, deren concave Seite nach rechts sieht. Davon entspricht die vordere Krüm- mung der Pars transversa superior und descendens normaler Fälle, die mittlere und hintere der Pars transversa inferior der- selben. Die vordere steigt abwärts, die mittlere aufwärts und die hintere wieder abwärts. An die concave Seite der vorde- ren Krümmung ist das Caput des Pancreas angewachsen. Am Uebergange derselben in die mittlere Krümmung münden der Ductus choledochus und pancreaticus. Der Anfang der vorde- ren Krümmung liegt rechts neben der Gallenblase, der Ueber-

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 565

gang der mittleren in die hintere unter der Gallenblase. Das Jejuno-Ileum mit dem Dickdarme bis zum Colon descendens kann nach allen Richtungen auf- und seitwärts aus der Bauch- höhle herausgeschlagen, das Coecum mit dem Ende des Ileum sogar bis 5'/, Z. unter den Arcus cruralis auf den linken Ober- schenkel abwärts gezogen werden.

Während das Colon descendens proprium ohne ein Mesoco- lon in der Regio iliaca dextra fixirt und die Flexura sigmoidea nur durch ein 1'/, Z. breites Mesocolon in der Fossa iliaca dextra und vor dem M. psoas major dexter am Eingange in das kleine Becken kurz angeheftet ist, hängen das übrige Co- lon transversum und ascendens mit dem Jejuno-Ileum an einem sehr breiten Mesenterium commune (*) vom Pancreas angefangen frei vor der hinteren Bauchwand herab. Das Mesenterium commune geht unter dem Pancreas mit einer ganz quer verlaufenden Wurzel von der hinteren Wand des Peritonealsackes aus, die von rechts bis vor die Mitte der Wir- belsäule sich erstreckt und 3'/, Z. breit ist. Dasselbe wird so- gleich sehr breit und hat an seinem vorderen und linken Rande das Colon transversum und C. ascendens, an seinem unteren und rechten (hinteren) Rande das Jejuno-Ileum hängen. Da das Mesenterium commune von seiner rechts angehefteten Wur- zel nach links hin sich verbreitert, während das Mesenterium commune für dieselben Darmportionen in einem von mir be- obachteten Falle bei seitlich nicht transponirten Eingeweiden Bull. de l’acad. imp. des sc. de St. Petersbourg. Tom. V., p- 49 nach rechts sich ausdehnte, so ist dasselbe ebenfalls nach seiner seitlichen Lage verkehrt.‘) Seine Länge oder Höhe von der Wurzel nach abwärts bis zu einer Stelle am Ileum,

1) In dem citirten Falle bei Nichttransposition der Eingeweide hin- gen der Dickdarm am linken Rande und das Jejuno-Ileum am unte- ren und rechten Rande des Mesenterium commune, also fast auf eine gleiche Weise wie in dem Falle mit Transposition der Eingeweide. Da aber im ersteren Falle der ganze Dickdarm abnormer Weise links gelagert blieb; so wird es erklärlich, dass, trotz nicht verkehrter seit- licher Lage des Mesenterium commune, der Darm ungefähr so wie im Falle mit seitlicher Transposition der Eingeweide an dasselbe ge- heftet sein konnte,

566 W. Gruber:

welche 14 Z. von dessen Einsenkung in das Colon liegt, be- trägt 10 Z. Schlägt man das Mesenterium commune mit dem daran hängenden Darm aufwärts, so sieht man nur das Colon descendens und die Flexura sigmoidea vom Darme in der Regio iliaca und Fossa iliaca dextra befestigt, übrigens die hintere Bauchwand, vom Pancreas abwärts, frei von Darmanheftung.

Der Dünndarm ist 19 Fuss und 3 Zoll lang, wovon auf das Duodenum 15 Z., auf das Jejuno-Ileum 13 F. kommen. Die vordere und mittlere Krümmung des Duodenum sind je 5!/, Z., die hintere 4 Z. lang. Der Dickdarm ist 5 F. 8 Z. lang, wo- von auf das Coecum 3 Z., auf das Colon descendens proprium 6'/, Z., auf die Flexura sigmoidea 7 Z., auf das Rectum 7 bis 8 Z. kommen. Die Länge des Processus vermicularis beträgt 4 Z. Das Duodenum ist an seinem Anfange 1°/,Z., an seinem Ende 1 Z. weit. Die Dicke des Dünndarmes an der Flexura duodeno-jejunalis beträgt 11 L.; am Anfange des Jejunum 1'/, Z., am Ileum 1'/, Z. u. s. w.

Mit Ausnahme der von der Norm abweichenden Lage des oberen Theiles des Rectum wurde an den Beckenorganen nichts Abweichendes bemerkt.

Ob einer der Hoden und welcher tiefer herabhing, weiss ich nicht, weil an dem mir überlassenen Rumpfe die Hoden mit dem Hodensacke bereits abgeschnitten waren. ,

Die Aorta abdominalis (s) liegt rechts vor dem Lendentheile der Wirbelsäule. Sie theilt sich vor dem oberen Theile des 4. Lendenwirbels in die Art. iliacae communes. Sie giebt die gewöhnlichen Aeste ab. Die Art. coeliaca entsteht über dem Pancreas, schickt nach links die Art. hepatica, nach rechts die Art. lienalis und nach rechts und vorn eine Art. coronaria ven- triculi superior ab. Die Art. mesenterica superior entsteht 1/, Z. tiefer hinter dem Pancreas knapp über der Kreuzung der Ven. renalis dextra mit der Aorta. Die Art. renales entstehen einander gegenüber. Die Art. .mesenterica inferior entspringt 2 Z. über der Theilung der Aorta und wendet sich nach rechts statt links u. s. w. Die Ven. cava inferior (u) liest links von der Aorta abdominalis. Sie entsteht durch die Vereinigung der Ven. iliacae communes an demselben Lendenwirbel. Die Ven. iliaca communis dextra (v) liegt medianwärts, und die Ven-

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s, w. 567

iliaca communis sinistra (v') lateralwärts von der gleichnamigen Arterie. Die Art. iliaca communis sinistra (t‘) kreuzt das Ende der Ven. iliaca communis dextra von vorn her. Die Ven. re- nalis dextra zieht in der Wurzel des Mesenteriunm commune quer von rechts nach links vor der Aorta zur Ven. cava infe- rior und ergiesst sich in dieselbe: Die Ven. spermatica interna dextra mündet in die Ven. renalis dextra, die Ven. spermatica interna sinistra aber in die Ven. cava inferior. Zur Vena por- tae vereinigen sich die bekannten Aeste.e Die Ven. lienalis kommt aber von rechts, und die Ven. mesenterica steigt rechts statt links herauf.

Im Bauchfellsacke zwischen den Eingeweiden ist ein klei- ner freier Körper vorgekommen. Dieser hat eine birnförmige Gestalt und ist nach 3 Seiten comprimirt. An seinem schmä- leren Ende hat er ein Stielchen in Gestalt eines ?/, L. hohen und !/, L. dicken Wärzchens aufsitzen, an welches wahrschein- lich das Fädchen befestiget war, durch welches derselbe mit den Eingeweiden in Verbindung gestanden haben mochte. Der Körper ist 3'/, L. lang und 2'!/, L. dick. Am vorderen Rande des nach rechts transponirten linkenrLeberlappens hängt 1?/,;—1?/, Z. nach rechts von der Ineisura umbilicalis an einer dreieckigen Pseudo-Membran ein knorplich sich anfühlender Körper. Der Körper hat die Gestalt einer unregelmässig vier- eckigen Platte, welche in verticaler und transversaler Richtung

—1?/,; Z. breit und 1—3 L. dick ist. Die dünne Pseudo- Membran ist 1 Z. lang, an der Insertion an die Leber °/, Z., an der an die obere Ecke des Körpers 1—1'/, L. breit. Ueber der Leber, noch weiter nach rechts, hängt am Zwerchfelle durch eine lange und dünne Pseudo-Membran eine zweite, läng- lich vierseitige Platte, welche !/,—!/, der Grösse der ersteren hat und bis 1?/, L. dick ist. Ganz rechts über dem rechten Ende der Leber endlich ist noch eine dritte Platte von bisquit- förmiger Gestalt an die untere Fläche des Zwerchfelles kurz angeheftet. Dieselbe ist 10 L. lang, bis 4 L. breit und 1 L. dick. Die beiden ersten Platten, namentlich die von der Leber herabhängende, hätten bei Fortdauer des Lebens möglicherweise durch Riss der Pseudo-Membran von der Leber und dem

568 W. Gruber:

Zwerchfelle abgelöst werden können, wodurch sie freie, im Bauchfellsacke liegende Körper geworden wären.!)

Nach der gegebenen Beschreibung ist an dem Falle Folgen-

des hervorzuheben:

1) Die vollständige Transposition aller Brust- und Bauch- eingeweide, aller Gefässe der Brust- und Bauchhöhle, theilweise der Nerven.

2) Die seitliche Krümmung des Bruststückes der Wirbelsäule nach links (mit der Convexität).

3) Zwei Nebenmilzen.

4) Das Verhalten des nach links transponirten Duodenum, welches wie in den bis jetzt beobachteten Fällen mit einem Mesenterium commune desselben oder eines noch höheren Grades bei Nichttransposition der Eingeweide abnorm gekrümmt ist (wenn auch auf andere Weise).

5) Die seitliche Transposition des Processus vermicularis - zugleich mit seiner Transposition von hinten nach vorn.

6) Besonders das Mesenterium commune für das Jejuno- Ileum und die grössere Anfangshälfte des Diekdarmes d. 1. für den Dickdarm vom Coecum bis zum Colon descendens.

7) Die in Folge abgelaufener pathologischer Processe auf- getretenen Bauchfellsackkörper, welche durch ihr Verhal- ten geeignet sind, über eine ihrer Entstehungsweisen Auf- schluss zu geben, worüber das Nähere zu seiner Zeit in einem anderen Aufsatze mitgetheilt werden wird.

Erklärung der Abbildung.

Rumpf mit seitlicher Transposition der Organe der Höhlen bei Vorkommen eines Mesenterium commune für den Leer- und Krumm- darm und die grössere Anfangshälfte des Dickdarmes. (Der grösste Theil des Dünndarmes mit dem Coecum und dem aufsteigenden Co- lon nach links, eine anomale Schlinge der rechten Portion des queren Colon nach rechts aus der Bauchhöhle geschlagen.)

1) Die Pseudo-Membranen zwischen der Leber, und dem Zwerch- felle mit den daran hängenden Bauchfellsackkörpern sind entfernt worden, fehlen daher an der Abbildung.

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 569

1 Zungenbein, Kehlkopf, Schilddrüse. 2 Herz. 3 Rechte, 3’ linke Lunge. 4 Zwerchfell. 5 Leber. 6 Magen. 7 Oberer Theil der vor- deren Krümmung des Zwölffingerdarmg, 8 Leer-Krummdarm. 9 Dick- darm. 10 Harnblase. a Gemeinschaftliche, a’ rechte, a’ linke Arteria pulmonalis. b Arcus der Aorta. c Arteria anonyma. d Rechte, d' linke Carotis. e Rechte, e’ linke Arteria subelavia. f Obere Vena cava. g Rechte, g’ linke Vena anonyma. h Rechte, h’ linke Vena jugularis interna. i Rechte, i’ linke Vena subclavia. k Rechter, K’ linker Nervus vagus. 1 Rechter, 1’ linker Nervus phrenicus. m Coe- cum. n Aufsteigendes, o queres, p absteigendes Colon. q Flexura sigmoidea. r Rectum. s Bauch-Aorta. t rechte, t’ linke gemein- schaftliche Arteria iliaca. u Untere Vena cava. v Rechte, v’ linke gemeinschaftliche Vena iliaca. «« Venae subthyreoideae. 23 Liga- mentum arteriosum. y Nervus recurrens des rechten Vagus. d Zun- genförmiger Anhang des oberen Lappens der rechten Lunge. e Liga- mentum suspensorium und teres der Leber. { Flexura duodeno-jeju- nalis. n Processus vermiceularis.. * Anomale Schlinge der rechten Portion des queren Colon an der Flexura lienalis. (*) Mesenterium commune für den Leer-Krummdarm und die grössere Anfangshälfte des Dickdarms.

Um auszumitteln, was unser Fall mit den bekannten Fällen seitlicher Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich oder der Bauchorgane allein Gemeinsames, und was er von den- selben Verschiedenes, also Eigenthümliches an sich habe, suchte ich über letztere in der Literatur nach, soweit mir diese zur Verfügung stand. Ich habe daselbst 79 sichere Fälle, meistens im Originale oder doch in verlässlichen Auszügen, nachsehen können. Die Zahl der beschrieben gefundenen Fälle mit Trans- position der Brust- und Bauchorgane zugleich belief sich auf 71, die der Bauchorgane allein auf 8. 78 Fälle gehörten dem Menschen, nur 1 Fall, und zwar mit Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich, dem Pferde an. Ich werde die sicheren Fälle in Kürze zusammen stellen, und noch anderer theilweise unsicherer Fälle gedenken, die von

den Autoren eitirt werden. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 27

570 W. Gruber:

I. Frühere sichere Fälle *seitlicher Transposition der Ein- geweide.

A. Mit seitlicher Transposition der Brust- und Bauch- organe zugleich.

a. Bei dem Menschen.

Solche Fälle haben beobachtet: Ant. Bertrand!), Sampson?), Baux (Arzt aus Nimes)?),

1) Beschrieben von Joann. Riolanus. Opus c. anat. varia et nova. Parisiis 1652. 12. Art. Disquisitio de transpositione partium naturalium et vitalium in corpore humano, p. 117—136. Gefunden an der Leiche des 25jährigen, 1650 hingerichteten Meuchelmörders Richard Francoeur, welche den Chirurgen zu Paris zu den anato- mischen Studien überlassen wurde. Die Leiche wurde von Bertrand bei Regnier zergliedert, wozu Riolan eingeladen wurde. Sehr gute und mit Ausnahme der Angabe über die laterale Krümmung des Brusttheiles der Wirbelsäule vollständige Beschreibung mit prak- tischen Bemerkungen. Derselbe Fall ist bei Thom. Bartholinus Hist. anat. rarior. Cent. I. et II. Amstelodami 1654. 12. Cent- II. Hist. XXIX p. 199 beschrieben, der angiebt, dass ihm den- selben Quido Patin, Dekan der Pariser Facultät, schriftlich gemei- det habe. Dann von Mentel beschrieben in Joann. Pecqueti.. Experimenta nova anatomica. Parisiis 1654 4. min. p. 146: „Hi- storia praeposteri situs partium corporis cruciarii Parisiensis“, in den Epist. gratulatoriae. Ferner bei Theoph. Bonet Sepulchretum edit. 2, ab Joa. Jac. Mangeto. Tom. III. Genevae 1700. Fol. . Lib. IV. Sect. XI. Observ. 7. 8. 3. p. 549—551 beschrieben, welcher den Fall schon im J. 1630 (fälschlich) vorkommen liess. Auch Cattier von Montpellier hat denselben Fall erzählt, wie Wins- low M. de math. et phys. de l’acad. roy. des sc. de Paris, ann. 1733. 4. -p. 376 u. A. anführen. Man hat diesen Fall als meh- rere Fälle gezählt.

2) Philos. Transact. Vol. 9. Cent. II. year 1674. London. 4. No. 107. p. 146. Gefunden an der Leiche eines Dieners aus York- shire, der an Lungen- und Darmentzündung verstorben war. Unvoll- vollständige Beschreibung.

3) „Singularia quaedam reperta in anatome cachectici pueri, in quo transpositio ad fuit partium* Nicol. de Blegny Zodiacus

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 571

Caron!), Morand?), Sue°), C. Siebold*®), J. Mohrenheim’)

medico-gallieus, ann. Il. 1680. Genevae 1682. 4. Junius. ÖObserv. IX. p. 129. Gefunden an der Leiche eines 18 Monate alten Soh- nes eines Adligen aus Frankreich. Unvollständige Beschreibung.

1) „Partium interiorum transpositio in infante.* Zodiacus me- dico-gallicus, ann. II. 1680, September, Obs. V. p. 190. Gefunden an der Leiche des 18 Monate alten Sohnes des Briefboten Roux aus Beauvais. Sehr mangelhafte Beschreibung.

2) „Sur des parties du corps humain.“ Hist. de l’acad. roy. des sc. Tom. 2. ann. 1686—1699. Paris 1733. 4. p. 44—46 (1688). Gefunden an der Leiche eines 72jährigen Invaliden von Morand nach einem Berichte von Mery an die Akademie. Unvollständige

und theilweise unrichtige Beschreibung. Der Fall wird hier und da mit Unrecht Mery zugeschrieben. 3) „Sur une transposition des visceres.* Mem. de math. et

phys. de l’ecad. roy. des sc., par divers scavans ete. Tom. I. Paris 1750. 4. p. 292 294. Gefunden an der Leiche eines 5 Tage alten männlichen Kindes. Vollständige Transposition mit Ausnahme des Rectum, das seine gewöhnliche Lage hatte. Beschreibung unvoll- ständig, gut für jene Zeit, mit praktischen Bemerkungen. Es wird der Cysterna chyli und des Ductus thoracicus das erste Mal gedacht. Sie lagen links und der Ductus öffnete sich rechts. Es waren zwei Nebennieren, wovon die rechte viel voluminöser war, als die linke, aber nur eine Niere (die linke) und der entsprechende Ureter zuge- gen. Die Niere war grösser als gewöhnlich. Nach der Palpitation des Herzens bei Vorwärtsneigung des Kranken kann man die ver- kehrte Lage des Herzens, und aus dem Verlaufe der Flüssigkeit nach einem gegebenen Clystier oder aus der Bewegung der Einge- weide nach einem leichten Purgirmittel die verkehrte Lage der Bauch- eingeweide erkennen?

4) J. I. B. Siebold, Sammlung seltener und auserlesener chir. Beobachtungen. Rudolstadt 1807. Bd. 2. S. 331. Steht mir nicht zu Gebote, aber bei Sieg. Meyer, Diss. Vratislaviae 1847. 8. p. 9, und Paul Wulff, Diss. Dorpati 1855. p. 17 (Siehe unten), Beobachtet 1763 an der Leiche einer im Julius-Hospitale zu Würzburg verstorbenen Magd. Unvollständige Beschreibung (wenigstens in den angeführten Dissertationen).

5) Wienerische Beiträge z. prakt. Heilkunde u.s. w. Bd. 2. Des- sau und Leipzig 1783. 8. S. 305. Enthält nur die oberflächliche Angabe, dass bei einem Manne das Herz und die Milz rechts und die Leber links gelagert gefunden worden war.

37"

572 W. Gruber:

Matthew Bailliel), Max Stoll?), Xav. Bichat°), Ano- nymus‘®), D.1. Larrey°), Fournier‘), James M’Gregor”),

1) An account of a remarkable transposition of the viscera. In a letter to J. Hunter. Philos. Transact. of the roy. soc. of London. Vol. 78. year 1788. Part. 2. p. 350—363. Gefunden bei einem 40jährigen Manne , der zur Section nach Windmillstreet gebracht wurde. Vollständige Beschreibung, abgesehen von der mangelnden Angabe über die laterale Krümmung des Brusttheils der Wirbelsäule. Mit der Milz waren 5 Nebenmilzen, also 6 Milzen zugegen (wohin ein Druckfehler in diesem Archiv, 1864, S. 480, Note 3, corrigirt werden mag). Der Ductus choledochus mündet in den vorderen Theil des Duodenum. Am lleum kam ein Diverticulum von beträchtlicher Grösse vor.

2) Ratio medendi, Pars I. Viennae 1788. 8. p. 266. Ober- flächliche Erwähnung eines Falles (Geschlecht, Alter?).

3) Recherches physiologiques sur la vie et la mort. Paris, ann. VII. 8. p. 17. Gefunden an der Leiche eines mehrjährigen Kin- des (Geschlecht ?). Kurze, nicht vollständige Beschreibung.

4) Anatomische Beschreibung einer überaus fehlerhaften Bildung der Brust- und Baucheingeweide eines neugeborenen (männlichen) Kindes, welches 58 Stunden gelebt hatte. C. W. Hufeland, Journ. d. prakt. Arzneikunde und Wundarzneiknnst. Bd. 22 (Neues Journ. Bd. 15), Stück 2. Berlin 1805. Nr. 9. S. 110. Ganz unvollstän- dige, schlechte, unverständliche Beschreibung. Mangel des Pancreas? Der Darm war in zwei völlig getrennte Stücke abgetheilt. A. nahm das vom Magen ausgehende erweiterte Stück als Dickdarm , was P. Wulff (Diss. inaug. Dorpati 1855. p. 19) auch wirklich glaubte!!

5) Memoires de chir. milit. et campagnes. Tom. I. Paris 1812. 8. Campagne de l’Amerique septentrionale. p. 7. Gefunden an der Leiche eines Galeerensklaven. Unvollständige Beschreibung. Prä- parat im Cabinet der Ecole de la marine aufbewahrt.

6) „Cas rares“, Diet. des sc. med. Tom. 4. Paris 1813. p. 150. Gefunden an der Leiche eines etwa 30jährigen Soldaten, der im Duell durch einen Säbelhieb, welcher den Unterleib geöffnet hatte, getödtet worden war. Unvollständige Transposition. Kurze unvoll- ständige Angaben. Mit Ausnahme der Leber, welche links lag, sollen die übrigen Bauchorgane eine normale Lage gehabt haben.

7) Bei Rose: The London. med. and physic. Journ. Vol. 56. No. 332 (New Ser. Vol. I. No. 4). October 1826. p. 346. Gefun- den an einem in Süd-Frankreich 1814 gestorbenen Soldaten der Cold-

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u.s. w. 573

J. Fr. Meckel), Beclard?), Rostan°®), Nacquart et Prorry!), Poulim>), HM. J. Desruelles®) 2 Seutet-

stream-Guards. Nicht vollständige Transposition. Gänzlich linkssei- tig gelagerter Dickdarm. Kurze Beschreibung.

1) Handb. d. path. Anat. Bd. II. Abth. 1. Leipzig 1816. S. 187. “—- Kurze Erwähnung, keine Beschreibung. Scheint derselbe Fall zu sein, welcher bei einem Erwachsenen vorkam und als Präparat im Museum zu Halle aufbewahrt wird, wovon J. F. Meckel in seiner Diss. De cordis conditionibus abnormibus. Halle 1802. 4 Tab.I. die Brusteingeweide abgebildet hat, wie E. d’Alton Zeitung f. Zool., Zoot. u. Palaeozool. 1848, 2. Quart. Leipzig. Bd. 1. Nr. 16, S. 126 anführt (die Dissertation steht mir nicht zu Gebote).

2) Sur une transposition generale des visceres. Bull. des sc. par la soc. philom. de Paris. ann. 1817. 4. p. 13. Gefunden bei einer Frau von etwa 50 Jahren. Kurze Beschreibung. Die laterale Krümmung des Brusttheiles der Wirbelsäule war dieselbe wie bei gut gebauten Individuen (nach rechts). Der rechte Arm war stärker als der linke.

3) do. Nouv. journ. de med., chir., pharm. ete., par Beclard etc. Tom. 2. Paris 1818. p. 29—37. Gefunden an der Leiche der Frau Maria Magdalena Traparis-Lebrun, welche seit 1814 an Hemiplegie litt u. s. w., und 1818 in dem Krankenhause de la Salpetriere im Alter von 74 Jahren an Lungenentzündung starb. Un- vollständige Beschreibung. Die laterale Krümmung des Brusttheils der Wirbelsäule war normal. Die Frau hatte 12 Kinder geboren.

4) Observation de croup chez un sujet dont les visceres presen-

taient une transposition generale. Journ. gener. de med., chir. et pharm., par C. E. S. Gaultier de Claubry. Tom. 72 (Tom, 11, Ser. 2). Paris. Juillet 1820, p. 48—55. Gefunden bei einem

64 Jahre alten Knaben. Diagnostieirt im Leben. Vollständige Trans- position an der Leiche angetroffen, mit Ausnahme des Rectum. Nicht genaue Beschreibung.

5) Dict. des sc. med. Tom. 55. Paris 1821. p. 507. Gefunden an der Leiche eines 9jährigen Kindes (Geschlecht?), welches im Hötel Dieu de Lyon an Anasarca starb und zur Injection der Arterien und Section für Studirende verwandt wurde. Unvollständige Beschreibung (wenigstens nach dem Auszuge).

6) Observation d’anatomie pathologique chez un sujet, mort subi- tement, et qui presentait une transposition generale des visceres, suivie de considerations sur cette transposition. Revue med. hist. et philos., par Bally, etc. ann. 2. Paris 1821. p. 305. Gefun-

574 W, Gruber:

ten!), Dubled?), A. W. Otto®), F. C. Naegele‘), Bacot?),

den an der Leiche eines 39—40 Jahre alten Sergeanten der Königl. Garde im J. 1820, der plötzlich gestorben war. Unvollständige Be- schreibung. Todesursache wurde durch die Section nicht ermittelt. Vor einigen Jahren litt der Verstorbene an Schmerzen im Hypochon- drium dextrum, weshalb ein Arzt Leberentzündung vermuthete!

1) A. d, Journ. univ. ou gener.? Avril 1823 (das mir nicht zur Verfügung steht), in The Edinburgh. med. and surg. Journ. Vol. 19, 1823. p. 652 u. in Ludw. Fr, Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Bd. 6. Erfurt 1824. 4. Nr. 8, p.128, Drei Fälle an Leichen von Soldaten im Alter über 20 Jahren ge- funden, die an Gastro-Enteritis starben. Unvollständige Angaben (we- nigstens in den Auszügen). Die laterale Krümmung des Bruststückes der Wirbelsäule war in allen Fällen nach limks gekehrt.

2) Cas de transposition des visceres; recueilli a I’höpital Cochin. Arch. gener. de med. Ser. 1. ann. 2. Tom. 6. Paris 1824. p- 573—577. Gefunden an der Leiche des 20jährigen Zimmer- manns J. Bapt. Gosson, der an Dickdarmgeschwüren verstorben war. Vollständige Transposition mit Ausnahme des Rectum. Abge- sehen von einigen mangelnden Angaben sehr vollständige Beschrei- bung. Die Vena azyga lag links und soll sich in das nach links gelagerte Atrium venarum cavarum geöffnet haben. Unmittelbar?

3) Seltene Beobachtungen zur Anatomie, Physiologie und Patho- logie. Sammlung 2. Berlin 1824. 4. 8. 173, und Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Bd. 1. Berlin 1830 (in Verbesserungen und Zusätzen, p. X.). Gefunden in 2 Fällen, und zwar bei einem 7monatlichen männlichen Monstrum mit Mangel des Unterkiefers, bei kleinem in die Länge verlaufenden Munde und anderen Missbildungen am Kopfe; und bei einem 45jährigen Bauernknecht, wovon das Prä- parat sub Nr. 8870 im Breslauer Museum aufbewahrt wird. Nur kurze Erwähnung der Fälle.

4) Heidelberger klinische Annalen, von Puchelt, Chelius und Naegele. Heidelberg 1825. Bd. 1. S. 507. Steht mir nicht zur Verfügung, aber bei P. Wulff Diss. Dorpati 1855. p. 20. (Siehe unten). Gefunden bei einem reifen Knaben, der mit Hydro- cephalus, unvollständig entwickelten Augen, Labium leporinum und wohl auch Rictus lupinus behaftet war. Gewöhnlicher Fall.

5) Bei Rose: The London. med. and physic. Journ. Vol. 56. No. 332 (New Ser. Vol. 1. No. 4). October 1826. An der Leiche eines Soldaten der Grenadier-Garde gefunden, die zu Chatham unter- sucht wurde. Keine Beschreibung.

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u.s w. 575 Baron!), Rose?), Serres?), Barbieux®), Elias Bujalski?),

1) Transposition complöte des visceres abdominaux et thoraciques. Arch. gener. de med. Ser. 1. ann. 4 Tom. 10. 1826. p. 131, und Revue med. et Journ. de clin. Ser. 2. Tom. 1. 1826. p. 323. Gefunden an der Leiche eines 8 Tage alten Knaben und Zwillings. Der Bruder, welcher einige Tage früher starb, hatte keine ähnliche Abweichung. Nicht vollständige Beschreibung.

2) Case of transposition of the viscera of the thorax and abdomen in a patient treated at St. George’s Hospital. The London. med. and physic. Journ. Vol 56. No. 332 (New Ser. Vol. I. No.4). Oec- tober 1826. p- 345. Gefunden an der Leiche der 40jährigen Mary Randell, welche an einer Knöchelkrankheit der rechten unteren Ex- tremität aufgenommen wurde und an einer Lungenkrankheit starb. Nicht vollständige Beschreibung.

3) Arch. gener. de med. Ser. 1. ann. 6. Tom. 16. Paris 1828. p. 124. Beobachtet im Amphitheätre de l’höpital de la Pitie. Fall (Geschlecht, Alter?). Unvollständige Beschreibung.

4) Observation sur une transposition des visceres de la poitrine et de l’abdomen. Aus den Annal. de la medecine phys. Mai 1828, in Revue med. et Journ. de clin. Ser. 2. Tom. 3. Paris 1828. p. 133. Gefunden an der Leiche des Trompeters der 2. Escadron des 16. Regiments der Jäger zu Pferde, Jos. Dujardin, welcher am 3. Jan. 1828 im Duell verwundet ward und am 5. Jan. im Hospital starb. Un- vollständige, aber interessante Beschreibung. Die Wunde befand sich seitlich und in der Milz des Hypochondrium dextrum, hatte 1 Z. in ihrer Ausdehnung. Erbrechen einer gräulichen Masse. Man glaubte die Leber verletzt, fand aber statt dessen das Ileum an zwei Stellen durch- bohrt, den Psoas dexter am oberen Drittel seines äusseren Randes getheilt und konnte sehen, dass das verwundende Instrument am 2. Lendenwirbel am weiteren Vordringen angehalten worden war.

5) Anat. Beschreibung einer umgekehrten Lage des Herzens, aller grossen Blutgefässe und einiger anderen Eingeweide mit Mangel der Milz am menschlichen Körper. Mit ı Tafel. St. Petersburg 1829. Fol. (russisch) Gefunden an der Leiche eines 42jährigen Unterof- fieiers (Invaliden) Peter Sibiriakoff, der, in der med. Klinik der medico-chir. Akademie an Incarceration des Dünndarmes in einem Loche des Omentum majus März 1829 starb. Unvollständige Trans- position. Nicht vollständige Beschreibung. Der Magen und das Duo- denum sollen ihre normale Lage gehabt haben. Die Milz fehlte. Die Vena caya inf. verlief links durch das Foramen aorticum nahm in der Brusthöhle die Stelle der links gelagerten Vena azyga ein und wird sich in die links gelagerte Vena cava superior gemündet haben. Der Truncus venarum hepaticarum mündete unmittelbar in das links ge-

576 W. Gruber:

Bosc"), Präparat im Museum der Universität zu London?), Pe- trequin°®), John Huston®), Brüggemann’), Bally°), H.

lagerte Atrium venarum cavarım. Angeblich der erste Fall in Russ- land. Der Soldat arbeitete mehr mit der linken Hand. h

1) Description d’une transposition generale des visceres. Bull. de la soc. anat. de Paris. ann. 4. 1829. p. 42. Gefunden an einer 84jährigen Frau, welche im Krankenhause de la Salpetriere am Hydrothorax der linken Seite gestorben war. Nicht ganz vollständige Transposition. Unvollständige Beschreibung. Die laterale Krümmung war normal (also rechts). Der Ductus thoracicus hatte seine Lage wie in den normalen Fällen. Der Oesophagus lag am Halse rechts, wes- halb man in diesem Falle bei der Ausführung der Oesophagotomie an der gewöhnlichen Stelle in einige Verlegenheit hätte gerathen können und man um so mehr Grund hätte, Boyer’s Rath zu befolgen, den Oesophagus, falls ein fremder Körper in seinem Kanal aufgehalten würde, nur am Vorsprunge,, welchen letzterer bildet, einzuschneiden.

2) Transposition de visceres chez un meurtrier. Gaz. des höpi- taux, ann. 6. Tom. 7. No. 8. Paris 1833. p. 32. Gefunden bei dem hingerichteten Mordbrenner Smithers. Fast vollständige Trans- position. Eine der vollständigeren Beschreibungen. Die Spitze des Herzens ist gerade nach abwärts gerichtet.

3) Transposition generale des visceres thoraciques et abdominaux. In den Mem. sur quelques cas remarquables d’anomalies organi- ques pour servir a l’'histoire de l’organo-genesie chez l’homme avec des applications & la pathologie. Gaz. med. de Paris. Ser. 2. Tom. 5. 1837. p. 199. Gefunden bei einem Jüngling von 20 Jahren, wel- cher wegen Tumor albus in das Hospital l’'Hötel-Dieu in Lyon eintrat, die Operation verweigerte und im December 1833 an Marasmus starb. Unvollständige Beschreibung mit praktischen Bemerkungen. Die la- terale Krümmung der Wirbelsäule ist nach links gerichtet.

4) Descriptive catalogue of the praeparations in the Museum of the royal college of Surgeons in Ireland. Vol. 1. Dublin 1834. 8. p. 63. B. b. 100. Ist später Wort für Wort abgedruckt in: The Edinburgh. med. and physic. Journ. Vol. 56. Edinburgh 1841 No. 149. (Part. 2. Crit. analys. p. 535.) Gefunden an der Leiche einer ältlichen Frau, die im Richmond-Hospital an Fieber starb. Nicht vollständige Be- schreibung. Der Oesophagus lag rechts und hinter der Trachea.

5) Jahresbericht über die innere Station des Krankenhauses zu Mag- deburg, 1834. Schmidt’s Jahrb. d. Med. Bd. 10. 1836. p. 219. Gefunden an der Leiche eines an Tuberculose gestorbenen Subjectes. Kurze Angabe.

6) Transposition des organes thoraciques et abdominaux. Gaz.

Ueber das Vorkommen eines Mesenteriüm commune u. s. w. 577

Snowden!), Watson?), A. Cooper‘), F.Falcon®), J. Hyrtl®),

med. de Paris. Ser. 2. Tom. 3. 1835. No. 43. p. 687. Gefun- den an der Leiche eines 25jährigen Mannes, welcher nach 25 Tagen . im Hospitale de la Pitie an Typhus gestorben war. Verkehrte Lage des Herzens diagnostieirt und daraus auf verkehrte Lage der Bauch- organe geschlossen. Nicht vollständige Beschreibung. Die Aorta stieg gerade vor der Mitte der Wirbelsäule abwärts.

1) Aus: London med. Gaz. for June 1836. p. 404, in der Zeit- schrift f. d. gesammte Mediein, von Dieffenbach, Fricke und Op- penheim. Bd. 3. Hamburg 1836. S. 110, und Schmidt’s Jahrb. der Mediein. Bd. 14. 1837. S.314. Gefunden bei einem an Tu- berculose verstorbenen 15jährigen Knaben, Jos. Parker. Sehr kurze Beschreibung.

2) Aus: London. med. Gaz. for June 1836. p. 404, in der Zeit- schrift für die gesammte Mediein. Bd. 3. Hamburg 1836. S. 109, und Schmidt’s Jahrb. Bd. 14. 1837. S. 313. Gefunden an der Leiche des 48jährigen J. Reid, welcher im Middlesex-Hospitale ver- storben war. Nicht vollständige Beschreibung. Der rechte Hode hing tiefer herab.

3) Beschrieben von L. Labat. Transposition complete des or- ganes thoraciques et abdominaux. Observee a Londres le 23. mars 1836. Gaz. des höpitaux. Tom. 16. 1836. Tom. 40. p. 157. und von Waston nach einer Mittheilung von A. Cooper, l. c, Gefunden an der Leiche der 74—75jährigen Frau Susanne Whrigt Krankenwärterin, welche im Krankenhause von St. James in London an acuter Enteritis verstorben war. Abgesehen vom Ductus thoraci- cus, welcher, wie gewöhnlich, rechts lag, und den Venae spermati- cae internae, welche wie gewöhnlich mündeten, vollständige Transpo- sition. Ziemlich vollständige Beschreibung. Der Fall ist durch das Vorkommen von 2 Venae cavae superiores, welchein das Atrium venarum cavarum mündeten, merkwürdig. (Dieser Fall von Duplicität der Vena cava superior wurde von mir . übersehen, ist sonach den 31— 32 Fällen zuzuzählen, welche Andere und ich bis jetzt beobachtet haben.)

4) Aus: London. med. Gaz. Febr. 1838. p. 731, in der Zeitschrift für die gesammte Mediein, von Frieke u. Oppenheim. Bd. 8. Hamburg 1838. S. 362. Gefunden an der Leiche eines Mannes, welcher angeblich an Fungus haematodes der Reste der Thymus starb- Darüber wenigstens im Auszuge ein sehr unvollständiger Bericht.

5) Venen-Varietäten. Oesterr. medic. Jahrb. Neueste Folge. Bd. 18. H. 1. Wien 1839. 8.7. Nr. 9. Gefunden an der Leiche eines zweijährigen Kindes. Bis auf die Vena cava inferior, welche

578 W. Gruber:

V. Parisot!), A. M. M’. Whinnie?), Museum des Collegium der Chirurgen in London®), Wolfshofer®), L. H. Gery’),

mit ihrem Anfange bis zum Lig. intervertebrale zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbel rechts von der Aorta abdominalis, also normal gela- gert war, vollständige Transposition. Kurze unvollständige Angaben, Aus der einfachen Milz kamen 2 bis zu ihrer Einmündung in die Pfortader getrennt gebliebene Milzvenen. H. hat seinen Fall wegen des Vorkommens einer einzigen Milz (was Regel ist) sogar als Aus- nahmsfall bezeichnet, und die Behauptung aufgestellt, dass die Milz bei vollkommenen Eingeweideversetzungen immer in mehrere klei- nere Milzen zerfällt (was eine seltene Ausnahme ist)!!

1) Transposition complete des visceres. Arch. gener. de med. Ser. 3. Tom. 5. Paris 1839. p. 222. Gefunden an der Leiche eines etwa 25jährigen Mannes im März 1839 zu Nancy, welche zur Zergliederung für die Studirenden bestimmt war. Der Mann starb an Tuberculose. Nicht vollständige Beschreibung. Die rechte Lunge hatte nur 1, die linke Lunge 2 Lappen. Der rechte Hode hing viel tiefer herab als der linke.

2) Bei L. Fr. u. R. Froriep: Neue Notizen a. d. Gebiete der Na- tur- u. Heilkunde. Bd. 15. Nr. 2. Juli 1840, 8. 41. Fig. 13 der Taf. v. Nr. 1. Weimar. 4. Ferner a. London. med. Gaz. Vol. 26. p. 31, in: Deseriptive catalogue of the anat. Museum of St. Bartho- lomew’s Hospital. Vol. 2. London. 8. 1851. p. 217—218. No. 174. Gefunden an der Leiche einer 25jährigen an Lungenentzündung verstorbenen Frau. Der Dickdarm lag ganz in der rechten Seite der Bauchhöhle. Die Vena cava inferior lag links, drang durch die linke Seite des Hiatus aorticus des Zwerchfells, nahm in der Brusthöhle die Stelle der Vena azyga ein, stieg an der linken Seite der Wirbelsäule aufwärts und mündete in die links gelagerte Vena cava superior. Der Truneus venarum hepaticarum drang links in das Zwerchfell und mün- dete unmittelbar in das links gelagerte Atrium venarum cavarum. Die Milz war in 3 gesonderte Portionen getheilt.

3) Cotalog. of the contents of the Museum of the royal college of Surgeons in London. Part. 5. London 1831. 4. p.1. No.1. Präparat von einem Foetus (Geschlecht?). Darüber unvollständige Angaben.

4) A. d. med. Correspondenzblatt, in Gaz. med. de Paris. Tom. 10. ann. 1842. p. 601. Beobachtet bei einem 14 Monate alten, an Cya- nose verstorbenen Kinde. Kaum vollständige Transposition. Unvoll- ständige und theilweise vielleicht auch unrichtige Beschreibung (we- nigstens nach dem Auszuge). For. ovale des Herzens offen. Die Leber füllt beideHypochondriaaus. Die Vesicafellea lag ein wenig nach rechts?

5) De l’inversion complete des visceres, observation suivie de con-

Ueber das Vorkommen eines Mesenteriunm commune u. s. w. 579

Pigne'), S.Meyer?), Charvet?), Boyer, Buet et Galipeaut),

considerations generales sur ce sujet. Arch. gener. de med. Ser. 4. Tom. 1. Paris 1843. p. 62—75. Beobachtet an einem 20jährigen Jüngling, Dubureaux aus Paris, welcher an einem Brustleiden 1842 starb. Die Transposition wurde im Leben diagnostieirt. Nicht voll- ständige Beschreibung. Der Oesophagus lag rechts und hinter der Trachea. Die laterale Krümmung des Brusttheils der Wirbelsäule be- fand sich links, obgleich das Individuum rechtshändig war.

1) Bull. de la soc. anat. de Paris. ann. 22. 1847. p. 231. Ge- funden an der Leiche einer 70—72jährigen Frau. Demonstration des Präparates in einer der Sitzungen der anat. Gesellschaft. Keine Be- | schreibung.

2) De situ viscerum abnormi. Diss, Vratislaviae 1847. 8. p. 11—13. Beobachtet an zwei Weibern, einem 62- und einem 63jäh- rigen, welche 1847 im allgemeinen Krankenhause zu Breslau, die er- stere an Lungentuberculose, die andere angeblich an Irritatio cerebro- spinalis verstorben waren. Nicht ganz vollständige Transposition und Beschreibung. Das Herz lag in beiden Fällen in der Mitte der Brust.

3) Inversion splanchnique complete. Gaz. med. de Paris. ann, 17. Ser. 3. Tom. 2. 1847. No. 32. p. 637. An einem Kran- ken zu Grenoble im Leben aus der Pulsation des Herzens und aus der tieferen Lage des rechten Hodens als des linken, worauf Ch. Ge- wicht legt, diagnostieirt. Bestätigung der Diagnose durch die Section, die nicht beschrieben ist.

4) L. Boyer: Transposition des visceres; vice de conformation et lesions pathologiques du coeur. Gaz. med, de Paris. ann. 20., Ser. 3. Tom. 5. No. 15. 1850. p. 292. Auch das Herz und die Lungen vorgelegt in der Sitzung der Akademie der Mediein in Paris am 9. April 1850. Bull de l’acad. nation. de med. ann. 14. Tom. 15. Paris 1849—1850. 8. p. 589—592. „Transposition des organes“, Beobachtet an einem 2monatlichen an Cyanose verstorbenen Kinde. Ganz unvollständige Transposition. Zweifelhafter, unvollständiger und kaum richtig beschriebener Fall. Die Lungenflügel waren transponirt. Das Herz lag rechts. Transposition seiner Atria, die durch das offene Foramen ovale communieiren, Nichttransposition seiner Ventri- kel, welche durch ein Loch im oberen Theile des Septum ebenfalls communieiren. Von den Atria ist das linke und von den Ventrikeln auch der linke grösser. Nur das linke Atrium (A. ven. cay.) commu- nieirt mit dem linken Ventrikel (V. aorticus).. Aus beiden Ventrikeln entsteht die Aorta, aus dem rechten die A. pulmonalis.. Der Arcus der Aorta und seine Aeste verhalten sich normal. Die Venae cavae liegen links. Die Leber liegt links, die Milz rechts. Der Magen lag

580 W. Gruber:

Will. Clapp'), Jessel2), Grisolle?), Valleix®), Samson’),

zwar im Hypochondrium dextrum, soll aber in Beziehung der Stellung, seiner Orificia sich normal verhalten haben. Der Darm lag normal.

1) Aus: London med. Gaz. Jan. 1850, in der Zeitschrift für die gesammte Mediein, von Oppenheim. Bd. 43. Hamburg 1850. S. 537, und in der l’Union med. Ser. 1. ann. 4 Tom. 4. No. 42. Paris 1850. p. 170. Fol. Gefunden an der Leiche eines 37jähri- gen, an Lungen-Phthise gestorbenen Mannes. Gewöhnlicher, nicht ganz vollständig beschriebener Fall.

2) Allgem. medic. Oentralzeitung. Jahrg. 20. 1851. 78. St. S. 617. Gefunden bei einem 17%jaährigen Mädchen, welches 1851 in der Nähe von Leobschütz an Pleuritis und Pericarditis starb. Die Transposition des Herzens und der Leber im Leben der Kranken schon 1846 und 1847 erkannt. Ganz unvollständig beschriebener Fall.

3) Bull. de la soc. anat. de Paris. ann. 9. 1834. edit. 2. Paris 1852. p. 128. Nicht vollständige Beschreibung. Nicht zweideu- tige Spuren von Concavität an der rechten Seite des 5.— 7. Brust- wirbels. Der rechte Hode lag höher. Das Individuum war nicht linkhändig. Das Präparat wurde in einer der Sitzungen der anat. Gesellschaft demonstrirt.

4) Transposition irreguliere des organes de droite a gauche; ab- sence de la cloison inter-auriculaire du coeur, ventricule pulmonaire rudimentaire, et ne communiquant pas avec les oreillettes; cloison inter-ventriculaire incomplete, deux veines caves superieures et pas de rate chez un enfant, qui ne presentait a l’exterieur d’autre vice de conformation qu’un bec-de-lievre double, et qui a vecu huit jours. Bull. de la soc. anat. de Paris. ann. 9. 1834. edit. 2. Paris 1852. p. 264. Gefunden an einem männlichen Kinde ohne Cya- nose im Leben. Merkwürdiger Fall. Nicht vollständige Beschreibung Ganz unregelmässige Transposition. Atrium commune mit zwei Auri- culae und wit einer medianen und longitudinalen Falte als Rudiment des Septum. Transposition seiner Abtheilungen, wovon die rechte die Venae pulmonales und die Vena cava superior dextra, die linke die Vena cava superior sinistra und Vena cava inferior aufnimmt. Nicht- transposition der Ventrikel, wovon der linke die Aorta, der rechte die A. pulmonalis entstehen liess. Die A. pulmonalis entsprang zwar etwas rechts von der Aorta, aber hinter dieser und verlief hinter dieser parallel mit ihr, von derselben grösstentheils bedeckt. Die Aorta verhielt sich wie im transponirten Zustande. Milz fehlt. Der Dickdarm rechts, der Dünndarm links. -

5) Bei Paul Wulff: Quaedam de viscerum inversione laterali. Diss. Dorpati Livon. 1855. 8. p.14. Bei einer 4öjährigen Esthin,

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 58]

R. Virchow !-2), Thom. Chaplin:), Luys‘), Legroux°),

die 1853 an der Cholera gestorben war, gefunden. Präparat im path.- anat. Museum zu Dorpat. Unvollständige Beschreibung.

1—2) H.Grahner Beschreibung eines Falles von Transposition der Brust- und Unterleibseingeweide. Diss. Würzburg 1854. In Schmidt’s Jahrb. d. Mediein. Bd. 89. 1856. S. 156 (1. Fall).

R. Virchow Ein Fall von Transposition der Eingeweide und ausgedehnten Lokalerkrankungen beim Neugeborenen. Archiv für pathol. Anat. u.s.w. Bd. 22. H. 3 u. 4. Berlin 1861. $. 426.

1. Fall. Beobachtet an einem 47jährigen, 1853 in Würzburg an Tleo-Typhus verstorbenen Eisenbahnarbeiter. Fast vollständige Beschrei- bung. Die Lage und die Messung der Hoden ergab nichts besonderes Abweichendes. Die links gelagerte Leber wurde im Leben für einen grossen Milztumor genommen!

2. Fall. Gefunden an einem männlichen, völlig ausgetragenen, unmittelbar nach der Geburt gestorbenen Kinde. Unvollständige seit- liche Transposition der Brustorgane und vollständige der Bauchorgane. Missgebildetes, fast vertikal gelagertes Herz mit einem mit zwei Auri- culae versehenen Atrium commune und zwei Ventrikeln, welche durch ein Loch im Septum in Folge Mangels der Pars membranacea com- municiren. Die linke Abtheilung des Atrium commune nimmt auf: den gemeinschaftlichen Stamm der Vena cava superior und inferior und den gemeinschaftlichen Stamm für die Venae hepaticae und V. umbilicalis, die rechte Abiheilung die Venae pulmonales. Es war so- mit Transposition der Abtheilungen des Atrium commune zugegen. Aus dem rechten Ventrikel kam die Art. pulmonalis aus dem linken die Aorta. Es war somit Nichttransposition der Ventrikel vorhanden. Beide Ventrikel hatten ein Ostium atrio- ventrieulare commune. Die Ostia arteriosa waren in sagittaler Richtung transponirt, nicht, in la- teraler, das Ostium pulmonale liegt hinten und rechts, das O. aorti- cum liegt vorn und links. Die A. pulmonalis und der Arcus aortae und die Aorta thoracica hatten eine Lage wıe im nicht transponirten Zustande. Die Aeste der Aorta gingen auf gewöhnliche Weise ab. Die Vena cava superior war transponirt. Sie nahm die ebenfalls transponirte Vena cava inferior auf, welche in der Brusthöhle die Stelle einer verkehrt gelagerten Vena azyga einnimmt und links von der Aorta abdominalis und thoraeica aufsteigt. Der Stamm der Venae hepaticae und V. umbilicalis mündet nicht in die Vena cava inferior, sondern unmittelbar in das Atrium commune. Jeder der Lungen- flügel hat zwei Lappen, der obere Lappen der rechten eine Andeutung zum 3. Lappen. Der Dickdarm liegt links und in der Mitte der Bauchhöhle.

582 W. Gruber:

Werdmüller®), Auzouy’’), Cornaz?°), J. F. H, Albers’), J. de Bary'®),

3) Report of a case of a transposition of the viscera. The Lan- cet. 1854. Vol. 2. No. 23. p. 478. Gefunden an einem 1 Jahr 10 Monate alten, an Peritonitis etc. verstorbenen Kinde Sophia H. Ganz gewöhnlicher Fall. Kurze unvollständige Beschreibung.

4) Gaz. med. de Paris. ann. 26. Tom. 11. 1856. No.5. p. 77. Gefunden an einer 72jährigen, an Cerebral-Hämorrhagie im Kran- kenhause de la Salpetriere verstorbenen Frau. Nicht ganz vollstän- dige Beschreibung. Die laterale Krümmung des Brusttheils der Wir- belsäule nach rechts, also normal, aber weniger ausgesprochen.

5) Cancer du pylore. -— Diagnostic rendu douteux par une trans- position generale des visceres. Gaz. des höpitaux. Paris 1856. No. 117. p. 466. Gefunden bei einem Manne. In der unteren Partie des Hypochondrium sinistrum und in der Tiefe ein harter Tu- mor zu fühlen. Dieser Tumor sollte nach Legroux’s Meinung dem Pancreas, nach Anderen dem linken Theil des Magens, und nach der Meinung eines jungen Arztes nach der Symptomatologie dem Pylorus angehören. Der Hode war rechts viel tiefer herabgestiegen als links. Ausser dieser Angabe über die gefundene Transposition keine Be-

schreibung. 6) A. d. Schweizer Zeitschrift f. Medicin. H. 3. 1856, in Cann- statt’s Jahresbericht. 1856. Bd. 4. S. 43. Gefunden bei der

Section eines 9monatlichen Kindes. Unvollständige Transposition. Ganz unvollständige Beschreibung (nach dem Auszuge). Das Herz, die Leber und Magen sollen verkehrt, die übrigen Eingeweide normal gelagert gewesen sein?

7) Transposition des organes impairs. L’Union med. Nouv. Ser. Paris.s ann. 1859. p. 235. Gefunden bei einem 69jährigen, im Irrenhaus zu Mareville 1858 verstorbenen Irren. Kurze und, abgese- hen von der fehlenden Angabe über das Pancreas und die laterale Krümmung des Brusttheils der Wirbelsäule, gute Beschreibung.

8) Inversion splanchnique complete. Gaz. des höpitaux. 1859. No. 79. p. 315. Gefunden bei einem Schmid aus Piemont, der im Hospitale Pourtales in Neufchätel an Bronchitis starb. Unvoll- ständige Beschreibung. Die Milz zeigte den Anfang ihrer Theilung in 3.

9) Atlas der path. Anatomie f. prakt. Aerzte. Abth. 4. Die Krank- heiten des Unterleibes. Bonn 1862. Fol. Tab. 32. Gefunden im anat. Theater zu Bonn, an der Leiche einer 30jährigen Weibsperson.

10) Mittheilungen aus dem path.-anat. Cursus des Prof. Lieber- meister in Tübingen. Atresie des Oesophagus, vollständige Trans- positio viscerum. Ursprung der Aorta und der Arteria pulmonalis

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 583

b. Bei en Pferde.

Goubaux'").

Mit seitlicher Transposition der Bauchorgane allein. Heuermann?), G. Martin et G. Breschet?), William

aus einem Ventrikel. Arch. f. path. Anat. u. s. w. Bd. 31 (3. Folge Bd. ı). Berlin 1864. S. 430. Gefunden bei einem weiblichen, nicht völlig ausgetragenen Kind, das nur unvollständig geathmet hatte, sehr cyanotisch war und 4 Stunden nach der Geburt starb. Nicht vollständige Beschreibung. Missgebildetes Herz und missgebil- deter Öesophagus. Das Herz mit der Spitze nach rechts, sein Septum ventrieulorum durch ein Loch durchbohrt, seine Ventrikel transponirt, sein Ostium atrio-ventrieulare dextrum mit einer zweizipfligen, sein O. atrio-ventrieulare sinistrum mit einer dreizipfligen Valvula versehen. Aus dem nach links transponirten rechten Ventrikel entspringt vorn die Art. pulmonalis, hinten die Aorta. Die Aorta descendens liegt verkehrt. Der Oesophagus ist 4 Cm. unter dem Larynx in einen im- perforirten Strang von 6 Mm. umgebildet. Sein unteres, nach oben blind endigendes Stück mündet 2 Mm. über der Theilung der Trachea durch eine längliche spaltförmige Oeffnung in diese. Die Lungen? (waren schon zerschnitten). Die Leber, die Milz, der Magen, der Darm- kanal, das Mesenterium liegen verkehrt. Weitere Angaben fehlen.

1) Transposition des organes chez un cheval. Gaz. med. de Paris ann. 24. Ser. 3. Tom. 9. 1854. No. 27. p. 418. Gefunden an einem 25jährigen Pferde bei den Präparirübungen der Studirenden an der Veterinär-Anstalt zu Alfort. Unvollständiger Bericht wegen nicht möglicher Untersuchung in Folge Verletzung und Entfernung mancher Organe durch die Präparanten. G. glaubt, dass dieser Fall der erste sei, welcher beim Pferde gefunden wurde.

2) Bei J. F. Meckel: Handb. d. path. Anat. Bd. 2. Abthl. 1. Leipzig 1816. S. 186. Nur Angabe des Fails, keine Beschreibung (im Auszuge).

3) G. Martin: Observation d’une deviation organique de l’esto- mac; d’une anomalie dans la situation, dans la configuration du coeur et des vaisseaux qui en partent ou qui s’y rendent. Bull. de la soc, anat. de Paris. 1841. p. 39. G. Breschet: M&m. sur l’ectopie de l’appareil de la eirculation et particulierement sur celle du coeur. Chap. I. Observ. 2. p. 9. Pl. 1, Fig. A,B,C. Re£pert. general d’anat. et de physiol. pathologiques et de clin. chir. Tom. 2. Part. 1. Paris 1826. 4. Obgleich Breschet Nichts angiebt, so scheint doch

584 W. Gruber:

Moncreiff!), Moser?), William Hardy?°), Curling?), Sieg.

der von ihm beschriebene Fall derselbe zu sein, den auch Martin beschrieben hat. Gefunden an einem männlichen, 6 wöchentlichen, an convulsivischem Erbrechen verstorbenen Kinde. Unvollständige Trans- position und Beschreibung. Missgebildetes Herz, in der Medianlinie mit der Spitze etwas links gelagert, mit nur 1 Atrium und 1 Ven- trikel. Das Atrium nimmt auf: Zwei Venae cavae superiores, wovon jede eine V. azyga aufnimmt, die Vena cava inferior, den Truneus venarum hepaticarum (unmittelbar) und die Venae pulmonales. Aus dem Ventrikel entstehen: die Aorta rechts und vorn und die Arteria pulmonalis links und hinten. Die Venae cavae superiores sind durch einen queren Ast am Brusteingange vereinigt. Die V. cava inferior liegt links von der Aorta abdominalis. Die Aorta und Art. pulmo- nalis, obschon transponirt an ihrem Ursprunge, verhalten sich sonst wie gewöhnlich. Ausser dem Ductus arteriosus Botalli von der Art. pulmonalis sinistra kommt noch ein schwacher von der Art. pulm. dextra, der in die Art. innominata endigt. Lungen nicht transponirt. Die Leber liegt in beiden Hypochondria, ist aber, wie das Pancreas, nicht verkehrt gelagert. Der Magen und das Duodenum haben eine verkehrte Lage. Die rechte Niere liegt wie gewöhnlich tiefer. Der Darm scheint sich normal verhalten zu haben. (Ich hielt früher die- sen Fall für zwei von einander verschiedene Fälle. Siehe meine Schrift: Ueber den Sinus communis und die Valvulae der Venae car- diacae. Mem. de l’acad. imp. des sc. de St. Petersbourg. Ser. 7. Tom. 7. No. 2. 4. 1864. p. 46. —)

1) Case of pertussis with the dissection of the body in which was - found besides the morbid appeareances a remarkable transposition of the thoracic (?) and abdominal viscera. The Edinburgh. med. and surg. Journ. Vol. 29. Edinburgh 1828. Part. 2. Crit. analys. p. 440. Gelesen in der Sitzung der medico-chir. Gesellschaft in Edin- burgh am 5. März 1828. Gefunden an einem 4%jährigen, am 6. Fe- bruar gestorbenen Mädchen. Section von Dr. Modie. Kurzer unvoll- ständiger Bericht. Mit Ausnahme der Aorta thoracica, welche an der rechten Seite der Wirbelsäule herabgestiegen gewesen sein soll, keine abnorme Lage der Brustorgane. Von den Bauchorganen sind der Magen mit dem Darme, die Leber und Milz als verkehrt gelagert an- gegeben.

2) Bei E. d’Alton: Beobachtungen über einige Hühnerembryonen, welche sich durch ungewöhnliche Krümmungen auszeichneten. Zei- tung f. Zool., Zoot. u. Palaeozool. von E. d’Alton u. Burmeister. Jahrg. 1848. 2. Quartal. Bd. 1. No. 16. p. 127. Gefunden an der Leiche eines Mannes von 40 Jahren. Unvollständige und unre-

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 585

Meyer’), Debouie°).

gelmässige Transposition. Unvollständige, curiose Beschreibung. Statt einer Milz waren 2 vorhanden. Diese, die Leber, das Pancreas und der Magen lagen verkehrt. Trotz der verkehrten Lage der Leber be- haupteten die Gefässe der Pforte die natürliche Anordnung. Der Dünn- darm nahm die rechte Seite der Bauchhöhle ein. Das Coecum lag auf der Harnblase und das Colon stieg angeblich vor den grossen Ge- fässen zuerst auf- und abwärts, dann wieder auf- und abwärts. Die Vena cava inferior ging an der Stelle, wo die Vena azyga durch das Zwerchfell tritt in die Brusthöhle, nahm die Stelle der letzteren da- selbst ein und mündete in die nicht transponirte Vena cava superior. Der Truncus venarum hepaticarum trat durch das Foramen quadri- laterum des Zwerchfells und mündete an der Stelle der Oefinung der Vena cava inferior normaler Fälle in das Atrium dextrum cordis.

3) Transposition congeniale des visceres. Arch. gener. de med. Ser. 2. Tom. 3. 1833. p. 277. (Aus London, med. Gaz. 20. avril 1833.) Gaz. des höpitaux. ann. 6. Tom.7. No.140. Paris 1833. p. 446. Derselbe Fall ist noch einmal von Raleigh in: Lancet. Vol. 2. No. 11. 1836, beschrieben und in Schmidt’s Jahrb. d. Med. Bd. 14. Jahrg. 1837. S. 21, als R. angehörig, ausgezogen. Gefun- den an der Leiche eines Mannes, der im allgemeinen Krankenhause zu Caleutta an Cholera, die in chronische Dysenterie übergegangen war, starb. Der Bericht, welcher mit Ausnahme der Harn- und Geschlechts- werkzeuge und der Gefässe der Leberpforte, die nicht berücksichtigt wurden, vollständig ist, enthält nur Gewöhnliches.

4) Bei M’. Whinnie in Froriep’s neuen Notizen. Bd. 15 Nr. 2. 1840. S. 44. Gefunden an der Leiche eines 40 Jahre alten, 1839 in das London. Hospital aufgenommenen, an einer Herzenskrankheit und allgegpeiner Wassersucht verstorbenen Mannes. Verworrene Be- schreibung. Eine Milz mit 4 kleinen Nebenmilzen. Der Dickdarm war nicht verkehrt, scheint aber einen abnormen Verlauf gehabt zu haben.

5) Op. eit. p. 26. Gefunden an der Leiche einer 60jährigen Wittwe, die im Breslauer Krankenhause 1847 an Pericarditis gestor- ben war. Unvollständige Transposition. Nur der Magen, das Duo- denum und die Milz lagen verkehrt,

6) Bull. de la soc. anat. de Paris. ann. 32. Ser.2. Tom.2. 1857, Gefunden an der Leiche eines etwas frühzeitig neugeborenen Mäd- chens. Demonstrirt in der anat. Gesellschaft im März; mit Imperfora- tion der Vagina. Der Magen und das Duodenum und die Milz sind verkehrt gelagert. Die Milz ist auf einen Knoten von der (Grösse eines Kirschkerns reducirt. Alle übrigen Organe der Brust-, Bauch- und Beckenhöhle sind normal gelagert und beschaffen.

Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 38

586 W. Gruber:

II. Noch andere frühere Fälle seitlicher Transposition der Eingeweide.

Die angeführten Fälle seitlicher Transposition der Brust- und Bauchorgane sind keineswegs alle Fälle, die bis jetzt be- obachtet worden sind. Es existiren noch Fälle, deren Beschrei- bung mir unzugänglich ist, und andere, deren Beobachtung nur angezeigt nicht beschrieben ist. Es mögen ausserdem in Mu- seen manche Fälle aufbewahrt werden, die nie beschrieben wor- den waren.

Thom. Bartholin Hist. anat. rar. centuriae. Amstelo- dami 1654 12° Cent. II. Hist. XXIX. führt bei Beschrei- bung des Falles von Bertrand p. 199—200 an: Petrus Ser- vius habe ihm glaubwürdig gemacht, dass zu Rom 1643 ein . ähnlicher Fall vorgekommen sei und dass Plater, nach Schenk’s Bericht Aehnliches beobachtet habe. Winslow „Remarques sur les monstres* Part. 1. Mem. de math. et phys. de l’acad. roy. des sc. de Paris. ann. 1733. berichtet bei Be- schreibung des Falles von Morand und bei Anführung des Falles von Bertrand p. 376: es habe ihn Falconet benach- richtigt, dass eine ähnliche Transposition bei einem Domherrn zu Nantes gefunden worden sei; und im Journ. de Dom. Pierre de St. Romuald Paris 1661 sei angezeigt gewesen, man habe 1657 an der Leiche des Commissärs des Garderegigentes in Paris, Herrn Audran, eine ähnliche Beobachtung gemacht. Haller Opusc. sua anat. Göttingen 1751 p. 211 Nr. IU. eitirt unter anderen Fällen auch einen Fall von Daubenton, bei welchem er bemerkt, dass der transponirte Ductus thora- cicus in die Ven. subclavia dextra sich geöffnet habe. Dieser Fall scheint ein eigener zu sein. Ob aber die Brust- und Bauchorgane zugleich, oder jene oder diese allein transponirt gewesen waren, ist nicht angegeben. Derselbe Op. minora. Tom. II. Lausannae 1768 p. 16. not. g—n. eitirt noch andere Fälle. Baillie 1. c. p. 359. Note hat beim Chirurgen _ Payne einen zeitigen Foetus mit Transposition der Eingeweide

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w, 587

gesehen. Rostan 1. c. bemerkt, dass im L’höpital de la Charite 3 Fälle seit Bichat vorgekommen seien. Bujalski op. eit. erwähnt eines Präparates aus England von Cruikshank und Thomas. Dieses ist wahrscheinlich das- selbe getrocknete Injectionspräparat, welches bis jetzt noch im Museum der St. Petersburger medico-chir. Akademie aufbewahrt wird. Man sieht daran das Herz und die grösseren Gefässe der Brust- und Bauchhöhle, die Leber, die Milz, den Magen, das Duodenum und das Rectum verkehrt gelagert. A. W. Otto Lehrb. d. path. Anat. Bd. 2. Berlin 1830. p. 27. Note 3 und Geoffroy St. Hilaire Hist. gener. et particul, des anomalies. Tom. 2 Paris 1856 p. 21 citiren: Gauteron, Römer, Metzker, Aubertin (v. Auberlin), Jacob, Her- hold, Omer, Ullersberger, Wetzler, Heger (v. Ste- ger), Douglas, Fox mit Fällen. Dieselben und Snowden

verweisen auf einen Fall von Bryan. Otto op. cit.p. X. und E. d’Alton ].c. p. 126 gedenken eines von G. Ga- mage New-England Journ. of med. and surg. Tom. 4.

p- 244 beobachteten Falles von Umkehrung aller Eingeweide bei einem 15 Wochen alten Mädchen. Otto ]l. c. und A. Förster. Die Missbildungen d. Mensch. Lief. 2. Jena 1861 p. 137 nennen auch Wette De situ viscerum inverso. Diss. Berol. 1827. Otto l. c. erinnert an einen Fall im path.-anat. Museum zu Wien. Watson Schmidt’s Jahrb..d. Mediein Bd. 14, 1837, p. 313 bemerkt, dass A. Cooper von einem Falle eine Zeichnung besass und einen anderen Fall kannte, welchen Dease in Dublin se- eirt hatte. Derselbe eitirt auch Capuron Traite de la med. leg. rel. aux accouch. Gery 1. c. p. 62 Note berich- tet, dass bis dahin das Musee Dupuytren 5 Fälle besessen und Bonamy bei einer 80jährigen in der Salpetriere verstorbenen Frau complete Inversion der Eingeweide gefunden habe. Al- bers Canstatt’s Jahresb. 1843 Bd. 2 p. 89 giebt an, dass im path.-anat. Museum zu Bonn schon damals 3 Fälle aufbewahrt wurden. Jamain Gaz. des höpit. 1859. Nr. 79. p- 315. Note erwähnt 2 Fälle, welche während seiner me_ dicinischen Studien bei einer alten Frau und einem jungen 38”

588 W. Gruber:

Manne vorgekommen waren. Cornaz l.c. gedenkt 1 bis 2 Fälle, welche in Madrid angetroffen worden waren. Förster Hdb. d. path. Anat. 2. Aufl. spec. Th. 2. Lief. 1. Leipzig 1862 p. 100 citirt auch Vrolik. Welche Fälle viel- leicht in den Museen in Wien und anderen Orten aufbewahrt werden, ist mir unbekannt. Ich erinnere mich eines Präparates im Museum zu Prag mit Transposition der Eingeweide. Es rührte, wenn ich nicht irre, von einem alten Zwerge her, wel- cher im Dienste des dortigen Erzbischofes stand und von einem Artilleristen, seinem Verwandten, ermordet wurde. Professor Bochdalek rettete das Präparat von dessen Beerdigung.

Ob diese Fälle sämmtlich verschiedene sind von den oben in Kürze beschriebenen sicheren, weiss ich aus angegebenen Gründen nicht. Bei einer Reihe von Fällen ist es mir auch unbekannt, ob die Transposition die Brust- und Bauchorgane zu- gleich, oder erstere oder letztere allein betraf. Wenn Otto und Geoffroy St. Hilaire unter die Fälle mit seitlicher Trans- - position auch welche mit sogenannten falschen Herniae diaphrag- maticae, wie z. B. die von Holt und Ramsay (nicht Remsay) geworfen haben; wenn ferner Otto den Fall von Lentin Beiträge z. ausüb. Arzneiwissenschaft, Bd. 2, Leipzig 1798, p. 68—78 mit abnormer Lagerung des Darmes bei einem angeblich mit Cyanose behafteten löjährigen Knaben hierher rechnete; wenn endlich in neuester Zeit, allerdings nur aus Versehen, statt P. Wulff, der eine Dissertation über seitliche Transposition der Eingeweide geschrieben hat, sogar Wilde, dessen Dissertation den Titel: „Disquisitiones quaedam de alca- libus per urinam excretis“, Dorpati Liv. 1855 8°, führt, unter den Berichterstattern über seitliche Transposition der Einge- weide genannt wird; so ist es nicht einmal sicher, ob alle Fälle wirklich seitliche Transpositionen waren. Wenn F. @. Voigtel Handb. d. path. Anat. Bd. 2. Halle 1804 p. 314—316. Haller und Sandifort eigene Fälle zudachte, die meines Wissens keine solche beobachtet hatten, auch Sue’s Fall im Auszuge anführen aber dabei auf Fälle noch Anderer, welche i. d. Commentarii de rebus in scientia naturali et me- dica gestis. Vol. I. P. 1. Lipsiae 1752, 8°, p. 24, verzeichnet

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 589

sein sollten, verwies, wo aber Sue’s Fall allein in’s Lateinische übersetzt wiedererzählt wird; wenn ferner Otto und Geoffroy St. Hilaire Il. c. Römer eitiren, welcher nach S. Th. Sömmering Math. Baillie. Anat. d. krankh. Baues a. d’ Engl. m. Zusätzen. Berlin 1794, 8°, p. 27. Note 53. Mor- gagni’s Fall mit Inversion des Herzens wieder abgedruckt hat, so hat man um so mehr Grund, die Fälle, von welchen man nur den Titel der angeblichen Beobachter und ihrer Werke _ kennt, nicht unbedingt als eigene anzunehmen.

Trotzdem und abgesehen von den Fällen, in welchen seit- liche Transposition der Brustorgane allein, namentlich des Her- zens, vorkam, wie solche Fälle z. B. durch Möllenbrock- Hoffmann (1671), A. Ferrein (1741, nach Eschenbach 1753), Torrez (1750), J. Abernethy (1793), G. Breschet (1826), G. Cooper (1836) u. A. aus der neueren Zeit bekannt wurden; so mag sich doch die Zahl der an der Leiche beobachteten Fälle seitlicher Transposition der Brust- und Bauchorgane zu- gleich und der Bauchorgane allein auf weit mehr als 100 be- laufen.

III. Schlüsse.

Aus der Betrachtung obiger 79 sicherer Fälle mit seitlicher Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich und jener der Bauchorgane allein beim Menschen ergiebt sich Nach- stehendes:

1) Es gehörten die Fälle 49 männlichen 19 weiblichen In- dividuen und noch 11 anderen an, bei welchen die Bericht- erstatter das Geschlecht anzugeben vergessen haben. Bei dem männlichen Geschlechte kam sonach die seitliche Transposition viel häufiger, als bei dem weiblichen vor.

2) Unter diesen Individuen befanden sich 2 Fötus; 20 Kin- der von der Geburt bis zum Alter von 9 Jahren; 2 im Alter von 15 und 17!/, Jahren und 55 Erwachsene im Alter von 20—84 Jahren, Unter den Männern erreichten nur 2 das Alter

590 W. Gruber:

von 69 und 72 Jahren (Auzouy, Morand), unter den Frauen aber 5 d. A. von 70—84 Jahren (Rostan, Bose, A. Cooper, Pigne, Luys). Die Individuen hatten daher ein gleich hohes Alter erreicht, wie die mit normal gelagerten Eingeweiden.

3) Unter den Erwachsenen waren 11 Soldaten zu Fuss und, zu Pferde (Morand, Fournier, M’. Grigor, Desruelles Scoutetten (3), Bacot, Barbieux, Bujalski, Gruber); verschiedene Handwerker; 3 Verbrecher (Bertrand, Larrey, Präp. i. Museum d. Universität i. London) u. s. w. Unter den Frauen gebar eine 12 Kinder (Rostan). Die Individuen waren daher zum Militärdienste und anderen Beschäftigungen wie die wohlgebildeten tauglich. Die Frauen standen an Fruchtbarkeit wohlgebildeten nicht nach.

4) Unter denselben starben 4 eines unnatürlichen Todes und zwar 2 im Duell oder in Folge desselben (Fournier, Barbieux) und 2 durch ‚Hinrichtung (Bertrand, Präparat 1. Museum d. Universität i. London).

5) Unter den Individuen waren nur 4 äusserlich missgebil- det und zwar ein Foetus, ein neugeborener und ein 9 Tage alter Knabe (Otto 1. F., Nägele, Valleix) und ein neugebore- nes Mädchen (Debouie).

6) Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich kam an 71, die der Bauchorgane allein an 8 vor. Unter den Fällen der ersten Art war die Transposition in ®/, d. F. vollständig, ‚an '/, mehr oder weniger unvollständig und zwar: an 4 (Four- nier, Bujalski, L. Boyer, Werdmüller) unvollständig, an 2 (Valleix, Virchow 2. F.) unvollständig und unregel- mässig; an 2 mit Ausnahme des Dickdarmes, welcher entweder in der linken Seite der Bauchhöhle (M’. Grigor) oder in der rechten derselben (M. Whinnie) lag, an 5 (Sue, Nacquart et Piorry Dubled) mit Ausnahme des Rectum, an 3 (Präp. i. Mus. d. Univ. i. London, Meyer 1. u. 2. F.) mit Ausnahme des Herzens, das die Spitze abwärts gerichtet hatte, an 1 (A. Cooper) mit Ausnahme des Ductus thoracicus, und an 1 (Hyrt]) mit Ausnahme des Anfanges der Vena cava inferior vollständig, an 1 (Wolfshofer) endlich kaum vollständig (?). Unter den Fällen der anderen Art wurde die Transposition

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 59]

in ®/, d. F. vollständig oder fast vollständig; in 5/, unvollstän- dig und zwar: an 2 (Meyer 3. F., Debouie) unvollständig, an 3 (Martin-Breschet, Moser, Curling) unvollständig und unregelmässig gefunden. Die Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich kam daher bei weitem häufiger vor als die der Bauchorgane allein. Bei ersterer Art war die Trans- . position in der Regel vollständig, bei der letzteren unvollständig.

7) Das Herz lag unter den 71 Fällen mit Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich nur an 4 (Präp. i. Mus. d. Univers. i. London, Meyer 1. u. 2. F, Virchow 2. F.) mit der Spitze des Herzens abwärts oder in der Mitte der Brusthöhle; unter den 3 Fällen mit Transposition der Bauch- organe allein an 1 (Martin-Breschet) in der Medianlinie mit der Spitze nur etwas links. Dasselbe war unter 79 Fällen, mit Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich und der Bauchorgane allein, nur an 5 missgebildet (L.-Boyer, Valleix, Virchow 2. F., Bary, Martin-Breschet). Es wies an 2 (Boyer, Valleix) transponirte und durch das of- fene Foramen ovale communicirende Atria (Boyer), oder doch transponirte Abtheilungen eines Atrium commune (Valleix) und nicht transponirte, aber miteinander communieirende Ven- trikel auf, wovon nur der linke‘ mit dem nach links transponir- ten Atrium dextrum oder der nach links transponirten rechten Abtheilung des Atrium commune communicirte; hatten an 2 (Virchow 2. F,, Martin-Breschet) nur ein Atrium und einen Ventrikel, an welchem letzteren die Ostia arteriosa in einem Falle (Virchow) in sagittaler Richtuug, in dem anderen Falle (Martin-Breschet) in sagittaler und lateraler Richtung transponirt waren, liess an 1 die Art. pulmonalis und Aorta zugleich aus dem nach links transponirten rechten Ventrikel entspringen, welcher durch eine Oeffnung im Septum ventricu- lorum mit dem anderen communicirte (Bary). Das Herz war somit bei Transposition der Brust- und Bauchorgane zugleich nur selten nicht völlig transponirt, und in diesen Fällen und in jenen mit Transposition der Bauchorgane allein nur selten völlig missgebildet.

8) Die Lungen waren unter den 71 Fällen der Transposi-

592 W. Gruber:

tion der Brust- und Bauchorgane zugleich an 35 transponirt, d. i. rechts 2lappig und links 3lappig, an 2 (Desruelles, Virchow 2. F.) nicht transponirt, d. i. rechts 3lappig, links 2lappig; an 2 (Meyer 2.F., Gruber) jederseits 2lappig, davon aber trotzdem in einem Falle, in dem der obere Lappen des rechten Lungenflügels den gewissen zungenförmigen Anhang aufwies und die Lungenwurzel constituirenden Theile seit- lich transponirt waren, sicher transponirt (Gruber); an 1 (Parisot) rechts llappig, links 2lappig und an 1 (Fournier) überhaupt nur aus einem Flügel bestehend angetroffen; an einem (Bary) nicht untersucht; und endlich an 29 Fällen ohne Bemerkung über ihre Lappung gelassen worden. Bei der Transposition der Brust- und Bauchorgane waren daher die Lungen nur ganz ausnahmsweise nicht transponirt oder, wie in den Fällen mit normaler Lage der Eingeweide, auf eine ge- ringere Anzahl von Lappen oder sogar nur auf einen Flügel reducirt vorgekommen.

9) Der seitlichen Krümmung des Brusttheiles der Wirbel- säule ist nur bei 11 Fällen gedacht. Unter diesen war bei 7 (Scoutetten (3), Petrequin, Gery, Grisolle, Gruber) die Krümmung (mit der Convexität) nach links, also verkehrt; an 4 (Beclard, Rostan, Bosc, Luys) nach rechts, also wie in der Norm gerichtet. Unter den ersteren war nur bei 2 (Gery, Grisolle), unter den letzteren ebenfalls nur bei 2 (Beelard, Rostan) bemerkt, dass die Individuen mehr mit dem rechten Arm gearbeitet oder einen mehr entwickelten rech- ten Arm als linken besessen hatten. In den Fällen von Baillie und A. Cooper arbeiteten die Individuen mehr mit dem rechten Arme, in dem Falle von Bujalski mehr mit dem linken, aber es ist in diesen Fällen die Richtung der seitlichen Krümmung der Wirbelsäule nicht angegeben. Nach diesen wenigen Angaben kann somit der Streit, ob die seitliche Krümmung der Wirbelsäule von dem vorherrschenden Gebrauch des einen Armes, wie Bichat und Beclard meinen, oder von der Lage der Aorta abhängig sei, wie Cruveilhier glaubt, nicht entschieden werden, und diess um so weniger als von 7 Individuen unbekannt ist, mit welchem Arme sie vorzugsweise

3

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 593

gearbeitet haben. Die Angaben scheinen aber doch mehr für - die Ansicht von Cruveilhier als die von Bichat zu sprechen. Aus denselben geht auch nicht hervor, dass die mit transponir- ten Eingeweiden behafteten Individuen, öfterer mehr des linken Armes bei ihren Arbeiten sich bedienen, als die Individuen, welche eine normale Lage der Eingeweide besitzen.

10) Der Oesophagus scheint in den Fällen mit Transposition der Aorta den Uebergang ihres Arcus in die A. descendens links gekreuzt zu haben, wenn darüber auch eine Notiz ver- misst wird. In 7 bis 8 Fällen (Nacquart et Piorry, Pou- lin? Bose, Houston, A. Cooper, Gery, Petrequin, Gruber) ist ausdrücklich bemerkt, dass der Oesophagus am Halse hinter der Trachea und rechts von derselben gelagert gewesen sei, also der Suleus tracheo-oesophageus sich rechts statt links vorgefunden habe. In Virchow’s 2. Falle kreuzte derselbe den Uebergang des Arcus aortae in die A. descendens rechts, aber es war in dem Falle wenigstens der Arcus aortae nicht transponirt. Der Oesophagus war nur in einem Falle durch Obliteration an einer Stelle und Communication mit der Trachea missgebildet (Bary).

11) Mit der seitlichen Transposition der Organe ging die Umkehrung der Hälften des Zwerchfelles und seiner Hiatus einher.

12) Der Magen mit dem Duodenum war nur in einem Falle normal gelagert, während die übrigen Bauchorgane transponirt waren (Bujalski). Dieselben und die Milz, wenn diese’ vor- handen war, waren in 3 Fällen transponirt, während die übrigen Bauchorgane eine normale Lage hatten (Martin-Breschet, Sieg. Meyer 3.F., Debouie). Der Magen und andere Bauch- organe hatten in einem Falle eine normale Lage, während nur die Leber transponirt war (Fournier). Der Magen mit der Leber waren in einem Falle transponirt, während die übrigen Bauchorgane eine normale Lage hatten (Werdmüller).

13) Der Dickdarm lag in einem Falle in der rechten Seite der Bauchhöhle (Valleix); in einem anderen, bei dem das Colon transversum fehlte, in der. linken Seite derselben (M’. Grigor); in einem dritten und vierten vor der Wirbelsäule

594 W. Gruber:

und den grossen Gefässen in der Mitte der Bauchhöhle, wobei das Coecum in der Gegend der Spina ilei anterior superior der linken Seite (Virchow 2. F.), oder auf der Harnblase Platz nahm.

14) Das Rectum blieb in 4 Fällen an der gewöhnlichen Seite (Morand, Sue, Nacquart et Piorry, Dubled).

15) In einem Falle wurde am Ileum ein Divertieulum be- . obachtet (Baillie); in einem anderen der Darmkanal in zwei Portionen getheilt gefunden, wovon die obere vom Magen aus- gehende blind endigte und die untere am After mündende mit einem blinden Ende begann (Anonymus).

16) Die Leber war in einem Falle transponirt, während die anderen Bauchorgane eine normale Lage hatten (Fournier); in einem anderen Falle vielleicht nicht transponirt, während die übrigen Bauchorgane transponirt gefunden wurden (Wolfs- hofer); in einem dritten Falle mit anderen Bauchorganen transponirt, während der Magen mit dem Duodenum eine nor- male Lage hatte (Bujalski); in einem vierten, fünften und sechsten Falle mit dem Pancreas und dem Darme vom Jeju- num angefangen normal gelagert, während der Magen mit der Milz und das Duodenum transponirt waren (Martin-Bre- schet, Meyer 3. F., Debouie); in einem siebenten Falle endlich mit dem Magen transponirt, während die übrigen Bauch- organe eine normale Lage hatten (Werdmüller). Die trans- ponirte Leber reichte in einem Falle bis zur Crista lei sinistri herab (Chaplin). In einem Falle mündete der Ductus cho- ledochus in den vorderen Theil des Duodenum (Baillie); in einem anderen behaupteten die Gefässe der Leberpforte die normale Anordnung (Moser).

17) Das Pancreas soll in einem Falle gefehlt haben (Ano- nymus)?

18) Die Milz fehlte unter 79 Fällen 3mal (Bujalski, Val- leix, Martin-Breschet); war einmal auf einen kleinen Knoten reducirt (Debouie); war mal mehrfach und zwar war sie in 2 Portionen (Moser) oder 3 (Whinnie) getheilt, oder hatte bei sich 2 Nebenmilzen (Gruber), oder 4 Neben- milzen (Curling) oder sogar 5 Nebenmilzen (Baillie)

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 595

und zeigte einmal den Anfang ihrer Theilung in 3 (Cornaz); war 49mal ausdrücklich als einfach angegeben; und 20mal nicht besonders berücksichtigt worden, was zum wahrscheinlichen Schluss berechtigt, dass sie in letzteren Fällen nichts ausser- gewöhnliches an sich gehabt habe, also auch in diesen Fällen einfach gewesen sei. In einem Falle erstreckte sich die trans- »ponirte Milz vom Hypochondrium dextrum bis in die Fossa iliaca und Regio inguinalis dextra (Meyer 3. F.). Mangel und Mehrfachsein der Milz wurde daher bei Transposition der Ein- geweide nur selten beobachtet. Ihre Vervielfältigung war bei vollständiger Transposition der Brust- und Bauchorgane eben- so eine Ausnahme, wie in den Fällen mit normaler Lage der Eingeweide.

19) Welche von den Nieren tiefer lag ist nur 8&—9mal aus- drücklich bemerkt. In den Fällen von Morand?, Bujalski, Watson, Chaplin, Curting, Grisolle und Gruber lag die linke, in den von Desruelles und Martin-Breschet die rechte tiefer. Nur einmal (Sue) kam eine einzige Niere (die linke) vor.

20) Der Lage der Hoden zu einander ist nur 7mal gedacht. Der rechte Hode war in den Fällen von Watson, Parisot, Charvet und Legroux, der linke in dem Falle von Grisolle tiefer gelagert. In einem Falle (Virchow 1. F.) ergab die Untersuchung der Lage und die Messung nichts Abweichendes; in einem anderen Falle (Virchow 2. F.) war der linke Hode in den Hodensack noch nicht herabgestiegen.

21) Unter den Fällen mit Transposition der Brust- und Bauchorgane, in welchen die Lage der Aorta descendens an- gegeben ist, verlief diese in einem Falle bis zu ihrer Theilung vor der Mitte der Wirbelsäule (Bally); und in einem anderen Falle deren Pars thoracica zwar links, vor der Wirbelsäule aber doch rechts von der Fortsetzung der in die Vena cava superior einmündenden und die Stelle der transponirten Vena azyga ein- nehmenden Vena cava inferior, deren Pars abdominalis aber rechts von dem Bauchstücke der letzteren (Virchow 2. F.); in den übrigen an der rechten Seite der Wirbelsäule abwärts. Unter 31—32 Fällen, bei welchen der vom Arcus der Aorta

596 W. Gruber:

entsprungenen Stämme gedacht ist, gingen diese 29-—-30mal transponirt ab d, i. am meisten nach links die Art. innomi- nata, weiter nach rechts die Art. carotis communis dextra, und am meisten nach rechts und hinten die Art. subelavia dextra; nur in 2 Fällen, in welchen der Arcus der Aorta nicht trans- ponirt gewesen sein mag, waren auch die Stämme des Arcus nicht transponirt (Boyer, Virchow 2. F.). In einem Falle mit missgebildetem Herzen und Transposition der Ostia arteriosa an demselben, und unvollständiger Transposition der Bauch- organe waren 2 Ductus arteriosi Botalli zugegen, wovon der schwächere rechte von der Art. pulmonalis dextra kam und in die innominata mündete (Martin-Breschet).

22) Die Vena azyga war nur in einem Falle nicht trans- ponirt, blieb also rechts (Morand); und die nach links trans- ponirte Vena azyga soll sich in einem andern Falle in das nach links transponirte Atrium dextrum cordis unmittelbar. geöffnet haben?

23) Duplicität der Vena cava superior kam in 3 Fällen vor und zwar in einem bei fast vollständiger Transposition der Brust- und Bauchorgane und mit Einmündung in das Atrium venarum cavarum des Herzens (A. Cooper); in dem andern Falle bei unregelmässiger Transposition der Brust- und Bauchorgane und mit Einmündung in beide Abtheilungen eines Atrium commune (Valleix); und in dem dritten Falle bei unvollständiger Trans- position der Bauchorgane ‘allein und mit Einmündung in beide Abtheilungen eines Atrium commune (Martin Breschet).

24) Die Vena cava inferior war in einem Falle mit Trans- position der Brust- und Bauchorgane an ihrem Anfangsstücke (Hyrtl); in einem andern Falle mit unvollständiger und un- regelmässiger Transposition der Bauchorgane allein in ihrem ganzen Verlaufe nicht transponirt (Moser). In 3 Fällen mit Transposition der Brust- und Bauchorgane setzte sich die nach links transponirte Vena cava inferior durch den Hiatus aorticus des Zwerchfelles links von der Aorta in die Brusthöhle fort, stieg vor dem linken Theile der Wirbelsäule, daselbst die Stelle der Vena azyga einnehmend, aufwärts, krümmte sich über der linken Lungenwurzel nach vorwärts und mündete in die links

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 597

gelagerte Vena cava superior (Bujalski, Whinnie, Virchow 2. F.). In einem Falle mit Transposition der Bauchorgane drang die nicht transponirte Vena cava inferior an der gewöhn- lichen Stelle des Durehtrittes der Vena azyga durch das Zwerchfell, stieg vor der rechten Seite der Wirbelsäule aufwärts und mündete in die normal gelagerte Vena cava superior (Moser).

25) Die Venae hepaticae, oder diese und die Vena umbili- calıs bildeten in allen den Fällen, in welchen die Vena cava inferior in die Vena cava superior mündete, mochte erstere - transponirt oder nicht transponirt sein, einen Truncus, welcher statt der Vena cava inferior durch das Foramen quadrilaterum drang und in das Atrium venarum cavarum unmittelbar sich öffnete (Bujalski, Whinnie, Virchow 2. F. Moser). In einem Falle mit missgebildetem Herzen mit vollständiger Transposition der Bauchorgane und transponirter Vena cava in- ferior öffnete sich der Truncus venarum hepaticarum rechts von dieser in das Atrium unicum (Martin-Breschet).

26) Die Vena lienalis war in einem Falle doppelt (Hyrtl).

27) Die Venae spermaticae internae waren in einem Falle nicht transponirt (A. Cooper).

28) Der Ductus thoracicus war unter den 8 Fällen, bei welchen seiner Lage gedacht ist, 6mal transponirt (Sue, Baillie, Whinnie, Virchow 1.F., Auzouy, Gruber) und hatte 2mal seine normale Lage behalten (Bosc, A. Cooper).

29) Der Nervus recurrens vagi dextri umschlang bei den 8 Fällen, in welchen der Rami recurrentes der Nervi vagi aus- drücklich erwähnt ist, den Arcus der Aorta (Bertrand, Baillie, Bally, Snowden, Valleix, Virchow 1. F., Luys, Gruber).

30) Im Leben der Individuen wurde die Transposition der Eingeweide unter den oben beschriebenen Fällen nur 5 bis 6mal diagnostieirt (Nacquart et Piorry, Bally, Wolfs- hofer,? Charvet, Jessel, Legroux?). In dem Falle von Bally wurde aus der erkannten transponirten Lage des Herzens, in dem Falle von Charvet aus dieser und aus der tieferen Lage des rechten Hodens auf allgemeine Transposition der Ein- geweide geschlossen.

598 W. Gruber:

31) In mehreren Fällen führte das Vorkommen der Trans- position der Eingeweide zu Irrthümern in der Diagnose: in einem Falle veranlassten Schmerzen im Hypochondrium dextrum zur Diagnose einer chronischen Leberentzündung (Desruelles); in einem anderen Falle an einem im Duell verwundeten und nach der Verwundung noch 2 Tage lebenden Soldaten, glaubte man aus dem Sitze der Wunde im Hypochondrium dextrum und aus der erbrochenen grünlichen Flüssigkeit auf Verletzung der Leber durch das eingedrungene Instrument schliessen zu können (Barbieux), in einem dritten Falle wurde in der Würzburger Klinik die nach links transponirte Leber für einen grossen Milztumor gehalten (Virchow 1. F.); in einem vier- ten Falle schrieb man einen harten Tumor in der Tiefe des Hypochondrium sinistrum, der durch Pyloruskrebs des Magens veranlasst wurde, dem linken Theile des Magens oder dem Pancreas angehörig zu (Legroux). |

32) Praktische Bemerkungen gaben: Riolan, Sue, Base, Petrequin, Charvet. Sue’s empfohlene, sonderbare Ex- perimente sind wohl werthlos.. Die tiefere Lage des rechten Hodens, welche nach Charvet ein wichtiges Symptom für die Transposition abgeben soll, ist nicht verlässig. Selbst bei sicher nachgewiesener Transposition der Brustorgane ist dieselbe noch kein sicheres Symptom für die Transposition der Bauch- organe, weil die tiefere Lage des rechten Hodens bei Individuen mit Transposition der Eingeweide eben so wenig constant ge- funden wurde, wie die tiefere Lage des linken Hodens bei In- dividuen mit normaler Lage der Eingeweide. Die Art des Herabhängens der Hoden und die Ausmittelung der Lage des Rectum!) mögen zur Diagnose der Lage der Eingeweide bei-

1) Delens Revue med. par Cayol. Tom. Ill. Paris 1842, p- 443 will aus der Richtung einer in das Rectum eingeführten, wenig biegsamen Sonde die Lage des letzteren bestimmen, und aus der rechtseitigen Lage des Rectum auf seitlich transponirte Lage der Eingeweide schliessen. Allein die Richtung der Sonde kann trügen und die wirkliche Lagerungsseite des Rectum nicht anzeigen. Gesetzt auch, die Sonde habe die richtige Lage des Rectum angegeben, so er- laubt letztere (rechtseitige) denn doch noch nicht den sicheren Schluss

Ueber das Vorkommen eines Mesenterium commune u. s. w. 599

tragen, aber für die Diagnose der Transposition derselben wer- den nur die aus der Pereusion und Auscultation der Brust und die aus Percussion des Unterleibes gewonnenen Erscheinungen entscheidend sein, wie dies z. B. in einem Falle durch Seitz geschehen ist H. Steinhäuser, Klinische Beobachtung eines Falles von Situs viscerum inversus. Diss. Giessen 1860. 8°. Der Oesophagus steht bei Individuen mit normaler Lage der Eingeweide über die Trachea links, bei Individuen mit seit- lich transponirter Lage der Eingeweide rechts hervor. Bei _ jenen liegt der Sulcus tracheo-oesophageus an der linken Hals- seite, bei diesen an der rechten, bei jenen ist der Oesophagus links, ‘bei diesen rechts sicher zu treffen. Bei der Ausführung der Oesophagotomie, falls der im ÖOesophagus aufgehaltene fremde Körper keinen äusserlich sichtbaren Vorsprung bildet, operirt man an der Halsseite, an welcher der Oesophagus sicher zu finden ist. Man hat somit bei normaler Lage der Einge- weide an der linken Halsseite, bei seitlich transponirter Lage derselben an der rechten die Oesophagotomie vorzunehmen, falls man sich nicht der Verlegenheit aussetzen will, den Oe- sophagus zu verfehlen. Diess setzt aber die Diagnose der nor- malen oder seitlich transponirten Lage der Eingeweide voraus, welche somit vor der Vornahme der Oesophagotomie gestellt werden muss. Bose hat wegen der Möglichkeit des Verfehlens des Oesophagus bei den mit seitlich transponirten Eingeweiden behafteten Individuen dringend auf die Befolgung des Rathes

auf Vorkommen einer seitlichen Transposition des Darmkanales. Das Rectum ist ja bei übrigens normal gelagertem Darmkanale transponirt, und bei transponirtem Darmkanale normal gelagert gefunden worden (ausnahmsweise). Wie sehr eingeführte Sonden täuschen können, überzeugte ich mich in einem Falle von Krankheit des Colon descen- dens, welche theilweise Undurchgängigkeit veranlasste‘, und in einem Falle von Volvulus der Flexura sigmoidea, welcher das Lumen des Darmrohres nicht völlig schloss. In beiden Fällen glaubten die Aerzte die Sonde, welche lang genug war, um den grösseren Theil des Dick- darmes durchzuwandern, bis dahin eingeführt zu haben, bis ich den- selben bewies, dass die Sonde in Folge von Knickungen und Biegun- gen nur in der Portio media (subperitonealis) und P. inferior (ano- prostatica) des Rectum Platz genommen hatte.

600 W. Grubef: Ueber das Vorkommen u. s. w.

von Boyer hingewiesen d. i. auf den Oesophagus an der Seite des Halses einzudringen, wo der in seinem Rohre aufgehaltene fremde Körper einen äusserlich sichtbaren Vorsprung hervor- bringt. Aber der Körper erzeugt ja nicht immer einen der- artigen Vorsprung.

33) Nur in dem neuen Falle ist ein Mesenterium commune für das Jejuno-Ieum und die grössere Anfangshälfte des Dick- darmes sicher vorgekommen (Gruber). In diesem Falle hätte sowohl der Dünndarm als auch das Coecum und das Colon ascendens fast in allen möglichen Hernien, und zwar letztere nicht nur in linkseitigen, sondern auch in rechtseitigen vor- kommen können.

Dr. I. Rosenthal: Ueber Herzgifte. 601

Ueber Herzgifte.

Von

Dr. I. ROosENTHAL in Berlin.

Durch die Güte des Herrn Dr. Fedor Jagor erhielt ich drei Kapseln mit Giftproben der Jakun’s oder Mintras von Ma- lacea, welche derselbe 1858 dort an sich gebracht hatte. Die- selben waren bezeichnet mit den Nummern 220, 221, 225, und nach den Notizen des Dr. Jagor sollten die beiden letzteren ein Harz enthalten, welches aus dem Stamm des „Ipo batang“ nach dem Fällen des Baumes hervorquillt. Die mit Nr. 220 bezeichnete Kapsel dagegen enthielt eine Probe des Pfeilgiftes der Mintras, welche in Gegenwart des Herrn Dr. Jagor ge- kocht, von ihm selbst in die Rohrkapsel gefüllt und sorgfältig aufbewahrt war. Ueber die Bereitung dieses Giftes theilte mir Herr Jagor gütigst folgende Notizen aus seinem Tagebuche mit, welche ich, bei dem lebhaften Interesse, das sie zu er- wecken geeignet sind, hier mitzutheilen mir erlaube:

„Man schlug drei Pflöcke in die Erde, setzte eine eiserne, halb mit Wasser gefüllte Pfanne darauf, zündete Feuer dar- unter an, that die fein geschabte Rinde folgender Pflanzeu hinein: Akar-ipo (Giftwurzel) = Lada-ipo (Giftpfeffer) eine starke Hand voll; Ipo-batang (Baumstammgift) und Sabalai, je eine kleine Prise. Nach einer Minute wurde die Rinde im Wasser mittelst der Hand stark ausgepresst und fortgeworfen. Nachdem der Extract 4 Minuten gekocht hatte, wurde er mit grosser Vorsicht abgegossen, wobei ein auf den Rand der

Pfanne gelegter kleiner Ballen fein geschabter Bambusfasern als Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 39

602 Dr. I. Rosenthal:

Filtrum diente, um die noch in der Flüssigkeit schwimmenden Rindenstückchen zurückzuhalten. Nachdem die Pfanne auf das Sorgfältigste mit Sand ausgescheuert worden, wurde der Absud etwa !/, Liter in dieselbe zurückgegossen, man setzte, als er zu kochen begann, einen Theelöffel voll vom Saft des Ipo-batang hinzu. Dieser geringen Menge wegen hatte man einen grossen Baum gefällt, aus dessen Querschnitt der klebrige Saft langsam ausschwitzte. Nach Zusatz dieser Substanz ent- stand in der bisher klaren Flüssigkeit ein Coagulum, das zu Boden sank. Zwei Minuten später goss man abermals die klare Flüssigkeit ab, in die man vorher ein Stückchen durch Realgar verunreinigten Arseniks von der Grösse eines Stecknadelknopfs geworfen hatte. Eine so geringe Menge kann wohl keine Wirkung haben, auch gilt der Zusatz nach Aussage des Gift- kochers nicht für wesentlich und unterbleibt, wenn kein Arsenik vorhanden ist, ohne der Wirksamkeit des Pfeilgiftes zu schaden. Nachdem der Bodensatz beseitigt und die Pfanne abermals sehr sorgfältig mit Sand ausgescheuert worden, goss man wieder das Filtrat in dieselbe zurück und dampfte es bis zur Syrups- dicke ein. Das fertige Gift wird entweder gleich auf die Pfeile gebracht oder in kleinen Bambusen verwahrt; es soll seine Wirk- samkeit viele Jahre lang behalten. Früher wurden bei dem Giftkochen allerlei Zauberformeln angewendet, die Herrn Bo- rie’s Einfluss beseitigt hat.“

Ausser dieser interessanten Beschreibung machte Herr Jagor noch die Anmerkung: „Nach Borie (Tydschrift ind. taal-Land- Volkk. 1861 S. 422) sterben Affen, Eichhörnchen, Vögel, Katzen nach einigen Minuten. Auf Menschen ist die Wirkung des Giftes zweifelhaft, auf Hühner (poules) wirkt es gar nicht oder fast gar nicht.“

In der Sammlung des physiologischen Laboratoriums zu Berlin befinden sich zwei Kapseln mit Pfeilgift und ein Köcher mit vergifteten Pfeilen, welche Herr Dr. Jagor vor mehreren Jahren an Herrn Professor du Bois-Reymond geschickt hat. Nach den Angaben des Herrn Jagor ist dieses Gift mit den mir übergebenen Proben gleichartig. Nach einer Notiz des Herrn Professor du Bois-Reymond wirkt dieses Gift auf

Ueber Herzgifte. 603

Kaninchen ähnlich wie Strychnin.!) Um nun zunächst die merk- würdige Angabe über die Immunität der Hühner zu prüfen, schob ich einem grossen Huhn eine Pfeilspitze unter den Flügel, ‚und als keine Wirkung erfolgte, noch eine in eine am Kamme angebrachte Wunde. Aber auch dies blieb wirkungslos. Eine grosse Katze, welcher eine Pfeilspitze in eine Wunde am Rücken geschoben wurde, starb nach zwei Stunden unter Kräm- pfen und wurde sehr schnell todtenstarr. Am folgenden Tage spritzte ich dem Huhne 5 Cem. einer mit NO, schwach ange- säuerten Lösung, welche aus dem Gifte der beiden älteren, dem Laboratorium gehörigen Kapseln bereitet war, mittelst einer Giftsprize unter die Haut. Nach Verlauf von 30 Minuten be- kam es eine Reihe schnell aufeinander folgender tetanischer Anfälle und starb nach im Ganzen etwa einer Stunde völlig wie ein mit Strychnin vergiftetes Thier. Daraus würde folgen, dass zwar Hühner ebenfalls der Wirkung dieses Pfeilgiftes un- terliegen, dass sie aber einer grösseren Dosis bedürfen, wo- durch die Angabe des Herrn Borie und der Eingeborenen sich bestätigt.

Ich wandte mich nun zur Untersuchung der neuen, von Hrn. Jagor mir übergebenen Giftproben. Von dem als „Gita- kayas“ bezeichneten Safte des Ipo-batang, welcher durch Ver- dunstung des Wassers zu einer dunkelbraunen festen Masse eingetrocknet war, wurde eine Lösung mit destillirtem kochen- dem Wasser gemacht, welche in 1 Cem. 0,2 Grm. der trockenen Substanz enthielt. 1 Ccm. dieser Lösung wurde einem grossen Frosche unter die Rückenhaut gespritzt. Innerhalb zweier Stun- den zeigt das Thier Nichts Besonderes. Nun wird das Herz bloss gelegt. Der Ventrikel steht still in Diastole, prall mit dunklem Blute gefüllt. Die Vorhöfe contrahiren sich schwach, ohne sich zu entleeren. Zuweilen kommen eine Reihe von gu- ten Contractionen der Vorhöfe und Ventrikel hinter einander, dann wieder längere Pause. Nach längerer Zeit werden die Contractionen den peristaltischen Bewegungen ähnlich, indem der linke Vorhof bei seiner Contraction eine kleine Blutmenge

1) Monatsber. d. Berl. Acad. 1859, 8. 319. 39*

604 Dr. I. Rosenthal:

in den Ventrikel presst, welche langsam durch den Ventrikel- hohlraum nach rechts hinüberrückt, um im Bulbus Aortae zu verschwinden.

Diese Erscheinung wurde bei einem andern Frosche, dessen Herz blossgelegt war, schon sieben Minuten nach Injection von 2 Cem. der Lösung unter die Haut des einen Schenkels beob- achtet. Der Ventrikel war dabei ganz starr contrahirt. Später blieben die Bewegungen des Ventrikel ganz aus, derselbe blieb starr zasammengezogen, alles Blut häufte sich in den Vorhöfen und dem Hohlvenensinus an, welche zu einer enormen Aus- dehnung gelangten.

Ganz dieselben Erscheinungen zeigten sich auch nach In- jection von Lösungen der beiden anderen Gifte. In dem All- gemeinbefinden der Frösche wurde selbst bei Anwendung grös- serer Dosen Nichts bemerkt, als eine gewisse Unruhe, welche nach einiger Zeit in Mattigkeit überging; die Athmung wurde zuerst etwas beschleunigt, wurde dann unregelmässig und setzte zuletzt ganz aus. Niemals traten Krämpfe ein.

Hiernach haben wir es also bei dem Pieilgifte der Mintras mit einem reinen Herzgifte zu thun, welches in seinen Wir- kungen mit dem Antiar übereinstimmt, wie eine Vergleichung meiner Angaben mit denen von Neufeld') beweist. In der That kann ich mich in Bezug auf die Einzelheiten der Erschei- nungen am Herzen auf einen einfachen Hinweis auf Neufeld’s Schilderung beschränken. Interessant ist es, dass der eine Be- standtheil der Giftmischung, der als „Gita-kayas“ bezeichnete Saft des „Ipo-batang“* für sich allein ganz dieselben Wirkungen ausübt, wie die Gesammtmischung. Man könnte dadurch auf den Gedanken kommen, dass dieser Bestandtheil der allein wirk- same, die übrigen Zusätze unwirksame, nur durch Tradition von den Eingebornen für nothwendig gehaltene seien. Dem widerspricht freilich die geringe Menge, welche nach der oben mitgetheilten Bereitungsweise von diesem Ipo-batang-Safte zugesetzt wird. Den- noch kann ich für diese Meinuug anführen, dass eine wässerige Abkochung, welche ich aus der Rinde eines mir ebenfalls von

I) Studien des physiologischen Instituts zu Breslau, 3. Heft, $. 97 ff.

Ueber Herzgifte. 605

Herrn Jagor gütigst zur Verfügung gestellten Stammstückes der Giftwurzel („Akar-ipo“) bereitete, sich ganz unwirksam er- wies. Wie dem auch sei, wir lernen in diesem Pfeilgifte von Malacca und ins Besondere in dem Safte jenes Baumes eine Substanz kennen, welche ohne nachweisliche Wirkung auf an- dere Theile des Organismus die Herzbewegung schnell aufhebt und so gleichsam einen Gegensatz zu dem Pfeilgift von Guyana, dem Curare, bildet, welches gerade im Gegentheil auf alle quer- gestreiften Muskeln wirkt, das Herz aber nicht zum Stillstand bringt.

Ich wandte mich nun zu Versuchen an warmblütigen Thieren. Einem kleinen, weissen Kaninchen wurden 2 Cem. der Gita- kayas-Lösung unter die Rückenhaut gespritzt. Nach 14 Minuten wird es matt, stützt den Kopf auf den Tisch; beim Versuch, ihn zu erheben, tritt starkes Zittern ein. Drei Minuten später sinkt es um, bekommt heftige Dyspnoe, dann heftige Convul- sionen, die Pupille dilatirt sich enorm, der Augenhintergrund ist ganz blass; Tod 22 Minuten nach der Injection. Der Thorax wurde sofort geöffnet. Man fand die Ventrikel ganz stillstehend, an den Vorhöfen schwache, fimmernde Bewegung. Der rechte Ventrikel und die Venen waren stark mit dunklem Blute ge- füllt, der linke Ventrikel und die Arterien fast leer.

Ganz dieselben Erscheinungen zeigten sich bei Injection der anderen Giftproben, sowohl bei Kaninchen, als bei Hänflingen, Tauben und Hühnern. Stets trat Schwäche, dann Athemnoth, Convulsionen, Dilatation der Pupille und Tod ein. Die zum Tödten nöthige Dosis, so wie die Zeit, innerhalb deren die Wirkung eintrat, waren natürlich nach der Grösse der Thiere sehr verschieden. Doch schien es auch hier, dass Hühner eine verhältnissmässig etwas grössere Menge des Giftes erforderten.

Kaninchen wurde das Herz blosgelegt und auf die bekannte Weise Luft in die Lungen eingeblasen, so dass sie ganz apnoisch waren und auch bei Suspension der künstlichen Athmung noch mehre Minuten apnoisch blieben. Während so stetig ein Ueber- schuss von Sauerstoff zugeführt wurde, injieirte ich die Gift- lösung unter die Haut oder in die Bauchhöhle. Kurze Zeit darauf wurde der Herzschlag schwach, das Thier begann zu

606 Dr. I. Rosenthal:

athmen, das Herz stand still, Dyspnoe trat ein, Convulsionen folgten, die Pupille erweiterte sich, der Augapfel wurde her- vorgedrängt; und wenn er pigmentlos war, sah man deutlich den Augenhintergrund ganz blass und blutleer, es erfolgten noch einige krampfhafte Inspirationen, dann war das Thier todt.

Vergleicht man diese Erscheinungen mit denen, welche von mir vor Kurzem als Folgen der Circulationshemmung in den Kopfschlagadern beschrieben wurden), so kann man kaum zweifelhaft sein, dass es sich in beiden Fällen um den gleichen Vorgang handelt. In der That scheint es auch selbstverständ- lich, dass die Behinderung der Circulation, wie sie durch Läh- mung des Herzens zu Stande kommt, im Centralnervensystem dieselben Wirkungen hervorbringen muss, wie die Aufhebung der Circulation im Centralnervensystem durch Verschluss der Kopfschlagadern. In dem oben eitirten zweiten Artikel meiner Studien über Athembewegungen habe ich nachzuweisen gesucht, dass die Wirkungen der Circulationsstörung übereinkommen mit denen einer wahren Erstickung. Bei der Erstickung nämlich wird das gesammte Blut ausser Stand gesetzt, Sauerstoff aufzu- nehmen und Kohlensäure abzugeben. Bei dem Verschluss der grossen Kopfschlagadern geschieht dasselbe mit dem Blute des verlängerten Markes und Gehirnes. Da es aber auf diese Theile des Organismus hauptsächlich ankommt, so ist der Effect der gleiche: Dyspnoe, Asphyxie und Tod. Lähmung des Herzens nun bewirkt Beides; zum verlängerten Marke und Gehirne ge- langt kein arterielles Blut und gleichzeitig stockt der Kreislauf in den Lungen und somit der Gasaustausch des Blutes mit der Lungenluft. So muss also Erstickung eintreten, trotz aller Luftzufuhr zu den Lungen, Erstickung mit allen ihren charak- teristischen Erscheinungen: Dyspnoe, Convulsionen, Asphyxie und Tod. Diese Erscheinungen werden also auch die charak- teristischen Symptome einer acuten Herzlähmung sein müssen, und in der That werden sie nicht nur bei Vergiftung mit den hier in Rede stehenden Substanzen beobachtet, sondern auch bei anderen Herzgiften, z. B. bei den Kalisalzen, wie erst

1) Dieses Archiv 1865, 8.191 f.

Ueber Herzgifte. 607

neuerdings Dr. P. Guttmann in einer unter meinen Augen vollendeten Untersuchung über die Wirkungen der Kalisalze nachgewiesen hat.!) Sie müssen dagegen fehlen bei allen kalt- blütigen Thieren, weil bei diesen die einzelnen Theile des Cen- tralnervensystems von der Existenz des Kreislaufs und vom Sauerstoffgehalte des Blutes fast unabhängig sind. So wenig man daher durch Ersticken bei einem Frosche Krämpfe erzeu- gen kann, so wenig kann man dies durch Herzgifte. Die ein- zige sichtbare Wirkung wenn man das Herz selbst nicht beob- achtet, besteht daher bei diesen Thieren in einer Abnahme der Muskelkraft, in einer gewissen Mattigkeit, wie wir sie auch in der That beobachtet haben, und wie sie in derselben Weise auch nach dem einfachen Ausschneiden des Herzens auftreten würde. Nach längerer Zeit natürlich muss auch bei kaltblütigen Thie- ren durch diese Herzgifte der Tod herbeigeführt werden.

Es bietet aber diese Unabhängigkeit der einzelnen Organe vom Kreislaufe, wie sie die kaltblütigen Thiere besitzen, eine erwünschte Gelegenheit, sich über die Art und Weise der Wir- kung eines Giftes aufzuklären. Denn bei der alleinigen Beob- achtung warmblütiger Thiere würde es sehr schwer sein, zu entscheiden, ob die beobachteten dyspnoischen und convulsivi- sehen Erscheinungen unmittelbare Wirkungen des Giftes auf das Centralnervensystem sind, oder mittelbare, durch Lähmung des Herzens bewirkte. In der That sind die bei warmblütigen Thieren auftretenden Krämpfe den durch Strychnin erzeugten so ähnlich, dass eine Verwechselung leicht möglich ist. Auf- merksame Beobachtung freilich zeigt Unterschiede genug. Erst- lich geht den durch Herzlähmung bedingten Convulsionen stets eine allmählich sich steigernde Dyspnoe vorher. Zweitens sind sie unabhängig von äusseren Reizen, sie sind nicht reflectorisch, sondern durch eine unmittelbare Erregung der Centralorgane bedingt. Drittens geht ihnen stets die Abschwächung des Herz- schlages vorher, was mit Sicherheit freilich nur bei unmittel- barer Beobachtung des blosgelegten Herzens festgestellt werden kann. Viertens endlich geht der convulsivische Anfall, aus der

1) Berl, Klin, Wochenschrift 1865, Nr. 34—36,

608 Dr. I. Rosenthal:

heftigen Dyspnoe sich entwickelnd, erst immer stärker, dann wieder schwächer werdend unmittelbar in Asphyxie über; wäh- rend bei der Strychninvergiftung doch meist eine Reihe tetani- scher Anfälle, mit deutlich dazwischen liegenden Pausen, auf- tritt, in deren einem dann das Thier stirbt. Aber alle diese Unterschiede sind doch nur schwer aufzufinden, während der Mangel aller Krämpfe bei kaltblütigen Thieren über die Natur des in Rede stehenden Giftes als eines reinen Herzgiftes sofort Aufschluss giebt.

Es musste nun sehr auffallen, dass die Versuche mit den anderen, in der Sammlung des physiologischen Laboratoriums befindlichen Giftproben zu einem ganz anderen Ergebniss ge- führt hatten. Nicht nur hatte Herr Professor du Bois-Rey- mond bei seinem oben citirten Versuche mit dem Giftpfeil den Eindruck empfangen, dass es sich um ein strychninartig wir- kendes Gift handele, sondern auch mir war es bei dem oben angeführten Versuche an einem Huhne ebenso gegangen. Durch die nachfolgenden Versuche mit den neuen mir von Herrn Jagor übergebenen Proben misstrauisch gemacht, wiederholte ich nun die Versuche mit den älteren Proben in Gegenwart der Herren Professor du Bois-Reymond und Dr. Jagor und wir überzeugten uns, dass die Wirkungen ganz verschieden waren. Frösche, mit einer Lösung des fraglichen Giftes ver- giftet, bekamen deutliche, den Strychninkrämpfen ähnliche Krämpfe. Daneben war die Wirkung auf das Herz gleichfalls vorhanden, jedoch weniger deutlich ausgeprägt, als bei den an- deren Proben. Ein Kaninchen, welchem das Herz blosgelegt war und dem mittelst eines Blasebalges Luft in die Lungen eingeblasen wurde, bekam starke Krämpfe, bevor der Herz- schlag sich merklich geändert hatte. Später trat auch Herz- lähmung ein. Als aber das Thier bald darauf starb, waren die Pupillen stark verengt, ein deutlicher Beweis, dass der Tod nicht durch Erstickung erfolgt war, wie es doch bei den reinen Herzgiften der Fall ist. Aus alle dem folgt, dass das hier in Rede stehende Gift ein Gemenge eines Herzgiftes mit einem anderen strychninähnlich wirkenden Gifte darstellt. Es ist freilich sonderbar, dass solche Unterschiede bei verschie-

Ueber Herzgifte. 609

denen Giftproben vorkommen, welche doch von einem und demselben Volksstamme herrühren, aber das thatsächliche Vor- kommen solcher Unterschiede lehrt, wie vorsichtig man bei dem Studium dieser Gifte, welche doch stets ein Gemenge ver- schiedener Substanzen sind, verfahren muss. Die von mir un- tersuchte Probe Nr. 220, welche in Gegenwart des Herm Ja- gor selbst gekocht wurde, kann jedenfalls zuverlässiger als ein Prototyp des Pfeilgiftes der Mintras angesehen werden, als die anderen von Herrn Jagor fertig angekauften Proben. Der Um- stand, dass der eine Bestandtheil desselben, der Saft des Ipo- batang für sich allein ebenfalls die herzlähmende Wirkung hat, lässt diesen als das hauptsächlich Wirksame erscheinen, wäh- rend die übrigen Zusätze je nach Umständen wechseln mögen. Vom physiologischen Standpunkte ist dieses Herzgift wegen der Aufschlüsse, die es uns über das Verhalten der nervösen Cen- tralorgane bei plötzlicher Unterbrechung des Kreislaufes giebt, von grossem Interesse, Den 2. September 1869.

Zusatz des Verfassers.

Von Herrn Dr. Jagor erhielt ich später noch zwei Baum- rinden, aus welchen die Igoroten am Berge Iriga auf Luzon ein Gift bereiten. Die Abkochung der einen Rinde war wirkungs- los, die der anderen wirkte ebenfalls herzlähmend, aber schwächer als das Gift der Mintras. Die Erscheinungen waren ganz die oben beschriebenen.

Berlin im October 1869.

610 W. Dönitz:

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissge- burten.

Von

Dr. W. Dönttz.

Schluss der zweiten Abhandlung. (Hierzu Taf. XII. u. XIII)

Dass die accessorischen Hälften an diesem Monstrum sich nicht prägnanter ausdrücken, mag mit der Hemicephalie des Schädels in Verbindung stehen. Man wird nämlich annehmen müssen , dass bei der jedenfalls sehr frühzeitig eingetretenen Zerstörung des Gehirns auch die accessorischen Augen- und Nasenbläschen zu Grunde gegangen sind, und dass aus diesem Grunde die Bildungsfortsätze des Wirbelsystems, welche sich mit Rücksicht auf diese Organe -ausbilden, naturgemäss nicht zur Entwickelung gelangten. Ferner darf man den Gedanken nicht von der Hand weisen, dass die accessorischen Gesichts- hälften möglicher Weise noch kein Knochengerüst entwickelt hatten, und dass Knorpel ihnen zur festen Grundlage diente. Da dieser aber durch die allzu starke Maceration verloren ge- gangen ist, so kann man die frühere Anwesenheit accessorischer Gesichtshälften eher vermuthen als nachweisen. Einige andere zu den Schistocephalen gerechnete Fälle, die sich in der Lite- ratur verzeichnet finden, sind so ungenau beschrieben, dass man über ihre Bedeutung kein sicheres Urtheil gewinnen kann. Jedenfalls wird man in ähnlichen vorkommenden Fällen sein

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 61]

Augenmerk hauptsächlich mit auf die knorpeligen Theile rich- ten müssen, welche die im Knochenskelett offene Geruchshöhle medianwärts gegen die Spaltungsebene hin begrenzen; denn leider sind diese Monstra meistens mit Hemicephalie behaftet, so dass die Untersuchung des Gehirnes im Stich lässt.

Unter den einfachen Missbildungen mit Gesichtsspalten findet sich auf dem hiesigen anatomischen Museum ein Präparat vom Kalbe (Taf. XIIL, Fig. 6), welchas dem von Gurlt beschriebe- nen ungemein ähnlich sieht und, wie dieses, auch mit Hemice- phalie behaftet ist‘). Siebbein und Keilbein sind auch hier mit einander verschmolzen und schicken gegen den sogenannten Gesichtsspalt hin so stark entwickelte Fortsätze aus (Fig. 6P), dass man sie als rudimentär gebliebene accessorische Gesichts- basis auffassen kann, um so mehr, als linkerseits vor den Fort- satz des Siebbeins sich eine kleine Knochenplatte gelagert hat, die sich mit Rücksicht auf ein einfaches Individuum nicht un- gezwungen deuten lässt, während sie mit Rücksicht auf ein Doppelmonstrum als weiter differenzirtes, wenn auch nicht nä- her zu definirendes Stück der accessorischen Gesichtsbasis auf- zufassen sein würde. Die beiden Pflugscharbeine (Fig. 6 V.) begrenzen den oberen Theil der Nasenhöhlen gegen den Ge- sichtsspalt hin und weichen nur insofern von denen des Gurlt’- schen Präparates ab, als ihre medialen Enden einen halben Zoll weit von einander abstehen, während im Gurlt’schen Falle diese Enden continuirlich in einander übergehen. Man könnte hierin einen weiteren Beweis für die Duplicität des Schädels finden; doch man muss gerade in Betreff der Pflugscharbeine sehr vorsichtig sein, da diese bei der Entwickelung des Em- bryo’s nicht aus präformirter, gesöndert auftretender Bildungs- masse hervorzugehen, sondern nur als Schaltstücke aufzutreten scheinen?), und deshalb für den Typus der Gesichtsbildung von so untergeordneter Bedeutung siud, dass wir es nicht wagen

1) Ueber die Abstammung dieses unter No, 16072 aufbewahrten Präparates liess sich nichts weiter ermitteln, als dass es von Herrn Dr. Gradenwitz eingeliefert wurde,

9) Reichert, Ueber die- Visceralbögen der Wirbelthiere etc. Berlin 1837. 8. 74 u. 75.

612 W. Dönitz:

dürfen, ihre Verdoppelung als Beweis für eine am Kopfende des Wirbelsystems aufgetretene monströse Duplieität gelten zu lassen. |

Durch die Güte des Herrn Geheimerath Gurlt hatte ich die Gelegenheit, einen in Spiritus aufbewahrten Schistoce- phalus bifidus zu untersuchen.) Das Präparat hat grosse Aehnlichkeit mit den eben erwähnten; nur dass in dem Winkel, den die beiden Vomer, resp. Vomerhälften mit einander machen, ein kleines, bewegliches Knöchelchen liegt, welches verschieden gedeutet werden kann. Sieht man in dem Präparat eine ein- fache Hemmungsbildung, so kann man es als Crista galli auf- fassen; sieht man darin ein Doppelmonstrum, so würde es als verkümmerte accessorische Gesichtsbasis zu deuten sein. Zur Lösung der Frage, ob man es mit einem einfachen oder partiell verdoppelten Individuum zu thun habe, war das Präparat dem- nach nicht recht geeignet, und es bleibt späteren Untersuchun- gen vorbehalten, entscheidende Uebergänge nach der einen oder anderen Richtung hin zu finden.

Was nun unseren Fall betrifft, so ergiebt sich die Bedeutung der zum Gehirn accessorisch hinzugetretenen Theile schon aus der oben gebrauchten Beschreibung. Hauptsächlich ist es die Unterseite, an der man Duplieität erkennt, und zwar wird diese gegen das vordere Ende hin immer ausgesprochener. Indessen sind schon diejenigen Theile des Hirnstocks damit affıcirt, welche aus dem vorderen Abschnitt des dritten Hirnbläschens hervorgehen. Die Varolsbrücke weicht zwar in ihrer Form nicht bedeutend von der Norm ab, aber anstatt einer Furche für die Arteria basilaris trägt sie deren zwei, in denen, wie er- wähnt. die aus Spaltung hervorgegangenen zwei Basilares ihren Verlauf nehmen.

Charakteristischer verhält sich der Bereich des zweiten Hirnbläschens. Die accessorischen Theile (Orura cerebri) er- langen hier schon eine so grosse Mächtigkeit, dass sie im Stande sind, selbstständig einen Nerven zu entwickeln. Es ist ein accessorischer Nervus oculomotorius, der in der Medianlinie

1) Museum der Königl. Thierarzneischule zu Berlin. No, 4344.

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 613

(Spaltungslinie) entspringt und seine Fasern aus beiden Hirn- schenkeln bezieht. Wir haben somit den Fall vor uns, wo die beiden accessorischen Stücke zu einander in nähere und -inni- gere Beziehung treten als zu den normalen Hälften, die zu er-" gänzen sie bestimmt sind; ein Verhalten, dem wir im Laufe der Untersuchungen noch öfter begegnen werden.

Am ersten Hirnbläschen sind die accessorischen Theile ver- hältnissmässig noch stärker entwickelt als am zweiten Bläschen. Es haben sich zwei nebeneinander liegende Trichter gebildet, die je lateralwärts von der normalen Wand des dritten Ventri- kels, medianwärts hingegen von dem Schaltstück begrenzt wer- den. Dieses letztere erreicht nur die Hälfte der Höhe des drit- ten Ventrikels, wie der Durchschnitt in Fig. 3 zeigt, und ragt mit seinem Gipfel gerade bis in die Sehhügelregion desselben hinein. Von hinten her strahlen die Crura cerebri in dasselbe aus, und es liegt auf der Hand, dass wir in Betreff der acces- sorischen Hälften in ihm die mehr oder weniger differenzirte Anlage alles dessen zu suchen haben, was beim normalen Ge- hirn aus der Wandung des dritten Ventrikels hervorgeht, vor Allem die in der Spaltungslinie hier innig verschmolzene Seh- hügel- und Trichterregion. Für die accessorischen Sehnerven liess sich kein gesonderter Ursprung nachweisen; vielmehr geht in der Medianlinie der eine direct in den anderen über, so dass sie zusammen gewissermaassen eine Commissur zwischen den beiden Kreuzungsstellen der Sehnerven darstellen. Erst gegen das vordere Ende des dritten Ventrikels tritt für das Schalt- stück eine deutlichere Sonderung in seitliche Hälften auf, be- dingt durch das Heryorwachsen der Grosshirnbläschen, das ın ganz eigenthümlicher Weise erfolgt sein muss. Die accessori- schen grossen Hemisphären entspringen nämlich mit gemeinsa- mer Basis von der vorderen Wand des Schaltstücks, und erst in einiger Entfernung vom dritten Ventrikel tritt eine Spaltung in eine rechte (D,) und eine linke (d,) Hemisphäre ein.

Nehmen wir dies Alles zusammen, so werden wir uns den Gang der Entwickelung des Gehirnes folgendermaassen vorstel- len müssen.

Die flächenförmig, ausgebreitete Anlage des Centralnervensy-

614 W. Dönitz:

stems war vorn etwas breiter als gewöhnlich und zeigte viel- leicht sogar eine schwache Einkerbung an ihrem vorderen Ende. Die primitive Rinne muss nach vorn in zwei schwach divergi- "rende Schenkel aus einander gegangen sein, zwischen denen das Bildungsmaterial für die vorgefundenen accessorischen Theile lag. Nun erfolgte der Abschluss zur Röhrenform in der ge- wöhnlichen Weise, das heisst, er wurde von den normalen sym- metrischen Hälften vollführt. Das Schaltstück blieb dabei zu- meist unbetheiligt und griff nur an seinem vorderen Ende stö- rend in den Vorgang ein, dessen Resultat ein an seinem vor- dersten Ende gespaltenes Medullarrohr war. Dieser Spalt setzte sich als Kerbe auf der Unterseite bis zum dritten Hirnbläschen fort, während auf der Oberseite nichts davon zu bemerken war. Er bezeichnete die Spaltungslinie in der Anlage des Central- nervensystems, an deren Seiten je ein accessorisches Ergän- zungsstück den normalen Hälften sich anlagerte. Dass aus dem : schmalen Schaltstücke nur rudimentäre Gehirntheile hervorgin- gen, während die normalen Seitenhälften den gewöhnlichen Ent- wickelungsgang einschlugen, bedarf wohl keiner Erörterung. Interessant ist aber die Bildung der accessorischen Augen und grossen Hemisphären. Die Spaltung des Medullarrohrs lässt es begreiflich finden, dass aus den einander zugekehrten Wänden des Spaltes zwei Augenbläschen unabhängig von einander her- vorsprossten. Dass später Beide in einen Bulbus aufgenom- men wurden, ist auf Rechnung des Wirbelsystems zu schieben. In ähnlicher Weise wie die Augenbläschen stülpten sich darauf die accessorischen Grosshirnbläschen hervor; doch müssen sie so nahe neben einander entsprungen sein, dass ihre medialen Wände sich berührten und an ihrer Ursprungsstelle sogar direct in einander übergingen, was im Gegensatz zu dem getrennten Ursprung der accessorischen Augenbläschen um so weniger auf- fallen darf, als auch bei normalem Gang der Entwickelung die . Ursprungsstelle der grossen Hemisphären vom ersten Hirnbläs- chen einen bei Weitem grösseren Umfang hat als die der Augen- bläschen. So lässt sich der Zusammenhang der accessorischen grossen Hemisphären verstehen, ohne dass man nöthig hätte, ein Auftreten von Commissuren zur Hülfe zu nehmen, was um

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 615

so wiehtiger ist, als diese Stelle durchaus nicht den Eindruck einer Commissur macht. Dazu kommt noch, dass die normalen Commissuren der grossen Hemisphären ausserdem schon vor handen sind, und zwar verbinden sie je eine normale mit der zugehörigen accessorischen Hemisphäre.. Diese Commissuren gehen bekanntlich von der Lamina terminalis aus und setzen sich einerseits in den Balken, andererseits in die sichelförmige Platte (Rt.) fort. Dass aus der letzten sowohl der Fornix wie das Cornu Ammonis, die Fascia dentata und cinerea hervorgehen, wurde schon erwähnt. In unserem Falle jedoch ist eine Un- regelmässigkeit der Entwickelung in der Art eingetreten, dass jede sichelförmige Platte sich nur lateralwärts, so weit sie zu den normalen Hemisphären gehört, zu den genannten Theilen ausgebildet hat, während ihr medialer Abschnitt nicht zur wei- teren Entwickelung gelangte. Es hängt dies damit zusammen, dass die hinteren Partieen der accessorischen grossen Hemi- sphären überhaupt nur mangelhaft zur Ausbildung kommen konnten. Gerade an der Stelle, wo der Stammlappen sich bil- den sollte, gehen sie in einander über und haben sich aus Mangel an Raum nicht weiter entwickeln können. Diesem sel- ben Umstande ist es zuzuschreiben, dass die accessorischen Fo- ramina Monroi noch embryonale Weite zeigen. Bei der man- gelhaften Ausbildung der accessorischen Sehhügel einerseits, und der accessorischen Stammlappen andererseits konnten die weiten Zugänge zu den Seitenventrikeln eben keine Einengung von hinten und unten her erfahren, wie dies unter normalen Verhältnissen statt hat.) Dass nun gar bei der Enge des Raumes die Hinter- und Unterlappen der accessorischen He- misphären des Gehirnes überhaupt nicht zur Entwickelung kom- men konnten, liegt aut der Hand.

Nachdem wir so versucht haben, uns Rechenschaft über die Entwickelung des Gehirnes zu geben, wollen wir dasselbe in Betreff des Wirbelsystems unternehmen. Die Betrachtung der Schädelbasis lehrt, dass auch hier eine Verdoppelung stattge- funden, und man kann es für ausgemacht annehmen, dass das

1) Reichert a. a. 0. $. 38.

616 W. Dönitz:

vordere Ende der Chorda dorsualis gespalten gewesen ist. Da- für spricht die Duplieität des Keilbeinkörpers und das Vorhan- densein von zwei Hypophyses cerebri. Denn wenn auch die Bildungsweise des Hirnanhanges noch nicht vollständig aufge- klärt ist, so weiss man doch, dass dieses räthselhafte Organ in inniger Beziehung zur Chorda steht, indem es sich immer am vordersten Ende der letzteren entwickelt. Da sich nun an un- serem Monstrum zwei Hypophysen finden, so muss man rück- schliessend annehmen, dass ein gedoppeltes vorderes Chorda- ende bestanden habe, welches zwischen seine Schenkel ein ac- cessorisches Stück Wirbelsystem aufnahm. Wie beim Central- nervensystem verliert sich auch hier die Duplieität ganz all- mählig nach hinten. Man kann, wenn man will, diesen Ver- gleich noch weiter treiben und eine vollständige Uebereinstim- mung in der Ausdehnung der Spaltung für beide Primitivorgane nachweisen. Man hat bekanntlich den Wirbelthierschädel als. eine Verbindung von drei Wirbelabtheilungnn erkannt und diese mit gewissen Abtheilungen des Gehirnes in Beziehung gesetzt. So soll namentlich das kleine Gehirn, und mit ihm die Medulla oblongata dem letzten Kopfwirbel, dem Hinter- hauptsbein in seiner Totalität, entsprechen. Und in der That finden wir in unserem Falle, dass weder am dritten Kopfwirbel noch am dritten Hirnbläschen deutlich ausgesprochene Duplieci- tät sich nachweisen lässt. Der zweite Kopfwirbel wird an der Schädelbasis durch den hinteren Keilbeinkörper repräsentirt, der hier abnorm breit ist, und somit die ersten Spuren der Verdoppelung trägt. Beginnende Verdoppelung zeigt aber auch der Hirnknoten, der dem vorderen Abschnitt des hier vom hin- teren Keilbeinkörper gebildeten Clivus Blumenbachii aufliegt. Diese Uebereinstimmung darf indessen nicht allzu scharf betont werden, denn genetisch gehört der Pons zum dritten Hirnbläs- chen, müsste also, wie der dritte Kopfwirbel, auch noch einfach sein, wenn man die Uebereinstimmung der Wachsthums-Ver- hältnisse des Gehirns und der Schädelkapsel bis in ihre äus- sersten Consequenzen verfolgen wollte. Weiterhin finden wir am ersten Kopfwirbel vollkommene Duplieität: der erste Keil- beinkörper ist verdoppelt. Damit stimmt im Allgemeinen die

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten,. 617

Spaltung des ersten Hirnbläschens überein. Aus diesem übereinstimmenden Verhalten zweier Primitivorgane zu einan- der lässt sich mit Sicherheit entnehmen, dass beide in ihrer Entwickelung einem allgemeinen Gesetze folgen, von dem beide abhängig sind. Nichts spricht dafür, dass entweder im Wirbel- oder im Central-Nervensystem die Spaltung primär entstanden sei und dann die conforme Ausbildung des anderen nach sich gezogen habe. '

Gehen wir nun in der Betrachtung des Wirbelsystems wei- ter, so zieht zunächst das Gesicht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Alle das knöcherne Gerüst de& Gesichtes bildenden Theile sind verdoppelt, mit Ausnahme der Lamina int. des Proc. ptery- goideus, des Gaumenbeins, des Ober- und des Unterkiefers. Weshalb aber gerade die letztgenannten Stücke einfach sein mussten, während die übrigen doppelt sein konnten, das lehrt die Entwickelungsgeschichte. Die genannten Gesichtsknochen entstehen bekanntlich alle am ersten Visceralbogen, und sind in unserem Falle aus den ersten Visceralbögen der normalen Hälften des Wirbelsystems hervorgegangen. Da aber die Spal- tung am Kopfende des Wirbelsystems nicht so weit nach hin- ten sich erstreckte, dass accessorische Visceralbögen sich hätten entwickeln können, so musste die Zahl der genannten Theile die normale bleiben. Anders verhält es sich mit den übrigen Gesichtsknochen. Das Siebbein, das zur Schädelbasis gerech- net werden muss, obgleich es Antheil an der Gesichtsbildung gewinnt, ist in duplo vorhanden, weil ja der vordere Theil des Wirbelsystems (das äusserste Kopfende) verdoppelt ist. Das- selbe gilt für alle aus diesem Kopfende hervorgehenden Bildungs- fortsätze und ihre Hartgebilde, nämlich die Thränenbeime, die Nasenbeine, die Zwischenkiefer, die Pflugscharbeine und die zugehörigen Knorpel.

Die accessorischen Gebilde des Obergesichts sind nicht ohne Einfluss auf die aus dem ersten Visceralbogen hervorgehenden Theile geblieben. Durch ihr Auftreten drängten sie die norma- len Hälften so weit aus einander, dass die seitlich hervorspros- senden und sich entgegenwachsenden Oberkiefer und Gaumen-

beine nicht in der Medianebene zur Vereinigung kommen Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 40

618 W. Dönitz:

konnten. Indireet ist hierin auch der Grund des doppelseitigen Ganmenspaltes zu suchen. Mangelhafte Vereinigung zwischen Vomer und Processus palatinus des Oberkiefers ist ein gar häu- figes Vorkommniss und scheint meistentheils auf ungenügender Entwickelung des letzteren zu beruhen. Nun sind in der That die Gaumenfortsätze der Oberkieferbeine sehr kümmerlich ent- wickelt und konnten sich demnach nicht mit den Pflugschar- beinen verbinden. Der Grund aber ihrer mangelhaften Ausbil- dung ist wieder in dem Dazwischentreten accessorischer Ge- sichtsbildungs -Fortsätze des vorderen Kopfendes zu suchen, welche die Oberkiefer so weit von einander entfernten, dass bei ihrer weiteren Entwickelung die gegenseitige Beziehung zu ein- ander unterdrückt wurde. Ein Analogon dazu findet sich unter normalen Verhältnissen in der Klasse der Vögel, wo der Ober- kiefer so mangelhaft ausgebildet ist, dass meistentheils über- haupt kein Vomer auftritt. Entwiekelt aber der Oberkiefer einen Fortsatz nach der Gesichtsbasis hin, so tritt auch ein Pflugscharbein auf, wie dies Reichert einmal gesehen.')

Der oben gegebenen Deduction, welcher zufolge bei Einfach- sein des Unterkiefers auch die Oberkiefer nur einfach sein kön- nen, scheinen gewisse Doppelmonstra von Vögeln zu widerspre- chen, welche trotz einfachen Unterschnabels einen doppelten Oberschnabel aufweisen. Dieser Widerspruch löst sich indessen, wenn man bedenkt, dass beim Vogel der grösste, und zwar der vordere Theil des Schnabels vom Zwischenkiefer gebildet wird, während der relativ kleine Oberkiefer weit zurücktritt. An einem derartigen Präparat vom Hühnchen?), welches ich unter- suchte, fand ich in den accessorischen Hälften der Oberschnäbel auch nicht eine Spur von Öberkieferbeinen. In Fig. 7, Taf. XIH. gebe ich eine Abbildung dieses noch in anderer Bezie- hung merkwürdigen Vogelkopfes. Der vordere Theil des Ge- hirnes ist verdoppelt. Ein accessorisches drittes Auge liegt in der Spaltungsebene des Wirbelsystems und enthält, wie sich schon bei äusserer Besichtigung ergiebt, zwei Linsen. Es ist

1) Reichert, Ueber die Visceralbögen u. s. w. 8. 79. 2) Anatomisches Museum zu Berlin, No. 5029.

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 619

also ein Doppelorgan, hervorgegangen aus der Verschmelzung zweier Augen. Die obere Fläche der Zunge ist durch eine häutige Brücke mit der Gesichtsbasis verbun- den. Diesen häutigen Strang halte ich für ein Ueberbleibsel vom vorderen Schlussstück des Wirbelsystems. Bekanntlich ist in einem sehr frühen Stadium der Visceraltheil des Wirbelsy- stems ein nach vorn vollkommen abgeschlossenes Rohr, in des- sen Wänden die unter dem Namen der Visceralbögen bekann- ten Verdiekungen sich bilden, während andererseits eine Re- sorption statt hat, der zufolge die Aussenwelt mit der Rachen- höhle in offene Communication tritt. Da nun im vorliegenden Falle zwei Oberschnäbel sich entwickelten, so liest die Vor- stellung nahe, dass diese Resorption mit Bezug auf die Dupli- eität des Obergesichts zu beiden Seiten der Medianebene sich einstellte, während die in der Median-, resp. Spaltungsebene vorhandeue Bildungsmasse diesem Schicksale entging und sich nun als häutige Verbindung zwischen Gesichtsbasis und Zungen- wurzel präsentirt.

Kehren wir nach dieser Abschweifung zu dem uns beschäf- tigenden Diprosopus vitulinus zurück, so bleibt uns noch die Analyse des accessorischen Auges übrig, in Betreff dessen vor Allem hervorzuheben ist, dass die Bestandtheile zweier Augen darin aufgefunden wurden. Jedes derselben gehört der zunächst gelegenen accessorischen Hälfte des Monstrums an. Den Bildungsgang dieses Doppelorganes muss man sich so vor- stellen, dass die accessorischen Hälften des Centralnervensystems jederseits eine Retina entwickelten, mit denen die vom Haut system gelieferten Linsen und Glaskörper in Verbindung traten.

Das Wirhelsystem endlich, welches die Sklera und Cornea zu bilden bestimmt ist, vollführte seine Aufgabe in der Art, dass es einerseits ein Septum zwischen die beiden Retinae hin- einbildete, während es andererseits beide Augen mit einer ge- meinsamen Hülle umgab, so dass, von Aussehn betrachtet, beide Augen unter der Gestalt eines einfachen Organes erscheinen. Dass die Scelerotica an demjenigen Theile des Bulbus fehlt, welcher direct der Hirnsubstanz anliegt, erklärt sich aus der Bedeutung .des Wirbelsystems als Schutz- und Bewegungsap-

40*

620 W. Dönitz:

parat. Vermöge ihrer Festigkeit nämlich bildet die Selerotica nicht allein ein Gerüst, welches dem Auge seinen Halt giebt, sondern sie dient auch den Augenmuskeln, dem Bewegungs- apparat, zur Anheftung. In unserem Falle ist aber eines Theils die Musculatur des Bulbus schwach entwickelt und harmonirt demnach mit der mangelhaften Ausbildung der Sklera; anderen Theils verhinderte die Anlagerung der Chorioidea an das Ge- hirn die Ausbildung der Sklera, so dass hier das Gehirn zum Schutzorgan wird. Aus dem ersten Umstande erklärt sich die mangelhafte Ausbildung der Sclerotica im Allgemeinen, aus letzterem das Fehlen derselben an der erwähnten besonderen Stelle. In dem Septum manifestirt sich die Duplieität des dem Auge zugehörigen Antheiles vom Wirbelsystem, während die gemeinsame Hülle andeutungsweise zu erkennen giebt, dass zwei gleichartige Organe in so innige Beziehung zu einander treten können, dass sie mit Aufopferung ihrer Selbstständigkeit zu syminetrischen Hälften eines einzigen Organes herabsinken. Dass dennoch ein solches Organ als durch Verschmelzung ent- standenes Doppelorgan aufzufassen ist, ergiebt sich aus seiner Entwickelung und ist für unseren Fall ohne Weiteres verständ- lich. Es kommen indessen Fälle vor, die zu ihrer richtigen Beurtheilung eine eingehende Analyse erfordern.

Ein derartiges Beispiel lieferte mir das Rückenmark eines Diprosopus distans vitulinus, welcher aus Storkow an das hiesige anatomische Museum eingeschickt und hierselbst unter Nr. 21433 eingetragen wurde. Diese Missgeburt ist mit Spina bifida im Bereiche der Hals- und Brustwirbelsäule be- haftet. In der von beiden Köpfen gemeinsam gebildeten Schä- delhöhle lagen zwei vollkommen ausgebildete Gehirne, deren hintere Abschnitte sich in der Art gegen einander verschoben hatten, dass das kleine Gehirn des einen Kopfes bis in das ab- norm weite Wirbelldch des Atlas hinabreichte. Weiter nach hinten verbanden sich die beiden Medullae oblongatae zu einem scheinbar einfachen Rückenmark, an dem sich aber bei genauerer Untersuchung deutlich ausgesprochene Duplieität nachweisen liess. Ein Theil desselben, ungefähr den oberen

Brustwirbeln entsprechend, zeigte in seiner äusseren Form eine

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten, 621

auffallende Unregelmässigkeit. Auf dem Querschnitt (Fig. 9) erschien hier das Rückenmark stark verschmälert, vielleicht in Folge einer Compression, die von den stark einander genäher- ten, gespaltenen Bögen der betreffenden Wirbel ausgeübt wor- den war. Eine Strecke lang war der comprimirte Theil des Rückenmarkes gespalten und zeigte einen nicht unbedeutenden Defect an seiner Rückenseite. Weiter gegen das Schwanzende hin wurde die Medulla normal.

Die Untersuchung der Strecke von dem erwähnten Defect bis zur Trennung der beiden Medullae oblongatae ergab, dass man es hier mit einem eigenthümlich verschmolzenen Doppelorgan zu thun habe. Während sich nämlich zwei Sulei longitu- nales anteriores finden, lässt sich nur eine Fissura lon- gitudinalis posterior nachweisen (Taf. XIII., Fig. 8 u. 9). Auf dem Querschnitt erscheint eine kreuzförmige Figur, gebildet von scheinbar nur zwei langen Vorderhörnern und zwei ausser- gewöhnlich kleinen Hinterhörnern. In der Fortsetzung der nach der Rückenseite hin convergirenden vorderen Längsfurchen fin- det sich jederseits ein Centralkanal (Fig. 8C u. C!), In eini- gen Präparaten hat sich noch ein dritter Kanal zu diesen bei- den hinzugesellt (Fig. Sc). Die Lage dieser Kanäle zu einan- der und zur grauen Masse ist folgende: Die beiden primitiven Centralkanäle liegen symmetrisch jederseits oberhalb der beiden vorderen Längsfurchen. Jeder derselben ist lateralwärts von dem vorderen Horn seiner Seite begrenzt. In dem Winkel, welchen diese beiden Hörner mit einander bilden, liegt ein wenig graue Masse, die sich jederseits an die grossen Hörner anlegt, Vermöge ihrer grösseren Durchsichtigkeit grenzt sie sich deut- lich von der übrigen grauen Masse ab und enthält weniger Ganglienkörper als diese. Der dritte Centralkanal nun liegt im Bereiche dieser grauen Substanz, dem einen primitiven Oentral- kanal näher als dem anderen, und etwas mehr gegen die Rückenseite der Medulla vorgeschoben. Eine dritte, auf diesen Kanal zu beziehende Längsfurche scheint nur an einigen Prä- paraten angedeutet zu sein, an anderen ganz zu fehlen.

In den Partieen des Rückenmarks, die unter dem Drucke der Wirbelbögen zu leiden gehabt haben, ist eine Verschiebung

622 W. Dönitz:

der eben beschriebenen Theile eingetreten (Fig. 9). Der dritte Centralkanal fehlt hier. Auf der einen Seite dringt die vor- dere Längsfurche tiefer in das Rückenmark ein als auf der anderen. Die vorderen sowohl wie die hinteren Hörner erschei- nen gegen einander verschoben. Die beiden Oentralkanäle lie- gen nicht mehr symmetrisch in gleicher Höhe neben einander, sondern fast genau über einander, und erscheinen auf dem Quer- schnitt unter der Form von Längsspalten, die um so tiefer wer- den, je mehr man sich der defecten Stelle nähert (Fig. IC u. C). Die Fissura longitudinalis posterior ist an diesen Präpa- raten ungewöhnlich scharf ausgeprägt. Die defecten Stellen der Medulla waren zu brüchig, um eine genaue Untersuchung zuzulassen. Die dahinter gelegenen Partieen enthalten nur einen Centralkanal und erscheinen überhaupt normal.

Dass dieses Rückenmark partiell verdoppelt ist, erhellt ohne Weiteres aus dem Vorhandensein zweier vorderer Längsfurchen und zweier Centralkanäle. Das zwischen den beiden vorderen Längsfurchen und den abnorm grossen vorderen Hörnern gele- gene Stück ist zu den seitlich davon gelegenen Theilen acces- sorisch hinzugetreten. Demnach findet sich Duplieität nur an der unteren (dem Bauche zugekehrten) Seite des Rückenmarks, während die obere Seite, welche die hinteren Hörner enthält, durchaus einfach erscheint.

Dieses auffällige Verhalten lässt sich mit Hülfe der Ent- wickelungsgeschichte des Centralnervensystems sehr wohl ver- stehen. Die erste Anlage dieses Primitivorganes ist flächenartig ausgebreitet und besteht aus zwei symmetrischen Hälften, welche durch die primitive Rinne von einander geschieden werden. Zur Erklärung unseres Falles müssen wir nun auf Grundlage der von Reichert bei seinem Gänseembryo beobachteten Thatsa- chen annehmen, dass zwischen die beiden symmetrischen Hälf- ten am Kopfende ein accessorisches Stück sich eingeschaltet habe , welches, selbst aus zwei symmetrischen Hälften beste- hend, bestimmt war, die normalen Hälften je zu einem Ganzen zu vervollständigen. Am Gehirne nun ist dieser in der Anlage begründete Plan zur Ausführung gekommen. Nicht so am Kopf- ende des Rückenmarks, welches den Uebergang zur einfachen

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 693

Form des Centralnervensystems darstellt. Hier erfolgte bei weiter gehender Entwickelung der Vorgang, welcher dem flä- chenartig ausgebreiteten Organ die Röhrenform giebt, jedenfalls in folgender Weise. Die normalen symmetrischen Hälften er- hoben sich in der gewöhnlichen Weise; ihre Seitenränder er- reichten einander oberwärts in der Medianlinie, und die Röh- renform war äusserlich hergestellt. Zu gleicher Zeit müssen aber auch an der Innenwand dieses Hohlraumes Veränderungen vor sich gegangen sein, und zwar in der Art, dass von dem Schaltstücke aus ein Längswulst sich erhob, welcher sich mit den Seitenrändern der Rückenmarksanlagen an ihrer Vereini- gungsstelle verband; denn das Schaltstück stellt ja die acces- sorischen Hälften zu den normal vorhandenen Hälften der Me- dulla dar und hat demgemäss die Bestimmung, in seiner wei- teren Entwickelung denselben Weg zu gehen wie diese, d. h. sich aus der Fläche zu erheben und mit der anliegenden nor- malen Hälfte, deren Ergänzung es darstellt, zu einem röhren- förmigen Hohlraum sich zu verbinden. Auf diese Weise erklärt sich das Auftreten von zwei Centralkanälen. Zur Veranschau- lichung dieses Vorganges habe ich den schematischen Querschnitt in Fig. 11 entworfen, in dem die accessorischen Hälften des Centralnervensystems schraffirt sind.

Nicht ganz so einfach zu erklären ist das stellenweise Vor- handensein eines dritten Centralkanals.. Man könnte daran den- ken, dass er einer Spaltung des einen der beiden primitiven Centralkanäle sein Entstehen verdanke, wie dieses schon mehr- fach, z. B. von Wagner!) beobachtet wurde. Diese Vermu- thung muss indessen von der Hand gewiesen werden, da sich in einem der Präparate der Anfang (resp. das Ende) dieses Ka- nales vorfindet, und zwar in ziemlich bedeutender Entfernung von dem zunächst gelegenen Centralkanale. In Fig. 10 ist der betreffende Theil des Präparates abgebildet. Die beiden Schnitte, durch welche dieses Präparat hergestellt wurde, sind so glück- lich gefallen, dass man das Ende des Kanales mitten in der

1) Reichert u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1861. Notiz über einen theilweise doppelten Centralkanal im Rückenmark des Menschen.

624 WW: Donsiei

Dicke des Schnittes sieht. Ueber das kuppelförmig gewölbte Ende des noch mit seinem Epithel versehenen Kanales zieht eine dünne Lage von der Substanz des Rückenmarks, ein Ver- halten, auf das man vor Allem durch ein in dieser Substanz verlaufendes Capillargefäss aufmerksam gemacht wird. Da also dieser Kanal selbstständig endet, so kann er nicht aus einer Spaltung eines anderen Kanales hervorgegangen sein. Um aber seine Entstehung zu verstehen, müssen wir annehmen, dass an den Stellen, wo er sich jetzt vorfindet, während der ersten Ent- wickelung die accessorischen Hälften des Rückenmarks theil- weise aus einander wichen, um sich mit den angrenzenden und zu ihnen gehörigen normalen Hälften zu verbinden. Ein Quer- schnitt des Embryo’s an einer solchen Stelle wird etwa so aus- gesehen haben, wie die schematische Fig. 12 es darstellt. Da- durch aber, dass die accessorischen Hälften sich den normalen anschlossen, wurde das Bestreben der letzteren, sich unter ein- ander zu verbinden, keineswegs gestört, sondern auch sie ge- langten zum normalen Abschluss, wie es im ursprünglichen Plane lag, und so wurde ein dritter Kanal gebildet. Vergl. Fig. 15. Eine andere, und vielleicht richtigere Auffassung wäre die, dass die accessorischen Hälften sich zu einander verhalten wie im einfachen Individuum die normalen Hälften, d. h. dass sie sich gemeinschaftlich an der Bildung eines Hohlraumes betheiligen. Was nun den Ursprung des Epithels im Central- kanale des Rückenmarks betrifft, so muss bis jetzt die Vermu- thung aufrecht erhalten werden, dass es aus demjenigen Theile der Umhüllungshaut hervorgeht, welcher beim Uebergang der ersten Rückenmarksanlage in die Röhrenform abgeschnürt wird, und den Hohlraum auskleidet. Dass aber bei der von uns ge- gebenen Darstellung der Bildung eines dritten Centralkanales ein Stückchen Umhüllungshaut in letzterem zu liegen kommt und somit als Material für das Epithel dieses Kanales verwen- det werden kann, das lehrt ein Blick auf die schematischen Figuren. Noch will ich erwähnen, dass in der den dritten Central- kanal umgebenden grauen Masse die accessorischen Vorderhörner, zu dem Schaltstück gehörig, zu suchen sind. Dafür spricht die

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 625

Art ihrer Anlagerung an die normalen Vorderhörner, wie sie in Fig. 8 dargestellt ist.

In dem oben geschilderten Vorgange haben wir ein lehrrei- ches Beispiel von den vielen möglichen Variationen im Verhal- ten der accessorischen Hälften zu einander und zu den norma- len Hälften.

1) Dass unter Umständen die accessorischen Hälften sich zueinander verhalten wie dienormalen, während ihre Beziehungen zu letzteren mehr oder weniger in den Hin- tergrund treten, das haben wir schon mehrfach zu beobachten Gelegenheit gehabt.

Ich erinnere nur an die accessorischen Brustwandungen der paarigen Individuen, welche man dem äusseren Ansehen nach gar häufig nicht von den normalen zu unterscheiden vermag. Vielleicht gehört in diese Kategorie auch der eben besprochene Fall, wo die accessorischen Theile des Rückenmarks sich unter Bildung eines eigenen (dritten) Centralkanales zwischen die nor- malen Theile eingeschoben haben.

Doch nicht allein die accessorischen Hälften eines Orga- nes, sondern ganze Organe können in diese innige Beziehung zu einander treten. Ein derartiges Beispiel liefert der acces- sorische Bulbus oculi des Diprosopus conjunctus. Wir fan- den, dass sämmtliche Bestandtheile zweier Augen darin vor- handen und so angeordnet waren, dass man das Ganze für ein einfaches, aus zwei symmetrischen Hälften bestehendes Organ halten konnte, ein Verhalten, das ich paarige Symmetrie genannt habe.

2) Dem gegenüber stehen die Fälle, wo die accessori- schen Hälften gleiche Bedeutung haben wie die nor- malen. Hier liegen nun zwei Möglichkeiten vor. Einmal können die accessorischen Hälften in Gemeinschaft mit den nor- malen sich an der Bildung eines einzigen Organes betheiligen; oder aber die accessorischen Hälften ergänzen je eine normale Hälfte eines Organes oder Körpertheiles, und das Resultat sind zwei bilateral symmetrische Organe oder Körpertheile, deren jeder aus einer normalen und einer accessorischen Hälfte besteht. Ein Beispiel für die erste dieser Möglichkeiten lieferte das zweite

626 W. Dönitz:

von mir beschriebene paarige Individuum, welches einen ein- fachen Oesophagus, Magen und Dünndarm zu besitzen scheint, während die Untersuchung ergiebt, dass die Bestandtheile zweier Speisekanäle darin enthalten sind, mit anderen Worten, dass zwei normale und zwei accessorische Hälften zu gleichen Be- standtheilen darin aufgegangen sind. Ferner gehört hierher die Leber des ersten paarigen Individuums, an welcher zwei rechte und zwei linke Lappen und zwei Gallenblasen, d. h. die Be- standtheile einer normalen und einer accessorischen Leber er- kannt wurden.

Die zweite Möglichkeit scheint viel häufiger zur Geltung zu kommen. Ein jedes paarige Individuum liefert zahlreiche Bei- spiele. So besteht ja, der gegebenen Analyse zufolge, jeder Kopf aus einer normalen und einer accessorischen Hälfte. Aber auch wenn die Spaltung eine weniger tiefgreifende ist, findet dasselbe Verhalten statt, nnr dass hier die accessorischen Hälf- ten nicht immer zu dem Grade der Ausbildung gelangt sind, wie ihn die normalen Hälften aufzuweisen haben. Es würde sich mit leichter Mühe eine ganze Stufenfolge, von der blossen Andeutung bis zur völligen Ausbildung der accessorischen Hälf- ten aufstellen lassen. Auf einer niedrigeren Stufe würde der beschriebene Diprosopus conjunctus , auf einer höheren der er- wähnte Diprosopus distans stehen. Die höchste Stufe würden zwei aus einem Keim hervorgegangene Individuen, also Paar- linge, einnehmen.

Doch alle diese Möglichkeiten zu erschöpfen, ist nicht meine Aufgabe. Es handelte sich nur darum, die beiden Typen für das gegenseitige Verhalten der normalen und accessorischen Hälften aufzustellen und an wenigen Beispielen zu erläutern; denn die Art und Weise, wie die accessorischen Hälften ent- weder zu einander halten und ihren selbstständigen Gang ge- hen, oder wie sie sich inniger an die normalen Hälften an- schliessen, bietet in jedem einzelnen Falle der Eigenthümlich- keiten so viele, dass fast jedes neue Monstrum ein besonderes Interesse gewährt und besondere Beachtung verdient.

Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten, 627

Erklärung der Abbildungen.

Far. X.

Fig. 1. Schädel eines Diprosopus conjunctus vom Kalbe. Anat, Museum Nr. 21434. (Die einzelnen Knochenstücke der normalen Hälften sind mit grossen römischen Lettern, die der accessorischen mit kleinen bezeichnet; die der linken Seite sind mit einem Strichel- chen versehen.) F,f Os frontis, L,l Os lacrymale, N,n Os nasale, J,i Os intermaxillare, V Vomer, S Os sphenoideum, E Os ethmoideum, R Foramen rotundum.

Fig. 2. Gehirn von derselben Missgeburt. Anat. Mus. Nr. 21435. D linke normale, D, linke accessorische Grosshirnhemisphäre; zwischen beiden die Seissura pallii z, z, Furche zwischen den beiden accesso- rischen Grosshirnhemisphären, F und F, normaler und accessorischer linker Hirnschenkel, B Brücke mit den beiden Arteriae basilares, die sich nach vorn in die vier unter einander anastomosirenden Art. pro- fundae spalten, A Medulla oblongata, O accessorischer Bulbus oculi, der die grosse Lücke zwischen den beiden Öbergesichtern ausgefüllt hatte, U von der Sklera unbedeckter Theil desselben, I und I, linker normaler und accessorischer Bulbus olfactorius, II linkes Chiasma ner- vorum opticorum, von dem aus ein Sehnery zum accessorischen Bul- bus nach vorn zieht. Der zum linken normalen Auge sich begebende Sehnery ist abgeschnitten, III Nervus oculomotorius sinister, III, ac- cessorischer Oculomotorius.

Fig. 3. Querschnitt durch dasselbe Gehirn. D,D, rechte normale und accessorische Grosshirnhemisphäre, die linken sind mit d und d, bezeichnet, z Scissura pallii, z, secundäre Seissura pallii zwischen den beiden accessorischen Hemisphären, H Sehhügel, H, accessorischer Sehhügel, N u. n rechtes und linkes Infundibulum, V Seitenventrikel (der Buchstabe steht gerade oberhalb der Cauda des Corpus striatum), S sichelförmige Platte, T Commissura magna cerebri, W Crura for- nieis, a Commissura cerebri anterior, M Foramen Monroi (bezeichnet durch die dunkle Stelle rechts neben dem Buchstaben), E Stammlappen.

Fig. 4 Durchschnitt durch den accessorischen Bnlbus oculorum- Anat. Mus. Nr. 21436. S von der Sclerotica gebildetes Septum zwi- schen den beiden, diesen Bulbus zusammensetzenden Augen. Links sieht man auf die vordere Fläche der rechten Iris und Linse, rechts auf die linke Retina.

Fig. 5. Aeussere Ansicht des accessorischen Bulbus am unver- letzten Schädel.

Taf. XI.

Fig. 6. Schädel des hemicephalischen ‚Schistocephalus (Dicoryphus?). Anat. Mus. Nr. 16072, S Keilbein, E Siebbein, P Fortsätze desselben

628 W.Donitz: Beschreibung u. Erläuterung v. Doppelmissgeburten.

nach vorn (Lamina perpendicularis oder rudimentäre Gesichtsbasis?), A gesondertes, vor dem linken Siebbein liegendes Knochenstück, C Muscheln, nach theilweiser Entfernung des Nasenknorpels sichtbar, V Pflugscharbein, K Nasenknorpel, F Stirnbein, O Hinterhauptsbein,

Fig. 7. Hühnchen mit zwei Oberschnäbeln. Anat. Mus. Nr. 5029. M accessorischer Bulbus oculorum, L linkes normales Auge, Z Zunge, B brückenartige häutige Verbindung zwischen Zunge und Gesichtsbasis.

Fig. 8 u.9. Durchschnitte durch das Rückenmark des Diprosopus distans vitulinus (Nr. 21433). Anat. Mus. Nr, 21438. Fig. 9 ist der comprimirten Stelle des Rückenmarks entnommen. S und 8, rechte und linke vordere Längsfurche, P u. P, Hinterhörner, A u. A, nor- male Vorderhörner, a u. a, accessorische Vorderhörner, C u. C, rech- ter und linker primitiver Centralkanal, ec dritter accessorischer Central- kanal, F hinterer Längsspalt. Vergr. 5:1.

Fig. 10. Kuppelförmiges Ende des dritten Centralkanals, nebst Umgebung. Vergr. ca. 300. c der mit seinem Epithel ausgekleidete Centralkaral, V darüber hinziehendes Capillargefäss, G Ganglienkörper, N Nervenquerschnitte, K körnige’Masse in der Umgebung des Kanals» L Gefässlumen,

Fig. 11, 12, 13. Schematische Figuren zur Veranschaulichung der Entstehung der drei Centralkanäle. U Umhüllungshaut, u abgeschnür- ter Theil derselben, H Hautsystem, W Wirbelsystem, S Stratum in- termedium, D Anlage des Cylinderepithels des Darmkanals, C normale symmetrische Hälften des Centralnervensystems, ce accessorische Hälf- ten desselben, K primitive Centralkanäle, k accessorischer dritter Cen- tralkanal. Die Chordae dorsuales sind hier nicht gezeichnet, weil sich nicht entscheiden liess, ob sie an diesen Stellen einfach oder verdop- pelt gewesen waren.

Ernst Mach: Bemerkungen über intermittirende Lichtreize. 629

7

Bemerkungen über intermittirende Lichtreize. Von ERNST Macn, Professor in Grätz.

Ich beabsichtigte das Anklingen und Abklingen der Netz- haut zu studiren, theils weil mich dieses an sich interessirte, theils auch weil ich dachte, es stünde das Anklingen und Ab- klingen in einer näheren Beziehung zum Zeitsinn. Ich; unter- suchte zu diesem Zwecke intermittirende Lichtreize.

Meine Arbeit sollte sich an die Untersuchungen von Brücke und Fick auschliessen. Fick hat eine sehr schöne theoretische Begründung eines Theils des Talbot-Plateau’schen Satzes über intermittirende Lichtreize gegeben und aus dem anderen experimentell constatirten Theil desselben Satzes eine Bezie- hung zwischen Anklingen und Abklingen der Netzhaut herge- leitet. Brücke hat für einen speciellen Fall (Gleichheit von Reizdauer und Pausendauer) bestimmt, bei welcher Zahl von Unterbrechungen in der Secunde das Maximum der Erregung eintritt. Wenn man nun die Reizdauer und Pausendauer so- wohl ihrer absoluten als relativen Grösse nach abändert und während einer längeren Reihe solcher Veränderungen den Nutz- effect für die Empfindung durch Messung bestimmt, wenn man ferner während der Reizdauer verschiedene Lichtintensitäten anwendet, so muss sich hieraus, was sehr nahe liegt, die Art des Anklingens und Abklingens im Fick’schen Sinne ergeben.

Ich erdachte mir zur Ausführung des angedeuteten Planes

630 Ernst Mach:

eine sehr einfache Vorrichtung, Durch einen Rotationsapparat wurde ein massiver Holzeylinder von bedeutendem Trägheits- moment in Drehung versetzt. Die Mantelfläche dieses Cylin- ders nur mit weissem Papier überzogen und so mit Tusche be- malt, wie es die beistehende Figur andeutet. Der Papierstreifen

aa bb enthält eine Reihe durch die Schattirung angedeuteter schwarzer Felder, welche durch gleich breite weisse getrennt sind. Ueber dieser Reihe befindet: sich eine ganz ähnliche zweite, deren Felderzahl die vierfache ist. Ist dies Papier auf den Cylindermantel gespannt, so wird jede der beiden Felder-

reihen noch mit einem Papierringe überzogen, welcher in der Figur durch die Punktirung aacce und bb dd angezeigt ist. Beide Ringe enthalten durch punktirte Linien‘ bezeichnete Aus- schnitte, durch welche man die schwarzen Felder hindurchsieht. Beide Ringe können je nach Bedürfniss aus schwarzem oder weissem Papier gewählt werden. Verschiebt man diese Papier- ringe über den Felderreihen, so kann man den sichtbaren Theil der schwarzen Felder beliebig vergrössern oder verkleinern, kurz jedes beliebige Verhältniss von Schwarz und Weiss her- stellen. Die verschiedene Lichtintensität der Reizdauer wurde erreicht, indem bei constantem Licht experimentirt und für verschiedene Versuchsreihen das Weiss entweder rein ge- lassen oder mit feinen schwarzen Linien in bestimmter Zahl und Dicke überzogen wurde. Die Umdrehungen führte ich

Bemerkungen über intermittirende Lichtreize. 631

nach den Tactschlägen des Metronoms aus. Die beiden Pa- pierringe verschob ich nun so, dass bei einer bestimmten ge- gebenen Geschwindigkeit der untere Ring dabb eben so hell erschien wie der obere aacc, welcher schon bei sehr geringen Geschwindigkeiten gleichförmig grau wurde. Die Verhältnisse von Schwarz und Weiss in beiden Ringen wurden hierauf no- tirt. Natürlich honnte man erst beobachten, wenn auch der untere Ring schon ziemlich gleichförmig erschien.

Die ersten Messungen, welche ich versuchte, gelangen recht gut, und die Arbeit schien überhaupt in erfreulichem Fortschritt begriffen zu sein. Ich experimentirte zunächst bei mässiger Beleuchtung und stellte die Papierringe so ein, dass nur ein kleiner Theil, etwa 0,1 oder 0,2 des Cylinderumfanges weiss, der übrige aber schwarz war. Waren sowohl im oberen wie im unteren Ringe (s. die Figur) 0,1 weiss, so erschien bei langsamer Rotation der obere sofort grau, während der untere ganz schwarz wurde und erst bei rascher Rotation heller grau und endlich dem oberen gleich wurde. Dasselbe trat bei 0,2 weiss ein. Der Nutzeffect in dem unteren Ringe nimmt also bei rascherer Rotation stetig zu. Der von Brücke beobachtete Fall, dass ein Maximum des Nutzeffectes bei 17,6 Lichteindrücken in der Secunde eintritt, gilt demnach nur für die Gleichheit von Reizdauer und Pausendauer. Fick liess weisse Scheiben durch eine Feder einmal vor dem Auge vorüberschnellen und fand dieselben sehr dunkel. Meine eben angeführten Experimente schliessen sich der Fick’schen Beobachtung sehr gut an. i

Setze ich an die Stelle des Schwarz eine Farbe A, an die des Weiss eine Farbe B, so erscheint bei langsamer Rotation der obere Ring in der Mischfarbe 0,1 A-+0,9B, während der untere nur die Farbe B zeigt und erst bei rascher Rotation dem oberen gleich wird. Das Schwarz verhält sich also hierbei genau so wie eine Farbe, genau wie eine po- sitive Lichtempfindung.

In den eben besprochenen Fällen konnte ich noch die be- absichtigten Messungen ausführen. Sie gelingen nicht mehr,

632 Ernst Mach:

wenn sich das Verhältniss von Schwarz und Weiss auf dem Umfange des Cylinders der Einheit nähert. Man kann dann den unteren Ring mit dem oberen nicht mehr vergleichen, und wenn man es wirklich versucht, schätzt man ihn bald viel heller, bald viel dunkle. Die Messung wird illusorisch.h Der un- tere Ring ist dann eben nicht nur heller oder dunkler als der obere, sondern bietet überhaupt einen anderen Anblick. Ich finde leicht eine Drehungsgeschwindigkeit, bei welcher der un- tere Ring fast gar nicht mehr fimmert, sondern einen ziemlich gleichmässigen Anblick giebt. Nichtsdestoweniger sehe ich kein Grau, sondern vielmehr das Schwarz durch das Weiss hindurch oder umgekehrt. Ich sehe den Ring glänzend. Er ist nicht heller oder dunkler als der obere, sondern glänzen- der. Am ähnlichsten ist die Erscheinung dem von Dove be- sprochenen stereoskopischen Glanz. Einem Auge erscheint der Ring genau so wie beiden Augen. Das Schwarz verhält sich. hier wieder wie eine positive Lichtempfindung, indem es mit dem Weiss und zwar auf ein und derselben Netzhaut eine Art Wettstreit eingeht.

Ersetzt man das Schwarz und Weiss durch zwei Farben A und B, so bleibt die Erscheinung wesentlich dieselbe, man sieht die eine Farbe durch die andere hindurchglänzen und zwar mit einem Auge so gut wie mit beiden. Auch die Far- ben scheinen mitunter auf einer Netzhaut zu streiten. Ich er- innere hier an die Bemerkung Fechner’s über das Augen- schwarz, an Volkmann’s Irradiation des Schwarzen und an E. Hering’s Betrachtungen über den Wettstreit von Schwarz und Weiss.

Natürlich musste ich unter solchen Umständen meine Mes- sungen aufgeben. Vielleicht würde man Einiges erreichen durch Fortsetzung der Fick’schen Versuche mit vorbeige- schnellten Scheiben. Ich würde eine grosse langsam rotirende schwarze Scheibe mit einem schmalen weissen Sector vorziehen. Dieselbe könnte durch den Schlitz einer zweiten sie bedecken- den Scheibe betrachtet werden. Freilich hat die on der so gewonnenen Resultate ihre Schwierigkeit.

Bemerkungen über intermittirende Lichtreize, 633

Gelegentlich führte ich noch einen Versuch aus, der mir interessant schien. Ich nahm eine in sechs concentrische Ringe getheilte, mit schwarzen und weissen Sectoren bemalte Scheibe, wie sie Brücke verwendet hat. Diese Scheibe war in jedem Ringe zur Hälfte schwarz, zur Hälfte weiss, nur hatte sie im innersten Ringe 1, im folgenden 2, dann 4 schwarze Sectoren u. s. f. bis 32. Diese Scheibe photographirte ich während der Rotation. Sie machte in einer Reihe auf einander folgender Versuche 1—30 Umdrehungen in der Secunde und wurde 1 bis 15 Secunden exponirt. In allen diesen Fällen war -das Bild der ganzen Scheibe gleichförmig grau, ohne Andeutung von concentrischen ungleich hellen Ringen. So weit meine Ver- suche reichen, konnte ich also kein Anklingen und Abklingen für das photographische Papier nachweisen, obgleich dies als eine allgemein mechanische Erscheinung theoretisch wahr- scheinlich ist. Die Helligkeit jeder Stelle des photographischen Papiers hängt also blos von der Lichtintensität und der Be- strahlungszeit ab, gleichgültig in welchen Unterbrechungen die Bestrahlung erfolgt. Soweit der Versuch reicht, muss also die Wirkung in dem Momente beginnen, wo das Licht eintritt, in dem Momente aufhören, als das Licht verschwindet. Ist die Wirkung des Lichtes auf die äusserste Netzhautschicht zunächst eine chemische, so wird man sich dieselbe ähnlich zu denken haben. Das Anklingen und Abklingen geht dann erst aus der Wechselwirkung der weiteren Nervenelemente hervor. Die Sache ist mechanisch klar. Nur grössere Massen können ein merkliches Anklingen und Abklingen zeigen.

Es scheint mir hiernach, dass man sich das Anklingen und Abklingen der Netzhaut überhaupt nicht so einfach zu denken habe, wie die Bezeichnung vermuthen liesse. Die äussersten Nervenelemente werden erregt; es hängt von der Disposition des folgenden ab, wie und wann sie diese Erregung weiter leiten.

Auch zur Young’schen Farbentheörie stehen einige der an- geführten Bemerkungen in Beziehung. Die Young’sche Far-

bentheorie, wie sie jetzt angenommen ist, strebt Einklang in Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 41

634 Ernst Mach:

die physikalischen und psychologischen Thatsachen der Farben- lehre zu bringen. Der Kern ist folgender. Objectiv sind alle Wellenlängen (Farben) möglich. Summiren sich mehrere Sinus- wellen von verschiedener Periode, so geben diese niemals eine Sinuswelle von anderer Periode. Die Sinuse mischen sich nicht. Subjectiv giebt es aber Mischfarben. Aus drei gut gewählten Wellenlängen lassen sich subjectiv alle Farben zusammensetzen, während objectiv nie eine Wellenlänge durch eine andere ver- treten werden kann. Die Theorie löst den Widerspruch, indem sie drei Grundfarbenempfindungen annimmt, welche in verschie- denem Verhältniss von jeder Wellenlänge ausgelöst werden.

Die Theorie scheint mir jedoch nicht vollständig zu genü- gen. Wohl kann man mit drei Wellenlängen Alles erreichen, aber daraus folgt nicht, dass drei Grundempfindungen psycho- logisch Alles erklären. Mehrere Grundempfindungen sind durch das Wesen der Young ’schen Theorie nicht ausgeschlossen. Ich glaube man muss so viele Grundempfindungen und Grund- processe annehmen, als es einfache Farben giebt, in welchen man keine anderen erkennt. Diese Farben wären Roth, Gelb, Grün, Blau. Ich muss Fick darin beistimmen, dass Violet nicht einfach sei. Die Farbenconstructionen bleiben dieselben, da es für den barycentrischen Calcül gleichgültig ist, ob man von drei oder von mehr als drei Fundamentalpuncten aus- geht. (Möbius.)

Wenn man sagt, in der Mischfarbe seien die Bestandtheile nicht mehr zu erkennen, so ist dies nicht vollständig wahr. Die Bestandtheile des Weiss erkennt man allerdings nicht, wenn man das Vortreten derselben bei Contrasterscheinungen nicht berücksichtigen will. Man hat also für die Empfindung Weiss auch einen besonderen Process anzunehmen. Soviel aber von den gemischten Farben im Weiss nicht untergeht, so viel bleibt erkennbar. Und Farben, welche wenig Weiss mit einander ge- ben, können deutlich in ihre Grundfarben aufgelöst werden, so z. B. Roth und Gelb, Grün und Blau, wie schon die Benen- nungen Rothgelb, Blaugrün bezeugen. Man hat sich also für die Grundempfindungen Roth, Gelb, Grün, Blau vier Grund-

Ernst Mach: Bemerkungen über intermittirende Lichtreize, 635

processe denken, welche in einer gewissen Selbständigkeit einhergehen, wie die Trennbarkeit der Mischfarben, die simul- tanen Contraste und vielleicht die von mir erwähnten Glanz- phänomene beweisen. Nur zum Theil gehen diese Grund- processe bei gleichzeitiger Anregung in einem neuen Process, dem Weiss unter. Für die Empfindung Schwarz endlich muss auch ein besonderer Process statuirt werden. Eine Erregung durch Reizmangel hat nichts so Befremdendes, wenn man sie mit den Erscheinungen an Hemmungsnerven zusammen hält. Der Reiz muss ja nicht nothwendig von aussen kommen, son- dern kann vom Organismus selbst ausgeübt werden.

41°

636 B. Naunyn:

Ueber die gährungswidrigen Eigenschaften des Benzin. Von

Dr. B. Naunvn, Assistenzarzt an der medicinischen Universitäts-Klinik zu Berlin.

Bekanntlich findet, wenn die Magencontenta in Folge einer Verengerung des Pylorus oder in Folge von mangelhafter Ma- gensaftsecretion, abnorm lange Zeit im Magen verweilen, in demselben häufig eine reichliche Entwicklung von Gährungs- pilzen statt. Unter dem Einflusse dieser gehen dann im Magen dieselben Umsetzungen vor sich, welche’ diese Gährungserreger auch ausserhalb des Organismus in entsprechenden Flüssigkeiten hervorbringen.

Dies haben die vor längerer Zeit von Frerichs!) in die- ser Hinsicht angestellten Untersuchungen sowie die in neuerer Zeit von Schultzen?) gemachten Erfahrungen gelehrt.

Die Mittel, welche man seit langer Zeit gegen die unter sol- chen Umständen im Magen statthabenden Gährungsprocesse an- wendet, das Kreosot u.s. w. erweisen sich nicht überall, namentlich nicht immer da, wo sich die Gährungspilze in grosser Menge vor- finden, als ausreichend; sie werden nur in sehr geringer, zur Unterdrückung der Gährung nicht hinlänglicher, Dosis ertragen.

In solchen Fällen ist die Anwendung des Benzin zu em- pfehlen.

1) Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Thl. II. Art. Ver- dauung. 2) Dies Archiv 1864,

Ueber die gährungswidrigen Eigenschaften des Benzin. 637

Dasselbe wird, wie dies die Untersuchungen von Reynal'), Rey?) und Mosler°) lehren, in ziemlich grosser Dosis gut er- tragen und äussert, wie aus Nachfolgendem erhellt, sehr kräf- tige, gährungswidrige Wirkungen.

T.

In einer mässig concentrirten Trauben-Zuckerlösung wurde durch Hinzufügung einer beträchtlichen Menge von Hefepilzen eine Gährung eingeleitet. Von dieser Flüssigkeit wurden, nach- dem die Gährung in derselben fast beendigt war (die Trom- mer’sche Reaction zeigte nur noch Spuren von Zucker) pp. 10C.C. zu200 C.C. einer Traubenzuckerlösung von 1,16 °/, hin- zugefügt.

Die so erhaltene Flüssigkeit ward in zwei gleiche Theile getheilt, und beide Theile wurden im zugedeckten Glase, der eine (b) nach Hinzufügung von 20 Tropfen Benzin?) in einer Wärme von 20—30 ° C. aufgestellt.

Nach 48 Stunden waren in der ohne Benzin aufgestellten Flüssigkeit (a) nur noch Spuren von Zucker nachweisbar, wäh- rend die mit Benzin aufgestellte Flüssigkeit (b) noch einen Gehalt von 1,11 °/, Traubenzucker zeigte.

Il.

300 C. ©. derselben Traubenzuckerlösung von 1,16 °/, wur- den ebenfalls mit einigen C. C. einer, reichliche Mengen von Hefepilzen enthaltenden, eben ausgegohrenen Flüssigkeit ver- setzt, in drei gleiche Theile getheilt und jeder Theil im zuge- deckten Glase in einer Wärme von 20—30 °C. aufgestellt.

Der eine Theil (a) wurde sogleich mit 12 Tropfen Benzin versetzt. Nach 12 und nach 36 Stunden wurden je 10 weitere Tropfen Benzin hinzugefügt.

Diese Flüssigkeit enthielt nach 48 Stunden noch 1,04 °/, Traubenzucker.

1) Recueil de medecine veterinaire. 1854.

2) Rec. de med. vet. 1861.

3) Helminthologische Studien etc. Berlin 1864.

4) Das zur Anwendung gekommene Benzin war das als bestge- zeinigtes hiesigen Orts käufliche Präparat; es enthielt keine Carbolsäure,

638 B. Naunyn:

Der zweite Theil (b) wurde zunächst der Gährung über- lassen. Er zeigte nach 12 Stunden einen Gehalt von 0,7 °), Traubenzucker. Es wurden nun 12 Tropfen und nach 12 Stun- den weitere 10 Tropfen Benzin hinzugesetzt. Die Flüssigkeit enthielt nach 24 und ebenso nach 60 Stunden noch immer 0,7 °%/, Traubenzucker.

In dem dritten Theile der Flüssigkeit, der der Gährung ohne Zusatz von Benzin überlassen blieb, waren nach 24 Stun- den nur noch Spuren von Traubenzucker nachweisbar; nach 36 Stunden war die Gährung beendet.

Während in dieser letzterwähnten Flüssigkeit die Hefepilze ebenso wie in Flüssigkeit a des ersten Versuches, und in Flüs- sigkeit b des zweiten Versuches vor dem Zusatze des Benzin, reichlich und schön entwickelt waren, zeigten sich dieselben in alle den Flüssigkeiten, welche längere Zeit der Einwirkung des Benzin ausgesetzt worden waren, vereinzelt und sehr klein. In den meisten Hefekügelchen bemerkte man dann einen zu granulirten Klümpchen geschrumpften Inhalt, und häufig sah man dieselben in eine kömige Masse zerfallen.

. Es wurde in dem nachfolgenden Falle, welcher auf der unter Leitung des Herın Geheimrath Frerichs stehenden medicini- schen Universitätsklinik hierselbst zur Beobachtung kam, von der gährungswidrigen Wirkung des Benzin mit Erfolg Ge- brauch gemacht.

Die 17jährige Pressler trank am 20. Mai 1865 aus Ver- sehen eine mässige Quantität (etwa 2 Esslöffel voll) der ver- dünnten, hier käuflichen Schwefelsäure. Die danach sich ein- stellenden Symptome einer Gastritis acuta verloren sich unter ärztlicher Behandlung bald, indessen traten nach einigen Wochen wieder Magenbeschwerden auf. Die Kranke empfand nach jeder Mahlzeit allmählig an Heftigkeit immer mehr zunehmende Schmerzen im Epigastrium, und bald stellte sich auch pp. 2 bis 4 Stunden nach der Mittagsmahlzeit, allmählich sehr massen- haft werdendes Erbrechen ein.

Am 3. Juli 1865 kam die Kranke auf die Klinik. Hier wurde eine bedeutende Schmerzhaftigkeit des Epigastrium, na-

Ueber die gährungswidrigen Eigenschaften des Benzin. 639

mentlich der Gegend des Pylorus beim Druck, sowie eine be- deutende Ektasie des Magens constatirt. Spontan empfand die Kranke fast fortdauernd intensive Schmerzen in der Magen- gegend, die 2—3 Stunden nach der Mittagsmahlzeit ihre grösste Intensität erreichten und durch das nun erfolgende Erbrechen nur vorübergehend gemildert wurden.

Das sehr stark schaumige Erbrochene enthielt constant grosse Mengen von Gährungspilzen, niemals Sarcine.

Trotz einer sofort angeordneten amylum- und zuckerfreien Diät und dem 2 Monate hindurch fortgesetzten Gebrauche des Kreosot in Dosen von !,— 1-—2 Tropfen, 3—4 Mal täglich, blieben die Beschwerden unverändert. Das Erbrechen erfolgte fast regelmässig alle Tage und die Menge der Hefepilze im Er- brochenen nahm constant zu.

Am 6. September 1865 wurden der Kranken Morgens und Abends je 20 Tropfen Benzin. puriss. verabfolgt. Ausser un- angenehmem Aufstossen entstanden weder hiernach noch bei dem 4 Tage hindurch fortgesetzten Gebrauche des Benzin in der Dosis von je 10 Tropfen 4 Mal täglich, irgend welche Be- schwerden.

In den ersten 12 Tagen nach Anwendung dieses Mittel fand kein Erbrechen mehr statt. Nach einem groben Diätfehler (die Kranke genoss am 18. September über '/, Metze ungekochter Zwetschen) trat einmaliges Erbrechen ein. Das Erbrochene war nicht schaumig und enthielt nur ganz vereinzelte kleine Gährungspilze.

Seitdem ist, ohne dass eine erneute Anwendung des Benzin stattgehabt hätte, Erbrechen nicht wieder eingetreten; auch Schmerzhaftigkeit der Magengegend, spontan sowohl wie auf Druck, ist zu keiner Zeit mehr vorhanden.

Schon seit Anfang des October wurde der Kranken eine an Amylaceen reichere Kost gereicht, und seit Mitte desselben Monates genoss sie die gewöhnliche Diätform des hiesigen Kran- kenhauses, ohne irgendwelche Beschwerden zu empfinden. Die Ernährung und der Kräftezustand der vordem gewaltig abge- magerten Kranken besserten sich schnell in der erfreulichsten

640 B. Naunyn:

Weise, so dass dieselbe am 10. November als geheilt entlassen werden konnte.

Bei ihrer Entlassung war eine Erweiterung des A nicht mehr nachweislich.

Es ist somit die therapeutische Verwendung des Benzin in analogen Fällen zu empfehlen. Bei Thieren (Pferden) ist dieses Mittel übrigens bereits von Rey (]. c.) gegen chronische Digestionsstörungen mit Erfolg angewendet. Es ist möglich, dass auch hier die günstige Wirkung durch die von diesem For- scher nicht erkannten gährungswidrigen Eigenschaften desselben bedingt war.

Berlin, den 16. November 1869.

Archiv f. Anat. 2e. Phys. A865.

Taf AU,

Wagenschieber se W-Donitz del.

BR n 5 Arche f Anat u Phyf 7063: Taf IV.

[

Wagenschieber sc

72

f

m

f \

R: Leuckart: Zur Entwickelungsgeschichte der A. nigrovenosa. 641

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascarzs NIGTOVENOSA.

Zugleich eine Erwiderung gegen Herrn Candidat Mecznikow.

Von

RUDOLF LEUCKART.

Das heute, am 12. October, mir zugekommene vierte Heft dieses Archivs, Jahrgang 1865, enthält 5. 409—420 einen Auf- satz des Herrn Candidat Meceznikow, der unter dem hier beibehaltenen Titel die von mir schon früher in den Nachrich- ten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen, 1865, Nr. 8, und im Archiv des Vereins für wissenschaftliche Heilkunde, 1865, S. 219, im Zusammenhange mit anderen ver- wandten Erscheinungen kurz dargestellte Entwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa behandelt. Man wird sich, wenigstens bei Vergleichung mit der letzterwähnten Darstellung, leicht da- von überzeugen, dass die Arbeit des Herrn Mecznikow in keiner Hinsicht über die von mir gebrachten Daten hinausgeht. Aber Herr Mecznikow hat auch nicht die Absicht gehabt, etwas Neues zu bringen, sondern bloss die Gelegenheit ergrif- fen, sein Recht auf die Entdeckung der von mir beschriebenen auffallenden Entwickelungsweise zu wahren.

Ich habe in meinen Darstellungen ausdrücklich erwähnt, dass die von mir beschriebenen Beobachtungen unter Theil- nahme und Beihülfe des zu seiner weiteren Ausbildung damals in meinem Laboratorium arbeitenden jungen Zoologen gemacht

seien, und dieser Theilnahme nochmals ausdrücklich da (Göt- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 42

642 R. Leuckart:

tinger Anzeigen, S. 227) gedacht, wo es sich um die Thatsache handelt, dass die aus dem Frosch entfernten Embryonen der Ascaris nigrovenosa als freie Rhabditis-artige Würmer in weni- gen Tagen zur Geschlechtsreife gelangen.

Herr Mecznikow ist damit nicht zufrieden. Er verlangt das ganze Verdienst dieser Entdeckung und gerirt sich, als ob er es gewesen, der die hier in Betracht kommende Untersu- chungsreihe selbständig und allein durchgeführt habe. Meine eigene Theilnahme wird auf einige gelegentliche Berichtigungen seiner Beobachtungen beschränkt.

Mit Recht wird man unter solchen Umständen fragen, wie ich dazu komme, meinen Namen mit den Entdeckungen und Untersuchungen des Herrn Mecznikow in Verbindung zu bringen.

Meine Antwort und Rechtfertigung ist folgende.

Es war unmittelbar nach dem Schlusse der hier im vorigen Jahre abgehaltenen Naturforscherversammlung, als mir Herr Candidat Mecznikow aus Charkow, der derselben beigewohnt hatte, den Wunsch mittheilte, auf dem hiesigen zoologischen Institute seine Studien fortzusetzen. Es läge ihm, so äusserte er namentlich, daran, sich in der Helminthologie auszubilden, und, wo möglich, unter meiner Leitung Beobachtungen über die Entwickelungsgeschichte der Nematoden zu machen. Bis jetzt sei er auf diesem Gebiete noch durchaus unerfahren, so dass er kaum einmal wisse, wie ein helminthologisches Expe- riment überhaupt anzustellen sei.

Ich erklärte mich meinerseits bereit, dem Wunsche des Herrn Mecznikow zu willfahren und demselben zum Zwecke seiner Untersuchungen die Mittel meines Instituts in ausge- dehntester Weise zur Verfügung zu stellen. Was seine hel- minthologischen Pläne betreffe, so komme er, bemerkte ich weiter, gerade jetzt zu einer günstigen Zeit, indem ich die Absicht habe, im nächsten Semester die schon früher in An- griff genommenen und nur durch die Vorbereitungen zum Em- pfange der Naturforscher unterbrochenen Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Nematoden für den zweiten Band meines Parasitenwerkes wieder aufzunehmen. Ich würde

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris mgrovenosa.. 643

ihm gern die Erlaubniss geben, an diesen Untersuchungen sich zu betheiligen. L

Herr Meeznikow nahm mein Anerbieten mit Dank an und hat davon in so ausgedehnter Weise Gebrauch gemacht, dass ich bis zur Abreise desselben nach Neapel bis über die Mitte des Sommersemesters hinaus kaum ein Untersuchungs- objeet für mich allein zu behandeln im Stande war. Mein jun- ger Schüler trug nicht einmal Bedenken, gelegentlich die von mir zum Zwecke meiner Experimente hergerichteten Aquarien und Terrarien in meiner Abwesenheit zu untersuchen , und auch sonst (z. B. durch Tödtung der von mir wenn auch immerhin vielleicht unter seiner Beihülfe mit Parasitenbrut infieirten Frösche) eigenmächtig in den Gang meiner Experi- mente einzugreifen. Ich habe dazu geschwiegen, weil ich mich an dem unausgesetzten Eifer des talentvollen jungen Zoologen erfreute und überdies gewohnt bin, die Bestrebungen meiner Schüler auf jede Art zu fördern. Hätte ich freilich ahnen kön- nen, dass Herr Mecznikow die auf solche Weise gewonnenen Resultate als sein Eigenthum in Anspruch zu nehmen ge- willt sei, dann würde sich unser Verhältniss bald anders ge- staltet haben. Die Aufopferung eines Lehrers kann doch un- möglich so weit gehen, dem Schüler, der zunächst nur zu sei- ner eigenen Weiterbildung an den Untersuchungen desselben theilnehmen darf, alles Das zu überlassen, was ihm dabei der Zufall vielleicht früher, als dem Lehrer selbst, vor Augen führt. In dem vorliegenden Falle war die Möglichkeit eines solchen Fundes aber noch grösser, als sonst unter ähnlichen Verhält- nissen, weil ich Herrn Mecznikow mit vollem Vertrauen in meine Pläne und Ideen einweihte, mein Untersuchungsmaterial fast immer mit ihm theilte, und ihm schliesslich die Möglich- keit bot, sich den ganzen Tag von früh bis spät nicht bloss auf meinem Institute, sondern sogar in meinem eigenen Arbeits- zimmer zu beschäftigen, während ich durch anderweitige Pflich- ten und Öbliegenheiten gar häufig für längere oder kürzere Zeit in meinen Untersuchungen unterbrochen wurde.

Doch zurück zu unserer Ascaris nigrovenosa.

42*

644 R. Leuckart:

Nachdem Herr Mecznikow die Erlaubniss erhalten hatte, auf meinem Institute zu arbeiten, schlug er darin alsbald sei- nen Platz auf. Es war erst im Beginne unserer Ferien (Mitte September); ich hatte ihm erklärt, dass ich mich während der Dauer derselben zu meiner Erholung und zu literarischen Zwecken von dem Institute fern hielte und deshalb denn auch einstweilen ausser Stande sei, seinen Arbeiten meine volle Auf- merksamkeit zu schenken. Mein Rath und meine Beihülfe ständen ihm aber jeder Zeit zu Diensten, sobald er derselben bedürfe. Herr Mecznikow liess sich dadurch nicht ab- schrecken. Er untersuchte eine Anzahl von Objecten, die er in Helgoland gesammelt hatte, untersuchte Cestoden und Trichi- nen, und stellte nach Verlauf einiger Wochen an mich die Bitte um weiteres Material zu Nematoden-Experimenten. Ich machte den jungen Zoologen auf die Schwierigkeiten solcher Untersuchungen aufmerksam und bemerkte, dass es sich hier um eine völlige Tabula rasa handele. Selbst die Untersuchungs- methoden seien noch festzustellen und theilweise erst zu finden. Gleichzeitig theilte ich ihm ohne Rückhalt mit, was ich durch frühere Versuche in dieser Beziehung entdeckt und erprobt hatte, obgleich solches damals noch grösstentheils unbekannt war. Herr Mecznikow erfuhr bei dieser Gelegenheit u. A., dass es Nematoden gebe, die ihren Jugendzustand unter Form einer Rhabditis im Freien verbrächten, hier frässen und wüchsen; ja noch mehr er hörte mich schon damals die Vermuthung äussern, dass einzelne Formen in diesem Zustande möglicher Weise zur Geschlechtsreife kämen.!) Ich hätte mir vorge- nommen, so fügte ich hinzu, diese Vermuthung selbst durch neue und erweiterte Experimente zur Prüfung zu bringen, wie ich denn überhaupt, was er bereits wisse, die Nematoden in aller Bälde energisch in Angriff zu nehmen gewillt sei. Wolle Herr Mecznikow einstweilen allein die Untersuchungen be-

1) Diese Vermuthung hatte ‘sich mir zuerst im Sommer 1864 aufgedrängt, als ich mit Dochmius experimentirte, und habe ich dieselbe auch schon damals den zu jener Zeit auf meinem Institute beschäftigten Landsleuten des Herrn Mecznikow, den Herren Ste- panoff aus Charkow und Melnikoff aus Kasan, mitgetheilt.

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa.. 645

ginnen, so solle er sich zunächst an die Froschnematoden As- caris nigrovenosa und A. acuminata halten und die aus dem Mutterleibe und dem Darmkanal der Wirthe entnommenen Embryonen auf verschiedene Weise, in Wasser, feuchter Luft und Erde zu cultiviren versuchen. Zu diesem Zwecke unter- richtete ich ihn von der Herstellung und dem Gebrauche der von mir früher mit Glück angewendeten sog. Thaukämmerchen und Terrarien!), welche letztere ich damals meistens in klei- nen Reagensgläsern anzulegen pflegte.

So wurden die Experimente von mir angeordnet und so wurden sie von Herrn Mecznikow ausgeführt nur stellte sich die Cultur der jungen Embryonen in offenen Uhrschälchen bald als zweckmässiger heraus, als in den von mir vorgeschla- genen Apparaten, in denen dieselben gewöhnlich bald zu Grunde gingen. (Auf die Anwendung dieses Uhrschälchens reducirt sich die von Herrn Mecznikow erwähnte „neue Methode“!)

Schon nach wenigen Tagen entwickelten sich die jungen Embryonen der A. nigrovenosa zu geschlechtsreifen Rhabditiden.

Es war Herr Mecznikow, der diese Thatsache zuerst be- obachtete. Er hat sie, wie er sagt, „entdeckt* er hat sie entdeckt, wie etwa der Schiffsjunge des Columbus vom Mast- korbe aus Amerika entdeckte.

Die Ferienzeit verging mit einer Reihe von Controlversu- chen, die ich zur Vermeidung eines jeden Irrthums Herrn Mecznikow vorschlug. Sie verging unter häufigen, fast täg- lichen Besprechungen , in denen das gefundene Resultat be- greiflicher Weise die Hauptrolle spielte.

Meine actuelle Theilnahme an den Beobachtungen hatte sich während der Ferienzeit auf Besichtigung der von Herrn Mecz- nikow hergestellten Präparate beschränkt. Mit dem Beginne des Semesters änderte sich das. Ich nahm von da an die Un- tersuchungen theils in Gemeinschaft mit Herrn Mecznikow- theils auch selbständig auf? und erst diese Zeit der späte- ren Untersuchungen hat die Naturgeschichte der Ascaris nigro,

1) Ich verweise hierbei auf meine Mittheilungen in den „mensch- lichen Parasiten“, S. 54.

646 R. Leuckart:

venosa zu ihrem vollen Abschluss gebracht. Herr Mecznikow wird wohl kaum in Abrede stellen, dass (auch ausser der That- sache der Parthenogenese bei der parasitischen A. nigrovenosa) gar Vieles von dem, was seine gegenwärtige Arbeit enthält, zuerst durch meine Untersuchungen festgestellt ist; er wird das um so weniger können, als er noch kurze Zeit vorher über den Bau der Rhabditiden ziemlich irrthümliche Vorstellungen hatte, wie seine Arbeit über Diplogaster (dies. Archiv 1863, S. 502) zur Genüge nachweist. Namentlich muss ich dieses auch in Bezug auf die Experimente geltend machen, durch welche im Beginn des Sommersemesters die Weiterentwickelung der jun- gen, in Rhabditis entstandenen Ascaris nigrovenosa möglich wurde, obwohl Herr Mecznikow behauptet, die betreffenden Entwickelungsstadien allein!) beobachtet zu haben. Ich war es, und nicht Herr Mecznikow, der den Plan zur Infieci- rung der Frösche fasste und die Methode für die Ausführung der Experimente angab, so wie ich es war, der nach dieser Me- thode unter Assistenz meines Mitarbeiters experimentirte. Ich war es sogar so weit ich mich erinnere der bei einer aller- dings gemeinschaftlichen Untersuchung, die erste junge Ascaris in der Lunge eines Versuchsthieres auffand. Dass meine Un- tersuchungen über diese zweite Entwickelungsphase weit voll- ständiger sind, als die des Herrn Mecznikow, will ich nicht einmal in Anschlag bringen, obwohl es doch namentlich für den Beweis der stattfindenden Parthenogenese durchaus nicht bedeutungslos ist, die importirten Parasiten bis zur Ausscheidung der Embryonen im Fruchthälter verfolgt zu haben.

Dem Leser wird es hiernach klar sein, wie ich dazu kam, Herrn Mecznikow trotz dem zuerst von ihm gewonnenen ob- jectiven Nachweise einer zwiefachen geschlechtlichen Genera- tion bei Ascaris nigrovenosa nur als Mitarbeiter und Theilneh- mer an den in Frage stehenden Untersuchungen zu bezeichnen. Die Untersuchungen waren von mir angeregt und

1) Durch diese Bemerkung giebt Herr Mecznikow auch indirect zu, dass er die übrigen Beobachtungen mit mir gemeinschaftlich gemacht habe,

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa. 647

wurden von mir geleitet; sie waren ein isolirtes Glied aus einer Reihe von Beobachtungen und Ex- perimenten, die ich lange vorbereitet und überdacht hatte, und für die ich denn auch trotz der Theil- nahme des Herrn Mecznikow mein volles Eigen- thumsrecht in Anspruch nehme.!) Herr Mecznikow hat das auch, in richtiger Würdigung seiner Stellung zu mei- nen Untersuchungen, in früherer Zeit niemals beanstandet. Er hat gar häufig gehört, dass Fachgenossen, die mich besuchten

1) Ich sehe mich zu dieser Erklärung um so mehr genöthigt, als Herr Meeznikow von „einer nicht geringen Zahl vollkommen selb- ständiger Entdeckungen“ spricht, die unter den von mir zur Bezeich- nung seines Antheils an meinen Untersuchungen gewählten Aus- drücken „Beihülfe* und „Theilnahme“ versteckt seien. Die Mitthei- lung, die Herr Mecznikow hier im Auge hatte, handelte über Ascaris acuminata, A. nigrovenosa, Dochmius trigonocephalus und Cu- cullanus. Wenn ich von A. nigrovenosa absehe, für die ich auf die oben stehenden Auseinandersetzungen verweise, weiss ich in der That Niehts, was Herrn Meeznikow zu dieser Behauptung veranlasst ha- ben könnte, es müsste denn der Fund des ersten jungen Cucullanus in einem Cyclopen sein, der von demselben eines Sonntags, als ich auf dem Institute nicht arbeitete, gemacht wurde jedoch zu einer Zeit, in der ich bereits die Einwanderung der, Embryonen in Agrion- Larven constatirt hatte, und in einem Aquarium, das von mir zur Ou- cullanus-Zucht hergerichtet war und auf meinem Arbeitstische stand. Auch mit Hülfe des von Herrn Mecznikow zur Eruirung seiner „vollkommen selbständigen“ Entdeckungen vorgeschlagenen Mittels ich soll nämlich überall da, wo von einer solehen die Rede ist, in meinen Mittheilungen „man“ und nicht „ich“ gesetzt haben will es mir nicht gelingen, ein Mehreres zu finden. Theilgenommen hat Herr Mecznikow allerdings noch an anderen Untersuchungen, die ich während seines Aufenthaltes hier in Giessen vornahm. Es mag auch sein, dass er bei einer derartigen gemeinschaftlichen Unter- suchung einmal irgend eine Thatsache einige Minuten vor mir beob- achtete, aber solche Beobachtung eine „vollständig selbständige Ent- deckung“ zu heissen, ist doch wirklich etwas} mehr als naiv. Selb- ständige Untersuchungen über parasitische Nematoden hat Herr Mecznikow hier in Giessen überhaupt nicht ge- macht. Uebrigens fallen gar viele meiner Beobachtungen, nament- lich der später mitgetheilten, in die Zeit entweder vor Ankunft des Herrn Mecznikow oder nach dessen Abreise,

648 R. Leuckart:

ich führe hier nur die Herren Prof. Claus und Weis- mann an —, die Geschichte der Ascaris nigrovenosa als eine wesentlich mir zukommende Entdeckung besprachen, ohne da- gegen zu replieiren; er hat sich niemals gegen mich über die Darstellung beklagt, die ich bei der Publication meiner helmin- thologischen Beobachtungen eingehalten habe, vielmehr selbst gelegentlich gegen mich dahin sich geäussert, dass er wohl wisse, wie seine Theilnahme an den betreffenden Entdeckungen mehr untergeordneter Natur sei.

Jetzt mit einem Male ist das anders geworden. Gegenwärtig fühlt sich Herr Mecznikow in der ganzen Glorie eines Mannes, der eine wichtige Entdeckung gemacht hat wie diese „voll- kommen selbständige“ Entdeckung in Wirklichkeit zu Stande gekommen ist, davon wird kein Wort gesagt. Natürlich, denn damit würde der Glorienschein alsbald erblassen. Und dieses Manöver wird einem Manne gegenüber gemacht, der Herrn: Mecznikow nicht blos Lehrer war, sondern ihm auch bei mehr als einer Gelegenheit nach Freundesart mit Rath und thatkräftiger Hülfe zur Seite stand, und obendrein hinter des- sen Rücken in einer Zeit gemacht, in der Herr Mecznikow noch täglich von demselben eine Menge Freundlichkeiten bean- spruchte. Ich habe indessen niemals auf besonderen Dank von Seiten des Herrn Mecznikow gerechnet, und will mich denn auch über seinen Undank nicht beklagen.

Wenn Herr Mecznikow eine genauere Geschichtsdarstel- lung der Entdeckungen über die Ascaris nigrovenosa gewünscht hätte, dann würde ich nicht unterlassen haben, dieselbe zu ge- ben. Ich würde auch Nichts dagegen gehabt haben, wenn Herr Mecznikow das seinerseits gethan hätte. Aber die Darstel- lung hätte dann vollständiger sein und keine kahle Prioritäts- reclamation repräsentiren müssen, die mein Verfahren in ein falsches Licht bringt.

Wie die Sache jetzt liegt, beweist Herr Mecznikow nur, dass er den Grundsatz „suum cuique* ungefähr eben so inter- pretirt, wie das in Fritz Reuter’s ollen Kamellen (ut de Franzosentid) Friederich dem Möller Vossen gegenüber thut.

Für die Richtigkeit dieser Behauptung lassen sich auch

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa. 649

sonst noch Belege beibringen. Oder könnte es Herr Mecz- nikow begründen, wenn er sich in Briefen nach seiner Hei- math z. B. als Mitentdecker der Keimdrüsen bei den Cecido- myienlarven benimmt, und als solcher in russischen Schriften schon zu einer Zeit genannt wird, in der bei uns, in Deutsch- land, von meinen Untersuchungen überhaupt noch Nichts be- kannt war? Herr Mecznikow muss doch wissen, dass seine Theilnahme an dieser Entdeckung sich einfach darauf beschränkte, dass er sich durch Demonstration meiner Präparate von der Rich- tigkeit meiner Beobachtungen und Deutungen überzeugen liess. Wenn ich trotzdem selbst dieser Theilnahme gedachte!) , so geschah dies aus Courtoisie, die mir in diesem Falle um so mehr am Platze schien, weil ich meinem jungen Schüler Gele- genheit gegeben hatte, die betreffenden Objecte gleichzeitig mit mir zu untersuchen.

So Vieles zur Charakterisirung resp. Berichtigung der An- sprüche des Herrn Mecznikow und zur Rechtfertigung mei- nes Verfahrens.

Ueber den wissenschaftlichen Inhalt der Arbeit habe ich nur Weniges zu bemerken, da die Darstellung, wie unter den erwähnten Umständen auch kaum anders zu erwarten war, in allen wesentlichen Punkten mit meinen Angaben übereinstimmt.

Zunächst von den Embryonen. Was Mecznikow bei diesen als „Cutieularlippe* darstellt, ist kein Ringsaum, son- dern besteht aus drei selbständigen kleinen Cuticularpapillen, wie ich sie bei keinem anderen Nematodenembryo bis jetzt be- obachtet habe. Sie lassen sich schon an den reifen Embryonen erkennen, wenn diese noch im Mutterleibe sind, und finden sich ebenso bei den aus dem Mastdarm entnommenen Thieren. Die Geschlechtsanlage, deren mächtige Grösse und Entwickelung eine zweite Auszeichnung unserer Embryonen abgiebt, reprä- sentirt einen länglichen Körper von 0,08 Mm. Länge und 0,012 Mm. Durchmesser und enthält nicht ein mit Kernen durch- setztes Protoplasma, sondern zum Theil deutlich isolirte, wenn- gleich der äusseren Hülle noch entbehrende Zellen von 0,007 bis

1) Archiv für Naturgeschichte, 1865, I., S. 288.

650 R. Leuckart:

0,008 Mm. mit einem bläschenförmigen Kern von 0,0048. Bei unreifen Embryonen erkennt man diese Zellen als Embryonalzel- len, die sich in Nichts von denen des Darmepithels unterschei- den und sich später nur insofern verändern, als sie die früheren grobkörnige Beschaffenheit verlieren und dadurch durchsichtiger werden. Zur Vergleichung füge ich hinzu, dass die Genitalan- lage sonst sehr allgemein bei den Nematodenembryonen einen kleinen und homogenen hellen Körper darstellt, der im Längs- schnitte eine fast bohnenartige Form hat, meist 0,02 Mm. misst und gewöhnlich einen einzigen Kern in sich einschliesst als wenn sie nur von einer einzigen Zelle gebildet werde. Die spätere Ausbildung wird durch eine Vergrösserung der Masse und Vermehrung der Kerne eingeleitet. Bei männlichen und weiblichen Embryonen hat die Anlage dieselbe Beschaffenheit und Lage. Sie wird stets an der Ventralfläche, meist gegen die Mitte des Chylusdarmes angetroffen und steht in festem Zusammenhange mit den Körperwänden. Der Porus exereto- rius wird auch bei unserem Thiere (an der Ventralfläche, auf der Höhe der zweiten Pharyngealanschwellung) nicht vermisst, hat aber lange nicht jene Deutlichkeit, die dies Organ sonst bei den Embryonen der Nematoden auszuzeichnen pflegt.

In Betreff der geschlechtsreifen Rhabditis-Form, zu der sich diese Embryonen schon nach wenigen Tagen im Freien ent- wickeln, bemerke ich zunächst, dass die Pharyngealwände keineswegs in ganzer Ausdehnung musculös sind, wie Herr Mecznikow zeichnet. Nur an zweien Stellen bemerkt man radiäre Muskelfasern, in der hinteren Anschwellung, wo diesel- ben zur Bewegung der hier vorhandenen drei Chitinzähne die- nen, und weiter nach vorn, fast in der Mitte des mehr cylin- drischen Oesophagealrohres, wo sich die Chitinbekleidung gleich- falls zu einer, freilich viel weniger auffallenden Bewaffnung entwickelt. Ebenso besitzen die Schwanzpapillen der Männ- chen keine haarförmige Bildung, sondern sind ziemlich plumpe Zapfen, die sich nach vorn bis über die Afteröffnung hinaus noch eine Strecke weit verfolgen lassen. Das letzte Schwanz- ende trägt eine beträchtlich grössere Papille von schlanker Kegelform. Eine besondere, diese Papillen vereinigende Mem-

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa. 651

bran habe ich nicht auffinden können, obwohl ich dieselben oft- mals nach Aussen prominiren sah. Die Samenelemente haben im oberen Theile des Hodens ihre frühere Beschaffenheit beibe- halten, sind aber weiter unten zu Zellen von reichlich 0,02 Mm. ausgewachsen, die in einfacher Reihe bisweilen scheibenförmig sich abplattend hinter einander liegen und durch Viertheilung sodann in die genuinen rundlichen Samenkörper (von etwa 0,005 Mm.) zerfallen, die nach der Begattung nicht selten auch im Innern der weiblichen Organe zwischen den Eiern angetrof- fen werden.

Das grössere Weibchen, das im Sommer gewöhnlich über 1 Mm. heranwächst, hat eben so gut einen Nervenring!), wie das Männchen. Nur ist derselbe überhaupt bei unseren Thieren lange nicht so präcis und scharf charakterisirt, als bei vielen anderen Nematoden. Die weiblichen Organe sind von Herrn Mecznikow nur unzureichend beschrieben. Sie bestehen nicht, wie derselbe behauptet, aus einem hüllenlosen Strange von Eiern, der in seiner Mitte die Geschlechtsöffnung besitzt, sondern aus zweien Schläuchen, die von der Geschlechtsöffnung aus nach vorn und hinten ziehen und (zur Zeit der Begattung) ausser der Vagina je noch zwei Abschnitte, einen Uterus und ein Ovarium erkennen lassen. Der Uterus repräsentirt einen ziemlich dicken, anscheinend von zelligen Wandungen umgebenen, kurzen Kanal mit engem Lumen, während das Ovarıum von einer sehr zar- ten, aber doch deutlich nachweisbaren structurlosen Membran gebildet wird. Das Innere des Ovariums ist mit Eiern gefüllt. Die hinteren, bisweilen hornförmig umgeschlagenen dünneren En- den enthalten Eier von nur geringer Grösse. Aber die Grösse wächst und beträgt in den beiden unteren Eiern, die allerdings bei Weitem die grössesten sind dicht vor Beginn der Ent- wickelung 0,06 Mm. (bei einem Querdurchmesser von 0,02 Mm.). Das Keimbläschen misst dabei 0,015 Mm. In der Regel ist das dem Uterus zunächst liegende Ei merklich grösser, als das andere.

1) In Betreff des Nervensystems wie der Exeretionsorgane der Nematoden bin ich durch meine Untersuchungen zu wesentlich den- selben Resultaten gekommen, wie Schneider, dessen Arbeiten in diesem Archiv veröffentlicht sind,

652 R. Leuckart:

Nach der Begattung beginnt unter fortgesetzter Grössenzu- nahme der Eier (bis 0,08 Mm. Länge und 0,04 Mm. Dicke) die gewöhnliche Klüftung, die sehr bald zur Ausscheidung eines langen und schlanken Embryo von beträchtlicher Grösse (An- fangs 0,25 Mm. Länge) hinführt. Die Zahl der Embryonen beträgt, der Zahl der reifen Eier entsprechend, im Sommer ge- wöhnlich vier, ist aber bisweilen (besonders Winters, wo nur selten mehr als zwei angetroffen werden) auch geringer. Wäh- rend der Embryonalentwickelung nehmen übrigens auch die unreifen Eier gewöhnlich noch eine Zeit lang an Grösse zu.

Anfangs liegen die Embryonen zusammengekrümmt in den davon deutlich abstehenden von Herrn Mecznikow nur mit Unrecht geläugneten zarten Eihüllen, aber sehr bald be- ginnen sie sich zu strecken und schlängelnd zu bewegen. Schon während der Entwickelung sind dieselben in den bis dahin lee- ren Uterus übergetreten und haben diesen dann so weit ausge- dehnt, dass die früheren Grenzen gegen das Ovarium geschwun- den sind. Aber die beweglichen Thiere bleiben nicht im In- neren der Geschlechtsorgane. Sie dringen nach Zerstörung der umgebenden Wandungen in die Leibeshöhle. Das Ovarıum zer- fällt, der Darm der Mutter wird zerstört, der Pharynx und die Muskelmasse theilen schliesslich das gleiche Schicksal und so verwandelt sich denn der Körper der Mutter allmählig in einen mit Körnchen gefüllten Chitinschlauch, in dem die Em- bryonen sich lebhaft umherbewegen und unter beständiger Nah- rungsaufnahme allmählig zu schlanken Thieren von 0,5—0,6 Mm. heranwachsen.

Herr Mecznikow hat diese jungen Thiere ganz richtig be- schrieben, aber er hat übersehen, dass dieselben während des Aufenthaltes in dem Mutterleibe ihrer Pharyngealbildung nach förmliche Rhabditiden sind, die nicht allein zwei Pharyngeal- anschwellungen zeigen, sondern in der letzten auch drei Zähne erkennen lassen, welche allerdings kleiner sind, als bei der früheren Generation, aber doch ganz ebenso, wie bei dieser, gestaltet sind und durch deutliche Muskelfasern bewegt werden. Nach dem Hervorschlüpfen aus dem Mutterleibe gehen diese Zähne verloren, die Muskelstreifen schwinden und der Pharynx nimmt eine andere, mehr Ascaris-artige Form an. Unsere Thiere

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris migrovenosa.. 653

haben damit die Fähigkeit gewonnen, sich in den Lungen der Frösche zu der bekannten Ascaris nigrovenosa zu entwickeln. Im Freien werden sie zu diesem Zwecke wahrscheinlich direct durch die Mundöffnung einwandern, wozu sie bei ihrer grossen Beweglichkeit, ihrer schlanken Form und ihrer fast amphibio- tischen Lebensweise (im Wasser und feuchter Erde) voraus- sichtlich gar häufig Gelegenheit finden. Für das Experiment ergab sich als das passendste Verfahren, die mit unseren Würm- chen reichlich besetzte feuchte Erde in den Rachen der Frösche zu bringen und hier mit dem Scalpellstiel möglichst auszubrei- ten. Um die Frösche zu verhindern, die Erde alsbald zu schlucken, wurde die Mundöffnung längere Zeit klaffend erhalten. Ebenso wurde oftmals auch die Glottis mit einer Pincette sanft geöffnet. Andere Methoden führten theils gar nicht zur Ein- wanderung, theils nur spärlich. Uebrigens will ich auch von der eben empfohlenen Methode nicht behaupten, dass sie über- all das gewünschte Resultat hatte, doch habe ich bei den dar- nach behandelten Versuchsthieren nicht selten $—10 junge As- cariden neben einander in den Lungen (bisweilen blos in einer einzigen) angetroffen. Andere Versuchsthiere enthielten freilich nur 1 oder 2 Parasiten, einige selbst gar keine. Die grössere Mehrzahl der importirten Thierchen wandert durch den Rachen in den Magen, wo dieselben allerdings noch 1—2 Tage lebend angetroffen werden, sich auch häuten die dabei abgelegte Cuticula zeigt übrigens nicht blosse Längsstreifung, sondern auch, wenngleich zarter, zugleich die gewöhnliche Querringe- lung aber schliesslich doch ohne weitere Metamorphose zu Grunde gehen.

Die Entwickelung der in die Lungen eingewanderten Thiere zu der bekannten Ascaris nigrovenosa ist von Herrn Meczni- kow nicht verfolgt worden. Er beschreibt nur eine einzige Entwickelungsphase, die er in Fröschen beobachtete welche 8 Tage vorher gefüttert waren. Da es mir gelungen ist, die Einwanderer auf allen Stufen der Entwickelung bis zur Aus- scheidung von Embryonen zu beobachten, so kann ich den An- gaben desselben noch Manches hinzufügen.

Nach Verlauf der ersten Woche messen die Parasiten nicht

654 R. Leuckart:

selten schon 1 Mm. Herr Mecznikow bestimmte die Grösse bei seinem Exemplare auf 1,25 Mm. Aber schon nach 14 Tagen findet man Würmer von 3,5 Mm., dazwischen freilich auch wohl kleinere, gelegentlich von nur 2 Mm. Die Dicke hält anfangs gleichen Schritt mit dem Längenwachsthum. Ich maass bei einem Wurme von 0,55 Mm. einen Querdurch- messer von 0,04, bei 2 Mm. einen solchen von 0,09 Mm. So bald der Parasit nun aber die letztere Grösse erreicht hat und der durch Bräunung der Epithelzellen schon vorher etwas ge- färbte Darm sich mit Blut zu füllen beginnt, nimmt dieser Querdurchmesser um ein Beträchtlicheres zu, so dass die frühere schlanke Form verschwindet und auch im Aeusseren eine grös- sere Aehnlichkeit mit der bekannten Ascaris nigrovenosa her- gestellt wird. Würmer von 3,5 Mm. haben eine Dicke von reichlich 0,16 Mm., und bei 5 Mm. Länge, wie sie gegen Ende der dritten Woche gefunden wird, beträgt diese sogar 0,25 Mm. Nur die allerletzte Schwanzspitze nimmt an dieser Verdickung keinen Antheil. Sie bleibt dünn und schlank, wie bei den Würmern der ersten Woche, und setzt sich begreiflicher Weise dann immer schärfer, fast in Form eines Stachels, gegen den übrigen Körper ab.

Während der Grössenzunahme beobachtet man eine mehr- fach wiederholte Häutung, die aber keinerlei wesentliche Ver- änderung herbeiführt. Die Bildung der Ascaris nigrovenosa geht durch continuirlich fortschreitende Weiterentwickelung ganz allmählig aus den Abkömmlingen der zugehörenden Rhabditis- form hervor.

Die Differenzirung der Geschlechtsorgane beginnt, noch be- vor die Körperlänge auf 1 Mm. gestiegen ist. Um diese Zeit erkennt man anstatt der früher nur wenig auffallenden (wie gewöhnlich kleinen und ‚bohnenförmigen) Genitalanlage eine Vagina mit zwei nach vorn und hinten ziemlich gleichmässig auslaufenden dünnen und kurzen Hörnern, die je etwa 0,07 Mm. messen. In Individuen von 2 Mm. ist die Länge derselben be- reits auf 0,3 Mm. gestiegen, und der Verlauf schon unregel- mässig geworden. Ovariıum und Uterus zeigen sich durch hi- stologische Structur und Inhalt als verschiedene Abschnitte.

Zur Entwickelungsgeschichte der Ascarıs nigrovenosa.. 655

Im Inneren des ersteren erkennt man schon deutliche Eier!) von 0,01 Mm. (Keimbläschen = 0,007 Mm.). Bei Würmern von 3,5 Mm. haben diese Eier in dem jetzt etwa 3 Mm. mes- senden und stark zusammengekrümmten Genitalschlauch fast ihre volle Grösse erreicht (0,08 Mm., Keimbläschen = 0,028, Keimfleck = 0,0085 Mm.), und eine körnige Dottermasse in sich abgelagert. Aber die Eier sind noch nicht in den immer noch kurzen Uterus übergetreten und noch ohne Schale. Voll- kommen entwickelte Eier (0,01 Mm.) mit Schale sieht man erst bei Individuen von 5 Mm. Ist die Grösse auf 6 Mm. ge- stiegen (in der vierten Woche nach der Uebertragung), dann enthält der Uterus, der inzwischen um ein Bedeutendes ge- wachsen ist, nicht bloss zahlreiche reife Eier, sondern auch Eier auf allen Stadien der Entwickelung und völlig reife Em- bryonen.

Da sich sämmtliche Würmer zu Weibchen entwickeln, und auch bei Anwesenheit der jungen trächtigen Thiere niemals Männchen gefunden werden, kann kein Zweifel sein, dass die parasitische Form der Ascaris nigrovenosa zu den parthenoge- nesirenden Thieren gehört. Was mir schon bei der Untersu- chung der ausgewachsenen Würmer aufgefallen war, die voll- ständige Abwesenheit von Samenelementen in den weiblichen Organen, und schon damals die Annahme einer Parthenogenese wahrscheinlich gemacht hatte, findet in dem Mangel männlicher Thiere seine Erklärung.

Sonder Zweifel wird die Parthenogenese noch weiter unter den Nematoden verbreitet sein. Schon jetzt lässt sich mit ziem- licher Gewissheit eine Art bezeichnen, bei der sie vorkommt. Ich meine die sog. Filaria medinensis.

Nach den bekannten Angaben, die Carter über die Bezie- hungen dieses Parasiten zu dem sog. Tankwurme, Urolabes, ge- macht hat, könnte man vielleicht auch vermuthen, dass der- selbe, wie Ascaris nigrovenosa, zweierlei Generationen habe,

1) Die mikrometrischen Messungen des Herrn Meczuikow (Kein- bläschen = 0,085) beruhen wohl-auf einem Irrthum.

656 R. Leuckart:

eine parasitische und eine freie. Die Analogie mit dem Para- siten der Froschlunge würde dann eine vollkommene sein.

Trotzdem glaube ich aber, dass diese Annahme eine irr- thümliche ist. Was mich dazu veranlasst, ist nicht blos die geringe Entwickelung der embryonalen Genitalanlage, die ich aus eigener Erfahrung kenne , sondern weiter auch die frap- pante Aehnlichkeit, die zwischen den Embryonen der Filaria medinensis und denen von Cucullanus elegans obwaltet, und die um so auffallender ist, als die betreffende Embryonalform') sonst nur wenig verbreitet ist. Aller Analogie nach ist der Embryo der Filaria ebenso zur Einwanderung bestimmt , wie der von Cucullanus?) ob freilich gleich in den Menschen, ist eine Frage, die heute noch nicht spruchreif ist.

Obwohl ich gegenwärtig eine ziemlich umfangreiche Erfah- rung über die Entwickelungsgeschichte der Nematoden gewon- nen habe, steht die Lebensgeschichte der Ascaris nigrovenosa, doch immer noch isolirt.

Aber um so interressanter ist es, dass wir in anderen Grup- pen der niederen Thiere dieselbe Erscheinung wiederfinden. Ich meine hier weniger die von Häckel entdeckte wunderbare Thatsache, nach der in der Magenhöhle geschlechtsreifer (männ- licher und weiblicher) Geryonien durch Knospung Quallen einer ganz anderen Organisation (Cuninen) entstehen, die ebenfalls zur Geschlechtsreife heranwachsen als vielmehr die von mir früher) beschriebene Lebensgeschichte der sog. Rindenläuse. Wie bei Ascaris nigrovenosa sehen wir hier zwei von einander verschiedene Generationen in continuirlicher Reihenfolge sich ablösen, die beide geschlechtlich entwickelt sind, und beide unter verschiedenen Verhältnissen existiren. Allerdings sind die Lebensverhältnisse der Aphis-artigen geflügelten und der Coceus-

1) Es ist durchaus irrthümlich, wenn man die Embryonen der Nematoden für uniform hält. Bei einiger Uebung kann man die Strongyliden, Ascariden u. A. schon im Embryonalzustande ziemlich sicher von einander unterscheiden.

2) Ueber die Lebensgeschichte dieses Wurmes vergleiche man be- sonders meine Mittheilungen im Archiv f. w. H., a. a. 0.

3) Archiv für Naturgeschichte, 1859, S. 208.

. Zur Entwickelungsgeschichte der Ascarıs migrovenosa. 657

artigen ungeflügelten Generation nicht so auffallend different, wie bei unserer Ascaris nigrovenosa, aber der Unterschied, der sich hierin ausspricht, ist nur ‘ein gradueller und als solcher denn auch ausser Stande, die Analogie der Fälle zu beein- trächtigen.

"Auffallend ist es, dass auch bei Chermes der Dimorphis- mus der auf einander folgenden geschlechtlichen Generationen sich mit der Erscheinung der Parthenogenese combinirt, hier sogar in beiden Generationen.

Wir müssen es der zukünftigen Forschung überlassen, den Nachweis zu liefern, ob dies beständig unter solchen Umständen der Fall ist. Einstweilen dürfte in dieser Hinsicht dem Zweifel wohl alle Berechtigung zustehen.

Ich schlage vor, diese Entwickelungsform mit zweierlei ge- schlechtlichen Generationen, die sich (eben wegen der geschlecht- lichen Ausbildung der Zwischengeneration) dem Bilde des ge- wöhnlichen Generationswechsels nicht fügt, fortan als Hetero- gonie zu bezeichnen, mit einem Namen, der allerdings das Unglück gehabt hat, für mehrfache verschiedene Entwickelungs- vorgänge Verwendung gefunden zu haben, in der hier vorge- schlagenen Weise aber wohl noch am meisten den (damals al- lerdings irrthümlichen) Anschauungen des Mannes entsprechen dürfte, der denselben zuerst in Anwendung brachte ich meine unseren grossen Meister, den früheren Herausgeber dieses Archivs, J. Müller.

Ob der Fall von Häckel (Häckel’s Alloeogenesis) sich unter den Gesichtspunkt unserer Heterogonie subsummiren lässt, ist einstweilen noch unbekannt. Es wird dabei nament- lich das Schicksal der aus den befruchteten Eiern der beiden Generationen sich entwickelnden Brut in Betracht kommen. Mag das Urtheil darüber aber ausfallen, wie es wolle, in so fern findet sich auch hier das Gleiche, wie bei Chermes und Ascaris nigrovenosa, als zweierlei verschiedene geschlechtlich entwickelte Generationen als Entwickelungsglieder derselben Art neben einander existiren.

Wir waren bisher gewohnt, die geschlechtliche Entwickelung Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 43

658 R. Leuckart: Zur Entwickelungsgeschichte der A. nigrovenosa.

nicht blos als Endziel des thierischen Lebens zu betrachten, sondern auch zum Kriterium der specifischen Artindividualität zu machen.

Das eine wie das andere ist nicht länger zulässig.

Wie weit die Tragweite dieser Thatsache geht, lässt sich einstweilen noch nicht übersehen, aber zweifellos ist es, dass wir uns der Erkenntniss eines bis dahin kaum geahnten neuen Naturgesetzes nähern.

„Die Natur geht ihren Gang, und was Ausnahme erscheint, wird Regel.“

S. Kaufmann u. I. Rosenthal: Ueber die Wirkungen u. s. w. 659

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases auf den thierischen Organismus.

Von

Dr. 5. Kaurmann aus St. Petersburg und Dr. I. ROSENTHAL in Berlin.

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases sind in neuester Zeit zwei Arbeiten veröffentlicht worden. Die eine von Eulenberg!') lehrt jedoch nur, dass dieses Gas giftig zu wirken vermag, was schon vorher bekannt war; die andere von Falk?) mit grossem Fleiss und vieler Sorgfalt angestellt, lehrt manche interessante Einzelheiten, lässt aber doch in Bezug auf die Deutung der Symptome und das physiologische Verständniss des Zusammenhanges derselben so viele Lücken, dass wir uns entschlossen haben, den Gegenstand einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen. Die Ergebnisse unserer im physiologischen Laboratorium zu Berlin angestellten Versuche theilen wir hier kurz mit, während Dr. Kaufmann dieselben noch ausführlich mit allen experimentellen Belägen in seiner Inauguraldissertation in russischer Sprache zu veröffentlichen im Begriff ist.

Hoppe-Seyler°) giebt an, dass die eigenthümliche Trü-

1) Eulenberg, die Lehre von den schädlichen und giftigen Ga- sen. Braunschweig 1865. S. 260 fi.

2) Falk, Deutsche Klinik, 1864, Nr. 39 ff. 1865, Nr. 17 f,

3) Hoppe-Seyler, Centrabl. f. d. med. Wiss., 1863, S. 433. Bandb. d, physiol.- u. path.-chem. Anal. 2. Aufl. Berl. 1865. S. 205.

43*

4

660 S. Kaufmann u. I. Rosenthal:

bung, welche beim Einleiten von SH-Gas in Blut auftritt, auf einer Ausscheidung von Schwefel beruht. Diese Abscheidung tritt nicht ein, wenn dem Hämoglobin des Blutes vor der Ein- wirkung des SH-Gases aller Sauerstoff entzogen ist. Bei der Zersetzung des SH wird zugleich das Hämoglobin zerlegt in einen Albuminstoff und eine grüne, noch nicht hinreichend up- tersuchte Substanz.

Wir können nach unseren Versuchen diese Angaben Hoppe- Seyler’s bestätigen. Leitet man SH-Gas durch verdünntes Blut, welches noch O-haltig ist, und untersucht von Zeit zu Zeit eine Probe mit dem Spectralapparat, so findet man Folgendes: Die erste Wirkung besteht in einer Entziehung des O. In Folge dessen wird das Blut dunkel und der Spectralapparat zeigt den breiten Streifen des O-freien Hämoglobins, während die beiden Streifen des O-haltigen Hämoglobins verschwinden. Diese Veränderung, welche je nach der Verdünnung des Blutes und der Mächtigkeit des Gasstromes verschiedene Zeit erfordert, ist nicht verschieden von der, welche ein anderes Gas, H oder CO,, auch bewirken würde, aber sie geht doch bei dem SH- Gase in unverhältnissmässig kürzerer Zeit vor sich, so dass nicht bezweifelt werden kann, dass es sich um eine specifische Verwandschaft des Gases zu dem O des Hämoglobins handelt. Bevor aber noch aller aus dem Blute verdrängt worden ist, geht eine weitere Zersetzung des Hämoglobins vor sich, man sieht neben dem Streifen des O-freien Hämoglobins den charakte- ristischen des Hämatins auftreten, dieser wird immer deutli- cher, der andere dagegen blasser, und nach einiger Zeit ist nur noch Hämatin und gar kein Hämoglobin mehr in der Lösung. Durch noch fernere Behandlung mit SH wird dann auch das Hämatin zersetzt, sein Streifen wird immer blasser und ver- schwindet zuletzt ganz, und die früher rothe Flüssigkeit stellt nun eine blassgrüne Lösung dar, in welcher ein reichlicher flockiger Niederschlag enthalten ist. Dieser Niederschlag be- steht zum allergrössten Theil aus einem Eiweisskörper (Globu- lin?), zum geringsten aus Schwefel. Kocht man den Nieder- schlag mit Essigsäure, filtrirt, kocht den Rückstand mit Natron-

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u, s. w. 661

lauge und fügt Salzsäure zu, so erhält man eime durch essig- saures Bleioxyd nachweisbare Entwickelung von SH.

Diese Veränderungen erfordern um so mehr Zeit, je con- centrirter das Blut ist, wie sehr aber die Innigkeit der Berüh- rung von Wichtigkeit für die Geschwindigkeit der Einwirkung ist, das sieht man am besten an dünnen Blutschichten, wie sie im Cylinderglase über der eigentlichen Blutmasse an der Glas- wand haften bleiben. Diese werden bei Einleitung der ersten Gasblasen beinahe augenblicklich grün, während die Blutmasse selbst, durch welche die Gasblasen' streichen, sich nur sehr langsam verändert. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die auf der Lungenwand vertheilte Blutmenge, wenn sie mit ein- geathmetem SH in Berührung kommt, unter den ganz ähnli- chen Bedingungen gleichfalls eine plötzliche Einwirkung er- fährt und dass hierauf die blitzschnelle Wirkung des Gases beruht. Doch davon soll später die Rede sein.

Hat man das Blut durch Kohlensäure ganz frei von Sauer- stoff gemacht und leitet dann SH durch, so bleibt es, wie Hoppe-Seyler richtig angiebt, klar und zeigt keine Farben- veränderung. Lässt man es dann aber mit dem Gase stehen, so wird es allmählich blass und grün, der Hämatinstreif ver- schwindet und es lässt einen Bodensatz fallen, der sich ganz wie oben angegeben verhält. Wir müssen es dahingestellt sein lassen, ob diese Veränderung von Spuren atmosphärischen Sauerstoffes bedingt ist, welche trotz des Verschlusses Zutritt finden. Ganz ähnlich verhält sich auch Kohlenoxydblut. Es bleibt hell und seine Streifen bleiben unverändert, allmählich aber werden sie blasser und verschwinden, indem die Lösung grün wird, zuletzt ganz, ohne dass die Streifen des freien Hä- moglobins oder des Hämatins sichtbar geworden wären. So fest ist also die Verbindung des CO mit dem Hämoglobin, dass die Verbindung im Ganzen zerstört wird, ohne zu zerfallen.

Vergiftungsversuche an Thieren haben wir sowohl mit SH- Gas, als mit SH-Wasser gemacht, und zwar an Fröschen, Ka- ninchen und Hunden, Das SH- Wasser bereiteten wir uns zu

662 S. Kaufmann u, IT. Rosenthal:

jedem Versuche frisch, indem wir den Gasstrom durch das in einem Kolben befindliche Wasser bis zur Sättigung streichen liessen. Hierauf wurde die Verbindung des Kolbens mit dem Gasentwickelungsapparat gewechselt; das kurze Glasrohr des Kolbens wurde mit jenem verbunden, das auf den Boden ’rei- chende Glasrohr aber mit der Spritze und so unter dem Drucke des Gases selber die Flüssigkeit in die Spritze gesogen, ohne dass sie mit atmosphärischer Luft in Berührung kam. Da die Versuche meist an heissen Sommertagen angestellt wurden, so können wir etwa annehmen, dass 1 Volum des Wassers 2 Vo- lume Gas absorbirt enthielt.

Setzt man Frösche in einem weiten Glase der Einwirkung eines SH-Gasstromes aus, so werden sie bald sehr unruhig, die Athmung wird beschleunigt. Nach einigen Minuten wird dann die Athmung wieder langsamer, und hört bald darauf ganz auf, der Frosch wird matt, die Bulbi sind stark vorgetrieben, auf Schütteln des Glases reagirt er nicht. Nimmt man ihn jetzt, etwa nach 10 Minuten, heraus, so sieht man keine Reaction auf sensible Reize, das blosgelegte Herz schlägt schwach, das Blut und alle Organe sind schmutzig grün, das Blut ist flüssig und gerinnt, wie normal. Unter dem Mikroskop zeigt sich die Gestalt der Blutkörperchen ganz normal, aber sie haben alle eine deutlich grüne Färbung, der Spectralapparat zeigt den Streifen des O-freien Hämoglobins. Die Muskeln und Nerven sind nach dieser und auch nach länger dauernder Einwirkung des Gases gegen mechanische und elektrische Reize immer noch erregbar. Bei etwas schwächerer Einwirkung kann auch die Reaction auf sensibele Reize noch erhalten sein, das Mikroskop und der Spectralapparat zeigen dann an dem Blute keine Spur einer Veränderung; nichtsdestoweniger erholt sich ein solcher Frosch, nachdem er matt geworden, an der Luft nicht mehr, sondern stirbt in wenigen Stunden.

Beobachtet man das blosgelegte Herz, während das Thier dem Gasstrome ausgesetzt ist, so sieht man sehr bald eine Ab- nahme der Zahl und verminderte Stärke der Herzcontractionen. Dies tritt schon ein, wenn noch keine Spur von Missfärbung des Blutes zu bemerken ist, Bei längerer Einwirkung des Ga-

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u. s. w. 663

ses wird der Herzschlag unregelmässig, es kommen mehrere Vorhofssystolen auf eine Kammersystole, der Herzschlag setzt auch zeitweise ganz aus. An die Luft gebracht, kann das Herz wieder etwas kräftiger zu schlagen beginnen, aber dies ist doch nur vorübergehend.

Frösche, denen man SH-Wasser unter die Haut spritzt, zei- gen Verlangsamung und Schwächung des Herzschlages,, die Athmung wird zuerst beschleunigt, dann verlangsamt und müh- sam, zuletzt ganz schwach und kann selbst aussetzen. Der Frosch, welcher erst sehr unruhig ist, wird später matt, reagirt nicht auf Reize; das Bein, wo die Injeetion gemacht ist, wird immer gelähmt. Das Blut nimmt die bekannte schmutzig grüne Färbung an. War die Dosis nicht zu gross (2—4 Ccm. je nach der Grösse des Thieres), so kann das Thier sich er- holen, und auch die normale Blutfarbe stellt sich wieder her.

Die energischste Wirkung erhält man, wenn man ein Thier in ein Glas setzt, auf dessen Boden etwas SH-Wasser gegossen wird. Der Frosch wird sofort unruhig, die Athmung wird sehr heftig, lässt dann nach, das Thier wird matt und reagirt bald nicht mehr. Die eingetauchten Hautpartieen sind schmutzig, das Blut und alle Eingeweide exquisit verfärbt, das Spectrum des Blutes zeigt keinen Hämatinstreif mehr. Die Wir- kungen sind also hier so energisch, wie sie am Blut nur durch längeres Hindurchleiten des Gases erzeugt werden können. Diese energischen Wirkungen können aber auch erzielt werden unter Umständen, wo eine Aufnahme des Gases nur durch die unversehrte Haut und nicht zugleich durch die Lungen möglich ist. Um dies zu bewerkstelligen, wurde in eine Kautschuk- kappe eine elliptische Oeffnung geschnitten, die Beine eines Frosches hindurchgezogen, so dass der Frosch mit seinem Kör- per die Oeffnung verschloss, die Kappe auf ein Glas gesetzt und durch eine in derselben befindliche Tubulatur SH- Wasser eingefüllt, so dass Füsse und Unterschenkel ganz eintauchten. Die Allgemeinerscheinungen waren die oben beschriebenen, die Muskeln der eingetauchten Theile verloren ihre Erregbarkeit völlig, die höher gelegenen blieben noch erregbar.

Die beiden Phänomene, welche am meisten unsere Aufmerk-

964 S. Kaufmann u. IL. Rosenthal:

samkeit in Anspruch nehmen, sind die Veränderungen der Re- spiration nnd des Herzschlages. Die erstere wird anfänglich beschleunigt und verstärkt, dann nimmt sie wieder ab und setzt wol auch ganz aus. Es kann zweifelhaft sein, ob wir es hier mit einer unmittelbaren Einwirkung des in’s Blut auf- genommenen SH-Gases auf das respiratorische Centralorgan zu thun haben. Bei der Unbeständigkeit und geringen Energie, welche die Athembewegungen bei den Fröschen überhaupt dar- bieten, ist es schwer, darüber zu entscheiden, wir versparen uns daher die Discussion über diesen Punkt lieber auf die Be- trachtung der Wirkungen beim Säugethier. Was das Herz an- langt, so entsteht hier, wie überall, wo es sich um Abnahme der Pulsfrequenz handelt, die Frage, ob die Wirkung ausgeübt werde auf das bewegungserzeugende oder auf das hemmende Nervensystem. Wir können das letztere nicht leugnen, so viel müssen wir aber schon nach unseren bisherigen Erfahrungen | festhalten, dass unbedingt eine Schwächung des bewegungser- zeugenden Apparates vorliegt. Dies wird bewiesen durch die beträchtliche Schwächung, welche die Herzcontractionen erfah- ven und welche zuletzt soweit geht, dass die Contraction kaum noch eine Bewegung des Blutes zu bewirken vermag; es wird ferner bewiesen durch den Umstand, dass an dem stillstehenden Herzen auch mechanische Reizung keine Zusammenziehung ver- anlasst, was bei einem in Folge von Erregung des Vagus still- stehenden Herzen doch stets der Fall ist. Doch kommt es selbst bei der heftigsten Einwirkung des Gases niemals zu einer ganz vollständigen Lähmung der herzbewegenden Apparate, in- dem selbst nach vollkommenem Stillstand das Herz meist nach einiger Zeit wieder zu schlagen anfängt, freilich schwach und ohne dass eine vollkommene Erholung des Thieres zu Stande kommt.

Die Schwächung des Herzschlages lässt sich auch in ihren Folgen an der Cireulation in der Schwimmhaut beobachten, welche nach Injection kleinerer Dosen des SH- Wassers unter die Haut verlangsamt wird, nach grösseren Dosen ganz stockt. Zugleich beobachtet man hierbei an den noch in den Gefässen befindlichen Blutkörperchen deutlich die grüne Färbung des

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u.s.w, 665

Inhaltes. Bei nicht zu grossen Dosen kann die in’s Stocken gerathene Circulation wieder in Gang kommen. Froschmuskeln, welche man innerhalb eines Glases der Wir- kung eines Gasstromes aussetzt, werden innerhalb einer Zeit von etwa 25 Minuten todtenstarr. Ihre Erregbarkeit sinkt an- fänglich langsam, dann ganz plötzlich auf Null. Sie sind dann zerreiblich, trübe, reagiren stark sauer und haben eine schmutzig grüne Farbe, was zum Theil auf der Zersetzung des in ihnen enthaltenen Blutes, zum Theil aber auch auf der Zersetzung des den Muskeln eigenthümlich angehörigen Farbstoffes beruhen dürfte, welcher janach Kühne mit dem Blutfarbstoff identisch ist.

Kaninchen haben wir theils das Gas athmen lassen, theils haben wir ihnen SH-Wasser unter die Haut, in den Mastdarm, in die Bauchhöhle oder in Venen eingespritzt. Die Erschei- nungen sind ihrem Wesen nach stets die nämlichen, und nur die Schnelligkeit, mit welcher das Gas in den Kreislauf gelangt, bedingt einige Abweichungen. Um das Gas in möglichst klei- nen Dosen einathmen zu lassen, verfuhren wir folgender Maas- sen: In die Luftröhre wurde eine Canüle luftdicht eingebun- den und durch ein gabelig getheiltes Rohr mit zwei Müller’- schen Ventilen verbunden, welche aber zur Verringerung des ‘Widerstandes nur mit Wasser gesperrt waren. Ausserdem wa- ren aus demselben Grunde sämmtliche Röhren sehr weit. Das Inspirationsventil hatte drei Tubulaturen. Durch die eine der- selben ging ein sehr feines Röhrchen bis auf den Boden und dieses wurde an seinem äusseren Ende mit einem kleinen Kautschukballon verbunden , welcher vorher mit reinem SH- Gas gefüllt worden war. Durch Druck auf den Kautschuk- ballon konnte man dann eine beliebige Menge des Gases durch das Sperrwasser hindurch in den Luftraum der Inspirations- flasche bringen, welche das Thier dann, mit atmosphärischer Luft gemengt, einathmen musste. Die so erzeugten Vergiftungs- erscheinungen sind ausserordentlich heftig; ist jedoch die auf einmal in den Apparat gebrachte Gasmenge nur klein (bis zu 1 Cem. etwa), so können sie innerhalb weniger Minuten ganz

666 S. Kaufmann u. I. Rosenthal:

vorübergehen, und das Thier vollkommen zur Norm zurück- kehren. Auf diese Weise ist man im Stande, den Versuch sehr oft hinter einander an demselben Thiere zu wiederholen. So wie man aber die Dosis nur wenig grösser nimmt, so tritt sehr leicht der Tod ein.

Das erste Phänomen, welches man bei dieser Art des Ver- suches beobachtet, ist eine unmittelbar nach dem Einathmen des Giftes auftretende beträchtliche Verstärkung der Athemzüge, welche sich bis zur heftigsten Dyspnoe steigern kann. Gleich- zeitig sieht man an einer in das Herz eingestochenen Nadel, dass die Bewegungen des Herzens seltener und schwächer wer- den, zuweilen auch zeitweise ganz aussetzen. Die heftige Dyspnoe hält nicht lange an, sondern die Athembewegungen werden wieder schwächer, die ursprünglich unmittelbar nach dem Zutritt des Gases sich stark verengernde Pupille erweitert sich enorm, es brechen allgemeine Convulsionen aus, die Ath- mung hört ganz auf, dann kommen vielleicht noch einige krampf- hafte Inspirationen, alle Muskeln gerathen in ein heftiges Zit- tern und das Thier ist todt. War die Dosis nur gering, so kann das Herz, nachdem es einige Secunden stillgestanden hat, wieder zu schlagen anfangen, die Athmung, welche einige Zeit ausgesetzt hat, beginnt ebenfalls von Neuem und das Thier kommt wieder zu sich und kehrt ganz zum normalen Zustande zurück. Treten allgemeine Convulsionen auf und erweitert sich die Pupille, dann ist eine spontane Erholung nicht zu erwarten, wol aber kann sie auch in diesem Falle noch herbeigeführt werden durch künstliche Athmung, indem man die Verbindung der Trachealcanüle mit den Ventilen abbricht und reine atmo- sphärische Luft zuführt. Sobald aber einmal das allgemeine Muskelzittern eingetreten ist, gelang uns die Wiederbelebung niemals mehr. Man kann dieses, soweit unsere Erfahrungen reichen, als ein sicheres Zeichen des unvermeidlichen Todes ansehen.

Aehnlich gestalten sich die Erscheinungen nach Injection von SH-Wasser. Bei kleineren Dosen (2—4 Cem. unter die Haut oder in das Rectum injieirt) sieht man zunächst Unruhe des Thieres und beschleunigte Athmung, diese wird dann sehr

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u. s. w. 667

langsam und beschwerlich, das Thier wird schwach, schwankt und fällt auf die Seite, der Herzschlag ist schwach und selten, die Pupille erweitert sich, allgemeine Convulsionen brechen aus, die Athmung setzt aus und das Thier scheint todt, doch be- ginnt das Herz jetzt wieder etwas lebhafter zu schlagen. In diesem Stadium kann das Thier durch künstliche Athmung wieder zu sich gebracht werden. Der Herzschlag wird dann kräftiger, die Pupille verengert sich wieder, die Athmung kehrt zurück, zuerst in Form einzelner krampfhafter Inspirationen, dann mehr regelmässig, das Thier erholt sich. Plötzlich aber wird die Scene durch einen neuen Anfall unterbrochen, Con- vulsionen brechen aus, Herzschlag und Athmung setzen aus, und das Thier ist scheinbar wieder todt, wird jedoch durch künstliche Athmung abermals in’s Leben zurückgerufen. Dies kann sich mehrmals wiederholen. Nach dem letzten Anfalle bleibt dann das Thier sehr matt, erholt sich langsam und ist meist eine Stunde später so munter, als ob Nichts mit ihm geschehen wäre.

Ist die Dosis grösser, oder wird das SH-Wasser in die Bauchhöhle oder gar in eine Vene eingespritzt, so sind die Er- scheinungen dieselben, aber die Athemlosigkeit dauert länger, das Herz steht ganz still und wenn es auch später wieder schwach zu schlagen anfängt, so ist es doch selten möglich, durch künstliche Athmung das Leben zu erhalten. Die Dosis, bei welcher gewöhnlich gleich der Tod einzutreten pflegt, liegt bei Injection in die Bauchhöhle etwa bei 5 Cem., bei Injection in die Venen bei 3 Cem. für grosse Kaninchen. Doch ist dies natürlich sehr schwankend, und manches Thier, das bei zeitiger Anwendung der künstlichen Athmung vielleicht noch gerettet werden könnte, geht zu Grunde, weil jene zu spät unternom- men wird. Auch hier haben wir das allgemeine Zittern aller Muskeln als einen sicheren Vorboten des Todes kennen gelernt.

Auch bei Hunden gestalten sich die Erscheinungen im We- sentlichen gleich. Abnahme der Zahl und Stärke der Herz- schläge, auch wohl vorübergehender Stillstand des Herzens; be- schleunigte und beschwerte Athmung, welcher eine Abnahme und vollständiges Aufhören der Athmung folgt, das bei kleine-

668 S. Kaufmann u. I. Rosenthal:

ren Dosen bald vorübergeht, bei grösseren (10 Cem. SH-Wasser in die Vene eingespritzt) den Tod herbeiführen kann; bei grös- seren Dosen auch Convulsionen und das charakteristisehe Mus- kelzittern als Vorbote des Todes beobachtet man hier wie dort

In allen Fällen war es uns möglich, die Ausscheidung des SH-Gases durch die Lungen zu constatiren, mochte dasselbe unter die Haut oder in die Bauchhöhle oder in die Venen ein- gespritzt sein. Bei Injection in die Venen beginnt die Elimi- nation schon nach wenigen Secunden, bei Injection unter die Haut ist die Zeit länger und je nach der Oertlichkeit verschie- den. Im Allgemeinen fällt die Ausscheidung des Gases mit dem Eintritt der Convulsionen zusammen und sie hört auf, wenn die Athmung aussetzt. Kommt dann das Thier wieder zu sich und beginnen die Erscheinungen von Neuem, wie dies oben geschildert wurde, so beginnt auch die Ausscheidung des Gases wieder. Die Erklärung dieses Umstandes muss nach‘ unserer Auffassung im Verhalten des Kreislaufes gesucht wer- den. Von der unter die Haut gespritzten Flüssigkeit wird ein Theil resorbirt und gelangt zur Wirkung, welche sich in den oben beschriebenen Symptomen kundgiebt. Da unter den Wir- kungen eine beträchtliche Abschwächung des Kreislaufes auf- tritt, so stockt die Resorption, das schon in’s Blut aufgenom- mene wird durch die Lungen ausgeschieden, und das Thier kann sich, besonders wenn künstliche Athmung eingeleitet wird, erholen. Sobald aber die Cireulation in Gang kommt, wird wieder etwas von dem Gase resorbirt, die Erscheinungen wie- derholen sich und dies dauert so lange, bis alles SH-Gas durch die Lungen ausgeschieden ist.

Um die Wirkung des SH auf das Herz genauer zu studi- ren, haben wir bei Kaninchen das Herz blosgelegt, indem wir das Sternum entfernten, und mittelst eines Blasebalges Luft in die Lungen eingeblasen. Sodann wurde SH-Wasser injicirt. Bei kleineren Dosen (1—2 Ccm. in die Bauchhöhle) sahen wir eine vorübergehende Verlangsamung des Herzschlages, zuweilen auch einen Stillstand für wenige Secunden, aber das Herz schlug sehr bald wieder in der normalen Frequenz, die Wirkung war stets eine schnell vorübergehende. Anders bei grossen Dosen

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstofigases u. s. w. 669

(5 Cem. in die Bauchhöhle oder 2—3 Cem. in die Venen in- jieirt). Hier trat stets eine beträchtliche Verlangsamung und länger dauernder Stillstand des Herzens ein und wenn dieses auch später wieder zu schlagen anfıng, so blieben die Con- tractionen doch äusserst kraftlos und konnten kaum eine gehö- rige Circulation des Blutes unterhalten. Ja als wir einem Ka- ninchen 5 Cem. des SH-Wassers auf ein Mal durch die Vena subelavia in das Herz injicirten, sahen wir das Herz sofort in Diastole stillstehen, vom ankommenden Blute ganz passiv aus- gedehnt; und wenn auch nach einiger Zeit wieder Bewegungen begannen, so waren sie doch ganz schwach, gleichsam zitternd, und konnten eine Entleerung des Herzens nicht zu Stande bringen. Eine solche Dosis ist denn auch natürlich stets tödtlich.

Durchschneidet man beide Vagi am Halse, und injieirt dann das SH-Wasser, so wirken die kleinen Dosen gar nicht auf das Herz, wenigstens wird keine Verlangsamung des Herzschlages beobachtet. Die grösseren Dosen aber wirken genau in dersel- ben Weise, wie bei erhaltenen Vagis. Daraus geht hervor, dass bei dem SH zwei verschiedene Einflüsse auf das Herz einwir- ken. Der eine wird durch die Vagi vermittelt, er besteht in einer Erregung der Ursprünge der Hemmungsfasern in der Me- dulla oblongata, wodurch eine Verlangsamung des Herzschlages bewirkt wird. Dieser macht sich bei kleinen Dosen allein be- merklich und fehlt natürlich ganz, wenn die Nervi vagi durch- schnitten sind. Der andere Einfluss aber wird auf das Herz unmittelbar ausgeübt. Er besteht in einer Schwächung der herzbewegenden Apparate. Bei kleinen Dosen ist er gering- fügig und neben der Vaguswirkung schwer oder gar nicht zu beobachten, bei grösseren Dosen aber bekommt er das Ueber- gewicht, die Herzschläge werden sehr geschwächt oder hören ganz auf, gleichgültig, ob die Vagi erhalten sind, oder nicht.

Zu denselben Schlüssen wurden wir auch durch Versuche geführt, welche wir an Hunden mit Hülfe des Ludwig’schen Kymographion anstellten. Bei kleinen Dosen war meist ein Stillstand des Herzens von 2-—-3 Secunden Dauer zu beobach- ten, darauf folgte eine Verlaugsamung des Herzschlages, welche

670 S. Kaufmann u. I. Rosenthal:

sich allmählich verlor. Diese Wirkung fehlte ganz, wenn vor der Injection beide Vagi durchschnitten waren, während die Wirkung auf die Athmung unverändert sich ausprägte. Bei grösseren Dosen aber (10 Cem. SH-Wasser in die Vene injieirt) trat stets die enorme Schwächung des Herzschlages ein, welche wir auch bei Kaninchen beobachtet haben. Das Quecksilber im Manometer machte dann nur noch ganz minimale zitternde Bewegungen , von denen es zweifelhaft bleiben muss, ob sie überhaupt vom Herzen verursacht oder nicht vielmehr durch die Trägheit bedingte Nachschwingungen des Quecksilbers wa- ren. Eine solche Abschwächung beobachteten wir in einem Falle auch schon nach Injection von 8?/; Cem. in die Vena ju- gularis. Hier aber dauerte sie nur 12 Secunden an, dann er- holte sich das Herz wieder und die Contractionen begannen von Neuem, kräftig zu werden. Bei 10 Ccm. aber blieb der Herzschlag schwach und erlosch allmählich ganz; das Thier war todt.

Auch die Einwirkung auf die Athmung lässt sich an den Blutdruckeurven des Kymographions sehr schön beobachten, in- dem alle Phasen der Athmung sich in ihnen darstellen. Zu- nächst sieht man die Dyspnoe, welche sich in einer Verstär- kung der respiratorischen Schwankungen der Blutdruckeurven ausprägt. Dann, wenn die allgemeinen Convulsionen ausbre- chen, sieht man unregelmässige Steigerungen des Blutdrucks. Sodann hört die Athmung ganz auf; die grossen respiratorischen Wellen existiren nicht mehr, aber der Blutdruck steigt conti- nuirlich in die Höhe, wie dies Traube für die Athmungssus- pension angegeben hat, und kann dabei einen enorm hohen Werth erreichen. Beginnt die Athmung. wieder, so sieht man dies sofort an einem Knick der Curve, und nun folgen wieder langsame und sehr tiefe Athemzüge, wobei der Blutdruck all- mählich auf seinen früheren Stand zurückkehrt. Tritt aber der Tod ein, so sieht man gar Nichts von allen diesen Dingen, sondern nach den ersten stark dyspnoischen Schwankungen erfolgt sofort ein rapides Absinken des Blutdruckes, ein schöner Beweis, dass es sich hierbei um eine plötzlich eintretende Herz- lähmung; handelt.

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u. s. w. 671

Fragen wir nun, wie die Wirkungen auf den Äthemapparat aufgefasst werden sollen, so lässt sich zunächst nur so viel sa- gen, dass das Centralorgan der Athembewegungen durch das SH-Gas anfänglich stark erregt und dann gelähmt wird. Diese Lähmung kann vorübergehen, wenn bei kleineren Dosen das Herz sich wieder erholt und nach Ausscheidung des fremden Gases die Medulla oblongata wieder mit normalem Blut versorgt wird. Ist die Dosis aber gross, so geht die Lähmung sofort in den Tod über.

Wir haben auch in einigen Versuchen Kaninchen mit Cu rare gelähmt, und während künstliche Athmung unterhalten wurde, SH-Wasser injieirt. Die Wirkung auf das Herz war vorhanden, die übrigen Erscheinungen konnten natürlich nicht eintreten.

Nach dem Gesagten ist es klar, dass die tödtliche Dosis des Giftes die sein muss, welche sofort Herzlähmung bewirkt. Dazu genügen, wenn das Gas durch die Lungen aufgenommen wird, ausserordentlich kleine Mengen. Bei Injection von SH-Wasser kommt es darauf an, wieviel auf einmal in den Kreislauf ge- langt. Denn da das Gas sehr leicht durch die Lungen ausge- schieden wird, kann bei langsamer Resorption , wie nach In- jeetion in das Unterhautzellgewebe, eine viel grössere Dosis vertragen werden, als bei Injection in die Venen. Zwischen beiden steht die Injection in die Bauchhöhle, wo bei der inni- gen Berührung mit den ausgedehnten und blutreichen serösen Flächen die Resorption sehr schnell erfolgen kann. Aber auch beim Einathmen des Gases kann eine sehr grosse Menge ohne Schaden aufgenommen werden, wenn es in kleinen Portionen geschieht und die neue Zufuhr des Gases erst erfolgt, wenn die Erscheinungen der früheren sich verloren haben. So liessen wir ein grosses Kaninchen innerhalb 20 Minuten nahezu 40 Cem. reines SH-Gas einathmen, ohne dass es starb, während '/, bis 1 Cem., auf einmal geathmet, zuweilen schon tödtet. Cl. Ber- nard hat aus dem Umstand, dass Injeetionen von SH-Wasser unter die Haut so leicht vertragen werden, den Schluss gezo- gen, das Gift wirke nur, wenn es in den arteriellen Kreislauf

672 S. Kaufmann u. I. Rosenthal:

gelange.') Hoppe-Seyler hat diesen Schluss acceptirt2), aber er ist nicht haltbar. Freilich wird das in die Venen aufge- nommene SH in den Lungen zum Theil ausgeschieden und darum wirkt es eben schwächer, aber es wirkt doch und es findet ja auch im venösen Blute Sauerstoff genug, um auf das- selbe ähnlich zu wirken, als auf das arterielle.

Die Section an SH gestorbener Säugethiere bietet Nichts dar, was für dasselbe specifisch wäre. Man findet das arterielle System unmittelbar nach dem Tode auffallend leer, das Venen- system stark überfüllt. Dies erklärt sich leicht aus dem Um- stande, dass das Herz gelähmt wurde; hierdurch musste sich in der letzten Lebenszeit und unmittelbar nachher alles Blut in den Venen anhäufen. Leber, Milz und Lungen sind daher sehr blutreich, besonders die erstere, und dabei ganz dunkel. Bei einem Schnitt in dieselbe fliesst das Blut förmlich in Strömen aus. In den Lungen finden sich zuweilen kleine Ekchymosen und hier und da lobuläres Emphysem, was nach der heftigen Dyspnoe, welche die Thiere durchgemacht haben, nicht Wun- der nehmen kann. Gehirn, Rückenmark und sonstige Organe zeigen nichts Besonderes, nur sind die Venen der Hirn- und Rückenmarkshäute etwas stärker als gewöhnlich gefüllt. Das Blut ist stets sehr dunkel, das arterielle Blut ein wenig heller, als das venöse, aber doch bedeutend dunkler, als normales Ar- terienblut. Es ist flüssig und gerinnt, aus den Gefässen ge- lassen, in der normalen Zeit zu einem festen Kuchen. An der Luft röthet es sich schnell. Mikroskopisch zeigt das Blut nichts Abnormes, ebenso bei der spectralanalytischen Untersuchung. Man sieht die normalen Streifen des Sauerstoffhämoglobins, doch bedarf es allerdings eines geringeren Zusatzes von Schwe- felammonium zum Blute, um ihm allen Sauerstoff zu entziehen, als dies gewöhnlich sonst der Fall ist.

Die beschriebenen Leichenerscheinungen bieten nichts Spe- eifisches, woraus eine SH-Vergiftung an der Leiche erkannt werden könnte. Es sind die nämlichen Erscheinungen, wie wir

1) Lecons sur les substances toxiques, p. 57 ff. 2) Centralblatt 1863, S. 434.

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u. s. w. 673

sie bei der Erstickung wahrnehmen. Die vermeintlich spe- cifischen Kennzeichen, welche Eulenherg in seinem Buche aufführt, beruhen auf Irrthümern. Bei der grossen Verwandt- schaft, welche das SH-Gas zum Blutsauerstoff hat, wie es sich in unseren Versuchen am Blute gezeigt hat, kann dies nicht Wunder nehmen, und es scheint ganz selbstverständlich, dass die erste Wirkung des in den Kreislauf gelangten Gases in der Entziehung des Sauerstoffes bestehen muss. Dass die anderen von uns beobachteten Wirkungen, Zersetzung des Hämoglobins und des Hämatins, nicht zur Beobachtung kommen, ist leicht erklärlich, da der Tod schon eintreten muss, wenn dem Blute ein grosser Theil des Sauerstoffes entzogen ist. Bei kaltblüti- gen Thieren ist dies freilich anders und dort haben wir auch die höheren Grade der Blutzersetzung beobachtet. Auch local beim Säugethiere kann eine stärkere Wirkung eintreten, wo concentrirtes SH mit Blut zusammentrifft. Als wir SH-Wasser in den Mastdarm injieirten, war die Schleimhaut desselben, so weit die Flüssigkeit gedrungen war, blassgrün; und bei der In- jeetion in die Bauchhöhle sahen wir regelmässig die Oberfläche der Leber, da wo sie mit der Flüssigkeit in Berührung gekom- men war, tief schwarz gefärbt. Aber diese Färbung reichte kaum '/; Mm. tief, darunter war das Gewebe ganz normal. Dass auch im Blute des lebenden Thieres Schwefel abge- schieden werden kann, lässt sich nicht bestreiten, doch ist dies kaum nachweisbar wegen der geringen Menge. Embolieen, die durch denselben hervorgerufen würden, haben wir niemals con- statiren können. Die Bildung von Schwefeleisen mit dem Eisen des Blutes, welche viele Autoren schlechtweg behaupten, ist von Keinem bewiesen. Dass die Aenderung der Farbe nicht auf einer solchen beruht, ist jedenfalls unzweifelhaft. Wir ha- ben gesehen, dass dieselbe auf einer Entziehung des Sauer- stoffes und in letzter Instanz auf der Bildung einer grünen Substanz aus dem Blutfarbstoff beruht. Es bleibt also als einzig nachweisbare Wirkung die Sauerstoffentziehung, und es ent- steht die Frage, wie weit diese zur Erklärung der giftigen Wir- kung des SH-Gases ausreicht, oder ob wir eine specifische Wir-

kung des in’s Blut gelangten Gases als solchen annehmen müssen. Reichert's u. du Bois-Reymond’3 Archiv. 1865. 44

674 S, Kaufmann u. I. Rosenthal:

Es scheint nun aber in der That, dass die Sauerstoffent- ziehung allein ausreichen würde, den grössten Theil der beob- achteten Phänomene zu erklären. Betrachten wir zunächst die Erscheinungen am Respirationsapparat und vergleichen sie mit denen, welche bei Sauerstoffentziehung auftreten, so finden wir die vollständigste Uebereinstimmung. In beiden Fällen folgen sich Dyspnoe, Convulsionen und Aufhören aller Athmung oder Asphyxie auf einander. Tritt Erholung ein, so erscheinen hier wie dort zuerst krampfhafte Inspirationen, dann Dyspnoe, dann wieder normale Athmung. Auch die Erweiterung der Pupille im asphyktischen Stadium, welche so charakteristisch ist, und dasselbe von der Apnoe unterscheidet, fehlt nicht. Kurz, die Uebereinstimmung ist so vollkommen, dass die Schilderung, welche der eine von uns von den Folgen der Sauerstoffent- ziehung gegeben hat, vollständig auch für das SH-Gas passt.')

Auch die Erregung des Hemmungscentrum des Herzens in der Medulla oblongata, wie wir sie bei kleinen Dosen rein be- obachtet haben, lässt sich auf Sauerstoffentziehung zurückführen. Die Beobachtung der Kymographioneurven lehrt, dass sie zeit- lich zusammenfällt mit dem Stadium der beginnenden Dyspnoe. Dass in diesem durch Sauerstoffentziehung eine Erregung der Vagusursprünge bewirkt wird, haben Traube, Landois und Thiry nachgewiesen.?) Was endlich die Contraction der Ge- | fässe anbetrifft, welche bei Sauerstoffentziehung eintritt, so fehlt auch sie bei der SH-Vergiftung nicht, wie die enorme Steige- rung des Blutdruckes beweist; auch an den Öhrgefässen des Kaninchens und dem Augenhintergrunde rothäugiger Kaninchen ist dieselbe deutlich nachweisbar.

Weniger einfach ist die Erklärung der Herzlähmung, welche bei grossen Dosen plötzlich eintritt. Zwar kann man es als sehr wahrscheinlich ansehen, dass, wenn dem Herzmuskel und den in ihm eingebetteten Ganglienapparaten plötzlich eine grös- sere Menge Sauerstoff entzogen wird, eine Lähmung eintreten

1) S. Rosenthal in diesem Archiv 1864, S. 456 ff. 2) Traube, Allg. med. Centralzeit. 1863, Nr. 99. Landois, ebenda, Nr. 89. Thiry, Zeitschr. £. rat. Med. (3) XXI. 17.

Ueber die Wirkungen des Schwefelwasserstoffgases u.s.w. 675

müsste. Aber es fehlt doch die Analogie mit einer sonst be- kannten Erscheinung, da wir eben durch die gewöhnlichen Mittel nicht im Stande sind, so plötzliche Sauerstoffentziehun- gen zu bewirken. Wir müssen es daher unentschieden lassen, ob die Berührung des SH-Gases als solchen auf die nervösen Apparate irgend eine Wirkung ausübt. Unbedingt nothwendig ist diese Annahme nicht. Die Erweiterung der Pupille muss unbedingt auf Sauerstoffmangel bezogen werden. Die starke Verengerung hingegen , welche anfänglich eintritt, kann mög- licher Weise in einer specifischen Wirkung des SH-Gases be- gründet sein, was wir gleichfalls unentschieden lassen.

Wir kommen also zu dem Schluss, dass die Schwefelwasser- stoffvergiftung in ihrem Wesen Nichts ist, als eine Erstickung. Praktisch hat diese Erkenntniss eine grosse Bedeutung insofern, als sie uns lehrt, dass bei Unglücksfällen von der künstlichen Respiration stets noch Rettung zu erwarten ist, so lange das Herz noch schlägt. Das wird freilich (da beim Menschen die Vergiftung doch in den meisten Fällen nur durch Einathmung SH-haltiger Luft stattfinden dürfte) von der Zeit abhängen, wäh- rend welcher der Aufenthalt in der verdorbenen Luft gedauert hat, und von dem Gehalt dieser Luft an SH. Jedenfalls aber sind die Bedingungen bei diesem Gase viel günstiger, als z. B. beim Kohlenoxyd. Denn das SH-Gas entzieht zwar dem Blute seinen Sauerstoff, macht es aber bei der mässigen Einwirkung, wie sie im Säugethiere doch nur zu Stande kommt, nicht un- fähig, neuen Sauerstoff aufzunehmen; und bei der Leichtigkeit, mit der es selbst aus dem Blute entweicht, ist daher bei Ent- fernung aus der verdorbenen Atmosphäre und künstlicher Re- spiration Rettung möglich. Wenn freilich der SH-Gehalt der geathmeten Luft so gross wäre, dass sofort Herzlähmung ein- träte, würde auch die künstliche Respiration Nichts nützen können.

Berlin, Ende August 1865.

44*

676 E. Neumann:

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwir- kung elektrischer Ströme auf die Blutkörperchen.

Von

Dr. E. Neumann in Königsberg i. Pr.

a

(Hierzu Taf. XV.)

Nachdem durch die interessanten Mittheilungen Rollett’s!) die Veränderungen, welche das Blut durch elektrische Entla- dungsschläge erleidet, aufgedeckt worden, lag es nahe, die Ein- wirkung constanter und inducirter Ströme auf das Blut einer eingehenderen mikroskopischen Prüfung zu unterwerfen, als dies bisher geschehen. Die Resultate meiner hierüber ange- stellten Versuche theile ich im Folgenden mit.

Die Vorrichtung, deren ich mich bediente, um unter dem Mikroskop elektrische Ströme durch einen zu beobachtenden Blutstropfen zu leiten, weicht im Wesentlichen nicht ab von den sonst zu dergleichen Untersuchungen benutzten. Ein Ob- jectglas, welches etwa doppelt so grosse Dimensionen hat, als die gewöhnlichen, ist mit 2 Stanniolstreifen belegt, die in der Mitte einen 1—2 Linien breiten Raum zwischen sich lassen.

1) A. Rollett, „Versuche und Beobachtungen am Blut“, „über die Wirkungen des Entladungsstromes auf das Blut“, „über die suc- cessiven Veränderungen, welche elektrische Entladungsschläge an den rothen Blutkörperchen hervorbringen“, in den Sitzungsberichten der Wiener Akad. d. Wiss., Bd. 46, 47 u. 50.

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 677

Auf diesen wurde der Blutstropfen aufgetragen, ein Deckgläs- chen übergelegt und dann den als Elektroden dienenden Stan- niolstreifen der Strom durch zwei, wie Gewichte aufzusetzende Metallkölbchen zugeführt.

1. Constanter Strom.

Betrachten wir zunächst die Erscheinungen, welche sich dar- bieten, wenn ein constanter Strom zur Einwirkung gelangt. Ein einzelnes Element (Siemens’scher Construction) fand ich un- wirksam; eine Combination von mehr als 3 Elementen bewirkte dagegen schon eine so heftige Elektrolyse, dass die starke Gas- entwickelung am negativen Pole die Beobachtung des Objectes in hohem Grade störte. Die folgenden Beobachtungen sind da- her sämtlich mit einer Kette von 2—3 Elementen angestellt, die Gasentwickelung geht hier nicht so rapide vor sich, dass sie nicht eine Verfolgung der an einzelnen Körperchen ablaufen- den Erscheinungen gestattete. Auf die Art der Erscheinungen hat die Stärke des Stromes, wie ich mich überzeugt habe, übri- gens keinen Einfluss, nur der zeitliche Verlauf derselben wird durch die Steigerung der Stromstärke beschleunigt.

Stets zeigte es sich, dass der constante Strom zuerst an den in unmittelbarer Nähe der Pole liegenden Blutkörperchen seine Wirkung äusserte, dass diese Wirkung am positiven Pole eine andere war als am negativen, dass die Veränderungen von den Polen aus allmählig um sich griffen und dass demnach der Be- reich der zwischen ihnen gelegenen, noch unversehrten Blut- körperchen immer mehr eingeengt wurde, bis schliesslich posi- tive und negative Blutzone mit scharfer Grenze zusammensties- sen. Diese Grenze lag jedoch nicht genau in die Mitte zwischen beiden Elektroden, sondern war vielmehr nach der Seite der positiven Elektroden hin verschoben, so dass also die negative Blutzone eine grössere Breite hatte als die positive.

Schon die makroskopische Betrachtung des Objectes in die- sem veränderten Zustande ergiebt, dass das Blut an beiden Po- len an Transparenz sehr gewonnen hat im Vergleich mit un- verändertem Blute, sie zeigt aber auch ausserdem eine deutliche

678 E. Neumann:

Farbendifferenz zwischen positiver und negativer Zone; in jener ist das Blut zugleich entfärbt, in dieser hat es seine normale ‚Farbe. Das Nähere über die Veränderung lehrt das Mikroskop,

Besteht unser Object aus einem Tropfen frischen Frosch- blutes, aus welchem das Fibrin abgeschieden ist, so sind die Erscheinungen am positiven Pole folgende: Der Rand des Stan- niolstreifens umsäumt sich mit einer körnigen Eiweissgerinnung, welche sich in der Weise immer weiter nach der Mitte zu vor- schiebt, dass, nachdem sie eine gewisse Breite erreicht hat, die dem Stanniolrande zunächst gelegenen Theile derselben sich wiederum aufhellen, und nunmehr das Vorrücken der Gerinnung mit dieser Aufhellung gleichen Schritt hält. Während also der elektrische Strom immer neue Blutschichten coagulirt, lösen sich die vorher entstandenen Niederschläge wieder auf, und vermöge dieser gleichzeitigen Ausbildung und Auflösung entfernt sich der durch die Gerinnung gebildete trübe Streifen immer weiter vom Stanniolrande, ohne an Breite zu gewinnen. Die ersten Veränderungen der Blutkörperchen erscheinen bereits jenseits der Gerinnung, sie gehen ihr also voraus, die späteren Stadien der Umänderung nimmt man in den bereits wieder aufgehellten Partieen wahr; innerhalb der Gerinnung selbst hindert die Trü- bung natürlich die Einsicht.

Man sieht, dass in den Blutkörperchen anfänglich, ohne dass sie Gestalt oder Farbe ändern, nur der Kern etwas deutlicher und glänzender hervortritt, dass sie dann häufig sich mehr ab- runden, oft kreisrund werden und dass sie sich schliesslich all- mählich vollständig entfärben. In diesem entfärbten Zustande bleibt der Umriss des Körperchens völlig deutlich als eine feine, etwas glänzende Ringlinie, die einen Kreis oder meistens wie- derum ein Oblong darstellt, und der Kern zeigt sich sehr stark glänzend, länglich und öfter etwas kantig. Auch das Serum ist farblos, wie in unverändertem Blute ; Gasblasen entwickeln sich nicht, der durch die Wasserzersetzung frei werdende Sauer- stoff wird also sofort entweder absorbirt oder chemisch gebunden.

Anders am negativen Pole. Zur Beobachtung der hier ein- tretenden Veränderungen muss man theils die zwischen den

Wasserstoffblasen befindlichen Körperchen, theils diejenigen,

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 679

welche das Gas vor sich her nach der Mitte zu treibt, in das Auge fassen. Es gelingt dann, zu sehen, wie die Blutkörper- chen unter dem Einfluss des Stromes zuerst fleckig werden, in- dem namentlich am Rande einzelne glänzende Pünktchen auf- treten; alsdann nimmt die Contour derselben eine veränderte, mannichfach wechselnde Configuration an, wobei ihre abgerun- dete Gestalt sich stets verliert und an ihre Stelle eine mehr oder weniger unregelmässig eckige Figur tritt. Ein paar Bei- spiele für diese Phase der Veränderung liefert die Figur 2. (Fig. 1 ist ein normales Froschblutkörperchen.) Bei a ist ein Körperchen dargestellt, welches an einer Seite einen scharf aus- geschnittenen Defect zeigt, das Körperchen b hat eime unregel- mässig polygonale Gestalt angenommen. In anderen Fällen sieht man die Körperchen birnförmig zugespitzt, von drei- oder viereckiger Gestalt, nach Art von Ganglienzellen in einen oder mehrere Fortsätze auslaufend u. s. w. Bemerkenswerth ist bei der Bildung aller dieser Formationen, die bei einem und dem- selben Körperchen in der mannichfachsten Weise in einander übergehen, dass, wie auch unsere Figuren zeigen, dabei faden- förmige, farblose Anhänge sichtbar werden, die aus einer vis- ciden, zähschleimigen Substanz zu bestehen scheinen und die besonders, wenn die Blutkörperchen bei ihrer Umformung in Bewegung sich befinden, sich öfter zu einer beträchtlichen Länge ausziehen. Sie scheinen sich continuirlich in die ge- färbte Substanz der Körperchen fortzusetzen und, wie man in Fig. 2b sieht, kann es auch zu einer Abschnürung dieser Fä- den in Gestalt blasser Kügelchen im Umfange des Hauptkörpers kommen. Der Kern ist in all’ diesen Foymen nicht sichtbar. Die weitere Metamorphose besteht nun darin, dass die beschrie- benen fadenförmigen Anhänge der Blutkörperchen verschwinden, ihre Ecken gleichsam einschmelzen, und dass auf diese Weise wieder ein oval abgerundetes Gebilde von stärkerem Glanze und gesättigterer Farbe, aber kleinerem Umfange, als er un- versehrten Blutkörperchen zukömmt, hervorgeht. Das Oval geht schliesslich stets in eine glänzende Kugel über (Fig. 3), welche sich ganz plötzlich dem Blicke völlig entzieht, bisweilen nachdem sie kurz vorher etwas an Glanz abgenommen hat, In

680 | E. Neumann;

einigen Fällen wurde in diesem Momente an ihrer Stelle ein ganz blasser, undeutlich contourirter Kern sichtbar , der aber ebenfalls alsbald verschwand. Durch Zusatz von Reagentien gelang es mir nicht, die Contouren der Blutkörperchen oder ihre Kerne wieder hervortreten zu lassen, und es scheint sich mir demnach hier um eine wirkliche Auflösung derselben zu handeln, in Folge deren das Blut zu einer homogenen, durch- sichtigen, gelben Flüssigkeit wird. Die Zeit, innerhalb deren ein einzelnes Blutkörperchen diese verschiedenen Phasen der Veränderung bis zu seiner schliesslichen Auflösung durchmacht, variirt je nach der Stärke des Stromes von wenigen Secunden bis zu mehreren Minuten.

Vergleichen wir nun hiermit die Veränderungen solchen Blutes, dessen Körperchen kreisrund und kernlos sind. Ich be- nutzte hierzu das Blut vom Menschen und Kaninchen. Die Ge- rinnungserscheinung am positiven Pole verläuft hier natürlich in ganz congruenter Weise, wie vorhin beschrieben. Die Blut- körperchen daselbst nehmen im ersten Stadium der Einwirkung Kugelform an, was sich besonders schön an den sogenannten Geldrollen markirt, die dadurch mehr Perlschnüren ähnlich werden. Dann erblassen die Kügelehen und es bleiben zuletzt nur die ringförmigen, öfter etwas zackig eingefalteten Umrisse der völlig entfärbten Körperchen zurück. Die Analogie dieses Vorganges mit dem von den Froschblutkörperchen beschriebenen ist in die Augen springend. Nicht minder finden wir für alle Metamorphosen, welche wir beim Froschblute als dem negativen Pole eigenthümlich kennen gelernt haben, vollständig correspon- dirende Bilder, wenn wir die Veränderungen der runden Blut- körperchen am negativen Pole betrachten. Zugleich ergiebt sich aber auch eine auffallende Uebereinstimmung mit den Ver- änderungen, welche Rollett als Wirkungen der Entladungs- schläge beschrieben und abgebildet hat (vergl. die von Rollett seiner letztgenannten Arbeit zugefügte Fig. 2a—f). Die Napf- form (Fig. 4) geht zuerst in eine unregelmässig eckige über (Fig. 5), sie entspricht offenbar dem, was Rollett als „Roset- tenform“ bezeichnet hat. Die Ecken runden sich alsdann ab und das Körperchen bietet nunmehr wieder den Anblick einer

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 681

kreisförmigen Scheibe dar, die am Umfange jedoch noch mit zarten, fadenförmigen Anhängen, wie mit Stacheln besetzt ist (Fig. 6 Rollett’s Maulbeer- oder Stechapfelform). Sodann verschwindet auch dieser Besatz und wir haben jetzt eine leb- haft glänzende, ziemlich gesättigt gelb gefärbte Kugel (Fig. 7) vor uns, die jedoch von kleinerem Umfange als die ursprüng- liche Scheibe ist. Diese Kugeln verschwinden schliesslich spur- los und zwar entweder plötzlich oder mehr allmählich, nachdem sie vorher etwas an Glanz und Umfang verloren haben. Dass auch hier eine völlige Auflösung derselben in dem sich gelb färbenden Serum stattfindet, geht wohl mit ziemlicher Sicher- heit daraus hervor, dass man selbst mittelst Reagentien (Jod, Chlornatrium) vergeblich nach ihnen sucht.

Wenn wir jetzt die ganze Reihe der durch den constanten Strom in dem Blute hervorgerufenen Veränderungen überblicken, so liegt gewiss kein Grund vor, dieselben anders aufzufassen, als es bisher ziemlich übereinstimmend von allen Beobachtern geschehen ist, nämlich als Folge der Elektrolyse, durch welche am positiven Pole Säure, am negativen Alkali frei wird, und wenn es wohl auch schwerlich gelingen dürfte, durch Zusatz von Säuren oder Alkalien zu dem Blute ganz dieselben Erschei- nungen an den Blutkörperchen zu beobachten, wie bei Durch- leitung eines constanten Stromes, so ist eine grosse Verwandt- schaft in der Einwirkung dieser Reagentien mit der an beiden Polen sich geltend machenden doch nicht zu verkennen. In Uebereinstimmung mit dieser Auffassung findet sich übrigens auch der Umstand, dass der constante Strom in ganz derselben Weise auf frisches wie auf älteres Blut wirkt, sowie ferner die Thatsache, dass die beschriebenen Veränderungen der Blutkör- perchen auch nach Oeffnung des Stromes eine kurze Zeit lang ihren Fortgang nehmen; es erklärt sich dies nämlich leicht aus der noch fortdauernden Einwirkung der elektrolytischen Zer- setzungsproducte. Ob, wie A. Schmidt') vermuthet, neben der Elektrolyse bei den Veränderungen des Blutes durch den

1) A.Schmidt, kleinere physiologisch-chemische Untersuchungen, in Virchow’s Archiv, Bd, 29.

682 E. Neumann:

constanten Strom auch die oxydirende Wirkung des durch den- selben erregten Blutsauerstoffs eine Rolle spielt, muss ich da- hingestellt sein lassen.

2. Inducirter Strom.

Die genaue Kenntniss der durch den constanten Strom am Blute hervorgerufenen Erscheinungen ist nothwendig, wenn wir an die Beantwortung der Frage gehen, ob auch die sogleich zu beschreibende Wirkung des indueirten Stromes sich auf Elektro- lyse zurückführen lässt. Ich bediente mich zu den Versuchen mit Inductionsströmen theils eines gewöhnlichen du Bois’schen Schlittenapparates, theils einer Modification desselben, welche nur gleich gerichtete Oeffnungsschläge liefert, ohne jedoch einen Unterschied der durch diese beiden vorschiedenen Apparate her- vorgerufenen Erscheinungen wahrnehmen zu können, und ap- plieirte stets die stärksten Ströme bei ganz über einander ge- schobenen Rollen.

Schon die makroskopische Beobachtung ergiebt eine wesent- liche Differenz im Vergleich mit dem constanten Strom. Zwar wurden auch hier am negativen Pole der Oeffnungsströme stets Gasblasen sichtbar, und am positiven Pole erschien eine leichte, auf die unmittelbare Nähe desselben beschränkte Trübung durch Gerinnung des Bluteiweisses, niemals aber sah ich den zwischen beide Elektroden eingeschalteten Blutstropfen in zwei scharf ge- schiedene Zonen zerfallen, vielmehr ging von beiden Polen in ganz gleicher Weise eine Aufhellung des Blutes aus, die all- mählich vorschreitend schliesslich die ganze interponirte Blut- säule ergriff, so dass diese dann viel transparenter erschien als vordem, aber in ihrer ganzen Breite ein gleichmässiges Aus- sehen hatte.

Demgemäss überzeugt man sich denn auch bei der mikros- kopischen Untersuchung, dass in der That bei Anwendung in- ducirter Ströme Veränderungen an den Blutkörperchen auftre- ten, welche an beiden Polen in ganz gleicher Weise sich ge- stalten und von ihnen aus nach der Mitte zu vorschreiten; nur ist ein Prävaliren des negativen Poles in der Art sichtbar, dass

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 683

von ihm aus ein rapideres Vorrücken der Umwandlung statt- findet als vom positiven Pole aus. Auch darin zeigt sich ferner ein Unterschied gegenüber der Wirkung des constanten Stro- mes, dass. die Umwandlung der Blutkörperchen durchaus nicht so continuirlich von den Polen aus von Schicht zu Schicht nach der Mitte zu vorschreitet, dass vielmehr in der Regel in der Mitte der Objecte viele Blutkörperchen bereits sich zu verän- dern beginnen, während andere, den Polen näher gelegene noch ganz unverändert erscheinen. Ich muss hierbei namentlich eine Beobachtung erwähnen, die, so wenig verständlich sie mir ist, doch zu häufig sich wiederholte, um als eine blosse Zufälligkeit betrachtet werden zu können. Es zeigte sich nämlich, dass, wenn in dem Blute zwischen den Elektroden zufällig Luftblasen eingeschlossen waren, im Umfange derselben die Veränderungen der Blutkörperchen besonders schnell eintraten, ja dass diesel- ben hier oft den Veränderungen an den Polen vorauseilten, selbst wenn die Luftblasen ganz in der Mitte des Objectes sich befanden. Ich vermuthe, dass diese Erscheinung auf den Ge- setzen der Stromvertheilung beruht, die sich durch die einge- schalteten Luftblasen in eigenthümlicher Weise gestalten dürfte.

Bei der Beschreibung der Veränderungen selbst könnten wir fast auf die Angaben Rollett’s über die Wirkung von Entla- dungsströmen verweisen; so gross ist die Uebereinstimmung, wie sich 'ergeben wird. Die erste Phase der Umwandlung bei Froschblutkörperchen zeigt sich darin, dass dieselben ihre ab- gerundeten Contouren und ihre gleichmässige Färbung verlieren, Der Rand ist feinzackig, gezähnelt, und es wechseln farblose und farbige Partieen in der Weise ab, dass eine helle sternför- mige Figur in den Blutkörperchen sichtbar geworden ist, zwi- schen deren einzelne Ausstrahlungen farbige Sectoren einge- schoben sind. Der Kern ist etwas schärfer hervorgetreten als zuvor, seine Umrisse sind jedoch gleichfalls unregelmässig zackig. Alsbald ändert sich dieses Aussehen der Körperchen wieder, indem die sternförmige Zeichnung sich immer mehr verwischt, die Färbung wieder gleichmässig, der Rand glatt wird. Der Kern tritt in dem nunmehr wieder homogen und

684 E. Neumann:

oval abgerundeten Körperchen als ein glänzendes, gleichfalls regelmässig ovales Gebilde hervor. Der nächste Schritt ist die Umwandlung in Kugelform (Fig. 8). Diese Kugeln behalten zunächst dieselbe Beschaffenheit bei, sie sind ebenfalls gleich- mässig blassgelb gefärbt und haben einen bald in der Mitte bald mehr nach dem Rande zu gelegenen, rund oder oval er- scheinenden granulirten Kern mit scharfen Umrissen und star- kem Glanze. Die von Rollett beschriebene Vacuolenbildung in den Kernen habe ich nicht mit Bestimmtheit constatiren können, wohl aber habe ich an diesen Kugeln zwei andere Phänomene häufig wahrgenommen, die Rollett bereits bei sei- nen Untersuchungen erwähnt hat, nämlich 1) ein Austreten der Kerne aus ihnen und 2) ein Zusammenfliessen derselben.

Was das erstere betrifft, so geschah dasselbe mit einer kur- zen zuckenden Bewegung des Kerns, der entweder schon vor- her am Rande der Kugel sich vorgewölbt hat oder plötzlich aus . der ihn völlig ausschliessenden Masse der Kugel hervorschiesst. Nach seinem Austritte liegt der Kern neben der nunmehr kern- losen, aber sonst unveränderten Kugel (Fig. 12).

Eine viel constantere Erscheinung, die ich fast in keinem einzigen meiner zahlreichen Versuche mit dem Inductionsstrome vermisste, während nach Rollett dieselbe bei Anwendung von Entladungsschlägen sich sogar seltener ereignet, als das Aus- treten der Kerne, ist nun das Ineinanderfliessen von zwei oder mehreren benachbarten Kugeln. Häufig kam es in so exqui- siter Weise zu Stande, dass an einzelnen Stellen das Gesichts- feld fast vollständig von den durch diese Confluenz entstandenen merkwürdigen Gebilden erfüllt war, während man Mühe hatte, noch einzelne isolirte Körperchen aufzufinden. Ich empfehle zur Beobachtung dieser Erscheinung, namentlich die Nähe des negativen Poles und den Umfang etwa vorfindlicher Luftblasen in das Auge zu fassen. Fixirt man genau zwei neben einander gelegene Kugeln in dem (allerdings leicht zu verpassenden) Momente des Zusammenfliessens, so sieht man plötzlich ihre beiden Grenzlinien, da wo sie sich berühren, verschwinden (eine vorausgehende gegenseitige Abplattung, die Rollett be-

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 685

obachtet, habe ich nie gesehen) und es entstehen zuerst immer Formen, wie sie Fig. 9 darstellt, d. h. die Kugeln bilden durch ihre Verschmelzung einen bisquitförmigen Körper. Noch ehe derselbe sich weiter verwandelt, geht häufig eine dritte, vierte, fünfte Kugel mit ihm eine Verbinduug ein und es erscheinen somit immer zusammengesetztere Gebilde, die durch die Zahl ihrer Einschnürungen und ihrer Kerne deutlich die Zahl der Einzelkugeln, aus denen sie hervorgegangen, anzeigen (Fig. 10). Allmählich macht sich an,ihnen jedoch die Tendenz bemerkbar, sich zu einfachen, grossen Kugeln zusammen zu ziehen, es ge- schieht dies, indem die Einschnitte immer seichter werden, sich ausglätten,, zuletzt verschwinden, und die Dimensionen sich gleichmässiger gestalten.

In Fig. 11 sieht man eine grosse Kugel, die aus vier zu- sammen geflossenen Blutkörperchen entstanden ist. Im diese grossen Kugeln können nun wieder neue Blutkörperchen ein- schmelzen, und so entstehen sehr ausgedehnte gelbe Plaques, die oft 10, 20 und mehr Kerne haben und die theils wieder regelmässig rund sind, theils aber auch sehr unregelmässige, öfter namentlich nach einer Seite spitz ausgezogene Formen darbieten, ähnlich den Formen, wie sie Fetttropfen oder Tropfen einer anderen mit Wasser nicht mischbaren Flüssigkeit anneh- men, wenn sie durch den Druck des Deckgläschens oder durch ihre Adhäsion am Glase verhindert werden, Kugelform anzu- nehmen. Die Kerne sieht man innerhalb der zusammen geflos- senen Blutkörperchen bei Bewegungen derselben öfters kleine Locomotionen ausführen, auch wohl jetzt noch, wie vorhin be- schrieben, austreten.

Das letzte Stadium der Metamorphose, die sich an das Froschblutkörperchen unter dem Einflusse der Inductionsströme vollzieht, besteht in einer Entfärbung derselben, welche übri- gens in gleicher Weise die isolirt gebliebenen kernlosen und kernhaltigen, sowie die zusammen geflossenen betrifft, indessen das Blutserum durch Aufnahme des Farbstoffes gelb wird. Die Umrisse der Körperchen werden in Folge dessen immer blasser, zuletzt ganz unsichtbar und man sieht dann im Gesichtsfelde

686 E. Neumann:

nichts weiter als die glänzenden Kerne übrig bleiben. Eine Ausnahme hiervon machen nur die in unmittelbarer Nähe des Eiweisspräcipitats am positiven Pole befindlichen Körperchen, die zwar ebenfalls sich entfärben, deren Contouren jedoch als feine Linien sich erhalten, vielleicht in Folge der hier einwir- kenden freien Säure. Wahrscheinlich kommt es jedoch auch an den übrigen Körperchen nicht zu einer vollständigen Auf- lösung, wenigstens gelang es mir immer, durch Jodzusatz an vielen nackt erscheinenden Kernen wieder deutlich die Umrisse der früher entstandenen Gebilde zur Erscheinung zu bringen.

Ich bemerke noch, dass ich in manchen Fällen, deren be- sondere Bedingungen mir nicht klar geworden sind, die Meta- morphose der Froschblutkörperchen unter dem Einflusse der Induetionsströme in einer von der beschriebenen etwas abwei- chenden Weise sich gestalten sah. Die Veränderungen be- gannen hier nämlich in ähnlicher Weise, wie am negativen. Pole des constanten Stromes. Die Körperchen wurden nämlich zuerst kantig unregelmässig und schmolzen dann unter Aus- sendung zarter, farbloser, öfter varicöser Fäden zu glänzenden, gesättigt gelben Kugeln ein. Während nun diese fadenförmigen Anhängsel sich lösten, verloren die Kugeln allmählich ihren star- ken Glanz, der Kern wurde in ihnen sichtbar und trat häufig aus ihnen heraus, und die Kugeln erblassten dann ganz all- mählich, so dass ihr schliessliches Schicksal wieder schwer fest- zustellen war.

Es bleibt noch übrig, die Veränderungen menschlicher Blut- körperchen bei Einwirkung von Inductionsströmen zu beschrei- ben. Dieselben schliessen sich merkwürdiger Weise ganz den Erscheinungen an, die wir am negativen Pole constanter Ströme gefunden haben, und auf deren Uebereinstimmung mit der Rol- lett’schen Schilderung von den Blutveränderungen durch Ent- ladungsschläge wir bereits aufmerksam gemacht haben. Die Blutkörperchen nehmen darnach zuerst eine unregelmässig po- lygonale oder sternförmige Gestalt an, zeigen etwas später die beschriebene Maulbeer- oder Stechapfelform und werden sodann zu fettglänzenden Kügelchen. Das Verschwinden dieser Kü-

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 687

gelehen geht nun aber nie, wie häufig beim constanten Strom, ganz plötzlich vor sich, sondern allmählich, indem sie vorher an Glanz und auch an Umfang verlieren und den Anblick ganz matter Scheibchen längere Zeit hindurch darbieten. Auch scheint es hier nicht zu einer völligen Auflösung überhaupt zu kommen, da es immer gelingt, durch Jodzusatz viele bereits dem Blicke entschwundene Scheibehen deutlich zu machen. Von Interesse ist, dass sich auch an diesen matten Scheibchen öfter dieselbe Erscheinung des Zusammenfliessens beobachten lässt, wie an den Froschblutkörperchen (Fig. 13). In so aus- gedehntem Maasse jedoch, wie bei letzteren, habe ich das Zu- sammenfliessen hier nicht beobachtet.

In Betreff der Schnelligkeit, mit der die durch Inductions- ströme hervorgerufenen Veränderungen an den Blutkörperchen vor sich gehen, sei erwähnt, dass selbst bei Anwendung sehr starker Ströme meistens mehrere Minuten vergehen, bis ein einzelnes Körperehen alle beschriebenen Phasen durchmacht, so dass es immerhin einige Mühe macht, alle Uebergänge wahr- zunehmen und die Aufeinanderfolge der verschiedenen Phasen richtig zn combiniren.

Wenn wir nun auf die Frage eingehen, wie die beschriebe- nen Wirkungen der Inductionsströme auf die Blutkörperchen zu deuten sind, so müssen wir wohl vorläufig auf eine genü- gende Erklärung derselben verzichten. Ziehen wir jedoch die verschiedenen Möglichkeiten in Betracht. Gegen die Annahme einer einfachen elektrolytischen Wirkung erheben sich, wenn wir einen Vergleich anstellen mit den elektrolytischen Wirkun- gen eines constanten Stromes, so erhebliche Bedenken, dass wir den Gedanken daran wohl aufgeben müssen. Am Ent- schiedensten sprechen dagegen die Gleichartigkeit der Verän- derungen an beiden Polen und das Missverhältniss zwischen den sichtbaren Zeichen der Elektrolyse, der Gerinnung am po- sitiven und der Gasentwickelung am negativen Pole, die beide immer nur auf einer niedrigen Stufe stehen bleiben, und der schnell vor sich "gehenden Ausbreitung der Veränderungen der Körperchen durch die ganze zwischen den Elektroden ein- geschaltete Blutsäule. Ich füge noch als fernere Argumente

688 E. Neumann:

gegen die Elektrolyse als Ursache der Veränderungen hinzu, dass, wie ich gefunden habe, die Einwirkung inducirter Ströme das Eigenthümliche hat, dass sie, je frischer das Blut ist, um so schneller eintritt, dass also ältere Blutproben viel längerer Zeit bedürfen, um in dasselbe Stadium der Umwandlung ver- setzt zu werden (Rollett giebt im Gegensatz hierzu an, dass durch Entladungsströme Blut, welches selbst mehrere Monate ausserhalb des Organismus aufbewahrt worden, noch ebenso verändert wird als frisches), und dass es mir ferner nicht ge- lungen ist, eine ähnliche Nachwirkung inducirter Ströme zu beobachten, wie beim constanten Strome, indem nämlich der Fortgang der Veränderungen der Blutkörperchen sofort unter- brochen zu werden schien, wenn die Ströme aufhörten, die Ein- wirkung also an die während der Dauer derselben stattfinden- den Bedingungen, nicht an zurückbleibende Producte derselben gebunden zu sein schien.

Man könnte nun an die Auslösung vitaler an scheinungen durch die inducirten Ströme als Ursache der der Entfärbung vorausgehenden Formveränderungen der Blutkörper- chen denken. Aus Rollett’s anfänglichen Erörterungen dieser Möglichkeit geht hinreichend hervor, wie schwierig es ist, sie ganz abzuweisen, und die von mir gemachte Beobachtung, dass frisches Blut viel geneigter ist, die Umwandlung einzu- gehen, als älteres, könnte sogar als Stütze für dieselbe gelten. Doch lässt sich letzteres auch füglich daraus erklären, dass den Blutkörperchen während ihres Verweilens im Organismus ge- wisse chemische Qualitäten zukommen, die sie nach ihrer Ent- fernung aus demselben allmählich einbüssen, und zudem deutet die spätere Entfärbung der Körperchen mit Entschiedenheit auf noch andere Einflüsse hin.

Da aber ferner die Ableitung der Erscheinungen aus den thermischen Wirkungen der Ströme durch M. Schultze’s Un- tersuchungen!) sehr unwahrscheinlich wird, so scheint vorläufig

1) M. Schultze, Ein heizbarer Objecttisch und seine Verwendung bei Untersuchungen des Blutes, in dessen Archiv für mikroskopische Anatomie, I.

Mikroskopische Beobachtungen über die Einwirkung u. s. w. 689

nur A. Schmidt’s Hypothese einer elektrischen Erregung des Blutsauerstoffes zur Erklärung übrig zu bleiben.

Es sei mir am Schlusse gestattet, noch ein paar Worte über ein anderes Problem hinzuzufügen, nämlich über die Folgerun- gen, die sich etwa aus den mitgetheilten Beobachtungen hin- sichts der histologischen Constitution der Blutkörperchen erge- ben und vor Allem hinsichts der in neuerer Zeit so vielfach discutirten Frage, ob die Blutkörperchen eine umhüllende Mem- bran besitzen. Von besonderem Interesse sind in dieser Be- ziehung die Erscheinungen des Austretens der Kerne und des Zusammenfliessens der Körperchen, da es scheinen könnte, dass Nichts geeigneter wäre, die Richtigkeit der Ansicht Rollett’s u. A., welche die Membran läugnen, zu erweisen.

Ich habe mich in einer kleinen Notiz (Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften, 1865, Nr. 31) kürzlich dahin aussprechen zu müssen geglaubt, dass die Erscheinungen, welche man nach Zusatz von Phosphorsäure zum Blute beobachtet, mit der Annahme des Fehlens einer Membran unverträglich sind. Die Beobachtung des Aufquellens und des darauf folgenden plötzlichen Collabirens der Blutkörperchen durch die Phosphor- säure scheint mir keine andere Deutung zuzulassen, als die, dass die Blutkörperchen aus zwei verschiedenen Substanzen be- stehen, einer Inhaltssubstanz, welche durch die eindringende Phosphorsäure ausgedehnt und aufgelöst wird, und einer Um- hüllungssubstanz, die der Einwirkung der Säure widersteht, durch den vermehrten Inhalt aber zum Bersten gebracht wird. Fragen wir nun, ob jene elektrischen Erscheinungen diese Auf- fassung umstossen, so glaube ich, dies verneinen zu müssen, Es wird zugegeben werden müssen, dass die Blutkörperchen in dem Zustande, in welchem die Kerne aus ihnen austreten und sie selbst zusammen fliessen können, einer festen Membran ent- behren. Die Frage ist aber nunmehr die, ob dieses Fehlen ein ursprüngliches, oder durch die Einwirkung der Elektricität zu Stande gekommenes ist. Im ersteren Falle müsste man einen räthselhaften Einfluss der Elektrieität statuiren, vermöge dessen

an den Blutkörperchen Erscheinungen sich ereignen, von denen Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 45

690 E. Neumann: Mikroskopische Beobachtungen u. s. w.

nicht abzusehen ist, wieso sie nicht auch an ihnen in unver- ändertem Zustande auftreten; im letzteren Falle könnte man füglich an eine chemische Einwirkung der Elektrieität denken, vermöge deren die ursprünglich vorhandene Membran entweder aufgelöst oder wenigstens der Art in ihrer Consistenz umge- wandelt, erweicht wird, dass sie nicht mehr, wie vordem, dem Austritt der Kerne und dem Zusammenfliessen der Körperchen einen Widerstand entgegensetzt. Mir scheint demnach das ur- sprüngliche Fehlen der Umhüllungsmembran aus diesen Beob- achtungen nicht hervorzugehen.

N. Afanasieff: Untersuchungen über den Einfluss u. s. w. 69]

Untersuchungen über den Einfluss der Wärme und der Kälte auf die Reizbarkeit der motorischen Froschnerven.

Von

Dr. N. AranAsIEFF aus St. Petersburg.

(Hierzu Taf. XVI, u. XVII.)

Die Arbeiten von Eckhar4'), Harless?) und Schelske®) über den Einfluss verschiedener Temperaturgrade auf die mo- torischen Nerven sind in ihren Ergebnissen so abweichend und zum Theil einander widersprechend, dass eine erneute Unter- suchung nicht überflüssig erscheint. Ich habe mich derselben unterzogen und erlaube mir, die Ergebnisse meiner im physio- logischen Laboratorium zu Berlin unter Leitung des Dr. Il. Ro- senthal angestellten Versuche mitzutheilen.

Der Apparat, dessen ich mich bediente, ist von Dr. Ro- senthal angegeben und schon früher zu einigen Versuchen über unseren Gegenstand benutzt worden.*) Die Einrichtung desselben ist aus den Figuren der Tafel XV]. leicht ersichtlich. Fig. A. zeigt die ganze Vorrichtung; a ist ein hoher Kessel von starkem Weissblech, von welchem seitlich zwei wagerechte

1) Henle u. Pfeufer, Zeitschr. f. rat. Med., Bd. X., S. 165.

2) Ebendaselbst, dritte Reihe, Bd. VIII., S. 122.

3) Ueber die Veränderung der Erregbarkeit der Nerven durch die Wärme. Habilitationsschrift. Heidelberg 1860.

4) Allg. med. Centralzeit. 1860.

45*

692 N. Afanasieff:

Röhren, b und c abgehen. Beide sind unter einander wieder durch eine lothrechte Röbre d verbunden. Wo b und d zu- sammenstossen , ist ein hohler Würfel eingesetzt, in welchem sich drei Oeffnungen befinden. In die obere ist ein kurzes, oben offenes Glasrohr eingekittet, eine der beiden seitlichen dient zum Durchtritt eines Thermometers, dessen Kugel sich im Inneren des hohlen Würfels befindet, die dritte Oeffnung bleibt durch einen Kork geschlossen.

Füllt man den Kessel mit Oel, und erwärmt ihn durch eine kleine Flamme, so beginnt eine Circulation des Oeles in dem System der Röhren b,d,c, in Folge deren man durch passende Regulirung der Flamme die Temperatur in dem Würfel stun- denlang innerhalb enger Grenzen (+ 0,5° C.) constant erhalten kann. Dies ist das Verfahren für Temperaturen über der Zim- mertemperatur. Um dagegen niedere Temperaturen zu erzeu- gen, stellten wir den ganzen Kessel in einen grösseren hölzer- nen Kübel und umgaben denselben mit kleinen Eisstücken oder einem Gemisch von Eis und Salmıak.

Wir hatten uns die Aufgabe gestellt, ein beschränktes Stück

des Nerven für sich zu erwärmen oder zu erkälten und wäh- rend dessen auf seine Erregbarkeit zu prüfen. Die dazu die- nende Einrichtung ist in Fig. B in natürlicher Grösse beson- ders abgebildet. Der Unterschenkel des Frosches wird auf die verschiebbare Glasplatte, Fig. B4, gelegt und dort durch Kaut- schukbänder befestigt. Der Nerv wird auf die Elektroden ge- legt und dann mit denselben in das Glasrohr e gebracht, in welches er schlingenförmig hineinragt. Dies geschieht mit Hülfe eines auf das Glasrohr gesetzten Stöpsels, Fig. B3. Durch den Stöpsel gehen zwei in Glasröhren eingeschmolzene Platindräthe, deren untere, aus den Glasröhren hervorragende Enden hakenförmig gekrümmt sind. Eine solche Elektrode ist in Fig. B2 besonders abgebildet. In diese Haken wird der Nerv hineingelegt und dann mit dem Stöpsel in das Glasrohr gebracht. Durch den Stöpsel geht ausserdem ein kleines Ther- mometer, dessen Kugel dicht am Nerven anliegt, und dessen Temperatur ganz genau angiebt. Der Stöpsel ist seitlich ab- geflacht, damit der Nerv zwischen ihm und dem Glasrohr frei

Untersuchungen über den Einfluss der Wärme u. s. w. 693

ohne Quetschung durchgehen kann. Zur Verhütung der Ver- trocknung ist das Ganze mit einem Glaskasten bedeckt, welcher auf der lackirten Holzplatte p aufruht.

Die Platindräthe stehen durch angelöthete Kupferdräthe in Verbindung mit einem „Schlüssel zum Tetanisiren*, und dieser wieder mit der secundären Rolle eines Magnetelektromotors von du Bois-Reymond. Zur Bestimmung der Erregbarkeit wird die Rolle auf ihrer Schlittenbahn so verschoben, dass eben mi- nimale Zuckungen entstehen. Da jedoch bei der Erwärmung und Abkühlung des Nerven die Leitungsfähigkeit desselben nicht unerhebliche Aenderungen erleidet, so wurde, um den dadurch bedingten Fehler auszuschliessen, in den Kreis der seeundären Rolle noch ein Widerstand eingeschaltet, gegen wel- chen der des Nerven als sehr klein angesehen werden konnte, nämlich eine mit Zinkvitriollösung gefüllte, 2 Zoll lange capil- lare Glasröhre, welche, zwei Mäl rechtwinklig gebogen, mit ihren Enden in die mit der gleichen Lösung gefüllten, innen amalgamirten Zinkzuleitungsgefässe von du Bois-Reymond eintauchte. Die constante Kette, welche den Magnetelektro- motor in Bewegung setzte, bestand aus zwei Grove’schen Ele- menten der kleinen Art, welche du Bois-Reymond in die Technik solcher Versuche eingeführt hat. Um unipolare In- ductionswirkungen möglichst zu vermeiden, wurde stets die Helmholtz’sche Modification am Magnetelektromotor ange- wandt.

Der Plan des Versuchsverfahrens war, den Nerven durch Einsenken in das vorher auf die gewünschte Temperatur ge- brachte Oel zu erwärmen oder abzukühlen. Oel wurde aus verschiedenen Gründen gewählt. Erstens kann es sehr ver- schiedene, niedrige und hohe Temperaturen annehmen, ohne seinen flüssigen Aggregatzustand zu verlieren. Zweitens behält es die ihm ertheilten Temperaturen sehr lange. Drittens ist es an und für sich für den Nerven ein unschuldiges, seine phy- siologischen Eigenschaften nicht störendes Mittel, wenigstens so lange es rein ist. Wir haben uns davon mehrfach überzeugt, und auf die Reinheit besonderes Gewicht gelegt. Es wurde stets nur reines, frisches Mohnöl angewandt und dasselbe so-

694 N. Afanasieff:

gleich verworfen, sobald es beim Schütteln mit blauer Lack- mustinetur auch nur eine Spur saurer Reaction zeigte. Vier- tens endlich ist es ein Isolator der Elektricität, und der Strom geht bei der von uns benutzten Einrichtung in gleicher Weise durch den Nerven, mag derselbe in das Oel eingetaucht sein oder nicht. Auch hiervon haben wir uns durch eine besondere Versuchsreihe überzeugt.

Um nun den Nerven nach Willkür mit dem Oel in Berüh- rung bringen zu können, war folgende Einrichtung getroffen. Auf der oberen Fläche des Kessels, Fig. A., war eine Oeffnung, welche mit einem durchbohrten Kork verschlossen war. Durch die Bohrung des Korkes ging ein Glasrohr, und dieses stand mittels eines langen Kautschukschlauches mit einer Kautschuk- kugel in Verbindung. Durch Druck auf diese konnte man das Oel in dem Glasrohr heben und mit dem Nerven in Berührung bringen. Der auf die hakenförmigen Elektroden gelegte Nerv: behält so während der ganzen Dauer des Versuches unverrückt dieselbe Lage und es wird stets dieselbe Stelle des Nerven ge- reizt. Die Nerven wurden stets in ihrer ganzen Länge mit- sammt den Spinalwurzeln und dem dazu gehörenden Theil der Wirbelsäule präparirt, und die zu reizende Stelle stets so nahe dem Muskel gewählt, als es die Umstände der Vorrichtung irgend zuliessen.

Auf diese Weise glauben wir die bei solchen Versuchen möglichen Fehlerquellen soviel als möglich beseitigt zu haben. Wir theilen nun die Ergebnisse der zahlreichen Versuche (110 mit höheren, 24 mit niederen Wärmegraden) kurz mit. Zu be- merken ist noch, dass die Versuche alle im Sommersemester 1865 bei zum Theil sehr hoher Zimmertemperatur angestellt wurden. Wir wählen daher die Temperatur von 20° C. als Ausgangspunkt und betrachten gesondert die Erwärmung über und die Abkühlung unter diesen Normalpunkt.

1) Einfluss der Erwärmung.

Mässige Erwärmung des Nerven bis zu 35°C. bewirkt eine Erhöhung der Erregbarkeit und nachfolgendes Sinken unter den

Untersuchungen über den Einfluss der Wärme u. s. w. 695

ursprünglichen Werth. Der zeitliche Verlauf des Absterbens ist auf einen kürzeren Raum zusammengedrängt als in der Norm und zwar um se mehr, je höher die Temperatur ist. Die Curve der Erregbarkeit, bezogen auf die Zeit, verläuft da- her bei diesen Temperaturen in ihrem Anfange über, später unter der gleichen Curve für die Temperatur von 20° C. Je frischer der Nerv noch ist in dem Moment, wo die Erwärmung beginnt, desto beträchtlicher ist die Steigerung der Erregbarkeit und desto längere Zeit bleibt sie gesteigert. Lässt man die Erwärmung auf einen Nerven wirken, dessen Erregbarkeit schon zu sinken begann, so tritt nur unbeträchtliches und kurz dauerndes Ansteigen der Erregbarkeit ein, welchem dann schnell ein desto beträchtlicheres Sinken nachfolgt (vergl. Fig. 8, 9, 16)

Frische Nerven, sogleich auf 35° 40° erwärmt, verfallen meist in den Zustand der Erregung, so dass die Muskeln in klonische Zuckungen gerathen. Eine Viertelstunde nach dem Ablösen des Nerven von dem Thiere bewirkt dieselbe Erwär- mung meist keine Zuckungen mehr. Eben so wenig treten Zuckungen ein, wenn man den Nerven nicht sofort, sondern durch allmähliches oder stufenförmiges Erwärmen auf diese Tem- peratur bringt. Wenn die Zuckungen vorüber sind, so pflegt die Erregbarkeit niedriger zu sein, als sie vor der Erwärmung war. Wo jedoch keine Zuckungen eintreten, bemerkt man auch bei diesen Temperaturen erst ein Ansteigen der Erreg- barkeit, welchem dann ein um so schnelleres Sinken folgt (vgl. Fig. 15, 9, 23).

Auch bei Erwärmung auf 40°—45° C. treten Zuckungen auf, und zwar sind sie sehr heftig und tetanischer Art. Bei dieser Temperatur hat sie auch Rosenthal schon beobachtet. Bei Temperaturen zwischen 45° und 50° ©, kommen Zuckungen gleichfalls zur Beobachtung, aber nicht so constant, und keines- falls sind sie so heftig, wie bei 40°—45°. Die höchste Dauer, welche diese Zuckungen erreichen können, ist 1 Minute (vergl. Fig. 14, 13, 20).

Ueberall, wo bei diesen Temperaturen keine Zuckungen eintreten, beobachtet man zunächst ein Ansteigen der Erreg- barkeit. Je höher die Temperatur ist, desto kürzere Zeit

696 N. Afanasieff:

dauert das Ansteigen der Erregbarkeit, desto früher schlägt es in ein Sinken derselben um. Bei 50° ist das Ansteigen der Erregbarkeit so plötzlich, dass eine genaue Bestimmung der Zeit nicht möglich ist. Unmittelbar darauf beginnt aber schon das Absinken und zwar mit solcher Geschwindigkeit, dass, während die erste Steigerung vielleicht 10 Cm. betrug'), das Sinken in der nächsten Minute schon bis 10 Cm. unter den ursprünglichen Normalwerth gelangen kann. Nach diesem plötzlichen Sinken bleibt die Erregbarkeit entweder kurze Zeit unverändert auf dem niedrigen Werthe, welchen sie erlangt hatte, stehen, oder sie zeigt auch wohl ein geringfügiges se- cundäres Ansteigen, welchem dann aber ein beschleunigtes Sinken und bald völliges Erlöschen folgt (vergl. Fig. 12, 14, 18, 19, 20, 24).

Ganz ähnlich sind die Erscheinungen auch bei den höheren Temperaturen von 50°—65° C. Nur ist Alles auf einen noch . kürzeren Zeitraum zusammengedrängt, und das erste Steigen ist oft gar nicht zu constatiren, so dass die Erregbarkeit gleich beim Beginn der Erwärmung sofort um 10—15 Cm. fällt. Das secundäre Steigen zeigt sich öfter, dann erlischt die Erregbar- keit vollends (vgl. Fig. 17, 21).

Erwärmung auf Temperaturen über 65° vernichtet die Er- regbarkeit fast augenblicklich.

Kühlt man den erwärmten Nerven in irgend einem Zeit- punkt wieder ab, so kann unter Umständen die Erregbarkeit wieder hergestellt werden. Dies geschieht bei 40° wieder voll- kommen, wie schon Rosenthal beobachtet hat. Zwischen 40° und 50° kann die Erregbarkeit nur wiederhergestellt werden, wenn man den Nerven abzukühlen anfängt, bevor das zweite Sinken stattfindet. Zwischen 50° und 65° ist die Wiederher- stellung der Erregbarkeit überhaupt nur unvollkommen möglich, und auch dies in einigermaassen erheblichem Grade nur, wenn die Abkühlung unmittelbar nach dem ersten Sinken eintritt.

1) Diese Zahlenangaben beziehen sich stets auf die Entfernung der secundären von der primären Rolle, wo eben minimale Zuckun- gen eintreten.

Untersuchungen über den Einfluss der Wärme u. s. w. 697

Die Erregbarkeit hält sich dann längere Zeit (bis 30 Minuten) auf einem mässigen Stande, um dann schnell zu erlöschen. Ein eigenthümlicher Zustand, welchen wir mit dem Namen „Scheintod des Nerven* belegen können, besteht darin, dass der Nerv in Folge der Erwärmung absolut unerregbar, auch für die stärksten Ströme, wird, beim Abkühlen aber seine Erregbarkeit, wenn auch in geringem Grade wieder erlangt. Der Scheintod des Nerven kommt besonders bei Temperaturen von 50°—65° C. nach dem ersten Sinken der Erregbarkeit zu Stande (vergl. Fig. 17, 19, 20, 21, 24).

2) Einfluss der Abkühlung.

Mässige Abkühlung bis zu 15° C. hat keinen erheblichen Einfluss auf die Grösse der Erregbarkeit, verlängert jedoch ihre Dauer beträchtlich, so dass das Sinken und der endliche Verlust der Erregbarkeit später eintreten, als es bei 20° und darüber der Fall sein würde. Bei beständiger Abkühlung unter 15° bis zu hin nimmt die Erregbarkeit ab, hält sich aber dann sehr lange auf dem niedrigen Werthe, ohne beträchtliche Schwan- kungen. Plötzliche Abkühlung innerhalb der Grenzen von 20° bis zu bewirkt zunächst eine Steigerung der Erregbarkeit. Diese ist bei Abkühlung auf 10° nur gering, etwas grösser bei Abkühlung auf 5°. Die Erhöhung der Erregbarkeit ist bei 10° sehr anhaltend, viel länger, als die durch Erwärmung erzielte Steigerung der Erregbarkeit. Kürzere Zeit erhält sich die Er- höhung der Erregbarkeit bei und noch kürzere Zeit bei 0°. Es folgt auf die Erhöhung eine Abnahme der Erregbarkeit, aber die geschwächte Erregbarkeit hält sich dann lange constant (vergl. Fig. 1, 3, 4, 5, 6).

Abkühlung auf —1° bis —4° bewirkt niemals Erhöhung der Erregbarkeit, sondern dieselbe sinkt sofort auf ein Mini- mum, auf welchem sie sich lange Zeit hält. Doch wirken diese Temperaturen nicht zerstörend auf den Nerven, da derselbe in diesem Zustande einer minimalen Reizbarkeit wenigstens wäh- rend einer Stunde die Fähigkeit behält, bei Erhölging der Tem- peratur fast vollkommen wieder hergestellt zu werden (vergl. Fig. 2, 3, 6).

698 N. Afanasieff:;

Abkühlung auf —4° und darunter bis zu —8° ©. bewirkt klonische Zuckungen des Muskels, welche bis zu 2 Minuten Dauer haben können. Unmittelbar nach dem Aufhören der Zuckungen ist die Erregbarkeit sehr stark gesunken, und bleibt es entweder dauernd, oder sie zeigt ein secundäres Steigen und sinkt erst dann wieder auf einen sehr geringen Werth, auf wel- chem sie beharrt. Eine Steigerung der Erregbarkeit durch Er- wärmung ist in der ersten Viertelstunde stets möglich (vergl. Fig. 2).

Unter wurde die Erkältung nicht gebracht. Eine gänzliche Vernichtung der Erregbarkeit war bei diesen Graden der Abkühlung nicht zu beobachten.

Die hier besprochenen Erscheinungen sind am Klarsten aus einer graphischen Darstellung der Versuchsergebnisse zu er- kennen. In den. beigegebenen Tafeln sind eine Reihe solcher dargestellt. Die Auswahl ist aus der grossen Anzahl der Ver- suche so getroffen, dass die hauptsächlichsten Fälle vertreten sind.

Fig. 1 zeigt die Erhöhung der Erregbarkeit durch Abkühlung auf 8°. Nachdem dieselbe wieder gesunken ist, wurde auf 28° erwärmt, wo- durch ein abermaliges Steigen und Wiedersinken bewirkt wird. Das Zeichen .... am Ende der Curve bedeutet, dass der Versuch abgebro- chen wurde.

Fig. 2. Abkühlung auf —4°. Das umm in der Curve bedeutet klonische Zuckungen, welche 14 Minuten andauern. Die Erregbarkeit ist dann sehr gesunken, sinkt dann nach einer vorübergehenden Stei- gerung noch mehr. Bei der Erwärmung hebt sie sich wieder ein wenig.

Fig. 3. Abkühlung auf —2°. Allmähliches Sinken der Erregbar- keit, dann Constanz. Wiederansteigen durch Erwärmung.

Fig. 4 Abkühlung; auf 14°. Steigerung der Erregbarkeit und ziemlich constantes Verharren während 2 Stunden.

Fig. 5. Abkühlung auf 4°. Aehnlich wie Nr. 4.

Fig. 6. Langsame Abkühlung auf 2°. Aehnlich wie Nr. 3.

Fig. 7. Erwärmung auf 39°. Vorübergehende Steigerung. Dann Constanz bei 30°.

Fig. 8. _Vorübergehendes Ansteigen bei 24°. Geringfügiges An- steigen, dann Sinken der Erregung bei 36°.

Untersuchungen über den Einfluss der Wärme u.s.w. 699

Fig. 9. Geringfügiges Ansteigen und dann Sinken bei 25°. Er- wärmung auf 37° bewirkt kein Ansteigen mehr. Beim Abkühlen steigt die Erregung wieder etwas, um bei erneuter Erwärmung wieder zu fallen.

Fig. 10. Geringfügiges Ansteigen durch Erwärmung auf 35°, dann Sinken, abwechselndes Steigen bei Abkühlung, Sinken bei stärkerem Erwärmen.

Fig. 11. Geringfügiges Ansteigen, dann Sinken bei 32°.

Fig. 12. Starkes Sinken bei Erwärmung auf 44°. Secundäres Steigen und abermaliges Sinken. Das Zeichen + bedeutet vollkom- menes Absterben 24 Minuten nach dem Beginn der Erwärmung.

Fig. 13. Erwärmung auf 37°. Kurz dauernder Tetanus (ange- deutet durch die enge Zickzackform). Steigerung, dann Sinken der Erregbarkeit.

Fig. 14. Erwärmung auf 51°. Tetanus, starkes Sinken der Er- regbarkeit, Tod nach 12 Minuten.

Fig. 15. Geringfügige Steigerung durch Erwärmung auf 28°. Dann ziemliche Constanz bei Schwankung der Temperatur zwischen 38° und 15°.

Fig. 16. Steigerung, dann Sinken bei 30°,

Fig. 17. Tetanus und starkes Sinken bei 64°. Scheintod nach z Minute, dauert fast“10 Minuten, dann Rückkehr der Erregbarkeit.

Fig. 18. Kurzer Tetanus (3 Minute) und Sinken der Erregbarkeit nach 44°. Tod nach 24 Minuten.

Fig. 19. Geringe Steigerung und sofort starkes Sinken der Erreg- barkeit bei 50°. Wiederansteigen bei Abkühlung.

Fig. 20. Erwärmung auf 45°. Starker Tetanus von 1 Minute Dauer, sofortiges beträchtliches Sinken der Erregbarkeit, dann ge- ringes secundäres Steigen und tieferes Sinken; Erholung bei Ab- kühlung.

Fig. 21. Tetanus und starkes Sinken der Erregbarkeit bei 62°. Geringe Erholung bei Abkühlung, Tod nach 25 Minuten.

Fig. 22. Langsames Steigen und dann langdauernde Constanz der Erregbarkeit bei 23°—25°.

Fig. 23. Ansteigen und Wiederabnahme der Pre bei 37°, Constanz bei mässiger Abkühlung.

Fig. 24. Abnahme der Erregbarkeit bei 44°. wies bei Abkühlung.

700 N. Afanasieff:

Versuchen wir, die gewonnenen Ergebnisse zu einer allge- meinen Vorstellung über die Wirkungen der verschiedenen Tem- peraturen auf die Nerven zusammen zu fassen, so müssen wir unterscheiden die Dauer der Erregbarkeit im Nerven und den Grad derselben. Die Dauer des Erregbarkeit, d. h. die Zeit, welche verfliesst von dem Augenblicke der Ablösung des Ner- ven von dem Organismus bis zum Erlöschen aller Erregbarkeit, bis zum Augenblicke, wo auch die stärksten Reize keine Be- wegungsimpulse im Nerven mehr auszulösen vermögen, scheint im Allgemeinen um so kürzer zu werden, je höher die Tempe- ratur ist. Dies hat schon Eckhard richtig erkannt, nur hat er bei der fehlerhaften Methode, den Nerven durch destillirtes Wasser zu erwärmen, diese Zeiten durchgehends zu kurz an- gegeben. Auch Rosenthal’s Angaben über diese Zeiten sind noch zu kurz ausgefallen, was vielleicht darin seinen Grund haben mag, dass Rosenthal sich einzelner Inductionsschläge zur Reizung bediente, und den Reiz oberhalb der erwärmten Stelle anbrachte, indem er die Dauer der Erregbarkeit aus der Dauer der Durchgängiskeit für einen oberhalb angebrachten heiz bestimmen wollte. Der Grad der Erregbarkeit aber, d. h. die Leichtigkeit, mit welcher der Nerv selbst durch schwache Ströme in den Zustand der Erregbarkeit geräth, wird jedenfalls durch niedrige Temperaturen herabgesetzt, durch höhere vergrössert. Dies Letztere ist freilich für die ganz hohen Temperaturen nur schwer oder gar nicht zu be- weisen. Doch lässt sich dies so erklären, dass hier die Dauer des Stadiums erhöhter Erregbarkeit sehr kurz ist, daher der Beobachtung sich oft entzieht. Wir können daher annehmen, dass bei Erwärmung des Nerven die Erregbarkeit anfänglich stets steigt, dann aber fällt, und dass das Stadium der erhöh- ten Erregbarkeit um so kürzer ausfällt, je höher die Tempe- ratur ist. Damit ist denn auch im Einklange, dass die Erreg- barkeit wieder steigt, wenn man im zweiten Stadium, d.h. wenn die Erregbarkeit schon gesunken ist, den Nerven wieder abkühlt.

Schwerer ist mit dieser Auffassung die Erklärung des An- steigens der Erregbarkeit bei mässigen Abkühlungen zu verei- #

Untersuchungen über den Einfluss der Wärme u. s. w. 701

nigen. Hier sollte doch die Erregbarkeit jedenfalls nur sinken. Dies tritt nun auch wirklich ein, wenn die Abkühlung nur all- mählich geschieht. Wenn aber bei plötzlicher Abkühlung die Erregbarkeit steigt, so kann dies in verschiedenen Ursachen seinen Grund haben, für welche ich jedoch keine genügende Erklärung weiss.

Wichtig ist auch, dass die Steigerung der Erregbarkeit bei Erwärmung nur an frischen Nerven auftritt. Da, wie Rosen- thal gezeigt hat, auch bei gewöhnlicher Zimmertemperatur die Erregbarkeit eines aus dem Organismus abgelösten Nerven zu- erst ansteigt uud dann sinkt, so erscheint es, als ob die Er- wärmung nur den natürlichen Verlauf des Absterbens auf einen kürzeren Zeitraum zusammendrängt, ähnlich wie ein oberhalb der gereizten Stelle angebrachter Schnitt. Auch dieser erhöht die Erregbarkeit nur, wenn er an einem frischen Nerven und nicht zu nahe der gereizten Stelle angelegt wird. Im anderen Falle ist die Steigerung nur momentan und sofort von einem desto tieferen Fallen gefolgt, wie wir es bei der starken Er- wärmung gesehen haben.

Die Erwärmung und Abkühlung hat aber auch einen Ein- fluss auf den Charakter der Zuckungen. Nähert man bei der Erwärmung des Nerven die secundäre Rolle allmählich der pri- mären, so treten bei einer bestimmten Stellung die Zuckungen zwar schwach, aber sogleich mit tetanischem Charakter und in allen Muskelfasern gleichmässig auf. Beim abgekühlten Nerven aber treten die Zuckungen plötzlich mit grosser Heftigkeit auf, aber immer nur in einzelnen Muskelfasern zugleich, und trotz- dem die Unterbrechungen des Mägnetelektromotors sehr schnell auf einander folgen, sind die Zuckungen (auch wenn die Stromstärke gross ist) stets klonisch. Es macht den Eindruck, als ob im Nerven ein Widerstand gegen die Aufnahme und Fortpflanzung der Reizung bestehe, und man wird sofort daran erinnert, dass nach Helmholtz und Schelske nicht nur die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Nerven durch die Kälte vermindert wird, sondern auch die Gestalt der Zuckungs- curve verlängert. Wenn dies Letztere im hohen Grade geschieht, so muss es in der That dahin führen, den Tetanus unstetig und klonisch zu machen.

702 N. Afanasieff: Untersuchungen über den Einfluss u. s. w.

Was endlich die erregende Wirkung anbetrifft, welche Ro- senthal bei 40—45° beobachtet hat, welche aber nach meinen Versuchen, wenn auch weniger stark, auch unter oder über die- ser Temperatur vorkommen kann (auch Rosenthal sah einmal Zuckungen bei 57°), so kann natürlich keine Rede davon sein, sie von einer augenblicklichen Tödtung des Nerven abzuleiten, wie Eckhard wollte. Schon Rosenthal hat darauf aufmerk- sam gemacht, dass nach dem Tetanus die Erregbarkeit noch lange erhalten bleibt. Schwer aber ist es zu sagen, wie diese Erregung zu Stande kommt. Wir wissen im Allgemeinen, dass jegliche Aenderung im Zustande des Nerven, wenn sie schnell genug erfolgt, im Stande ist, den Nerven zu erregen. Dass Erwärmung und Abkühlung den Zustand des Nerven ändert, ist klar. Wir haben oben die Vermuthung aufgestellt, dass diese Veränderung beim Erwärmen die nämliche ist, wie die, welche beim Absterben eintritt, nur viel schneller erfolgend. Warum sollte nicht diese Aenderung, eben weil sie so schnell erfolgt, auch erregend wirken können? Wir kennen freilich von dieser hypothetischen Veränderung nur das Verhalten der. Erregbarkeit. Es ist dies gleichsam nur ein Symptom, und ebensowenig, als wir aus einem einzelnen Symptom das Wesen einer Krankheit erforschen können, ebensowenig sind wir ım Stande, das Wesen der Veränderung jetzt schon anzugeben, welche der Nerv durch die Veränderung seiner Temperatur erfährt.

Leider bin ich durch meine bevorstehende Abreise von Ber- lin verhindert, den Gegenstand weiter zu verfolgen, jedoch be- halte ich mir vor, nach meimer Rückkehr denselben wieder aufzunehmen.

Zum Schluss erfülle ich noch die mir sehr angenehme Pflicht, dem Herrn Professor du Bois-Reymond für seine mir so überaus freundlich und wiederholt ertheilten Rath- schläge, sowie dem Herrn Dr. Rosenthal für seine stets be- reitwillig mir gewidmete Anleitung bei meinen Versuchen hier- mit meinen herzlichsten Dank auszusprechen.

Berlin, den 18. September 1869.

W. Gruber: Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 703

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln.

Von

Dr. WENZEL GRUBER,

Professor der Anatomie in St. Petersburg.

(Hierzu Taf. XVII.)

Ich habe 1360 in einer Schrift die bis dahin gekannten su- pernumerären Schlüsselbeinmuskeln zusammengestellt, und daselbst einen dazu gehörigen, von mir entdeckten beschrie- ben (Sterno-clavicularis antieus).') In einem Aufsatze von 1863 gedachte ich gelegentlich eines anderen, von mir beobachteten, derartigen Muskels (Coraco-clavicularis).”) Ausser diesen kenne ich aber noch zwei seltene Schlüsselbeinmuskeln und zwei Varianten des Sterno-clavieularis anticus, welche noch unbeschrieben sind. Diese neuen Muskeln sind Gegenstand dieses Aufsatzes und werden im Nachstehenden abgehandelt werden.

1. Musculus supraclavicularis (proprius). (Fig. 1.)

Der Musculus cucullaris setzt sich nicht selten mit einer mehr oder minder breiten Fleischportion, oder mit einer

1) Die supernumerären Brustmuskeln des Menschen. Mem. de l’Acad. Imp. des sc. de St. Petersbourg. Ser. VII. Tom. III. No. 2. Besond. Abdr. St. Petersburg, Riga und Leipzig 1860. 4°. p. 1—7. Tab. I., Fig. 1—4. 2) Ueber die Arten der Acromialknochen und accidentellen Acro- mialgelenke. Dieses Archiv für Anatomie u. s. w. 1863. S. 404.

704 W,. Gruber:

Sehne an die sonst von Muskelinsertion freie obere Seite des Mittelstückes des Schlüsselbeines an, wie ich schon 1847 aus- führlich mitgetheilt'), und wie ich seit jener Zeit noch in vie- len Fällen beobachtet habe. Ich kenne 5 verschiedene Grade dieser Anomalie. Der vollkommenste Grad derselben ist der, wenn eine supernumeräre Fleischportion bis gegen oder selbst hinter den Öleidomastoideus ununterbrochen, oder in der Regel durch eine Lücke unterbrochen, an das Schlüsselbein sich in- serirt. Im letzteren Falle endigt ein Theil der Bündel jener r Fleischportion an einem über das Schlüsselbein gespannten sehnigen Bogen, welcher mit letzterem ein Loch bildet, durch das immer Nervi supraclaviculares, alle oder doch einige, her- austreten, und die Vena jugularis externa posterior in der Re- gel, nicht immer, zur Vena subelavia hineintritt. Einer der unvollkommensten Grade ist aber jener, wenn von dem vorde- ren Rande des Cucullaris an dessen Insertion an das Schlüssel- bein, oder 4—6 L. darüber, eine rundlich platte Sehne’ ent- steht, welche über das von Muskelinsertion freie Mittelstück des Schlüsselbeines setzt und an dieses neben oder hinter dem Cleidomastoideus sich anheftet. Statt dieser vom Cueul- larıs abgehenden Sehne, welche mit dem Schlüsselbeine ebenfalls ein Loch zum Durchtritte der genannten Nerven und der bezeichneten Vene bildet, kann ein vom Cucullaris ganz unabhängiger, selbstständiger, über dem Mit- telstücke des Schlüsselbeines bogenförmig ausge- spannter Muskel, der eigentliche Oberschlüsselbein- muskel Musculus supraclavicularis proprius vorkommen.

Der Oberschlüsselbeinmuskel (a) ist bandförmig, über das Mittelstück des Schlüsselbeines von der Tuberositas scapu- larıs des Acromialstückes desselben bis zur oberen Seite des Sternalstückes bogenförmig gespannt, an seinem lateralen Ende vom Cucullarıs und an seinem medialen Ende vom Cleidoma- stoideus bedeckt und 3!/, Zoll lang.

3) Vier Abhandlungen aus dem Gebiete der medic.-chir. Anatomie. Berlin 1847. 8°. S. 17. Taf. LU.

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 705

Der Muskel ist in seiner Mitte fleischig, an seinen Enden sehnig. Er heftet sich mit der kürzeren und breiteren late- ralen Sehne, welche vom Oucullaris bedeckt ist, an den hin- teren Rand des Acromialstückes des Schlüsselbeines über dem Ansatze des Ligamentum coraco-claviculare, mit dem Ende der längeren und schmäleren medialen Sehne an die obere Fläche des Sternalstückes des Schlüsselbeines hinter dem Cleidomastoi- deus. Die aus starken Bündeln bestehende laterale Sehne ist 6 L. lang und SL. breit; kehrt die eine Fläche nach vorn, die andere nach hinten. Die platte mediale Sehne ist 9L. lang und 2 L. breit; kehrt die eine Fläche nach aufwärts, die andere zum Schlüsselbeine abwärts. Die mittlere fleischige Portion, an deren hinterem Rande sich die mediale Sehne noch bis über die Mitte der Länge des Muskels lateralwärts fortsetzt, ist 2!/, Z. lang, 4 L. breit und 1 L. dick; kehrt zu- erst die eine Fläche rückwärts und die andere vorwärts, später erstere aufwärts und die letztere zum Schlüsselbeine abwärts. Der Muskel krümmt sich daher nicht nur in etwas schräger Richtung über das Mittelstück des Schlüsselbeines, sondern dreht sich_ während seines Verlaufes auch zugleich um seine Achse und zwar vom lateralen zum medialen Ende so, dass seine hintere Fläche allmählich obere und sein oberer Rand all- mählich vorderer wird.

Die elliptische Lücke zwischen dem Muskel und dem Mit- telstücke des Schlüsselbeines ist in transversaler Richtung 2Z., in verticaler 6 L. weit. Durch dieselben traten wohl die Nervi supraclaviculares heraus, nicht aber die Vena jugularis externa posterior hinein, welche anomaler Weise vor dem Schlüssel- beine in die Regio infraclavicularis herabstieg, durch die Fossa infraclavicularis in das Trigonum clavi-pectorale drang und in die Vena axillaris mündete.

Der Muskel liegt in einer Scheide der Halsfascie und wird durch letztere über dem Schlüsselbeine in Bogenform ge- krümmt erhalten. Er muss bei seiner Contraction diese Fascie spannen, ist somit ein Tensor fasciae colli.

Ich habe diesen Muskel. bis jetzt nur 1 Mal und zwar an

der linken Seite der Leiche eines Mannes gefunden, die ich Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 46

706 W. Gruber:

am 17. Februar 1365 untersuchte. Die Leiche war eine jener 30, welche ich in letzterer Zeit behufs Ausmittelung gewisser Verhältnisse in der Schultergürtelregion zur Untersuchung ver- wendete.

2. Zwei Varianten des Musculus sterno-elavieularis anticus s. praeclavicularis medialis.

Ich hatte den von mir medianwärts vor dem Schlüsselbeine in 3 Fällen gesehenen, 1360 beschriebenen und abgebildeten Vorderschlüsselbeinmuskel Sterno-clavieularis anticus s. praeclavicularis genannt.) Die Benennung „Sterno-elavicularis antieus* ist beizubehalten; statt der Benennung „Praeclavicu- laris“ ist aber die „Praeclavicularis medialis* zu wählen, weil es noch einen anderen lateralwärts vor dem Schlüsselbeine ge- lagerten Vorderschlüsselbeinmuskel giebt, welcher den Namen „Praeclavieularis lateralis“ führt. Ich habe den medialen Vorderschlüsselbeinmuskel Praeclavicularis me- dialis seit jener Zeit noch an 7 Leichen, und zwar: im December 1860, im Februar 1861, im Januar 1863, im Novem- ber 1864, im Februar 1865, im April 1865 und im Mai 1865 angetroffen. Unter diesen Leichen gehören 6 dem männlichen, 1 dem weiblichen Geschlechte, 6 erwachsenen Individuen, 1 einem Kinde an. An 5 Leichen war der Muskel nur einseitig, 3 Mal rechts und 2 Mal links; an 2 Leichen beiderseitig, somit 9 Mal zugegen. An der Leiche eines Weibes seigte der nur linksseitig vorkommende Muskel eine ganz eigenthümliche An- ordnung, war ein „Praeclavicularis medialis singularis“. Un- ter den 2 Leichen mit beiderseitigem Vorkommen des Muskels ‚waren die Praeclaviculares mediales singulares an der von einem männlichen Kinde vor dem Handgriffe des Brustbeines in ein- ander übergegangen, hatten somit nur einen einzigen Muskel, den „Intercelavicularis anticus* gebildet. An den erste- ren 4 Leichen kam der Muskel bei Präparirübungen und an Präparaten zu Vorlesungen, also zufällig, zur Beobachtung;

1) Die supernumerären Brustmuskeln, a. a. O.

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 707

an den letzteren 3 Leichen aber wurde der Muskel unter den 90 Leichen gesehen, an welchen ich 1865 in der Schulter- gürtelregion geflissentlich Untersuchungen vorgenommen hatte. Ich fand an der Leiche eines Mannes rechts den ge- wöhnlichen Praeclavicularis medialis, an der eines Weibes links eine Variante desselben, d. i. den Praeclavicularis medialis singu- laris; und an der eines männlichen Kindes vorige Variante beider- Seits bei Verschmelzung beider Muskeln zu einem einzigen Muskel d.i. zum Interclavicularis anticus digastriecus. Es kam somit der Praeclavicularis unter je 30 Leichen und unter je 45 Schulter- gürteln 1 Mal vor. Unter denselben 90 Leichen traf ich den supraclavieularis Haller Luschka auch an 3 (an- deren) Leichen und nur einseitig, und zwar: rechts an der Leiche eines Mannes, links an der eines Weibes und eines weiblichen Kindes. Es kam somit der Supraclavicularis unter je 30 Leichen und unter je 60 Schultergürteln 1 Mal, d. i. nach der Anzahl der Leichen gleich häufig wie der Praeclavicularis, und nach der Anzahl der Schultergürtel weniger oft wie der- selbe Muskel vor. Nach diesen neueren und den frühe- ren Beobachtungen über beide Muskeln glaube ich mich zu folgenden Schlüssen berechtigt: Der Praeclaviecu- larıs medialis (mihi) giebt dem Supraclavicularis me- dialis (Haller Luschka) an Häufigkeit des Vorkommens nichts oder nur wenig nach; ersterer übertrifft letzteren an Mächtigkeit; ersterer kann mit demselben Muskel der an- deren Seite ebenso zum Interclavicularis anticus (mihi) ver- schmelzen, wie letzterer mit dem gegenüber liegenden Muskel zum Interclavicularis superior (Hyrtl); ersterer muss wegen seiner ganzen Anordnung und Mächtigkeit einen Einfluss auf die Festigkeit des Sternoclaviculargelenkes und die Stellung des Schlüsselbeines ausüben, also eine Wirkung haben, welche letzterer entweder kaum ausübt, wie sein Wiederentdecker meint, oder doch gewiss nur im geringeren Maasse haben kann. Der mediale Vorderschlüsselbeinmuskel war in den neuen Fällen, abgesehen von den Fällen, in welchen er als Praeclavieularis medialis singularis und Interelavieularis anticus auftrat, entweder so gestaltet, wie ich ihn früher beschrieben hatte, oder kam 46*

708 W. Gruber:

dreieckig oder rundlich bandförmig vor, und erreichte in den- selben Fällen eine Länge von 1 Z. 8L. bs 32 3L. einem Falle bei rechtsseitigem Vorkommen ging sein oberstes Bündel sehnig in die Sternalportion des Pectoralis major der linken Seite über.

Erste Variante. Musculus sterno-clavicularis antieus s. praeclavicularis medialis singularis. (Fig. 2.)

Die Clavicularportion des Pectoralis major fehlt bis auf einen lateralen Streifen, welcher, 2 L. medianwärts vom Del- toideus, von dem Schlüsselbeine ®/, Z. breit entspringt (e‘). Zwischen der rudimentären Clavicularportion des Pectoralis major und dem Deltoideus liegt der gewöhnliche, an dem Schlüsselbeine sehr schmale Suleus coraco - deltoideus. Die Sternocostalportion des Pectoralis major ist vollständig zugegen. Von derselben inserirt sich aber das starke, oberste Bündel («) nicht an das Sternum, sondern an die Ursprungssehne des Praeclavicularis (a). Zwischen dem Praeclavieularis, dem Bündel der Sternalportion des Pectoralis major zu ersterem und der rudimentären Ölavicularportion des Pectoralis major ist die oberflächliche Schicht der museulösen vorderen Wand des Cavum axillare durch eine grosse dreieckige Lücke durch- brochen, welche an ihrer Basis am Praeclavicularis 2'/, Z. weit ist. Hinter der Lücke liegen der Subelavius, der Insertionstheil des Pectoralis minor, Abschnitte des Trigonum clavipectorale und subpectorale u. s. w. zu Tage. Der Pectoralis minor ent- springt mit der obersten Zacke von der 2. Rippe, verhält sich sonst normal.

Der Praeclavicularıs singularis (a) liegt vor dem Handgriffe des Brustbeines, vor dem Sternoclaviculargelenke und vor dem Schlüsselbeine bis zu dessen Acromialstück, zum Deltoideus und oberen Ende des Sulcus coraco-deltoideus late- ralwärts, über dem Subelavius und dem Ursprunge der radi- mentären Clavicularportion des pectoralis major in einer eigenen starken Muskelscheide. Derselbe ist plattrundlich, reicht von der Medianlinie des Brustbeines bis zum Deltoideus, ist 9 Z. lang, wovon auf die Ursprungssehne 2—2!/, Z. kommen, 4—6L. breit und am Fleischtheile 2 L. dick.

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 709

Der Muskel entspringt 4—6 L. unter dem oberen Rande des Handgriffes des Brustbeines neben dessen Medianlinie mit einer starken und 6 L. breiten Sehne. Er krümmt sich mit dieser Sehne, deren oberste Bündel («) der Sternalportion des Pectoralis major (c”) zur Insertion dient, vor der Kapsel des Sternoclaviculargelenkes und vor dem Sternalstücke des Schlüs- selbeines, an Dicke zu und an Breite (bis 4 L.) abnehmend, lateralwärts und geht in den von oben und vorn nach unten und hinten comprimirten fleischigen Körper über. Dieser be- steht aus Bündeln, welche um so länger sind, je weiter vorn und lateralwärts sie von der Ursprungssehne abgehen. Von diesen Bündeln endigen die vorderen und lateralen langsehnig, die übrigen kurzsehnig. Die sehnigen Enden der ersteren bil- den am lateralen Ende des Muskels über der Clavicularportion des Pectoralis major eine 5—6 L. lange sehnige Zacke. Mit den kurz- und langsehnigen Enden der Bündel inserirt sich der Muskel an den oberen Rand der vorderen Fläche des Mittel- stückes des Schlüsselbeines , von einer Stelle angefangen, die 1'/, Z. lateralwärts von dessen Sternalende liegt, bis zum Ur- sprunge des Deltoideus. Vom Subelavius ist der Muskel me- dianwärts durch einen 2!/,—35 L. weiten Zwischenraum, welcher mit Bindegewebe und Fett angefüllt ist, und lateralwärts durch den Ursprung der rudimentären Clavieularportion des Pectoralis major geschieden. Seine Ursprungssehne hängt mit der Kapsel des Sternoclaviculargelenkes und sein sehniges laterales Ende mit der rudimentären Clavicularportion des, Pectoralis major durch kurzes Bindegewebe fest zusammen.

Die Wirkung dieses mächtigen Muskels wird nicht nur darin bestehen, das Schlüsselbein fester in die Brustbeinpfanne hineinzudrücken, sondern dasselbe zugleich mit seinem lateralen Theile vorwärts zu bewegen.

Der gewöhnliche Sterno-clavicularis anticus s. praeclavicularis medialis entspringt vom Handgriffe des Brustbeines, tritt durch den Sulcus pectoralis zwischen der Sternal- und Clavieularportion des Pectoralis major aus der Sternal- in die Infraclavicularregion und inserirt sich hinter der Clavieularportion des Pectoralis major an das Schlüsselbein,

710 W. Gruber:

Ist der Sulcus pectoralis unter dem Sternoelaviculargelenke un- gewöhnlich weit, so liegt der Ursprungstheil des Muskels unter der Haut und Fascie frei zu Tage und es ist nur sein Inser- tionstheil von der Clavicularportion des Pectoralis major be- deckt. Die neue Variante entspringt, verläuft und inserirt sich wie der gewöhnliche Muskel. Allein statt des Suleus pecto- ralis ist eine weite Lücke, in Folge des Mangels eines grossen Theiles der Clavicularportion des Pectoralis major , zugegen. Ihre Ursprungssehne ist mit einem starken Bündel der Sternal- portion des Pectoralis major verwachsen. Ihr laterales Ende, das in den Bereich der rudimentären Ölavicularportion des Pectoralis major reicht, inserirt sich, statt unter dieser, über ihr, wodurch sie in ihrer ganzen Länge nur von der Haut und Fascie bedeckt, sichtbar wird. Diese Verschiedenheiten der neuen Variante von dem gewöhnlichen Muskel benehmen der- selben zwar nicht die Bedeutung als Sterno-clavicularis anticus . s. praeclavieularis medialis, aber sie bezeichnen sie dennoch als eine besondere Art desselben, als einen „Musculus singu- laris.*

Ich habe diesen Muskel im April 1865 an der linken Seite der Leiche eines Weibes gefunden, welche unter dieselben 90 Leichen gehörte, an welchen ich den vorigen und den nächst- folgenden Muskel und den gewöhnlichen Sterno-clavieularis an- ticus angetroffen hatte.

Zweite Variante. Musculus interclavicularis anticus digastricus (Fig. 3).

Die Clavicularportion jedes Pectoralis major ist unvollständig. _ Es fehlt von derselben medianwärts am rechtsseitigen Muskel eine grössere am linksseitigen Muskel eine kleinere Abtheilung. Die Clavicularportion des rechtsseitigen Muskels ist dadurch auf ein nur 2!/, L. breites Bündel (e‘), die des linksseitigen auf einen 6 L. breiten Kopf reducirt (e‘‘). Die unvollständige Clavicularportion jedes Muskels entspringt von dem Schlüssel- beine, 1!/, L. medianwärts von dem Ursprunge des Deltoideus, und bildet mit letzterem den gewöhnlichen Suleus coracodeltoi- deus, Die Sternocostalportion jedes Pectoralis major ist voll-

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 711

ständig zugegen. Von der Abtheilung dieser Portion, welche sich an den Handgriff des Brustbeines haftet, trennt sich am rechtsseitigen Muskel eine oberflächliche, 8 L. breite Schichte (y), und isoliren sich am linksseitigen Muskel zwei oberfläch- liche, 1 L. breite Bündel (36). Jene Schichte des rechtssei- tigen Muskels vereinigt sich theilweise mit dem Ende des rechts- seitigen Bauches des Interclavieularis anticus und inserirt sich 'grösstentheils an die rechte Hälfte des queren Schenkels der medianen Sehne desselben; diese Bündel des linksseitigen Mus- kels verschmelzen mit dem Ende des linksseitigen Bauches des Interclavieularis antieus und endigen sehnig in der linken Hälfte des queren Schenkels und im absteigenden Schenkel der me- dianen Sehne desselben. Der Sulceus pectoralis zwischen der Claviceular- und Sternalportion des Pectoralis major gewöhnlicher Fälle ist jederseits eine weite Lücke geworden, welche an ihrer Basis am Schlüsselbeine rechts 8 L., links 4!/, L. weit ist, rechts weiter abwärts reicht als links, somit rechts grösser als links ist. Während der rechtsseitige Bauch des Interelavicularis anticus die Lücke an ihrer Basis begrenzen hilft, tritt der links- seitige .Bauch desselben Muskels durch die Lücke, wie der Sterno-clavieularis anticus durch den Sulcus pectoralis in ande- ren Fällen. Hinter der Lücke jeder Seite werden Theile des Subelavius und Pectoralis minor, die normal sich verhalten und Abschnitte des Trigonum clavipectorale und subpectorale u. s. w. sichtbar.

Der Interclavicularis anticus digastricus (aa) hat seine Lage in der Sternalregion und beiden Infraclavieularre- gionen, vor dem Handgriffe des Brustbeines, vor den Sterno- clavieularkapseln und vor den Schlüsselbeinen. Derselbe be- steht aus zwei Bäuchen ($7‘), und einer medianen Sehne («). Jeder Bauch hat seine eigene Muskelscheide, kreuzt mit seinem medialen Ende den Subelavius seiner Seite und ist von diesem durch Bindegewebe und Fett geschieden. Jeder Bauch ist mit der Sternoelavicularkapsel durch kurzes Bindegewebe vereinigt. Das laterale Ende des rechten Bauches liegt über der Clavicularportion des Pectoralis major, das des linken unter derselben. Der quere Schenkel der medianen Sehne ist vor

712 W,. Gruber:

der Insertion beider Sternomastoidei an den Handgriff des Brust- beines gelagert.

Beide Bäuche, namentlich der linke, sind spindelförmig. Der rechte Bauch ist kürzer und schwächer, der linke län- ger und stärker. Der rechte Bauch mit der entsprechenden Hälfte des queren Schenkels der medianen Sehne ist 1!/, Z. lang, am Fleischtheile 1 L. breit und !/, L. dick; der linke ist 1!/, Z. lang, am Fleischtheile in verticaler Richtung bis 2 L., in sagittaler bis 1 L. dick.

Der rechte Bauch (%) ee von dem Mittelstücke des Schlüsselbeines über der rudimentären Clavicularportion des Pectoralis major und zwar von einer Stelle, die 3 L. me- dianwärts vom Ursprunge des Deltoideus liest, bis zu einer Stelle 6 L. lateralwärts von dem Sternalende. Dasselbe geht an oder lateralwärts von dem Sternoclavieulargelenke in die mediane Sehne des Muskels über. Der linke Bauch ($°) ent- . springt vor dem Mittelstücke des Schlüsselbeines unter der Clavicularportion des Pectoralis major in einer Strecke von ı/, Z. und zwar von einer Stelle angefangen, die 2 L. median- wärts vom Ursprunge des Deltoideus liegt, bis etwas über den Ursprung der Clavicularportion des Pectoralis major median- wärts hinaus. Derselbe geht erst am Handgriffe des Brustbeines in die mediane Sehne des Muskels über.

Die mediane Sehne («) hatte eine 'Yförmige Gestalt, be- steht aus einem oberen queren und einem medianen abstei- genden Schenkel. Der quere Schenkel geht bogenförmig gekrümmt (mit der Ooncavıtät aufwärts) von einem Bauche zum anderen, vor dem Handgriffe des Brustbeines, ohne sich hier anzusetzen, und vor und unter der Insertion der Sterno- mastoidei, hinüber. Derselbe ist 7 L. lang, wovon auf die rechte Hälfte 4 L., auf die linke 3L. kommen; an der rechten mehr fadenförmigen Hälfte ?/, L. und an der linken mehr band- förmigen Hälfte !/;, L. breit. Der absteigende Schenkel läuft vor der Medianlinie des Handgriffes des Brustbeines ver- tical abwärts, inserirt sich an diesen und verliert sich auf den Pectorales majores. Derselbe ist bandförmig, 3'/, L. lang und ®/, L. breit. Die oberen Fasern der Sehnen beider Bäuche

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 713

gehen im queren Schenkel der medianen Sehne des unpaaren Muskels in einander über; die unteren Fasern verlaufen im queren Schenkel gegen einander, vereinigen sich in der Me- dianlinie, krümmen sich im den absteigenden Schenkel der me- dianen Sehne, steigen in diesem abwärts und befestigen sich am Handgriffe des Brustbeines.

Der beschriebene unpaare Muskel ist offenbar aus der Verschmelzung beider Sterno-claviculares antici ent- standen, welche unter der Form voriger Variante aufge- treten waren. Die Muskeln wurden die Bäuche und deren ver- schmolzene Ursprungssehnen die mediane Sehne des unpaaren Muskels. Würden die Ursprungssehnen zur unpaaren Sehne sich vereinigt und damit an das Brustbein ganz sich angeheftet haben, so hätte man einen durch Verschmelzung der Sterno- claviculares antici entstandenen Musculus impar bicaudatus vor sich gehabt. Da aber die Ursprungssehnen mit ihren oberen Fasern, ohne Insertion an das Brustbein, vor diesem bogenför- mig in einander übergingen, und nur mit ihren unteren Fasern zu einem längeren, medianen Bündel sich vereinigten, welches die beiden Muskeln gemeinschaftliche Sehne abwärts am Hand- griffe des Brustbeines anheftete, so kam durch Verschmelzung der Sterno-clavieulares antici ein Interclavicularis ant'cus digastricus mit einer medianen Sehne zu Stande, welche durch das Bündel, das sie am Brustbeine befestigte, und durch die zu ihr sich begebenden Bündel der Pectorales majores bo- genförmig gekrümmt und abwärts gezogen erhalten wurde. Diese Verschmelzung der Sterno-claviculares antici zu einem unpaaren Muskel ist analog der Verschmelzung der Sterno-ela- viculares superiores, welche J. Hyrtl') in zwei Fällen beob- achtet hat. Der eine Fall war ein Sterno-clavicularis superior impar bicaudatus, der andere ein Interclavicularis superior. Dieser unterschied sich von unserem Interclavicularis anticus dadurch, dass er auch in der Mitte fleischig war und am Brust-

1) Zwei Varianten des Sterno-clavieularis. Sitzungsberichte der math.-naturw. Classe d. Kais. Akademie d. Wissensch. Bd. XXIX. Wien 1858, S. 265. Fig.1,2.

714 W. Gruber:

beine keine Insertion hatte. Würden die obersten, über dem Brustbeine und vor der Insertion der Sternocleidomastoidei ge- lagerten Portionen der Pectorales majores bei Myogale, welche fleischig oder nur durch eine sehnige Zwischenlinie getrennt in einander übergehen, von den Schlüsselbeinen entspringen, was nicht der Fall ist; nur dann könnte allenfalls unser vor (und unter) der Insertion der Sternocleidomastoidei gela- gerte Interclaviceularis anticus des Menschen, niemals aber Hyrtl’s Interclavieularis superior, welcher hinter der Insertion der Sternocleidomastoidei Platz nimmt, als Analogon jener ver- schmolzenen Portionen der Peetorales majores bei Myogale ge- nommen werden.

Der mächtige Muskel, welcher die Schultergürtel fast von einem Deltoideus zum anderen umgiebt, kann keine andere Wirkung haben, als die Schlüsselbeine hineinzudrücken und zu- gleich die lateralen Enden der Schlüsselbeine zu fixiren. Diese Wirkung wird in Folge Fixirung der medianen Sehne durch deren absteigenden Schenkel nach unten und durch Zug der an sie sich inserirenden Bündeln der Pectorales Sin nach ab- wärts noch verstärkt werden müssen.

Ich habe den Muskel im Mai 1865 an der Leiche eines männlichen Kindes und, wie angegeben, unter jenen 90 Leichen gefunden, an welchen ich auch die vorher beschriebenen Mus- keln angetroffen hatte.

3) Musculus acromio-clavicularis s. praeclavicularis lateralis. (Fig. 4.)

Der Muskel (a) liegt vor dem Acromialstücke des Schlüs- selbeines, vor dem Acromioclavivulargelenke und auf der Cla- vicularportion des Deltoideus. Derselbe ist bald länglich vier- seitig bandförmig, bald länglich dreiseitig. Er kehrt die obere Fläche zur Haut, die untere zum Deltoideus; den vorderen, ge- wöhnlich etwas convexen Rand medianwärts, den hinteren con- caven Rand gegen das Schlüsselbein und die Acromioclavicular- kapsel. Seine Länge varüirt von 2 Z. bis 2Z.3 L.; seine

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 715

Breite ist bald an allen Stellen dieselbe oder geringer am Ur- sprunge als an der Insertion, und varırt an jenem von 2 bis 9 L., an dieser von 6—9 L.; seine Dicke misst am Fleisch- +heile 2—4 L.

Der Muskel (a) entspringt bald und allein von der Spitze des Acromion (2) vor und neben dem Acromioclavieulargelenke sehnig oder fleischig-sehnig, bald von dieser und zugleich vor- wärts von der sehnigen Partie des von der Spitze des Acro- mion entspringenden Bündels des Deltoideus. Er wird sogleich oder erst in der Mitte seiner Länge fleischig und verläuft ge- krümmt oder gestreckt schräg medianwärts und rückwärts. Er inserirt sich an den vorderen Rand des Acromialstückes des Schlüsselbeines 9—14 L. von dessen Acromialende medianwärts und 6—9 L. vom vorderen medialen Rande des Deltoideus la- teralwärts über der Clavicularportion des letzteren oder mit seinem Ende theilweise oder ganz zwischen zwei Schichten des Bündels derselben geschoben, welches vom Schlüsselbeine me- dianwärts vom Ansatze des Ligamentum coracoclaviculare seinen Ursprung nimmt.

In einem Falle linksseitigen Vorkommens des Muskels von dreiseitiger Gestalt fehlte das Bündel der Clavicularportion des Deltoideus, welches lateralwärts vom Ansatze des Ligamentum coracoclaviculare vom Schlüsselbeine entspringt.

Der Muskel ist mehr ein selbständiger anomaler Mus- kel, als ein abirrendes Bündel der Clavicularportion des Del- toideus, welches sich von der Oberfläche oder aus der Tiefe der letzteren losgelöst hätte.

Der Muskel bewirkt grössere Annäherung des Acromion’s und des Acromialendes der Clavieula und vermehrt dadurch die Festigkeit des Acromioclaviculargelenkes. Bei Fixirung des Acromion vermag er den Acromialtheil des Schlüsselbeines vor- wärts zu ziehen.

Ich habe diesen Muskel so beschrieben, wie er an 5 vor mir liegenden Präparaten von 3 männlichen Leichen zu sehen ist, Unter 140 Leichen, welche ich im Verlaufe des vorigen Studienjahres zur Bestimmung der Häufigkeit seines Vorkom-

716 W. Gruber:

mens untersuchte, habe ich den Muskel nur 1 Mal an der lin- ken Seite einer männlichen Leiche gesehen. Der Muskel ist daher ein viel seltener vorkommender Muskel als der Sterno- clavicularis anticus.

Von allen beschriebenen Muskeln habe ich die Präparate in meiner Sammlung aufbewahrt.

Die bis jetzt bekannten supernumerären Schlüssel- beinmuskeln sind somit folgende: 1) Sterno-clavicularis superior s. supraclavicularis medialis Haller Luschka. Varianten: a) Impar bicaudatus Hyrtl.

b) Interelavicularis superior Hyrtl.

c) Cleido-fascialis Rambaud et Car- cassonne (Fasceau musculaire ano- mal de la region sur-clavieulaire. Gaz. med. de Paris 1864, Nr. 13, p. 191).

2) Sterno-clavicularis anticus s. praeclavicularis medialis Gruber. Varianten: a) Singularis Gruber. b) Interelavicularis anticus digastrieus

Gruber. 3) Sterno-clavicularis posticus s. retroclavicularis medialis M. J. Weber. 4) Supraclavieularis (proprius) Gruber.

9) Acromio-clavicularis s. praeclavicularis lateralis Gruber. 6) Coraco-clavicularis (singularis) Gruber.

Anmerkung. Bei dieser Gelegenheit theile ich mit,. dass ich den M. scapulo-costalis minor (subelavius posticus), der von Rosen- müller Beiträge für die Zergliederungskunst, Bd. I, H. 3, Leipzig 1809, S. 375, Tab. II.gh nach 1 Falle; von R. Wagner Heu- singer's Zeitschrift für organische Physik, Bd. 3, Eisenach 1833, S. 335,d ebenfalls nach 1 Falle; und von mir Neue Anomalien Berlin 1849, 4°, S. 19. Die supernumerären Brustmuskeln, S. 8,

Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln. 717

Tab. 2, Fig. 2. nach 5 Fällen, bei welchen in 2 der normale Subelavius zugegen war, in 3 aber fehlte, beschrieben und abgebildet worden war, noch in 4 Fällen an männlichen Leichen im Februar und November 1863 und im October 1864 angetroffen hatte, Der Muskel kam 1 Mal rechts und 3 Mal links; 1 Mal bei Vorhandensein des normalen Subelavius und 3 Mal bei Mangel des letzteren vor. In 3 Fällen inserirte er sich an den Knorpel und in 1 Falle an das knöcherne Ende der ersten Rippe. In zwei Fällen entsprang er vom oberen Schulterblattrande; in dem dritten Falle davon, vom Ligamen- tum transversum scapulae und dem Processus coracoideus; in dem vierten Falle von dem Ligamentum transversum scapulae, dem Pro- cessus coracoideus und dem Ligamentum conoideum. Ehlers Eine Varietät des M. subeutaneus colli, M. sternocleidomastoideus und M. subelavius. Zeitschrift für rationelle Medicein, Reihe 3, Bd. 21, Heft 3, S. 297 hat diesen eilf Fällen, wovon er die vor ihm beschriebenen 7 Fälle ignorirte, einen zwölften beigefügt, welchen er an der linken Seite eines Mannes zugleich mit einer Varietät des M. subeutaneus colli und M. sternocleidomastoideus derselben Seite und mit einer das Ligamentum transversum scapulae ersetzenden Knochenspange beobachtet hatte.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Linker Schultergürtel eines Mannes (Ansicht von hinten). 1 Schlüsselbein, 2 Schulterblatt (hinterer medialer Theil abgesägt), 3 Knorpel der ersten Rippe. a Musculus supraclavicularis (proprius), b M. cleidomastoideus, ce Clavicularportion des M. eu- eullaris, d M. subelavius, e Ligamentum coracoclaviculare.

Fig. 2. Linke Sternoinfraclavicularregion eines Weibes. 1 Schlüs- - selbein, 2 Handgriff des Brustbeines. a Musculus sterno-clavi- cularis antieus s. praeclavicularis medialis singularis, b M. subelavius, c M. peetoralis major, c’ rudimentäre Clavicularpor- tion desselben, c‘' Sternalportion desselben, « Bünde der letzteren zum M. sterno-clavicularis anticus medialis singularis, d M. pectoralis minor, e Clavieularportion des M. Deltoideus.

Fig. 3. Brust, Schultern u. s. w. eines männlichen Kindes (An- sicht von vorn). a Musculus interelavicularis anticus di- gastricus, « mediane Sehne, 3 rechter, ?’ linker Bauch desselben, bb M. sternocleidomastoidei, ec M. subelavii, dd M. deltoidei, ee M. pectorales majores, e’ Clavicularportion des rechten, e'' Ülavieular-

718 W. Gruber: Neue supernumeräre Schlüsselbeinmuskeln.

portion des linken derselben, e‘'' Sternocostalportionen derselben, y oberflächliche Schichte der Sternalportion des rechten M. pectoralis major zum rechten Bauche und zur medianen Sehne des M. interela- vicularis anticus digastricus, dd Bündel der Sternalportion des linken M. pectoralis major zum linken Bauche und zur medianen Sehne des- selben Muskels, ff M. pectorales minores.

Fig. 4. Rechter Schultergürtel eines Mannes (Ansicht von oben und vorn). 1 Schlüsselbein, 2 Acromion, 3 Schulterkamm. a Mus- ceulus acromio-clavicularis s. praeclavicularis lateralis, b M. supraspinatus, c M. deltoideus, d Acromioclavicularkapsel, e Li- gamentum coracoclaviculare.

St. Petersburg, im August 1865.

H. Meyer: Das Kiefergelenk. 719

Das Kiefergelenk.

(Siebenter Beitrag zur Mechanik des menschlichen Knochen- gerüstes. Vergl. dieses Archiv 1861, S. 137.)

Von

Prof. HERMANN MEYER in Zürich.

Das Kiefergelenk bietet trotz verschiedener Arbeiten, welche über dasselbe unternommen worden sind, immer noch einige nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten. Diese gründen sich zum Theil allerdings auf die Kleinheit der der Untersuchung vor- liegenden Gelenkflächen, zum grössten Theile aber auf die Man- nichfaltigkeit der Bewegungen, welche alle in der Gestaltung eines und desselben Gelenkes ihren Ausdruck finden müssen. Nicht unbeträchtlich wird die Schwierigkeit der Untersuchung noch dadurch vermehrt, dass gerade in dem Kiefergelenke so viele individuelle Schwankungen in den Gestalten der einzelnen Theile wahrzunehmen sind, ja dass sogar manchmal in demsel- ben Individuum die Gelenke beider Seiten nicht unerhebliche Verschiedenheiten zeigen. So mancherlei Aufklärung wir nun auch schon über den Mechanismus des fraglichen Gelenkes be- sitzen, so ist doch eine Frage noch keineswegs hinlänglich ge- löst, die Frage nämlich, wie die schiefe, nach hinten convergi- rende Lage der Condylenachsen und die damit in Zusammen- hang stehenden Verhältnisse der Cavitas glenoides und des Tuberculum articulare zu deuten seien und wie namentlich bei dieser Richtung der Achsen. ein Geradevorwärtsschieben des Unterkiefers möglich sei. In dem Folgenden hoffe ich durch

720 H. Meyer:

erneute Untersuchung des Kiefergelenkes einen Beitrag zur Lö- sung dieser Frage geben zu können.

In dem Kiefergelenke sind drei Grundformen der Be- wegung möglich, nämlich:

1) eine Oeffnungsbewegung des Unterkiefers, dieselbe kommt allein zu Stande zwischen dem Condylus mandi- bulae und dem Meniscus und kann in ausgiebiger Weise nur ausgeführt werden, wenn der letztere durch die so- gleich zu nennende Bewegung eine nach vorn veränderte Lage auf dem Tubereulum articulare eingenommen hat;

2) eine Verschiebung des Unterkiefers nach vorn, diese wird zwischen dem Meniscus und dem Tuberculum arti- culare ausgeführt, und

3) eine Drehbewegung des Unterkiefers um eine in dem Ge- lenke einer Seite befindliche annähernd senkrechte Achse, diese ist in dem Gelenke auf der Seite der Achse eine Drehbewegung, in dem Gelenke der anderen Seite dagegen eine Bewegung des Vorwärtsrutschens und kann sich in verschiedenem Grade mit der Oeffnungsbewegung des Unterkiefers verbinden.

Von diesen drei Bewegungsformen finden wir die erste mit Naturnothwendigkeit in der ganzen Reihe der Säugethiere vor; . die zweite verbindet sich bei manchen Thieren allein mit die- ser, und bei einer vorherrschenden Mehrzahl von Thieren findet sich neben diesen beiden auch noch die dritte Bewegungs- möglichkeit vor, welche indessen, da sie wesentlich auf die Möglichkeit des Vorrutschens angewiesen ist, niemals ohne die zweite beobachtet wird.

Das menschliche Kiefergelenk enthält in sich alle ge- nannten drei Bewegungsmöglichkeiten, ohne dass seine Einrich- tung eine derselben als vorherrschend begünstigt zeigte.

Um nun die Gestaltung des Kiefergelenkes in Bezug auf diese Möglichkeiten genügend zu deuten, wird es zweckmässig erscheinen, den Meniscus, als für das Verständniss unwichtig, vorläufig ganz auf der Seite zu lassen. Es ist damit seine Wichtigkeit für den ganzen Mechanismus des Gelenkes keines- wegs verkannt und die Bedeutung der zweierlei Gelenkverbin- *

Das Kiefergelenk. 721

dung, welche er gegen das Tuberculum und gegen den Condy- lus besitzt, keinesweges ignorirt, indessen gewinnt die Auffas- sung für das Folgende entschieden an Einfachheit, wenn man die Bewegungsfähigkeit der beiden walzenähnlichen Körper (Condylus und Tubereulum) gegen einander als eine vollständig selbständige ansieht und in dem Meniscus nur das Hülfsmittel erkennt, diesen Bewegungen Sicherheit zu gewähren, wie denn in Wirklichkeit auch der Meniscus eine neue Bewegung nicht in das Gelenk hineinbringt und an den Stellen, welche ohne ihn Berührungsstellen zwischen Condylus und Tuberculum sein würden, mit einem papierdünnen Theile sich zwischenlagert, so dass seine Hauptmasse nur als eine Ausfüllung der klaffenden Lücken erscheint, welche durch das Auseinanderweichen der beiden Walzenperipherien erzeugt werden.

Die am Leichtesten zu übersehende Hinweisung auf die Er- klärung der Bewegungsmöglichkeiten aus der Gestaltung der Gelenkflächen ist in dem Condylus des Unterkiefers ge- geben, an dessen Gestalt sich drei scharf geschiedene Theile leicht erkennen lassen, wenn auch vielleicht manche Exemplare den Charakter dieser drei Theile weniger ausgesprochen zeigen und man deshalb denselben erst einmal an einem recht typi- schen Exemplar deutlich gesehen haben muss, um ihn an allen Condylen wieder zu finden.

In einer hinteren oder vorderen Ansicht des Condylus sieht man nämlich für’s Erste eine nach oben vorspringende Kante, welche die obere Fläche des Condylus in zwei Theile scheidet, einen äusseren nach aussen abgedachten und einen inneren nach innen abgedachten. Von vorn gesehen gehört der innere Theil ganz der kleinen dreieckigen Platte an, welche an der inneren Seite des Condylus vorspringt und die Fovea condyloidea trägt. Diese beiden Theile sind indessen nicht allein durch ihre Abdachung unterschieden, sondern auch durch ihre Richtung, indem sie beide so gegen einander gestellt sind, dass sie einen nach hinten offenen stumpfen Winkel mit ein- ander bilden. Man kann sich hiervon am Besten überzeugen, wenn man die äusseren Endpunkte der Condylen beider Seiten

durch eine gerade Linie unter einander verbindet; man wird Beichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 47

722 H. Meyer:

dann finden, dass diese Linie durch die Mitte der äusseren Theile des Condylus beider Seiten geht, und dass der innere Theil sich mehr oder weniger scharf abgebrochen von dieser Linie nach hinten wendet, um mit dem entsprechenden Theile der anderen Seite in einem stumpfen Winkel zu convergiren. Die bekannte Convergenz der Condylen nach hinten, welehe man auf die ganzen Condylen zu beziehen pflest, hat daher nur auf die inneren Theile derselben Bezug, während die äusseren Theile beider Condylen so liegen, dass ihre Ach- sen Theile derselben geraden Linie sind.

Der dritte für die Bewegungsmöglichkeiten wichtige Theil des Condylus mandibulae ist eine flache dreieckige Grube (Fovea articularis condyli), welche sich auf der hinteren abgeflachten Seite des Condylus befindet und zwar an dem äusseren Ende des inneren Theiles desselben, also nach innen von der Leiste, welche inneren und äusseren Theil des Condy- lus scheidet. Diese Grube hat ihre Basis nach oben und ihre Spitze nach unten, und besitzt, wo sie gut ausgebildet ist, die Gestalt eines Theiles von einem Hohlkegel.

Diesen Theilen des Condylus entsprechend sind denn auch die Theile der Gelenkfläche für denselben an der Schä- delbasis. Man sieht vor der als Cavitas glenoides bekannten Vertiefung an dem Schläfenbeine das Tuberculum artieulare und an jedem Tuberculum articulare hat man einen in- neren und einen äusseren Theil zu unterscheiden; beide be- sitzen eine walzenförmige Oberfläche und liegen ähnlich wie die entsprechenden Theile des Condylus so, dass die Achsen der beiden äusseren Theile in dieselbe gerade Linie fallen, und dass dagegen die Achsen der beiden inneren Theile in einem stumpfen Winkel nach hinten convergiren; dabei zeigen die in- neren Theile ein Aufsteigen (richtiger Absteigen) gegen die Spina angularis des Keilbeines hin, an welcher sie endigen.

An dem hinteren Rande der Öavitas glenoides befindet sich als dritter Haupttheil dieser Gelenkfläche eine kleine kegelför- mige Hervorragung (Conus articularis), welche gerade an der Mündung des äusseren Gehörganges auf der hinteren Wur- zel des Processus zygomatieus steht. Die hintere Wurzel dieses

Das Kiefergelenk. 723

Fortsatzes spaltet sich nämlich, von unten gesehen , in zwei Leisten; die eine derselben bildet den hinteren Anfang der Linea semi-cireularis temporalis; die andere wendet sich in rein querer Richtung nach innen und geht in die vordere Be- grenzung der Fissura Glaseri über; ihr inneres Ende trifft au der Spina angularıs mit dem inneren Ende des inneren Theiles des Tuberculum articulare zusammen. Ehe diese Leiste die Mündung des äusseren Gehörganges erreicht, also unmittelbar nach aussen von dem Anfange der Fissura Glaseri, schwillt sie zu dem bezeichneten Kegel an. Dieser Kegel ist bald mehr bald weniger scharf ausgesprochen , indem er flacher oder ge- rundeter, höher oder niedriger beobachtet wird. In seiner ty- pischen Ausbildung ist er eine mit gerundeter Spitze endende Erhabenheit, welche dem Abschnitte eines Kegels (parallel der Achse genommen) ähnlich sieht.

Zwischen dem Tuberculum articulare und dem Conus arti- eularis liegt die Cavitas glenoides eingeschlossen. In der- selben ist ein weiterer äusserer Theil und ein innerer en- gerer Theil zu unterscheiden. Der äussere ist weiter und tiefer, grenzt vorn an den äusseren Theil des Tubereulum articulare, und umgreift hinten, namentlich gegen aussen, rinnenförmig den Conus artieularis. Der innere Theil zieht sich als schmalere Rinne aufsteigend (richtiger: absteigend) hinter dem inneren Theile des Tuberculum articulare gegen die Spina angularis hin und endet an dieser zugespitzt. Die ganze Cavitas glenoi- des besitzt dadurch eine annähernd dreieckige Gestalt; die bekannte Convergenz beider Gruben nach hinten kann indessen nur auf den inneren Theil derselben bezogen werden; dem äusseren kann man wegen seiner rundlichen Gestalt eine bestimmte Richtung überhaupt nicht zuerkennen.

Diese verschiedenen Theile beider Gelenkflächen gruppiren sich in folgender Weise zu zwei Gelenken im mechani- schen Sinne:

1) Der äussere Theil beider Condylen und der äussere Theil beider Tubercula bilden zusammen ein Gelenk, in welchem das symmetrische Vorrutschen des Unterkiefers zu Stande kommt. |

47*

724 H. Meyer:

2) Der Conus articularis mit dem umgebenden rinnenförmi- gen Theile der äusseren Abtheilung der Cavitas glenoides, sowie die Fovea articularis condyli auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die inneren Theile des Tu- berculum articulare, der Cavitas glenoides und des Con- dylus bilden zusammen das Dreligelenk für das einseitige Vorrutschen des Unterkiefers.

Die als Vorrutschen bezeichnete Bewegung bedeutet zu- nächst nur eine ÖOrtsbewegung der Condyluswalze über die Oberfläche der Tuberculumwalze hin; indessen ergiebt es sich aus dem Walzencharakter des Tuberculum , dass dieses Vor- rutschen eine Drehbewegung um eine in dem Tuberculum ent- hältene Achse sein muss, für welche Bewegung die obere Hohl- fläche des Meniscus führend wird. Für diese Bewegung ist es natürlich gleichgültig, welche Stellung dabei der Condylus um seine eigene Achse besitzt; es kann deswegen das Vorrutschen sowohl bei einer solchen Stellung geschehen, welche einem Schlusse des Unterkiefers an den Öberkiefer entspricht, als auch einer solchen, welche einer Oeffnung der Kiefern entspricht. Die für den Uebergang aus einer dieser Stellungen in die an- dere nothwendigen Bewegungen des Unterkiefers um die in seinem Condylus enthaltene Achse wird gesichert und geführt durch die untere Hohlfläche des Meniscus.. Der Meniscus betheiligt sich deshalb in zweierlei Weise an der Bewegung des Vorrutschens, ohne dabei eine andere Bedeutung zu ge- winnen, als diejenige der Sicherung der Bewegung des Condylus um die Achse des Tubereulum und um seine eigene Achse. Es ist dabei indessen zu bemerken dass auch ohne Oeffnungs- oder Schliessungsbewegung in dem Unterkiefer beim Vorrutschen eine Lagenveränderung des Meniscus gegen den Condylus sich mit Nothwendigkeit ergiebt, nur erscheint diese dann als eine Bewegung des Meniscus um die in dem Condylus enthaltene Achse. Was hier von dem Vorrutschen des Un- terkiefers gesagt ist, gilt in gleicher Weise auch für das Rück- wärtsrutschen desselben aus der vorgeschobenen Stellung.

Nach dem Gesagten werden wir die Bewegungen des Condy- lus über die der Articulation dargebotenen Flächen des Schläfen-

Das Kiefergelenk. 7125

beins immer als die Hauptsache und jedenfalls als das Bestim- mende anzusehen haben und können in diesem Sinne die bei- den oben bezeichneten Bewegungen genauer analysiren, ohne dabei auf die Bewegungen des Unterkiefers um die in seinen Condylen enthaltenen Achsen mehr als gerade nothwendig Be- zug zu nehmen.

Was zuerst das symmetrische (zweiseitige) Vorrutschen des Unterkiefers angeht, so ist diese Bewegung ziemlich einfach und verständlich, wenn man an dem festhält, was in dem Obi- gen bereits ausgesprochen ist, dass nämlich die äusseren Ab- theilungen beider Tubercula Theile desselben wal- zenähnlichen Körpers sind, und dass in gleicher Weise auch die äusseren Abtheilungen beider Condylen einem und demselben walzenähnlichen Körper ange- hören. Wenn nun wirklich das symmetrische Vorrutschen einzig zwischen den genannten Gelenktheilen zu Stande kommt, so besteht dieses nur in dem Uebereinanderrollen zweier Walzen mit parallelen Achsen unter Führung durch den Meniscus. Dass dieses auch in der That der Fall ist, davon überzeugt man sich, wenn man einen Unterkiefer über die zu- gehörigen Tubercula nach Entfernung des Meniscus nach vorn führt. Man findet nämlich alsdann , dass bei charakteristisch ausgebildeten Gelenkflächen, namentlich in leichter Oeffnungs- stellung des Unterkiefers, nur die äusseren Abtheilungen der Condylen und die äusseren Abtheilungen der Tubereula in Be- rührung sind, während zwischen den inneren Abtheilungen der beiden genannten Theile eine mehr oder weniger weit klaffende Lücke zu erkennen ist.')

1) Diese Bewegung ist es, welche bisher vorzugsweise besprochen wurde und welche zu einiger Controverse geführt hat, von welcher der Knotenpunkt der war, ob das Vorrücken des Condylus auf das Tubereulum direete Folge der Einwirkung der öffnenden Kräfte sei, oder indirecte. Jietztere Ansicht hatte ich früher selbst aus Versu- chen an dem Präparate gewonnen. Der betreffende Hauptversuch er- scheint so schlagend, dass Langer denselben in seinem Lehrbuche der Anatomie (S. 104) besonders anführt, wenn auch nur, um zu sa- gen, dass er nur am Präparate zulässig sei; man kann nämlich in

726 H. Meyer:

Für die Drehbewegung (einseitiges Vorrutschen) des Un- terkiefers liegt die Achse annähernd senkrecht und ist die Achse des kegelförmigen Körpers, von welchem der Conus articularis ein Theil ist. Gegen diese Achse lie- gen peripherisch auf der einen Seite: 1) die Oberfläche des Conus selbst, 2) die umgebende rinnenförmige Gestaltung in der äusseren Abtheilung, der Cavitas glenoides, und auf der an- deren Seite: 3) die innere Abtheilung des Tubereulum artieu- lare und 4) die hinter dieser gelegene innere Abtheilung der Cavitas glenoides.. Auf diesen Flächen bewegen sich nun die entsprechenden Flächen des Unterkiefers in folgender Weise: Es soll z. B. eine Vorschiebung im rechten Kiefergelenke statt- finden, so ist dieses eine Drehbewegung des ganzen Unter- kiefers um die Achse des linken Conus articularis, wobei die Fovea articularis condyli derselben Seite die Gelenkhöhle und Oberfläche des Conus artieularis darstellt. Untersucht man nun aber einen symmetrisch in der Cavitas glenoides beider Seiten stehenden Unterkiefer, so findet man, dass die Foveae articulares beider Seiten ihre Coni articulares nicht berühren, sondern weiter nach innen gestellt sind, so dass demnach die gegenseitige Entfernung beider Foveae von einander eine klei- nere ist als die gegenseitige Entfernung beider Coni von ein- ander. Wenn daher die linksseitige Fovea mit dem gleichsei- tigen Conus in Berührung gebracht werden soll, so ist dafür eine Verschiebung des ganzen Unterkiefers nach der linken Seite hin nothwendig. Dass eine solche im Anfange der Drehbewegung wirklich stattfindet, ist sowohl am Präparat als

der Cavitas glenoides den Condylus eine kleine Strecke weit im Sinne der Oefinung bewegen ; dann, wie es Langer treffend ausdrückt, „spannt sich das Lateralligament und schleudert das Unterkieferköpf- chen auf das Tuberkel.* Auf Grund dieses Versuches glaubte ich eine zweite Drehachse, durch die untere Anheftungsstelle beider Lig. lateralia externa gehend, annehmen zu müssen, welche die in den Uon- dylen enthaltene Achse in der Oeffnungsbewegung ablöst, so dass der zweite Theil der Bewegung um diese zweite Achse zu Stande kommt. Genauere Untersuchung führte mich indessen, wie aus Obigem er- sichtlich, zu der gleichen Meinung, zu welcher auch Langer und Henke geführt worden sind.

Das Kiefergelenk. 727

auch durch die Beobachtung am Lebenden zu constatiren, und es ist in dieser Beziehung von Interesse, dass der M. pterygoi- deus minor (externus), welchem die Ausführung der Drehbe- wegung durch Zug an‘dem Condylus zukommt, durch seine schief von Innen nach Aussen gehende Verlaufsrichtung nicht nur eine von hinten nach vorn wirkende Componente besitzt, sondern auch eine von Aussen nach Innen wirkende. Diese letztere, welche also für die rechte Seite ein Zug nach links ist, bewirkt nun gleichzeitig mit dem Vorziehen des rechten Condylus eine Verschiebung des ganzen Unterkiefers bis zur Einlenkung der Fovea der linken Seite auf ihren Conus. In manchen Exemplaren ist diese Differenz zwischen der Entfer- nung beider Foveae von einander und der Entfernung beider Coni von einander beträchtlicher, in anderen unbedeutender, so dass in dem ersteren Falle die Fovea in der Ruhe weiter nach Innen steht und deswegen eine stärkere vorbereitende Seitwärts- schiebung nothwendig ist.

Die seitliche Verschiebung genügt übrigens nicht allein für die Erzielung des Anschlusses der Fovea an den Conus, denn man sieht nach Vollendung derselben noch ein Klaffen zwischen beiden, welches erst durch ein anderes Moment beseitigt wird, nämlich durch eine Seitwärtsbeugung des Unterkiefers, welche dadurch zu Stande kommt, dass der bewegte (in dem gewähl- ten Beispiele der rechte) Condylus aus der Cavitas glenoides auf das Tuberculum gehoben wird, während der linke Condylus in der Tiefe der Cavitas glenoides verbleibt. Der ganze Unter- kiefer erhält dadurch eine Schiefstellung gegen die Ho- rizontalebene, so dass seine rechte Seite tiefer steht. Der Anfang zu dieser Hebung ist schon durch die seitliche Ver- schiebung gegeben, indem durch dieselbe der rechte Condylus auf die nach unten gegen die Spina angularis absteigende in- nere Abtheilung der Cavitas glenoides geschleift wird; vollendet wird dieselbe aber erst, wenn der Condylus auf das Tuberculum getreten ist. Die Richtung, in welcher er diese letztere Bewe- gung ausführt, ist eine senkrechte zur Achse des Tuberculum und eine peripherische zu der Achse des linken Conus; und es ist auch hier der Fall, was bei dem zweiseitigen Vorrutschen

728 H. Meyer:

in Bezug auf die äusseren Abtheilungen des Tubereulum und des Condylus bemerkt wurde; es berühren sıch nämlich bei dem einseitigen Vorrutschen nur die inneren Abtheilungen der genannten Theile und zwischen den äusseren Abtheilungen bleibt eine klaffende Lücke, welche bei leichter Oeffnungsstel- lung des Unterkiefers sichtbarer ist, als bei der Schlussstellung.

Die beschriebene Hervorhebung des Condylus und die damit verbundene Schiefstellung des ganzen Unterkiefers bedingt als- dann auch noch, dass auf der Seite, in welcher der Condylus in der Tiefe der Cavitas glenoides bleibt (auf der linken), die äussere Abtheilung des Condylus tiefer in die Cavitas hinein- gedrückt, die innere Abtheilung aber etwas gehoben wird, so dass die Drehbewegung in der Rinne um den Fuss des Conus hauptsächlich von der äusseren Abtheilung des Condylus aus- geführt wird. !

Genaueste Berührung der Fovea und des Conus auch an der Spitze des letzteren kommt erst durch eine Oeffnungsbe- wegung des Unterkiefers zu Stande.

Die einseitige Verschiebung des Unterkiefers ist demnach eine Drehbewegung um eine in dem Conus articularis gelegene Achse, wobei die Ebene der Unterkiefer- basis eine’ schiefe Stellung bekommt. Es fragt sich nun, wie der Charakter dieser Schieflage gegenüber der Achse des Conus ist. Die letztere ist nicht weit hinter der Vorder- fläche des Conus, indem dieser in einer an einem charakteristi- schen Exemplare ausgeführten Ergänzung sich als Theil eines abgestumpften Kegels von sehr geringem Scheitelwinkel erwies, und der Durchmesser an der Basis dieses Kegels ungefähr 6 bis 8 Mm. betrug. Die Neigung der Schieflage des Unterkie- fers gegen den Horizont bestimmte ich an dem gleichen Exem- plar zu etwa 17°. Leider erlaubt es die Kleinheit der Theile ebensowenig, wie die nicht ganz genauen Umrisse der Theile, sich eine bestimmte Ansicht darüber zu bilden, ob die Achse des Conus senkrecht zum Horizont gestellt sei, oder senkrecht zu der schiefgelegten Unterkieferebene.e Im ersteren Falle würde die schiefe Bewegung des Unterkiefers der Anfang einer Schraubenspirale sein, welche sich von der Schädelbasis nach

Das Kiefergelenk, 12)

unten abhebt; im zweiten Falle dagegen würde die schiefgelegte Unterkieferebene die Basis eines Kegels sein, dessen Achse (die Achse des Conus) eine entsprechende Neigung gegen die Senk- rechte (um 17°) besitzen würde.

Wenn demnach die Ueberschreitung des Tuberculum durch den Condylus in zwei Richtungen zu Stande kommt, so ist es auch nothwendig, dass der Meniscus an beiden Theil nimmt und sich je nach der Bewegung mehr der äusseren oder mehr der inneren Abtheilnng des Tuberculum und des Condylus an- legt, so dass seine Mittellinie in dem einen Falle mehr rein quer, in dem anderen mehr schief gelegen ist; und in Wirk- lichkeit bemerkt man auch bei Untersuchungen von einem Prä- parate mit dem Meniscus diese nach der Art der Bewegung verschiedene Lage des letzteren. Die Lücken zwischen den nicht in Function getretenen Theilen des Tuberculum und des Condylusswerden dann durch die dickeren Theile des zu ihnen schief liegenden Meniscus ausgefüllt.

Um die besprochenen Verhältnisse besser zu verstehen, wird ein Blick auf den Bau des Kiefergelenkes verschie- dener Säugethiere belchrend sein.

Bei den Carnivoren finden wir das einfachste Verhältniss, indem hier nur Oeffnungs- und Sehliessungsbewegungen mög- lich sind. Diesen dient ein Gelenk, welches vielleicht ein ty- pisch reiner Ginglymus ist. Es ist jederseits ein Condylus, welcher walzenförmige Gestalt besitzt und mehr nach aussen als nach innen über die Ebene des Ramus ascendens mandi- bulae hervorragt; und dieser wird von einer 130° starken Hohl- rolle umgriffen; manchmal werden sogar diese 180° noch über- schrittenr. Von einem Tuberculum articulare ist natürlich keine Spur erkennbar.

Bei den Nagern ist die Oeffnungs- und Schliessungsbewe- gung auf einen Condylus angewiesen, welcher von beiden Seiten her flach zusammengedrückt ist und eine von vorn nach hinten sehr lange Gelenkfläche besitzt. Während der Condylus der Carnivoren einem Cylinder von kleinem Durchmesser und be- trächtlicher Höhe angehört, gehört derjenige der Nager einem solchen von beträchtlichem Durchmesser und geringer Höhe an.

730 H. Meyer:

Das Bemerkenswertheste beim Kiefergelenke der Nager aber ist die Einrichtung zum Vorwärts- und Rückwärtsrutschen, in- dem hierfür, ohne Vorhandensein eines Tubereulum articulare, zwei unter einander parallele Rinnen, eine rechtsseitige und eine linksseitige sich vorfinden, deren Boden ganz eben ist. Der Unterkiefer bewegt sich in diesen, wie ein Schlitten auf vorgeschriebenem Wege, mit einer Genauigkeit, für welche die dachförmige Abnutzung der Backzähne das sprechendste Zeug- niss giebt. Aus dieser ist auch zu erkennen, dass ein einsei- tiges Vorschieben des Unterkiefers bei den Nagern nicht vor- kommt.

Bei den Solidungula, am Schönsten beim Esel, finden wir die Oeffnung, Schliessung und das zweiseitige Vorwärts- rutschen auf die aus dem menschlichen Kiefergelenke bekannte Einrichtung des Tuberceulum articulare angewiesen. Charakte- ristisch für dieses Gelenk ist aber die scharf ausgesprochene Einrichtung für die Drehbewegungen, indem ein sehr starker, als fingerdicker Zapfen vorragender, Conus articularis wahr- nehmbar ist, welcher in eine sehr tiefe Fovea articularis con- dyli passt, und der Condylus tritt dabei stark über die Innen- fläche des Ramus ascendens hervor. Dass bei diesen Thieren die Drehbewegungen eine Hauptrolle spielen, beweist auch die Abnutzungsweise der Backzähne, welche quergestellte Rinnen zeigen.

Die mehr gleichmässige Ausbildung der verschiedenen Me- chanismen, wie sie oben von dem menschlichen Kiefergelenke | beschrieben wurde, findet sich sehr schön ausgesprochen bei vielen Affen, welche auch noch einen nicht unbeträchtlichen Conus articularis besitzen. | |

Merkwürdiger Weise findet sich bei den Ruminantien, bei welchen man die Einrichtung für die Drehbewegungen sehr ausgebildet erwarten sollte, zwar eine ähnliche Gleichmässigkeit der Bildung; aber nicht so, dass, wie bei den Affen, jeder ein- zelne Charakter des Gelenkes scharf ausgesprochen erkennbar wäre, sondern die Gleichmässigkeit drückt sich hier als eine Charakterlosigkeit aus, in welcher alle scharfen und charakte- ristischen Formen verwischt sind.

Das Kiefergelenk, 731

Was nun die Stellung des menschlichen Kiefergelen- kes angeht, so finden wir in diesem die Gleichmässigkeit der Ausbildung bezeichnend, und zwar in einer Weise, welche die Mitte hält zwischen der Häufung des Charakteristischen bei den Affen und der Verwischung desselben bei den Ruminantien und man findet Gelenke, in welchen die beschriebene Gestaltung sehr typisch ausgesprochen ist (ähnlich wie bei den Affen) ne- ben solchen, in welchen sie kaum erkennbar ist (ähnlich wie bei den Ruminantien.. Man darf daher zur Prüfung des oben Mitgetheilten nicht das erste beste Kiefergelenk für geeignet halten, sondern muss ein Exemplar wählen, welches in den charakteristischen Formen ausgebildet ist.

Zürich, im September 1869.

732 N, Lieberkünhn:

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien.

Von

N. LIiEBERKÜHN.

(Hierzu Taf. XIX.)

Unter den Kalknadeln führenden Schwämmen ist eine Gat- tung besonders dadurch charakterisirt, dass sie in Form ver- ästelter Hohleylinder oder ähnlicher Hohlkörper auftritt, an de- ren offenen Enden die Ausströmungskanäle ausmünden. Die- selbe ist im Wesentlichen so einfach in ihrem Bau, dass sie am Besten über die Anatomie der Schwämme Aufschluss giebt. Erwähnt ist sie bereits bei Ellis und Solander als Spongia botyroides, ausführlicher beschrieben ist sie von Johnston als Grantia botryoides (a history of british sponges etc., p. 175). Sie findet sich an den unteren Flächen von Steinen und an Fucusarten und verschiedenen Conferven im atlantischen Ocean, in der Nordsee, im adriatischen Meere. Die unregelmässig ver- ästelten Oylinder können durch Anastomosen wieder unter ein- ander zusammenhängen und ein Netzwerk bilden, dessen Ma- schen die verschiedenste Grösse besitzen. Die Dicke der Cy- linder erreicht etwa eine Linie. Der unregelmässigen Kör- perform entspricht das Höhlensystem, welches sich durch alle Cylinder hindurchzieht, so dass sämmtliche Röhren unter ein- ander communiciren; wo sie aussen als Ausströmungslöcher auf die Enden der Oylinder auslaufen, sind sie nicht durch einen besonderen Nadelkranz umgeben, wie dies bei anderen Kalk- schwämmen vorkommt. In meinem Aufsatze in Müller’s Ar-

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien, 7133

chiv, J. 1858, S. 380 habe ich die verästelten Kalkschwämme von den nicht verästelten getrennt und jene Grantien, diese Syconen genannt. Oscar Schmidt hat die nicht verästelten um mehrere neue Formen bereichert (Die Spongien des adria- tischen Meeres, S. 13, und Supplement der Spongien des adria- tischen Meeres, S. 23), und stellt folgende Gattungen auf:

1) Sycon; der mehr oder weniger regelmässig spindelförmige Körper trägt um das Ausströmungsloch, das Ende der einfachen Ausströmungsröhre in der Mitte des Körpers, einen Kranz einfacher langer Nadeln;

2) Dunstervillia (Bowerbank); die Körperoberfläche er- scheint durch eigenthümliche Nadelbündel getäfelt;

3) Dte (Schmidt) unterscheidet sich von Sycon durch die Glätte der Körperwand und ihre Steifheit;

4) Nardoa (Schmidt); die Körperoberfläche ist lacunös und die Leibeswand besteht aus einem labyrinthischen lückenreichen Geflecht von Parenchym.

Von den Grantien, den verästelten, beschreibt er drei neue Arten, die eine bildet ein unregelmässiges Ast- und Netzwerk auf der Unterseite von Steinen mit Aesten von 1—2'" Dicke, von denen stellenweise kurze Cylinder mit einem Ausströmungs- loche auf dem Gipfel aufsteigen. Die Nadeln sind nur drei- strahlig, das Körperparenchym roth: Grantia pulchra. Die zweite Art Grantia solida „gleicht einem Stück einer Gebirgs- kette mit einzelnen steilen Thälern und aus dem Hauptzuge heraustretenden Bergen, auf deren Gipfeln Krater, nämlich Aus- strömungslöcher. Wegen der Grösse und Gedrängtheit der Na- deln ist das Gefüge des Schwammes fest.“ Die dritte Art, Grantia clathra, besitzt dreistrahlige Nadeln mit abgestumpften Enden.

Ueber den Bau der Grantien bemerkte ich (S. 381), dass nach Auflösung der Kalknadeln mittelst verdünnter Essigsäure der Körper als ein dünnwandiger Hohleylinder erscheint. Bei Zerreissung des lebenden Körpers machen sich zuerst grosse Stücke zusammenhängender Wimperzellen bemerklich, welche hier nicht in Form runder Behälter oder als Theile derselben vorkommen, sondern Platten bilden.

734 N. Lieberkühn:

Kölliker hat die Gattungen Dunstervillia und Nardoa ge- nauer untersucht. Die erstere bildet einen einfachen ziemlich diekwandigen Schlauch, der an dem freien Ende mit einem grossen Ausströmungsloche ausgeht, um welches ein langer dop- pelter Nadelkranz sich findet. Durch die ganze Dicke der Lei- beswand verlaufen lange gerade Wimperkanäle und münden in die innere Höhle aus. In der Leibeswand finden sich ausser- dem noch andere gerade aber nicht fimmernde Kanäle, die Ausströmungskanäle zu sein scheinen.

Von der Gattung Nardoa untersuchte derselbe Forscher eine neue Species aus dem mittelländischen Meere, die er als N. spongiosa bezeichnet. Der ganze kugelige oder platte Schwamm besteht aus einem Netzwerk von sehr verschieden geformten Balken, welche labyrinthische Lücken und Gänge von der man- nichfaltigsten Gestalt umschliessen. Die Lücken und Gänge entsprechen den Ausströmungskanälen; die Balken selbst da- gegen sind ohne Ausnahme hohl und von einem Flimmerepithel ausgekleidet, so dass sie ein Netz von Wimperkanälen darstel- len, wie man es bisher bei keinem Schwamm beobachtet hat. Nach Einströmungslöchern und Einmündungen der flimmernden Kanäle in die Ausströmungsgänge suchte Kölliker vergeblich. Möglicher Weise waren sie durch Contraction geschlossen, doch könnten vielleicht grössere Oeffnungen an den Enden der ver- zweigten Balkenstämme als solche zu deuten sein.

An den von mir neuerdings in Helgoland in grosser Zahl untersuchten Grantien (Grantia botryoides) ist es mir gelungen, nach allen diesen Richtungen hin eine vollständigere Einsicht zu gewinnen. Diese Schwämme bestehen aus einem Netzwerk verzweigter cylindrischer Röhren, deren Wandungen aus zwei Schichten von Geweben zusammengesetzt sind, nämlich aus einer Schicht contractilen Parenchyms und aus einer Lage von Wimperzellen, welche die Innenfläche des contractilen Gewebes bedecken. Die Einströmungslöcher sind mikroskopisch und durchbrechen an den verschiedensten Stellen die Wand des Hohleylinders. Sie führen direct in die Hohleylinder das Was- ser ein, und an offenen Enden der vielen Hervorragungen strömt es wieder aus.

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. 735

Schneidet man einen Cylinder des noch lebenden Schwam- mes mit einer Scheere senkrecht zur Achse in schmale Stücke, so erhält man Ringe, die vom Nadelgerüst noch steif gehalten werden und bei starker Vergrösserung Folgendes zeigen: Die Wandung besteht aussen aus einer Lage contractilen Paren- chyms, in welchem man in der durchsichtigen homogenen Hauptmasse kugelige, ovale, sternförmige Körperchen in den verschiedensten Abständen von ein nder unterscheidet; diese Körperchen sind Anhäufungen von stark lichtbrechenden Körn- chen und zeigen öfters Kerne; doch können sich die Körnchen auch gleichmässig in dem Parenchym verbreiten. Dann erkennt man in dem durchsichtigen Gewebe höchstens hin und wieder Kerne, aber Zellengrenzen nimmt man nicht wahr. Wo die sternförmigen oder kugeligen Körnchenanhäufungen mit und ohne Kerne in dem durehsichtigen Parenchym vorkommen, können es die körnigen Bestandtheile derselben sein, deren verschmol- zene hyaline Substanz (Fig. 3) die Hauptmasse des ganzen Ge- webes darstellt, wie Kölliker in seinen lcones histiologicae richtig angiebt. In anderen Fällen sind es vollständige Zellen. Auf diesen Punkt und die abweichenden Ansichten OÖ. Schmidt’s komme ich in einer späteren Arbeit zurück.

Die Innenfläche der Wand hingegen wird von dieht zusam- menstehenden Wimperzellen gebildet, welche mit ihren Con- touren sich gegenseitig berühren. Die Wimpern ragen weit in die Höhle des Cylinders hinein und schwingen äusserst lebhaft; zufällig in ihr Bereich gelangende kleine Körnchen werden in dem strömenden Wasser so fortbewegt, dass sie in der Rich- tung nach dem Ausströmungsloch zu fortgeschoben werden. Dies lässt sich an demjenigen Ring am Leichtesten feststellen, weleher noch das obere Ende der Ausströmungsröhre enthält. Diese Richtung des Wasserstromes liess sich ohne Weiteres voraussetzen, da an der unversehrten Grantie die Ausströmun- gen an den Röhrenenden oft zu bemerken sind, wenn kleine in Wasser suspendirte Körperchen in ihre Nähe kommen.

Kurz vor dem Rande der Ausströmungsöffnungen hört der Wimperüberzug mit gerader oder welliger Abgrenzung auf, und von hier ab ist es nur eine einfache Lage der Gallertsubstanz,

736 N. Lieberkühn:

welche das Loch umgiebt. Sie enthält mehr oder weniger Kör- nerballen von unbestimmter Gestalt und die Futterale oder Höhlungen für die Nadeln, was besonders nach Behandlung derselben mit Säuren klar hervortritt.

An einzelnen Stellen ist die Körperwandung von mikrosko- pischen Oeffnungen, den Einströmungslöchern, durchbrochen, deren Verhalten jedoch weit klarer auf Längsschnitten wird, die annähernd durch dre Mitte eines Cylinders fallen. Man erkennt dann zwischen den Nadeln das Körperparenchym von aussen her und sieht es, wie es dieselben zum Theil umschliesst und an vielen Stellen mit Einströmungslöchern versehen ist, die sich theils noch vergrössern,’zum Theil verengern und schlies- sen oder auch unverändert bleiben. Wenn sich solche Oeff- nungen schliessen, rücken die ihnen zunächst stehenden Wim- perzellen zugleich etwas mit ihrem Substrat vor, aber wo die eigentliche Oeffnung war, ist letzteres beim Schluss unbedeckt. An Spiritusexemplaren finden sich häufig wimperfreie Stellen von der Grösse der Einströmungslöcher. Lange Aeste der drei- strahligen oder vierstrahligen Nadeln und auch einfache gerade oder etwas gebogene ragen über die Oberfläche frei hervor und sind zumeist mit den Spitzen nach oben gekehrt. Die von in- nen betrachtete Fläche der Körperwandung erscheint von langen dicht bei einander stehenden Wimpern bedeckt, die noch leb- haft hin und her schwingen. Bei etwas tieferer Einstellung erblickt man die dicht gedrängt stehenden kleinen Zellen dazu und bemerkt, wie sie dem contractilen Parenchym auflagern, und nur im nächsten Umfange der Einströmungslöcher fehlen; der vierte (etwas gebogene) Stachel der vierstrahligen Nadeln ragt frei in die Höhle hinein vor und ist zwischen den schwin- genden Wimpern sichtbar. An den Wimperzellen glaubt man einen Kern wahrzunehmen, doch ist es nicht ganz sicher, wie dies auch Kölliker von den Nardoen angiebt. An manchen in die Höhle hineinragenden Nadeln erkennt man eine feine Lage der contractilen Substanz, welche zwischen die Wimper- zellen vordringt und entweder in feinster Lage die Nadel ganz oder theilweise überzieht oder in stärkerer Anhäufung nur die Wurzel derselben einschliesst. Bei der Behandlung mit Essig-

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. 7137

säure löst sich die Kalknadel auf, die contraetile Substanz bleibt dagegen als ein mehr oder weniger dünnwandiges Futteral zu- rück. Hierdurch dürfte wohl die Angabe Kölliker’s ihre Er- klärung finden (Icones histiologicae, S. 65), dass bei Nardoa spongiosa die über die Wand der Flimmerkanäle hervorragen- den Spicula nach Behandlung mit Essigsäure Scheiden zurück- lassen, die dieser Forscher als selbständige Bildungen aufzufas- sen geneigt ist, d. h. Reste von Bildungszellen darstellen ; ebenso Folgendes: „An der Stelle, wo die Ausläufer der Spi- eula frei in die Wimperkanäle hineinragen, zeigt sich noch eine andere räthselhafte Bildung, nämlich eine dunkle granulirte kegelförmige Masse, welche den Kalkstrahl, und so schien es mir, auch seine Scheide umhüllt. In einzelnen Fällen setzte sich diese dunkle körnige Masse verschmälert auch noch auf den im Epithel steckenden Theil des Kalkstrahles fort, doch gelang es mir leider nicht, die eigentliehe Bedeutung dieser sonderbaren Gebilde zu enträthseln.“ In günstigen Fällen lässt die kegelförmige Anhäufung sich auch noch durch das Epithel hindurch verfolgen und im continuirlichen Zusammenhang mit der an manchen Stellen sehr körnerreichen contractilen Sub- stanz erkennen. Ueberdies finden sich dieselben Formen ver- dickter Scheiden der contractilen Substanz auch vereinzelt auf der freien Aussenfläche. Diese sowohl, wie die der Innenfläche sind zurückziehbar.

Wie erwähnt, sitzen die Grantien an der unteren Fläche von Steinen, an Furcellarien u. s. w. fest. Die Anheftung ge- schieht mittelst der Gallertsubstanz, welche sich auf die Fur- cellarie ausbreitet, ohne dass die Gestalt des festsitzenden Theils irgend eine Veränderung erleidet ; die dreistrahligen Nadeln stecken dabei nicht selten mit einem Theil in dem Gewebe der Pflanze fest, so dass sich der Schwamm ohne Zerstörung nicht von seiner Unterlage ablösen lässt. Es sind jedoch immer nur geringe Stücke der netzförmig ausgebreiteten Röhren angeklebt, die in überwiegender Menge mit ihren her- vorragenden Abzweigungen und Ausströmungsöffnungen sich nirgends anhängen. Wo die- Anheftung stattfindet, fehlen na-

türlich die Einströmungslöcher, aber die Iunenwand des Hohl- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 48

138 N. Lieberkühn:

eylinders ist wie sonst, mit Wimpern bekleidet, welche man überhaupt nur an wenigen Stellen vermisst.

Während die grössten Zweige dieser Spongie bis einen hal- ben Zoll lang werden, erscheinen die kleinsten nur als unbe- deutende seitliche Auftreibungen und zumeist geschlossen, so- wohl an frischen eben dem Wasser entnommenen als auch an den in Weingeist aufbewahrten Exemplaren.

Aus wie viel Embryonen ein solcher eine Furcellarie oder einen Polypenstock überziehende Schwamm hervorgegangen ist, darüber bietet die bisherige Untersuchung keinen Anhaltspunkt. Die kleinsten von mir gefundenen bestehen aus einem etwa 1" langen und !/,'“ dieken Cylinder; grössere Exemplare be- sitzen eine kleinere Abzweigung in der Mitte, die am freien Ende geöffnet ist. Für die Syconen hingegen stimme ich ©. Schmidt’s Ansicht bei, dass sie aus einem einzigen Embryo hervorgehen; jedoch fand ich auch bei ihnen in Conjugation begriffene Exemplare.

Nach den eben mitgetheilten Beobachtungen muss man sich vorstellen, dass die Grantien aus einem Substrat, der Gallert- oder contractilen Substanz bestehen, das eine freie Aussen- und eine mit Wimperepithel besetzte Innenfläche besitzt. An allen Theilen des Schwammkörpers kommt die contractile Substanz vor, das Wimperepithel kann dagegen stellenweise fehlen; Wim- pervorrichtungen ohne contractiles Substrat existiren nicht. Con- tractiles Parenchym ohne Wimperbesatz bildet bei den Grantien die Umgebung der Ausströmungsöffnungen an den freien Enden der Cylinder, und auch sonst kommen an der Körperwandung in dem Umfang der Einströmungsöffnungen kleine Strecken ohne Wimperbelag vor. Die Anordnung der Nadeln macht keine Schwierigkeit: sie stecken theilweise im contractilen Pa- renchym fest, welches Scheiden um sie herum bilden kann, theilweise ragen sie über die Aussenfläche des Körpers frei hervor, theilweise geschieht das auch in die mit Wimpern be- setzte Körperhöhle hinein, ja selbst die contractile Substanz kann die die Wimperzellenlage durchbrechenden und in die Höhle hineinsehenden Nadelstücke noch überziehen.

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. 7139

Verwenden wir nunmehr die bei den Grantien gewonnenen Resultate auch für die Syconen. Der spindelförmige oder ey- lindrische nicht verzweigte Körper ist gleichfalls hohl, aber die Wandungen der Höhle sowohl, als die Höhle selbst entsprechen ın ihrer functionellen Bedeutung und in ihrer anatomischen Zu- sammensetzung nicht der Leibeshöhle und der Leibeswand der Grantien. Die Höhle der Spindel oder des Cylinders ist selbst spindel- oder cylinderförmig, aber es fehlt ihr die Auskleidung mit Wimperepithel. |

Schneidet man ein lebendes Exemplar der Länge nach durch, und betrachtet bei schwacher Vergrösserung die Körperwandung von innen her, so fällt zunächst das regelmässige netzförmige Aussehen auf, das, wie bereits früher angegeben ist, sowohl von der Anordnung der Wimperapparate als der sie umgeben- den Nadeln herrührt. Die Maschen sind aber zugleich über- zogen von der contractilen Substanz, die von zahllosen kleinen Löchern durchbrochen ist, und zwar so, dass auf jede Masche eins, zwei, drei, auch vier Löcher fallen, je nach dem Con- tractionszustande; während der Beobachtung kann da, wo ur- sprünglich drei Oeffnungen waren, eine entstehen, und wo ur- sprünglich eine war, können drei erscheinen. Die eine Oeff- nung kann so klein sein, dass sie nur bei starker Vergrösse- rung des Mikroskops sichtbar wird, sie kann sich aber auch so erweitern, dass sie schon für die Loupe zugänglich wird und fast so gross wird, wie die Masche selbst. Die Lage der con- tractilen Substanz ist eine sehr schwache, und bei geringer Ver- änderung des Focus bemerkt man, dass unter ihr Hohlräume befindlich sind.

Erst in diesen Hohlräumen erkennt man die noch schwin- genden Wimperhaare des Epithelialbelags.. Diese Hohlräume sind es in ihrer Gesammtheit, welche der einen grossen Wim- perhöhle der Grantien entsprechen. Betrachten wir diese in der Leibeswand gelegenen Hohlräume näher. Es geschieht dies nun besser so, dass man zuvor die Nadeln des Skelets durch Essig- oder Salzsäure auflöst. Das bis dahin starre Ge- bilde wird nunmehr zu einem leicht zusammenfallenden Sack, der aber seine frühere ursprüngliche Gestalt beibehält, Macht

48 *

740 N. Lieberkühn:

man jetzt einen Längsschnitt und sieht die Innenwandung an, so erkennt man auch noch eine netzförmige Zeichnung, die Ma- schen treten aber nicht mehr so auffallend scharf hervor; in- soweit die Nadeln das netzförmige Aussehen bedingen, ist es ja zerstört. Das, was die Zeichnung noch erhält, sind die Con- touren der Wimperapparate, welche man nunmehr unterhalb der vorhin beschriebenen Oeffnungen mit aller Klarheit erkennt, indem die ganze Höhle von einem kleinzelligen Epithel, den Wimperzellen ausgekleidet erscheint. Die Höhlen oder Wim- perapparate gehen durch bis zur äusseren Fläche der Körper- wand. Dies wird noch übersichtlicher, wenn man Querschnitte anfertigt; ein auf diese Weise hergestellter Ring zeigt uns, dass die Innenfläche zunächst eine glatte, die Aussenfläche eine ganz unebene mit grossen kegelförmigen Erhabenheiten versehene Begrenzung besitzt. Die Kegel sind hohl und in ihrem ganzen Inneren von Wimperepithel bekleidet, das auf dem contractilen Körperparenchym aufsitzt (Fig. 7). Lassen wir einmal in der Vorstellung die Wimperbelegung fort, so erhalten wir einen aus contractilem Parenchym bestehenden spindelförmigen Körper mit einer grossen Höhle, die oben offen, unten geschlossen ist und von einer glatten Wand umgrenzt wird; die Aussenwand des Körpers hingegen ist uneben durch kegelförmige Erhaben- heiten, deren Spitzen frei endigen, deren Wände im Uebrigen aber auf kürzere oder längere Strecken mit einander verschmel- zen, deren Basen mit einer, zwei oder mehreren Oeffnungen versehen sind, aber auch aus einer einfachen Lage contractiler Substanz bestehen können, die gar keine Oeffnungen zeigt. Die an einander stossenden mit einande: verschmolzenen Basen der nahezu kegelförmigen Gebilde bilden die Innenfläche der Körper- wand. Die Wimperhöhlen können innen und aussen geschlossen sein. Die Einströmungslöcher befinden sich in demjenigen Theile der Körperwandung, welcher frei an der Körperoberfläche hervor- ragt, weniger an den Spitzen, wo die contractile Substanz eine stärkere Lage bildet und die Nadelbündel trägt, welche als Bü- schel schon mit blossem Auge sichtbar sind. Sie durchbrechen sowohl das Substrat als die Epithelialschicht und kommen in un- bestimmter Zahl und an unbestimmten Stellen vor. Es sind

_—

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. 741

nur Einströmungslöcher und keine Einströmungskanäle. Die Einströmungslöcher führen hier direet in die Wimperapparate hinein, die als kürzere oder längere Kanäle auftreten und an Grösse die ähnlichen Gebilde an den Flussschwämmen bedeu- tend übertreffen. Die Ausströmungslöcher der einzelnen Wim- perhöhlen liegen an der Basis der Kegel und münden in die gemeinsame grosse Höhle des spindelförmigen Körpers aus. Die Ausströmungslöcher werden, wenn ihrer mehrere an der Basis des Kegels vorhanden sind, nicht von Wimperzellen begrenzt, sondern nur von contractiler Substanz; wenn hingegen nur ein einziges grosses da ist, wie man es an todten Exemplaren in der Regel wahrnimmt, so ist fast die ganze Basis des Kegels Oeffnung und die Wimperzellen treten bis nahe an den Rand derselben heran.

Wenn ich die Wimperhöhlen kegelförmig nenne, so trifft das annähernd nur für die nach der Körperoberfläche hinsehen- den Theile derselben zu, weiter nach innen werden sie mehr eylindrisch, kurz sie können sich nach innen mehr erweitern oder verengern, und überhaupt grosse Verschiedenheiten in der Gestalt annehmen.

Besonders auffallend ist dies in dem oberen Theile des Schwamms gleich unterhalb der Ausströmungsöffnung, welche, wie früher erwähnt, nur von Nadeln tragender contractiler Sub- stanz umgeben ist. Hier stehen zunächst die Wimpern oft nur in geringer Zahl, drei, vier, fünf bei einander. Dann kommen grössere Anhäufungen, die auch schon Ausbuchtungen nach aussen machen und halbkugelig werden. Dann nehmen sie nach abwärts schnell an Grösse in ihrem Durchmesser von aussen nach innen zu; die Körperwandung selbst wird dadurch in demselben Verhältniss stärker. An dem unteren verschmälerten Ende nehmen sie mit der Körperwandung wieder an Umfang ab und werden unregelmässiger von Gestalt. Sie können sich selbst noch in die Fortsätze von contractiler Substanz fortsetzen, mittelst deren die Syconen sich an Steinen, Algen, Polyparien u. s. w. befestigen.

Wachsthum der Wimperapparate. Die kleinsten Sy- conen, welche ich in Helgoland zu beobachten Gelegenheit hatte,

742 N. Lieberkühn:

maassen etwa '/, Linie ım Längs- und '/, Linie im Querdurch- messer. Der Bau zeigt keinen Unterschied von dem der aus- gewachsenen. Nur in der Form, Grösse und Zahl der Wimper- apparate finden sich Abweichungen. Während die grössten Wimperapparate eines nahezu zolllangen Exemplares einen vier- mal längeren Längsdurchmesser als Querdurchmesser besitzen, sind beide Durchmesser bei den kleinsten nahezu gleich; die Abweichung in der Grösse bei den jungen und alten Exempla- ren ist hinwiederum so bedeutend, dass der Dickendurchmesser der letzteren den der ersteren um das Dreifache übertrifft. Die 'Wimperhöhlen nehmen sowohl an Zahl als an Grösse zu, die Zellen nur der Zahl nach.

Für die Anlage der Wimperapparate ist Folgendes bemer- kenswerth. Bei den Syconen der verschiedensten Grösse finden sich unterhalb des die Nadelkränze am oberen Körperende tra- genden contractilen Parenchyms, das frei von Wimpern ist, die Wimperapparate zuerst in Form weniger dicht bei einander stehende Wimperzellen, wie früher schon erwähnt ist; bei einer grossen Zahl der jüngsten von mir beobachteten Syconen hat das ganze untere Drittel des Körpers noch gar keine Wimper- apparate, sondern es ist die cylindrische Höhle an ihrer ganzen Wandung von Wimperzellen in der Art besetzt, dass man ein Stück einer Grantie vor sich zu sehen glaubt. Es besteht die ganze glatte Körperwand nur aus dem contractilen Parenchym, welches aussen die Futterale für die Nadeln bildet, die an ein- zelnen Stellen bündelförmig zusammenstehen und sich andeu- tungsweise als kleine kegelförmige Erhebungen zeigen , aber auf der Innenfläche zieht sich die Epitheliallage als eine ein- fache Schicht hin; erst weiter aufwärts bilden sich seichte Aus- buchtungen, die dann allmählich tiefer werden und noch höher oben die ausgeprägte Form der Wimperapparate annehmen.

Da sich bei den älteren Exemplaren von Syconen an den- selben Stellen nur Wimperapparate vorfinden, wo bei den jün- geren die Körperwand glatt ist, so ist es erlaubt anzunehmen, dass hier dieselben in der Entstehung begriffen sind. Sie so- wohl, als die Hohlkegel des sie tragenden contractilen Paren- chyms kommen demnach so zu Stande, dass in der ganzen

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. 743

Körperwand allmählich Ausbuchtungen entstehen, welche sich mehr und mehr vertiefen. Die Ausströmungsstellen, welche in die in der Mitte des Körpers befindliche Höhle ausmünden, zeigen sich zuerst, wo die Ausbuchtung beginnt, verhältniss- mässig viel ausgedehnter, als später, wo die coftractile Sub- stanz mehr und mehr hervortritt und sich anhäuft, so dass sie den Ausgang des Kanales verschliessen kann,

Die Erscheinung lehrt auch zugleich, wie nahe sich die Grantien und Syconen stehen, trotzdem sie auf den ersten Blick so verschieden zu sein scheinen. Die noch nicht ausgebuchte- ten Stellen der Syconen sind gar nicht von dem Körper der Grantien zu unterscheiden, denn sie bestehen hier wie dort aus einer Lage contractiler Substanz, welche innen Wimperzellen trägt und hier und da Einströmungsöffnungen besitzt. Entste- hen nun die Einstülpungen in der Wand und wachsen mehr und mehr in die Länge, und werden an ihren äusseren Enden mehr und mehr kegelförmig, so fallen natürlich auch die Ein- strömungslöcher in die Wand der Kegel, insoweit sie aussen freiliegen. Und in der Mitte des Körpers kommt eine beson- dere Höhle zu Stande, in welche die Wimperkanäle ausmünden: ein von den Wimperapparaten getrennt auftretendes Ausströ- mungsrohr, das selbstverständlich bei den Grantien fehlen muss. Rücken die ausgestülpten Wimperapparate mit ihrem contrac- tilen Substrat auf der Aussenwand des Körpers so nahe an ein- ander, dass sie sich berühren, so verschmilzt die contractile, Substanz derselben und die Wimpervorrichtungen erscheinen als Kanäle, welche die contractile Substanz durchbrechen,

Schema für die übrigen Spongien. Von dem be- schriebenen Bau der Grantien und Syconen ausgehend, lässt sich Folgendes für andere Abtheilungen der Spongien feststellen.

Die Gattung Dunstervillia hat eine einfache Körperhöhle und gleicht darin den Syconen. Wie Kölliker zuerst genauer angegeben hat, hat die Leibeswand zwei Arten von Kanälen, wimpernde und nicht wimpernde. Die wimpernden verlaufen durch die ganze Leibeswand und besitzen aussen Einströmungs- löcher. Ueber die nicht wimpernden liess sich nichts aussagen. Diese findet man bei den Syconen noch nicht; es ist jedoch

744 N. Lieberkühn:

S

nicht schwierig, die Syconen sich in der Art verändert vorzu- stellen, dass sie mit Dunstervillia übereinstimmen. Man braucht nur anzunehmen, dass die auf der Oberfläche der Syconen frei vorragenden Kegel so nahe an einander rücken, dass ihre Wan- dungen mit einander verschmelzen mit Ausnahme einer Seite, wo dann eine Lücke bleibt. Solche Lücken, die verschieden ausgedehnt sein können, würden zum Gebiet der Einströmungs- kanäle gehören, wenn von ihnen aus Einströmungslöcher in die benachbarten Wimperapparate führten, zu dem Ausströmungs- gebiet, wenn sie in die centrale Höhle ausliefen. Nehmen wir noch dazu, dass die Gallertsubstanz massenhafter auftritt, als bei Sycon, so erhalten wir das, was Kölliker IX. Fig. 4 und d (Icones histiologicae) als charakteristisch für Dunstervillia ab- bildet.

Einströmungskanäle, die das Wasser durchlaufen muss, ehe es zu den Einströmungslöchern gelangt, kommen eigentlich schon bei den Grantien vor, nämlich dann, wenn die Fäden des Netzwerkes der Hohleylinder mit ihrer Aussenfläche mehr an einander rücken und die Maschen des nicht blos in der Fläche ausgebreiteten Netzwerkes ungewöhnlich enge werden. Sind die Fäden des Netzwerkes viel feiner und die Maschen viel kleiner als bei Grantien, die Ausströmungsröhre ausserdem nicht an die freien Enden hervorragender Oylinder verlegt, sondern bereits im Innern des Netzwerkes selbst auslaufend: so entsteht ein Labyrinth von Ausströmungskanälen, wie es Kölliker von der Nardoa beschreibt.

Bis hierher lässt sich die Vorstellung aufrecht erhalten, dass die Spongie mit Ausnahme der Ausströmungsöffnungen überall aus einem mehr oder ‚weniger dicken Substrat contractilen Parenchyms besteht, das auf einer Seite mit Wimperepithel be- legt ist, auf der anderen entweder frei liegt oder mit dem an- stossenden epitheltragenden Substrat verschmolzen ist, sei es vollständig oder nur theilweise.

Nunmehr gelangen wir zu demjenigen Gebiet der Schwämme, wo das contractile Gewebe nur noch zu einem Theil sich so verhält, zu einem anderen aber keine Wimperzellen trägt. Hierher gehören die Flussschwämme. Bisher hatte es gar

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien. 745

keine Schwierigkeit, die Wimpervorrichtungen aufzufinden, da sie überall in solchen Massen auftraten, dass man sie selbst noch an kleinen Stücken des zerrissenen Thierkörpers mit Leichtigkeit auffindet. Anders ist es bei den Flussschwämmen. Hier sind sie von solcher Kleinheit und machen einen so ge- ringen Theil des Gewebes aus, dass sie in ihrer Lage und in ihrem Bau nur mit grosser Schwierigkeit ermittelt werden können. Zunächst ist die ganze Körperhülle einzig und allein contractile Substanz. Bei dem entsprechenden Contractions- zustande einer fingerlangen und fingerdicken Spongille hüllt sie wie ein Sack den Körper ein und lässt nur an einer oder nur an vereinzelten Stellen dünnwandige Cylinder durch ihr Ge- webe hindurchbrechen, die Ausströmungsröhren , welche bis zur Länge eines halben Zolles über ihre Oberfläche hinausragen können.

Dieser grosse Theil des contractilen Gewebes erweist sich nirgends, auch bei der stärksten Vergrösserung, als mit Flim- merepithel belegt.

Ausserdem kommt in veränderlicher Anordnung eine unbe- stimmte Zahl von Parenchymbalken im Inneren des Körpers vor, welche des Epithels entbehren. Da diese sowohl wie die äussere Haut ihre Form wesentlich verändern können, indem dünnen Häute und Fäden sich verdicken und dicke sich ver- dünnen: so ist ersichtlich, dass die Körpergestalt derartiger Schwämme ihre Form in der auffallendsten Weise verändern kann: gegenüber den Syconen und Grantien, welche ihre Form bewahren.

Man könnte daran denken, dass die Anordnung der Kalk- und Kieselnadeln auf die Gestalt des weichen Körpers von Ein- fluss sei und dieselbe bestimme. Es ist jedoch sicher, dass die Nadeln bei den Schwämmen, welche ihre äussere Form und die Lage und Form des Parenchyms im Inneren zu ändern vermögen, trotzdem in ihrer ursprünglichen Lage verharren. An den aus ausgeschnittenen Stücken entstandenen Spongillen beobachtet man leicht, dass das ursprünglich das ganze Kiesel- gerüst einnehmende Körperparenchym häufig sich auf ein klei- neres Yolum zusammenzieht; es werden alsdann die äusse-

746 N. Lieberkühn:

ren Theile des Gerüstes blos gelegt und von dem weichen Schwammkörper verlassen. Die Anordnung der Nadeln erleidet aber dabei nicht die geringste Verschiebung. Es soll damit freilich nicht in Abrede gestellt werden, dass die Nadeln durch Bewegung des Parenchyms nicht auch in ihrer Lage gegen ein- ander verändert werden könnten. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sie einzig und allein von contractiler Substanz getragen werden und nicht durch Hornsubstanz in ihrer Lage fixirt sind; bei den Syconen können die Nadeln des um die Ausflussöffnung aufgestellten Kranzes so gegen einander convergiren , dass sie dieselbe verdecken, andererseits können sie in ihre gewöhnliche Stellung zurückgeführt werden. So unterliegen auch die jun- gen Nadeln der sich festsetzenden Embryonen der Spongillen dauernd Veränderungen ihrer Stellung, so lange noch keine Hornbildungen um dieselben stattgefunden haben oder nur sich in dem Grade finden, dass sie den Bewegungen der contracti- len Substanz noch nachgeben. Bei den Schwämmen mit vor- waltend freier contractiler Substanz sind aber die Wimperap- parate selbst kein Hinderniss für weit gehende Bewegungen des contractilen Körperparenchyms; denn bei den Flussschwäm- men lässt sich feststellen, dass die kleinen Wimperapparate da- bei selbst ihre Lage verändern. Bei den Syconen ist dies nicht der Fall; man sieht sie immer in ihrer ursprünglichen Lage ver- harren; selbst an aufgeschnittenen Exemplaren gelang es nicht, eine Veränderung des Apparates in seiner Form wahrzunehmen.

An den Ausströmungsstellen der Grantien kommen Form- veränderungen auch in demjenigen Theil des Körpers vor, wel- cher Wimperzellen trägt, wenn auch nur in unbedeutendem Grade, indem das Lumen des Cylinders bei Schliessung des Ausflussrohres etwas kleiner wird.

‚Die mitgetheilten Untersuchungen ergeben, dass die Gran- tien aus unter einander communicirenden Hohleylindern beste- hen, an deren freien Enden die Ausströmungsöffnungen befind- lich sind. Die Wand der Cylinder enthält Einströmungslöcher in unbestimmter Zahl und wird gebildet von einer Lage con- _

Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien, 747

tractiler Substanz und einer einfachen Schicht von Wimper- zellen. Nur in der Umgebung der Ausströmungsöffnung tragen die Wandungen keine Wimperzellen. Die kleinsten Exemplare stellen einen einzigen Cylinder mit einer einzigen Ausströmungs- öffnung dar. |

Die Syconen bilden einen spindelförmigen oder cylindrischen Sack, dessen Wandungen nach aussen ausgestülpt sind zu nahe- zu kegelförmigen Hervortreibungen. Diese bestehen wie die Wandungen der Grantien aus einem Substrat von contractiler Substanz und aus dem Wimperepithel, das die Innenfläche der Hohlkegel auskleidet. Die Hohlkegel sind an ihren frei her- vorragenden Theilen mit den Einströmungsöffnungen versehen; wo sie zu der gemeinsamen Körperhöhle mit ihren Basen zu- sammenstossen, sind die Ausmündungsstellen der Wimperhöh- len in die gemeinsame Körperhöhle, welche am oberen Ende die Ausströmungsöffnung des ganzen Schwammes trägt. Diese Wimperapparate treten zuerst als Zellenanhäufungen in der glatten Wand des Körpers auf, welche sich allmählich aus- buchtet und so zu der Wimperhöhle auswächst.

Während bei den Grantien und Syconen das contractile Parenchym fast durchweg mit Wimperepithel belegt ist, ist dies bei anderen Spongien nur an vereinzelten mehr oder weniger ausgedehnten Stellen der Fall und sind demnach die Wimper- zellen nur längere oder kürzere Röhren, Hohlkugeln, Stücke von Kugelschalen, die in grösserer oder geringerer Anzahl in dem contractilen Parenchym auftreten.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1. Grantia botryoides mit Nadelgerüst.

Fig. 2. Ein Exemplar mit Salzsäure behandelt.

Fig. 3. Wimperzellen und sich bewegende Parenchymstücke. Starke Vergr.

748 N. Lieberkühn: Beiträge zur Anatomie der Kalkspongien.

Fig. 4. Stück eines Querschnittes bei starker Vergrösserung, mit Flimmerzellen, welche dem contractilen Parenchym aufsitzen.

Fig. 5. Wand des Hohleylinders von innen, mit Wimperzellen und Einströmungsöffnungen. Starke Vergr.

Fig. 6. Querschnitt von Sycon ciliatum. Natürliche Grösse,

Fig. 7. Derselbe bei stärkerer Vergrösserung. Die Wimperhöhlen von oben geöffnet. Nach aussen sind die frei hervorragenden Nadeln tragenden Enden derselben sichtbar. a die Wimperepithelschicht, b das contractile Parenchym, c Ausströmungsöffnungen der Wimper- apparate, welche in die grosse Höhle des spindelförmigen Körpers ausmünden.

C. B. Reichert: Ueber die contractile Substanz u. s.w. 749

Ueber die contractile Substanz (Sarcode, Proto- plasma) und deren Bewegungserscheinungen bei

Polythalamien und einigen anderen niederen Thieren.

(Gelesen in der Sitzung der Akademie am 10, August 1865.)

Von

G. B. REICHERT.

Ergebnisse aus den mitgetheilten Beobachtungen über die morphologische Beschaffenheit und über die Bewegungserscheinungen der contractilen Substanz bei den Polythalamien.

(Gromia oviformis.)

l. An dem Polythalamienkörper sind, abgesehen von der Schale, zwei Bestandtheile zu unterscheiden: die contractile Leibessubstanz und der, die centrale Masse des Kör- pers bildende, farblose und gefärbte Körperchen, auch Bläs- chen führende Bestandtheil.

2. Ueber die morphologische Beschaffenheit der centra- len, bläschenführenden Leibessubstanz hat sich bei der Gromia oviformis nichts Genaues feststellen lassen. Bläs- chenförmige Körper von der Grösse und Beschaffenheit, wie sie M. Schultze „Ueber den Organismus der Polythalamien u. s. w. S. 21“ beschreibt und Taf. I. Fig. 6, Taf. VII. Fig. 10 u. 12 zeichnet, wurden nicht beobachtet. Ob die von diesem Natur- forscher nicht beschriebenen scheinbaren Vacuolen der con-

750 ©. B. Reichert:

tractilen Rindensubstanz zur Auffassung dieser bläschenförmigen Körper geführt haben, oder ob ich bisher nicht so glücklich gewesen bin, Thiere mit wirklichen, in der centralen Leibes- substanz gelegenen Bläschen zu erhalten, darüber mögen wei- tere Forschungen entscheiden.

3. Die contractile Leibessubstanz bildet die den centralen bläschenführenden Bestandtheil umgebende Rinden- schicht des weichen Polythalamienkörpers. Ob die- selbe an der Oeffnung der Schale mit einem Eingange verse- hen sei, war bei der Gromia oviformis nicht zu ermitteln; doch wurde in einem Falle an der Oeffnung der Schale eine körnige flockige Masse beobachtet, die vielleicht von dem centralen Be- standtheile stammte. Die contractile Leibessubstanz stellt bei Gromia oviformis einen in der äusseren Form dem Gesammt- körper entsprechenden plattgedrückten, ellipsoidischen Hohlsack dar, und richtet sich demnach hier, wie bei anderen Polythala- mien, nach der Schale, mit nothwendiger Berücksichtigung der Siphonen. Sie ist wahrscheinlich bei der Bildung der Schale betheiligt, scheint aber später fast vollständig von derselben sich abzulösen, da das Meerwasser zwischen Schale und Rin- densubstanz selbst in grösserem Umfange eindringt; auch ist bekannt, dass der weiche Polythalamienkörper der Gromia ovi- formis theilweise die Schale verlässt. Ausser der Contractilität besitzt die Rindensubstanz des weichen Polythalamienkörpers wahrscheinlich auch die Eigenschaft, Excrete zu liefern, durch welche zur Nahrung dienende Thiere getödtet werden. Sie verräth ferner sensible Erscheinungen dadurch, dass die ausge- streckten Fortsätze bei Berührung mit heterogenen Elementen sich zurückziehen; sie ist wahrscheinlich auch Respirations- organ, und dürfte ihre lebhafte Körnchenbewegung zum fort- währenden Wechsel des Meerwassers beitragen. Aus der Art und Weise, wie die vielkammerigen Foraminiferen sich ver- grössern und wachsen, darf kaum bezweifelt werden, dass sie einen wesentlichen Antheil bei diesem Bildungsprocesse hat. Es ist endlich von mir beobachtet worden, dass sich Abschnitte von ihr ablösen und, wie es scheint, gänzlich zu Grunde gehen, so dass sie einer Art Regenerationsprocess unterliegt. Durch

Ueber die contractile Substanz (Sareode, Protoplasma) u. s. w. 75]

Regeneration per intussusceptionem muss in der zürückgeblie- benen Rindenschicht die Ergänzung Statt haben.

4. Die contractile Rindensubstanz des Polythalamienkörpers ist im Ruhezustande, auch mit Hülfe des Mikroskops, als ge- sonderter Bestandtheil nicht zu erkennen; sie ist eine so dünne Schicht, dass sie im optischen Querschnitt bei der Dicke des Polythalamienkörpers und der scheinbar formlosen, centralen bläschenführenden Leibessubstanz nur als Grenzlinie der letzte- ren und nicht doppelt contourirt sich därstellt. Sie wird aber sofort deutlich unterschieden, sobald sie bei der Contraction sich verdickt und Fortsätze entwickelt; auch wenn die centrale Bläschen führende Masse passiv an ihr verschoben wird. Mag sie auch ursprünglich aus einem Complex von Zellen hervorge- gangen sein, so ist doch im ausgebildeten Zustande nicht die geringste Spur einer Zusammensetzung aus irgend welchen ge- sonderten Bestandtheilen wahrzunehmen. Sie zeigt sich in den Scheinfüssen ganz hyalin und farblos, kann aber an verdickten Stellen Farbe annelımen. An den verdickten Stellen und in den. stärkeren Fortsätzen erscheint sie auch fein granulirt, und gewährt mitunter ein mikroskopisches Bild, als ob sie selbst grössere Körnchen enthielte.e Obgleich bei anderen niederen wirbellosen Thieren die Anwesenheit solcher wirklichen Körn- chen in der contractilen Substanz nicht zweifelhaft ist, so muss dies doch vorläufig für die contraetile Substanz der Polythala- mien in Abrede gestellt werden, da die körnige Zeichnung nur ım Contractionszustande hervortritt und demnach auf Uneben- heiten der Oberfläche zurückgeführt werden muss.

5. In Betreff der Bewegungserschemungen des Polythala- mienkörpers, welche mit der Contraetilität der Rindensubstanz in Verbindung zu bringen sind, unterscheide ich active und passive. Zu den passiven gehören: die Verschiebungen und oft scheinbaren Rotationen der centralen bläschenführenden Leibes- substanz in Folge von peristaltisch vorrückenden Einschnürun- gen des contractilen Mantels, und die Ortsveränderungen des Gesammtkörpers. Alle activen Bewegungserscheinungen geben sich durch allgemeine oder locale Veränderungen in der

752 ..@& B. Reichert:

äusseren Form und morphologischen Beschaffenheit der con- tractilen Rindensubstanz selbst zu erkennen.

a. In einfachster Weise zeigt sich die contractile Eigenschaft der Rindensubstanz durch langsam sich einstellende und langsam auch den Ort verändernde Einschnürungen des ellipsoidischen Polythalamienkörpers, in grös- sererer oder geringerer Ausdehnung. An der eingeschnür- ten Stelle ist die contractile Substanz verdickt und zeigt im optischen Querschnitt die Form einer mit der Conea- vität nach Aussen gekehrten schmalen Sichel. Solche Ein- schnürungen sind regelmässig von pas iven Verschiebungen der centralen bläschenführenden Leibessubstanz begleitet.

b. An jeder Stelle der contractilen Rindenschicht erheben sich in Folge der Contractionsthätigkeit Fortsätze in Form von Knötchen, Warzen, Papillen, auch von fla- chen, kuppenförmigen Erhebungen, von Lamel-. len, endlich von langgestreckten, regelmässigen oder mehr unregelmässigen Vorsprüngen. Diese Erhebungen und Vorsprünge zeigen sich, soweit die gegen- wärtigen Erfahrungen reichen, nur an der Aussenfläche der contractilen Rindenschicht. Sie treten entweder an der Öeffnung der Schale oder an einem frei vorgeschobenen Abschnitte des ganzen Polythalamienkörpers hervor; sie entwickeln sich aber auch im Inneren der Schale an jeder beliebigen Stelle der Oberfläche des Polythalamienkörpers. Im letzteren Falle veranlassen sie das Auftreten schein- . barer Vacuolen und Alveolen, die aber, von Meerwasser er- füllt, an der Oberfläche des Körpers und nicht im Inneren der centralen, bläschenführenden Substanz sich befinden. Die Erhebungen beginnen mit einer anfänglich geringen Anhäufung contractiler Substanz in jeder beliebigen Ab- grenzung an der contractilen Membran; sie vergrössern sich dann allmählich durch den Hinzutritt neuer Masse aus der Umgebung, wobei man die contractile Membran über die centrale bläschenführende Leibessubstanz sich fort- ziehen sieht. An einem lamellenartigen oder langgestreck- ten Fortsatze können durch Verstärkung der Contraction

Ueber die contractile Substanz (Sareode, Protoplasma) u. s. w. 753

neue Erhebungen verschiedener Form sich entwickeln, so dass die ursprünglich häutige contractile Lamelle auf die- sem Wege in beliebig verästelte Formen übergeführt wird.

c. Die feinste Form langgestreckter Fortsätze stellen die so- genannten Scheinfüsse der Polythalamien dar. Dieselben entwickeln sich am Auffälligsten ausserhalb der "Schale an der Oeffnung; sie fehlen aber auch nicht inner- halb der Schale bei der erwähnten Vacuolenbildung. In dem von ihnen gebildeten sogenannten Sarcodenetze kön- nen, wie eine mitgetheilte Beobachtung lehrte, häutige Platten der contractilen Substanz dadurch eingeschoben werden, dass, so zu sagen, eine Portion contractiler Sub- stanz, aus welcher Pseudopodien entwickelt sind, die Ver- bindung mit dem übrigen Theile der contractilen Rinden- schicht nur durch einen feinen pseudopodienartigen Faden unterhält. Die Scheinfüsse können zwar unmittelbar aus der Rindensubstanz hervorgehen, meistentheils jedoch ent- wickeln sie sich aus gröberen Fortsätzen, in Folge einer Verstärkung der Contractionsthätigkeit. Als kleinste warzenartige Erhebungen der häutigen contrac- tilen Substanz sind die sogenannten Körnchen bei der Körnchenbewegung zu betrachten. Die- selben treten am Häufigsten an den Pseudopodien auf; ihr Spiel ist aber an allen Fortsätzen, auch an der nicht ver- diekten und erhobenen contractilen Membran , innerhalb und ausserhalb der Schale zu beobachten.

d. Bei der Rückkehr in den sogenannten Ruhezustand zieht 'sich jeder Vorsprung genau wieder auf die Stelle des con- tractilen Sackes oder bei complicirteren Fortsätzen auf die Stelle des Fortsatzes oder der Lamelle zurück, von welcher aus die Erhebung Statt fand. Bei verästelten Formen be- ginnt die Zurückziehung an den Endästen, resp. an den Pseudopodien; und zugleich hört die Körnchenbewegung auf; ihnen nach folgen, so zu sagen, die Stämme. Hier- nach darf als Gesetz festgestellt werden, dass die durch die Contraction verschobenen Theil-

chen der contractilen Rindenschicht nach der Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1865. 49

754

C. B. Reichert:

Rückkehr in den Ruhezustand genau wiederin der Ordnung und in dem Lageverhältniss vorliegen, in welchem sie sich befanden, als die GOontraction begann.

Alle Bewegungserscheinungen, bei welchen grössere Mas- sen der contractilen Substanz in Anspruch genommen wer- den, zeigen eine gewisse Trägheit beim Entstehen, wie bei der Rückbildung. Ein dicker ceylindrischer Fortsatz ge- braucht zu seiner Bildung unter dem Zutritt neuer Con- tractionsmassen stets sehr lange Zeit, bis !/, Stunde und noch mehr; die Entwickelung der feinsten Pseudopodien und namentlich der Körnchen geht rasch vor sich.

Die Contractionsthätigkeit bei der Körnchenbewegung ist noch dadurch ausgezeichnet, dass sie in den meisten Fällen unmittelbar nach eingetretenem Ruhezu- stande eine gleiche Thätigkeit in der benach- barten contractilen Substanz nach sich zieht, so dass dadurch ein Spiel von in beliebiger Rich- tung ablaufenden Contractionswellen erzeugt wird. Gesetzliches in Bezug auf die Richtung dieser Contractionswellen hat sich bis jetzt nicht feststellen las- sen; dem Anscheine nach möchte das Entstehen , das Aufhören und, an Platten und Häuten contractiler Substanz, auch die Richtung der Körnchenbewegung völlig regellos von Statten gehen. Obgleich übrigens das Auftreten eines sogenannten Körnchens der Körnchenbewe- gung eine gleichartige Contractionsbewegung in der Um- gebung zu veranlassen pflegt, so sind mir doch oft Fälle vorgekommen, in welchen Körnchen auftraten und stehen blieben, ohne eine Contractionswelle in Bewegung zu setzen. Ueberhaupt kann als eine Eigenthümlichkeit der Bewegungs- erscheinung der contractilen Rindenschicht angesehen wer- den, dass jede Contractionsbewegung auf einem beliebigen Zustande der Intensität stundenlang ausharren kann.

Ueber die contractile Substanz (Sarcode, Protoplasma) u.s. w. 755

Vergleichung der contractilen Rindensubstanz des Polythalamienkörpers mit der Muskelfaser.

Die Vergleichung der contractilen Rindenschicht mit der Muskelfaser wird ausschliesslich auf die morphologischen Er- scheinungen, und was aus diesen zur Erläuterung des gesetz- lichen Verhaltens der Contractionsthätigkeit sich ableiten lässt, Rücksicht nehmen. Die Vorgänge innerhalb der contractilen Substanz der Muskelfaser, beim Uebergang aus dem ruhenden Zustande in den activen und umgekehrt, sind allerdings noch sehr räthselhaft; selbst über den feineren Bau derselben beste- hen Controversen; dennoch ist ein Versuch, die beiden bis jetzt bekannten verschiedenen Formen contractiler Substanz mit ein- ander zu vergleichen, wie mir scheint, gerechtfertigt, sobald nur anerkannte und unzweifelhafte Thatsachen zum Vergleich herangezogen werden, und sofern dadurch neue Gesichtspunkte und so ein wenn auch geringer Fortschritt zur weiteren Auf- klärung der Contractionsthätigkeit für beide Gebilde sich ge- winnen lässt.

Von den Muskelfasern dürfen meines Erachtens folgende Eigenschaften zum: Vergleich hervorgehoben werden:

1. In den Muskelfasern sind die contractilen Theilchen mit besonderer Beziehung auf die Längsachse eines Cylinders oder überhaupt auf eine Längsachse angeordnet; ein jeder Muskel besteht aus einem Aggregat solcher langgestreckter eontractiler

- Formelemente.

2. Von den Muskelfasern sind andere Bestimmungen für den Gesammt-Organismus als diejenigen, welche sich auf die Contractionsthätigkeit beziehen, nicht bekannt.

3.. Die Contraetionsthätigkeit ist von Formveränderungen der Muskelfasern begleitet, die ich als active Bewegungserschei- nungen bezeichnet habe. Die passiven Bewegungserscheinun- gen zeigen sich in der Umgebung der contractilen Substanz durch Verschiebung der daselbst gelegenen Bestandtheile und etwa vorhandener sogenannter passiver Bewegungsmittel der Organismen, durch Umsetzung der ursprünglichen Druck- kraft der sich verkürzenden Muskelfaser in Zugkraft u. s. f.

49°

756 ©, B, Reichert:

4. In Betreff der acti ven Bewegungserscheinungen ist Fol- gendes bekannt; Ä

‚a. Beim Uebergange der contractilen Substanz der Muskel- faser in den sogenannten activen oder contrahirten Zustand nimmt dieselbe im Längsschnitt ab und im Querschnitt zu, entweder ohne Veränderung oder doch nur mit geringer, Verminderung im Volumen; man darf es kurz auch so ausdrücken: der dünne langgestreckte Körper wird schliess- lich in eine mehr oder weniger dicke Platte oder Scheibe umgewandelt. Bei der Rückkehr in den Ruhezustand stellt sich die ursprüngliche, langgestreckte Form wieder ein.

b. Die Verkürzung und Verdickung einerseits, sowie die Ver- längerung. und Verdünnung andererseits kann scheinbar plötzlich an der ganzen Muskelfaser Statt haben; sie kann aber auch als eine unter dem Mikroskop deutlich wahr- nehmbare Contractionswelle von einem Ende zum anderen ablaufen.

c. Die Contractionsthätigkeit kann auf einen beliebigen Ab- schnitt der Länge der Muskelfaser beschränkt oder locali- sirt sein.

d. Die Contractionsthätigkeit kann auf jedem beliebigen, zwi- schen den äussersten Grenzen gelegenen, Zwischenzustande anhalten; sie kann dann entweder sich steigern, oder auch aus dem activen in den Ruhezustand übergehen.

e. Während der Contractionsthätigkeit müssen die Theilchen der contractilen Substanz in einer, der Form des activen und ruhenden Zustandes entsprechenden und dadurch ge- setzlich geregelten Weise verschoben werden. Man hat sich also vorzustellen, dass die Theilchen der contractilen Substanz in jedem activen und Ruhezustande ein bestimm- tes der jedesmaligen Form entsprechendes Orts- und Lage- verhältniss haben, dass die Verschiebung derselben während der Contractionsthätigkeit auf diese Weise gesetzlich geregelt sei, und dass die Theilchen nach einer Verschiebung genau wieder an den Ort und in das Lagerungsverhältniss zurück- kehren, in welchem sie sich zuvor befanden. Jede ander- weitige Orts- und Lagerungsveränderung der Theilchen ist

Ueber die contractile Substanz (Sarcode, Protoplasma) u. s. w. 757

von der Contractionsthätigkeit ausgeschlos:en; es fehlt den- selben namentlich jene, den tropfbaren Flüssigkeiten zu- kommende gleich leichte Verschiebbarkeit in jeder beliebi- gen Richtung, so dass das jedesmalige Orts- und Lage- rungsverhältniss der Theilchen zu einander von zufälligen äusseren Umständen abhängt und die Möglichkeit beliebi- ger Orts- und Lageveränderungen in sich schlösse. Auch von der Elastieität unterscheidet sich die Contractionsthä- tigkeit organisirter Körper, von anderweitigen Erscheinun- gen ganz abgesehen, dadurch, dass die Verschiebbarkeit der Theilchen nur in einer bestimmten mit Beziehung auf die organisirte Form geregelten Richtung Statt hat.

Die Vergleichung der morphologischen Eigen- schaften und activen Bewegungserscheinungen bei- der contractilen Gebilde lässt folgende drei Unter- schiede hervortreten.

1. Die Muskelfasern sind langgestreckte contractile Gebilde, in welchen die contractilen Theilchen während des so- genannten Ruhezustandes mit Beziehung auf eine Längs- achse angeordnet sind. Welche specielle Form die Faser be- sitze, ob sie cylindrisch oder spindelförmig, oder ob sie, wie bei den glatten ungestreiften Muskelfasern , platt gedrückt sei ünd lancettförmig endige, das mag nicht selten schwierig fest- zustellen! sein. Für die Vergleichung genügt aber auch zunächst die Thatsache, dass die contractilen Theilchen in einer Muskel- faser, mit Rücksicht auf eine Längsachse angeordnet, vorliegen.

Die Muskelfasern treten ausserdem als gesonderte contrac- tile Elemente auf, durch deren Aggregation die Muskeln und Muskelschichten mehr entwickelter thierischer Organismen ge- _ bildet werden.

Die contractile Rindenschicht der Polythalamien stellt während des Ruhezustandes ein sehr dünnes, membran- artig ausgebreitetes contractiles Gebilde dar, in welchem die eontractilen Theilchen mit Beziehung auf einen in der Fläche ausgedehnten oder als Scheibe sich formenden Körper angeord- net sind, Die contractile Rindenschicht der Polythalamien, mag

758 C, B. Reichert:

sie auch ursprünglich aus Zellen hervorgegangen sein, bildet ein zusammengehöriges continuirliches Ganze, in welchem bei ausgebildeten Thieren mit unseren gegenwärtigen Hülfsmit- teln keine gesonderten contractilen Elemente unterschieden wer- den können.

2. In den Muskelfasern ist die Eigenschaft der Contracti- lität, soweit unsere gegenwärtigen Erfahrungen gehen, die haupt- sächlichste, wo nicht die einzige Leistung, welche im Gesammt- Organismus verrechnet ist und zur Geltung kommt. Die con- tractile Rindenschicht der Polythalamien ist ein Hauptbe- standtheil des Gesammtkörpers, von welcher die äussere Form desselben abhängt, und die für den Gesammtkörper nicht blos durch die Contractilität, sondern auch durch ihre respiratorische; secretorische Eigenschaft u. s. w. thätig ist.

3. Die Muskelfaser verwandelt sich beim Uebergange aus dem Ruhezustande in den sogenannten activen oder Contrac- . tionszustand in einen plattgedrückten, scheibenförmigen Kör- per. Die contractile Rindenschicht derPolythalamien erscheint beim Uebergange in den activen Zustand, wie bekannt in ausserordentlich wechselnden Formen. Wenn man indess in Erwägung zieht, dass dies contractile Gebilde ein continuirliches Ganze darstellt, an welchem die Contractionsthätigkeit an jeder beliebigen Stelle und in beliebiger Ausdehnung sich einstellen, unter Heranziehung neuer contractiler Theilchen die in Thä- tigkeit begriffene Masse vermehren, die Form verändern, end- lich an jedem beliebigen Punkte sich steigern kann; so lässt sich das charakteristische und wesentliche Verhalten beim Ueber- sange in den Contractionszustand mit den Worten kennzeichnen: Die ceontractile häutige Platte verwandelt sich schliesslich in einen langgestreckten, unter Umständen cylindrischen Körper. Ist die Contractionsthätigkeit von geringer Intensität und auf eine kleine Stelle beschränkt, so wird sich diese Contractions- form als ein kleines Knötchen und im mikroskopischen Bilde als ein scheinbares Körnchen der contractilen Haut zu erken- nen geben. Vergrössert sich das Knötchen, so entwickelt sich daraus ein papillenartiger, mehr oder weniger langgestreck- ter Körper, welcher an der mit ihm in continuirlicher Verbin-

Ueber die contractile Substanz (Sarcode, Protoptasma) u. s. w. 759

dung stehenden, ruhenden contractilen Rindenschicht wie ein Tentakel oder wie ein Wurzel- oder Scheinfüsschen hervortreten wird. Lamellenartige Fortsätze, alveolenartige Hohlräume wer- den unter der Contractionsthätigkeit eines diesen Formen ent- sprechenden Abschnittes der contractilen Rindenschicht entste- hen. Verästelte Formen können durch Steigerung der Contrac- tionsthätigkeit an schon hervorgetretenen Fortsätzen, unter Her- anziehung neuer Massen sich bilden. Auffallend ist, dass die verschiedenen Contractionsformen, so weit die gegenwärtigen Erfahrungen reichen, nur an der Aussenfläche der contractilen Rindenschicht zum Vorschein kommen. Welche Umstände hier- auf einwirken, ist noch unbekannt, das Gesetz jedoch, dass die im Ruhezustande als Platte oder Scheibe auftretende contractile Rindenschicht der Polythalamien beim Uebergange in den acti- ven Zustand schliesslich langgestreckte Formen in verschiedener Abwechselung annehme, wird dadurch nicht alterirt.

Von den drei namhaft gemachten Unterschieden lassen die beiden ersten, welche die rein morphologische Frage be- treffen, vorläufig eine weitere Vergleichung nicht zu. Beide con- tractilen Gebilde sind jedenfalls morphologisch von ganz ver- schiedenem Werthe und verschiedener Bedeutung. Nur eine ge- naue Kenntniss von der Bildungsgeschichte des Polythalamien- körpers und der Muskelfaser, sowie eine vergleichend anatomische Betrachtung des Gesammtbaues der Polythalamie und der thieri- schen Organismen, in welchen gesonderte Muskelfasern anzutref- fen sind, wird; die rationelle morphologische Beziehung beider contractilen Gebilde zu einander dereinst feststellen können. Mit den Worten, dass die contractile Rindenschicht der Polythala- mie eine unentwickelte Muskelmasse Sarcode, Protoplasma sei, ist eben so wenig, ja noch weniger gewonnen, als mit dem Ausspruche: Die Polythalamie ist ein unentwickeltes Wir- belthier.

In Betreff der Bewegungserscheinungen, in welchen sich die Contractionthätigkeit ausspricht, sind gleichfalls die Un- terschiede auf den ersten Blick sehr auffällig. Bei der Muskel- faser um den Vergleich zu vereinfachen und durch Auffas- sung der Extreme das Gesetzliche in ganzer Schärfe übersehen

760 ©, B, Reichert:

zu lassen verwandelt sich eine cylindrisch geformte contrac- tıle Substanz durch Contractionsthätigkeit in eine an Volum fast gleiche oder gleiche kreisförmig begrenzte Scheibe; bei der contractilen Rindensubstanz der Polythalamien eine kreis- förmig begrenzte Scheibe in einen Cylinder. Eine genaue Untersuchung lehrt indess, dass man es nur mit verschiedenen Modalitäten zu thun hat, unter welchen die contractile Substanz zur Vollziehung willkürlicher und unwillkürlicher Bewegungen und Leistungen im Organismus angelegt und verwerthet ist. Für die Vorstellung von der Contractionsthätigkeit, d. h. von der Verschiebung der contractilen Theilchen in einer bestimm- ten der jedesmaligen Form des contractilen Gebildes entspre- chenden Richtung, ist die Unterscheidung eines sogenannten activen oder passiven Zustandes von untergeordneter Bedeutung. Jene Kraft, welche die eontractilen Theilchen aus einer, mit Be- ziehung auf die Längsachse eines Cylinders geordneten Lage. und Stellung in diejenige verschiebt und überführt, bei welcher die contractilen Theilchen mit Beziehung auf die Achsen des Cylinder-Querdurchschnittes und in Form einer Scheibe gelagert sich darstellen; sie ist in jeder Beziehung genau dieselbe, durch welche auch beim Uebergange in den Ruhezustand die Verschiebung der contraetilen Theilchen aus der Form der‘ Scheibe in die des Cylinders bewirkt wird, und so umge- kehrt in Betreff der Contraetionsthätigkeit bei den Polythalamien.

Wird aber der Uebergang der contractilen Gebilde ın den sogenannten Ruhezustand und die Form dieses Zustandes gleich- falls als active Bewegungserscheinung in Rechnung gebracht, so zeigen Muskelfaser und contractile Rindenschicht der Poly- thalamien hinsichtlich der Contractionsthätigkeit völlige Ueber- einstimmung. Bei Beiden giebt sich dieselbe in dem Wechsel zweier bei contractilen Gebilden während der Action auftreten- den Grundformen zu erkennen: der langgestreckten, eylindri- schen, und der in der Fläche oder im Cylinderquerschnitt sich ausbreitenden Scheibe oder Platte; die Unterschiede beziehen sich nur darauf, dass in beiden contractilen Gebilden, wie gesagt, von anderweitigen morphologischen Verhältnissen ganz abgese- hen, nicht dieselben Grundformen in dem sogenannten activen und passiven Zustande der Contractionsthätigkeit verwerthet sind.

Ueber die contractile Substanz (Sarcode, Protoplasma) u. s. w. 761

Aus dem Vergleich der morphologischen Eigenschaften und Bewegungserscheinungen der Muskelfaser und der contractilen Rindenschicht des Polythalamienkörpers, hat sich demnach er- geben, dass die contractile Substanz bei ihrer Action in zwei Hauptformen auftritt, in langgestreckter, unter Umständen cylindrischer Form, in welcher die contractilen Theilchen mit Rücksicht auf die Längsachse, etwa eines Öylinders, angeordnet sind; und in Form einer Platte oder Scheibe, in welcher die Anordnung der contractilen Theilchen mit Beziehung auf die im Querschnitt des Cylinders liegenden Achsen des Raumes gegeben ist. Die Contrac- tionsthätigkeit selbst zeigtsich in der Verschiebung der contractilen Theilchen aus der einen Hauptform in die andere und umgekehrt. Jede der beiden Haupt- oder Grundformen der contractilen Substanz kann in den thie- rischen Organismen als sogenannter activer oder als Ruhezu- stand verwerthet sein. In der Muskelfaser ist die An- ordnung der contractilen Theilchen mit Beziehung auf die Längsachse des Cylinders als Zustand der Ruhe, die Scheibenform als activer Zustand verwer- thet, umgekehrt bei den Polythalamien.

162 Dr. A. Gerstäcker:

Ueber die Artgrenzen der Honigbiene.

Bestätigung der Parthenogenesis bei den Honigbienen. Von

Dr. A. GERSTÄCKER.

(Aus dem Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin vom 17. October 1865 )

Herr Gerstäcker machte Mittheilungen über die durch Ac- climatisation der Aegyptischen Biene (Apis fasciata Latr.) und durch Paarung derselben mit der Deutschen gewonnenen wis- senschaftlichen Resultate, welche einerseits die von ihm aufge- stellten Ansichten über die Artgrenzen der Honigbiene, anderer- seits die v. Siebold’sche Lehre von der Parthenogenesis von Neuem auf das Vollkommenste bestätigen. In einer vor meh- reren Jahren bei Gelegenheit einer Bienenzüchter- Versammlung zu Potsdam veröffentlichten Schrift hatte der Vortragende die Ansicht widerlegt, dass die gemeine Honigbiene (Apis mellifica Linn.) ausschliesslich auf Europa beschränkt sei, und dass sie z. B. in Afrika durch andere, von ihr specifisch verschiedene Arten ersetzt werde, dagegen auf den Vergleich zahlreicher Exemplare aus den verschiedensten Gegenden des alten Conti- nents gestützt, nachzuweisen versucht, dass sämmtliche in Afrika und die in Asien nördlich vom Himalaya vorkommenden Bienen nur als Färbungs- und Grössen-Varietäten der Europäischen an- gesprochen werden können. Die auffallendste dieser Varietäten, die sich durch besondere Kleinheit, gelbe Färbung des Hinter-

Ueber dre Artgrenzen der Honigbiene, 163

leibes und Schildchens, sowie durch weissliche Körperbehaarung auszeichnende Aegyptische Biene (Apis fasciata Latr.) wurde damals zur Einbürgerung in Deutschland besonders empfohlen und in Folge dessen auch durch den hiesigen Acclimatisations- Verein im Sommer 1864 mit glücklichem Erfolg hierher über- gesiedelt. Ein in Cairo aufgetriebenes, dort bereits domesticirtes Volk dieser Biene wurde nach seiner Ankunft in Berlin dem Lehrer W. Vogel zu Lehmannshöfel bei Cüstrin, einem unserer bewährtesten Bienenzüchter, übergeben , von diesem sogleich ‚durch Ableger vermehrt und letztere zum Theil glücklich über- wintert. Nachdem während des Sommers 1865 eine beträcht- liche Anzahl junger Aegyptischer Königinnen erbrütet worden war, konnte mehrfach zu dem Versuch geschritten werden, letz- tere durch Deutsche Drohnen befruchten zu lassen. Die Ver- mischung gelang vollkommen und bestätigte, da sie fruchtbare Nachkommenschaft zur Folge hatte, auf empirischem Wege die Richtigkeit der Ansicht von der Art-Identität beider Formen. Von besonderem Interesse aber war auch die Beschaffenheit der von einem solchen Elternpaare abstammenden Generation; die aus der ersten Kreuzung hervorgegangenen “Arbeiterbienen gli- chen weder den Aegyptischen noch den Deutschen, dagegen so- wohl in Grösse als in Färbung fast genau den Arbeitern der Italienischen Race, nur dass sie noch das gelbe Schildchen der Aegypterinnen beibehalten hatten. Wurde eine von dem glei- Chen Elternpaare herrührende Königin zum zweiten Male mit einer Deutschen Drohne gekreuzt, so fiel die Nachkommenschaft sehr gemischt, theils farbig, theils ganz dunkel aus. Wäh- rend die Drohnen der Aegyptischen Biene gleich der Königin sonst ein unge färbtes Schildchen haben, gelang es Herrn Vogel dadurch, dass er Aegyptische Arbeiterbienen zum Ablegen von Drohnen-Eiern veranlasste, aus diesen nun Drohnen mit gelbem Schildchen zu erziehen. Würde schon dieses Factum einen neuen Beweis für parthenogenetische Fortpflanzung abgeben, so wird letztere durch die folgende, auch in anderer Hinsicht sehr interessante Beobachtung zur vollen Gewissheit erhoben. In einem von Herrn Vogel gemachten Ableger von Aegypterinnen schlüpften gegen Ende Septembers gleichzeitig über 20 auffal-

764 Prof. Gerstäcker; Ueber die Artgrenzen der Honigbiene.

lend kleine Königinnen aus, welche friedlich neben einer frucht- baren Königin im Stocke verblieben und bald damit begannen, in die Drohnenzellen Eier abzusetzen. Die vom Vortragenden angestellte anatomische Untersuchung solcher durch Herrn Vo- gel eingesandter Königinnen ergab, dass der Geschlechtsapparat derselben in jeder Beziehung normal ausgebildet war, aber durch- weg; die Zeichen der Jungfräulichkeit erkennen liess. Die nur zu einem geringen Umfang entwickelten Ovarien enthielten meist die normale Zahl der Eiröhren, jedoch in diesen keine legereifen Eier; das durchweg vorhandene und regulär gebildete Receptaculum seminis war bei allen leer von Spermatozoen. Es waren also die in Rede stehenden kleinen Königinnen nicht be- fruchtet, hatten aber tmotzdem entwickelungsfähige (Drohnen-) Eier abgesetzt. Als Beleg für diese Beobachtungen wurden vom Vortragenden Exemplare.der Deutschen, Aegyptischen und Italienischen Biene, sowie die aus der Copulation der beiden ersteren gewonnenen Mischlinge vorgezeigt; in gleicher Weise anatomische Präparate der erwähnten Königinnen, an denen die Beschaffenheit‘ der Ovarien und die Anwesenheit des Recepta- culum seminis ersichtlich war.

Berlin, Druck von Gebr. Unger (C. Unger), Königl. Hofbuchdrucker.

| Archiv 7 Anat. u. Phys. 1663. ER RAN:

Archiv 7. Anat. u. Phys. 4803. Ih TE NW

SU

| ST

Warenschieber $0.

R 1 a kn S ur le ii IE Ge

Wagenschieber sc.

Arche f Anal: uwLhus. 4805. IR} . - : Lay’ KV.

ee. ES;

RER . gr > - : - 3 - . E 7 a £ E { © 1 a Se r 2 , x 2 : T. E Be Be Le i E - { > 2 .” 2 . 4 r 3 Dr u " j R | - E £ 1 ; N F \ 5 t Y - < 4 = 2 I / * . f . £ R 3 ö En, 4 + er en r = b> D * = - 5 : Y x | x - ; S } u, ; v \ > E, >, < 4 ® ll N er - “; 3 2 Nr a » ; = ea . 5 \ : E 2 \ H 2 r er 2 2 x Sn ei h ? FR Be = en 2 = cn we 3 \ ? Bellen : ; ö u ee Te . 1. 5 . % f L l & % j ® m E D) ' # R 5 e } { - # x ' > £ A “. - x EN an : h , R , 5 . ö d . x * . \ j : x x RS - 3 a Ta i . ar Se > : - F z % St Ye , N 5 Y j x : a 9 } - rt E & 7 En S 5 | B ERDE e 5 \ * h r u i R r \ 4 { r . . ; ; i 2 B fe A} < 7 > D 2 R 7 y ; P} * nn * * = 3 r = aerk \ x z 1 j - x 2 > . - y u Ä » je B - B v = f E N \ h 4 2, a u t E x ? Gi R OR = EEE ee re a ie 3 ran : ) i £ Y ‚nano Fr ehe > r * 2; x 1 t . E e - - > z z er £ : x Er; E PR rer I - e - EU ne r rn P 5 b - .g gr 2 k gr B e % * ”, re x = r- Y ; it BR ® ö , R c 2 > E = « ) £ A : B Kr P r ö a 3 Fur e 5 ? ı £ e-

OO,

"Anal, u Shırs

chıp /

Ir

EN \ Bir 9 1“ . % = D h ii 1m, N F En s e f ' \ \ = t - IT 15% ! ; BR - { x . ( - \ ? vi I" R j q un as; L sr PM . > Pr s Yu 4 t 5 1 \ 5 | r .

RC

=

Il] IN

‚VASE U/Yi/iY

0 N TERERBEERLELEWET u ee

ET Ah RE N

ee DZ a

a neh een

er Hesplies ar PEN

ee > in are

erg

Te alien DL

EEE ME ee le

BEIDEN TENT. 17 05, Be So la

Nager ten alt BEER a a ee

EN en a er a a F Y ee rer nn ech er % E u a vs h Ne x AR ee gr ee et 1 N BE a ne ee en re 7 LE SE 20 Pa FaW Ta 2 Be 7 2 y u EEE LT DEE ee joy hc oh re ee a ieinieks

a b EEE

PRARTRBFE ENDE SETEE N 20 ee

ee TEEN

a a ee N nn aan Dre Bere ne nn Da Sen} a LE EEE RRELERRRUTT ee ee en

an en Er Be ar nn nn I

se RETTEN En Sie destnelih.

BT ENT s ren © u v ee ET Rn Er a RE Een \ FREIE ap . J 07 . er . u - mon en ee ee N - > . EV . dene ee S EANET ae EEE nee

a en Dat ee Wr eat ee > ce e TER in ln ee ee ee

Sahdnciaeei ne rt

De De er en Sache Setgegagäeriyeiichre 2 ? er m er ee le

ET U u hl ee ee) > rg ET

ne a a N une nern

ME PEST RNER I EI LI 2 La dan 5 Da ie M . mr > D N Fee EMETBETE TE 00 25

Ba a I u ee N

g = 7 hu D n Ze RE ; Ka een an re am m N LAOS ee TEE EEE TEIÄNG HART Ener BON Re Eee Eee BE BEN I nA EREERRETLITEÄRAn EDEN AN FEN UNT rG

ee Te ae an La Be a ne a 2 1 a ae he ae EEE na. ea ee a EN eh SEE

De iR Rn nes serie AINROTIPSINP PUT DIE EEE SET EL PIE EEE Ba ni ae ne KT ee Se nee rare ne A 2 a DEREN Tran Een ee ee a nn

We ee een ee EIERN: a ae a ee a 5 2 BER Se NIp ee Sa ae ad . ne nn MT As ea u 2 j Bere SE EUER n 4 ee

Keen a ee ee De nern Sees MmstLeerree tree HhTHNTT NN. 2 Ki ar 1] & 2 a DI ee wre .

een ee

Te ET El Erz 25 TE Di re en N Pr TE N > en

ne EEE n } -. je . E a waf- yo ee et R u Bee ms ae ee an RE eher Zee v e ee N

A ha re EEERTRTHN -

. ER EUER ROSEN ee R 2 ENTE TEN PAR NARF TON SB ag RATE N ra ee bee Jene MR NN an one a a Br en a a eier ER RE NT De BETONEN Den SELL vun yaarn=

Soma Pe EaeRRoBc NeamhreDBehne FTD N TE ne n - ee ee Pe NE En De Sn are N re en

De a EEE EN u he a ee RE ak = ae er DET ce .) a aeg ee RER

re til