' Alex. Asassiz. | Vibrarn of the Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, Ines | AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, | Dounded bp private subscription, In 1861. INNERE NT ENSNINESNNSSNEN TE Deposited by ALEX. AGASSIZ. No. 7878 . 1 R | ne f x y , 2 N L 3 B N &% N A 4 =) hr x e ’ ‘ - ® ” f N \ 4 x j) ” IT , 2, ‘ ’ n » 4 2 % i - e ” - ‘ f = r > y' . 2 ! v 5 y an f ; N 6 j en a 2 ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE. WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. IIERAUSGEGEBEN VON D*. CARL BOGISLAUS REICHERT, PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHFNDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS , MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFEßSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL’S UND AUTENRIETH’S J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1866. “Mit zwanzig Kupfertafeln. SERILIPZLG. VERLAG vos VEIT ET COMP. Inhaltsverzeichniss. Achscharumow, D., Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften de Aconitin ; Bernstein, Dr. J., in Heidelberg. Phtesnchäugen uhar ae Na- tur des elektrotonischen Zustandes und der negativen Schwankung des Nervenstroms . Bidder, F., in Dorpat. Zur näheren Ben de ae zens und seiner Nerven. (Hierzu Taf. 1.) — — Experimentelle und anatomische Untersuchungen über is Nerven der Glandula submaxillaris. (Hierzu Taf. X.A.) . Bochdalek, Dr. jun., Prosector an der Universität zu Prag. Anatomische Beiträge. (Hierzu Taf. XX.B.) Sr Cyon, Dr. M., aus Russland. Ueber die toxischen Wirkungen der Baryt- und Oxalsäureverbindungen Czajewicz, Dr. F, in Warschau. Mikroskopische en gen über die Textur, Entwickelung, Rückbildung und Le- bensfähigkeit des Fettgewebes. (Hierzu Taf. IX.A.) Danilewsky, Prof. A., in Kasan. en zur Physio- logie des a u . 3 — — Untersuchungen über die Wirkungsart eniekr Aakalorhe auf das Centralnervensystem. (Vorläufige Mittheilung.) Dönitz, Dr. W. Ueber den a Bau der Echinodermen. (Hierzu Far. ıXT1!B:) — — Beschreibung und Beintenmg von Doppels sebirien Dritte Abhandlung. (Hierzu Taf. XIII. u. XIV.) . 518. — — Ueber die Darmzotten : Dogiel, Dr. Johann. Ueber die Wirkung es Ehlerekonm: aut den Organismus der Thiere im Allgemeinen und besonders auf/die Bewesungiiden: Iris‘. 1.2) win. an. hal ala — — Nachtrag zu der Abhandlung: „Ueber die Wirkung des Chloroforms auf den Organismus der Thiere“ Ebstein, Dr. Wilhelm, Assistenzarzt und Prosector am Allen heiligen Hospital in Breslau. Ueber einen sehr seltenen Seite . 255 . 596 Il Seite Fall von Insuffieienz der Valvula trieuspidalis, bedingt durch eine angeborene hochgradige Missbildung derselben. (Hier- ZUBE IT) Wan a st.n. 0 Gruber, Dr. Wenzel, Professor der Anatomie in St. Peters- burg. Weitere Fälle von Einmündung der Vena hemiazyga in das Atrium dextrum cordis beim Menschen. (Bildungs- hemmung und Thierbildung) . . . . E . 224 — — Ueber die secundären Handaurzeikuöchen des Menschen, (Eiierzus Dat AV Tyı 3 2. 207 . . 565 — — Ueber die Valvulae der va u md ra Nase 092 Guttmann, Dr. Paul, in Berlin, Ueber die Unempfindlichkeit des Gehimme und Rückenmarks für mechanische, chemische und elektrische Reize . . N! — — Ueber die giftigen Er ktisn ek Niltobenein te RE — — Bemerkungen über die physiologische Wirkung des Ve- ratan a © RE DEN REN > Werne Hermann, Dr. Lu dima ar, in Berlin. Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften N ee u zu Hirschmann, Heinrich, Stud. med. in Charkow. Ein Bei- trag zur Frage über den Ort der De im Organismus . . - . . . 502 Hollmann, Dr. P. J. eben das De und“ seinen Gebrsuch in der Mediein . . . ...643 Hoyer, Prof. H., in aan Heben in Austritt von Neen fasern in das Epithel der Hornhaut . . . . . 180 Landois, Dr. H. Der Stigmenverschluss bei den Ben @lierzuslar A.) 0. . 41 — — Die Entwickelung der ons Samen De den Lepidopteren. (Hierzu Bat, ILB) 2.2722 90 Landois, Dr. H., und Thelen, W. Der Tracheenverschluss bei Tenebrio nor (Mehlwurm). (Hierzu Taf. X.B) . . . 391 Landois, Dr. Leonard, Privatdocent an der Universität in Greifs- wald. Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens durch zu frühzeitige Geschlechtsfunction a (Eiierzu Tat Vin 3 . 204 Mecznikow, Elias, Zur Geschichte der es von an Ent- wickelung der Nematoden. (Schreiben an Hrn. Prof. E. du Bois-Reymond), 2.2... . 144 — — Ueber eine Larve von Balanoglossus. (ie Tat. XV. B) 592 .Melnikow, Nicolaus, Privatdocent an der Universität zu Ka- san. Ueber die Verbreitungsweise der Gefässe in den Häu- ten des Darmkanals der Lota vulgaris Cuv. (Hierzu Taf. XV1I.A.) 587 Mettenheimer, Dr. med, C. Ueber die Ablagerung des schwar- III Seite zen Pigmentes in den Lungen und dem Lungenfell. (Hier- zu Dar B.)...=. 2.003.080 BINBE NSINSEIRWERSGO Meyer, Prof. Hermann, in Zürich. Ueber das neue, von Herrn Dr. Jagor aus Malacca mitgebrachte Gift. (Briefliche Mit- theilung an Prof. du Bois-Reymond). . . . . 284 — — Geschichtliche Bemerkungen zu Dr. H.Landois’ Auksitz: „Ueber die Entwickelung der ae Spermatozoen bei den Lepidopteren“ . . . 288 — — Das Ellenbogengelenk. Achter Beitrie zur Meckanık de menschlichen Knochengerüstes. (Hierzu Taf. XII) . . . 464 — — Das Handgelenk. Neunter Beitrag zur Mechanik des mensch- lichen Knochengerüstes. (Hierzu Taf. XVIIL.B). . . . 657 — — Einige Worte über Beugung, Streckung, Supination und Pronation. (Nachtrag zum vorstehenden Artikel) . . . . 670 Munk, Dr. Hermann. Untersuchungen zur allgemeinen Nerven- Pliysiolama, zen 7 ae ee a ee rat Naunyn, Dr. B., erster Assistenzarzt der medizinischen Uni- versitätsklinik in Berlin. Ueber eine eigenthümliche Ge- schwulstform der Leber (Oystosarcoma hepatis). (Hierzu AED I OR a A FE ERLERNEN 0) — — Ueber die Entwicklung Ir ee Tuner Kat. XIV. UNO RAT A... ln Pokrowsky, Dr. W., aus St. Beh Uehde er Wesen ei dene wer zur Physiologie der Herz- innervatin . . . 99 Reichert, C. B. eenen zu M. Schnklze, s orale je Eee. Reichert und die Gromien . . . . 286 — — Ueber die Saftströmung (Rotation, res) des Phhnzen. zellen mit Rücksicht auf die Contractilitätsfrage . . . . 417 — — Ueber die contractile Substanz und den feineren Bau der Campanularien, Sertularien und Hydriden. (Gelesen in der Sitzung der Akademie am 23. Juli 1866.) . . . . 638 — — Ueber die netzförmigen, intercellulär verlaufenden nike ren Gallengänge. (Hierzu Taf. XX.A. Fig. 7.) . . . „734 Reinhardt, J. Ueber den Hautpanzer der megatheroiden Thiere. (Briefliche Mittheilung an C. B. Reichert.) . . . . .414 Rosenthal, Dr. I.,in Berlin. Notiz über Herzgifte. . . . . 647 Sander, Dr. J. Die Spiralfasern im Sympathicus des Frosches. (Hierzu Tal EA) won... De 2 2398 — — Ueber Faserverlauf und Baden 1 ori cerebri anterior bei den Säugethieren, . . . 750 Simonoff, Dr. L. N., Docent der Patfielogi a Pherapie in Kasan. Die ae smechanismen der Säugethiere expe- rimentell bewiesen. (Hierzu Taf. XV.) . -. : 2... ..545 IV Seite Sklarek, Dr. W., in Berlin. Zur physiologischen De der ‚arsenigen Säure . . . . 481 Tscheschischin, Dr. J., aus Russland Ta Dehre | von thierischen Wärme . . lan Volkmann, A. W. Weitere nahen Mn 2 Hidee) ob | die Zapfen der Netzhaut als Raumelemente beim Sehen fungiren . .. . 649 Wagener, Dr. G. R. er Bora (orale), nd Eydinge nalen: von Helgoland. (Hierzu Taf IIl, IV, VJa.. te. 121 uU 2.116 — — Ueber Redien und Sporocysten Filippi. (Hierzu Taf. vI) 145 F. Bidder: Zur näheren Kenntniss des Froschherzens u. s.w. 1 Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. Von F. BiDDER in Dorpat. (Hierzu Taf, I.) Die Erfahrungen, welche Stannius (zwei Reihen physiolo- gischer Versuche, Müller’s Archiv 1852, S. 85) nach Um- schnürung verschiedener Gegenden des Froschherzens mit einem Faden über die rhythmische Thätigkeit dieses Hohlmuskels ge- macht hatte, wurden von ihrem Urheber als Thatsachen be- zeichnet, die zwar auf die Existenz zweier verschiedener Cen- tralorgane im Herzen hinzuweisen schienen, eines die Contrac- tionen hemmenden und eines sie fördernden, deren genügende Deutung jedoch schwer zu geben sei. Zwar boten die gleichzeitig von mir veröffentlichten, auf Durchschneidung des regelmässig fortschlagenden Froschherzens und auf anatomische Untersuchung seiner Nerven gegründeten Ansichten (über functionell verschie- dene und räumlich getrennte Nervencentra im Froschherzen, Müller’s Archiv 1852, S. 165) den Anfang einer Basis zur näheren Erklärung des Stannius’schen Versuchs dar, und wurden auch bei der späteren Prüfung der fraglichen Erschei- nungen nicht unberücksichtigt gelassen. Aber theils treten die folgenden Beobachter den von mir gemachten Angaben entgegen, theils stimmen sie auch unter einander nicht überein. Während Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866, 1 . 2 F. Bidder: ich nämlich das Centrum für die rhythmische Schlagfolge des Herzens in diejenigen Nervenzellen glaubte verlegen zu müssen, die an der Vereinigungsstelle der beiden Herzzweige des Vagus auf der Vorhofswand und im Verlaufe der beiden Scheidewand- nerven sich finden, den von mir zuerst nachgewiesenen soge- - nannten Atrioventricularganglien dagegen nur die Vermittelung von Reflexactionen zuzuschreiben mich veranlasst sah, verwirft Heidenhain (Disquisitiones de nervis organisque centralibus cordis, dissert. inaug. Berol. 1854, und Müller’s Archiv 1858, S. 479) die Sonderung der Ganglien des Froschherzens in auto- matische und reflectorische, unterscheidet vielmehr wie Stan- nius Hemmungs- und Bewegungscentra, lässt an der oberen Grenze der Vorhöfe und dem Venensinus den Hemmungsappa- rat, an der unteren Grenze der Vorhöfe und dem Ventrikel den Bewegungsapparat vorwiegen, und leitet den Herzstillstand bei Anlegung einer Ligatur um die Sinusgrenze von einer da- durch bewirkten Erregung des Hemmungsnervensystems ab. v. Bezold dagegen (Virchow’s Archiv 1858, Bd. 14, S. 282) sucht die Ursache dieser Ruhe in der Trennung des Sinus vom übrigen Herzen, indem auch er bewegende und! hemmende Kräfte annimmt, dieselben auf die Vorhofs- und Ventricular- ganglien vertheilt, und überdies als Träger der ersteren auch besondere Sinusganglien erwähnt. Eckhard (Beiträge zur Anatomie und Physiologie, 2. Heft, Giessen 1858, S. 145), der auch die Pulsationen der Hohlvenen in den Kreis seiner Be- trachtungen hineinzog, nimmt als Grund für die letzteren, Ner- . venästchen mit eingelagerten Nervenzellen an, die für die bei- den oberen Hohlvenen von den Rami cardiaci ausgehen und in die Venenwand eintreten sollen; er bezeichnet in Bezug auf die spontanen Bewegungen des Herzens die Stelle der Vereini- gung der Rami cardiacı auf der Scheidewand des Herzens als „bedeutsam“, vermuthet die Anwesenheit von Ganglien auch in den Vorhofswänden, wo sie bis dahin noch nicht nachgewiesen worden, und erklärt unser Wissen über die Function der Atrio- ventricularganglien für Nichts. Goltz endlich (Virchow’s Ar- chiv 1861, Bd. 21, S. 191) erläutert ausführlich die Frage, ob die Ligatur durch Reizung oder Trennung wirke, bedient sich dazu Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 3 auch der Durchschneidung des Herzens mit scharfen Instru- menten, hält den Luftreiz ab durch Arbeiten unter Oel, erkennt zwar auch an, dass an der Sinusgrenze die für die Herzthätigkeit wesentlichsten Centralorgane liegen müssen, und dass ähnliche Heerde auch an den Vorhöfen und dem Ventrikel sich finden, bekämpft aber ihre Auffassung als automatische Centralorgane, und sieht vielmehr alle Ganglien des Herzens als reflectorische an, die unter gewöhnlichen Verhältnissen durch das Blut ange- regt werden, bei Ausschluss aller Reize aber das Herz auch dauernd ruhen lassen. Wenn Widersprüche wie die eben angedeuteten in einer anscheinend einfachen Frage und in einem der Experimental- kritik überdies leicht zugänglichen Gebiete schon auffallend er- scheinen müssen, so ist doch noch befremdlicher, dass, während von allen Seiten die fraglichen Phänomene in übereinstimmen- der Weise von Alterationen der im Froschherzen enthaltenen Nervenzellen abgeleitet werden, doch — mit alleiniger Aus- nahme einer gelegentlichen Bemerkung von Eckhard, a. a. O, S. 150 — nirgends eine genauere auf anatomische Untersuchung gegründete Angabe darüber sich findet, welches Lagenverhält- niss zwischen den um das Herz angelegten Ligaturen und den bis dahin bekannt gewordenen Nervenzellenanhäufungen in dem- selben obgewaltet habe. Ist es aber durchaus unleugbar, dass die Thätigkeit des Herzens zu den ihm eigenen Nervenzellen in einer innigen und wesentlichen Beziehung steht, und wird die Herzthätigkeit alterirt, sobald Ligaturen um verschiedene Gegenden des Herzens angelegt werden, so macht sich in ganz unabweisbarer Weise das Bedürfniss geltend, festzustellen, wie durch solche trennende Eingriffe die räumlichen Beziehungen der Nervenzellen zu den verschiedenen Abtheilungen der Herz- musculatur geändert werden, welche Zellengruppen oberhalb oder unterhalb der Ligatur oder des Schnittes zu liegen kom- men, welche Abtheilungen des Herzfleisches mit einem fragli- chen Ganglion in Verbindung blieben oder von demselben ge- schieden wurden, u.s. w. Eine Wiederholung der Stannius’- schen Versuche von diesem Gesichtspunkte aus schien also durchaus wünschenswerth, und eine erneuerte Orientirung über 1* 4 F. Bidder: die Nervenverbreitung im Froschherzen hing damit auf’s Engste zusammen. Ich habe die betreffenden Untersuchungen mit Dr. C. Gregory angestellt, der namentlich über den physiologi- schen Theil unserer Erfahrungen in seiner Inauguralschrift (Bei- träge zur Physiologie der Herzbewegung beim Frosche, Dorpat 1865) berichtet hat. Die anatomische Seite des Gegenstandes hat mich aber in Anknüpfung an die frühere Beschäftigung mit demselben so lebhaft interessirt, dass ich ihr noch weitere Auf- merksamkeit zuzuwenden veranlasst wurde. Bei der den heu- tigen Anforderungen nicht mehr entsprechenden Beschaffenheit der älteren Beschreibungen des Froschherzens von J. M. Weber (1832) und A. Burow (1834), sowie in Betracht der ganz un- bestimmten Aussicht auf die Beendigung der trefflichen Ana- tomie des Frosches von Ecker (I. Abth., Knochen- und Mus- kellehre, Braunschweig 1864) dürften die folgenden den Bau des Froschherzens betreffenden Notizen nicht unzeitgemäss er- scheinen. Es handelt sich bei den Stannius’schen Versuchen zu- nächst um eine rings um den venösen Sinus vor seinem Ueber- gange in den Vorhof, oder „genau“ an der Stelle, wo er in den rechten Vorhof mündet, anzulegende Ligatur. Das hierbei ein- zuhaltende Verfahren ist von Stannius eben so wenig als von den nachfolgenden Beobachtern näher angegeben worden. Je- denfalls ist dazu Allem zuvor der Sinus von dem übrigen Her- zen zu unterscheiden, seine Grenze genau zu bestimmen. Das ist eine keineswegs ganz leicht und sicher zu lösende Aufgabe. Nachdem Rumpf und Extremitäten eines Frosches in passender Weise zur Ruhe gebracht worden, lässt sich in der geöffneten Brusthöhle nach Spaltung des Pericardiums, je nachdem die Spitze des Herzens auf die eine oder andere Seite hinüberge- legt oder in die Höhe gehoben wird, der gemeinschaftliche Hohlvenensack durch seine dunkelblaurothe Färbung von den hellrothen Vorhöfen zum Theil allerdings unterscheiden. Aber zu einer vollständigen Uebersicht desselben gelangt man auf diese Weise nicht; nicht allein weil nicht alle Theile des Sinus hierdurch dem Auge zugänglich werden, sondern weil auch in den sichtbaren Parthieen der stete Wechsel von Systole und Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven, 5 Diastole ein Festhalten der Sinusgrenze so sehr erschwert, dass ich das Anlegen einer Ligatur „genau“ an dieser Grenze schon hiernach für eine nur durch einen glücklichen Zufall zu lösende Aufgabe ansehen musste. Um den Sinus in Wirklichkeit rings- um zu überblicken und seine Grenze vollständig kennen zu lernen, ist unerlässlich, das Herz ganz herauszunehmen und seine Wandungen in hinreichendem Maasse zu spannen. . Zu solchem Zwecke bieten sich die beiden bereits von Lud- wig (Müller’s Archiv 1848, S. 143) empfohlenen Methoden der Erfüllung des Herzens mit Luft oder mit einer Leimmasse dar. Das frische Herz wird, nach Spaltung des Herzbeutels, von einem der innerhalb des letzteren gelegenen grossen Ge- fässe aus mittelst einer eingebundenen Canüle aufgeblasen. Am meisten empfiehlt sich hierzu einer der beiden aus dem Aorten- bulbus hervorgehenden Stämme. Zwar könnte das Lufteinbla- sen ebensowohl von einer der drei grossen Hohlvenen erfolgen. Bei der Kürze dieser letzteren aber, und bei der Wichtigkeit, die ihre ganz ungeschmälerte Erhaltung für die Beurtheilung des Hohlvenensinus hat, ist es vorzuziehen, sie in möglichst weiter Entfernung vom Herzen mit einer Ligatur zu umschnü- ren, die Blutzufuhr zum Herzen dadurch abzuhalten, und die beiden Aorten etwa an der Stelle des Abganges der Carotiden zu durchschneiden. Hierdurch werden dem im Herzen noch übrigen Blut zwei Auswege geöffnet, deren einer nach Unter- bindung des anderen zum Lufteinblasen zu benutzen ist. Diese Gefässe sind zur bequemen Aufnahme einer Canüle hinreichend lang, und ihre etwa unvermeidliche Verkürzung beeinträchtigt nicht die Vollständigkeit des Sinus und die Uebersicht seines Verhältnisses zu den Hohlvenen und Vorhöfen. Es ist jedoch rathsam das Lufteinblasen nicht vorzunehmen, so lange die Herzeontractionen nicht sichtlich schwächer geworden sind. Denn wie beim lebenden Thier die innere Herzfläche gegen den Luftreiz ausserordentlich empfindlich sich zeigt, so beginnt auch das ausgeschnittene Herz, selbst wenn es in seinen Zu- sammenziehungen bereits unverkennbar ermattet war, nach dem Einblasen von Luft seine rhythmischen Contractionen mit er- neuerter Kraft, Die Luft wird zwischen Vorhöfen und Ven- 6 F. Bidder: trikel hin und her getrieben, nicht selten mit deutlich hörba- rem Zischen, und da das selbst einige Stunden anhalten kann, so bewirkt die auf die eingeschlossene Luft ausgeübte Pression ein allmähliches Durchtreten derselben nach Aussen, und man findet nur zu häufig ein Herz, das in ganz gelungener Weise ausgedehnt war, einige Stunden darauf doch wieder völlig col- labirt und verschrumpft. Dies tritt um so eher ein, als die Pulsationen des aufgeblasenen Herzens gerade dadurch lebhafter werden, dass dasselbe zum Zweck des Austrocknens frei aufge- hängt wird und ringsum von Aussen wie von Innen den Ein- fluss des atmosphärischen Sauerstoffs erfährt. In letzterem Um- stande ist ja auch der Unterschied begründet, der in Bezug auf Energie und Dauer der Herzthätigkeit nach den Erfahrungen von A, v. Humboldt zwischen dem mit seiner Rückenfläche aufliegenden und dem frei hängenden Herzen Statt findet (B e- zold in Virchow’s Archiv 1858, Bd. 14, S. 282). Ueberdies mag auch die Ausdehnung der Muskelbündel in Folge des Auf- blasens als mechanischer Reiz wirken, wie dies erst neuerdings von A. Brandt (Bulletin de l’academie de St. Petersb., 1865, Tom. VIIL, p. 425) für die rhythmische Thätigkeit des Krebs- herzens experimentell nachgewiesen ist. — Bei der sehr ver- schiedenen Dicke, welche die Wandungen der Kammer, der Atrien und des Sinus besitzen, ist es verständlich, dass die eingeblasene Luft die verschiedenen Abtheilungen des Herzens nicht in gleichem Verhältniss ausdehnt, dass Sinus und Vor- kammern bereits prall gespannt erscheinen, wenn die Kammer nur wenig ausgedehnt sich zeigt. Da es sich jedoch bei der in Rede stehenden Festsetzung auch nur um die erstgenannten - Abtheilungen des Herzens handelt, so bleibt die unvollständige Ausdehnung der Kammer gleichgültig. Ein von Luft ausgedehntes Herz lässt schon bei sofortiger Untersuchung unter Wasser eine vollständige Einsicht in seine äussere Configuration mit Einschluss des Sinus gewinnen. Man hat hierbei zugleich den Vortheil, anhängende Fetzen des Pe- ricardiums oder Peritoneums entfernen, die an den oberen Hohl- venen| herablaufenden Rami cardiaei freilegen, und die Stelle ihres Eintritts in’s Herz genau bezeichnen zu können. Wird Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 7 aber das aufgeblasene Herz getrocknet, so sind nicht allein Ge- stalt und Umfang des Sinus und der Vorhöfe, und das Ver- hältniss der grossen Gefässe zu dem Herzen leicht zu über- blicken, sondern man kann durch theilweises Abtragen der Wände dieser Hohlräume auch ihr Inneres dem Auge zugäng- lich machen, namentlich das Septum atriorum in seiner ganzen Ausdehnung darstellen, seine Anlage an die Wand der Vorhöfe kennen lernen, Stücke desselben sowie der Vorhofs- und Sinus- wand herausschneiden, um sie auf die Gegenwart von Nerven- elementen mikroskopisch zu prüfen. Indessen ist bei der Zart- heit und Brüchigkeit des ganzen Objects die Handhabung des- selben misslich, die Anwendung der Scheere ohne beträchtliche Risse in die Substanz hinein nicht thunlich, und ein Gesammt- bild der in Frage kommenden Verhältnisse nur mühsam aus zahlreichen Bruchstücken zu construiren. Diese Uebelstände lassen sich ganz vermeiden, wenn man das Herz, statt mit Luft, mit einer concentrirten Leimlösung erfüllt. Die über die Eigenwärme des Frosches hinausgehende Temperatur dieser Injeetionsmasse bringt auch die kräftigsten Herzpulsationen bald zum Schweigen, und sichert dadurch den Erfolg der Injeetion. Da bei dieser Art der Ausspannung der Herzwände eine Unterbindung der grossen Venen entbehrlich ist, so lassen sich diese Gefässstäimme in grösserer Strecke dar- stellen, und in ihrem Verhältniss zu den Vorhöfen und dem Sinus um so vollständiger beurtheilen, Das Gleiche gilt von den Pulmonalvenen, die an dem aufgeblasenen Herzen sich kaum markiren, während sie nach der Leiminjection mit aller Vollständigkeit hervortreten. Man kann ferner bei dem raschen Erkalten und Starrwerden des Leims unmittelbar nach der In- jection zur weiteren Benutzung des Präparates schreiten, was für die mikroskopische Untersuchung der Nerven nicht unwich- tig ist. Es lassen sich ferner auch bei längerem Aufbewahren in verdünntem Weingeiste beliebige Stücke der Wandung leicht aus- und abschneiden. Ueberdies bietet die in den Herzhöhlen erstarrende Leimmasse Gelegenheit, vollständige Ausgüsse der- selben und der in sie mündenden Gefässröhren zu erhalten. So lässt sich namentlich aus dem linken Atrium die dasselbe 8 F. Bidder: erfüllende Injectionsgallerte als eine zusammenhängende Masse herausnehmen, an der häufig auch der den Pulmonalvenenstamm erfüllende Leimeylinder ansitzen bleibt. Auch zur Untersuchung der Vorhofsscheidewand sind solche Injectionspräparate vorzüg- lich geeignet, indem nach Abtragung der äusseren Wand des einen Atriums und Herausnahme der dasselbe erfüllenden Leim- masse die entsprechende Seite des Septums leicht zugänglich. wird, und zwar in vollkommen ausgespanntem Zustande, weil der andere Vorhof durch die ihn erfüllende Leimmasse ausge- dehnt erhalten bleibt. Ich kann daher nicht anstehen, der Me- thode der Leiminjection des Herzens den entschiedenen Vorzug vor der Ausdehnung durch Lufteinblasen zu geben. Jedenfalls braucht bei Vereinigung dieser Methoden kaum eine erhebliche Lücke in der Erkenntniss der äusseren Form und der inneren Räume des Herzens übrig zu bleiben, und soweit die im Ein- gange angeregte Frage davon berührt wird, mögen einige dieser Verhältnisse hier erläutert werden. Betrachtet man nach der erwähnten Vorbereitung ein Frosch- herz von der vorderen oder Bauchseite her, so bekommt man kaum mehr zu sehen als schon in dem in seiner natürlichen Lage gelassenen, blosgelegten und noch fortarbeitenden Herzen sich zeigt. Die Grenze zwischen Vorkammern und Kammer ist durch eine Querfurche scharf bestimmt; aus der rechten Seite der Kammerbasis erhebt sich der Aortenbulbus (Fig. 1d), der schräg nach links aufsteigt und alsbald in zwei Stämme sich spaltet, die nach beiden Seiten aus einander weichen, die Vorkammern umgreifend nach oben und hinten gegen die Wir- belsäule sich wenden, und die vordere Fläche der beiden Vor- kammern in drei Abtheilungen scheiden, deren mittlere zwi- schen den beiden Aortenbogen, die beiden seitlichen nach rechts und links von der gleichnamigen Aorta zu liegen kommen. Von - den Hohlvenen kommt, bei vollständiger Erfüllung des Herzens und bei Betrachtung von der vorderen Seite her, nichts zu Ge- sicht. Bei Untersuchung des herausgeschnittenen Herzens von der Rückenfläche her sieht man dagegen, dass die drei vor der Einmündung in den Sinus durchschnittenen Hohlvenen mit dem letzteren eine trichterförmige oder wegen der Excavation Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven, 9 der oberen Grenze kartenherzähnliche Figur bilden, deren nach unten gerichtete Spitze in die untere Hohlvene ausläuft (Fig. 2), während die beiden nach oben gerichteten Ecken die Enden der beiden oberen -Hohlvenen sind, und in den zwischen ihnen befindlichen Ausschnitt die hintere Wand der Vorhöfe hinein- greift. Die Atrien werden daher an ihrer hinteren Fläche in ähnlicher Weise von den beiden oberen Hohlvenen umfasst, wie dies an der vorderen Fläche die beiden Aorten thun. Der zwi- schen diesen grossen Gefässen gelegene Theil der Vorhöfe wird beim Aufblasen oder Injieiren des Herzens besonders stark her- vorgewölbt:. Die Wände der Hohlvenen und des Sinus sind von gleichmässig durchscheinender Beschaffenheit, während die Atrien ein unregelmässig gestreiftes Aussehen haben. Dies hängt mit der verschiedenen Entwickelung der Musculatur zu- sammen, indem quergestreifte und netzförmig verbundene Mus- kelbündel dem Sinus und den Enden der Hohlvenen zwar ebenso wie dem übrigen Herzen zukommen, dort indessen ein einfaches und ziemlich gleichmässiges Stratum bilden, während sie hier in zahlreichen Lagen über einander geschichtet sind, deren innerste als Trabeculae carneae in die Höhle des Her- zens vorspringen. An der tiefsten Stelle des zwischen den beiden oberen Hohl- venen befindlichen Ausschnitts treten an die den letzteren aus- füllende hintere Wand der Vorhöfe die beiden alsbald zu einem gemeinsamen Stamm zusammenfliessenden Pulmonalvenen her- an (Fig. 2e). — Da schon aus dem Bisherigen hervorgeht, dass die Grenze zwischen dem Hohlvenensinus und’den Vorkammern nicht in einer und derselben Ebene liegt (Fig. 3), so ist auch sogleich einleuchtend, dass es ganz unmöglich ist, eine Ligatur „genau* um diese Grenze anzulegen, oder den venösen Sinus „vor seinem Uebergange in den Vorhof“ zu unterbinden. Weil eine solche Ligatur, auch wenn sie bei der Rückenlage des Thieres unter den beiden Aorten durchgeführt wird, oberhalb der Hohlvenen zu liegen kommt, müssen nothwendiger Weise bedeutende Parthieen der Vorhöfe und der Pulmonalvenenstamm mit der demselben dicht anliegenden Vereinigungsstelle der Rami cardiaci unterhalb der Ligatur liegen, d. h. mit dem Sinus in Verbindung bleiben, 10 F, Bidder: Wenn man, um eine Einsicht in das Innere der Herzräume zu gewinnen, zunächst jene stark hervorragende Kuppe abträgt, die zwischen den Aortenbogen sich hervorwölbt, so wird damit nur das rechte Atrium geöffnet. Der Raum der beiden Vor- höfe ist daher durchaus nicht von gleicher Ausdehnung; der rechte dürfte mindestens doppelt so gross sein als der linke, indem die Scheidewand nicht überall in der Mittellinie des Herzens liegt. An der Rückenseite geht sie zwar ziemlich in der Mittellinie dicht an der Einmündungsstelle der Pulmonal- vene von der Innenfläche des Atriums aus. Dagegen legt sich ihr vorderer Rand an die Innenwand der Atrien sogar links von der Stelle an, an welcher äusserlich die linke Aorta auf- liest. Während das Septum im Uebrigen ringsum mit den Wandungen der Vorhöfe verwächst, ist es mit einem freien, von vorn nach hinten verlaufenden Rande über die kreisrunde Atrioventricularöffnung hinübergespannt (Fig. 49), so jedoch, dass, entsprechend der von der Mittellinie nach links abwei- chenden Stellung des ganzen Septums, auch dieser freie Rand nicht der Mitte der Kammermündung entspricht. Vielmehr wird letztere durch den Scheidewandrand in zwei Abtheilungen geschieden, die sich wie die Vorkammern etwa wie 1:2 ver- halten. Aus der in der oben angedeuteten Weise zugänglich gemachten rechten Vorkammer sieht man daher eine mehr als einen Halbkreis umfassende Oeffnung in die Kammer, und eine zweite in den Sinus führen. Letztere lässt sich noch besser übersehen, wenn in die hintere Wand des Sinus selbst ein Fenster eingeschnitten wird. Sie bildet eine elliptische Spalte mit quergerichtetem Längendurchmesser (Fig. 5), die den allei- nigen Weg darstellt, auf welchem das Blut aller drei in dem Sinus zusammentreffenden Hohlvenen in das Atrium gelangt. An dem frischen noch fortarbeitenden Herzen kann man daher auch auf demselben Wege dahin gelangen, diese Oeffnung bei jeder Systole der Kammern völlig verschwinden zu sehen, in- dem die Ränder derselben von allen Seiten her bis zur voll- ständigen Berührung sich nähern, und den Rücktritt des Blutes in den Sinus hindern müssen. Die mondsichelförmige Gestalt, welche Burow (de vasis sanguiferis ranarum, diss. inaug. Re- Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 11 giomonti 1834, p. 8, Fig. 3) der Communicationsöffnung zwi- schen dem Sinus und den Atrien zuschreibt, dürfte wohl eine der mannichfach wechselnden Formen sein, die diese Oeffnung an dem todten und schlaffen Herzen annimmt. Die von Bu- row an dem unteren vermeintlich convexen Rande dieser Spalte angegebenen zarten, pyramidenförmigen Klappenrudimente sind wohl.auch nur ein Ausdruck des collabirten Zustandes des Or- gans, da an dem mit Leim erfüllten wie an dem getrockneten Herzen dieser Rand immer scharf und glatt erscheint. Von einer Klappe kann an dieser Oeffnung wohl überhaupt nicht die Rede sein, da die beiden halbmondförmigen Lippen, von denen sie begrenzt ist, von der hinteren Wand des Atriums selbst durchaus nicht unterschieden sind, so dass die zwischen ihnen befindliche Oeffnung nur eine Spalte zwischen den Mus- kelbündeln des Vorhofs ist, zu deren Verschluss die Verkürzung der letzteren allein für sich vollkommen hinreicht. — Ist in der angedeuteten Weise das Innere des Sinus dem Auge zu- gänglich gemacht, so lässt sich auch der Verlauf des gemein- schaftlichen Pulmonalvenenstammes näher kennen lernen. Der- selbe geht zwischen Sinus und Vorhofswand, im gefüllten Zu- stande jedoch in den ersteren hineinragend, in der Ausdehnung von etwa 1’ schräg von rechts nach links herab, zu beiden Seiten von den beiden Scheidewandnerven begleitet, und als- bald in den linken Vorhof sich einsenkend. — Beim Einschnei- den eines Fensters in die äussere Wand des linken Atriums ist Vorsicht erforderlich, um nicht zugleich das durch einen nur geringen Zwischenraum geschiedene Septum zu verletzen. Man überzeugt sich von dieser Seite her nochmals von der weit ge- ringeren Ausdehnung dieses linken Atriums im Verhältniss zum rechten, von der vollständigen Trennung beider durch die senkrecht zwischen ihnen aufgestellte Scheidewand, von der nur einem Kreissegment entsprechenden Oeffnung, die aus dem linken Atrium in die Kammer führt, und von der Oeff- nung, mit welcher etwa in der Mitte des hinteren Randes des Septums der Pulmonalvenenstamm in den linken Vorhof mün- det (Fig. Ad). — Die kreisförmige Atrioventricularöffnung ist an dem getrockneten Herzen ebenfalls durch eine nach Innen vor- 2 F. Bidder: springende klappenartige Falte bezeichnet, die M. J. Weber (Beiträge zur Anatomie und Physiologie, Bonn 1832, 5. 3) einen callösen Muskelring nennt, und die am frischen Herzen in der Mitte ihres vorderen und hinteren Umfanges, wo das Septum auf sie trifft, eine knötchenartige Verdickung zeigt (Fig. 69), ‘die durch ihre grauweissliche Farbe von der übrigen Umgebung absticht, und durch Anhäufung von Ganglienzellen in die hier eintretenden und zwischen die Muskelbündel sich einsenkenden beiden Scheidewandnerven bedingt wird. Burow (a. a. O. u. Fig. 4) nennt diese beiden „fleischigen, festen, halbmondförmi- gen Lappen wahre Klappen“, und allerdings müssen sie zum Abschluss des Ventrikels von den Atrien beitragen, obgleich die Richtung ihrer Fleischfasern im Wesentlichen der Längs- achse des Ventrikels entspricht und nicht gerade auf den Ver- schluss jener Oeffnung berechnet erscheint. Wenn Burow von diesen Lappen ferner sagt: libere in ventriculum procurrunt, neque ullis fibris cum trabeculis carneis, sed interna superficie cum septi lamella conjunguntur, so ist das erstere entschieden nicht richtig ; denn sie sind nichts anderes als der in der an gegebenen Weise ausgezeichnete :Anfang von longitudinalen Fleischbündeln des Ventrikels, die denn auch in mehrfacher Zahl von diesen Lappen aus gegen die Herzspitze sich fort- setzen. So viel zur Verständigung über den Bau des Froschherzens, insofern hieran die nähere Darlegung des Verlaufs seiner Ner- ven sich anschliessen muss. In letzterer Beziehung ist zunächst hervorzuheben, dass bekanntlich von Aussen her keine anderen Nervenelemente zum Herzen treten als in den von den Herz- zweigen des Vagus gegebenen Bahnen. Nachdem Volkmann (Müller’s Archiv 1838, S. 79), der zuerst die Hirnnerven des Frosches einer näheren Untersuchung unterworfen hatte, in Be- zug auf diese Herzzweige sich auf die Bemerkung beschränkt hatte, dass sie zum Ende des Eingeweideastes des Vagus ge- hören, lieferteEcker (Icones physiol., Leipzig 1859, Tab. XXIV) die erste bildliche Darstellung ihres Anfanges, der vollständig beigepflichtet werden muss. Der Ramus cardiacus ist nämlich ein Zweig des aus dem hinteren Aste des Nervus vagus her- Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 13 vorgehenden Ramus splanchnicus, der zuerst mehrere Fäden zur Speiseröhre und zum Magen entsendet, im weiteren Ver- lauf einen Ramus pulmonalis abgiebt, und endlich in unseren Herzast ausläuft. Dieser geht, wie auch Ecker (a. a. ©. Fig. VI..x3c) abgebildet hat, über den oberen Theil der vorderen Lungenfläche hin, durch den zarten serösen Ueberzug derselben hindurchschimmernd. Gleich in seinem Anfange ist übrigens ebenso wie im weiteren Verlauf dieser Herzast des Vagus auf der linken Seite stärker als auf der rechten. Indem er, bei- derseits in schräger. Richtung verlaufend, der Mittellinie des Körpers sich immer mehr nähert, verlässt er den inneren Rand der Lunge und verbirgt sich sogleich hinter der oberen Hohl- vene seiner Seite. Die Hohlvenen’sind, soweit sie im Herz- beutel liegen, nicht von allen Seiten frei, sondern an ihrer hin- teren Fläche durch Bindegewebe mit den angrenzenden Gebil- den verwachsen. In diesem Bindegewebe liegt der Ramus car- diacus, und gelangt, zwar ausserhalb des Pericardiums, aber der Hohlvene und dem Sinus dicht anliegend, zu der an der oberen halbmondförmigen Grenze des letzteren gelegenen Ein- trittsstelle des Pulmonalvenenstammes. Auf diesem ganzen Wege aber, von dem Abgange aus dem Ramus pulmonalis N. vagi an bis zur Einsenkung in’s Herz selbst, einer Strecke von 4"! und mehr, giebt unser Nerv keine nachweisbaren Aeste an die Venen, denen er anliegt, ab. Dies muss ich gegenüber einer älteren Angabe von Ludwig und einer neueren Bemer- kung von Eckhard ausdrücklich hervorheben. Wenn nämlich Ludwig (a. a. O. S. 140) sagt, dass die Herzzweige des Va- gus, so lange sie auf den Scheiden der Venen und in dem Zwi- schenraume zwischen letzteren und der Lunge laufen, zahl- reiche Plexus bilden, deren Aeste aber allmählich wieder zu einem Stamm gesammelt werden, wenn sie sich der Gabel der Venae jugulares (cavae?) nähern, so hat hierbei — wie ich ver- muthen muss — eine Verwechslung mit denjenigen Nerven- plexus Statt gefunden, die da, wo Herzbeutel und Peritoneum zusammenstossen, unter dem serösen Ueberzuge der Leibes- höhle sehr reichlich angetroffen werden. Wenn man nicht blos den im Herzbeutel liegenden Theil der Hohlvene, son- 14 F. Bidder: dern zugleich die Gegend herausnimmt, wo sie aus dem Zu- sammenfluss der Vena brachialis, jugularis und facialis ent- steht, werden solche Nervenplexus niemals vermisst werden. Eine genauere Untersuchung derselben lässt aber gar keinen Zweifel darüber, dass die fraglichen grösseren und kleineren, zuweilen nur aus wenigen Primitivfasern bestehenden Bündel zwar vielfach über oder unter dem Ramus cardiacus hinziehen, aber mit ihm selbst gar nichts zu schaffen haben. Auch Eck- hard (a. a. O. S. 149) giebt an, dass der Ramus cardiacus die Hohlvene mit Zweigen versorge, welche Ganglienzellen beher- bergen. Nach erneuerter Untersuchung dieser Verhältnisse muss ich jedoch bemerken, dass Nervenfäden, die in unzweideutiger ‘Weise in die Venenwand sich einsenken, mir nie entgegenge- treten sind. Dagegen muss ich allerdings zugeben, dass die Rami cardiacı auch schon da, wo sie den Hohlvenen anliegen, kleine Gruppen von Nervenzellen darbieten (Fig. 7a u. b),! die nach experimentellen Erfahrungen als Centralorgane für die selbständigen Pulsationen dieser Gefässstämme fungiren. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass von ihnen Nervenfäden ab- gehen, die für die Venenwand bestimmt sind, aber vielleicht wegen der Kürze ihres Verlaufs dem Blicke entgehen. Erst da, wo die oberen Hohlvenen in den Sinus übertreten, beginnen die Rami cardiacı deutliche Aeste abzugeben.. Aber auch dies ge- schieht weder bei verschiedenen Exemplaren noch auch bei einem und demselben Thier auf beiden Seiten in gleicher Weise. Zuweilen nämlich bleiben die Elemente unserer Nerven auch auf der Sinuswand zu einem ungetheilten Stamm vereinigt, der aus der convexen Seite des Bogens, den er hierbei bildet, einen oder mehrere feine Aeste entsendet, die an dem Sinus gegen die untere Hohlvene hinablaufen (Fig. 7 d,d). In der Mehrzahl der untersuchten Thiere sind die vom Ramus cardiacus der rechten Seite abgehenden Sinuszweige zahlreicher und stärker als die der linken Seite. An den Abgangsstellen dieser Zweige finden sich gewöhnlich Gruppen von Ganglienzellen. Mitunter bilden die beiderseitigen Sinuszweige einen Plexus mit eben- falls eingestreuten Nervenzellen, aus dem schliesslieh einige zarte Nervenbündel gegen die untere Hohlvene hinablaufen; Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 15 eben so häufig fehlt aber auch ein solcher Plexus, und die Si- nusnerven schlagen den letzterwähnten Weg unmittelbar ein. In anderen Fällen dagegen spalten sich die Rami cardiaei schon auf der Sinuswand in mehrere Zweige — ich habe deren bis vier gefunden —, von denen der am tiefsten liegende die Si- nuszweige abgiebt, und hierauf gleich den übrigen wiederum nach oben sich biegend, mit ihnen convergirend zur Einsen- kungsstelle des Pulmonalvenenstammes sich begiebt. Immer sind jedoch die Rami cardiaciı an dem Sinus mit zahlreichen Nervenzellen versehen, die theils in Gruppen auftreten, theils in einfacher Reihe neben einander liegend den Nerven wie mit einem Perlensaum einfassen, zuweilen aber auch ganz unregel- mässige Haufen bilden. Während die beiden Rami cardiacı auf der hinteren Wand des Sinus nur lose aufliegen, senken sie sich zugleich mit dem. gemeinschaftlichen Pulmonalvenenstamm tiefer in die Herzsub- stanz ein. Sie liegen an der hinteren Fläche oder zu beiden Seiten dieses Gefässes, und bilden bald gleich im Anfange des- selben noch an der oberen bogenförmigen Grenze des Sinus, bald etwas tiefer in seinem weiteren, kaum mehr als 1“' be- tragenden Verlaufe den bekannten gangliösen Plexus, von dem bisher angegeben wurde, dass er auf der Scheidewand. selbst seine Lage habe. In dieser „Anastomose“ stehen die Nerven in dem Verhältniss zu einander, das in seinen wesentlichen Zügen bereits früher bezeichnet worden ist, und über welches sich eingehendere Details wegen der hier obwaltenden Schwan- kungen nicht wohl geben lassen. Im Allgemeinen lässt sich nur sagen, dass aus diesem Plexus schliesslich zwei auf der Scheidewand der Vorhöfe weiter verlaufende Aeste hervorgehen, und dass in demselben, ähnlich dem Chiasma opticum, die nach der inneren Seite hin gelegenen Faserbündel eine vollständige Deeussation zeigen, während die äusseren Bündel beider Ner- ven auf derselben Seite bleiben. Hierbei setzt sich übrigens der stärkere Ramus cardiacus sinister mit der entschiedenen Mehrzahl seiner Fasern in die hinteren Scheidewandnerven fort, während der schwächere Herzzweig der rechten Seite mit ziemlich gleichen Portionen in beide Scheidewandnerven ein- 16 F. Bidder: - tritt. Selbstverständlich folgt schon hieraus, dass der hintere Scheidewandnerv den vorderen beträchtlich an Stärke übertrifft. — Die Aehnlichkeit des in Rede stehenden gangliösen Plexus mit dem Chiasma opticum spricht sich noch in einem anderen Umstande aus, der freilich nur selten in ganz entschiedener Weise der Beobachtung sich darbietet. Es zeigt sich nämlich, dass Fasern aus dem einen Ramus cardiacus bogenförmig in den anderen übergehen, so dass es demnach in dem Herzaste des Vagus auch Elemente giebt, die kein peripherisches Ende zu haben scheinen, ähnlich der Commissura arcuata posterior des Chiasma opticum. Diese Commissurenfasern erscheinen manch- mal von dem Plexus durch einen Zwischenraum geschieden, der sie in ganz unzweideutiger Weise kenntlich macht (Fig. 7e); in einem Falle wurden drei Bündel derselben, deren jedes aus mehreren Primitivfasern bestand und mit jedem seiner beiden Enden zur centralen Seite des betreffenden Ramus cardiacus gerichtet war, in ihrem ganzen Verlaufe deutlich unterschieden. Da das Vorkommen eines solchen Faserverlaufs, wenn einmal nachgewiesen, als ein beständiges Verhältniss angesehen wer- den muss, so ist die Vermuthung berechtigt, dass für gewöhn- lich die bezüglichen Nervenfasern in den Plexus selbst einge- bettet sind, und durch die Decussationsbündel verdeckt werden. Ist diese Lagerung aber die Regel, so wird das Verhältniss auch allgemeiner so aufgefasst werden können, dass man sagt, es kehren einige Fasern des Ramus cardiacus von dem gan- gliösen Plexus wieder zurück. Es geschieht dies nachweislich zwar nur in der Bahn des entsprechenden Nerven der anderen Seite; ist aber diese rückläufige Richtung einmal nachgewiesen, so darf angenommen werden, dass das Gleiche auch auf der anderen Seite geschehe. Von diesen rückkehrenden Fasern müsste nun entschieden werden, wohin sie sich begeben. Es wäre möglich, dass sie bis zum Ursprung des Vagus hinauf- reichen; sie könnten aber auch schon in den Nervenzellen der Rami cardiaci, wo letztere den Hohlvenen anliegen, ihr Ende finden, und nach unten anzuführenden physiologischen Erfah- rungen ist letzteres das Wahrscheinlichere. Aus jenem Plexus gehen indessen noch andere Zweige her- Zur naheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 17 vor. An der Vereinigungsstelle der Rami cardiaci findet sich nämlich eine sehr reiche Anhäufung von Ganglienzellen, die sowohl um die Stämme und Decussationsbündel derselben, bald reihenweise, bald in unregelmässige Haufen zusammengelagert sich finden, als auch in’s Innere der Nervenbündel eingebettet sind, und durch die bedeckenden Fasern hindurchschimmern. Welches auch das Verhältniss der Zellen zu den Nervenfasern sein mag, so ist es doch nicht zweifelhaft, dass aus dieser Ganglienmasse zahlreiche neue Nervenfasern ihren Ursprung nehmen müssen. Denn aus ihr gehen, zwar in wechselnder Zahl, Stärke und Richtung, aber ganz beständig, Nervenbündel ab, die zu den Atrien sich begeben, ebenfalls mit Nervenzellen ausgestattet sind, und nicht allein nach der sichtbaren Richtung ihrer Fasern wenig oder gar nicht von den Rami cardiacı ab- geleitet werden können, sondern auch in Verbindung mit den beiden Scheidewandnerven eine Gesammtzahl von Nervenfasern beherbergen, die die Summe der in den Rami cardiaci einge- schlossenen Elemente augenscheinlich weit übertrifft. Nichts- destoweniger ist in der Wand der Vorhöfe die Menge der Ner- venelemente doch nur eine sehr geringe; denn man findet in beträchtlichen Stücken, die aus dieser Wand herausgeschnitten wurden, nicht selten gar keine oder doch nur sehr vereinzelte Nervenfasern, die über beträchtliche Strecken der Muskelmasse hinlaufen ohne Theilung und Verästelung, ohne erhebliche Aen- derung ihres Durchmessers, und die plötzlich dem Blicke sich entziehen, auch wo von einer durch die Präparationsmethode herbeigeführten Trennung der Nervenfasern nicht die Rede sein konnte. Die beiden Scheidewandnerven lassen sich eben so leicht als vollständig in ihrer natürlichen Lagerung dem unbewaffne- ten Auge’) zugänglich machen, wenn man an dem mit Leim erfüllten Herzen in der früher erwähnten Weise die Wand des linken Vorhofs abträgt, und die linke Seite der Scheidewand 1) Auch M. J. Weber sind diese Theile nicht entgangen, nur meint er, da damals noch keine mikroskopische Untersuchung ange- stellt werden konnte, dass sie vielleicht nur Gefässe sind (a. a. 0. $. 2). Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866, 2 18 F. Bidder: dadurch in ihrer ganzen Ausdehnung und in gespanntem Zu- stande sichtbar macht. Links von der Mitte ihres hinteren Randes befindet sich die Mündung des Pulmonalvenenstammes (Fig. 4d), an deren unterem oder seitlichem Umfange die bei- den Scheidewandnerven zum Vorschein kommen, und indem sie von hier sogleich zur Atrioventricularöffnung sich wenden» ist die ganze obere Hälfte des Septums von Nerven frei. Der hintere Scheidewandnerv läuft in ziemlich gerader Richtung gegen den Ventrikel hinab; der vordere dagegen beschreibt, um zur Atrioventricularöffnung zu gelangen, einen Bogen oder ein fast rechtwinkeliges Knie, dessen Convexität nach vorn ge- richtet ist; er ist eben deshalb neben seiner geringeren Stärke auch länger als sein stammverwandter Nachbar (Fig. 4eu.f). — Bei mikroskopischer Untersuchung tritt an beiden Scheidewand- nerven eine eigenthümlich gedrehte Lagerung ihrer Elemente hervor, indem die Nervenfasern nicht, wie sonst gewöhnlich, im Wesentlichen parallel neben einander liegen, sondern wie die Fäden eines gewundenen Taues durch einander geschlun- gen erscheinen. Beide sind ferner durch zahlreiche Nerven- zellen ausgezeichnet, die in der schon bei den Rami cardiaei bemerkten Weise gelagert erscheinen; nur wenige und kurze Strecken beider Nerven sind von Zellen ganz frei. Beide end- lich senden in wechselnder Entfernung, Zahl und Stärke mei- stens zwei bis vier Aeste ab, die gegen die angehefteten Rän- der des Septums gerichtet sind, Nervenzellen in beträchtlicher Zahl beherbergen, sich weiter und weiter theilen, und schliess- lich in ihre einzelnen Primitivfasern zerfallen. Weil trotz die- ser abgehenden Aeste die Scheidewandnerven bei ihrer Ankunft an der Atrioventrieularöffnung an Dicke durchaus nicht verrin- gert erscheinen, muss während ihres Verlaufs in ihnen selbst Veranlassung zur Entstehung neuer Nervenfasern gegeben sein. Ob die erwähnten Aeste über die Ränder der Scheidewand hin- ausgehen und bis in die Wände der Vorhöfe sich fortsetzen, wage ich nicht mit Bestimmtheit zu bejahen; doch ist es mir wahrscheinlich, dass dies geschieht, weil einige Mal an dem hart am Vorhofe abgetrennten Septum vereinzelte Nervenfasern mit durchschnitten erschienen, die wohl erst auf der Vorhofs- Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 19 wand ihr Ende zu erreichen bestimmt waren. — Unmittelbar oberhalb der beiden sogenannten Klappen der Atrioventricular- öffnung bildet jeder Scheidewandnerv eine schon mit blossem Auge deutlich wahrnehmbare Verdickung (Fig. 49, Fig. 6 du. e), die sich unter dem Mikroskop als durch Zellenmasse bedingt erweist. Es sind dies die beiden Atrioventricularganglien, und die aus ihnen hervorgehenden Zweige setzen sich weiter fort in diese fleischigen Klappen, werden aber durch zwischen sie eingewebte Muskelelemente aus einander gedrängt, spalten sich sofort weiter, und entziehen sich durch rasches Zerfallen in einzelne Primitivfasern sehr bald der ferneren Beobachtung. Es ergiebt sich also aus dem Vorstehenden, dass die an den oberen Hohlvenen hinziehenden Rami cardiaci zwar nicht nachweisbare eigene Nervenfasern an diese Gefässe abgeben, wohl aber für sie bestimmte Nervenzellen besitzen, und an dem Sinus sehr reichliche Ganglienformation darbieten; dass die Wand des Sinus afısser der an ihrem oberen Rande befindli- chen gangliösen Plexusbildung auch ihr eigenthümlich angehö- rende Nervenfasern mit Nervenzellen besitzt; dass die Wand der Vorhöfe theils aus diesem Plexus, theils aus den Nerven der Scheidewand Nervenfasern mit eingebetteten Nervenzellen erhält; dass die beiden Scheidewandnerven an die Musculatur, in der sie eingelagert sind, nur wenige Zweige abgeben, die auch ihrerseits Nervenzellen führen; dass endlich das Fleisch des Ventrikels aus den beiden Atrioventriceularganglien Nerven- zweige bezieht, die jedoch nur in der Nähe der Ventrikelbasis nachweisbar sind, während in der übrigen mindestens zwei Drittheile umfassenden und nach der Herzspitze hin gelegenen Masse desselben keine Nervenelemente mehr mit Sicherheit nachzuweisen sind. Von den mit steter Berücksichtigung dieser anatomischen Facta angestellten Ligaturversuchen Gregory’s hebe ich aus dessen Dissertation nur die hauptsächlichsten Thatsachen und Ergebnisse hervor, und muss in Betreff des Details auf die fleis- sige Arbeit selbst verweisen. Bei Anlegung einer Ligatur „genau * an der Sinusgrenze 38 20 F. Bidder: bleibt die an der Vereinigungsstelle der beiden Rami cardiacı gelegene Hauptganglienmasse, sowie ein Theil der Vorhöfe und der Scheidewandnerven immer mit dem Sinus in Verbindung. Diese oberhalb der Ligatur gelegenen Theile nebst den drei Hohlvenen setzen ihre Pulsationen mit unveränderter Frequenz und Energie fort; sie werden durch Galvanisiren der Vagi zum Stillstand gebracht; nach Entfernung des Hauptganglions hören die Pulsationen zwar nicht sogleich auf, erlöschen aber weit früher als bei unversehrtem Herzen. Der unterhalb der Ligatur gelegene Theil der Vorhöfe und die Kammer verfallen nach einigen Schlägen in Ruhe, während welcher sie jedoch einen örtlichen mechanischen Reiz durch eine sofortige einmalige Con- traction beantworten. Auch ist jene Ruhe keineswegs eine dauernde, sondern macht nach etwa 10—20 Minuten wieder ein- tretenden Pulsationen von sehr verminderter Frequenz und Ener- gie Platz, die daher auch weit früher als die Contractionen des Sinus und der Vorhöfe gänzlich auffren, durch Gal- vanisiren der Vagi aber nicht gehemmt werden. Werden je- doch, nach Eröffnung des linken Vorhofs unterhalb der Li- gatur, die beiden Atrioventricularganglien nebst den angrenzen- den Parthieen der Scheidewandnerven entfernt, so pulsiren Vor- höfe und Ventrikel zwar fort, aber die Pulsationen erlöschen früher, als ohne diesen Eingriff zu erwarten wäre. Bei Ligaturen an dem Sinus selbst, so zwar, dass die rechte Hälfte des Sinus nebst der unteren und der rechten oberen Hohlvene von dem übrigen Herzen geschieden, der Ramus car- diacus der rechten Seite mit in die Ligatur gefasst wurde, und der gangliöse Plexus links von der Ligatur zu liegen kam, — setzten der abgeschnürte Sinustheil ebensowohl als das übrige links von der Ligatur gelegene Herz ihre Pulsationen ununter- brochen fort, nur war beiderseits die Frequenz um einige Schläge vermindert, bald mehr auf der einen, bald mehr auf der anderen Seite der Ligatur. Reizung des rechten Vagus blieb ganz ohne Wirkung; Galvanisirung des linken wirkte zwar auf die links von der Ligatur gelegenen Theile ganz in der gewöhnlichen Weise ein, liess aber die rechts gelegenen Par- thieen unbeeinträchtigt. — Für die rhythmische Bewegung des Froschherzens existirt also nicht ein scharf umschriebenes Cen- A Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 91 tralorgan, sondern eine Vielzahl getrennter Oentra (Volkmann, Hämodynamik, Leipzig 1850, S. 396), die zu einheitlicher Wir- kung combinirt werden können, also unter einander in Verbin- dung stehen müssen, und bei Trennung dieser Verbindung zwar jenes harmonische Zusammenwirken aufgeben, aber die Herr- schaft über die ihnen zunächst untergeordneten Muskelregionen noch bewahren. Der vorübergehende Stillstand gewisser Herz- parthieen nach einer Ligatur um.die Sinusgrenze ist nicht Folge von Irritation eines Hemmungsapparates, sondern nur Resultat der unterbrochenen Einwirkung einiger oberhalb der Ligatur gelegenen Ganglienmassen auf die unterhalb derselben befind- lichen Muskelbündel; die wenigen diesem Stillstande gewöhnlich vorausgehenden Contractionen sind auf den durch den Ligatur- faden ausgeübten mechanischen Reiz zu beziehen. Wird eine Ligatur an der Querfurche des Herzens angelegt, so bleiben die Atrioventrieularganglien unterhalb derselben lie- gen und mit dem Ventrikel in ungestörter Verbindung. Letz- terer setzt seine Öontractionen zwar noch eine Zeitlang fort, aber mit sehr verlangsamtem Rhythmus, und verfällt nach 3 bis 15 Minuten in dauernden Stillstand. Jene Ganglien sind also allein für sich nicht im Stande, die rhythmischen Bewe- gungen des Ventrikels zu unterhalten. Wenn eine solche Li- gatur die durch Umschnürung der Sinusgrenze zum Stillstand gebrachten Herztheile zu erneuerten Zusammenziehungen be- stimmt, so erlöschen diese doch bald nach 1 bis höchstens 15 Minuten, und sind von dem mechanischen Reiz des Fadens ab- zuleiten; daher nach Wegnahme der Ligatur das Herz sofort in Diastole stillsteht. — Ganz gleiche Erscheinungen wie durch Umschnürung mittelst eines Fadens lassen sich auch durch Durchschneidung des Herzens an den bezeichneten Stellen her- vorrufen. Werden Ligaturen um die Einmündungsstellen der drei Hohlvenen in den Sinus angelegt, so stellen die oberen Hohl- venen ihre Pulsationen sofort und bleibend ein, und werden von dem in seinem Abfluss gehinderten Blut stark ausgedehnt; die untere Hohlvene, obgleich auch stark mit Blut gefüllt, setzt nach einer kurzen Pause von 1—3 Minuten ihre Pulsationen 22 F. Bidder: mit verlangsamtem Rhythmus fort, während das Herz selbst in seinem früheren Rhythmus fortschlägt. Wurden die Hohlvenen an derselben Stelle durchschnitten, so stellen sie zwar in der Regel ihre Contraetionen auch sofort ein, nehmen sie jedoch nach einigen Minuten wieder auf, und zwar so, dass ihre Schläge weder unter einander noch mit denen des Herzens übereinstimmen. Werden die vom Herzen abgetrennten pulsi- renden Hohlvenen durch einen abermaligen Querschnitt halbirt, so verfällt die zum Herzen gelegene Hälfte in Stillstand, die peripherische dagegen pulsirt fort. Wurden aber nunmehr die oberen Hohlvenen in ihrem Beginn, wo sie aus dem Zusam- menfluss der Vena jugularis und brachialis entstehen, oder die untere Hohlvene hart am Leberrande durchschnitten, so dass jede Hohlvene in zwei Stücke zerlegt wird, die weder mit dem Herzen noch mit dem übrigen Verlauf der Venen in Verbin- dung sind, so stehen beide Venenstücke durchaus still. — Alle diese scheinbar höchst widerspruchsvollen Erscheinungen finden ihre Erklärung in dem Umstande, dass die Anwesenheit von Blut in den Venen eine Bedingung für ihre Pulsationen ist. Nach Durchschneidung aller drei Hohlvenen zeigen sich nur selten Pulsationen an denselben, weil schon die erste Durch- schneidung so viel Blut gekostet hat, dass die übrigen Venen nicht mehr hinreichend gespeist werden. Es darf aber die An- füllung mit Blut nicht so-weit gehen, dass dadurch ein von dem Contractionsvermögen der Vene nicht mehr zu besiegendes Hinderniss gesetzt wird. Daher der Stillstand bei Unterbindung der oberen Hohlvenen, und Wiedereintritt der Pulsationen so- bald durch eine kleine Oeffnung dem angesammelten Blut ein Ausweg geschafft wird; während der Stillstand bei der unteren Hohlvene gewöhnlich fehlt, weil ihre Ausdehnung durch stauen- des Blut wegen des möglichen Abflusses in die Leber oder an- dere parenchymatöse Organe nicht den hohen Grad wie bei den beiden oberen Venen erreicht. — Die drei Hohlvenen des Frosches sind also selbständiger, von den im Herzen selbst ge- legenen Bewegungscentren unabhängiger Pulsationen fähig, und als Centralorgan derselben müssen, wenigstens für die oberen Hohlvenen, die Ganglienzellen angesehen werden, die in den Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 93 Rami cardiaci eingebettet sind, wo letztere noch an den Hohl- venen herablaufen. Auf diese Centra wirkt Galvanisirung der Vagi bekanntlich ebenfalls hemmend ein, aber nur so lange die Hohlvenen mit dem Herzen in ungestörter Verbindung bleiben, nicht aber nach Durchschneidung oder Umschnürung derselben. Es muss also in den Rami cardiaci nicht blos zum Herzen gehende, sondern auch vom Herzen zu den Centren der Venen- pulsation zurückkehrende Fasern geben, und vielleicht dürfen die oben erwähnten Commissurenfasern an dem gangliösen Plexus auf dieses Verhältniss bezogen werden. — Der schon vor Jahren von mir gethane Ausspruch, dass die automatischen Bewegungen des Herzens von den an der Vereinigungsstelle der Rami cardiaci sowie im Verlaufe der beiden Scheidewand- nerven vorhandenen Nervenzellen bestimmt werden , darf also auch gegenwärtig noch als wohlbegründet angesehen werden; nur ist derselbe dahin zu ergänzen, dass auch die seitdem an den Hohlvenen, der Sinuswand und den Vorhöfen nachgewie- senen Ganglien bei der Rhythmik der bezüglichen Herztheile in’s Spiel kommen. Alle diese Ganglienmassen sind aber auch Reflexcentra, und stehen bei der Vermittelung reflectirter Be- wegungen ebenso wie beim Hervorrufen automatischer Contrac- tionen des Herzfleisches in einer Verbindung, die ihr harmo- nisches Zusammenwirken möglich macht und bedingt. Ebenso ist es auf’s Neue bewiesen, dass den Atrioventricularganglien ein irgend erheblicher Antheil an der Vermittelung der rhyth- mischen Herzactionen nicht zuzuschreiben ist. So wünschenswerth es wäre, diese physiologischen Erfah- rungen durch den genauen anatomischen Nachweis des Ganges der Nervenfasern im Herzen zu erläutern und zu bekräftigen, so scheint doch hierauf für jetzt noch verzichtet werden zu müssen. Wie die in den gangliösen Plexus eintretenden Fa- sern der Rami cardiaciı zu den austretenden Nervenfibrillen, und beide Reihen von Nervenfasern zu den dieses Ganglion bildenden, sowie zu den übrigen so reichlich in das Herzfleisch eingelagerten Nervenzellen sich verhalten, darüber vermag ich 24 F. Bidder: trotz wiederholt darauf gerichteter Aufmerksamkeit auch gegen- wärtig nicht mehr anzugeben, als bereits früher geschehen; und Ludwig’s schon im Jahre 1848 gethaner Ausspruch, dass man, um in diesen Fragen entschieden weiter zu kommen, neue Wege und Methoden der Forschung finden müsse, ist auch heute noch nur zu wahr. Zwar behauptet Kölliker (Gewebelehre, 4. Aufl. 18635, S. 585), dass die Ganglien in der Scheidewand der Vor- höfe wie an der Kammermündung nur unipolare Zellen enthal- ten, dass die Vagusäste des Herzens keinerlei Verbindungen mit diesen Ganglienzellen eingehen, sondern ganz und gar für sich verlaufen, und die Ganglien nur durchsetzen, um für sich zum Herzfleische zu gehen, und dass die Physiologie daher jene Theorieen verlassen müsse, die den Vagusfasern einen unmit- telbaren Einfluss auf die Ganglien zuschreiben. Indessen wird die Endgültigkeit dieser Aussprüche, so lange eine nähere An- gabe des Weges, auf welchem sie gewonnen wurden, fehlt, um so eher bezweifelt werden dürfen, als physiologische Erfahrun- gen eben so sehr für einen unmittelbaren Einfluss der Vagus- fasern auf die Ganglien des Herzens als gegen ihre Endigung im Herzfleisch sprechen. Soweit die sichere Erkenntniss der Nervenverbreitung im Froschherzen gegenwärtig reicht, dürfte nur die Behauptung gerechtfertigt erscheinen, dass jede Ner- venfibrille ein beträchtliches Muskelgebiet zu beherrschen be- stimmt ist, wobei übrigens auch daran zu denken wäre, dass diese Herrschaft nicht auf einer directen Einwirkung auf die Gesammtheit der Muskelbündel beruht, sondern bei der netz- artigen Verschmelzung der Fleischfasern vielmehr dadurch ver- mittelt wird, dass eine unter dem Einflusse des Nerven zur Verkürzung bestimmte Muskelfiber ihre nächsten Nachbarn aus der Ruhelage zerrt, und dass der hiermit gesetzte mechanische Reiz aus anatomischen Ursachen eine rasche Verbreitung finden muss. Dass dem Muskelgewebe das Vermögen zukomme, Aen- derungen seiner moleculären Verhältnisse durch seine Masse fortzuleiten, ist allerdings schon behauptet worden, und es darf nur daran erinnert werden, dass Kühne (Myologische Unter- suchungen, 1860, S. 60) hervorhebt, wie der Muskel die Erre- gung seiner eigenen Substanz von Querschnitt zu Querschnitt Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. 95 auch ohne Nervenvermittelung zu übertragen vermag. Wenn es aber bei Muskeln mit parallel verlaufenden und von ein- ander geschiedenen Fleischbündeln unerklärt bleiben musste, wodurch die Leitungsfähigkeit derselben bedingt werde, so scheint für die netzförmig gebauten Muskeln die Unmöglich- keit lokal beschränkter Contractionen aus eben dieser anato- mischen Anordnung mit Nothwendigkeit zu folgen. Jedenfalls aber bleibt eine genauere Ermittelung des feineren Details bei der Nervenverbreitung im Froschherzen noch immer ein Desi- derat der Histologie wie der Physiologie. Dorpat, am 12. December 1865. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1—6 sind bei etwa viermaliger, Fig. 7 bei 200facher Ver- grösserung gezeichnet. Fig 1. Vordere Ansicht eines mit Leim erfüllten Froschherzens. a Herzkammer, 5 rechte Vorkammer, c linke Vorkammer, d Aorten- bulbus mit seinen beiden Hauptästen, e die von der hinteren Herz- fläche hervortretende rechte, und / die linke obere Hohlvene. Fig. 2. Hintere Ansicht desselben. a gemeinschaftlicher Hohl- venensack, 5 untere Hohlvene, c rechte obere, d linke obere Hohlvene, e Pulmonalvenenstamm, f u. g an den Hohlvenen herablaufende Rami eardiaci. Fig. 3. Seitliche Ansicht desselben. «a, 5 und c Vena facialis, jugularis und brachialis der linken Seite, d die aus deren Vereini- gung hervorgehende obere Hohlvene, e der an ihr herablaufende Ra- mus cardiacus, f untere Hohlvene, g Pulmonalvenenstamm. Fig. 4. Ansicht der linken Seite des Septums nach Hinwegnahme der Wand des linken Atriums. «& Aortenstamm, 5 linke obere Hohi- vene, c Septum atriorum, d Mündung des Pulmonalvenenstammes in den linken Vorhof, e vorderer, / hinterer Scheidewandnerv, g Atrio- ventricularganglien, zwischen denen der untere freie Rand der Schei- dewand über die Atrioventricularöffnung hinübergespannt erscheint. Fig. 5. Hohlvenensinus, nach theilweiser Wegnahme der hinteren Wand, um die elliptische in das rechte Atrium führende Mündung darzustellen. a linke, d rechte obere Hohlvene, c untere Hohlvene, d Pulmonalvenenstamm, e Fortsetzung desselben in der gemeinschaft- 96 F. Bidder: Zur näheren Kenntniss des Froschherzens u. s. w. lichen Vorhofs- und Sinuswand mit den beiden zur Scheidewand hin- ziehenden Nerven. Fig. 6. Innenfläche der beiden Atrien nach Abtragung der oberen Hälfte derselben und perpendiculärer Spaltung der Scheidewand. — a Theil der hinteren Fläche des Herzens nebst Herzspitze, 5 rechte obere Hohlvene, c zurückgeschlagene Vorhofswand mit den an der Innenfläche derselben sichtbaren Trabeculae carneae, d u. e die bei- den Scheidewandnerven nach Zerreissung des Septums der Innenfläche der Vorhofswand aufliegend, f obere ebene Fläche der Kammerbasis (Webers callöser Muskelring), g die beiden sogenannten Klappen der Atrioventricularöffnung. Fig. 7. Segment aus der hinteren Wand der beiden oberen Hohl- venen und des Sinus, um die Nerven des letzteren zu zeigen; die Nerven bei 200maliger Vergrösserung, die Gefäss- und Sinuswand der Raumersparniss wegen beträchtlich reducirt. a linker, 5 rechter Ramus cardiacus, c Vereinigungsstelle derselben dicht vor dem nicht mit herausgenommenen Pulmonalvenenstamm, d,d für den Sinus be- stimmte Nervenästehen, e Commissurenfasern zwischen den beiden Rami cardiaci. L, Hermann: Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. 27 Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. Von Dr. Lupımar HERMANN in Berlin. Man kennt seit längerer Zeit eine Anzahl von flüchtigen Substanzen, welche leicht mittelst der Lungen dampfförmig auf- genommen werden können, und nach ihrer Resorption auf wel- chem Wege es auch sei, eine Reihe von Symptomen hervor- rufen, deren auffälligstes und wichtigstes Bewusstlosigkeit und in Folge davon Anästhesie ist. Näher bezeichnet ist die Sym- ptomenreihe') folgende: Ein Stadium der Exeitation mit erhöh- ter Reflexerregbarkeit, Erregung der Applicationsstelle (Brennen, Schmerz, Reflexe), vermehrter Puls- und Athemfrequenz, ver- engter Pupille; hierauf folgt ein Stadium der Depression mit Abnahme der Puls- und Athemfrequenz, Erweiterung der Pu- pille, Bewusstlosigkeit, also Anästhesie, verminderter , selbst aufgehobener Reflexerregbarkeit, daher vollkommener Muskel- ruhe, — endlich Aufhören der automatischen (Herz- und Athem-) Bewegungen. Die bekanntesten der so wirkenden Substanzen sind Aether und Chloroform. Nach und nach hat man auch vom Amylen, dem Chloräthyl und seinen Chlorsubstituten (Aether anaestheti- eus, Liquor hollandieus), dem Essigäther und vielen anderen ähnlichen Verbindungen (neuerdings durch Simpson vom Chlor- 1) Eine genaue Analyse der Symptome zu geben, ist nicht meine Absicht, da von anderer Seite in nächster Zeit Mittheilungen über diesen Punkt zu erwarten sind. 98 L. Hermann: kohlenstoff C,Cl,, der sich als letztes Chlorsubstitut des Methyl- chlorürs betrachten lässt), dieselben Wirkungen kennen gelernt. Die Gruppe ist indess in Wahrheit noch viel grösser. Die ge- naueste Beobachtung lehrt nämlich, dass dem (Aethyl-, Methyl- und Amyl-) Alkohol genau dieselben Wirkungen zukommen, nur aus weiter unten zu besprechenden Gründen mehr in die Länge gezogen; ausserdem erscheinen hier heftigere locale Ne- benwirkungen (vielleicht von der Albuminfällung durch Alkohol herrührend). — Ferner gehört hierher, trotz einiger Abweichun- gen (Convulsionen vor dem Depressionsstadium und in der Re- stitution) der Schwefelkohlenstoff, der ebenfalls local ziemlich intensiv einwirkt. — Endlich kann man diesen Sub- stanzen, wie ich schon früher angedeutet habe, noch drei gas- förmige Verbindungen anreihen, das Stickstoffoxydulgas, Methylchlorürgas und ölbildende Gas. Alle drei haben viel weniger intensive Wirkungen als die früher genannten Stoffe. Der Rausch geht fast nie bis zur Bewusstlosigkeit. Es ist leicht zu constatiren, dass alle genannten Körper in das Blut und in die Gewebe aufgenommen werden können, al- lerdings in sehr verschiedenen Maximalmengen, welche am grössten sein werden bei dem in jedem Verhältniss mit wäss- rigen Flüssigkeiten mischbaren Alkohol u. dgl., viel geringer bei Chloroform, Aether, Schwefelkohlenstoff, am geringsten end- lich bei den oben genannten Gasen; denn obgleich diese von Wasser in ziemlich bedeutender Menge aufgenommen werden können (Stickoxydul etwa 70, ölbildendes Gas 15, Methylchlorür 400 Volumprocente!) bei Zimmertemperatur), so sind doch die Gewichte der aufgenommenen Mengen verschwindend klein im Vergleich zu denen selbst der schwerlöslichsten Flüssigkeiten. Ferner lehren alle Erscheinungen, dass die Wirkung der genannten Stoffe nur so lange vorhanden ist, als diese selbst sich im Organismus befinden. Ihre Ausscheidung geschieht durch Harn, Haut und Lungen, um so leichter und schneller (namentlich durch die Lungen), je füchtiger die Substanzen, 1) Erstere beide Zahlen nach Bunsen, die dritte nach Baeyer (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CIIL, S. 181—184). Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. 29 und je mehr die Umgebung (durch Trockenheit und Wärme!) ihre Abdunstung befördert. Mit der Ausscheidung schwinden die Erscheinungen in der Regel spurlos. Wo locale anato- mische Veränderungen entstanden sind (z. B. bei concentrirtem Alkohol), bleiben diese eine Zeit lang bestehen, und selbst ge- ringe können durch häufige Wiederholung der Einwirkung sich zu chronischen Störungen summiren. Es entsteht nun die Frage, welcher gemeinsamen chemi- schen Einwirkung die genannten, chemisch so verschiedenen Körper ihre analogen Wirkungen auf das Nervensystem verdan- ken. Vom Aether und Chloroform ist seit Kurzem (durch v. Wittich und Böttcher) eine Eigenschaft bekannt, die, wie wir sehen werden, zur Beantwortung dieser Frage eine Handhabe bietet: nämlich die Fähigkeit, Blutkörperchen im Plasma aufzulösen. Es ist mir zunächst gelungen, diese Eigenschaft bei allen darauf untersuchten anästhetisch wirkenden Flüssigkeiten wie- der zu finden. Bei den meisten Stoffen genügt der Zusatz einer geringen Menge zu einer Quantität Blut und einmaliges Umschütteln; sofort oder nach einigen Minuten wird das Blut vollkommen lackfarben, und wenn das Blut ein leicht krystal- lisirendes ist (z. B. Hundeblut), so scheiden sich bald Hämo- globinkrystalle an den Wänden des Gefässes ab. Dies gelingt ausser (wie bereits bekannt) mit Aether und Chloroform, vor- trefflich namentlich mit Schwefelkohlenstof. Bei Körpern, welche, wie der Alkohol, in grösserer Concentration Verände- rungen der Albuminstoffe hervorbringen, erfordert der Zusatz zum Blute grosse Vorsicht. Sehr leicht aber gelangt man auch hier zum Ziel, wenn man sie dampfförmig, also sehr all- mählich, dem Blute zuleitet. Aus einem Gasometer wird Luft durch (zweckmässig etwas erwärmten) Alkohol und dann durch das Blut geleitet. Letzteres bringt man am besten, wie bei allen Versuchen über die Wirkung von Gasen auf Blut, in das 1) Hierdurch erklärt sich wohl die bekannte Erfahrung, dass bei strenger Winterkälte zuweilen ein Alkoholrausch von einem Grade, der sonst leicht vertragen wird, apoplectiforme Zufälle herbeiführt, die durch Emetica schnell vorübergehen. 30 L. Hermann: schon früher von mir angegebene verticale Kugelrohr. Sehr bald sieht man das Blut vollkommen lackfarben werden, weiter- hin aber bei fernerem Durchleiten coaguliren. Statt der Luft kann man jedes andere Gas (H, NO, auch CO) zu diesem Versuche verwenden. Dies Verfahren ist übrigens auch für Aether, Chloroform u. s. w. mit. Vortheil anwendbar. Von den angeführten Gasen besitzt nur das absorbirbarste, das Methylchlorür eine hiermit zusammenhängende Wirkung; bei den beiden anderen konnte ich sie nicht mit Sicherheit wahrnehmen. Reines Methylchlorür (C,H,Cl) kann man sich verschaffen, wenn man die von Baeyer (a. a. O.) entdeckte Eigenschaft dieses Gases benutzt, unter 6° C. ein krystallisi- rendes Hydrat zu bilden. Das aus Kochsalz, Schwefelsäure und Holzgeist durch Erwärmen entwickelte, durch Wasser und Kalilauge gewaschene Gas wird in stark abgekühltes Wasser geleitet, welches dabei zu einer Krystallmasse erstarrt. Diese Masse lässt sich im Winter leicht aufbewahren und giebt zum Gebrauche leicht beim Erwärmen der Flasche mit der Hand oder in warmem Wasser das Gas ab. Dasselbe bewirkt in Blut keine Auflösung der Blutkörperchen, sondern nur die Anfangs- stadien derselben, welche ich zu diesem Behufe genauer stu- dirt habe. Ich bediente mich hierzu folgender Vorrichtung: In ein dosenförmiges Kästchen, aus Glas geblasen, ähnlich dem von Kühne angewandten'), aber an beiden Polen in Glasröhren auslaufend, dessen obere Glaswand die Dünne eines Deckgläs- chens besitzt, wird ein Tropfen Blut so gebracht, dass sich derselbe unter der Deckplatte in Form eines Streifens ausbrei- tet. Auf den Boden des Kästchens kommt etwas Wasser, um den Raum feucht zu halten. Betrachtet man jetzt den Blut- streifen, auf dessen Rand einstellend um eine möglichst dünne Schicht zu beobachten , mittelst einer starken Vergrösserung (Hartnack’sches Immersionssystem Nr. 9), so sieht man die Blutkörperchen in ihrer charakteristischen Gestalt und geldrol- lenartigen Anordnung. Das eine Rohr der feuchten Kammer 1) Virchow’s Archiv, Bd. XXXIV., S. 428. Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. 31 ist mit einem dünnwandigen mit Aether gefüllten Fläschchen verbunden, bestehend aus einem Glasröhrchen, dessen Ende: zu einer Kugel ausgeblasen ist. Sowie man die Kugel in erwärm- tes Wasser eintaucht, sieht man folgende Veränderungen in dem Blute eintreten: Die Blutkörperchen gerathen plötzlich in Bewegung, indem sämmtliche Geldrollen zerfallen und der Tropfen sich unter dem Glase ausbreitet, so dass der Rand vorrückt. Jedes Blutkörperchen schwillt an seinem Rande an, während die Mitte ihre Dünne behält; so tritt ein Stadium ein, in welchem jedes Blutkörperchen vollkommen ringförmig erscheint, indem der aufgewulstete Rand sich gegen das dünne Centrum in einem sebr scharfen Contour abhebt. Das Centrum erscheint stets auffallend roth im Vergleich zu der grünlichen Randwulst. Der Rand schwillt immer mehr an, indem er sich aussen zur Kugel abrundet, und innen gegen die (senkrecht zur ursprünglichen Scheibe gedachte) Achse fortwährend vor- wächst, bis schliesslich das ganze Körperchen eine vollkommene Kugel geworden ist, an der man anfangs noch die Endpunkte der Achse als rothe nabelartige Punkte erkennt. Jetzt ist das ganze Gesichtsfeld mit stark lichtbrechenden Kugeln (Kreisen) erfüllt, die meist in einer einfachen Schicht dicht gedrängt da- liegen, oft den zierlichsten Anblick einer sechseckigen Mosaik darbietend. Nun beginnen einzelne Körperchen an Lichtbre- chungsvermögen zu verlieren und immer mehr zu verblassen, bis sie schliesslich, meist spurlos, verschwinden. Sehr schnell ergreift dieser Process sämmtliche Körperchen, während gleich- zeitig die Flüssigkeit roth wird, und kleine Hämoglobinkrystalle (wenn z. B. Hundeblut verwendet wurde) hier und da anschies- sen; Krystallbildung in noch bestehenden Körperchen habe ich nie bemerkt. Einzelne Körperchen hinterlassen ein sehr klei- nes schwach lichtbrechendes Körnchen , und diese letzteren scheinen sehr klebrig zu sein, da sie sich schnell zusammen- ballen , feinkörnige, blasse, unregelmässige Flocken bildend (Globulin?). Die ganze Erscheinungsreihe läuft sehr schnell ab; man kann sie aber in die Länge ziehen, wenn man den Aether nur sehr schwach erwärmt, oder weniger flüchtige Substan- zen anwendet (Alkohol, Schwefelkohlenstoff). Beim Schwefel- 32 L. Hermann: kohlenstoff treten häufig zahlreiche stark lichtbrechende Tröpf- chen im Blute auf, die sich schnell vergrössern und confluiren; sie bestehen aus überdestillirtem und condensirtem Schwefel- kohlenstofl. — Dieselbe Erscheinungsreihe tritt auch bei der Einwirkung gallensaurer Salze auf Blut ein (auf einem gewöhn- lichen Objectträger beobachtet). Bei der Einwirkung destillir- ten Wassers erfolgt die Bildung der Kugelform und das Ver- blassen der Kugeln genau in derselben Weise; die Kugeln blei- ben aber immer sichtbar (Rollett’s Stromata). Das Methylchlorürgas nun, in die feuchte Kammer geleitet, bewirkt ebenfalls Zerfall der Geldrollen, Aufschwellen der Rän- der, und einzelne Kugelformen, aber kein Verschwinden der- selben, auch macht es das Blut durchaus nicht lackfarben. Letzteres geschieht erst in der Wärme, bei 60° (durch Eintau- chen des ganzen Apparats in erwärmtes Wasser), ist aber dann nicht der Wirkung des Gases zuzuschreiben.') Wenn wir demnach die lösende Wirkung auf Blutkörper- chen als eine gemeinsame Eigenschaft der anästhetisch wirken- den flüssigen Substanzen (vielleicht selbst der Gase, allerdings hier nur den geringen im Blute sich lösenden Mengen entspre- chend) betrachten können, so gilt es jetzt, den Zusammenhang dieser Eigenschaft mit der anderen, allen gemeinsamen Wirkung, nämlich der auf das Nervensystem aufzusuchen. Der nächste sich aufdrängende Gedanke ist der, dass die Zerstörung der Blutkörperchen selbst, sei es durch Beeinträch- tigung der Respiration (Sauerstoffaufnahme), sei es durch die Wirkung des freigewordenen Hämoglobins, die angegebenen Wirkungen auf das Nervensystem ausübe. Indessen sprechen gegen diese Annahme folgende Gründe: 1) Es können hoch- gradige anästhetische Wirkungen eintreten, ohne dass eine merkliche Anzahl von Blutkörperchen zerstört wäre. Für die Zerstörung von Blutkörperchen im circulirenden Blute besitzen wir nämlich ein sehr empfindliches Reagens: das Auftreten von 1) Vgl. Max Schultze, ein heizbarer Objecttisch und seine Ver- wendung bei Untersuchungen des Blutes. Dessen Archiv für mikro- skopische Anatomie, Bd. I., Heft 1. Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. 33 Gallenfarbstoff im Harn; bekanntlich aber ist Ikterus, wenn auch häufig bei Chloroformwirkung beobachtet, doch keineswegs eine eonstante Erscheinung. — 2) Eine etwaige Beeinträchti- sung der Respiration kann nicht die Ursache der nervösen Symptome sein, da einmal die Erscheinungen durchaus nicht dyspnoischer Natur sind, und zweitens die Anästhetica auf Frösche u. dgl. eine sehr schnelle und intensive Wirkung äus- sern, die natürlich bei Thieren, die gegen Respirationsstörun- gen so indifferent sind, auf diesem Wege nicht erklärbar ist. — 3) Freigewordenes Hämoglobin kann nicht als Ursache der toxischen Erscheinungen angesehen werden, weil die Anästhe- tica auf wirbellose Thiere mit farblosem Blute genau in der- selben Weise wirken wie auf rothblütige Thiere. Der Zusammenhang beider Wirkungsreihen muss also in etwas Anderem gesucht werden, und ich glaube ihn darin ge- funden zu haben, dass beide Organe, auf welche die Anästhe- tica einwirken, die Blutkörperchen und die nervösen Apparate, einen gemeinsamen wesentlichen Bestandtheil haben, auf wel- chen die genannten Stoffe einwirken. Das Zusammentreffen der blutkörperchenlösenden und der nervös erregenden und läh- menden Wirkung wäre also nach dieser Ansicht, ein wenn man so sagen darf zufälliges, darin begründet, dass beide Organe einen gemeinsamen Stoff enthalten, auf welchen die Anästhe- tica gewisse Wirkungen ausüben. Dieser Stoff ist das von O. Liebreich im Gehirn entdeckte Protagon.') Dass die Blutkörperchen Protagon enthalten, ist eine inso- fern nicht neue Angabe, als, wie bereits Liebreich anführt, überall Protagon anzunehmen ist, wo man Glycerinphosphor- säure findet, und diese im Blute, und specieller in den Blut- körperchen nachgewiesen ist. Im Anschluss an diesen Aufsatz werde ich in einer vorläufigen Mittheilung genauere Beweise für den Protagongehalt der Blutkörperchen beibringen und auf die Möglichkeit hinweisen, dass das Stroma derselben im Wesent- lichen aus Protagon besteht. In der That sind die durch die oben genannten Stoffe hervorgebrachten Veränderungen der Blutkör- 1) Ann. d. Chemie u. Pharmacie, Bd. COXXXIV., S. 29—44. . Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 3 / 34 L. Hermann: perchen auf Quellung, resp. Lösung des Protagons zu beziehen, und alle genannten Substanzen zeigen auch auf reines Protagon eine aufquellende, resp. lösende Einwirkung. Der Grad! dieser Einwirkung muss natürlich von der Concentration der einwir- kenden Substanz im Blute abhängig sen. Von den flüssigen Substanzen kann das Blut soviel aufnehmen als nöthig ist, um die Blutkörperchen vollkommen zu lösen; vom Methylchlorürgas haben wir gesehen, dass 'selbst damit gesättigtes Blut nicht genug enthält, um mehr als eine Quellung der Blutkörperchen hervorzubringen (bei Körperwärme mit C,H,Cl gesättigtes Was- ser enthält höchstens 0,68 Gewichtsprocente des C,H,Cl, während mit Aether gesättistes Wasser etwa 10 Gewichtspro- cente Aether enthält); von dem noch viel weniger absorbirbaren Stickoxydul und ölbildenden Gase (Wasser kann bei Körper- wärme von NO höchstens 0,08, von C,H, höchstens 0,017 Ge- wichtsprocente aufnehmen) war gar keine Einwirkung zu con- statiren. Da die energischsten nervösen Allgemeinwirkungen durch so geringe Mengen der Anästhetica hervorgebracht werden, dass sie an den Blutkörperchen gar keine merklichen Veränderungen hervorrufen , so müssen schon äusserst geringe Einwirkungen auf das Protagon nervöser Apparate hinreichen, um die bedeu- tendsten functionellen Störungen in denselben hervorzubringen, — ein Schluss, der mit unseren Vorstellungen über die Fein- heit der materiellen Processe in der Nervensubstanz durchaus nicht im Widerspruch steht. Es ist deshalb auch nicht un- denkbar, dass Stickoxydul und ölbildendes Gas in Wasser ab- sorbirt, eine äusserst geringe, freilich weder an der reinen Sub- stanz noch an den Blutkörperchen nachweisbare Wirkung auf Protagon haben, welche aber doch hinreicht, um die Erschei- nungen des Stickoxydulrauschs hervorzubringen; indess ist dies nur eine durch die Analogie der Rauscherscheinungen von NO, G,H,Cl und Chloroform sich aufdrängende Vermuthung. Die Gasräusche haben übrigens eine viel geringere Intensität als die durch flüssige Substanzen hervorgebrachten, und gehen viel schneller und spurloser vorüber, : weil die Abdunstung der Gase aus dem Blute natürlich viel schneller erfolgen muss, als die des Aethers oder gar der noch weniger flüchtigen Substanzen. Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. 35 Jedem, der dieser Deduction gefolgt ist, muss sich die Frage aufdrängen, ob nicht allen die Blutkörperchen lösenden Sub- stanzen dieselben Allgemeinwirkungen zukommen, wie den schon als Anästhetica bekannten. Es handelt sich hier hauptsächlich um die gallensauren Salze, deren Lösungsvermögen für Blut- körperchen ausgezeichnet ist und ebenfalls auf Protagonlösung beruht. In den bisherigen Publicationen über dieselben (Röh- rig, Traube, Huppert u. s. w.) ist hauptsächlich die Wir- kung auf das Herz hervorgehoben worden; allerdings finden sich auch bei diesen Autoren Andeutungen allgemeinerer Wir- kungen auf die nervösen Apparate, von denen man sich leicht bei Fröschen überzeugen kann; diese zeigen nämlich schon auf mässige Dosen sehr schnell eine fast vollkommene Reactions- losigkeit, welche offenbar bei diesen Thieren nicht von Herz- lähmung herrühren kann. Bei Hunden habe ich zweimal un- mittelbar nach der Injection von 4 Cem. concentrirter Lösung von gallensaurem Natron in das centrale Ende der Jugularvene plötzlichen Tod eintreten sehen, das eine Mal ohne die geringste Spur von Krämpfen, so dass also nicht der Herztod den Tod der Centralorgane verursacht haben kann; ein drittes Mal trat ein heftiger tetanischer Krampfanfall gleich nach der Injection von 3 Ccm. ein, der aber nach kurzer Zeit vorüberging und sich noch zweimal wiederholte. Obgleich diese Versuche zur Aufklärung der Wirkungen der gallensauren Salze Nichts bei- tragen werden, zeigen sie doch, dass intensive Einwirkungen auf sämmtliche Centralorgane, nicht blos die des Herzens vor- "handen sind. Erneute Untersuchungen dürften vielleicht eine gewisse Analogie der Wirkungen mit denen der Anästhetica erweisen, wobei von vornherein zu erwarten ist, dass erstens ein Hauptsymptom bei den anästhetischen Substanzen, der Rausch, durch die Versuche an Thieren nicht constatirt wer- den kann!), zweitens dass in Anbetracht der leichten Lös- lichkeit im Blute und der langsamen Ausscheidung der gal- lensauren Salze die Erscheinungen bei directer Injection in’s I) Es sei gestattet, hier an die nervösen Symptome beim Ikterus gravis zu erinnern, welche vielleicht den gallensauren Salzen zuzu- schreiben sind. De [9] 36 L. Hermann: Blut sehr heftig und plötzlich auftreten, das Stadium der Ex- eitation vielleicht kaum erkennbar sein, und die Symptome schnell bis zum Herztöd sich steigern werden. Wenn man nun auch annehmen darf, dass die Wirkungen der Anästhetica auf die nervösen Apparate in einer Einwirkung auf das Protagon derselben beruhen, so ist damit natürlich das Verständniss dieser Wirkungen bei Weitem noch nicht vollstän- dig. Allerdings weiss man aus zahlreichen Versuchen über chemisch auf die Nervensubstanz zerstörend einwirkende Stoffe, dass dieselben fast sämmtlich (mit Ausnahme des Ammoniaks) zuerst eine erregende und später eine lähmende Wirkung auf die Nervenstämme ausüben; Aether und Chloroform verhalten sich dem Ammoniak ziemlich ähnlich, indem sie bei flüssiger oder dampfförmiger Application auf motorische Nerven nur sel- ten Zuckungen,, aber stets schnell Unerregbarkeit bewirken. Ueber die Wirkung chemisch differenter Stoffe auf die Cen- tralorgane haben wir indess bisher noch gar keine Kenntniss, und ebensowenig eine Vorstellung davon, in welcher Reihen- folge solche Stoffe, durch das Blut im Körper vertheilt, auf die einzelnen centralen Apparate einwirken. In dieser Richtung dürften vielleicht gerade die hier besprochenen Stoffe ein ge- eignetes Untersuchungsmittel bieten.') Anhang. Ueber das Vorkommen von Protagon im Blute. In seinem Aufsatze über das Protagon spricht Liebreich (a. a. ©. S. 39) den Satz aus, dass man in allen Bestandthei- len des Organismus Protagon finden werde, wo man bisher Glycerinphosphorsäure und andere jetzt als Zersetzungsproducte des Protagons erkannte Stoffe entdeckt hat. Ein solcher Be- standtheil ist das Blut, in welchem „phosphorhaltige Fette“ schon seit lange bekannt sind. Berzelius sprach zuerst die 1) In Bezug auf Versuche mit ölbildendem Gase halte ich es, durch eigene Erfahrungen belehrt, für Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, dass dasselbe bei der gewöhnlichen Bereitung stark mit Koh- lenoxyd verunreinigt ist. Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften, 37 Vermuthung aus, dass dieselben den Blutkörperchen angehören ; Lehmann unterstützte diese Ansicht dadurch, dass das Aether- extract der durch Glaubersalz filtrirbar gemachten Blutkörper- chen vom Rinde 22°/, saure, aus saurem phosphorsaurem Na- tron bestehende Asche hinterliess. In der That gelingt es nun leicht, nach der einen von Lieb- reich angegebenen Methode aus defibrinirtem Blut oder aus zerkleinertem Blutkuchen Protagon zu erhalten. Die Extraction mit Alkohol verbietet sich durch den sehr hohen Wasserge- halt des Blutes, welches bei langsamem Eintrocknen in niede- rer Temperatur sich, ehe man das Ziel erreicht, in hohem Grade zersetzt. Man ist daher vorläufig auf die Extraction mit Aether angewiesen. Diese beruht bekanntlich darauf, dass das Protagon in warmen ätherischen Lösungen seiner Zersetzungs- producte sich leicht auflöst. Versetzt man defibrinirtes Blut oder zerkleinerten Blutkuchen (ich habe bisher Hunde- und Rinds- blut verwendet) mit so viel Aether, dass nach starkem Um- schütteln sich an der Oberfläche eine Aetherschicht absetzt (wozu verhältnissmässig grosse Aethermengen erforderlich sind), und lässt man dies Gemenge unter wiederholtem Umschütteln an einem warmen Orte mehrere Tage stehen, am besten in einem grossen mit erwärmtem Wasser gefüllten Behälter, so enthält die warm abgegossene über dem Blute stehende Aether- schicht nicht unbeträchtliche Mengen Protagon. Zur vollstän- digen Gewinnung der in Aether löslichen Stoffe muss man immer neuen Aether zusetzen, und nach dem Umschütteln die überstehende klare Schicht abgiessen. Ich habe vergebens ver- sucht, durch Sättigen des Blutes mit Kochsalz die grossen im Blute gelösten Aethermengen zur Abscheidung zu bringen, um den Process dadurch abzukürzen. Dies Verfahren (das übrigens bei Anwendung von Blutkuchen wegen der Quellung des Fibrins in Salzlösungen nicht anwendbar ist) bewirkte aus mir unbe- kannten Gründen keine Vermehrung der Aetherabscheidung. Die warm abgehobenen ätherischen Lösungen sind zuweilen, namentlich bei Rindsblut, von einem beigemischten gelben Fett gelblich gefärbt, meist aber farblos. Beim Erkalten auf 0° trüben sie sich jedesmal; ein eigentlicher Niederschlag ent- 38 L. Hermann: stand aber bei der Abkühlung, selbst nach vorgängiger Einen- gung der Lösung, nur in einem Falle, in welchem das Blut nur kurze Zeit mit Aether gestanden hatte. Diese Abweichung von dem sonstigen Verhalten ätherischer Protagonlösungen er- klärt sich vielleicht durch die grosse Menge der in der ätheri- schen Lösung enthaltenen Zersetzungsproducte des Protagons. Lässt man nun den Aether langsam vollständig abdunsten, so bleibt ein bedeutender, bis auf die oben erwähnte zuweilen vorkommende Beimengung von etwas gelber schmieriger Masse, ganz krystallinischer Rückstand, vorwiegend aus langen Nadeln, aus kleinen Nadelbüscheln und aus gebogenen Blättchen beste- hend. Obwohl diese Masse grosse Mengen Cholesterin enthält, lässt sich doch schon ohne Weiteres ein reichlicher Protagon- gehalt in ihr nachweisen. Beim Verbrennen auf Platinblech fängt sie Feuer und hinterlässt eine deutlich saure Asche. Mit Wasser behandelt quillt sie stark auf und zeigt unter dem Mi- kroskop die charakteristischen knolligen Formen; die gequollene mit Wasser verdünnte opalisirende Flüssigkeit trübt sich stark beim Kochen mit concentrirter Kochsalzlösung; die Trübung ballt sich später zu grösseren Flocken zusammen, von denen ein klares Filtrat abläuft. Zur Reinigung des Protagons konnte blosse Behandlung mit kaltem Aether nicht angewandt werden, da dieser die ganze Masse aufnimmt. Ich liess daher die Masse erst‘ mit kaltem Wasser etwas aufquellen, goss das Wasser ab, und behandelte nun die zurückbleibende feuchte Masse wiederholt mit kaltem Aether, welcher von dem gequollenen Protagon fast nichts auf- nimmt. Die auf dem Filter mit Aether gewaschene Masse wurde aus Alkohol krystallisirt erhalten und zeigte alle Eigen- schaften des reinen Protagons (Stickstoffgehalt, Krystallform und die übrigen bereits oben erwähnten Kennzeichen). Ueber die Menge des im Blute enthaltenen Protagons bin ich noch nicht im Stande, genauere Angaben zu machen; je- denfalls ist sie keineswegs minutiös.. Eine Portion möglichst blutkörperchenfreies Rindsblutserum, auf die angegebene Weise behandelt, lieferte zwar reichlich Cholesterin, aber keine deut- lich nachweisbare Menge Protagon. Jedenfalls also ist das Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe vom Giften. 39 Protagon höchst überwiegend, wenn nicht ausschliesslich , in den Blutkörperchen enthalten, und zwar in den rothen, denn die Menge der farblosen ist zu gering, um den Protagongehalt des Blutes zu erklären. Allerdings ist es, wegen der Analogie der farblosen Blutkörperchen mit den Eiterkörperchen, in wel- chen H. Fischer (Centralbl. f. d. med. Wissensch., 1865, S. 226) reichlich Protagon gefunden hat, sehr wahrscheinlich, dass auch sie Protagon enthalten. So wäre also in den rothen Blutkörperchen ausser dem Hä- moglobin noch ein zweiter wohl charakterisirter Bestandtheil nachgewiesen. Wenn man den nach der Entfernung des Hä- moglobins bleibenden farblosen Rest des rothen Blutkörperchens mit Rollett als „Stroma“ bezeichnet, so ist das Protagon ein Bestandtheil des Stroma, und es wird von quantitativen Be- stimmungen des Gewichts der rothen Blutkörperchen , ihres Wasser-, Salz- und Protagongehalts abhängen, ob vielleicht das Protagon als wesentlicher constituirender Bestandtheil des Stroma angesehen werden darf. In der That deuten nun die oben besprochenen Einwirkun- gen der blutkörperchenlösenden Agentien mit hoher Wahrschein- lichkeit darauf hin, dass ihre Einwirkung im Wesentlichen eine Wirkung auf Protagon ist. Vor allen Dingen sind sämmtliche darauf hin untersuchten Substanzen jener Gruppe zugleich Lö- sungsmittel für Protagen. Vom Alkohol und Aether ist dies bereits von Liebreich angegeben. Ebenso lässt es sich leicht für Chloroform , Schwefelkohlenstoff und gallensaures Natron nachweisen. Einige der genannten Stoffe lösen das Protagon allerdings in der Kälte nur schwierig; ihre lösende Wirkung auf Blutkörperchen steht aber hiermit’ nicht in Widerspruch, wenn man bedenkt, wie unendlich fein vertheilt ihnen das Prota- gon im Blute dargeboten wird. Auch sind die Versuche mit rei- - nem Protagon angestellt, und man weiss aus Liebreich’s Ver- suchen, wie sehr dieGegenwart von Zersetzungsproducten, welche möglicherweise im lebenden Blute vorhanden sind, die Löslichkeit des Protagons in manchen Flüssigkeiten, z. B. Aether, begün- stigt. Wasser löst bekanntlich das Stroma der Blutkörperchen nicht, sondern verursacht nur ein Aufquellen desselben zur Ku- 40 L. Hermann: Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. gel-, also Tropfenform; dies steht im Einklange mit der That- sache, dass auch das Protagon in Wasser keine ächte, sondern eine opalisirende Lösung bildet. Dass die Blutkörperchen im Serum überhaupt bestehen können, ohne sich zu lösen, würde sich erklären, wenn man bedenkt, dass die opalisirenden wäss- rigen Protagonlösungen durch andere im Wasser gelöste Stoffe gefällt werden, dass also das Lösungsvermögen des Wassers für Protagon mit dem Gehalt desselben an anderen gelösten Stoffen abzunehmen scheint. Schliesslich bemerke ich, dass meine Untersuchungen über den Protagongehalt des Blutes noch nicht abgeschlossen sind, und dass ich das Vorstehende nur darum schon jetzt mittheilen zu müssen glaube, um die im obigen Aufsatz enthaltene Be- hauptung, dass die Blutkörperchen Protagon enthalten, zu recht- fertigen. Ich werde mich bemühen, die Methoden zur Darstel- lung des Protagons aus dem Blute behufs quantitativer Bestim- mungen zu vervollkommnen und über die Schicksale des im Blute enthaltenen Protagons Aufschlüsse zu erhalten. In letz- terer Beziehung erinnere ich daran, dass durch Kühne un- zweifelhaft festgestellt ist, dass rothe Blutkörperchen in der Leber (höchst wahrscheinlich durch die Einwirkung gallensau- rer Salze) zu Grunde gehen. Das Schicksal des einen ihrer Bestandtheile, des Hämoglobins, ist festgestellt; dasselbe wird zur Bildung der Gallenfarbstoffe verwandt; es liegt nun der Gedanke nahe, dass das Protagon zur Bildung gewisser anderer Gallenstoffe,, des Cholesterins und der Cholalsäure, beiträst; _ dieser Gedanke wird dadurch berechtigt, dass Cholesterin auch in der protagonreichen Nervensubstanz in grossen Mengen vor- kommt; die Entstehung® der Cholalsäure aus Protagon aber ist mir aus Versuchen sehr wahrscheinlich geworden, die ich fort- zusetzen und demnächst mitzutheilen gedenke. Die hier mitgetheilten Versuche sind mit gütiger Erlaubniss des Herrn Professor du Bois-Reymond, dem ich dafür wie- derum den innigsten Dank ausspreche, im physiologischen La- boratorium der hiesigen Universität angestellt. Berlin, im Januar 1866. H. Landois: Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. 4] Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. Von Dr. H. Lanpoi1s. (Hierzu Taf. II. A.) Da ich mich im Sommer 1865 eingehender mit der Ent- wickelungsgeschichte der Schmetterlinge beschäftigte, wurde ich auf einen merkwürdigen Apparat aufmerksam, der den Ver- schluss der einzelnen Stigmen bezweckt. Bei den Pediculinen ist der Stigmenverschluss in jüngster Zeit von meinem Bruder in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XV., 4. H., beschrieben und abgebildet worden; ausserdem kannte man schon seit langer Zeit die kleinen Schüppchen hinter den äus- seren Tracheenöffnungen der Käfer, welche im Allgemeinen auch sehr leicht aufzufinden sind. Die Schmetterlinge sind auf die- ses Organ bisher noch nicht untersucht worden. Die Stigmen- verschlüsse weichen in der Raupe, der Puppe und in dem Schmetterlinge ganz bedeutend von einander ab; und ich glaubte mit der Veröffentlichung meiner Beobachtungen nicht so lange warten zu dürfen, bis ich meine Entwickelungsge- schichte der Schmetterlinge zum Abschluss gebracht habe. Die nachstehenden Erörterungen beziehen sich sämmtlich auf den kleinen Nesselfalter (Vanessa urticae). In der Raupe dieses Schmetterlings kommen an jeder Kör- perseite acht Stigmen vor, und zwar liegen an jedem Ringel zwei ; ausgenommen ist der Kopf und das Afterringel. An dem dritten und vierten Körperringel finden wir zwar äusserlich 42 H. Landois; ebenfalls keine Spur von Stigmen, im Inneren sind aber ganz ähnliche Verschlussapparate an den Tracheen angebracht, die wir später wegen ihres abweichenden Baues besonders zu be- handeln haben. 1. Der Bau der Raupenstigmen am 1. 2.5. 6.7.8.9.10. Körperringel. Sämmtliche Stigmen an den oben bezeichneten Körperrin- geln sind in der Raupe unserer Schmetterlingsspecies wesent- lich gleich, und wir können uns deshalb, wenn wir von gerin- gen Grössenunterschieden absehen wollen, auf die Beschreibung eines einzigen Stigmas beschränken. Die Tracheen, durch ihren intensiv nen sog. Spiral- faden bei dem Nesselfalter ausgezeichnet, beginnen von der äusseren elliptischen Oeffnung des Stigmas mit einem einzigen dicken kräftigen Rohre. Der sog. Spiralfaden bietet uns hier eine verworrene Zeichnung, indem derselbe in mancherlei krummen Windungen, bald unterbrochen, bald zusammenhän- gend, in der Peritonealhülle liegt; und es erinnert dieser ganze Raum offenbar an den Bau der Luftblasen entwickelter Kerfe. Die Oeffnung dieses kräftigen Tracheenendes nach Aussen wird von einem wulstigen Ringe umgeben, dem eigentlichen Stigma, dessen äusserer Rand sich unmittelbar in die chitinöse Oberhaut der Raupe fortsetzt. Der Ring selbst hat die zellen- förmige Zeichnung, wie wir sie an der Epidermis der Kerfe zu sehen gewohnt sind. Die Hypodermis der Raupenhaut wird von diesem Ringe bei Seite geschoben, und eben daher kommt es, dass die Ringe selbst weiss erscheinen. Im Inneren liegen rings um den wulstigen Ring die mit dunkelvioletten Körnchen reichlich pigmentirten Eiypodermiszellen,, welche der ganzen Haut der Vanessaraupe das dunkel schwärzliche Ansehen geben. An der Oberfläche des Raupenleibes liegt also zunächst die Stigmenöffnung. Hieran schliesst sich nach Innen das kurze Rohr mit dem verworrenen Tracheenfaden (Fig. 1trh), und hinter demselben ist der Apparat angebracht, welcher den Zweck des Stigmenverschlusses hat. Es geschah dieses Verschlusses noch von keinem Entomotomen Erwähnung. Ich Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. 43 schreibe das Uebersehen desselben hauptsächlich dem Umstande zu, dass dieser Apparat bei den meisten bis jetzt zergliederten Thieren dieser Klasse völlig ungefärbt ist und somit leicht sich der Beobachtung entziehen konnte. Ich wurde zuerst auf den Stigmenverschluss bei der Raupe von Vanessa Jo aufmerksam, wo die Theile desselben intensiv schwarz sind. Werden die ausgeschnittenen Stigmen mit ihren Anhängen einige Zeit in KO-Lauge gekocht, so geben sie sehr reine Bilder des Ver- schlussapparates;' zum Studium der Musculatur desselben muss man ihn selbstverständlich in frischem Zustande untersuchen. An dem Apparate des Stigmenverschlusses unterscheide ich folgende wesentliche Theile: a. den Verschlussbügel, b. den Verschlusshebel mit dem Verschlussmuskel, ec. das Verschlussband. Der Verschlussbügel (vgl. Fig. 25) bildet die Grundlage des ganzen Verschlusses. Etwa zwei Drittel der Oeffnung des Tracheenendes fasst der schwarz chitinisirte Verschlussbügel ein. An seinem äussersten vorderen Ende (vgl. Fig. 2«) biegt sich der Verschlussbügel knopfförmig um, und verläuft von da bogig um die Tracheenöffnung. Bald theilt er sich in zwei Aeste, von denen der eine (Fig. 25), nach hinten verlaufend, sich der Trachee anschmiegt, der andere (Fig. 2c) den ur- sprünglichen bogigen Verlauf beibehält, und eine Strecke weit das Trachealende einfassen hilft. Auf diese Weise umsäumt der Verschlussbügel ungefähr zwei Drittel der Peripherie des länglich ovalen Tracheenendes, d. h. desjenigen Tracheentheiles, welches den sog. Spiralfaden deutlich zeigt. Zum Verschlusse des letzten Drittels der Tracheenöffnung dient hauptsächlich der Verschlusshebel (vgl. Fig. 2 vA). Im Allgemeinen besteht er aus einem rechtwinklig gebogenen Chitinstabe. An dem einen Ende legt sich der Verschlusshebel an dem knopfförmig endenden Verschlussbügel an; dort ist derselbe in zwei Aeste getheilt (vgl. Fig. 2A,i), die wir Verschlusshebeläste nennen wollen. Sie verdienen hier namentlich hervorgehoben zu werden, weil sie durch ihre federnde elastische Spannung zum Mechanismus des Verschlusses wesentlich beitragen. 44 H. Landois: Von der Stelle, wo die Aeste des Hebels zusammentreten, fasst der eine Schenkel des Verschlusshebels die Tracheenöff- nung ein, und biegt sich bald scharf rechtwinklig um. Die Winkelspitze (vgl. Fig. 2w) ist etwas angeschwollen und setzt sich in ein farbloses weiches Chitinband fort. Ich nenne dieses Band das Verschlussband (vgl. Fig. 2vb); es verbindet den Verschlusshebel mit dem Verschlussbügel. Somit ist das ganze ovale Tracheenende von dem Verschlussapparate vollständig umsäumt. Der andere Arm des Verschlusshebels, von dem bereits an- gemerkt wurde, dass er im rechten Winkel sich umbiegt, steht auf der Tracheenöffnung senkrecht, und liegt mit den übrigen Verschlussvorrichtungen in einer Ebene. An'seinem äussersten Ende wird er etwas flacher und buchtet sich dreilappig aus (vgl. Fig. 21). Diese Stelle dient zum Ansatze eines Muskels. Von dem Muskel verdient angemerkt zu werden, dass er aus einer einzigen quergestreiften Muskelprimitivfaser besteht (vgl. Fig. 2m). Der Muskel ist an seinem anderen Ende an die Hypodermis des betreffenden Leibesringels angeheftet. Nachdem wir die einzelnen Stücke des Verschlussapparates an den Raupenstigmen kennen gelernt haben, soll der eigent- liche Mechanismus des Verschlusses selbst auseinandergesetzt werden. Die Figur 2 zeigt den Verschlussapparat im halb geöffneten Zustande. Wird der Muskel contrahirt, so muss sich die ganze Oeffnung des Apparates noch weiter ausdehnen. Sobald aber der Muskel von seiner Contraction nachlässt, so schliesst sich der Apparat von selbst durch die federnde Kraft der Verschluss- theile. Das Verschlussband ist weich und setzt dem Verschluss keinen Widerstand entgegen. Das Ende des Verschlussbügels biegt sich federnd nach Innen, und drückt dadurch den Ver- schlusshebel ebenfalls nach Innen. Vollständig kann das Stigma nicht verschlossen werden. Ein einziger Blick auf die Fig. 2 reicht jedoch hin, den Mechanismus der Oeffnung und des Ver- schlusses zu veranschaulichen. In der Fig. 1, wurde der Stigmenverschluss der Raupe in seiner Totalität gezeichnet. Die Grundlage bildet der Stigmen- Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. 45 wulst (sw). Die Oeffnung desselben setzt sich nach Innen in einen Schlauch fort (tr), hinter welchem der Verschlussapparat liegt, dessen einzelne Theile in der Fig. 2 in 300facher Ver, grösserung deutlicher hervortreten. Erst hinter der Verschluss- vorrichtung beginnt die Trachee mit ihrem deutlich entwickel- ten sog. Spiralfaden. 9. Der Tracheenverschluss im dritten und vierten Körperringel der Raupe. Am dritten und vierten Körperringel finden wir an der Raupe von Vanessa urticae, sowie bei allen anderen Raupen, kein Stigma.. Um so auffallender muss es sein, wenn wir trotzdem an den Tracheen dieser beiden Ringel Verschlussapparate antreffen, welche im Allgemeinen dem Baue an den übrigen Stigmen analog sind. Wir können uns hier bei der Beschreibung derselben um so kürzer fassen, als die genaueren Verhältnisse bei den geöffneten Stigmen be- reits auseinandergesetzt wurden; wir werden uns demnach auf die Angabe der wesentlichen Abweichungen beschränken. Die Stigmenscheibe ist an dem dritten und vierten Lei- besringel immer vorhanden, aber sie ist nie durchbrochen, so dass es also nie zu einer eigentlichen Stigmenöffnung kommt. Bisher sind auch diese Stigmenscheiben von allen Forschern völlig übersehen worden. Die Stigmenscheibe liegt in ähnlicher Weise, wie die geöffneten Stigmen an den übrigen Leibesrin- geln, ganz mit ihnen in einer Richtung zwischen den beiden grossen Körperdornen (vgl. Fig. 3 st).!) Von der Stigmenscheibe führt ein Rohr zu der eigentlichen Verschlussvorrichtung (vgl. Fig. 3trh). Das Rohr ist häutig und hat ein vollständig collabirtes Aeussere, da in demselben wenig Luft ist. Das Rohr entspricht dem kurzen Trachealende, welches bei den übrigen Stigmen zwischen Stigmenöffnung und Verschlussapparat liegt und nie einen regelmässigen sog. Spi- 1) Aehnliche Stigmenscheiben, welche ebenfalls nicht durchbohrt sind, finde ich auch in den Larven von Aeschna, Cordulegaster u. s. W., wo sie namentlich an den abgeworfenen Häuten sehr leicht beobach- tet werden können. 46 H. Landois: ralfaden hat. Hier ist dieses Rohr verhältnissmässig auffallend lang entwickelt. An dem Verschlussapparate sind die einzelnen Theile nicht so differenzirt, wie es bei den geöffneten Stigmen der Fall ist. . Der Verschlussbügel ist hier namentlich unvollkommen entwickelt; er besteht aus einem einfachen Ringe, gleichsam das Ende und die Grenze der Tracheenintima (vgl. Fig. 3 vb). Von dem Spiralfaden der Trachee unterscheidet sich der Bügel aber immerhin noch deutlich durch seine bedeutendere Dicke. Der Verschlusshebel ist ein einfach im Halbbogen ge- krümmter Chitinstab, der sich mit seinem einen Schenkel eng an den Ring des Verschlussbügels anlegt, mit seinem anderen Schenkel sich hingegen seitwärts wendet. Dort verbreitert er sich ein wenig und dient zur Ansatzstelle des Verschlussmus- kels (vgl. Fig. 3m). Der Muskel besteht auch hier aus einer einzelnen Primitivfaser von grosser Zartheit. Die ganze Vor- richtung ist in diesen Körperringeln bedeutend kleiner, als an den geöffneten Stigmen. Die Fig. 3 wurde nach 591facher Vergrösserung, gezeichnet. Da die Stigmenscheibe hier nicht durchbrochen ist, so kann diese ganze Vorrichtung zu dem Gasaustausch der Tracheen mit der Aussenwelt natürlich nicht in directer Beziehung ste- hen; es ist mir aber höchst wahrscheinlich, dass dieser Me- chanismus zunächst auf die Respirationsthätigkeit in den Flügelscheiben der Raupe vom grössten Ein- flusse ist. Nicht weit hinter dem Verschlussapparate geht von dem Haupttracheenstamme ein Seitenast ab, welcher zur Bildung der Flügelscheibe dient. Die Peritonealhülle dieses Tracheen- astes buchtet sich allmählich zu einem stets grösser werdenden Sacke aus. In diesem Sacke endet der Tracheenstamm spitz- keilig, verästelt sich aber dabei an seinem Ende in ein Gewirre von feinen Tracheenverzweigungen, welche mit den Respira- tionszellen') der Flügelkeime im innigsten Wechselverkehr 1) ef. L. Landois, über die Function des Fettkörpers. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. XV., S. 371. Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. 47 stehen. Luft ist aber im Raupenstadium nur in geringer Menge in den Tracheenendigungen der Flügelsäcke vorhanden. Auf die Bildung und Entwickelung der Flügel in der Raupe wer- den wir in einer umfassenden Arbeit über die Entwickelungs- geschichte der Schmetterlinge zurückkommen. Wenn nun in dem dritten und vierten Körperringel dieser beschriebene Verschlussapparat nicht an den Tracheen ange- bracht wäre, so würde die Respirationsluft leicht in’s Stocken gerathen. Durch die Contraction und Extension des Verschluss- hebelmuskels wird aber jetzt der ganze Tracheenast hin und her gezogen, und eben dadurch die darin enthaltene Luft in Bewegung gesetzt, die dann leicht in die Respirationszellen der Flügelscheiben, wie auch in die Athmungszellen der beiden be- treffenden Körperringel überhaupt eingetrieben wird. 3. Der Stigmenverschluss in der Puppe. Die Stigmen sowohl, als auch die Verschlussapparate sind in der Puppe vollständig von denen der Raupe verschieden. Das Stigma der Puppe besteht aus einem länglich ovalen Ringe (vgl. Fig. 4st). Der Ring ist an seinem inneren Lumen mit einem Kranze von etwa 50 Zähnen besetzt, welche an der einen Seite mehr entwickelt sind, als an der anderen. Die am höchsten ausgebildeten zahnartigen Hervorragungen tragen an ihrem knopfförmigen Ende vier Reihen sehr kleiner Härchen, die offenbar den Zweck haben, Staubtheilchen von dem Lumen der Tracheen fern zu halten. Der Stigmenring, in der Epidermis gelegen, steht mit einem kurzen Rohre (vgl. Fig. 4trh) mit der eigentlichen Verschluss- vorrichtung in Verbindung. Der Verschlussbügel ist an den Tracheen der Puppe nicht so complieirt gebaut, als in der Raupe. Es ist nämlich ein einfacher halbbogig gekrümmter Chitinstab, der an beiden Enden etwas knopfförmig anschwillt (vgl. Fig. 4vb). An dem einen Endknopfe des Verschlussbügels legt sich der Verschlusshebel an, welcher in mancher Hinsicht von dem Hebel in der Raupe abweicht. Wir fanden in der Raupe, dass der Verschlusshebel sich an der Stelle, wo er sich an den Ver- schlussbügelknopf ansetzt, in zwei kleinere Aeste spaltet. In 48 H. Landois: der Puppe ist diese Spaltung weit eingreifender, indem sie bis zu der rechtwinkligen Umbiegung einschneidet, wodurch eine vollständige Gabelung 'des Hebels hervorgebracht wird (vgl. Fig. 4vh). Der senkrechte Hebelarm ist hier länger, als in der Raupe, nicht ganz gerade, sondern etwas wellenförmig gebogen. Das Verschlussband (Fig. 40) ist in der Puppe ganz ähn- lich, wie in der Raupe. Die Museulatur ist durchaus dieselbe geblieben; es setzt sich auch hier an das Ende des Verschluss-Hebelarmes eine einzige zarte Muskelprimitivfaser an. Wollten wir uns über den eigentlichen Mechanismus des Verschlusses und der Oeffnung des Apparates verbreiten, so müssten wir bereits Gesagtes nochmals niederschreiben ; wir ver- weisen deshalb auf die obige Schilderung dieses Vorganges bei der Raupe. 4. Der Stigmenverschluss im Schmetterling. Auch an dem Schmetterlinge unserer Vanessa-Species finden wir länglich ovale Stigmen. Die elliptische Einfassung dersel- ben ist nur an der einen Seite stark wulstig entwickelt, an der anderen Seite ist sie zwar auch markirt, sticht aber hier nicht wesentlich von der Epidermis ab. Die kräftiger ausgebildete Hälfte des Randes der Stigmenöffnung besteht aus einem gebo- genen Chitinstücke, das in der Mitte dicker, als an den Seiten ist. Zähne kommen hier, wie bei der Puppe wir sie gesehen, nicht vor. Ihre Stelle vertreten mehrere Schuppen, welche so gestellt sind, dass sie den Eintritt fremder fester Körper in das Stigma vollständig verhindern (vgl. Fig. 5st). Die Schuppen sind von denjenigen Schuppen, welche auf der Abdominal-Epi- dermis stehen, nicht verschieden. Der Verschlussbügel ist kaum zu bemerken. Die Tra- cheenintima vertritt denselben, indem diese an der Verschluss- vorrichtung etwas wulstig aufgetrieben ist. Dahingegen ist der Verschlusshebel desto kräftiger ent- wickelt (vgl. Fig. 50%). Derjenige Arm desselben, welcher sich der Trachee anschmiegt, ist hier, wie am Puppenstigma dop- pelt und zwar gabelförmig zusammengebogen. Der senkrecht Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. 49 auf diesem Arme stehende andere Hebelarm , an dessen Ende sich der Muskel ansetzt, ist hier ausserordentlich dick und breit. Der Zweck der ganzen Verschlussvorrichtung wurde hier nur angedeutet, und über die Entwickelung des Apparates habe ich absichtlich Nichts angeführt, weil ich diese einer umfassenden Entwickelungsgeschichte der Vanessa urticae vorbehalte. Ich will nur noch bemerken, dass die Verschlussvorrichtung auch bei anderen Schmetterlingsspecies ganz ähnlich ist. Am leich- testen lassen sich die angegebenen Verhältnisse beim Tagpfauen- auge (Vanessa Jo) studiren. Münster, den 1. November 1869. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Stigmenverschluss der Raupe von Vanessa urticae. Vergr. 53. sw Stigmenwulst, ir Schlauch, welcher an der Stigmenöffnung bis zum Verschlussapparate führt, ohne regelmässigen Spiralfaden, v Verschlussapparat, m Verschlussmuskel, ir Tracheen mit deutlichem Spiralfaden, welcher gleich hinter der Verschlussvorrichtung beginnt. Fig. 2: Der isolirte Verschlussapparat derselben Raupe, 300 Mal vergrössert. 5 der Verschlussbügel, a, d,c Theile desselben, vh Ver- Wschlusshebel, i,7ı Aeste des Verschlusshebels, w die rechtwinklige Bie- gung des Verschlusshebels, / die dreilappige Verbreiterung des Ver- schlusshebels, an welcher sich der Muskel m ansetzt, derselbe besteht aus einer einzigen quergestreiften Muskelfaser, vd das Verschlussband zwischen Bügel und Hebel. Fig. 3. Stigmenverschluss im dritten und vierten Körperringel der Raupe. Vergröss. 591. st Stigmenscheibe ohne alle Oeffnung, trh Chitinrohr von der Stigmenscheibe bis zur Verschlussvorrichtung führend, v5 ringartiger Verschlussbügel, oA Verschlusshebel, m Muske desselben, ir Trachee. Fig. 4. Stigma und Stigmenverschluss der Puppe. Vergröss. 58. st Stigma mit den Zähnen, Zrh Rohr zwischen Stigma und Verschluss- apparat, vb Verschlussbügel, vh Verschlusshebel, v5 Verschlussband, m Verschlussmuskel, ?r Trachee. Fig. 5. Stigma und Verschluss desselben beim Schmetterlinge. Vergröss. 58. st Stigma nebst seinen Schuppen, vA Verschlusshebel, m Muskel. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 4 50° H. Landois: Die Entwickelung der büschelförmigen Spermato- zoen bei den Lepidopteren. Von Dr. H. Laxpoi1s. (Hierzu Taf. II. B.) —— = Die Hoden der Schmetterlinge sind in ihren ersten Ent- wickelungsstadien bereits leicht von den Bierstockskeimen zu unterscheiden. Sie bestehen schon in sehr kleinen Räupchen aus zwei symmetrischen Hälften. Jede laterale Hälfte ist aus folgenden Stücken zusammengesetzt: 1. aus dem nierenförmigen Körperchen, 2. aus der Anlage des Ausführganges. Ich behalte theils aus Pietät gegen Herold für den ersten Theil des Hodens die Bezeichnung „nierenförmiges Körperchen“ bei, theils auch deshalb, weil mit diesem Ausdrucke eine ziem- lich gute, wenn auch nur rein äusserliche Vorstellung verbun- den werden kann. Diese Körperchen sind die Anlagen der eigentlichen Hoden, in denen sich die büschelförmigen Sperma- tozoen entwickeln. | Ich knüpfe die folgenden Erörterungen an die Entwickelung der Spermatozoen in dem gemeinen Nesselfalter ( Vanessa ur- ticae) an, weil ich von diesem Schmetterlinge eine ununterbro- chene Beobachtungsreihe vor mir habe. Das nierenförmige Körperchen hat in der kleinen männlichen Die Entwickelung der büschelförmigen Spermatozoen u. s. w. 51 Raupe des Nesselfalters eine blassrothe Färbung und unter- scheidet sich schon hierdurch auf den ersten Blick von den Keimen der Eierstöcke, welche weisslich sind. Jede Hodenanlage ist durch drei Furchen äusserlich in vier Abtheilungen getheilt (vgl. Fig. 1). Da diesen äusseren Fur- chen auch im Inneren besondere Wandungen entsprechen, so können wir füglich die dadurch entstehenden vier Hodenräume mit „Hodenkammern“* bezeichnen. Aus der dritten Hodenkammer entspringt ein zarter Ver- bindungsfaden, welcher das nierenförmige Körperchen mit den Keimen des Ausführganges verbindet. Letztere liegen dicht unter dem Ende des Mastdarmes. Die Lage der Hodentheile bleibt in dem Raupenstadium ziemlich constant. Die Hoden sind oberhalb des Darmrohres im achten Kör- perringel befestigt, gerade dem neunten Ganglion gegenüber. Die einzelnen Kammern liegen in der Längsrichtung, sind zu je vier zu einem nierenförmigen Körperchen vereinigt, und bil- den so zwei Hoden. Beide sind in der Raupe deutlich von einander getrennt (vgl. Fig. 1). Die Verbindungsfäden, resp. die Anlagen der Ausführungs- gänge der Hoden (Fig. 1v), nehmen ihren Verlauf in bogiger Richtung zwischen den Tracheenstämmen der letzten Hinter- leibsringel zu einem rundlichen Körperchen, welches im letzten Körperringel unter dem Mastdarm gelegen ist. Nicht allein die Anlagen der beiden Ausführungsgänge der Hoden, sondern auch die Hoden selbst erhalten mehrere Tra- cheenstämmchen, welche sich an diese Theile verzweigen. Die Innervation des Hoden geht von dem letzten Bauch- ganglion aus, indem theils an die Ausführgänge, theils an die Hoden selbst Nervenfädchen treten. Sobald die Raupe der Verpuppung nahe ist, een bedeu- tende Veränderungen mit den Hoden vor sich. Zunächst nähern sich die beiden Hoden und legen sich all- mählich dieht an einander. Das Zusammentreten erfolgt in der Längsrichtung und zwar so, dass die Mündungen der Verbin- dungsfäden-Anlagen sich berühren (vgl. Fig. 2). 4* 52 H. Landois: Jetzt tritt bald eine vollständige Verwachsung der beiden Hoden ein. Diese ist sehr leicht zu beobachten, wenn man nur Puppen in verschiedenen Enntwickelungsstadien untersucht. End- lich verwachsen die Hoden zu einer einzigen Kugel (vgl. Fig. 3). Auf die Entwickelung der Ausführungsgänge, wie der Se- eretionsorgane, gehe ich hier nicht weiter ein, weil sie mit un- serer speciellen Aufgabe nicht in nächster Beziehung stehen. Ueber die Zeit, in der sich die männlichen Generationsorgane entwickeln, lassen sich keine genauen Angaben machen. In den meisten Individuen verläuft die Entwickelung allerdings in re- gelmässigen Zeitintervallen; es sind mir aber auch sehr viele Fälle vorgekommen, wo selbst in dem fertigen Schmetterlinge die Hoden ihre vollkommene Gestalt noch nicht erreicht hat- ten. Den Grund für diese Zeitdifferenzen in der Hodenent- wickelung werde ich noch später erörtern. Nachdem ich fragmentarisch die äussere Entwickelung der Hoden gegeben, so weit sie für das Verständniss nothwendig wurde, gehe ich auf die innere Entwickelung der männlichen Generationsorgane näher ein. Ueber den inneren Bau der Schmetterlingshoden liegen bis- her sehr dürftige Beobachtungen vor. Herold giebt an, dass jedes nierenförmige Körperchen „aus einer Haut bestehe, welche eine dickliche purpurrothe Feuchtigkeit in sich schliesse. Unter dem Mikroskope hat diese Feuchtigkeit ein körniges An- sehen, innerhalb welcher eine Menge der feinsten Luftgefässe verwebt sind.“ So lange die Hoden in der Raupe ihre nierenförmige Ge- stalt beibehalten, bleibt die Oberhaut des Hodens aus deutli- chen Zellen gebildet. Diese zellige Haut setzt sich in das In- nere des Hodens fort, und zwar in der Weise, dass durch die Haut mehrere Kammern im Inneren des Hodens entstehen. Die Wände dieser Kammern entsprechen den äusserlichen nieren- förmigen Einschnürungen des Hodens. Es befinden sich in je- dem Hoden drei Septen, mithin vier Kammern. Diese Hodenkammern persistiren in allen Entwickelungs- “ stadien. Wenn im Puppenzustande die nierenförmigen Hoden Die Entwickelung der büschelförmigen Spermatozoen u. s. w. 53 zu einer einzigen Kugel äusserlich verschmelzen , bleiben die Wände der Hodenkammern bestehen, und es finden sich noch im vollkommenen Schmetterlinge die acht Hodenkammern vor. Die Wände sind zwar nicht ganz vollständig, sondern lassen in der Nähe des Ausführungsganges im Hoden eine Lücke. Die Haut, welche die Kammern formirt, besteht in histolo- gischer Hinsicht zuerst aus Zellen von 0,096 Mm. Durchmesser. Ihre Kerne sind deutlich sichtbar und ringsherum von sehr kleinen rothen Pigmentkörnchen umgeben, welche dem ganzen Hoden ein blassrothes Ansehen geben. In diese Haut verzweigt sich eine grosse Menge feiner Tracheen. In späteren Entwicke- lungsstadien scheidet sich eine structurlose Tunica propria ab; auch die obere Lage wird mehr oder weniger structurlos, und nur hier und da bemerkt man eingestreute Kerne. Das Innere jeder Hodenkammer ist prall angefüllt mit Ho- denkugeln. Ich verstehe darunter 0,1 Mm. grosse Schläuche, welche in ihrem Inneren vollgepfropft sind mit 0,019 Mm. grossen kugeligen Zellen. In der Folge sollen letztere Gebilde Hodenzellen genannt werden (vgl. Fig. 4). In chemischer Hinsicht scheinen die Hodenkugeln vollstän- dig gleichartig zu sein mit den Nahrungszellen!) des übri- gen Körperraumes, da sich ihr Inhalt ganz ähnlich, wie bei jenen, mit Anilintinctionen färbt. Auch ihrer äusseren Gestalt nach stimmen sie mit den Nahrungszellen vollkommen überein. Verfolgen wir die Entwickelung dieser Hodenkugeln genauer. In jungen Raupen beträgt die Grösse der Hodenkugeln 0,1 Mm.; ihr Inhalt besteht aus einer grossen Menge 0,019 Mm. im Durchmesser haltender Hodenzellen. Letztere imbibiren be- gierig Anilintineturen und werden durch Jodsolution intensiv gelb gefärbt. Weil sie ausserdem in der Kochhitze gerinnen, so sind wir berechtigt, sie für eiweisshaltige Körper zu halten. In der Fig. 4 stellt Ak eine isolirte Hodenkugel vor, welche die Hodenzellen hz einschliesst. 1) ef. L. Landois, über die Function des Fettkörpers, Zeitschr, f. wissensch,. Zoologie, Bd. XV,, 8. 371, 54 H. Landois: In jungen Puppen, die eben ihre Raupenhaut abgestreift haben, beginnt die weitere Entwickelung der Hodenkugeln. Sie nehmen zunächst an Umfang zu, und ihr Durchmesser ergiebt 0,127 Mm. Diese Grössenzunahme findet ihre Ursache in dem Wachsthum der sie ausfüllenden Hodenzellen. Diese zeigen nämlich zu dieser Zeit einen deutlichen Kern (vgl. Fig. 5hz) — den ich in früheren Stadien stets vermisste — und nehmen ausserdem an Umfang zu. Jede Hodenzelle misst dann 0,0236 Mm. und ihr Kern 0,0091 Mm. Die Hodenzellen sind diejenigen Organe, aus denen sich die büschelförmigen Spermatozoen entwickeln. Die Entwickelung derselben weicht aber von derjenigen der einfachen Spermato- zoen so wesentlich ab, dass wir einen vollständig verschiedenen Entwiekelungstypus vor uns haben. Die Hodenzellen, welche bereits einen deutlichen Kern in sich gewahren lassen, werden ausserordentlich productiv, indem sich in jeder Hodenzelle eine grosse Menge Tochterzellen ent- wickelt. Die Fig. 6 zeigt uns eine einzelne Hodenzelle (Az), welche bereits vier Tochterzellen (h2') enthält. Diese Tochter- zellbildung schreitet so lange fort, bis der Zellinhalt sämmtli- cher Mutterzellen in 0,0054 Mm. grosse Tochterzellen zerfallen ist (vgl. Fig. 7). Die Tochterzellen verbleiben während und nach ihrer Vermehrung in stetem Zusammenhange, so dass sie sich nie von einander trennen. Allmählich fangen die Hodenkugeln an, sich zu strecken.. Beim Beginne dieser Streckung wird die Hodenkugel 0,0615 Mm. breit, sie ist also bereits bedeutend schmaler geworden und zwar auf Kosten des auswachsenden Hodenkugelstieles, der be- reits eine Länge von 0,0539 Mm. erreicht (vgl. Fig. 8). Je mehr der Stiel der Hodenkugel sich verlängert, nimmt die Dicke der Hodenkugel ab, und es entstehen zuletzt lange strangartige Körper (vgl. Fig. 9 u. 10). Im vollkommen ent- wickelten Hoden erreichen diese Stränge eine Länge von 0,7334 Mm.; an einem Ende sind sie etwas zugespitzt, am anderen abgestumpft. Während des angegebenen Streckungsprocesses der Hoden- kugeln gehen im Inneren derselben bedeutende Veränderungen Die Entwickelung der büschelförmigen Spermatozoen u. s. w. 55 vor sich, welche als die eigentliche Ursache der Streckung selbst angesehen werden müssen. Es wurde bereits angeführt, dass die Tochterzellen in den Hodenzellen mit einander in Verbindung bleiben. Sie bilden dann eigenthümliche Stränge, die sich wie auf einen Faden- aufgereihte Perlchen ausnehmen (vgl. Fig. 12a). Der Verbin- dungsfaden der Tochterzellen streckt sich immer mehr, und je weiter die Zellchen auseinandertreten, desto mehr nimmt ihr Volumen ab auf Kosten des sich verlängernden Fadens. End- lich tritt zur Zeit der vollkommenen Entwickelung der Zeit- punkt ein, wo von den Zellchen keine Spur mehr wahrgenom- men wird (vgl. Fig. 12a,b,c,d,e). Es sind dann die gestreck- ten Hodenkugeln angefüllt mit einer Unzahl langer feiner Fa- den, welche an dem abgestumpften Ende der Hodenkugel an einander haften bleiben (vgl. Fig. 10). Während nun die äus- sere Hülle der Hodenkugel bald resorbirt wird, fluctuiren die Fäden nach allen Seiten herum (vgl. Fig. 11). Wir haben das büschelförmige Spermatozoon vor uns. Fassen wir die vorgeführten Thatsachen kurz zusammen, so ergiebt sich folgendes Entwickelungsgesetz der büschelförmigen Spermatozoen bei den Schmetterlingen: Die büschelförmigen Spermatozoen haben .zur ersten Grund- lage die Hodenkugeln. In der Hodenkugel entwickeln sich die Hodenzellen, welche durch Tochterzellbildung in eine grosse Anzahl zusammenhängender Zellchen zerfallen, durch deren Streckung die büschelförmigen Samenfäden entstehen. Ein jedes büschelförmige Spermatozoon ist als ein einheitli- ches Gebilde aufzufassen, insofern sich aus jeder Hodenkugel nur ein einziges Büschel entwickelt. Will man aber mehr Ge- wicht darauf legen, dass jeder einzelne Faden aus meh- reren Tochterzellen entsteht, so würden wir ein zusam- mengesetztes Gebilde vor uns haben. Jedenfalls bleibt ein we- sentlicher Unterschied zwischen den einfachen Spermatozoen und den büschelförmigen bestehen. ‚Da ich während meiner bisherigen Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Schmetterlinge nahe an Tausend Individuen secirt habe, so hatte ich Gelegenheit, interessante 56 H. Landois: Beobachtungen über die Zeit, in der sich die Generationsorgane entwickeln, zu machen. Der regelmässige Verlauf der Ent- wickelung der Hoden: ist der, dass in dem Puppenstadium die Hodenkammern zu einer Kugel verwachsen und nachher die übrigen Theile sich zu vollkommenen Generationsorganen ge- stalten, so dass es dem Schmetterlinge möglich wird, die Co- pulation zu effeetuiren. Werden aber die Raupen nicht reich- lich gefüttert, so tritt eine bedeutende Verzögerung in der Ent- wickelung der Hoden ein. Solche Schmetterlinge, welche aus hungernden Raupen sich entwickelt haben, sind schon an der geringen Körpergrösse im Allgemeinen kenntlich. Das Innere solcher Schmetterlinge ist mit Ausnahme der Hoden ganz nor- mal. Ich bemerkte, dass bei Individuen, welche neun Tage im Puppenstadium zugebracht und dann als Imagines hervorkamen, die Hoden nicht vollständig entwickelt waren. Zwar enthielt die Hodenkugel vollkommen entwickelte büschelförmige Sper- matozoen, aber der Ausführungsgang und die Secretionsdrüsen u. Ss. w. waren nicht zur Entwickelung gekommen. Der sog. Fettkörper ist im Hinterleibe solcher Individuen noch zum - grössten Theile vorhanden. Ich bot Einzelnen dieser Schmet- terlinge absichtlich keine Nahrung, um zu sehen, ob die Ent- wickelung der Generationsorgane sich noch im Imago vervoll- ständigen würde. Sie lebten noch drei bis vier Tage; aber nach dem Tode ergab die Section keine weitere Entwickelung der Hoden. Es geht daraus hervor, dass die Nahrung auf die Entwickelung der Geschlechtsorgane einen ausserordentlich gros- sen Einfluss ausübt. Es tritt also hier ein ähnlicher Fall bei den Schmetterlingen ein, wie wir ihn bei den Bienen schon längst kennen, wo aus den befruchteten Eiern bei reichlichem Futter in den grösseren Zellen Königinnen entstehen, bei dürf- tigem Futter hingegen in den Arbeiterzellen sich nur Arbeits- bienen entwickeln, die sich ebenfalls durch ihre verkümmerten Geschlechtsorgane auszeichnen. Ganz ähnlich, wie bei den Hoden, fand ich die Verküm- merung der Eierstöcke, wenn die weiblichen Thiere während ihres Raupenlebens gedarbt hatten, Ich erzog auf diesem Die Entwickelung der büschelförmigen Spermatozoen u. s. w. 57 Wege weibliche Schmetterlinge, deren Eierstöcke nie Eier ent- wickelten. Wir finden häufig, dass, wenn zu irgend einer Zeit ein be- deutender Raupenfrass eine Gegend verheert, im nächsten Jahre die betreffende Schmetterlingsart ganz selten sein kann. Wir schreiben die Vertilgung der Thiere gewiss mit Recht den Vögeln, Ichneumonen, Tachinen u. s. w. zu. Ob nicht auch viele fortpflanzungsunfähig bleiben, weil sie im Leben öfters an Nahrungsmangel litten? Wir glaubten hierauf zum Wenigsten aufmerksam machen zu müssen. Münster, den 8. November 1869. Erklärung der Abbildungen. Sämmtliche Abbildungen sind nach Präparaten von Vanessa ur- ticae angefertigt. Fig. 1. Hoden einer ausgewachsenen Raupe in natürlicher Grösse. h der Hodenkörper, v der Ausführungsgang; beide sind noch voll- ständig getrennt. Fig. 2. Hoden einer zwei Tage alten Puppe, natürliche Grösse. h die Hodenkörper sind bereits zusammengerückt, ® auch die Aus- führungsgänge legten sich bereits mit ihrer Basis an einander. Fig. 3. Hodenkörper einer sechs Tage alten Puppe, natürliche Grösse. Ah die Hodenkörper sind bereits zu einer einzigen Kugel ver- schmolzen. Fig. 4 hk Hodenkugeln, mit denen die Hodenkammern vollge- pfropft sind, Az die Hodenzellen noch ohne sichtbare Kerne. Ver- grösserung 258. Fig. 5. h% Hodenkugel in weiterer Entwickelung. Vergrösserung 258. hz die Hodenzellen zeigen einen deutlichen Kern. Fig. 6. hz eine einzelne Hodenzelle im weiteren Entwickelungs- stadium, Az’ die einzelnen Tochterzellen der Hodenzelle. Vergrösse- serung der Figur 591. Fig. 7. Die Hodenkugel fängt an sich zu strecken. Die Hoden- zellen haben bereits eine grosse Anzahl Tochterzellen entwickelt. Vergrösserung 258, | 58 H. Landois: Die Entwickelung der büschelförmigen u. ». w. Fig. 8. Weiteres Stadium der Streckung einer einzelnen Hoden- kugel. Vergrösserung 258. Fig. 9. Ein noch älteres Stadium der Streckung. Vergröss, 258. Fig. 10. Das büschelföormige Spermatozoon ist schon zu erkennen, die Umhüllungshaut der ursprünglichen Hodenkugel hält aber die Sa- menfäden noch zusammen. Vergrösserung 58. Fig. 11. Die Umhüllungshaut ist resorbirt; die Samenfäden blei- ben am Grunde büschelförmig vereinigt, an dem anderen Ende flu- ctuiren sie aus einander. Vergrösserung 58. Fig. 12. Die weitere Entwickelung der Hodenzellen zu Samen- fäden. Vergrösserung 591. a perlschnurförmiger Strang, b,c,d der Faden verlängert sich auf Kosten der Zellenkörperchen, e schliesslich ist von den Zellen Nichts mehr zu sehen. W, Pokrowsky: Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 59 Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. Beitrag zur Physiologie der Herzinnervation. Von Dr. W. Pokrowsky aus St. Petersburg. — Seitdem die Eigenschaft des Kohlenoxyds, die Sauerstoffs- stelle im Blute vertretend, in eine festere Verbindung mit dem Hämoglobin einzugehen und dadurch die Blutkörperchen ihrer physiologischen Hauptfunetion als Vermittler des Gasaustausches im Organismus zu berauben, bekannt ist, erschien der Gedanke, die Erscheinungen der Kohlenoxydvergiftung durch den Sauer- stoffmangel im Blute zu erklären als die natürliche Folge der gemachten Erfahrung. Indem Ol. Bernard die Unfähigkeit des mit Kohlenoxyd beladenen Blutes, die Athmung im Orga- nismus zu unterhalten, betrachtet, macht er gerade eine Ver- gleichung der durch CO vollbrachten Erscheinungen mit denen, welche durch einen starken und schnellen Blutverlust hervor- gerufen werden, indem er sagt, die mit CO vergifteten Blut- körperchen seien als nicht existirend für den Organismus zu betrachten, in Folge der Unveränderlichkeit, welche sie durch die Verbindung mit CO erworben haben. Und in der That sind die Erscheinungen der Kohlenoxydvergiftung mit denen identisch, welche bei der Athmung mit Wasser- oder Stickstoff- gas ohne Luftzutritt zu Stande kommen. Unter diesen und jenen ist der Zeit nach die Vermehrung der Athemzüge, Dys- pno£, die erste, Dieses Symptom im Anfang der CO-Vergiftung ist sehr kurzdauernd, indem es sehr schnell, bei Fortschaffung des CO, mit Restitution des normalen Athmens vorübergeht 50 W. Pokrowsky: und eben so schnell, bei fortgesetzter CO-Vergiftung, einem anderen Typus der noch tieferen und langsameren Athembewe- gungen Platz macht, eben so gut wie im Falle einer zuneh- menden Sauerstoffarmuth im Blute. W. Müller, I. Rosen- thal, L. Thiry, Krause haben Dyspno& beobachtet, indem sie die Thiere Wasser- oder Stickstoffgas einathmen liessen, oder eine künstliche Einblasung dieser Gase in die Lungen hervorbrachten. Obwohl die Deutung solcher Versuche, was die Entstehung der Athembewegungen und der Dyspno& betrifft, noch einem nicht ganz entschiedenen Streite unterliegt in Bezug auf die Rolle, welche dabei die Kohlensäure des Blutes spielt: so ist doch auf Grund der schon in dieser Beziehung existirenden Versuche mehr oder weniger sicher angenommen, dass der verminderte Gehalt an Sauerstoff im Blute die Ursache der Athembewegungen überhaupt und des dyspnoischen Zustandes bildet, wie umgekehrt der Sauerstoffreichthum im Blute die Athemzüge vermindert und sogar Apno& zu Stande bringt (Rosenthal). Es sei dem wie ihm wolle, das ist aber rich- tig, dass Dyspno& das erste Symptom bei CO- (resp. bei H-, N- und CO,-) Athmung bildet. Die anderen Erscheinungen sind dabei der Zeit nach folgende: Allgemeine Unruhe des Thieres; Krämpfe, die mehr oder weniger entwickelt sind, je nach der Gattung des Thieres, und bei einigen (Kaninchen) bis zum Grade allgemeiner tetanıscher Krämpfe steigen, Ver- langsamung des Pulses, Sinken des mittleren Blutdruckes und der Eigenwärme, Pupillenerweiterung, Exophthalmus und end- lich das Aufhören des Athmens und aller Bewegungen über- haupt, gänzlicher Verlust der Sensibilität ohne irgend welche Veränderung im Muskel- und Nervensystem (Asphyxie). Die Reizbarkeit der Muskeln, die Irritabilität und Leitungsfähigkeit der Nerven verändern sich im Wesentlichen gar nicht (natür- lich nur im Anfang, vor dem Zustandekommen der tödtlichen Veränderungen), wie dies mit Hülfe der künstlichen Reizungs- versuche vor und nach CO-, H-, CO,-Erstiekung sich ergiebt. Auch die Nervencentra selbst behalten ihre Irritabilität wäh- rend einer kurzen Zeit, so dass die zur rechten Zeit unternom- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 61 mene künstliche Athmung, indem sie den Sauerstoff, welcher nothwendig ist, um die Irritabilität der Nervencentra hervorzu- rufen und zu unterhalten, zuführt, wieder die Respirationsbewe- gungen und alle anderen Functionen des Nervensystems aufweckt. Ausser dieser Analogie des gleichen Nacheinanderfolgens einer und derselben Symptome bei CO-Vergiftung, als auch bei O- Armuth, habe ich schon (Virchow’s Archiv, XXX. Bd.) auf die Analogie beider auch in der Beziehung hingewiesen, dass bei einer langsamen CO-Vergiftung sowohl, als auch bei lang- sam hervorgebrachter O-Armuth, einige von den Symptomen, die Krämpfe nämlich, gänzlich fehlen, bei den Thieren sogar, bei welchen sie unter einer schnelleren Wirkung beider Ursachen am allerheftigsten sich äusserten (bei den Kaninchen)!). Ferner hat Seczenow die Ungiftigkeit des CO für wirbel- lose Thiere gezeigt; und in der That können sich Käfer, Blut- egel, Schaben und Krebse lange Zeit in CO-Atmosphäre auf- halten, ohne irgend welche Vergiftungserscheinungen zu zeigen; andererseits ist schon aus Bernard’s Versuchen bekannt, dass diese Thiere eben so lange eine H- oder N-Atmosphäre aus- halten. Und von den Wirbelthieren sind es die Reptilien und vorzüglich die Frösche, welche am längsten der CO-Vergiftung widerstehen, als auch eine O-arme Atmosphäre am längsten aushalten können. Endlich leisten die Thiere überhaupt be- deutend längeren Widerstand einer grösseren aber langsameren O-Verminderung, als einer geringeren und rasch eintretenden Verringerung desselben. Dem entsprechend braucht dasselbe Thier bei der langsamen CO-Vergiftung viel mehr CO als bei einer rascheren, um vergiftet zu werden. Alle diese Umstände habe ich früher schon in meinem ersten Aufsatze „Ueber Koh- lenoxydvergiftung“ hervorgehoben. Bezüglich des Einflusses, welchen der Gasgehalt im Blute 1) Es ist nothwendig, in dieser Beziehung sich Bernard’s Ver- suche zu erinnern, aus welchen bekannt ist, dass die Thiere, welche in einem geschlossenen Raume athmen, unter den Erscheinungen eines sich langsam entwickelnden soporösen Zustandes, zu Grunde gehen, die frischen Thiere aber in dieselbe Atmosphäre schnell einge- führt unter heftigen sich sofort entwickelnden Krämpfen sterben. 62 W. Pokrowsky: auf die Herzthätigkeit ausübt, existiren schon Versuche von L. Thiry (Ueber den Einfluss des Gasgehaltes im Blute auf die Herzthätigkeit. Zeitschr. für rationelle Mediein von Henle u. Pfeuffer, Bd. XXI.). Die wesentlichen Folgerungen, welche der Verfasser aus diesen Versuchen zieht, sind folgende: Das O-arme Blut bedingt eine Reizung des Vaguseentrums im ver- längerten Marke und dadurch eine Verlangsamung des Pulses, was im Anfang, bei der geringen Pulsverlangsamung, in Folge stärkerer Pulsschläge eine Erhöhung, dann aber, unter dem noch seltener werdenden Pulse, eine Erniedrigung des mittle- ren Blutdruckes veranlasst. Ausserdem, den Zustand des Her- zens beobachtend, sah Thiry am Herzen eines H- oder C0,- (im Gemisch mit OÖ) athmenden Kaninchens die langdauern- den diastolischen Stillstände desselben bei erhaltenen Vagis, und in jedem Falle eine beträchtliche Erweiterung des Herz- volumens, mögen die Vagi dabei durchschnitten gewesen sein, oder nicht. Gleichzeitig mit dieser Herzerweiterung fiel Thiry eine sehr starke Zusammenziehung der Arterien auf, welche bis zum Verschwinden des Lumens der kleineren Gefässe sich steigerte. Diese Erscheinung fasst Thiry als das Zeichen einer activen Zusammenziehung der Gefässe, in Folge einer Reizung der vasomotorischen Nerven durch den O-Mangel auf. In der Weise betrachtet Thiry die anfängliche Erhöhung des mittle- ren arteriellen Druckes als consecutive Erscheinung der Gefäss- contraetion; und die Erweiterung des Herzens, welche dabei wirklich bedeutend ausfällt, sowie die starke Ueberfüllung der Venenstämme ist nach dem Verfasser auf die Raumverminderung im peripherischen Gefässsysteme zurückzuführen. Meine frühe- ren Versuche in Betreff der Einwirkung des CO auf das Herz haben bedeutende Erniedrigung des arteriellen Blutdruckes und Pulsverlangsamung, als von der Vagusreizung im Grunde un- abhängige Erscheinungen dargethan, und ich glaubte die Ur- sache dieser Erscheinungen in einer Paralyse des motorischen Herznervensystems im Sinne v. Bezold’s suchen zu müssen. Die neuerdings in Virchow’s Archiv (April 1865) erschiene- nen Versuche von Dr. Klebs (Ueber die Wirkung des Kohlen- oxyds auf den thierischen Organismus) bestätigen auch die Ver- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 63 minderung des arteriellen Blutdruckes und die Pulsverlangsa- mung unter der Einwirkung von CO; aber die Ursache dieser Erscheinungen sucht Herr Klebs in einer Art Paralyse der vasomotorischen Nerven, in der dabei entstehenden Erweiterung der kleineren Arterien, welche nach dem Verfasser als eine eonstante Folge der Kohlenoxydvergiftung erscheint. Uebereinstimmend mit der alten Hypothese bezüglich der Identität zwischen CO-Vergiftung und O-Armuth, müsste ich also die Wirkung beider Agentien auf die Herzthätigkeit ver- gleichen und den Zustand der Blutgefässe dabei in’s Auge fassen, weil die Beobachtungen von Klebs und besonders die Deutung der von ihm gemachten Versuche und der pathologi- schen Beobachtungen der genannten Hypothese widersprachen, indem sie ein neues und wichtiges Symptom für die GO-Ver- giftung und damit eine verhältnissmässige Unähnlichkeit unter den Erscheinungen, welche durch die CO-Vergiftung und O- Armuth hervorgerufen zu werden pflegen, darthun. Auf Grund der herrschenden Meinung in Betreff der Ath- mung von Wasserstoff habe ich dieses Gas gewählt als das Mittel, die Erscheinungen hervorzurufen, welche die O-Armuth bedingt, um diese Erscheinungen mit denen der CO-Vergiftung zu vergleichen. Da aber diese Erscheinungen denen ganz ähn- lich sind, welche durch die einfache Erstickung, z. B. vermit- telst der Tracheazuschliessung, ebenso denen, welche bei der Athmung mit Kohlensäure ohne Luftzutritt zu Stande kommen, machte ich auch die Versuche der Erstickung und die der Koh- lensäureathmung ohne und mit Luftzutritt. Da nun meine Versuche vorzüglich die Erforschung der Wir- kung der genannten Bedingungen auf das Herz und das Blut- gefässsystem überhaupt bezweckten, bemutzte ich während des letzten Sommers (die Versuche waren am 28. Mai angefangen) in. Zürich das neue Kymographion von A. Fick in seinem phy- siologischen Laboratorium, um diese vergleichende Studie zu machen. Das Instrument von Fick bietet grosse Vortheile, in- dem es möglich macht, die richtige Curve der Schwankungen des Blutdruckes und der möglichen Veränderungen des Pulses im Zeitraum unter der Einwirkung; verschiedener Bedingungen 64 W. Pokrowsky: zu zeichnen. Die Uebelstände des Quecksilbermanometers, welche darin bestehen , dass die rascheren Wellen bedeutend vergrössert und die langsameren sehr verkleinert erscheinen, ferner dass die Quecksilbersäule immer Nachschwingungen zeigt, die die Pulswellen nachahmen können, welcher Uebelstand bei den langsamen Pulsen am stärksten hervortritt, sind durch den Ersatz des Hg-Manometers durch ein elastisches vermieden, wodurch es Fick gelang, die Form der normalen Pulswelle zu eruiren. Der Apparat ist ausführlich beschrieben und gezeich- net in der Dissertation von Dr. Tachau (Zürich 1864)'). Ver- möge dieses Instrumentes bekam ich auf dem berussten Papier die Curven der Schwankungen des Pulses und des Blutdruckes unter verschiedenen Bedingungen: Von dem Gedanken ausgehend, dass das Kohlenoxyd den Sauerstoff vermöge seiner chemischen Verwandtschaft und ver- möge der Dauerhaftigkeit der sich bildenden Verbindung mit Hämoglobin aus dem Blute verdrängt, erwartete ich, dass die Erscheinungen von Seiten des Herzens unter der CO-Versiftung schneller eintreten würden, als unter der H-Athmung, wobei OÖ nur mechanisch aus dem Blute verdrängt wird, und dass die- selben Erscheinungen bei CO,-Athmung vielleicht langsamer als bei CO, jedenfalls aber schneller als in den Versuchen mit H-Athmung sich zeigen würden, da die Eigenschaft der Koh- lensäure, den Sauerstoff schneller und sicherer aus dem Blute zu verdrängen, als dies durch H geschieht, wohl bekannt ist.2) Und in der That haben die von mir erhaltenen Cur- ven in allen wesentlichen Zügen sich als vollständig identisch erwiesen, sowohl unter der CO-Vergiftung bei vollem Strome des Gases, als auch unter der durch H oder CO, gemachten Erstickung, mit dem Un- terschiede jedoch, dass die entsprechenden Theile der Curven länger für H als für CO-Athmung ausfielen; mit anderen Wor- 1) S. auch Fick: „Ein neuer Blutwellenzeichner *. In diesem Archiv, 1864, 8. 583. 2) Damit will ich keineswegs behaupten, dass die Wirkung der CO, auf's Herz auf die Austreibung des Blutsauerstoffs zurückzufüh- ren sei, was weiter unten erörtert wird. Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. | ten, dass die entsprechen- den Phasen in der Herzthä- tigkeit langsamer für CO,- und noch langsamer für H-, als für CO-Athmung eintra- ten. Diese besonderenTheile der Curven für das Kanin- chen waren folgende; (die Mehrzahl der Versuche war ja an Kaninchen angestellt): a—b (Fig. 1) normaler Puls und Blutdruck, vor Anfang der Vergiftung (resp. H- oder CO,-Athmung), d—c Anfang der CO- (H- oder CO,-) Athmung, zeichnete sich fast immer durch die. Erhöhung des Blutdruckes (an der Fig. 1 von 115 Mm. auf 120—130), Beschleum- gung der Pulse aus (an der -Fig. 1 von 20 auf 24 Schläge in 5°), welche dabei bald grösser bald kleiner ausfie- len; e'—d (Fig. 2) einzelne Druckerhöhungen mit unre- gelmässigem Puls, mit der anfangenden Unruhe, den Krämpfen und anfangender 1) Anmerkung zu den Fig. 1,2, 3. Geschwindigkeit der Trommelumdrehung = 300 Mm. in 45”. _Maassstab für Ördinatenachse 2,1 Mm. = 10 Mm. Hg-Säule. Versuch an einem 2,5 Kilogrm. schweren Kaninchen, Fig. 1.) co Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. oO | 65 66 W. Pokrowsky: za] Pulsverlangsamung zu- sammenfallend.. Nach- dem folgt die Kette d—d, durch sehr seltene und starke Pulswellen, unter entschiedener Druckab- nahme, charakterisirt. Mit dieser Phase fällt zusammen das Aufhören des Athmens, Erblassung aller Schleimhäute,. das Zusammenfallen sämmt- licher arteriellen Gefässe bis zum gänzlichen Ver- schwinden des Lumens in den kleineren von ih- nen, ungemein seltene und starke Systolen und ö, 10—15 Sec. dauernde Diastolen des Herzens. Die Krämpfe sind mei- _ stens schon vorüber, oder kommen nur vereinzelt vor (d’—d'). Wenn das Thier nun die reine Luft zu athmen anfängt, oder wenn solche ihm einge- blasen wird, verkürzen sich schon nach den er- sten zwei bis drei Ein- athmungen resp. Einbla- sungen die Diastolen; die Pulse werden schneller und der Blutdruck wächst (die Kette d—e—f, Fig. 3). Beide Grössen stei- gen bald über die Norm Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. (fg), und erst später nähern sie sich der letzteren wieder, indem das Thier sich gänzlich erholt. Die wiederkehrenden Athmungen folgen nun in der umgekehrten Ordnung, in wel- cher sie verschwanden. Im Anfang der Erstickung, resp. Vergiftung, sind sie über die Norm gesteigert, mit den ein- tretenden Krämpfen werden sie ungemein tief und selten und verschwinden dann gänzlich'); bei der Erholung erscheinen sie wieder, zuerst tief und ver- einzelt, dann werden sie all- mählich schneller als normale (secundäre Dyspno&), endlich bei dem normalen Puls und Blutdruck kehren auch die Ath- mungen zur normalen Grösse wieder zurück. Ich lege die von mir an den Kaninchen erhaltenen Zah- len bei. Die Athmungen wur- 1) Der athemlose Zustand (Asphyxie), je nach dem Grade der Erstickung (mit CO, H, C0>), dauert verschiedene Zeit. Bei eini- gen Kaninchen dauerte dieser Zu- stand eine, anderthalb Minuten, bei einigen sogar, und bei einem Hunde, bis 2 Minuten; und doch wurden die Thiere mit Hülfe der künstlichen Athmung vermittelst eines Blasebalgs wieder hergestellt, gleichgültig, ob sie mit CO oder CO, erstickt wurden, Fig. 3. IN 67 68 W. Pokrowsky: den nach den Bewegungen der Nadel, welche in’s Hypochon- drium eingesteckt war, gezählt. 1. Das Kaninchen von mittlerer Grösse; normale Athmun- gen, 22 in 15‘; wird bis zu schwachen Krämpfen, welche schon in den ersten 30 Secunden erfolgen, mit CO vergiftet; athmet in den ersten 15‘ 27 Mal, in den folgenden 15'' 22 Mal, unter diesen sind die ersten Athmungen sehr schnell, die letzten aber selten und.tief. Krämpfe, 2—3 Athemzüge in 15’. Indem das Thier sich erholt, athmet es in je 15'' 37, 32, 35, 30, 27 Mal Nach 10 Minuten werden die Athmungen normal, 22 in 15”, und bleiben auf dieser Höhe stehen. 2. Anderes Kaninchen; normale Athmungen, in 15'' 26—28, wird vergiftet, erste 15'' athmet 32 Mal, Krämpfe — 2 Athem- züge, bei der Erholung in je 15' 40, 38, 35, 32, 94, 30. Nach 9 Minuten 28 Athemzüge in 15“. Wieder vergiftet, in den ersten 15'' 87 Athemzüge, Krämpfe, 1 Athemzug in 15"; bei der Erholung in je 15'' 44, 45, 42, 38, 36, 36, 30. 3. Normales Kaninchen, athmet in 15° 33—34, bei der Ver- giftung 44, keine Athmung während der Krämpfe; bei der Er- holung 40, 47, 50, 49, 47, 49, 50, 47, 45. Nach 8 Minuten 35. Bei den Kaninchen sind die Athmungen ungemein schnell und flach; wie obige Zahlen zeigen, ist der dyspnoische Zu- stand im Anfang der Erstickung sehr kurz; dadurch erklärt sich das Fehlen desselben auf der Curve in der Mehrzahl der Fälle. Bei den Hunden aber dauert die Dyspno& länger und die Athmungen werden sehr tief, was sich ganz trefflich auf der Curve zeichnet. Die Phase der Krämpfe aber bei den Hunden bleibt oft fast ohne Einfluss auf die Curve, weil die Krämpfe bei diesen Thieren wirklich kaum merklich sind und sich bald auf die subceutanen Zuckungen beschränken, bald auf Zusammenziehungen der Muskeln des Nackens und des Ge- sichts (Verziehung der Gesichtszüge), bald aber auf tetanische Streckungen der Extremitäten und des ganzen Körpers.') Un- 1) Es versteht sich von selbst, dass ich nicht von den unruhigen Bewegungen der Hunde in Folge des Gebundenseins spreche. Die genannten krampfhaften Bewegungen wurden beobachtet, indem die Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 69 ter der langsameren Vergiftung aber, wie gesagt, fehlen die Krämpfe bei den Kaninchen sogar.') Was die Application der Gase betrifft, so wurden H und CO, in dem Apparate für Koh- lensäure - Entwickelung gewonnen, jener vermittelst reinen Zinks und verdünnter Schwefelsäure, diese aus Marmorstücken und verdünnter Salzsäure. Der ©0O,-Apparat wurde immer mit einer grossen zweihalsigen Waschflasche verbunden, um die Dämpfe der Salzsäure zu absorbiren, der Wasserstoff-Apparat wurde mit drei solchen Flaschen, um den entwickelten Wasser- stoff durch Kalilauge, Sublimatlösung und Wasser durchzuleiten, verbunden; jedoch habe ich später den Wasserstoff auch ohne solche Reinigung von Kohlenwasserstoffen gebraucht und die- selben Theile der Curve bekommen. Dem Versuchsthiere war in die Trachea ein Glasrohr fest eingebunden, welches mit einem anderen gabelförmigen zusammenhing; ein Ast von die- sem letzteren wurde vermittelst Kautschukrohrs bald mit dem Wasserstoff, bald mit dem Kohlensäure entwickelnden Appa- rate in Zusammenhang gebracht; der andere endete durch an- deres Kautschuk. Vermöge eines einfachen Hebels oder mit Hülfe der Finger wurde bald die zur Einathmung, bald die zur Ausathmung dienende Kautschukfortsetzung des Gabelrohrs abwechselnd geschlossen und geöffnet, je nachdem das Thier aus- oder einathmete. Das Kohlenoxyd, keine Spuren von Kohlensäure enthaltend, wurde ganz einfach durch das Kaut- schukrohr aus dem Gasometer zugeführt, das freie Ende des Kautschuks mit einem Glastrichter verbunden, und dieser letz- tere wurde mit seiner breiten Oeffnung über die in die Trachea eingebundene Canüle geschoben. Diese Einrichtung gab die Möglichkeit, zur rechten Zeit zum künstlichen Athmen, vermit- telst eines Blasebalgs, Zuflucht zu nehmen, wenn dies nothwen- dig erschien. Hunde in einem grossen Cylinder, oder die kleinen Thiere auf den Armen eines Gehülfen vergiftet wurden, und nachdem die betäubten Thiere losgelassen waren. S. Virchow’s Archiv, Bd. XXX. 1) Im Falle eines raschen Todes durch Verblutung dagegen, sowie bei der Zuschnürung aller der zum Kopf gehenden Gefässe werden die Krämpfe heftiger, selbst bei Hunden. 70 W. Pokrowsky: Die eben beschriebene Curve bietet also zwei Hauptmomente dar: die Vergiftung mit CO (resp. die Erstickung mit H oder CO,) und die Wiederherstellung des Thieres durch die atmosphä- rische Luft. Wenn aber die Athmung mit den genannten Ga- sen bis zum gänzlichen Tode des Thieres fortgesetzt wurde, dann veränderte sich die zweite Curvenhälfte auf folgende Art: nach der Phase d—d fingen die Systolen an, sich zu beschleu- nigen, und die Diastolen, sich zu verkürzen, unter gleichzeitiger schwacher und vorübergehender Druckerhöhung; dann werden die Pulse schneller und allmählich kleiner, bis zu dem Grade, dass die systolischen Erhebungen kaum merklich erscheinen, und die Curve geht in eine fast gerade Linie über, ungeachtet des- sen, dass das Herz rhythmisch fortpulsirt, wie man es leicht an der Middeldorpf’schen Nadel, oder noch besser am Her- zen selbst, nach der Brusteröffnung sehen kann. Es fragt sich nun, welche Bedeutung diese verschiedenen Theile der Ourve in Betreff der Herzaction unter der Einwir- kung der genannten Gase haben können? Es ist wohl bekannt, dass in der Herzaction viele verschiedene Factoren von Bedeu- tung sind. Und die verschiedenen Theile unserer Curven müs- sen ja verschiedene Intensitätsgrade in der Wirkung verschie- dener Kräfte und Bedingungen der Herzaction repräsentiren. Kann z. B. der erste Theil der Curve (b--c) mit beschleunig- tem Puls und erhöhtem Blutdruck vielleicht im Sinne v. Be- zold’s, als ein Ausdruck einer erhöhten Wirkung des centra- len motorischen Herzapparates interpretirt werden? Oder er- klärt sich diese erhöhte Herzleistung durch die von Thiry gemachte Beobachtung einer Zusammenziehung der Gefässe? Weiter ist vielleicht: der nachfolgende Theil c—d als die Folge der Vagusreizung zu betrachten, was für H- oder CO,-Athmung von Thiry schon bewiesen ist? Die Antwort auf solche und ähnliche Fragen kann natürlich nur durch Experimente geliefert werden. Nun also zuerst, was ist die Ursache des ersten Theils der Curve bc? Ist diese Phase vielleicht im Sinne Thiry’s er- klärbar, d. h. dass die vasomotorischen Nerven erregt und die pe- ripherischen Gefässe zusammengezogen werden im Anfang der Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 71 . Erstickung mit unseren Gasen? Eine aufmerksame Beobach- tung in Betreff der Gefässlumina reicht schon aus, um die Ant- wort darauf zu geben. Bei jedem kymographischen Versuche stellte ich solche Beobachtungen mittelst einer starken Lüpe an den verschiedenen Unterhautgefässen des Thorax, Abdomens und der Extremitäten, an den Gefässen des Peritoneums und Mesenteriums an, und habe stets die Verkleinerung, ja sogar das Verschwinden des Lumens der- kleinen arteriellen Gefässe beobachtet, sowohl unter OO-Vergiftung, als auch unter H- und CO,-Erstickung. Von der anderen Seite aber habe ich mich fest überzeugt, dass diese Lumenverkleinerung der Gefässe mit den späteren Phasen der zu zeichnenden Curve zusammenfällt. Besonders günstig und überzeugend sind in dieser Beziehung die Versuche einer langsameren Vergiftung mit CO (als auch die der Athmung mit Wasserstoff und noch günstiger die Fälle der Athmung mit CO, bei dem freien Zutritt der atmosphäri- schen Luft), in welchen die erste Phase b—c sich bis 30-45 verlängert und in welchen die Zusammenziehung der Ge- fässe mit derstarken Druckabnahme zusammenfällt, also mit der Phase d—d; im Laufe der ersten Phase aber scheinen die kleinen Gefässe ihr Kaliber nicht zu verändern, oder sie dehnen sich merklich aus und erscheinen stärker als früher gefüllt. Auf diese Weise fällt der Einwand von selber, als könnte die Zusammenziehung der Gefässe sich schon früher, nämlich mit der Blutdruckerhöhung gleichzeitig einstellen, und als die Ursache der letzteren fungiren, dass sie aber nur dem beob- achtenden Auge sich später erweise. Und die Erklärung der Phase b—c durch das Zusammenziehen der Gefässe ist auf diese Weise als unrichtig zu bezeichnen. Dazu muss ich noch hinzufügen, dass die künstliche Einschränkung des arteriellen Gebietes, durch Compression der Aorta thoracica oder abdomi-- nalis, etwas anders wirkt; nämlich durch solche Versuche bin ich zur Ueberzeugung gekommen, dass, sobald der Blutdruck bei der künstlichen Compression der Aorta in verschiedenen Graden gesteigert wird, die Pulse dabei sich constant verlangsamen — eine Thatsache, die im Widerspruche mit 12 W. Pokrowsky: den Angaben steht, die von Ludwig und Thiry gemacht worden sind, insofern die Versuche von Ludwig und Thiry eine incon- stante Erscheinung — öfters eine Zunahme, manchmal aber eine Abnahme der Pulsfrequenz, als Folge der Aortencompres- sion darbieten. Um diese Thatsache wohl zu begründen, habe ich viele Male die Compression der Aorta in verschiedenen Höhen, zu verschiedenen Zeiträumen versucht und stets die Pulsverlangsamung gefunden. Die Pulswellen werden dabei grösser, die systolischen Erhebungen übertreffen 3—4—5 Mal die normale Grösse; die Diastolen werden kürzer als früher, im Vergleich mit den Systolen, beträchtlich länger aber als die normalen Diastolen, und jeder Dikrotismus verschwindet.') Da- bei kommt fast nie eine etwaige Unregelmässigkeit im Pulse vor; wenn aber solche vorhanden ist, so besteht sie darin, dass zwischen den schnelleren Pulsreihen eine oder zwei bedeutend längere Wellen und dabei in ganz regelmässigen Nacheinander- folgen sich einschalten. Wenn diese Versuche mit eröffneter Brusthöhle, bei künst- licher Athmung gemacht werden, dann zeigt sich immer eine beträchtliche Erweiterung des linken Herzens, bei der Aorten- compression und Verkleinerung seines Volumens, nachdem die Compression entfernt ist; aber die Aortencompression (Blut- druckerhöhung) war nie im Stande, solche Herzausdehnung hervorzubringen, die bei Vagusreizung (Blutdruckverminderung), sei sie durch die Elektrieität, oder z. B. durch die Erstickung des Thieres hervorgerufen, zu Stande zu kommen pflegt. Dar- über weiter unten. Die Verlangsamung des Pulses ist also eine constante Folge der Blutdrucksteigerung, welche durch die mechanischen Hindernisse, welche dem Blutstrome in den Weg gesetzt sind, hervorge- rufen wird. Auf welche Weise nun die inconstanten Erschei- nungen der Zu- und Abnahme der Pulsfrequenz in den Versuchen von Ludwig und Thiry sich erklären lassen, wage ich nicht zu entscheiden. Da aber bei der Pulsverlangsamung unter der 1) Die dikrotischen Pulse (wellige diastolische Linie) verwandeln sich stets in die einfachen bei der Aortencompression, und umgekehrt werden die einfachen dikrotisch nach Aufhebung der Compression. Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 73 Aortencompression die systolischen Erhebungen 3—5 Mal höher und dabei steiler, also rascher werden, als die normalen, so sind die günstigsten Bedingungen gegeben zur Entstehung der Nachschwingungen im Hg-Manometer, folglich auch falscher Wellen. Obwohl ich nie so starke Verlangsamung des Pulses bekam, dass die Pulszahl auf 120 Schläge in 1’ herabgesunken wäre, das heisst, dass jedenfalls mehr als zwei Schläge für jede Secunde ausfielen: dafür aber geschah es manchmal, dass die Aortencompression zuerst eine augenscheinliche Pulsverlangsa- mung hervorbrachte, dann aber eine solche Irregularität des Pulses zu Stande kam, dass nach 4—5 raschen Pulswellen eine 1‘ lange, durch langsamere und tief hinuntergehende Diastole bedingte Pulswelle erschien, und mehrere solcher Pulsreihen neben einander sich zeigten, so dass für den 5’ Zeitraum je- denfalls eine Pulsverlangsamung sich gestaltete. Dieser Um- stand würde möglicherweise auf dem Hg-Manometer falsche Wellen geben, sogar wenn die Nachschwingungen nicht länger ‚als eine halbe Seeunde dauerten, obwohl nach Ludwig und Thiry keine Möglichkeit für diese Fehlerquelle bei ihrer Puls- zählung vorhanden gewesen sein soll.) Jedenfalls bietet in dieser Beziehung die Registrirung der Pulse vermittelst eines elastischen Manometers, wie es scheint, ein ganz sicheres und vielleicht einzig genaues Mittel für die richtige Pulszählung. Selbstverständlich muss die Trommel einen möglichst regelmäs- sigen Gang haben. Die lineare Trommeleircumferenz betrug in unserem Kymographion 300 Mm. Die Laufgeschwindigkeit 30, 45, 60‘ je nach der Belastung, also 10, 62/,, 5 Mm. in 1". Die Mehrzahl der Curven wurde bei einer Geschwindigkeit von 6,66 Mm. in 1‘ gezeichnet. Die Pulszahl wurde gerade auf dem 5'' entsprechenden Raume auf der Curve abgelesen. Das elastische Manometer muss natürlich, was die Registrirung des Druckes betrifft, mit einem Hg-Manometer verglichen werden. Das Instrument im Züricher Laboratorium war so eingestellt, 1) Verff. gestehen aber selbst, dass eine grosse Unregelmässigkeit des Pulses als eine sehr häufige Erscheinung in ihren Versuchen ein- trat, und zwar grosse Pausen (verlängerte Diastolen) oft vorhanden waren. 74 W. Pokrowsky: dass die Erhebung des Schreibstiftes um 2,1 Mm. 10 Mm. Hg entsprach, und dieses Verhältniss blieb im Bereiche der Druck- schwankungen constant. Aeusserst instructive Curven in Betreff des Pulses, bei der künstlichen Gefässcompression, kann man durch Compression der Aorta zwischen den Diaphragma- Schenkeln und abwechselnde Entfernung des zudrückenden Fingers hervorbringen. Ich füge die Beschreibung einiger sol- cher Curven bei. Die Bauchhöhle war in der Linea alba er- öffnet; diese Eröffnung brachte stets eine beträchtliche Stei- gerung des Blutdruckes zu Stande, welche sich ziemlich lange auf dieser Höhe hielt, um dann allmählich bis zur Norm und darunter zu sinken. Die eingeklammerten Zahlen sind die auf 1 Minute berechneten. 1. Kaninchen, mittelgross, mit geöffnetem Bauch. Zeit. Puls. Blutdruck in Mm. 5" 91 (952) 55 a. comprimirt — 18 (216) 151 2. Kaninchen. Normal 5" 24—25 (300) 136 Aort. comprim. — 14 (168) 236 losgelassen — 25 (300). 70 Aort.comprim. — 14(168) 236 los — .26.(312) 25 3. Kaninchen. Aort. comprim. 4" 10 (150) 190 los — 14 (210) 90 4. Kaninchen. Normal 0% 25 (300) 73 Aorta zu = 20 (240) 180 los — 24 (288) 61 zu 19.0998) 180 o. Kaninchen. A. Normal 5“ 24 (288) 135 Aorta zu _ 22 (264) 176 los — 24 136 zu — . .20.(240) 176 los — 24 186 zu — 2 176 Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 75 - 5. Kaninchen. B. Zeit. Puls. Blutdruck in Mm. Normal 54" 920 (240) 115 Aorta zu - 11 (132) 150 los — ...17.(204) 118 zu — © 14-(168) 145 C. Normal 5“ 23 (276) 75 Aorta zu — 21—22(252—264) 110 los _ 24 (288) 75 zu = 19 (228) 110 Die letzten Versuche wurden an einem und demselben Ka- ninchen angestellt, B und © nach vorläufiger Durchschneidung der Vagi, und die Aortencompression war dabei vermittelst einer Schieberpincette unternommen, nachdem die Aorta von den benachbarten Theilen entblösst wurde, in der Absicht, die mögliche reflectorische Reizung des regulatorischen nervösen Apparates des Herzens auszuschliessen, welche in Folge einer starken Compression mit dem Finger entstehen könnte. Wie aus den niedergeschriebenen Zahlen zu sehen ist, blieb das Re- sultat dasselbe. Ausserdem brachte eine starke Compression, welche mit dem Finger im Bereiche und zwar neben der Aorta abdominalis auf die Wirbelsäule versuchsweise ausgeübt wurde, keinen Einfluss auf den Blutdruck und die Pulszahl hervor. Um diese Verlangsamung der Pulszahlen bei der gleichzei- tigen Steigerung der systolischen Erhebungen zu erklären, scheint mir angenommen werden zu müssen, dass die Vergrösserung der Blutmasse im Herzen, indem diese den Herzmuskel stärker ausdehnt und einen starken inwendigen Blutdruck der Herz- eontraction entgegensetzt, einen grösseren Zeitraum in Anspruch nehmen muss, um bei der Systole die Ausleerung der Ventrikel zu bewerkstelligen, als welcher im normalen Zustande bei der kleineren Blutmasse und dem kleineren Druckwiderstande noth- wendig ist. Vielleicht lässt sich dadurch, wenigstens theilweise, die Pulsbeschleunigung nach Blutungen und bei anaemischen Subjeeten überhaupt, wenn die letzteren auch nicht besonders nervös sind, erklären. Obwohl bei dieser Erscheinung zweifels- 76 W. Pokrowsky: ohne auch die er Bsen Kräfte betheiligt sind, besonders die Wirksamkeit der Herzganglien. Sonst bleibt der Umstand un- erklärbar, dass die Pulsverlangsamung bei der Blutdruckerhö- hung und die Pulsbeschleunigung bei der Druckabnahme nicht immer einander proportional erscheinen. Wenn also die Gefässcompression keine Pulsbeschleunigung, vielmehr eine Pulsverlangsamung hervorruft, so kann der erste Theil unserer Curve 5—c auch nicht durch die anderen Mo- mente, welche als mechanische Hindernisse für die Bluteircula- tion betrachtet werden müssen, erklärt werden, wie z. B. durch die unruhigen Bewegungen und die Krämpfe: weil von einer Seite diese Umstände Blutanhäufung im Herzen bedingen durch die Compression der arteriellen Gefässe und durch Auspressung des Blutes aus den Venen in der Richtung zum Herzen; von der anderen Seite aber auch deswegen, dass die Form des zu betrachtenden Theils der Curve keinen unterbrochenen Charak- ter hat, welcher den vermeintlichen Ursachen entsprechend wäre, umgekehrt aber eine regelmässige und allmähliche, bei den langsameren Erstickungen mit verdünntem CO und 00, eine länger dauernde Erhöhung mit Pulsbeschleunignng darbie- tet. Die Beobachtung an den Athembewegungen der Thiere im Laufe dieser Phase zeigt anfangende Dyspno&, ohne irgend welche krampfhafte Ausathmungen, gleichgültig ob diese Beob- achtungen vermittelst einer im Hypochondrium eingesteckten Nadel, oder bei eröffneter Brusthöhle und eingeleiteten künst- lichen Einblasungen von CO am Diaphragma selbst vorgenom- men werden, wobei unter Anderem der Einfluss der Athembe- wegungen auf den Blutdruck gänzlich aufgehoben wird. Krampf- hafte Zusammenziehungen des Zwerchfells fangen erst mit den allgemeinen Krämpfen zusammen an. Xndlich bei der Vergif- tung mit Kohlenoxyd solcher Thiere, welche zuerst mit Curare bewegungslos gemacht wurden, entstand im Anfang der Vergif- tung meistentheils auch eine vorübergehende und unbeträcht- liche Blutdruckerhöhung, was auch von Herrn Klebs beob- achtet wurde. | Nachdem wir ‚auf diese- Weise die Betheiligung vermehrter Hindernisse der Bluteireulation an der Entstehung der zu be- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 17 trachtenden Curvenphase ausgeschlossen haben, müssen wir zu deren Erklärung eine erhöhte Herzthätigkeit annehmen, auf welche beide auf der Curve gezeichneten Momente — die Er- höhung des Blutdruckes und die Beschleunigung des Pulses hin- deuten. In dieser Beziehung hat bekanntlich v. Bezold die Existenz eines motorischen Centrums für die Herzbewegungen im Rückenmarke zu beweisen versucht, dessen Erregung näm- lich eine Blutdruckerhöhung und Pulsbeschleunigung bedingt. Von der anderen Seite aber muss man die Existenz eines mo- torischen Apparates in den Herzwandungen selbst berücksich- tigen, welcher die Herzaction wohl vermehren kann, ausserhalb des Organismus selbst. Die wirkliche Existenz eines motori- schen Centrums im verlängerten Marke wurde in der letzten Zeit von Seite Ludwig’s und Thiry’s angegriffen. Die Verff. beweisen nämlich, dass bei der Rückenmarksreizung eine Zu- sammenziehung sämmtlicher arteriellen Gefässe stattfindet bis zum gänzlichen Verschwinden der Lumina der kleineren Arte- rien; und dass die Compression der Aorta thoracica oder ab- dominalis (als künstliche Zusammenziehung der Gefässe) eine beträchtliche Steigerung des Blutdruckes und in der Mehrzahl der Fälle auch die der Pulszahl bedingt. Ausserdem haben nach der Durchschneidung sämmtlicher zum Herzen gehenden Nerven, welche als Vermittler zwischen Herz und Rückenmark angesehen werden müssen, demungeachtet die Verff. die Stei- gerung des Blutdruckes und der Pulszahl bei der Rückenmarks- reizung beobachte. Darum wollen Verff. die Erfolge v. Be- zold’s bei der Rückenmarksreizung und dessen Durchschnei- dung auf die Veränderungen der Gefässlumina zurückführen. Aber einerseits werden in den Versuchen von Ludwig und Thiry schon einige Erscheinungen erwähnt, welche durch aus- schliesslichen Einfluss der mechanischen Hindernisse nicht er- klärt werden können, z. B. weitere Beschleunigung des schon durch die Aortencompression veränderten Pulses bei der Rücken- marksreizung; ausserdem blieben die maximalen Erhöhungen des Blutdruckes nach der Durchschneidung sämmtlicher Herz- nerven und bei der Reizung des Rückenmarks hinter den Maximis, welche bei der Rückenmarksreizung vor der Herz- 18 W. Pokrowsky: nerven-Durchschneidung erhalten wurden, immer zurück, ob- gleich die Differenzen den Verfassern zu klein schienen, um irgend welchen Schluss zu gestatten. Von der anderen Seite aber haben wir schon gesehen, dass in Betreff des Rhythmus der Pulse bei der Zusammenziehung der Gefässe eine Verlang- samung und keine Beschleunigung stattfindet. Ausserdem wer- den wir weiter die Fälle einer geschwächten Herzaction sehen, in welchen die Compression der grossen Gefässe keinen Ein- fluss ausübt, während die Reizung des Rückenmarks eine Stei- gerung des Blutdruckes und der Pulszahl bedingt. Darum las- sen wir jetzt die Frage über die Bedeutung des ersten Theils der Curve unentschieden, und gehen zu den folgenden über. Was die unmittelbar folgenden Wellenberge c—c' betrifft, so genügt schon ein Blick auf die Curve oder der unmittelbare Anblick bei dem Versuche, um zu sagen, dass sie ihre Entste- hung den Krämpfen verdanken, welche manchmal sich auf die folgenden Theile der Curve fortsetzen (Fig. 2 d'’—d'), und da die entsprechenden Erhöhungen bedingen. Jedenfalls bemerkt man schon auf dem Theile c—c‘' die anfangende Pulsverlangsa- mung, welche in der Phase d—d ihren Höhepunkt erreicht mit den starken Systolen und langsamen Diastolen. Diese Eigen- schaften reichen schon aus, um die Hypothese in Betreff der Vagusreizung als Ursache dieser Erscheinungen zu begründen. Damit stimmt auch der Umstand überein, dass die Erscheinun- gen am Herzen, was sein Volumen betrifft, ganz dieselben sind, als die bei der elektrischen Vagusreizung. Indem ich bei der eröffneten Brusthöhle die künstlichen Einblasungen von H, CO, CO, in die Lungen der Kaninchen unternahm, sah ich ganz beträchtliche Dilatationen und lange diastolische Stillstände des Herzens, als auch die starken und manchmal anhaltenden Con- tractionen desselben. Diese anhaltenden Contractionen des Her- zens zeichneten sich auf der Curve ganz vortrefflich, indem auf der Höhe der systolischen Linien sich ziemlich lange wage- rechte Stücke einschalteten — eine Zeichnung, welche nur mit dem elastischen Manometer möglich ist. Wie gesagt, übertrafen die vorkommenden Dilatationen des Herzens bei der Erstickung, der Stärke nach, diejenigen, welche bei der Einschaltung eines Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 79 _ mechanischen Hindernisses innerhalb der Blutbahnen zu Stande kamen. Zur Charakteristik der Vagusreizung gehört bekannt- lich die starke Druckabnahme im arteriellen System, gleichzei- tig mit den seltenen und starken Systolen und sehr langsamen Diastolen. Unsere Curve zeigt nun die Anwesenheit auch dieses charakteristischen Momentes. Was endlich den Zustand der Ge- fässe betrifft, so fällt die Zusammenziehung derselben bis zum gänzlichen Verschwinden der Lumina der kleineren von ihnen, wie schon oben bemerkt, gerade mit dem Laufe dieser Phase zusammen, und geht erst mit der Blutdruckerhöhung bei Wie- derherstellung der Versuchsthiere vorüber, indem die vorläufig fast verschwundenen Arterien sich wieder und stets sehr stark füllen. Folglich hat Thiry Recht, wenn er die Reizung des Vaguscentrums bei der Erstickung mit H und CO, annimmt. Von der anderen Seite aber spricht das zeitliche Zusammen- treffen der Zusammenziehung der Gefässe mit dem Momente | der entschiedenen Druckabnahme und deren Wiederfüllung bei der Druckerhöhung gerade gegen die andere Annahme Thiry’s'), dass das Zusammenziehen der Gefässe eine Folge der Reizung der vasomotorischen Nerven sei, welche durch die O-Armuth oder CO,-Anhäufung im Blute hervorgerufen wird, und dass die Herzdilatation durch diese Contraction der Gefässe bedingt werde. Obwohl Thiry den Einfluss der Krämpfe als eines mechanischen Hindernisses der Blutcirculation ausgeschlossen hat, da die Erscheinung auch bei der Erstickung der mit Cu- rare vergifteten Thiere eintrat, und obwohl der Einfluss der möglichen Vagusreizung ebenso ausgeschlossen zu sein schien vermöge der Durchschneidung desselben: so beweisen doch einige Versuche v. Bezold’s in einigen Fällen die Existenz der dem Vagus ganz analogen Fasern im Halssympathieus, und zweitens werden wir gleich im Grunde genommen dieselben Erscheinungen am Herzen und gleichzeitig an den Gefässen sehen, auch bei der Erstiekung mit H, CO, CO, von solchen Thieren, welchen beide Vagi und Sympathici schon vor dem 1) Ueber das Verhalten der Gefässnerven bei Störungen der Re- spiration. Üentralbl. f. d. med. Wissensch. 1864. S. 722. 80 W. Pokrowsky: Versuche durchschnitten wurden, nämlich gleichzeitige Erwei- terung des Herzens und Leerwerden der Gefässe bei Druckab- nahme im arteriellen System. Es muss also das in Rede ste- hende Zusammenziehen der Gefässe, als Zusammenfallen der- selben, in Folge der Druckabnahme im arteriellen Systeme be- trachtet werden. Wenn die Beobachtungen von Thiry an den Gefässlumina gleichzeitig mit der Blutdruckmessung gemacht wären, dann würden gewiss die von ihm zuerst beobachteten Erscheinungen am Herzen richtig verwerthet worden sein. An Fledermäusen habe ich auch viele Versuche mit Koh- lenoxydvergiftung gemacht und bin immer auf den Zustand der Gefässe aufmerksam gewesen. Die Beobachtungen an den Ge- fässen der Flughäute sind mit Hülfe der Hartnack’schen Ob- jective 2 und 4 mit dem Mikrometer-Ocular Nr. IL. gemacht. Nachdem ich an dem umgekehrten mikroskopischen Bilde ein- mal mich überzeugte, dass ich mit einer Arterie und einer Vene zu thun hatte, sah ich die schon bekannten periodisch eintretenden Füllungen und beträchtlichen Erweiterungen der- selben, welche mit starken Zusammenziehungen abwechselten; diese letzteren aber stiegen nie bis zum gänzlichen Schwunde des Lumens. Bei der Erweiterung der Gefässe bekam der Blutstrom in der Vene öfters eine zurücklaufende Richtung; es trat dabei auch eine Erweiterung des Lumens und Stillstand der Blutströmung in der Arterie ein. Das Kohlenoxyd wurde stets vermittelst des Kautschukrohrs zugeleitet, welches unter der Nase des Thieres mit freier Oeffnung angenagelt wurde. Nach einer merklichen Beschleunigung der Athemzüge nach den unruhigen Bewegungen war das Thierchen erschlafft und reflexlos, und wenn es mit dem Bauch nach oben befestigt wurde, sah man einzelne starke Pulsationen an der Brust sehr deutlich — die Phase also, welche vollständig der in Rede stehenden bei dem Kaninchen, d. h. der Phase der Vagusrei- zung und der Druckabnahme entsprach. Die Beobachtung an den Gefässen zeigte nun, dass im Anfang der Vergiftung, wenn das Thier sich unruhig bewegte (Blutdruckerhöhung an den Kaninchen), die gewöhnlichen periodischen Gefässerweiterungen Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. sl noch beträchtlicher ausfielen‘), darum aber im Laufe der augen- scheinlichen Paralyse, unter den sehr seltenen Athmungen oder deren gänzlichem Schwund (eine Minute nach dem} Anfange der Vergiftung ungefähr) also in der Phase der beträchtlichen Druckabnahme (bei den Kaninchen und Hunden) ein vollständi- ges Verschwinden der Arterie und der Vene als eine constante Folge sich geltend machte, gleichgültig, ob das Thier zum ersten oder zum zehnten Male vergiftet wurde. Wenn aber die Vene stärker war (an der Wurzel der Finger), fiel sie so weit zu- sammen, dass nur eine Reihe von vereinzelten Blutkörperchen ihre Lage andeutete. Für diese Beobachtungen habe ich viele Exemplare aus dem Genus Vespertilio pipistrellus, noctula, mu- rinus gehabt, und an allen bekam ich stets dieselben Erschei- nungen. Nachdem die Thiere mit dem Gase bewegungslos ge- macht wurden, befreite ich sie manchmal von jeder Befestigung; nur blieb die Spitze des Flügels in einer gewissen Richtung, mit Hülfe eines Fingers oder eines Druckfederchens befestigt. Was überhaupt die Methode der Befestigung der Thiere be- trifft, so nagelte ich den oberen oder unteren Kiefer, das Becken und die hinteren Extremitäten mit starken Stecknadeln fest, Die Spitze des zu beobachtenden Flügels war mit dem Finger oder mit dem Federchen, welches zur Befestigung der mikro- skopischen Präparate dient, befestigt. Der übrige Theil des Flügels blieb stets frei. Ob man nun die von Klebs gemachte Beobachtung so auf- fassen muss, dass die Gefässerweiterung, welche er beobachtet 1) Die in solchen Fällen schnell vorübergehende Gefässerweiterung in der Flughaut der Fledermäuse spricht wohl dafür, dass deren Er- weiterung durch die gesteigerte Herzaction bedingt wird, weil diese Erweiterung stets mit der Periode der Drucksteigerung zusammen- fallt, und weil in den Flughäuten der Fledermäuse die Gefässe mit der Muskeleontraction nichts zu thun haben, und da in Folge dessen die Gefässerweiterung keineswegs die Folge der Compression dersel- ben unter der Erweiterungsstelle sein kann. Die Erklärung, als sei diese Gefässerweiterung ein Ausdruck des paralytischen Zustandes in Folge eines Tonusverlustes, ist ganz unrichtig, da das Zusammen - fallen der Gefässerweiterung mit der Druckerhöhung und der Gefäss- zusammenziehung mit der Druckabnahme entschieden dagegen spricht, Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 6 8) W. Pokrowsky: hatte, mit der Druckerhöhung (der Analogie mit anderen Säuge- thieren nach) zusammenfiel und zum Anfang der Vergiftung zu- gerechnet werden muss, oder als die Folge anderer Bedingun- gen aufzufassen ist, kann ich nicht entscheiden. Ich will nur hervorheben, dass unter seinen Versuchen auch ein solcher Fall vorkommt, in welchem er nicht die Erweiterung, sondern Zu- sammenziehung der Gefässe beobachtet hat (a. a. O. S. 484— 485).'). Um diese seiner Meinung nach mehr oder weniger zu- fällige Erscheinung zu erklären, scheint der Verf. in einen Wi- derspruch mit sich selbst zu gerathen. Nachdem er auf S. 460 u. 461, bei Gelegenheit der an den Leichen der an Dunst ge- storbenen Menschen gefundenen Gefässerweiterung, gesagt hat: „Dass es sich um eine Dilatation des Gefässes handelt , lehrt der Augenschein; dass dasselbe gleichzeitig eine Einbusse an Contractilität erlitten hat, ergiebt sich daraus, dass trotz der Abwesenheit jedes sonstigen Hindernisses keine Entleerung; nach dem Tode stattgefunden hat“, findet Verf. in dem vorliegenden Falle eine solche Ausrede: „Die Gefässe der Flughaut waren bereits im Beginn des Versuches sehr weit, und wurden nach Einathmung von CO blasser und schmäler. Ich glaube, dass es sich in diesem Falle nicht um eine Contraction der Gefässe handelte, sondern dass die durch die früheren Versuche ge- lähmten Gefässe sich entleerten (?), indem die Herzaction ge- schwächt wurde.“ Auf diese Weise hat Verf. also die Auffas- sung einer Einbusse an Contractilität der Nothwendigkeit, die widersprechende Erscheinung zu erklären, zum Opfer gebracht. Jedenfalls hat Klebs nie eine Zeitcoincidenz von Erweiterung der arteriellen Gefässe mit der Druckabnahme experimentell constatirt, was ihn zu seiner Auffassung in Betreff der Abhän- gigkeit der Druckabnahme von dieser Bedingung berechtigen könnte. Was die Erweiterung dei Gefässe betrifft, welche Hr. Klebs an den Leichen der an Kohlendunst gestorbenen Menschen be- 1) Hr. Klebs giebt auch als eine constante Erscheinung an, dass die anfangs erweiterten Gefässe des Kaninchenohrs bei fortgesetzter Vergiftung sich stets zusammenziehen, was sich auch schlecht mit der Annahme der Gefässparalyse vereinigen lässt. Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 33 obachtet hatte, muss man eben bemerken, dass die Subjecte, nachdem sie durch Kohlendunst betäubt wurden , wenigstens noch 24 Stunden am Leben blieben, ein Zeitraum, in welchem die Kohlenoxydwirkung aufgehört haben könnte wegen der wahrscheinlichen Verbrennung des CO in CO,, womit auch das im Einklange steht, dass es in drei unter vier Leichen Klebs unmöglich gewesen ist, die charakteristische kirschrothe Blut- färbung wahrzunehmen oder auf eine andere Weise das Koh- lenoxyd in dem Blute der Verstorbenen nachzuweisen. Und in diesem Zeitraum boten die betäubten Subjeete Erscheinungen einer langsamen Asphyxie dar, bei Manchen hat sich sogar Fieberzustand entwickelt. Dessenungeachtet schreibt Klebs die von ihm beobachtete Gefässerweiterung dem Kohlenoxyd als die unmittelbare Folge zu, und lässt es die Gefässerweite- rung in erster Linie hervorbringen. | Als einen entscheidenden Beweis dafür, dass die Gefässcon- traction in allen den genannten Fällen der Erstickung als ein Ausdruck der Druckabnahme im arteriellen System aufgefasst werden muss, will ich noch folgende von mir an Kaninchen wie an Hunden gemachte Beobachtung anführen. Die Carotis, in welche die Canüle eingesetzt war, zeigte auch ein merkliches Zusammenfallen während der Periode des verminderten Blut- druckes, und am stärksten während jeder langsamen Diastole, füllte sich aber augenscheinlich von Neuem bei jeder starken Systole, um sich bei der Erholung des Thieres noch stärker zu füllen. Verschiedene kleinere Arterien (am Kaninchen), wie z. B. A. thoracica lateralis, epigastrica superficialis et profunda und mammaria, nachdem sie fast zum gänzlichen Verschwund zusammenfielen, zeigten bei jeder starken Systole eine merk- liche Füllung, welche bei langsamer Diastole wieder verschwand. Wenn ich die Gefässe durchschnitt, bluteten sie fast gar nicht oder nur bei der Systole und dabei tropfenweise während der Phase des gesunkenen Druckes; nachdem aber das Thier sich erholte und der Blutdruck stieg, fingen die durchschnittenen Arterien strahlenförmig zu bluten an. Folgende Versuche beweisen nun wieder, dass nicht in einer Dilatation der Gefässe, wie es Klebs eben meint, vielmehr 6* 24 W. Pokrowsky: aber in der Herabsetzung der Herzleistung die Ursache der Druckabnahme gesucht werden muss. Ich habe bei einem Ka- ninchen nach der Oeffnung des Bauches die Aortencompression unternommen, und bekam eine constante Drucksteigerung von 102—105 Mm. auf 165 Mm. Nachdem wurde das Kaninchen tief mit CO vergiftet, die Athmungen verschwanden, die ein- zelnen Pulsationen waren ganz klein geworden und der mittlere Blutdruck auf 24 Mm. gefallen; jetzt wurde die Aorta zwi- schen den Diaphragmaschenkeln fest unterbunden, und demungeachtet veränderte sich der Blutdruck in der Carotis gar nicht, obwohl die rhythmische Herz- contractionen weiter fortfuhren. Wenn es sich um eine Dila- tation der Gefässe handelte, würde eine so starke Einschrän- kung des Gefässgebietes den Blutdruck steigern müssen. Das dauerte ungefähr 50‘. Jetzt wird die künstliche Athmung ein- geleitet, die Herzcontractionen wurden kräftiger, die Athembe- wegungen kehrten zurück, und der Blutdruck in der Carotis steigerte sich im Laufe einer Minute bis zu derselben Grösse, bis zu welcher ihn die Aortencompression vor der Vergiftung gebracht hatte, bis 165 Mm. Und auf dieser Höhe blieb er ‘constant, bis der comprimirende Knoten an der Aorta ganz ent- fernt war. In anderen Fällen brachte die Aortencompression während der Periode des abgenommenen Blutdruckes, aber bei den noch ziemlich starken Systolen eine unbeträchtliche Stei- gerung des Blutdruckes hervor, die aber stets unter der Norm blieb, geschweige denn dass sie im Stande wäre, den Blut- druck so stark zu erhöhen, wie es sonst bei der normalen Herzaction geschehen würde. Ausserdem, wenn die Aorten- compression in diesen Fällen eine unbeträchtliche Steigerung des Blutdruckes hervorrief, war die letzte immer sehr kurz- dauernd, und der Blutdruck sank bei der fortgesetzten Vergif- tung noch weiter bis zum Minimum, ungeachtet dessen, dass die Aorta comprimirt blieb, dass das Herz schwach aber rhyth- misch fortpulsirte, und dass die künstliche Athmung immer noch im Stande war, das Thier wieder schnell herzustellen, folglich den Blutdruck zu erhöhen. Es ist augenscheinlich so- mit, dass die Ursache der Blutdruckabnahme in Herabsetzung Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 85 der Herzleistung liegt, und dass die stark verminderte Arterien- füllung nur als deren Folge anzusehen ist. Mit dieser Erklä- rung stimmt auch das Aussehen derjenigen Partie der Curve, welche der Vagusphase nachfolst, vollkommen überein: weil nach den starken und seltenen Pulsationen nun öftere aber ganz kleine Pulswellen mit schwachen Systolen und Diastolen kom- men — Pulswellen, welche durch mehr oder weniger dauernde Pausen von einander getrennt sind. Wir werden aber diese Frage noch weiter unten in Betracht ziehen. Gesetzt endlich, dass noch eine andere Möglichkeit der Herabsetzung der Herz- leistung im Spiele wäre, — dass nämlich der Tonusverlust mehr Bedeutung für das Venensystem hätte, wegen dessen grösseren Inhaltraums und wegen der grösseren Dehnbarkeit der Venen, so dass im Falle einer Paralyse der vasomotorischen Nerven die dilatirten Venen als ein saugendes Vacuum für das Blut fungiren könnten, während die mehr musculösen Arterienwände erst später gelähmt würden und noch Zeit genug hätten, um ihr Blut in die Venen zu entleeren, während sie selbst nur viel weniger Blut vom schlecht von den Venen versorgten Her- zen schöpfen könnten, und dadurch eine Ueberfüllung der Ve- nen mit Anaemie des Herzens und der Arterien zu Stande käme: dann hätte die Herabsetzung der Herzleistung und die verminderte Arterienfüllung wieder als die natürliche Folge des Tonusverlustes der Venen betrachtet werden müssen. Zur Un- terstützung einer solchen Annahme dürfte man auch den Um- stand hervorheben, dass die grösseren Venen wirklich beträcht- lich erweitert erscheinen, z. B. an den Ohren des Kaninchens, welches mit H, CO, CO, erstickt wird, und die starke Füllung der grossen Venen überhaupt. Aber abgesehen von dem ge- wissen inneren Widerspruch in der gemachten Annahme, näm- lich in Bezug eines Tonusverlustes der Venen bei einer fort- dauernden Contraction der Arterien, abgesehen davon, dass in der Wirklichkeit das Herz bei der stärksten Druckabnahme stets mit Blut überfüllt erscheint, sowohl bei starken als schwa- chen Systolen und in Folge jedenfalls verlängerter Diastolen, besitze ich noch folgende Versuche gegen die eben angenom- mene Voraussetzung. Unter der starken Druckabnahme, habe * 36 W. Pokrowsky: ich bei manchen erstickten Kaninchen versuchsweise die starke Zusammenpressung des Bauches unternommen, und wenn die Systolen recht klein geworden sind, hat solche Bauchpres- sung keinen Einfluss auf den Blutdruck. Noch mehr, bei sol- cher Herabsetzung der Herzleistung hat weder die Aortencom- pression, noch die Auspressung des Blutes aus der V. cava in- ferior in der Richtung zum Herzen irgend welchen Erfolg, während die zeitig unternommene künstliche Athmung einen entschieden belebenden Einfluss noch zu üben vermag. Die Herzsystolen werden dabei öfter und kräftiger, der Blutdruck wächst allmählich und die Arterien füllen sich augenscheinlich. Es bleibt also nur eine Möglichkeit für die Erklärung der Druckabnahme, d. h. eine directe Herabsetzung der Herzarbeit. Die Erweiterung der Venen bei der Druckabnahme findet ihre natürliche Erklärung darin, dass nach Herabsetzung der Herz- leistung die Contraction der Arterien noch das in ihnen ent- haltene Blut weiter in die Venen fortschafft, während, in Folge der schwachen Herzcontractionen, weder die Arterien sich ge- nügend zu füllen, noch die Venen sich gehörig in’s Herz auszu- leeren vermögen; — fast alles Blut sammelt sich in den Venen an, und die Bluteirculation wird dadurch so stark beeinträch- tist, dass eine rückläufige Strömung in den Venen stattfin- .den kann. Diesen Moment einer starken Herabsetzung der Herzleistung, in welchem weder Arteriencompression noch die Ausleerung der Venen irgend welchen Einfluss auf die Druckerhöhung hat, be- nutzend, bin ich auf den Gedanken gekommen , ob vielleicht die Reizung des Rückenmarks in diesem Momente wirksam sein würde, um die herabgesetzte Herzleistung wieder verhält- nissmässig zu heben. Und wenn das letztere der Fall wäre, dann würde ich das Recht haben, die Bezold’sche Hypothese in Betreff der Existenz eines herzmotorischen Centrums im Rückenmarke als eine stichhaltige zu betrachten, da bei der möglichen Blutdrucksteigerung, unter der vorzunehmenden Rei- zung des Rückenmarks, alle die Nebenumstände, welche die Zusammenziehung der Gefässe beeinflussen, als nicht betheiligt betrachtet werden müssten. | Ueber .das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 87 Die Versuche, welche ich für diesen Zweck angestellt habe, sind folgende: 1. Versuch. Das Kaninchen von mittlerer Grösse ist zum Versuche vorbereitet — Normaler Blutdruck 105—108. Beide Vagi durchsehnitten — Blutdruck 150 Mm. Das Thier beruhigt sich — Blutdruck 135. Wird durch CO vergiftet — Blutdruck steigt in 45° bis 140—145—155, dann sinkt er in 20° bis 100 —80—60—70. Die Pulse sind selten und ziemlich gross. Die Durehschneidung des Rückenmarks !) treibt den Blutdruck bis 135—140 in 5. Die Pulse werden kleiner, aber zahlreich. Der gänzliche Charakter der Curve verändert sich. Nachdem sinkt der Blutdruck allmählich bis 60—70. Kleine Systolen, rasche Diastolen, lange Pausen — charakteristische Curve für das durehschnittene Rückenmark. Jetzt wird die künstliche Ath- mung unternommen. Charakter der Curve verändert sich von Neuem: grössere Systolen und langsamere Diastolen kommen zu Stande. Der Blutdruck 60—70 Mm. Neue mechanische Reizung des Rückenmarks steigert den Blutdruck auf 109. Pulse werden viel zahlreicher. Nach 6‘ sinkt wieder der Blut- druck auf 70 Mm.,, es erscheinen grössere Systolen und lang- samere Diastolen; bei der fortgesetzten künstlichen Athmung häufen sich die Pulse und der Druck steigt zu 105—125 Mm., nach einiger Zeit sinkt er aber beträchtlich und allmählich wieder bis zum Tode des Kaninchens. Die Autopsie zeigt nun fast vollkommene Durchschneidung des Rückenmarks unter dem Calamus scriptorius. Eine kleine vorderste Partie der vorderen Stränge ist erhalten. 2. Versuch. Mittelgrosses Kaninchen. Nach Ausschneidung der beider Halsstücke vom Vagus und Sympathieus, und be; eröffneter Bauchhöhle beträgt der Blutdruck 95 Mm. Die Ver- giftung mit CO treibt den Blutdruck schnell empor bis 125 Mm. Nachdem sinkt der Druck im Laufe von 2’ 50‘ bis 40 Mm. Das Thier athmet nicht mehr während 30’. Die Pulse werden 1) In allen den Versuchen wurde die Reizung resp. Durchschneidung des Rückenmarkes im Raume zwischen Os oceipitis und dem ersten Halswirbel vorgenommen. Die Befestigung der Thiere an einem höl- zernen Gitter ist für die Operation ganz geeignet. 28 W. Pokrowsky: langsam, Systolen sehr klein, Diastolen rasch, und es schalten sich die ziemlich grossen Pausen ein. Die Aorteneompression und das Aufdrängen des Blutes aus der Vena cava inferior zum Herzen mittelst der Finger hat keinen Einfluss auf die Gestal- tung der Curve. Die mechanische Reizung (Durchschneidung) des Rückenmarks macht dagegen eine vorübergehende Steige- rung des Blutdruckes auf 65 ım Maximum, mit Vermehrung der Pulse und einer schwachen Vergrösserung einzelner Systo- len. Nachdem sinkt der Blutdruck bis 50—25. Nach 45' eine neue mechanische Reizung — treibt wieder den Druck empor bis 30—40—45 Mm., auch mit Steigerung der Systolen. Die jetzt eingeleitete künstliche Athmung steigert den Blutdruck auf 90 Mm. und belebt das Thier. Nach Fortschaffung der künst- lichen Athmung stirbt das Thier allmählich. Man erhält aus- schliesslich die dem durchschnittenen Rückenmarke eigenthüm- liche Curve. Nach drei Minuten hat die Aortencompression und Blutaustreibung aus den Venen zum Herzen gar keinen Einfluss, aber die mechanische Reizung der unteren Schnitt- fläche am Rückenmarke bringt noch eine Erhöhung des Blut- druckes von 20—30 Mm. zu Stande; nach einer folgenden Mi- nute hat sie keinen Einfluss. Bei der Autopsie zeigt sich das verlängerte Mark ganz vom Rückenmarke abgetrennt. 3. Versuch. Mittelgrosses Kaninchen. Beide Vagı und Sympathici in ihren Halstheilen ausgeschnitten. Normaler Blut- druck 100 Mm. Langsamere CO-Vergiftung. Der Blutdruck steigt nun bis 112—120 Mm. im Anfang der Vergiftung und ganz unabhängig von den Krämpfen resp. von ihrer Entstehung, bei den letzteren steigt er stufenweise noch weiter. Die Krämpfe gehen vorüber. Der Blutdruck sinkt auf 40 Mm.; im Laufe von zwei Minuten macht das Thier keine einzige Athem- bewegung. Die Systolen werden ganz schwach. Mechanische Reizung des Rückenmarks macht eine beträchtliche Vergrösse- rung einzelner Systolen, zusammen mit allmählicher Vermeh- rung der Pulszahl (Fig. 4) und bei Blutdrucksteigerung bis 30 Mm. Auf dieser Höhe bleibt der Blutdruck stehen während der ganzen Periode der Reizung, nachdem sinkt er allmählich im Laufe von 5—6' auf 40 und endlich auf 15—10—5 Mm, Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 89 Das Thier athmet noch eine Minute gar IN nicht; die jetzt unternommene künst- liche Athmung bleibt ohne Erfolg, um die Athemzüge hervorzurufen, verändert aber den Chärakter der Curve. Die ver- schwindend kleinen Systolen und ebenso kleinen Diastolen mit eingeschalteten Pausen machen grösseren Systolen und langsameren Diastolen Platz, so dass die letzteren die ganze Pause in Anspruch nehmen. Der Blutdruck 10—12 Mm. Die elektrische Reizung des Rücken- marks bewirkt nun eine allmähliche \ Steigerung des Blutdruckes auf 30 Mm. und eine Beschleunigung als auch Ver- grösserung der Herzsystolen. Nach einer halben Minute sinkt wieder der Blutdruck auf 15—10 Mm. Neue elek- trische Reizung des Rückenmarks ver- Fig. 4.) mag weiter keine Aenderung des Blut- druckes hervorzubringen, obwohl die Zusammenziehungen der Muskeln dabei noch immer zu Stande kommen. Die vollkommene Durchschneidung des Rü- 2 an ren St ckenmarks war vollkommen gelungen. 4. Versuch. Ein grösseres Kanin- chen. Normaler Blutdruck 100 Mm. Die Durchschneidung beider Vagi macht eine Blutdrucksteigerung bis 150 Mm. Kohlenoxyd im Anfang der Vergiftung 1) Anmerkung zur Fig. 4. Mittel- grosses Kaninchen. d—d Vaguspartie bei langdauernder tiefer CO-Vergiftung. d—e mechanische Reizung (Durchschneidung) der Medulla oblongata. i—k Curve nach Tren- nung der Medulla oblongata vom Rücken- mark. \ 90 W. Pokrowsky: 135 Mm. Im Laufe von drei Minuten athmet das Thier gar nicht. Der Blutdruck sinkt auf 30 Mm. Fast eine gerade Linie statt der Curve. Die Systolen sind verschwindend klein. Elek- trische Reizung der Medulla oblongata — Beschleunigung und Vergrösserung der Systolen und Steigerung des Blutdruckes auf 80 Mm. Allmähliches Sinken desselben auf 50 während der Ruhe. Neue elektrische Reizung nach 20“ — Blutdruck all- mählich auf 87 Mm., 3” Ruhe — 55 Mm. Neue Reizung bis 73 Mm. im Laufe von 3°; Ruhe 50, Reizung 70—76, Ruhe 48; Reizung — 62. Nach 50’ eines athemlosen Zustandes hat die neue Reizung weiter keinen Einfluss, obwohl die rhythmischen Herzcontractionen fortfahren. 9. Versuch. Ein recht grosses Kaninchen. Beide Vagı und Halssympathieci durch- und theilweise herausgeschnitten. Bauch- höhle geöffnet. Blutdruck 115 Mm., im Anfange der Vergiftung mit CO steigt der Blutdruck bis 150 Mm. ausserhalb resp. vor, der Krampfperiode, dann sinkt er allmählich in 1’ 30° bis 55 Mm., das Thier athmet gar nicht während dieser 1’ 30°; einzelne Systolen werden kaum merklich. Die Aortencompres- sion zwischen den Schenkeln des Zwerchfells hat keinen Ein- fluss. Elektrische Reizung steigert nun den Blutdruck allmäh- lich in 7‘ bis 205. Mm. Ruhe — Sinken des Blutdruckes auf 125 Mm. Das Thier erholt sich bei der künstlichen Ath- mung. Blutdruck 120 Mm. Elektrische Reizung des Rücken- marks macht nun eine fast momentane Steigerung des Blut- druckes auf 185 Mm. unter starken Krämpfen, wie gewöhnlich. Nachdem wird das Thier noch mit OO tödtlich vergiftet, athmet gar nicht 4 Minuten und die elektrische Reizung vermag jetzt keine Steigerung des stark gesunkenen Blutdruckes hervorzu- bringen, wohl aber die Krämpfe. Schwache und rhythmische Herzpulsationen dauern noch weiter. Die Curven, welche die Erhöhung des Blutdruckes anzeigen, gestalten sich an einem und demselben Thiere bei der Reizung des Rückenmarks, einmal im normalen Zustande und das an- dere Mal bei der durch die CO-Vergiftung bedingten Druckab- nahme, ganz verschieden. In dem ersteren Falle geschieht die Steigerung des Blutdruckes sprungweise; nach zwei bis drei Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 91 Stufen in der ersten Secunde ist schon das Maximum erreicht > in dem letzteren kommt die Steigerung erst allmählich in 3— 95—7 Secunden und in ganz regelmässiger Weise zu Stande, obwohl die Krämpfe in beiden Fällen gleich stark sich ent- wickeln. Die Zusammenziehung der Gefässe, bei der Reizung des Rückenmarks, schreitet ebenso allmählich fort, wie Lud- wig und Thiry es bewiesen haben; aber, wie oben bemerkt, ist der Einfluss dieses Momentes in unseren Versuchen ganz ausgeschlossen. Ich mache weiter keine ausführliche Beschreibung von an- deren Versuchen, die in derselben Richtung gemacht wurden, in denen aber die Blutdruckschwankung bei der Rückenmarks- reizung weniger beträchtlich ausfiel. Der gemeinsame Erfolg von allen war derselbe, nämlich der stark unter der CO-Ver- giftung (resp. H- und CO,-Erstickung), bei der langdauernden Athmung mit diesen Gasen oder bei der künstlichen Einblasung derselben, bis 10—5 Mm. Hg gesunkene Blutdruck stieg bei der Reizung der Medulla oblongata oder der oberen Partie des Rückenmarks bis 20—30—40 Mm., ungeachtet dessen, dass die vorher unternommene künstliche Aortencompression und Aus- leerung der Venen gegen das Herz keinen Einfluss darauf aus- übte. Es hat sich dabei herausgestellt, dass die Periode, in welcher noch die Rückenmarksreizung im Stande war, die Blut- drucksteigerung auszuüben, nie den Zeitraum von 3—4—9 Mi- nuten nach der Aussetzung von Athembewegungen übertraf. Einige von diesen Versuchen wurden an vorher mit Öurare vergifteten Thieren angestellt. Diese Versuche sprechen nun entschieden für die Existenz eines motorischen Apparates für das Herz im Rückenmark und zwar in der Medulla oblongata im Sinne v. Bezold’s. Aus denselben wird auch gefolgert, dass die ,Irritabilität dieses Cen- trums bei CO-, CO,-, H-Erstickung allmählich erschöpft wird, so dass seine Reizung in den verschiedenen Momenten verschie- dene allmählich abnehmende Grössen der Blutdrucksteigerung hervorruft, und endlich nach 3—4 Minuten des athemlosen Zu- standes keinen Effect mehr macht. Obschon bei der Erklärung der Erfolge v. Bezold’s, was die Rückenmarksreizung betrifft, 9 W. Pokrowsky: stets auch die Oontraction der Gefässe im Spiele war, wie dies recht anschaulich von Ludwig und Thiry. bewiesen ist: haben wir doch gesehen, dass dieses Moment, indem es den Blutdruck steigert, die Pulszahl umgekehrt in Folge der Vermehrung der Blutmasse im Herzen vermindert. Folglich, da in den Versu- chen v. Bezold’s die Vermehrung des Blutes im Herzen auch hat stattfinden müssen, und dessenungeachtet die Pulsbeschleu- nigung, obwohl nicht in allen Versuchen, dennoch zu Stande kam, so sprechen die Versuche v. Bezold’s a fortiori für die Existenz des fraglichen Centrums.. Und wenn es von einer Seite möglich wäre, die Steigerung der Herzleistung bei der Rückenmarksreizung, nach vorausgegangener Durchschneidung sämmtlicher Herznerven, durch Vermittelung der Gefässcon- traction zu erklären, ist es andererseits durchaus unmöglich, die durch die Rückenmarksreizung bedingte Steigerung der Herzleistung, bei einer so starken Abnahme der letzteren, dass weder die Aortencompression noch die Blutaufdrängung zum Herzen aus den grossen Venen sie zu steigern im Stande wa- ren, aus anderen Gründen zu erklären, als durch die gesteigerte Action des herzbewegenden centralen nervösen Mechanismus im Sinne v. Bezold’s. Hierbei muss noch bemerkt werden, dass v. Bezold immer von einer Verstärkung der einzelnen Pulse spricht, und diese einer direeten Wirkung des erregten herz- motorischen Centrums zuschreibt, was aber ebensoviel der Ver- mehrung des Blutes im Herzen in Folge der gleichzeitigen Ge- fässcontraction und einer grösseren Quantität des Blutes, welche bei jeder Herzsystole aus dem Herzen ausgetrieben wird, zuge- schrieben werden muss. Jedenfalls, was die Blutdruckerhöhung bei Reizung der Medulla oblongata betrifft, so muss man die Wirkung von zwei gleichzeitig in derselben Richtung wirken- den Momenten wohl unterscheiden, erstens eines mechanischen, das die dabei entstehende 'Contraction der Gefässe darbietet, und zweitens eines activen, welches in der Reizung des centra- len Herzmechanismus, welcher in der Medulla oblongata ange- nommen werden muss, besteht; Beides unterscheidet wohl auch 'v. Bezold selbst. Auf diese Weise lassen sich einige von Lud- wig und Thiry beobachtete Erscheinungen, wie z.B. 1) die Her- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 93 absetzung der Herzleistung in Folge einer Durchschneidung sämmtlicher Herznerven, 2) die geringeren Maxima der Blut- druckerhöhung, welche durch die Rückenmarksreizung nach vor- gegangener Durchschneidung sämmtlicher Herznerven bedingt wurden, im Vergleich mit den Maximis, welche durch Rücken- marksreizung bei unversehrten Herznerven zu Stande zu kommen pflegen, 3) die auffallend grössere Regelmässigkeit und Bestän- digkeit der unter der Rückenmarksreizung entstehenden Druck- _ erhöhung nach der Durchschneidung sämmtlicher Herznerven, als vor derselben, und’4) die durch die Rückenmarksreizung bedingte Beschleunigung der Pulszahl, welche schon durch Compression der Aorta verändert war — alle diese Umstände lassen sich sehr leicht mit der Vorstellung eines im verlänger- ten Marke gelegenen motorischen Herznervencentrums im Sinne v. Bezold’s vereinigen, und dienen eher zur Unterstützung der Hypothese v. Bezold’s. Was jetzt die Pulszahl und die nicht jedes Mal zu Stande kommende Beschleunigung derselben bei der Reizung der Me- dulla oblongata anbetrifft, so war schon die Frage einigermaas- sen von v. Bezold selbst in seinen „Untersuchungen über die Innervation des Herzens“ erörtert. Zu den Erörterungen v. Be- zold’s bezüglich der Beschleunigung der Pulse muss noch her- vorgehoben werden, dass bei der Reizung der Medulla oblongata resp. des Rückenmarks zwei einander auf den Puls entgegen- wirkende Momente in die Erscheinung treten, erstens der ver- langsamende Einfluss der Anhäufung der Blutmasse im Herzen, in Folge der dabei zu Stande kommenden Gefässcontraction, und zweitens eine beschleunigende Wirkung der directen Rei- zung des die Herzaction verstärkenden motorischen Herzcen- trums, resp. der von diesem Centrum zum Herzen gehenden motorischen Nervenfasern. Grössere oder kleinere Schwankun- gen bald dieses bald jenes Moments, können schwankend bald einer den anderen überwiegen, bald sich im Gleichgewichte halten. Daraus kann wohl die Unbeständigkeit der Pulszahl bei der Medullareizung (Verlangsamung, Beschleunigung und Sichgleichbleiben derselben) leicht erklärt werden. Wenn aber dabei die Pulszahl gelegentlich sich vermehrt, was nach v. Be- 94 WW. Pokrowsky: zold und Ludwig am häufigsten geschieht, so muss ein sol- cher Umstand als ein Beweis a fortiori für v. Bezold gedeutet werden. Nach allem dem oben Erörterten wäre es vielleicht schon zeitgemäss, die Frage zu stellen, in welchem Maasse der erste Theil der Curve D>—c von der veränderten Wirkung des die Herzthätigkeit verstärkenden Centrums abhänge, und in wie weit die mögliche Erschöpfung dieses Centrums bei der Druck- abnahme betheiligt sei, aber um das zu entscheiden, müssen ‘wir noch der Herzganglien, welche im Herzen selbst gelegen sind und von sich selbst die Herzaction verstärken können, ge- denken. In der That, manche Umstände steigern auch die Herzaction, wenigstens die Pulszahl, nachdem das Herz aus dem Organismus entfernt worden ist. In der Brusthöhle aber ist das Herz manchen mechanischen Reizen zugänglich, z. B. vermittelst eines Glas- oder Kautschukstäbchens, welches durch die Vena jugularis in die rechte Herzhöhle eingeführt werden kann. In meinem ersteren Aufsatze über die Kohlenoxydversif- tung habe ich schon eines zufälligen Versuches der Art erwähnt. Es wurde nämlich ein Thermometer, welches in die rechte Herzhälfte dem Hunde eingeführt war, in Folge der Unruhe des Thieres zerbrochen, und brachte dabei eine starke Blut- drucksteigerung von 105 auf 180 Mm. und eben so starke Puls- beschleunigung von 90 auf 160—180 hervor. Ein Glasrohr oder Kautschukstäbchen dem Kaninchen durch Vena jugularis in das rechte Herz einführend und dasselbe in verschiedenen Richtungen drehend , habe ich stets Blutdrucksteigerung (von 102 auf 135 z. B.) und öfter Pulsbeschleunigung, aber manch- mal auch Pulsverlangsamung erzielt. Die Versuche wurden bei durchschnittenen Vagis vorgenommen. Bei einem Kaninchen, nachdem es stark mit CO vergiftet wurde, und der Blutdruck tief (auf 40 Mm.) gesunken war, habe ich die Reizung der inneren Herzoberfläche vermittelst des Kautschukstäbchens versucht und eine Steigerung des Blutdruckes bekommen von 40 auf 85 Mm. Diese Versuche habe ich nicht weiter fortgeführt, da der Erfolg einer solchen Reizung nicht immer beständig ist, und da man nie sicher ist, was man reizt, ob man nämlich dabei auch die Vagusendungen nicht in Anspruch nimmt. Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 95 Wir wollen nun sehen, wie sich die Herzthätigkeit bei der Erstickung mit H, CO, CO, nach der Entfernung eines von den motorischen Mechanismen, welcher im verlängerten Marke ge- legen ist!), verhalten wird. Solche Versuche anstellend, sah ich, dass bei durchschnittenem Rückenmarke und eingeleiteter künstlicher Athmung, nachdem der Blutdruck sich auf einer immer unbeträchtlichen und mehr oder weniger constanten Höhe fixirte (beide Vagi und Halssympathici wurden schon vorher durchschnitten), die Zumischung von CO oder CO, zur einzu- blasenden Luft im Anfang eine vorübergehende und sehr un- beträchtliche Steigerung des Blutdruckes, nachdem aber eine starke Senkung desselben hervorbrinst (im exquisiten Falle von 30 Mm. auf 0), bei gleichzeitiger Verlangsamung des Pulses und Verstärkung der einzelnen Systolen und Verlängerung der Diastolen; bei der jetzt wieder begonnenen Einblasung von rei- ner Luft stieg der Blutdruck in die Höhe (in demselben exqui- siten Falle von 0 bis 70 Mm.), die Pulse fielen bei steigendem Drucke kleiner und häufiger aus. Auf diese Weise sehen wir ganz dieselben wesentlichen Theile der Curve, wie auch bei der unversehrten Medulla oblongata, als auch den sympathischen und herumschweifenden Nerven. Die Differenz existirt nur im Grade der Erscheinungen. Hier muss ich ausdrücklich bemer- ken, dass dem Momente der Drucksenkung die starke Herz- dilatation und das weitere Zusammenfallen auch solcher Gefässe entsprach, wie z. B. Carotis, die sich bei der Erholung und bei der Drucksteigerung wieder füllten. Gamz ebenso macht auch die Aorteneompression in dem Momente der Druckabnahme na- türlicher Weise gar keinen Einfluss auf den Blutdruck. Aus allen den vorhergehenden Versuchen darf daher der Schluss gezogen werden, dass die Entstehung der ersten b—c und der letzten /—g Curventheile dem Reizungs- zustande beider motorischen Herzmechanismen, so- wohl descentralen im verlängerten Marke gelegenen 1) Eigentlich zweier Mechanismen: 1) des centralen Vagusapparates und 2) des die Herzthätigkeit verstärkenden. Was den Vagus anbe- trifft, so wird die Frage weiter unten erörtert. 96 W. Pokrowsky: alsauch des durch die Herzganglien im Herzen selbst repräsentirten, zugeschrieben werden muss. Bis jetzt blieb noch der Vaguseinfluss auf die Gestaltung unserer Öurven unerörtert. Blos die eben vorhergehenden Ver- suche nahmen einigermaassen den Vaguseinfluss in Anspruch. Wenn nun Durchschneidung beider Vagi unmittelbar vor dem Erstickungsversuche, sei es durch H, CO oder CO, bedingt, mit der nachfolgenden Erholung, vorgenommen wurde, so entstanden bei der Erstickung im Grunde ganz dieselben Curven mit eben denselben wesentlichen Theilen, wie auch bei unversehrten Vagis, mit dem Unterschiede jedenfalls, dass die Maxima der Druck- abnahme durchaus kleiner ausfielen, als bei Integrität der Vagi, und dass die Vaguspartie an der Pulscurve nicht so rein und charakteristisch sich gestaltete, als bei Asphyxie mit den un- versehrten Vagis, d. h. die Pulse wurden doch seltener, Systo- len grösser und Diastolen langsamer, aber in geringerem Maass- stabe als bei vorhandenen Vagis. Wenn aber die Vagi 15—20 Minuten vor dem Versuche durchschnitten wurden, und die Er- stickung dann erst unternommen wurde, so verschwanden bei der Erstickung die der Vagusreizung eigenthümlichen Partieen der Curve, d. h. grosse und seltene Systolen mit langsamen Diastolen fast gänzlich. Der Blutdruck sank ganz regelmässig. Aber die Maxima der Druckabnahme fielen noch kleiner als in der vorhergehenden Versuchsreihe aus. So dass z. B. bei dem Kaninchen, bei welchem eine schwache CO-Versiftung mit un- versehrten Vagis, und bei eigenthümlicher Vaguscurve eine Druckabnahme von 100— 120 auf 40—50 Mm. hervorbrachte, wenn einem solchen Thiere nach seiner gänzlichen' Erholung nun die Vagi durchschnitten wurden, und 20 Minuten nach die- ser Durchschneidung es ebenso mit CO vergiftet wurde, eine Druckabnahme von 100—120 auf 80—60 Mm. im Maximum entstand, fast ohne Spur von Vaguspartie auf der Curve; die Pulse wurden immer ganz klein und ganz denen ähnlich, welche nach der Trennung der Medulla oblongata vom Rückenmark zu Stande zu kommen pflegen. Wenn aber die Vergiftung nach 5—10 Minuten nach der Vagidurchschneidung vorgenommen wurde, so zeigten sich auf der Curve mehr oder weniger schwache Andeutungen der stärkeren Systolen mit langsamen Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 97 Diastolen, bei gleichzeitiger durch Vergiftung bedingter Druck- abnahme. Ich habe den Ausdruck „bei schwacher Vergiftung“ benutzt, um einen Grad derselben anzudeuten, bei welchem die nach 30—45'' eines athemlosen (asphyktischen) Zustandes vor- genommene künstliche Athmung das Thier schnell zu bele- ben im Stande war. Die Erholungscurve in den Versuchen, wo keine Andeutung der Vaguscurve bei der Vergiftung zu Stande kam, gestaltete sich immer so, dass die Pulse stets schneller und stärker wurden, bei gleichzeitiger Blutdruck- erhöhung. Wenn nun, nach vorheriger Vagidurchschneidung - (20 Minuten vor dem Versuche), die Erstickung des Thieres vermittelst unserer Gase bis zum Tode fortgesetzt wurde, so sank der Druck regelmässig tiefer, die Systolen wurden kleiner, Diastolen kürzer und eine lange Pause, °/,, */, der ganzen Welle einnehmend, schaltete sich zwischen den Pulswellen wie ge- wöhnlich ein. Die Gefässlumina verhielten sich bei allen diesen Versuchen ganz ebenso, wie bei unversehrten Vagis. Was aber das Herz- volumen betrifft, so wurde seine Dilatation am stärksten, bei der Erstickung, dem Momente der Druckabnahme und des Zusam- menfallens der Gefässlumina entsprechend, in den Fällen, wo die Vagi unversehrt blieben, ebenso wenn die Durchschneidung derselben unmittelbar vor dem Versuche oder während dessel- ben ausgeführt wurde; mit einem Worte, die Herzdilatation war in den Fällen am stärksten, in welchen bei der Erstickung die Vaguscurve am deutlichsten ausgeprägt war und der Blutdruck am tiefsten sank; und die Herzdilatation fiel immer mit dieser - Periode der Vaguspartie zusammen und verschwand mit dem Verschwinden derselben bei der Erholung des Thieres. Dagegen kam die Herzerweiterung in den Fällen, wo beide Vagi lange vor dem Versuche durchschnitten wurden und wo keine Vagus- partie auf der Curve vorhanden war, fast gar nicht zu Stande. Auf alle diese Versuche mich stützend, darf ich folgende Schlüsse ziehen: l. Eine beträchtliche Herzdilatation unter der Erstickung mit H, CO, CO, steht in genetischem Zusammenhange mit der durch die Erstickung hervorgerufenen Vagusreizung und den Reichert’s u. du Bois-Reymend’s Archiv. 1866. 7 98 W. Pokrowsky: dabei entstehenden langsamen Diastolen. Sie wird keineswegs durch die Krämpfe oder durch die Gefässcontraetion bedingt, ist vielmehr bei der Druckabnahme und der darauf folgenden Ent- leerung der Gefässe ursächlich betheiligt. Als der beste Beweis dafür muss die Herzdilatation, die Blutdruckabnahme und Ent- leerung der arteriellen Blutgefässe, bei künstlicher Erregung des Vagusstammes durch die Elektrieität, betrachtet werden. 2. Nach der Durchschneidung beider Vagi, bei gewissen Umständen, zeichnet sich noch auf der Curve die Wirksamkeit eines der Vagusreizung entsprechenden Momentes. Es muss also angenommen werden, dass neben dem Vagus noch ein an- derer Mechanismus existire, welcher auf die Herzthätigkeit re- gulirend wirkt und bei durchschnittenem Vagus die Wirkung des letzteren einigermaassen compensirt. Und dieser Mecha- nismus ist wahrscheinlich durch die Herzganglien, welche mit den Vagusendigungen verbunden sind, repräsentirt. 3. Nach der Trennung dieses Mechanismus vom Vaguscen- trum, vermittelst einer Durchschneidung der Vagi, wird die Wirksamkeit dieses in den Herzwänden eingeflochtenen Mecha- nismus ziemlich bald erschöpft. Wie lässt sich nun aber diese Erschöpfung. erklären? Auf die Versuche mich stützend, kann ich nur sagen, dass, wenn nach Vagidurchschneidung die künstliche Athmung lange unter- halten wurde, die Wirksamkeit dieses Mechanismus sich auch später, nach 30—40 Minuten sogar, noch ganz deutlich zeich- nete. Es wurde diese Erscheinung bei Thieren mit durch- schnittenem Rückenmarke, bei der lange fortgesetzten künstli- chen Athmung beobachtet. In diesen Fällen erschienen noch die starken Systolen mit den langsamen Diastolen ganz ausge- prägt, obwohl die CO-Vergiftung gelegentlich erst nach Verlauf von 30—40 Minuten nach der Durchschneidung beider Vagi, Sympathici und Trennung des Rückenmarks von der Medulla oblongata angestellt wurde. Demzufolge ist es nicht unwahr- scheinlich, dass die Athmungsstörung, eine unvermeidliche Ge- fährtin der Vagidurchschneidung, durch die Veränderung der Gase des Blutes (CO,-Vermehrung und O-Verminderung) als die Ursache der Erschöpfung des fraglichen regulatorischen Ap- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 99 parates des Herzens betrachtet werden kann. Dieser Annahme zu Gunsten dienen auch die Beobachtungen, dass, wenn . man ein und dasselbe Thier mit vorheriger Durchschneidung der Vagi viele Male nach einander zur Erstickung mittelst H oder CO, gebraucht hat und nachdem zur CO-Vergiftung ver- wendet, die Erscheinung grösserer Systolen mit langsameren Diastolen desto sicherer ausblieb, je unvollkommener die Thiere durch die künstliche Athmung restituirt waren. Es ist daher wahrscheinlich, dass dieselbe Ursache, wie z. B. Anhäufung der Kohlensäure bei Verminderung des Sauerstoffs, unter einer kurz- dauernden Wirkung das regulatorische System erregt und bei einer fortgesetzten erschöpft, wenigstens derselbe Reiz (die Er- stickung durch H, CO, CO,, beziehungsweise der relative Ge- halt des Blutes an OÖ und CO,) schon nicht mehr ausreicht, um Erregung des in Rede stehenden Systems hervorzurufen. Bei einem Thiere habe ich sogar bei CO-Vergiftung keine Va- guserregungscurve bekommen, bei unversehrten Vagis, und nach vorheriger Ermüdung des Thieres durch eine ganze Reihe von Erstickungsversuchen mittelst Wasserstoffs und Kohlensäure. In diesem Versuche war-die Curve durch allmähliches Sinken des Druckes und solche Gestaltung der Pulswellen charakterisirt, welche nach der Durchschneidung des Rückenmarks zu Stande zu kommen pflegt. Das Thier athmete ruhig und gleichmässig tief, wie in einer langsamen Agonie, ohne jede Spur von Dys- pno& und von Krämpfen während der Vergiftung, welche sich durch charakteristische Farbenveränderung kundgab. Es bleibt noch eine Frage, welche experimentell entschieden werden soll: wie wirkt die Vagusdurchschneidung im Laufe der Vergiftung und des Öurventheils, welchen wir als die Va- gusreizungscurve bezeichnet haben. Alle in dieser Beziehung angestellten Versuche hatten nun denselben Erfolg gehabt, nämlich die Vagidurchschneidung hatte als unmittelbare Folge eine sehr starke Steigerung des Druckes und der Pulszahl und diese Steigerung fiel stets in viel grösserem Maassstabe aus, als unter der Vagidurchschneidung bei einem sonst normalen Kaninchen. Diese Steigerung der Druckgrösse und der Puls- zahl fiel am stärksten aus, wenn die Vagi im Anfange des 7* 100 W. Pokrowsky: Wr Theiles c—d und am | Ende des d—e durch- > schnitten wurden, in den Perioden also, wo die Ds Pulsverlangsamung und | die Druckabnahme eben anfing oder schon zu Ende war. Die Steige- rung des Druckes betrug von 80—60 Mm. bis auf 180—140, von 110—220 | SS Mm. Die Pulsvermeh- | > rung übertraf nicht nur die vor Durchschneidung ee — Pulszahl. Normaler Puls Sr - = = en » der Vagi gewesene, son- > = dern auch die normale 18 in 5“, durch Vergif- tung auf 5 herabgesetzt, steigt gleich nach der Vagidurchschneidung auf 22, bei Steigerung des Druckes von 110 auf 220. Der so gesteigerte Blut- setzter Vergiftung wie- der allmählich, und bei der Erholung des Thie- res steigt er wieder nicht nur auf die Norm, son- dern über die Höhe, bis EN ee en 1) Anmerkung zu den Fig. 5 u. 6. Ein Hund, 6,5 Kilogrm. schwer, vergiftet mit vollem CO-Strom. Die anfänglichen Partieen der Öurve ausgelassen; sie sind denen des Kaninchens analog. Im Momente d’ beide Vagi gleichzeitig durchschnitten. e,—/, auf Fig. 6 repräsentirt das Endstück der Curve e—/ auf Fig. 5. Die Vergiftung druck sinkt bei fortge- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 110 auf welche er sonst gestiegen rt wäre bei dem mit unversehrten - | Vagis von der Vergiftung sich nl | erholenden Thiere. Die Vagi- Q = | durchschneidung, wenn sie in | - Mitte der stärksten Druckab- 7 | nahme und einer ausgeprägte- - nn | sten Vagusreizungscurve (Fig. u re | 5, d—d) vorgenommen wird, RT | ist stets auch von Druckerhö- L u | hung und Pulsanhäufung be- we: | gleitet (e—f). Beide Grössen a | aber übersteigen nur in sehr kleinem Maassstabe die norma- en: | IT A | #37 = len. Die Durchschneidung der Vagi, in allen diesen Fällen s | eine starke Pulsvermehrung Ei 9 | hervorbringend, hinderte bei u } | der Eruaiuue des Thieres kei- abe | neswegs die Entstehung der 7 | grösseren 'Systolen und lang- SS ==. sameren Diastolen, das heisst —— die Entstehung der Curve, Senne f 5“ - | welche so nahe an die Vagus- z | reizungscurve ‚erinnert (Fig. 6, | d,—d,). | Die Erfolge dieser Versuche | Se können nicht auf irgend eine = | andere Weise erklärt werden, zn als wenn man die Annahme = macht, dass die ganze Curven- N strecke von b bis d den Erre- gungszustand beider Herzner- ee u dauert fort, Verticaler Strich — Stillstand der Trommel. Künstliche Athmung. Der Hund erholt sich; d,—d, anfängliche Partie der Er- holungscurve. Die Trommelgeschwindigkeit 300 Mm. in 1 Min, 102 W. Pokrowsky: vensysteme, d. h. sowohl des motorischen als-auch regulatori- schen ausdrückt. Die Strecke b—-c zeigt eine überwiegende Action des Erregungszustandes des motorischen Herznervensy- stems — der Blutdruck wächst, die Pulszahl wird vermehrt; nachdem aber fängt die Erregung des regulatorischen Systems zu überwiegen an: die Pulse werden verlangsamt und dabei vergrössert, nicht selten geschieht es, dass die Vaguserregungs- curve (wie ich kurzweg sagen will) schon bei einem noch hohen Blutdruck beginnt (gleichgültig, ob bei OO- oder CO,-Athmung bei dem Luftzutritt), der Druck jedoch’ schnell und bedeutend nachher sinkt. Nun werden zuerst die regulatorischen Centra erschöpft, und die jetzt zu Stande kommende und schnell vorüber- gehende Blutdrucksteigerung zeigt wieder die überwiegende Wir- kung der noch bestehenden Erregung des motorischen Systems, jetzt wird seinerseits der centrale motorische Apparat im ver- längerten Marke erschöpft und nun wird die geschwächte Herz- action nur durch die schon herabgesetzte Thätigkeit der im Herzen selbst eingeflochtenen motorischen Herzganglien unter- halten, was auf der Curve, mit dem schwachen Druck, durch die kleinen und raschen Systolen und Diastolen mit eingeschal- teten langen Pausen repräsentirt wird. In dieser "Beziehung leistet die Erstickung mit H, CO, CO, ganz dasselbe, wie in v. Bezold’s Versuchen die gleichzeitige Reizung des Rücken- marks und der Vagi; in welchen Versuchen die Reizung zuerst das Ueberwiegen der Vaguserscheinungen hervorbrachte, dann die Erschöpfung der Vagi und überwiegende Wirkung des ge- reizten Kückenmarks, welches seinerseits auch allmählich er- schöpft wird. Wenn das Thier nicht zu lange unter der Wirkung von CO, CO, und H gestanden hat, und wenn die verlorenen Athembe- wegungen von selbst oder künstlich eingeleitet von Neuem an- fangen, dann kehren in der umgekehrten Ordnung dieselben Erscheinungen, wie in der ersten Hälfte der Curve, in der zwei- ten Hälfte der letzteren wieder: erstens erscheint die Wirkung der Erregung des regulatorischen Systems als die überwie- gende'), aber bei weiterer Erholung nehmen mehr und mehr 1) Es muss bemerkt werden, dass dabei in den Fällen der Er- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 103 die Erscheinungen des Erregungszustandes des motorischen Systems überhand, und dauern als Nachwirkung nun ziemlich lange fort, bis das Thier gänzlich zu sich kommt. Die Durch- schneidung der Vagi in dieser Periode bringt immer denselben Erfolg, als im ersten Theil der ersten Hälfte der Curve, das heisst noch beträchtlich stärkere Steigerung des Druckes und der Pulszahl, als wenn sie im sonst normalen Zustande des Thieres vorgenommen würde. Endlich habe ich in solchen Mo- menten die Vagusreizung vermittelst des Inductionsstromes zu verstärken versucht), und gleich bekam ich die Curve der überwiegenden Vagusreizung. Hörte ich mit der künstlichen Vagusreizung auf, so stellte sich derselbe Effect ein, wie bei Durchschneidung der Vagi in diesen Momenten, d. h. der Blut- druck stieg fast momentan bis zur ungewöhnlichen Grösse von 40 Mm. auf 190, unter einer entsprechenden Pulsvermehrung. Beides kehrte nachdem zur normalen Grösse zurück, wenn der Versuch am Ende der Erholungsphase stattgefunden hat, oder, wenn die Reizung im Anfange der Vergiftung vorgenommen wurde, machte die durch Aufhören der Vagusreizung bedingte Curve mit dem hohen Druck und der frequenten Pulszahl bei der fortgesetzten Vergiftung der gewöhnlichen Vagusreizungs- curve Platz. Es muss also angenommen werden, dass bei der Erstickung mit H, CO, CO, zuerst die überwiegende Vagusreizung und die dabei entstehende Herzdilatation als die Ursache der Druckab- nahme, dann die Erschöpfung des motorischen Herznervensystems im verlängerten Marke, und endlich die allmähliche Erschöpfung der Herzganglien selbst betrachtet werden müssen. Dass alle die Herznervenapparate, sowie das ganze Nerven- stickung mit H oder CO,, bei Erholung der Thiere, die Erscheinungen der Vagusreizung viel schneller verschwanden, als bei der Erholung von der Kohlenoxydvergiftung. 2) Einer von beiden Vagis wurde vor dem Versuche durchschnitten und der peripherische Theil in das Glasrohr mit eingekitteten Elek- troden des Inductionsapparates hereingezogen; der Schlüssel zum Te- tanisiren wurde zur nöthigen Zeit geöffnet. 104 W. Pokrowsky: system bei der CO-Vergiftung,' H und CO,-Athmung nur er- schöpft, nicht aber paralysırt werden, wie es durch Opium, Öurare u. s. w. zu geschehen pflegt, scheint mir, abgesehen davon, dass dabei keine eigenthümlichen Zustände in der Reiz- barkeit und Leitungsfähigkeit der Nerven nachgewiesen werden können, daraus zu folgen, dass nach dem gänzlichen Ver- schwinden der Sensibilität und Bewegungsfähigkeit für 1—2 Minuten, vermittelst der künstlichen Athmung allein die Thä- tigkeit des Nervensystems, ohne irgend welche Nachfolge, wie- der hervorgerufen werden kann: es erscheinen die Athembe- wegungen, alle Symptome der erhöhten Herzthätigkeit, die Sen- sibilitäts-- und die Bewegungsfähigkeit. Alles das geschieht ungeachtet augenscheinlicher Anwesenheit des Kohlenoxyds im Blute, welches noch während 10—20—30 Minuten seine kirsch- rothe Farbe beibehält. Es bleibt nun also die Annahme übrig, dass erstens der Sauerstoffmangel im Blute die Nervencentra in den Zustand der Erregung versetzt, welcher bald in den der Erschöpfung oder Ermüdung übergeht, und dann die durch Sauerstoffmangel bedingte Ernährungsstörung der Nervencentra die Reizbarkeit derselben überhaupt herabsetzt, welche erst bei neuem Sauer- stoffzufluss wieder emporgehoben wird, bei der langdauernden Aussetzung desselben aber allmählich sinkt und vollständig er- lischt, was für verschiedene Centra in verschiedenen Zeitperio- den geschehen kann. In Betreff der Restitution der Thiere aus dem Zustande der gänzlichen augenscheinlichen Paralyse (Asphyxie), nach den stärksten CO-Vergiftungen, durch die Sauerstoffzufuhr, sind die Versuche von Kühne mit Transfusion arterialisirten Blutes äusserst auffallend. Ich führe seine eigenen Worte an: „Selbst nach minutenlanger Sistirung der Athmung (7 Minuten als Maximum beobachtet) und zur Zeit, wo kein Puls mehr an den Arterien und kein Herzschlag durch die Brustwand mehr wahrzunehmen ist, während das Thier zugleich nach vor- angegangenem heftigen Schütteln oder tetanischer Streckung!) 1) Klebs läugnet die Krämpfe bei den Hunden unter CO-Vergif- ' 2 Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 105 des ganzen Körpers, erschlafft wieder zusammengesunken ist, ruft die Transfusion von neuem respirationsfähigem Blute das Leben wieder zurück. Die Athmung beginnt anfangs kaum merklich zurückzukehren, steigt aber schon nach etwa 10 Mi- nuten bis auf 16, während der Puls bald regelmässig wird und zur selben Zeit auf 100—120 emporgeht. Darauf erwachen die Thiere ziemlich schnell, in der Regel unter lautem Schreien, und nach einigen Stunden ist ausser einem leichten Zittern nichts Auffälliges mehr an ihnen zu bemerken. In keinem Ver- suche betrug die Menge des entzogenen und neu ersetzten Blu- tes mehr als '/, der Blutmenge des Thieres (Centralbl. für die med. Wissenschaften, 1864, Nr. 9).* Nicht durch directe ihm eigenthümliche Wirkung setzt also das Kohlenoxyd die Reiz- barkeit der Nervencentra herab, vielmehr, durch die von ihm bedingte Sauerstoffverdrängung. 'Ich will noch einige Worte hinzufügen in Betreff des Zu- standes des sympathischen Nervensystems unter Kohlenoxyd- vergiftung. Krause (Ueber einige Ursachen der peristaltischen Bewegungen des Darmkanals. Oentralbl. f. d. med. Wissensch. 1863, S. 294) hat die Beobachtung gemacht, dass bei Erstickung der Thiere nach Entstehung der Krämpfe immer Verstärkung der peristaltischen Bewegungen des Darmkanals zu Stande kommt, welche allmählich bei Erholung des Thieres nachlässt. Dieselbe Erscheinung kam stets vor, auch bei H-Athmung und bei Anämie des Darmes, welche durch Aortencompression her- vorgebracht wurde. Klebs hat unter CO-Vergiftung umgekehrt das Aufhören der peristaltischen Bewegungen des Darmkanals bemerkt, und will die Erscheinung als Tonusverlust der mus- culösen Darmwände deuten. Solche Beobachtungen bei Kohlen- oxydvergiftung wiederholend, habe ich stets nach vorangegan- genen Krämpfen eine entschiedene Verstärkung der peristalti- schen Bewegungen des Dünn- und Dickdarmes beobachtet. Diese verstärkten Bewegungen kehrten bei Erholung des Thie- giftung und bezeichnet sie als Unruhebewegungen, indem er sich da- bei auf Versuche Kühne’s stützt. Dieses Citat könnte ihm als Ge- genbeweis dienen, 106 W. Pokrowsky: res allmählich zu den normalen zurück, verschwanden aber beı der fortgesetzten Vergiftung bis zum Tode des Thieres allmäh- lich. Das Aufhören der peristaltischen Bewegungen habe ich nur bei lange fortgesetzter CO,-Athmung unter Luftzutritt, oder bei Thieren mit vorhergehender Durchschneidung beider Vagi und der dabei entstehenden Athmungsstörung, überhaupt bei denen, welche lange durch Erstickung misshandelt wurden, beobachtet. Die CO-Vergiftung hatte in solchen Fällen keinen Einfluss auf die peristaltischen Darmbewegungen, ebenso kamen dabei keine Krämpfe zu Stande. In dem Versuche nämlich, in welchem, wie schon oben beschrieben, keine Vaguscurve bei unversehrten Vagis unter dem Einflusse der -OO-Vergiftung sich zeichnete, bemerkte ich auch das Aufhören der peristaltischen Darmbewegungen, was auch bei CO-Vergiftung nicht anders sich verhielt. Diese Versuche machen wahrscheinlich, dass die langsame CO,-Wirkung die sympathischen Centra der Darmbe- wegungen paralysire.') Andererseits lässt sich die Verstärkung der peristaltischen Darmbewegungen unter CO-Vergiftung leicht auf dieselbe Ursache wie in den Versuchen Krause’s, d.h. auf rasche O-Verminderung im Blute oder die arterielle Anä- 1) Ob vielleicht auch eine Paralyse der vasomotorischen Centra und der Tonusverlust der Gefässe, wenn dieser letztere dabei sich überhaupt nachweisen lässt, unter der langdauernden CO»-Einwirkung, bei irgend welcher langsamen Erstickung zu Stande kommt, ist mir unbekannt. In einem solchen Falle liessen sich vielleicht sowohl die Beobachtungen von Klebs, bezüglich der Gefässerweiterung an den Leichen der an Kohlendunst umgekommenen Menschen, nach vorangegangener langer Agonie, als auch das Aufhören der peristaltischen Bewegungen an den experimentell und dabei langsam, wie es in allen den Versuchen von Dr. Klebs die Regel gewesen zu sein scheint, mit CO vergifteten Thieren auf diesem Wege erklären. Hierbei bemerke ich ausdrücklich, dass alle meine Versuche sich auf rasche Wirkung des vollen CO- Stromes beziehen. Die Thiere waren nämlich in 1-5 Minuten da- durch zum reflexlosen Zustande (Asphyxie) gebracht. Und ich glaube behaupten zu dürfen, dass, wenn man schon bei der schnellen Wir- kung des Kohlenoxyds die CO,-Anhäufung in dem Blute nicht ver- meiden kann, desto weniger ist man berechtigt, die bei einer langsa- meren CO-Erstickung vorkommenden Erscheinungen als directe und dabei speeifische Wirkungen des Kohlenoxyds zu betrachten. Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 107 mie des Darmes in Folge des gesunkenen Blutdruckes zurück- führen. Was jetzt die Erscheinungen von Seite des Auges anbetrifft, wie Exophthalmus und besonders Pupillenerweiterung, sah ich diese immer in demselben Maasse vertreten, sowohl bei CO als auch bei H-, CO,-Erstickung als auch bei einfachem Verschluss der Trachea. Diese Erscheinungen traten schon während der Krämpfe ein, die Pupillenerweiterung erreichte den grössten. Grad erst später, während das Thier ganz erschlafft dalag. Es ist wahr, dass der Exophthalmus in diesem Momente schon re- ponibel geworden ist, wie auch Klebs behauptet, dagegen aber war während der Krämpfe nicht möglich, das hervorragende Auge zu reponiren. Demzufolge erkläre ich den Exophthalmus als einen spastischen.') Es ist wahr, dass Pupillenerweiterung eine Erscheinung dar- bietet, welche mehr oder weniger vom Exophthalmus unabhän- gig zu sein scheint, weil die Pupille sich fortwährend ausdehnt, nachdem der Exophthalmus schon reponibel geworden ist; das widerspricht aber nicht im Mindesten der Annahme, dass beide Erscheinungen von Reizung der Nerven abhängen, welche Iris- dilatation und die Thätigkeit des Muse. orbitalis Müller’s be- herrschen. Klebs will auch diese Erscheinung als Unter- stützung seiner Lieblingsannahme betrachten; es sollen durch CO-Vergiftung alle organischen Muskelfasern, die Gefäss-, Darm- und Irismuskeln erlahmt sein. Dieser Annahme getreu, lässt Klebs ausser Betracht die von mir schon beschriebenen Ver- 1) Klebs will den Exophthalmus als Folge einer venösen Stauung interpretiren, welche durch die Athmungsstörung bedingt wird, und be- hauptet, dass einer solchen Deutung nicht die von mir beobachtete Ischaemia der Retinalgefässe widerspricht, welche seiner Meinung nach wohl genügend als Folge einer Ausdehnung des N. optieus und der Arteria centralis retinae erklärt werden kann. Er hehauptet, dass die Anämie bei Exophthalmus spasticus bedeutend grösser ausfällt und kei- neswegs mit den Retinalgefässen sich begnügt, sondern auf die Cho- rioidea sich erstreckt, während bei mir ausdrücklich gesagt ist: „Da- bei wird der Boden des Auges höchst blass. Die Gefässe der Chorioi- dea und Retina scheinen im Auge eines weissen Kaninchens bei oph- thalmoskopischer Untersuchung bedeutend verengert.“ 108 W. Pokrowsky: suche, welche dahin zielen, die Abhängigkeit der Pupillener- weiterung von dem Erregungszustande der die Pupille erwei- ternden Nerven, welche im Halssympathicus gelegen sind, zu unterstützen, die Versuche mit Vergiftung der Thiere, welche an einer Seite den durchschnittenen Halssympathicus hatten, und bei welchen sich die Pupillenerweiterung und Exophthal- mus in einem viel geringeren Maasstabe an der operirten als an der gesunden Seite zeigten. Ganz dasselbe kann ich jetzt in Betreff der H- und CO,- (ohne Luftzutritt) Erstickung anführen. Die Pupillenerweiterung, welche doch auch an dem Auge der operirten Seite, obwohl in geringerem Grade, zu Stande kommt, macht die Existenz eines anderen motorischen Centrums für die pupillenerweiternden Nerven, ausser des schon im Gentrum cilio- spinale gegebenen, wahrscheinlich. Und in der That, es häufen sich die Angaben der Experimentatoren, welche ein solches Centrum in dem Ganglion Gasseri nachweisen. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, die Betheiligung dieses Centrums in der Pupillenerweiterung bei H-, CO-, CO,-Erstickung zu prüfen. Dafür führt Klebs selber einige Versuche an, welche die Ab- hängigkeit der Pupillenerweiterung bei CO-Vergiftung von dem Erregungszustande der die Pupille erweiternden Nerven unterstützen. Und zwar erklärt die Mehrzahl der Experimen- tatoren (Fraser, Robertson, Harley, Hirschmann, von Gräfe, Rosenthal u. A.), welche die Wirkung des Calabar- bohnen-Extracts (beziehungsweise Nicotins und Morphiums) un- tersucht haben, die dabei entstehende Pupillenverengerung als die Folge der Paralyse der die Pupille erweiternden Nerven, und nehmen an, dass der Irismuskel dabei unversehrt bleibt. Indessen spricht Klebs (a. a. ©. S. 486) folgendermaassen: „Das Extract der Calabarbohne bringt an der durch CO-Ver- giftung erweiterten Pupille dieselbe Veränderung hervor, wie im Normalzustande. Durch dasselbe Mittel vorher verengerte Pupillen erweitern sich nicht nach Einathmung von CO. Ich beabsichtige nicht, auf die Innervationsverhältnisse der Iris in diesem Zustande einzugehen, da dies eine Discussion und ex- perimentelle Prüfung der ganzen motorischen Verhältnisse der Iris nothwendig machen würde. . Soviel scheint mir aus dem Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 109 Vorhergehenden abgeleitet werden zu dürfen, dass es sich in diesem Falle um einen Tonusverlust der Irismusculatur handelt, ohne dass die Erregbarkeit derselben aufgehoben ist,“ mit einem Worte macht Klebs eine gar nicht den Thatsachen ent- sprechende Folgerung. Die richtige würde so etwa heissen: Die pupillenerweiternden Nerven werden auch dann durch Ca- labarbohnen-Extract paralysirt, wenn sie im Erregungszustande sich befinden; umgekehrt -die durch Calabarbohne paralysirten Nerven können in den Erregungszustand unter dem Einflusse der CO-Vergiftung nicht gerathen und thun das nicht. Noch das will ich zugeben, dass Exophthalmus und Pupil- lenerweiterung stets bei rasch entstehender Anämie des Ge- hirns, welche durch künstliche Embolieen der Hirngefässe oder durch Embolie der A. pulmonalis (Panum, Virchow) bedingt wird, entstehen, wie auch bei Gehirnanämie nach der Zuschnü- rung sämmtlicher zum Kopfe gehender Arterien (Kussmaul, Rosenthal), sowie der A. pulmonalis oder beider Hohlvenen, endlich bei den tödtlichen Blutungen. Auf diese Weise sind die Erscheinungen der Erregung des cerebrospinalen (die Krämpfe), als auch die des sympathischen Nervensystems (Verstärkung der peristaltischen Darmbewegun- gen, Exophthalmus, Irisdilatation), welche durch CO-Vergiftung hervorgebracht werden, in allen anderen Fällen der raschen O- Verminderung im Blute oder einer rasch entstehenden arteriel- len Anämie des Gehirns stets vertreten. Aber in den Fällen der Erstickung kommt ausser dem O- Mangel auch die CO,-Anhäufung im Blute zu Stande. Deswe- gen muss vielleicht ein Theil der Erstickungserscheinung der Kohlensäure zugeschrieben werden. Früher schon hat Traube Dyspno@ als die Folge der CO,-Anhäufung im Blute gedeutet. In der letzten Zeit erschien eine neue Arbeit von Thiry, welche den Zweck hat, die Abhängigkeit der Athembewegun- gen und Dyspno@ von Kohlensäureanhäufung im Blute zu be- weisen. Den früheren Versuchen mit der H- oder N-Athmung, welche die Abhängigkeit derselben von O-Mangel im Blute zu beweisen suchten, spricht Thiry die beweisende Bedeutung ab aus dem Grunde, dass den Erfahrungen von Holmgren, 110 W. Pokrowsky: Pflüger, Preyer, Schöffer nach, die ausgeathmete 00, im Blute meistentheils chemisch gebunden und also gar nicht durch H oder N verdrängt werden kann, und dass die Aus- scheidung derselben bei Athmung in dem genetischen Zusam- menhange mit Anwesenheit einer genügenden Quantität Sauer- stoffs in der zuströmenden Luft sich befindet. Die Versuche mit H- oder N-Athmung schliessen also keineswegs die Möglich- keit der CO,-Anhäufung im Blute aus, und die dabei entste- hende Dyspno& muss danach der CO, zugeschrieben werden. Ganz in demselben Sinne kann auch die Dyspno& bei CO-Ver- giftung erklärt werden. Der Theil des Blutes, welcher schon mit CO verbunden ist, kann nicht mehr seine CO, abgeben, weil er der Wirkung des Sauerstoffs unerreichbar ist. Damit steht die von mir gefundene beträchtliche Verminderung der ausgeathmeten CO, im Laufe der Kohlenoxydvergiftung in Uebereinstimmung. Nachdem jetzt das '[hier die auf eine ge- wisse Zeit verlorenen Athembewegungen wieder aufnimmt und sich erholt, bekommt es abermals Dyspno&, welche nun länger dauert. Diese secundäre Dyspno& kann auch leicht durch CO,- Anhäufung erklärt werden. Eine solche Anhäufung der CO, in dieser Periode wird auf verschiedene Weise hervorgebracht, erstens durch Verlangsamung und gänzliche Verschwindung der Athmung auf eine gewisse Zeit, zweitens durch die Anwesen- heit von CO, welches die die OO, austreibende Wirkung des Sauerstoffs hindert, endlich durch wahrscheinliche CO-Verbren- nung in CO,. Dadurch wird die lange Dauer dieser secundä- ren Dyspno& bedingt, welche bei der Erholung von CO-Vergif- tung zu Stande kommt. Mit dem Gesasten stimmen die von mir gefundenen Zahlen der ausgeathmeten CO, bei der Erho- lung des Thieres von CO-Vergiftung überein. Aus diesen kann leicht ersehen werden, dass die Vermehrung der ausgeathmeten CO, gewöhnlich 20— 30 Minuten nach der Vergiftung dauert, auch darf aus denselben gefolgert werden, dass diese CO,-Ver- mehrung keineswegs durch die Ausscheidung der Quantität der CO,, welche im Blute durch die CO-Wirkung oder Athmungs- verlangsamung zurückgehalten wurde, sich erklären lässt, son- dern zusammen mit dem gleichzeitigen Verschwinden der Farbe- Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 111 reaction auf das CO im Blute sehr wahrscheinlich macht, dass CO selbst in die CO, übergeht. Was weiter die Erscheinungen der Vagusreizung betrifft, so hat schon Traube die erregende Wirkung der Kohlensäure in dieser Beziehung bewiesen. Es lassen sich dem Gesagten zu- folge ganz natürlich die Erscheinungen der Vagusreizung bei H- oder N-Athmung durch die dabei entstehende CO,-Anhäufung erklären. Das macht nämlich Thiry, indem er sich von seiner früheren Meinung in Betreff der Abhängigkeit dieser Erschei- nungen von O-Mangel im Blute lossagt. Was nun das CO be- trifft, so ist Nichts natürlicher, als dieselbe Annahme zu ma- chen, um die Curve der Vagusreizung zu erklären. Dieser Theil der Curve zeichnet sich am ausgeprägtesten nämlich in dem Momente, wann die Athmungen äusserst verlangsamt sind oder gänzlich verschwinden. Ausserdem zeichnet sich dieser Theil der Curve sehr lange bei der Erholung des Thieres mit dem Anfange der secundären Dyspno& zusammenfallend. Warum dieser Theil jedenfalls ziemlich bald den Erscheinungen der Erregung des motorischen Herznervensystems Platz macht, und nicht während der ganzen Dauer der Dyspno& bleibt, das muss wahrscheinlich auf die Eigenschaft des Vaguscentrums'), schnel- ler sich zu erschöpfen , ‚als dies der motorische Apparat des Herzens thut, wie es v. Bezold nachgewiesen hat, zurückge- führt werden. Aus demselben folgt auch, dass auch an der Erregung des motorischen Herznervenapparates, welche bei jeder Erstickung im Anfange des Versuches und bei der Erholung des Thieres zu Stande kommt, die Kohlensäure Antheil haben muss, da die Athmung mit CO, bei freiem Luftzutritt ebenfalls die Erregung dieses Apparates bedingt. Nach Thiry soll die CO, auch die vasomotorischen Nerven in den Zustand der Erregung versetzen; aber die Versuche, auf welche er diese Annahme stützt, lassen sich auf eine ganz an- 1) Das schnellere Verschwinden der Erscheinungen der Vagusrei- zung, bei Erholung des mit H oder CO, athmenden Thieres, lässt sich leicht durch die schnellere Austreibung der Kohlensäure aus dem Blute erklären, denn in solchen Fällen wirkt Nichts der die CO, aus- treibenden O-Wirkung entgegen. 1]2 W. Pokrowsky: dere Weise erklären und beweisen überhaupt keineswegs die active Contraction der Gefässe unter der Einwirkung der Koh- lensäure. | Die Unabhängigkeit der bei einer raschen Erstickung ent- stehenden Krämpfe von der CO,-Anhäufung soll nach Thiry durch das gänzliche Fehlen derselben bei der CO,-Athmung, wenn diese unter freiem Luftzutritt veranstaltet wird, bewiesen werden. Umgekehrt, deren Abhängigkeit von dem O-Mangel ‚im Blute lässt sich am klarsten dadurch beweisen, dass sie bei jeder raschen Gehirnanämie, Blutverlust, und in allen den Er- stiekungsversuchen erscheinen. In allen diesen Fällen sollen nach Thiry die Krämpfe durch die durch den O-Mangel her- vorgebrachte Ernährungsstörung der Nervencentra erklärt wer- den (Recueil des travaux de la societe allemande medicale de Paris 1864/69.), Warum aber die Krämpfe bei den verschiedenen Thieren unter einer und derselben Erstickungsart in ihrer Intensität sehr ungleich ausfallen, lässt sich sehr schwer deuten. Eine wich- tige Rolle scheint dabei die verschiedene Blutmasse bei ver- schiedenen Thieren zu spielen; z. B: der Hund ist überhaupt blutreicher als das Kaninchen. (Die Blutmasse beträgt '/, des Körpergewichts für den Hund und '/,s für das Kaninchen, nach Heidenhain.) Ein gewöhnliches Kaninchen, 1,5 Kilogrm. schwer, hat demzufolge 1500 x !/,; Grm. = 84 Grm. Blut. Ein Hund, kleiner als mittelgross, hat bei 6 Kilogrm. Gewicht dem- nach 6000 x !/, = 500 Grm., 6 Mal soviel wie das Kaninchen. Um den Sauerstoff beispielsweise aus dem Dritttheil der Blut- masse eines solchen Hundes zu verdrängen, braucht man 6 Mal soviel CO als für den entsprechenden Theil des Kaninchen- blutes.. Es muss dabei auch die relative (zum Körpergewicht und Blutgewicht) Grösse der Athmung des Thieres und der Gehalt des Blutes!) an Hämoglobin eine Rolle spielen. Das muss auch nicht vergessen werden, dass das Hundeblut bei seiner relativ und absolut grösseren Masse und seinem relativen ÖO-Reichthum schneller die Verbrennung des Kohlenoxyds be- 1) und der Muskelsubstanz nach Kühne (Virch. Archiv 1865.) Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 113 dingen kann; dies kann sowohl den grösseren Widerstand gegen CO-Vergiftung von Seiten der Hunde, als auch die langsamere Entstehung schwächerer Krämpfe bei diesen Thieren im Ver- gleich zu den Kaninchen erklären. Ueberhaupt sind Hunde weniger für die Krämpfe, wenigstens für die Erstickungs- und Anämie-Krämpfe , disponirt als Kaninchen, was vielleicht mit einer noch unbekannten Eigenthümlichkeit der motorischen Ner- ven oder Nervencentra oder auch der Muskeln selbst verbunden sein mag. Was aber die Thiere von einer und derselben Spe- cies anbetrifft, z. B. Kaninchen, so habe ich entschieden ra- schere Entstehung der Vergiftungs- resp. Erstickungserschei- "nungen und speciell der Krämpfe bei den kleineren unter ihnen gesehen. Das gänzliche Fehlen der Krämpfe bei den langsa- meren Erstickungen kann durch die allmähliche Herabsetzung der Reizbarkeit der Nervencentra (wegen des O-Mangels), wie auch durch direete Wirkung der sich anhäufenden Kohlensäure (W. Müller) erklärt werden. Was endlich die Erregungserscheinungen am sympathischen Nervensystem anbelangt, wie Verstärkung der Darmbewegungen, Pupillenerweiterung, Exophthalmus, so spricht für die Unab- hängigkeit derselben von CO,-Anhäufung im Blute das Nicht- erscheinen derselben bei CO,-Athmung unter freiem Luftzutritt. . Die Ursache dieser Erscheinungen muss also im O-Mangel an- genommen werden. Zu Gunsten solcher Annahme spricht auch die Erscheinung der in Rede stehenden Symptome bei dem ein- fachen Anämie-Zustande, welches Moment auch bei der Er- stickung als vorhanden betrachtet werden muss, in Folge der starken Druckabnahme im arteriellen System und Ausleerung der Gefässe. Es ist überhaupt nicht möglich, dieses Moment bei rascher Erstickung auszuschliessen, und das muss gewiss gleichgültig sein, ob die Anämie durch einfache Aortencompres- sion oder durch rasche Druckabnahme und Ausleerung der ar- teriellen Gefässe in Folge der Erstickung zu Stande kommt. Bei der Erstickung sind also beide Momente vorhanden — eine directe Abnahme des Sauerstoffgehaltes im Blute und die arte- rielle Anämie des Nervensystems und der Organe überhaupt. Ks müssen also von diesem Standpunkte die Erscheinungen der Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866, 8 114 W. Pokrowsky: rasch erfolgenden Erstickung denen der arteriellen Anämie des Gehirns einigermaassen gleichgestellt werden, die nämlich, welche nicht durch direete Wirkung der CO, bedingt werden.!) Ebenfalls können auch die Krämpfe im Anfange der CO-, H-, CO,-Erstickung nicht durch die Anämie des Gehirns erklärt werden, da sie vor der Ausleerung der Gefässe und zwar gleichzeitig mit starker Füllung derselben zu Stande kommen. Desto wahrscheinlicher erscheint deren Abhängigkeit von der directen Wirkung des Sauerstoffmangels im Blute, welcher sich nämlich im Anfange der Erstickung rasch entwickelt. Und die Anämie selbst ist demzufolge in der Hervorbringung der Krämpfe mehr dadurch betheiligt, dass sie die O-Armuth des Gehirns bedingt. Zum Schlusse brauche ich fast gar nicht das noch einmal besonders hervorzuheben, dass die CO-Vergiftung als Re- sultat nicht blos des O-Mangels, sondern auch der Kohlen- säureanhäufung im Blute, d. h. als eine Art Erstickung betrachtet werden muss. Und in dieser Beziehung muss sie anderen, so zu sagen, mechanischen Erstickungsarten gleich- gestellt werden, so lange wenigstens keine eigenthümlichen, für Kohlenoxydvergiftung charakteristischen oder specifischen Syım- ptome gefunden und bewiesen worden sind. Es ist also blos der Unterschied des Weges, auf welchem die Erstickung her- vorgebracht wird, ob durch einen directen Verschluss der Trachea, oder durch Athmen in der H- und N-, gerade in der CO,-Atmosphäre ohne Luftzutritt, oder endlich durch die re- spiratorische Unfähigkeit der Blutkörperchen. Von Seiten der dabei vorkommenden Erscheinungen aber existirt eine vollstän- dige Analogie, wenn nicht eine Identität. Es ist auf diese Weise die alte, fast volksthümliche An- schauung über das Wesen der Kohlenoxydvergiftung als [As- phyxie-] Erstickung gerechtfertigt. Damit will ich nicht sagen, dass alle im gewöhnlichen Leben vorkommenden Dunstbetäu- bungen und alle dabei entstehenden subjectiven Gefühle aus- 1) Auf diese Gleichartigkeit hat schon Rosenthal hingewiesen (Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv, 1865, $. 191.). Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. 15 ' schliesslich durch CO-Wirkung erklärt werden, weil keineswegs alle die schädlichen Producte der unvollkommenen Kohlen- und Holzverbrennung bekannt und noch weniger in ihrer Wirkung auf den Organismus erforscht sind. Ich beabsichtige auch kei- neswegs, selbst versuchsweise, alle die pathologischen an Leich- namen der mit Dunst betäubten Menschen vorkommenden Er- scheinungen zu deuten, um so weniger, da an den Leichen mei- stentheils die Kriterien fehlen, warum diese oder jene gefundene Veränderung der Wirkung dieses oder jenes Einflusses zuge- schrieben werden muss, besonders wenn das Gefundene gering- fügig und nicht gerade constant erscheint; und noch mehr, wenn, was in den Kohlendunstfällen fast die Regel ist, keine genaue Leebens-Anamnese und keine Garantie vorhanden ist, dass das CO allein bei der Entstehung der an den Leichen ge- fundenen Erscheinungen betheiligt ist. Jedenfalls muss ich gestehen, dass zur Unterstützung der Hypothesen in Betreff der Rolle, welche die Gase des Blutes spielen, noch die Analysen der Blutgase in verschiedenen Sta- dien der durch verschiedene Mittel hervorgebrachten Erstickung nothwendig sind, die ich in der nächsten Zeit anzustellen ge- denke. 116 | G. R. Wagener: Ueber Beroe (ovatus?) und Uydıppe pileus von Helgoland. Von Dr. G. R. WAGENER. (Hierzu Taf. III., IV., V.) — Die einzigen beiden Ctenophorenspecies, welche man bis jetzt bei Helgoland gefunden hat, sind eine Deroe, welche wohl eine besondere Species sein wird, und Cydippe pileus (Pleurobrachia Agass. u. Clark). Letztere kommt häufig vor und erreicht ungefähr die Grösse von !;—13 Mm. Beroe dagegen ist weit seltener, die grössten gefundenen Exemplare waren nahezu in ihrer Länge unge- fähr den grösseren Cydippen gleich. Im geschlechtsreifen Zustande sind beide Thiere noch nicht von den Beobachtern in Helgoland gesehen worden. Jedoch be- merkte ich einmal unter den Rippen der Cydippe ungefähr in der Mitte dieser Organe kugelige Körper, welche den Erschei- nungen bei anderen Rippenquallen gemäss wohl auf Anlagen von Geschlechtsorganen zu beziehen sind. Bei Beroe ist mir dagegen dergleichen bis jetzt nicht vor- gekommen. Oydippe pileus gleicht in der Gestalt ihres Körpers ziem- lich der C. rhododactyla, nur nähert sich ihre äussere Form noch mehr der des Eies. Das Thier ist vollständig durchsichtig und zeigt seine gröbere Organisation schon klar bei schwachen Ver- Ueber Beroe (ovatus?) und Cydippe pileus von Helgoland. 117 grösserungen. Die Gestaltsveränderungen halten sich bei ihr innerhalb nahe bei einander liegender Grenzen. Sie scheinen wesentlich durch das Vorschieben, Ausbreiten und Zurückziehen des Mundes bedingt zu werden; andere, wie Vortreiben der durchsichtigen Zwischenrippensubstanz , Achteckigwerden des ganzen Thieres, Verwandlung der gewöhnlich hervorgewölbten Rippenleisten zu Rinnen sah ich ebenfalls öfters. Die Körpersubstanz ist ganz durchsichtig und homogen, nur durch Muskelfasern und Einlagerung der anderen Organe unterbrochen. Zellen oder Kerne liessen sich bei keiner, selbst der allerkleinsten Cydippe, in dem durchsichtigen Gallert ent- decken, Ganz junge Thiere von noch nicht 1 Mm. Länge zeigten auf ihrer Oberfläche ein etwas bräunlich schimmerndes ein- schichtiges Epithel, welches das ganze Thier umgab; bei grösseren war nur noch der sog. Trichterpol mit diesem aus deutlichen kernhaltigen Zellen bestehenden Gewebe umgeben, was von dort an die Wimperrippen sich fortsetzte, mehr und mehr sich verschmälernd, und mit den Mundenden der Wimper- rippen aufhörte. Bei den grossen Exemplaren war von dieser Epidermis nichts mehr zu entdecken. Die acht Wimperrippen sind, mit denen der ©. rhodo- dactyla verglichen, im Verhältniss zum ganzen Thiere kürzer. Je kleiner das Thier, um so geringer ist die Zahl der Wimper- platten. Ich zählte bei den jüngsten Exemplaren 7 oder 8, bei den grössten stieg die Zahl bis auf 20 und etwas darüber. — Die Wimpern waren bei allen von mir beobachteten Exempla- ren nie länger als zwei Zwischenräume zwischen den Quer- leisten, wenn die Thiere noch alle Zeichen eines normalen Ver- haltens aufwiesen. — Die Längsleisten, auf welchen die Wim- perlappen sassen,, zeigten ım frischen Thiere keine weitere Struetur, beim beginnenden Zerfall kamen jedoch eine Menge kleiner zellenartiger Kügelchen zum Vorschein, welche unter den wimpertragenden Querleisten mehr angehäuft erschienen und dort an den Wurzeln der Wimpern sassen. — Die Wimper- lappen selber zeigten sich als eine Menge dicht bei einander stehender feiner, sehr langer Härchen. An der Wurzel der- 118 G. R. Wagener: selben sah man noch kleinere Cilien stehen. — Wenn die Wim- pern losgerissen sind, so hindert sie dies bekanntlich nicht in der Fortsetzung ihrer Bewegungen, wobei nur zu bemerken ist, dass die kleinen rundlichen zellenartigen Körper immer ihnen anhaften bleiben. — An den Spitzen der Rippen sind die Ci- lien eben so lang, wie in der Mitte dieser Organe, doch wer- den die Querleisten, welche die Wimperwurzeln bilden, beson- ders nach dem Mundpole zu, immer kürzer, bis sie fast punkt- förmig; enden. Auf dem Trichterpole befindet sich der sog. Otolith. Er besteht nach der Grösse der Cydippe aus etwa 20—50 klei- nen knollenförmigen Körnern, die ein kugelförmiges Conglomerat bilden. Dies Gebilde befindet sich unter einer strahlig ge- streiften Glocke, welche bei Misshandlungen aus einander bricht und dann einen Busch von grossen starren Haaren darstellt, in dessen Mitte der Otholithenhaufen seine zitternden Bewegungen fortsetzt. — Der letztere liegt nun nicht dem Boden der Höhle unmittelbar auf, sondern wird von vier Wimperbüscheln getra- gen, welche, wie Claus und namentlich Hensen (Sieb. und Köll. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 13, S. 358 u. 442) ge- zeigt haben, mit ihren Spitzen in die Mitte der Seiten des Ötolithenhaufen hineinfassen, und denselben wie Federn tragen. Da die Wimpern auf dem Boden des Hohlraumes unter dem Otolithen entspringen , so müssen sie Sförmig gebogen sein. Die Stellung der platten Wimperbüschel bildet ein liegendes Kreuz, wenn man das Thier von seinem Trichterpol aus ansieht. Der Boden des Otolithengehäuses ist die directe Fortsetzung von einer grossen, durchaus mit Wimpern besetz- ten Platte, welche je -nach dem Contractionszustande des Thie- res eine flache Rinne oder eine mit einem niedrigen : Reifen umgebene Fläche darstellt. Der otolithentragende Theil dieses Wimperfeldes, das wie ein kurzes Band mit abgerundeten Enden dem Trich- terpole aufliegt, ist durch zwei Einschnürungen von ihm abge- grenzt, wodurch der Boden der Otolithenhöhle zu einer run- den mit Wimpern umwallten Platte wird, deren Fläche in: die Ueber Beroe (ovatus?) und Üydippe pileus von Helgoland. 119 grossen seitlichen Wimperfelder direet übergeht. Die Umwal- lung der Otolithenplatte wird an acht Stellen von wimpernden Rinnen durchbrochen, welche sich auch wie das grosse Flim- merfeld verflachen und vertiefen können. Sie verbinden die Spitzen der acht Wimperrippen mit dem Ötolithenfelde,, in- dem sie, sich verbreiternd, mit ihren etwas länger gewordenen Wimpern an die langen Cilien der Querleisten sich anschliessen. In die Otolithenplatten fallen die Wimperrinnen so ein, dass je ein Paar gerade auf eine jener vier von Hensen beschrie- benen Wimperfedern des Otolithen stossen, indem sie den Wimperwall durchbrechen. Betrachtet man die Ötolithenhöhle von oben, so sieht man, dass sich die Wimperung der Rippen- rinnen noch unter der Cilienglocke des Otolithen über die Wimperfäden desselben hinaus bis fast in die Mitte der Glocke hinein fortsetzt. Die Vertheilung und Länge der Wimpern des ganzen in drei Abtheilungen vor den Augen des Beobachters daliegen” den Flimmerfeldes oder Bandes zeigt einige beachtenswerthe Eigenthümlichkeiten. Der Wimperwall, welcher das ganze Feld umzieht, ist dichter mit Cilien besetzt, als die beiden grossen seitlichen Längsplatten, wo die Wimpern weitläufig stehen. Die Otolithenplatte dagegen hat wieder dichter stehende Cilien. welche am Rande der Ötolithenglocke länger sind und nach dem Centrum hin an Grösse abnehmen. Bei der Betrachtung dieses Organes von der Seite sieht man unter den Otolithen- federn noch längere und kürzere stärkere Wimpern stehen, welche in irgend einer Beziehung zu den otolithentragenden Cilien zu stehen scheinen. Claus giebt an (Sieb. u. Köll., Bd. 14, 5. 386), dass die Gehörblase oder Glocke, wie sie hier genannt wird, an ihrem oberen Ende offen sei. Dieser Zustand ist von ihm abgebildet worden; er ist aber nicht derjenige, in welchem sich das Organ beim unverletzten Thiere vorfindet. Der,Magen von Cydippe ist ein plattgedrücktes, bis in die Mitte des Thieres hinaufreichendes Rohr von gelblicher oder bräunlicher Färbung. Der Mund kann eingezogen und vorge- streckt werden und bildet dann eine einer einblättrigen Blüthe 120 @G. R. Wagener: nicht unähnliche Figur. Bei dieser Bewegung folgt die durch- sichtige Masse des Körpers den Lippen, welche zuweilen ihre Aussenränder dabei umschlagen und etwas wellig erscheinen. Betrachtet man den Mund von oben her, so erscheint er als längliche Spalte, welche mit bräunlich gefärbten Zellen belegt und mit Wimpern besetzt ist. Unter diesen Zellen habe ich auch jene eigenthümlichen Stäbe gesehen, welche in der Haut der Planarıen und den Tentakeln der Actinien gefunden werden, und ‘die man als eine Art von Nesselorganen auffasst. — Die Wimpern am Mundrande sind bedeutend schwächer, wie die schon von Will in seinen Horae tergestinae erwähnten säbelförmigen Cilien der Beroiden. Sie werden im Inneren des Magens kleiner und nehmen erst wieder an der inneren Oeffnung desselben an Länge zu. — Der lange Querdurchmesser des Magens liegt in derselben Ebene, in welche der längste Durchmesser der Wimperplatte fällt, deren mittlerer Theil die Otolithenglocke trägt; hierdurch wird das Thier in zwei ganz genau sich gleichende Hälften zerlegt, welche gewissermaassen schon durch die Vergrösserung der dem Rande der Ebene cor- respondirenden Interambulacralfelder angedeutet sind. Genau dieselbe Lage der längsten Querdurchmesser des Magens und der Wimperplatte findet sich bei der Helgolandischen Beroe, Idyia roseola und Cydippe rhododactyla. Die Innenfläche des Magens, dessen Querschnitt in allen Höhen sich gleichbleibt, ist ganz mit Wimpern ausgeklei- det, welche auf gelblich gefärbten Zellen sitzen. Genau in der Mittellinie des Magens auf seiner platten Seite unter dem Ge- fäss, welches dort der Länge des Organes nach beiderseitig zum Munde herab und dort blind endigend verläuft, findet sich ein schmaler Streifen, der von Claus Leberstreifen genannt ist. Er ıst besonders am Magengrunde deutlich, und besteht aus einer Reihe von Schleimhaut-Querfalten oder Platten, deren Ränder gewulstet sind. Sie liegen sich deckend über einander mit nach dem Munde zu gerichtetem Rande. Je näher sie dem- selben kommen, um so kleiner werden sie. Sie hören etwa in der Mitte des Magens auf, so dass sie nur die dem Mittel- punkte des Thieres nächste Hälfte des Magens einnehmen. Ueber Beroe (ovatus?) und Üydippe pileus von Helgoland. 121 Dann schliesst sich ihnen eine nach der Mundöffnung zu immer niedriger werdende Längsfalte an, welche kurz vor der Mund- öffnung ganz verschwindet. — Bei ganz jungen Exemplaren sieht man den Leberstreifen nur aus wenigen niedrigen Falten bestehen, welche sich in einer rinnenartigen Vertiefung erheben. Betrachtet man den Rand des Magens, so sieht man an der platten Seite desselben die Leiste, welche jene Rinne bildet, und bemerkt in Form von stumpfen Zähnen am Magengrunde die Falten im Querschnitt. — Der Grund des Magens ist durch- bohrt. Seine Oeffnung führt, mit längeren Wimpern ausge- stattet, in das Gefäss- oder Wassergefässsystem. — Der Pylorus, von oben gesehen, bildet eine sechseckige Spalte. Die sich ge- rade gegenüberstehenden Winkel gehören den scharfen Rändern des Magens an. Die vier in der Mitte einander gegenüberlie- genden sind auf die”die Faltenrinne, begrenzenden Linien zu beziehen. — Die Magenschleimhaut hört nicht an dem sich zu- rundenden Ende des Magens auf. Sie schlägt sich vielmehr mit ihren kleiner werdenden Wimpern nach aussen und lässt sich als eine abtrennbare Platte, die immer dünner wird, noch weiter an der Aussenseite des Magens verfolgen. An dem Ma- gen ist ausser der Schleimhaut noch eine structurlose Haut von grosser Zartheit zu bemerken, in welcher ein Muskelbündelnetz eingelagert ist. Das Gefässsystem ist im Wesentlichen bei den Cydippen bekannt’und von Cydippe rhododactyla von Clark a. a. OÖ. schön abgebildet. Der Unterschied zwischen beiden Ötenophorenspe- cies besteht in der Länge des Trichters und der damit in Ver- bindung stehenden Länge des Magens. Bei Cydippe rhododa- ctyla reicht er nicht bis zur Mitte des Thieres, sondern sein Magenende liegt dem Ötolithenpol näher, während bei Cy- dippe pileus der Magen eben nur den Mittelpunkt des Thieres erreicht. — Beobachtet man das Thier, wenn es mit hervorgeschobenen Lippen auf dem Boden des Glases umhergleitet, so sieht man zur Seite der Otolithenplatte die beiden kurzen Endarme des Trichters wie eine Quaste mit ihren Contouren. Jeder Arm scheint noch einmal durch eine flache Einbuchtung in zwei 122 G, R. Wagener: g Theile getrennt zu sein. Demgemäss bestände das Ende des Triehters aus vier Armen, welche, zu zweien sich vereinigend, gleich unter der als Nervencentrum von einigen Beobachtern angesehenen Anhäufung organischer Substanz unter der Oto- lithenplatte in ein Achsengefäss übergehen , welches, an dem Grund des Magens angelangt, sofort sich in vier Gefässe spaltet. Zwei davon gehen an der abgeplatteten Seite des Magens zum Munde herab und endigen dort blind. Unter ihnen liegt der Leberstreifen. Die beiden anderen stärkeren wenden sich seit- lich und gehen in der Höhe des Magenmundes nach kurzem Verlaufe in zwei Gefässe aus einander, von welchen jedes sich wiederum in zwei Arme, je einen für jede Wimperrippe, theilt. Dort hält sich das Gefäss genau an die Länge und die Breite ‘ des Schwimmapparates, also nach oben und unten einen grossen Ast abgebend. Die ganzeinnere Wand des Gefässes ist mit sehr weitläuftig stehenden und deshalb schwer sichtbaren langen Wimpern bedeckt. Beim Zerfall des Thieres bemerkt man auch hier spindelförmige fein granulirte Körper, welche zelliger Natur zu sein scheinen, doch sah ich nie Kerne in ihnen. In- nerhalb der entschieden eontractilen und deutlichen Wandung sah ich auch Linien, wie sie von Claus abgebildet worden. Ob sie auf Faltenbildung oder auf Muskelfasern zu beziehen sind, musste ich unentschieden lassen. — Mehrmals bemerkte ich auch die von fast allen Beobachtern erwähnte Oeffnung an . dem über die Wimperplatte hinüberreichenden Trichtertheile, aus welchem Gefässinhalt austrat. Es verlängerte sich diese Stelle des Gefässes in Form eines Bruchsackes, trat über die äussere Oberfläche des Thieres hervor, und es entstand eine runde Oeffnung mit hellem langbewimpertem Rande, aus wel- cher Körnchen und Flüssigkeit herausquollen. Darauf schloss sich allmählich das Loch, der Bruchsack zog sich zurück, und einige Zeit nachher war auch nicht die Spur von jenem Ereig- nisse zurückgeblieben. Bei einer Cydippe sah ich drei solcher Öeffnungen an verschiedenen Stellen bei der Otolithenplatte am Triehterende nach einander entstehen und vergehen. Vor- und nachher war Nichts weiter zurückgeblieben als höchstens eine Spur des Bruchsackes in Form einer kleinen runzligen hohlen Ueber Beroe (ovatus 2) und ÜOydippe pileus von Helgoland. 123 Warze. Ob diese Erscheinung als Excrementenausscheidung anzusehen ist, muss ich auf sich beruhen lassen. — Der In- halt des Gefässsystems, der immer sich-in lebhafter Be- wegung befindet, welche ihren Höhepunkt an der inneren Ma- genöffnung erreicht, ist meist farblos und körnchenhaltig. Zu- weilen ist er leicht gelb gefärbt, enthält auch wohl einige rothe Oeltropfen, vielleicht von Krebsen herrührend, oder auch grössere und kleinere gelblich gefärbte, matt contourirte Ku- geln. Bei dem Verfall des Thieres tritt eine Art von Gerin- nung in der Gefässflüssigkeit auf. Es bilden sich Gallertknol- len in sehr verschiedener Grösse, welche durch die Thätigkeit der Wimpern, die am spätesten erlischt, umhergetrieben werden. Jede Hälfte des Thieres im oben angeführten Sinne des Wortes besitzt eine Tasche, in welcher der Tentakel sich befindet. Die Oeffnung zum Austritt desselben liegt genau in der Linie, mit welcher man alle gleichnamigen Spitzen der ‘Wimperrippen unter einander verbinden kann, und befindet sich auf der Otolithenpolseite. Sie kann verschlossen und geöffnet werden. Die Gestalt der Tentakeltasche ist langgezogen flaschen- förmig, ihre Länge ist genau die der Sehne an dem Bogen der Wimperrippen. Sie scheint auf ihrer Innenfläche bewimpert zu sein. Auch zeigt sie zuweilen schiefe Querstreifen dem Rande ihrer Oeffnung gleichlaufend, die man auf Muskelfasern oder Falten beziehen kann. Fast die ganze der Achse des Thieres zugewendete Wand der Tasche ist von dem Muskel des Ten- takels als Ursprungsstelle benutzt. Sie soll auch nach Clark von dem dicht hinter ihr vorbeistreifenden Wassergefäss durch- bohrt und auf diese Weise mit dem Inhalte desselben versorgt werden. Für diese Beobachtung sprechen viele Umstände, ob- gleich es mir nicht möglich war, zur Klarheit über die Art und Weise, wie die Verbindung sich herstellt, zu kommen. Nach Clark öffnet sich das Gefäss bei Cydippe rhododactyla am unteren Ende des Muskeltrichters. Da bei Cydippe püleus die Muskelsubstanz über die Flucht des Gefässsystems nach oben und unten hinausgeht, so muss bei Cydippe pileus die Einflussöffnung ziemlich in die Mitte des Muskeltrichters fallen, wo ich auch etwas sah, was wohl zweien Oeffnungen entsprach, 124 * @. R. Wagener: doch die nicht zu umgehende Pressung des Thieres bei der Beobachtung liess keine Gewissheit darüber zu. Der Tentakel ist seinem Wesen nach ein langes faden- förmiges Bündel von Muskelprimitivbündeln , dessen Aussen- fläche von gelblich aussehenden Zellen belegt ist. Von ihm zweigen sich in regelmässigen Abständen nach aussen einzelne Bündel ab und bilden kürzere und dünnere secundäre Senkfäden. Es wird demgemäss auch der Tentakel nach der Spitze zu dünner, welche immer in ihrer Grösse und Dicke einem secun- dären Tentakel gleicht. — Alle seine ihn zusammensetzenden Primitivbündel entspringen, wie schon erwähnt, von der inneren, der Achse des Thieres zugewendeten Fläche der Tentakelscheide eins neben dem anderen und bilden durch diese Aufstellung einen Rand um die ovale Ursprungsfläche. Durch ihre Verei- nigung zur Bildung des Tentakels entsteht eine radiäre Strei- fung, die ihren Mittelpunkt in der Tentakelwurzel hat. Die Muskelprimitivbündel , deren Ursprungsstelle an der Taschen- wand verbreitert erscheint, umschliessen auf diese Weise einen trichterförmigen mit Wasser gefüllten Raum, von welchem ich nicht sagen kann, ob er mit irgend einem anderen, vielleicht Winpern tragenden Gewebe bekleidet ist. — Sieht man einen Tentakel mit seiner Tasche von der Seite her an, so bemerkt man eine doppelte Linie um das Oval seiner Ursprungsstelle, welche oben und unten leicht eingeschnitten ist. An -diesen Stellen biegen sich die beiden Grenzlinien von beiden Seiten um und erscheinen als drei Streifen, welche an der Wurzel des Tentakels verschwinden. Es besteht demnach jeder der grossen Senkfäden aus zwei gesonderten Muskeln, über deren Ursprungs- stelle nur eins im Unklaren blieb: ob die, das Oval der Länge nach halbirenden drei Streifen in die Wurzel des Tentakels oder in die Basis des. Muskelursprungs zu legen ist, oder ob sie beiden zukommt. Nach Clark enthielte die Wurzel der Tentakeln zwei gesonderte Höhlen, deren jede eine Gefässmün- dung enthält. — Die Zellen, welche den Tentakel bis an seine Wurzel bekleiden, sind von Clark ausführlich als Nessel- ‚fadenkapseln beschrieben. Ich habe so weit entwickelte Zellen nicht gesehen und muss deshalb auf seine Arbeit verweisen, Ueber Beroe (ovatus?) und Öydippe pileus von Helgoland. 195 Ich sah nur sehr durchsichtige Kugeln, welche mit einer gros- sen Menge dunklerer,' etwas körniger, gelblich erscheinender, kleinerer Kugeln in einfacher Lage belegt waren. Letztere liessen sich durch Druck von der durchsichtigen Kugel ablösen. In keinem dieser zellenartigen Körper liess sich ein Kern sehen. Die Nesselzellen lösten sich in der Tentakeltasche sehr leicht von der Tentakelwurzel ab, ganz in der Weise, wie es Clark und Claus abbilden. Die ganz durchsichtige Körpermasse des Thieres ist vorwie- gend nach zwei Richtungen mit Muskelfasern ausgestattet, deren jede aus einer Menge sehr feiner Fasern besteht ‘und demnach histologisch ein Muskelprimitivbündel vorstellt. Es findet sich hier dieselbe Eigenschaft der Muskelsubstanz wieder, welche bei allen niederen Thieren mit wenig vortretender Intra- fibrillärsubstanz vorkommt, nämlich dass man die einzelnen Fi- brillen nicht immer unterscheiden kann, weil die Muskelmasse das Licht sehr stark bricht, wenn durch Natur oder durch künstliche Mittel, wie Druck und Reagentien, die Intrafibrillär- substanz entfernt oder auf ein Minimum zurückgeführt ist. — Zerdrückt man die Körpermasse einer Uydippe oder quetscht sie mässig, so reissen die Muskelbündel ab und bilden Figuren, wie sie von mir in Müller’s Archiv, 1847, Tafel VIII, von Cydippe pileus als Haare abgebildet worden sind. An den Muskelbündeln, welche ganz denen aus Nemertinen, Cestoden, Planarien und Anderen gleichen, liess sich nie etwas wahrneh- men, was sich als Zellenkern oder auf eine Zelle überhaupt Bezügliches hätte ansehen lassen. Die oberflächlichen Muskelbündellagen stehen in ihrer Rich- tung quer auf die Längsachse des Thieres. Sie. ziehen von Rippe zu Rippe, in ziemlich regelmässigen Zwischenräumen sich besonders gern an die Querleisten setzend, welche die Wurzeln der Wimperhaare bilden. Wie sie hier die Rippen unter ein- ander in Verbindung, setzen, so verbinden sie alle Organe, welche das Thier besitzt, unter einander, stets als einzelne stabförmige, zuweilen auch einen Ast abzweigende Fäden auf- tretend. Am Magen, wo sie deutliche gesonderte Gruppen bil- den, kommen;sie immer in netzförmiger Anordnung vor, ohne je secundäre Bündel durch Aneinanderlagerung zu erzeugen. 126 G. R. Wagener: Da an alle Gefäss-Wimperrippen, an die Ränder und Seiten des Magens, an die Flimmerrinnen, an die Otolithen- und Wim- perplatten sich überall einzelne Muskelbündel anheften, so bildet sich auf diese Weise ein Maschenwerk, welches mit der structur- losen Körpersubstanz ausgefüllt oder gewissermaassen ausgegos- sen ist. Ein Nervensystem habe ich nicht nachweisen können. Es befindet sich allerdings unter der Otolithenplatte eine flache körnige Substanzanhäufung, welche dicht derselben anliegt und nicht mit ihrer Begrenzung dieselbe überschreitet. Dieser ent- spricht der Einschnitt, welcher die fussartige Ausbreitung des Trichtergefässes, was vom Magen gerade zur Otolithenplatte in die Höhe steigt, in zwei Gefässe spaltet. Die Fäden aber, welche von diesem Substanzhügel an den Gefässausschnitt gehen, sind alle ächte Muskelfasern, da gerade überdies diesem Theile des Thieres eine besonders energische Bewegung zuertheilt ist, indem das Thier die Otolithenplatte mehr wie die seitlichen Wimperfelder tief in den Körper einziehen kann. Vergleicht man schliesslich die Anatomie der Cydippe pileus mit der C. rhododactyla Agass., so ergiebt sich als Unterschied -ın den Eigenschaften der Cydippe pileus 1) die weiter von den beiden Polen abstehenden Spitzen der Wimperrippen, 2) die relativ bedeutend geringere Breite derselben, 3) die kaum in der Mitte des Thieres liegende Gefässthei- lung und die damit im Zusammenhange stehende Länge des Magens, während der letztere bei C'ydippe rhododactyla sich der Ötolithenplatte um ein Beträchtliches nähert, 4) die bedeutend geringere Entwickelung der Tentakel und deren Senkfäden. Die Beroe, welche bei Helgoland vorkommt, bestimmte J. Müller vor längerer Zeit als Beroe ovatus. | Das Thier hat die Gestalt einer länglichen Glocke. Die Querschnittsfläche ist meist oval, seltener kreisföormig. Das Körperparenchym besteht, wie bei C. pileus, ebenfalls aus einem zellenlosen Schleimgewebe, was indess nicht so durchsichtig ist, Ueber Beroe (ovatus?) und Cydippe pileus von Helgoland. 127 wie bei dieser. Die Contractionen des Thieres sind bei Weitem energischer und auf die augenbliekliche Gestalt des Thieres von wesentlicherem Einflusse. Die acht Wimperrippen gleichen in ihrer Structur ganz denen der Cydippe püeus, nur sind sie schmäler, eine Eigen- schaft, welche auch sich bei den Querleisten findet, die von den Wimpern gebildet werden. Ausserdem erschienen bei frischen ruhig dahin schwimmenden Exemplaren die Zwischenräume zwischen den Schwimmplatten grösser und kamen stets drei derselben der Länge einer Cilie gleich. Die Wimperrippen- enden stehen wohl ein Viertel der ganzen Thierlänge weit von der Mundöffnung ab, dem Ötolithen aber sind sie mehr ge- nähert, als es bei C'ydippe der Fall ist. Wie bei Cydippe, so fand sich auch bei Beroe ein dunkel- gelbliches oder auch bräunliches körniges Epithel, welches ent- weder bei ganz kleinen Thieren die ganze Oberfläche desselben einnahm, oder wie bei grösseren nur noch am Otolithenpole das Thier bedeckte, von dort aber lange, dicht an den Rippen sich haltende, immer schmäler werdende Ausläufer herabschickte. Der Otolithenpol hat auf seiner Oberfläche drei Wim- perfelder, deren mittelstes für den Otolithen bestimmt ist. Sie sind kleiner wie bei Cydippe, aber durch den zu einer Art von Tentakeln umgeformten Wimperrand oder Wimperwall der beiden Seitenfelder wesentlich von denen der Cydippe unter- schieden. Bei ‚kleinen Exemplaren zählt man jederseits acht Ten- takel, welche alle an ihrer Spitze längere Cilien tragen. Die beiden mittleren sind mit ihren Spitzen gegen einander gerichtet, so dass der Otolith gewissermaassen von ihnen eingezäumt ist. Die beiden äussersten, ebenso hakenförmig, sehen mit ihren Spitzen nach aus- und abwärts. Die mittleren, jederseits vier und bedeutend kürzer, vermitteln die beiden extremen Rich- tungen der grösseren. Bei entwickelteren Exemplaren war die Zahl dieser kleinen Anhängsel beider Wimperplatten bis auf sechszehn,, ja bis auf zwanzig gestiegen. Einige derselben waren zwei- oder dreilappig; die, welche am Ende des grössten Querdurchmessers jeder einzelnen Wimperplatte standen, waren stets von dieser Gestalt. 128 G. R. Wagener: Beim Schwimmen hebt die Beroe die Tentakel in die Höhe, so dass sie wie doppelt gekrönt erscheint. Zuweilen legt sie sie auch ganz an den Körper an, so dass die seitlichen Wim- perfelder wie ausgebreitete Blumenkronen aussehen, wozu die gewöhnlich starke rothe Pigmentirung der Tentakeln das ihrige beiträgt. | Die Otolithenplatte zeigt dieselben Verhältnisse, wie bei C. püleus. Sie ist kleiner, ebenso der Körnerhaufen der Ötolithen. Auch letzterer befindet sich unter einer Glocke von starken unbeweglichen Haaren, welche schon durch gelinde _ Misshandlungen die regelmässige Anordnung aufgeben und dann zu einem Cilienbusche werden, der den Ötolithen beherbergt. Letzterer ruht ebenfalls auf jenen von Hensen beschriebenen Wimperfedern, welche ganz wie bei Cydippe auf der stark flimmernden Oberfläche der Otolithenplatte entspringen. Diese bot eine Eigenthümlichkeit dar, die mir bei Cydippe aufzufin- den nicht vergönnt war. Es lagen nämlich in ihrem wulstigen Rande sowohl wie in dem Boden, über welchen der Otolith schwebte, unter dem Wimperepithel stets einzelne Körner, denen, aus welchen der Otolith zusammengesetzt war, durch- aus gleichend. Eins oder das andere von ihnen hatte nicht in seinen Contouren jenes dunkele Aussehen, was sonst diese Ge- bilde so auffällig macht, sondern erschien blass, als wäre die Kalkablagerung noch nicht ganz beendet. Da die acht Wim- perrippen dem Trichterpole bedeutend näher mit ihren Enden liegen, so sind auch die zu denselben gehenden Wimperrin- nen kürzer, diese verhalten sich ganz so wie bei Cydippe. Die Gefässe entspringen am Magengrunde, der durchbohrt ist. Da letzterer weit in das Thier hinaufreicht,, so ist auch das zur Ötolithenplatte gehende Gefäss kurz und theilt sich bald in die beiden kurzen Aeste, welche unter den beiden Seitenfeldern des Otolithen enden. Von seiner Wurzel gehen nach unten, die Mittellinie der platten Seite des Magens inne- haltend, die beiden Längsgefässe desselben herab, in den Lip- pen blind endigend. — Die beiden kurzen horizontalen Stämme des Gefässsystems theilen sich sofort jederseits in vier, welche unter den kippen hin. verlaufen, und nach dem Otolithenpol Ueber Beroe (ovatus?) und Cydippe pileus von Helgoland. 129 hin mit ihnen enden. Sie überschreiten dagegen die dem Munde zugekehrte Spitze, steigen bis in die Lippe hinab, wo sie mit einem Quergefässe unter einander verbunden werden. Dies geschieht in der Weise, dass nur die vier Gefässe jeder - Thierhälfte, welche durch eine den Längsdurchmesser der Wim- perfelder und den grössten Breitendurchmesser des Magens tref- fende Ebene gebildet werden, mit einander communiciren. Es ist also der Lippengefässsinus nicht ein einziges Gefässrohr, sondern beiderseitig ein Halbring, der in den Mundecken sich abschliesst von dem der anderen Seite. Die Innenwand der Gefässe, welche keine weiteren Ver- zweigungen und Blindsäcke als die eben geschilderten besitzen, ist mit langen, weit von einander stehenden Cilien ausgekleidet. Das Gefässrohr selbst ist indess gegen das Parenchym des Thieres nicht vollständig abgeschlossen. Es, finden sich näm- lich in anscheinend nicht regelmässigen Abständen am Umfange des ganzen Gefässrohrs kleine Oeffnungen, welche mit rosetten- artig geordneten durchsichtigen Kügelchen umsäumt sind, die Zellen ähneln und deren jede eine Cilie trägt. Diese Rosetten sind schon von Kölliker gesehen bei Bolina und Idyia (s. Kurzer Bericht, Würzburger Zeitschr. 1864, $. 8) und richtig beschrieben worden. Ihre Wimpern stehen nach innen und aussen und bewegen sich auf beiden Seiten lebhaft. Kölliker vermuthet, dass sie mit den Schläuchen zusammenhängen, in welchen die Zeugungsstoffe gebildet werden und vielleicht zur Ableitung derselben dienen. Die von mir untersuchten Exem- plare waren sämmtlich nicht geschlechtsreif. Ferner fand ich diese Flimmerrosetten an allen Gefässen mehr oder minder zahlreich, und dabei kamen sie an jeder Seite des Gefässes vor, so dass man eher daran denken muss, die raschen Volum- | veränderungen, welche bei der Beroe statthaben, durch diese Einrichtung sich ermöglichen zu lassen. Dr. Möbius sowohl wie ich haben uns bemüht, dieselben Rosetten oder eine ähn- liche Einrichtung bei Cydippe zu finden; es ist aber nicht möglich gewesen und mir das Vorkommen derselben bei die- ser Ütenophore nicht wahrscheinlich, da die Gestalt der Oy- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 9 130 G. R. Wagener: dippe gegen die von Beroe so gut wie ganz unveränderlich er- scheint. — Auch bei Beroe beobachtete ich jenes Austreten des Gefässinhaltes an der Seite der Otolithenplatten in derselben Weise, wie bei Cydippe aus dem Trichter. Der Magen reicht weit über die Mitte der Thiereslänge hinaus. Er ist platt, dunkelbräunlich gefärbt, an seinem Grunde mit einer Spalte versehen, welche mir achtzipflig erschien. Der grösste Querdurchmesser liegt mit dem Längsdurchmesser der Otolithenplatte und deren Seitenfelder in einer Ebene. Ein äusserer feiner structurloser Ueberzug des Magens schien die Muskelfasern zu führen, deren Anordnung schon bei Cydippe im Allgemeinen angegeben werden konnte. — Die Innenfläche des Magens zeigte ein stark ausgebildetes Wimperkleid ; gleich hinter den beweglichen Lippen, welche lange und starke Wim- pern trugen, zwischen welchen ab und zu elliptische Körper, wie die Nesselorgane bei den Nemertinen, zu sehen waren, be- gannen die schon von Will bei anderen Beroiden beschriebenen säbelförmigen Flimmern, deren jede aus einer Menge mit ein- ander verklebter feinerer Wimpern zu bestehen schien. Die Spitze einer Cilie sah aus, als wäre sie das, was der Ausdruck abgenutzt bezeichnet, so dass man veranlasst wird, ihnen jene Löcher zuzuschreiben, die beim Loslassen einer Beroe von einer zum Verschlingen zu grossen C'ydippe auf letzterer sichtbar wer- den. — Die säbelförmigen Cilien hören ungefähr in der Mitte des Magens auf, und kleinere sind statt ihrer vorhanden, welche sich bis zum Magengrunde fortsetzen, dort in der achtzipfligen Spalte aber wieder länger werden und sich über den Umschlag der Magenwandung in die Gefässe hinein begeben. Dicht über dem Lippenrande findet sich eine ringförmige Furche mitten unter den starken Wimpern, welche mit weit feineren Cilien ausge- kleidet ist. Von ihr erhebt sich senkrecht eine zweite, welche auf beiden Seiten des Magens unter dem Gefässe desselben in die Höhe steigt und die mittleren Zipfel der Magengrundspalte bildet. Sie entspricht dem Leberstreifen in ihrer Lage bei Cy- dippe. In welcher Weise diese Furche beim Fressen des Thie- res sich betheiligt, ist leicht zu verstehen. Sie ist. ein beim Ueber Beroe (ovatus?) und Cydıppe pileus von Helgoland. 131 Ansaugen dauernd offenes Rohr, was die von den grossen Wim- pern losgerissenen Theile in den Magengrund und in die Ge- fässe führt. Beroe zeichnet sich durch einen weit grösseren Pigment- reichthum vor CÖydippe aus. Im Anfange ist dasselbe bei beiden Species rosenroth und ohne Kern. Später wird es violett bis zum tiefsten Dunkelbraun und Schwarz. In diesem Falle ist es körnig. Es fand sich bei Beroe besonders in den Wim- perplatten am Otolithenpole und längs der Wimperrippen und der Umgebung des Mundes. Bei Oydippe pileus war es auch beim Munde und besonders an den Tentakeln zu bemerken. Erklärung der Abbildungen. a a a Ötolithenfeld, d die beiden wimpernden Seitenfelder, ce Trich- tergefäss, d gemeinsamer Stamm der Wimperrippengefässe, e das Magengefäss, f Muskelfasern, g der Magen, A die acht Wimperrippen, i die Tentakeln, % der Mund, / Zellen, m Pigment. Fig. 1. Cydippe (pleurobrachia) pileus in natürlicher Grösse. Fig. 2. Dieselbe vergrössert. Fig. 3. Dieselbe vom Otolithenpol her gesehen, mit zurückgezo- genen Tentakeln. Fig. 4 Die Flimmerfelder des Otolithenpols mit den Wimper- rinnen, schwach vergrössert. c« Otolithenfeld, a* Otolith, a® die federnden vier Ötolithenwimperbüschel von oben rel, b die wimpernden Seitenfelder, 5' ihr verengerter Anschluss an das Oto- lithenfeld, 52 der dichter mit Wimpern besetzte Rand, c! und c? die beiden Enden der kurzen unter die Wimperfelder tretenden Zweige des Trichtergefässes. Fig. 5. Der Otolith von det Seite gesehen. «a Ötolithenfeld oder platte, a! der Otolith, a? die Cilienglocke, unter welcher er liegt, a® zwei der in der Linie der Wimperrinnen liegenden federnden Ci- lienbüschel von der Kante gesehen, welche den Otolithen tragen, a* die stärkeren Cilien an ihrem Fusse, 5’ die, verengerte Stelle der Seitenfelder, wodurch ihre Oberfläche mit der der Otolithenplatte in Zusammenhang steht, 5? der verdickte Rand derselben und der der 9* 132 G. R. Wagener: Otolithenplatte, 5° die vier Wimperrinnen der einen Seite, c! der Ausschnitt des Trichtergefässes, / die Muskelfasern, welche die Ge- fässwandung mit der körnigen Masse, die sich unter dem Otolithen befindet, in Verbindung setzen, f! Quermuskelfasern, welche die Wim- perrinnen mit einander verbinden. Fig. 6. Das Otolithenfeld von oben gesehen. a! der Otolith, a? die Cilienglocke, unter welcher er sich befindet, a? die federnden, otolithentragenden Cilienbüschel als Dreiecke von oben sichtbar, 53 die acht Wimperrinnen, deren Wimperung sich bis an und sogar bis hinter die federnden Ötolithencilien verfolgen lässt; die Rinnen durchschneiden den Rand der Otolithenplatte, c! und c? die beiden kurzen, unter den Seitenfeldern endigenden Aeste des Trichtergefässes. Fig. 7. Längsschnitt des oberen Magentheiles in der Linie des sog. Leberstreifens, um die hängenden Verlängerungen der Schleim- haut mit verdickten Rändern zu zeigen. Schwache Vergrösserung. e Magengefäss, g! Theile des Loches im Magen, g? Umschlag der Ma- genschleimhaut nach aussen, g® die längeren Cilien bei g!, g* die Verlängerungen der Schleimhaut, die Falten des Epithels sein können, g° die verdickten feinen Ränder der quergelagerten, nach dem Munde zu gerichteten Lappen. Fig. 8. Beroe ovatus von der Seite gesehen. Natürliche Grösse. Fig. 9. Dieselbe 13 Mal vergrössert, mit aufgerichteten Wimper- feldtentakeln , welche nicht hohl sind, wohl aber ihre Ränder nach unten zusammenbiegen können, wodurch der Schein des Hohlseins entsteht. Sie sind nur Lappen des Randes. & der Mund halbgeöffnet. Die anderen Buchstaben wie oben. Fig. 10. Beroe vom. Otolithenpol aus gesehen. Fig. 11. Der abgerissene Mund, anhaftend am Glase, um die beiden Gefässhalbkreise in den Lippen zu zeigen. e das Magengefäss, g! die Lippenränder, 9? die Wimperrinne auf der inneren Magenfläche, h! die acht Wimperrippengefässe, A? der Lippensinus, in welchen je vier Gefässe einer Seite einfallen. i Fig. 12. Eine Wimperplatte von Beroe, von der Seite gesehen. ! die Zellen, unter welchen eine radiale Streifung sichtbar, die zu den Wurzeln der ungleich langen Wimpern führt, m Pigmentfleck. Fig. 13. Innere Oberfläche der Lippe, etwas gequetscht, um die Wimperrinne mit dem senkrechten Zweige derselben nach dem Ma- gengrunde zu zu zeigen. Fig. 14. Einzelne säbelförmige Wimpern mit den daran haftenden zelligen Körpern zu zeigen. Fig. 15. Die Otolithenplatte von oben mit den beiden seitlichen Wimperfeldern von einer grossen Beroe. | Fig. 16. Der Otolith mit etwas zerstörter Cilienglocke, von der Ueber Beroe (ovatus?) und Cydippe pileus von Helgoland. 133 Seite gesehen; von einem kleineren Thiere mit nur jederseits acht Tentakeln des Wimperfeldrandes. Fig. 17. Einzelne Wimpern mit den zellenartigen Kugeln. Fig. 18. Einzelne Körner des Otolithen. Fig. 19. Das Ende der Wimperrinne an der Wimperrippe f an die Wimperrippe sich ansetzende Muskelfasern. Fig. 20. Stück eines Rippengefässes beim Munde, um die Anord- nung der Wimperrosetten zu zeigen, stark vergrössert. f an das Ge- fäss sich setzende Muskelfasern. Fig. 21. Ein Muskelfasernetz auf der platten Seite des Magens, stark vergrössert, 200 Mal ungefähr. 134 . P. Guttmann: Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns und Rückenmarks für mechanische, chemische und elektrische Reize. Von Dr. PauL GUTTMmanN in Berlin. Im Jahre 1841 hatte van Deen durch Versuche an Fröschen im Gegensatze zu allen bis dahin gewonnenen Ansichten!) ge- 1) Die verschiedenen Ansichten über die Reizbarkeit des Rücken- marks, sowie über die Bedeutung der einzelnen Stränge für die Lei- tung der Empfindung und Bewegung sind in Longet’s Anatomie und Physiologie des Nervensystems (Uebersetzung von Hein) zusam- mengestell. Wir begegnen darin oft diametral entgegengesetzten Ansichten; bald sind nur die Hinterstränge reizbar, die vorderen nicht, und umgekehrt, bald sind beide Stränge empfindlich, bald ganz unempfindlich und nur die graue Substanz soll die Empfindung leiten; Ja selbst ausgezeichnete Beobachter sind zu verschiedenen Zeiten mit sich selbst im Widerspruch; so giebt Magendie 1823 an, dass bei der Berührung der hinteren Stränge des Rückenmarks das Thier eine ausserordentliche Empfindlichkeit zeige, keine bei Reizung der Vor- derstränge, während er 1839 in seinen Lecons sur les fonctions et les maladies du systeme nerveux, T. II., p. 153, den vorderen Strängen eine hohe Empfindlichkeit und den hinteren einen unmittelbaren Ein- fluss auf die Bewegung zuschreibt. Diese Widersprüche in den Beob- achtungen der verschiedenen Forscher glaubt endlich Longet gelöst zu haben; die Reizung der Hinterstränge erregt nach ihm die heftig- sten Schmerzen, die der Vorderstränge ist schmerzlos.. Den Grund der früheren verschiedenen Beobachtungen findet er darin, dass nach der Eröffnung des Wirbelkanals in der Lendengegend die Innervation des Thieres so herabsinkt, dass die Empfindlichkeit in diesem Theile fast unmerklich wird; wenn dann nun noch, um einen der Rücken- Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns u. Rückenmarks u. s. w. 135 zeigt, dass das Rückenmark an und für sich für mechanische Reize unempfindlich sei, dass selbst seine Durchschneidung dem Thiere nicht die geringsten Schmerzen verursacht; dass eine me- chanische Reizung des Rückenmarks, wenn sie mit Vorsicht und ohne Erschütterung desselben geübt wird, sich auch nicht auf die Bewegungsnerven fortpflanzt, dass also selbst nach. Durch- schneidung des Rückenmarks auch nicht die geringste Bewe- gung wahrzunehmen ist, wie sie doch sofort nach Durchschnei- dung der aus dem Rückenmarke tretenden Nerven erfolgt. Wurde beispielsweise das Rückenmäark einige Millimeter unter dem Ursprunge der Nerven für die vorderen Extremitäten durchschnitten , so entstand keine Bewegung in den hinteren Extremitäten, trotzdem die motorischen Nerven mit dem Rük- kenmarke und den peripheren Theilen in normaler Verbindung geblieben waren, trotzdem sie auch von ihrer Energie Nichts eingebüsst hatten, indem auf Reiz der hinteren Extremitäten sofort Reflexbewegungen in ihnen eintraten; wurde ferner das - untere Ende des durchschnittenen, aber mit dem Gehirn noch im Zusammenhange stehenden Rückenmarks hinreichend ent- fernt von dem Ursprunge der für die vorderen Extremitäten bestimmten Nerven durchschnitten, so verrieth das Thier keine Spur eines Schmerzgefühls. Gegen die Richtigkeit dieser Versuche wurden, ohne dass man sie wiederholte, von verschiedenen Seiten bedenkliche Zweifel erhoben, bis Schiff bei seinen Beobachtungen an Ka- ninchen öfters zu demselben Resultate wie van Deen kam. „Am Dorsal- und Lendenmark“*, sagt dieser Forscher (Physio- marksstränge zu durchschneiden, die harte Haut geöffnet wird und die Rückenmarksflüssigkeit abfliesst, so sinkt das Empfindungsvermö- gen fast auf Null, und es fehlt somit jeder Anhalt für die Beurthei- lung, welche Bedeutung die einzelnen Stränge für-die Empfindlichkeit haben. Longet hat daher ohne die Eröffnung der Dura mater die einzelnen Stränge, oder nach Eröffnung der Dura mater das Rücken- mark in der Höhe des letzten Brustwirbels durchschnitten und oberes und unteres Ende elektrisch gereizt (Siehe das Nähere $S. 227—237.). Aber auch diese Resultate weichen von den Beobachtungen van Deen's ab, der nicht blos einen The, sondern die ganze Rücken- markssubstanz unempfindlich gefunden hat, 136 P. Guttmann: logie des Nervensystems, 1859, S. 238), „treten die Nervenwur- zeln so schief ein und stehen so nahe zusammen, dass man überall, wo man hier die Hinterstränge reizt, Schmerz erregt, aber am unteren Theil des Halsmarks treten die Nervenwurzeln weit von einander und fast rechtwinklig ein. Hier gelingt es nun oft, die Hinterstränge am lebenden wachenden Kaninchen zwischen zwei Nervenwurzeln quer zu durchschneiden, ohne irgend Zeichen von Schmerz zu erregen.“ Die Empfindlichkeit der Hinterstränge, heisst es dann weiter, nachdem die gleichen Beobachtungen van Deen’s erwähnt sind, schien mir immer weniger ausgesprochen , als die der hinteren Nervenwurzeln; auch Brown-Sequard giebt zu, es sei möglich, dass die eigene Substanz der Hinterstränge ganz unempfindlich sei. — Diese Beobachtungen von Schiff weichen also von den van Deen’schen nur in so weit ab, als nach den letzteren die Un- empfindlichkeit nicht blos für die Hinterstränge, sondern für das ganze Rückenmark in Anspruch genommen wird. van Deen hat nun diese Versuche wiederholt und auch für chemische und elektrische Reize dieselbe Unempfindlichkeit des Rückenmarks nachgewiesen.!) Dieselben Resultate wurden auch bei den Versuchen an Kaninchen gewonnen, wiewohl die Säugethiere für diese Experimente viel weniger geeignet als Frösche sind. Aus diesen Experimenten hat van Deen nachfolgende, hier wörtlich wiedergegebene Schlüsse gezogen: 1) dass die hinteren Nervenwurzeln ihr Gefühl nicht erhal- ‘ten können aus ihrer Verbindung mit der hinteren grauen Rückenmarkssubstanz ; 2) dass die hinteren Stränge nicht empfindlich sind; 3) dass man von keinem Theile des Rückenmarks sagen kann, er sei- empfindlich, oder mit anderen Worten, dass kein mechanischer, örtlicher Reiz, dem Rückenmarke mit- getheilt, direct Gefühl oder Schmerz verursachen kann; 1) Moleschott, Untersuchungen zur Naturlehre der Menschen und Thiere, 6. u. 7. Band, 1860. Daselbst findet sich auch das Ver- zeichniss der früheren Mittheilungen über denselben Gegenstand. Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns u. Rückenmarks u. s. w. 137 4) dass kein mechanischer Reiz, dem Rückenmarke zugefügt, unmittelbar auf die Bewegungsnerven wirken kann, wenn dieser Reiz sich nicht auf die Bewegungsnerven erstreckt; 5) dass das Rückenmark nur ein Leiter für organische, nicht für mechanische Reize ist; 6) dass die Bewegungs- und Empfindungsnerven in dem Rückenmarke endigen, und nicht — wie man damals glaubte — durch das Rückenmark hindurch bis zum Ge- . hirn laufen. Alles, was von der Gefühllosigkeit des Rückenmarks auf die verschiedenen Reize ausgesprochen ist, gilt auch von den mei- sten Theilen des Gehirns, wovon am Schlusse dieses Aufsatzes gehandelt werden soll. Die Versuche von van Deen hat bis jetzt Niemand an Fröschen wiederholt; auf Anregung des Herrn Prof. du Bois- Reymond, dem ich dafür hiermit meinen innigen Dank aus- spreche, habe ich die Prüfung dieser Versuche im hiesigen physiologischen Laboratorium unternommen und kann, was ich gleich von vornherein bemerken will, alle von van Deen ge- machten Angaben bestätigen. Auch Herr Dr. Rosenthal, dem ich mehrere meiner Versuche zeigte, hat sich von der Unem- pfindlichkeit des Rückenmarks und Gehirns auf die verschie- denen Reize überzeugt. A. Versuche am Rückenmark. 1) Mechanische Reizversuche., Wird das blosgelegte Rückenmark'!) mit einer feinen Nadel von seinem Anfange bis zu seinem Ende gereizt, so erhält man 1) Was die Cautelen bei der Eröffnung des Wirbelkanals betrifft, so hat schon van Deen daran erinnert, dass jede Verletzung oder Druck des Markes sorgfältig vermieden werden müsse, namentlich an den Stellen, wo die Nerven für die hinteren Extremitäten entsprin- gen, da ein Druck an diesen Stellen sofort ihre Lähmung zur Folge hat. Uebrigens soll diese Lähmung, wenn nur ein Druck und keine Verletzung des Markes stattgehabt hat, wieder schwinden. Die ge- wöhnliche Erschütterung des Rückenmarks, wie sie unzweifelhaft durch 138 P. Guttmann: nur an denjenigen Stellen Schmerzäusserungen und Muskel- zuckungen, wo man in die Nähe der für die einzelnen Körper- theile abgehenden Nervenstämme gelangt; über eine nur sehr minimale Entfernung von dem Nervenursprunge hinaus tritt nirgends auch nur die Spur einer Bewegung ein. Am günstigsten für diese Versuche ist die Stelle zwischen dem Aus- trıtt der Nerven für die Bauchmuskeln und die hinteren Extre- mitäten, weil die Entfernung zwischen diesen Nervenstämmen, also auch die für die Reizung indifferente Stelle des Rücken- marks hier am grössten ist. Wie aber schon bemerkt, lässt sich die Unempfindlichkeit des Rückenmarks ebenso zwischen Brachial- und Bauchmuskelnerven zeigen. Ganz in der Nähe der Nervenursprünge und am allerintensivsten am Ursprunge selbst treten auf mechanische Reizung sofort Reflexbewegungen in den entsprechenden Muskelgebieten ein und ausserdem die bereits angegebenen Schmerzäusserungen. Eben so unempfindlich zeigt sich das Rückenmark bei der Durchschneidung, sobald sie mit der Vorsicht geübt wird, dass keine Erschütterung dabei eintritt, welche sich auf die Nervenursprünge fortpflanzt. Ich schob unter das Mark zuerst einen feinen Draht, um es so aus seinem Kanale etwas heraus- zuheben, und durchschnitt es dann mit einer feinen Scheere am das Aufbrechen der Wirbelbogen hervorgerufen wird, hat auf die In- nervation keinen nachtheiligen Einfluss. — Hat man den Wirbelkanal von hinten her blosgelegt, so überzeuge man sich, ob auf die ge- wöhnlichen sensibeln Reize an der Zehenhaut die Reflexbewegungen eintreten; ist dies der Fall, so ist die normale Verbindung der Nerven mit dem Rückenmarke erhalten. — Man daıf die Reizversuche an dem blosgelegten Rückenmarke nicht sogleich beginnen, da das Thier durch diese eingreifende Operation, selbst wenn der Blutverlust nicht bedeu- tend war, so erschöpft ist, dass es auf sensible Reize nur äusserst schwach und langsam reagirt, Lässt man ihm aber einige Zeit zur Erholung , so reagirt es wieder ziemlich normal und beantwortet Schmerzeindrücke durch die eigenthümlichen, jedem Experimentator bekannten Bewegungen am Kopf, Zudrücken der Augen, Unterbrechen der Respiration. — Das blosgelegte Rückenmark muss selbstverständ- lich während der dem Thiere zur Erholung gegönnten Zeit wor Ver- dunstung geschützt werden, am besten durch Bedeckung mit der eigenen Rückenhaut. Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns u. Rückenmarks u. s. w. 139 unteren Ende zwischen dem Austritt der Lumbar- und ischia- dischen Nerven. Es zeigte sich bei der Durchschneidung nicht die geringste Reflexbewegung in den Extremitäten. 2) Chemische Reiz versuche. Man betupfe das Rückenmark vermittelst eines feinen Glas- stäbchens mit Schwefelsäure — das Thier wird nicht im ge- ringsten, weder durch Schmerzäusserungen noch durch Reflex- bewegungen, darauf reagiren, während sofort Reflexbewegungen in den Extremitäten eintreten, sowie man einen Tropfen dieser Säure auf die Zehenhaut bringt. — Man kann den Versuch noch viel einfacher machen, indem man den Frosch unterhalb der Medulla oblongata decapitirt. Ein solches Thier beantwortet jeden Gefühlsreiz noch durch viel energischere Reflexbewegun- gen, als ein durch die eingreifende Operation der Eröffnung des Wirbelkanals in der Innervation geschwächtes. Bringt man nun vermittelst eines sehr feinen Glasstäbchens auf das in dem durchschnittenen Wirbelkanal blosliegende Rückenmark einen Tropfen Essig- oder Schwefelsäure, so zeigt das Thier keine Spur einer Reflexbewegung, während eine leise Berührung der Haut hinreicht, um die allerheftigsten Bewegungen hervorzu- rufen. Ich habe auch noch folgenden von van Deen angestell- ‘ten Versuch wiederholt. Der Frosch wird unterhalb der Me- dulla oblongata decapitirt, dann werden alle Körpertheile bis an die “Wirbelsäule weggeschnitten, also auch alle aus den Fo- ramina intervertebralia heraustretenden Nerven mit Ausnahme der für die hinteren Extremitäten bestimmten Nervi ischiadici; es bleibt also von dem Frosche nur übrig: die Wirbelsäule mit dem darinliegenden Rückenmarke, die hinteren Extremitäten und ihre mit dem Rückenmarke in Verbindung gebliebenen Nerven. Taucht man nun den Vordertheil der Wirbelsäule in eine 10°), Chlornatriumlösung, so tritt keine Bewegung in den hinte- ren Extremitäten ein, während bekanntlich beim Eintauchen des Ischiadieus in eine solche Lösung sofort Muskelzuckungen erfolgen. Dass die chemische Reizung des Rückenmarks auch „ keinen Schmerz erregt, habe ich schon oben gezeigt; noch ein- facher aber lässt sich dies ohne die eingreifende Operation der 140 P. Guttmann: Rückenmarksbloslegung darthun. Ich durchschnitt das Rücken- mark vor dem Abgange der ischiadischen Nerven und betupfte dann das obere Schnittende mit Schwefelsäure, — das Thier blieb vollständig ruhig und schloss auch die Nickhaut nicht, ein sonst so gewöhnliches Zeichen des Schmerzgefühls. Endlich habe ich noch (Versuch von van Deen) den Frosch decapitirt, die Wirbelsäule durchschnitten,, die hinteren Extremitäten so- wie alle anderen Körpertheile mit Ausnahme der Vorderpfoten bis zur Wirbelsäule entfernt und dann den unteren Theil der Wirbelsäule in Schwefelsäure getaucht — es erfolgte dann keine Reflexbewegung in den vorderen Extremitäten. 3) Elektrische Reizversuche. Ich wendete zu diesen Versuchen den inducirten Strom an (du Bois-Reymond’s Schlittenmagnetelektromotor) und be- diente mich zur Reizung sehr feiner Elektroden von '!/;, Mm. Durchmesser. Um bei der Feinheit des zu reizenden Präpa- rates auch sicher zu sein, dass man die Stellen mit beiden Elektroden berührt, ist es zweckmässig, die Elektroden durch zwei zuvor in Kork gebohrte Oeffnungen zu stecken, welche natürlich bei dem geringen Durchmesser des Rückenmarks sehr nahe an einander und parallel liegen müssen. Man braucht dann bei jeder Reizung nur den Kork zu fassen und vermeidet jede gröbere Berührung. Man muss ferner die Reizversuche nur mit ganz schwachen Strömen machen, weil bei jedern nur irgend stärkeren Strome durch die im Rückenmarkskanal befind- liche Flüssigkeit eine Nebenleitung zu dem Ursprunge entfern- terer sensibler Nerven stattfindet, welche, von dem Reiz ge- troffen, reflectorische Bewegungen auslösen. van Deen!) hat diese Versuche, um jede Nebenleitung durch sensible Nerven oder durch Flüssigkeit zu verhindern, in der Art gemacht, dass er den ganzen Wirbelkanal und die Schädelhöhle bloslegte, alle sensibeln und motorischen Nervenwurzeln mit Ausnahme der für die Hinterfüsse bestimmten} durchschnitt, dann das ganze Oentralnervensystem heraushob, indem er noch etwaige Verbin- 1)Mole scho tt’s Untersuch. z. Naturlehre, 7. Bd., 1860, S. 383 —384. Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns u. Rückenmarks u. s. w. 141 dungen des Markes mit Membranen löste, und alle Körpertheile mit Ausnahme der Hinterfüsse abschnitt. Es blieb somit ein Präparat, welches nur bestand aus dem Öentralnervensystem und den hinteren Extremitäten mit den in normaler Verbindung mit dem Rückenmarke gebliebenen Nervi ischiadici. Die Reiz- versuche an dem so präparirten Rückenmarke ergaben nirgends Reflexbewegungen, während dieselben so erfolgten, sobald die Zehenhaut gereizt wurde. — Es bedarf aber gar nicht dieses mühsamen Versuches, um zu zeigen, dass nur dann eine Zuckung erfolgt, wenn man in die Nähe des Ursprungs der ischiadischen Nerven kommt. Ich habe einfach das Rückenmark blosgelegt, die Nerven für die vorderen Extremitäten und die Bauchmus- keln beiderseits durchschnitten, hatte also dasselbe Präparat, nur mit dem Unterschiede, dass es in seiner Höhle lag. Reizt man nun das Rückenmark von oben herab, Stelle für Stelle, so bleibt das Thier vollständig unempfindlich und zeigt keine Mus- kelbewegung in den hinteren Extremitäten; erst wenn das Rük- kenmark ganz in der Nähe der Nervi ischiadici gereizt wird, treten die Reflexbewegungen ein, welche am allerheftigsten wer- den, sobald die Nervenwurzeln selbst gereizt werden. Für alle anderen Körpertheile lässt sich dasselbe zeigen, wenn man das Rückenmark ohne vorherige Durchschneidung der Nerven reizt. Man erhält auf diese Weise, sobald Stelle für Stelle gereizt wird, Maxima, Minima der Muskelzuckungen und absolute Un- empfindlichkeit. Die Maxima fallen auf die Stelle, wo die Ner- ven entspringen, die Minima auf einige Mm. Entfernung vom Ursprunge, und die absolute Unempfindlichkeit über diese Ent- fernung hinaus; zwischen zwei Nervenwurzeln hat man stets dieselbe Erscheinung, am allerdeutlichsten aber zwischen den Nervenwurzeln für die Bauchmuskeln und die hinteren Extre- mitäten, weil, wie schon oben erwähnt, hier die für die Reizung indifferente Stelle des Rückenmarks die grösste Ausdehnung hat. Hier lassen sich auch die Maximal- und Minimalwirkungen der Reizung, sowie die vollkommene Gefühllosigkeit am besten zei- gen. Während schon die allerschwächsten Ströme (400 Mm. Rollenentfernung), auf die sensibeln Wurzeln des Ischiadicus angewandt, heftige Muskelzuckungen hervorrufen, bedarf es 142 P. Guttmann: schon stärkerer (350—300 Mm.), um nahe an der Stelle, wo diese Wurzeln eintreten, denselben Effect zu erzeugen. Ueber diese Stelle hinaus werden bei derselben Stromstärke die Be- wegungen schon schwach, und noch einige Mm. davon entfernt, tritt keine Spur einer Bewegung mehr ein. Stärkere Ströme kann man aus den bereits angegebenen Gründen nicht anwenden. Durch diese Versuche wird also bewiesen, dass das Rücken- mark auch nicht die Fähigkeit besitzt, elektrische Reize auf die Nerven zu übertragen, sobald dieselben nur einigermaassen von der gereizten Stelle entfernt sind. Dass das Thier auch keine Schmerzgefühle zu erkennen giebt, gilt von dem elektrischen Reize ebenso, wie von dem mechanischen und chemischen. 4) Strychnin-Versuche. Bringt man auf das blosgelegte Rückenmark einige Tropfen einer Strychninlösung (0,2 Grm. auf 100 Grm. Wasser), so treten nach einiger Zeit die bekannten Erscheinungen der erhöhten Re- flexthätigkeit auf, bei der leisesten Berührung der Haut und selbst nur einer Erschütterung in der Nähe des Thieres kommen sofort tetanische Zuckungen. Berührt man aber mit einer Nadel das Rückenmark oder schaltet man es in den indueirten elektrischen Strom ein, so bleibt das Thier vollständig ruhig; sofort aber erfolgt der Tetanus, sobald man mit den Elektroden an den Ur- sprung der Nervenwurzeln kommt. Furt Trotzdem also durch Strychnin das Rückenmark in hohem Grade empfindlich wird, so dass auf jeden Gefühlsreiz die re- flectirten Bewegungen tetanisch werden, ist es selbst in diesem Zustande unempfindlich für directe Reize, d. h. ist nicht im Stande, den Reiz auf entferntere Nerven zu übertragen. B. Versuche am Gehirn. Auch diese Versuche sind an Fröschen gemacht; die ange- wandten Reize sind mechanische und elektrische. Es wurde bei diesen Versuchen nur die Schädelhöhle blosgelegt, eine verhält- nissmässig gegen die Eröffnung des Wirbelkanals viel weniger eingreifende Operation, nach der das Thier sich rasch erholt Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns u. Rückenmarks u. s. w. 143 und jeden Schmerzeindruck bei der Reizung der einzelnen Theile ganz sicher beantwortet. . a) Die Lappen des grossen Gehirns. Sie sind vollständig unempfindlich, das Thier zeigt nicht den geringsten Schmerz und keine Muskelbewegung. Alle neue- ren Beobachter (Longet, Matteucci, E. Weber) haben mit wenigen Ausnahmen (Serres) auch bei Säugethieren das grosse Gehirn unempfindlich gefunden, man kann es mechanisch, che- misch und elektrisch reizen, ohne dadurch Zuckungen zu erregen. Damit stimmen auch die Beobachtungen an Menschen überein.!) b) Das kleine Gehirn ist ebenfalls vollständig unempfind- lich. Bei Säugethieren haben dieselbe Beobachtung Flourens, Bouilland, Magendie u. A. gemacht, gegen einige entgegen- stehende, nach welchen es sehr empfindlich sein soll. Der Grund der entgegenstehenden Beobachtungen liegt nach Longet darin, dass die angewandten mechanischen Reize zu tief gingen und die hintere Fläche des Markes und der Brücke verletzten. c) Die Lobi optici (congruent mit den Corpora quadrige- mina der Säugethiere) habe ich sehr empfindlich gefunden; je- desmal drückte das Thier die Augen zu, beugte den Kopf nach vorwärts. Dagegen habe ich nicht die Convulsionen beobachtet, welche E. Weber bei der elektrischen Reizung der Vierhügel am Frosche und Matteucci bei der Reizung der Vierhügel . und der Grosshirnschenkel am Kaninchen gesehen haben. In den Versuchen des letzteren Forschers waren die Zuckungen tetanische. Diesen Beobachtungen stehen andere Erfahrungen entgegen, nach welchen die Corpora quadrigemina bei oberfläch- licher Reizung gegen mechanische Reize nicht empfindlich sind, und die Thiere erst lebhaften Schmerz zeigen, wenn man in ihre Tiefe dringt. Zuckungen auf Reizung der Vierhügel er- wähnt auch Longet nicht. d) Die Medulla oblongata ist an der hinteren Fläche sehr empfindlich, ich habe bei der Reizung Muskelzusammen- 1) Longet erwähnt den Fall Dupuytren’s, der bei einem Men- schen ein Bistouri in die Masse der Hemisphäre senkte, um einen Eiterheerd zn entleeren, ohne dass der Kranke, welcher vollständig bei Bewusstsein geblieben war, irgend einen Schmerz fühlte. 144 E. Mecznikow: Zur Geschichte der Lehre u. s. w. ziehungen am oberen Theile des Körpers gesehen, der untere Theil blieb aber unbeweglich; .sie hat also ebenfalls nicht die Fähigkeit, den Reiz auf entferntere sensible Nerven zu über- tragen. Aus allen bisherigen Versuchen ergiebt sich also, dass weder das Rückenmark noch die Gehirnhemisphären für die verschie- denen -Reize empfindlich sind, dass, wo Bewegungen bei der Reizung zu Stande kommen, sensible Nerven in der Nähe der gereizten Stelle entspringen, welche diese Bewegungen reflecto- risch auslösen. Das Rückenmark leitet nur diejenigen Reize, welche vom Willen oder von den Gefühlsnerven auf dasselbe einwirken. Berlin, im October 1865. Zur Geschichte der Lehre von der Entwickelung der Nematoden. (Schreiben an Hrn. Prof. E. du Bois-Reymond.) Hochzuverehrender Herr Professor! Ich will Sie nicht belästigen mit der Bitte, in Ihr geschätztes Archiv eine Entgegnung auf die Erwiderung des Herrn Prof. Leu- ckart (im letzten Hefte dieses Archivs für das Jahr 1865) aufzuneh- men, indem es sich bei dieser Sache nur um Persönlichkeiten und nicht um rein wissenschaftliche Thatsachen handelt.* Ich glaube das gelehrte Publikum am wenigsten zu belästigen, wenn ich dieselbe in einer besonderen kleinen Broschüre erscheinen lasse, worin durch die einfache Darstellung des historischen Ganges der Verhältnisse jedem Unbefangenen klar der Antheil des Herrn Leuckart wie der meinige an der Lehre über die Entwickelung der Nematoden auseinanderge- setzt wird. Ich werde allerdings in dieser kleinen Schrift keine Ge- legenheit haben, von meiner früheren Behauptung Abstand zu nehmen. Doch möchte ich Sie zur Wahrung meiner Interessen ganz ergebenst ersuchen, dadurch, dass Sie diesen Brief in Ihrem Archive zum Ab- druck bringen, Ihre Leser im Voraus von der Aufrechterhaltung meiner Ansprüche in Kenntniss zu setzen. Empfangen Sie u. s. w. Göttingen, den 1. Februar 1866. Elias Mecznikow. G.R. Wagener: Ueber Redien und Sporocysten Filippi. 145 Ueber Redien und Sporocysten Filippi. Von G. R. WAGENER. — (Hierzu Taf. VI.) Es ist bekanntlich von de Filippi der Vorschlag gemacht worden, die mit Magen und Schlundkopf versehenen Ammen der Trematoden Redien und die einfach organisirten Schläuche, welche Cercarien erzeugen, Sporocysten zu nennen. Es ist ge- gen diese Benennung Nichts zu erinnern, wenn man diese Na- men eben nur als eine Bezeichnung dieser Verhältnisse ge- braucht. Sowie man aber weiter geht und diese Ausdrücke systematisch verbrauchen will, so begegnet man ernsten Schwie- rigkeiten, indem Redien und Sporocysten auch im Verlaufe der Entwickelung Einer Species vorkommen können, wie nachste- hender Fall beweist. In meinen „Beiträgen zur Entwickelungsgeschichte der Ein- geweidewürmer“ habe ich auf Taf. 30, Fig. 2 eine furcocerke Cercarie abgebildet, welche ich einmal in Planorbis marginatus vorfand.!) Es hat diese Cercarie eine gewisse Aehnlichkeit mit dem bekannten Bucephalus polymorphus in der Schwanz- bildung, nur mit dem Unterschiede, dass der aufgetriebene obere Schwanztheil bei letzterem in der Form eines Doppel- 1) Ich weiss nicht, in wie weit die dort abgebildete Cercarie mit der Ü. cystophora identisch oder verwandt ist. Ihre Entwickelung ge- schieht jedenfalls in derselben Weise. { Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 10 146 G. R. Wagener: sackes erscheint, während er bei der neuen Öercarie einfach ist. — Bei den anderen furcocerken Trematodenlarven ist die- ser Theil des Schwanzes wesentlich anders organisirt, indem das Excretionsorgan sich als ein einfacher Stamm durch den Schwanz fortsetzt und sich erst theilt, wo die Schwanzgabel anfängt. So fand ich es nicht allein bei der von Lavalette beschriebenen C. gracilis, sondern auch bei einer anderen grösseren, in ihren Sporocysten der C. gracilis sehr ähnlichen, deren einfacher Schwanztheil lang, dick und grob geringelt war. Ausserdem war der Kopfnapf der letzteren um das Doppelte grösser als der Bauchnapf, gerade umgekehrt wie bei der C. gracils. Die Redien der CO. cystophora, so werde ich die neue Tre- matodenlarve nennen, entstehen in Sporocysten, die lang genug sind, um mit blossem Auge gesehen zu werden. Ihre Form ist schlank spindelförmig. Am vorderen Ende befindet sich eine Vertiefung oder auch Oeffnung. Sie sind sehr lebhaft in _ ihren Bewegungen und würden denen der (©, gracilis und ihren vorhin erwähnten Verwandten ähnlich sein, wenn sie wie diese eine Geburtsöffnung besässen. Die Oberhaut der Sporocyste ist mit feinen regelmässigen Querstreifen bedeckt. Unter dieser, an welcher sich keine weitere Structur sehen liess, liegen die Längs- und Quermus- keln, denen die Redien erzeugende Körnchen und Zellen ent- haltende Lage gleich nach innen zu folgt. Es unterschied sich diese Schicht in Nichts von der bei anderen Sporocysten ge- fundenen. Gewöhnlich sah man bei den grösseren Ammen in der viel Flüssigkeit enthaltenden Leibeshöhle ein Netz von Fäden. Ausser vielen gelben diffusen, von der Leber der Planorbis wohl herrührenden Pigmentflecken unter der Oberhaut zeigt sich auch noch ein sehr entwickeltes Gefässsystem, mit Flim- merlappen reichlich ausgestattet. Ueber den Verlauf desselben etwas Genaueres zu ermitteln, war nicht möglich. Eben so wenig liess sich eine Oeffnung desselben nach aussen hin wahr- nehmen. Gewöhnlich aber am Ende des zweiten Drittels der Sporocystenlänge sieht man einen breiten Gürtel von zerstreut Ueber Redien und Sporocysten Filippi. 147 liegenden Flimmern nach allen Richtungen hin schlagend, der bei genauerer Untersuchung aus starken querverlaufenden Ge- fässen, einer Art von unregelmässigem Wundernetze gebildet wird. Dieser Gürtel zeichnet die Sporocyste vor allen anderen mir bekannten aus. In diesen Sporocysten entstehen nun Redien in der bekann- ten Weise. Freigeworden werden sie bis über 2 Mm. lang, be- wegen sich lebhaft und sind meist ganz mit Cercarienkeimen und deren Producten vollgefüllt. Der Schlundkopf ist klein, der bräunlich gefärbte Magen sehr lang, meist weit über die Hälfte der Redienlänge hinüberragend. Auf der Oberhaut sah man keine Querstreifen, wohl aber ein reiches aus zwei dicken seitlichen Längsstämmen hervorgehendes Gefässsystem, das sich, aus Bruchstücken zu schliessen, über den ganzen Körper ver- breitete. Die beiden seitlichen Stämme lösten sich am Kopfe und Schwanze, also kurz vor den beiden Enden des Körpers in feinere Gefässe auf, so dass die Längsstämme nicht den Mund und die Schwanzspitze erreichten. Die Geburtsöffnung schien dicht hinter dem Schlundkopfe zu liegen, in der Mitte zwischen beiden Gefässstämmen. In diesen Redien entsteht eine Cercarie, welche sich durch den Bau und die Benutzung ihres Schwanzes vor allen anderen bis jetzt bekannten Arten auszeichnet. Die Zellenmasse, aus welcher die Cercarie entsteht, zeigt bald an ihrem hinteren Ende eine Abschnürung, die vielleicht ein Drittel des Ganzen beträgt. Dieser Theil der künftigen Cercarie besitzt an seinem unteren Theile zwei Fortsätze, von welchen der kleinere stumpf und dick, der längere um ein Be- trächtliches dünner ist. — Der letztere bildet sich zum eigent- lichen einfachen Schwanze um, der erstere wird ein Fortsatz an dem Beutel, an dessen anderem Ende das Schwanzende der Cercarie festgeheftet ist. Bei der weiteren Entwickelung ist bald an der durch eine Furche von dem Distom getrennten Zellenmasse eine deutliche starke structurlose Membran zu bemerken; der Zellengehalt des Beutels steht mit dem Distom im Zusammenhange und bildet gewissermaassen eine Fortsetzung desselben, ebenso steht er in 10* 148 G. R. Wagener: Verbindung mit den Zellen des langen Schwanzes. Die Ab- scheidung einer cystenartigen Membran um die Zellenmasse geschieht auch um die Zellen an der Wurzel des wachsenden Schwanzes. Auf diese Weise scheint das sonderbare Factum erklärt werden zu müssen, dass der Cercarienschwanz aus dem Sacke der Schwanzwurzel mehr oder minder weit hervorragt, als sei er in den Beutel von aussen her hineingesteckt. An dem kurzen stumpfen Fortsatze tritt ebenfalls eine mit der grossen in Zusammenhang stehende Haut auf, welche die Zellen, aus denen sie besteht, und die ebenfalls nur eine Fort- setzung des grossen Zellenhaufens sind, umschliesst. Doch scheint diese Umhüllung des kleinen Fortsatzes später als die des grossen Zellenhaufens einzutreten. Die vollständig entwickelte Cercarie mit ihrem Schwanze zeigt nun folgende Eigenthümlichkeiten. Das Distom besitzt an seinem Kopfnapfe, der fast doppelt so gross als der Bauchnapf ist, eine bewegliche Spitze, welche bei vielen Trematoden vorkommt, von der Nackenmusculatur gebildet wird und in keinem Zusammenhange mit der des Kopf- napfes steht. An den Kopfnapf schliesst sich gleich der Schlundkopf an. Der Schlund theilt sich ungefähr in der Mitte des Interporalraumes in die zwei Blindsäcke des Darmes, welche mit wenig seitlichen Biegungen bis fast zum Schwanzende des Thieres verlaufen. Der Stamm des Excretionsorganes geht bis zum Bauchnapfe und theilt sich dort erst in die Gabel, deren Aeste auf der Bauchseite verlaufen, hinter dem Kopfnapfe sich nach dem Rücken zu umbiegen und, immer feiner werdend, ihren Weg nach dem Schwanzende zu fortsetzen. Ueber der Ausmün- dungsstelle des Exceretionsorganes findet sich bei weiter ent- wickelten Cercarien eine Anhäufung von sehr kleinen dunklen Körnern. Die Oberhaut des am Kopftheile mit feinen Stacheln beklei- deten Distomes geht am Schwanze in eine dickhäutige Cyste über, welche an ihrer Innenfläche mit Netzen von feinkörniger durchsichtiger Masse überzogen ist. An der Stelle, wo Cyste und Distom in einander übergehen, haftet auch der lange, Ueber Redien und Sporocysten Filippi. 149 dünne, platte Schwanz fest, der von einer Fortsetzung der Cyste, einer derben structurlosen Haut‘, gebildet wird, welche anfangs eine einfache Reihe von Zellen umschloss, die später verschwinden und nur wenige kleine dunkelgerandete Kügel- chen‘ zurücklassen. Die Schwanzspitze ist kurz vor, ihrem Ende zu einer kleinen Blase aufgetrieben, die eine das Licht stark brechende Masse enthält, welche noch weiter in den Schwanz sich fortsetzt und dort eine sehr feine, aber doch sehr deutliche Querstreifung zeigt, die sich unmittelbar der durch- sichtigen Flüssigkeit innerhalb des Schwanzes anschliesst. Die Cercarie vermag sich nun mit sammt ihrem langen Schwanze in die ihres Zellengehaltes beraubte Cyste hineinzu- ziehen. Ist die Oeffnung, durch welche die Cercarie hinabstieg, noch offen, so kann sie wieder hervorkommen. Späterhin ver- schliesst sich die Eingangsöffnung, welche gewöhnlich in Form eines Halses mit ringförmigen Falten erscheint. Der stumpfe Fortsatz am Schwanzende bleibt leer von Zel- len als hohler Anhang der Cyste. Hat sich die Cercarie in die Cyste zurückgezogen , so bildet sie dort meist sich kreuzende Schleifen, ähnlich einer 8. Sie füllt die Cyste nicht ganz aus, sondern lässt nach aussen noch einen Theil des Cystenraumes leer. Man erkennt noch sehr wohl in der Oyste die Saugnäpfe und den Schwanz mit seinen dunklen feinen Querstreifen und seiner blasenförmig aufgetriebenen Schwanzspitze. Diese Cercarie kommt sehr selten vor. Ich habe sie nur 4 Mal in einem Graben der Schönower Feldmark, einem Orte 2 Meilen von Berlin, gefunden. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Eine Sporocyste, welche «a Redien enthält, 100 Mal vergr. b Kopfende mit der Oeffnung, dem Anscheine nach, c keimerzeugende Schicht unter der Museulatur, d Keimzellenhaufen, e der Gefässgürtel mit den Flimmerlappen. Fig. 2. Kopfende der Sporocyste, 200 Mal vergr. Fig. 3. Eine junge Redie. f musculöser Sehlundkopf, g der Darmblindsack, durch klare Flüssigkeit ausgedehnt. 150 6.R. Wagener: Ueber Redien und Sporocysten Filippi. Fig. 4. Eine grosse Redie, 110 Mal vergr. f der musculöse Schlundkopf, g der braungefärbte Darmblindsack, A das Seitengefäss mit seinen Verzweigungen (es besitzt eine besondere Wandung), d Keimzellenhaufen. Fig. 5. Cercarienkeime. 7 und 2 noch als Zellenhaufen, 3 und 4 mit Andeutung des Bauchnapfes, abgefurchtem © Schwanztheile, k dem kurzen stumpfen Fortsatze, ! dem längeren zum Schwanze werdenden. Fig. 6—11. Weiter entwickelte Cercarienformen. m Kopfnapf, n Bauchnäpf, o Cyste um den Schwanztheil, p blasige Massen in der Cyste, g Querstreifung auf der Schwanzoberfläche, r blasige Auftrei- bung der Schwanzspitze, s Schlundkopf der Üercarie, t körnige Masse am Ende des Excretionsorganes, u Darm, v der noch zum Schwanze ! gehörige Fortsatz. J. Tscheschichin: Zur Lehre von der thierischen Wärme. 151 Zur Lehre von der thierischen Wärme. Von Dr. J. TscHEscHicHN aus Russland. ii Ungeachtet der grossen Bedeutung der Lehre von der thie- rischen Wärme für die Physiologie hat sie noch sehr bedeu- tende Lücken aufzuweisen, welche sich auch in der praktischen Medicin sehr fühlbar machen. Diesem Umstande ist es zuzu- schreiben, dass die für die klinische Mediein so bedeutungs- volle Frage von dem fieberhaften Processe bis jetzt noch keine vollständig befriedigende Lösung gefunden hat. Die physiolo- gischen Untersuchungen über die thierische Wärme haben des- halb für die klinische Mediein einen unschätzbaren Werth, und wird die Lehre von dem fieberhaften Processe nur dann auf festem Boden ruhen, wenn die Physiologie mit der Lehre von der thierischen Wärme im Reinen sein wird. Bei meinen Untersuchungen über diesen Gegenstand, welche ich im physiologischen Laboratorium des Herrn Prof. du Bois- Reymond anstellte, machte ich mir zur Aufgabe, zu unter- suchen, in welchem Verhältnisse Verletzung des centralen Ner- vensystems und einiger Nerven zu den Schwankungen der Körperwärme stehen. Zu diesem Zwecke machte ich an ver- schiedenen Stellen Durchschneidungen 1) des Rückenmarks, 2) des sympathischen Nerven, 3) des N. vagus, 4) des Gehirns. | ‚Ausserdem stellte‘ sich im Verlaufe der Versuche die Nothwen- 152 J. Tscheschichin: digkeit heraus, den Einfluss einiger Substanzen auf die thie- rische Wärme zu untersuchen. Zu diesem Zwecke wandte ich an Nicotin, Curare, Alkohol und faulendes Blutserum. Die Kaninchen, welche mir zu den Versuchen dienten, wa- ren von mittlerer Grösse und mehr oder weniger gleicher Tem- peratur. Zu den 'Temperaturmessungen bediente ich mich eines gut construirten und corrigirten, mit Decimaltheilungen verse- henen Thermometers, gearbeitet von Herrn Geissler. Zur Messung der inneren Körperwärme benutzte ich den Mastdarm des Thieres, indem ich das Thermometer bei allen Versuchen gleich tief einschob und zwar bis zu 5° ©. Die Temperatur eines und desselben Kaninchens ist verschieden, je nachdem es frei herumläuft oder an das Brett angebunden ist. Im ersteren Falle schwankt die Temperatur zwischen 39,9° ©. und 40° C.; nachdem das Thier angebunden und ruhig geworden ist, ist die Temperatur um !/);—1° C. niedriger. Die Temperatur im äusseren Gehörgange ist 37,0-—38° C. Die Temperatur in der Achselhöhle und Leistengegend ist stets um einige Zehntel Grade niedriger als die des Mastdarms, wenn das Thermometer sorgfältig an den Körper angelegt, vorsichtig angedrückt und mit der Haut des Thieres gut bedeckt ist; sie schwankt dann zwischen 38,70 und 39° C. Die Athemfrequenz in der Minute ist 70—75. Pulsfrequenz 220—250 in der Minute. Die letz- teren Zahlen beziehen sich auf ein festgebundenes Kaninchen. Nach Durchschneidung des Rückenmarks bemerkt man gleich an den dem Auge zugänglichen Stellen eine Erweiterung und Ueberfüllung der Geiässe, gleichzeitig mit der Paralyse sämmt- licher Muskeln, deren Nerven unterhalb des Schnittes heraus- treten. Diese Störung des Kreislaufs, sie mag abhängen von einer Paralyse der vasomotorischen Centra (©. Ludwig und Thiry')), oder, wie v. Bezold?) will, von dem Aufhören der 1) Ueber den Einfluss des Halsmarks auf den Blutstrom. Sitzungs- berichte der Wiener Akad. Bd. XLIX. 1864. 2) Untersuchungen über den Einfluss des Rückenmarks auf den Blutkreislauf der Säugethiere. Jenaische Zeitschrift f. Medicin u. Na- turw. Bd. I. 1864, — und: Untersuchung über das excitirende Herz- nervensystem im Rückenmarke der Säugethiere. Centralbl. 1864, Nr. 2. - Zur Lehre von der thierischen Wärme, 153 Thätigkeit der motorischen Herzcentra, fällt immer mit einer Verlangsamung des Herzschlages, mit Verminderung des Druckes im Arteriensystem und Steigerung des Druckes im Venensystem zusammen. Nach Durchschneidung des oberen Theiles des Rückenmarks wird die Athmung erschwert und nur noch durch die Thätig- keit des Diaphragma unterhalten. Bei dieser Veränderung der Athmung und des Kreislaufs tritt natürlich eine Störung im Gasaustausche in den Lungen ein, und der Stoffwechsel oder die physiologische Ernährung des Organismus ist vermindert; in Folge dessen muss auch das Niveau der allgemeinen thieri- schen Wärme sinken, da die letztere das Product physiologi- scher Funetionen und chemischer Processe ist. Für die Rich- tigkeit dieses Satzes werde ich später Beweise beibringen. Ich will gleich ein Beispiel des Sinkens der Körperwärme nach Durchschneidung des Rückenmarks beibringen, ohne den Grund dieses Sinkens zu berücksichtigen. Einem Kaninchen von mittlerer Grösse wurde das Rückenmark zwischen dem 3. und 4. Halswirbel durchschnitten. Gleich nach der Durch- schneidung bemerkte man an den dem Auge zugänglichen Stel- len, besonders an den Ohren, eine Erweiterung der Gefässe, Der Herzschlag. verlangsamte sich; die Athembewegungen be- schränkten sich auf das Diaphragma. In diesem Falle konnte man in der Temperaturerniedrigung eine gewisse Regelmässig- keit beobachten, so dass in einer gewissen Zahl von Minuten die Temperatur um eine gewisse Zahl von Zehntel Grad sank (s. den 1. Versuch in der Tabelle). Das Kaninchen lebte nach der Operation nahezu 16 Stunden. Die Erscheinungen des veränderten Kreislaufes, nämlich die Stauung und der erhöhte Druck in den Venen nach Durch- schneidung des Rückenmarks sind die hauptsächlichste Ursache der Temperaturerniedrigung. Die Verlangsamung des Blutum- laufes bedingt, indem durch sie die Gefässe überfüllt werden, eine erhöhte Abkühlung des in den oberflächlichen Gefässen eireulirenden Blutes, und diese erhöhte Wärmeausstrahlung ist das wirksamste Moment bei dem Sinken der Gesammttempe- 154 J. Tscheschichin: . A ratur. Von der erhöhten Wärmeausstrahlung kann man sich überzeugen, wenn. man gleichzeitig mit der inneren auch die äussere Temperatur dicht unter der Haut misst. Es wurde zur Feststellung des oben Gesagten einem Ka- ninchen das Rückenmark zwischen dem 5. und 6. Halswirbel durchschnitten. Gleich darauf traten dieselben Erscheinungen, wie im ersten Versuche, ein. Bei gleichzeitiger Messung der inneren und äusseren Temperatur stellte sich heraus, dass, wäh- rend die erstere absolut sank, die Temperatur unter der Haut sich relativ zu erhöhen begann, d. h. die Wärmeausstrahlung an der unterhalb des Schnittes gelegenen Oberfläche hat sich relativ gesteigert (s. den 2. Versuch in der Tabelle). Dieser relative Wärmeverlust durch die oberflächlichen Gefässe ist die Hauptursache des Sinkens der Gesammttemperatur,, also der Abkühlung des Thieres. Wenn, wie oben bemerkt wurde, gleichzeitig mit der Ver- änderung des Kreislaufes nach Durchschneidung des Rücken- marks, Störungen im Athmungsprocesse eintreten, so muss auch der normale Gasaustausch Störungen erleiden, in Folge deren die Wärmebildung herabgesetzt wird. Wir sahen oben, dass die gesteigerte Wärmeausstrahlung nur eine relative ist, und Beobachtungen an Thieren zeigen, dass gleichzeitig auch eine Verminderung der Wärmebildung vorhanden ist. Man kann nach der Durchschneidung des Rückenmarks das Thier in Ver- hältnisse versetzen, welche die Wärmeausstrahlung verhindern, z. B. durch Einhüllung in schlechte Wärmeleiter. Man sieht dann, dass das Thier nicht nur weniger Wärme an der äusse- ren Oberfläche verliert, sondern dass die letztere unter die- sen Umständen sogar bis zu einem gewissen Grade sich er- wärmen kann; ungeachtet dessen sinkt die innere Temperatur stetig, und obgleich das Sinken viel langsamer von Statten geht — eine Erniedrigung der Temperatur um einige Zehntel Grad erfordert viel mehr Zeit, als wenn das Thier nicht ein- gehüllt ist — so ist es deutlich genug, um für die Verminde- rung der Wärmebildung selbst zu sprechen. Aus diesen Auseinandersetzungen folgt, dass die Abkühlung Zur Lehre von der ln Wärme. 155 des Thieres das Resultat der vermehrten Ma DL E und der verminderten Wärmebildung ist. Betrachten wir den Versuch. Einem Kaninchen von mittlerer Grösse wurde das Rücken- mark zwischen dem 5. und 6. Halswirbel durchschnitten. . Gleich nach der Durchschneidung wurde das Thier sorgfäl-ig in Baum- wolle eingehüllt. Von Zeit zu Zeit wurde sowohl die innere wie die äussere Temperatur dicht unter der Haut gemessen. Einige Zeit nach der Operation erwärmte sich die ganze Ober- fläche des Kaninchens, trotzdem die allgemeine Wärme stetig sank, wenn auch viel weniger, als in dem vorigen Versuche ohne Einwickelung des Thieres. Das so behandelte Thier blieb viel länger am Leben, als das vorige (s. den 3. Versuch in der Tabelle). Wenn durch die Einhüllung die Wärmeausstrahlung behin- dert wird, so muss umgekehrt dieselbe gesteigert werden, wenn das Thier in ein Medium gebracht wird, welches der Körper- oberfläche leichter Wärme entzieht, z. B. in Wasser von einer Temperatur, die niedriger ist, als die des Körpers. In diesem Falle sinkt die innere Temperatur rasch, ebenso wenn das auf der Oberfläche des Körpers befindliche Wasser verdunstet, nach- dem das Thier aus dem Wasser herausgenommen wird. Unter solchen Umständen stirbt das Thier viel schneller, als diejeni- gen, welche nach Durchschneidung des Rückenmarks nicht unter Wasser gebracht wurden (s. den 4. Versuch). Unversehrte Kaninchen, welche blos durch Binden der Ex- tremitäten unbeweglich gemacht worden sind, verlieren in kalter Wanne immer eine gewisse Quantität Wärme, oder mit anderen Worten: das Wasser entzieht immer dem Thiere Wärme. Der Wärmeverlust des Thieres steht im umgekehrten Ver- hältnisse zum Wärmegrade des Wassers und im geraden Ver- hältnisse zu der Zeit, welche das Thier im Wasser verweilte, d. h. je kälter das Wasser ist und je länger das Thier sich im Wasser befindet, desto grösser ist der Wärmeverlust. Wenn das Thier im kalten Wasser 10 -120 ©. seiner Wärme verliert, so ist es schon in Lebensgefahr. Hat der Wärmever- lust die Grenze zwischen 16—20° C. erreicht, so ist das Thier 156 J. Tscheschichin: unrettbar verloren. Diese Thatsache stimmt überein mit der Beobachtung von Prof. Walter.) Sowohl die allgemeine Paralyse, wie insbesondere die Para- lyse der Gefässe, ist räumlich verschieden , je nach der Höhe des Schnittes durch das Rückenmark. Je höher der Schnitt, desto umfangreicher ist die Gefässparalyse und desto grösser der (drohende) Wärmeverlust; je niedriger man mit dem Schnitte geht, desto geringer ist der letztere; z. B. wenn der Schnitt in dem Lumbartheil des Rückenmarks geführt ist, so ‚beschränkt sich die Paralyse auf die unteren Extremitäten, und wenn nach dieser Operation sich auch sogleich eine Verminderung der all- gemeinen Wärme zeigt, so ist dieselbe verhältnissmässig gering und gleicht sich bald aus, ja die allgemeine Temperatur stei- gert sich, wenn das Thier eine gewisse Zeit am Leben bleibt und eine Entzündung in der Wunde eintritt. Wir können da- her als Regel hinstellen, dass der Verlust der allgemeinen Wärme oder die gesteigerte Wärmeausstrahlung in gleichem Verhältnisse steht zur Ausdehnung der Gefässparalyse. Wir sahen früher, dass die gesteigerte Wärmeausstrahlung an der Oberfläche durch die Einwickelung des Thieres in einen schlechten Wärmeleiter vermindert werden kann. Aus den Versuchen von v. Bezold (a. a. O.) wissen wir, dass die elek- trische Reizung des peripherischen Theiles des durchschnittenen Rückenmarks mehr normale Verhältnisse des Kreislaufes wieder herstellt; der Herzschlag wird kräftiger und der Druck in den Arterien steigt. Ebenso zeigt die Beobachtung, dass dabei die Wärmeausstrahlung an der Oberfläche des Körpers vermindert wird. Wir sahen oben, dass nach Durchschneidung des Rücken- marks ein Sinken der Gesammttemperatur des Kaninchens ein- tritt. Reizt man nach der Operation den peripherischen Theil des Rückenmarks mittelst .eines schwachen Inductionsstromes, so- geht das Sinken der Temperatur entweder viel langsamer von Statten, oder es hört während der Reizung gänzlich auf; ja die Temperatur] kann sogar, besonders wenn Convulsionen 1) A. Walterin Kiew, Studien im Gebiete der Tea -dieses Archiv 1865, S. 25. Zur Lehre von der thierischen Wärme, 157 vorhanden sind, steigen, wie aus folgendem Versuche ersicht- lich ist. Einem Kaninchen von etwas mehr als mittlerer Grösse wurde das Rückenmark zwischen dem letzten Hals- und ersten Brustwirbel durchschnitten. In den ersten 10 Minuten nach der Operation sank die Temperatur um 1°C. In den darauf folgenden 10 Minuten sank die Temperatur nach 2 Minuten langer Reizung des peripherischen Theiles des Rückenmarks mittelst eines schwachen Inductionsstromes blos um 0,3% C. In den nächsten 10 Minuten sank, nach 4 Minuten langer Rei- zung, die Temperatur blos um 0,2° C. Eine 10 Minuten lang andauernde Reizung hob dann das weitere Sinken der Tempe- ratur gänzlich auf. Nach Reizung mittelst eines ziemlich star- ken Stromes stellten sich schwache allgemeine Convulsionen ein, wobei die Temperatur sich um 0,2° C. erhöhte. Von dem Ein- flusse der Convulsionen auf die Temperatursteigerung wird spä- ter die Rede sein. (S. den 5. Versuch in der Tabelle.) Da bei elektrischer Reizung des durchschnittenen Rücken- marks die Gefässe sich verengern und der Kreislauf beschleu- nigt wird, die Production der Wärme aber dabei nicht vermehrt, sondern vermindert wird, so muss der verminderte Wärmever- lust in diesem Falle der herabgesetzten Wärmeausstrahlung an der äusseren Oberfläche zugeschrieben werden. Denselben Einfluss auf die Vertheilung der thierischen Wärme, wie die Durchschneidung des Rückenmarks ihn hat, üben auch mehrere Substanzen aus, welche auf die vasomotori- schen Nerven wirken. Zu diesen gehören einige Alkaloide. Bei meinem Versuche bediente ich mich nur des Nicotins. Dieses Alkaloid, unter die Haut des Kaninchens eingespritzt, bringt eine Verlangsamung des Herzschlages und der Athmung hervor, wobei die dem Auge zugänglichen Gefässe erweitert er- scheinen!) — Erscheinungen, die identisch mit denjenigen sind, welche durch die Durchschneidung des Rückenmarks hervorge- bracht werden. Was die Temperatur bei Anwendung dieses “ 1) Rosenthal, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1863, 737. 158 ; J. Tscheschichin: Alkaloids betrifft, so sinkt sie, in Folge der mangelnden activen Contractilität der Gefässe und der Ueberfüllung der letzteren mit Blut, allmählich, so lange die Wirkung des Giftes anhält, wenn das Thier bei Anwendung einer kleinen Dosis, z. B. 'J; Tropfens, am Leben bleibt, und bis zum Tode, wenn die ange- wandte Dosis eine tödtliche war, z. B. 2 Tropfen des Alkaloids. Auch in diesem Falle überwiegt, wie bei der Durchschneidung des Rückenmarks, der Wärmeverlust an der Oberfläche des Körpers die Wärmeproduction, oder mit anderen Worten, die Wärmeausstrahlung ist vergrössert, und dies ist die Hauptur- sache der Verminderung der Gesammtwärme des Körpers. Bei diesen Versuchen beobachtete ich die Erscheinung, auf welche Prof. Wunderlich!) bei Tetanus aufmerksam gemacht hat, dass nämlich manchmal einige Zeit vor und nach dem Tode die Temperatur bei Gegenwart mehr oder weniger starker Krämpfe steigt. Bei einem Kaninchen, dem eine grössere Dosis Nicotin (1'/, Tropfen) eingespritzt wurde, traten Krampf- anfälle ein, während welcher das Sinken der Temperatur lang- samer von Statten ging, als in den freien Intervallen, oft gänz- lich aufhörte, oder die Temperatur steigerte sich sogar um einige Zehntel Grad, wenn die Krämpfe heftiger wurden. Bei demselben Kaninchen erhöhte sich die Temperatur nach dem Tode um 0,4°C. und blieb lange Zeit auf dieser Höhe, Diese Temperaturerhöhung muss man, wie es Leyden, Billroth und Fick?) experimentell nachzuweisen suchten, der gesteiger- ten Wärmeproduction zuschreiben, als Folge entweder der ge- steigerten Muskelthätigkeit, wobei, wie bei jeder Arbeit, ein Theil der lebendigen Kraft sich in Wärme verwandelt, oder des gesteigerten Oxydationsprocesses, der in den tetanisch contra- hirten Muskeln vor sich geht und sich durch eine mehr oder weniger saure Reaction der Muskeln kundgiebt. In der neuesten Zeit beobachtete Cl. Bernard, dass Cu- 1) Prof. Wunderlich, Arch. f. Heilkunde, II. 547, III. 175. 2) R. Heidenhain, Mechanische Leistung, Wärmeentwickelung und Stoffumsatz*bei der Muskelthätigkeit. Th. Billroth und Fick, Versuche über die Temperaturen bei Tetanus. Üentralbl. f. d. med. Wiss. 1864, Nr. 29. Zur Lehre von der thierischen Wärme. 159 rare zuerst auf die vasomotorischen Nerven wirkt, und dass nach Darreichung dieses Giftes vor dem Eintreten der Muskelpara- lyse, leichte krampfhafte Zuckungen und dann eine Temperatur- erhöhung sich zeigen. Von der Ansicht ausgehend, dass diese Erscheinungen fieberhafter Natur sind, meint er, dass das Fieber in einer ursprünglichen Verletzung der vasomotorischen Nerven bestehe. Das Curare muss also, noch bevor die Erscheinungen der allgemeinen Paralyse eintreten, eine wichtige Störung in der Vertheilung der Wärme hervorbringen. Ich wiederholte daher die Versuche mit dieser Substanz, um zu erfahren, in welchem Verhältnisse die ursprünglichen Erscheinungen der allgemeinen Paralyse zu der Gesammttemperatur stehen. Diese Versuche gaben folgende Resultate. 1) Nach Einspritzung einer, im Verhältnisse zu einem Ka- ninchen von mittlerer Grösse, ziemlich grossen Dosis (!/, Ce. einer 2°%/, Lösung) von Curare treten nach kurzer Zeit (10 bis 15 Minuten) mehr oder weniger heftige krampfhafte Zuckungen aller Muskeln oder blos derjenigen der Extremitäten ein. Diese Zuckungen hören nach einigen Minuten auf, und das Thier geht unter den Erscheinungen der allgemeinen Paralyse der Muskeln des Herzens und der Athmung zu Grunde. Aber bevor noch die Krämpfe auftreten, nur einige Minuten nach der Ein- spritzung, sinkt die Athmungs- und Pulsfrequenz, und es tritt: eine, wenn auch unbedeutende Erniedrigung der Gesammttem- peratur ein (in meinen Versuchen schwankte dieselbe zwischen einigen Zehntel und 1° C.), welche allmählich bis zum Eintritte der Krämpfe fortschreitet. Mit dem Eintritte der letzteren hört entweder das Sinken der Temperatur auf, oder die Temperatur beginnt unbedeutend zu steigen (um einige Zehntel Grad). Nach dem Tode des Thieres tritt nicht gleich eine Erniedri- gung der Gesammttemperatur ein, sondern erst nach einigen Stunden, bis wohin die Temperatur öfters eine Zeit lang unbe- deutend sich steigert. 2) Nach Darreichung geringerer Dosen des Giftes (!/, Ce. einer 2°/, Lösung) zeigt sich nach einigen Minuten eine Ver- langsamung der Athmung und des Herzschlages, und erst nach 15—20 Min. erscheinen sehr schwache Zuckungen der Muskeln. 160 J. Tscheschichin: Diese letzteren machen schnell einem paretischen Zustande der Muskeln Platz. Eine vollständige Paralyse tritt nach diesen Do- sen nicht ein. Die Gesammtwärme des Thieres beginnt gleich- zeitig mit der Athmungs- und Pulsfrequenz zu sinken, anfangs unbedeutend, später stetig mehr bis zum Beginne des Schwin- dens der Vergiftungssymptome, d. h. bis zum Zeitpunkte , wo die Athmung und der Herzschlag frequenter werden. Das Thier erholt sich langsam, erst nach 5—6 Stunden beginnen die pa- retischen Erscheinungen zu schwinden, die Athmungs- und Pulsfrequenz zu steigen, und gleichzeitig erhöht sich die Tem- peratur. 3) Nach Einspritzung des Curare tritt mit der Verlangsamung der Athmung und des Herzschlages eine Stauung des Blutes in den Venen ein, und die Ueberfüllung derselben steht, wenn auch nicht immer, in geradem Verhältnisse zur Quantität des angewandten Giftes. Wenn wir die eben geschilderten Erscheinungen betrachten, so sehen wir, dass die ursprüngliche Wirkung des Ourare sich äussert in einer Erweiterung und Ueberfüllung der Blutgefässe, einer Verlangsamung der Athmung und des Herzschlages, und in einer Erniedrigsung der Temperatur des Thieres. Ob diese Erscheinungen durch eine Paralyse der vasomotorischen oder der Herzcentra entstehen, will ich dahingestellt sein lassen, ich will nur bemerken, dass diese Erscheinungen viel Analogie ha- ben mit denjenigen, welche wir beobachten nach Durchschnei- dung des Rückenmarks. Das allmähliche Sinken der Tempe- ratur dauert in diesen Fällen nur bis zum Eintritte der krampf- haften Zuckungen , mit welchem gleichzeitig die Temperatur sich zu erhöhen beginnt. Leichte Zuckungen haben übrigens gar keinen Einfluss auf die Temperaturerhöhung. Da die Stö- rungen des Kreislaufes doch auch während der Krämpfe fort- dauern, so muss man die Temperaturerhöhung während der Krämpfe als Folge der gesteigerten Wärmeproduction in den im erhöhten Thätigkeitszustande befindlichen Muskeln, nicht aber als directe Folge der Lähmung der vasomotorischen Ner- ven, wie Cl. Bernard es will, betrachten. Nun will ich meine Beobachtungen über den Einfluss der Zur Lehre von der thierischen Wärme, 161 Alkoholvergiftung auf die allgemeine Wärme des anımalischen Körpers darlegen. Wenn die Wirkung des Spiritus auf den Organismus überhaupt, trotz der massenhaften Literatur über diesen Gegenstand, in vielen Beziehungen noch unaufgeklärt bleibt, so enthält insbesondere dessen Einfluss auf das Schwan- ken der thierischen Wärme viel Räthselhaftes, und zwar um so mehr, als man bis auf den heutigen Tag diesem Gegenstande nicht die gehörige Aufmerksamkeit zugewandt hat. Prof. A. Walther hat bei Gelegenheit seiner Beobachtungen über die Abkühlung der thierischen Körper zuerst die Ansicht ausge- sprochen, dass der Alkohol einen wunderbaren Einfluss auf die Schnelligkeit der Abkühlung ausübt. Bei den Versuchen, welche ich in Bezug auf Spiritusvergiftung mit Kaninchen anstellte, war es mir nur darum zu thun, das Verhältniss klar zu machen, in welchem die Anzeichen der Vergiftung zur Veränderung der thierischen Wärme stehen. Ich will hier das schlagendste Bei- spiel einer solchen Vergiftung vorführen. Einem Kaninchen von mittlerer Grösse wurden vermittelst einer Sonde 15 Ce. verdünnten Spiritus (10 Cc. 80° Spiritus und 5 Ce. destillirten Wassers) in den Magen eingespritzt. Die allgemeine Tempe- ratur des Kaninchens bis zur Vergiftung war 39,2° C. Im Ver- laufe einer Viertelstunde nach der Einspritzung liefen die Blut- gefässe in den Ohren, der Zunge, dem Zahnfleische und der Mundhöhle stark mit Blut an; der ganze Kopf war beim An- fühlen wärmer als gewöhnlich. Das Athmen und der Herz- schlag fingen an beschleunigter zu werden. Ungeachtet aller dieser Erscheinungen begann die allgemeine Temperatur zu sinken. Im Verlaufe von 20 Minuten nach der Einspritzung des Spiritus war der Puls ganz abnorm — 120 Mal in der Mi- nute ist die Norm —, man konnte die Schläge wegen der un- gewöhnlichen Schnelligkeit nicht mehr zählen. Die allgemeine Temperatur sank auf 37,2° C., in den Ohren hingegen stieg die Temperatur verhältnissmässig. Die wahrnehmbare Ueber- füllung der Gefässe mit Blut beschränkte sich nur auf den Kopf, an den übrigen äusseren Körpertheilen war keinerlei Ab- weichung bemerkbar. Das Fell des Thieres (das Kaninchen war von weisser Farbe), das an einigen Stellen abrasirt war, Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1866. 11 162 J. Tscheschichin: zeigte keine Ueberfüllung der Gefässe, in Folge dessen die Tem- peratur der Oberfläche in den Hüften keinerlei Erhöhung zeigte. Diese Periode, welche beinahe eine ganze Stunde dauerte, kann man betrachten als die Periode der Aufregung. Ehe wir zur Beschreibung der zweiten Periode, der der vollständigen Läh- mung, übergehen, wollen wir zuvor die erste betrachten. In dieser begegnen wir einer eigenthümlichen Erscheinung, und zwar bei Beschleunigung des Pulses und des Athmens der Er- höhung der Oberflächen-Temperatur in dem oberen Theile und dem Sinken der allgemeinen inneren Wärme. Gleich nach der Aufnahme des Spiritus füllen sich bei dem Kaninchen die Ge- fässe des oberen Körpertheils, insbesondere des Kopfes, mit Blut (wohl in Folge des Blutandranges nach dem Gehirne), in Folge dessen die Oberflächen-Temperatur an diesen Stellen oder das Ausströmen der strahlenden Wärme sich vergrössert. Dieses Zunehmen der strahlenden Wärme kann man als das erste Moment des Sinkens der allgemeinen Wärme des anima- lischen Körpers ansehen. Ferner sehen wir, dass gleich nach der Einspritzung, des Spiritus das Athmen beim Kaninchen sich zu beschleunigen anfängt. Ist nicht das beschleunigte Athmen an und für sich die Ursache des Sinkens der allgemeinen Wärme? Die eingeathmete Luft erwärmt sich unter den ge- wöhnlichen Bedingungen in den Lungen, d. h. sie absorbirt einen bestimmten Theil der allgemeinen Wärme. Dazu kommt noch der Wärmeverlust durch die Wasserverdunstung. Also je beschleunigter das Athmen, desto mehr Wärme braucht die eingeathmete Luft zu ihrer Erwärmung. Daher müssen wir annehmen, dass in dem vorliegenden Falle nach erfolgter Auf- nahme des Spiritus durch das Kaninchen das doppelt beschleu- nigte Athmen eine grössere Quantität Wärme in den Lungen absorbirt, als dies im normalen Zustande der Fall ist. Ich liess das Kaninchen warme, mit Wasser gesättigte Luft einath- men, und zwar durch Röhren, welche mit Müller’schen Ven- tilen verbunden waren; diese waren in Wasser gestellt, das bis zu 36°C. erhitzt war. Nach Verlauf einiger Zeit, nachdem das Kaninchen die warme Luft eingeathmet hatte, fing seine allge- meine Wärme an zu steigen, und nach 10 Minuten war sie Zur Lehre von der thierischen Wärme. 163 um 0,4°C. gestiegen. Sobald es jedoch wieder die gewöhn- liche Luft seiner Umgebung einzuathmen begann, fing seine all- gemeine Wärme wiederum zu sinken an. Dieses Experiment lässt mit grosser Wahrscheinlichkeit schliessen, dass die zweite Ursache des Sinkens der allgemei- nen Temperatur beim Kaninchen in dem beschleunigten Athmen liegt. Endlich hat auch die Annahme einige Wahrscheinlichkeit für sich, dass der durch die Lungen ausgeathmete Spiritus eine bestimmte Quantität Wärme mit sich fortführt. Folglich kann man als die Ursache des Sinkens der allgemeinen Temperatur des thierischen Körpers in der ersten Periode der Spiritusver- giftung ansehen: 1) den stärkeren Verlust durch strahlende Wärme in dem oberen Theile des Körpers, 2) die Beschleuni- gung des Athmens, 3) die Ausathmung des Spiritus durch die Lungen. Nachdem die erste Periode der Vergiftung beim Kaninchen ‚eine Stunde gedauert hatte, folgte die zweite, die sich durch folgende Erscheinungen kennzeichnete: Das Athmen wurde verhältnissmässig langsamer und sank bis auf 92 Mal in der Minute; der Herzschlag war zwar sehr beschleunigt, doch die Zusammenziehungen des Herzens wurden schwächer. Die Ohren, die Zunge und die Mundhöhle wurden blässer, bemerk- bar war nur eine schwache Ueberfüllung der Venen. Das Ka- ninchen war in vollständig comatösem Zustande, bei völliger Abwesenheit der Reflexbewegungen. Zu gleicher Zeit sank die allgemeine Temperatur viel lang- samer als in der vorhergehenden Periode. So sank sie inner- halb einer Viertelstunde um 0,1° C. Diesen Zustand, welchen man im Gegensatze zum ersten die Periode der vollständigen Lähmung nennen kann, dauerte nur eine halbe Stunde. Hier- auf (nach Verlauf von 1!/, Stunde nach der Vergiftung) fing das Kaninchen am ganzen Körper zu zittern an, dabei veren- gerten sich an allen für das Gesicht wahrnehmbaren Stellen die Gefässe, die Ohren und Extremitäten erkalteten merklich, die allgemeine Temperatur jedoch fing von da zu steigen an. Als eine Viertelstunde nach dem eingetretenen Zittern oder Frösteln verflossen war, stieg die Temperatur um 0,4° C. 112 164 J. Tscheschichin: (36,1° C©.). In der folgenden Viertelstunde wurde das Zittern allmählich schwächer, das Kaninchen fing etwas voller zu athmen an, das Herz sich energischer zusammenzuziehen, die allgemeine Temperatur allmählich, wenn auch sehr langsam, zu steigen. Jetzt gestaltete sich der allgemeine Zustand des Kaninchens mehr zufriedenstellend: die Besinnung kehrte wieder, es fing an auf äussere Eindrücke zu reagiren, eine bedeutende Schwäche erlaubte ihm nicht, sich aus eigenen Kräften auf die Füsse zu stellen. In einer solchen Lage verbrachte das Kaninchen den ganzen Abend, im Verlaufe der Nacht erholte es sich noch mehr, und gegen Morgen zeigte es beinahe seinen normalen Zustand, mit Ausnahme der Temperatur, welche etwas niedriger als gewöhnlich war. In der zweiten Periode sehen wir das Kaninchen in einem Zustande der völligen Unterdrückung aller organischen Verrich- tungen, und in Folge der Störung der physiologischen Ernäh- rung sank jetzt die allgemeine Wärme desselben allmählich. Vielleicht muss man diese allgemeine Stockung aller organi- schen Functionen und das Sinken der Wärme zurückführen auf die auflösende Wirkung, die der Spiritus auf die Blutkü- gelchen ausübt; doch vor der Hand gründet sich diese Annahme nur auf die Fähigkeit des Alkohols, Blutkügelchen (Hämato- globulin) in einem Probirrohr aufzulösen. Gegen das Ende der zweiten Periode, annähernd in zwei Stunden nach der Vergiftung, fing das Kaninchen sich nach und nach zu erholen an, und diese Periode kennzeichnete sich durch ein ziemlich starkes Frösteln, eine merkliche Zusammen- ziehung der Gefässe und ein heftigeres Herzklopfen. Diese Zeit kann man die Periode der Reaction nennen, in welcher die völlig gelähmten Centralnerven in ihren thätigen Zustand zu kommen anfıngen. Ich verweise hier nur auf einen Umstand, dass die eingetretene Zusammenziehung der Gefässe, indem sie das Ausstrahlen der Oberflächenwärme verringerte, zugleich auf die Ersparung der inneren wirkte, welche von nun an gleich- zeitig mit der Erweckung aller organischen Functionen allmäh- lich sich bis zur normalen Quantität steigerte. Alle beschriebenen Vorfälle der Spiritusvergiftung beziehen Zur Lehre von der thierischen Wärme. 165 sich nur auf mittelmässige Dosen: sie nehmen an Kraft und Dauer ab oder zu, je nach der Dosis des verwendeten Spiritus. Auf diese Weise sehen wir, dass die Spiritusvergiftung, be- gleitet von complieirten Symptomen, einen lähmenden Einfluss auf die Erzeugung der thierischen Wärme ausübt. Ohne uns auf die Untersuchung der Theorieen bezüglich der Wirkung des Spiritus einzulassen, welche von verschiedenen Gelehrten aufge- stellt worden sind, wollen wir hier nur bemerken, dass in die- _ sem allmählichen Sinken der allgemeinen Temperatur der Grund der Erscheinung liegt, auf welche zuerst Prof. Walther auf- merksam gemacht hat, dass nämlich durch Spiritus vergiftete Thiere bei ihrer künstlichen Abkühlung sehr schnell ihre Wärme verlieren, und zu gleicher Zeit weist dies auf die Ge- fahr hin, der ein durch Spiritus vergifteter Organismus ausge- setzt ist, wenn er sich in einem Medium befindet, dessen nie- drige Temperatur auch unter normalen physiologischen Bedin- gungen mehr Wärme beim Athmen absorbirt. Die längst bekannten Versuche Claude Bernard’s mit der Durchschneidung des sympathischen Nerven wiederholte _ ich, um daraus zu erkennen, in welchem Verhältnisse die all- gemeine Temperatur des Thieres zur Affection dieses Nerven steht. Nach der Durchschneidung des sympathischen Nerven mitten am Halse auf der einen Seite erfolgt, wie bekannt, eine Ausdehnung der Gefässe des Ohrs auf derselben Seite.") Die Temperatur in dem äusseren Gehörgange, der Ohrmuschel, steigt dabei, doch fand ich bei meinen Versuchen mit Kaninchen die- ses Steigen nicht sehr bedeutend: es betrug nicht mehr als einen halben Grad im Verhältnisse zur gesunden Seite. Die allgemeine Temperatur — wenn nur die Operation vorsichtig, ohne grossen Blutverlust vollzogen wird — ändert sich dabei durchaus nicht... Wenn man den sympathischen Nerven am 1) Einige Schriftsteller fanden auf der Seite des durchschnittenen sympathischen Nerven eine Erweiterung der Gefässe der Zunge und der Gefässe der Magenschleimhaut. Landois, Ueber eine einfache Methode, den N, sympathicus cerv. bei Fröschen subeutan ‚gu durch- schneiden, nebst einigen Bemerkungen über die Folgen dieser Ope- ration, Dieses Archiv 1364, 166 J. Tscheschichin: Halse am ersten Brustknoten durchschneidet und letzteren vollständig herausreisst, so steigt die Temperatur an der ope- rirten Seite höher als in dem vorerwähnten Falle (um ?/,— 1° C.), und dieses Steigen ist nicht nur in dem Gehörgange und der Ohrmuschel, sondern auch unter der Achselhöhle be- merkbar. Was die innere Temperatur betrifft, so sinkt dieselbe gleich nach der Operation; z. B. bei einem Kaninchen sank sie um 1,5°C. Wenn man eine solche Operation an beiden Seiten des Halses vollzieht, so sinkt die innere Temperatur weit schnel- ler und bemerkbarer (um 1'/,—2° C.), das Steigen derselben aber an den äusseren Stellen, oberhalb der Stelle des Durch- schnitts, zeigt sich als gleichmässig auf beiden Seiten und re- lativ nur im Vergleiche mit dem Sinken der inneren (um !/, =_.,.2C, Eine gleiche Wirkung beobachtet man bei den unteren Ex- tremitäten, wenn man den sympathischen Nerven an dem Kreuz- theile durchschneidet, wie dies Cl. Bernard angiebt, ohne das Bauchfell zu beschädigen. Wenn man an 5 oder 6 Rückenwir- beln den sympathischen Knoten und dessen Aeste verletzt, welche sich an die Nerven der unteren Extremität anfügen, so erfolgt eine Erhöhung der Oberflächen-Temperatur der Extre- mität, an deren Seite die Operation gemacht war, und gleich- zeitig damit sinkt die allgemeine Temperatur. Doch sowohl das Steigen der Oberflächen- als auch das Sinken der inneren ' Temperatur ist auch hier unbedeutend, wie bei dem Durch- schneiden des Halstheiles die Erhöhung der Oberflächen-Tem- peratur nur relativ ist. Das Sinken der inneren Temperatur in diesen Fällen muss man als die Folge der vermehrten Abgabe der Oberflächen- Wärme betrachten, nach der Lähmung der die Gefässe bewe- genden Nerven und der Ueberfüllung der Gefässe mit Blut. Folglich sind die Erscheinungen nach der Durchschneidung des sympathischen Nerven in allen Beziehungen mit den Erschei- nungen identisch, welche man nach der Durchschneidung des Rückenmarks Bear hat, eine Identität, auf die schon J. Budg&%ınd Waller en haben. Wenn man einerseits beobachten kann, dass das Sinken der Zur Lehre von der thierischen Wärme. 167 inneren Wärme eines thierischen Körpers in directem Verhält- nisse zu der Affection selbst steht, d. h. je grösser die Fläche, auf der der sympathische Nerv zerstört ist, desto mehr die in- nere Wärme sinkt: so kann man andererseits von einem solchen Verhältnisse nur bei der Affection des sympathischen Nerven am Halse bis zum ersten Brustwirbel, diesen mit eingeschlossen, sprechen, weil die besonderen anatomischen Verhältnisse dieses Nerven die Durchschneidung desselben auf einer grösseren Fläche erschweren und auf diese Weise nicht erlauben, Schlüsse zu ziehen in Bezug auf die volle Einwirkung dieses Nerven auf die allgemeine thierische Wärme. Im Hinblicke auf den bedeutenden Einfluss, welchen der N. vagus auf den Herzschlag und das Athmen ausübt, unter- nahm ich Versuche mit Durchschneidung dieses Nerven Behufs Feststellung des Einflusses dieser Operation auf die Verände- rung der thierischen Wärme. Es wurden also an einem ziemlich starken Kaninchen von mittlerer Grösse, bei einer inneren Temperatur desselben von 39,3° C., bei 78 Athemzügen, bei einem Herzschlage von 220 Mal in der Minute, die N. vagi von beiden Seiten durchschnitten. Gleich nach dem Durchschneiden begann das Herz so schnell zu schlagen, dass man die Zahl der Schläge nicht zählen konnte, das Athmen jedoch, anfangs beschleunigt, verzögerte sich nach einigen Minuten auf 56 Mal in der Minute. 15 Mi- nuten nach der Operation sank die innere Temperatur um 0,4° C. (38,9° C.). In den hierauf folgenden 15 Minuten waren alle Erscheinungen von Seiten des Athmens und Herzklopfens dieselben wie früher, die Temperatur sank um 0,2° C. (38,70 C.). In den nun folgenden 15 Minuten sank die innere Temperatur um 0,1° (33,6° C.), die übrigen Erscheinungen blieben dieselben. Nun wurde durch schwache Inductionsströme eine Reizung der centralen Enden der N. vagi bewirkt. Nach einigen Minuten der Reizung (diese wurde 4 Mal vorgenommen, jedes Mal 2 Mi- nuten) beschleunigte sich das Athmen etwas (bis zu 68 Mal in der Minute); jedoch bemerkte ich keinerlei Einfluss dieser Rei- zung auf das Herz, die Schläge geschahen eben so oft wie vorher. Die Temperatur sank während dieser 15 Minuten um’ 168 J. Tscheschichin: 0,1° ©. (38,5° C.). Nachdem die elektrische Reizung unterbro- chen war, verzögerte sich wiederum das Athmen auf die frühere Zahl. Gegen das Ende der. folgenden halben Stunde (1!j, Stunden nach geschehener Operation) kam schleimiges Rö- cheln auf der ganzen Fläche des linken Lungenflügels hinzu, bei dessen Erscheinen ein leichtes Asthma eintrat. Der Herz- schlag zeigte keine Veränderung. Mit der Erscheinung fing die innere Temperatur zu steigen an. Im Verlaufe einer Viertel- stunde erhob sich die Temperatur um 0,3° ©. (38,8° C.). In der folgenden Viertelstunde (folglich 2 Stunden nach der Ope- ration) beschleunigte sich das Athmen ein wenig (62 Mal in der Minute), das Asthma wurde heftiger und die Temperatur stieg jetzt um 0,5° C. (39,3°C.). Eine halbe Stunde nachher zeigten sich beim Kaninchen cyanotische Anfälle; die Zunge und die Lippen fingen an bläulich zu werden. Das Herz fing schwächer und langsamer zu schlagen an, das Asthma ward heftiger, die allgemeine Temperatur begann zu sinken. Mit dem Zunehmen der cyanotischen Anfälle erhöhten sich alle diese Erscheinungen. Während der 3 folgenden Stunden sank die allgemeine Temperatur um 6,2°C. Der Zustand des Ka- ninchens wurde allmählich schlimmer, und in der Nacht ver- schied es. Bei der Obduction zeigte sich “eine Entzündung des linken Lungenflügels mit einer heftigen Anschwellung im rech- ten. Bei allen meinen Versuchen, welche ich mit der Durch- schneidung des N. vagus an Kaninchen vornahm, zeigte sich neben anfänglichem unbedeutendem Sinken der allgemeinen Temperatur nach einiger Zeit jedesmal eine Entzündung der Lungen, und gegen das Ende traten ceyanotische Anfälle hinzu. Aus diesen Versuchen ziehe ich folgende Schlüsse: 1) Das Durchschneiden des N. vagus zeigt keine durchgrei- fende Wirkung auf die Veränderung der allgemeinen Tempe- ratur des thierischen Körpers. Da nun nach der Durchschnei- dung dieser Nerven keinerlei Veränderungen in dem Zustande des Blutsystems bemerkbar sind, und da die Beobachtungen zeigen, dass die Oberflächen-Temperatur in diesen Fällen gleich- . mässig mit der inneren sinkt: so müssen wir das anfängliche “ unbedeutende Sinken der allgemeinen thierischen Wärme auf s Zur Lehre von der thierischen Wärme. 169 die Störung des physiologischen Verhältnisses, in welchem der Herzschlag zum Athmungsprocesse steht, zurückführen. Dabei kann man allerdings nicht die Möglichkeit einer directen Ab- kühlung des Blutes in den Halsgefässen bei der Bloslegung derselben zur Zeit der Durchschneidung der Nerven läugnen. 2) Sobald die Entzündung der Lungen, welche in diesen Fällen, wie Traube annimmt, immer hinzutritt, sich zu ent- wickeln beginnt, fängt in Folge der mechanischen Reizungen durch den Speichel, die schleimigen Substanzen u. s. w., die allgemeine Temperatur zu steigen an. 3) Mit dem Hinzukommen der cyanotischen Erscheinungen, folglich mit der vollständigen Störung des Blutumlaufs fängt die allgemeine Temperatur des Thieres zu sinken an, und die- ses Sinken setzt sich stufenweise fort, bis der Tod eintritt. Jetzt will ich zur Beschreibung der Erscheinungen über- gehen, welche sich mir bei der Durchschneidung des Gehirns dargeboten haben. Diese Durchschneidungen gehören schon zu den schwierigeren physiologischen Experimenten, weil sie einer- seits in einer verdeckten Höhlung stattfinden, so dass bei der Durchschneidung selbst leicht Fehler vorkommen können, an- dererseits auch deshalb, weil sie oft mit starkem Blutverluste verknüpft sind und daher die Klarheit des Experiments beein- trächtigen. Daher gelingt die Mehrzahl dieser Versuche nicht oder bleibt ohne jegliches Resultat für die Forschung. Hier will ich auf eine Stelle aufmerksam machen, deren Affection eine merkliche Veränderung der allgemeinen thierischen Wärme hervorruft. Diese Stelle liegt dort, wo das verlängerte Mark und die Varolsbrücke an einander grenzen. Das Durchschnei- den der übrigen Theile des Gehirns lieferte wegen des schnell erfolgten Todes des Thieres in Folge des inneren Blutverlustes und des Druckes auf das Gehirn keine positiven Resultate für die Forschung. Wenn man durch den oberen Theil des Occipitalknochens in die Schädelhöhle dringt und das verlängerte Mark an der Grenze seines Ueberganges zur Varolsbrücke behutsam durch- schneidet, so verendet das Thier nicht gleich nach der Opera- tion und gewährt einige Stunden hindurch die Möglichkeit, die 170 J. Tscheschichin: Folgen zu beobachten. Ich will hier das eclatanteste Beispiel anführen. An einem Kaninchen von mittlerer Grösse, mit der normalen Temperatur von 39,4° C. und 7Smaliger Athmung in einer Minute, wurde die erwähnte Durchschneidung mit Erfolg vorgenommen. Gleich nach der Operation fing die allgemeine Temperatur zu steigen an (s. Beispiel 8 in der Tabelle), das Athmen und der Herzschlag sich zu beschleunigen. Nach einer halben Stunde stieg die Temperatur auf 40,1°C., nach einer Stunde auf 41,2°C., das Athmen auf 90 Mal in der Minute; der Herzschlag beschleunigte sich so sehr, dass man die ein- zelnen Schläge nicht mehr zählen konnte. Bald nach der Ope- ration begannen die Reflexerscheinungen sich zu verstärken und erreichten jetzt einen so hohen Grad, dass die geringste Berüh- rung des Thieres Zittern am ganzen Körper hervorrief. Nach 1'/, Stunden stieg die Temperatur auf 42,1° C., das Athmen auf 102 Mal in der Minute. Nach 2 Stunden erreichte die Tem- peratur 42,6° C.; in dieser Zeit stellte sich kurzer Athem ein, die Reflexerscheinungen wurden noch stärker, es stellten sich Convulsionen ein, unter welchen nach einer halben Stunde das Kaninchen starb. Bis dahin boten sich uns bei den Durchschneidungen an verschiedenen Stellen des Rückenmarks jedesmal beinahe ein und dieselben Erscheinungen dar: eine Unterbrechung der will- kürlichen Bewegungen, der activen Thätigkeit der Gefässe und ein Sinken der allgemeinen Temperatur. Jetzt, nach ausge- führter Durchschneidung in der Schädelhöhle, nachdem wir das Rückenmark von dem Gehirn losgeschnitten oder, so zu sagen, abgetrennt hatten, erhielten wir vollkommen entgegengesetzte Erscheinungen. Es zeigten sich gesteigerte organische Functio- nen: die Reflexe steigerten sich, das Athmen und der Herz- schlag wurden beschleunigter, die allgemeine Temperatur stieg. Indem’ alle diese Erscheinungen mit einer ganz besonderen Kraft sich vollzogen, repräsentirten sie einen vollständigen Ge- gensatz zu den gedrückten paralytischen Erscheinungen. Es muss folglich die Ursache davon in der Unversehrtheit des Rückenmarks und in der gesteigerten Thätigkeit der Centren desselben liegen. Zur Lehre von der thierischen Wärme, Kal: In der Gegenwart verfügt die Wissenschaft über viele That- sachen, welche auf eine selbstständige Thätigkeit des Rücken- marks hinweisen, und diese letztere hält Pflüger für ein aus- gemachtes Factum. Man erkennt in demselben verschiedene Centren an, welche verschiedene Functionen leiten und eine vollkommene Selbständigkeit des Rückenmarks beweisen. Dass alle diese Centren bei unmittelbarer Reizung derselben ihre Thätigkeit steigern können, daran lässt sich nicht zweifeln, aber ob sie nach der gestörten Verbindung des Gehirns und des Rückenmarks selbständig sich äussern könne, das ist noch nicht hinreichend bewiesen. Gegenwärtig hat man die Frage angeregt, ob im Gehirne Centra vorhanden seien, welche mässigend auf das Rückenmark einwirken. Man nimmt an, dass solche Centra durch ihre fort- währende Thätigkeit die Intensität der Thätigkeit des Rücken- marks verringern, und dass umgekehrt mit der Zerstörung der- selben die Rückenmarkscentren in einem so hohen Grade ge- reizt werden, dass sich ihre Thätigkeit krankhaft steigert. Längst ist das Factum bekannt, dass nach vollzogener Trennung des Rückenmarks vom Gehirne die Reflexe sich steigern, "und gegenwärtig sucht Prof. Stetschenoff das Vorhandensein von Centren im Gehirne nachzuweisen, durch welche diese Reflex- Erscheinungen gemässigt werden. Wir verweisen auf das oben erwähnte Beispiel von der Durchschneidung des Gehirns, wo mit der Steigerung der Reflexe das Athmen schneller wurde, der Herzschlag sich beschleunigte und die allgemeine thierische Wärme stieg. Dieses Beispiel betrachten wir als einen Beweis für die Annahme , wonach das Rückenmark unmittelbar nach dessen Trennung vom Gehirne einige Zeit hindurch selbstän- dig zu wirken fähig ist, und wonach sich diese Selbständig- keit in der gesteigerten Reizbarkeit der Centren desselben äussert, deren Thätigkeit sich vorübergehend in krankhafter Weise steigert und in den gesteigerten thierischen Funetionen sich manifestirt. Dieses Experiment gehört folglich zu der Reihe der Thatsachen, aus denen sich in positiverer Weise das Vorhandensein von besonderen Centren im Gehirne annehmen lässt, welche die selbständige Thätigkeit des Rückenmarks moderiren. 172 | J. Tscheschichin: Nicht nur physiologische Versuche führen zu der Annahme der Existenz genannter Centren, sondern es giebt auch klinische Thatsachen, welche für eine derartige Annahme sprechen. Ob- gleich gegenwärtig diese Facta noch nicht zahlreich sind, so reichen doch schon einige Fälle hin, um auf deren Wichtigkeit hinzuweisen. Dr. W. Erb!) bringt aus der Klinik des Prof. Friedreich die Beschreibung einiger Todesfälle von verschiedenen Kranken, grösstentheils mit chronischen Leiden. In allen diesen Fällen beobachtete Dr. Erb vor dem Eintritte des Todes eine voll- ständige Abwesenheit der psychischen Functionen, bewusstlosen Zustand, mit paralytischen Erscheinungen, doch daneben einen fieberhaften Zustand mit bedeutender Erhöhung der Temperatur. Bei der Obduction nun fand er bei unversehrtem Zustande des Rückenmarks die Folgen verschiedener Leiden des Gehirns. Aehnliche Facta ferner lesen wir in den Krankengeschichten der an verschiedenen Neurosen Verstorbenen, mitgetheilt durch Prof. Wunderlich.?) In allen diesen Fällen sehen wir, wie bei vollständig feh- lender Thätigkeit des Gehirns, in Folge verschiedener patholo- gischer Veränderungen, ein fieberhafter Zustand eintritt, mit den ihm eigenthümlichen Symptomen von Seiten des Herzens und des Athmens, mit bedeutender Erhöhung der allgemeinen. Temperatur; wir sehen folglich diejenigen Erscheinungen, welche uns das physiologische Experiment zeigte, nachdem die Thätig- keit des Gehirns durch das Durchschneiden zerstört war. Bei beiden Beispielen bemerken wir, dass nach vernichteter Thätig- keit des Gehirns die Rückenmarkscentra einige Zeit hindurch selbständig wirken, indem sie diese Thätigkeit durch die krankhaft gesteigerten thierischen Functionen äussern, bei denen die Reihe der allgemeinen chemischen Processe in gesteigertem Maasse auftritt, welches einen so hohen Grad erreicht, wie es bei normaler Thätigkeit des Gehirns nie der Fall ist. Auf diese Weise sind wir auf Grund physiologischer Ver- 1) Deutsches Archiv für klinische Medicin, 1865. 2) Archiv der Heilkunde, V. 204. Zur Lehre von der thierischen Wärme, 173 suche und klinischer Fälle berechtigt, das Vorhandensein be- sonderer Einrichtungen im Cerebral-Nervensystem zu statuiren, durch welche die thierischen Functionen moderirt werden; be- sonderer Centren, deren beständige moderirende Thätigkeit für das normale physiologische Leben des Individuums nothwen- dig ist. Hinsichtlich der örtlichen Lage solcher Moderations-Centra können wir gegenwärtig, da uns keinerlei positive Data zu Ge- bote stehen, nur behaupten, das sie sich im Gehirne befinden. Ein bedeutendes Steigen der Temperatur beobachtete ich noch, nachdem ich bei Kaninchen in Fäulniss übergegangene organische Flüssigkeiten eingespritzt hatte, z. B. Blutserum. Da die von mir dabei beobachteten Erscheinungen vollkommen identisch mit denen waren, welche Dr. Billroth') und Dr. O. Weber beschrieben haben, so will ich dieselben nur in der Kürze erwähnen. Nachdem ich einem Kaninchen in Fäulniss übergegangenes filtrirtes Blutserum (in der Quantität einer Drachme) eingespritzt hatte, entwickelte sich erst nach andert- halb Stunden ein Fieber, die Temperatur stieg anfangs ziem- lich langsam, erhob sich jodoch nach einigen Stunden bis auf 39,70 C. (38,6°C.). Des Abends, 7 Stunden nach der Ein- spritzung, erreichte die Temperatur 40,6° C. Jetzt wurde das Athmen beim Kaninchen beschwerlich (140 Mal in der Min.), in den Lungen stellte sich Röcheln ein, die Herzschläge konnte man in Folge ihrer Schnelligkeit nicht zählen. Gegen Morgen starb das Kaninchen. Bei der Obduction zeigte sich eine Ent- zundung der linken Lunge und ein Oedem der rechten. In - den anderen Organen waren keinerlei Veränderungen. Blutge- rinnsel in den Lungengefässen (Thrombus), wodurch man die Lungenentzündung hätte erklären können, wie man dies sonst bei ähnlichen Einspritzungen beobachtet hatte, konnte ich nicht - finden. Den fieberhaften Zustand, verbunden mit bedeutender Er- 1) Archiv f. klin. Chirurgie, Ill. 372. 2) Handb. d. allgem. u. spec. Chirurgie, von Dr. v. Pitha und Billroth, I. Bd. — und Deutsche Klinik 1865, Nr. 3. 174 J. Tscheschichin: höhung der Temperatur, welcher nach Einspritzung verschiede- ner in Fäulniss übergegangener Producte eintritt, führen einige Gelehrte als Beweis der Ansicht an, dass jedes Fieber in Folge der Reception schädlicher Substanzen in’s Blut entsteht, welche das Nervensystem unmittelbar affieiren und den allgemeinen or- ganischen Stoffwechsel beschleunigen. In letzter Zeit wurde eine solche Ansicht unter den Klinikern die herrschende, und einige!) nehmen an, dass die schädlichen Substanzen, indem sie in’s Blut dringen, ähnlich "wie die Fermente den allgemei- nen Stoffwechsel beschleunigen, und, indem sie das Nervensy- stem afficiren, dessen moderirenden Einfluss auf Erzeugung der Wärme unterbrechen. Wir glauben, dass diese Ansicht, bei der Existenz von im Allgemeinen die thierischen Processe moderi- renden Centren, des Grundes nicht entbehrt: nur wollen wir hier bemerken, dass die Erklärung eines jeden fieberhaften Zu- standes durch das Aufnehmen einer schädlich wirkenden Sub- stanz in’s Blut zu einseitig und übertrieben ist: nicht alle fieberhaften Paroxysmen kann man durch eine solche Annahme erklären. Wir glauben, dass jede äussere Reizung, indem sie auf die psychische und sensible Sphäre des Organismus mächtig einwirkt, die Moderations-Oentra reflectiv affieiren kann. Auf diese Weise kann man die fieberhaften Paroxysmen, welche auf heftige psychische Erschütterungen folgen, erklären (Schreck, Zorn, Freude u. s. w.), oder solche, die nach hef- tigen Gefühlsaufregungen eintreten (z. B. das Fieber in Folge der Einführung des Katheters u. s. w.). Alles aus den angeführten Experimenten Gefolgerte können wir in folgenden Sätzen ausdrücken: 1) Das Rückenmark, indem es die Centren des Blutumlaufs und Athmens in sich schliesst, wirkt mittelbar auf den organi- schen Chemismus ein und folglich auf die thierische Wärme. 2) Das Durchschneiden des Rückenmarks hat im Gefolge eine Verzögerung des Blutumlaufs und eine Ueberfüllung der Venen mit Blut, in Folge deren die Wärmeausstrahlung: sich steigert und die allgemeine Temperatur sinkt. 1) Wachsmuth, Zur Lehre vom Fieber. Arch. f. Heilk. 1865. II. Zur Lehre von der thierischen Wärme, 175 3) Indem man den thierischen Körper in schlechte Wärme- leiter einhüllt und auf diese, Weise den Wärmeverlust durch die äussere Oberfläche des Körpers verringert, kann man das beschleunigte Sinken der inneren Temperatur verzögern oder ihm vorbeugen; und umgekehrt, je kühler das Medium, in wel- chem der thierische Körper ‚nach der Durchschneidung des Rückenmarks sich befindet, desto schneller kühlt derselbe ab. 4) Da die Ursache, welche die vermehrte Ausstrahlung der Oberflächenwärme bedingt, in der Paralyse der Gefässe und in der Ueberfüllung derselben mit Blut enthalten ist, so verzögern alle Mittel, wodurch diese Paralyse aufgehoben wird, die Aus- strahlung der Wärme. 5) Die Mittel, welche die Paralyse der Gefässe verursachen, wirken in gleicher Weise auf die Ausstrahlung der Oberflächen- wärme wie das Durchschneiden des Rückgrats. 6) Die Krämpfe, welche bei der Vergiftung durch einige Gifte eintreten, steigern sofort die innere Temperatur des ani- malischen Körpers. 7) Bei den durch Spiritus vergifteten Thieren beginnt gleich nach der Vergiftung die allgemeine Temperatur zu sinken. 8) Die Durchschneidung des sympathischen Nerven übt den- selben Einfluss auf die Vertheilung der allgemeinen Wärme des Thieres wie das Durchschneiden des Rückenmarks. 9) Die Durchschneidung des N. vagus hat keinen bedeutenden directen Einfluss auf die Veränderung der thierischen Wärme. 10) Die Durchschneidung des verlängerten Marks in der Schädelhöhle an der Stelle, wo letzteres mit der Brücke zu- sammengrenzt, hat heftige fieberhafte Erscheinungen im Gefolge, 11) Gleiche fieberhafte Erscheinungen treten nach Einspriz- zung in Fäulniss übergegangener animalischer Flüssigkeiten ein. 12) Physiologische Experimente und klinische Thatsachen be- stätigen das Vorhandensein von Moderationscentren im Gehirne, 176 J. Tscheschichin: Innere Tem- | Durchschnei- peratur. dungsstelle. Beobachtunpszeit. 1. Kanin-- 38,9° C. | Zwischen | Nach 10 Min. Nach 10 Min. chen von dem 3. und 4. 37,7 36,1° mittlerer Halswirbel. | N, ıoM. N. 10M. N.ıoM. Grösse, 12 Uhr. 34,40 33,90 31,80 Um%34 Uhr IUm A70hr 26,80 25,90 Am Morgen des folgenden Ta- ges war das Thier todt. 2. Kanin-| 38,6° C. im | Zwischen N. 15M. N. ı10oM. N.10M. chen von| Mastdarme. |5. und6.Hals-) a) 36,5° 35,6° 34,6° mittlerer 137,800. unter wirbel b) 36,8 39,90 34,5 Grösse. | der Haut. | 103 Uhr. | w.ıoM. N.ıoM. N.ıoM. a) 340 33,40 32,80 b) 33,80 33,20 32,6° N. 10M. N. 10oM. N.10M. a) 322° 31,70 27,6° b) 320 31,50 097° a) Aeussere Temperatur. b) Innere Temperatur. Am Morgen des folgenden Ta- ges war das Thier todt. Zur Lehre von der thierischen Wärme. 177 " T Durchschnei- ONnlonnoel , Beobachtungszeit. peratur. dungsstelle. | 3. Kanin-| 38,9° C. im | Zwischen N. 10M. N. 20M. N.20M. chen von | Mastdarme. [dem 5. und 6. 34,10 36,6° 36,5° mittlerer |38,2°C. unter) Halswirbel. 37° 37° 36,7° Grösse. der Haut. | Gleich nach N.20M. N. »0M. der Operation 36,4° 36,3° Einhüllung 36,4 36,3 des Thieres in|. Am Morgen des folgenden Ta- uno ges: um 11U. um 1U.Nm. 33,40 32,40 32,90 32,10 Am Morgen des dritten Tages war das Thier todt. Eu 39,4° C. Zwischen | Gleich nach der Eintauchung: dem letzten 30,5° etwas Ä nn Beust hl ae re Ei Gleich nach der Operatien N5M. N5M. NioM. Eintauchung des Thieres in Wasser (14 Litre) von einer Temperatur von 15,6° C, (um 113 Uhr). Nach 5 Mi- nuten wurde das Thier her- ausgenommen, wobei die Temperatur des Wassers 16° ©. war. 27,6° 27,20 26,60 N. 10M. N. 10M. N.30M. 25,70 25,10 23,70 Zu dieser Zeit traten Convul- sionen ein, wobei die Tem- peratur auf 24,2° C. stieg. Aber nach 10 Min. begann die Temperatur wieder zu sinken, und nach 30 Min. war sie 23,9° C., nach einer Stunde 22,9° C. Von dieser Zeit ab befand sich das Thier in Agonie. Das 'Thier lebte annähernd 5 Stunden. In ET EHER EL FERNE PERS. SEEN EBEN SER) ER EIIE EENER BE EEE FESTER 5. Kanin- chen von etwas mehr als mittlerer Grösse. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 33.900. Zwischen dem letzten Hals-u.ersten Brustwirbel. N. 5.M.. N.5M. | N. 10oM. 39,4° 38,90 38,6° Von dieser Zeit ab Anwendung elektrischer Reizung. N. 10M. N. 15M. N. 15M, 38,40 37,90 37,40 N. 30 M. N, 3 St. 36,9° 33° 12 178 J. Tseheschichin: GTZ TH >> DIDI EL I en nm Innere Tem-| Durchschnei- peratur. | dungsstelle. Beobachtungszeit. 6. Kanin-, 39,5°C, | Rinspritzung Nach 2 Min. Athmungsfrequenz chen von Athmungsfre-| eines halben | um die Hälfte vermindert (46). mittlerer | quenz 80. | Tropfens Ni-; Herzschlag ebenfalls (138), Grösse. | Pulsfrequenz| cotin unter N.5M. N.10oM. N: ı15M. 260. die Haut, 38,30 380 37,30 N. 30 M. 36,5° ne ' Eine halbe Stunde nach der en Einspritzung: Vermehrung der Puls- und Athemfrequenz und Erhöhung der inneren Temperatur. 24 Stunden nachher vollständige Erho- lung des Thieres. SA 7. Kanin- 39,2° C | Subeutane | N. 10M. N. 10M. N.10M. chen von en von 37,4° 35,3 34,79 mittlerer 2 Tropfen Ni- Zu dieser Zeit begannen die Grösse. cotin. Convulsionen, wobeidieTem- | | peratur in 15 Minuten nur um 0,2° C. (34,5° C.) sank. In den darauf folgenden 10 Mi- nuten, bei Gegenwart schwa- cher Krämpfe, stand die Tem- peratur auf derselben Höhe (34,5° C.). Nach ferneren 15 Minuten hef- tige Krämpfe und Tempera- turerhöhung um 0,3 (34,8°C.). 14 Stunden nach der Einspriz- zung starb das Thier unter heftigen Convulsionen nnd MERBRE:S Dyspnoe. In 15 Min. nach dem Tode des Thieres er-. höhte sich die Temperatur um 0,2° C. 8. ein Soc. ren Nyon WE 39,40 C. Durchschnei-), N.5M. N. ı10M. N. ı15M. chen von Athemfreg. dung der Me-}] 39,7° 39,9° 40,1° mittlerer 76. dulla oblon- Athemfreg. 78. Grösse. | Pulsfrequenz |gata an ihrer Pulsfreg. 250. Grenze mit N. 30 M. der Varols- 41,2° C. brücke, inner- Athemfrequenz 82. halb der Schä- Puls unzählbar. delhöhle, um Steigerung der Reflexerreg- 12 Uhr. barkeit. ce en Zur Lehre von der thierischen Wärme. 179 | peratur. | Durchschnei- dungsstelle. (8. Kanin- | chen.) Beobachtungszeit. N. 15 M. 41,6° C. Athemfrequenz 94. ‚, Reflexerregbarkeit noch mehr gesteigert. N. 15 M. 42,1° C. Athemfrequenz 102. Dyspno&. N. 30M. 42,6° C. Dyspno& heftiger. Reflexerregbarkeit ungewöhn- lich gesteigert. N. 30 M. Allgemeien Convulsionen und Tod. 125 180 H. Hoyer: Ueber den Austritt von Nervenfasern ın das Epi- thel der Hornhaut. Von Prof. H. Hover in Warschau. Bei Gelegenheit meiner Untersuchungen über die Textur der Hornhaut war meine Aufmerksamkeit zu wiederholten Ma- len durch die zu zierlichen Netzeu vereinigten Nerven dieser Membran gefesselt worden. An den mit Höllensteinlösung ge- tränkten und demnächst mit Jodkalium und verdünnter Salz- säure behandelten Hornhäuten!) traten die Nerven selbst bis in ihre feinsten Verzweigungen deutlich zum Vorschein, und wenn es gelungen war, ın den zellenhaltigen sternförmigen Lücken des Gewebes einen dichten körnigen Niederschlag zu erzeugen, so fanden sich regelmässig auch die gröberen und feineren Aest- chen des Nervennetzes mit einer mehr oder weniger dichten Schicht von feinen Silberkörnchen bedeckt, wodurch dieselben noch um so deutlicher von dem hellen Zwischengewebe sich abhoben. Auch an denjenigen Präparaten, in welchen die Grundsubstanz durch Imprägnation mit Silberlösung und un- mittelbare Einwirkung des Lichtes dunkel gefärbt worden war (vorzüglich an den Hornhäuten vom Frosche), liessen sich die netzförmig mit einander verbundenen nervenführenden Hohl- räume als helle, verschieden breite, kanalartige Lücken inner- halb der dunkel gefärbten Grundsubstanz deutlich wahrnehmen; 1) Hoyer, Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. Dieses Archiv 1865, S. 222 und 210. Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 181 man konnte sich auch überzeugen, dass die sternförmigen zel- lenführenden Lücken mittelst ihrer Fortsätze mit den die Ner- venästchen einschliessenden röhrenförmigen Hohlräumen direct communicirten, ähnlich wie man an trockenen in Balsam auf- bewahrten Knochenschliffen die Ausläufer der sternförmigen Knochenhöhlen mit den Havers’schen Kanälen zusammenhän- gen Sieht. Diese Beobachtungen im Verein mit den die Horn- hautnerven betreffenden neueren Arbeiten veranlassten mich zu einer näheren Erforschung der sogenannten Nervenendnetze in der Hornhaut, und es gelang mir dabei sehr bald, auf eigen- thümliche Verhältnisse zu stossen, welchen — soweit mir be- kannt — bisher.nur durch Sämisch eine nähere Berücksich- tigung zu Theil geworden ist, obschon auch diesem Forscher die wahre Bedeutung derselben noch entgangen zu sein scheint. Die betreffende Originalarbeit von Sämisch habe ich mir bis jetzt leider noch nicht zu verschaffen vermocht; in den Berich- ten!) darüber finde ich in Bezug auf das uns hier näher inter- essirende Verhalten der Hornhautnerven nur folgende kurze Notiz: „Es werden bisweilen Fasern gefunden, die sich zu einer Verbindung mit anderen nicht verfolgen lassen.* Die Methoden, welche ich bei diesen Untersuchungen mit mehr oder weniger günstigem Erfolge in Anwendung gezogen habe, waren folgende: Dünne zarte Hornhäute von kleinen Thieren, namentlich von Fröschen, Tritonen und Sperlingen wurden theils ganz frisch und zwar in Humor aqueus oder ohne jeden Zusatz untersucht, oder die Augen blieben zuvor einige Zeit (3—24 Stunden) in der feuchten Kammer liegen und wurden dann nach erfolgter Ablösung des Epithels, welche sich leicht und ohne Beschädigung des Präparates bewerkstel- ligen lässt, sorgfältig durchmustert. An derartigen Objecten kann man sich einerseits von dem wirklich nervösen Charakter der von den Forschern als Hornhautnerven anerkannten Gebilde überzeugen, indem man am Rande der Hornhaut die dunkel- randigen Nervenfasern ihre Markscheide verlieren und deutlich 1) Henle’s Bericht über die Fortschritte der Anatomie im Jahre 1862, 3. 54. — Centralblatt f. d. med. Wissensch , 1863, 8. 151. 182 H. Hoyer: übergehen sieht in die marklosen blassen, weiterhin sich netz- artig durchflechtenden Fasern; andererseits dienen diese vom normalen Zustande wenig oder gar nicht abweichenden Präpa- rate zur Controlle der an künstlich hergestellten Objecten be- obachteten Erscheinungen. Zur Untersuchung von dünnen Horn- häuten wendete ich ferner mit Vortheil die Chromsäurelösung nach Kühne an (0,1—1 Theil Chromsäure auf 1000 Theile einer 0,25°/, Kochsalzlösung), zumal wo es galt, das Ver- hältniss der sternförmigen Hornhautzellen zu den Nerven einer näheren Prüfung zu unterwerfen; für die Erforschung der so- gleich näher zu beschreibenden Nervenausläufer erschien mir jedoch die Einlegung der Augen durch mehrere Stunden in reine verdünnte Chromsäure von 0,1—0,02°/, und alsdann in reine verdünnte Salzsäure von 0,1°/, viel zweckentspre- chender, obschon auch an ersteren die zu schildernden Ver- hältnisse gewöhnlich mit ausreichender Deutlichkeit wahrge- nommen werden können. Für die Untersuchung der Nerven in der Hornhaut grösserer Thiere bedarf es besonderer künst- licher Methoden, den Hornhäuten muss eine gewisse Härte er- theilt werden, damit man in Stand gesetzt werde, zarte Schnitte in senkrechter Richtung und parallel zur Oberfläche anzuferti- gen. Hierzu brachte ich mit grossem Vortheile zwei verschie- dene Verfahrungsweisen in Anwendung: ich behandelte die Hornhäute theils nach der oben angedeuteten Methode, d. i. Einlegen in 0,2, Höllensteinlösung durch 15 Minuten und darüber und alsdann mehrstündige Maceration in einer Mi- schung von 40 Ce. Wasser, 1 Tropfen gewöhnlicher käuflicher Salzsäure und 0,05—0,1 Grm. Jodkalium, oder ich legte die Hornhäute durch 6— 24 Stunden in 40 Ce. einer 0,1—0,01°/, Lösung von Chromsäure, der ein Tropfen Salzsäure zuge- setzt wurde. Beabsichtigte ich die Hornhaut zur Anferti- gung von Flächenschnitten zu verwenden, so musste vor Allem das Epithel der Vorderfläche ohne jede Insultation der Horn- hautsubstanz beseitigt werden; es diente mir dazu die Einle- gung der silbergetränkten Hornhaut in eine rein wässrige oder schwach alkoholhaltige Lösung von Jodkali und Salzsäure oder die Behandlung der Hornhaut mit einer Mischung von Salz- Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 183 säure und stark verdünnter Chromsäure (0,01—0,04°/,), in welchen das Epithel entweder von selbst sich loslöste oder seine Verbindung mit der Hornhautsubstanz wenigstens so ge- lockert wurde, dass es sich mit Leichtigkeit ablösen liess. Wollte ich dagegen senkrechte Schnitte anfertigen und dabei zugleich eine Ablösung des Epithels verhüten, so verwandte ich im ersteren Falle anstatt des schwach alkoholhaltigen Wassers eine Mischung von 5—10 Volumtheilen 90°/, Alkohols mit 95 — 90 Volumtheilen Wasser, im zweiten Falle dagegen eine stärkere (0,05 — 0,1°/,) Lösung von Chromsäure mit dem gewöhnlichen Zusatze von Salzsäure, worin die Hornhaut nach einigen Tagen eine knorpelige Härte annimmt, ohne an ihrer Durchsichtigkeit etwas einzubüssen. . An auf diese Weise behandelten Präparaten lassen sich nicht allein die Ner- ven bis in ihre feinsten Verzweigungen deutlich wahrnehmen, sondern man kann derartige Hornhäute auch zum Nachweise der zelligen Gebilde benutzen, welche mit ihrem körnigen Proto- plasma, ihren Kernen und feinsten Ausläufern auf das schönste und deutlichste von der hellen klaren Zwischensubstanz sich abheben. Die mit Höllensteinlösung behandelten Hornhäute sind nicht nur allein dann geeignet zur Untersuchung, wenn ein körniger Niederschlag innerhalb der zellen- und nervenhal- tigen Lücken sich gebildet hat, sondern auch ohne einen sol- chen, ja im letzteren Falle treten die Nerven sogar noch viel deutlicher zum Vorschein und selbst die sternförmigen Zellen markiren sich mit ausreichender Deutlichkeit. Für die Unter- suchung des sogleich näher zu beschreibenden eigenthümlichen Verhaltens der Nerven sind indessen nur die Hornhäute gewis- ser Thiere verwendbar und zwar ausser den bereits angeführten liefern auch noch die Augen von grösseren Thieren, z. B. Hüh- nern, Enten u. a. ziemlich günstige Präparate, am vorzüglich- sten aber eignen sich zur Untersuchung die Augen von kleinen und mittelgrossen Kaninchen. Die Hornhäute von Menschen, Hunden, Katzen, Kälbern, Schweinen u. a. sind zu dergleichen Beobachtungen fast ganz unbrauchbar, da der Nervenverlauf in den an das Epithel der Vorderfläche grenzenden Schichten der Hornhautsubstanz vollständig verdeckt wird durch die sogenann- 184 H. Hoyer: ten „Stützfasern*, d. i. die bogenförmig zur Oberfläche empor- steigenden feinen Ausläufer der Zellen nebst den sie begleiten- den und einander durchflechtenden lamellenartigen Bündel der Grundsubstanz; indessen lassen sich auch hier die Nerven in den tieferen Schichten der Hornhaut (bei entsprechender Be- handlung) deutlich wahrnehmen und man kann dieselben bis ziemlich an die Oberfläche heran verfolgen, wo sie indessen zwischen den Stützfasern der weiteren Beobachtung sich ent- ziehen. — Bei meinen Untersuchungen bediente ich mich eines Hartnack’schen Mikroskopes mit Immersionssystem Nr. 9; die gewöhnlich angewandten Vergrösserungen betrugen 450, sel- tener 600. Den Angaben der neueren Forscher über Eintritt, Verbrei- tung und netzförmige Verbindung der Hornhautnerven habe ich nichts Wesentliches zuzufügen. Die aus mehr oder weniger Fasern bestehenden Nervenstämmchen treten aus der weissen Haut zwischen die tieferen Schichten der Hornhaut hinein und verlieren bereits vor oder auch gleich nach dem Eintritte in die- selbe ihre Markscheide, seltener lassen sich einzelne markhal- tige Fasern eine Strecke weit in die Hornhaut hinein verfol- gen. In den hintersten, unmittelbar an die Descemet’sche Haut grenzenden Schichten der Hornhaut grösserer Thiere habe ich niemals Nerven aufgefunden. Durch zahlreiche Verästelun- gen und Anastomosen bilden die Nerven in den tieferen Schich- ten der Hornhaut weitmaschige, überwiegend aus stärkeren Aest- chen bestehende Geflechte; man sieht deutlich, dass in den drei- oder mehreckigen Vereinigungspunkten die Fasern sich nur an einander legen oder durchkreuzen. Von den gröberen Geflechten erheben sich zahlreiche dünnere Aestchen gegen die Vorderfläche und bilden um so dichtere Maschenwerke, je mehr sie sich der Oberfläche der Hornhaut nähern; man er- kennt aber auch hier noch mit hinreichender Deutlichkeit, dass die stärkeren Aestchen und Knotenpunkte noch aus mehrfachen Fasern gebildet werden. Solche zusammengesetzten, wenn auch bereits ziemlich dünnen Nervenästchen findet man, wenn auch nur sparsam, selbst in den äussersten Lagen der Hornhautsub- stanz; indessen überwiegen in den letzteren bedeutend die fei- Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 185 neren und feinsten, dem Anscheine nach aus vereinzelten Fasern und zartesten Fäserchen bestehenden Aestchen, welche sich un- ter einander zu den sogenannten „Endnetzen“ vereinigen. Der- gleichen zarte Aestchen sieht man vielfach auch in den mittle- ren Schichten von den stärkeren Geflechten sich abzweigen und entweder zu anderen starken Aesten hinübertreten oder unter einander sich verbinden. Innerhalb der gröberen Stämme findet man zahlreiche, länglich ovale, doppelt contourirte Kerne; zu- weilen sind 2 bis 3 derselben dicht neben einander gelagert; in den dünneren Aestchen werden die Kerne seltener, doch fehlen sie auch nicht in den ziemlich dünnen dem Anscheine nach vereinzelten Fasern, nur die allerfeinsten zartesten Fäser- chen entbehren der Kerne. Dieselben finden sich vorzüglich an den Knotenpunkten vor; sie nehmen daselbst meist eine dreieckige Gestalt an; auch findet man an den stärkeren Kno- tenpunkten öfter 2—3 solcher Kerne dicht bei einander. An solchen Stellen, wo eine feine Faser von einem stärkeren Aest- chen sich abzweigt, fehlen oft die Kerne; besonders aber macht sich der häufige Mangel von Kernen an den Theilungs- und Vereinigungsstellen der feinsten Fasern bemerkbar. Dieses ganze Verhalten beweist deutlich, dass die Knotenpunkte nicht als Nerven- oder Ganglienzellen angesprochen werden können. An der Uebergangsstelle von markhaltigen Nervenfasern in marklose sieht man die Nervenfaser (ganz wie an den Pacini- schen Körperchen) sich verschmälern und als blasser, scheinbar freier Achsencylinder sich fortsetzen; im weiteren Verlaufe, an den Knotenpunkten und insbesondere an den feineren und fein- sten Fasern lässt sich der letztere wegen seines geringen Licht- brechungsvermögens nicht mehr mit Sicherheit erkennen. Die in den stärkeren Aestchen und vorzüglich an den Knotenpunk- ten deutlich zum Vorschein tretenden, stärker lichtbrechenden, zuweilen selbst glänzenden Fasern rühren wohl schwerlich von den Achsencylindern her; sie scheinen mir vielmehr den Oon- touren der zarten (bindegewebigen?) Scheiden zu entsprechen, von welchen die blassen Nervenfasern eingehüllt werden. Die Frage, ob die feineren und feinsten, oft mit zarten varicösen Anschwellungen versehenen Fasern als vereinzelte Achsencylin- 186 H. Hoyer: der anzusehen sind, welche an den Knotenpunkten sich wieder- holt theilen und unter einander wieder zusammenfliessen, oder ob sie aus mehreren noch zarteren Fäserchen zusammengesetzt sind, die in den Knotenpunkten sich nur einfach mit einander durchflechten, lässt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Für die letztere Anschauungsweise spricht wenigstens der Umstand, dass die allerfeinsten varıcösen Fasern häufig in zwei Aestchen sich spalten, die eine Strecke neben einander herlaufen und alsdann wieder zu einer einzelnen Faser sich vereinigen. Die eben mitgetheilte Schilderung bezieht sich vorzüglich auf die Augen der Säugethiere, insbesondere des Kaninchens, mit welchen ich mich vorzugsweise beschäftigt habe; doch findet sie mit mehr oder weniger Abweichungen auch auf die Augen der anderen Thierklassen Anwendung. Beim Frosche ist das Netzwerk feinerer vereinzelter Fasern weniger deutlich .ausge- prägt und schwer zu verfolgen. Die Nervennetze manifestiren sich hier mehr in den tieferen und mittleren Schichten und bestehen dem grösseren Theile nach aus zusammengesetzteren Aestchen; die von denselben sich abzweigenden vereinzelten Fasern treten theils mit anderen Fasern oder Aestchen in Ver- bindung, theils erheben sie sich nach kürzerem oder längerem Verlaufe meist mit plötzlicher Biegung ge- gen dieäussere fläche der Hornhaut und lassen sich ohne Schwierigkeit bis zur Oberfläche der eigentli- chen Hornhautsubstanz verfolgen, wo sie dem An- scheine nach wie scharf abgeschnitten endigen. — Durchmustert man unter dem Mikroskope die Oberfläche einer Hornhaut des Frosches, welche nach entsprechender Vorberei- tung mittelst der oben besprochenen Chromsäurelösungen vor- sichtig von ihrem geschichteten Epithel befreit worden ist, so sieht man auf derselben eine mässige Anzahl heller rundlicher Flecke, welche sich fast wie Poren ausnehmen oder wie trichter- förmige, mit ein oder mehreren zarten Körnchen erfüllte Ver- tiefungen. (Dieselben sind nicht zu verwechseln mit den viel zahlreicher vorkommenden punktförmigen Endigungen der gleich- falls zur Oberfläche emporsteigenden Ausläufer vieler sternför- migen Hornhautzellen.) NRichtet man seine Aufmerksamkeit Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 187 genau auf eine solche Stelle und verstellt dabei den Focus des Mikroskopes, so bemerkt man, dass von jenem Flecke aus eine meist verdickte, deutlich wahrnehmbare Nervenfaser in die Tiefe der Hornhaut eindringt und alsdann ziemlich plötzlich umbiegend nach kürzerem oder längerem Verlaufe in ein dün- neres oder stärkeres Aestchen des Nervengeflechtes sich ein- senkt. Man hat die Mikroskopröhre zu senken, wenn die äus- sere Fläche der Hornhaut nach oben gewendet ist, dagegen zu heben, wenn sie vom Auge des Beschauers abgewendet, d. h. dem Öbjectglase zugekehrt ist. Die erstere Lage ist indessen die vortheilhaftere, weil dabei die Oberfläche weder durch die Hornhautsubstanz, noch durch das Epithel der Descemet’- schen Haut verschleiert wird. Zur Verfolgung des ganzen Ver- laufes einer solchen oberflächlich endigenden Faser bedarf es meist einer ansehnlichen Verrückung des Focus; die Mikro- meterschraube hat dabei etwa !/;—!/; Umdrehung zu vollfüh- ren. Durch Untersuchung des abgelösten Epithels kann man sich überzeugen, dass man nicht etwa eine äussere Lamelle der Hornhaut mit abgezogen (wie sich das zuweilen wirklich er- eignet) und eine künstliche Oberfläche erzeugt habe. Die auf. die beschriebene Weise endigenden Fasern sind zu charakte- ristisch, durch ihre häufig grössere Breite und ihren eigenthüm- lichen Verlauf zu sehr in die Augen fallend, als dass man hier einem Irrthum oder einer optischen Täuschung verfallen könnte. Verfolst man nun wiederum andererseits die von den Nerven- stämmcehen und Aestchen abtretenden vereinzelten Fasern, so wird es fast immer gelingen, vermöge allmählicher und entspre- chender Verstellung des Focus bei einem grossen Theile der- selben die rundliche oder trichterförmige Endigung an der Oberfläche der Hornhaut aufzufinden. An Präparaten, welche etwas stärker gequollen sind, treten diese abgerissenen Fasern besonders deutlich zum Vorschein; sie erscheinen dann gegen die Oberfläche hin bedeutend verdickt, wie mit Nervenmark angefüllt und der trichterförmige , entweder schräg gerichtete oder auch ganz senkrecht gestellte Eingang erscheint noch mehr erweitert. Es hat ganz das Aussehen, als ob derselbe von der hier endigenden verbreiterten Nervenfaserscheide gebildet würde, 188 H. Hoyer: während der abgerissene Achsencylinder in der Mitte des Trich- ters als feines Körnchen sich darstellt. Ob die so häufige Anwe- senheit von zwei und mehreren Körnchen in der trichterförmi- gen Vertiefung auf eine Zusammensetzung der Nervenfaser aus mehreren Achsencylindern hindeute, wage ich nicht bestimmt zu entscheiden. Eine Verwechselung der Nervenausläufer mit den zahlreichen, spindelförmigen, oft lang ausgezogenen Horn- hautzellen, sowie mit deren häufigen, an der Oberfläche wie abgerissen endigenden Ausläufern ist leicht zu vermeiden; auch das scheinbare Verschwinden dieser Nervenfasern in den stern- förmigen Zellen der Hornhaut wird man bei einiger Uebung leicht als durch plötzliche Aenderung der Richtung und des Verlaufes der Faser erzeugt zu erkennen im Stande sein. Das Verhalten der Nerven in den Hornhäuten der Vögel stimmt mit dem der Frösche im Wesentlichen überein. Wenn auch die an das Epithel herantretenden Ausläufer derselben im Ganzen dünner sind, als wie beim Frosche, so zeichnen sie sich dagegen gewöhnlich durch einen stärkeren Glanz aus und ihre äusseren Enden markiren sich an der Ober- fläche der Hornhautsubstanz als feine, glänzende, über die ganze Fläche zerstreute Pünktchen. Die mittlere gegenseitige Entfer- nung derselben betrug bei einem jungen Huhn 0,05 Mm., doch näherten sich einzelne bis auf 0,04 Mm., andere entfernten sich von einander bis auf 0,11—0,18 Mm. Das vorzüglichste Object zur Untersuchung der Horikkul nerven bietet unstreitig die Hornhaut von Kaninchen. Die ge- ringe Entwickelung und grosse Durchsichtigkeit der „Stütz- fasern“, welche dem Nachweise der Nervenfasern bis in ihre feinsten Verzweigungen kein Hinderniss entgegenstellen,, der grosse Reichthum an betreffenden Nervenausläufern und endlich die eigenthümlichen Verdickungen und das starke Lichtbre- chungsvermögen der letzteren machen es möglich, sowohl auf Flächen- als auch auf Querschnitten der Kaninchenhornhaut die Nerven bis zu ihrem Eintritte in das Epithel deutlich zu ver- folgen. Bereitet man sich von erhärteten und ihres Epithels entkleideten Hornhäuten feine Flächenschnitte und bringt sie in der Art unter das Mikroskop, dass die natürliche Oberfläche Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 189 der Hornhautsubstanz nach oben gekehrt und dem beobachten- den Auge zugewendet ist, während dagegen die Schnittfläche des Präparates dem Objectglase zugekehrt bleibt, so wird man alsbald an der Oberfläche des Präparates mehr oder weniger dicke glänzende Fasern bemerken, welche an der einen Seite gewöhnlich wie scharf abgeschnitten endigen, während das an- dere Ende in der Tiefe sich zu verlieren scheint. Verfolst man das letztere, indem man die Mikroskopröhre senkt, so findet man regelmässig, dass die Faser nach einem bogenförmi- gen Verlaufe mit den Aestchen des Nervennetzes in Verbindung tritt, und zwar vermittelst eines kernhaltigen oder kernlosen, grösseren oder kleineren Dreieckes. Die an der Oberfläche scheinbar blind endigende Faser stellt sich also in der That vollkommen dar wie ein feineres oder stärkeres Nervenästchen, „welches sich bis zu seiner Verbindung mit anderen Fasern des Nervennetzes nicht verfolgen lässt.“ Die an der Oberfläche endigenden Ausläufer zeigen die man- nigfaltigsten Modificationen: Sie sind entweder gablig getheilt (in 2—3 Aestchen) oder sie endigen vereinzelt, sie sind länger oder kürzer, je nachdem sie aus grösserer Tiefe hervortauchen oder von einem dicht unter der Oberfläche hinlaufenden dünnen Nervenästchen sich abzweigen; sie haben entweder bei ziemli- cher Stärke eine gleichmässige Breite, beginnend von dem tiefer gelegenen Dreieck und an der äusseren Oberfläche endi- gend; oder das vom Knotenpunkte sich abzweigende Aestchen ist anfangs sehr dünn und zart und verdickt sich erst bedeu- tend in der Nähe der oberflächlichen Endigung; so ergaben mir z. B. direete Messungen eine Verdickung des Faserendes auf 0,0027 — 0,0036. Mm. und darüber bei einer ursprünglichen Breite der Fasern von 0,0009 Mm. und selbst noch weniger. Die Ausläufer beginnen eben so häufig von dickeren zusammen- gesetzteren Nervenästchen und reichen dann gewöhnlich etwas mehr in die Tiefe, als auch von den feineren und feinsten Fa- sern des mehr oberflächlichen Nervennetzes. Häufig hat es den Anschein, als ob die ganz oberflächlich verlaufenden, daneben aber doch mit anderen Aestchen sich netzförmig verbindenden Fasern gleichfalls stark verdickt würden und den eigenthünli- 190. H. Hoyer: chen Glanz annähmen, ohne einen Ausläufer an die äussere Oberfläche abzugeben; solche Stellen haben mich anfänglich zu wiederholten Malen an der Realität meiner Beobachtungen irre werden lassen, ich war ungewiss, ob die oberflächlichen Aus- läufer nicht dennoch als Kunstproducte zu betrachten seien, er- zeugt durch theilweise Abtrennung der oberflächlichen Horn- hautschichten bei Entfernung des Epithels; indessen war eine solche Deutung ganz unzulässig bei denjenigen Präparaten, an denen zwar der grösste Theil des Epithels sich abgelöst hatte, wo aber die ganzen unteren Theile der tiefsten, aus mehr cy- lindrischen Elementen bestehenden Zellenschicht noch an dem Gewebe hängen geblieben waren; die letzteren stellten sich unter dem Mikroskope als eine Art zierlichen, aus sechseckigen Feldern bestehenden Mosaiks dar, in welchem hier und da einzelne zurückgebliebene Kerne noch zu erkennen waren. (Dergleichen Präparate liefern den wenn auch nicht genügen- den Beweis, dass die Nervenausläufer bis unmittelbar an das Epithel heranreichen, indem ihre rundlichen verbreiterten En- den zwischen den Contouren der Zellenüberreste sich deutlich erkennen lassen; man hat übrigens bei Anwendung der oben beschriebenen Methoden sehr häufig die Gelegenheit, jenes Mo- saik an der Oberfläche der Hornhaut zu beobachten.) Werden solche verdiekten Fasern, die an ihren beiden Enden mit an- deren Aestchen des Nervennetzes in Verbindung stehen, ge- nauer untersucht, so überzeugt man sich bald, dass auch hier eine Verbindung mit der Oberfläche der Hornhaut nachweisbar ist, nur werden die von denselben zur Oberfläche aufsteigenden Ausläufer wegen ihrer ausserordentlichen Kürze gewöhnlich übersehen oder sie werden auch von der Faser selbst verdeckt, zumal wenn die Faser dicht unter der Oberfläche der Hornhaut verläuft und der von ihr sich abzweigende kurze, senkrecht emporsteigende Ausläufer nur als eine rundliche Oeffnung in der Hornhaut sich darstellt. Häufig hat es auch den Anschein, als ob der eine Zweig einer gablig getheilten verdickten Faser plötzlich abgerissen endige, während der andere in eine feine Faser übergehe, welche weiterhin sich wieder in die Tiefe her- ‚absenkt und mit anderen Fasern in Verbindung tritt. Die bei- Ueber den Austritt der Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 191 den letzteren Erscheinungen haben darin ihren Grund, dass jene Verbreiterung nicht nur an den zur Oberfläche tretenden Ausläufern sich wahrnehmen lässt, sondern dass die Verdickung sehr häufig auch auf die mit denselben in nächster Verbindung stehenden Fasern sich erstreckt. Wenn nun auch diese eigen- thümlichen Verdickungen der Ausläufer an den Hornhäuten des Kaninchens sich regelmässig beobachten lassen, so sieht man dennoch daneben auch viele Ausläufer ohne eine solche Erwei- terung an die Oberfläche der Hornhaut herantreten; wegen ihrer Zartheit lassen sich dieselben indessen viel weniger deutlich unterscheiden. An den Augen von Katzen, Hunden und ande- ren Thieren glaube ich zwar gleichfalls jene oberflächlichen Ausläufer wahrgenommen zu haben, da aber dieselben hier der eigenthümlichen Verdickung stets entbehren, so ist es unmög- lich, dieselben mit Sicherheit zwischen den umgebenden zahl- reichen Stützfasern herauszufinden. Beim Frosche treten die Verbreiterungen häufig sehr ausgesprochen zum Vorschein, in anderen Fällen, namentlich, wie es scheint, bei geringerer Quel- lung der Hornhaut, fehlen sie ganz. Dieser Umstand veranlasst mich zu der Annahme, dass die Verdickungen entweder künst- lich erzeugt werden durch die Einwirkung der angewandten Reagentien oder, was mir wahrscheinlicher scheint, dass ein Theil der Nervenausläufer eine dem Nervenmark ähnliche Sub- stanz (Markscheide?) enthalten, welche in der verdünnten Salz- säure quillt und eine mehr oder weniger bedeutende Erweite- rung der Nervenfasern veranlasst. An dem freien oberflächlichen Ende des Ausläufers bemerkt man gewöhnlich eine deutliche trichterförmige, scheinbar ein oder mehrere feine Körnchen enthaltende, häufiger schräg, seltener senkrecht gegen die Oberfläche gerichtete Oeffnung; zuweilen tritt aus derselben ein sehr zarter feiner Faden (Achsencylinder), welcher kurz abgerissen endigt, selten läuft er zuvor noch eine kleine Strecke weit in einer rinnenförmigen Vertiefung an der Oberfläche der Hornhautsubstanz dahin. — Die gegenseitige Entfernung der an die Oberfläche herantretenden vereinzelten Nervenausläufer beträgt nach angestellten Messungen beim Ka- ninchen 0,066—0,11 Mm. und mehr; die Enden der häufigen gabelförmigen Aeste weichen dagegen viel weniger aus einander. 192 H. Hoyer: Den wirklich entscheidenden Baweis eines Uebertritts der Nervenausläufer in das Epithel der Hornhaut liefert indessen erst die Untersuchung der Hornhaut auf Querschnitten. Die Anfertigung derselben an den vermittelst verdünnter Chrom- und Salzsäure erhärteten Horuhäuten ist sehr leicht. Bei Durchmusterung der Schnitte von der Kaninchenhornhaut wird man an jedem derselben wenigstens 1 bis 2 zur Oberfläche em- porsteigende Nervenfasern auffinden, die häufig in geringerer oder grösserer Entfernung vom Epithel sich noch gabelig thei- len. Die Erkennung der Nervenfasern bietet keine Schwierig- keit: ihr eigenthümlicher Glanz, ihre Verbreiterung, der bogen- förmige Verlauf und ihre häufig wahrnehmbare Verbindung mit den Knotenpunkten dickerer, tiefer gelegener Nervenästchen lassen in dieser Beziehung einen Zweifel nicht aufkommen. Der Durchtritt der Fasern durch die vordere „elastische La- melle* der Hornhaut ist ganz sicher wahrzunehmen, in die- ser Hinsicht kann gleichfalls kein Zweifel obwalten. Schwie- riger dagegen ist die Beobachtung des Eintritts der Fasern in das Epithel, indem bei einer gewissen Dicke des Schnittes die inneren Enden der an der Oberfläche des Präparates (unmittel- bar am Deckgläschen) gelegenen Epithelien die Enden der mehr in den tieferen Schichten des Präparates verlaufenden Nerven- fasern verdecken; indessen wird es bei Anfertigung einer grös- seren Zahl von Schnitten wohl immer gelingen, eine Stelle zu finden, wo der unmittelbare Zusammenhang von Epithel und Nervenfaser deutlich wahrzunehmen ist. An dem betreffenden Punkte ist die Oberfläche der Hornhautsubstanz immer ein wenig eingezogen; die so entstandene trichterförmige Vertiefung wird durch die in dieselbe hineinragenden unteren Enden meh- rerer Epithelzellen ausgefüllt. Die letzteren zeigen an solchen Schnitten in der untersten Schicht stets eine cylindrische Gestalt, nach aussen zu nehmen die Zellen eine mehr abge- plattete Form an. Die Nervenfaser scheint zwischen die Zellen einzutreten, indess lässt sich hierüber etwas Bestimmtes nicht angeben, indem die groben Contouren der Zellen eine weitere Verfolgung der Nervenfaser unmöglich machen. Weder an Flächenschnitten der Hornhaut vom Frosche, noch an Quer- Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 193 schnitten von der Hormhaut des Kaninchens lässt sich an der Eintrittsstelle des Nervenausläufers eine besondere Form von Zellen wahrnehmen. Dass die trichterförmigen Vertiefungen künstlich gebildet werden, beweist der Umstand, dass dieselben auch an solchen Stellen vorgefunden werden, wo keine Nerven, sondern nur Stützfasern an die Oberfläche herantreten; sie bil- den sich durch die ungleichförmige Quellung der Hornhaut, in- dem die Stützfasern, die elastische Lamelle und das die Ner- venfasern unmittelbar umgebende Gewebe weniger quellen und sich ausdehnen, wie die übrige Substanz der Hornhaut, so dass mithin die Oberfläche an den Stellen, wo die Stützfasern und Nervenfasern an die elastische Lamelle herantreten, eine trich- terförmige Einziehung entstehen muss. Dergleichen Einzie- hungen sieht man noch deutlicher an den Stellen der Kanin-- chenhornhaut, wo dieselbe in die weisse Haut übergeht, sowie an den an Stützfasern so reichen Hornhäuten anderer Thiere. Die Vertiefungen sind also nicht etwas für den Ort der Ner- venfaserendigung ausschliesslich Charakteristisches, aber wo man eine Nervenfaser an dieselbe unmittelbar herantreten sieht, da findet man auch den unmittelbaren Uebertritt der Nervenfaser zum Epithel. — Von dünnen Hornhäuten kleinerer 'Thiere las- sen sich solche Querschnitte nicht wohl anfertigen, und an den gleichen Membranen vom Menschen, Hund, von der Katze u.a. sind die Nervenfasern einerseits zu dünn und unterscheiden sich zu wenig von den Stützfasern, und andererseits sind die letzteren zu zahlreich, dicht und streifig, als dass sie die Ver- folgung der Nerven bis zur Oberfläche der Hornhaut auf Quer- schnitten gestatten möchten. Ich habe mich daher bei meinen Untersuchungen auf die Querschnitte der Hornhaut von Kanin- chen beschränken müssen. Ueber den weiteren Verbleib der Nervenfasern nach ihrem Austritte aus dem eigentlichen Hornhautgewebe vermag ich leider etwas Näheres nicht anzugeben. Trotz vielfacher Bemü- hungen und zahlreicher Proben ist es mir nicht gelungen, das Epithel in seine einzelnen Bestandtheile zu zerlegen und die wirklichen Nervenenden zu isoliren. Vielleicht ist ein anderer Forscher in dieser Beziehung glücklicher als ich, und es gelingt Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 13 194 HM. Hoyer: ihm entweder die Endigung in zelligen Gebilden nachzuweisen oder — was mir wahrscheinlicher scheint — eine Fortsetzung der netzförmigen Bildungen zwischen oder unterhalb der Zellen des Epithels darzutlun. Insofern dürfte aber diese Beobach- tung immerhin ihre weittragendere Bedeutung haben, als sie zeigt, dass die Nerven nicht nur zu einschichtigem Cylinderepithel in eine nähere Beziehung treten können, sondern auch zu geschichtetem Epithel; na- mentlich dürften dieselben uns als ein Fingerzeig dienen bei Aufsuchung der Nervenendigung in der Säugethierzunge, in Drüsen und anderen ähnlichen Gebilden. Was nun schliesslich den Zusammenhang der Nerven mit den Zellen des Hornhautgewebes anbetrifft, so sind die vorlie- genden Beobachtungen einer solchen Annahme keineswegs gün- stig; auch ist mir der Nachweis eines solchen Zusammenhanges an den mit Höllensteinlösung und verdünnter Salzsäure behan- delten Augen von Hunden, Kaninchen, Katzen u. dgl. niemals gelungen, trotzdem sowohl die sämmtlichen Fortsätze der Bin- degewebszellen, als auch die Nerven selbst durch den sie be- deckenden Niederschlag auf das Deutlichste hervorgehoben wur- den. An den Hornhäuten der Frösche dagegen konnte man bei Anwendung der Kühne’schen Lösungen allerdings derar- tige Verbindungen wahrnehmen, doch war man immer nicht sicher, ob nicht dennoch eine optische Täuschung vorliege oder ob die Verbindung nicht eine nur äusserliche sei, entsprechend den Verbindungen Havers’scher Kanälchen mit dem Systeme der sternförmigen Lücken an Schliffen von getrocknetem Kno- chen. Ich würde auch nicht anstehen, eine solche Deutung jeder anderen vorzuziehen, wenn nicht mehrfache Beobachtun- gen an der Hornhaut von Tritonen mich veranlassten, mein Urtheil in dieser Beziehung noch zurückzuhalten. Bei Anwen- dung der Kühne’schen Lösung nämlich oder auch nach Ein- wirkung einer Mischung von stark verdünnter Chrom- und Salz- säure bemerkt man an den Hornhäuten der Tritonenaugen ein mit den Nervenausbreitungen in der Hornhaut anderer Thiere vollkommen übereinstimmendes Geflecht, welches sich jedoch durch die verhältnissmässig grosse Dichtigkeit seiner Maschen Q Ueber den Austritt von Nervenfasern in d. Epithel d. Hornhaut. 195 auszeichnet. Die in die Hornhaut eintretenden Stämmchen von 0,018—0,027 Mm. zerfallen durch fortwährende Theilungen in immer feinere Aestchen von 0,0054—0,0013 Mm., aus denen indessen durch weiter fortgesetzte Theilung immer feinere, nicht mehr messbare, häufig varicös erscheinende Fäserchen hervor- gehen, welche nach allen Richtungen durch die Hornhaut sich verbreitend und meist unter rechten Winkeln gegenseitig sich verbindend ein Netzwerk bilden, das an Dichtigkeit dem Netze sternförmiger Zellen in der Hornhaut von Säugethieren fast gleichkommt. Die ziemlich schwierig und nur bei sehr guter Beleuchtung wahrnehmbaren Fortsätze der zarten blassen, aber doch mit schönen grossen deutlichen Kernen versehenen stern- förmigen Zellen in der Hornhaut der Tritonen lassen sich bis zu den feinen Fäserchen jenes Netzes oft ganz gut verfolgen. Trotz dieser Beobachtungen wage ich es doch nicht, das letz- tere als wirkliches Nervennetz anzusprechen, da es nicht un- möglich ist, dass dasselbe schliesslich doch noch als Kunstpro- duct sich ausweist. Warschau, den 15. Februar 1366. 153* 196 M. Cyon: ‚ Ueber die toxischen Wirkungen der Baryt- und Oxalsäureverbindungen. Von Dr. M. Cyon aus Russland. E Die zahlreichen Untersuchungen der älteren Toxicologen über die Wirkung des Baryt und seiner löslichen Salze haben zwei verschiedene Ansichten zu Tage gefördert. Nach einer derselben, welche durch Brodie vertreten wird, haben diese Substanzen eine giftige Wirkung direct auf das Gehirn und Herz, die andere dagegen, von Orfila!) behauptet, beschränkt ihren Einfluss auf das Nervensystem. Eine von diesen Ansichten gänzlich abweichende ist in der neuesten Zeit von Onsum?) aufgestellt. Durch eine Reihe von Versuchen, die er unter Hoppe-Seyler’s Leitung an- stellte, glaubt er bewiesen zu haben, dass die giftige Wirkung der Barytverbindungen auf einer Affection der Lungen beruhe, die in zweiter Reihe die nervösen Erscheinungen zur Folge hat. Es soll nämlich das in’s Blut gelangte Baryt mit der Schwefel- säure der betreffenden Blutsalze die bekanntlich unlösliche Ver- bindung eingehen, deren Niederschläge die Lungencapillaren verstopfen, und somit den Athmungsprocess behindern. Obgleich die Möglichkeit dieses Vorganges nicht zu leugnen ist, so stehen doch dieser Theorie schon a priori Bedenken ent- 1) Traite de poisons. T. 1. 2) Ueber die toxischen Wirkungen u. s.w. Virch. Arch., Bd. 28. Ueber d. toxischen Wirkungen d. Baryt- u. Oxalsäureverbindungen. 197 gegen, die einigen Zweifel über die Richtigkeit derselben rege machen. Es ist nämlich der Gehalt des Blutes an Schwefel- säure so gering, dass, wenn auch alle Säure mit Baryt gesättigt . würde, nur unbedeutende Niederschläge entstehen können, von welchen doch schwerlich anzunehmen ist, dass sie so hochgra- dige und fast momentan tödtende Embolien (s. Vers. 2) bewir- ken könnten. Gegen diese Annahme sprechen auch die Beob- achtungen von Prof. Virchow'), der Thiere, welchen Stärke- mehl in die Venen injieirt wurde, ohne irgend welche krank- hafte Erscheinungen fortleben sah. Diese Widersprüche veranlassten mich den Gegenstand zu prüfen, zu welchem Zwecke ich im Laboratorium des Herrn Prof. E. du Bois-Reymond Versuche anstellte, bei denen mir Herr Dr. Rosenthal gütige Unterstützung gewährte, wo- für ich ihm hier meinen besten Dank sage. Erster Versuch. Einem mittelgrossen Kaninchen wurde 1'!/;, Grm. Chlorbaryum subcutan injieirt. Gleich darauf der . Herzschlag vermehrt. Nach 15 Minuten wurde das Thier matt, schlafsüchtig, und es entwickelte sich in einigen Minuten eine vollständige Paresis sämmtlicher willkürlicher Muskeln. Die Athmung geht fast nur vermittelst des Zwerchfells von Statten, und unter stetiger Verlangsamung und Schwächerwerden der Herzschläge und bedeutendem Sinken der Temperatur ging das Thier 1 Stunde und 35 Minuten nach der Injection zu Grunde, ohne nennenswerthe Dyspno& gezeigt zu haben. Auch fehlten Convulsionen, die von den älteren Autoren beschrieben wurden; es war nur ein gelindes Zittern der paretischen Extremitäten einige Augenblicke vor dem Tode vorhanden. Die gleich nach dem Tode des Thieres vorgenommene Se- ction ergab Nichts, was auf Embolien in den Lungen hindeuten könnte. Das Herz war prall mit Blut gefüllt, die Lungenarterie frei von Gerinnsel. Ganz gleiche Resultate ergaben noch drei theils mit Baryt, theils mit Chlorbaryum angestellte Versuche. Zweiter Versuch. Einem grossen Kaninchen wurde nach 1) Gesamm. Abhandl. z. wissensch. Med. Thrombose u. Embolie. 198 M. Cyon: Eröffnung der Thoraxhöhle und Einleitung künstlicher Respira- tion 0,3 Grm. Chlorbaryum in die rechte V. jug. langsam ein- gespritzt. Während des Einspritzens wurden die Herzschläge schwächer , langsamer und unregelmässig, das Thier unruhig, und gegen das Ende der Einspritzung, die 1'/, Minuten dauerte, bekam es heftige Dyspno@, klonische Krämpfe, und ging asphyktisch zu Grunde, nachdem das Herz nur noch fibrilläre Zuackungen machte, und sich strotzend mit Blut gefüllt hatte. Das Herz und die Lungenarterie enthielten flüssiges Blut, die Lungen waren von normaler Färbung und zeigten Nichts von Embolien. Gleiche Resultate ergaben noch andere ähnliche Versuche, vur mit der Ausnahme, dass in einzelnen Fällen an den Lun- gen hier und da einzelne zerstreute Eechymosen oder geringe Hyperaemien zu constatiren waren, deren Deutung weiter unten gegeben sein wird. Dass hier eine acute Henn vorlag, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Frage ist nur, ob sie ch Lungen- Embolien oder durch directe Einwirkung des Giftes auf das Herz hervorgebracht war. Der negative Befund in den Lungen schliesst hochgradige Embolien entschieden aus, und die er- stere Annahme ist um so weniger gerechtfertigt, als sogar die hochgradigsten, künstlich durch Einführung fremder Körper in die Venen hervorgebrachten Embolien die Thiere erst nach eini- gen Tagen tödten (Virchow, a.a.0©.). Als weiterer Beleg für die te Wirkung der Barytsalze auf das Herz diene Folgendes: Bekanntlich ist das Froschherz von der Respiration ziemlich unabhängig, so dass es nach aufgehobener Respiration und so- gar aus dem Körper entfernt noch eine Zeit lang zu schlagen fortfährt. Versuche, die ich an Fröschen angestellt habe, haben jedoch gerade für das Herz ganz dieselben Resultate geliefert, wie die an Säugethieren. Die Wirkung der Barytsalze äussert sich auch hier in einer Lähmung des Herzens, welche in we- nigen Minuten hervorgebracht wird, und in einem deprimirenden Einflusse auf das Nervensystem, welcher sich durch Mangel der willkürlichen Bewegungen und eine bedeutende Herabsetzung Ueber d. toxischen Wirkungen d. Baryt- u. Oxalsäureverbindungen. 199 der Reflexerregbarkeit kundgiebt. Nähere Untersuchungen ha- ben ergeben, dass weder die motorischen und sensiblen Nerven noch die Muskeln von den Barytsalzen angegriffen werden, und dass folglich die Herabsetzung der Reflexerregbarkeit und der Mangel der willkürlichen Bewegungen auf einer lähmenden Wir- kung des Giftes auf den centralen Nervenapparat beruhen. Die Untersuchung wurde in der Weise ausgeführt, dass den Frö- schen die Art. femor. des einen Beines in der Kniekehle unter- bunden wurde, und nachdem der Grad der Reflexerregbarkeit mittelst der Türck’schen Methode an jedem Beine bestimmt war, wurde ihnen das Gift unter die Rückenhaut eingespritzt. Einige Zeit darauf, als die Wirkung des Giftes sich bereits durch die Herzlähmung kundgegeben hatte, wurde die Reflex- erregbarkeit geprüft, und es ergab sich, dass dieselbe gleich- mässig an beiden Beinen bedeutend herabgesetzt war. Auch war nach Trennung der Med. oblong. vom Rückenmarke keine Erhöhung der Reflexerregbarkeit zu bemerken. Die motorischen Nerven und die Muskeln wurden auf ihre Leistungsfähigkeit so geprüft, dass nach Unterbindung einer A. iliaca comm. und nach Vergiftung des Frosches beide N. ischiadieci in gleicher Länge nebst den beiden M. gastrocnemii herauspräpa- rirt und so auf einen Reizträger gelegt wurden, dass correspon- dirende Stellen der Nerven von einem und demselben Inductions- strome gereizt wurden. Die Muskeln gaben bei einem gewissen Abstande der Rollen meistens gleichzeitig ordentliche Zuckungen, obwohl die Vergiftung bereits vollständig ausgesprochen war. Nachdem im Vorhergehenden die charakteristischen Erschei- nungen der Barytvergiftung constatirt wurden, will ich bemerken, dass Convulsionen, welche man bei den älteren Autoren, na- mentlich Orfila (a. a. O.), hervorgehoben findet, nur dann vor- handen sind, wenn das Gift direct in die Blutbahn gebracht wird (s. Vers. 2), und auch dann sind sie nicht eine Folge der direeten Einwirkung des Giftes auf das Nervensystem, sondern eine nothwendige Folge der Verarmung des Blutes an Sauer- stoff und der Anhäufung von Kohlensäure in demselben, welche letztere, wie Dr. Rosenthal!) richtig erklärt, durch die plötz- 1) Ueber Herzgifte. Dieses Archiv 1565. 200 M. Cyon: liche Herzlähmung eben so gut, wie durch andere plötzliche Cireulations- und Respirationshindernisse verursacht werden müssen. Diese Convulsionen müssen natürlich bei einem lang- samen Verlaufe der Vergiftung schon deshalb ausbleiben, weil, wie wir gesehen haben (Vers. 1), die Lähmung der Central- organe des Nervensystems viel früher eintritt, als die Herzläh- mung. Aus demselben Grunde fehlt auch bei langsamer Ver- giftung, trotz der Herzlähmung, die Dyspno@, welche Onsum constant gesehen haben will. In ausgesprochenem Grade habe ich sie nie bei allmählicher Vergiftung beobachtet. Im Gegensatze zu den Convulsionen ist die Lähmung des Herzens und der Centralorgane des Nervensystems, wie wir gleich sehen werden, eine directe Wirkung der Barytsalze auf diese Organe. Wenn die Wirkung des Baryt wirklich eine directe che- mische ist, so muss sie ausbleiben, sobald Bedingungen gegeben sind, unter welchen das lösliche Salz, in den Blutkreislauf ge- langend, sofort in eine unlösliche Form übergeführt wird. Dies kann man dadurch zu Stande bringen, dass man vor der Ein- bringung des Giftes den Gehalt des Blutes an Schwefelsäure künstlich vermehrt, indem man dem Blute ein indifferentes schwefelsaures Salz zuführt. Ich lasse diesen auf den Rath des Herrn Dr. L. Hermann von mir angestellten Versuch folgen. | Dritter Versuch. Einem mittelgrossen Kaninchen wur- den beide V. jugul. ext. blosgelegt; in die rechte spritzte ich 5 Ce. einer gesättigten Lösung des indifferenten schwefelsauren Natrons nach gehöriger Verdünnung ein. Nachdem der durch die reichliche Zufuhr von Flüssigkeit beschleunigte Herzschlag zur Norm zurückgekehrt war (3 Min. nach der Injection), in- jieirte ich in die linke Vene (mittelst einer anderen Spritze) eine Lösung von 0,4 Grm. Chlorbaryum, eine mehr als zur Tödtung nöthige Dosis (s. Vers. 2). Es wurde die Wunde zu- genäht und das Thier losgebunden. Ich beobachtete das Thier 2 Stunden und konnte an ihm weiter Nichts bemerken, als eine gewisse Mattigkeit und eine mässige Beschleunigung der Re- spiration und des Herzschlages, was nach einer solchen Miss- Ueber d. toxischen Wirkungen d. Baryt- u. Oxalsäureverbindungen. 20] handlung (Unterbindung beider V. jug. und enorme Plethora in Folge der Injectionen) nicht Wunder nehmen kann. 4'!/, Stun- den nach der Injection wurde das Thier todt gefunden. Die Section ergab auch hier Nichts, was auf Lungenembo- lien zurückzuführen wäre; auch waren in den übrigen Orga- nen keine Veränderungen zu finden, die den Tod erklären könnten. Möglicherweise ist die hochgradige Plethora schon an und für sich im Stande, den Tod zu verursachen, worauf schon Virchow (a. a. OÖ.) hingewiesen hat. Durch die künstliche Erhöhung des Schwefelsäuregehalts des Blutes, wie sie in diesem Versuche gegeben ist, ist Gelegenheit zur Entstehung so reichlicher Niederschläge geboten, wie sie nie beim Zusammentreffen von Baryt mit normalem Blute zu Stande kommen können. Unter solchen Umständen müssten nach der Onsum’schen Theorie so hochgradige Lungen-Embo- lien entstehen, dass die bekannten Barytwirkungen heftiger als je auftreten sollten. Wir sahen aber im Gegentheile, dass trotz des Ueberflusses der Schwefelsäure im Blute, und eben deshalb, die Wirkung des Baryt mindestens zwei Stunden lang hier ausblieb, während eine verhältnissmässig viel geringere Menge des letzteren in die Vene gebracht ein Kaninchen fast augen- blicklich tödtet (s. Vers. 2). Durch diese Thatsache ist zur Genüge bewiesen, dass die Onsum’sche Theorie aller Begrün- dung entbehrt und auf einer mangelhaften Interpretation der zufälligen Sectionsbefunde beruht, auf welche sie sich haupt- sächlich stützt. Ecchymosen, Hyperaemie und Oedem der Lun- gen sind nicht seltene Befunde bei asphyktisch gestorbenen Thieren und können daher auch bei mit Baryt vergifteten Thie- ren vorhanden sein, da sie an acuter Herzlähmung und somit Asphyxie zu Grunde gehen. Und in der That fand ich, wenn auch nicht constant, solche Veränderungen mit Ausnahme vom Oedem nach acuten Barytvergiftungen. Fassen wir die obigen Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich, dass die Barytverbindungen dadurch giftig wirken, dass sie 1) die Centralorgane des Nervensystems lähmen. Diese Wir- kung kommt nur bei langsamem Verlaufe der Vergiftung zur Erscheinung. 202 M. Cyon: 2) das Herz und zwar wahrscheinlich dessen nervöse Appa- rate Jähmen, und dass 5) diese Wirkungen directe und primäre sind. I. Von der Oxalsäure und ihren Verbindungen behaup- tet Onsum, dass sie analog den Barytverbindungen durch Er- zeugung von Lungenembolien tödtlich wirken. Hier soll sich der Kalk des Blutes mit der Oxalsäure verbinden und dieser Niederschlag soll die Lungengefässe verstopfen. Da der Kalkgehalt des Blutes noch geringer ist als der an Schwefelsäure, so trifft der früher in dieser Beziehung gemachte Vorwurf diese Behauptung in noch höherem Maasse. Davon abgesehen, ist für diese Theorie die Thatsache bezeichnend, dass die Wirkung der Oxalsäure sich von der des Baryts we- sentlich unterscheidet, wie wir gleich sehen werden. Erster Versuch. Einem grossen Kaninchen wurde unter die Rückenhaut 1 Grm. Oxalsäure in Lösung eingespritzt. Eine Stunde lang war das Thier mit sehr beschleunigtem, aber im- mer schwächer werdendem Herzschlage und wenig beschleunig- ter Respiration ganz munter. Plötzlich fiel es um, bekam hef- tige Dyspno@, klonische Krämpfe und ging gleich zu Grunde. Nach Eröffnung des Thorax fand ich das Herz prall mit Blut gefüllt. An den Lungen Nichts Abnormes. Der Unterschied von der Barytvergiftung ist deutlich. Es fehlt bei der Oxalsäure die lähmende Wirkung auf das centrale Nervensystem, weshalb die Symptome der acuten Herzlähmung hier auch bei langsamem Verlaufe der Vergiftung deutlich aus- geprägt auftreten, während sie bei allmählicher Barytvergiftung in Folge der früh eintretenden allgemeinen Paralyse fehlen. Eine herzlähmende Eigenschaft ist bekanntlich allen Säuren gemein- sam, die Oxalsäure scheint aber eine specifische Wirkung auf das Herz zu haben, da die löslichen Verbindungen derselben im Gegensatze zu denen anderer Säuren eine analoge Eigen- schaft besitzen. { Dass die Onsum’sche Theorie auch für die Oxalsäure nicht stichhaltig ist, wird folgender Versuch beweisen. Ueber d. toxischen Wirkungen d. Baryt- u. Oxalsäureverbindungen. 203 Zweiter Versuch. Einem mittelgrossen Kaninchen wurde um 1'!/; Uhr eine Lösung von 5 Grm. Chlorcalcium unter die Haut injicirt, eine Dosis, welche sich aus einem eigens zu die- sem Zwecke angestellten Versuche als nicht giftig erwies. Um 1 Uhr 35 Min. spritzte ich demselben Thiere 10 Ce. einer Lö- sung von oxalsaurem Natron in die Bauchhöhle.. An dem Thiere war Nichts zu constatiren, was auf Störungen der Re- spiration und Circulation hindeuten könnte. Die Athembewe- gungen waren sogar weniger frequent, aber tiefer als normal, wahrscheinlich, weil die Bewegungen des Zwerchfells die peri- tonitischen Schmerzen steigerten. Um 7!/, Uhr desselben Ta- ges lebte das Thier noch munter fort. Am Morgen des folgen- den Tages wurde es todt gefunden.') Die Section ergab wiederum keine Anhaltspunkte für die Todesursache. Der Kalk und die Schwefelsäure des Blutes sind demnach nicht nur nicht Mitverschworene der Oxalsäure und des Baryts, für welche sie Onsum gelten liess, sondern entschiedene An- tagonisten derselben, und es freut mich, sie als altbewährte Gegengifte für die in Rede stehenden Substanzen in ihre Rechte wieder eingesetzt zu sehen. 1) Eine gleiche Dosis (10 Ce.) derselben Lösung von oxalsaurem Natron einem gleich grossen Kaninchen in die Bauchhöhle eingespritzt tödtete das Thier in 20 Min., unter Erscheinungen der Oxalsäurever- giftung (s. Vers. 1). 204 L. Landois: Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens durch zu frühzeitige Geschlechtsfunction bedingt. Von Dr. Leonarp LaAnDois, Privatdocenten der Universität Greifswald. (Hierzu Taf. VII.) In deni anatomischen Museum der Universität Greifswald befindet sich, und zwar in der von Dr. Arndt während der Jahre 1554—57 aus den holländischen ostindischen Colonien hierher gesandten sogenannten javanıschen Sammlung un- ter vielen Seltenheiten auch ein weibliches Becken, das in viel- facher Beziehung im Stande ist, unsere Aufmerksamkeit zu fes- seln. Dasselbe trägt neben der Signatur Nr. 6 die Bezeichnung: „Becken einer jungen Bajadere aus Samarang, die sich schon einige Zeit ihren Unterhalt als Scortum verdient hatte.“ Ich habe von diesem interessanten Becken photographische Aufnahmen von vorn und von der Seite anfer- tigen lassen, und es sind die Fig. 1 und 2 nach denselben aus- geführt. Bevor ich auf die Eigenthümlichkeiten in dem Baue und der l’orm dieses Beckens näher eingehen will, wird es zweckmässig sein, wenn wir uns zunächst mit den Maassen') desselben bekannt machen. 1) Sammtliche Maasse sind in Pariser Zoll und Linien angegeben. Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens u. s. w. 205 Grosses Becken: Grösster Abstand der beiden Cristae ilium vom inneren Knochenrande gemessen 6“ 101/z'' (Par.), vom äusseren Knochenrande gemessen 7” 61/2‘. Abstand der Spinae anteriores superiores vom inneren Knochenrande gemessen 6” 5''', vom äusseren Knochenrande gemessen 7” 1‘. Abstand der rechten Spina anterior superior von der linken Spina posterior superior 5” 102/s', Abstand der linken Spina anterior superior von der rechten Spina posterior superior 6” !/a'". Kleines Becken: a) Beckeneingang: Conjugata vera 2” 10. Conjugata diagonalis 3” 2'", Conjugata externa 4” 11!/a'", Querer Durchmesser 3" 81/r, Rechter schiefer Durchmesser 3” 81/ı'”. Linker schiefer Durchmesser 3” 6'/4'. b) Beckenhöhle: Gerader Durchmesser [von der Verbindung des 2. und 3. falschen Kreuzbeinwirbels bis zur Mitte der Hinterfläche der Symphysis ossium pubis] 2 11?/3. Querer Durchmesser [Innenseite der dünnsten Stelle der Pfanne] 3°. ec) Beckenausgang: Gerader Durchmesser [von der Spitze des letzten falschen Kreuz- beinwirbels zum unteren Rande der Symphysis ossium pubis ] ar Querer Durchmesser [zwischen den Innenflächen des hinteren Be- reiches der Tubera ossium ischii] 3" 4!/2'", Os sacrum: Länge des Kreuzbeins an der vorderen Seite, der Mittellinie ent- sprechend, 3" 7?/". Grösste Breite [an der Linea innominata sive terminalis] 3° 3, Breite der Verbindungsfläche des Kreuzbeins mit dem letzten Len- denwirbel 1’ 42/3"', Breite der Kreuzbeinspitze 5''. 206 L. Landois: Os ilium: Abstand der Spina anterior superior von der Spina anterior inferior 17 22/3 Abstand der Spina posterior superior von der Spina posterior in- ferior 82/3'", Breiteste Stelle der Crista 61/2’", Schmalste Stelle derselben 3’. Abstand der Spina anterior superior von der Spina posterior supe- nord. 030% Die Linea arcuata externa findet sich in keiner Weise angedeutet. Os pubis: Abstand des Tuberceulum ileopectineum von der Symphyse 1'' 11?/s‘'. Höhe der Symphyse 8?/3‘. Abstand des Tuberculum pubis von der Vereinigungsstelle des ab- steigenden Schambein- mit dem aufsteigenden Sitzbeinaste 1'' 7’, Dicke des horizontalen Astes in der Mitte der Crista 5°/«''. | Dicke des absteigenden Astes an der Vereinigungsstelle mit dem Sitzbeine 33/1", Os ischii: Breite des Körpers unterhalb der Spina 1'' 1!/4", Abstand der Spitzen beider Spinae 2‘ 91ya". Breiteste Stelle des Tuber 8“. Länge des aufsteigenden Astes am Innenrande des Foramen obtu- ratum gemessen 101/6''. Länge von der Pfannennaht bis zum unteren Winkel des Foramen obturatum 1' 3'*, | Die Pfanne: Grösste Länge 1” 5iyı", Grösste Breite 1’ 41/3", Grösste Tiefe 61/2‘. Foramen obturatum: Grösste Länge 1’ 61/2", Grösste Breite 111/2", Abstand der Pfannennaht von der Schambein-Sitzbein-Naht 93/1". Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens u. s. w. 207 Da uns über das Alter der Bajadere keine Mittheilungen vorliegen, so sind wir genöthigt, aus der Beschaffenheit der einzelnen Knochen das Alter zu bestimmen, wozu eine Anzahl verschiedener Anhaltspunkte benutzt werden kann. An den Kreuzbeinen finden wir zunächst den fünften fal- schen Wirbel noch vollständig von dem vierten getrennt, an der Rückseite des Knochens zeigt sich ausserdem je an der Berührungsstelle zweier Processus transversi spurii eine einge- kerbte Stelle und zwar deutlicher zwischen dem vierten und dritten, als zwischen dem dritten und zweiten Wirbel; dahin- gegen findet sich zwischen dem zweiten und ersten Wirbel noch eine völlige Trennung zwischen den Processus obliqui spurii und den trausversi spurii. An der Vorderseite des Knochens findet sich die Trennungs- linie zwischen dem ersten und zweiten falschen Wirbel vom Rande an der Synchondrosis sacro-iliaca ausgehend 2—3 Linien tief, zwischen dem zweiten und dritten rechts 1'/,—2 Linien tief, während zwischen dem dritten und vierten Wirbel keine Spalte mehr zu erblicken ist. Entsprechend den Lineae trans- versae eminentes findet sich je eine theilweise knöcherne schmale Zwischensubstanz zwischen den Berührungsflächen je zweier fal- scher Wirbel abgelagert und über und unter derselben spalt- förmige eindringende Ritzen. An dem Darmbeine fehlt der epiphysäre Randbelag der Crista noch vollkommen, in gleicher Weise werden die Epi- physenbeläge der Schamfuge und der Sitzbeinhöcker vermisst. Dalingegen finden wir an der Spina anterior inferior des Darm- beines jederseits eine Epiphysenauflagerung, rechts stärker ent- wickelt als links, doch steht dieselbe nur an ihrem unteren Theile mit dem Darmbeine in directer Verbindung, während der ganze obere Theil noch durch eine durchweg klaffende Spalte getrennt ist (Fig. 2). — Die Verbindungen der drei Knochen der Ossa innominata mit einander verhalten sich fol- gendermaassen: Die Verbindungsstelle des absteigenden Scham- bein- mit dem aufsteigenden Sitzbeinaste ist links noch völlig getrennt, sogar über ®/, spaltförmig klaffend, rechts ist bereits die Vereinigung weiter vorgeschritten, doch ist die Stelle noch 308 "Lio’Landois: sehr deutlich markirt. Im Pfannentheile ist die Verbindung des Körpers des Schambeines mit dem Sitzbeinkörper, links, an der Innenseite noch durch eine 7 Linien lange eindringende Fuge getrennt, die auch in der Pfanne, vom Rande 6—7 Linien ge- gen die Fossa acetabuli vordringend, jedoch schmäler, sichtbar ist. Rechts ist die Vereinigung etwas weiter vorgeschritten, in- dem die Trennungslinie gegen die Beckenhöhle nur 5 Linien, in den vorderen Pfannenrand hinein nur 1 Linie lang ist. Die Verbindung des Schambeinkörpers mit dem des Darmbeins ist beiderseits schon eine innigere, doch ist die Vereinigungsstelle noch deutlich überall als poröse, etwas prominirende Linie zu bemerken, dasselbe gilt von der Verbindung der beiden Körper des Darm- und Sitzbeins. Die vorgeführten Befunde, sowie die Kleinheit des ganzen Beckens setzen uns in den Stand, annähernd das Alter dessel- ben zu bestimmen. Halten wir daran fest, dass in unseren Kli- maten die Epiphysenbeläge der Crista ossis ilium, der Scham- beinfuge und des Sitzbeinhöckers sich mit dem 13. Jahre zu entwickeln beginnen, ferner dass in jenen wärmeren Gegenden entsprechend der viel früheren Entwickelung und Functionirung der Geschlechtsorgane gewiss auch die Ausbildung und Conso- hdirung der umgebenden Beckenknochen bereits in einen frü- heren Lebensabschnitt fällt, so dürfte die Annahme zu Recht bestehen, dass die Besitzerin dieses Beckens das 12. Lebens- jahr nicht überstiegen hat. Vor diesem Alter hatte die junge Bajadere bereits einige Zeit, um ihren Unterhalt zu erwerben, ' sich den Excessen in Venere hingegeben, zu einer Zeit also, in der die Verbindungen der einzelnen Knochen und Knochen- stücke des Beckens eine noch geringere Consolidirung erfahren hatten, als sie der gegenwärtige Zustand zeigt. Das so früh- zeitige Eintreten in die Geschlechtsfunction hat nun auf das Becken den allerentschiedensten Einfluss ausgeübt, der sich in einer sehr charakteristischen Formveränderung geltend gemacht hat. Dass die Beobachtung solcher Formabweichungen gewiss zu den grössten Seltenheiten gehören muss, ist mit Berücksich- tigung der gesetzlichen Bestimmungen einleuchtend. Bevor ich zur Erläuterung der Formabweichung übergehe, Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens u. s. w. 209 stelle ich die Maasse des Bajaderen-Beckens zusammen mit den von Krause angegebenen Normalmaassen für männliche und weibliche erwachsene, geschlechtsreife Becken und füge die Differenz der Maasse hinzu. J: Männli- ches Becken. Grosses Becken Querdurchmesser | 9" 6" Abstand der Spi- nae anteriores superiores.... I: Kleines Becken Ap. superior: Conjugata .... 4" Querer Durch- Messpe nr 1, Au. gi Schiefer Durch- messer... Kl, ZUG Umfang d. Linea terminalis. . . 15" Cavum pelvis: Gerader Durch- messer .... 4" Querer Durch- | messer 4! Senkrechter Durchmesser (von der Linea terminalis zum Ende des Tuber a 4'' Grösster Umfang | 13" 6" Aperturain- ferior: Gerader Durch- messer (von d. Kreuzbein- spitze an). ..| 3" 6" Querer Durch- Messer. :u33. 3 IE Weibli- ches Becken. 9" 6 3 Aue gu au gu io 0 4" 6" Au u yı Bu 15“ GB 4 zu 4" I. Becken der Bajadere. Differenz | Differenz zwischen I. und III. zwischen II.undIlIl. 6" 10. BE lan — ga an 6* EA gu 19° ol ik L Su —HJuzılı Fa ze zu glja'"" ui Ua el 31/2’! gu By — 113" ne 12a 11" 4 Fun 6 I 117/23 ae lan —1",61/3'" u —_ 4 94 8l/a!!! u % alya'' 10” zıu au ITl/ar, au alja'' Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1366. ua zu an 5lyattı ar alfa! 14 tg RYAN BE Bi — 31" EN. fan 210 L. Landois: Zur näheren Betrachtung der eigenthümlichen Form unseres Bajaderenbeckens übergehend, bemerken wir zunächst, dass Zartheit und Leichtigkeit im Bau desselben bei wohlausgespro- chener Proportionalität der einzelnen Knochen und Knochen- theile hervortritt. Wir erinnern hierbei daran, dass nach Vro- lik!) Leichtigkeit, Kleinheit und Zierlichkeit als charakteristi- sches Merkmal der Becken der Bewohner jener Gegend gelten. Das Gewicht des Beckens sammt den beiden letzten Lenden- wirbeln, jedoch ohne Steissbein beträgt nur 214 Grm. In der ganzen Form ist der Typus des weiblichen Beckens bereits deutlich ausgeprägt, wenngleich auch noch nicht so prägnant, wie am Becken eines erwachsenen Weibes unserer Zonen: Der Beckenraum ist relativ weit und kurz, der Scham- bogen fasst einen Winkel von 70°. Der Eingang zum kleinen Becken hat eine bohnenförmige Gestalt, der Hilus dem Promentorium zugewandt (cf. Fig. 3); die Länge der gesammten Linea terminalis 11°, ist um 5!/," kürzer, als am Becken des erwachsenen Europäer-Weibes. Auf- fallend ist das geringe Hervortreten des Promontorium (Fig. 3u.5), doch ist auch hier zu bemerken, dass dieses zu den charakte- ristischen Zeichen der Beckenform jenes Volkes gehört, wie Vrolik a. a. OÖ. besonders hervorhebt. Die Beckenhöhle hat eine fast völlig runde Umgrenzung (Fig. 4), sie hat einen Umfang von 10!/,' und ist somit um 5'/,“ beschränkter, als der grösste Umfang der Beckenhöhle eines erwachsenen Weibes nach Krause. Die auffallendste Eigenthümlichkeit unseres Bek- kens besteht in der relativ sehr bedeutenden Erwei- terung der unteren Beckenapertur. Bei dem normal gebauten Europäer- Weibe besitzt die Conjugata vera gleiche Länge mit dem geraden Durchmesser des Beckenausganges (von der Spitze des Kreuzbeines bis zum unteren Rande der Symphyse), nämlich 4“ 3% nach Krause, in unserem Becken 1) Considerations sur la diversite des bassins des races humaines. Amst. 1826. — M. J. Weber, Ur- nnd Racenformen der Schädel und Becken. Düsseldorf 1830. Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens u. s. w. 211 ist der gerade Durchmesser des Beckenausganges 1 11], länger als die Conjugata. In Folge dieser Vergrösserung kommt es, dass, während die Conjugata des Bajaderenbeckens um 1'' 5“ kleiner ist, als die des erwachsenen Weiberbeckens, der gerade Durchmesser des Beckenausganges nur um 31/, kürzer ist, als an diesem, ja sogar um 5!/,‘‘ länger ist, als der gerade Durchmesser des Beckenausganges des völlig er- wachsenen Männerbeckens. Diese in der That ganz bedeu- tende Vergrösserung des geraden Durchmessers des Becken- ausganges hat ihren Grund in der Streckung des Kreuzbeins und dem bedeutenden Zurückstehen seiner Spitze (cf. Fig. 2). Ich habe in Fig. 5 das Profil der vorderen Mittellinie des Kreuzbeins und des letzten Lendenwirbels nach einem genauen Abdrucke aufgezeichnet. Die normale Concavität des Kreuz- beins ist völlig verschwunden, ja noch mehr, es ist im Ganzen sogar eine,"wenn auch geringe Oonvexität der vorderen Kreuz- beinmittellinie gegen die Kleinbeckenhöhle vorhanden. Die Berührungspunkte des zweiten mit dem dritten und des dritten mit dem vierten falschen Kreuzbeinwirbel liegen in gerader Ebene mit der Mitte des unteren Lendenwirbelkörpers; der obere Rand des ersten und die Spitze des letzten falschen Kreuzbeinwirbelkörpers weichen etwa um 1’ hinter diese Linie zurück. Ein Einblick in den Canalis sacralis zeigt, dass dieser eine noch stärker markirte nach vorn convexe Richtung besitzt. Ein normales Kreuzbein zeigt ausser der Concavität von oben nach unten an der Vorderseite auch noch eine Concavität in der seitlichen Ausdehnung. Diese Concavität ist an dem Becken der Bajadere nur an den beiden ersten falschen Wir- beln vorhanden , der mittlere ist völlig fach, die beiden unte- ren zeigen sogar an der Vorderfläche eine leichte Convexität. Es ist einleuchtend, dass hierdurch gleichfalls der Raum des Beckenausganges gewinnen muss. Die einzelnen falschen Kreuz- beinwirbel haben an der vorderen Mittellinie ihrer Körper fol- gende Länge: der erste 10!/,'‘, der zweite 8?/3”, der dritte 7!/;*, der vierte 7!/,“, der fünfte 6°, Auch der quere Durchmesser des Beckenausganges zeigt 14* 212 L. Landois: eine relativ bedeutende Vergrösserung. An dem normalen Becken eines erwachsenen Weibes ist der quere Durchmesser des Beckenausganges einen Zoll kleiner, als der des Becken- einganges: — an unserem Bajaderenbecken nur 4 Linien. Er ist weiterhin nur 7!/.‘' kleiner, als am erwachsenen Becken, und sogar 4'/,''' grösser, als am erwachsenen Mannesbecken. Die Vergrösserung des Querdurchmessers des Beckenaus- ganges ist bedingt durch das stärkere Auseinanderweichen der Tubera ossium ischii. An dem normalen Europäerbecken wei- chen die absteigenden Aeste der Schambeine vom unteren Rande der Symphysis ossium pubis beginnend in divergiren- der, leicht gebogener Richtung nach unten und aussen ausein- ander, sie erreichen ihre relativ grösste seitliche Abweichung ungefähr an der Vereinigungsstelle des absteigenden Scham- beinastes mit dem aufsteigenden Sitzbeinaste. Von dieser Stelle abwärts gegen die Tubera hin ist die Divergenz be- schränkter. Dieses ist an unserem Becken nicht der Fall, vielmehr verläuft vom unteren Rande der Symphyse der ab- steigende Schambeinast und aufsteigende Sitzbeinast bis zum Tuber hin in fast gerader Linie fort. Während daher unter gewöhnlichen Verhältnissen der Schoossbogen mehr oder we- niger einem Spitzbogen ähnlich ist, tritt an unserem Becken die Gestalt eines spitzen Winkels hervor. Es ist ersichtlich, dass unter solchen Umständen die Tubera weiter von einander gerückt sein müssen, und somit der Querdurchmesser des Beckenausganges erweitert sein wird. Wir fanden somit an dem Bajaderenbecken als sehr be- merkenswerthe Formabweichung eine beträchtliche Erweiterung des Beckenausganges, vornehmlich im geraden, weniger im queren Durchmesser. Fragen wir nach der Ursache dieser Veränderung, so finden wir in der Lebensweise des jugendlichen Geschöpfes einen hin- reichenden Erklärungsgrund. Die gewerbsmässige Ausübung der Geschlechtsfunctionen in einem so zarten Alter bei dem Mangel an Consolidation der einzelnen Knochen des Beckens hat die Erweiterung des Beckenausganges unzweifelhaft be- dingt. Zunächst und vorzugsweise musste die Gestalt des Os Die Veränderungen in der Form des weiblichen Beckens u. s. w. 213 sacrum gestört werden, dessen Spitze durch den Impetus ge- radezu nach hinten gedrängt werden musste. Die mangelhafte Vereinigung der einzelnen Kreuzbeinwirbel liess dies zu. In gleicher Weise war ein Auseinanderdrängen der den Schooss- bogen begrenzenden Knochen möglich, da ja auch diese an ihren Vereinigungspunkten nur locker zusammenhalten. Die Erweiterung der Durchmesser des Beckenausganges als die Folge zu frühzeitiger häufiger Geschlechtsfunction ist also eine physiologisch bedingte Abnormität der Beckenform des Weibes, die bei uns gewiss niemals vorkommt, in anderen Zonen gewiss auch zu den allerseltensten Erscheinungen gehört. Ich habe es daher nicht unterlassen wollen, auf dieses höchst interessante Becken unserer Sammlung die Aufmerksamkeit der Fachmänner zu lenken. Ich hebe noch besonders hervor, dass alle anderen etwai- gen Ursachen dieser Formabweichung bestimmt ausgeschlossen werden können. Eine deformirende Knochenkrankheit hat sicher nicht vorgelegen, da alle Knochen wohl gebaut, und das ganze Becken das zierlichste Ebenmaass aller Theile zeigt. An einen abnormen Muskelzug kann nicht gedacht werden, ebensowenig an eine besondere Racenform (cf. Vrolik a.a. O.). Die einzige denkbar mögliche Ursache wäre das Vorhandensein eines Tumor im Bereiche des Beckenausganges, doch steht die Annahme eines solchen mit den uns bekannten und verbürst mitgetheilten Functionen unserer jungen Bajadere im grellsten 'Widerspruche. Greifswald, am 9. Februar 1866. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Becken der jungen Bajadere von vorn. Fig. 2. Dasselbe von der Seite. Fig. 3. Halber Umfang der Linea terminalis. Fig. 4. Halber Umfang der Beckenhöhle. Fig. 5. Profil der Mittellinie des Kreuzbeins und des letzten Len- denwirbels (vorn). 5 letzter Lendenwirbelkörper; Z— V Körper der falschen Kreuzbeinwirbel; @ oberer Rand des ersten falschen Kreuz- beinwirbels; 5 unterer Rand der Kreuzbeinspitze. 214 P. Guttmann: Ueber die giftigen Eigenschaften des Nitrobenzin. Von Dr. PAUL GUTTMAnNN in Berlin. Das Nitrobenzin, auch unter dem Namen Essence de Mir- ban bekannt, hat lange Zeit das Privilegium genossen, eine un- schädliche Substanz zu sein. Wegen seines angenehmen, voll- ständig dem ätherischen Bittermandelöl ähnlichen Geruches hat es verbreitete Anwendung in der Industrie, namentlich bei der Fabrikation wohlriechender Seifen und alkoholischer Getränke gefunden und wird auch für culinarische Zwecke noch heutzu- tage in England vielfach benutzt. Auch therapeutisch ist es in Einreibungen auf die Haut zur. Vertilgung von Parasiten in An- wendung gezogen worden. Casper!) hat zuerst, auf seine und Hoppe’s?) Versuche an Thieren gestützt, diesen Stoff in die Toxicologie verwiesen und namentlich auf die forensische Bedeutung einer Nitrobenzinver- giftung die Aufmerksamkeit gelenkt. Während nämlich eine bald nach dem Tode vorgenommene Section durchads keinen Unterschied zwischen einer Blausäure- und Nitrobenzinvergif- tung ergiebt, wird diese Entscheidung einige Tage nach dem Tode möglich. Der Nitrobenzingeruch haftet nämlich an den organischen Geweben ausserordentlich lange und ist 14 Tage und darüber nach dem Tode des Thieres fast noch eben so in- 1) Ein neues Gift. Vierteljahrschrift für gerichtliche Mediein. — Bd.: 16,.8..1. 2) Ibidem. Ueber die giftigen Eigenschaften des Nitrobenzin. 25° tensiv wie kurz nach dem Tode, während die Blausäure in Be- rührung mit organischen Substanzen sich rasch zersetzt, so dass schon 3—4 Tage nach dem Tode der Bittermandelgeruch nicht mehr wahrzunehmen ist. Ä In Folge der in England durch Nitrobenzin vorgekommenen Vergiftungsfälle wurde diese Substanz in ihren toxischen Wir- kungen experimentell geprüft, besonders von Ollivier und Bergeron:), Letheby°) und zuletzt von Bergmann’). — Alle diese Untersuchungen stimmen darin überein, dass das Nitrobenzin Somnolenz und Lähmung erzeugt. Bemerkenswerth sind aber besonders die von Letheby angestellten Versuche durch eine ganz auffallende Verschiedenheit in dem Zeiteintritt und selbst in dem Symptomencomplexe der Vergiftung. Wäh- rend nämlich in einer Reihe von Fällen kurze Zeit nach der Injection von 30—60 Tropfen in den Magen von Hunden und Katzen Vergiftungserscheinungen eintraten und spätestens nach 12 Stunden der Tod erfolgte, blieben in einer anderen Ver- suchsreihe bei derselben Dosis die Thiere 19 bis selbst 72 Stun- den nach der Injection vollkommen munter, dann aber traten plötzlich Vergiftungserscheinungen ein. Die Vergiftung wurde durch einen epileptiformen Anfall eingeleitet, nach welchem dann die hinteren Extremitäten gelähmt waren; nach den näch- sten Anfällen blieb eine Lähmung der vorderen Extremitäten zurück, die nach den späteren Paroxysmen immer vollständiger wurde und auch die Musculatur des Rumpfes ergriff. In der ersten Versuchsreihe fand sich der Nifrobenzingeruch in allen Organen, daneben Anilin, in der zweiten nur Anilin oder Nichts. Letheby erklärt aus diesem chemischen Befunde die Verschie- denheit der Vergiftungssymptome, in der ersten Reihe nur Läh- mung, in der zweiten Öonvulsionen,, die vollständig an den Symptomencomplex der Anilinvergiftung erinnern. Es wird schliesslich an diese Thatsachen die Bemerkung geknüpft, dass 1) Brown-S&quard’s Journal 1863. Nr. XXIIL, S. 455 — 459. 2) Med. chir. Review 1863 (Referat von Richardson), p. 539, und Lond. Hosp. Reports, 1865, p. 34—97. 3) Prager Vierteljahrschrift für praktische Heilkunde, 1865, Bd. 4, S. 117 —124.. 216 P. Guttmann: die bisher stets in das Reich der Fabel verwiesenen Ueber- lieferungen von Plutarch, Theophrastus u. A. über ein Monate und selbst Jahre im Körper schlummerndes Gift, welches dann plötzlich zur Wirkung komme, durchaus nicht so viel Unwahr- scheinliches haben. Die merkwürdigen Beobachtungen Letheby’s forderten zu einer erneuten Untersuchung auf, die ich auf Anregung des Herrn Prof. du Bois-Reymond im physiologischen Laborato- rium unternommen habe. Die Vergiftungs - Erscheinungen an Fröschen nach einem Tropfen Nitrobenzin in den Schlund sind zunächst eine all- mählich zunehmende Mattigkeit, Verlangsamung aller Bewe- gungen, dann Stillstand der Respiration, zuletzt vollständige Lähmung aller Körpertheile. In diesem Stadium hören auch alle Reflexbewegungen auf, das Thier reagirt nicht einmal auf Zerstörung seiner Haut durch Aetzkali oder Glühhitze. Die Ursache dieser Lähmung liegt in einer Einwirkung des Nitro- benzin auf die Nervencentra, denn sowohl Nerven als Muskeln reagiren selbst viele Stunden nach dem Tode ganz normal auf elektrischen Reiz. Es verlieren ferner die Extremitäten ihr Be- wegungsvermögen auch dann, wenn man sie durch Unterbindung der Abdominalaorta von der Einwirkung des vergifteten Blutes vollständig abschliesst. Ebensowenig tritt bei einer einseitigen Unterbindung, der Art. iliaca die Lähmung in der unterbundenen Extremität irgendwie später als in der anderen, vom Blute um- spülten ein. Die Herzthätigkeit und der Kreislauf bleiben voll- kommen intact. Die gleiche Wirkung beobachtet man natürlich auch bei subcutaner Injection des Nitrobenzin. Die Intensität dieser Wirkung, sowohl was Dosis als die Zeit des Eintretens dersel- ben betrifft, ist von der Haut aus kaum rascher als von der Mundschleimhaut aus. Bei der durch die physikalischen Eigen- schaften des Giftes bedingten langsamen Resorption ist der Ein- tritt und der Ablauf der Erscheinungen überhaupt langsam, bis zur vollständigen. Lähmung vergehen 1—2 Stunden; nach grös- seren Gaben, d—10 Tropfen, tritt die Wirkung verhältnissmäs- sig rascher ein, doch ist selbst 1 Grm. dieses Giftes, unter die Ueber die giftigen Eirenschaften des Nitrobenzin. 217 Haut injieirt, nicht im Stande, auch nur annähernd eine so rasche Wirkung zu erzeugen, wie wir sie bei vielen anderen das Nervensystem lähmenden Substanzen kennen. Sehr intensiv werden die Frösche durch die Verdunstung des Nitrobenzin afficirt; ein einziger Tropfen, auf Fliesspapier geträufelt, genügt, um schon in verhältnissmässig kurzer Zeit schwache Vergiftungserscheinungen zu erzeugen und, wenn man das Thier aus der Glasglocke nicht entfernt, es in 3—4 Stun- den zu tödten. Aber selbst wenn die Glocke wieder an freier Luft gelegen und somit ein grosser Theil der Dämpfe entwichen ist, sterben Frösche, der Einathmung dieser noch nitrobenzin- haltigen Luft in der Glocke ausgesetzt, im Zeitraume von 12 Stunden. Niemals tritt bei Nitrobenzinvergiftung eine Erholung ein, selbst dann nicht, wenn man die Thiere noch vor Eintritt der vollständigen Lähmung aus der Glocke entfernt und an die atmosphärische Luft gebracht hat. Es kommt allmählich zwar zu einer Wiederkehr schwacher reflectorischer Bewegungen, die selbst noch Tage lang auf sensikle Reize erfolgen, niemals aber treten willkürliche Bewegungen mehr ein, und immer erfolgt zuletzt der Tod. Trotzdem also die Herzthätigkeit durch diese Substanz nicht afficirt wird, der Kreislauf, wie die Beobachtung an der Schwimmhaut zeigt, fortbesteht und die Hautrespiration doch vicariirend die Lungenathmung vertritt, ist die Rück- kehr zum normalen Zustande, vermuthlich wegen bestimmter Veränderungen in den Centralorganen nicht möglich. Ganz anders verhalten sich diejenigen Gifte, welche nur auf die pe- ripherischen Nerven wirken und die Centra intact lassen, wie Curare und Coniin, nach denen, wenn die Dosis nicht zu gross war, stets vollständige Restitution eintritt. Die Vergiftungserscheinungen bei Säugetkieren und Vögeln ergeben sich aus den folgenden Versuchen: Einem mittelgrossen Kaninchen wird um 1!/ Uhr 1 Ce. Nitro- benzin unter die Rückenhaut injieirt. 1 Stunde darauf beobachtet man bei dem Thiere noch keine auffallende Wirkung. Um 4°/a Uhr fand ich es auf der Seite liegend, auf Insulte sich nicht fortbewegend, die Extremitäten paretischh Temperatur im Rectum 35,5° C., 58 Re- spirationen in der Minute. Auf sensible Reize werden die hinteren Extremitäten noch schwach angezogen, die vorderen nicht. 51/2 Uhr. Temperatur 34,70 C., 21 Herzschläge in 5 Secunden, 48 218 P. Guttmann: Respirationen in der Minute, nicht dyspnoetisch. Die vorderen Extre- mitäten werden gar nicht bewegt, die hinteren auf Insulte nur schwach. Die Augen sind geöffnet, die Pupille reagirt. In der Exspirationsluft starker Nitrobenzingeruch. 61/ Uhr. Herzschlag und Respirationsfrequenz wie vorhin. 'Tem- peratur 34°C. Auf starke Reize an den vorderen Extremitäten (Bren- nen mit einem glühenden Drahte) erfolgen schwache Bewegungen. Das Thier liegt in tiefem Sopor. 6°%/ Uhr. Derselbe Zustand. 18 Herzschläge in 5 Secunden, 54 Respirationen in der Minute, Temperatur 33,8. — Am anderen Mor- gen wurde das Thier bereits todtenstarr gefunden. Die Section zeigte keine Veränderung in den Organen, das Blut war dunkel und flüssig. Alle Organe rochen stark nach Nitrobenzin, namentlich die Leber und das Gehirn. Versuch II. Ziemlich grosses Kaninchen. Um 11/2 Uhr 2 Ce. Nitrobenzin in den Schlund. (Temperatur im Inneren des Ohrs 38,9°C.) 3 Stunden darauf fand ich das Thier auf der Seite liegend; auf Insulte schleppte es sich nur schwer fort. Etwas später lag es wie im Sopor, die Augen halb geschlossen. Es macht öfters schwache Bewegungen mit den Extremitäten, versucht auch den Kopf zu erheben, der aber immer wieder der Schwere folgt. Der Herzschlag ist ganz regelmässig, Temperatur im Ohr 35,8; 60 sehr oberflächliche abdominelle Respirationen in der Minute. Die Pu- pillen reagiren. Bald hören die spontanen Bewegungen vollständig auf und nur Reflexbewegungen erfolgen noch auf starke Reize. Um 5°/ı Uhr ist der Sopor noch stärker, die Temperatur auf 35,2 gesun- ken. Am anderen Morgen wurde das Thier todt gefunden. Section Nachmittags: Die Magenflüssigkeit riecht ausserordentlich stark nach Nitrobenzin, welches noch in kleinen Tröpfchen darin ent- halten ist. Die Magenschleimhaut ist blass, die Leber blutreich, riecht sehr stark, ebenso die Lungen, an denen einzelne Eechymosen sich finden; das Gehirn riecht ebenfalls stark, zeigt aber sonst nichts Auf- fallendes. Das Blut dunkel, im Herzen geronnen, in den Gefässen flüssig. Versuch III. Einer grossen Taube wird um 1/2 Uhr !/ Ce. Nitrobenzin in den Schlund gebracht. Bald darauf wird ihr Gang etwas unsicher. Um 2 Uhr rührt sie sich, gerüttelt, nicht mehr von der Stelle, kann sich nur schwer auf den Füssen halten. In die Luft geworfen, macht sie Flugbewegungen, sinkt aber bald wieder hin. Um 21/ı Uhr schwankt sie, auf den Füssen stehend, hin und her, lässt sich fast jede Lage gefallen und hat fast immer die Augen geschlossen. 5°/ Uhr. Die Taube liegt iu tiefem Coma, die Extremitäten sind paretisch, werden nur auf starken Reiz angezogen. Die Pupillen sind erweitert. — Am anderen Morgen wurde sie todt gefunden. Ueber die giftigen Eigenschaften des Nitrobenzin. 219 Section: Gehirnhäute hyperämisch, in allen Organen der speci- fische Geruch, sonst nichts Abnormes. Versuch IV. Grosses Huhn. ‚Um 2 Uhr 1 Ce. Nitroberzin in den Schlund. Schon wenige Mi- nuten darauf Zeichen einer Wirkung, das Thier schliesst fast fort- während die Augen, schwankt im Gange, hat sich aber am Abend wieder erholt. Am anderen Tage ungefähr um dieselbe Zeit nicht ganz 2 Cc. in den Schlund. Bald darauf taumelt das Thier und er- hebt sich nur gerüttelt aus seiner sitzenden Lage, schliesst die Augen. 10 Minuten nach der Injection ist der Kopf ganz zur Erde gesenkt, das Thier wie betäubt, öffnet nur gerüttelt die Augen. Um 5 Uhr tiefes Coma, aus dem das Thier gar nicht mehr zu ermuntern ist, die Pupillen sind erweitert, reagiren aber. Starke sensible Reize (Bren- nen der Zehen) werden empfunden und durch schwache refleetorische Bewegungen beantworte. Am anderen Morgen wurde das Thier todt gefunden. Section etwa 36 Stunden nach dem Tode. Das ganze Thier riecht stark nach Nitrobenzin, derselbe Geruch bei Eröffnung der Höhlen. Im Magen Nitrobenzin noch in Tropfenform. Leber blutreich, Gehirn hyperämisch. Aus diesen Versuchen — in einigen anderen waren die Eir- scheinungen ganz die gleichen — geht somit hervor, dass das Nitrobenzin in die Reihe der narkotischen Gifte gehört; in allen Fällen war Taumel, zuletzt Sopor eingetreten, die Pu- pillen waren erweitert, die willkürliche Bewegung wenige Stun- den nach der Injection sehr bedeutend herabgesetzt, zuletzt das Thier fast vollständig gelähmt. Reflectorische Bewegungen cr- folgten nur schwach und nur auf sehr starke Reize, doch braucht man deshalb nicht eine Anästhesie der sensiblen Nerven anzu- nehmen, da sich die verminderte Reaction aus der Somnolenz des Thieres hinlänglich erklärt. Wie in den früheren Versuchen anderer Beobachter, fehlten auch hier Convulsionen. Respiration und Herzthätigkeit waren in keiner bemerkbaren Weise verändert, dagegen sank sehr be- trächtlich die Körperwärme. In diesen Versuchen zeigte sich also Nichts von der späten Giftwirkung, wie sie Letheby beobachtet hat. Schon kurze Zeit nach der Application des Giftes konnte an den Thieren ein verändertes Benehmen wahrgenommen werden, offenbar also schon durch eine Blutwirkung des Mittels bedingt, da es örtlich 220 P. Guttmann: ganz indifferent ist. 1—2 Stunden nach der Injection trat dann spätestens die Wirkung auf das Gehirn und die Parese in den Extremitäten ein. Bei einigen anderen Versuchen mit kleine- ren Dosen zeigten sich in geringerem Grade dieselben Sym- ptome, und zwar ebenfalls schon nach einer Stunde und früher. Ebenso ist in den Versuchen von Ollivier und Bergeron, sowie in denen von Bergmann nichts auch nur annähernd Aehnliches beobachtet worden. — Eine ausreichende Erklärung für die Ursache der späten Giftwirkung in der einen Versuchs- reihe von Letheby ist kaum zu geben, und weder Letheby’s noch Bergmann’s Erklärung können uns vollständig genügen. Letheby glaubt, dass in der einen Reihe von Fällen, wo die Vergiftungssymptome rasch auftraten, das Nitrobenzin als sol- ches gewirkt habe, in der anderen Reihe das Umsetzungspro- duct desselben, das Anilin, und erklärt damit die veränderte Symptomengruppe, welche der Anilinvergiftung ähnlich ist; es soll also in dieser zweiten Reihe das Nitrobenzin bis zu seiner Umwandlung in Anilin im Körper latent gewesen sein. Zur Unterstützung dieser Erklärung wird ferner angegeben, dass in der ersten Versuchsreihe sich in den Organen Nitrobenzin und nur daneben Anilin, in der. zweiten aber nur Anilin oder gar Nichts gefunden hätte. Gegen diese Deutung ist aber einzu- wenden, dass bei der Dosis von 30—60 Tropfen Nitrobenzin, welche den Thieren gegeben war, sich doch sicherlich nicht eine bedeutendere Menge von Anilin bilden konnte, um so we- niger, als das Nitrobenzin fortdauernd durch die Exspirations- luft aus dem Körper eliminirt wird; Anilin ist aber nach der Angabe von Bergmann nicht einmal in der Gabe von 2 Grm. für einen kleinen Hund tödtlich. Damit stimmen auch die Ver- suche von Ollivier und Bergeron!) überein, in welchen erst 3 Grm. die tödtliche Dosis für einen Hund waren. Bergmann erklärt diese von Letheby beobachtete späte Giftwirkung aus der schweren Resorption des Nitrobenzin. — Wenn auch zugegeben werden muss, dass es viel langsamer resorbirt wird, als die in Wasser oder in den Magensäuren lös- 1) Brown-Sequard’s Joural Nr. XXIII. S. 368— 379. Ueber die giftigen Eigenschaften des Nitrobenzin. 921 lichen Stoffe, so ist eine Resorption, die für 30—60 Tropfen 19 und selbst 72 Stunden in Anspruch nehmen soll, doch im Widerspruche mit allen uns bekannten Thatsachen. Aber selbst eine sehr verlängerte Resorption würde noch gar nicht die Er- scheinungen erklären, die nach vorherigem völligem Wohlbe- finden des Thieres ganz plötzlich eintreten und sich zudem von den sonstigen Wirkungen des Nitrobenzin unterscheiden. Ich habe das Nitrobenzin nach subeutaner Injection von 3-Grm. schon nach 25 Minuten in dem aus der Carotis ent- nommenen Blute eines Kaninchens wiedergefunden. Mit dieser Resorptionszeit stimmen auch die ersten Wirkungserscheinungen des Giftes überein, die, wenn sie auch in keiner auffallenden Weise dem späteren Symptomencomplexe glichen, doch schon in einer sehr merklichen Veränderung in dem Wesen der Thiere sich kundgaben. Welche Bedeutung das aus dem Nitrobenzin im Körper sich bildende Anilin!) für die Symptomenreihe der Vergiftung hat, bleibt unklar. Es ist allerdings richtig, dass die Convulsionen, wie sie in der zweiten Versuchsreihe, Letheby’s zur Beobach- tung kamen, ganz den Convulsionen gleichen, wie sie das Ani- lin erzeugt; aber auch in der ersten Versuchsreihe war in den Organen Anilin nachzuweisen, und doch fehlten die Krämpfe. Ebenso haben Ollivier und Bergeron bei einem Hunde, der nach 10 Grm. Nitrobenzin ungefähr 8 Stunden später starb, in allen Organen und im Blute das Anilin nachgewiesen; während des Lebens aber war nur ein Mal und zwar schon °/, Stunden nach dem Genusse des Giftes ein choreaähnlicher Anfall von 6 Minuten Dauer eingetreten, dann aber waren die Erscheinun- gen vollkommen für die Nitrobenzinvergiftung charakteristisch. Dass auch die Dämpfe des Nitrobenzin tödtlich wirken kön- nen, beweisen die von Letheby mitgetheilten Vergiftungsfälle. Charvet?) athmete zwar ohne Nachtheil sehr dichte Dämpfe von Nitrobenzin mehrere Stunden lang ein, und auch Bouis- 1) Nitrobenzin (C1!?H>NO*) verwandelt sich unter dem Einflusse reducirender Substanzen leicht in Anilin (C!?2H’N) durch Aufnahme von 2 Atomen H und Verlust von 4 Atomen 0. 2) Annales d’Hygiene publique 1863. T. XX, p. 298. 223 P. Guttmann: son!) läugnet die betäubende Wirkung derselben, sie ist aber ganz unzweifelhaft. : Charvet hat bei einem Hunde nach 1'/,stündiger Einathmung unvollständige Anästhesie mit Schlaf- sucht, und Ollivier und Bergeron bei ihren Versuchen an Katzen und Meerschweinchen den Tod im Laufe von 2—5 Stunden eintreten sehen. | Nachdem ich die intensiv giftige Wirkung der Nitrobenzin- dämpfe auf Frösche beobachtet hatte, setzte ich auch Vögel der Einathmung einer nitrobenzinhaltigen Luft aus; die schädliche Wirkung trat bei diesen Thieren ungleich langsamer und erst bei einer viel stärkeren Dichtigkeit der Dämpfe ein. — Ich brachte Hänflinge und Zeisige unter eine Glasglocke, die an 2 Seiten Oeffnungen für den Eintritt der Luft hatte, und liess durch immer wieder erneutes Aufträufeln von Nitrobenzin auf Fliesspapier Verdunstung erzeugen. Die Thiere wurden anschei- nend längere Zeit gar nicht davon affıcirt, frassen ruhig das Futter und selbst das, welches auf dem Fliesspapier lag, von dem die Verdunstung ausging. Nachdem sie eine Stunde lang der Ein- athmung der Dämpfe ausgesetzt waren, wurden sie aus der Glocke entfernt und blieben dann vollständig munter. Hatten sie aber längere Zeit, 2—3 Stunden, Nitrobenzin eingeathmet, so starben sie, auch wenn sie noch vor dem Eintritte des voll- ständigen Sopor wieder an die atmosphärische Luft gebracht waren. Die Vergiftungserscheinungen waren ganz die gleichen, wie sie bei Injection des Nitrobenzin in den Magen oder unter die Haut beobachtet werden. Die Vögel fingen an zu taumeln, schlossen die Augen und verfielen allmählich in Coma; dann lagen sie vollständig regungslos, unempfindlich auf sensible Reize, mit erweiterten Pupillen und langsamer, tiefer Respira- tion. Dieser Zustand ging allmählich in den Tod über. — Auf- fallend bleibt nur, dass die Vögel, die sonst für abnorme Gase in der Atmosphäre viel empfindlicher als Frösche sind, eine so dicht mit Nitrobenzin erfüllte Luft (es wurde mehr als 1 Ce. aufgegossen) so lange ohne Nachtheil einathmen können, wäh- rend Frösche, wie bereits erwähnt, schon sterben, wenn in der 1) Annales d’IIygiene publique 1863. T. XX. Ueber die giftigen Eigenschaften des Nitrobenzin. 223 einzuathmenden Luft nur ein einziger Tropfen Nitrobenzin ver- dunstet. Was schliesslich die Umwandlung des Nitrobenzin in Anilin betrifft, so habe ich letztere Substanz in dem Harne und den Organen eines durch 4 Grm. Nitrobenzin vergifteten Kaninchens nicht finden können. Der alkoholische Auszug der Leber wurde filtrirt, dann durch Verdunsten concentrirt und mit weingeistiger Oxalsäure- lösung versetzt, wonach die Flüssigkeit sich weisslich trübte; war also Anılin vorhanden, so musste es in diesem Nieder- schlage sein. Nach wiederholter Filtration und Trocknung des Rückstandes wurde das ganze Filter mit kohlensaurem Kalk zerrieben, mit Wasser befeuchtet und auf dem Wasserbade ab- gedampft, darauf wieder Weingeist zugesetzt, welcher das etwa freigewordene Anilin löst, aber den unlöslichen oxalsauren und kohlensauren Kalk zurücklässt. Nach der Filtration wurde nun die weingeistige Lösung auf einem Uhrglase verdunstet und mit dem Rückstande die Reaction auf Anilin mit Chlorkalklö- sung gemacht. Es zeigte sich keine violette Färbung. — Auf gleiche Weise wurden Gehirn, Herz, Nieren und der Harn be- handelt; es fand sich kein Anilin. Auch Bergmann hat dasselbe im Harne nicht nachweisen können, wiewohl in seinen Versuchen die Thiere selbst meh- rere Tage lebten, während bei einem Pferde, das Anilin be- kommen hatte, das Destillat des Harns den Geruch und die Reaction zeigte. Berlin, im Februar 1866. 224 W. Gruber: Weitere Fälle von Einmündung der Vena hemiazyga in das Atrıum dextrum cordis beim Menschen. (Bildungshemmung und Thierbildung.) Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. Dem Falle von Einmündung der Vena hemiazygain das Atrium dextrum cordis beim Menschen,‘ welchen ich in diesem Archive, Jahrg. 1864, 5. 729, mitgetheilt und auf Taf. XVI. Fig. 1 abgebildet habe, kann ich zwei neue Fälle beigesellen. Die im Studienjahre 1864/65 in St. Petersburg herrschende Epidemie von Febris recurrens und Typhus lieferte für das In- stitut der practischen Anatomie eine enorme Summe von Lei- chen. Ich benutzte den Ueberfluss und stellte in so mancher Hinsicht Untersuchungen im Grossen an. Unter 100 Herzen, welche ich zur Fortsetzung meiner Untersuchungen über die Venae cardiacae verwenden konnte, sah ich an einem die V. hemiazyga in das Atrium dextrum cordis münden; und unter anderen 100 Leichen, von welchen ich, nach vorheriger Unter- suchung der Vena azyga und hemiazyga und anderweitiger Be- nutzung, die Herzen zu späterer Untersuchung in Spiritus auf- bewahren liess, fand ich an einer wieder eine so abnorm mün- dende Vena hemiazyga. Das exenterirte Herz mit dem ersteren Falle gehörte einer Leiche an, von welcher der Hals, behufs arterieller Injection des Kopfes, vom übrigen Weitere Fälle von Einmündung der V. hemiazyga u.s. w. 225 Rumpfe tief abgelöst worden war. Dadurch war die Vena cava superior nicht in ihrer ganzen Länge erhalten worden, und von der Vena hemiazyga fehlte das an der Wirbelsäule aufsteigende Stück, welches leider vor der Exenteration des Herzens mit den Lungen nicht untersucht worden war. Das als Vena hemiazyga gedeutete Gefäss konnte deshalb als solche zwar mit höchster Wahrscheinlichkeit, nicht aber mit völliger Sicherheit genommen werden. Die Möglichkeit war noch zulässig, dass dasselbe ein Beispiel jener Art rudimentärer Vena cava superior sinistra darstelle, welche trotz der Metamorphose des transversalen Communicationsastes der Venae jugulares primitivae zur Vena anonyma sinistra persistirte und ım vorliegenden Falle an oder unter der Einmündung in letztere abgeschnitten worden war. Dagegen sprach freilich die Abwesenheit eines Astes an dem langen, von dem ausserhalb des Pericardiusn gelagerten, noch vorräthigen Abschnitte der Vena hemiazyga, welcher als Vena intercostalis superior sinistra oder als Vena azyga sinistra hätte genommen werden können und mit der Vena caya superior si- nistra in der Regel, aber nicht immer, in diese sich einsenkend, zugegen ist. Die Leiche mit dem zweiten Falle war eine jener, an welcher nebenbei auch die Vena azyga und hemiazyga untersucht worden waren. Ich stiess daher und zwar rechtzeitig auf die Abweichung der Vena hemiazyga, konnte sie injieiren lassen und in ihrem ganzen Verlaufe zergliedern. Diese neuen Fälle, wovon ich. die Präparate in meiner Sammlung aufbewahrt habe, werde ich im Nachstehenden mit- theilen. Zur Mittheilung finde ich mich veranlasst, einerseits, um damit darzuthun, dass die durch Bildungshemmung bedingte und als Thierbildung interessante Einmündung der Vena hemi- 'azyga in das Atrium dextrum cordis beim Menschen kein Cu- riosum mehr sei; andererseits, um damit auch die Art der in das Atrium dextrum cordis einmündenden Vena hemiazyga zur Kenntniss zu bringen, welche mit normaler Entwickelung und Mündung der Vena azyga und höchstwahrscheinlich auch mit Verschwinden der oberen Portion der Yena cava superior sinistra primitiva einhergeht. Reichert’s u. du Bois-Reyınond’s Archiv. 1866. 15 226 W: Gruber: 1. (2.). nicht völlig sicherer Fall. Beobachtet am 27. Februar 1865 an dem Herzen eines alten Mannes. Die Vena cava superior ist nur in der Länge von 22. 7L. bis 3Z. 1L. zugegen. Davon ist das ausserhalb des Pericar- diums befindliche Stück 12. 10 L., das innerhalb desselben ge- lagerte Stück °/, Z. vom und 1!/,Z. hinten lang. Die Länge der Portion des ersteren Stückes über der Einmündung der Vena azyga, die hier 4L., kurz vorher 5 L. dick ist, beträgt 1 Z., die Portion unter der Einmündung 6L. Die Dicke der- selben über der Einmündung der Vena azyga misst 9L., an und unter dieser bis zum Pericardium 1 Z. in sagittaler Rich- tung und 10 L. in transversaler, innerhalb des Pericardium in der Mitte der Länge IL. Von der Vena hemiazyga hängt am Herzen und an der Lungenwurzel ein 5?/, Z. langes Stück, wovon auf die ausserhalb des Pericardiums befindliche Portion -1°/, Z., auf die innerhalb desselben und am Herzen gelagerte 4 Z. kommen. Ihre Dicke beträgt an der Portion ausserhalb des Pericardiums 5!/, L., an der Stelle, wo sie das fibröse Blatt des letzteren durchbohrt, 3 L., an der Portion im Pericardium und am Herzen, und zwar am Abschnitte bis zur Aufnahme der Vena coronaria magna am Anfange 5 L., am Ende 5 L., am Abschnitte, welcher im Sulcus atrioventricularis cordis ver- läuft, am Anfange 6 L., am Ende 9 L. Von der ausserhalb des Pericardiums gelagerten Portion ist zu vermuthen, dass sie ihren Verlauf über der linken Lungenwurzel, von hinten nach vorn bogenförmig gekrümmt, genommen habe. An derselben ist kein grösserer Ast zu sehen, welcher sich dahin geöffnet hätte, und welcher, mit der zulässigen Bedeutung einer Vena intercostalis superior sinistra oder einer gewöhnlichen Vena he- miazyga (Azyga sinistra), seinen Stamm, den wir als Vena he- miazyga mit unmittelbarer Einmündung in das Herz bezeichnet haben, als Vena cava superior sinistra charakterisirt haben würde. Die innerhalb des Pericardiums gelagerte Portion hat denselben Verlauf, wie die gleiche der Vena hemiazyga mit Einmündung in das Herz in den bekannten anderen Fällen, Weitere Fälle von Einmündung der V. hemiazyga u. s. w. 227 oder wie die anomal vorkommende Vena cava superior sinistra. Dieselbe hängt mit einem Abschnitte im und am Ligamentum venae cavae superioris sinistrae primitivae, welches dreieckig, 7L. hoch und 6 L. breit ist; läuft mit dem folgenden Ab- schnitte am Atrium sinistrum cordis schräg abwärts und rechts; liegt mit dem Endabschnitte in oder über dem hinteren linken Segmente des Sulcus atrioventrieularis cordis und mit dem Ostium des Sinus communis venarum cardiacarum gewöhnlicher Fälle, das mit einer netzförmig durchbrochenen Valvula The- besii versehen ist, in das Atrium dextrum cordis. Nur der im Sulcus atrioventrieularis cordis gelagerte Abschnitt nimmt Aeste auf und zwar: am Anfange die starke Vena coronaria magna cordis, am Ende die mit einer halbmondförmigen Valvula ver- sehene Vena media, und zwischen beiden einige sehr kleine Venae ventriculi sinistri posteriores accessoriae auf. Eine starke Vene, welche nahe dem Rande des Herzens an der hin- teren Fläche des linken Ventrikels aufsteigt, und entweder die Vena marginalis oder posterior ventriculi sinistri ist, öffnet sich in die Vena coronaria magna, 3 L. von deren Mündung in die Vena hemiazyga. 2. (3.) sicherer Fall, bei normalem Verlaufe und ge- wöhnlicher Einmündung der Vena azyga in die Vena cava superior; und bei Abwesenheit eines unmittel- baren Communicationsastes zwischen der Vena hemi- azyga und der Vena anonyma sinistra. . Beobachtet am 26. April 1865 an der Leiche eines 16—18jäh- rigen Jünglings, der an linksseitiger Pneumonie gestorben war. Die Vena cava superior, die Venae anonymae und die Vena azyga zeigen nichts Abnormes. Die Vena azyga entsteht und verläuft wie gewöhnlich und mündet am gewöhnlichen Orte in die Vena cava superior. Die Vena anonyma sinistra hat den Durchmesser von 4!/, L., die Vena cava superior über der Auf- nahme der Vena azyga den von 6---7 L., unter derselben von 7—BL. ' Die Vena hemiazyga entsteht mit zwei 1'/, L. starken Wur- 15* 228 W. Grubar: zeln. Die hintere Wurzel ist die Fortsetzung der gewöhnlichen Vena lumbalis ascendens. Die vordere Wurzel kommt von der Vena lumbalis sinistra IIl., welche kurz darauf (3 L. weiter) in die Vena renalis sinistra sich ergiesst. Sie läuft gestreckt, 1 bis 1!/, Z. vor ersterer und durch den Hiatus aorticus in die Brusthöhle. Diese Wurzel nimmt die Vena lumbalis sinistra I. und Il.. auf. Nach Vereinigung der Wurzeln steigt die Vena hemiazyga im hinteren Mittelfellraume links neben der Aorta thoracica bis zum! 5. Brustwirbel aufwärts, hat einen Durch- messer von 2L. und nimmt in diesem Verlaufe die Venae in- tercostales sinistrae XL.— IV. auf, wovon die V. und IV. zu einem Stämmchen sich vereinigen, bevor sie sich in die Vena hemiazyga ergiessen. Nun krümmt sie sich mit einer 1!/, Z. langen und 2'/, L. dicken Portion über der linken Lungenwur- zel vor und medianwärts. Diese Portion nimmt an ihrem An- fangsdrittel zwei Venenstämmchen, zu welchen sich die Venae intercostales sinistrae L.—III. und eine Vena mediastinalis ver- einigt haben, am Ende aber, und bevor sie das fibröse Blatt des Pericardiums durchbohrt, einen 1'/; Z. langen und bis °/, L. dicken Communicationsast mit der Vena mammaria interna si- nistra auf. Der Ast communiecirt, 1/, L. dick, mit letzterer an einer Stelle, die von deren Einmündung in die Vena anonyma sinistra 4 L. entfernt ist, empfängt ein Paar kleiner Zweige und wird vom Nervus phrenicus sinister begleitet. Nachdem die Vene das fibröse Blatt des Pericardiums durchbohrt hat, steigt sie Sförmig gekrümmt vor der linken Lungenwurzel im Liga- mentum venae cavae superioris sinistrae primitivae eingehüllt und durch dasselbe aufgehangen abwärts, dann am Atrium sinistrum cordis schräg abwärts und rechts zum Sulcus atrio- ventriceularis. In dieser Strecke nimmt sie keine Aeste auf, ist 2 Z. lang, am oberen Ende 2—2'/, L., am unteren 4!/, bis 5 L. dick. Endlich krümmt sie sich im hinteren linken Segmente des Sulcus atrioventricularis mit der dem Sinus com- munis venarum cardiacarım normaler Fälle entsprechenden End- portion nach rechts, um mit dem Ostium dieses Sinus in das Atrium dextrum cordis sich'zu münden. Die Endportion nimmt gleich am Anfange die Vena coronaria magna cordis, welche nz Weitere Fälle von Einmüudung der V. hemiazyga u. s. w. 999 die Vena marginalis ventriculi sinistri empfangen hat, in grös- serer Entfernung davon nach rechts die Vena posterior ventri- culi sinistri, am Ende die Vena media cordis, in welche sich die zufällig vorhandene Vena coronaria cordis dextra öffnet, . endlich zwischen der Vena coronar'a magna und posterior ven- trieuli sinistri, dann zwischen letzterer und der Vena media je eine Vena posterior accessoria ventriculi sinistri auf. Diese Portion ist nach der Aufnahme der Vena coronaria magna 6 L., am Ende etwa 9 L. weit. Vergleicht man diese neuen Fälle mit dem von mir be- schriebenen früheren Falle, so ergeben sich folgende we- sentlicLe Verschiedenheiten: 1. In den neuen Fällen war die Vena azyga ein Ast der Vena cava superior und nahm sicher im zweiten dersel- ben alle Venae intercostales dextrae auf; im früheren Falle war die Vena azyga, welche nur untere Venae intercostales dextrae empfing, en Ast der Vena.hemiazyga, mündeten die mittleren Venae intercostales dextrae durch zwei Stämmchen ebenfalls in letztere Vene, und vereinigten sich nur die oberen Venae intercostales dextrae zu einem Stämmchen (Vena inter- costalis superior dextra), welches sich in die Vena cavı supe- rior öffnete. In dem zweiten neuen !alle erhielt die Vena hemiazyga alle Venae intercostales sinistrae und die Venae car- diacae, aber keine Venae intercostales dextrae; im früheren Falle dagegen nebst allen Venae intercostales sinistrae und den Venae cardiacae auch die meisten Venae intercostales dextrae. 2. Im zweiten neuen Falle communicirte die Vena hemiazyga mit der Vena anonyma durch die Vena mammaria interna sinistra, also nur mittelbar; im früheren Falle aber unmittelbar. Der Communicationsast im zweiten neuen Falle erschien mehr wie ein Ast der Vena hemiazyga, im früheren Falle mehr wie ein Ast der Vena anonyma sinistra. Derselbe konnte im zweiten neuen Falle kaum als die im rudimentären Zustande noch persistirende obere Portion der 230 W. Gruber: Weitere Fälle von Einmündung u. & w. Vena cava superior sinistra primitiva gedeutet werden, wohl aber ım früheren Falle. 3. Die Bildung im zweiten neuen Falle war wegen der ‚ Einmündung der Vena azyga in die Vena cava superior mehr analog der bei Talpa constant und bei C’avia inconstant vor- kommenden Bildung; im früheren Falle, wegen Aufnahme der Vena azyga und der mittleren Venae intercostales dextrae von der Vena hemiazyga, mehr analog der bei gewissen Pachy- dermen und Wiederkäuern auftretenden Bildung. | J. Dogiel: Ueber die Wirkung des Chloroforms u. s w. 231 Ueber die Wirkung des Chloroforms auf den Orga- nısmus der Thiere im Allgemeinen und besonders auf die Bewegung der Irıs. Von Dr. JOHANN DociEL. Die Wirkur » des Chloroforms auf den Organismus der Thiere kann verschiedene Erscheinungen erzeugen. Zu diesen gehören: die Unbeständigkeit der Grösse der Pupille, die Beschleunigung oder die Verlangsamung der Respiration und des Herzschlages, endlich die Veränderungen in dem Nervensysteme. Diese Ver- änderungen hängen nicht nur von der Methode der Chlorofor- mirung und der Quantität des eingeathmeten Chloroforms ab, sondern auch von der Gattung des zur Untersuchung gebrauch- ten Thieres. Meine Untersuchungen habe ich an Kaninchen und Fröschen angestellt. In der Wirkung des Chloroforms auf den Organis- mus unterscheidet man gewöhnlich folgende drei Stadien: 1) das der Erregung, 2) das der Narkose und 3) das der Asphyxie. Die Dauer dieser Stadien ist bei verschiedenen Thieren ver- schieden. Bei Kaninchen äussern sich die Erscheinungen des ersten Stadiums schon bei den ersten Chloroformeinathmungen. Die hervorstechendsten Erscheinungen sind: Verengerung der Pupillen, Verlangsamung und Stillstand des Herzschlages, end- lich Zurückhaltung der Respiration. Im Gegensatze zu 0. Weber (Erfahrungen und Untersuchungen, Berlin 1859) fand ich, dass Frösche die Chloroformirung recht gut vertragen. Die Erscheinungen des ersten Stadiums sind bei diesen Thieren 232 | J. Dogiel: kaum zu bemerken und äussern sich nur durch stärkere Un- ruhe und Muskelbewegungen des Thieres. Um an diesen Thieren die erwähuten Erscheinungen be- quemer zu beobachten, verfuhr ich folgendermaassen: der Frosch wurde rücklings auf ein Brett gelegt und fixirt; hierauf schnitt ich vorsichtig die Haut und die anderen Theile durch und legte das Herz bloss, um dessen Bewegungen besser beobachten zu können: Darauf legte ich den auf dem Brette fixirten Frosch unter eine Glasglocke, den Kopf gegen das Licht gewendet; so- bald die Pupille sich hinreichend durch die Wirkung des Lich- tes verengert hatte, legte ich ein mit Chloroform benetztes Schwämmchen unter die Glocke. Däs zweite Stadium äussert sich bei Kaninchen durch Er- weiterung der Pupille, Beschleunigung des Herzschlages und der Respiration, und durch Gefühllosigkeit; die Bewegungen der Extremitäten und des Kopfes lassen nach, so dass das Thier wie eingeschlafen scheint. Bei Fröschen aber, die ich in diesem Stadium beobachtete, ist die Erweiterung der Pupille unbedeutend, die Herzschläge verlangsamen sich und die Re- spiration wird beschleunigt. Bei fortgesetzter Chloroformirung traten nach den Erscheinungen des zweiten Stadiums bei Ka- ninchen sehr rasch die des dritten ein, nämlich: das Aufhören der Respiration und des Herzschlages, und starke Erweiterung der Pupille.e. Doch wenn diese Thiere bis zur Narkose mit sehr grosser Vorsicht chloroformirt werden, so kann es biswer- len gelingen, an dem nämlichen Thiere diesen Versuch mehr- mals zu wiederholen. Frösche hingegen kann man immer bis zur vollkommenen Aufhebung der Respiration und fast bis zum Stillstande des Herzschlages chloroformiren ; die Pupille erweitert sich voll- kommen; die Gefühllosigkeit wird so bedeutend, dass die Be- rührung der Haut des Frosches mit Essigsäure keine reflecto- rischen Bewegungen hevorruft; und doch lebt das so weit chlo- röformirte Thier nach und nach wieder auf, wenn wir es aus der Glasglocke nehmen und in frische, chloroformfreie Luft legen. Durch den Reiz des Sauerstoffs der Luft und wahr- scheinlich auch durch die Verflüchtigung des Chloroforms stel- Ueber die Wirkung des Chloroforms auf den Organismus u. s. w. 333 len sich die Herzschläge allmählich wieder bis 30 Mal in einer Minute her; run tritt die Respiration und die Empfindung wieder ein; die Bewegungen werden ganz frei. ' Das Einspritzen des Chloroforms unter die Haut eines Fro- sches ruft ganz dieselben allgemeinen Erscheinungen hervor, wie Chloroformeinathmungen. Die Erscheinungen folgen nur viel schneller auf einander und tödten leicht das Thier. Ausser der allgemeinen Wirkung des Chloroformeinspritzens auf den Organismus der Frösche, bemerkt man noch seine locale, un- mittelbare Wirkung. Wenn man z. B. Chloroform unter die Haut des rechten Beines einspritzt, so bemerkt man etwas später und beim Eintreten der starken Wirkung des einge- spritzten Mittels auf den Organismus folgende Erscheinungen: völlige Erstarrung des rechten Beines, während das linke dage- gen frei bleibt, und urngekehrtt. Wenn man sogar Chloroform unter die Haut des unteren Theiles des Thieres in der Rich- tung nach rechts oder nach links einspritzt, so bekommt man eine gleiche Erstarrung der gleichnamigen Extremität der inji- eirten Seite. Bei einer bedeutenden Quantität des eingespritz- ten Chloroforms, nimmt das Herz des Frosches an Ausdeh- nung zu. | Um die Frage zu lösen, wovon die Verengerung der Pu- pille im ersten und die Erweiterung im zweiten Stadium der Chloroformnarkose beim Kaninchen abhängt, unternahm ich fol- gende Reihe von Versuchen. Zur Vermeidung grossen Blutverlustes bei dem Versuche liess ich Kaninchen 5—4 Tage vorher dürsten und ihnen nur trockenes Futter (Hafer) geben. Das Chloroformiren wurde mittelst eines Handtuches, in welchem ein mit wenig Chloroform benetzter Schwaınm lag, zu Stande gebracht. Es wurde sehr vorsichtig verfahren, weil die Kaninchen sehr schnell am Chloroform sterben. Jedes Mal, sobald das Chloroform zu wirken anfıng, wurde eine starke Pu- pillenverengerung (während des Stadiums der Erregung) be- merklich. Bei längerer Wirkung aber, während des Stadiums der Narkose und Asphyxie, wurde die Pupille allmählich wei- ter, bis sie zuletzt ihr Maximum, ungefähr wie sie bei Sym- 234 | J. Dogiel: pathicusreizung oder im Momente des Todes zu sein pflegt, er- langte. An einem Kaninchen wurde nun auf einer Seite der Hals- sympathieus präparirt und durchschnitten, wobei die Pupille sich bedeutend verengerte. Reizung des Nerven (zur Controle) ‘ gab Erweiterung der Pupille. Das Thier wurde darauf bis zur Narkose chloroformirt, die Pupillen beider Augen erweiterten sich bedeutend. Indem ich den oberen Stumpf des durchge- schnittenen Halssympathieus durch Inductions-Ströme reizte, die eben so stark waren, wie die, mit welchen ich denselben Nerv vor dem Chloroformiren reizte, trat trotz der Wirkung des Chloroforms Erweiterung der entsprechenden Pupille ein. ' Bei weiterem Chloroformiren bis zur Asphyxie konnte jedes Mal bei Reizung des Halssympathicus eine deutliche Verstär- kung. der Pupillenerweiterung nachgewiesen werden. Es hatte also das Chloroformiren keine wahrnehmbare Ver- änderung im Sympathicus hervorgerufen. Beim Aufsetzen der Doppel-Elektroden (4 Elektroden, die durch Glasröhren von einander isolirt sind, in einem Vierecke auf den inneren Rand der Iris aufgesetzt und zwar so, dass die diagonalen Elektroden demselben Pole der secundären Spi- rale des Magnet-Elektromotor entsprechen) auf den inneren Iris-Rand desselben Kaninchens entstand Verengerung der Pu- pille; im Gegentheile aber, wenn einfache Elektroden an den äusserlichen Iris-Rand applicirt wurden, erweiterte sich die Pupille. Die Muskelfasern der Iris blieben folglich bei der Narkose sowohl, als gleich nach Asphyxie durch die Wirkung des Chlo- roforms unverändert. — Eine andere Reihe Versuche wurde mit dem N. oculomotorius vorgenommen. Dem Thiere wurde die Schädelhöhle geöffnet; hierauf chloroformirte ich es bis zur Narkose; dann wurde der erwähnte Nerv durchschnitten und | der peripherische Stumpf auf zwei Elektroden gelegt und ge- reizt, wodurch jedes Mal eine Verengerung der Pupille, die sich bei dem Chloroformiren stark erweitert hatte, erfolgte; zu gleicher Zeit wurde eine directe elektrische Reizung der Iris vorgenommen, indem Doppel-Elektroden auf den inneren Rand Ueber die Wirkung des Chloroforms auf den Organismus u.s. w. 235 der Iris gesetzt wurden, worauf sich Verengerung zeigte; wenn ich aber einfache Elektroden auf den äusseren Rand der Iris applicirte, entstand Erweiterung. Folglich blieben auch hier die Muskelfasern der Iris unverändert. Im zweiten Stadium (der vollkommenen Narkose) durch das Chloroform reagiren die Pupillen auch gegen Licht nicht mehr. Es wurden noch folgende Versuche angestellt. Bei einem mit- telgrossen weissen Kaninchen eröffnete ich die Schädelhöhle, chloroformirte das Thier bis zur Narkose, hob die grossen Lap- pen des Gehirns in die Höhe und reizte nun elektrisch den N. opticus. Ich habe bei Reizung des N. opticus während der Narkose keine Wirkung auf die Pupille wahrnehmen können. Sobald hingegen die Narkose vollkommen vorüber war, erhielt ich eine starke Pupillenverengerung bei Reizung des N. opticus. Aus den beobachteten Erscheinungen lässt sich der Schluss ziehen, dass unter der Wirkung des Chloroforms folgende Ver- änderungen in den Nervencentren des Kaninchens eintreten: Erregung der Gehirncentra im ersten Stadium, Parese dersel- ben während der Narkose und Paralyse in der Asphyxie. Durch die Erregung der Centra lassen sich die verschiede- nen Erscheinungen an der Pupille (Verengerung und Erwei- terung) erklären. Bei Erregung des Gehirns wird der N. oculomotorius auch stark erregt, wodurch eine deutliche Verengerung der Pupille entsteht, da der N. oculomotorius durch das Chloroform seine Erregbarkeit nicht einbüsst. Im zweiten Stadium wird der noch erregungsfähige Oculomotorius durch Parese des Gentrums von demselben nicht mehr erregt, wodurch desto deutlicher und stärker die Wirkung des Sympathicus hervortritt. Was die anderen Erscheinungen bei der Wirkung des Chlo- roforms auf den Organismus der Thiere anbetrifft; so kann man nach den specielleren Forschungen, wie die Adorn’s, Amedee Forget’s, Hillert’s, Maurice Perrin und Ludger !’Alle- mand (l’Union medicale, T. IX., Nr. 8—13, 1835), sowohl, als aus den Erfahrungen von OÖ. Weber (Chirurg. Erfahr.) und An- Bob =, J. Dogiel: deren annehmen, dass alle diese Erscheinungen sich durch Ver- änderung der Nervencentren, ähnlich denen, die durch die Wir- kung des Aethers, Alkohols und Amylens hervorgerufen wer- den, bedinst werden. — Flourens, der sich mit korschungen über die Wirkung des Aethers auf den Organismus der Thiere beschäftigte, zog den Schluss (Seances de l’Academie des Scien- ces, Feyr. 1847), dass die Wirkung des Chloroforms auf Hunde in der Lähmung der grossen Hirnlappen, des kleinen Gehirns, des Rückenmarks und der Medulla oblongata bestehe. Er hat selbst die Meinung ausgesprochen, dass mit der Lähmung der Medulla oblongata die Respiration aufhöre und der Tod erfolge. Was meine eigenen Beobachtungen über die Veränderungen des Herzschlages bei den Kaninchen in den verschiedenen Perioden der Wirkung des Chloroforms anbetrifft, so kann ich gegen- wärtig nur Folgendes erwähnen. Bei Chloroformwirkung auf den Organismus der Kunden habe ich’ (in verschiedenen Perioden) verschiedene Herzbewe- gungen bemerkt. Im Stadium der Erregung beobachtete ich, dass die Herzsch'ige an Frequenz abnahmen; im Stadium der Narcose aber beschleunigte sich die Bewegung des Herzens wieder; in dem dritten Stadium endlich, nach einem kurzen Stillstande des Herzens und Aufhören der Respiration, fing es wieder an zu schlagen, obgleich nur auf sehr kurze Zeit (einige Secunden bis zu einer Minute, und sogar auf etwas längere Zeit). Um mir die erste Erscheinung des ersten Stadiums möglichst deutlich zu machen, unternahm ich folgenden Versuch. Nach- dem die beiden Nervi vagi durchschnitten waren, bemerkte ich, dass der Herzschlag sich sehr beschleunigte; nach dem Chloro- formiren aber sah ich keine Veränderung mehr in der Bewe- gung des Herzens bis zum Tode eintreten. | Aus diesem letzten Versuche schliesse ich, dass die ei gerung des Herzschlages in dem ersten Stadium der Wirkung des Chloroforms auf den Organismus der Thiere durch die Rei- zung der N. vagi entstehe; im zweiten Stadium aber, wo das Gehirn fast unthätig ist, vermindert sich durchaus die Thätig- keit der erwähnten Nerven und folglich verstärkt sich der Herzschlag. Ueber die Wirkung des Chloroforms auf den Organismus u. s. w. 237 Die Verlangsamung des Herzschlages und dessen vollkom- mener Stillstand auf einige Minuten, welche Erscheinungen in ..dem ersten Stadium bemerkt werden, sind nicht sowohl Folge .der Allgemeinwirkung des Chloroforms, als Reflexwirkung vom N. oliactorius beim Athmen durch die Nase. Dieselbe Erschei- nung tritt ein, wenn man das Thier Dämpfe von Ammoniak, Alkohol, Aether, Essigsäure und anderen Substanzen durch die Nase athmen lässt. Wenn ich hingegen ein Kaninchen nicht durch die Nase, sondern direct durch die Trachea Chloroform athmen lasse (wozu ich vorher die Tracheotomie mache, eine Glasröhre in die Trachea einführe, mit einem Seidenfaden_die- selbe befestige; das andere Ende der Röhre mittelst eines Kautschukrohres mit einem grossen Trichter (Nr. 5) verbinde, und in letzteren einen mit Chloroform benetzten Schwamm lege), so bemerke ich im ersten Stadium weder Stillstand des Herz- schlages, noch selbst Verlangsamung desselben. Daraus ziehe ich die Folgerung, dass die Erscheinungen des ersten Stadiums, nämlich die Verlangsamung des Herzschlages bei den Kaninchen, nicht nur durch Chloroformeinathmen, sondern auch durch das Einathmen verschiedener anderer Substanzen, die auf die N. olfaetorii reizend einwirken und auf diese Weise Reflexe auf das Herz hervorrufen, bedingt werden. Die mitgetheilten Versuche sind im physiologischen Labo- ratorium des Herrn Professor Helmholtz ausgeführt. Heidelberg, März 1866. [d 238 W. Ebstein: Ueber.einen sehr seltenen Fall von Insufficienz der Valvula trieuspidalis, bedingt durch eine angeborene hochgradige Missbildung derselben. Von Dr. WILHELM EBstein, Assistenzarzt und Prosector am Allerheiligen Hospitale in Breslau. (Hierzu Taf, VIII.) Der Fall, welchen ich in den nachfolgenden Blättern ge- nauer erörtern will, bietet nicht nur in pathologisch -anatomi- scher, sondern auch in klinischer Beziehung ein sehr grosses Interesse. Denn er betrifft eine Insufficienz der Tricuspidal- klappe, welche durch eine vollkommene angeborene Verbildun- derselben bedingt war: ein Vorkommen, welches, soviel mir bekannt, noch nicht Gegenstand genauerer anatomischer und ärztlicher Beobachtung geworden ist. Denn es sind bekanntlich die primär auftretenden Trieuspidalinsufficienzen nicht nur unter den Klappenfehlern die seltensten, sondern sie sind auch, die geringen Ausnahmen abgerechnet, wo Abscesse des Septum ven- trieulorum nach dem rechten Ventrikel perforiren und die Klappe von ihrer Insertionsstelle ablösen, nur als Folgezustände foetaler Entzündung der Tricuspidalklappe beschrieben worden. Der Fall wurde auf der ersten medicinischen Abtheilung des Aller- heiligen Hospitals unter Leitung des dirigirenden Arztes Herrn Sanitätsrath Dr. v. Pastau beobachtet, welcher mir die Bear- beitung desselben gütigst überlassen hat. Herr Dr. med. Korn- Ueber einen sehr seltenen Fall von Insufficienz u.s. w. 239 feld hatte die Gefälligkeit, mir die Aufzeichnungen der Beob- achtungen, welche im Hospitale an dem Kranken gemacht wur- den, sowie die anamnestischen Anhaltspunkte zur Benutzung zu überlassen, wofür ich demselben hiermit meinen Dank sage. Die Diagnose im Leben war auf einen angeborenen Herzfehler gestellt worden. 1. Krankengeschichte. Joseph Prescher, Arbeiter, 19 Jahre alt, wurde am 28. Juni 1864 auf die 1. medieinische Abtheilung des Allerheiligen Hospitals aufgenommen. Die Mutter desselben ist an der Schwindsucht gestorben. Patient will von seiner Jugend an kurzathmig gewesen sein und stets an Herzklopfen gelitten haben. Er überstand als kleines Kind die Masern, hatte mit 8 Jahren '/, Jahr Wechsel- fieber und mit 12 Jahren die „Rose in den Beinen“. Ob dies eine ödematöse Schwellung war oder was sonst konnte nicht eruirt werden. Eigentlich krank will Patient seit 2 Jahren sein, denn es stellte sich damals im Frühjahre Husten ein, der sich zwar ab und zu verlor, um indessen bald wiederzu- _ kehren, besonders im Frühjahre. DBluthusten will er nie ge- habt haben. Seit Frühjahr 1863 soll sich Abmagerung einge- stellt haben. Seit ungefähr 6 Wochen klagt der Kranke über Frost, Hitze, stärkeren Husten mit schleimiger Expectoration. Schlaf durch Husten unterbrochen. Zu gleicher Zeit stellte sich Heiserkeit ein. Appetit, Stuhl- und Urinexeretion sollen vollkommen geregelt gewesen sein. Seit 8 Tagen stellte sich Anschwellung der Unterschenkel ein. Bettlägerig ist der Kranke bis zu seiner Aufnahme in’s Krankenhaus nicht gewesen. Der Patient ist ein mittelgrosses, sehr abgemagertes Indi- viduum, mit hochgradigster Cyanose im Gesichte, sonst blasser Hautfarbe und trockener sich abschilfernder Epidermis. Die Hauttemperatur schwankte während seines Hospitalaufenthaltes zwischen 37,2° — 38° C. und überstieg die letztere Grenze nie. Der Puls stets beschleunigt, c. 112 in der Minute, Respiration mässig beschleunigt, 32 Respirationen im Mittel in der Minute. Stimme heiser. Dem Patienten ist in aufrecht sitzender Stel- 240 W. Ebstein: lung im Bette am wohlsten. ° Die Unterschenkel mässig öde- matös. An den Jugularvenen bemerkt man eine mit dem Herz- choc isochronische, pulsatorische Bewegung. Die Percussion der Lungen ergiebt rechts vorn Dämpfung in der Supra- una Infra- claviculargegend bis zur 2. Rippe, links vorn überall Dämpfung, in der Spitze das Geräusch des gesprungenen Tcpfes. In den hinteren Thoraxpartieen ist links überall Dämpfung; rechts nur in der Suprascapulargegend,, aber hier eben so intensiv wie links. Die Percussion der Lungen an den übrigen Partieen des Thorax ergiebt nichts Abnormes. Ueber die ganze linke Lunge, sowie entsprechend den gedämpften Partieen des rechten oberen Lungenlappens hört man bronchiales Athmen mit klingenden Rasselgeräuschen, in dem übrigen Theile der rechten Lunge ist das Athemgeräusch vesiculär mit deutlicher Exspiration, da- neben dumpfe catarrhalische Rasselgeräusche. Links vom Ster- num ist die Herzdämpfung von der in ihrer ganzen Ausdehnung gedämpften linken Lunge nicht abzugrenzen, die Herzspitze sieht man am unteren Rande der 6. Rippe etwas auswärts von der Mammillarlinie anschlagen. Das Sternum ist vom Ansatze der dritten Rippe bis zum Proc. xiphoideus vollkommen ge- dämpft, nach rechts reicht die Herzdämpfung an der 4. Rippe 2, an dem oberen Rande der 6. Rippe 3 Cm. über den rech- ten Sternalrand und geht an dieser Stelle in die Leberdäm- pfung, welche eine normale Ausdehnung hat, über. In der ganzen Ausdehnung der Herzdämpfung fühlt man deutlich Flä chenstoss und ein mit der Systole coincidirendes Schwirren. In dem ganzen Bereiche der Herzdämpfung hört man beide Herz- töne überdeckt von einem mit der Systole beginnenden, über die Diastole sich ausbreitenden Geräusche, welches am deutlich- sten an’der Basis des Herzens zu hören ist, und sich auch in die vorderen oberen Thoraxpartieen, besonders aber nach rechts verfolgen lässt. Der 2. Ton an der Pulmonalarterie ist nicht verstärkt. Auch an der hinteren Thoraxpartie, entsprechend dem Verlaufe der Aorta thoracica descendens, sind die beschrie- benen Geräusche, wenn auch weniger laut, zu hören. Appetit gut. Zunge mässig grau belegt. Täglich 1—2 breiige normal gefärbte Stuhlausleerungen. Urin eiweissfrei. Die Behandlung Ueber einen sehr seltenen Fall von Insuffieienz u.s. w. 241 bestand im innerlichen Gebrauche von Morphium zur Beseiti- gung des lästigen, die Nachtruhe störenden Hustenreizes. Im Verlaufe der Krankheit im Hospitale verminderten sich die Oedeme der Schenkel etwas. Es stellte sich aber bald Col- lapsus ein, und der Kranke starb, nachdem er nur 8 Tage in der Anstalt gewesen war, am 6. Juli 1864, früh 5!/, Uhr, unter den Erscheinungen des Lungenödems. 2. Leichenöffnung. Ich machte dieselbe am 7. Juli 1864, 30 Stunden nach dem Tode. Leiche mittelgross, Ernährung mässig, Hautdecken blass, das Gesicht livide gefärbt, geringe Oedeme der unteren Extre- mitäten, an der Hinterfläche des Körpers reichliche Senkungs- flecke. Schädelhöhle: Schädeldach normal dick, mit Ausnahme der Vereinigungsstelle zwischen Sutura sagittalis und coronaria. Hier sieht man entsprechend der ersteren das Schädeldach in 4—5 Cm. Länge und 3,3 Cm. Breite erheblich verdünnt. Ober- flächlich verlaufende Gefässrinnen. Sinus longitudinalis leer. Blutgefässe der Dura mater normal gefüllt, desgleichen die der Pia mater. An der Schädelbasis eine geringe Menge klaren Se- rums. Hirnsubstanz stark feucht glänzend, normal consistent, mit ziemlich reichlichen Blutpunkten auf der Schnittfläche. In jedem der nicht erweiterten Seitenventrikel c. 1 3 klaren Serums, Circulations- und Respirationsorgane: Nach Hinwegnahme des Sternums und des knorpeligen Thei- les der Rippen, deren Unterfläche mit der Vorderfläche des Herzbeutels durch lockere bindegewebige Adhäsionen verlöthet ist, findet man beide Lungen, besonders aber die linke sehr stark retrahirt, so dass man von der letzteren vorläufig gar Nichts, von der rechten Lunge nur den inneren vorderen Rand des rechten Lappens zu Gesichte bekommt. Die Lage des Herzens entspricht ganz den im Leben gefundenen, in der Kran- kengeschichte mitgetheilten Resultaten der Percussion. Im Herzbeutel finden sich ungefähr 6 3 einer hellen, gelben, mit spärlichen Faserstoffflocken untermischten Flüssigkeit. Das Herz Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866, 16 242 W. Ebstein: selbst zeigt ein leicht getrübtes und ein am rechten Rande des rechten Ventrikels leicht verdicktes Epicardıum. Ausserdem aber finden sich am rechten Vorhofe, sowohl an der vorderen wie an der hinteren Fläche anscheinend ältere, leicht warzige, bindegewebige Auflagerungen. Das Herz misst von der Wurzel der grossen Gefässe bis zur Herzspitze 5!/,'', hat eine grösste Breite von 5?/,', wovon 3‘ auf den rechten Ventrikel kommen. Die Herzspitze wird gemeinsam von beiden Ventrikeln gebildet. Eröffnet man nun das rechte Herz von der Einmündungsstelle der oberen Hohlvenen aus längs des rechten Randes des rechten Vorhofs und Ventrikels bis zu der Herzspitze, so ergiebt sich folgendes in Fig. 1 in natürlicher Grösse ganz naturgetreu wie- dergegebenes Bild. Der rechte Vorhof (A) ist sehr stark erweitert, die M. pectinati (@) gehörig entwickelt. Die grösste Dicke der Wand des rechten Vorhofs beträgt 3—4 Mm. Die Valvula Eustachii an der Einmündung der Vena cava inferior (bei ce angedeutet) in den rechten Vorhof gehörig entwickelt. Dagegen fehlt die Klappe an der Einmündungsstelle der gros- sen Kranzvene des Herzens, die Valvula Thebesii (d) vollstän- dig. Die Fossa ovalis (db) ım Septum atriorum ist nicht voll- kommen geschlossen. In der Valvula foraminis ovalis finden sich mehrere Oeffnungen. Zwei derselben sind wandständig, die eine derselben befindet sich am vorderen Rande, dieselbe ist die grösste, misst von oben nach unten 15 Mm., von vorn nach hinten 5 Mm. und grenzt sich mit der Convexität nach hinten mit etwas verdicktem Rande ab; die zweite wandstän- dige ist bei weitem kleiner, etwa linsengross.. Dicht darüber findet sich eine etwa hanfkorngrosse Oeffnung, deren sich über der erstbeschriebenen Oeffnung in der Valv. foram. ovalis noch 2 auf der Zeichnung nicht angegebene finden. — Wenden wir uns jetzt zur Beschreibung des rechten Ventrikels (B), so springt sofort ein durchaus abnormes Verhalten der Valvula trieuspidalis in die Augen. Es entspringt nämlich von dem ganz in normaler Weise entwickelten Annulus fibro-cartilagineus ", dexter (e) und zwar entsprechend der vorderen (m) und hinte- ‚ren (n) Wand des rechten Ventrikels eine Membran (A, h,), welche in die hintere Hälfte des Endocardium des Septum ven- Ueber einen sehr seltenen Fall von Insufficienz u. s. w. 943 trieulorum (0) übergeht. Diese Membran stellt im Zusammen- hange mit der stark getrübten und verdickten hinteren- Hälfte des Endocardium des Septum ventriculorum einen nach unten sowie auch nach rechts vollkommen geschlossenen Sack dar, welcher bei unserer Schnittführung geöffnet wurde, und der mit dem übrigen Endocardium resp. Innenfläche des rechten Ven- trikels in folgender Weise zusammenhängt. Es entspringen nämlich von der Aussenwand dieser Membran kürzere und län- gere, dünnere und dickere Sehnenfäden , welche in Papillar- muskeln (%k) übergehen, welche sich an der Innenwand des rechten Ventrikels inseriren und zwar theils mit einfachen, theils sich wieder und wieder theilenden Ansätzen. Diese Sehnen- fäden und Papillarmuskeln fehlen an dem oberen Theile des rechten Seitenrandes sowie an der hinteren Wand des rechten Ventrikels fast gänzlich, dagegen sind sie an der unteren Partie sowie an der vorderen Wand desselben sehr zahlreich. Die Membran selbst (h, A) hat das Ansehen und das Verhalten einer fibrösen Haut. Sie ist weiss und glänzend, stellenweise ganz dünn und durchscheinend, stellenweise etwas dicker, und sie erscheint besonders in ihrer unteren Hälfte vielfach gefen- stert (f). Diese gefensterten Stellen schwanken in ihrer Grösse ‘von etwas mehr als Hanfkorn- bis Linsengrösse, sind theils rundlich, theils oval und sind durch schmälere und breitere fi- bröse Brücken von einander geschieden. Diese Oeffnungen mün- den sämmtlich in den Raum, der zwischen Aussenfl;che der Membran (h,Ah,) und der Innenwand des rechten Ventrikels ge_ legen ist. 15 Mm. unter dem Annulus fibro-cartilagineus dexter, entsprechend und dicht unterhalb des häutigen Theiles der Kammerscheidewand, entspringt vom Endocardium ein mit brei- ter Basis nach oben’ und der Spitze nach unten gerichteter drei- eckiger Zipfel (i), von etwa Viergroschenstück-Grösse, welcher sich mit sehr zahlreichen, zum Theil sehr langen, dünnen, zar- . ten, von seiner Spitze (9), hauptsächlich aber von seiner hin- teren Fläche entspringenden Sehnenfäden zum grössten Theile in das Endocardium , zum kleinsten Theile an einem in der ‚Mitte des Septum ventrieulorum gelegenen, in die Herzhöhle frei vorspringenden Papillarmuskel (l) inserirt. An demselben 16* 244 W, Ebstein: 4 Cm. langen Papillarmuskel inserirt sich der vordere Theil der oben erwähnten Membran (7%), an dessen oberem Ende mit einem schmalen, an dessen unterem Einde mit einem breiten Schenkel. Auf diese Weise wird eine längsovale Oeffnung ge- bildet (r), die von oben nach unten 4 Cm. und von vorn nach hinten 3 Cm. misst und welche den Zugang zu dem durch die Membran sonst vollkommen abgeschlossenen Conus arteriosus dexter (n) bildet. Dieser ist in Fig. 2 ebenfalls in natürlicher Grösse sehr sorgfältig und naturgetreu gezeichnet. Derselbe ist stark dilatirt, sein Endocardium leicht getrübt. Er stellt einen ovalen Hohlraum dar, dessen vordere und seitliche Wände gebildet werden von der vorderen Wand des rechten Ventrikels (m) und der vorderen Hälfte des Septum ventricu- lorum (0), dessen hintere Wand aber gebildet wird durch den vorderen Theil der Membran (k), welche besonders in ihrer unteren Hälfte durch zahlreiche Sehnenfäden und Papillarmus- keln mit der Innenfläche des rechten Ventrikels (3) zusammen- hängt. An der Innenwand des oberen Theiles der den Conus art. d. begrenzenden Vorderwand des rechten Ventrikels sieht man eine mässige Anzahl flacher, von derselben entspringender und in sie bald wieder übergehender Papillarmuskeln. An der hinteren Wand des Conus arteriosus dexter sieht man bei r die Öeffnung, die oben genauer beschrieben wurde und durch welche man in die von der Membran h,h, und der hinteren Hälfte des Endocardium des Septum ventriculorum gebildete Höhle gelangt. Bei i sieht man den ebenfalls oben beschriebenen ru- dimentären Zipfel, der dem inneren einer normalen Tricuspidal- klappe seiner Lage nach entsprechen würde. Der Zugang zur Art. pulmon. ist vollkommen frei. Von dem Conus arteriosus gelangt man nach unten direct in den Theil des rechten Ven- trikels, welcher ausser dem Conus arteriosus dexter noch zwi- schen Aussenwand der Membran (Ah, A,) und der Innenwand des rechten Ventrikels gelegen ist und welcher mit der von der Membran (A, R,) gebildeten Höhle nur durch die in derselben befindlichen gefensterten Stellen (f) communieirt. Der Annulus fibro-cartilagineus dexter hat eine Circumferenz von 12,5 Cm. Die Höhle des rechten Ventrikels ist stark erweitert, die Mus- Ueber einen sehr seltenen Fall von Insufficienz u. s. w. 945 culatur desselben hat eine Dieke von 5—4 Mm., die Klappen der Art. pulmonalis sind vollkommen normal ; ebenso die Art. pulm. selbst, ihre Cireumferenz beträgt 6 Cm. Der linke Vorhof ist nicht erweitert. Sein Endocardium ist getrübt. Die Biecuspidalklappe ist in ganz normaler Weise entwickelt, sie ist schlussfähig, das Ostium atrioventricu- lare sin. nicht verengt. Der Annulus fibro-cartilagineus sinister hat eine Circumferenz von 10,8 Cm. Die Klappensegel, sowie die Sehnenfäden sind leicht getrübt und verdickt, letztere aber nirgends verkürzt. Die Musculatur des linken Ventrikels misst excl. Papillarmuskeln 8 Mm. Die Papillarmuskeln im linken Ventrikel vollkommen normal. Die Herzmusculatur gelbröthlich, die mikroskopische Untersuchung ergiebt, dass ihre Muskel- fasern normal sind. Aortenklappen vollkommen normal. Um- fang der aufsteigenden Aorta (D) 6,4 Cm. Intima der Aorta leicht gelblich, mit hirsekorngrossen sehr spärlichen Einlagerun- gen. Aorta thor. dese. hat einen Umfang von 4 Cm. Die Klappen der Venae jugulares zeigen beiderseits eine normale Entwickelung. In der Herzhöhle eine sehr grosse Menge schwärzlicher, weniger speckhäutiger Gerinnungen. Die Kehlkopfschleimhaut ist mit zähem Schleim be- deckt, zeigt an den beiden wahren Stimmbändern die hintere Hälfte derselben einnehmende, ziemlich umfängliche scharfran- dige Geschwüre mit grauem Grunde, die nur in der Schleim- haut ihren Sitz haben. Die Schleimhaut der Luftröhre und der Bronchien mit zähem Schleim bedeckt, etwas geröthet. Bronchialdrüsen linkerseits etwas geschwellt, schwärzlich. Die linke Lunge ist durch sehr feste, schwer trennbare - Adhäsionen mit der Rippenwand verwachsen. In der Spitze ein ziemlich glattwandiger, hühnereigrosser, ovaler Hohlraum, der besonders vorn von einer kaum 1 Mm. dicken Schicht luft- haltigen Lungengewebes begrenzt wird. Dieser Hohlraum steht mit grösseren Bronchialästen in directem Zusammenhange. Das ‚übrige Gewebe des linken oberen Lungenlappens ist stark pig- mentirt, luftleer, mit sehr zahlreichen miliaren Tuberkelknötchen durchsetzt. Ein gleiches Verhalten zeigt mit Ausnahme seines 946 W. Ebstein: untersten lufthaltigen, stark Öödematösen Randes auch der untere Lappen. Im Cavo pleurae dextro c. 1 Pfund hellgelber seröser Flüssigkeit. Die rechte Lunge ist entsprechend der hinteren Partie ihres oberen Lappens fest mit der Rippenwand verwach- sen. Der obere Lungenlappen zeigt in seiner Spitze eine wenig ‚umfängliche pleuritische Kappe und in einem grossen Theile des oberen Lungenlappens ein luftleeres, grauschwärzliches, mit ziemlich reichlichen und dicht zusammenstehenden tuberculösen Ablagerungen durchsetztes Gewebe, in welchem mehrere glatt- wandige kleine Hohlräume befindlich sind. Der untere Rand des rechten oberen Lappens, desgleichen der mittlere und der untere Theil des oberen Lappens sehr stark ödematös, der obere Theil des unteren Lappens enthält vereinzelte disseminirte tu- berculöse Ablagerungen. Verdauungsorgane: Speiseröhrenschleimhaut normal. Magen: Mässig ausgedehnt, seine Schleimhaut zeigt eine geringe Faltenbildung und ist ganz normal. Der Darmkanal enthält gelbe, breiige Fäcalmassen, Schleimhaut an den tiefer gelegenen Partieen stärker. injicirt, fast normal, frei von Geschwüren. Leber: 10‘ grösste Breite, -7!/,'' grösste Länge (im rech- ten Lappen), 3°/,'' grösste Dicke. Oberfläche braunroth. Rand kolbig. Glisson’sche Kapsel getrübt; aber die Zeichnung der Läppchen durch dieselbe deutlich erkennbar. Consistenz der Leber vermehrt. In den grossen Gefässästen eine Menge hell- rothen, flüssigen Blutes. Auf dem Messerrücken ein spärlicher Belag. Zeichnung sehr deutlich. Centrum dunkler, Peripherie sehr hell, die einzelnen Läppchen durch röthliche, mässig reich- liche Zwischensubstanz getrennt. Galle spärlich, dünn, grün. Die Wände der Gallenblase ödematös. Milz 5!/," lang, 2%/,breit, 1'/," dick. Sagomilz. Drüsen um die Porta hepatis, sowie die Mesenterialdrüsen stark geschwellt, Schnittfläche weiss. Der Urogenitalapparat zeigte nichts Bemerkenswerthes. Ueber einen sehr seltenen Fall von Insufficienz u. s. w. 247. 3. Epikrise. ‚ In dem vorliegenden Falle lassen sich an dem Herzen drei Bildungsfehler constatiren, von denen’ der erste der belang- reichste und wichtigste ist, wie wir bald sehen werden. Diese 3 Bildungsfehler sind: 1. eine vollkommene Verbildung der Tricuspidalklappe, 2. der Mangel der Thebesischen Klappe, 3. das Offenbleiben des Foramen ovale, Betrachten wir zuerst das erste Vitium primae formationis. Aus der oben gegebenen genauen Beschreibung des Herzens erhellt, dass eine eigentliche Trieuspidalklappe an demselben nicht existirt. Höchstens ist von derselben ein Zipfel vor- handen, nämlich der innere (i), welcher sich aber durch seinen abnormen Ursprung unterhalb des Klappenrings (e), durch die direete Insertion des grössten Theils seiner Sehnen- fäden (g) in das Endocardium und seine rudimentäre Ausbil- dung im Allgemeinen, von einem normalen Klappenzipfel so sehr unterscheidet, dass wir ihn nur als einen im höchsten Grade verkümmerten bezeichnen können. Dagegen fehlen nun der vordere und hintere Zipfel als solche vollständig, Wir haben gesehen, dass statt ihrer eine Membran (h, h,) vorhanden ist, welche zum Theil durch Papillarmuskeln und Sehnenfäden (k), welche letztere sich sämmtlich an der Aussenseite dieser Membran inseriren, mit der inneren Oberfläche der Wand des rechten Ventrikels in Verbindung steht. Diese Membran (A, h}) theilt den rechten Ventrikel in 2 Hälften, von denen die eine den durch diese Membran und das Endocardium der hinteren Hälfte des Septum ventriculorum begrenzten Sack umfasst und die andere den Conus arteriosus dexter im gewöhnlichen Sinne und den noch übrigen Raum zwischen der Innenwand des rech- ten Ventrikels und der Aussenseite der Membran. Diese bei- den Hälften communiciren mit einander in zweifacher Weise: das eine Mal durch die längsovale .Oeffnung (r), welche zum Conus arteriosus dexter führt und durch die oben beschriebenen vielfachen Oeffnungen (f) in der gefensterten Membran (A, h,). Ueber den Eifect, den diese Verbildung der Tricuspidalklappe 9248 W, Ebstein: auf die Functionen derselben hatte, werden wir später sprechen. Es handelt sich zunächst um die Beantwortung der Frage, wann und wie dieselbe entstanden ist. Die Entstehung dieser Ver- bildung der Tricuspidalklappe fällt ohne Zweifel in die Zeit der Entwickelung der Atrioventricularklappen: denn die andere Möglichkeit, dass Fehler der Tricuspidalklappe von fötaler En- docarditis bedingt sind, wird in unserem Falle nach der gege- benen Beschreibung wohl Niemand anzunehmen geneigt sein. Die Entwickelungsgeschichte lehrt, dass die Bildung der Klap- pen an den venösen Ostien in den 2. und 3. Monat des Fötal- lebens fällt. Die Kammerscheidewand ist in der 7. Woche be- reits fertig gebildet, so dass. die Ventrikel mit zwei gesonderten Oeffnungen mit den Vorhöfen communiciren. Die Gestalt dieser primitiven venösen Mündungen wird als äusserst einfach ge- schildert. Dieselben stellen Nichts als einfache runde Spalten dar; und die beiden Lippen, welche jede der Spalten be- grenzen, sind die ersten Andeutungen venöser Klappen. Zu dieser Zeit stehen auch schon die Ränder dieser in Bildung be- griffenen venösen Klappen mit der Kammerwand in Verbindung, doch bilden sich diese Klappen erst im 3. Monate bestimmt aus. Indem wir also die Zeit der Entstehung unserer Tricu- spidalklappen-Verbildung mit Sicherheit in die angegebene Zeit verlegen können, müssen wir auf die Frage, wie dieselbe zu Stande gekommen ist, so lange eine bestimmte Antwort schul- dig bleiben, bis uns die Entwickelungsgeschichte über den Bil- dungsmodus der einzelnen Klappenzipfel genauere Aufschlüsse geben wird, was zur Zeit, soweit meine Nachforschungen rei- chen, noch nicht der Fall ist. Die oben erwähnten Trübungen und Verdickungen in der Membran (A, h,) sowohl wie dem ru- dimentären Zipfel (ö) sprechen für entzündliche Vorgänge, von denen es sich freilich jetzt nicht feststellen lässt, ob dieselben in die Fötalperiode fallen oder in die Zeit nach der Geburt, ein Umstand, welcher aber für die Geschichte unseres Falles von gar keinem Belang ist. Unter den angeborenen Missbil- dungen des Herzens scheint die hier beschriebene Form eine der seltensten zu sein, wenigstens habe ich trotz sorgfältigen Nachsuchens in der Literatur keine ihr gleiche auffinden können. Ueber einen sehr seltenen Fall von Insufficienz u. s. w, 949 Abgesehen von den Fällen, wo in Folge von fötaler Endocar- ditis im rechten Herzen eine Stenose des Ostium venosum d. oder eine Insufficienz der Trieuspidalklappe auftritt, finden sich als Vitia primae formationis folgende Verbildungen derselben beschrieben. Ein Mangel derselben findet sich nur bei erheb- lichen Verbildungen des rechten Herzens und zwar stets, wenn die venöse Mündung des. rechten Ventrikels verschlossen ist, wovon neuerdings Nuhn!) einen Fall bei einem 6 Wochen alten Kinde, welches an Blausucht litt, beschrieben hat. Hier bestand neben anderen, hier nicht genauer aufzuzählenden Ab- normitäten ein vollkommener Defect der Tricuspidalklappe. Aehnliche Fälle sind schon früher von Kreysig und Schu- berg beschrieben worden. Bei übrigens wohlgebildeten Herzen findet ein vollkommener Defect der Tricuspidalklappe nicht statt. Indessen können einzelne Theile und Zipfel derselben unvoll- kommen entwickelt sein. So beschreibt Morgagni?) bei einem 16jährigen Mädchen , welches von Jugend auf kränkelte, den einen Zipfel der Tricuspidalklappe von normaler Grösse, die beiden anderen zu klein. Ausserdem bemerkt Otto°), dass, wie er es selbst mehrere Male beobachtete, die Entwickelung der dreizipfeligen Klappe gehemmt werde und dieselbe nur theilweise vorhanden ist, wenn sich die Aorta sehr weit nach rechts entwickelt. End- lich ist ein Bindungsexcess der Tricuspidalklappe öfter beob- achtet worden, indem sich die Zahl der Zipfel der venösen Klappen vermehrt. Dieses Bildungsfehlers gedenkt schon Hal- ler*), welcher dies nicht nur selbst beobachtete, sondern auch die Beobachtungen von Rosen und Garengeot beibringt, welche sechs Zipfel statt dreier beobachteten. Aus dieser über- }) Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschrift für rationeile Medicin. XXIV. Bd, 1. Heft, 1865. 2) Morgagni, de sedibus et causis morborum —- de morbis tho- racis — Epist. XVII, Art. 12: „de tribus valvulis triangularibus justam una magnitudinem, duae reliquae minorem habebant.“ 3) Otto, Lehrb. d. path. Anatomie. Berlin 1830 S. 273. 4) Haller, Elementa physiologiae, deutsch von Haller. Berlin 1759. Ba. 1, 8. 636. | 250 W. Ebstein: sichtlichen Darstellung der an der Valvula tricuspidalis beobach- teten Bildungsfehler ergiebt sich, dass unser Fall sich nirgends unterbringen lässt, in welchem es sich um eine excessive Ausbildung des vorderen und hinteren, eine Hem- mungsbildung des inneren Zipfels der Valvula tri- cuspidalis neben einem vollkommen abnormen Ver- halten. der Sehnenfäden und, Papillarmuskeln am Klappenapparat des Ostium venosum dextr. handelt. Der 2. Bildungsfehler an dem beschriebenen Herzen ist der Mangel der Thebesischen Klappe, deren Defect und un- vollständige Bildung, beiläufig bemerkt, die häufigste angeborene Missbildung des Herzens bildet. Otto!) fand sie 3 Mal feh- lend: 1 Mal bei einem Erwachsenen und 2 Mal bei Missgeburten. Auch liegen darüber eine grosse Reihe anderer Beobachtungen vor. Auch ich sah neuerdings bei einem 7ö jährigen weiblichen Individuum, die eine exquisite fettige Entartung des Herzmus- kels zeigte, jede Andeutung einer Thebesischen Klappe fehlen. Die Venen des Herzens mündeten hier mit 2 über einander lie- genden, einer grösseren unteren und einer kleineren dicht dar- über liegenden Oeffnung an der normalen Stelle in den rechten Vorhof. Die Kranzarterien nahmen dabei beide ihren Ursprung über der rechten Aortenklappe. Der dritte bei dem uns beschäftigenden Herzen beobachtete Bildungsfehler, das Offenbleiben des Foramen ovale, ist bekanntlich bei angeborenen Herzfehlern ein sehr häufiges Vor- kommniss. Gintrac fand es unter 53 Fällen von angeborenen Herzkrankheiten in 27 Fällen, also fast in der Hälfte derselben. Nachdem wir uns die im vorliegenden Falle vorhandenen Bildungsfehler des Herzens übersichtlich zusammengestellt ha- ben, würde die Frage entstehen: 1. welchen Effect dieselben auf die Functionen des Herzens gehabt haben, 2. ob die im Leben am Herzen constatirten Erscheinungen sich aus dem anatomischen Befunde deuten lassen, und 3. ob die in den anderen Organen gefundenen Veränderun- 1) Otto, a.a.0. Ueber einen sehr seltenen Fall von Insufficienz u. s..w. 251 gen (Tuberculose) mit der Affection des Herzens im Zu- menhange stehen. ad 1. Bei der Würdigung der Störungen, die durch die hier vorhandenen Anomalieen in der Circulation veranlasst wur- den, wollen wir den Defect der Thebesischen Klappe ausser Acht lassen, und lediglich, da, wie wir bald sehen werden, der unvollkommene Schluss der Valvula foram. oval. — welcher, beiläufig gesagt, auch in der Circulation Nichts zu ändern scheint — durch die beschriebene hochgradige Verbildung der Trieuspidalklappe bedingt wurde, bei den durch den letzten Bildungsfehler veranlassten Kreislaufsstörungen verweilen. Wenn der rechte Vorhof bei der Systole sein Blut in den in der Dia- stole befindlichen rechten Ventrikel entleerte, so gelangte das- selbe einestheils in den von der mehrfach erwähnten Membran nach ‘unten abgeschlossenen Sack, anderentheils durch die spalt- förmige Oeffnung in den Conus arteriosus dexter und den zwi- schen der Aussenfläche der Membran und Innenwand des rech- ten Ventrikels gelegenen übrigen Theil der rechten Herzkammer. In den letzteren konnte auch durch die mehrfachen kleineren Oeffnungen in der Membran ein wenn auch nur geringer Theil Blut hineinfliessen. Bei der Systole des rechten Ventrikels nun musste das in dem von der Membran gebildeten Sacke befindliche Blut, da ihm der Weg nach dem rechten Vorhofe durch kein Hinderniss versperrt wurde, in denselben zurückstauen und nur zum kleinen Theile konnte dasselbe somit in den Conus arter. dexter durch die spaltförmige Oeffnung gelangen. Dagegen wurde das in. dem Conus arter. dexter befindliche Blut bei der Ventrikelsy- stole in die Lungenarterie hineingetrieben. Auf diese Weise gelangte trotz der vollkommenen Insufficienz am Ostium atrio- ventrieulare eine immerhin ansehnliche Menge Blutes in die Lungenarterienbahn; während nur ein Theil des rechten Ven- trikelblutes bei der Systole der Herzkammer in den rechten Vorhof zurückstaute, ein Umstand, der für die verhältnissmässig lange Lebensdauer des Patienten gewiss nicht zu unterschätzen ist, Die Zurückstauung des Blutes in den rechten Vorhof be- dingte eine Dilatation desselben und verhinderte einen voll- 252 W. Ebstein:- kommenen Verschluss der Valvula foraminis ovalis, wie das auch bei einer Reihe anderer Zustände, wo der Abfluss des Blutes aus dem rechten Herzen in die Lungen behindert ist, von vielen Beobachtern gesehen wurde. Diese Rückstauung dehnte sich über den rechten Vorhof hinaus auf das Gebiet der oberen Hohlvene aus, das nicht nur hochgradig erweitert gefunden wurde, sondern auch an den Ju- gularvenen eine am Krankenbette beobachtete, mit dem Herz- choc isochronische pulsatorische Bewegung zeigte. Berücksich- tigt man nun, dass wir am Leichentisch die Schlussfähigkeit der Venenklappen an der vereinigten Vena jugularis und sub- clavia constatiren konnten, so würde man mit Scoda') diese Be- obachtung am Lebenden dadurch erklären können, dass sich der Wellenstoss auch durch die Klappen auf die über ihnen nachrückende Blutsäule fortpflanzte. Gegenüber dem Blutreich- thum des oberen Hohlvenengebietes ist der Mangel jeder Stauungserscheinung an der Leiche in den Organen des Unter-. leibes bemerkenswerth ; die drüsigen Organe des Unterleibes, der Darmtractus, zeigten Nichts davon; es fand sich im Leben keine Albuminurie, nur geringgradige Oedeme der Unterschen- kel liessen sich constatiren. ad 2. Es handelt sich hier hauptsächlich darum, wie das Zustandekommen der Geräusche — eines systolischen und dia- stolischen —, die die Herztöne überdeckten und die eine solche Intensität hatten, dass sie die vordere Thoraxwand in fühlbare Schwingungen versetzten (Schwirren), zu erklären sei. Zuvor _ aber einige Worte darüber, ob diese verbildete Tricuspidalklappe zur Entstehung der Herztöne, resp. des ersten, wenn wir den zweiten Ton als nur in den Arterien gebildet und in die Herz- höhlen fortgeleitet annehmen, beigetragen hat. Ich kann dar- auf leider nur eine negative Antwort geben, nämlich dass der erste Ton im rechten Ventrikel hier nicht in der Weise ent- stehen konnte, wie es gemeinhin angenommen wird, nämlich durch die plötzliche Unterbrechung der Blutströmung gegen 1) Abhandlung über Auseultation und Percussion. 6. Aufl. 1864, -8.:829. Ueber einen sehr seltenen Fall von Insuffcienz u. s. w. 253 den Vorhof in Folge der Aufblähung der 3spitzigen Klappe also durch Anschlagen des Blutes gegen diese Klappe (Scoda). Am wahrscheinlichsten dürfte die Annahme sein, dass der über dem rechten Ventrikel gehörte erste Herzton auch nur ein fort- geleiteter war. Ein Blick auf unsere hochgradig verbildete Tri- cuspidalklappe wird die eben aufgestellte Behauptung stützen, ebenso wie er die Schwierigkeiten anschaulich macht, welche sich der Erklärung über das Zustandekommen der Geräusche entgegenstellen. Alles was darüber gesagt wird, kann begreif- licher Weise nur hypothetisch sein. Am wahrscheinlichsten er- scheint mir die Annahme, dass 1) das systolische Geräusch zu Stande gekommen ist, indem das bei Ventrikelsystole in den rechten Vorhof zurückstauende Blut daselbst dem aus den Hohlvenen einströmenden Blute begegnete: also durch das schnel- lere Einströmen eines kleineren Blutstromes in eine weichende Blutmasse (Hoppe, Scoda')), und 2) das diastolische Ge- räusch durch Einströmen des Blutes in die Höhle des rechten Ventrikels über die Innenfläche der mehrfach erwähnten nicht ganz glatten Membran. ad 3. Obgleich für die hochgradige tuberculöse Erkrankung in unserem Falle, welche schliesslich den tödtlichen Ausgang vermittelte, in der erblichen Anlage ein ätiologisches Moment gesucht werden kann, so lässt sich die Tuberculose hier zum Mindesten eben so sicher als eine Complication des vorhande- nen Herzleidens annehmen. Frerichs hat bei der angeborenen Stenose der Lungenarterienklappen Tuberculose beobachtet, nach ihm eine Reihe anderer Beobachter. In unserem Falle ist ein analoges Verhalten, obgleich die Lungenarterienklappen selbst sich ganz normal verhielten. Durch die bedeutende Rück- stauung des Blutes nach der Peripherie aus der Höhle des rechten Ventrikels konnte natürlich nicht die gehörige Menge Blut in die Lungenarterienbahn gelangen: und das Zustande- kommen der Tuberculose lässt sich daher zwanglos im vorlie- genden Falle ebenso erklären, wie bei der Verengerung am Ostium arteriosum dextrum. Dear 0% 254 W. Ebstein: Ueber einen sehr seltenen Fall u. s. w. Die beigegebenen Zeichnungen sind von meinem Freunde Dr. Wyss, Assistenten an der Klinik des Herrn Geh. Raths Lebert, mit der ihm eigenen Sorgfalt und Genauigkeit ge- zeichnet worden. Ich sage demselben dafür meinen besten Dank. Breslau, den 12. Januar 1866. Erklärung der Abbildungen. Die zur Bezeichnung gewählten Buchstaben sind bei beiden Fig. gleich. Fig. 1 stellt den von der Vena cava superior am rechten Seiten rande aufgeschnittenen rechten Vorhof und rechten Ventrikel dar. Fig. 2 stellt den geöffneten Conus arteriosus dexter dar, welcher durch einen Schnitt, welcher von der Spitze des rechten Ventrikels aus (c. 1 Cm. nach rechts vom Sule. longit.) durch die vordere Wand des rechten Ventrikels bis in die Art. pulm. hineingeführt wurde, frei- gelegt ist. A Atrium dextrum. a Zugang zur Auricula cordis dextra und M. pectinati, d die nicht vollkommen das For. ov. schliessende Valvula f. o., c die Eustachische Klappe, auf der Zeichnung nur angedeutet, d Ein- mündungsstelle der Herzvene, die Valvula 'Thebesii fehlt. B Ventri- culus dexter. e Annulus fibro-cartilagineus dexter, Ah der vordere, h, der hintere Theil der von e entspringenden Membran, welche viel- fache Oefinungen (/) zeigt, © rudimentärer innerer Zipfel der Trieu- spidalklappe mit seinen in das Endocardium des Septum ventrieulorum sich inserirenden Sehnenfäden (g), r Oeffnung durch die man in den Conus arteriosus dexter und umgekehrt aus demselben in den von der Membran A, h, und dem hinteren Theile des Endocardium des Septum ventriculorum (0) gebildeten Sack gelangt, k Sehnenfäden und Papillarmuskeln zwischen der Aussenwand der Membran A,h, und der Höhlenfläche des rechten Ventrikels, 7 Papillarmuskel, an welchen sich der vordere Theil der Membran (A) mit einem oberen und unte- ren Schenkel inserirt, m vordere Wand des rechten Ventrikels, q hin- tere Wand des rechten Ventrikels, n Conus arteriosus dexter, o Sep- tum ventriculorum,p Arteria pulmonalis mit ihrer normalen Klappe. C Auricula eordis sin. D Aorta thoracica ascendens. E Linker Ventrikel, D. Achscharumow: Untersuchungen u. s. w. 255 Untersuchungen über die toxicologischen Eigen- schaften des Aconitin. Von D. AcHSCHARUMOW. Sturmhut, vom Alterthume her als Gift bekannt, im Jahre 1762 von Störk als Arzneimittel empfohlen, bekam bald eine ausgebreitete Anwendung. Die Homöopathen haben auch etwas dazu beigetragen. Aber schon in kurzer Zeit hat die Aconit- pflanze allmählich ihren ganzen Ruhm verloren und wurde als unwirksam, unsicher und sogar gefährlich verworfen. — Es ka- men auch viele Vergiftungsfälle, sowohl bei Pharmaceuten als bei Kranken, von verschiedenartigen Zubereitungen der am Ge- halte des giftigen Stoffes ungleich reichen Pflanzenarten und Pflanzentheile vor. Unter diesen finden wir auch aus Täu- schungen vorgekommene Todesfälle, indem die jungen Aconitin- wurzeln für die des Apium graveolens als Salat genossen wur- den. Diese, vorzüglich in englischen Zeitungen mitgetheilten Vergiftungen, von denen einige genau von Aerzten beschrieben sind, bilden auch ein nicht unbedeutendes Material für die Toxicologie des Sturmhuts. Im Jahre 1823 wurde das Aconitin entdeckt, und die Pflanze erwarb wieder einige Aufmerksamkeit. Bald darauf erschienen einige Untersuchungen über die toxico- logische und therapeutische Wirkung des Sturmhuts und des neuentdeckten Alkaloids (Geiger, Turnbull, Pereira, Fle- ming, Christison, Schneller, Flechner, Balfour). Die Pflanze bekam wieder viele Anhänger, doch bald darauf wurde sie von Neuem verlassen. 256 D. Achseharumovw: Die neueren Arbeiten über Aconit-Präparate und über Aco- nitin in chronologischer Ordnung sind die von C. D. Schroff, von L. v. Praag, von Headland, von Duckworth und die von Holtat (1864). — Ich bin kein Anhänger von Aconit, den- noch bin ich fest überzeugt, dass jedes auf den thierischen Or- ganısmus stark wirkende Mittel in einigen krankhaften, natür- lich sehr beschränkten und nur seinen Eigenschaften genau ent- sprechenden Fällen in therapeutischer Hinsicht mit Nutzen ge- braucht werden kann. Nur muss das Mittel nicht überschätzt und nicht sinnlos in unbestimmter Weise in den mannigfaltig- sten Krankheiten angewendet werden. So war es auch der Fall mit den von Einigen so sehr empfohlenen und von Anderen für unwirksam, unsicher und sogar gefährlich betrachteten Aco- nit-Präparaten. Die Ursache davon liegt erstens in seiner über- mässigen Anwendung in sehr verschiedenen und ganz entgegen- gesetzten Krankheiten, und dann in einer unrichtigen Dosirung, und wenn noch dazu die Unbeständigkeit am Gehalte von wir- kenden Stoffen in gleichnamigen Präparaten sich zugesellt, so wird bestimmt jeder vernünftige Arzt von solch einer Arznei zurücktreten, bis genauere und mehr sichere Kenntnisse über die Eigenschaften ihrer Wirkung zum Licht kommen und die Präparate durch eine richtige Darstellungsweise mehr an Sicher- heit gewinnen. Die Kenntniss der physiologischen Wirkung eines Stoffes bildet, unzweifelhaft den Stützpunkt und Leitfaden zu seiner richtigen therapeutischen Anwendung. In dieser Hin- sicht aber besitzen wir noch sehr mangelhafte Kenntnisse über die altbekannte Aconitpflanze. Obgleich die oben erwähnten Untersuchungen von den wer- then Erforschern und besonders die von Herrn Professor C.D. Schroff gewissenhaft und richtig angestellt worden sind, sind sie dennoch ungenügend. Die zwei sorgfältigsten Arbeiten von Prof. Schroff über verschiedene Aconitarten und ihre Präpa- rate müssen in pharmacognostischer und pharmacologischer Hin- sicht sehr geschätzt werden, jedoch was die Wirkung anbetriftt, sind die Beobachtungen etwas mangelhaft und mehr im Allge- meinen gefasst. — Diesen Mangel in einigem Grade auszufüllen und die Untersuchungen in physiologischer Richtung etwas Untersuchungen über die toxieologischen Eigenschaften u. s. w. 957 weiter durchzuführen, ist der Zweck meiner Arbeit. Ob ich aber diesen Zweck erreicht habe, überlasse ich denjenigen werthesten Lesern zu beurtheilen, die an dem Gegenstande In- teresse nehmen und mich vielleicht einiger Bemerkungen wür- digen werden. Das zu meinen Untersuchungen gebrauchte deutsche Aconi- tin war von Merk aus Darmstadt, von Trommsdorf aus Er- furt und von Schering aus Berlin. Das Gift wurde unter die Haut oder in den Magen eingeführt. Die Experimente wurden sowohl an kalt- als an warmblütigen Thieren gemacht. Zu den Versuchen benutzte ich 1°/,ige wässerige Lösung von salzsaurem Aconitin; 1 Cc. enthielt daher immer 0,01 Grm. Aconitin. Die Ergebnisse der Untersuchungen von allen drei Aconitin- sorten waren fast immer dieselben, sowohl hinsichtlich der Do- sen als auch der Vergiftungserscheinungen. Versuche an Fröschen. A. Beobachtungen über allgemeine Erscheinungen der Vergiftung. l. Versuch. Aconitin 0,01 unter die Rückenhaut. 10 Uhr 20 Min. Die Hauptergebnisse sind folgende: Unmittelbar nach der Injection ist der Frosch unruhig. Bald darauf (nach 10‘) matt, die Bewegungen träger. Nach 20’: das Thier, auf den Rücken gelegt, macht erfolglose Versuche, sich umzudrehen. Die Bewegungen werden dem Thiere immer schwerer; gleich- zeitig fallen auch die Reflexäusserungen ab. Nach 44' alle will- kürlichen Muskeln paralysirt. Nervenstämme, elektrisch unter- sucht, erregen in den zugehörigen Muskeln keine Oontractionen, selbst bei der stärksten Reizung mittelst des du Bois-Rey- mond’schen Schlittenapparats. Die Muskeln reizbar. Nach 52' war das Athmen unbemerklich und die Herzschläge nicht mehr sichtbar durch die Haut. Die Erscheinungen am blosge- legten Herzen (nach 56‘ wurde die Brust geöffnet): die Zusam- menziehungen der einzelnen Abtheilungen des Herzens sind unregelmässig und schwach: Ventrikel 30, Atrien 84 in 1‘; nach 7' Ventrikel 15, Atrien 30. In der Pause ist der Ven- trikel dilatirt. Nach einigen Min. schlägt das ganze Herz wie- der lebhaft (Ventrikel 84, Atrien 72); bald darauf wurden die Schläge wieder schwach, aussetzend. Der Ventrikel contrahirt Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 17 258 D. Achscharumow: sich nicht gleichmässig, an einzelnen Abtheilungen bleibt er ausgebuchtet oder contrahirt sich gar nicht. Dann folgen wie- der einige Contractionen. Die Pausen werden immer länger, die Zusammenziehungen schwächer und endlich kaum sichtbar. Ventrikel bleibt einige Min. dilatirt, dann folgt noch ein träger Schlag und die Pause ist noch länger. Nach 1 Stunde 49 Min. stand das ganze Herz in Diastole, mit dunkelem Blute überfüllt. Das Thier gab keine Zeichen mehr vom Leben. 2. Versuch. Aconitin 0,01 unter die Rückenhaut: der Frosch unruhig, matt, einige willkürliche Bewegungen. Paresis der Extremitäten. Plexus ischiadici, blosgelest und elektrisch untersucht, bewirken noch die Ausstreckung der Beine. Bald darauf wirkt dieselbe Reizung nicht mehr und muss verstärkt werden, um dieselbe Wirkung hervorzurufen. Endlich ist auch die stärkste Reizung unwirksam. Respiration und Herzschläge sind nicht mehr an der Haut zu sehen. Nach 1 Stunde 6 Min. lag der Frosch fast vollständig paralysirt, jedoch gab er schwache Reflexe beim Brennen der Haut. Am folgenden Morgen todt gefunden. Die Muskeln blieben reizbar. Das Herz stand still dilatirt. Resultate der zwei Versuche. 1) Das Gift wirkt lähmend auf das Herz. 2) Die Athem- bewegungen scheinen auch bald zu erlöschen.!) 3) Paralysirt alle willkürlichen Muskeln. Die motorischen Nervenfasern sind afficirt, und ihre Thätigkeit erlischt.) Ob die Sensibilität (wie es Holtot behauptet) auch erloschen sei, müssen wir noch weiter auseinandersetzen; die Reflexe waren immer vorhanden, wenn die Paralyse noch nicht vollkommen entwickelt war. 4) Die Dosis 0,01, subeutan eingeführt, ist für den Frosch tödtlich. B. Beobachtungen über den Zustand der Sensibilität und des Rückenmarks bei der Vergiftung. 1, Versuch, Frosch angeheftet; die Gefässe des linken Öberschenkels — Art. und Ven. crurales — unterbunden und Acon. 0,01 in die Rückenhaut injieirt. 12 Uhr 58 Min. Nach 17‘ die rechte hintere Extremität losgemacht, wird langsam und mit Absätzen dem Rumpfe genähert. Die linke rasch und leb- haft angezogen. Nach 42' liest der Frosch entfesselt vollstän- dig paralysirt, doch an der linken Extremität kommen die Be- wegungen vor. Bei jeder‘ mechanischen Reizung werden Re- flexbewegungen und nur durch die linke Extremität ausgeführt. Die Bewegungen aber werden immer schwächer und endlich nur durch die Pfote. Die Paralyse ist auch hier zu bemerken 1) Das genaue Verhalten der Athmung ist an Fröschen schwerer zu beobachten als an Säugethieren. Die Lungenathmung ist bei ihnen noch durch die Hautrespiration sehr unterstützt. 2) Die Müuskelsubstanz selbst aber bleibt reizbar. Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 259 (nach 1 St. 52‘). Das Herz blosgelegt stand still, ausgedehnt. Die Nerven waren nicht mehr reizbar, die Muskeln blieben intact. 2. Versuch. Ligatura aortae abdominalis. Nach 25' war die vordere Körperhälfte bedeutend erschlafit. Nach 32', indem der Kopf flach niedergelest und die vorderen Extremitäten un- beweglich bleiben, hebt sich der Frosch mit dem Hinterkörper- theile und den hinteren Extremitäten empor, macht einen Ver- such zu springen, stösst sich aber mit dem Kopfe und das Springen gelinst nicht. Nach 1 St. 5’ ist die Paralyse voll- ständig, die hinteren Extremitäten aber behalten ihr Bewegungs- vermögen und Reflexäusserungen. Neryi brachiales reagiren nicht. Nervi ischiadici sind reizbar. Das Herz blosgelegt steht still. 3. und 4. Versuch. Bei dem 3. Versuche war die Art. poplitea sinistra, bei dem 4. die Iliaca externa sinistra unter- bunden. Die Resultate waren wie bei den vorigen Versuchen: die unterbundenen Theile blieben von der Vergiftung länger verschont als die, zu denen die Zufuhr des vergifteten Blutes ungehindert war. Am Ende des 4. Versuches wurden die N. vagi an dem Frosche aufgesucht, und durch diese Operation kamen sehr heftige Reflexerscheinungen vor und nur durch die hintere linke Extremität. Schlüsse: 1) Das Gift wird durch das Blut verbreitet. 2) Das Rücken- mark ist nicht direct afficirt. Sein Thätigkeitsvermögen zeigt sich beständig durch die Reflexe, auch in der Periode, wo das Thier vom Gifte schon ganz niedergedrängt ist. Die Reflexe fehlten nie, wenn nur ein Theil des Körpers von der Lähmung verschont blieb. 3) Die Sensibilität bleibt intact. C. Beobachtungen am blosgelegten Herzen. 1. Versuch. Frosch auf den Rücken gelegt, angeheftet. Brust geöffnet. Herz blosgelegt. Herzschläge 52. Aconitin 0,01 in die Schenkelhaut eingespritzt. 1 Uhr 10 Min. Nach 5‘ sind die Contractionen voller geworden, die Blutfüllung und Röthung vollständiger. Schläge 46 in 1. Nach 12° Schläge 40. Nach 17' 56, dann 62. Nach 20° unregelmässig, aussetzend, 32. Nach 25' 27. Einige Secunden sieht man eine Zusammen- ziehung des Ventrikels während zweier Atriencontractionen. (Zuckungen der hinteren Extremitäten und willkürliche Bewe- gungen.). Nach 30° Ventrikel steht still 5 Sec., dilatirt (Ventr. 9, Atr. 20 in 1‘). Nach 35’ Ventr. 7, Atr. 20. Nach 37° Ven- trikel bleibt einige Secunden dilatirt, danaı wieder 15 Schläge in 1. Nach 40° Ventr. 6, Atr. 36. (Lähmungserscheinungen bedeutend entwickelt.) Der Frosch ist entfesselt und liegt ruhig. 47': Ventr. steht still 15 Sec., Atr. 12 in 1’. Es folgen drei Eu 960 D. Achscharumow: unregelmässige Contractionen, dann eine Pause für 2 Sec. und dann wieder drei Contractionen. 56‘: Stillstand des Ventrikels 27 Sec. (Atr. 12). 62’: das ganze Herz ist im Stillstande, di- latirt, mit dunkelem Blute überfüllt. Durch mechanische Reize werden wieder einige wurmförmige Zusammenziehungen hervor- gerufen, bald darauf aber ist das Herz wieder unthätig. 2. Versuch. Frosch befestigt, Brust geöffnet. Herzschläge 36. Aconitin 0,02 unter die Schenkelhaut. 2 Uhr 15 Min. Nach 9 'Herzschläge 60. Nach 17‘ 48 unregelmässig. Nach 20' 57, dann 24 (50‘), 18 (34°). Ventrikel bleibt dilatirt (44°), Atrien dunkelblutig geworden, 36 energische starke Contractio- nen. Ventrikel Stillstand 17 Sec., dann Oontractionen 12 in 1', wieder ein Stillstand und zwar 45 Sec. Es folgt eine Ventrikel- contraction und wieder ein Stillstand zu 1°/,' (50%. Zwei Schläge, eine Pause und dann wieder Contractionen, 18 in 1‘. Nach 56’ bleibt das ganze Herz dilatirt. Mechanische und elektrische Reize sind unwirksam. 3. Versuch. Frosch angeheftet. Brust geöffnet. Herz- schläge 40. Aconitin 0,005. Es kamen wieder dieselben Er- scheinungen vor in folgender Reihe: Herzschläge 36, 32, 40, 47, 52, 48, 46, 34, 20. Sie wurden zuerst schwach, dann un- gleichmässig, wurmförmig, kaum bemerklich,, partiell. Nach 1 St. 9 13 und nach 1 St. 49' vollkommener Stillstand. Schlüsse: So ein rascher Stillstand des Herzens bei Fröschen kann nur durch directe Wirkung des Giftes auf das Herz erklärt werden. In dem 1. und 3. Versuche haben wir beobachtet: erst eine Verlangsamung der Herzschläge, dann folgt eine Be- schleunigung und Abschwächung der Herzthätigkeit, und end- lich werden die Herzschläge immer seltener, die Pausen länger, die einzelnen Contractionen ungleichmässig; einige Male ist der Ventrikel divertikelartig ausgebuchtet. Die Atrien contrahiren sich länger, endlich hören auch diese auf sich zu bewegen und das ganze Herz ist mit venösem Blute ausgedehnt. D. Beobachtungen über den Zustand des N. vagus bei der Vergif;ung. 1. Versuch. Frosch.. Brust geöffnet. Herzschläge 36. Beide Vagi blosgelegt und durchgeschnitten. (Bei dem Auffinden und der Isolirung waren beide Nerven gereizt und die Herz- schläge dadurch langsamer geworden, 16 in 1’, dann aber schlug das Herz 42). Aconitin 0,01 unter die Schenkelhaut. 12 Uhr Mittag. Herzschläge 43, 38 (12), 35 (17), 28 (25%). Nach 39°: schwache elektrische Reizung des Vagus wirkt nicht, das Herz schlägt 25. Stärkere Reizung bewirkt Verlangsamung um 7 Schläge: 18. Nach 41': Ventrikel fing an dilatirt zu pau- siren. Atrien schlugen 20, Ventrikel 13. Reizung des Vagus Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 261 wirkt nicht. Nach 49’ ein Stillstand des Herzens auf 2. Nach 51’ sind die Schläge wieder gleichmässig, 16 in 1’. Stärkste Reizung des Vagus: keine Veränderung, 16 in 1‘. Nach 1 St. 12' Stillstand des Herzens. 2. Versuch. Das Herz blosgelest. 40 Schläge. Beide Vagi durchschnitten: Herz 44. Elektrische Reizung des Vagus: Stillstand des Herzens. Aconitin 0,015 unter die Schenkelhaut. il Uhr 46 Min. Nach 3° Schläge 36. Nach 10‘ 42. Nach 17’ 24, sehr schwach. Reizung des Vagus: starke Reflexe am ganzen Körper, aber kein Stillstand des Herzens. Elektrische Reizung des N. brachialis: lebhafte Zusammenziehungen der Muskeln der ganzen Extremität. Nach 35° 18 Schläge. Der stärkste Strom durch den Vagus hat keinen Einfluss auf das Herz, es kommen aber sehr lebhafte allgemeine Reflexe. Nach 51’: Ventrikel steht dilatirt, Atrien 12. Nach 1°/,': Ventrikel schlägt, die Zusammenziehung ist aber nur an der Herzbasis sichtbar, die unteren ?,, des Herzens bleiben dilatirt. Nach 1 St. 4: Stillstand. Elektrische Reizung des Bulbus aortae und der Vorkammern ist durch allgemeine Reflexe beantwortet; das Herz ist aber unempfindlich (Paralyse ist noch nicht ganz entwickelt: N. ischiadicus und N. brachialis bringen noch schwache Muskelzusammenziehungen hervor beim Zusammen- rücken der Spiralen.). 3. Versuch. Alles ist wie bei den vorigen. Acon. 0,03 unter die Haut der Reg. lumbalis. Nach 12’ 24 Schläge. N. vagus gereizt: keine Wirkung. Das entknüpfte Bein wird rasch angezogen. Lebhafte willkürliche Bewegungen. 4. Versuch. 38 Schläge. Reizung des Vagus: Stillstand des Herzens. Acon. 0,01 in die Pleurahöhle. Nach 20’: Rei- zung des Vagus wirkt nicht. Schlüsse: 1) N. vagus ist zum Ende gelähmt. 2) Die erste unmittel- bar nach der Einspritzung des Giftes vorkommende Verlangsa- mung des Herzens kann auf den gereizten Zustand des Vagus oder der Med. oblongata bezogen werden. 5) Die Lähmung des Herzens bei stärkeren Dosen (0,05) tritt ein vor den Er- scheinungen der Paralyse. E. Beobachtungen über die Dauer der Bewegungen an dem ausgeschnittenen Herzen. Das Herz des gesunden Frosches, vom Körper getrennt, in günstige Bedingungen gebracht, schlägt gewöhnlich stundenlang. Das einfachste Mittel zu solch einem günstigen Zustande ist eine schwache wässerige Kochsalzlösung. In zwei kleine por- zellanene Schalen waren mittelst einer Pipette in jede 10 Ce. wässeriger !/,°/, Kochsalzlösung eingebracht. Dann wurden die Herzen von zwei anscheinend gleich starken und gesunden Frö- 262 D, Achscharumow; schen abgenommen und jedes in eine Schale gelegt. Beide schlugen gut: 36—40. In die Schale, wo das Herz lebhafter zu schlagen schien und auch etwas grösser war als das andere, wurde noch Aconitin 0,01 hinzugefügt. 11 Uhr 52‘. Nach 2’ stand das Herz in Aconitin-Kochsalzlösung still, während das andere ununterbrochen schlug: 36. Das stille Herz, aus. der Schale herausgenommen und auf den Tisch gelegt, fängt an zu schlagen: 36. Es wird wieder in die Schale gelegt. Nach 3‘ 12 Schläge. Beide aus den Schalen herausgenommen: das un- vergiftete schlägt 36, das vergiftete 12. Beide sind wieder in die Schalen gebracht. Nach 1’ sind die Schläge am vergifteten kaum sichtbar und nur an Vorkammern. Das andere schlug 36. Das vergiftete Herz ist wieder aus der Lösung herausge- nommen. Atrien schlugen 24, Ventrikel 12. Wieder in die Lösung gelegt, gleich darauf Stillstand (das andere Herz 24). Beide herausgenommen und der Luft ausgesetzt: das unvergif- tete 36, das vergiftete: Atr. 6, Ventr. 0 dilatirt, und nach 27° Stillstand der Atrien. Das andere schlug fortwährend 36. Das vergiftete Herz elektrisch untersucht, bleibt unreizbar , selbst bei über einander geschobenen Rollen. Das gesunde Herz wird auch in die vergiftete Schale gelegt. Nach 5’ Stillstand. Schlüsse: Das Aconitin wirkt unmittelbar auf das Herzfleisch, und zwar lähmend auf seine motorische. Gangliencentra. Das Herz, vom Körper abgetrennt und dadurch allen Einflüssen, die seine Bewegungen auf irgend eine Weise umändern könnten, ausser den motorischen Centren , die es in seinem eigenen Fleische besitzt, entzogen, wird in 2’ zum Stillstand gebracht. F. Beobachtungen über das Verhalten der mit dem Gifte in unmittelbare Berührung gebrachten Muskeln und Nerven. Dieselben !/,°/, Kochsalzlösungen wurden zu diesen Untersu- chungen gebraucht. Von denselben Fröschen waren abgenom- men: 1) die 2 M. gastrocenemü, 2) die 2 Unterschenkeln mit abpräparirten N. tibiales. Ein M. gastroenemius und ein Un- terschenkel sind in die Kochsalzlösung niedergelassen, die zwei anderen in Aconitin-Kochsalzlösung. 1 Uhr 15. Alle 4 Theile waren der allmählich von den schwächsten Strömen bis zu den stärksten vergrösserten Reizung unterworfen, um den Grad der Reizbarkeit, der Abschwächung und des Absterbens vergleichen zu können. Es ergab sich, dass, während die beiden Gastro- cnemii und der unvergiftete N. tibialis die ganze Zeit des Ver- suches zu den schwächsten (230 Mm. Rollenabstand) Reizungen sich gleich empfindlich verhielten, der vergiftete N. tibialis schon nach 5’ 240 Mm. Abstand brauchte, nach 40' 50 Mm,, und nach 1 St. 5° war selbst der Strom von 0 Mm. Abstand unwirksam. Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 963 Schlüsse: 1) Die Muskeln werden durch das Gift nicht afficirt. 2) Die Nervenstämme sterben bald ab und zwar werden sie in der Lösung der angegebenen Stärke nach 1 St. 5‘ elektrisch todt. G. Beobachtungen über die Lymphherzen. Es war ein Versuch nur an den beiden hinteren Lymph- herzen gemacht. Normal schlugen sie 60 in 1’. Bei der Aco- nitin-Wirkung (0,015 in die Rückenhaut) sind beide nach 50’ stehen geblieben. H. Mikroskopische Beobachtungen über das Verhal- ten der Gefässe und über die Blutbewegung in der Schwimmhaut des Frosches. Eine Froschpfote ist in den Sehraum eines Mikroskops ge- stellt. Ein Capillargefäss aufgefunden und abgemessen betrug ungefähr 3 Mikrometer-Abtheilungen. Acon. 0,03 unter die Haut. Nach 7' eine bedeutende Verlangsamung der Blutbewe- gung, aber das Volumen des Gefässes scheint nicht verändert zu sein. Die Blutkörperchen bewegen sich immer langsamer, einige bleiben sogar stecken. Nach 50’ keine Bewegung mehr. Schlüsse: Verlangsamung der Circulation. Die Gefässe scheinen keine merkliche Veränderung zu erleiden. J. Genauere Bestimmung der Giftdosen an sonst un- verletzten Fröschen. Vier Frösche wurden vergiftet: der eine 0,01 durch den Ma- gen, der zweite 0,01 durch die Haut, der dritte 0,005 durch die Haut und der vierte 0,001 durch die Haut. 1) Der durch den Magen (0,01) vergiftete Frosch gab gar keine merklichen Erscheinungen am Tage der Vergiftung, ausser dass nach ungefähr 20° der Mund weit geöffnet, die Zunge stark hinausgestreckt und der Magen am Schlunde sichtbar war. Es sind unzweifelhaft starke Vomituritionen und Schmerzen vorgekommen. Die Mundschleimhaut war dazu roth. Herz- schläge 40, Resp. 23. Sonst nur etwas ruhig und matt gewor- den. Am folgenden Tage war der Frosch ganz munter, Mund- schleimhaut noch roth. Am dritten Tage wurde der Frosch träger; auf den Rücken gelegt, vermag er nicht mehr sich um- zudrehen. Respiration 60. Mund blass. Die Herzschläge nicht mehr sichtbar durch die Haut. Den vierten Tag schien er etwas munterer und gab stärkere Reflexe. Am fünften Tage todt und starr gefunden. . 2) Der Frosch, dem durch die Haut 0,01 Aconitin einver- 264 D. Achscharumow: leibt war, lag nach 1 St. 12° ohne Respiration, ohne an der Haut sichtbare Herzschläge ; jedoch kamen noch schwache willkürliche Bewegungen vor. Ausser den schon beschriebenen Symptomen haben wir fibrilläre Hautzuckungen am Halse be- merkt, dann solche an den Pfoten. Durch mechanische Reize schwache Reflexe und einige Male eine Refiexathmung. Nach 2 St. todt. 3) Dritter Frosch (0,005 unter die Haut). Nach 35‘ zeigen sich auch an diesem Thiere leichte fibrilläre, limmernde Haut- zuckungen an verschiedenen Theilen des Körpers. Resp. 48. Herzschläge 40. Nach 1 St. ist keine Respiration zu sehen. Zuackungen dauern noch an der Unterkiefergegend. Die Er- scheinungen der Paralyse ziemlich entwickelt. Nach 2 St. 56’ die Bindehaut des Auges unempfindlich, mechanische, chemische und elektrische Reizungen unwirksam. 4) Vierter Frosch. 0,001 unter die Haut. Lebhafte Bewe- gungen. Fibrilläre Zuckungen der Haut an einzelnen Stellen. Nach 2 St. ruhig, keine krankhaften Erscheimungen. Den zwei- ten Tag etwas matt. Reize gut reflectirt. Den dritten Tag scheint er etwas gelähmt. Den vierten Tag schwächere Reflexe und trägere Bewegungen. Auf den Rücken gelegt, dreht er sich mit grosser Mühe um. Den fünften Tag todt. Schlüsse: a. 1) Aon. 0,01 unter die Haut tödtet den Frosch in 2 St. 2) 0,005: Tod nach 2 St. 51’. 3) 0,001: Tod nach 5 Tagen. 4) 0,01 in den Magen: Tod auch nach 5 Tagen. Also wirkt das Gift durch den Magen 10 Mal langsamer. Das Aconitin ist höchst schädlich für diese Thiere und wirkt schon tödtlich durch 0,001. b. Bei schwächeren Dosen kamen leichte, flimmernde “ Zuckungen der Haut vor. Versuche an warmblütigen Thieren. A. Beobachtungen über allgemeine Erscheinungen der Vergiftung. Kaninchen. . 1. Versuch. Ein grosses weisses Kaninchen. Resp. 70. Puls 220. Acon. 0,015 unter die Bauchhaut —, 10 Uhr 22°. Nach 3’: kauernde Bewegungen, Ausstreckung der Zunge, Spei- chelfluss. Nach 12’: Speichelfluss nimmt zu; Speichel dünn- flüssig, durchsichtig. Ohren injieirt. Herzschläge 160. Er- schwertes Athmen, 24 in 1‘, aussetzend dyspnoisch. Zunge und Lippen cyanotisch. Nach 18°: Ohreninjection nimmt rasch zu. Pupillen etwas erweitert; matt. Bewegungen träge; beim An- stossen rührt es sich nicht. Nach 24': Resp. 60, Puls unzählbar. Iris gegen Licht sehr empfindlich, Beim Kneifen zieht es. das Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 265 Maul zurück. Angestossen, geht es weg; kein Speichelfluss mehr. Ohren roth. Nach 45': die Ohren erblassen und werden kalt. Nach 51': Resp. freier, das Thier ist munterer, geht herum ohne äusserliche Anregung dazu. Nach 58°: Pupillen sehr er- weiter. Ohren kalt. Athmung 60. Puls unzählbar. Nach 2 St. 38°: die Ohren normal an Temperatur und Farbe. Ath- mung frei. Cyanose ist vorbei. Herzschläge 260. Das Thier ist lebhaft und munter. | Anhang zu diesem Versuche. Der in einem Gefässe an- gesammelte Speichel wurde einem Frosche unter die Haut inji- eirt, um zu erfahren, ob das Gift vorzugsweise mit dem Speichel abgesondert wird. Nach 6 St. war der Frosch gesund. Nach 20 St. todt gefunden. # Section: Das Herz stand still, ausgedehnt; die motorischen Nerven aber waren reizbar. Wir müssen noch bestätigen, ob der Tod auch wirklich vom Gifte. 2. Versuch. Dasselbe Kaninchen. Resp. 65. Herzschl. 280. Ohren blass. Aconitin 0,03 unter die Haut — 11 Uhr 32°. Nach 6’: Salivation, Kauern, Resp. 36, Herzschläge unzählbar. Urinatio und Defaecatio. Cyanotische Erscheinungen an den Lippen. Ohren geröthet. Pupillen verengt. Nach 15’: Herzschl. 120. Pupillen etwas erweitert. Es geht herum. Ohren stark injieirt, an einigen Stellen sieht man punktförmige Extravasate. Nach 20': Zunge und Lippen cyanotisch, Resp. 84, Puls 72, kein Speichelfluss mehr. Nach 26‘: Puls kräftig und an den Ohrenwurzeln fühlbar, 120, Pupillen erweitert. Nach 28’: Herz- schläge unzählbar, zitternd, Resp. erschwert. Pupille sehr weit. Ohren gleichmässig roth, die Extravasate erbsengross. Urinatio und Defaecatio. Pupillen enger, Bewegungen schwer, Beine schleppend. Nach 41’: Herzschläge 120, Resp. 84, oberflächlich aber nicht mühsam. Lippen weniger cyanotisch. Pupillen wie- der weit. Extravasate noch zugenommen. Nach 49’: Harn- lassen, Herzschl. 60, Resp. 144. Die Empfindlichkeit nicht ge- stört. Sitzt ruhig, wie schlummernd, matt. Bewegungen träge und nur bei äusserer Anregung. Cyanotische Erscheinungen nicht mehr zu sehen. Nach 1 St. 4' wieder ein copiöses Harn- lassen. Herz 84, Resp. 144, Ohren roth, die Extravasate neh- men nicht mehr zu. Nach 1 St. 9: Die Ohren erblassen; scheint schläfrig zu sein; Pupillen enger; legt den Kopf nieder; Lippen wieder cyanotisch, noch ein Harnlassen. Nach 1 St. 24°: Resp. 60, Herzschl. 120, unregelmässig, Pupille normal; schliesst die Augen zu. Nach 1 St. 4%: Ohren blass und kalt. (Die Extravasate natürlich geblieben.) Häufige Versuche zu gehen. Nach 2 St. 4': Resp. 60, keine Cyanose mehr zu sehen, Herz- schläge 84, schwach, Bewegungen freier und öfter. Nach 5 St. 19': das Kaninchen sass ganz ruhig in seinem Käfig; an den Ohren aufgehoben, äusserte es lebhafte Bestrebungen, sich los- zureissen. Nach 20 St. sah das Thier ganz gesund und mun- ter aus. 266 D. Achscharumow: Anhan'g. Der angesammelte Speichel wurde wieder einem Frosche injieirt, ungefähr 5 Ce. Das Thier, beobachtet 3 Tage lang, war gesund und bot keine Vergiftungserscheinungen dar. 3. Versuch. Dasselbe Kaninchen. Resp. 82, Herzschl. 216. Aconitin 0,06 unter die Haut — 11 Uhr 20‘. Nach 2’: Resp. 50, erschwert, dyspnoisch, Herzschl. 96, Pupillen sehr weit, Uri- nati'. Nach 6°: Kopf niedergelest, Resp. stark dyspnoisch. Ohren blass, kalt. Die Haut kalt. Pupillen noch weiter. Er- hebt den Kopf einige Secunden, beugt sich dann gleich nieder zur Seite und bleibt auf dem Tische liegen. Nach 8°: Dys- pnoe nimmt zu. Pupillen verengern sich. Resp. 17 mühsam. Herzschl. unfühlbar. Nach 12‘: Bedeutende Lähmung. Cyanose nimmt zu. Fällt auf die Seite. Klonische Convulsionen. Ex- ophthalmus. Dilatatio pupillae. Tod. Section: Herz schlägt noch ganz oberflächlich und schwach und ist nicht im Stande das Blut auszudrängen, von welchem ' es überfüllt und ausgedehnt ist. Dünndarm noch in peristalti- scher Bewegung. Lungen blutreich. Magen mit Chymus ge- füllt. Hirn anaemisch. Leber, Milz und Nieren blutreich. Harnblase leer. N. brachiales elektrisch todt. Muskeln gut reizbar. Naih 40° Todtenstarre. Schlüsse: a. Respiration und Herzschläge. Bei dem 1. Versuche: Resp. 70, nach der Vergiftung 24 (12°), 60 (Erholung). — Bei dem 2.: Resp. 63, nach der Vergiftung 36 (6°), 84, 144, 60 (Erholung). Bei dem 3.: Resp. 82, nach der Vergiftung 50 (2), 17 (6°) (Tod). — Herzschläge 220, nach der Vergiftung 160 (12°), unzählbar (24°), 260 (Erholung). Beim 2. 280, nach der Ver- giftung 120 (13), 72 (20%), 120, 84 (Erholung). Beim 3. 216, nach der Vergiftung 96 (2°), unfühlbar (6°) (Tod). — Also erst kommt Verlangsamung der Respirat., dann unregelmässige dys- pnoische Beschleunigung. Herz: ebenfalls erst Verlangsamung, dann Beschleunigung, Veränderlichkeit an Zahl und Stärke, und endlich ganz unfühlbar. b. Salivation bei nicht tödtlichen Dosen. Speichel dünn- flüssig, durchsichtig, betrug ungefähr 20 Ce., c. Paralytische Erscheinungen. d. Injection und Warmwerden der Ohren (wie schon Schroff es beobachtet hat), und dann Erblassen und Kaltwerden. Im 2. Versuche war die Blutfüllung sehr stark und mit Extrava- saten verbunden. Im 3. war sie gar nicht vorgekommen, die Ohren gleich vom Anfange kalt und blass geworden. Die Ex- travasate könnten auf die verstärkte Herzthätigkeit bezogen werden, sie sind aber gleichzeitig mit dyspnoischen und ceya- notischen Erscheinungen vorgekommen (wir kehren noch zu diesem Gegenstande zurück. e. Die Pupillen bleiben meist erweitert, gegen Licht aber immer sehr empfindlich. Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 267 f. Die Urinatio erfolgte im 2. Versuche 4 Mal in grosser Menge. g. Die Dosen 0,015—0,03 unter die Haut werden von Ka- ninchen ertragen. Die Dosis 0,06 ist tödtlich. h. Der Tod scheint asphyktisch zu sein, von der Herzläh- mung. Dyspnoe entsteht sehr rasch und wenn noch keine Lähmungserscheinungen zu bemerken sind (also nicht von der Lähmung der Athemmuskeln). Vögel. 1. Versuch. Eine Taube. Resp. 120, Herzschl. 240. Acon. 0,01 unter die Haut — 11 Uhr 5%. Nach 10‘: Paraly- tische Erscheinungen; fällt auf die Seite. Nach 21’: leichte Convulsionen nnd Tod. Section: Das Herz stand still. 2. Versuch. Eine Taube. Resp. 130, Herzschl. 240. Aco- nitin 0,015 in den Magen. 10 Uhr 10°. (Die Taube wird mit einer langen Schnur an dem Fusse gehalten.) Nach 15°: Oeffnet den Mund. Schleimhaut roth. Ruhig. Zittern des ganzen Körpers. Erbrechen. Nach 1 St. munter und sehr beweglich. Nach 2 St. keine krankhaften Erscheinungen. Den folgenden Tag gesund und munter aus dem Käfig genommen. 3. Versuch. Dieselbe Taube. Resp. 140, Herzschl. 200. Acon. 0,02 in den Magen — 10 Uhr 50’. Nach 50° Erbrechen. Nach 2 St.: scheint wieder gesund zu sein. Den folgenden Tag: matt, träge; Gang schwankend und nur mit Hülfe der Flügel. Resp. mühsam. Herzschläge unzählbar. Den 4. Tag todt gefunden. Section: Magen- und Kropfschleimhaut stel- lenweise geröthet und mit kleinen Extravasaten besetzt. 4. Versuch. Eine Taube. Aconitin 0,04 in den Magen. 12 Uhr. Nach 10° dyspnoisch. Resp. 48 mühsam. Herzschl. nicht mehr zu fühlen. Nach 15’: Paresis. Nach 20‘: Läh- mungserscheinungen nehmen rasch zu. Resp. 120, dann 84. Vomituritionen. Pupille erweitert. Fällt auf die Seite. Leichte Convulsionen und Tod (32). Section: Das Herz stand still, ausgedehnt. Im Magen und Kropfe unverdaute Speisemassen. Muskeln gut reizbar, Nerven unreizbar. B. Beobachtungen über den Einfluss des Giftes auf die Temperatur des Körpers. Bei den Messungen war das Instrument entweder in den Mastdarm immer bis zu einer und' derselben Theilungslinie eingeführt und ziemlich weit, ungefähr 2'/, Zoll, oder in’s Ohr, in den Meatus auditorius, oder unter die Haut auf einige Zolle eingeschoben. 1. Versuch. Ein grosses Kaninchen. Resp. 76, Herzschl. 216. Die Temperatur, nachdem das Thier aus dem Käfig ge- . nommen und eine halbe Stunde am Tische befestigt blieb, be- 268 D. Achscharnmow: trug: Mastdarm 87,8, Haut 37,2, im Ohre 57. Das Thier wird vergiftet, 0,035 unter die Haut — 11 Uhr 15‘. Nach 5’: Speichelfluss. Röthe der Ohren. Resp. 60, dyspnoisch. Herzschl. 150. Nach 10’: Resp. 48, sehr mühsam. Tempera- tur: Mastdarm 37,5, Haut 37, Ohren 36,5. Nach 15’: paretisch. Nach 27': Resp. 96, freier. Temperatur: Mastdarm 36,4, Haut 35,9, Ohren 35,5. Nach 58°: das Thier erholt sich. 2. Versuch. Bei diesem wollen wir noch gleichzeitig an einer Seite den Halsstamm des N. sympathicus durchschneiden. Ein mittelgrosses weisses Kaninchen. Temperatur gleich nach- dem das Thier aus dem Käfig genommen: Mastdarm 39,1, Haut 38,2, Ohren 38. Temperatur, nachdem es eine halbe Stunde befestigt blieb: Mastdarm 38,4, Haut 37,8, Ohren 37,4. Durch- schneidung des rechten Halssympathicus. Die Wunde ist durch eine Naht wieder zusammengebracht, um das Abkühlen des Blutes in den blosgelegten Gefässen möglichst zu verhüten. Nach 15’: Mastdarm 37,6, Haut 37,2, Ohren 36,5 (linkes), 36,9 (rechtes). Pupillen: 8 Mm. (linke), 4 Mm. (rechte), mit Zirkel- spitzen abgemessen. Vergiftung, 0,03 Acon. unter die Haut — 10 Uhr 50°. Nach 20’: Temperatur: Mastdarm 36,1, Haut 35,8, Ohren 34,2 (linkes), 39,4 (rechtes). Die linke Iris war sehr be- weglich, Pupille im Allgemeinen erweitert und betrug 9—10Mm. Die rechte blieb 4 Mm. weit. Das Rothwerden des linken Ohres ist nicht vorgekommen, es blieb kalt und blass (so können wir an eine mögliche Reizung des Sympathicus denken). 3. Versuch. 1) Erste Temperatur-Messung: Mastdarm 38,6, Haut 37,8, Ohren 38, 38,1 (linkes Ohr). 2) Zweite Messung (nach der Trennung des rechten Sympathicus): Mast- darm 87,4, Haut 37,5, Ohren 36,1 (rechtes), 35,8 (linkes). 3) Dritte Temperatur-Messung (nach der Vergiftung 0,05): Mastdarm 35,8, Haut 35,4, Ohren 35,2 (rechtes), 34,2 (linkes). Der Pupillenzustand: Die rechte betrug gleich nach der Durch- schneidung des Sympathicuss 3 Mm. und behielt dieselbe Grösse, bis sie unmittelbar vor dem Tode um 1 Mm. grösser wurde. Die linke: 8 Mm. (normale Grösse), dann 6,5 Mm. (nach 35°), dann 7 Mm. (nach 40%), 6 Mm. (nach 53°), 11 Mm. (95', Tod). Die Ohren: das rechte blieb roth, das linke blass. Schlüsse: 1) Nehmen wir in Betracht nur die äussere Haut- und die innere Mastdarmtemperatur, so haben wir: vor d. Verg.: nach d. Verg.: Differenz: Im 1. Vers.: für Mastdarm 37,8 36,4 1,40 Haut 31,2 39,9 1,3 Im 2. Vers.: für Mastdarm 383,4 36,1 2,3 Haut 97,8 a 39,8 2 Im 3. Vers.: für Mastdarm 88,6 39,8 2,8 Haut 37,8 39,4 2,4 _ Untersuchungen über die toxieologischen Eigenschaften u. s. w. 269 In den zwei letzten Versuchen war die Temperatur schon vor der Vergiftung abgefallen, hauptsächlich in Folge des Bloslegens der grossen Gefässe am Halse beim Aufsuchen des N. sympa- thieus, und zwar in dem 2. um 0,3 und 0,7, in dem 3. um 1,2 und 0,5%. So sind die oberen Differenzenzahlen zu hoch, und die richtigen für die Wirkung des Giftes nur gerechneten werden 1,5 und 1,3 — und 1,2 und 1,9. Also haben wir annähe- rungsweise in allen drei Versuchen nach 30° das mittlere Sin- ken der Temperatur um 1,5° C. erhalten. 2) Wenn wir das Verhältniss der Temperatur des Inneren zu der der Oberfläche des Körpers betrachten, so sehen wir auch eine bedeutende Veränderung, indem vor der Vergiftung die Differenzen betrugen: innere Temperatur höher als die der Haut um 0,6 (1. Vers.), 0,6 (2. Vers.) und 0,5 (3. Vers.), nach ‚der Vergiftung wurden die Zahlen: 0,5, 0,3, 0,4, also niedriger als früher. Natürlich muss die innere Temperatur des Körpers bei jedem lebenden Thiere die der Oberfläche übersteigen (vor- ausgesetzt, dass die Temperatur der Umgebung nicht höher ist als die des Blutes). Der Verlust der Körperwärme geschieht hauptsächlich durch die Ausstrahlung einer gewissen Wärme- menge nach aussen von der Oberfläche des Körpers. Diese Ausstrahlung ist vielen Schwankungen ausgesetzt; die Schwan- kungen aber bei jedem gesunden Thiere werden bald durch die inneren Bedingungen des thierischen Organismus ausgegli- chen, und das Verhältniss der inneren Temperatur zu der äusse- ren hat eine bestimmte, beständige Grösse und bleibt ziemlich gleich. Das ist die nothwendige Bedingung, durch welche das Thier immer dieselbe ihm eigene Temperatur besitzt. Aus die- sen und auch anderen (nicht von mir gemachten) Versuchen können wir dieses Verhältniss bei den Kaninchen annäherungs- weise zu 0,5—0,6° C. rechnen. Indem wir die oberen Zahlen mit den nach der Vergiftung erhaltenen vergleichen, sehen wir, dass die Oberfläche des Körpers verhältnissmässig wärmer ge- worden ist und zwar in dem 1. Versuche um 0,1, in dem 2. um 0,5, in dem 3. um 0,4. Da die umgebenden Verhältnisse dieselben geblieben sind, so blieb die Ausstrahlung auch die- selbe, weil sie nach den einfachen physikalischen Gesetzen der Körper geschieht, und die Ursache der Störung muss also im ‚Inneren stattfinden. Die Temperatur der Oberfläche und die des Inneren sind beide gesunken, das Sinken aber der Öber- fläche hängt von dem verminderten Zuflusse der Wärmemenge von innen ab, so schliessen wir, dass die Wärmeproduction im Inneren durch das Gift vermindert wird, indem die Lebens- processe, die der Wärmeproduction als Quellen dienen, herab- gesetzt, verlangsamt oder auf irgend eine Weise gestört werden. 3) Die Temperatur der Ohren ist uns insofern von Interesse, als wir dadurch erkennen, dass nicht ein jeder von Blutfüllung roth gewordene Theil des Körpers gleichzeitig auch als wärmer gewordener zu betrachten ist. Die Zahlen der Ohrentempera- 270 D. Achseharumow: turen waren: 1) 37, nach der Vergiftung 35,5. 2) 37,4, nach der Vergiftung 35,4 (rechtes), 34,2 (linkes). 3) 38, nach der Vergiftung 35,2 (rechtes), 34,2 (linkes). Wir sehen hier, dass, indem die Temperatur des ganzen Körpers gefallen ist, die Ohrentemperatur auch gesunken ist. Die rechten Ohren (m Versuchen), die vor einigen Minuten blass und blutarm waren, sind roth und blutreich geworden (in Folge der Durchtrennung des Sympathicus), aber dessenungeachtet sind sie kühler und zwar um 2 und um 2,8°. Die ganze Blutmasse ist kühler ge- worden, und eine kleinere Menge wärmeren Blutes erwärmt mehr das Ohr, als eine a wenn diese von niederer Tem- peratur ist. 4) Das Verhalten der Pupillen wird später abgesondert be- sprochen. C. Beobachtungen am blosgelegsten, mit Hülfe der künstlichen Respiration in Thätigkeit erhaltenen Herzen, und über den Zustand des Vagus. 1. Versuch. Ein grosses graues Kaninchen in der Rücken- lage am Tische befestigt. Die Tracheotomie gemacht, die Röhre in den Kehlkopf eingesetzt. Vagus dexter blosgelegt. Resp. 60, Herzschl. 240. Während die künstliche Respiration ange- stellt ist, wird die Brusthöhle geöffnet. Herzschl. 200. Acon. 0,1 in die Bauchhöhle. 11 Uhr 20. Nach 3°: unregelmässige Herzcontractionen, die Ventrikeln 50, die Atrien 82. Vagus auf die Elektroden gelegt, Schlüssel geöffnet: Stillstand des Herzens. Nach 7’: Convulsionen. Nach 9: Atrien 24, Ven- trikeln 12. Stillstand der Ventrikel 4 Sec. Reizung des Va- sus mit schwachem Strome: keine Wirkung, mit stärkerem Strome: Stillstand. Nach 12‘; Atrien 36, Ventrikel 6. Die Contractionen sind oberflächlich und drängen das Blut nicht aus. N. vagus gereizt: keine Wirkung. Das Thier ist ohne Bewegung. Das Auge reagirt nicht. Herz im Stillstande, aus- gedehnt. Exophthalmus. 2. Versuch. Alles so wie bei vorigem. Brust geöffnet. Herzschl. 260. Resp. künstlich. Acon. 0,03 in die Bauchhöhle — 12 Uhr 30‘. Nach 2‘: Herzschl. 164, schlägt lebhaft und regelmässig. Nach 10°: Bewegungen des Herzens schwächer una veränderlich an Zahl, bald 184, bald darauf 112. Reizung des N. vagus bei mittlerem Abstande der Rollen ist ohne Wir- kung, bei dem verstärkten Strome: Stillstand des Herzens. Nach 15°: Ventrikel 60, sehr oberflächliche Contractionen. Atrien 76. Nach 17’: Convulsionen. In der Carotis sieht man keine Blutfüllung mehr. Nnch 20°: Reizung des Vagus bei Zusammenrücken der Spiralen: keine Wirkung. Ventrikel 11, Atrien 32. Nach 36': Tod. 3. Versuch. Acon. 0,015 in die Bauchhöhle — 11 Uhr 35. Herzschl. 200, Resp. künstlich. Nach 37': Vagus gereizt hat Untersuchungen über die toxieoloeischen Eigenschaften u. s. w. 271 noch seinen Einfluss auf das Herz beibehalten. Nach 45': Va- gus ist gelähmt, Ventrikel 20, Atrien 63. Nach 57': Herz steht still, ausgedehnt. Convulsionen. Tod. 4. Versuch. Acon. 0,02 unter die Rückenhaut — 10 Uhr. Nach 25‘: Salivation. Paresis. Tracheotomie. Vagus blosgelegt. Künstliche Respiration. Brust geöffnet. Herzschläge unregel- mässig, aber noch stark: 122. Schwache Reizung .des Vagus wirkt nicht. Bei der Annäherung der Rollen um die Hälfte: Herz 88, bei der Zusammenstellung: Stillstand des Herzens. Es wird noch Acon. 0,01 eingeführt in die Bauchhöhle Nach 2': Der linke Ventrikel gelähmt und dilatirt, der rechte schlägt ‘lebhaft, sowie die Atrien. N. vagus bei der stärksten Reizung ohne Wirkung. Plexus brachialis ist noch reizbar. Nach 7': leichte Convulsionen , gleich darauf Exophthalmus und Asphyxie. Schlüsse: 1) Trotz der künstlichen Respiration, durch welche das Blut in überflüssiger Menge mit Sauerstoff versorgt wird, stirbt das Thier sehr rasch. 2) Tod — von Herzlähmung. 3) Die N. vagi werden durch das Gift gelähmt. Es kann auch sein, dass die Nerven zuerst gereizt werden, doch diesen Zustand konnten wir nicht deutlich beobachten, bei dem fleissigen Unterhalten der künstlichen Respiration. D. Beobachtungen über den Zustand des Blutdrucks nach der Vergiftung. Nach dem, was wir bei allen vorigen Beobachtungen erfah- ren haben, könnte man schon gleich voraussagen, dass die die Herzthätigkeit abschwächende Wirkung des Giftes nichts Ande- res als einen verminderten Druck zur Folge haben kann. Der Versuch aber mit einem Kymographion verbunden könnte auch Manches aufklären, indem alle Schwankungen der Bewegungen des Herzens und der Lungen in den genauesten Zeichnungen dem Auge vorgestellt werden. Zu gleicher Zeit haben wir noch dazu eine directe Veranlassung uns zu überzeugen, ob die ein- mal an Kaninchenohren vorgekommenen Extravasate von dem erhöhten Blutdrucke abhängen. 1. Versuch. Ein mittelgrosser Hund am Tische befestigt. Vena jugularis blosgelegt; dem Thiere Morphii gr. 3 durch die Vene einverleibt. Arteria cruralis blosgelest und mit dem am Kymographion befindlichen Manometer verbunden. Blutdruck bei Exspiration betrug 80 Mm., bei Inspiration 66. Mittlere Zahl 73. Herzschläge 36 (in '/,‘), Respirat. 4. Systolische Ascensionslinie beträgt 3 Mm. Aconitin 0,001 in Cie Vena jugularis. 11 Uhr 20'. Nach. 10°: Blutdruck 75 und 62, mittlere Zahl 68, Herzschl. 25 (in !/,‘), Resp. 3. 212 | D. Achscharumow: Nach ungefähr 20° wurde dem Thiere noch Aconitin 0,002 eingeführt. Nach 5': Blutdruck 60 und 42, Mittel 51. Herzschl. 21, Resp. 2, Inspirationen lang und tief, Exspirationen kurz geworden. Die systolische Ascensionslinie betrug 8 Mm. Nach 20': Blutdruck 62 und 49, Mittel 55,5. Herzschl. 18, Resp. 1. ° Ascensionslinie 9 Mm. Nach 35° noch Aconitin 0,003 injieirt, gleich darauf: Blutdruck 48 und 42, Mittel 45. Puls doppelschlägig, unregelmässig, aussetzend. Kespiration ist nicht mehr sichtbar. Nach 2’: Convulsionen u. Asphyxie. 2. Versuch. Ein etwas grösserer Hund. Sonst Alles wie beim vorigen Versuche. Gleich von Anfang 0,01 in die Vene. Das Thier stellte, bevor ihm das Gift gegeben war, folgendes Verhalten dar: Blutdruck 64 und 56. Mittelzahl 60 Mm. Herzschl. 42 (in !/,'), Resp. 4. Einzelne Ascensionslinien betrugen 3 Mm. Nach der geschehenen Vergiftung, nach !/,‘, sehen wir eine bedeutende Veränderung an der Druckeurve: Blutdruck 48. Herzschl. 38 (in !/,N. Resp. 0 — ein inspiratorischer Stillstand. Dann weiter in der folgenden Minute: Blutdruck 53 und 42; 47,9. Herzschl. 22 Gin 1/,)), Resn. 1. Ascensionslinie bis 9 Mm. Nachs 12: Blutdruck 40 und 27; 33,5. Herzschl. 16, Resp. 1!/,. Ascensionslinie bis 11 Mm. Nach 4'},': Blutdruck 46 und 26; 36. Herzschl. 15, Resp. 1!J,. Ascensionslinie 14 Mm. Dann nach 2' war der Blutdruck etwas höher: 54 und 30; 42. Die hohen systolischen Ascensionen und die tief herabfal- lenden diastolischen Linien des langsam gewordenen Pulses, sowie die inspiratorischen Anstrengungen der Athmung entspra- chen denen, die gewöhnlich bei der Vagusreizung vorkommen und gaben uns Veranlassung zur Durchschneidung dieser Ner- ven. Beide Vagi wurden jetzt durchschnitten, gleich darauf: Blutdruck gestiegen: 63 und 55; 59. Herzschl. 33 (in !/,), Resp. 5 (in !/4‘). Ascensionslinie 2 Mm. Nach 3’ wurde das peripherische Ende des Vagus gereizt, und wir bekamen gleich: Untersuehungen über die toxieologischen Eigenschaften u. s. w. 973 - Einen gesunkenen Druck: 45 und 27!/,; 36t/,. Herzschl. 11. Den Stillstand des Herzens aber konnten wir bei der stärksten Reizung nicht hervorrufen. Resp. unterbrochen in Inspirationsperiode. Ascensionslin’e 12 Mm. Nachdem die Reizung aufgehö:s hatte, bekamen wir wieder: Druck 52. Herzschl. 34. Resp. 4!/, (in 1/4). Ascensionslinie 2 Mm. Noch eine Injection von Aconitin 0,01: Eine grosse Un- ruhe des Thieres. Herzschl. 32, unregelmässig. Resp. 4. Nach ungefähr 10‘ nach der letzten Injection wurde Vagus wieder auf die Elektroden gelegt, die erwähnten Resultate erfolgten nicht mehr. Die Herzschläge sind etwas voller geworden, die Systo- len aber betrugen nicht über 4 Mm. Höhe und dabei wurden sie ganz unregelmässig. Nach einigen Minuten gerieth das Thier in eine heftigste Dyspno&. Convulsionen. Schwache Herzschläge dauerten noch und zwar 50 in !/,. Reizung des Vagus hatte gar keinen Einfluss. Bei diesem Versuche ist noch zu bemerken, dass der sonst so gewöhnlich beobachtete Exophthalmus hier nicht erschienen ist und die Pupillen dabei punktförmig contrahirt waren. Die Ursache liest in dem Umstande, dass mit den Vagi auch die Sympathici zusammengefasst und durchgetrennt waren. Sympa- thicus dexter aufgefunden und auf die Elektroden gelegt wurde; gleich darauf haben wir gesehen: Exophthalmus des rechten Auges und die Erweiterung der rechten Pupille. Schlüsse: 1) Die erste unmittelbar nach der Vergiftung vorkommende Verlangsamung der Herzschläge wird durch die Reizung der Medulla oblongata bedingt, welche Reizung durch die Vagi dem Herzen zugeführt wird. Der Vagus wird allmählich durch die Reizung ermüdet und endlich ganz gelähmt. 2) Der Blutdruck ist gesunken in dem 1. Versuche von 73 bis öl (um 22 Mm.), in dem 2. von 60 bis 33,5 (um 26,5 Mm.). E. Beobachtungen über den Zustand des N. sympa- thicus bei der Vergiftung. Die Veränderungen an den Pupillen, das Rothwerden und das Erblassen der Ohren, der Speichelfluss — diese bei der Vergiftung so oft zur Beobachtung gekommenen Erscheinun- gen — scheinen beim ersten Anschauen wirklich dem Gebiete des N. sympathicus zugerechnet werden zu können, Um aus- einanderzusetzen, inwiefern es richtig ist, werden wir einzeln diese Erscheinungen besprechen. 1) Zuerst wollen wir direct den Zustand des Sympathicus Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866, 18 274 D. Achscharumow: untersuchen. (Wir haben uns schon einmal überzeugt, dass er nicht gelähmt wird.) Bei eiıem weissen Kaninchen ist der Halsstamm des rech- ten Sympathicus durchgetrennt und auf einen Faden gefasst. Gleich darauf erfo'gten: Verengung der rechten Pvpille und nach einigen Minuten das Errötheı des rechten Ohres. Das Thier wird vergiftet, Acon. 0,06 unter die Rückenhaut — 11 Uhr 10‘. Nach 10’: Respirstion sehr mühsam und in hohem Grade dyspno'sch.h Bedeıtende Erweiterung der linken Pupille (an der rechten keine Veränderung). Convulsionen und Exophthal- mus des lirken Auges. Jeizi wurde das centrale Ende des durehschniitenen Sympathicus auf die Elektroden gelegt; — gleich darauf erweiterten sich die Augenspalte und die rechte Pupiile, und der Bulbus wurde hervorgedrängt. Schluss. Der N. sympathicus ist nicht gelähmt. 2) Ueber die Pupillen. Bei den verschiedenen Autoren ist die Wirkung des Giftes auf die Pupille verschieden beschrie- ben; von den Meisten aber, unter denen wir die Herren Störck, Orfila, Bonet, Reil, van Praag, Hattot und besonders C. D. Schroff zu erwähnen haben, wird das Gift als ein pu- pillenerweiterndes Mittel beschrieben (d. h. bei der allgemeinen Vergiftung). Die Anderen aber (Twenbull, Pereira, Duck- worth) haben die verengten Pupillen bei der Vergiftung ge- sehen. Einige sogar schreiben ihm eine specifische locale Wir- kung auf die Pupille zu. Eine solche Verschiedenheit der Be- obachtungen beweist schon die mangelhaften Kenntnisse darüber. Was unsere Beobachtungen anbetrifft, so haben wir Folgendes mitzuthellen : a) In den drei mit A. bezeichneten Versuchen über allge- meine Erscheinungen haben wir bemerkt: Bei dem Vers. Nr. 1: Erweiterung der Pupillen (nach 18°). Erweiterung - - (nach 58°). Empfindlichkeit gegen Licht sehr gross. Bei dem Vers. Nr. 2: Erweiterung (nach 13°). Noch weiter (nach 24°). Sehr weit (nach 28°). Viel enger (nach 1 St. 9°). Normal (nach 2 St. 9). (Erholung.) Bei dem Vers. Nr. 5: Sehr weit (nach 2‘). Noch weiter (nach 6‘). Enger (nach 8‘). Exophth. Dilatation (nach 12‘. Tod). b) In den Versuchen mit B. bezeichneten über die Tem- peratur: Nr. 1: Pupille normal geblieben. Nr. 2. (Der Halsstamm des rechten Symp. durchschnitten.) Das linke Auge: Normal (20°). Verengung (35°). Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 275 Weiter, enger, weiter (innerh. 43—45'). Weiter, enger, sehr weit (59‘ Tod). Das rechte Auge: Enger geblieben, bis Asphyxie eingetreten. Kurz vor dem Tode um etwas weiter (aber keine exophthalmische Dilatation). Nr. 3 (Der Sympathicus dexter auch getrennt): Mit Zirkelspitzen abgemessen betrugen: Die linke Pupille: 8 Mm. (normal). 6,5 (nach 35°). 7 (40°). 6 (53°). 11 (55‘). Die rechte Pupille: ö Mm. 4 Mm. (nach 55‘. Tod). Derselbe Umstand war auch in dem mit D. bezeichne- ten Vers. Nr. 2 beobachtet. Am linken Auge, wo Ex- ophthalmus ausblieb, war die Pupille nicht mehr so “ punktförmig contrahirt. In diesen Versuchen haben wir in der That mehr Erweite- rung als Verengung gesehen, doch bestimmt können wir nur sagen: 1) Dass die Pupillen sehr veränderlich sind. 2) In allen Fällen, wo der Sympathicus am Halse durchschnitten war, blieb diese Veränderlichkeit der Pupille an der entsprechenden Seite aus, also können wir auch vermuthen, dass diese durch Sympathicusreizung bedingt wird. 3) An der in Folge derSym pathicus-Trennung verengten Pupille kommt kurz vor dem Tode eine unbedeutende Dilatation vor, was von der leichten Para- lyse des Oculomotorius abhängen könnte. Indessen hängt der Pupillenzustand vom N. opticus, N. tri- geminus, N. oculomotorius, N. sympathicus, von der Med. ob- longata durch den N. hypoglossus (Budge), von der Menge des Blutes im Auge (Kussmaul und Tenner), vonder Stel- lung des Kopfes zum Rumpfe (Kussmaul und Tenner) ab; endlich sind auch psychische Erschütterungen des Thieres von Einfluss, so dass es gar nicht eine so einfache Sache ist, und man muss sehr vorsichtig sein, um darüber besiimmt etwas zu be- haupten. Wir haben auch andere Versuche über das Verhalten der Pupillen gemacht, indem an einem Auge durch Nicotin- lösung die Wirkung des Sympathicus (Dilatator pupillae), an dem anderen durch Atropin die des Oculomotorius (Sphincter) beseitigt waren, und dann war das Thier durch Aconitin ver- giftet, aber es ist uns nicht gelungen, einige sichere Resultate dadurch zu erhalten, i8* 276 D. Achscharumow: F. Beobachtungen über die locale Wirkung des Aco- nitins auf das Auge. 1. Versuch. Einer Taube war in das rechte Auge ein Tropfen von der concentrirten (mittels; Zusatz von zwei Tropfen Salzsäure erhaltenen) wässerigen Aconitinlösung eingeführt: Pupille sehr beweglich geworden und gegen das Licht em- pfindlicher. Nach 1 St. 15°: Iris und Conjunctiva normal. Nach 24 St. Nichts zu bemerken; das rechte Auge war ganz normal, wie das linke. 2. Versuch: Einem Kaninchen waren in das linke Auge gtt. jj der wässerigen Solut. concentr. Aconitin eingeführt: Öefteres Blinzeln und grosse Empfindlichkeit. Nach 1 St. schien das Auge etwas geröthet und feucht. In der Pupille keine Veränderung, Nach 24 St. keine Spur der Wirkung mehr. Schlüsse: 1) Local wirkt Aconitin nicht auf die Pupille. Auf das Auge ist seine Wirkung eine sehr unbedeutende und bald vor- übergehende. 2) In allen Fällen war eine grössere Beweglich- keit der Iris wahrgenommen (eine vermehrte Empfindlichkeit der Trigeminus-Zweige). 3) Lähmung des Oculomotorius ist sehr wahrscheinlich, weil auch alle anderen motorischen Nerven gelähmt werden. 4) In allen tödtlichen Fällen haben wir immer exophthalmische Erweiterung der Pupillen beobachtet, als eine gewöhnliche Erscheinung der Asphyxie. Die Erscheinung aber war ausgeblieben, wenn der betreffende Stamm des Sympathicus am Halse getrennt war, und konnte immer zum Vorschein ge- rufen werden durch künstliche Reizung des Sympathicus. Ich behaupte nicht, dass diese Erscheinung allein von der Reizung des N. sympathicus abhängend sei, so viele aber von mir be- obachtete Fälle veranlassen mich anzunehmen, dass die Rei- zung des Sympathicus bei diesem Vorgange eine nicht unbedeu- tende Rolle spielt. 3) Ueber die Ohren. Das Rothwerden und das Erblas- sen der Ohren steht in keinem Zusammenhange mit der Ver- engung und der Erweiterung der Pupillen. Gerade haben wir mehrmals das Gegentheil wahrgenommen: die Pupillen erweitern sich, und die Ohren werden immer röther und selbst mit Ex- travasaten bedeckt. Wovon die Extravasate kommen, wissen wir nicht, weil der Blutdruck von Anfang an vermindert wird. Die Kaninchenohren sind übrigens in normalen Zuständen so vielen Schwankungen der Blutfüllung und Blutleere ausgesetzt, dass diese Erscheinungen gar nicht zu besprechen sind. Es sind von einigen (Schiff) noch an Kaninchenohren accesso- rische Arterienherzen gefunden, deren Contractionen 3—8 Mal in einer Secunde stattfinden. Dadurch wird nach Schiff’s An- Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 977 sicht bei den Kaninchen ein besonderer Regulirungs- Apparat des Wärmeverlustes constituirt. 4) Der Speichelfluss war immer vorhanden, wenn die Dosis des Giftes nicht zu stark war, und immer als das erste nach 2—3' sich ausbildende Symptom der Versifiung zu be- merken, dauerte gewöhnlich 15- 20‘. Wo die Gabe stark war und das Thier schnell tödtete, war auch kein Tropfen Speichel zu sehen. Das Ausbleiben in dem letzten Falle hängt wahr- scheinlich von der rasch sich entwickelnden Störung des Kreis- laufes und Stillstand des Blutes in allen Gefässen, sowie auch in denen der Speicheldrüsen ab. Wir haben auch fast immer bemerkt, dass, wenn das Thier speichelte, es sich später er- holte. Was die Eigenschaften des Speichels betrifft, so war er dünnflüssig, durchsichtig, leicht klebrig, von alkalischer Re- action. Seine Menge betrug 15—20 Cc. Die grosse Menge und die Eigenschaften des Speichels zeigen, dass dessen Ur- sache nicht in der Reizung des N. sympathicus zu suchen sei, vielmehr in der Reizung des Ramus lingualis trigemini. Als Anhang zu dieser Arbeit, die ich in Berlin in dem phy- siologischen Laboratorium des Herrn Professor du Bois-Rey- mond, in Gegenwart des Herrn Dr. I. Rosenthal, denen ich hier öffentlich meinen Dank auszudrücken mich verpflichtet fühle, gemacht habe, wünsche ich noch einige Beobachtungen, die hier nicht beschrieben sind und die ich im vorigen Jahre in St. Petersburg auf dem klinischen Laboratorium des Herrn Professor Besser in der medicinisch - chirurgischen Akademie angestellt habe, mitzutheilen: Beobachtungen über die locale Wirkung des Giftes auf die Haut im Allgemeinen und auf die von dem N. trigeminus versorgten Stellen der Haut im Be- sonderen. Das Aconitin wird bekanntlich von mehreren Aerzten als Anodynum local angewendet bei verschiedenen Schmerzen, und als specifisch gegen die Neuralgien im Bereiche des N. trige- minus empfohlen. So kann es nicht überflüssig sein, wenn ich einige Versuche auch in dieser Hinsicht bespreche. Ueberzeugt von der Unschädlichkeit der Wirkung des Giftes durch die äussere Haut bei den Versuchen an Thieren, habe _ ich mir ungefähr ein Scerupel Aconitin in die Hohlhand ausge- schüttelt und dasselbe mit einigen Tropfen Spiritus zu einem dünnflüssigen Brei gemacht, mir in die Beugeseite des Oberarms eingerieben. Es war gar Nichts vorgekommen, ausser dass die 278 D, Achscharumow: geriebene Stelle klebrig anzufühlen war, gar kein Prickeln, Stummwerden oder sonst irgend ein Gefühl. Die Haut war anfangs nur etwas roth vom Reiben, nach 10' war auch die Röthe verschwunden. Als ich aber später die Arbeit von Hat- tot zu lesen Gelegenheit hatte, fand ich wieder eine ausführ- liche Beschreibung der Wirkung des Aconitin auf die Haut?): Brennen, Jucken, Beschwerde, als wäre eine grosse Last auf- gelegt, endlich Anästhesie. Ich wollte mich noch einmal über- zeugen, ob ich mich nicht getäuscht hätte, indem vielleicht die zur Einreibung gewählte Stelle der Haut nicht genug empfind- lich war. So habe ich einen halben Theelöffel Aconitin in Spir. vini q. s. ad solut. gelöst und mir in die rechte Costal- gegend eingerieben. Auch dieses Mal habe ich Nichts bekom- men. Das von Hattot dargestellte Präparat besitzt bestimmt andere Eigenschaften als das unsere. Von der specifischen Beziehung des Aconitins zu dem N. trigeminus war viel geschrieben, und auch von mehreren Aerz- ten wird das Aconitin bei Prosopalgien als specifisch empfoh- len. Von einigen Experimentatoren (Schroff, Reil) des in- nerlichen Gebrauchs des deutschen Aconitins werden auch, als ein lästiges Symptom, die ziehenden, drückenden, klopfenden Gesichts- und Kopfschmerzen (an den Backen, Unterkiefern, an der Stirn u. s. w.) beschrieben. Nun konnte ich nicht eine Me- thode erfinden, um diese subjectiven Empfindungen an Thieren zu bestätigen, doch habe ich selbst das Trommsdorf ’sche Aconitin innerlich genommen und zwar in Dosen über ein Gran, und davon nirgends Schmerz gefühlt, nur bekam ich ein unangenehmes Aufstossen , einen leichten Schwindel, und ' fühlte mich dabei schwach. Auch in den von einigen Aerzten mehr zuverlässig beschriebenen Fällen der Vergiftung durch Aconitwurzel konnten wir nicht das obenerwähnte Symptom finden. Obgleich an Thieren das subjective Symptom sicher zu erkennen unmöglich ist, haben wir dennoch zu bestätigen ver- sucht, ob beim äusserlichen Gebrauche des deutschen Aconitins irgend eine Veränderung in dem Empfindlichkeits- Grade des Trigeminus vorkommt. Der Versuch war folgenderweise an- gestellt: Einem Kaninchen, dem die Haare in der Umgebung des Foramen infraorbitale, wo der gleichnamige Trigeminusast zur Backe gelangt, von beiden Seiten abrasirt waren, wurde ein mit möglichst starker Aconitin - Alkohollösung durchtränkter Schwamm an die linke Backe angedrückt, und in dieser Lage, mittelst eines schmalen Bandes befestigt, eine Stunde lang ge- halten. Auch wurde ein anderer durchtränkter Schwamm in ein Ohr hineingesteckt, um die Wirkung blos auf die äussere Haut zu prüfen. Das Kaninchen blieb dabei ganz ruhig. Nach 1) Journ. de l’anatomie et de la physiologie, publie par Brown Se- quard et Charles Robin. Nr. 2. Mars 1864. Paris. Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u, s. w. 279 einer Stunde wurden beide abgenommen und der Grad der Em- pfindlichkeit an beiden Infraorbitalgegenden vergleichungsweise geprüft. Mit der Pincette an der rechten Gesichtsseite leicht gekniffen, hat das Thier den Kopf sogleich abgezogen. Die- selbe Reizung auf der anderen Seite erzeugte ganz dieselbe Bewegung. Mehrere Male mit verschieden starken mechani- schen und thermischen Reizen geprüft, zeigte das Thier keinen Unterschied im Verhalten der beiden Infraorbitalzweige gegen die Reizungen. Es war weder Taubsein, noch erhöhte Sensi- bilität oder etwas Anderes zu bemerken. Auch während des Liegenbleibens des Schwammes gab das Kaninchen kein Zeichen von irgend einem unangenehmen Gefühl. Auf der inneren Ober- fläche des Ohres war auch keine Veränderung vorgekommen. Schlüsse: Local wirkt das deutsche Aconitin weder auf die Haut, noch auf die sensibeln Nerven... Es muss also nicht als ein Anodynum oder Sedativum betrachtet werden.!) So weit nur haben wir unsere Untersuchungen geführt. Wenn wir Alles zusammenfassen, so haben wir bei Aconitin- Vergiftung nach unseren Beobachtungen Folgendes erfahren: Das Aconitin, in starken Dosen gereicht (für das Kaninchen 0,08 unter die Haut oder 0,5 in den Magen), bewirkt rasch den Tod; das Thier fällt nach einigen Minuten auf die Seite, wird von heftigen Convulsionen befallen und stirbt sogleich asphyktisch. Bei etwas schwächeren , nicht so rasch tödtenden Dosen (0,05 unter die Haut) werden erst einige Symptome beobachtet. Unmittelbar nach der Vergiftung kommt vor: Verlangsamung der Herzschläge, der Respirationen und verminderter Druck in dem ganzen Gefässsysteme. Die Respiration wird mühsam und dyspnoisch, die Herzthätigkeit langsam und schwach, Die Cyanose entwickelt sich rasch, Die Temperatur des Körpers sinkt. Dann folgt wieder eine kurzdauernde Beschleunigung der Herzschläge, der Blutdruck steigt, die Respiration wird etwas freier. Gleichzeitig entwickeln sich paralytische Sym- ptome; bevor sie sich aber noch vollkommen ausbilden, sinkt die Herzthätigkeit wieder, wird unregelmässig, ausbleibend, partiell und endlich ganz unmerklich; das Herz erschlafft und 1) Endermatisch als Sedativum ist das deutsche Aconifin auch ge- prüft und erfolglos gefunden. _ 280 D. Achscharumow: wird vom Blute, das nicht mehr ausgedrängt werden kann, aus- gedehnt. Es stagnirt in allen Theilen des Körpers, und dadurch wird ein Mangel an Sauerstoff in allen Geweben erzeugt. Dieser Mangel in dem Gehirne bei warmblütigen Thieren äussert sich durch Convulsionen, und bald darauf stirbt das Thier asphyk- tisch. Bei diesen grösseren Dosen erfahren wir am deutlichsten, dass der Tod nicht vom Mangel der Respiration, in Folge der Lähmung der Athemmuskeln, sondern vom Stillstande des Her- zens erzeugt wird, bevor noch die Muskellähmungs-Erscheinun- gen sich vollständig entwickelt haben. (Bei der künstlichen Athmung kann auch das Thier vom Mangel der Respiration nicht so rasch sterben.) Bei mittleren und kleineren Dosen ( 0,05— 0,01 unter die Haut) haben wir folgende Symptomenreihe: Speichelfluss, er- schwertes Athmen, leichte cyanotische Erscheinungen, Verlang- samung der Herzschläge, Sinken der Temperatur, paretische Extremitäten. Erholt sich das Thier, so bleibt es ruhig einige Zeit, wie schlummernd, dann fängt es wieder an sich zu bewe- gen, und nach 2—4 Stunden kehrt vollkommenes Wohlbefinden zurück. Bei tödtlich verlaufenden Fällen werden die paralyti- schen Symptome immer bedeutender; halbgelähmte Glieder be- wegen sich kaum, der Gang ist schwankend, Beine schleppend, die Augen halb geschlossen, der Kopf wird nicht mehr aufrecht gehalten, die Respirations- und Herzstörungen nehmen zu. Das Thier liegt platt auf dem Bauche oder auf der Seite: dann er- folgen einige klonische Krämpfe (selten, wenn die Paralyse zu stark ist, bleiben sie ganz aus). Wird die Vergiftung vom Magen aus bewirkt, so kommen gewöhnlich noch starke Vomituritionen vor, und durch das Er- brechen kann das Gift entfernt werden. Gaben. Im Allgemeinen muss die Wirkung durch den Magen als zehnfach schwächere und langsamere betrachtet wer- den, als die durch die Haut. Frösche sterben von den Dosen 0,01 unter die Haut nach ungefähr 1!/, Stunden, von 0,001 nach 5 Tagen. Kaninchen: 0,05 unter die Haut, Tod nach ungefähr 30’. Tauben: 0,01 unter die Haut, Tod nach ungefähr 30‘. Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 28] Nach dieser Darlegung fasse ich die Resultate der Unter- suchungen in folgenden Sätzen zusammen: 1) Der Tod ist asphyktisch und zwar von der Lähmung des Herzens, indem die motorischen Ganglien des Herzens selbst paralysirt werden. 2) Es erfolgt vom Gifte zuerst Reizung der Med. oblongata, die den Vagis mitgetheilt wird. 3) Die N. vagi werden von der fortwährenden Reizung end- lich unwirksam, gelähmt. 4) Es entwickelt sich Lähmung sämmtlicher cerebro-spinalen motorischen Nerven, aber indem sie sich ausbildet, werden die motorischen Centren der Herzsubstanz gelähmt und das Herz zum Stillstande gebracht. Die peripherischen Nervenen- digungen und Nervenstämme werden endlich ganz gelähmt und dadurch alle willkürlichen Bewegungen aufgehoben. Die Mus- kelsubstanz selbst ist unbeschädigt. 5) Die Reflexfunctionen des Rückenmarks und die Leitungs- fähigkeit sensibler Fasern bleiben unversehrt. Die Empfind- lichkeit wird nicht verloren. 6) Der Halsstamm des N. sympathicus ist wahrscheinlich in einem gereizten Zustande. 7) Das Aconitin wirkt rasch herabsetzend auf die Tempe- ratur des Körpers und auf den Blutdruck. 8) Das Gehirn bleibt ungetrübt. 9) Local auf die Pupille wirkt das Aconitin nicht. 10) Durch die Haut und auf die Haut wirkt das Aconitin nicht. Auf die Schleimhäute wirkt es reizend, Röthe und Ex- travasate bildend. In therapeutischer Hinsicht muss bemerkt werden: 1) Das deutsche Aconitin ist ganz unwirksam durch und auf die äussere Haut. 2) Es muss gar nicht als ein sedatives Mittel gebraucht werden, und sein äusserlicher Gebrauch bei Prosopal- gien, Ischias u. s. w. ist zu verwerfen. 3) Es ist keine Ur- sache, es als Diureticum oder Diaphoreticum zu betrachten. 4) Es kann gebraucht werden innerlich und mit gutem Erfolge: a) bei allen krankhaften Zuständen, wo die Temperatur des Körpers, die Herzthätigkeit und den Blutdruck herabzusetzen 282 D. Achscharumow: wünschenswerth ist: bei einfachen oder consecutiven Herzhy- pertrophien, bei Hirnhyperämien, bei drohender oder geschehe- ner Gehirnapoplexie, zur Verhütung eines neueren Anfalls; fer- ner im Allgemeinen bei starken Hämorrhagien. b) Als andere richtige Indication zu seiner Anwendung müssen alle Zustände, wo die willkürlichen Muskeln zu beweglich oder gespannt sind, betrachtet werden: Convulsionen verschiedener Art, klonische Krämpfe, Tetanus, Eclampsie, auch als ein symptomatisches aber entschieden rettendes Mittel. Bei Apoplexien und gefähr- lichen Convulsionen, wo die Hülfe rasch geschehen muss, rathe ich vorzugsweise die subeutane Injection des Aconitins und zwar zu 1—1!/, Cgrm. unter die Haut, — es wirkt schon nach einer Minute. c) Im Allgemeinen über die Gaben und Form, in welcher das Mittel am besten gereicht werden kann, muss ich folgende Bemerkungen hinstellen: Das kleine Thier, das Kaninchen, bleibt unbeschädigt von 0,01 unter die Haut und 0,1 in den Magen, also könnten wohl diese Dosen einem erwachsenen Men- . schen gereicht werden; doch weil noch so viele und verschie- dene Aconitinpräparate bis jetzt vorkommen, ist in jedem Falle die grösste Vorsicht nothwendig, und wo die Gefahr nicht dringend ist, rathe ich erst mit kleineren Dosen einen Versuch zumachen. Im Falle der Vergiftung schlage ich als Antidota alle die Herzthätigkeit befördernden Mittel und dabei Strychnin (Nux vomica) vor. Ich ziehe entschieden der innerlichen Darreichung die ein- oder zweimal tägliche subceutane Injection vor. Sie wirkt rasch und sicher auf den allgemeinen Zustand des Kör- pers und kann in die kleinsten Dosen getheilt werden, während die innerliche Darreichung durch den Magen ein lästiges Auf- stossen, starke Vomituritionen und Erbrechen zur Folge hat und dadurch das Mittel entfernt und seine Wirkung verloren wird. Das beste Vehiculum ist Wasser mit Zusatz einiger Tropfen Schwefel- oder Salzsäure, bis das Aconitin vollständig gelöst ist. Alles hier Geschriebene bezieht sich nur auf das deutsche Aconitin. Von der Wirkung anderer Aconitinpräparate haben wir zu wenig eigene Beobachtungen, um darüber urtbeilen zu Untersuchungen über die toxicologischen Eigenschaften u. s. w. 983 können. Wir sind nicht der Meinung Derjenigen, die mit Si- cherheit behaupten wollen, dass das Aconitin der einzige und alleinwirkende Stoff in der Pflanze ist, im Gegentheile viele Ursachen veranlassen uns anzunehmen, dass darin auch andere, uns wenig bekannte Substanzen zusammen vereinigt sind. Aus den neuesten Zeitungen erfahren wir, dass noch ein neues Alkaloid aus der Aconitwurzel isolirt erhalten ist. Das neue Prineip ist von seinen Erfindern T. und H. Smith Aconellin genannt (Journ. de chim. med. 4. Ser., X., p. 545, Oct. 1864.). Berlin, den 8. Februar 1866. 284 H. Meyer: Ueber das neue, von Herrn Dr. Jagor aus Malacca mitgebrachte Gift. (Briefliche Mittheilung an Prof. du Bois-Reymond.) Von Prof. HERMANN MEYER. m———n Zürich, 31. März 1866. In dem letzten Jahrgange Ihres Archives, 1865, S. 601 u, f. findet sich ein Bericht über Versuche, welche Herr Dr. Rosen- thal unter Ihrer Theilnahme über ein neues Gift Gita-Kayas angestellt hat. . Es stellten sich nach diesem Berichte in den Vergiftungserscheinungen Verschiedenheiten heraus, welche zu der Meinung führten, „dass das hier in Rede stehende Gift ein Gemenge eines Herzgiftes mit einem anderen strychninähnlich wirkenden Gifte darstellt* (S. 608). Ich glaube Ihnen die scheinbaren Widersprüche in der Wir- kung des Giftes lösen zu können, ohne eine solche Annahme aufzustellen, indem ich Sie auf die von mir veröffentlichten Versuche über Blausäurevergiftung (Arch. f. physiol. Heilkunde vonRoser und Wunderlich, Jahrg. II. 1843, S. 249) hinweise. Ich habe nämlich in den dort mitgetheilten Versuchen nach- gewiesen, dass die Blausäure in doppelter Weise tödtlich wer- den kann, in schneller und in langsamer. In Bezug auf die schnelle Tödtung ist durch Versuche an kaltblütigen und an warmblütigen Thieren gezeigi, dass sie nicht nach der gewöhnlichen Annahme durch unmittelbare Einwirkung auf das Nervensystem zu Stande kommt, sondern dass sie ein Erstickungstod durch Herzlähmung ist. Die von mir beobach- teten Erscheinungen sind den S. 605 beschriebenen, die Zeit- dauer abgerechnet, auffallend ähnlich. Sie finden dort auch Ueber das neue, von Dr. Jagor aus Malacca mitgebrachte Gift. 285 vergleichende Versuche mit Tödtung durch Abbinden der gros- sen Gefässstämme an dem Herzen, wodurch der Einfluss der Herzlähmung auf den Blutumlauf nachgeahmt wurde. Die langsame Tödtung tritt ein, wenn die Blausäure in klei- nen Dosen gegeben wird, welche nicht genügen, eine Herzläh- mung schnell tödtenden Grades zu Stande zu bringen. Ich habe für den Zweck, dieses zu erzielen, die Blausäure stark mit Was- ser verdünnt und in wiederholten kleinen Gaben in Zwischen- räumen von einigen Minuten gegeben. Bei dieser Anwendung sah ich, gerade so wie es S. 608 beschrieben ist, neben gerin- geren Erscheinungen der Herzlähmung den ausgesprochensten Tetanus auftreten, welcher sich von dem durch Strychnin er- zeugten Tetanus kaum unterschied. Ich erhielt dieses Ergebniss ebensowohl bei kaltblütigen als bei warmblütigen Thieren. Ich musste deshalb die Blausäure in ihrer eigentlichen Ein- wirkung auf den ganzen Organismus dem Strychnin gleich stel- len, und musste anerkennen, dass in der schnellen Tödtung we- gen der örtlichen Einwirkung des Giftes auf das Herz dieser eigentlichen Einwirkung nicht Zeit gegeben sei, hervorzutreten. Wenn wir nun bei der Blausäure, welche doch unzweifelhaft nicht ein Gemenge ist, je nach der Anwendungsweise eine ver- schiedene Wirkung hervortreten sehen, so darf man auch versu- chen, bei dem in den Wirkungen so ähnlichen Gifte Gita-Kayas aus der Verschiedenheit der Anwendungsweise die Verschieden- heit der Vergiftungserscheinungen abzuleiten, ehe man eine Men- gung desselben aus verschiedenen Bestandtheilen annimmt. Ich finde nun, dass diejenigen Versuche, in welchen das Gift Gita-Kayas schnellere Tödtung durch Herzlähmung erzeugte, mit neuen Präparaten angestellt waren, während die älteren Präpa- rate Tetanus erzeugten. Dürfte da nicht angenommen werden, dass die älteren Präparate, schon theilweise verdorben, als klei- nere Dosen wirkten und deshalb die eigentliche tetanisirende Giftwirkung zum Vorschein brachten, während die neueren kräftigeren Präparate die örtlichen Herzerscheinungen in tödten- dem Grade hervorriefen? Versuche mit kleineren Dosen der neueren: Präparate und grösseren der älteren müssten die Rich- tigkeit dieser Auffassung zu prüfen im: Stande sein. 286 C. B. Reichert: Bemerkungen zu M. Schultze’s Journal-Artikel: Reichert und die Gromien. (Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. II., Heft 1, S. 140.) Von C. B. REICHERT. Die in diesem Archive (Heft 6, 1865) abgedruckten „Ergeb- nisse aus den (der Akademie) mitgetheilten Beobachtungen über die morphologische Beschaffenheit und über die Bewegungserschei- nungen der contractilen Substanz bei den Polythalamien (Gromia oviformis)“ haben M.Schultze angeblich zu dem oben bezeich- neten Journal-Artikel Veranlassung gegeben. Derselbe enthält nichts Sachliches, was mich bestimmen könnte, bei den hier abge- druckten „Ergebnissen“ oder bei meinen später zu veröffentlichen- den vollständigen Untersuchungen irgend eine Veränderung oder auch nur eine Anmerkung anzubringen. M. Schultze und ich, wir stehen noch immer auf dem alten Siandpunkte zu einander; es ist jener Standpunkt, der mir zu wiederholten Malen die Er- klärung abnöthigte, sein Verfahren und sein journalistisches Ge- bahren machen es mir leider unmöglich, mit ihm auf wissenschaft- liche Discussionen mich einzulassen. Bei seiner grossen Aufre- gung schwelgt M. Schultze in rein persönlicher Polemik mit den gewöhnlichen Agitationsmitteln; — die thatsächlichen An- gaben dagegen, welche unsere Oontroverse herbeigeführt haben, sind von ihm, obschon ich dieselben wiederholt gerade für ihn. mit gesperrten Lettern habe drucken lassen, auch gegenwärtig noch gar nicht erfasst. Sonst sagt man wohl, das Verständniss wird kommen, wenn auch spät, vielleicht zu spät; ich darf dar- Bemerkungen zu M. Schultze’s Journal-Artikel u. s. w. 287 auf nicht mehr rechnen, ich habe nicht einmal die Hoffnung, dass sein Freund Häckel ihm dabei behülflich sein werde; sachliche Erörterungen werden demnach zwischen uns voraus- sichtlich nicht stattfinden. Für die Leser des Archives muss ich indess, um Missver- ständnissen zu begegnen, folgende Bemerkungen hinzufügen. M. Schultze liebt es in seinem Eifer, meinen Worten allerlei Hintergedanken unterzuschieben. ‘Mir sind dergleichen Hinter- gedanken völlig fremd gewesen. Nach wie vor erkläre ich daher: 1) dass das, was man die „Körnchenbewegung“* an den Scheinfüssen der Polythalamien nennt, nichts Anderes als eine Contractions-Wellenbewegung ist, und dass die hier- bei als Körnchen gedeuteten mikroskopischen Bilder nicht wirkliche Körnchen, sondern Contractionswellen sind; 2) dass ich in meiner Abhandlung bei dem Gebrauche des herkömmlichen Ausdrucks „Körnchenbewegung“, auch wenn der Kürze wegen das Wort „scheinbare“ nicht hin- zugesetzt ist, stets die Contractions- Wellenbewegung im Sinne habe und an wirkliche Körnchen niemals denke; und 3) dass meine Angabe, es kämen wirkliche Körnchen in der contractilen Substanz anderer niederer wirbelloser Thiere vor, so zu nehmen ist, wie es die Worte aussagen, dass mir also nach wie vor wirkliche Körnchen in der die Scheinfüsse bildenden contractilen Rindenschicht der Po- lythalamien nicht bekannt sind, und dass dieselben, wenn sie irgendwo auch bei Polythalamien vorkommen sollten, selbstverstähdlich mit der „Körnchenbewegung* Nichts zu thun haben. ’ 288 H. Meyer: Geschichtliche Bemerkungen u. s. w. Geschichtliche Bemerkungen zu Dr. H. Landois Aufsatz: „Ueber die Entwickelung der büschelför- migen Spermatozoen bei den Lepidopteren“, im 1. Hefte dieses Jahrganges, $. 50. Von H. MEYER in Zürich. Der Name „corps reniforme*, „nierenförmiges Körperchen“, ist bereits von Lyonnet für die ihm bekannte Anlage des Ho- dens von Cossus ligniperda gebraucht und kann daher nicht Herold zugeschrieben werden. Herold ist zwar der Meinung gewesen, Lyonnet habe Eierstöcke der Raupen und nicht Ho- den beschrieben. In meiner Abhandlung „Ueber die Entwicke- lung des Fettkörpers, der Tracheen und der keimbereitenden Geschlechtstheile bei den Lepidopteren* (Siebold’s und Köl- liker’s Zeitschrift, Bd. L., S. 175) habe ich indess darauf hin- gewiesen, dass diese Ansicht mit Rücksicht auf die Fig. 2 u. 3 der Taf. 12 gegebenen Zeichnungen sich nicht rechtfertigen lasse, Meine bereits 1849 mitgetheilten Untersuchungen haben im We- sentlichen zu gleichen Ergebnissen wie diejenigen des Dr. Lan- dois geführt, was demselben, da hauptsächlich Herold ’s Schrift „Entwickelungsgeschichte der Schmetterlinge“ berücksichtigt wurde, entgangen zu sein scheint. F. Czajewicz: .Mikroskopische Untersuchungen u. s. w. 989 # Mikroskopische Untersuchungen über die Textur, Entwickelung, Kückbildung und Lebensfähigkeit des Fettgewebes. ') Von Dr. F. CzZAJEwICZ in ‚Warschau. m (Hierzu Taf. IX. A.) Das Fettgewebe ist gleich den übrigen Geweben des mensch- lichen Körpers bereits von den früheren Anatomen einer ge- naueren Untersuchung gewürdigt worden. Ausser Malpighi, Zahn, Leeuwenhoeck, Swammerdamm, Havers und anderen Forschern des 17. Jahrhunderts haben auch viele Ana- tomen im. 18. Jahrhundert, wie z. B. Albinus, Winslow, Morgagni, Haller, Hunter u. A., vorzüglich aber Fon- tana, Grützmacher, Wolf und am meisten Monro, sowohl dem sogenannten Zellgewebe überhaupt, als auch insbesondere dem Fettgewebe ihre specielle Aufmerksamkeit gewidmet. Die Beschreibungen der älteren Forscher beziehen sich indessen mehr auf die makroskopische Beschaffenheit des Fettgewebes; denn ® 1) Die vorliegende Arbeit bildet ihrem wesentlichen Theile nach einen besonderen Abschnitt in einer grösseren in polnischer Sprache abgefassten gediegenen Abhandlung des Verfassers „über das Fett- gewebe und seine physiologische Bedeutung“; sie ist in’s Deutsche übertragen durch H. Hoyer, welcher Gelegenheit gehabt hat, alle darin mitgetheilten Beobachtungen selbst zu prüfen und zu bestätigen. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 19 290 F. Özajewiez:: wenn man sich bei den Untersuchungen auch mehrfach des Mikroskopes bediente, so kam man darum der Wahrheit den- noch nicht viel näher. Demgewäss waren auch die Ansichten über die Textur des Fettgewebes sehr verschieden: während die einen Forscher annahmen, dass dieser Körperbestandtheil ge- bildet werde durch Ablagerung von Fett innerhalb der Lücken oder Maschenräume des Zellgewebes, über dessen wahre Zu- sammensetzung man sich die mannigfachsten Vorstellungen machte, so vermutheten Andere, dass das Fett in eigenthümli- chen geschlossenen Bläschen enthalten sei, welche längs der im Zellgewebe verlaufenden Gefässe ähnlich den Beeren einer Traube angeordnet wären. — Am Anfange des 19. Jahrhunderts waren diese Ansichten theilweise noch unverändert; so nimmt z. B. Bichat!) noch an,’ dass das Fettgewebe sich bilde durch einfache Ansammlung von Fett in den freien Zwischenräumen zwischen den Blättern oder in den mit blossem Auge schon wahrnehmbaren sogenannten Zellen des Zeligewebes. Die spä- teren Forscher hingegen hesten sowohl in Betreff der Textur des Bindegewebes, als auch des zu demselben in nächster Be- ziehung stehenden Fettgewebes die eigenthümlichsten Ansich- ten, deren speciellere Analyse uns jedoch hier einerseits zu weit vom Ziele abführen würde, und andererseits auch zu: wenig Interesse bietet, weil diese Ansichten im Ganzen sehr wenig mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Erst seit den Untersu- chungen des Fettgewebes durch Krause?) und Jordan?) nä- herten sich die Anschauungen wieder mehr der Wahrheit; trotz- dem war man anfangs noch nicht ganz sicher, ob die in das Zellgewebe eingelagerten Fetttropfen mit eigenen Membranen versehen seien oder nicht, und als man sich von deren Gegen- wart überzeugt hatte, so glaubte man doch noch, dieselben be- ständen aus Fasern des Zellgewebes (Valentin‘)), bis Gurlt?) 1) Anatomie generale 1801, troisieme edition 1821, p. 100, 135. 2) Krause, Handbuch der menschlichen Anatomie, 1833. 3) Jordan, De tunicae dartos textu cum alis comparato, 1834. 4) Valentin, Hecker’s Annalen, 1835. 7) Gurlt, Lehrbuch der vergleichenden Physiologie der Haus- säugethiere, 1837. Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 929] endlich zuerst bestimmt nachwies, dass diese Membran ganz structurlos sei. / Indessen war es Schwann vorbehalten, bei der Begründung seiner berühmten Lehre von der Entstehung der Gewebe des thierischen Körpers aus Zellen!) gleichzeitig auch die wahre Zusammensetzung des Fettgewebes aus gleichen Formelementen nachzuweisen. Er hat zuerst gezeigt, dass das Fettbläschen eine wahre Zelle sei, indem er das Fettgewebe sowohl beim menschlichen Fötus, als auch insbesondere bei jungen Fischen (Plötzen) untersuchte;_er wies an den einzelnen Zellen deutlich eine Membran nach, welche den Fetttropfen dicht umschloss, sowie auch einen mit Kernkörperchen versehenen Kern, welcher gewöhnlich seitlich gelagert war und zuweilen den Contour der Zelle hügelförmig hervorwölbte. Schwann fand in einem Falle die Membran der Zelle fast so dick, als ein menschliches Blut- körperchen breit ist. Die Entwickelung des Fettgewebes war diesem Forscher jedoch noch unbekannt; er erwähnt in dieser Beziehung nur die im Zellgewebe des Fötus vorkommenden Gruppen von grossen, rundlichen, blassen Zellen, welche wahr- scheinlich weiterhin in Fettzellen sich umwandeln. In Bezug auf die Rückbildung des Fettgewebes beruft sich Schwann auf ein noch von Gurlt beobachtetes Factum, dass nämlich bei abgemagerten Personen die Zellen desselben mit Serum anstatt mit Fett angefüllt seien; doch hat noch vor letzterem bereits Hunter die Beobachtung gemacht, dass beim Schwund des Fettes die Bläschen selbst nicht mit zu Grunde gehen.?) Seit Schwann haben nur wenige Forscher sich specieller mit dem Fettgewebe befasst. Henle°) weist bei seinen Unter- suchungen der Fettzellen auf die Schwierigkeiten hin, welche sich dem Nachweise einer besonderen Membran an diesen Ge- bilden entgegenstellen; „denn wenn man auch um den dunklen Contour der Fettzelle noch einen schmalen hellen Raum be- 1) Schwann, Mikroskopische Untersuchungen über die Ueberein- stimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflan- zen, 1839, S. 144. 2) Henle, Allgemeine Anatomie, 1841, S. 397. 3) Ebendaselbst, S. 392. 192 292 F. Czajewicz: merke, so sei es”doch nicht möglich, sich zu versichern, dass dieser nicht das Resultat einer optischen Täuschung sei.“ In- dem er aber die Fettzellen in Aether macerirte, gelang es ihm, die durchsichtigen structurlosen Hüllen derselben ganz in der Form und Grösse der ursprünglichen unversehrten Gebilde und frei von Fett darzustellen. Auch fand derselbe Autor im Fett- gewebe. einer wassersüchtigen Leiche deutliche granulirte, mit einer wirklichen Membran versehene Gebilde, in welchen der grössere Fetttropfen von einem Haufen kleinerer Fettkügelchen umgeben war. Die Entwickelung des Fettgewebes ist für Henle noch nicht ganz deutlich; er giebt zwar die Möglichkeit einer Bildung der Fettzellen um den „Cytoblasten* herum zu, doch sei es nicht unmöglich, dass „die Zelle sich direct um die kleineren Fettbläschen anlege.* Er hält es ferner für denk- bar, dass bei Abmagerung, z. B. in Folge von heftigen Fiebern, die Zellen gänzlich zerstört werden, indem die Membran sich auflöse und das Fett resorbirt werde. Indem wir die Beschreibung des Fettgewebes durch andere Forscher, welche nichts wesentlich Neues bringen, hier über- gehen, so können wir doch nicht umhin hervorzuheben, dass Kölliker!) bei in Folge gewisser pathologischer Zustände ab- gemagerten Individuen eigenthümliche Formen der Fettzellen beobachtet hat, in welchen man eine Membran nebst Kern deutlich unterscheiden konnte, und wo der Inhalt in gleichem Maasse, als das Fett aus den Zellen verschwand, durch seröse Flüssigkeit ersetzt wurde, — eine Beobachtung, welche im We- sentlichen durch Reichert?) an dem sogenannten Fettorgan der Frösche und Tritonen bestätigt worden ist. Virchow erklärt in seiner Cellularpathologie (1858, S. 291) das Fettgewebe für eine besondere Modification des Bindege- webes, denn wenn das Fett aus den Zellen verschwinde, so habe man das ursprüngliche Binde- oder Schleimgewebe wieder vor sich. „Das Fett erfüllt“, nach der Ansicht von Virchow, „den inneren Raum der Zelle so vollständig, die Membran sei 1) Kölliker, Handb. d. Gewebelehre d. Menschen, 1859, S. 103. 2) Schlossberger, Die Chemie der Gewebe, 1856, S. 142. Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 293 so ausserordentlich dünn, zart und gespannt, dass man gewöhn- lich Nichts weiter sieht, als die Fetttropfen, und dass bis in die neueste Zeit noch immer darüber discutirt worden ist, ob dies wirklich Zellen seien.* „Es ist“, fährt er fort, „in der That sehr schwer, sich davon deutlich zu überzeugen, allein wir haben sehr schöne Hülfsmittel in dem Verlaufe natürlicher Processe. Wenn Jemand mager wird, so schwindet das Fett allmählich und die Membran verliert von ihrer Spannung, ist nicht mehr so dünn und zart und tritt um so deutlicher hervor, zuweilen deutlich vom Fetttropfen abgesetzt, sogar mit erkennbarem Kerne versehen. Es ist hier also eine wirkliche vollständige Zelle mit Kern und Membran, wo aber der Inhalt fast ganz und gar durch das aufgenommene Fett verdrängt worden ist.“ Was die Entwickelung des Fettgewebes anbetrifft, so beob- achtete Virchow!) bereits früher in einem Falle von progres- siver Muskelatrophie Fettzellen, welche seiner Ansicht nach un- zweifelhaft aus Bindegewebskörperchen hervorgegangen sind. „Ich fand nämlich“, sagt er, „Bindegewebsbündel mit spindel- förmigen, sehr schmalen Körperchen, die häufig an ihren Enden zusammenhingen. Dicht daneben lagen ganz ähnliche, nur etwas breitere und mit feinsten Fettkörnchen erfüllte Spindel- zellen, die allmählich grösser wurden, sich mehr abrundeten und endlich in grosse, ovale Zellen übergingen, die neben fei- neren schon etwas gröbere Fetttropfen enthielten. Endlich ka- men ausgesprochene Fettzellen, die sich von den gewöhnlichen nur dadurch unterschieden, dass sie neben einen grossen Fett- tropfen noch viele kleinere enthielten und dass sie keine voll- ständig runde Form hatten, sondern meist einen in der Gegend des grossen Tropfens rundlichen Körper, der in, einen dünne- ren, bald abgeschnürten, bald mit einer anderen ähnlichen Bil- dung anastomosirenden Hals überging.“ Bei Besprechung der Textur von Lipomen hebt derselbe Autor?) hervor, dass diese Gebilde „nicht blosse Hypertrophien sind, dass nicht blos die präexistirenden Fettzellen sich ver- 1) Virchow's Archiv, Bd. VIII, 1855, S. 538. 2) Virchow, die krankhaften Geschwülste, 1863, Bd, I., 8. 369, 294 F. Czajewicz: grössern, sondern dass eine wirkliche Neubildung die Grundlage wird. Es sind in der That Wucherungsprocesse, welche den Vorgang einleiten, und es müssen neben den alten Fettzellen neue Zellen, neben den vorhandenen Fettlappen neue Lappen sich bilden.“ „Diese Neubildung“, fährt er fort, „geht zum Theil von den Fettzellen selbst aus, zum Theil von dem be- nachbarten Bindegewebe, in welchem sich ein Reizungszustand entwickelt. In Folge dessen nimmt die Zahl der zelligen Ele- mente gruppenweise zu, und in diese Elemente geschieht die Fettablagerung, wie bei der fötalen Entwickelung. Das fötale Fettgewebe entsteht aus Schleimgewebe ; die Elemente des Schleimgewebes wuchern, und wenn man einen Fötus aus jün- geren Zeiten untersucht, so findet man an Stellen, wo nachher Fettläppchen liegen, nichts Anderes, als Gruppen von kleinen runden Zellen. Ein solcher Haufen geht hervor aus einer ur- sprünglichen Schleimzelle. In diese Zellen lagert sich das Fett zuerst in kleineren, dann in grösseren Tropfen ab, diese fliessen zusammen und nach einer gewissen Zeit findet man die einzel- nen Zellen vergrössert und mit Fett vollständig gefüllt. Jeder einzelne Fettlappen entspricht also genetisch einer einzigen Zelle, er ist das Product einer proliferirenden Zelle.“ Indem Virchow ferner beim Embryo das Schleimgewebe vorzugsweise an denjenigen Orten auftreten sieht, wo späterhin Fettgewebe vorgefunden wird, so schliesst er daraus, dass es keineswegs als Vorstufe zum Bindegewebe oder als sogenanntes „unreifes Bin- degewebe* zu betrachten sei, sondern man könnte es eher noch als „unreifes Fettgewebe“ bezeichnen. — Ferner behauptet die- ser Forscher!), „dass ebenso wie Schleimgewebe sich zu Fett- gewebe umbildet, auch ohne besondere Krankheit das Fettge- webe sich wiederum in Schleimgewebe zurückbildet, dass also das Fettgewebe geradezu wieder Schleimgewebe wird. Das ge- schieht im Laufe vieler einfachen Abmagerungszustände, zu- weilen in so grosser Ausdehnung, dass man die gallertartigen Massen dieses Gewebes wie eine lose Schleimlage antrifft.“ Er ° zieht hierbei den Schluss, „dass Schleimgewebe und Fettgewebe 4) Ebendaselbst, S. 399. Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 295 Parallelzustände desselben Gewebes sind, welches sich je nach Umständen in der einen oder in der anderen Form darstellt.“ Wittich') fand in einem Falle von Muskelatrophie in dem die noch normal ‘gebliebenen Muskelmassen durchziehenden lockeren Bindegewebe alle Uebergangsstufen normaler Binde- gewebszellen zu Fettzellen. „Man sah sie sich allmählich mit kleineren und grösseren Fetttröpfchen füllen, die anfangs von einander geschieden , dann mit einander confluirtew, mehr und mehr die anfangs spindel- oder strahlenförmigen Zellen aus- dehnten, bis sie grosse runde, nur noch mit einzelnen spitzigen Hervorragungen besetzte Zellen »bildeten, die schliesslich sich vollkommen: abrundeten. Gleichzeitig schwindet dann auch der Zellenkern und wir haben vollkommen jene uns bekannte Fett- zelle.“ Förster?) endlich, welcher die die Entwickelung. des Fett- gewebes betreffenden Untersuchungen als eine der mühseligsten histologischen Arbeiten bezeichnet, hat mehrfach Gelegenheit gehabt, durch Untersuchung von atrophischen Muskeln, von Li- pomen, sowie von einem schleimigen Sarkom mit eingestreuten Knoten von Fettgewebe, die Beobachtungen von Virchow und Wittich über die Entwickelung des Fettgewebes aus spindel- und sternförmigen Bindegewebszellen vollkommen zu: bestätigen. Bei Gelegenheit der Besprechung der Neubildung von Fettge- webe sagt Förster an einem anderen Orte?): „Die Entwicke- lung desselben geht theils von den physiologischen Fettzellen, theils vom. Bindegewebe aus, Bei der mikroskopischen Unter- suchung von atrophischen Organen, in denen Fettwucherung stattfindet, sieht man neben vollständig abgeschlossenen, fertigen Fettzellen solehe, welche in der Mitte eine flache oder tiefe Einschnürung haben, und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass dies Fettzellen sind, welche sich durch Theilung vermehren 1) Wittich, Bindegewebs-, Fett- und Pigmentzellen. Virchow’s Archiv,,Bd, IX, 1859, S. 195. 2) Förster, Ueber die Bildung von Pigment und Fett in den Bindegewebszellen. Virchow’s Archiv, 1857, Bd. XII., S. 203. 3) Förster, Handbuch der pathologischen Anatomie, 1865, 4. Lief,, S. 234. | 296 F, Czajewicz: und so die Grundlage von Fettwucherung bilden. Häufiger, wenn auch im Ganzen selten genug, kann man bei hypertro- phischer Fettwucherung, bei fettiger Entartung und in Lipomen die Entwickelung von Fettzellen aus Bindegewebszellen verfol- gen, wie dies zuerst von Virchow und später von mir nach- gewiesen wurde.“ | Dies sind die Resultate aller bis jetzt bekannt gewordenen mikroskopischen Untersuchungen über das Fettgewebe. ee Indem ich nun im Verfolge einer umfassenderen Arbeit „über das Fettgewebe und seine physiologische. Bedeutung“ es mir zur Aufgabe gemacht hatte, über die Textur, Entwicke- lung, Rückbildung und Lebensfähigkeit des Fettgewe- bes durch eigene Forschung mir eine klare Anschauung und selbständige Ueberzeugung zu verschaffen, so unternahm ich im physiologischen Laboratorium der hiesigen Hochschule eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die, wenn auch mit gewissen Schwierigkeiten verknüpft, nach längeren Bemü- hungen endlich dennoch mich zum gewünschten Ziele haben gelangen lassen. Der Weg, welchen meine Untersuchungen einzuschlagen hatten, war bereits gebahnt durch die auf das Fettgewebe be- züglichen älteren Arbeiten bedeutender Forscher; es fiel mir daher nicht schwer, dasjenige zu bestätigen oder näher zu be- leuchten, was dem wesentlichen Theile nach bereits bekannt war. Daneben darf ich es aber auch nicht unerwähnt lassen, dass durch die Untersuchungen des Prof. Hoyer über das Bindegewebe!) die Erlangung einer klaren Vorstellung von der Textur und der Entwickelung des Fettgewebes mir wesentlich erleichtert worden ist. Die zuvörderst zu lösende Aufgabe betraf den Nachweis einer wirklich zelligen Textur des Fettgewebes; ich un- tersuchte zu diesem Zwecke dasselbe bei verschiedenen Thieren 1) Hoyer, Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. Dieses Archiv, 1865, 8. 204—245, Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 9297 und zwar beim Hunde, der Katze, dem Schweine, dem Kalbe, bei Kaninchen, verschiedenen Vögeln, Fröschen, Tritonen, Fi- schen und beim Menschen. Bei diesen Beobachtungen bediente ich mich eines vortrefflichen Hartnack’schen Mikroskopes mit dem Immersionssystem Nr. 9, welches mir durch die Deutlich- keit und Schärfe der Bilder: in vielfacher Beziehung ausgezeich- nete Dienste geleistet hat. Vor Allem muss ich hier hervorheben, dass ich fast sämmt- liche zur histologischen Untersuchung bestimmten Präparate unverzüglich nach Tödtung der Thiere angefertigt habe, somit bildete nur ganz frisches Fettgewebe das Object der Un- tersuchungen. Ich habe mich nämlich zu wiederholten Malen überzeugt, dass man nur an derartigen Präparaten die subtil- sten Texturverhältnisse deutlich wahrzunehmen vermöge und dass letztere binnen sehr kurzer Zeit nach dem Tode völlig verwischt werden. Aus der Ansicht von Präparaten, welche erst im Verlaufe einiger Stunden nach dem erfolgten Tode des Thieres angefertigt wurden, liessen sich niemals sichere Schlüsse ziehen über den wahren Sachverhalt, denn die zarten Formbe- standtheile der zur Untersuchung benutzten Gewebe waren wäh- rend dieser Zeit bereits oft bis zur Unkenntlichkeit verändert. Beim Menschen , Hunde, Schweine, Kalbe erscheint unter normalen Lebensverhältnissen das Fettgewebe als zusammenge- setzt aus scharf contourirten, mit einem eigenthümlichen Glanze versehenen Kugeln, welche gruppenweise in das umgebende Bindegewebe eingestreut sind. Die Wahrnehmung einer geson- derten Membran und eines deutlichen Zellenkernes an diesen kugeligen Gebilden ist ausserordentlich schwierig und unsicher, da die, wie wir unten sehen werden, wirklich zelligen Cha- rakter besitzenden Bläschen gewöhnlich vollkommen mit Fett ausgefüllt sind. Geht man indessen zu anderen Thieren über, so findet man, dass die die Untersuchung beeinträchtigenden Uebelstände viel geringer sind, als wie dies im ersten Augen- blicke den Anschein hat, und hätte man früher in dieser Rich- tung genauere Untersuchungen angestellt, so würde man schon längst gefunden haben, dass ausser den bereits durch Schwann bekannten Plötzen auch noch manche andere Thiere ein Fett- 298 F. Czajewiez: gewebe besitzen, in welchem bei sämmtlichen Formelementen der zellige Charakter auf das Schönste und Unzweideutigste zu Tage tritt. Zur Erkennung der einzelnen Zellenbestandtheile bedarf es keiner Reagentien, indem in ganz frischen und ohne Zusatz von Wasser untersuchten Geweben die einzelnen Theile der Zellen auf das Deutlichste sich erkennen lassen; ist dage- gen das umgebende Bindegewebe bereits ein wenig getrübt, so bedarf es einer Aufhellung des letzteren durch einen geringen Zusatz von Essigsäure. Untersucht man nun auf eine solche Weise das Fettgewebe bei einem mässig gut genährten Kaninchen, so findet man, dass die Zellen desselben nicht völlig mit Fett ausgefüllt sind; ın Folge dessen lassen sich an der Zelle Membran, Kern und Zellinhalt auf das Deutlichste und gesondert wahrnehmen. Zur Erlangung klarer Bilder bemühte ich mich, das Fettgewebe an solchen Stellen aufzusuchen, wo dasselbe eine möglichst dünne, d. h. einschichtige Lage bildet, was mir stets an dem Gekröse des Dünndarmes oder dem Netze des Kaninchens gelungen ist, wo die Fettzellen zwischen die beiden dünnen und durchsich- tigen Blätter des Bauchfells eingelagert sind. Eine jede solche rundliche Fettzelle einzeln betrachtet, zeigt auf das Deutlichste eine von doppelten Contouren begrenzte Membran, welche sich deutlich vom Inhalte abhebt. Inmitten der Zelle findet sich ein grosser, meistentheils vereinzelter, runder Fetttropfen, wel- cher die Zelle nicht vollständig erfüllt; der übrige Raum zwi- schen der Membran und dem Tropfen ist von einem hellen, feinkörnigen, zuweilen jedoch auch trüben, wahrscheinlich dick- flüssigen Inhalte ausgefüllt. Ausserdem erkennt man in jeder Zelle einen deutlichen, doppelt contourirten, elliptischen Kern mit Kernkörperchen; derselbe ist der Zellwand stets mehr oder weniger genähert. In diesem Typus stellte sich mir das Fett- gewebe beim Kaninchen gewöhnlich dar. Es trifft sich indess oft, dass die Zellen anstatt eines ein- zelnen Fetttropfens deren zwei oder mehrere enthalten, und in erst sich entwickelnden Fettzellen pflegt gewöhnlich der ganze Zellkörper mit kleinen Fetttröpfchen erfüllt zu sein. Die Zell- kerne sind zuweilen gleichfalls verdoppelt. Ist der Fetttropfen Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 299 klein, so sind die Kerne gewöhnlich mehr nach der Mitte der Zelle zu gelegen; wenn dagegen die Zellen von Fett stärker erfüllt sind, so liegen sie der Zellenmembran dicht an und buchten dieselbe sogar ein wenig nach aussen hervor. Die Fettzellen, gewöhnlich von rundlicher oder elliptischer Gestalt, sind meistentheils in kleineren oder grösseren Gruppen zusam- mengelagert und platten sich alsdann gegenseitig etwas polye- drisch ab; die einzelnen Zellen in solchen Gruppen pflegen zwar meist durch sehr zarte Bindegewebslamellen von einander abgesondert zu sein, indessen findet man auch deutlich zahl- reiche Stellen, wo eine unmittelbare gegenseitige Berührung unzweifelhaft wahrzunehmen ist. Durch stärkere Anhäufung solcher Zellgruppen entstehen die Läppchen des Fettgewebes, welche vorzüglich in der Nachbarschaft von Blutgefässen und inmitten von lockerem Bindegewebe angetroffen werden. Aus- serdem aber kommen auch noch sehr zahlreich einzelne isolirte Fettzellen zerstreut im Bindegewebe vor; alsdann haben sie stets eine vorwiegend rundliche Gestalt. Die Grösse der Fett- zellen ist sehr verschieden; sie beträgt beim Kaninchen 0,018 —0,11 Mm. Bei jungen Thieren pflegen sie gewöhnlich klein zu sein und nehmen mit dem Alter sichtlich an Grösse zu, wobei sie indessen natürlich eine gewisse Grenze nicht über- schreiten. Die Blutgefässe verlaufen geschlängelt innerhalb. der Fettläppchen; zuweilen schliessen ihre Schlingen selbst ein- zelne Fettzellen ein. Am Gekröse kann man sich leicht davon überzeugen, dass das Fettgewebe sich immer dem Verlaufe grösserer Gefässe entlang ablagert. In ähnlicher Weise stellen sich die Zellen bei jungen und nicht zu fetten Katzen, bei Meerschweinchen, Fischen und bei anderen auf einer niederen Stufe der Organisation stehenden Geschöpfen dar. An den Fettzellen des Menschen lässt sich, wie bereits er- wähnt, im normalen Zustande die Membran sowie der Kern niemals deutlich wahrnehmen. Es gelang mir indessen durch mehrstündiges Kochen des Fettgewebes in starkem Alkohol, dem !/, Procent rauchender Salzsäure zugesetzt war (nach der von Ludwig und Zawarykin zur Isolirung der Harnkanäl- 300 F. Czajewicz: chen und von Tomsa zur Untersuchung von Nervenendigungen benutzten Methode), die Fettzellen des Menschen und des Ka- ninchens in Folge der Lösung aller leimgebenden Substanz nicht nur vollständig zu isoliren, sondern auch theilweise oder selbst vollkommen von Fett zu befreien, so dass gewissermaas- sen nur die leeren, rundlichen, zusammengefalteten Schläuche übrig blieben. Auf diese Weise lässt sich die Existenz von wirklichen Membranen an den Fettzellen jederzeit darthun, und es kann keinem Zweifel mehr unterliegen, dass die Kugeln des Fettgewebes auch an denjenigen Stellen von einer eigenthüm- lichen nicht leimgebenden Hülle eingeschlossen sind, wo die- selbe durch unmittelbare Betrachtung mit dem Mikroskope sich nicht wahrnehmen lässt. Die frischen Gewebe untersuchte ich entweder ohne jeden Zusatz oder ich befeuchtete dieselben mit Serum oder mit de- stillirtem Wasser; durch einen geringen Zusatz von Essigsäure traten die Zellen in allen ihren Einzelheiten deutlicher hervor. Nachdem ich mich von der Zusammensetzung des normalen Fettgewebes aus wirklichen Zellen überzeugt hatte, blieb mir die demnächst wichtigste Aufgabe zu lösen, nämlich die Frage nach der Entstehung oder Entwickelung des Fettgewebes. Die Beantwortung dieser Frage bietet nicht unbedeutende Schwierigkeiten, indem es namentlich bei erwachsenen Thieren kaum möglich ist, die in der Umwandelung begriffenen Zellen gerade während des Uebergangsstadiums in eine Fettzelle zu be- obachten. Selbst bei gemästeten Kaninchen, bei denen die Bil- dung des Fettgewebes sehr schnell von Statten geht und wo sich mithin die Ablagerung des Fettes fast schrittweise verfol- gen lässt (magere Kaninchen beginnen gleich in den ersten Tagen der Mästung Fett anzusetzen), präsentiren sich selbst die jüngsten noch mit ganz kleinen einzelnen Fetttropfen ver- sehenen Zellen schon ganz in der Gestalt von fertigen Fett- zellen. Wenn auch diese jüngeren an der Peripherie des Fett- zellenhaufens gelegenen Zellen einen geringeren Durchmesser besitzen, als wie die in der Mitte der Gruppe befindlichen, so Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 301 sind sie doch verhältnissmässig sehr gross zu nennen, wenn man sie vergleicht mit den kleinen blassen Zellen, welche bei gemästeten Thieren in grosser Anzahl um den Fettzellenhaufen herumgelagert und unzweifelhaft als diejenigen Gebilde zu be- trachten sind, aus welchen bei weiterer Mästung die Fettzellen hervorgehen. Es ist sehr schwer, den zelligen Charakter dieser Gebilde deutlich wahrzunehmen, indem nur an sehr dünnen und ohne jeden Zusatz untersuchten Präparaten die zarten Con- touren der rundlichen Zellkörper erkennbar sind, während an gröberen und mit Essigsäure aufgehellten Objecten nur die Kerne deutlich zum Vorschein kommen und sich in der Ge- stalt von zahlreich in den Fettzellhaufen eingestreuten „Binde- gewebskörpern“ 'manifestiren. Bei jüngeren Thieren indessen lässt sich die Entwickelung des Fettgewebes viel leichter ver- folgen und ich hatte mehrfach die Gelegenheit, an neugeborenen Katzen und Kaninchen, sowie auch an einem Fische (Karausche) die Entstehung der Fettzellen in allen einzelnen Uebergangs- formen sehr schön und deutlich zu beobachten. Bei diesen Un- tersuchungen gelangte ich zu folgenden Resultaten: Untersucht man das subcutane und intermusculäre lockere Bindegewebe in ganz frischem Zustande bei einem jungen Ka- ninchen oder Kätzchen bald nach der Geburt, namentlich an denjenigen Körperstellen, an welchen sich vorzugsweise das Fettgewebe entwickelt, so lassen sich inmitten der streifigen Intercellularsubstanz deutliche Zellen unterscheiden mit sehr zarten Contouren, einer rundlichen, elliptischen oder auch mehr länglichen Gestalt, deutlichem Kern und einem sehr feinkörni- gen Zellkörper (Protoplasma).. An verschiedenen Orten, zumal da, wo das Bindegewebe eine deutlich lamellöse Textur ange- nommen hat, erblickt man sogar ganz längliche Haufen rundli- cher, flacher, ganz nach Art einschichtiger Epithelien dicht an einander gereihter, mit Kernen versehener Zellen. Dieselben Zellen erscheineh aber auch unter spindelförmiger Gestalt und zwar dann, wenn sie nicht von der Fläche aus, sondern auf der Kante liegend gesehen werden; in diesem Falle nämlich müs- sen die in der That rundlichen, schüppchenförmig abgeflachten, in der Mitte dagegen (entsprechend der Lage des Kernes) etwas 302 F. Ozajewiez: verdickten Zellen natürlich in Form von spindelförmigen Ge- bilden sich darstellen, welche mit ihren zugespitzten Enden sich gegenseitig berühren und reihenweise angeordnet erschei- nen, und wo die Reihen durch schmale Lagen von Zwischen- substanz von einander geschieden werden, ähnlich wie man dies an den sogenannten spindelförmigen Bindegewebskörpern auf Querschnitten der Hornhaut oder auf Längsschnitten der Seh- nen zu beobachten Gelegenheit hat. Diese in Rede stehenden Zellen sind nun ohne Zweifel als Bindegewebszellen zu be- trachten und ihre eigenthümliche Anordnung, sowie ihr Ver- hältniss zur Zwischensubstanz verdient sorgfältig berücksichtigt zu werden. Die Existenz einer wirklichen Membran oder we- nigstens einer verdichteten peripherischen Schicht an diesen Zellen scheint mir nicht wohl geläugnet werden zu können; denn es gelingt sehr oft zu beobachten, wie nach einem gerin- gen Zusatze von Essigsäure der körnige Inhalt sich zusam- menballt, rings um den Kern herum sich niederschlägt und dadurch inmitten der Zwischensubstanz eine Vacuole erzeugt, die indessen nicht von einem einfachen Contour der umgeben- den Zwischensubstanz begrenzt wird, sondern von einem deut- lichen, obschon sehr zarten, stärker lichtbrechenden Saume, ent- sprechend einer besonderen der Zelle zugehörigen Kapsel. oder Membran, welche bei Umwandelung der Bindegewebszelle in eine Fettzelle eine festere Consistenz annimmt und sich ver- dickt und alsdann noch entschiedener als wahre Zellmembran sich markirt. Wo mehrere dergleichen Zellen reihenweise an einander geordnet sind und einander unmittelbar berühren, da tritt die eben beschriebene Erscheinung noch deutlicher zu Tage und man sieht deutlich, dass diese peripherische Schicht der Zellen bei Zusatz von Essigsäure sich nicht gleichfalls con- trahirt oder collabirt, sondern an ihrer Stelle verharrt und mit dem entsprechenden Saume der Nachbarzelle in Berührung bleibt, während der Inhalt sich von ihr loslöst, um den ın der Mitte der Zelle gelegenen Kern herum klümpchenförmig sich zusammenballt und dann kaum noch als eine besondere vom Kern unterscheidbare Masse wahrgenommen werden kann. Dies Verhalten stimmt ganz mit den Erscheinungen, welche Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 303 man unter ähnlichen Bedingungen an zarten einschichtigen Epi- thelien, z. B. am Epithel der Membrana Descemetii beobachten kann, und beweist, dass die flachen benachbarten Zellen einer- seits unter sich nicht ganz lose zusammenhängen und anderer- seits auch den zugehörigen Lamellen der Zwischensubstanz etwas inniger anhaften. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese eine Membran andeutende festere Schicht erst durch die Ein- wirkung der Essigsäure erzeugt werde, denn wie wir weiter unten sehen werden, lässt sich an solchen Stellen, wo die Ent- wickelung der Fettzellen aus diesen Zellen des Bindegewebes klar zu Tage liest, auch der Uebergang jener Schicht in die Membran der Fettzellen deutlich wahrnehmen. Diese Beobach- tungen habe ich vielfach zu wiederholen Gelegenheit gehabt und zwar an dem subceutanen und intermusculären Bindegewebe von jungen Katzen und Kaninchen, doch gelingt es auch an ganz frischem Gewebe von älteren Thieren, ein gleiches Ver- halten darzuthun. Durch diese Thatsachen, insbesondere aber durch den Nachweis von epithelartig an einander gereihten ab- geplatteten Zellen des Bindegewebes werden die von Prof. Hoyer!) an demselben Gewebe gemachten Beobachtungen voll- kommen bestätigt. Kehren wir nun zum Fettgewebe zurück, so haben wir zu- nächst hervorzuheben , dass die eben beschriebenen Bindege- webszellen den Ausgangspunkt bilden’ für die Entstehung der Fettzellen. Indem ich bei verschiedenen jungen Kätzchen zarte Streifen von Fettgewebe aus der Leistengegend, der Achselgrube oder anderen Stellen unter der Haut entnahm, erhielt ich mit- telst der oben angeführten Behandlungsmethode der Präparate unter dem Mikroskope folgende Bilder: inmitten der streifigen Substanz des Bindegewebes fand man zerstreut die oben be- schriebenen rundlichen, unregelmässig polygonalen oder längli- chen, mit zarten Contouren, sehr deutlicher Kernen und einem sehr feinkörnigen Zellinhalt (Protoplasma) versehenen Zellen. Näherte man sich der bereits vollständig entwickelten Schicht von Fettgewebe, so sah man, wie jene Zellen eine mehr regel- 1) A. a. O. S, 228 f. 304 F. Ozajewicz: mässige rundliche Form und schärfere Contouren annahmen ; weiterhin fand man dieselben Zellen bereits ganz erfüllt mit ganz kleinen Fetttröpfchen, zwischen denen der Kern noch deutlich erkennbar war, und an der Peripherie liess sich die Membran bereits deutlich nachweisen. Weiterhin nahm der Umfang der Fetttröpfehen zu, in Folge dessen auch die damit ganz ausgefüllten Zellen selbst sich vergrösserten und ausdehn- ten. Indem schliesslich die Fetttröpfehen gewöhnlich zu einem einzelnen grösseren Tropfen zusammenflossen, entstand die ge- wöhnliche Form der Fettzellen. In ähnlicher Weise stellte sich mir die Entwickelung des Fettgewebes aus der Leistengegend bei einem neugeborenen Ka- ninchen dar, wo ganze Haufen von epithelartig an einander ge- lagerten Zellen mit Fetttröpfchen erfüllt waren und alle Ueber- gänge zeigten zu gewöhnlichen Fettzellen. Bei einem Fische endlich (einer Karausche) untersuchte ich das Fettgewebe aus der Umgebung der Niere und fand voll- kommen entwickelte Fettzellen, welche meist eine elliptische Gestalt darboten und an welchen eine eigene Membran und ein ovaler Kern mit Kernkörperchen sich deutlich unterscheiden liessen; mitten zwischen den fertigen Fettzellen zeigten sich zahlreich eingestreut kleinere mit Kern und festerer peripheri- scher Schicht (Membran?) versehene Zellen, angefüllt mit klei- nen Fetttröpfchen; daneben fanden sich ganz gleich gestaltete Zellen, welche nur dadurch von den vorigen sich unterschieden, dass sie einen feinkörnigen von Fetttröpfchen freien Inhalt zeig- ten; die letzteren entsprachen ganz den gewähnlichen Zellen des Bindegewebes. Ich fand ferner bei Fischen in der Nach- barschaft des entwickelten Fettgewebes auch ganze Haufen kleinerer rundlicher Zellen, welche unmittelbar an einander ge- lagert und mit ganz feinen Fetttröpfehen angefüllt waren. — Die beigefügten Zeichnungen werden das Verhältniss am besten erläutern. Auf die Entwickelung des Fettgewebes bei Embryonen habe ich meine Untersuchungen nicht auszudehnen vermocht, da’ es mir nicht gelungen ist, geeignete frische Präparate zu erlangen. Ich vermag deshalb weder über die Entstehung der Fettzellen Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 305 im Schleimgewebe, wie sie Virchow beobachtet hat, nähere Angaben zu machen, noch bin ich im Stande zu entscheiden, ob die von Schwann im „Fötal-Zellgewebe* aufgefundenen rundlichen Zellen wirklich eine specifische Art von jungen, zu weiterer Umbildung in die gewöhnlichen Fettkugeln bestimmten Zellen sind, oder ob dieselben sich nicht wesentlich unterschei- den von den gewöhnlichen Zellen des Schleimgewebes und, wie Virchow annimmt, aus denselben hervorgehen. — Für die Annahme einer eigenthümlichen Entwickelungsweise des Fett- polsters unter der Haut bei Embryonen, als besondere Anlage aus specifischen, besonders dazu bestimmten und sich vermeh- renden Zellen, scheint meiner Ansicht nach eine zwingende Nothwendigkeit nicht vorzuliegen; denn abgesehen von dem mit gewöhnlichem Fettgewebe ganz übereinstimmenden Bau dieser Polster bei neugeborenen Thieren, findet man bei den letzteren mehrfach solche sich allmählich ausbreitende Polster vorzugsweise an denjenigen Orten, welche späterhin durch einen Reichthum an Fettgewebe sich auszeichnen, z. B. am Rücken zu beiden Seiten der Wirbelsäule, in der Leistengegend, der Achselgrube u. a. Orten. Diese Polster lassen sich mit Leich- tigkeit vom umgebenden Gewebe losschälen, ähnlich wie die Lymphdrüsen, und hängen auch mit der Haut nicht fester zu- sammen. Um diese Polster herum findet man in dem gewöhn- lichen Bindegewebe vorzugsweise zahlreiche erst in Entwicke- lung begriffene Fettzellen in allen Stadien der Entwickelung, beginnend von der Bindegewebszelle und endigend mit der von einem grossen runden Tropfen erfüllten Kugel. Erwägt man ferner, dass bei stärkerer Entwickelung von Fettgewebe im lockeren Bindegewebe zahlreiche kleinere und grössere Heerde von Fettzellen entstehen, von denen jeder sich als eine um so compactere und selbständigere Masse innerhalb des umgebenden Bindegewebes darstellt, je grösser er wird, dass jeder dieser neu entstehenden kleineren Heerde sich vom Bindegewebe ab- hebt und leicht ausschälen lässt, und dass, wenn diese einzel- nen Massen sich so weit vergrössern, bis sie sich gegenseitig berühren, dieselben sich alsdann darstellen müssen wie eine grössere zusammenhängende Schicht, so wird die Möglichkeit Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866 30 306 F. Ozajewiez: der Entstehung des Panniculus adiposus in seiner ersten An- lage beim Embryo aus den gewöhnlichen Zellen des embryo- nalen Bindegewebes oder des Virchow’schen Schleimgewebes ziemlich wahrscheinlich. Bei Kaninchen, welche zum Zwecke der Untersuchung der Textur und Entwickelung des Fettgewebes gemästet worden waren, hatte ich Gelegenheit, den Einfluss der Mästung auf die Ernährung der Bindegewebs- und Epithelialzellen zu beobach- ten. Der Einfluss einer reichlichen Ernährung des Thieres giebt sich nämlich nicht blos in einem reichlichen Ansatz von Fett zu erkennen, sondern tritt auch an den Zellen des Binde- gewebes und des Epithels der serösen Häute ziemlich deutlich zum Vorschein, vorausgesetzt, dass dieselben in ganz frischem Zustande untersucht werden. Während bei einem mittelmässi- gen Ernährungszustande des Thieres das Epithel des Bauch- fells bei einfacher Untersuchung kaum zu erkennen ist und stellenweise nur mittelst entsprechender Reagentien als aus sehr dünnen, zarten, kaum sichtbaren Zellen zusammengesetzt dar- gethan werden kann, so werden im Gegentheil bei der Mästung die Zellen des Epithels recht sichtbar und in die Augen fal- lend, nehmen eine mehr rundliche Gestalt an, und indem sie sichtlich schwellen, heben sie sich vom Substrate in Form halb- kugelförmiger oder selbst rundlicher Bläschen ab, und an man- chen Stellen sieht man ganz deutlich, wie einzelne mit körni- gem Inhalte erfüllte Bläschen sich vollständig vom Substrate loslösen. Man kann dies schon recht deutlich an ohne jeden Zusatz untersuchten Präparaten bei gehöriger Einstellung des Focus in der Flächenansicht erkennen, doch sieht man dies noch deutlicher an den Falten oder umgeschlagenen Rändern der Membranen und bei Befeuchtung des Präparates mit Se- vum. Man erkennt an den losgelösten sowohl, wie auch an den noch festhaftenden Zellen einen festeren peripherischen Theil (Membran), einen deutlichen Kern und einen dünneren (serösen?) Inhalt, in welchem die Körnchen oft deutliche Mole- cularbewegung zeigen. Der körnige Inhalt kann in manchen Fällen so zunehmen, dass eine vollständige Verfettung der Zel- len erfolgt, wie ich dies einige Male an dem Epithel des Bauch- Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 307 fells von Vögeln (Goldammern) zu beobachten Gelegenheit hatte, wo ein grosser Theil der Zellen desselben mit grösseren und kleineren Fetttropfen ganz angefüllt war. Bei der Mästung sieht man ferner, dass nicht allein neue Fettzellen entstehen und die älteren Fettzellen an Umfang zu- nehmen, sondern auch die Zellen des Bindegewebes unterliegen gewissen Veränderungen, welche ganz mit denen des Epithels übereinstimmen. Die Zellen nehmen nämlich gleichfalls sicht- lich an Umfang zu, nähern sich mehr und mehr einer rundli- chen Gestalt, bekommen einen deutlichen peripherischen, die Anwesenheit einer Membran andeutenden Saum, und selbst die Kerne kommen deutlicher zum Vorschein; schliesslich beginnen Fetttröpfehen in den Zellen sich anzusammeln, gewissermaassen wie ein überschüssiges, zur Ernährung nicht mehr verwendbares Material. Bei meinen Untersuchungen über die Rückbildung des Fettgewebes verfuhr ich folgendermaassen: Kaninchen ver- schiedenen Alters wurden den Einwirkungen der gänzlichen Nahrungsentziehung unterworfen; einen Theil derselben tödtete ich nach ein bis mehreren Tagen, andere blieben bis zum er- folgenden Hungertode ohne Nahrung. Das Fettgewebe unter- suchte ich sowohl bei den einen als auch bei den anderen stets in ganz frischem Zustande; die dabei beobachteten Facta lassen sich in folgender Weise zusammenfassen: Vergleicht man das Fettgewebe eines durch 24 Stunden ohne Nahrung gelassenen kleinen oder mittelgrossen fetten Kaninchens mit dem Fettge- webe eines gleichen aber ernährten Kaninchens, oder schneidet man einem lebenden wohlgenährten Kaninchen ein Stückchen Fettgewebe zum Zwecke der Untersuchung aus (z. B. aus der Leistengegend) und überlässt es dann 24 Stunden hindurch dem Hunger, so bemerkt man ganz deutlich, dass, wenn bei dem wohlgenährten Kaninchen die Zellen gänzlich oder wenig- stens fast vollständig ausgefüllt sind mit grossen runden Fett- tropfen, bei den ausgehungerten Thieren dagegen schon binnen der kurzen Zeit von einem Tage die Tropfen an Grösse abge- nommen haben, dass dieselben von dem Doppelcontour der 207 308 F. Czajewiez: Zellmembran nach innen zu sich entfernen und einen ringför- migen hellen Raum innerhalb derselben frei lassen, in welchem der Kern deutlicher zum Vorschein kommt; dabei scheint der Umfang der Zelle nicht merklich abzunehmen, denn in dem gleichen Maasse, als der Umfang des Fetttropfens sich vermin- dert, vermehrt sich der durchsichtige feinkörnige Inhalt der Zelle... Am nächstfolgenden Tage lässt sich bei demselben Ka- ninchen unter gleichen Bedingungen eine merkbare Verkleine- rung der Zellen ebenfalls nicht statuiren, dagegen ist die Menge des hellen (serösen?) Inhaltes noch ferner ‘vermehrt, die Fett- tropfen dagegen: haben sich noch weiter verkleinert, die Kerne werden sehr deutlich sichtbar. Indem ich auf diese Weise den allmählichen und fortschrei- tenden Schwund des Fettes in den Zellen des Fettgewebes wie- derholt beobachtete, überzeugte ich mich: dass gewöhnlich der in den Zellen enthaltene einzelne Fetttropfen sich continuirlich immer mehr verkleinert und schliesslich‘ gänzlich schwindet, die Zelle selbst dagegen füllt sich immer mehr und mehr mit einem wahrscheinlich flüssigen (serumähnlichen) Inhalte an, wobei ihr Umfang nach angestellten Messungen verhältnissmäs- sig nur wenig verringert wird. Häufig zerfällt indessen bei hungernden Kaninchen der ursprüngliche einzelne Fetttropfen - in mehrere kleinere von, gleicher Grösse, welche allmählich immer mehr sich verkleinern, oder auch der Zerfall manifestirt sich in der Weise, dass zunächst blos der peripherische Theil des Tropfens in kleinere Tröpfchen sich zertheilt, welche in dem serösen Inhalte suspendirt sind; schliesslich schwinden aber auch aus diesen Zellen die Fetttropfen gänzlich und lassen nur einen klaren feinkörnigen Inhalt zurück.') Aus dieser Beschreibung geht deutlich hervor, dass bei der Abmagerung nur das Fett aus den Zellen schwindet, die Form der Zellen dagegen bleibt wesentlich unverändert, indem der vorher von Fett erfüllt gewesene Raum nunmehr von einer 1) Katzen habe ich gleichfalls versucht durch Hunger ihres Fettes zu berauben; da indessen bei denselben das Fettgewebe äusserst reich entwickelt zu sein pflegt, so konnte ich keine so klaren Resultate er- halten, wie bei Kaninchen. Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 309 ‚klaren oder feinkörnigen serösen Flüssigkeit eingenommen wird, in welcher der Kern jeder Zelle (häufig auch deren zwei) sich deutlich wahrnehmen lässt. Bei jungen, gut genährt gewesenen und dann dem Hungertode preisgegebenen Kaninchen findet man im gewöhnlichen Bindegewebe an Stelle der geschwun- denen Fettzellen ganze Haufen solcher serumhaltiger durch- sichtiger Zellen, welche sich von den ersteren nur dadurch unterscheiden, dass sie kein Fett enthalten. Ob bei schnellem Schwunde des Fettes aus Zellen, welche nur wenig davon ent- hielten, schliesslich auch die Zellen selbst resorbirt werden, das habe ıch nicht zu entscheiden vermocht; soviel steht nur fest, dass die Zellen, aus welchen das Fett vollständig geschwunden ist, sehr blass werden, und ihre Contouren verwischen sich (na- mentlich bei jungen Kaninchen) oft so stark, dass solche Zellen kaum noch sichtbar sind. Untersucht man das Fettgewebe bei einem verhungerten Kaninchen einige Stunden nach dem Tode, so findet man die serösen Zellen gewöhnlich bereits so ge- schrumpft und veründert, dass sie kaum noch erkennbar sind oder wenigstens nur mit Mühe von den gewöhnlichen sogenann- ten Bindegewebskörpern sich unterscheiden lassen. Um zu entscheiden, ob bei abermaliger Mästung ausgehun- gerter Thiere das Fett in den alten Zellen sich ablagere oder ob die serösen Zellen zu Grunde gehen und neue Fettzellen sich bilden, liess ich Kaninchen, welchen während längerer Zeit alle Nahrung entzogen worden war, wieder gut ernähren, bis wieder von Neuem Fett angesetzt wurde, was gewöhnlich bereits binnen wenigen Tagen erfolgte. (Ueberhaupt reichen bei Kaninchen wenige Tage hin, um bei guter Ernährung einen _ beträchtlichen Fettansatz zu erzielen; eben so schnell geben die Zellen ihren Fettgehalt aber ab.) Entnahm man nun ver- schiedenen Körperstellen eines solchen Kaninchens Fettgewebe, so fand man, dass dieselben serösen Zellen, welche früher bereits Fett enthalten hatten, auch jetzt wieder Fett in sich aufnahmen, und der ganze Verfettungsprocess stellte sich ganz in der Weise dar, wie wir es oben bei der Entwickelung der Fettzellen aus Bindegewebszellen kennen gelernt haben. Wäh- send nämlich am Ende der Hungerzeit die Fettzellen höchstens 310 F. Czajewicz: nur Spuren von Fett enthalten hatten (wovon ich mich durch specielle Untersuchung überzeugt hatte), so konnte man bei nachfolgender reichlicher Fütterung schon nach wenigen Tagen deutlich beobachten, wie in den serösen Zellen zunächst feine Fetttröpfehen zum Vorschein kamen, die sich allmählich ver- grösserten (die Zellen waren von kleinen Fetttropfen ganz er- füllt), und schliesslich zu grösseren Tropfen zusammenflossen. Bei Aushungerung der Kaninchen hatte ich Gelegenheit mich zu überzeugen, dass dieselben um so länger aushielten und dem Tode widerstanden, je älter und grösser sie waren, und bei gleichem Alter und derselben Grösse erhielten sie sich um so länger am Leben, je fetter sie-vorher gewesen waren.“ Junge Kaninchen lebten gewöhnlich nicht länger als 3—4 Tage, ältere starben am 7.—9. Tage. Bei jungen Ka- ninchen wird der im Fettgewebe aufgespeicherte Stoffvorrath beim Hungern bis zum Eintritte des Todes vollständig erschöpft, so dass es hier ganz den Anschein hat, als ob mit Aufzehrung des letzten Fetttröpfehens das Lebenslicht ausgelöscht würde (bei Kaninchen, welche kurz vor der bereits sichtlich sich na- henden Todesstunde getödtet wurden, fanden sich in: den serö- sen Zellen nur noch stellenweise minimale Fetttropfen); bei grösseren und fettreichen Kaninchen dagegen bleiben auch nach bereits: erfolgtem Hungertode noch mehr oder weniger Zellen zurück, welche mittelgrosse und kleine Fetttropfen enthalten. An dem sogenannten Fettorgane der Frösche und Tritonen konnte man ähnliche Veränderungen unter dem Einflusse der Nahrungsentziehung beobachten; auch hier fand man bei dem nach längerer Zeit erfolgenden Hungertode den ganzen Fett- vorrath vollkommen erschöpft. Im Verfolg meiner Untersuchungen über das. Fettgewebe bemühte ich mich, schliesslich auch noch die Lebensfähig- keit der Fettzellen durch directe Versuche darzuthun; so viel mir bekannt, hat bisher noch Niemand diese Frage durch eigens zu diesem Zwecke angestellte Experimente zum Aus- trage zu bringen versucht. Es handelte sich hier hauptsächlich Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. all darum, zu entscheiden, ob die vollkommen entwickelten Fett- zellen noch fähig sind zur Proliferation oder Erzeugung junger Zellen, oder ob sie ihre formative Lebensthätigkeit bereits voll- kommen eingebüsst haben und gewissermaassen nur noch als Niederlagen dienen zur Aufspeicherung von Fett, ähnlich wie die rothen Blutkörperchen, welche, unfähig sich selbständig zu vermehren, wesentlich nur noch als Sauerstoffträger bei Ver- mittelung des Gasaustausches im Organismus eine wichtige Rolle spielen. Diese für die Physiologie der Gewebe sehr wichtige Frage ıst zwar bereits durch einige Forscher gelegentlich berührt wor- den, unter Anderen stellen Virchow und Förster die Ver- “muthung auf, dass eine Vermehrung und Neubildung junger Zellen des Fettgewebes durch Theilung älterer Fettzellen wohl möglich sei (s. die historische Einleitung zu dieser Arbeit), indessen liefern sie hierfür keine überzeugenden Beweise, und die unvollständigen Beobachtungen von Fettzellen, welche im der Mitte eine Kinschnürung zeigten, bieten noch immer keinen ausreichenden Beweis für die Richtigkeit der Ansicht; es bleibt daher noch immer unentschieden, ob jene eigenthümlichen For- men von Zellen nicht vielleicht durch mechanische Einwirkung entstanden sind. Ich selbst habe mehrfach Gelegenheit gehabt, eine solche Einschnürung der Membranen an den Fettzellen zu beobachten, indessen konnte ich weder eine Theilung des Ker- nes noch des Fetttropfens in denselben wahrnehmen. Auch habe ich während meiner Untersuchungen über die Entwicke- lung des Fettgewebes ausser der Ablagerung von Fett in den dem Fettgewebe benachbarten Zellen des Bindegewebes eine andere Entstehungsweise von jungen Fettzellen trotz aller Be- mühungen nicht aufzufinden vermocht, auch nicht bei gemäste- ten Kaninchen, wo die Vermehrung des Fettgewebes schnelle Fortschritte machte Um mich zu überzeugen, in wie weit die Fettzellen selbst noch fähig sind zu einer erhöhten Lebensthätigkeit und ob sie selbst noch mit Theil nehmen an der Erzeugung junger Zellen, bemühte ich mich vermittelst reizender Substanzen sowohl im Fettgewebe selbst, als auch im umgebenden Bindegewebe eine 312 F. Czajewicz: intensive Entzündung hervorzurufen. Zu diesem Zwecke spritzte ich anfänglich eine Jodlösung in die Peritonealhöhle von Ka- ninchen und zwar vom Rücken aus unterhalb einer der Nieren, weil vorzüglich an dieser Stelle das Fettgewebe reichlich abge- lagert zu sein pflegt, sowohl um die Nieren herum, als auch zwischen den Blättern des Gekröses. Indessen erfolgte trotz einer ziemlich reichlichen Jodeinspritzung in einigen Fällen fast gar keine Reaction, in anderen Fällen dagegen entwickelte sich in kurzer Zeit eine intensive Bauchfellentzündung, welche schnell tödtlich verlief. Ich musste deshalb eine andere Kör- perstelle aufsuchen, welche mehr geeignet war zur Erzeugung einer begrenzten Entzündung. Die Leistengegend erwies sich mir als die bequemste und geeignetste Stelle zu dergleichen Beobachtungen; an diesen Ort brachte ich meistens, nach Erzeugung eines; kleinen Haut- schnittes, gewisse Mengen von irritirenden Substanzen und vereinigte die Wundränder mit Nähten. Nach wenigen Tagen wurde das Thier gewöhnlich getödtet, und die frisch angefertig- ten Präparate wurden sofort unter dem Mikroskope genau un- tersucht. Als Reizmittel benutzte ich einerseits fremde Körper (Hirsekörner, Senfkörner, Sägespäne), andererseits versuchte ich bekannte arzneiliche Reizmittel (Lösung von Jod in Wasser mittelst Jodkalium, Cantharidentinctur, Crotonöl, Brechweinstein u. a.). Von allen diesen Substanzen erwies sich als die wirk- samste und am leichtesten Entzündung erzeugende die Jodlö- sung, während die anderen Mittel meist nur geringe Verände- rungen bewirkten; die fremden Körper umhüllten sich mit einer käsigen Masse, ohne im benachbarten Gewebe ausgedehntere Reizwirkungen zu veranlassen. Es ist bemerkenswerth, dass bei Kaninchen selbst nach bedeutenderen Operationen verhält- nissmässig nur geringe Reactionserscheinungen wahrgenommen werden; um eine örtliche Entzündung zu erzeugen, war ich genöthigt, stets grössere Mengen der Reizmittel in Anwendung zu ziehen. Nachdem ich nun auf die beschriebene Weise bei mittel- grossen Kaninchen etwa eine halbe Drachme einer starken Jod- lösung in das Fettgewebe unter der Haut der Leistengegend ge- Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 313 bracht hatte, untersuchte ich das Fettgewebe am folgenden Tage ganz frisch im Serum oder ohne jeden Zusatz und beobachtete dabei für gewöhnlich folgende Veränderungen: Neben einer sichtlichen Blutstockung (bewirkt durch die coagulirende Wir- kung des Jods) in den Gefässen der von der Injection betroffe- nen Gegend fand man die Fettzellen mit noch deutlich sicht- baren Membranen, aber mit getrübtem, körnigem, wie es schien auch vermehrtem Inhalte, mit einem, häufig auch mehreren Fetttropfen und mit zwei, drei und selbst mehreren Kernen; die Anwesenheit bereits fertiger junger Zellen liess sich dabei mit Sicherheit noch nicht wahrnehmen. Das umge- bende Bindegewebe war gleichfalls getrübt, ‘die Zellen dessel- ben geschwellt, stellenweise sah man bereits neugebildete junge Zellen. Wir hatten also hier vor Augen das Bild einer begin- nenden „Entzündung, sowohl im Bereiche des Fettgewebes, als auch im benachbarten Bindegewebe, welche in den Fettzellen sich hauptsächlich durch eine Vermehrnng der Kerne mani- festirte. Am nächstfolgenden, d. i. am zweiten Tage zeigte das von derselben Stelle entnommene und frisch untersuchte Gewebe bereits weiter fortgeschrittene, höchst interessante und bedeu- tungsvolle Veränderungen. Schon auf den ersten Blick erkannte man hier eine bedeutende Vermehrung von jungen Zellen im benachbarten Bindegewebe und konnte daher vermuthen, dass auch die Fettzellen selbst gewissen Veränderungen haben un- terliegen müssen- Und in der That sah man an dünnen Prä- paraten mit einfacher Lage von Fettzellen, dass dieselben be- deutend an Umfang zugenommen und einander sich mehr ge- nähert hatten, dass jede Zelle eine deutliche doppelt contourirte Membran besass, einen in der Mitte oder mehr nach der Seite zu gelegenen Fetttropfen enthielt, und dass der ganze innere Raum der Zelle zwischen dem Tropfen und der Mem- bran ausgefüllt war mit jungen Zellen, welche in ihrer Gestalt ganz übereinstimmten mit jungen Bin- degewebs- oder Eiterzellen. Die letzteren waren nach Art eines Epithels neben einander gelagert, jede derselben war deutlich von einer zarten Linie 314 F. Czajewiez: begrenzt und enthielt einen von deutlichen Contou- ren umschriebenen Kern, welcher in einen feinkörnigen Zellinhalt eingebettet war. Bei einem geringen Zusatze von Essigsäure traten die Einzelheiten noch deutlicher zum Vor- schein, indem der Inhalt der ganzen Fettzelle sich aufhellte, und man konnte sich dabei ganz genau davon überzeugen, wie das körnige Protoplasma der jungen Zellen um den Kern her- um zu einem Klümpchen sich zusammenballte, während an Stelle des Zellkörpers sich scheinbar eine Vacuole bildete; diese Vacuole war indess fest begrenzt durch die sich gegenseitig be- rührenden peripherischen und, wie man aus diesem Verhalten deutlich ersieht, festeren Theile der Zellen, welche an ihrer ursprünglichen Stelle verblieben und die Grenzen der einzelnen Zellen genau markirten. Bei genauerer Untersuchung solcher Brutzellen konnte man sich leicht überzeugen, dass die im In- halte (Protoplasma) der letzteren erzeugten jungen Zellen schichtweise auf einander gehäuft waren, indem bei Einstellung des Focus auf die obere oder untere Fläche der Zelle dieselbe wie mit polygonalem Epithel bedeckt sich darstellte (der Fett- tropfen erschien dabei natürlich auch wie mit Epithel überzo- gen), während bei der Einstellung auf den Querschnitt der Zelle öfter mehrere Zellenlagen den Tropfen einfach umringten und wieder ihrerseits nach aussen hin von der allgemeinen Zellmembran umschlossen waren. Man zählte zuweilen 12 und mehr solcher jungen, nicht gleich grossen Zellen in einer Mut- terzelle; in solchen Fällen nahm die ganze Fettzelle eine un- regelmässig polygonale, an mehreren Stellen ausgebuchtete Ge- stalt an, und auch selbst die im Inneren der Brutzelle enthal- tenen grossen Fetttropfen veränderten gleichfalls ihre regelmäs- sige runde Gestalt, sie wurden zusammengepresst, eingedrückt, eckig und durch den Druck der jungen Zellen aus ihrer ge- wöhnlichen Lage in der Mitte der Zelle nach der Seite hin verschoben. Diese Veränderungen hatte ich wiederholt zw beobachten Gelegenheit bei auf obige Weise künstlich erzeugter Entzün- dung des Fettgewebes. Meist zwar fanden sich solche mit jun- ger Brut erfüllte Zellen mehr vereinzelt: zwischen Haufen von Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 315 wenig oder gar nicht veränderten Fettzellen; mehrere Male ge- lang es mir aber auch, ganze kleine aus lauter solchen Brut- zellen zusammengesetzte Fettläppchen auf das Schönste und Deutlichste wahrzunehmen. Um mich alsdann zu überzeugen, ob auch vollkommen mit Fett angefüllte Zellen unter der Einwirkung entzündungserre- gender Substanzen zur Erzeugung junger Zellen noch fähig sind, verwandte ich zu den betreffenden Versuchen stärkere, sehr gut genährte, fettreiche Kaninchen, wo der Binnenraum der Zellen fast vollständig vom Fetttropfen eingenommen war. Am dritten Tage nach Einbringung der Jodtinctur wurden die Ka- ‚ninchen getödtet und das frisch bereitete Präparat unter das Mikroskop gebracht. Man fand dann zwar im umgebenden Bindegewebe die Wirkungen einer sehr starken Entzündung, namentlich manifestirte sich eine sehr reichliche Vermehrung der zelligen Elemente, auch erschienen selbst die Zellen des Fettgewebes mehr rundlich geschwellt, stellenweise waren sie geplatzt und das Fett hatte sich in die Lücken des Bindege- webes ergossen in Form von zahlreichen kleinen Fetttropfen, indessen konnte man eine Neubildung von jungen Elementen innerhalb der Fettzellen durchaus nicht mit Sicherheit wahr- nehmen. Um ferner zu constatiren, ob bei einer leichten Abmagerung eines solchen Kaninchens die vorher zur Proliferation unfähi- gen Zellen unter derartig veränderten Verhältnissen wieder fähig werden zur Erzeugung junger Brut, liess ich ein. gleiches fettes Kaninchen (mit ganz von Fett erfüllten Zellen) 48 Stun- den lang hungern, und nachdem ich alsdann in das Unterhaut- fettgewebe in der Lendengegend eine entsprechende Menge von Jodlösung eingebracht hatte, wurde das Thier am dritten Tage nach der Operation getödtet und das Fettgewebe in ganz fri- schem Zustande untersucht. In diesem Falle nun (wo also. die Fettzellen nicht mehr vollständig von Fett erfüllt waren), konnte man auf das Schönste und Deutlichste wieder die Entwickelung junger Zellen innerhalb der präexistirenden fetthaltigen Mutter- zellen wahrnehmen, und zwar ganz in der Weise, wie es oben bereits beschrieben worden ist. Selbst bei einem durch längere 816 F. Ozajewiez: Zeit stark ausgehungerten Kaninchen konnten, wie ich mich überzeugt habe, die Fettzellen durch Reizung doch noch zur endogenen Erzeugung junger Elemente gebracht werden. Die eben beschriebenen Beobachtungen, welche ich öfter zu wiederholen die Gelegenheit hatte, gestatten vor Allem die An- nahme, dass die Fettzellen nicht allein fähig sind zu erhöhter Lebensthätigkeit, zu grösserer Lebens- energie, sondern dass dieselben unter der Einwir- kung gewisser reizender Substanzen sogar befähigt werden können zur Erzeugung neuer, denjungen Ele- menten des Bindegewebes ähnlicher Zellen inner- halb ihres Protoplasmas, vorausgesetzt, dass sie nicht ganz mit Fett erfüllt sind, — eine Thatsache, die soviel mir bekannt, bis jetzt noch von Niemand beobachtet worden ist. Die starke Anfüllung der Zellen mit Fett ist al- lerdings der Erzeugung von jungen Zellen hinderlich und zwar hauptsächlich wohl deshalb, weil in Folge von Mangel oder vielmehr in Folge von zu starker Verminderung der Bildungs- substanz (Protoplasma) die gewöhnlichen Bedingungen für die Entstehung von Diffusionsströmen zwischen Zelle und Ernäh- rungsflüssigkeit nicht mehr vollständig vorhanden sind; die Le- bensthätigkeit der Zelle ist indessen durchaus nicht aufgehoben, was ausser durch die Möglichkeit des Austrittes von Fett beim Hungern und die abermalige Ansammlung von Fett in densel- ben Zellen bei verbesserter Errährung hauptsächlich durch den Umstand bewiesen wird, dass, wenn in Folge mangelhafter Er- nährung (z. B. Hunger) der Fettgehalt in den Zellen sich ver- mindert, durch seröse Flüssigkeit ersetzt und die Diffusion da- durch erleichtert wird, alsdann die formative Thätigkeit der Fettzellen ohne Schwierigkeit wieder in Gang gebracht werden kann. Sind bei einem ausreichend, aber nicht zu reichlich er- nährten Kaninchen die Zellen des Fettgewebes nicht gänzlich vom Fetttropfen ausgefüllt, so gelingt es fast immer, dieselben durch Entzündungsreize zur Proliferation anzuregen. Es unterliegt also nach alledem wohl keinem Zweifel mehr, dass wir es hier mit einer endogenen Neubildung "von jungen Zellen zu thun haben oder vielmehr mit einer „Zellenbildung Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 317 um Inhaltsportionen*, nach Analogie des Furchungsprocesses, indem der feinkörnige Inhalt der Fettzelle geradezu zerklüftet und in eine Anzahl neuer, selbständiger, scharf umgrenzter Elemente umgewandelt wird. Dieser Vorgang weist darauf hin, dass eine ähnliche Erscheinung bei der Vermehrung der Zellen des Bindegewebes statt haben müsse. In der That hat bereits His an den Zellen der Hornhaut eine endogene Zellenbildung genau beobachtet und beschrieben, und ich habe selbst an von Prof. Hoyer mir gezeigten Präparaten von einer derartigen Ent- stehung junger Zellen in der Hornhaut mich überzeugt. Ausser- dem hatte ich aber auch selbst wiederholt Gelegenheit, in dem das entzündete Fettgewebe umgebenden, reichliche junge Ele- mente einschliessenden und ohne jeden Zusatz untersuchten Bindegewebe grössere mit junger Brut erfüllte Mutterzellen zu beobachten; da aber die Hülle, welche die jungen Zellen ein- schliesst, ausserordentlich zart ist, so reicht die geringste me- chanische oder chemische Einwirkung (z. B. Essigsäure) hin, um die Hüllen zu zerstören und die Zellen zu befreien. Da indessen die nähere Untersuchung dieses Verhaltens über den Bereich der Aufgaben, welche ich mir gestellt hatte, hinaus- ging, so habe ich mich mit diesem Gegenstande nicht näher beschäftigt. Auch die Entscheidung der Frage nach dem eigent- lichen Entwickelungsvorgange der jungen Elemente in den Fett- zellen, sowie nach ihrem ferneren Schicksale habe ich der Zu- kunft vorbehalten müssen. Eine Vermehrung der Fettzellen durch Theilung (an wel- cher sämmtliche Bestandtheile der Zelle, den Fetttropfen mit eingeschlossen, betheiligt sein sollen), hatte ich, wie ich oben bereits bemerkte, zu beobachten keine Gelegenheit; wenn ich nun auch die von einigen Histologen behauptete Möglichkeit eines solchen Vorganges nicht geradezu läugnen will, so muss ich doch hervorheben, dass es noch an ausreichenden sicheren Thatsachen fehlt, welche dieser Ansicht als Stütze dienen könnten. _ 318 F. Czajewiez: Die wesentlichen Resultate der vorliegenden Untersuchungen lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen: 1) An ganz frischen, ohne jeden Zusatz oder in Serum un- tersuchten Präparaten aus dem normalen Fettgewebe verschie- dener kurz vorher getödteter 'Thiere, insbesondere aber von mässig gut ernährten Kaninchen, lässt sich der zellige Cha- rakter ‚der das Fettgewebe bildenden Formelemente auf das Schönste und Ueberzeugendste nachweisen; man sieht deutlich eine von doppelten Oontouren eingefasste Membran, einen fein- körnigen den Fetttropfen einschliessenden Inhalt und einen mit Kernkörperchen versehenen Kern; die einzelnen Fettzellen sind zwar zum grösseren Theile durch dünne Bindegewebslamellen von einander gesondert, doch findet man häufig auch Stellen, wo zwei oder mehrere Zellen sich gegenseitig unmittelbar be- rühren. 2) Die Entstehung des Fettgewebes bei in der Entwickelung bereits weiter vorgeschrittenen Thieren lässt sich, wie die Un- tersuchungen an neugeborenen Katzen, Kaninchen und an man- chen Fischen lehren, aus wirklichen Zellen des Bindegewebes ableiten. Man sieht deutlich, wie die kleinen, zarten, abge- Hachten, feinkörnigen Bindegewebszellen sich mit kleinen Fett- tröpfchen anfüllen, die fortwährend an Umfang zunehmen und schliesslich zu grossen runden Tropfen zusammenfliessen, wobei zugleich auch die Zellen selbst sich allmählich vergrössern und eine runde Gestalt annehmen. 3) Bei reichlicher Fütterung der Thiere findet nicht nur eine Ablagerung von überschüssigem Ernährungsmaterial in den Fettzellen statt, sondern man bemerkt auch an den Formele- menten anderer Gewebe eine sichtliche Zunahme und selbst strotzende Fülle, wie z. B. an den Zellen des Bindegewebes und am einschichtigen Epithel des Mesenteriums, dessen Zellen sogar vollkommen mit Fett erfüllt werden können. 4) Bei Entziehung der Nahrung erfolgt in den Zellen des Fettgewebes allmählich eine Resorption des Fetttropfens, dessen Stelle grösstentheils durch eine helle sehr feinkörnige Flüssig- keit ersetzt wird; bei längerem Hungern schwindet das Fett * sänzlich, und es bleiben dann die Formelemente des Fettgewe- Mikroskopische Untersuchungen über das Fettgewebe. 319 bes in Form von schönen, grossen, runden, mit seröser Flüssig- keit erfüllten und mit deutlicher Membran und ein oder meh- reren Kernen versehenen Zellen zurück. Die Resorption des Fettes bei Nahrungsentziehung, sowie der Ansatz von neuem Fett bei reichlicher Fütterung erfolgt bei Kaninchen schon in- nerhalb weniger Tage. 5) Lässt man Kaninchen, die durch Aushungern ihren Fett- reichthum fast gänzlich eingebüsst haben, bei reichlicher Nah- rung wieder Fe# ansetzen, so sammelt sich dasselbe in den ursprünglichen Fettzellen wieder an, und zwar stimmt der Vor- gang der Verfettung fast ganz mit dem Entwickelungsvorgange des Fettgewebes aus Bindegewebszellen überein. 6) Wird bei Kaninchen durch Eintragen von Jodlösung eine intensive Entzündung im Fettgewebe hervorgerufen, so lässt sich an den Fettzellen eine reichliche endogene Entwickelung junger zelliger Elemente beobachten, vorausgesetzt, dass der) Binnenraum der Zellen vom Fetttropfen nicht gänzlich ausge- füllt war. Die neugebildeten Zellen stimmen in ihrem äusse- ren Verhalten ganz mit den jungen Zellen des Bindegewebes überein; es lässt sich an denselben ein scharf begrenzter Zell- körper und ein Zellenkern deutlich wahrnehmen;’ bei Zusatz von Essigsäure sondert sich an dem ersteren das weiche Proto- plasma von einer consistenteren peripherischen Schicht. Erklärung der Abbildungen. Die Abbildungen sind ihrem wesentlichen Theile nach vermittelst des Zeichenprismas angefertigt, nur Fig. 3 und 4 sind etwas mehr schematisch gehalten, Die Vergrösserung beträgt ungefähr 450. Fig. 1. Normale Fettzellen aus dem Gekröse eines mittelgrossen mässig gut ernährten Kaninchens. Fig. 2. Sogenannte „serumhaltige“ ihrer Fettkugel beraubte Zel- len aus dem Gekröse eines mittelgrossen ausgehungerten Kaninchens. Fig. 3. Entwickelung des Fettgewebes aus Zellen des Bindege- webes bei einem neugeborenen Kätzchen; die mit grösseren und klei- " 320 F. Czajewicz: Mikroskopische Untersuchungen u. s. w. neren Fetttröpfchen erfüllten Zellen vermitteln den Uebergang von den kleinen blassen feingranulirten Bindegewebszellen zu den grossen runden von einem Fetttropfen fast ganz erfüllten Fettzellen. Fig. 4. Der gleiche Entwickelungsvorgang beim Fisch (Karausche); das Präparat stammte aus der Umgebung der Nieren. Fig. 5. Eine Gruppe mit junger Brut erfüllter Multerzellen aus der Leistengegend eines grösseren etwas abgemagerten Kaninchens, bei welchem vermittelst Jodlösung eine Entzündung des Fettgewebes hervorgerufen worden war. F. Bidder: Experimentelle u. anatom. Untersuchungen u. s. w. 321 Experimentelle und anatomische Untersuchungen über die Nerven der Glandula submaxillarıs. Von F. BiDDER in Dorpat. — (Hierzu Taf. X.) Die neue Aera, welche in der Lehre von der Speichelsecre- tion mit den Arbeiten Ludwig’s begonnen hat, gründet sich bekanntlich auf den Nachweis, dass nur unter dem Einflusse gewisser Nerven diese Absonderung zu Stande kommt, und auf das dadurch geforderte nähere Eingehen auf die Veränderungen, die durch die betreffenden Nerven in diesen Drüsen und na- mentlich in der Glandula submaxillaris herbeigeführt werden. Zwei Anschauungsweisen kamen hierbei zur Sprache. Der Nerveneinfluss konnte nämlich die mechanischen Bedingungen der Secretionsapparate alteriren, und zwar, durch Verkürzung der musculösen Wandelemente der in der Drüse enthaltenen Blutgefässe, die kleinen Arterien oder die kleinen Venen, die Einflussöffnungen oder Ausflusslumina des Capillarsystems, ver- engern, den Strom und Seitendruck des Blutes ändern, und die Filtration flüssiger Blutbestandtheile durch die Gefässwandungen befördern oder hemmen. In ähnlicher Weise konnte aber auch eine in den Drüsenkanälen etwa vorhandene Musculatur die Bewegung von Flüssigkeiten durch die Membranen dieser Röh- ren hindurch beherrschen. Es durfte für diese Vorstellung ‚überdies geltend gemacht werden, dass die nach wechselnden Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1866. 2] 322 F. Bidder: Aggregatzuständen veränderliche Weite der Poren und die verschiedene Länge der Zeit, während welcher Flüssigkeiten mit den Membranen, die sie durchdringen sollen, in Contact bleiben, nicht blos die Menge, sondern auch die Beschaffenheit des Durchtretenden ändern können, ja ändern müssen. Ande- rerseits durfte jedoch auch der Vorstellung Raum gegeben wer- den, dass der sichtliche Einfluss der Nerven auf diese Secre- tion in einer Aenderung der chemischen Eigenschaften der in Rede stehenden Membranen begründet sei, und dass durch Al- terationen der hiervon abhängigen endosmotischen Verhältnisse die Seeretion bestimmt werde. Auf dem Wege der Exclusion suchte Ludwig darzuthun, dass nur die letztere Hypothese zulässig sei. Durch eine Reihe eben so sinnreicher als mühevoller Versuche bewies er, dass die „Absonderungskraft* von dem Blutdruck nicht abge- leitet werden könne, weil sie weit über denselben hinausgehe, wie in den Speichelgang und in die Carotis gleichzeitig einge- führte Manometer beweisen; dass Aenderungen der Circulations- verhältnisse innerhalb der Drüse durch die Erregung der Ner- ven überhaupt nicht hervorgerufen werden, da ein in eine Drü- senvene eingebundenes Manometer, trotz bedeutender Steige- rung des Secretionsdruckes, gar keine Druckschwankungen in den Blutgefässen der Drüse anzeige; dass endlich selbst erheb- iche Störungen des Blutlaufs durch die Drüse, wie sie nach Unterbindung der Carotis derselben Seite ganz unausbleiblich sind, ja dass sogar völliges Aufhören der Blutbewegung nach gänzlicher Erlahmung des Herzens, den Einfluss der Nerven auf die Steigerung der Absonderung nicht aufhebe. Dass aber die Nervenerregung ebensowenig eine Muskelaction in den Se- cretionskanälen und dem Ausführungsgange der Drüse herbei- führe, lehre der bei dauernder Erregung ununterbrochene Aus- tritt von Flüssigkeiten aus dem Speichelgange, während die Meinung, es könne dieser Abfluss von einem in den Drüsen- kanälen angesammelten Vorrathe herrühren, der durch die Zu- sammenziehung der letzteren zur Entleerung komme, durch die Erfahrung widerlegt werde, dass der nach aussen tretende Spei- chel in sehr kurzer Zeit das Drüsenvolum bedeutend übertreffe. Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 323 Wenn hiernach mechanische Aenderungen in den Blut- und Secretionskanälen der Speicheldrüse als Folge der Nervenerre- gung ganz ausgeschlossen schienen, so war über die chemische Alteration der Drüsensubstanz als Ursache der vermehrten Speichelabsonderung etwas Näheres doch nicht anzugeben. Ludwig hatte in seiner ersten epochemachenden Mitthei- lung über die angedeuteten Verhältnisse (Henle’s und Pfeu- fer’s Zeitschr., neue Folge, I., 1851, S. 258) zwar schon dar- auf hingewiesen, dass die in die Glandula submaxillaris des Hundes eintretenden Nerven doppelter Art sind, und theils aus dem Ramus lingualis trigemini in Begleitung des Ausführungs- ganges, theils aus dem carotischen Geflechte des sympathischen” Systems mit der zuführenden Arterie in die Drüse eindringen. Indessen bezogen sich seine damaligen experimentellen Erfah- rungen über Beförderung der Speichelabsonderung durch Ner- venreizung nur auf den bezüglichen Drüsenast aus dem Trige- minus. Erst mehrere Jahre später hatte Ludwig, wie wir durch Czermak erfahren (Sitzungsberichte der Akad. d. Wiss. zu Wien, math.-naturwiss. Klasse, Bd. 25, 1857, S. 1), gefun- den, dass auch Reizung des sympathischen zur Drüse sich be- gebenden Nerven, ja selbst Irritation des Halstheils des Sym- pathicus, die Speichelsecretion einleiten könne. Czermak selbst hatte diesen Einfluss des Sympathieus constatirt und überdies gefunden, dass die Reizung desselben am Halse „unter gewissen Umständen“ auch „hemmend“ auf den Speichelstrom einwirke. Wenn nun gleich Eckhard (Beiträge zur Anatomie und Physiologie, Bd. 2, Giessen 1859, S. 86) zeigte, dass diese vermeintliche hemmende Wirkung darauf hinauslaufe,, dass bei Reizung des Sympathicus eine specifisch verschiedene, viel zä- here, undurchsichtigere Flüssigkeit in weit geringerer Menge abgesondert werde als bei Reizung des Trigeminus, dass also unter dem Einflusse dieser verschiedenen Nerven nicht blos ‚quantitative, sondern auch qualitative Aenderungen des Secre- tionsherganges eintreten, so war damit doch keineswegs ein Grund gegen die Ansicht gegeben, dass der Nervenreiz mecha- nische Aenderungen in dem Inneren der Drüse nicht hervor- zufe, und dass er nur durch chemische Alteration von Drüsen- 22° 324 F. Bidder: elementen die endosmotischen Vorgänge beherrsche und ver- schiedene Producte bedinge. In ein. neues Stadium trat diese Angelegenheit durch die Erfahrungen Bernard’s. Derselbe (Lecons sur la physiologie et la pathologie du systeme nerveux, tom. II., 1858, p. 150), lieferte nicht nur den interessanten Nachweis, dass der Drüsen- ast aus dem Lingualis von dem Nerv. facialis herstamme, und dass die motorische Chorda tympani die Secretion der Glan- dula submaxillaris hervorrufe, sondern er wirft auch die Frage auf, ob die Galvanisirung der Drüsennerven nicht vielmehr auf die Gefässe als auf das Drüsengewebe wirke, ob die Secretion ‘nicht einfach eine Folge des durch Contraction von Gefässen gesteigerten Druckes der in ihnen cireulirenden Flüssigkeit sei. Unter Bezugnahme auf Ludwig’s Erfahrungen entscheidet sich aber Bernard dafür, dass es nicht möglich sei, in dein Secre- tionsacte die Wirkung eines Druckunterschiedes zwischen dem Blute und den Wandungen der Drüsenzellen zu erblicken, und dass das Blut nur eine ziemlich entfernte Bedingung dieses Phänomens sei, dessen Mechanismus anderswo gesucht werden müsse. Indessen bald darauf lautet desselben Verfassers Urtheil ganz anders. Bernard fand nämlich, dass unter dem Ein- flusse der beiden fraglichen Drüsennerven Menge und Farbe des aus der Glandula submaxillaris zurückkehrenden Blutes auffallende Aenderungen und zwar entgegengesetzter Art er- leidet, indem bei Erregung des Trigeminusastes das Venenblut hellroth und stossweise wie Arterienblut, und in bis auf’s Vier- fache gesteigerter Menge zum Vorschein kommt, während bei Reizung des Sympathicus die gewöhnliche dunkelrothe Farbe des Venenblutes sich wieder einstellt, der Ausfluss sich vermin- dert, ja bei intensiver Reizung sogar ganz stockt (Comptes rendus, 1858, tom. 46, p. 162). Hiernach waren also Aende- rungen in den Circulationsverhältnissen der Drüse doch unleug- bar, und Bernard deutete dieselben dahin, dass der Sympathi- cus die Drüsengefässe verengere, der Trigeminus sie erweitere (tom. 47, p. 245, 251, 252), dass diese Wirkung sich in Nichts unterscheide von der Wirkung motorischer Nerven auf con- tractile oder musculöse Elemente im Allgemeinen, dass die Ver- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 395 'schiedenheit in den Veränderungen des Blutes nur die Folge der verschiedenen Dauer in der Berührung zwischen Blut und Drüsengewebe sei, dass also Modificationen mechanischer Ver- hältnisse in der Drüse den Einfluss der Nerven auf chemische Lebensvorgänge vermitteln. Ganz dieselben Ansichten wieder- holt Bernard in seinen im folgenden Jahre erschienenen Le- cons sur les proprietes physiologiques etc. des liquides de l’or- ganisme, 1859, tom. II., p. 262 seq. Ludwig hat durch diese Beobachtungen Bernard’s sich nicht veranlasst gesehen, seine ursprüngliche Ansicht über die Bedingungen der Speichelbereitung zu ändern. In seiner neue- sten Aeusserung hierüber (Lehrbuch der Physiologie, 2. Aufl., Bd. IL., 1861, S. 546 ff.) wiederholt er ohne Einschränkung und mit Berufung auf die bereits früher entwickelten Gründe die Annahme, dass der durch die Nerven angeregte Uebertritt des Speichels, namentlich der Salzlösung desselben, aus den Blutgefässen in die Drüsenräume .auf einer Veränderung der Drüsensubstanz beruhe, die einen Flüssigkeitsstrom aus dem Blute in die Drüsenanhänge zu bewerkstelligen vermag. Zur Bekräftigung fügt Ludwig die seitdem von ihm gemachte Er- fahrung über die Temperatur des Speichels nach Lingualisrei- zung hinzu, indem dieselbe auf eine chemische Umsetzung in der Drüse hinweise; er bestreitet, dass der Blutdruck die Ur- sache der Flüssigkeitsströmung in die Drüsenanfänge sein könne, indem er ausdrücklich sagt (S. 254), dass der Nerv keinesfalls dadurch wirksam sei, dass er den Blutdruck in den Drüsen- gefässen steigere und den Durchmesser jener Gefässe verändere. Und wenn Ludwig (S. 346) eine Begünstigung der Secretion durch Beschleunigung des Blutstromes als „wahrscheinlich“ zu- giebt, so behauptet er doch, dass die von Bernard beobach- tete Aenderung des Blutstromes nicht wesentlich für die Spei- chelbildung sei, da abgesehen von allem Uebrigen die Reizung des Sympathicus wie des Lingualis Speichelung hervorrufe, ob- gleich doch nur letzterer den Blutstrom beschleunigt, ersterer ihn vielmehr verlangsamt. " Bei dieser Sachlage war es zur Gewinnung eines selbstän- digen Urtheils unerlässlich, die Erfahrungen, auf welche so 326 F. Bidder: verschiedene Ansichten gebaut wurden, zu wiederholen, um das nach der einen oder anderen Seite sich neigende Gewicht der- selben aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Ich habe daher nicht umhin gekonnt, zunächst nur zur Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses, ebenfalls Versuche über die Innerva- tion der Gl. submaxillaris anzustellen. Es wurden dazu aus den schon von Ludwig näher entwickelten Gründen nur Hunde benutzt. Immer wurden die Thiere vorker durch In- jection von Opiumtinctur in’s Gefässsystem narcotisirt, und es wurde dazu anfangs wie gewöhnlich eine Vena jugularis ge- wählt. Weil aber die dabei unerlässliche Unterbindung dieses (Gefässstammes in dem entsprechenden peripherischen Bezirke eine beträchtliche Stauung zur Folge hatte, und die in dasselbe Gebiet fallenden, zur Bloslegung der Drüse, ihres Ausführungs- ganges, ihrer Nerven und Gefässe erforderlichen operativen Ein- griffe daher von gesteigerter und lästiger Blutung begleitet wur- den, so wurde in der Folge zur Opiuminjection meistens eine Vena submentalis gewählt, die sich auch dadurch empfiehlt, dass sie durch den ersten zum tieferen Eindringen erforderli- chen Hautschnitt sofort blosgelegt wird. Das weitere operative Verfahren ist namentlich von Bernard so eingehend beschrie- ben worden, dass Ferneres hinzuzufügen um so überflüssiger erscheint, als jeder Operateur nach seiner Bequemlichkeit Modi- fieationen anzubringen kaum unterlassen wird. Obgleich Ber- nard bemerkt (Compt. rend. 1858, tom. 47, p. 246): Le pro- cede operatoire pour decouvrir les nerfs de la glande sous- maxillaire peut &tre classe au nombre des operations delicates et laborieuses, so finde ich die Hauptschwierigkeit bei dem „Speichelversuch* doch weniger in dem blutigen operativen Eingriffe, als in der auf dem beschränkten Raume einer Seite der Submaxillargegend eines Hundes zu bewerkstelligenden Application mehrfacher experimenteller Vorrichtungen, und der passenden Anstellung der zu ihrer Beaufsichtigung erforderlichen Assistenten. — In Bezug auf das von mir befolgte operative Verfahren habe ich nur ein Paar Punkte näher zu erläutern. Die von Bernard empfohlene Durchschneidung oder Entfer- nung des Muse. digastr, max. inf., sowohl die partiale als to- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 327 tale, die Ablösung vom Unterkiefer oder die Trennung von der Schädelbasis, habe ich zur Gewinnung eines breiteren Zuganges zum Drüsenaste des Lingualis zwar mehrfach versucht, aber wegen der bei aller Vorsicht doch sehr störenden a ZU- letzt ganz aufgegeben. Auch mit völliger Schonung des Diga- strieus lassen sich, namentlich bei Thieren mit langer Schnauze, die Ränder der Schnittwunde hinreichend weit von einander entfernen, um mit Verlust von nur wenigen Tropfen Blut den Drüsennerven zugänglich zu machen und die übrigen zu die- sem complieirten Experimente erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. — Von den beiden dicht neben einander liegenden Aus- führungsgängen der Gl. submaxillaris wählte ich zum Einbin- den einer Canüle immer den der Mittellinie näher liegenden und grösseren, der auch ausschliesslich dieser Drüse angehört, während der nach aussen liegende kleinere ausser dem Secrete der die Gl. sublingualis constituirenden getrennten Drüsenhaufen gewöhnlich auch das Product einiger Acini der Submaxillardrüse aufnimmt. Durch die in den ersteren Gang eingebundene Ca- ‘ nüle wird also meistentheils nicht die ganze Menge des von der Drüse gelieferten Secretes aufgefangen, sondern nur ein Theil desselben, freilich der bei Weitem grössere. Dies Verhältniss wird durch die Unterbindung des anderen Ganges nicht geän- dert, da die blinden Enden der Secretionskanälchen eines Drü- senbezirks von denen eines benachbarten ganz getrennt sind, also ein Uebertritt des Secretes aus einem Drüsenlappen in einen anderen nicht stattfinden kann. Ausnahmsweise wird aber auch nur ein einziger Ausführungsgang angetroffen, aus dem alsdann nicht allein das Submaxillardrüsensecret in seiner Totalität, sondern auch das Product der Sublingualdrüse ge- wonnen wird. Ein Paar Male wurde übrigens neben dem grös- seren Gange zugleich in den kleineren eine Röhre eingeführt, aus der ein Minimum eines zähen, immer ganz wasserhellen Fluidums zum Vorschein kam. Die Menge des ausfliessenden Speichels wurde nach Zeiträumen, die 30—60 Secunden um- fassten, durch das Gewicht bestimmt. Wo der Abfluss in ab- zählbaren Tropfen erfolgte, wurde die Gesammtmenge des Spei- chels auch durch Multiplication der Tropfen mit dem Factor 328 F. Bidder: 40 berechnet, nachdem wiederholte Proben gezeigt hatten, dass ein Tropfen Speichel ein Gewicht von mindestens 40 Mgrm. hat. — Den Drüsenast aus dem Trigeminus habe ich stets dicht am Stamme des Lingualis durchschnitten, mittelst einer schon vorher angelegten Ligatur gefasst, und 4—6 Linien weit frei präparirt. Derselbe Ligaturfaden bot auch eine bequeme Hand- habe dar, den Nerven über die stromzuführende Vorrichtung hinüberzulegen, so dass er, durch Luft isolirt, in der That den alleinigen Weg bildete, auf welchem die Inductionsschläge auf das Versuchsthier einwirkten. Dieser Drüsennerv ist übri- gens, wie man gewöhnlich schon während seiner Präparation am Lebenden findet, niemals ein einfaches Nervenstämmchen, sondern besteht aus mehreren feinen Nervenbündelchen, die dicht neben einander in Bindegewebe eingebettet liegen, und der Mehrzahl nach mit dem Ligaturfaden sich zusammenfassen lassen. — Zur Irritation des sympathischen Drüsennerven wurde immer der Cervicaltheil des Grenzstranges vor seinem Eintritte in’s Gangl. cervic. supremum aufgesucht. Wenn er von dem Vagus sich deutlich unterschied, wurde er durch einen umge- legten Faden noch vollständiger von demselben abgehoben, und isolirt für sich gereizt. War er aber in der ihm und dem Va- gus gemeinsamen Scheide nicht hinreichend scharf abgesetzt — und das war der häufigere Fall —, so ward auch nicht weiter versucht, ihn mit Messer und Pincette freizulegen, weil die Ge- fahr, ihn zu verletzen und seine Reizbarkeit zu schädigen, zu nahe lag, sondern es wurde der gemeinsame Stamm des Vagus und Sympathicus durchschnitten, das Kopfende eine Strecke blosgelest und über die stromzuführenden Dräthe hinüberge- brückt. Die dabei freilich unvermeidlichen Alterationen der Athembewegungen störten jedoch die Erfolge der gleichzeitigen Sympathicusreizung nicht. Die Erregung der Nerven erfolgte immer durch den du Bois’schen Schlittenapparat, der durch ein kleines Grove’sches Element in Bewegung gesetzt wurde; Stromschleifen waren durch die vollständige Bloslegung der Nerven und ihre Isolirung durch Luft vollkommen ausgeschlos- sen. — Um die durch die Nervenreizuug etwa bedingten Aen- derungen der Circulationsverhältnisse in der Drüse zu consta- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 399 tiren, musste über Zahl und Lage der von derselben zurück- kehrenden Blutgefässe Sicherheit gewonnen werden. Wenn Rahn (Einiges über die Speichelsecretion, Zürich 1850, S. 24) von einer „in die Drüsenwand* eines Hundes einzubindenden Canüle spricht, so scheint dies auf die Anwesenheit eines ein- zigen derartigen Gefässes bezogen werden zu müssen. Lud- wig dagegen (a. a. O. S. 263) erwähnt eines „in eine der stärkeren“ aus der Drüse zurückkehrenden Venen einzuführen- den Röhrchens, womit eine Mehrzahl solcher Gefässe zugegeben wird. Bernard äussert sich öfters über die anatomischen Ver- hältnisse dieser Gefässe. So sagt er (Comptes rendus, 1858, tom. 46, p. 162): La veine de cette glande offre de nombreuses varıietes; tantöt elle est unique — letztere Bemerkung wird wiederholt. in lecons sur les liquides, tom. I., p. 352 — tantöt elle a deux origines ou branches de volume egal ou inegal, se jettant dans deux troncs veineux distinets. Ebenso spricht er (Lecons sur les liquides, tom. II., p. 279 u. 281, Fig. 6, du.d‘, Fig. 7D) von veines glandulaires, ordinairement au nombre de deux, tres variables dans leur disposition, ordinairement l’une predomine de beaucoup les autres, u. a. and. Stellen. Ich selbst habe, wie auch Bernard in der citirten Fig. 6 angiebt, die Submaxillardrüse ganz regelmässig dem Vereinisungswinkel zweier Venen anliegend gefunden, deren eine als Vena sub- maxillaris oder facialis bezeichnet werden kann, weil sie aus dem Zusammenflusse zweier aus der Unterkiefergegend oder vom Gesichte herkommender Gefässe hervorgeht, während die andere eine Vena temporalis darstellt. Aus der Vereinigung dieser beiden Venen geht hart am hinteren Rande der Drüse die Vena jugularis externa hervor. In Bezug auf Zahl und Lage der Drüsenvenen finden aber grosse Verschiedenheiten statt, selbst auf beiden Körperseiten eines und desselben Thie- res. Zuweilen habe auch ich zwei Drüsenvenen gefunden, die, aus verschiedenen Stellen des Drüsenparenchyms hervortretend, sich nach hinten wenden, um in die Vena submaxillaris oder temporalis sich einzusenken. Kaum jemals jedoch waren sie beide von gleicher Stärke, sondern die eine überwog gewöhn- lich in dem Grade, dass die andere auf ein ganz unbedeutendes 330 F, Bidder: Gefässchen reducirt war; zuweilen senkten sich auch beide Drüsenvenen in denselben Venenstamm ein, namentlich in die Vena temporalis. Wohl eben so häufig als solche mehrfache Drüsenvenen fand sich indessen auch nur eine einzige und dann um so grössere Vene, die bald in den einen bald in den ande- ren der genannten Stämme sich ergoss, bald auch gerade in den Vereinigungswinkel derselben zur Vena jugularis sich ein- senkte. Dieses Einfachsein ist das für die Prüfung der Circu- lationsänderungen weitaus günstigere Verhältnis. Denn’ die in dem Gefässraume der Drüse stattfindenden Alterationen müssen sich dann in dieser einfachen Gefässbahn allein aussprechen, und können daher an dem in ihr angebrachten Messapparate in ihrer Totalität erkaunt werden, während bei einer Mehrzahl der rückführenden Gefässe, von denen schon wegen der Be- schränktheit des Raumes doch immer nur eines allein der ex- perimentellen Prüfung unterworfen werden kann, nur ein Theil des etwaigen Gesammteffectes zur Perception kommen und um so eher übersehen werden kann, als die Ausgleichung solcher Alterationen von mehreren dazu dargekotenen Wegen denjeni- gen vorziehen muss, an welchem durch experimentelle Vorrich- tungen ungewöhnliche Hindernisse nicht eingefügt sind. In diesen Umständen dürfte die Erklärung dafür zu suchen sein, dass Ludwig sowohl als Rahn bei Einführung von Manome- tern in die Drüsenvene nach Reizung des Drüsennerven keine Druckänderung beobachteten. — Weil die zur Application eines Hämodynamometers erforderliche Einführung einer dreischenke- ligen Tförmigen Canüle bei der Kürze und Enge der Drüsen- vene nicht nur schwierig, sondern wegen drohender Bildung von Blutgerinnseln auch in ihrem Erfolge unsicher war, so wurde die Submaxillar- oder Temporalvene unmittelbar vor Aufnahme der Drüsenvene :unterbunden'), so dass sie bis zu ihrer Vereinigung mit dem Nachbarstamme nur das aus der Drüse zurückkehrende Blut führte.?) In diesen Venenstamm 1) Zuweilen senken sich in die Drüsenvene auch eine oder meh- rere kleine von dem umgebenden Fettgewebe oder benachbarten Lymphdrüsen herkommende* Venen ein, die dann ebenfalls unterbun- den werden müssen. 9) Ein ähnliches Verfahren ist übrigens, wie ich nachträglich finde, Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 331 liess sich eine Canüle der bezeichneten Art und von hinrei- chender Weite leicht einführen, und das mit derselben verbun- dene Hg-Manometer stand nur unter dem Einflusse der Drü- senvene, und konnte bei der Art seiner Verbindung mit der letzteren nur die in ihr stattfindenden Aenderungen des Seiten- drucks anzeigen. In ähnlicher Weise wurde die bezügliche Vena temporalis oder submaxillarıs auch benutzt, um das aus der Drüse zurückkehrende Blut aufzufangen und seine Menge zu bestimmen. Denn die ohnehin kurze Drüsenyene allein zog sich, auch wenn sie dicht an der Vena submaxillaris durch- schnitten wurde, doch so stark zurück, dass das ausfliessende Blut sich nicht mit Sicherheit auffangen liess. Wenn dagegen der beträchtliche Submaxillarvenenstamm sowohl vor Aufnahme der Drüsenvene als auch vor seiner Einsenkung in die Jugular- vene unterbunden und zwischen beiden Ligaturen geöffnet wurde, so liess sich das aus ihm heraustretende und nur der Drüse angehörende Blut eben so leicht als sicher auffangen. Derselbe Weg lässt sich auch benutzen, um Substanzen, die eine besondere Einwirkung auf die Absonderung der Drüse ausüben sollen, z. B. Curarelösung, in dieselbe einzubringen, in- dem bei Anwendung eines Druckes, der selbstverständlich über den Blutdruck in den Capillaren der Drüse hinausgehen muss, das Blut in rückgängige Bewegung gebracht und eine gleich- zeitig injieirte Flüssigkeit über die ganze Drüsensubstanz ver- breitet werden kann. Dass die Submaxillardrüsenvene solche. rückgängige Bewegung gestatte, lehrt auch am Leichnam die Erfahrung, dass von der Vene aus durch Wasserinjection die Drüse in einen gedunsenen Zustand versetzt, und der Abfluss des Wassers aus einer zweiten auf der gegenüberliegenden Seite der Drüse erscheinenden Vene unmittelbar beobachtet werden kann. — Um endlich den Einfluss der Nerven auf die Drüse auszuschliessen und namentlich die Einwirkung des Tri- geminusastes zu eliminiren, habe ich nicht die Abgangsstelle desselben vom Lingualis aufgesucht, weil die traumatische auch schon von Bernard eingeschlagen (Lecons sur les liquides, tom, II., p. 285). 332 F. Bidder: Reaction, die auf die dazu erforderliche eingreifende Operation unvermeidlich folgen muss, eine längere Zeit fortzusetzende Be- obachtung erheblich stören würde. Ich habe vielmehr den Stamm des Lingualis in der Mundhöhle durchschnitten, wo er an dem vorderen Rande des M. pterygoid. int. zum Vorscheine kommt, dicht unter der Mundschleimhaut liegt, und nach Spal- tung derselben leicht zu finden ist. Zwar wird hiermit auch die Empfindlichkeit der betroffenen Zungenhälfte eliminirt; aber dieser Nebeneffect stört die aufgehobene Einwirkung des Lin- gualisastes auf die Speichelseceretion nicht. — Die dem sympa- thischen Systeme angehörenden Drüsennerven völlig auszu- schliessen ist nicht thunlich. ‘Zwar lassen sich in der von Bernard näher angegebenen Weise ‘die vom Ganglion cervi- cale supremum ausgehenden und die Drüsenarterie begleitenden Zweige am Lebenden wohl darstellen, und können durchschnit- ten werden. Aber nicht allein ist der dazu erforderliche ope- rative Eingriff so bedeutend, dass auch hier die traumatische Reaction bei längerer Dauer der Beobachtung die Reinheit der Erfolge in erheblicher Weise beeinträchtigen müsste, sondern es wird dürch diesen Eingriff der Einfluss des sympathischen Nerven auch keineswegs vollständig eliminirt. Denn wie schon Czermak (a. a. O. S. 7) dem Drüsenaste des Lingualis sym- pathische Fasern und der Drüse selbst Ganglienkugeln zu- spricht, und Adrian und Eckhard (a. a. O. S. 85) an dem «Drüsenaste des Lingualis von dem Abgange desselben an bis zu den feineren Verzweigungen in die Drüse hinein kleine Ganglien fanden, so habe auch ich bei keiner hierauf gerich- teten Untersuchung sie vermisst. Der Einfluss dieser Nerven- zellen auf die zur Drüse sich begebenden Nervenfasern bleibt nach Durchschneidung der vom Halstheile des Sympathicus aufsteigenden Fasern selbstverständlich unbeeinträchtigt. Es mag hierbei auch bemerkt werden, dass schon Remak (Müll. Archiv 1852, S. 61) auch bei anderen Säugethieren und beim Menschen kleiner Ganglien an den zur Gland. „maxillaris“ und zum Duct. Whartonianus gehenden Aesten des N. lingualis Er- wähnung thut, und die Beziehung dieser Nervenzellen zu den Drüsen, namentlich auch den Schleimdrüsen der Zunge, wahr- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 333 scheinlich zu machen sucht. — Wird aber der Halsstamm des Sympathieus durchschnitten, so kann noch weniger von einem völligen Aufheben des Einflusses der oberhalb der. Durch- schnittsstelle gelegenen Ganglienmassen auf die von ihnen aus- gehenden Nervenfasern die Rede sein; höchstens eine gewisse Herabsetzung der von ihnen ausgehenden Impulse durfte er- wartet werden, und die nachfolgenden Erfahrungen werden in der That lehren, dass die in die Drüse eintretenden sympathi- schen Zweige von der Trennung des Halsstammes des Sympa- thicus nicht unberührt bleiben, und also auch von den weiter nach unten oder hinten gelegenen Ganglien des Grenzstranges Antriebe zu Thätigkeitsäusserungen empfangen müssen. Unter Beobachtung des in Vorstehendem angedeuteten Ver- fahrens sind über den „Speichelversuch“ in dem hiesigen phy- siologischen Laboratorium eine beträchtliche Zahl von Experi- menten angestellt worden. Ein Theil derselben ist in den In- auguraldissertationen von A. Hildebrand (Versuche über die Innervation der Glandula submaxillaris beim Hunde, Dorpat 1865) und von F. Sartisson (Ein Beitrag zur Kenntniss der Jodkalium-Wirkung, Dorpat 1366) bereits veröffentlicht worden. Die seitdem vervollständigten und erweiterten Resultate dersel- ben dürften aber auch für weitere Kreise Interesse haben. In- dem ich über die Einzelheiten der bezüglichen Versuche auf die genannten Gelegenheitsschriften verweisen kann, werde ich an diesem Orte die dort erwähnten Erfahrungen nur insofern re- produeiren,. als sie das Urtheil über die Vorgänge bestimmen können, die durch die Reizung der betreffenden Nerven in der Unterkieferdrüse angeregt werden. 1. Wenn bei den erwähnten operativen Vorbereitungen der Submaxillardrüsengang geöffnet wird, so dringen sofort einige Tropfen einer visciden Flüssigkeit hervor, und die eingebun- dene Canüle füllt sich meistens sehr bald mit einer zähen grau- weissen schleimartigen Masse. Zu einem Ausfliessen derselben kommt es jedoch selten; die Absonderung scheint vielmehr bald wieder ganz zu stocken, und dies hält längere Zeit, bis eine halbe Stunde und darüber an, wenn bei vollständiger Narcoti- sation der Thiere alle willkürlichen Beweguugen und nament- 334 F. Bidder: lich auch Schluckbewegungen wegfallen. Es scheint, dass jener geringe den Ausführungsgang und die Canüle erfüllende Spei- chelvorrath nur ein Rest der Absonderung ist, die von den Kiefer- und Schlingbewegungen veranlasst wurde, welche das Einbinden eines Knebels in den Mund des Versuchsthieres und die zur Opiuminjection erforderlichen Schnitte begleiteten. Die- ser geringe Ausfluss aus der Canüle wird aber schon bei der darauf folgenden Präparation des Drüsenastes aus dem Lingua- lis, die ohne mechanische Zerrung des Nerven kaum zu be- werkstelligen ist, und bei der Umschnürung desselben mit einem Faden sofort etwas gesteigert; unvergleichlich mehr aber, sobald dieser Nerv der galvanischen Reizung ausgesetzt wird. Eine ganz wasserhelle, zwar schlüpfrige aber weit weniger zähe Flüssigkeit, als die zuerst erscheinende, wird in Tropfen ent- leert, die um so rascher auf einander folgen, je kräftiger der Reiz wirkt, so dass in wenigen Minuten, namentlich wenn die Einwirkung des Reizes durch kurze Ruhepausen unterbrochen wird, ein dem Gewichte der ganzen Drüse gleichkommendes Quantum Speichel entleert wird. Das Gewicht einer Gland. submaxillaris beträgt etwa '/3000 des Gesammtkörpergewichts, und nach diesem aus mehreren Proben ermittelten Verhältnisse habe ich die Masse der Drüse in den einzelnen Versuchen ge- schätzt, da ich die Drüsen selbst behufs anatomischer Unter- suchung der zu ihnen tretenden Nerven nicht immer Preis ge- ben mochte. Folgende Zahlen werden den obigen Ausspruch hinreichend begründen. In einem Falle, in welchem das Ver- suchsthier eirca 20 Kgrm. wog, die Drüse also etwa 10 Grm. schwer war, wurden während der Reizung, die im Ganzen nur 6 Min. umfasste und durch einige Pausen von je 5 Sec. un- terbrochen wurde, 8,14 Grm. Speichel aufgefangen. Ein ande- rer Fall ergab bei einem Körpergewicht von 2 Kgrm. bei der- selben Gesammtdauer der Reizung mit einigen Pausen von je 1 Min. 15,27 Grm. Ein drittes Thier von nur 10 Kgrm. Kör- pergewicht, bei dem die Unterkieferdrüse gewiss nicht über 5 Grm. wog, lieferte sogar in 4 Min. mit ein paar Pausen von je 1 Min. 7,46 Grm. Dass mit solchen Zahlen die Vorstellung unvereinbar ist, dass der erregte Nerv Zusammenziehungen Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 335 der Drüsenkanäle und dadurch Entleerung ihres angesammelten Inhalts bewirkt habe, ist selbstverständlich. Es kommt dazu, dass Durchleitung des tetanisirenden Stromes durch die Drüse oder den Ausführungsgang von sichtlichen Zusammenziehungen durchaus nicht begleitet wird, und solche auch nicht bewirken kann, da Muskelelemente in den Wandungen der Drüsenkanäle gar nicht nachweisbar sind, und auch der Duct. Whartonianus . nur eine schwache Lage von glatten Muskeln zeigt (Kölliker in Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, I., 1849, S. 63, und in Gewebslehre, 4. Aufl., 1863, 8. 392). Zu dem gleichen Resul- tate in Betreff der Speichelmenge ist bekanntlich auch Becher gelangt (Zeitschr. f. rat. Med., neue Folge, I., S. 276), ja die von ihm gewonnenen Secretmengen übertreffen das Volum der Drüse selbst um das Vierfache. Da die Zeit, während welcher (die Nervenerregung fortgesetzt wurde, in Becher’s Versuchen nicht angegeben ist, so hatte sie wahrscheinlich eine längere Dauer als an den hiesigen Experimenten. Hiermit stimmt eine Angabe Bernard’s (Comptes rendus, 1852, p. 239) überein, der als Beleg für die Schnelligkeit, mit welcher unter gewissen Umständen der Speichel abgesondert wird, die Erfahrung er- wähnt, dass in. weniger als 1 Stunde eine Speicheldrüse eine ihr eigenes Gewicht um das 8—10fache übertreffende Speichel- menge absondere und nach aussen entleere. — Mit dem Auf- hören der Nervenerregung stockt auch der Speichelausfluss ent- weder vollkommen, so dass in 10 und mehr Minuten gar Nichts aus der Oanüle ausfliesst, oder es kommen nur spärliche Tro- pfen zum Vorschein. Anfangs sind diese noch wasserhell und dümnflüssig; bald aber beginnen sie sich zu trüben, ein grau- weisses Ansehen und zähe Beschaffenheit anzunehmen, so dass bei wiederholter .Nervenerregung die ersten abfliessenden Tro- pfen eben dieses Ansehen zeigen, und hierauf erst die während der vorangegangenen Reizung beobachtete Beschaffenheit sich wiederholt. Man kann daher bei einem und demselben Expe- rimente in kurzen Intervallen beliebig, je nachdem der Drüsen- nerv erregt oder in Ruhe gelassen wird, nicht allein quantita- tive Aenderungen des Secretes, sondern ebenso constante quali- tative Alterationen desselben hervorrufen. 336 F. Bidde:r: 2. Nach solchen Erfahrungen war es unvermeidlich, gegen die Angabe Czermak’s, dass Reizung des sympathischen Drüsennerven die Absonderung hemme, oder Eckhard’s, dass sie die Bereitung eines zähen und trüben Speichels bedinge, misstrauisch zu werden. Denn Erscheinungen, die von den ge- nannten Beobachtern einer gesteigerten Action des Sympathicus zugeschrieben werden, zeigen sich auch bei Abwesenheit jegli- cher Irritation desselben oder, wenn eine Erregung des ande- ven Drüsennerven vorausgegangen war, schon mit dem Aufhö- ren derselben. Nicht von absoluter Steigerung der Thätigkeit des Sympathicus, höchstens von einem relativen Vorwiegen des letzteren dürfte hier also die Rede sein. - Sobald nämlich die Irritation des Lingualis aufgehört hat, und in seiner Bahn, da sie unterbrochen wurde, keine Impulse mehr die Drüse errei- chen können, steht sie allein unter dem Einflusse des sympa- thischen Nerven. Aber auch die Tetanisirung des letzteren ändert in der Speichelsecretion kaum etwas Wesentliches. Eine Hemmung der Absonderung wird hierdurch so wenig bewirkt, dass ja auch Czermak bei alleiniger Reizung dieses Nerven ein Ansteigen der Flüssigkeit in seiner in. den Wharton’schen Gang eingeführten Steigröhre beobachtete. _Aehnliches boten auch die hiesigen Versuche dar, aus denen ich nur ein Bei- spiel anführen will. Ein Hund von 12 Kgrm. Körpergewicht, dessen Submaxillardrüse auf etwa 6 Grm. veranschlagt werden durfte, und daher aus dem Wharton’schen Gange bei Reizung des Lingualis mindestens ebensoviel Speichel ergeben hätte, lie- ferte bei Reizung des Sympathicus, die im Ganzen 3 Min. währte und von mehreren Pausen unterbrochen wurde, nur 0,72 Grm.; in den Pausen aber floss gar kein Speichel ab. Durchschneidung des Drüsenastes aus dem Lingualis änderte hieran Nichts, und die. nach diesem Eingriffe wiederholte Reizung ergab so wenig, wie die dazwischen liegenden Pausen reichlichere Speichelung. Man kann sonach nicht in Abrede stellen, dass Reizung des Sympathicus die Speichelabsonderung um ein Geringes beför- ‚dere; die Menge des Secrets geht über die während der Ruhe der bezüglichen Nerven auftretenden Quantitäten unzweifelhaft hinaus; aber diese Zunahme ist ganz unverhältnissmässig ge- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 337 ringer als bei Reizung des Lingualis. Nur während der letz- teren stellt sich auch jenes wasserhelle, dünnflüssige, völlig durchsichtige, aller körperlichen Elemente entbehrende Secret ein, als welches der reine auf Geschmacksreize und bei Kau- bewegungen sich ergiessende Drüsenspeichel schon längst be- kannt ist. Ruhe des Lingualisastes dagegen, der sympathische Drüsennerv mag dabei in mittlerer oder gesteigerter Erregung sich befinden, liefert jenes zähe, nur träge fortrückende, grau- weissliche, opalisirende, durch Molecularkörnchen getrübte Flui- dum, dessen körperliche Elemente vielleicht einer durch längere Berührung begünstigten Auflösung des Drüsenepithels in dem alkalischen Drüsensafte ihren Ursprung verdanken. Denn der die Alkalescenz bedingende Gehalt an nichtverbrennlichen Be- standtheilen steht mit der Dauer der Absonderung, also mit der ge- lieferten Speichelmenge in umgekehrtem Verhältnisse (s. Becher und Ludwig a. a. OÖ. S. 278). Vielleicht aber ist jene Trü- bung auch nur auf die Veränderungen zu beziehen, welche nach Graham (Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. 121, S. 70) in allen flüssigen „Colloidsubstanzen“ vor sich gehen, und bei denen die letzteren, anstatt farblos zu bleiben, opalisi- rend werden. 3. Zum Beweise, dass die bei Reizung des Lingualis her- vortretende Speichelmenge nicht von dem Blutdrucke, d.h. von einer Steigerung desselben abgeleitet werden könne, führt Lud- wig (a. a. O. S. 271) mehrere Versuche auf, in denen bei gleichzeitiger Einfügung von Hg-Manometern in die Carotis und den Ductus Whartonianus der Seitendruck in ersterer um ein Beträchtliches hinter dem im letzteren gemessenen Secretions- drucke zurückblieb. Diese Erfahrung kann ich vollkommen bestätigen, wie beispielsweise folgende zwei Versuche lehren. Bei einem grossen alten Hunde von 26 Kgrm. Körpergewicht stieg das Hg des in den Wharton’schen Gang eingeführten Manometers, während einer volle 60 Secunden hindurch fortge- setzten Tetanisirung des Lingualisastes, mit abnehmender Ge- schwindigkeit, aber stetig bis auf 230 Mm., erhielt sich etwa 15 Secunden auf diesem Stande, und begann dann langsam zu sinken, ohne Zweifel wegen Durchsickerns des Speichels durch Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 22 338 F. Bidder: die Drüsenkanäle. Der Wharton’sche Gang wurde dabei sicht- lich ausgedehnt, und die Drüse selbst schwoll unverkennbar an, zum Beweise dass das Austreten des Speichels in das Ma- nometer nicht von einer Oontraction jener Röhren herrühren konnte, und dass der Stand des Hg in dem Apparate nicht - das äusserste Maass des Secretionsdruckes angab, sondern nur den Widerstand bezeichnete, den die Wandungen der Drüsen- kanäle zu tragen vermochten. Die genannte Höhe des Secre- tionsdruckes geht selbst über die höchste von Ludwig gefun- dene Ziffer von 196,5 Mm. noch hinaus. Der Druck in der Carotis wurde freilich nicht direct gemessen; es kann aber nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass er weit geringer war als der Secretionsdruck. In keinem der zahlreichen Ver- suche Ludwig’s (Müll. Arch. 1847, S. 242) ist in der Ca- rotis der Hunde jene Druckhöhe erreicht, und Volkmann | (Hämodynamik, S. 177) führt als höchsten von ihm beobachte- ten Druck in der Carotis eines grossen Hundes 172 Mm. an. Nach der nicht geringen Menge von Erfahrungen, die ich selbst | im Laufe der Jahre über diesen Gegenstand gesammelt habe, geht der Druck in dem fraglichen Gefässe der Hunde nicht leicht über 150 Mm. hinaus, bleibt vielmehr gewöhnlich selbst bei den kräftigsten Thieren unter jener Ziffer. Da das er- wähnte Versuchsthier überdies schon recht alt war, und bei dem gleichzeitigen Einführen eines Hämodynamometers in die Drüsenvene ziemlich viel Blut verloren hatte, so erreichte der Druck in seiner Carotis sicherlich nicht das von Volkmann beobachtete Maximum, und konnte daher nicht die Quelle, we- nigstens nicht die alleinige Quelle des hohen Secretionsdruckes sein. — An einem anderen ebenso grossen und ausserordentlich apathischen Thiere, das auch schon sehr alt war, erreichte der Secretionsdruck die Höhe von nur 104 Mm. Hg. Hier erwar- tete ich einen höheren Druck in der Carotis zu finden; aber das Manometer ergab als Maximum des Hg-Standes nur 58 Mm., das niedrigste Maass, das mir in diesem Gefässe bei Säugethie- ren jemals begegnet ist, und auch für diesen Fall völlig unzu- reichend, um den Secretionsdruck daher zu leiten. 4. Die Prüfung der Veränderungen, welche die Eirolakae verhältnisse in der Drüse bei Reizung der Drüsennerven erlei- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 339 den, wurde sowohl durch Bestimmung des Seitendruckes in der Drüsenvene als auch durch Wägung der ausfliessenden Blut- mengen vorgenommen. In ersterer Beziehung sagt Ludwig (a. a. ©. 8. 275), dass, während die Erregung des Nerven den Absonderungsdruck beträchtlich steigere, der Druck in den Ve- nen der Speicheldrüse sich constant und ohne alle interponirte Schwankungen auf 12,2 Mm. Hg halte. Ludwig -scheint, wie aus dieser einen und alleinigen Zahlenangabe hervorgeht, nur einen derartigen Versuch angestellt zu haben. Ich habe schon oben die wahrscheinliche Ursache dieses negativen Erfolges an- gedeutet. Obgleich auch ich nicht verhehlen kann, mehrfache vergebliche Versuche unternommen zu haben, so habe ich doch bei dem zuletzt von mir beobachteten Verfahren, das die Ge- fahr der Blutgerinnung in der Drüsenvene wenn nicht völlig ausschliesst, so doch wesentlich vermindert, in wiederholten Ex- perimenten die unzweideutigsten Resultate erlangt. Der Druck in der Drüsenvene wurde zuerst nach Bloslegung der Nerven “ aber ohne Trennung oder andere als bei der Präparation un- vermeidliche Reizung derselben bestimmt; er ging nie über 20 Mm. Hg hinaus, und sank nicht unter 12 Mm. hinab, im Mittel betrug er etwa 18 Mm. Wurde nun aber der Drüsenast aus dem Lingualis durchschnitten, so sank die Hg-Säule so- gleich um einige Mm., und blieb bei 10—12 Mm. stehen. In- dem der Grund dieser Erscheinung weiter unten erörtert wer- den soll, darf sie doch schon hier als Beweis hervorgehoben werden, dass unabhängig von dem Blutdrucke in der Carotis Aenderung oder Aufhebung des in dieser Bahn der Drüse zu- geleiteten Nerveneinflusses den Seitendruck in ihren Blutge- fässen zu alteriren und zwar zu mindern vermag. Ungleich entscheidender jedoch zeigt sich dies, wenn nunmehr der Drü- sennerv aus dem Lingualis über die stromzuführende Vorrich- tung hinübergebrückt wird. Augenblicklich steigt das Hg um -10—15 Mm., ja zuweilen noch höher (der höchste unter sol- chen Umständen sich mir darbietende Druck war 37 Mm.), um mit dem Nachlasse der Reizung sofort auf seinen früheren Stand zurückzusinken. Wenn keine unerwartete Störung dazwischen- tritt, lässt sich diese Erscheinung in einem und demselben Ex- 22° 340 F. Bidder: perimente beliebig oft wiederholen, so dass auch nicht der ge- ringste Zweifel an dem Zusammenhange derselben mit der Rei- zung des genannten Nerven Raum finden kann, um so weniger als das jedesmalige Ansteigen des Hg von einem verstärkten Speichelausflusse aus dem W harton’schen Gange begleitet wird. Galvanische Reizung des Sympathicus am Halse hat eine un- zweideutige Aenderung des Hg-Standes im Manometer nicht zur Folge. Obgleich dem Obigen gemäss ein weiteres Sinken desselben unter das nach Trennung des Lingualis beobachtete Minimum erwartet werden konnte, und Aenderung der abflies- senden Blutmenge bei Galvanisirung des Sympathicus in der That sich zeigte, hat sich mir eine Aenderung des Druckes in der Drüsenvene unter diesen Umständen doch nicht dargeboten. Vielleicht würde die Anwendung der graphischen Methode, von der ich abzusehen genöthigt war, auch diese wenngleich durch- aus wahrscheinlichen, doch jedenfalls höchst unbedeutenden Schwankungen der Hg-Säule anschaulich machen können. 5. Diese Steigerung des Blutdruckes in den von der Drüse- zurückkehrenden Gefässen weist entschieden auf beschleunigte Blutbewegung in denselben hin, und ich muss hiernach schon a priori, aber auch auf Grund eigener Erfahrungen nicht nur den Angaben Bernard’s über die durch Reizung der bezüg- lichen Nerven bedingten Aenderungen in der Menge des Drü- senvenenblutes beipflichten, sondern kann auch die gleichzeitige Farbenänderung desselben und das unter gewissen Umständen sichtliche Pulsiren der Drüsenvene durchaus bestätigen. Bei stärkerer Reizung des Drüsennerven aus dem Lingualis (bei sich berührenden oder gar über einander geschobenen Rollen des du Bois’schen Schlittens) tritt das Blut aus der geöffneten Drüsenvene sichtlich stossweise hervor, und die Zahl dieser Stösse in einer gewissen Zeit entspricht vollkommen der Zahl der fühlbaren Herzschläge. Die durch den Herzstoss hervorge- rufene Wellenbewegung in den Arterien wird also im Capillar- gefässsystem der Drüse nicht gebrochen, sondern setzt sich durch dasselbe hindurch bis in die Venen fort. Dies ist ein Beweis dafür, dass die Widerstände, welche das Blut sonst in der Drüse findet, während der Reizung dieses Nerven vermin- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 341 dert werden ; und nach der längst bekannten Erfahrung (s. Volkmann’s Hämodynamik, S. 305), dass bei den weiten Ca- pillargefässen des Hühnchens im bebrüteten Ei nicht allein die Arterien sondern auch die Venen pulsiren, muss in unserem Falle auf eine Erweiterung der Gefässe in der Drüse geschlos- sen werden. Diese Erweiterung wird sich namentlich auf die Einflussöffnungen des Blutes, auf die Enden der kleinsten Ar- terien beziehen müssen, weil das sogleich zu erwähnende ver- mehrte Abströmen des Blutes aus der Drüsenvene ein vermehr- tes Einströmen desselben in die Drüse zur unerlässlichen Be- dingung hat. Wenn nun aber Ludwig (a. a. O. S. 257) nach seinen ausdrücklich hierauf gerichteten Untersuchungen nur in den Wandungen der capillären Arterien Muskelfasern nachwei- sen konnte, und eine Musculatur, welche Gefässe unmittelbar zu erweitern vermöchte, wie überall, so auch hier nicht vorhan- den ist, so muss die mit Nothwendigkeit geforderte Erweite- rung der Gefässe auf einem Nachlasse in der Action dieser Muskeln beruhen, und der Drüsenast aus dem N. lingualis oder die Chorda tympani muss daher als ein Hemmungsnerv bezeich- net werden. 6. Zugleich mit diesem stossweisen Hervortreten des Blutes aus der geöffneten Drüsenvene wird durch Reizung des Lingua- lis auch die Menge desselben vermehrt, während die galvanische Reizung des Sympathicus am Halse eine ebenso unverkennbare Verminderung des Blutausflusses zur Folge hat. Aus mehr- fachen hierüber gemachten Erfahrungen will ich nur eine her- - vorheben. An einem mittelgrossen Hunde von etwa 16 Kgrm. Körpergewicht wurden die beiden bezüglichen Nerven in der oben angegebenen Weise zum Versuche vorbereitet, die Drüse völlig freigelegt, ihre Vene — es war nur eine einzige vorhan- den — geöffnet, und das ausfliessende Blut in Zeiträumen von 30 Secunden aufgefangen: Ohne Nervenreizung flossen 0,620 Grm. ab, während der Lingualis gereizt wurde 1,816 Grm., un- mittelbar nach Aufhören der Reizung 0,805 Grm., drei Minuten später 0,610 Grm., auch eine Nachwirkung des Reizes hatte also schon aufgehört. Bei wiederholter Reizung des Lingualis flossen abermals 2,175 Grm. ab; bei unmittelbar. darauf veran- 342 F. Bidder: stalteter Reizung des Sympathicus sank die Blutmenge sogleich auf 0,587 Grm. und bei fortgesetzter Reizung dieses Nerven auf 0,530 Grm.!) In anderen Versuchen stockte bei Sympathi- cusreizung der Ausfluss wohl auch ganz; indessen möchte ich bei den zahlreichen Zufälligkeiten, die hier störend einwirken können, darauf kein Gewicht legen. Jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, dass durch Irritation des Lingualis der Blut- ausfluss aus der Drüse gesteigert werden kann, und zwar, wie schon Bernard fand, etwa auf das Vierfache, und dass eine Verminderung desselben, wenngleich nicht in demselben Ver- hältnisse, auf Reizung des Sympathieus sich einstellt. Durch letzteren müssen also dem Blutlaufe vermehrte Hindernisse ent- gegengestellt werden. Diese sind entweder als eine Verenge- rung der Blutbahn oder als eine gesteigerte Adhäsion zwischen Blut und Gefässwand zu denken. Da für letztere ein entschei- dender Beweis noch nicht vorliegt, so bliebe nur die erstere Annahme übrig. Von soleher Verengerung aber, die durch Verkürzung der museulösen Wandelemente der Gefässe unter dem gesteigerten Einflusse sympathischer Nerven bewirkt wer- den müsste, würde nun fraglich werden, in welchem Gebiete der Gefässverbreitung in der Drüse sie eintritt. Eine Verenge- rung der kleinsten Arterien mittelst ihrer nachweisbaren Mus- 1) Es ist nicht ohne Interesse, aus solchen Daten die Blutmenge zu berechnen, die in einer gegebenen Zeit durch die Drüse strömt. Im vorliegenden Falle betrug das Gewicht einer Submaxillardrüse etwa 8 Grm.; da nur eine einzige Vene das Blut aus ihr zurück- führte, so floss auch ohne Nervenreizung in einer Minute ungefähr 1,2 Grm., in einer Stunde also 72 Grm. Blut durch die Drüse; bei Reizung des Lingualis aber würden die bezüglichen Quantitäten auf 4,35 und 250 Grm. zu berechnen sein. Da jede Kiefer- und Schling- bewegung ähnlich wie der directe Nervenreiz auf die Drüse und deren Gefässe wirkt, jene Bewegungen im wachen Zustande aber mit klei- nen Pausen sich wiederholen, so wird die mittlere durch die Drüse strömende Blutmenge nach obigen Daten auf 2,75 und 160 Grm. zu veranschlagen sein, also in einer Stunde das Zwanzigfache ihres Vo- lums betragen. Dass eine Speicheldrüse in wenigen Minuten eine ihrem eigenen Volum gleichkommende Menge Secrets liefern könne, ist hiernach weniger befremdlich. Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 343 culatur würde durch Verminderung des Blutzuflusses den ver- ringerten Abfluss am einfachsten erklären, und dieser Annahme steht in der That auch Nichts entgegen. Dennoch kann diese Verengerung der Einflussmündungen nicht die einzige durch den Sympathicus hervorgerufene Veränderung sein, die durch Sympathicusreizung bedingte wenn auch nur geringe Vermeh- rung der Speichelabsonderung würde hiermit ganz unverständ- lich bleiben, und sie drängt unabweislich zur Annahme gleich- zeitiger- Veränderungen in den chemischen Verhältnissen der Gefässwandungen oder Secretionskanäle, die durch Alterationen der Adhäsion wiederum auf den Blutlauf zurückwirken. 7. Auf solche die endosmotischen Verhältnisse ändernde chemische Alterationen werden auch die Farbenänderungen zu beziehen sein, welche das Drüsenvenenblut bei Reizung des Lingualis darbietet. Denn wenn ich nach meinen Erfahrungen auch nicht mit Bernard behaupten könnte, dass das Venen- blut unter dem gesteigerten Einflusse des einen Nerven ebenso scharlachroth wie Arterienblut werde, bei Reizung des anderen Nerven aber seine eigenthümliche dunkelrothe Färbung wieder annehme, so habe auch ich ein Hellerwerden des ausfliessenden Venenblutes bei Reizung des Lingualis mit verstärkten Indu- etionsschlägen mit aller Bestimmtheit wahrgenommen. Diese „arterielle* Beschaffenheit des venösen Blutes blos von dem raschen Durchgange durch das Gefässsystem der Drüse und von der dadurch gehemmten Wechselwirkung mit dem Paren- chym der letzteren abzuleiten, scheint mir mit Rücksicht auf den gesteigerten Speichelausfluss, dessen Quelle doch in dem Blute zu suchen ist, und Aenderungen des letzteren unausbleib- lich nach sich ziehen muss, völlig unstatthaft.) Auch hat ja 1) Zum Beweise für diese Ansicht führt Bernard eine Untersu- chung des Ogehaltes des Arterien- und Venenblutes einer in voller Thätigkeit befindlichen Niere an; in dem Arterienblute fand er 19,46°/o 0, im hellen Venenblute 17,26, im dunkeln nach Sistirung der Harn- absonderung dagegen nur 6,40°%/ (Comptes rendus, 1858, tom. 47, p. 398) und bezieht dies Ergebniss auch auf andere Drüsen, nament- lich die Speicheldrüsen. Bei der Tragweite der hieran sich knüpfen- den Schlüsse möchte es aber um so mehr gerathen sein, die Erfolge 344 F. Bidder: Bernard selbst (Lecons sur les liquides, I., 353) nachgewiesen, dass das die Drüse durchziehende Blut durch Wasserabgabe zum Behufe der Speichelsecretion eine so bedeutende Vermeh- rung seiner festen Bestandtheile erfährt, dass ihre Menge von 21,96 bis auf 25,43°/, steigt. Die hierdurch gesetzte relative Vermehrung der Salze dürfte die alleinige und ausreichende Ursache des Hellerwerdens des abfliessenden Venenblutes sein. 8. Schon der letzterwähnte Umstand spricht auf’s Entschie- denste dafür, dass trotz der unleugbaren Aenderungen mecha- nischer Circulationsverhältnisse in der Drüse, die vermehrte Speichelabsonderung auf Reizung des Lingualis nicht allein von ihnen hergeleitet, und ausschliesslich auf eine gesteigerte Fil- tration flüssiger Blutbestandtheile bezogen werden darf. Die unter dem Einflusse dieses Nerven so sichtlich sich ändernden endosmotischen Verhältnisse in der Drüse weisen vielmehr auf Aenderungen in den Beziehungen des Blutes zu der Gefäss- und Drüsenwand hin, die in moleculären Verhältnissen ihren Grund finden, also chemischer Natur sein müssen. Es schien möglich, diese Beziehungen noch entschiedener darzuthun durch Versuche, die die Absonderungskraft der Drüse bei dauernder Eliminirung des Nerveneinflusses prüfen. Bernard (Liquides, II., 250 sq.) hat zuerst auf die Beziehungen aufmerksam: ge- macht, die zwischen ungewöhnlichen Blutbestandtheilen und den Speicheldrüsen stattfinden, und gezeigt, dass unmittelbar oder auf dem Wege der Resorption in die Blutbahn eingeführ- tes Jodkalium schon nach wenigen Minuten im Speichel er- scheint, während in ähnlicher Weise beigebrachtes Cyaneisen- kalium wohl im Harne, nicht aber im Speichel auftritt. Diese von Gasanalysen des aus der Gland. submaxillaris selbst rückkehren- den Blutes abzuwarten, als nach den Erfehrungen von Ludwig und Sczelkow (Wiener Sitzungsber., Bd. 45, Abth. 2, S. 193, 200 ete., und medic. Jahrb. 1865, Bd. 21, S..162) das Blut die bewegten Mus- keln viel rascher durchsetzt als die ruhenden, und zugleich häufig heller gefärbt aus dem zuckenden Muskel zurückkehrt, obgleich sein Kohlensäuregehalt um etwa 4°/o höher ist, als aus ruhenden Muskeln, und obgleich es in einem Falle sogar weniger Sauerstoff enthielt als das dunkle Blut. Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s, w. 345 Erfahrung eröffnete die Aussicht, den etwaigen Einfluss der Nerven auf die doch nur in chemischen Verhältnissen begrün- deten Beziehungen des Jodkaliums zu den Speicheldrüsen dar- legen zu können. Zu solchem Zwecke kam es darauf an, die- sen Einfluss zu eliminiren. In Betreff der sympathischen Bah- nen kann dies, wie schon oben bemerkt wurde, vollständig nicht erreicht werden, und man musste sich daher darauf be- schränken, durch Durchschneidung des Cervicalstammes wenig- stens einen theilweisen Wegfall seines Einflusses herbeizufüh- ren. Die Einwirkung des Drüsennerven aus dem Lingualis da- gegen konnte durch Durchschneidung vollkommen beseitigt werden, und es wurde die dazu erforderliche Operation aus den schon erörterten Gründen von der Mundhöhle aus vorge- nommen. Nachdem der Sympathicus am Halse entweder zu- gleich mit dem Lingualis derselben Seite oder allein für sich durchschnitten oder aber ganz intact gelassen worden , ward den Thieren eine Jodkaliumlösung durch eine Schlundsonde in den Magen gebracht, der Tod derselben nach 2---3 Stunden herbeigeführt, und beide Submaxillardrüsen unter der Leitung von Buchheim auf ihren Jodgehalt geprüft. Es zeigte sich nun schon bei dem Freilegen und Herausnehmen der Drüse ein auffallender, und zwar nach Trennung des einen oder an- deren Nerven ganz entgegengesetzter Unterschied in der ohne Zweifel ven der Blutfülle abhängigen Färbung der beiden Drü- sen. War der Sympathicus allein durchschnitten worden, so hatte die gewöhnlich gelbgraue Farbe der Drüse eine unver- kennbare röthliche Tinte angenommen; nach der Durchschnei- dung des Lingualis dagegen war sie entschieden noch blasser als sonst, fast weissgrau geworden. Waren beide Nerven zu- gleich getrennt worden, so überwog die von der Lingualistren- nung abhängige Veränderung, und die Drüse war blass und blutarm. Diese Erfahrungen stehen ganz im Einklange mit dem oben erörterten Einflusse der beiden fraglichen Nerven auf die Menge und Bewegung des Drüsenblutes. Auch der Gehalt der Drüsen an Jodkalium stimmte damit überein. Denn waren beide zu der Drüse einer Körperseite führenden Nervenbahnen oder auch die Lingualisbahn allein durchschnitten, so hatte die 346 F. Bidder: Drüse höchstens die Hälfte oder auch selbst nur '/, der in der intact gebliebenen Drüse nachweisbaren Jodmenge aufgenom- men, während nach Durchschneidung des Halssympathicus allein ein Unterschied in der Jodmenge der beiden Submaxillardrüsen ebensowenig vorhanden war, als sich bei allen bezüglichen Ver- suchen — es sind im Ganzen 11 angestellt — ein erheblicher Unterschied in dem Jodgehalt der beiden Parotiden nachweisen liess. ‘Dass die Ausscheidung des Jodkaliums durch die Spei- cheldrüsen zu dem Nerveneinflusse auf dieselben, und zwar zur Einwirkung des Lingualisastes in sehr naher Beziehung stehe, das ging aus diesen Versuchen ganz unzweideutig hervor. Zweeifelhaft aber konnte doch wiederum werden, ob diese Ein- ° wirkung nicht den Cireulationsstörungen allein zuzuschreiben sei. Denn mit der nach der Lingualistrennung verminderten Blutzufuhr zur Drüse musste selbstverständlich auch die Menge des ihr dargebotenen Jodpräparates sinken. Aber wie dem auch sei, so wird jedenfalls die Fähigkeit der Drüse, das Jod- kalium zu binden, durch Suspension der in der Lingualisbahn erfolgenden Einwirkungen auf dieselbe herabgesetzt, und dies kann nur in einer Aenderung ihrer chemischen Qualitäten be- gründet sein. 9. Nach den in den vorhergehenden $$. geschilderten Er- fahrungen kann die Anregung der Secretion der Gland. sub- maxillaris durch Reizung gewisser Nerven weder allein auf Aenderung mechanischer Circulationsbedingungen , noch aus- schliesslich auf Veränderung der Gefäss- und Drüsenwandungen bezogen werden. Vielmehr erleidet unzweifelhaft in beiden für den Secretionshergang wichtigen Beziehungen das Drüsenge- webe bei gesteigerter Action der zugehörigen Nerven und na- mentlich des Lingualisastes Alterationen, welche die 'Transsu- dation aus dem Blute befördern, und doch nur gewissen Be- standtheilen der Blutflüssigkeit den Durchgang durch die thie- rischen Häute gestatten. Wenn rücksichtlich dieser chemischen Alterationen des Drüsengewebes auf eine nähere Angabe ihres Wesens gegenwärtig noch völlig verzichtet werden muss, so lassen sich die Aenderungen der Circulation auf eine wech- selnde Weite der kleinsten Arterien beziehen, wobei der Sym- Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 347 pathieus und der Lingualis oder die Chorda tympani einander geradezu entgegenwirken, und ich habe schon bemerken müs- sen, dass eine Erweiterung von Gefässen durch Nerveneinfluss kaum anders fassbar ist, als unter dem in unseren Tagen immer mehr Raum gewinnenden Verhältnisse der Hemmungswirkungen. Der Drüsenast aus dem N. lingualis wäre demnach als Hem- mungsnerv zu betrachten, der die von dem Sympathicus und namentlich. den Ganglien desselben ausgehenden Impulse zur Verengerung der kleinsten Drüsenarterien zu mindern oder ganz aufzuheben vermag. Nicht also im Sinne Czermak’s, nach welchem anderweitig eingeleitete Speichelsecretion durch Rei- zung des Sympathieus beschränkt werden sollte, kommen Hem- mungswirkungen bei dieser Absonderung zur Geltung; es han- delt sich vielmehr darum, durch Zügelung des Sympathicus dem Blute einen weiten Zugang zum Drüsenparenchym zu er- öffnen, und zugleich seine Affinitätsverhältnisse zu den betref- fenden Membranen so zu regeln, dass trotz der gesteigerten Permeabilität dieser Häute die Menge der festen Bestandtheile im Verhältnisse zu den flüssigen in dem Transsudate geringer ist als im Blute. In diesem Sinne hat auch schon Ludwig selbst (Lehrb. d. Physiol., 2. Aufl., Bd. II., 1861, S. 358 Anm.) die Beziehungen des Ramus lingualis zu der Unterkieferdrüse mit der Einwirkung des Vagus auf das Herz verglichen. Wie wenig Gewicht er aber auf diesen Gedanken legt, lehrt der kurz vorher (S. 214) gethane Ausspruch, dass der Mechanis- mus, durch welchen der erregte Nerv die Absonderung einleite, unbekannt sei. Schon vorher hatte übrigens auch Funke (Lehrb. d. Physiol., 3. Aufl., Bd. II., 1860,*S. 506) darauf hin- gewiesen, dass der zur Drüse tretende Facialisast (aus dem Ram. lingualis Trigemini) ein Hemmungsnerv sei, der im Er- regungszustande die Thätigkeit der vasomotorischen aus dem Sympathieus stammenden Drüsennerven sistire; aber auch Funke fügt hinzu, dass diese Vermuthung nicht erweislich sei. Dagegen hat Bernard in einer neueren Mittheilung (Journal de l’anatomie et de la physiologie, Sept. 1864)') „hemmende 1) Leider ist mir diese Arbeit im Original bisher nicht zugänglich 348 F. Bidder: Reflexwirkungen“ in die Erklärung der fraglichen Secretions- erscheinungen aufzunehmen versucht. Während er nämlich früher es für unbedenklich gehalten hatte, den Erfolg der Rei- zung des Lingualisastes in einer unmittelbaren activen Erweite- rung der Gefässe zu erblicken (les nerfs moteurs agissent pri- mitivement en reserrant ou en dilatant les vaisseaux, Comptes rendus, 1858, tom. 47, p. 270; — le nerf tympanico-lingual est le nerf dilatateur des vaisseaux sanguins, und ce n’est pas ici le moment de rechercher, quelle est l’explication que l’on peut donner dans l’etat actuel de la science de cet elargissement des vaisseaux, Lecons sur les liquides, II., 274 sq.), so macht er nun darauf aufmerksam , dass Reflexwirkungen bald Con- traction bald Erschlaffung eines Muskels herbeiführen können, dass, da die Secretion Wirkung eines Nerveneinflusses sei, ein motorischer Nerv aber nicht anders als auf eine contractile Substanz wirken könne, man es im vorliegenden Falle nicht mit einer contrahirenden sondern mit einer hemmenden Wir- kung zu thun habe. Die bei der Thätigkeit der Drüse statt- findende Gefässerweiterung ist nun eine solche Hemmungswir- kung; nur überträgt sie sich nicht direct auf die Muskelsub- stanz, sondern auf den Sympathicus, der die Gefässe in Con- traction erhält, dessen ununterbrochene Wirkung durch Reizung des Lingualisastes gelähmt wird, daher die seinem Einflusse ent- zogene Muskelhaut erschlafft. — Wenn ich nun auch im Gan- zen dieser neuesten Auffassung Bernard’s beistimmen muss, so kann man sich doch nicht mit der vagen Angabe begnügen, dass der Lingualis auf den Sympathicus einwirke, vielmehr müsste der Weg dieser Einwirkung anatomisch dargelegt wer- den. Nach Analogie anderer Hemmungsnerven dürfte in dieser Beziehung die Vermuthung ausgesprochen werden, dass die vom N. lingualis sich abzweigenden und für die Unterkiefer- drüse bestimmten Nervenfasern zunächst in die dem sympathi- schen System angehörenden Ganglien eintreten, und dass erst geworden, und ich kenne sie daher nur nach dem Auszuge in Schmidt’s Jahrbüchern der gesammten Mediein, 1865, Nr. 5, Bd. 126, S. 150. Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 349 durch die in letzteren hervorgerufenen Veränderungen die von ihnen ausgehenden und zur Drüse sich begebenden Nervenfa- sern eines Impulses beraubt werden, den sie sonst empfingen und auf die contractilen Wandelemente der Gefässe übertrugen. Mit diesem supponirten anatomischen Verhältnisse der aus dem Lingualis herstammenden Drüsennervenbündel, trotzdem dass sie durch die Chorda tympani von dem motorischen Nerv. fa- cialis abzuleiten sind, stimmt auch ganz wohl überein ihre Im- munität gegen das Curare. In Bezug auf diesen Punkt bin ich leider genöthigt, allen bisherigen Angaben entgegenzutreten. Wenn Bernard (Lecons de physiologie experimentale, 1855, tom. I., p. 342, 345, 357 u. a. and. Stellen) von Vermehrung der Speichelsecretion nach Curarevergiftung spricht, und neuer- dings denselben Erfolg auch bei örtlicher‘ Vergiftung der Drüse allein gefunden haben will; wenn Kölliker (Virchow’s Ar- chiv, Bd. 10, 1856, S. 15 und 20) dieselbe Erfahrung berichtet, und auch Zelenski ähnlich sich äussert (ebendaselbst Bd. 24, 1862, S. 404), so habe ich erst neuerdings (in diesem Ar- chiv, 1865, 5. 356) auf meine abweichenden Erfahrungen hinweisen müssen, und kann jetzt noch hinzufügen, dass ich auch die von Kölliker behauptete Lähmung der Drüsen- nerven durch Ourare, und die diesem Gifte zugeschriebene ver- meintliche Erfolglosigkeit ihrer Reizung in Bezug auf die Speichelsecretion auf’s Entschiedenste bestreiten muss. Ich habe meine Versuchsthiere gewöhnlich schliesslich durch In- jeetion von Curarelösung in eine Vene vergiftet; und zu einer - Zeit, wo galvanische Reizung des Plexus brachialis oder des Nerv. ischiadieus nicht die geringste Zuckufig mehr in den zu- gehörigen Muskeln hervorzurufen vermochte, bei Reizung des Drüsenastes aus dem Lingualis, ganz ebenso wie vor der Ver- giftung, reichlichen Speichelausfluss aus dem Wharton’schen Gange erfolgen sehen. Und dieser Erfolg zeigte sich nicht allein in denjenigen Fällen, in welchen durch künstliche Re- spiration die Circulation des Blutes in Gang erhalten wurde, sondern auch da, wo die Lähmung der Athemmuskeln und die Aufhebung des Gaswechsels zwischen Luft und Blut auch das Herz bereits zum Stillstande gebracht hatte, wo also nur die 50. F. Bidder: Ausgleichung der Spannungsdifferenz zwischen Arterien und Venen noch eine schwache Blutbewegung durch die Capillaren hindurch bewirken, und bei gleichzeitig durch dieselbe Reizung der Drüsennerven begünstigter Emdosmose noch einen Strom in die Secretionskanäle hinein hervorrufen konnte. Ebenso muss ich die spätere Angabe Bernard’s (a.a. O. S. 151), der auch neuerdings Kühne (Physiol. Chemie, 1. Lief., Leipzig 1866, 5. 4) beigetreten ist, und nach welcher eine blos örtliche Curareintoxication der Drüse vermehrte Speichelsecretion be- dinge, durchaus bestreiten. Ich habe zu solchem Zwecke nicht die Drüsenarterie, sondern, wie oben bemerkt, die Drüsenvene zur Einbringung des Giftes benutzt, und kann bei der Voll- ständigkeit, mit welcher der 8— 10 Tropfen betragende Inhalt der benutzten Pipette in die Venen hineingebracht werden konnte, nicht daran zweifeln, dass das Gift bis in die Drüsen- capillaren hinaufgedrängt worden sei. Obgleich auf solche Weise 4—5 Mgrm. Curare in die Drüse geführt und durch Compression der Vene eine Zeit lang darin zurückgehalten wurden, so habe ich doch vermehrten Speichelausfluss hierdurch allein niemals bewirken können, während Reizung des Drüsen- nerven trotz stattgehabter Curareapplication immer in gewohn- ter Weise wirkte. Statt also in eine Erörterung darüber ein- zugehen , ob das Curare auf die Drüsennerven erregend oder paralysirend wirke, muss ich vielmehr behaupten, dass es gar nicht auf dieselben wirkt. Soweit diese Nerven dem sympathi- Schen Systeme angehören, sind sie überhaupt, wie ich neulich darzuthun gesucht habe (dies. Arch., 1865, S. 337), dem Ein- flusse des Curare ®ntzogen; und dass der Drüsenast aus dem Lingualis ebenso intact bleibt, davon habe ich mich bei allge- meiner wie örtlicher Intoxication wiederholentlich und aufs Entschiedenste überzeugt. In dieser Immunität gegen das Pfeilgift stimmt unser Nerv ganz mit den Herzzweigen des Vagus überein, und wie bei dem letzteren eben deshalb die Endigung im Herzfleische zurückgewiesen, und der Uebergang in die Ganglien des Herzens als wahrscheinlich bezeichnet wer- den musste, so dürfte das gleiche Verhältniss auch bei unserem Nerven obwalten. Experimentelle und anatomische Untersuchungen u.s. w. 351 10. Bei der von diesem Gesichtspunkte aus vorgenommenen genaueren Untersuchung des Drüsenastes aus dem N. lingualis des Hundes hat sich in Bezug auf die makroskopischen Ver- hältnisse Folgendes ergeben. Nachdem die Chorda tympani an den dritten Ast des Trigeminus herangetreten ist, und zwar da, wo derselbe von dem Musc. pterygoideus internus an die innere Fläche des Unterkieferastes angedrückt wird, läuft sie an diesem Stamme und namentlich an dem Ram. lingualis des- selben eine Strecke von etwa 1 Zoll hin und wendet sich, von ihm sich wieder ablösend, in bogenförmigem Verlaufe nach hin- ten zur Gegend der Drüse. Dieser Abgang erfolgt aber, wie unter der Lupe ganz zweifellos zu erkennen ist, niemals in Gestalt eines einfachen Nervenstämmehens — wie Eckhard a. a. OÖ. tab. I. abbildet, sondern immer kommt eine ganze Reihe feiner, bald dicht neben einander liegender, bald durch . grössere Zwischenräume von einander getrennter und durch fettreiches Bindegewebe mit einander vereinister Nervenbündel- chen in der angegebenen Richtung hervor. Bei derselben Un- tersuchungsweise überzeugt man sich aber sogleich, dass auch von der peripherischen Seite des Lingualis, von der Zunge her, mehrere Bündel von Nervenfasern die gleiche Richtung zur Drüse einschlagen'!), so dass die Gesammtheit aller dieser in einer Reihe den Lingualis verlassenden Nervenstämmchen ein Dreieck bildet, dessen Basis dem Stamme des Lingualis anliegt, - dessen Spitze nach hinten gegen die Drüse hin gerichtet ist. Mitunter kann man hier schon mit der Lupe, ja selbst mit unbewaffnetem Auge ein Ganglion erkennen, in welches ein Theil dieser Nervenbündel eintritt, während ein anderer an demselben vorbei weiter zieht. Jedenfalls lehrt das Mikroskop, nachdem diese ganze Partie herausgeschnitten, auf einer Glas- platte ausgebreitet, und die zurückgebliebene Bindesubstanz er- forderlichen Falles durch Zusatz verdünnter Essigsäure geklärt worden, dass die von beiden Seiten des Lingualis herkommen- 1) Ein ähnliches Verhältniss findet sich auch beim Menschen, wie GC. Bischoff (Mikroskopische Analyse der Anastomosen der Berlnn ven, München 1865, Taf. XII., Fig. 40) darlegt. 352 F, Bidder: den Nervenbündel einen gangliösen Plexus bilden, in welchem die Nervenstämmchen wiederholentlich zusammentreten und wieder aus einander weichen, und dass fast in jedem einzelnen dieser Bündel an verschiedenen Stellen ihres Verlaufes mehr- fache Gruppen von Ganglienzellen sich darbieten. Aus dem Zusammentritte dieser zarten Lingualiszweige geht ein stärke- rer Nervenstamm hervor, der weiter zur Drüse hin sich fort- setzt, und in’seinem Inneren die Plexusbildung und Ganglien- formation wiederholt, letztere zuweilen schon dem unbewaffne- ten Auge als Verdickung entgegentretend, aber häufig auch ohne solches Merkmal unter dem Mikroskope die charakteri- stische Textur zeigend.. Aus diesem Nervenstamme, der dem Wharton’schen Speichelgange anliegt und mit ihm in die Unterkieferdrüse eintritt, treten nıcht allein mehrere Fäden auf diesen Ausführungsgang, sondern noch zahlreichere gangliöse Zweige auf den mit dem ersteren parallel verlaufenden Ductus sublingualis, und mit den kurzen Zweigen des letzteren auch in die Acini der Gland. sublingualis. Trotz dieser zahlreichen Aeste nimmt aber der gemeinsame Nervenstamm, der sie ent- sendet, keinesweges an Stärke ab; vielmehr kann bei aufmerk- samer Vergleichung der aus dem Lingualis hervorgehenden und der in die Unterkieferdrüse selbst eintretenden Nervenzweige, ganz abgesehen von den Aesten zur Gland. sublingualis, es nicht zweifelhaft bleiben, dass letztere die ersteren in ihrer Ge- sammtstärke übertreffen. Da diese Volumzunahme nicht allein auf die reichliche Bindegewebsentwickelung um die aus den Gan- glien hervortretenden Nervenelemente bezogen werden kann, so nöthigt sie zu der Annahme, dass eine Vermehrung von Ner- venfasern in diesen Ganglien stattgehabt hat, dass neue Ner- venfasern in ihnen entsprungen sind. Dies lehrt auch die nä- here mikroskopische Untersuchung der verschiedenen hier in Betracht kommenden Nerven. Die Chorda tympani vor ihrem Eintritte in den Lingualis beherbergt Nervenfasern , die fast alle in die Klasse der breiten gehören. Neben spärlichen Ele- menten von 0,002 — 0,0028‘ Par. überwiegen weitaus Fasern von durchschnittlich 0,0054 Breite, und neben ihnen kommen auch solche von 0,007'" Durchmesser nicht selten vor. Ganz R Pr nt Experimentelle und anatomische Untersuchungen u.s. w. 353 dieselbe Beschaffenheit zeigen die aus der centralen Seite des Lingualis hervortretenden und von der Chorda tympani abzu- leitenden Drüsennerven. Ein sehr entschiedenes Uebergewicht breiter Fasern war auch in den von der peripherischen oder Zungenseite des Lingualis in den Drüsennerv eintretenden Bün- deln vorhanden. Sobald aber diese Nervenästchen Ganglienfor- mation angenommen haben, was bald früher bald später nach ihrem Abgange vom Lingualis geschieht, so tritt eine grosse Menge dünner Nervenfasern in ihnen auf, die weiterhin, je mehr Ganglien durchsetzt worden sind, um so entschiedener das Uebergewicht erlangen, bis in den Zweigen, die zu dem Whar- ton’schen Gange, zur Glandula sublingualis und schliesslich zur submaxillaris selbst hintreten, nur schmale Nervenfasern von 0,002—0,003''' Durchmesser vorhanden sind. Dieses Ueberge- wicht oder endlich gar ausschliessliche Vorkommen dünner markloser oder wenigstens markarmer Nervenfasern spricht sich auch aus in dem immer sichtlicheren Schwinden der weissen Farbe dieser Bündel, und in dem Auftreten einer graulichen fast opalisirenden Färbung nach Behandlung mit verdünnter Essigsäure, an Stelle des andere Nerven charakterisirenden Weiss, — Nicht allein eine Vermehrung von Nervenfasern findet hier demnach statt, sondern auch eine ‚Aenderung ihrer Beschaffenheit in der Art, dass bei Abwesenheit nachweisbarer Theilungen derselben die feineren Fasern nicht unmittelbare Fortsetzungen jener breiteren vom Lingualis herkommenden Elemente sein können, und dass vielmehr die Vermuthung ge- rechtfertigt erscheint, dass breite Lingualisfasern von der einen Seite her in Nervenzellen eintreten, die auf der anderen Seite schmale für die Drüsenelemente bestimmte Fäden entsenden. Die Untersuchung dieser Ganglien und des in ihnen obwalten- den Verhältnisses zwischen ein- und austretenden Fasern muss hierüber Aufschluss bringen, sowie die Bedenken erledigen, die aus der neuerdings von Pflüger (Medicin. Centralblatt, 18695, Nr. 57, Dec. 23) angegebenen verschiedenen Endigungsweise von Nervenfasern in der Drüse gegen das Aufhören der Lin- gualiselemente in den Ganglien sich ergeben könnten. Indem ich übsr beide Punkte Näheres zu berichten mir vorbehalte, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 23 354 F. Bidder: muss ich mich für jetzt darauf beschränken, die gröberen Ver- hältnisse der von der Chorda herstammenden Lingualisfasern auf ihrem Wege zur Drüse durch die beifolgende Abbildung zu erläutern, die nach dem bereits Bemerkten einer detaillirten Erklärung nicht mehr bedarf. — Was die in Begleitung der Arterie zur Drüse hintretenden, aus dem Halstheile des Sym- pathicus heraufsteigenden Nervenbündel betrifft, so umgeben dieselben die Arterie mit Plexus, die gegen die Drüse hin immer dichter werden, so dass nur durch die Maschen dieses Geflechtes die darunter liegende Arterie durchblickt. Sie ent- halten nur dünne marklose Nervenfasern, und entbehren zwar ‚nicht, wie Eckhard und Adrian bemerkten (a. a. O. S. 85 u. 86), der Nervenzellen, wohl aber sind letztere nur sehr spär- lich in ihnen vorhanden. Während man die Mehrzahl der aus diesen Gefässnerven angefertigten Präparate vergebens nach Nervenzellen durchsucht und nur ausnahmsweise Ganglienele- mente in ihnen antrifft, lässt kaum irgend ein Segment aus den Drüsenzweigen des Lingualis Nervenzellen vermissen, viel- mehr finden sie sich in eben so häufigen als starken Gruppen in jedem aus beliebigen Stellen angefertigten Präparate. Der Mehrzahl nach treten diese Gefässnerven mit der Arterie in die Gland. submaxillaris, nachdem auch ein zu der Gland. sub- lingualis sich abzweigendes kleines Gefäss seine Nervenbeglei- tung mitgenommen; ein kleines Faserbündel schliesst sich. aber auch den Lingualiszweigen an und läuft mit ihnen zur Drüse. Ueber die weiteren und endlichen Schicksale dieser Gefässner- ven habe ich Nichts anzugeben. 11. Eine Vergleichung der verhältnissmässig. starken an.den N. lingualis herantretenden Chorda tympani. mit den, zarten in den erwähnten gangliösen Plexus eintretenden. Drüsennerven kann kaum einen Zweifel darüber lassen, dass in diesen feinen Aestchen nicht alle Fasern der Chorda enthalten sein können, und nöthigt zu der Ueberzeugung, dass letztere auch noch an- derswo als in jenem Plexus Verwendung finden müssen. Diese Vermuthung lässt sich anatomisch auch ganz wohl rechtfertigen.. Denn wenngleich die hintersten an die, Unterkieferdrüse. an- srenzenden Läppchen der Gland. sublingualis von dem genann- FE \ Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 355 ten gangliösen Plexus aus mit Nerven versorgt und durch letz- tere zu gesteigerter Action angeregt werden können, so ist für die vordersten, nach vorn von dem Stamme des Lingualis ge- legenen Läppchen dieser Drüse ein anderer Innervationsweg erforderlich. Einen solchen bieten auch in der That mehrere feine Aestchen dar, die ein den Speichelgängen folgender und zum Boden der Mundhöhle gegen das Frenulum linguae hin gehender Zweig des Lingualis an die vorderste Parthie der Unterzungendrüse abgiebt. Eckhard und Adrian haben die- sen Zweig auch dargestellt (a. a. ©. Taf. I. d), aber seine Aus- läufer werden nur dem Wharton’schen Gange zugewiesen, in- dem in der citirten Abbildung der ganze vordere Theil der Sublingualdrüse fehlt. Der bezeichnete Lingualisast, ein Ramus sublingualis, sendet nun aber, wie ich mich vielfältig überzeugt habe, auch feine Aestchen in die Drüse selbst, indem die von dem Speichelgange ausgehenden kurzen Stiele der Drüsenläpp- chen von feinen, mit blossem Auge eben noch wahrnehmbaren Nervenästchen begleitet werden. Mit dem Mikroskope lassen sich in diesen kleinen Nerven Ganglienzellenanhäufungen nach- weisen, und es liest daher die Vermuthung nahe, dass die aus dem Ram. sublingualis austretenden Fäden von der Chorda ab- zuleiten sind, dass sie nach Analogie der im Vorhergehenden erwähnten Chordafasern in Ganglienzellen eintreten, und dass letztere endlich die Fasern entsenden, welche für die Drüsen- elemente selbst bestimmt sind. Für diese Auffassung spricht die Verschiedenheit in den Durchmessern der in diese kleinen Ganglien eintretenden und aus ihnen hervorgehenden Nerven- primitivfasern, welche ganz in der von den Ganglien der Lin- gualiszweige erwähnten Weise sich darstellt. Experimentell habe ich die Beziehung dieser Nerven zu der secretorischen Thätigkeit der Sublingualdrüsenläppchen bisher noch nicht ge- prüft. Da sie nicht wie der für die Gland. submaxillaris be- stimmte gangliöse Plexus allein für sich gereizt werden können, so wird der erregende Strom, nach Einfügung einer Canüle in den 9yezüglichen kleineren Speichelgang, auf den Stamm des Lingualis selbst vor Abgang dieser Drüsenzweige, am bequem- sten wohl von der Mundhöhle aus applieirt werden müssen. 23" 356 F. Bidder: 12. Der anatomische Nachweis von Nervenfasern, die von der peripherischen Seite des Lingualis, also von der Zunge herkommend, direct in die Submaxillarganglien eintreten, führt mit Nothwendigkeit zu der Frage nach der physiologischen Be- deutung dieser Nervenbündel. Da sie aus breiten dunkelrandi- gen Elementen bestehen, können sie nicht als dem sympathi- schen Systeme angehörende Fasern angesehen werden, die von jenen Ganglien entspringen und dem Lingualis zu peripheri- scher Endausbreitung in der Zunge sich anschliessen; sie ge- hören vielmehr dem animalen Systeme an, bieten aber die Eigenthümlichkeit dar, dass sie nicht in directem Zusammen- hange mit dem cerebralen Centrum stehen. Eindrücke, von denen ihre Endausbreitung getroffen wird, kommen also nicht zur bewussten Perception, sondern können nur zu jenen Gan- glien gelangen, die die für die Submaxillardrüse bestimmten Nerven aussenden, und werden vielleicht durch Einwirkung auf jene Ganglien auch für diese Drüsennerven von Bedeutung sein. Wenn Geschmacks- oder Gefühlseindrücke, welche die Zunge treffen, Speichelfluss aus dem Wharton’schen Gange hervorrufen, so findet diese Uebertragung von den sensiblen Zungennerven auf die Drüsenäste des Lingualis, d. h. auf die Chorda tympani des N. facialis wohl in der Regel im cerebra- len Centrum statt. Letzteres muss selbstverständlich auch dann betheiligt sein, wenn Reizung anderer Hirnnervenenden Spei- chelfluss hervorruft, wenn z. B. gewisse Vagusfasern dies be- wirken, wie Oehl dargethan hat (Comptes rendus, tom. 59, p- 336, 1864). Nach dem in Rede stehenden anatomischen Verhältnisse wird es aber sehr wahrschemlich, dass auch ohne Mitwirkung des cerebrospinalen Centrums Reize, welche die Zunge treffen, Speichelfluss erzeugen können. Zur experi- mentellen Prüfung dieses Verhältnisses wurde, und zwar eben- falls an narcotisirten Thieren, in den Wharton’schen Gang beiderseits je eine Canüle eingebunden, und das Austreten von Speichel aus denselben beim Betupfen der Zunge mit Essig constatirt. Hierauf wurde auf einer Seite der Lingualis ober- halb des Abganges der Drüsennerven durchschnitten, und damit die Fortleitung von Erregungszuständen der Zungennerven zum Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 357 Gehirne, sowie von Bewegungsimpulsen in der Bahn der Chorda zu den Drüsennerven aufgehoben. Aber in drei Versuchen dieser Art brachte Betupfen der Zunge mit Essigsäure oder mit verdünnter Kalilösung, oder Application scharfer Stoffe, z. B. gestossenen Pfeffers, auf der Seite der Nervendurchschnei- dung keine Vermehrung der Speichelabsonderung hervor, wäh- rend sie auf der anderen Seite in der gewöhnlichen Weise er- folgte. Desbalb unterblieb auch die beabsichtigte Durchschnei- dung des Lingualis unterhalb des Abganges der Drüsennerven, durch welche die Wirkungslosigkeit der auf die Zunge ange- brachten Reize auf die Speicheldrüse der operirten Seite dar- gethan werden sollte. Trotz dieses negativen Ergebnisses kann ich indessen auf Grund der bezeichneten anatomischen Verhält- nisse nicht umhin an der Ansicht festzuhalten, dass eine Ueber- tragung von Erregungszuständen der Zungenschleimhaut auf die Submaxillar- und Sublingualdrüse durch alleinige Vermittelung der submaxillaren Ganglienanhäufung möglich sei, und dass der experimentelle Nachweis dieser Beziehung vielleicht nur deshalb nicht gelang, weil die bezüglichen von der Zunge herkommen- den Nervenfasern, die bei ihrer geringen Zahl einen beschränk- ten Verbreitungsbezirk haben mögen, eben daher auch nur von einer bestimmten Gegend der Zungenschleimhaut aus angeregt werlen können. Doch wäre es ebensowohl denkbar, dass diese Nervenelemente, bei gleichmässiger Verbreitung über die ganze Zurgenschleimhaut, doch nur durch gewisse und eigenthümliche Reize zu gesteigerter Action zu bestimmen sind. Eine er- wünschte Bestätigung dieser Vermuthung entnehme ich der An- gabe von Kühne (Lehrbuch d. physiol. Chemie, Leipzig 1866, S. 3), dass nach Durchschneidung des Lingualis oberhalb der Abgangsstelle der Chorda tympani eine Reizung der Zungen- spitze mit Inductionsschlägen oder durch rasches Uebergiessen mit Aether immer noch Absonderung hervorrufe, die aber nicht eintritt, wenn andere Reize verwendet werden, besonders solche, die Geschmacksempfindung bewirken. Da ich Kühne’s Schrift erhielt, nachdem ich meine Speicheluntersuchungen bereits ab- geschlossen hatte, ist es mir nicht möglich gewesen, die er- wähnten Versuche mit der bezeichneten Modification der ange- 358 F. Bidder: wandten Reize zu wiederholen. Nach dem Obigen kann ich aber kein Bedenken tragen, der von Kühne gegebenen Erklä- rung beizustimmen, und demnach den submaxillaren Ganglien- gruppen des Hundes die Fähigkeit zuzuschreiben, ohne alle Be- theiligung des cerebralen Centrums gewisse auf die centripetalen Enden des Lingualis einwirkende Reize auf die centrifugalen Drüsennerven zu übertragen und vermehrte Speichelabsonderung herverzurufen. Schliesslich kann ich nicht umhin zu bemerken, dass in dem soeben mir .zugekommenen Journal de l’anatomie et de la phy- siologie par Robin, Paris 1866, Nr. 1, Janvier et Feyrier, p. 68 u. 69, ich die Notiz finde, dass Bernard bereits im Jahre 1862 (wo veröffentlicht?) die centrale Natur des Ganglion sub- maxillare aus dessen Reflexfähigkeit erschlossen habe. Aber aus den hervorgehobenen Worten Bernard’s: on peut consta- ter que des actions reflexes ont lieu dans la glande sous-maxil- laire par suite de l’exeitation du nerf lingual separe du centre encephaligque; on prouve ensuite que cette excitation du nerf sensitif est transmise a la corde du tympan par Vintermediaire du ganglion sous-maxillaire, geht deutlich genug hervor, dass er die gegenseitigen Beziehungen der hier zur Sprache gebrachten Nerven ganz anders auffasst, als im Obigen darzustellen versucht wurde. Auch einer durch Vermittelung dieses Ganglions bei Reizung der Zungenschleimhaut bedingten Speichelabsonderung geschieht hier Erwähnung; aber die Worte: Les actions reflexes dans le ganglion sous-maxillaire sont beau- coup plus obscures et plus difficiles a manifester, quand, au lieu d’exciter directement le nerf lingual, on agit sur la mem- brane muqueuse, qui recouvre la langue, — scheinen anzudeu- ten, dass Bernard bei Versuchen dieser Art nicht entschei- denderen Erfolg gehabt hat, als ich bei den vorhin erwähnten, in der gleichen Absicht angestellten Experimenten zu erlangen vermochte. Experimentelle und anatomische Untersuchungen u. s. w. 359 Erklärung der Abbildung. (Taf. X. A.) Gland. submaxillaris und sublingualis vom Hunde, mit Ausschluss des vordersten Theiles der letzteren, nebst zugehörigen Nerven, nach völliger Trennung von den Nachbartheilen präparirt, etwa 2mal ver- grössert. «a Gland. submaxillaris. 5 zwei Lappen derselben, nach Wegnahme des Bindegewebes von der übrigen Drüsenmasse sich ab- lösend. c Ductus Whartonianus. d frei präparirte Läppchen der Gland, sublingualis, mit zum Theil sichtbaren Stielen einmündend in e Ductus sublingualis s. Bartholinianus. / ein scheinbar der Gland. sublingualis angehörendes, aber in den Duet. Whartonianus einmün- dendes Läppchen. g durchschnittene Enden beider Speichelgänge, in einiger Entfernung vor der Einmündung in die Mundhöhle. A ein Theil des dritten Astes des N. trigeminus. i Nervus alveolaris inf., vor dem Eintritte in das Foramen alveolare posterius abgeschnitten. k Nervus lingualis. 7 gegen die Zunge verlaufende peripherische Seite desselben. m Chorda tympani. n aus der centralen, o aus der pe- sipherischen Seite des Lingualis hervorgehende Nervenbündel, die sich vereinigen zum gemeinsamen Drüsennervenstamme p. g gangliöser Plexus desselben. r mehrere kleine in dem vorliegenden Präparate schon mit blossem Auge sichtbare Ganglien an dem Drüsennerven- stamme. s mehrere feine für beide Ausführungsgänge und für die Läppchen der Sublingnaldrüse bestimmte Nervenästchen, deren Zahl und Lage durchaus unbeständig ist. ? Rami sublinguales des Nervus lingualis, deren einer auch Fäden zum vorderen Theile des Ductus suklingualis und zu den vordersten Läppchen der Unterzungendrüse aussendet. w Arteria carotis. ® Arteria maxillaris ex. w Ramus glandulae submaxillaris. & Ram. gland. sublingualis , dessen Fort- setzung zu den Drüsenläppchen nicht berücksichtigt ist. y ein Theil des carotischen Geflechtes des Nervus sympathicus, aus dem der die Drüsenarterie begleitende Plexus hervorgeht; letzterer ist nicht voll- ständig wiedergegeben, sondern nur angedeutet, & Dorpat, den 12. März 1866. 360 C. Mettenheimer: Ueber die Ablagerung des schwarzen Pigmentes in den Lungen und dem Lungenfell. Von Dr. med. C. METTENHEIMER. (Hierzu Taf. IX. B.) Am 22. Februar 1858 demonstrirte ich in einer Sitzung des mikroskopischen Vereins in Frankfurt a. M. an einigen über- zeugenden Präparaten, dass das schwarze Pigment in den Lun- gen nicht, wie Manche glaubten, in den Wänden der kleinsten Bronchien, auch nicht längs der Capillargefässe, sondern haupt- sächlich und fast ausschliesslich in der Scheide der kleinen Arterien abgelagert werde. Der an diese Demonstration sich knüpfende kleine Vortrag ist nur in Form einer kurzen Notiz in den Jahresbericht des genannten Vereins übergegangen und mit diesem in den Jahresbericht von der Verwaltung des Me- dicinalwesens u. s. w. der freien Stadt Frankfurt, Jahrgang 1, Frankfurt a. M. 1859, S. 244, aufgenommen worden. Dass einer so lakonischen Notiz eine allgemeinere Beach- tung nicht zu Theil werden konnte, finde ich sehr begreiflich. Nachdem nun Koschlakoff!) in einer umfangreicheren Arbeit den oben bezeichneten Gegenstand fast erschöpfend behandelt hat, will ich doch nicht unterlassen, auf meine frühere Angabe hinzuweisen. Indem ich aber dieselbe hier etwas weiter aus- 3) Virchow’s Archiv, Bd. 35, Heft 1, S. 178 ff,, Taf. VI. Ueber die Ablagerung des schwarzen Pigmentes u. s. w. 361 zuführen mir erlaube, ist es für mich nächste Pflicht, auszu- sprechen, dass ich überall, wo meine Beobachtungen sich so weit erstreckten, als die von Koschlakoff, zu Resultaten ge- kommen bin, die mit den seinigen völlig übereinstimmen. Meine Untersuchungen beziehen sich weder auf die eigent- liche Anthracose der Lungen, noch auf jene Formen von Me- lanose, in welchen sich däs schwarze Pigment so massenhaft in den Lungen ablagert, dass ganze Lungenlappen in einen Klum- pen durchfeuchteten Kohlenpulvers umgewandelt scheinen. Die Lungen, die ich untersuchte, boten in geringerem oder höherem Grade jene Ablagerung des schwarzen Pigmentes dar, die in Form von Flecken sich sowohl in dem Lungenfell findet, als das Parenchym der Lunge durchsetzt. Dies Verhältniss kann kaum zu den krankhaften gerechnet werden, da man es an den Lungen nicht mehr ganz junger Personen fast immer beobach- tet; dass jedoch selbst in ungewöhnlich hohem Alter die Lun- gen völlig frei von Pigment gefunden werden können, davon liefert die von William Harvey angestellte Section des in dem 150. Lebensjahre verstorbenen Thomas Parr den Be- weis.‘) Schneidet man einen solchen schwarzen Pigmentfleck aus der Lungenpleura oder aus dem Lungenparenchym, breitet ihn auf einer Glasplatte aus, zerzupft ihn und comprimirt, ihn durch eine zweite daraufgelegte Glasplatte, so sieht man, vor- züglich deutlich, wenn man das so zubereitete Präparat gegen das Licht hält, dass das Pigment in den Scheiden der kleinen (Gefässe abgelagert ist, dass diese gleichsam in einer Hülse von schwarzem Farbstoff stecken, und endlich, dass die stärksten Ablagerungen sich an den Gabeltheilungen der Gefässe finden. Um zu unterscheiden, ob die Gefässe, in deren Scheide das Pigment abgelagert ist, Arterien oder Venen sind, reicht natür- lich das unbewaffnete Auge nicht aus. Wenn mir aber die mi- kroskopische Beobachtung, so oft ich danach suchte, eine Ring- faserschicht ın den kleinen Gefässen nachwies, in deren Scheide das Pigment abgelagert war, so musste ich die Gefässe für 1) Vergl. meine Sectiones longaevorum, Frankfurt a. M. 1863, S. 20. 24. | 362 ©. Mettenheimer: kleine Arterien halten. Ich bedauere nur, bis jetzt keine In- jectionsversuche angestellt zu haben, um die Behauptung von Natalis Guillot!) zu prüfen, nach welcher niemals eine ge- färbte Injectionsmasse in die schwarzen Pigmentflecke der Lun- gen eindringen soll. Guillot führt dies als Hauptargument für seine Ansicht an, dass das Pigment in den Wandungen der Bronchialverzweigungen abgelagert sei, und es hat dies Argu- ment jedenfalls mehr Werth als die übrigen von ihm zur Stütze seiner Ansicht vorgebrachten Beobachtungen und Beweise. Es würde eine directe Prüfung durch den Versuch wohl verdienen. Nach der Beobachtung mit dem unbewaffneten und dem be- waffneten Auge hege ich für meinen Theil keinen Zweifel, dass das Pigment nicht in den Wänden der kleinen Bronchien, son- dern in der Scheide der kleinen Arterien abgelagert ist. ‚Auch in den Wänden der Lungenzellen habe ich das Pig- ment nieht finden können, ebensowenig in der nächsten Umge- bung der Capillargefässe. Allein ich zweifle nicht, dass es bei abnorm gesteigerter, massenhafter Ablagerung, wie in den oben erwähnten Fällen, auch an diesen Orten gefunden werden kann, wieweohl ich es für wahrscheinlich halte, dass die Ausgangs- punkte der Ablagerung auch dann die Scheiden der kleinen Arterien sind und das Pigment sich von hier aus auf die an- deren Gewebstheile verbreitet. Auch etwas entfernter von den kleinen Arterien, in dem Bindegewebe, das die verschiedenen Gewebstheile der Lungen mit einander vereinigt, habe ich, wie Koschlakoff, Körnchen schwarzen Pigmentes abgelagert ge- funden, doch nie so reichlich, wie in der nächsten Umgebung und besonders an den Gabelungen der kleinen Arterien. Dass die Ablagerung derartiger, für den Organismus nicht weiter verwendbarer moleculärer Substanzen nicht immer in den Ge- fässscheiden kleiner Arterien stattfinde, hat Frommann?) ge- zeigt. Derselbe fand nach dem inneren Gebrauche von Höllen- stein die Silbermolecüle in der Scheide der kleinen Venen der Leber und dicht um dieselbe herum abgelagert. In den Nieren 1) Heller’s Archiv, 1845, S. 116. 2) Virchow’s Archiv, Bd. 17, Heft 1. 2, S. 135, Taf. IL. Fig. 1, Ueber die Ablagerung des schwarzen Pigmentes u. s. w. 363 bildeten bei dieser Beobachtung die Malpighi’schen Körperchen und die Harnkanälchen die Stätten der Ablagerung. -Was die Capillargefässe der Lungen betrifft, so gelingt es nieht selten, sie in hyperämischen, ödematösen, apoplektischen Lungen alter Leute von Blut ausgedehnt zu sehen, und man kann sich in solchen Fällen sehr leicht überzeugen, wie selbst bei sehr reichlicher Ablagerung der schwarze Farbstoff die Nähe der Haargefässe nicht aufsucht. Die von mir untersuchten Lungen gehörten sämmtlich Indi- viduen an, die schon hoch in Jahren standen. Ich versuche es, ın dem Folgenden die einzelnen Beobachtungen kurz zu charakterisiren. 1. G., 76jährige Frau, verstorben an Apoplexie der Gallen- blase. Beide Lungen ödematös, die linke im unteren Lappen bronchiectasisch, beide enthielten in der Spitze kleine Tuberkel- narben. | Ziemlich reichliche Pigmentablagerung. Die Pe überall schwarz, nirgends von brauner Farbe; überall in der nächsten Umgebung der kleinen Gefässe, aber nicht der Capil- laren abgelagert. 2. B., 64jähriger Mann, Trunkenbold, an Hypertrophie des Herzens und consecutiver Wassersucht verstorben. Beide Lun- gen Ödematös. Die Ablagerung des Pigmentes war hier nicht reichlich. Doch zeigte es sich auch in diesem Falle mit aller Deutlichkeit, dass die hauptsächlichste Ablagerung in den Scheiden der kleinen Gefässe stattgefunden hatte. Ausserdem bemerkte man nur zerstreute, sehr kleine Pigmentpartikel in dem Lungenparen- chym. Die dunkelsten Parthieen befanden sich in oder dicht unter dem Lungenfell. Diese Stellen erschienen bei schwacher Vergrösserung als schwarze Flecke, von ramifieirten hellen Streifen, den Gefässen, durchzogen. Hier war also die nahe = schuss der een hlagerunn zu den kleinen Gefässen \ sonders deutlich. 3. O., 68jährige, unverheirathete Person, an einer mit Pe- ricarditis complieirten Pneumonie verstorben. Die Lungen wa- 364 ©, Mettenheimer: ren stellenweise hepatisirt, übrigens Öödematös, und enthielten starke Pigmentablagerungen. Trotz der sehr starken Pigmentablagerung schien mir die nächste Umgebung der Capillargefässe ganz frei davon, und nur wie in allen anderen Fällen die Scheide der kleinen Ge- fässe der eigentliche Sitz derselben zu sein. 4. L., 76jähriger Mann, Fractur des Hüftgelenks, grossbla- siges Lungenemphysem, Pneumothorax. Sowohl an dem Pleuraüberzuge dieser Lungen, als in dem ganz ausgezeichnet emphysematösen Theile ihres Parenchyms liess sich die Ablagerung .des schwarzen Pigmentes in den Scheiden der kleinen Gefässe mit grösster Deutlichkeit nach- weisen. Eine Erklärung der Thatsache, dass die Capillargefässe von der Ablagerung des schwarzen Pigmentes in den Lungen frei bleiben, wage ich nicht zu geben. Die Thatsache scheint aber merkwürdig genug, um Notiz davon zu nehmen, besonders wenn man daran denkt, dass die Capillargefässe zu Ablagerun- gen anderer Art, zur Atheromatose, zur Verkalkung in den verschiedensten Organen sehr stark disponirt sind. Die beschriebene Art der Ablagerung des Pigmentes in den Lungen und ihrem Ueberzuge ist die gewöhnlichste. Jedoch fehlt es nicht an anderen Formen der Pigmentbildung, von denen ich die Beschreibung einer besonders eigenthümlichen hier anreihen will. In diesem Falle war das Pigment in Zotten abgelagert, die theils vereinzelt, theils in Gruppen aus der Rippen- und Lungenpleura und dem Pleuraüberzuge des Zwerch- fells hervorwuchsen. Die grössten von diesen. Zotten waren '/,; Zoll lang und breit, blattartig und flottirten im Wasser. Die kleinsten waren nur '/, Linie breit, aber viel länger. Das Pigment fand sich bei diesen nur in der freien Spitze. Jene, die grösseren Zotten, waren ganz undurchsichtig in Folge der Pigmentablagerung bis auf den membranösen Stiel, der sie an die Pleura anheftete und durchsichtig und frei an Pigment war. Die grossen Zotten waren von einzelnen dünnen Bindegewebs- fäden umsponnen. . Das Pigment schien in ihnen in Gestalt Ueber die Ablagerung des schwarzen Pigmentes u.s. w. 365 rundlicher, unregelmässig geformter Loben abgelagert. Auf dem Theile der Pleura, der das Zwerchfell überzieht, flottirten die Zotten kaum und glichen mehr einer pigmentreichen, dicken Membran , die durch ihre Fläche leicht beweglich mit dem Zwerchfell verbunden war. Die Zotten bestanden aus einer faserig-streifigen Substanz, die an ihrer Spitze oft in ausserordentlich lange, dünne, mit blossem Auge nicht sichtbare Zipfel auslief. In den kleineren Zotten lagen die Pigmentkörner immer in kleinen Häufchen zusammen und bildeten meist ganz vollständig geschlossene, oder auch nur unvollständige Ringe. Durch Anwendung sehr starken Druckes liessen sich diese kreisförmigen Gruppen ver- schieben und in eine mehr längliche und unregelmässige Form bringen. Wenn sich auch die Pigmentablagerung in den klei- neren Zotten im Allgemeinen mit Vorliebe der Ringform nä- herte, so fehlte es doch auch nicht an länglichen,, linienförmi- gen Gruppen'), so namentlich in den dünnen Zipfeln der Zotten. Anfangs kam es mir so vor, als seien die Ringe von Pigment- molecülen der Ausdruck einer Pigmentablagerung an der Ober- fläche kugeliger Zellen. Nach feinerer Zerfaserung der Präpa- rate aber konnte ich structurlose Gewebsstücke von dem ver- schiedensten Umrisse, in oder auf denen Pigmentkörner abgela- gert waren?), erkennen. Ein Epithelium vermochte ich auf den Zotten nicht zu finden, nur an den dünnen Zipfeln der feinsten Zotten fand ich pigmentfreie Zellen abgelagert, die ich jedoch bei ihrer Kleinheit und ihrem Vorkommen selbst in den tiefe- ren Schichten des Stromas für Epithelialzellen zu halten An- stand nehmen musste. Häufig schienen die einzelnen Pigmentmolecüle wieder selbst kleine Ringe, also vielleicht Kränze feinster Pigmentmolecüle zu sein. Das vollkommen durchsichtige Centrum dieser feinsten Ringchen blieb hell, wenn auch alles auffallende Licht abge- halten und die Vergrösserung auf 500 mal erhöht wurde. ' ») Big. Leo. 2) Fig. 2 a—d. 366 6. Mettenheimer: Die grossen Zotten waren so dieht mit Pigment angefüllt, dass die Anordnung desselben nicht erkannt werden konnte. Die Pigmentkörner waren hier im Allgemeinen grösser und glichen in ihren eckigen Umrissen mehr den von J. Vogel abgebildeten melanotischen Ablagerungen aus dem Peritoneum einer alten Frau.') Die Lunge, zu welcher die beschriebene Pleura gehörte, war ziemlich reich an den gewöhnlichen Pigmentablagerungen. Uebrigens war der Körper von melanotischen Ablagerungen ganz frei. Das Vorkommen der feineren Pigmentmolecüle in den fei- neren, jüngeren Zotten, der gröberen Pigmentkörner in den grösseren, älteren Zotten, die eigenthümliche kreisförmige Grup- pirung der feinsten Pigmentmolecüle scheint dafür zu sprechen, dass die Pigmentmolecüle wachsen und dass vielleicht auch mehrere solcher kleiner Molecüle zu einem grösseren verschmel- zen können. Die Ablagerung feinster Moleeüle schwarzen Pigmentes fin- det sehr leicht auch in dem Inneren von Zellen statt, sowohl solcher, die einen Theil des gesunden Körpers bilden, als krank- haft neugebildeter Zellen. Diese im Inneren von Zellen ent- stehenden Pigmentmoleeüle verbleiben entweder in den Zellen, indem die Membran derselben sich in einer oder der anderen Weise umbildet, oder sie verlassen den Ort ihrer Entstehung, indem die Zellenmembran platzt oder aufgelöst wird und ihren Inhalt ergiesst. Auf solche Vorgänge zu schliessen veranlasste mich die Beobachtung des krankhaften Bronchialsecretes einer an Bronchiectasie und Tuberculose leidenden 40jährigen Frau, deren Sputa zuweilen, nicht immer, schwärzlich gefärbte Stel- ' len enthielten. Diese schwärzlichen Färbungen erschienen dem unbewaffneten Auge als feine Fasern oder Streifen mit dendri- tischer Verzweigung und boten eine. grosse Aehnlichkeit mit feinen Gefässen dar, deren Wände man sich durch Pigmentab- lagerung schwarz gefärbt denken konnte. Ich glaubte einen 1) Icon. histol. pathol., Tab. IX., Fig. 9. Ueber die Ablagerung des schwarzen Pigmentes u. s. w. 367 Augenblick, abgestossene Gefässverzweigungen aus den schwar- zen Flecken der Lunge, wie ich sie oben beschrieben, vor mir zu haben, um so mehr, als sich jene schwarzen Streifchen, ohne zu zerreissen, in continuo aus der Schleimmasse des Sputums herausnehmen liessen. Die mikroskopische Untersu- chung deckte aber den Irrthum sogleich auf, indem sich durch sie nachweisen liess, dass die schwarzen Streifen aus dicht ge- drängten, ganz freien, nicht in Zellen enthaltenen Pigmentmo- lecülen bestanden, die durch Züge besonders dichten, glasigen Schleimes in Form von verzweigten Streifen zusammengehalten wurden und die Gestalt von Verzweigungen pigmentirter Ge- fässe annahmen. Ein Blick auf die rundlichen Zellen von sehr verschiedener Grösse, die den einzigen geformten Bestandtheil der Sputa ausmachten und in grosser Zahl vorhanden waren, lehrte, woher diese Pigmentmolecüle stammten. Die grössten von diesen Zellen enthielten jede eine ziemliche Anzahl feinster schwarzer Pigmentkörner; in den nächst kleineren Zellen sah ich die schwarzen Körnchen mit gelben gemischt, in den Schleimzellen gewöhnlicher Grösse aber nur die bekannten, feinen Körnigkeiten ohne ausgesprochene Färbung. Ich glaubte mir dies so deuten zu sollen, dass mit dem Wachsthume dieser Zellen in dem Inhalte eine Bildung von Fett- und Pigment- körnchen stattfindet, die mit dem Ueberwiegen der letzteren in den grössten Zellen endet. Aus dem Inneren dieser Zellen werden wahrscheinlich die Pigmentkörnchen ihren Weg nach aussen finden, indem die Zellenmembran sich auflöst. Wenig- stens ist die Identität der im Schleime suspendirten und der in den grössten Zellen enthaltenen Pigmentkörnchen so voll- ständig, dass ich für erstere keinen natürlicheren Ursprung zu finden wüsste, Diese letzte Beobachtung habe ich nur wegen der Aehnlich- keit, die das Pigment in den Sputis zuweilen mit abgerissenen und pigmentirten Gefässramificationen haben kann, hier an- gereiht. 368 €. Mettenheimer: Ueber die Ablagerung u. s. w. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Kleine Zotte der Pleura mit ihren dünnen Zipfelenden, a Pigmentringe. 5 Halbringe. c längliche Ablagerungen. d Kör- nerhaufen. e zerstreute Pigmentkörnchen ohne regelmässige Anord- nung. f in Reihen geordnete Körnchen. Fig. 2 a—d. Verschiedene durch Zerzupfung der Zotte erhaltene, amorphe Gewebstheile mit Pigmentkörnchen und Pigmentringchen. H. Munk: Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 369 Untersuchungen zur allgemeinen Nerven- physiologie. Von Dr. HERMANN MüunkK. Seit den Epoche machenden Untersuchungen E. du Bois- Reymond’s über die elektromotorischen Eigenschaften des Nerven haben die Bestrebungen in der allgemeinen Nervenphy- siologie fast ausschliesslich den physiologischen Erscheinungen am Nerven sich zugewandt, indem die Erregung, die Leitung der Erregung und die Erregbarkeit des Nerven studirt wurden. Nur du Bois-Reymond selbst verdanken wir noch einen we- sentlichen Fortschritt in unserer physikalischen Kenntniss des Nerven durch die Auffindung der inneren Polarisirbarkeit des- selben, wonach der Nerv ein feuchter poröser Körper ist mit einem festen porösen Gerüste, welches wir das Nervengerüst —, und einer die Hohlräume des Gerüstes erfüllenden Flüssigkeit, welche wir die Nervenflüssigkeit nennen wollen. Das ausgedehnte physiologische Studium des Nerven in dem letzten Jahrzehnt hat aber nicht die Früchte getragen, welche man wohl erwarten durfte. Trotz der Unsumme von Einzel- erfahrungen, welche sich aufgehäuft hat, sind brauchbare Vor- stellungen, mit deren Hülfe die weitere Untersuchung dem Wesen der Erregung, der Leitung der Erregung und der Er- regbarkeit mehr auf die Spur zu kommen hoffen konnte, nicht gewonnen worden, und ebensowenig ist eine innige Verknüpfung der physiologischen mit den vorliegenden physikalischen Er- scheinungen am Nerven möglich gewesen. Gelang es einmal, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 24 370 H. Munk: eine mehr oder weniger grosse Anzahl der physiologischen Er- fahrungen einem allgemeineren Gesichtspunkte unterzuordnen, so war man sicher, andere und zwar eben so wohl beglaubigte Erfahrungen oder gar ganze Gruppen derselben im Wider- spruche zu finden. Bei dieser Sachlage ging mein Bestreben zuerst dahin, zu den vorhandenen physiologischen Erfahrungen neue und zwar vermittelnde Thatsachen aufzusuchen : aber durch die neuen Thatsachen, auf welche ich stiess, wurden die bereits bestehen- den Schwierigkeiten nur noch vergrössert. Ich betrat deshalb später den zweiten Weg, auf welchem es noch in Aussicht stand, ein besseres Verständniss des Nerven zu gewinnen: ich eing von Neuem an das Studium der physikalischen Erschei- nungen am Nerven und zwar unter den Umständen, unter wel- chen sehr zahlreiche und auffallende physiologische Erscheinun- gen am Nerven auftreten, in dem Falle nämlich, dass ein elek- trischer Strom eine Strecke des Nerven durchfliesst. Dieser Weg ist auch erfolgreich gewesen, und die Ergebnisse meiner mehr- jährigen Bemühungen in dieser Richtung erlaube ich mir im Folgenden mitzutheilen. 1. Nach Untersuchungen E. du Bois-Reymond’s erzeugt der galvanische Strom , wenn er feuchte poröse Körper durch- fliesst, in diesen sehr häufig einen Widerstand, den secundären Widerstand, der in der Regel ausschliesslich ein äusserer ist, d.h. an dem Stromeintrittsende desselben seinen Sitz hat, und nur selten daneben noch ein innerer, über die ganze durch- strömte Strecke des Körpers verbreitet ist. Kine tiefere Ein- sicht in die Natur des inneren secundären Widerstandes hat sich gar nicht gewinnen lassen, und auch vom äusseren secun- dären Widerstande ist eine umfassende sichere Deutung zur Zeit unmöglich gewesen: doch war es von dem letzteren von vorn herein klar, dass er eine Folge der Flüssigkeitsfortführung durch den Strom ist, und ist es weiter für viele Fälle sehr wahrscheinlich geworden, dass er genauer eine Folge dessen ist, dass die schlechter leitende Flüssigkeit des feuchten porösen Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 371 Körpers schneller durch den Strom fortgeführt wird, als die besser leitende Flüssigkeit, welche den Strom zuführt, nach- rückt, wodurch das Stromeintrittsende des Körpers an Flüssig- keit verarmt. Der Nerv, der uns hier allein interessirt, hat für den inneren secundären Widerstand gar nicht und für den äusseren secundären Widerstand auch nur bei Strömen von einiger Stärke und nur dann empfänglich sich gezeigt, wenn metallische Elektroden oder mit gewissen Flüssigkeiten — z. B. Kupfer- oder Zinkvitriollösung — getränkte feuchte poröse Kör- per den Strom ihm zu- und wiederum von ihm fortführten ; hatte die Zu- und Ableitung des Stromes aber durch andere Flüssigkeiten — z. B. Kochsalzlösung — statt, so trat secun- därer Widerstand am Nerven nie auf. Eben darum konnte auch dem secundären Widerstande eine Bedeutung in der Ner- physiologie nicht zugemessen werden. Indessen sind die vorstehenden Angaben für den Nerven höchstens dann zutreffend, wenn derselbe linear von (Quer- schnittsläche zu Querschnittsfläche durchströmt ist. Wird hin- gegen der Strom, wie es in den physiologischen Versuchen der Fall und im Folgenden immer vorausgesetzt ist, einer Stelle der Nervenoberfläche zugeleitet und von einer eben solchen Stelle (oder auch einer Querschnittsfläche) des Nerven abge- leitet, so ruft der Strom, gleichviel wie geartet seine Zu- und Ableitung ist, in dem Stromeintrittsende der durchströmten Nervenstrecke stets eine Verarmung desselben an Flüssigkeit - und dadurch eine Zunahme seines Widerstandes hervor, wäh- rend das übrige Stück der durchströmten Nervenstrecke haupt- sächlich in Folge der Erwärmung durch den Strom, daneben aber auch noch in Folge der Elektrolyse der Nervenflüssigkeit und des Reicherwerdens des Stückes an Flüssigkeit überhaupt an. Widerstand abnimmt; und aus beiderlei Widerstandsverän- derungen resultirt, dass der Widerstand der durchströmten Ner- venstrecke mit Ausnahme der ersten kurzen Zeit nach der Schliessung der Kette mehr oder weniger beträchtlich, oft so- gar sehr bedeutend wächst. Unmittelbar nach der Schliessung der Kette nimmt der Widerstand der durchströmten Nerven- strecke meist mit verzögerter Geschwindigkeit ab; aber diese 24° 312 H. Munk: Widerstandsabnahme bleibt, selbst wenn sie sehr gross ist, in der Regel doch auf wenige Secunden beschränkt und dauert nur selten und zwar unter Umständen, welche für das Ueber- wiegen des Einflusses der Verarmung auf den Widerstand der Nervenstrecke besonders ungünstig sind, mehrere Minuten an. Die Widerstandszunahme der Nervenstrecke erfolgt zuerst mit beschleunigter, dann aber mit verzögerter Geschwindigkeit und macht bei sehr langer Dauer der Durchströmung oft einer Ab- nahme des Widerstandes Platz, dieser folgt nach einiger Zeit wiederum eine neue Widerstandszunahme, dann tritt eine wie- derholte Widerstandsabnahme auf u. s.f. Nach der Unterbre- chung des Stromes nimmt in Folge der Rückbildung resp. Ab- gleichung aller durch den Strom gesetzten Veränderungen in der durchströmten Nervenstrecke der Widerstand dieser Ner- venstrecke mit rasch abnehmender Geschwindigkeit ab,. und nur wo nach der Schliessung der Kette der Widerstand längere Zeit abgenommen hatte, geht der Abnahme nach der Oeffnung der Kette eine kurze Zunahme des Widerstandes vorher. End- lich nimmt nach der Umkehrung der Stromrichtung der Wider- stand der durchströmten Nervenstrecke in Folge der Flüssig- keitsrückkehr zu dem an Flüssigkeit verarmten früheren Strom- eintrittsende und in Folge der Verarmung des neuen Strom- eintrittsendes zuerst ab und darauf von Neuem zu; die neue Widerstandsabnahme der Nervenstrecke erfolgt aber im Ganzen immer langsamer als die erste Widerstandszunahme wegen des nunmehr geringeren specifischen Widerstandes der Nervenflüs- sıgkeit. “Die Verarmung der durchströmten Nervenstrecke an Flüs- sigkeit an ihrem Stromeintrittsende nimmt mit der Stromdauer sowohl an Grösse wie an Ausdehnung in der Richtung von der Stromeintrittsstelle nach der Stromaustrittsstelle hin zu. Sie wächst ferner mit der Stromintensität, der Länge der durch- strömten Nervenstrecke und dem specifischen Widerstande der Nervenflüssigkeit; sie nimmt dagegen ab mit dem Wachsen des Querschnittes der durchströmten Nervenstrecke und zwar ebensowohl wenn die Nervendicke zunimmt, wie wenn nur die Berührungsflächen zwischen dem Nerven und den Elektroden Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 373 grösser werden: die Verarmung wächst danach mit der Flüs- sigkeitsfortführung durch den Strom, deren Folge sie ja auch ist. Von der auf- oder absteigenden Richtung des Stromes im Nerven ist die Verarmung unabhängig; ist der Nerv vom Strome quer durchflossen, so tritt eine Verarmung überhaupt nicht ein, oder dieselbe ist nur sehr gering. Ganz besonders abhängig aber ist noch die Verarmung von dem Strömungsvor- gange in der Stromeintrittsgegend : sie nimmt unter sonst gleichen Umständen — also besonders auch bei gleichem Quer- schnitte der durchströmten Nervenstrecke — mit der Verklei- nerung der Berührungsfläche zwischen der positiven Elektrode und dem Nerven rasch zu und zwar um so rascher, je grösser der specifische Widerstand der Nervenflüssigkeit ist. Der specifische Widerstand der Nervenflüssigkeit wächst mit der Lebensfähigkeit (Leistungsfähigkeit) und mit dem natürli- chen Absterben des Nerven und wird mit zunehmender Tem- peratur und mit der Elektrolyse des Nerven kleiner. Auch durch die Vergiftung des Thieres mit Curare wird der speci- fische Widerstand der Nervenflüssigkeit vergrössert. Zu den vorstehenden Erfahrungen führt die Untersuchung des Leitungswiderstandes der ganzen. durchströmten Nerven- strecke wie auch einzelner Partieen derselben während resp. nach ihrer Durchströmung mittelst der Wheatstone’schen Methode oder mit Hülfe der Messung der Stromintensität im Schliessungskreise des Nerven. Durch die Fehlerquellen, welche der Nervenstrom und die innere Polarisation des Nerven abge- ben, wird die Untersuchung nicht beeinträchtigt wegen der ge- ringen Grösse der Fehler gegenüber der beträchtlichen Grösse der zur Beobachtung kommenden Widerstandsveränderungen; zudem lässt sich immer aus mehreren Erfahrungen zugleich in- nerhalb der Genauigkeitsgrenzen der Untersuchung jede wesent- liche Störung der Erscheinungen durch die elektromotorischen Kräfte im Nerven mit Sicherheit ausschliessen. Für die Unter- suchung des specifischen Widerstandes und der Abhängigkeit der Widerstandsveränderungen von anderen Umständen ausser von der Stromintensität bietet besondere Vortheile die Wheat- stone’sche Methode der Widerstandsbestimmung, indem sie 374 H. Munk: das Verfahren der Opposition gestattet: man nimmt in zwei Leitungen der gespaltenen Strecke des Stromnetzes zwei Ner- venstrecken auf, in welchen Alles bis auf den einen variabeln Umstand constant gehalten ist. Wo die Widerstandszunahme der Nervenstrecke bei der Durchströmung nicht ganz unbedeu- tend ist, finden die Ergebnisse der Widerstandsuntersuchungen Hinsichts der Veränderungen des Flüssigkeitsgehalts der durch- strömten Nervenstrecke auch durch die Formveränderungen des Nerven eine Bestätigung. Unter der Einwirkung des Stromes wird nämlich der Querschnitt der durchströmten Nervenstrecke in der Stromeintrittsgegend und zwar am meisten an der Stromeintrittsstelle selbst und von da aus abnehmend nach der Stromaustrittsstelle hin kleiner, und nach der Unterbrechung des Stromes wie nach der Umkehrung der Stromriehtung wird der Querschnitt hier wieder grösser, dech nie wieder ganz so gross, wie er vor der Durchströmung war. Stets weniger be- trächtlich und überhaupt seltener deutlich sichtbar ist eine An- schwellung der durchströmten Nervenstrecke in ihrer Stromaus- trittshälfte, deren Maximum noch vor der Stromaustrittsstelle liegt, und die nach der Unterbrechung des Stromes wie nach der Umkehrung der Stromrichtung sehr rasch undeutlich wird. Wird eine Nervenstrecke von Inductionsströmen gleicher Richtung durchsetzt, so erfährt sie dieselben Veränderungen wie eine vom galvanischen Strome durchflossene Nervenstrecke. 2. So verschieden concentrirt man auch die Salzlösung nehmen fnag, mit welcher man den Thon der du Bois’schen Zuleitungs- röhren mit Thonspitzen tränkt, so gelingt es doch nie, die Ver- armung des Stromeintrittsendes der durchströmten Nervenstrecke dadurch auszuschliessen. Und wenn es danach schon höchst unwahrscheinlich ist, dass die Verarmung ihren Ursprung. we- sentlich dem Umstande verdankt, dass die den Strom zufüh- rende Flüssigkeit besser leitet und darum langsamer durch den Strom fortgeführt wird als die schlechter leitende Nervenflüs- sigkeit, so wird diese Erklärung der Verarmung alsdann unbe- dingt beseitigt durch die Erfahrung, dass auch eine Nerven- Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 375 strecke, welcher zwei gleiche Nervenstücke den Strom zu- und ableiten, an Widerstand unter dem Einflusse des Stromes ge- winnt, an Flüssigkeit an ihrem Stromeintrittsende verarmt. Die eigenthümliche Beschaffenheit unseres feuchten porösen Körpers, des Nerven, lässt aber auch eine andere Erklärung der Verarmung des Stromeintrittsendes zu. Das Neurilemm zwar spielt sicher dabei keine Rolle, da die Erfahrungen von (1) ebensowohl an den nach Harless aus dem Muskel heraus- gezogenen und vom Neurilemm freien Nerven wie an dem extramuscularen Nervenstamme sich gewinnen lassen. Aber der Nerv ist aus vielen Nervenfasern zusammengesetzt, deren jede eine Hülle, die Nervenscheide, und einen Inhalt, den Ner- veninhalt, besitzt. An Stelle des ganzen Nerven wird daher der Nerveninhalt als feuchter poröser Körper anzuerkennen sein, und die die Hohlräume seines Gerüstes - verbindenden capillä- ren Lücken, in welchen die Flüssigkeitsfortführung durch den Strom statthat, werden auf Grund unserer Erfahrung, dass bei querer Durchströmung des Nerven gar keine oder doch nur eine spurweise Verarmung der durchströmten Strecke eintritt, mit grosser Wahrscheinlichkeit als im Grossen und Ganzen der Längsachse des Nerven parallel angenommen werden dürfen. Wie dem aber auch sein mag, jedenfalls wird die Nervenscheide den Uebertritt der Nervenflüssigkeit von einer Nervenfaser zur anderen verhindern oder wenigstens wesentlich erschweren, und damit allein lässt die Verarmung sich erklären, wenn man nur den Strömungsvorgang im Nerven berücksichtigt. In den der positiven Elektrode nächsten Nervenfasern muss die Nerven- flüssigkeit von der positiven Elektrode aus nach beiden Seiten des Nerven hin fortgeführt werden und dadurch eine Verarmung dieser Nervenfasern an Flüssigkeit in der Stromeintrittsgegend entstehen, die mit der Entfernung von der Stromeintrittsstelle nach beiden Seiten hin abnimmt. Mit dem Abstande der Ner- venfasern von der positiven Elektrode. muss alsdann die Fort- führung der Flüssigkeit in denselben nach aussen hin rasch geringer werden, und endlich wird die Flüssigkeitsfortführung in allen Nervenfasern nur noch in der Richtung von der posi- tiven zur negativen Elektrode statthaben. Aber auch in diesen 376 . H. Munk: letzteren Nervenfasern wird es zu einer Verarmung derselben in der Stromeintrittsgegend dadurch kommen müssen, dass der Abstand zweier Punkte gleicher Spannungsdifferenz, auf der Längsachse der Nervenfaser gemessen, nach der Mitte der in- trapolaren Nervenstrecke hin immer kleiner ist, die Flüssig- keitsfortführung in den einzelnen Querschnitten der Nervenfaser also desto grösser sein wird, je näher der Querschnitt der Mitte der intrapolaren Nervenstrecke gelegen ist. Wie sehr diese Nervenfasern an Flüssigkeit verarmen und wie weit die Verar- mung nach aussen über die Stromeintrittsstelle hinaus sich er- streckt, muss ausser von dem Strome selbst noch von der Ela- sticität des Nervengerüstes und von der Zähigkeit der Nerven- flüssigkeit abhängig sein: und zwar muss die Verarmung in der Stromeintrittsgegend desto grösser, die Ausdehnung der Verarmung nach aussen über die Stromeintrittsstelle hinaus aber desto kleiner sein, je geringer: die Elasticität des Gerüstes und je grösser der specifische Widerstand der Nervenflüssigkeit ist. In der Stromaustrittsgegend des Nerven und über die Stromaustrittsstelle hinaus muss es natürlich aus denselben Gründen, wie sie eben für die Verarmung in der Stromein- trittsgegend entwickelt sind, zu einem Reicherwerden an Flüs- sigkeit kommen, dessen Verhalten dasselbe sein muss wie das der Verarmung. Indem diese Erklärung weit gehende Veränderungen des Flüssigkeitsgehalts des Nerven zu beiden Seiten der intrapola- ren Nervenstrecke in sich schliesst, ist sie der Prüfung zugäng- lich. Nur ist nicht zu übersehen, dass auch noch andere Ver- änderungen über die Elektroden hinaus sich ausbreiten werden. Nothwendig muss die durch den Strom erwärmte intrapolare Nervenstrecke den Nachbarstrecken Wärme mittheilen: aber die Erwärmung der extrapolaren Nervenstrecken wird, in Folge der Flüssigkeitsfortführung in den Nervenfasern hauptsächlich in der Richtung des Stromes, ‘eine ungleiche sein zu Gunsten der Nervenstrecke zur Seite der negativen Elektrode. Endlich wird auch, wenn die an zahlreichen Gerüsttheilchen abgeschie- denen Jonen in die noch unzersetzte Nervenflüssigkeit hinein- diffundiren — ein Vorgang, der durch die Fortführung der Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 377 Flüssigkeit im Nerven wesentlich unterstützt werden muss —, in jeder Nervenfaser zwischen der so veränderten Nervenflüs- sigkeit und der übrigen Nervenflüssigkeit, vornehmlich wiederum derjenigen zur Seite der negativen Elektrode, eine Diffusion eintreten müssen. In der That ergeben sich nun allem Vorstehenden genau entsprechend die Widerstandsveränderungen der extrapolaren Nervenstrecken,, soweit nur die aus mehrfachen Gründen be- schränkten und unvollkommenen Untersuchungsmethoden ihnen nachzugehen gestatten. Während der Durchströmung einer Nervenstrecke ist der Widerstand des Nerven zur Seite der positiven Elektrode ver- grössert, zur Seite der negativen Elektrode verringert; und zwar ist es für die Widerstandszunahme gleichgültig, wie lang der Nerv zur Seite der negativen Elektrode, für die Wider- standsabnahme gleichgültig, wie lang der Nerv zur Seite der positiven Elektrode ist. Beiderlei Widerstandsveränderungen sind dicht an der Strom- eintritts- resp. Stromaustrittsstelle am grössten und nehmen mit der Entfernung von diesen Stellen zuerst sehr rasch, dann nur langsam ab. Sie wachsen ferner mit der Stromintensität, der Länge der durchströmten Nervenstrecke und dem specifischen Widerstande der Nervenflüssigkeit. Ist der letztere nur klein, so kann unter sonst gleichen Verhältnissen die Widerstandsab- nahme der Widerstandszunahme an Grösse gleichkommen oder diese sogar noch übertreffen: mit dem Wachsen des specifischen Widerstandes der Nervenflüssigkeit tritt aber ein Unterschied zu Gunsten der Widerstandszunahme auf. Die Widerstandsabnahme ist kurze Zeit nach dem Beginne der Durchströmung am grössten und nimmt in der Regel zuerst rasch, dann langsamer ab; hin und wieder — dann nämlich, wenn die Stromintensität in der durchströmten Strecke nur wenig sich verändert — nimmt sie von vorn herein langsam ab. Die Widerstandszunahme wächst nach der Schliessung des ‘Stromes längere Zeit an und nimmt erst später ab. Je grösser die Stromintensität und der specifische Widerstand der Nerven- flüssigkeit ist, je kleiner ferner die Berührungsfläche zwischen 378 H. Munk: der positiven Elektrode und dem Nerven ist, desto rascher wächst die Widerstandszunahme nach der Schliessung, desto steiler fällt sie Anfangs von der positiven Elektrode nach aus- sen hin ab, und desto früher beginnt sie kleiner zu werden. Die Rückbildung der extrapolaren Widerstandsveränderungen erfolgt nach der Unterbrechung des Stromes mit Anfangs sehr grosser, aber rasch abnehmender Geschwindigkeit. Auf der Seite der negativen Elektrode bleibt der Widerstand schliess- lich überall gegen die Zeit vor der Durchströmung verringert zurück. Dasselbe ist auch auf der Seite der positiven Elek- trode in einiger Entfernung von der Elektrode stets der Fall; in grosser Nähe der positiven Elektrode aber zeigt sich hier, wenn ein starker Strom kürzere Zeit oder ein mittelstarker Strom längere Zeit die Nervenstrecke durchflossen hatte, der Widerstand auch längere Zeit nach der Durchströmung noch vergrössert. Ist der Nerv quer durchströmt, so tritt zu den Seiten der durchströmten Strecke schon in geringer Entfernung von dieser gar keine Widerstandsveränderung oder höchstens eine Ab- nahme, nie eine Zunahme des Widerstandes auf. Ebenso be- obachtet man gar keine Widerstandsveränderung oder höchstens eine spurweise Abnahme des Widerstandes an einer Nerven- strecke, zwischen welcher und der durchströmten Nervenstrecke der Nerv mit einem (nassen) Faden unterbunden oder durch- schnitten und wieder zusammengeklebt ist. | Man gewinnt die vorstehenden Erfahrungen mit Prüfungs- strömen, welche an sich nur sehr geringe Widerstandsverände- rungen setzen, nach der Durchströmung des Nerven, indem man die extrapolaren Widerstandsveränderungen bei ihrer Rück- bildung verfolgt. Die Formveränderungen des Nerven unter- stützen die Erfahrungen insofern, als einmal der Querschnitt des Nerven von. der Stromeintrittsstelle aus auch nach aussen hin — und zwar mit der Entfernung von der Elektrode abneh- mend — unter der Einwirkung des: Stromes kleiner wird, und sodann die Querschnittsabnahme des Nerven in der Stromein- trittsgegend überhaupt nicht sowohl durch alle Nervenfasern gleichmässig, als vielmehr besonders durch die der Elektrode Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 379 nächsten Nervenfasern bedingt sich erweist, indem hier eine der Elektrode zugewandte Einsenkung des Nerven sich bildet. Die weiteren Formveränderungen, welche man wohl beobachtet, sind zu wenig auffallend, als dass ein besonderes Gewicht auf sie gelegt werden dürfte. Zu den Seiten einer von gleichgerichteten Inductionsströmen durchsetzten Nervenstrecke zeigt der Nerv dieselben Verände- rungen wie zu den Seiten ‘einer vom galvanischen Strome durchflossenen Nervenstrecke. d. Die zahlreichen Erregbarkeits-Untersuchungen, welche bis- her ausgeführt worden sind, leiden durchweg an einem princi- piellen Fehler. Man hat übersehen, dass der Umstand, dessen Einfluss auf die Erregbarkeit Gegenstand der Untersuchung war, auch Widerstandsveränderungen in der betrachteten Ner- venstrecke bedingen konnte, und dass in Folge dieser Wider- standsveränderungen, selbst wenn Alles im Schliessungskreise des Nerven constant gehalten schien, der prüfende Strom, der stets der nämliche sein sollte, doch verschieden, der minimale reizende Strom gerade, wenn er kleiner zu sein schien, grösser und umgekehrt, wenn er grösser zu sein schien, kleiner sein konnte. Von diesem Gesichtspunkte aus bedürfen die Unter- suchungen der Wiederholung mit der Abänderung, dass man in den Schliessungskreis der betrachteten Nervenstrecke so grosse Widerstände einschaltet, dass die bekannten oder etwai- gen Widerstandsveränderungen der Nervenstrecke durch den Umstand, um dessen Einfluss auf die Erregbarkeit es sich han- delt, gegen den im Kreise vorhandenen Widerstand nicht in Betracht kommen. Erst dann werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen von Werth sein, und nach den Erfahrungen, die ich mehrfach in dieser Richtung bereits gemacht habe, wer- den dann auch die Widersprüche fortfallen, welche entschiedene Fortsehritte auf Grund der physiologischen Erscheinungen bis- her verhindert haben. Die wichtigste der vorliegenden Erregbarkeits-Untersuchun- gen ist die von Pflüger über den Einfluss des constanten 380 H. Munk: Stromes. Nach Pflüger ist während der Durchströmung einer Nervenstrecke die Erregbarkeit in den extrapolaren Nerven- strecken zur Seite der negativen Elektrode erhöht, zur Seite der positiven Elektrode herabgesetzt; und nach der Durchströ- mung ist die Erregbarkeit überall erhöht, nur dass auf der Seite der negativen Elektrode der Erhöhung eine Herabsetzung von kurzer Dauer voraufgeht. Aber die Untersuchung Pflü- ger’s ist mit dem eben aufgedeckten Fehler behaftet, und wenn man sie so wiederholt, dass man durch Einschaltung aus- reichender Widerstände in den Schliessungskreis der betrach- teten Nervenstrecke den Prüfungsstrom wirklich constant hält, kommt man zu ganz anderen Ergebnissen. Befindet sich die betrachtete Nervenstrecke zwischen dem absteigenden polarisirenden Strome und dem Muskel, so ist ihre Erregbarkeit während der Durchströmung erhöht für den absteigenden, herabgesetzt für den aufsteigenden Prüfungsstrom und unmittelbar nach der Durchströmung herabgesetzt für den absteigenden, erhöht für den aufsteigenden Prüfungsstrom. Be- findet sich die betrachtete Nervenstrecke zwischen dem aufstei- genden polarisirenden Strome und dem Muskel, so ist während der Durchströmung, wenn die Intensität des polarisirenden ‘Stromes nur gering ist, die Erregbarkeit für den absteigenden Prüfungsstrom erhöht, für den aufsteigenden herabgesetzt; ist aber die Intensität des polarisirenden Stromes. grösser, so ist die Erregbarkeit umgekehrt für den aufsteigenden Prüfungs- strom erhöht, für den absteigenden herabgesetzt; und wenn dann die Intensität des polarisirenden Stromes weiter wächst, so wachsen zuerst auch die letztgenannten Veränderungen der Erregbarkeit, nehmen aber später an Grösse wieder ab. Nach der Durchströmung zeigt sich, wenn der polarisirende Strom schwach war, kaum eine Veränderung der Erregbarkeit, oder diese ist wenig erhöht für den aufsteigenden, wenig herabgesetzt für den absteigenden Prüfungsstrom ; war der polarisirende Strom aber stärker, so ist die Erregbarkeit unmittelbar nach der Durchströmung für den absteigenden Prüfungsstrom herab- gesetzt, für den aufsteigenden Prüfungsstrom erhöht und geht bald in das Gegentheil — Erhöhung für den absteigenden, Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 381 Herabsetzung für den aufsteigenden Prüfungsstrom — über. Befindet sich endlich der polarisirende Strom zwischen der be- trachteten Nerv@nstrecke und dem Muskel, so ist bei schwa- chem polarisirenden Strome die Erregbarkeit für den gleichge- richteten Prüfungsstrom erhöht, für den entgegengesetzt gerich- teten Prüfungsstrom herabgesetzt; mit dem Wachsen des pola- risirenden Stromes wird aber die Erregbarkeit für jeden Prü- fungsstrom herabgesetzt und schliesslich zuerst für den entge- gengesetzt gerichteten, später auch«für den gleich gerichteten Prüfungsstrom Null. Nach der Durchströmung ist die Erreg- barkeit, wenn der polarisirende Strom schwach war, gar nicht verändert oder für den entgegengesetzt gerichteten Prüfungs- strom wenig erhöht, für den gleich gerichteten Prüfungsstrom wenig herabgesetzt; war ‚der polarisirende Strom aber stärker, so ist die Erregbarkeit zunächst immer herabgesetzt und nimmt für den entgegengesetzt gerichteten Prüfungsstrom rascher, für den gleich gerichteten langsamer zu. Die Erregbarkeit der intrapolaren Nervenstrecke soll nach Pflüger während der Durchströmung mit der Stärke des po- larisirenden Stromes zuerst bis zu einem Maximum wachsen und von diesem aus dann auf Null abnehmen. Indessen ge- winnt man auch hier, sobald man von den Widerstandsverän- derungen der intrapolaren Nervenstrecke sich unabhängig ge- macht hat, ganz andere Erfahrungen. Bei absteigendem pola- risirenden Strome ist die Erregbarkeit für den absteigenden Prüfungsstrom erhöht, für den aufsteigenden Prüfungsstrom. herabgesetzt; bei aufsteigendem polarisirendem Strome ist die Erregbarkeit stets für den absteigenden und auch für den aufsteigenden Prüfungsstrom dann, wenn der polarisirende Strom von grösserer Intensität ist, herabgesetzt, für den letz- teren Prüfungsstrom aber erhöht, wenn der polarisirende Strom Nur schwach ist. Die in (1) und (2) erkannten Widerstandsveränderungen der intrapolaren und extrapolaren Nervenstrecken machen die Ergebnisse Pflüger’s ohne Weiteres erklärlich. Doch stösst man auch bei der Pflüger’schen Untersuchungsweise auf Er- scheinungen, welche mit seinen Angaben nicht stimmen und 382 H. Munk: die Richtung des Prüfungsstromes als bedeutungsvoll darthun. So ist bei dem starken absteigenden polarisirenden Strome zwi- schen diesem und dem Muskel die Erregbarkeit immer für den absteigenden Prüfungsstrom erhöht, für den aufsteigenden her- abgesetzt; bei dem schwachen aufsteigenden polarisirenden Strome ist zwischen diesem und dem Muskel unmittelbar nach der Schliessung des Stromes und in einiger Entfernung von ihm die Erregbarkeit für den absteigenden Prüfungsstrom öfters erhöht, während sie für den aufsteigenden Prüfungsstrom immer herabgesetzt ist; endlich bieten die Erregbarkeitsveränderungen nach der Durchströmung für die Prüfungsströme verschiedener Richtung vielfach verschiedene Erscheinungen dar. In Folge der Widerstandsveränderungen der extrapolaren Nervenstrecken lassen sich unter den geeigneten Bedingungen die von Pflüger constatirten Zuckungsveränderungen auch noch von einer Nervenstrecke aus beobachten, welche zwischen dem polarisirenden Strome und dem Muskel gelegen ist, nach- dem an dieser Nervenstrecke zwischen den Elektroden ein Un- terband angelegt worden ist. 4. Verbindet man die Untersuchung der Widerstandsverände- rungen von (1) und (2) mit der Untersuchung der physiolo- gischen Erscheinungen, indem man den Nerven in unversehrter Verbindung mit seinem Schenkel hält, so stellen sich zwischen den Muskelzuckungen — den Schliessungs- und Oeffnungszuk- kungen, dem Schliessungs- und Oeffnungstetanus — einerseits und den uns bekannt gewordenen Vorgängen im Nerven ande- rerseits bestimmte Beziehungen heraus. Von zwei später zu besprechenden Fällen abgesehen, zuckt nämlich der Muskel stets und so lange, als die Bewegung der Nervenflüssigkeit unter der Einwirkung des Stromes oder unmittelbar nach der Unterbrechung des Stromes von einer gewissen Grösse und von einer gewissen Geschwindigkeit ist. Wir werden dadurch zu der Annahme geführt: dass die Erregung des Nerven in Folge des elektrischen Stromes bedingt ist einmal durch die Fortfüh- rung der Nervenflüssigkeit unmittelbar durch den Strom und Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 383 sodann auch durch die Flüssigkeitsrückkehr zu den vorher an Flüssigkeit verarmten Nervenstellen nach der Unterbrechung des Stromes; und dass, indem diese Bewegungen der Nerven- flüssigkeit über die extrapolare Nervenstrecke nach dem Muskel hin sich erstrecken, die Muskelzuckung herbeigeführt wird durch die — gleichviel wie gerichtete — Bewegung der Ner- venflüssigkeit, sobald diese mit einer gewissen Grösse und einer gewissen Geschwindigkeit bis zum Muskel hin sich fortge- pflanzt hat. Es entsprechen dieser Annahme vollkommen die bekannten Gesetze der Erregung und der Leitung der Erregung. Auch ist die Annahme vortrefflich im Einklange mit der von Helm- holtz festgestellten geringen Leitungsgeschwindigkeit der Er- regung im Nerven. Ganz besonders aber stützt die Annahme, dass in allen Fällen, in welchen der specifische Widerstand der Nervenflüssigkeit wächst (s. o. 1), auch eine Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit der Erregung im Nerven sich heraus- gestellt hat. (Die Angaben von v. Bezold über die Verände- rungen der Leitungsgeschwindigkeit unter dem Einflusse des constanten Stromes sind unrichtig.) Aus den Erscheinungen des sogenannten aufsteigenden ex- trapolaren Katelektrotonus hat Pflüger erschlossen, dass, wenn ein starker galvanischer Strom kürzere Zeit oder ein mittelstar- ker Strom längere Zeit eine Nervenstrecke durchfiossen hat, die anelektrotonisirte Nervenstrecke die Erregung zu leiten un- fähig ist. In der That geht aus jenen Erscheinungen, wie aus unseren Erfahrungen oben in (3) Hinsichts der Erregbarkeit der extrapolaren oberhalb des polarisirenden Stromes befindli- chen Nervenstrecke, wenn der Prüfungsstrom dem polarisiren- den Strome gleich gerichtet war, hervor, dass in der Gegend der positiven Elektrode die Leitung der Erregung von einer mehr centralen Nervenstrecke zum Muskel hin gehemmt ist. Bei der gleichzeitigen Untersuchung der Widerstandsverände- rungen sieht man nun diese Hemmung immer zusammenfallen mit einer sehr grossen Verarmung des Stromeintrittsendes an Nervenflüssigkeit: was wiederum in voller Uebereinstimmung mit unserer Annahme ist. 384 H. Munk: Weiter werden die Veränderungen, welche die Erregbarkeit des Nerven, sobald eine Strecke desselben vom galvanischen Strome durchflossen ist, in der intrapolaren wie in den extra- polaren Nervenstreeken erfährt, durch unsere Annahme sofort erklärlich. Die Erfahrungen, welche wir in (3) gesammelt ha- ben, lassen sich im Sinne unserer Annahme in ihrer Gesammt- heit dahin zusammenfassen, dass die Muskelzuckung in Folge einer gegebenen Bewegung der Nervenflüssigkeit durch eine bereits vorhandene Bewegung der Nervenflüssigkeit vergrössert wird, wenn die letztere Bewegung der ersteren gleich gerichtet, verkleinert wird, wenn die letztere Bewegung der ersteren ent- gegengesetzt gerichtet ist. ' Statt auf weitere Erklärungen untergeordneterer Thatsachen durch unsere Annahme, wie sie noch in Menge sich beibringen liessen, uns einzulassen, wenden wir uns jetzt den beiden Fäl- len zu, von welchen wir oben abgesehen haben. Bei dem star- ken aufsteigenden Strome tritt während der Durchströmung und bei dem starken absteigenden Strome nach der Durchströ_ mung Muskelzuckung nicht ein, und diese Erfahrungen könnten auf den ersten Blick unsere Annahme sehr zu gefährden schei- nen. Indessen bietet sich für diese Fälle, da die Ausbreitung der Flüssigkeitsbewegung über die extrapolare Nervenstrecke von der Grösse und der Geschwindigkeit der Flüssigkeitsbewe- gung in der intrapolaren Nervenstrecke einerseits und von der Zähigkeit der Nervenflüssigkeit und der Elasticität des Nerven- gerüstes andererseits abhängig ist, einfach die Erklärung, dass die Flüssigkeitsfortführung von der Stromeintrittsstelle im ersten Falle und der Rückprall der Nervenflüssigkeit nach der Strom- eintrittsstelle im zweiten Falle so jäh erfolgt, dass bei der ge- gebenen Zähigkeit der Nervenflüssigkeit das Nervengerüst in der Nachbarschaft der Stromeintrittsstelle collabirt und eine Flüssigkeitsbewegung in der extrapolaren Nervenstrecke zum Muskel hin gar nicht oder nur in sehr geringer Grösse erfolgt; und dass, wenn später die collabirte Nervenstelle sich restituirt, die Flüssigkeitsbewegung in der extrapolaren Nervenstrecke mit viel geringerer Geschwindigkeit statthat, als es der Fall gewe- sen wäre, wenn das Nervengerüst zu Anfang nicht collabirt ” Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 385 wäre. Diese Erklärung findet eine wesentliche Stütze in unse- rer früheren Erfahrung, dass die Widerstandszunahme zur Seite der positiven Elektrode Anfangs von der Elektrode nach aussen hin desto steiler abfällt, je stärker der Strom ist. Es verbürgt ferner die Richtigkeit der Erklärung, dass es bei geringem spe- -eifischen Widerstande der Nervenflüssigkeit — bei geringer Le- 'bensfähigkeit des Nerven oder bei sehr hoher Temperatur, wie wir sie im vergangenen Hochsommer hatten — nur durch Auf- bietung sehr grosser elektromotorischer Kräfte oder selbst gar nicht mir gelungen ist, die Schliessungszuckung des aufsteigen- den oder die Oeffnungszuckung des absteigenden Stromes zum Verschwinden zu bringen. Endlich spricht noch gewichtig für unsere Erklärung, dass nach der Schliessung starker aufsteigen- der Ströme wie nach der Oeffnung starker absteigender Ströme öfters ein mehr oder weniger starker Tetanus eintritt, aber re- gelmässig erst dann, wenn nach der Schliessung resp. Oeffnung eine merkliche Zeit bereits verflossen ist. Nach allem Voraufgeschickten wird nunmehr unserer An- nahme zum Mindesten eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit zu- gesprochen werden müssen!): gerade dadurch aber wird es wün- schenswerth, die Bewegungen der Nervenflüssigkeit in den extrapolaren Nervenstrecken, welche der Annahme zu Grunde liegen und welche oben nur erschlossen und durch die Wider- standsveränderungen dieser Nervenstrecken dargethan sind, auch direct nachzuweisen. Mit Hülfe eines höchst empfindlichen 1) Die Richtigkeit unserer Annahme schliesst übrigens nach den vorliegenden Erfahrungen sogleich ein, dass die Empfindung herbei- geführt wird durch die —- gleichviel wie gerichtete — Bewegung der ‚Nervenflüssigkeit, sobald diese mit einer gewissen Grösse und einer "gewissen Geschwindigkeit bis zum empfindenden Centrum sich fortge- pflanzt hat, und dass die Grösse und die Geschwindigkeit, mit wel- chen die Flüssigkeitsbewegung am empfindenden Centrum resp. am “Muskel anlangt, wesentlich kleiner sein dürfen, um noch Empfindung zu veranlassen, als um Muskelzuckung herbeizuführen. Auf den letz- teren Umstand lassen sich alsdann einfach die bisher unerklärlichen Verschiedenheiten zurückführen, welche in der Einwirkung gewisser ‚Gifte auf motorische und sensible Nervenfasern sich herausgestellt haben, Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv, 1866, 25 386 H. Munk: Spiegelinstrumentes, wie es zu den- bisherigen Untersuchungen durchaus nicht erforderlich war, gelingt dies auf folgende Weise. An einem sehr langen Nerven lässt man durch eine ganz kurze Nervenstrecke dicht am Muskel einen Strom von so ge- ringer Intensität, dass bei der Schliessung desselben gar keine oder höchstens eine spurweise Zuckung erfolgte, so lange flies- sen, bis eine für diese Stromintensität beträchtlichere Verar- mung herbeigeführt ist. Alsdann schliesst man durch eine zweite lange und möglichst weit vom Muskel entfernte Nerven- strecke, in deren Schliessungskreis noch grosse und gegen die Nervenstrecke wohl in Betracht kommende Widerstände aufge- nommen sind, einen dem ersten Strome entgegengesetzt gerich- teten Strom von grösserer Intensität, der ohne das Vorhanden- sein des ersten Stromes einen starken und langandauernden Schliessungstetanus gegeben hätte. Folgt dieser Schliessung nunmehr nur eine einfache Zuckung oder gar keine Zuckung, so sieht man auch die Stromintensität im ersten Schliessungs- kreise gar nicht sich verändern oder nur ein wenig abnehmen; folgt aber der Schliessung ein, wenn auch kürzerer Tetanus, so nimmt die Stromintensität unmittelbar nach der Schliessung oder nachdem eine kurze und unbedeutende Abnahme vorauf- gegangen ist, einige Zeit beträchtlicher zu und dann erst wie- der ab. Modificirt man diesen Versuch so, dass man den zweiten Strom dem ersten gleich gerichtet nimmt, und unterbricht man den zweiten Strom, der bei der Schliessung Zuckung oder Te- tanus gegeben hatte, nach einer Schliessungsdauer von einer oder mehreren Minuten, so verändert sich auch hier die Inten- sität des ersten Stromes gar nicht oder nimmt ein wenig ab, wenn gar keine oder eine einfache Oeffnungszuckung auftritt: dagegen nimmt die Stromintensität wiederum entweder sofort oder nach einer ganz kurzen und unbedeutenden Abnahme einige Zeit zu und dann erst wieder ab, wenn Tetanus der Oeffnung folgt. Durch die entgegengesetzte Richtung der beiden Ströme im Falle des Schliessungstetanus und die gleiche Richtung dersel- ben im Falle des Oeffnungstetanus ist eine Täuschung durch Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 387 die elektromotorischen Erscheinungen des El&ktrotonus bei den vorstehenden Versuchen ausgeschlossen. Und da die geschil- derten Beobachtungen zu machen sind ebensowohl, wenn der zweite Strom aufsteigend, wie wenn er absteigend ist, kann auch von einer Täuschung durch die Widerstandsveränderungen der extrapolaren Nervenstellen nicht die Rede sein. Endlich ist leicht zu übersehen, dass auch eine Täuschung durch die negative Schwankung des Nervenstromes, wenn man an diese sollte denken wollen, bei den Versuchen nicht vorliegen kann. Die Zunahme der Intensität des ersten Stromes im Falle des Tetanus lässt daher keine andere Erklärung zu, als dass die von der zweiten Nervenstrecke nach dem Muskel hin sich fort- pflanzende Bewegung der Nervenflüssigkeit die Verarmung der ersten Nervenstrecke zeitweilig verringert hat. Die letzten Versuche sind so zart und werden durch den Umstand, dass die günstigen Bedingungen für jeden Nerven andere sind, man also sehr dem Zufalle überlassen ist, so er- schwert, dass mir bisher Nichts weiter als der Nachweis der Flüssigkeitsbewegung überhaupt in der angegebenen Weise ge- glückt ist. Dafür bin ich aber nach einer anderen Richtung hin noch einen wesentlichen Schritt vorwärts gekommen. Die Durchmusterung der Reihe der Nervenerreger lehrt, dass bei allen die unmittelbare Erregung des Nerven durch eine Be- wegung der Nervenflüssigkeit, welche sie herbeiführen, wohl bedingt sein kann. Dazu kommt, dass es zum Mindesten durchaus unwahrscheinlich ist, dass die Leitung der Erregung im Nerven und besonders das, -was vom Nerven aus Muskel- zuckung, anregt, für die verschiedenen Nervenerreger ganz ver- schiedene Vorgänge im Nerven sein sollten. Es liest daher nahe, an eine grössere Bedeutung unserer Annahme zu denken, als ihr in der Weise, wie sie oben auf die Erregung durch den elektrischen Strom beschränkt hingestellt ‘worden ist, zukommt. Und in der That ist es mir gelungen, die Bewegung der Ner- venflüssigkeit bei der Leitung der Erregung und in inniger Beziehung zu den Muskelzuckungen auch für einen chemischen Reiz, die concentrirte Kochsalzlösung, und für einen mechani- schen Reiz, die Durchschneidung des Nerven, sicher darzuthun. 25” BB ano H. Munk: Durch eine ganz kurze Nervenstrecke mehr oder weniger nahe dem Muskel lässt man wiederum einen Strom von so ge- ringer Intensität, dass bei der Schliessung desselben gar keine oder höchstens eine spurweise Zuckung erfolgte, so lange flies- sen, bis eine für diese Stromintensität beträchtlichere Verarmung herbeigeführt ist, und bringt darauf eine mehr centrale und von der ersten möglichst weit entfernte längere Nervenstrecke in con- centrirte Kochsalzlösung. In wohlgelungenen Versuchen bricht alsdann nach wenigen Minuten und recht plötzlich ein heftiger Tetanus aus, und man beobachtet dabei stets, dass die Strom- intensität im Schliessungskreise der ersten Nervenstrecke — unmittelbar vor dem Ausbruche des Tetanus — ein wenig ab- nimmt oder, wenn sie noch in der Abnahme begriffen war, eine kurze Beschleunigung ihrer Abnahme erfährt, darauf aber rasch und beträchtlich zunimmt — der Tetanus bricht nunmehr heftig aus — und endlich wiederum — unter Nachlass des Tetanus — zuerst rasch, dann langsamer abnimmt. Bei jeder beträcht- lichen Exacerbation des Tetanus während der Fortdauer der Kochsalzwirkung sind genau dieselben Beobachtungen zu wie- derholen, und die Erscheinungen sind so constant, dass der Beobachter am Fernrohr nach den Veränderungen der Spiegel- stellung den Eintritt und den Nachlass des Tetanus mit Sicher- heit ansagen kann. Ob der Prüfungsstrom die aufsteigende oder die absteigende Richtung hat, ist ohne wesentliche Bedeu- tung, und da somit eine Täuschung durch die negative Schwan- kung des Nervenstromes ausgeschlossen ist, lässt die Zunahme der Stromintensität bei oder, wie es sehr oft scheint, noch etwas vor dem Eintritte des starken Tetanus wiederum keine andere Erklärung zu, als dass die von der mehr centralen Nervenstrecke zum Muskel hin sich fortpfllanzende Bewegung der Nervenflüssigkeit die Verarmung der ersten Nervenstrecke zeitweilig verringert hat. Bei den Versuchen mit mechanischer Reizung tritt nur an die Stelle der Versenkung in Kochsalzlösung die Durchschnei- dung des Nerven mit einer stumpfen Scheere. In den seltenen Fällen, in welchen dem Schnitte ein kurzer Tetanus folgt, tritt ‚sofort — ohne dass also eine Abnahme voraufgeht — eine Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. 389 rasche Zunahme der Stromintensität ein, welcher sogleich wie- der eine anfangs rasche, dann langsamere Abnahme nachfolst. Dieselben Veränderungen der Stromintensität sind alsdann auch zu beobachten, wenn der Schnitt nur eine starke Zuckung zur Folge hat, sobald der Schnitt in einiger Nähe desPrüfungs- stromes angelegt ist. Durchschneidet man aber den Nerven in grosser Entfernung vom Prüfungsstrome, so zeigt sich ziemlich häufig gar keine Veränderung der Stromintensität, und in die- sen Fällen tritt in der Regel auch gar keine oder nur eine schwache Muskelzuckung ein. Die so gewissermassen zur Ansicht gebrachten Bewegun- gen der Nervenflüssigkeit scheinen übrigens auch durch die Veränderungen verbürgt zu werden, welche die Erregbarkeit des Nerven durch die Durchschneidung desselben oder durch die Benetzung einer Nervenstrecke mit Kochsalzlösung erfährt, indem die hierhergehörigen Erfahrungen wiederum dahin sich zusammenfassen lassen, dass die Muskelzuckung in Folge einer gegebenen Bewegung der Nervenflüssigkeit durch eine bereits vorhandene Bewegung der Nervenflüssigkeit vergrössert oder verkleinert wird, je nachdem die letztere Bewegung der erste- ren gleich resp. entgegengesetzt gerichtet ist. Doch hat eine sehr interessante Complication, über welche ich mir eine beson- dere Mittheilung vorbehalte, einen befriedigenden Abschluss der betreffenden Untersuchungen bisher verhindert. In groben Umrissen, wie sie die Kürze der vorliegenden Mittheilung nöthig machte, und mit Uebergehung aller neben- sächlichen Erfahrungen habe ich im Vorstehenden den Gang meiner Untersuchungen und die Ergebnisse, zu welchen sie geführt haben, niedergelest. Nachdem meine Theilnahme am Feldzuge in Schleswig schon ein Mal die Untersuchungen auf längere Zeit unterbrochen hatte, sehe ich jetzt gerade in dem Augenblicke, wo der Druck der ausführlichen Darlegung der Untersuchungen beginnen sollte, auf’s Newe und auf unge- wisse Zeit den friedlichen Beschäftigungen mich entzogen. So- bald die finsteren Wolken am politischen Horizonte sich entla- 390 H.Munk: Untersuchungen zur allgemeinen Nervenphysiologie. den oder, wie leider kaum noch zu hoffen ist, sich zerstreut haben werden, soll die ausführliche Darlegung meiner Unter- suchungen auf das Schleunigste nachfolgen, und ich werde als- dann auch die Beziehungen unserer Ergebnisse zu dem elektro- motorischen Verhalten des Nerven behandeln, — Beziehungen, welche zu einem Theile, soweit es sich nämlich um den Elektrotonus handelt, auf der Hand hegen, zu einem anderen Theile aber einer eingehenden Erörterung bedürfen. Berlin, den 10. Mai 1866. H. Landois und W. Thelen: Der Tracheenverschluss u. s. w. 39] Der Tracheenverschluss bei Tenebrio molitor (Mehlwurm). Von Dr. H. Lanvoıs und W. THELENn. (Hierzu Taf. X. B.) Nachdem zuerst bei den Pediculinen vor nicht langer Zeit") ein eigenthümlicher Verschlussapparat hinter dem Stigma be- schrieben und abgebildet wurde, und eine ähnliche Vorrichtung, jedoch viel complieirter, auch bei den Lepidopteren?) nachge- wiesen war, lag die Vermuthung nahe, dass auch in anderen Inseetenordnungen ein analoger Mechanismus vorhanden sei. Wir untersuchten im vergangenen Winter die Larven des gemeinen Mehlkäfers (Tenebrio molitor) und liessen in diesem Frühlinge, sobald die Mehlwürmer die weiteren Entwickelungs- stadien durchliefen, die Puppen und Käfer nicht unberücksich- tigt. Dass unsere Vermuthungen nicht ungegründet gewesen, werden die folgenden Erörterungen bestätigen. Die Larve von Tenebrio hat, ähnlich wie die Raupen der Schmetterlinge, dreizehn Körperringel. Der Kopf entbehrt der Stigmen. Das zweite Körperringel hat jederseits ein Stigma. Das dritte und vierte Körperringel hat zwar Stigmenanlagen, 1) Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. XV., 4. Heft. L. Landois, Stigmenverschluss. 2) H. Landois, der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren, — Dieses Archiv 1866, S. 43. 392 H. Landois und W. Thelen: jedoch kommt es bei diesen sehr selten zu einer vollständigen Oeffnung. An den übrigen Körperringeln, mit Ausnahme des letzten, findet sich an jeder Seite ein vollständiges Stigma. Wir haben demnach an den Mehlwürmern achtzehn ausgebildete und vier verkümmerte Stigmen. Die Stigmen des Mehlwurmes werden von elliptischen Chi- tinringen gebildet, welche an der Innenseite je nach ihrer Grösse mit mehr oder weniger steifbehaarten Zäpfchen besetzt sind. Von jeder Stigmenöffnung (Fig. 1st) geht ein Tracheenrohr (Fig. 1ztr) zu dem Haupttracheenstamme, der an jeder Seite den Leib des Thieres in der Längsrichtung durchläuft. Durch dieses Rohr muss die atmosphärische Luft zuerst hindurchdrin- gen, um in die weiteren Tracheenverzweigungen zu gelangen. Im Baue unterscheidet sich diese Zuleitungstrachee nicht von den übrigen; sie hat eine deutliche Peritonealhülle und im In- neren die spiralige Intima. Wir möchten hier nur hervorheben» dass diese Intima durch eine gelbliche Färbung, was auf eine stärkere Chitinisirung hindeutet, vor allen anderen Tracheen dieses Thieres hervorsticht (Fig. 1 ztr). Was die Grössenverhältnisse der ausgebildeten Stigmen und der obengenannten Tracheenrohre betrifft, so führen wir die Maasse dieser Theile von einer ausgewachsenen Larve an: Grösse der Stigmen: 0,16—0,23 Mm. Länge des Rohres: 0,14—0,26 Mm. Durchmesser des Rohres: 0,11 Mm. Am Ende dieses gelblichen Tracheenrohres liegt der Tra- cheenverschluss.. Bei der näheren Beschreibung dieses eigenthümlichen Apparates legen wir unsere nach der Natur angefertigten Zeichnungen zu Grunde, da wir ohne derartige Abbildungen unverständlich bleiben möchten. Um des Apparates in seiner -Totalität ansichtig zu werden, ist es nothwendig, die Präparate ohne Anwendung eines Deck- gläschens zu studiren, weil der Druck desselben die einzelnen Theile aus ihrer gegenseitigen natürlichen Lage zu leicht ver- schiebt. | Der Tracheenverschluss bei Tenebrio molitor (Mehlwurm). 393 An dem Tracheenverschlussapparate unterscheiden wir zwei wesentliche Theile: . a) den Verschlussring, b) den Verschlusshebel mit den Muskeln. Der Verschlussring entspricht dem Verschlussbügel und dem Verschlussverbande bei den Lepidopteren.) Im Ganzen hat derselbe die Gestalt eines kleinen Näpfchens ohne Boden, dessen Seitenwand an einer Seite sowohl niedriger, als auch dünner ist. Die andere breitere Wandseite (Fig. 2vr) kann als Analogon des Verschlussbügels bei den Lepidopteren ange- sehen werden, während dann die andere niedrigere und zarter gebaute Seite (Fig. 2s) das Verschlussband repräsentirt. Auf die dünnere Seitenwand des Verschlussringes drückt ein Hebel von kegelförmigem Bau (Fig. 20h). An seiner Basis hat derselbe eine Breite von 0,096 Mm. und seine Höhe beträgt durchschnittlich 0,15 Mm. An einer Seite ist der Hebel ge- lenkartig (Fig. 29) an dem Verschlussringe befestigt und mit seiner länglich breiten Basis legt er sich der dünneren und niedrigeren Seite des Verschlussringes äusserlich an. Die Spitze des keglichen Hebels ist mit zahlreichen Mus- kelfasern besetzt, welche die Zellkerne stets deutlich erken- nen lassen; die Querstreifung derselben aber, zum wenigsten in der Nähe der Ansatzstellen, tritt undeutlich auf, so dass wir bei frischen Präparaten lange in Zweifel bleiben mussten, ob wir quergestreifte oder glatte Muskelfasern vor uns hatten. Am besten gelingt der Nachweis der Querstreifung. dieser Muskeln an Individuen, welche einige Tage in Alkohol gelegen haben. An solchen konnten wir mit Evidenz die Querstreifung con- statiren. | Die Muskelfibrillen sind hier, im Gegensatze zu den Pedi- eulinen und Lepidopteren , ausserordentlich zahlreich ent- wickelt, indem an jedem Verschlusshebel zum wenigsten hun- dert Muskelfasern vorhanden sind. Die einzelnen Muskelfäser- chen sind sehr dünn; durchschnittlich ergeben die Messungen für jede einzelne Faser eine Breite von 0,002 Mm. Jede Faser 1) A. 2.0. 394 H. Landois und W. Thelen: enthält kleine Kerne, welche sowohl bei Essigsäurebehandlung, als auch durch Anilintincetionen noch schärfer hervortreten. Der Verschlussmuskel des Hebels setzt sich mit seinem anderen Ende an die Hypodermis der Körperhaut in einiger Entfernung vom Stigma an. Im Zustande der Ruhe bleibt der Verschluss- apparat stets geöffnet und zwar durch die elastische Spannung der Chitingebilde, Wird aber der Verschlussmuskel contrahirt, so drückt die Basis des Hebels auf den Verschlussring und ver- schliesst dessen untere Oeffnung vollständig. { Die Basis des Hebels bildet eine langgezogene elliptische Fläche. An dem einen Pole trägt sie einen Gelenkkopf (Fig. 29). Dieser senkt sich in die Gelenkpfanne (Fig. 2gp) des Verschluss- ringes ein. Zur Stütze der Gelenkpfanne dient ein stärker ent- wickelter Chitinstreifen, der sich um den Verschlussring biegt. Im Inneren ist der Hebel hohl (Fig. 2hr); dieser hohle Raum communieirt durch eine Oeffnung in der Basis des Hebels mit dem Raume des Verschlussringes.. Bei gelindem Drucke ent- weicht die Luft in Präparaten leicht durch diese Oeffnung aus dem Hebel. Er kann 0,03 Cmm. Luft einschliessen. Da die Grundfläche des Hebels mit der einen Seitenwand des Verschlussringes verwachsen ist, so muss bei der Contrac- tion des Verschlussmuskels der Hebel sich um den Gelenkkopf drehen und zu gleicher Zeit die schwächere Seitenwand sich der anderen nähern. Dehnt sich dagegen der Muskel aus, er- schlafft er, so tritt durch das Auseinandertreten der Seiten- wände des Verschlussringes die Oeffnung der Verschlussöff- nung ein. Die obere weitere Oeffnung des näpfchenförmigen Ver- schlussringes steht mit dem erwähnten Tracheenrohre, das vom Stigma herkommt, in Verbindung (Fig. 1vr). Die untere klei- nere Oeffnung des Verschlussringes (Fig. 1vö) führt in den darunter liegenden Tracheenraum. In letzteren münden nicht allein die grösseren Tracheenstämme,- welche den Körper seit- lich durchziehen, sondern auch noch mehrere andere, die sich direct an die Körperorgane verzweigen. Besonders auffallend muss es immerhin bleiben, dass der Verschlussring durch die auffallend verengerte Oeffnung mit Der Tracheenverschluss bei Tenebrio molitor (Mehlwurm). 395 dem Tracheenraume hinter dem Verschlussapparate communi- cirt; aber eben durch diese Einrichtung wird dem Thiere ein vollständiger Verschluss der Tracheen ermöglicht. Werden nämlich die Muskeln des Verschlusshebels seitwärts gezogen, so drückt die Basis desselben auf die dünne schmale Seiten- wand des Verschlussringes und schliesst die kleinere untere Oeffnung vollständig. Im dritten und vierten Körperringel kommt es fast nie zu einer vollkommenen Stigmenbildung; nur in seltenen Fällen bemerkten wir ein kleines Stigma. In Fig. 3st haben wir eine derartige Bildung wiedergegeben. Das kleine Stigma . (st) hat eine verschobene Lage, es müsste normal in dem Felde (f) liegen. Meistens bleiben die kleinen Stigmenanlagen an diesen Körperringeln verschlossen, und in dieser Form wird man sie nie vermissen. Von jedem verkümmerten Stigma, sei es nun verschlossen oder geöffnet, führt ein Rohr zu dem Haupttracheen-Längsstamme. Wir heben hier hervor, dass das- selbe, ähnlich wie bei den Raupen, nie einen sogenannten Spi- ralfaden in sich entwickelt (Fig. 3ztr). Der Spiralfaden be- ginnt erst kurz vor der Eintrittsstelle in den Haupttracheen- stamm (Fig. 5sp). Wenn bei den Raupen der Schmetterlinge an diesem Tra- cheenrohre sich ein verkümmerter Verschlussapparat entwickelt, so findet sich in den Larven des Mehlkäfers ein solches Ge- ‘ bilde nicht vor. Es ist bekannt, dass bei den Kerfthieren die Haupttracheen- stämme an jeder Häutung partieipiren. Wie verhält sich nun der Verschlussapparat bei diesem Vorgange? Zum Studium dieser Verhältnisse eignen sich am besten diejenigen abgewor- fenen Häute, welche man von den in der Häutung begriffenen Individuen bekommt. Man beobachtet dann leicht, dass bei jeder Häutung nicht allein das Stigma und die Intima der grösseren Tracheenstämme abgeworfen, sondern auch der ganze Verschlussring. Dahingegen persistirt der Verschlusshebel in allen Entwicke- lungsstadien des Thieres. Es muss diese Thatsache. um 396 H. Landois und W. Thelen: so auffallender bleiben, da doch der Verschlusshebel zum gröss- ten Theile ein Chitingebilde ist. In den Puppen und in dem Käfer bleiben die Ver- schlussapparate in ihrem Baue gleich dem der Lar- ven, Um nicht bereits Gesagtes zu wiederholen, unterlassen wir die Schilderung derselben. Es wäre somit bis jetzt der Tracheenverschluss bei Pedicu- linen, Lepidopteren und Coleopteren nachgewiesen. Dass diese Organe auf die Respiration der Insecten den grössten Einfluss ausüben, konnten wir durch Versuche direct nachweisen. Wir setzten nämlich mehrere Käferlarven in eine Glasflasche, welche mit reinem Sauerstoffgase angefüllt war. Die Thiere lebten munter darin weiter; sie liessen höchst wahrscheinlich vermöge ihres regulirenden Verschlussapparates nur soviel Sauerstoff in ihren Körper eintreten, als für ihre Respirationsthätigkeit nothwendig war. Um zu erfahren, wie weit das Vermögen dieser Thiere gehe, schädliche Gase abzu- halten, setzten, wir fünf andere Individuen in einen Behälter, worin eine lebhafte Ozonentwickelung unterhalten wurde. In diesem Gase lebten die Thiere acht Tage., Darauf starben sie, und wir glauben, dass der Tod in diesem Falle mehr durch die sich gleichzeitig entwickelnde phosphorige Säure, als durch den Einfluss des Ozons herbeigeführt wurde. Es ist somit als eine. ausgemachte Sache zu betrachten, dass die Tracheenverschlussapparate für die Respi- ' rationsthätigkeit der Insecten von der grössten Wich- tigkeit sind. Die Kerfe dauern in Gasen lange aus, in denen die Warmblüter in sehr kurzer Zeit zu Grunde gehen. Münster und Werden, den 7. April 1866. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Vergr. 80. si das Stigma. zir das gelbe chitinisirte Tra- cheenrohr, welches vom Stigma zu dem longitudinalen Tracheen- stamme führt. Am Grunde desselben liegt der Verschlussapparat. n Der Tracheenverschluss bei Tenedbrio molitor (Mehlwurm). 397 vr der Verschlussring. vo die kleinere untere Oefinung desselben. vh der Verschlusshebel mit vom dem Verschlussmuskel. tr Tracheen, welche unter dem Verschlussapparate zusammenstossen, und dadurch einen erweiterten Luftbehälter bilden. Fig. 2. Vergr. 250. Der Verschlussapparat ist isolirt dargestellt. vr der Verschlussring. dr der breitere Rand und s der schmalere Rand dieses Ringes. “oh der kegelförmige Verschlusshebel.e g der Gelenk- kopf desselben; dieser artieulirt in gp der Gelenkpfanne, die im Ver- schlussringe liegt. 5 die elliptische Basis des Verschlusshebels mit der schmalen Wand des Verschlussringes verwachsen. vm der Ver- schlussmuskel, viele Fasern, deutliche Querstreifung und Kerne zei- gend. Ahr der hohle Raum im Inneren des Verschlusshebels. Fig. 3. Vergr. 200. Die Anologa der genannten Theile im dritten Körperringel. st kleines verkümmertes Stigma; hier ist es geöffnet, was sehr selten der Fall ist. ir das Tracheenrohr, ohne Spiralfaden, welches zu dem Längsstamme der Tracheen führt. Zr die zusammen- tretenden Tracheen. Ein Verschlussappärat ist hier nie vorhanden, 398 J. Sander: Die Spiralfasern im Sympathicus des Frosches. Von Dr. J. SANDER. — (Hierzu Taf. XI. A.) Wenn auch die folgenden Seiten nichts wesentlich Neues für die Erledigung der wichtigen Frage des Zusammenhanges der Nervenfasern mit den Ganglienkörpern bringen werden, so halte ich es doch für angemessen, die Resultate von Untersu- chungen, die beinahe während eines ganzen Jahres fortgeführt wurden, schon jetzt zu veröffentlichen. Es bestimmt mich dazu ım Wesentlichen der Umstand, dass der neueste Arbeiter auf diesem Felde, Courvoisier, bereits eine Theorie über die An- ordnung der Elemente im Sympathicus auf Ansichten baut, die ich durchaus für irrig halten muss. Obschon auch ich die Gan- glienkörper an sehr verschiedenen Punkten und bei sehr ver- schiedenen Thieren untersucht habe, so beschränke ich mich doch hier auf den Sympathicus des Frosches; weil so das Uebereinstimmende und das Abweichende meiner Untersu- chungen und der trefflichen Arbeit Arnold’s (Virchow’s Ar- chiv, Bd. XXXI., Heft 1) am besten klar werden möchten. Ueber die Form der Ganglienkörper ist zur Genüge ge- schrieben worden; frisch und unverletzt untersuchte sind rund oder oval (natürlich im Sympathicus des Frosches); jede andere Form ist durch die Einwirkung von Reagentien oder durch die Präparation entstanden. Ein frisch isolirter Ganglienkörper er- scheint mir stets fast homogen; nur hier und da sieht man ganz Die Spiralfasern im Sympathieus des Frosches. 399 kleine Körnchen. Das gelbe Pigment ist entweder gelöst, oder erscheint auch bisweilen in kleinen Körnchen; wenn grössere ‚gelbe Tropfen auftreten, so ist dies stets ein Beweis, dass be- reits Veränderungen vor sich gegangen sind, und dass der Kör- per sich nicht mehr in normalen Verhältnissen befindet. Ich sehe an solchen frisch isolirten Körpern stets deutlich einen doppelten Contour, den ich als Membran oder Kapsel deuten muss; es hat mir übrigens nicht gelingen wollen, darin mit Sicherheit Kerne nachzuweisen. Die Frage, ob der Ganglien- körper als Zelle aufzufassen ist oder nicht, kann ich nicht ent- scheiden; nur allein die Entwickelungsgeschichte kann das Ma- terial für die Lösung derselben an die Hand geben; ich für meine Person bin allerdings geneigt, die Zellennatur fallen zu lassen. Es ist vielleicht hier der Ort, an die eigenthümliche Geschichte der Entwickelung von Ganglien zu erinnern, wie sie uns Beale (New observations ete. London 1864) erzählt; ich kann mich dem nicht anschliessen; ich habe nie etwas gesehen, was irgendwie für ihre Entstehung aus Nervenkernen spräche; ebensowenig glaube ich an eine Theilung der Ganglienkörper selbst. Das einfache Aneinanderliegen ist doch noch kein Be- weis dafür. Beale hat übrigens stets mit so furchtbaren Ver- grösserungen gearbeitet, dass man leicht in die Versuchung; kommen könnte, die Worte des leider zu jung gestorbenen Deiters über Stilling auf ihn anzuwenden. Im Uebrigen stimme ich mit Arnold gegen Courvoisier überein, dass bei isolirt liegenden Ganglien noch eine deutliche, mit Kernen versehene bindegewebige Kapsel vorhanden ist, die Fortsetzung des Neurilemma'); wo viele Ganglienkörper zusammenliegen, sind sie nicht blos aussen von Bindegewebe eingescheidet, son- dern das Bindegewebe bildet auch ein Gerüst, in das die Kör- per eingebettet sind. Ferner sieht man in jedem frischen, un- verletzten Körper einen deutlichen, scharf, häufig doppelt con- tourirten Kern, der, wie Arnold richtig sagt, nicht central 1) Dies ist der alte Name für die bindegewebige Scheide und sollte beibehalten werden, wenn schon die von Arnold vorgeschlagene Aen- derung der Nomenclatur manches Bequeme hat. 400 J. Sander: liegt. Ob der scharfe Contour hier einer Membran entsp richt, weiss ich nicht; der Umstand, dass der Kern bei der Einwir- kung von Essigsäure leicht zerstört wird, scheint mir noch nicht dagegen zu sprechen. Im Kern sieht man mindestens ein sehr scharf contourirtes, eigenthümlich hell glänzendes Kernkörper- chen, auf das ich später noch zurückkommen werde; nicht sel- ten sind 2 solche!) vorhanden, und ebenfalls nicht selten findet man in ihnen noch einen Nucleololus. Apolare Ganglienkörper giebt es im Sympathicus des Fro- sches entschieden nicht; ich habe sie überhaupt noch nirgends gesehen. Wo man solche zu sehen glaubte, handelte es sich um Verstümmelungen dieser zarten Gebilde. Ich habe an dem hier behandelten Object, wenn ich mit der gehörigen Vorsicht präpa- rirte, stets eine zuführende Nervenfaser gesehen, aber auch nur eine. Die Art des Eintritts dieser Nervenfaser in den Ganglien- körper hat Arnold vollkommen richtig geschildert; die Primitiv- scheide der Faser scheint continuirlich in die Umhüllung des Kör- pers überzugehen; die Markscheide wird allmählich dünner und dünner, aber auch ich glaube nicht, dass sie ganz verloren geht. An der Stelle des Uebertritts der Faser in den Nervenkörper habe ich stets gleichfalls noch einen hellen Contour gesehen; ich halte es jedoch für gewagt, dies ohne Weiteres mit Arnold für einen Beweis des Ueberganges des Markes in die Ganglien- substanz zu halten. Es sind da noch viele Möglichkeiten zu berücksichtigen; z. B. würde eine leichte trichterförmige Ein- biegung der Gangliensubstanz ganz ähnliche Erscheinungen her- vorrufen. Hiermit ist eigentlich Alles erschöpft, was man an dem frischen, möglichst unveränderten Ganglienkörper mit sei- ner zuführenden Faser sehen kann. In sehr vereinzelten Fällen habe ich noch geglaubt, den Achsencylinder ein Stück in die Substanz des Ganglions hinein verfolgen zu können; andere Male habe ich Fortsätze vom Kernkörper in der Richtung der eintretenden Nervenfaser gesehen; es ist mir jedoch niemals ohne Zusatz von Reagentien geglückt, in continuo die Nerven- faser bis zum Kernkörperchen hin zu verfolgen. ı) In dem Fig. 1 abgebildeten Ganglienkörper finden sich sogar 3 Nucleoli, Die Spiralfasern im Sympathicus des Frosches. 401 Ebensowenig Erfolg hatte ich in Bezug auf die Spiralfasern und die von Beale, Arnold und Courvoisier beschriebe- nen und abgebildeten Netze. Ich muss nach langdauernder Untersuchung mit schwachen und starken Vergrösserungen auf das Bestimmteste erklären,‘ dass ich an frischen Ganglienkör- -pern niemals, weder Spiralfasern, noch die Netze, aus denen sie hervorgehen sollen, gesehen habe; selbst durch Versilbe- rung, die an den frisch aus dem eben getödteten Frosche ge- nommenen Ganglien vorgenommen wurde, habe ich sie nicht darstellen können, obschon an dem Bindegewebe die bekannten zackigen und welligen Linien sehr deutlich erschienen. Frei- lich genügt schon ein verhältnissmässig nicht sehr bedeutender Druck, in der Substanz des Ganglienkörpers eine Zerklüf- tung zu Stande zu bringen und dadurch solche Netze vorzu- täuschen; ich werde jedoch noch später auf diesen Punkt zu- rückkommen. Ich habe nun die Ganglien in der von Arnold angegebe- nen Weise behandelt; ausserdem habe ich noch die Mole- schott’schen Flüssigkeiten angewendet, von denen sich na- mentlich Nr. 3 empfiehlt. Ol. Terebinth., das ich gleichfalls versucht habe, ist ebenso unbrauchbar wie die Alkalien. Es glückt nach der Behandlung mit sehr verdünnter Essig- oder Chromsäure oder mit Moleschott’scher Flüssigkeit Nr. 3 ver- hältnissmässig sehr leicht, den Achsencylinder, allerdings höchst selten in überzeugender Weise, bis an das Kernkörperchen zu verfolgen, so dass das letztere wie ein dem ersteren aufsitzen- - des Knöpfchen erscheint. Ich muss mich, was diesen Punkt angeht, ganz auf die Seite Arnold’s stellen, gegenüber der An- gabe Courvoisier’s, der die Faser nur bis zum Kerne ver- folgen konnte. So deutlich, wie es aus Arnold’s Abbildungen scheint, ist die Sache freilich nicht, und Arnold möge mir die Aeusserung hier verzeihen, dass seine Abbildungen über- haupt etwas schematisch erscheinen; es hat dies freilich auch seine guten Seiten, da dadurch seine Ansicht sich um so klarer ausspricht. Einmal hat es mir scheinen wollen, als ginge die Nerven- faser, sich pinselförmig ausbreitend, in die Substanz des Gan- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 26 402 J. Sander: glienkörpers selbst über; ich habe leider versäumt, damals eine Zeichnung davon zu machen und habe es später trotz steter _ auf diesen Punkt gerichteter Aufmerksamkeit nicht wieder ge- sehen. Ich erwähne hier die Sache nur, weil auf einem so . dunkelen Gebiete jede Beobachtung mitgetheilt zu werden ver- dient. Ob die Verbindung der Nervenfaser mit dem Kernkör- perchen eine präformirte oder eine durch Gerinnung post mor- tem hervorgerufene ist, lässt sich vorläufig nicht entscheiden. Für die erstere Ansicht scheint der Umstand zu sprechen, dass man zuweilen den Oylinder axis an frischen Objecten ein Stück in den Ganglienkörper hinein verfolgen kann und bis- weilen auch einen Fortsatz vom Kernkörperchen ausgehen sieht; ich wiederhole hier jedoch nochmals: bei der Untersuchung fri- scher Ganglien ist mir der Nachweis des Eintritts des Achsen- cylinders in das Kernkörperchen niemals geglückt. Was nun ferner die von Beale, Arnold und Courvoisier beschriebenen Netze angeht, aus denen die Spiralfasern sich zusammensetzen sollen, so ist es ein Leichtes, dieselben an Ganglien, die in der von Arnold angegebenen Weise behan- delt worden sind, aufzufinden. Ich kann mich jedoch mit der von den genannten Forschern ‚gegebenen Deutung nicht einver- standen erklären. Aus den Abbildungen Arnold’s scheint her- vorzugehen, dass er als mögliche Fehlerquelle mehr nur die äussere Kapsel berücksichtigt hat, deren Faltungen natürlich solche Bilder nicht hervorrufen können; in wie weit jedoch die von mir stets gesehene anscheinend kernlose, doppelt contou- rirte Hülle sich an ihrer Entstehung mitbetheiligt, möchte eine andere Frage sein; bei Weitem wichtiger jedoch sind die Zer- klüftungen der Gangliensubstanz, die, wie oben angegeben, schen bei verhältnissmässig leichtem Druck, und noch sicherer durch . die Einwirkung verdünnter Säuren und die dann nachfolgende Zerzupfung stets eintreten. Ein Blick auf die beigegebenen Abbildungen, die ich der Güte meines Freundes, Dr. Wilh. Dönitz, verdanke, zeigt diese Zerklüftung sehr deutlich. Durch solche Formen hätten sich die früheren Forscher wahr- scheinlich nicht täuschen lassen; man kann aber alle Veber- gänge von diesen zu den verfänglicheren Formen beobach- Die Spiralfasern im Sympathicus des Frosches. 403 ten; so zeigt z. B. Fig. 4 nur Andeutungen einer in der Tiefe vorgegangenen Zerklüftung Die unten an der Insertionsstelle der Nervenfaser überhängenden Fäden gehören sicher einer auf- gequollenen und aufgerissenen Scheide an. Dass bei diesem Verhalten ein scheinbarer Zusammenhang mit dem Kern oder dem Kernkörperchen sich darstellen kann, ist aus dem Um- stande erklärlich, dass der Kern nie völlig peripherisch liest, sondern stets von einer Schicht Gangliensubstanz überdeckt wird, die ebenfalls der Zerklüftung anheimfällt. Aehnliche Vor- gänge sind jaan dem frisch ganz homogenen Nervenmark längst bekannt. Dass die Öommissuren von einem Ganglienkörper zum anderen, die Courvoisier abbildet, damit gleichfalls unhaltbar werden, versteht sich von selbst; dass sich in dem Bindegewebe, das namentlich mehr isolirt liegende Ganglienkörper umgiebt, unter dem Einflusse der Behandlung mit Säuren Falten und Risse bilden, hat gewiss nichts Auffallendes, und dass zufällig in einer solchen Falte ein Kern liegt (vgl. Courvoisier’s Fig, 17), beweist doch gar nichts. Einen ähnlichen Standpunkt muss ich auch den Spiralfasern gegenüber einnehmen; dass man solche Gebilde sieht, unterliegt keinem Zweifel; ihre nervöse Natur ist mir jedoch mehr als zweifelhaft geblieben, aus folgenden Gründen: 1) an frischen unverletzt untersuchten Ganglien sieht man sie nie; 2) auch an Ganglien, die mit verdünnten Säuren macerirt worden sind, sieht man sie keineswegs immer; sie fehlen sogar, namentlich an den kleineren, häufiger, als sie vorhanden sind; 3) der Nach- weis ihres Ueberganges in unzweifelhafte, doppelt contourirte Nervenfasern ist mir niemals geglückt; auch Arnold schweigt davon. Courvoisier bildet einen solchen Uebergang freilich ab (Fig. 8), doch sind seine Figuren nichts weniger als über- zeugend. Wie leicht Täuschungen bei derartigen Untersuchun- gen unterlaufen, weiss Jeder, der sich damit beschäftigt hat; es bedarf hier zum Beweise der vollkommenen Isolirung. Ver- dächtig ist es doch auch immerhin, dass die Spiralfasern in so verschiedener Zahl vorhanden sind, dass die Spiraltouren, die sie beschreiben, so sehr an Zahl wechseln und dass keineswegs immer die grösseren Körper durch grössere Anzahl der Fasern 26° 404 J. Sander: und Windungen bevorzugt sind. Nicht selten auch sieht man in der unmittelbaren Nähe des Ganglienkörpers (Fig. 2, 3) An- deutungen von spiraligen Windungen, ohne dass von dort aus eine Faser weiter zu verfolgen wäre. Ich bin zu der Ueber- zeugung gekommen, dnss es sich um Risse und Falten einer Scheide handelt, die nur darum jetzt erst sichtbar wird, weil die äussere Scheide, die früher der Nervenfaser dichter anlag durch die Einwirkung der verdünnten Säuren aufgequollen ist. Damit würden Kölliker und Henle Recht haben, wenn sie der Nervenfaser stets noch eine zweite kernlose Scheide vin- dieiren, wenn eine äussere kernhaltige vorhanden ist. Sehr weit habe ich die Spiralfasern niemals verfolgen können; es ist ja aber sehr möglich, dass solche Falten und Risse sich weit in das benachbarte Bindegewebe fort erstrecken. - Die ganze Er- scheinung hat etwas den sogenannten umspinnenden Fasern mancher Bindegewebsbündel Analoges, die auch nur durch Risse in einer Scheide entstehen. Schliesslich möchte ich nur noch einige Worte über die von Courvoisier im Grenzstrange angenommenen sogenannten Uebergangsfasern hinzufügen. Es sind dies Fasern (vgl. seine Fig. 22), die abwechselnd breit und markhaltig und dünn und anscheinend nahezu marklos sind. Er glaubt, um Zerrungen könne es sich nicht handeln, weil stets andere Fasern daneben unverletzt geblieben waren. Das ist gewiss kein Beweis. Ich habe ähnliche Bilder sehr oft gesehen. Der Schluss, den ich daraus gezogen, ist aber der, dass eben nur diese Fasern ge- zerrt oder in irgend einer Weise verletzt waren. In einer spä- teren Arbeit werde ich auf diese und ähnliche Fragen noch ausführlicher eingehen, Erklärung der Abbildungen. Die 3 ersten Figuren sind von meinem Freunde, Dr. Dönitz, mit Ocular 3, System VIII., die 4. mit Ocular 3, System IX. eines Mikroskops von Hartnack gezeichnet. Die Spiralfasern im Sympathicus des Froschs. 405 Fig. 1. Frischer Ganglienkörper aus dem Sympathieus des Fro- sches; derselbe zeigt deutlich einen doppelten Contour, der auf die Nervenfaser übergeht, einen doppelt contourirten Kern und 3 Kern- körperchen. Der Inhalt ist fast homogen, die Körnchen entsprechen gelben Pigmentkörnchen. Fig. 2 u. 3. Mit sehr verdünnter Essigsäure durch etwa 18 Stun- den behandelte Ganglienkörper ebendaher; die Kapsel ist aufgerissen, der Kern ist klein, der Achsencylinder bis an das Kernkörperchen zu verfolgen. Der Inhalt ist vielfach zerklüftet, wodurch der Anschein eines Netzwerkes entsteht. Es finden sich in der Nähe der Insertion der Nervenfaser einige Spiralwindungen, von denen jedoch keine Spi- ralfaser entspringt. Fig. 4. Ebenso behandelter Ganglienkörper. Der Kern ist gross und zeigt 2 Kernkörperchen, eins mit einem Nucleololus. Der Inhalt zeigt ganz feine Linien als Andeutung der beginnenden Zerklüftung. Keine Spiralfasern. 406 | W. Dönitz: Ueber den typischen Bau der Echinodermen. Von Dr. W. Dönıtz. 0 (Hierzu Taf. XI.B.) Das Berliner anatomische Museum erhielt im vergangenen Jahre durch die Güte des Herrn Stud. Paul Magnus die auf Helgoland erworbene Testa eines Seeigels, Echinus sphaera O. F. Müller, welche in so eigenthümlicher Weise missge- staltet ist, dass sie zu Reflexionen über die Frage auffordert, ob dem Baue der Echinodermen ein radiärer oder bilateral sym- metrischer Typus zu Grunde liege; eine Frage, die trotz der vielfältigsten und eingehendsten Untersuchungen über die Ana- tomie und die Entwickelung der Echinodermen noch nicht de- finitiv hat erledigt werden können. Bisher hat man nur nor- mal entwickelte Individuen zum Gegenstande dahin gehender Untersuchungen gemacht. Ich gedenke nun die Frage von einer anderen Seite her anzugreifen, indem ich eine Monstrosi- tät zum Ausgangspunkte meiner Betrachtungen wähle. Das mir vorliegende Präparat ist dasselbe, welches ich ın der Sitzung der Gesellschaft naturforschender Freunde am 17. April 1866 vorgezeigt habe. Ich gebe hier noch einmal eine Beschreibung desselben, die ich, der Seltenheit des Fundes wegen, mit Abbildungen begleite. Zunächst fällt es in die use dass das linke vordere In- oe ER Ueber den typischen Bau der Echinodermen. 407 terambulacralfeld fehlt.') In Folge dessen sind das vordere un- paare und das linke vordere Ambulacralfeld an einander ge- rückt, und die beiden Porengänge, welche das ausgefallene In- terambulacralfeld beiderseits begrenzen sollten, laufen nun un- mittelbar neben einander her, d.h. sie sind zu einem einzigen, etwas breiten Ambulacralgang verschmolzen. In der Nähe des apicalen Poles indessen weichen sie auf eine kurze Strecke aus einander und schliessen ein Rudiment des im übrigen fehlenden Interambulacralfeldes ein. Die beiden Ambulacralfelder treten während ihres ganzen Verlaufes wulstförmig über das Niveau der Schale hervor (Fig. 1), und darüber erhebt sich, noch etwas stärker hervortretend, das Rudiment des Interambulacralfeldes. Ueber das Verhalten der dieses Rudiment zusammensetzenden Platten konnte ich mir keinen Aufschluss verschaffen, ohne das Präparat zu zerstören, und so blieb diese Frage unerledigt. Oberhalb und unterhalb dieses rudimentären Interambulacral- feldes fliessen, wie erwähnt, die beiden dasselbe begrenzenden Ambulacra zu einem gemeinschaftlichen Gange zusammen, an dem sich indessen durch die Stellung der Poren nachweisen lässt, dass er aus der Vereinigung zweier Porenstrassen her- vorgegangen ist. Die Poren der Seeigel sind bekanntlich so gestellt, dass immer zwei und zwei zu einander gehören und somit ein Paar bilden. Dies sieht man nicht allein an der In- nenseite, sondern auch an der Aussenseite der Schale. Legt man nun in den zwei zu einander gehörigen Fühlergängen eines Strahles durch die Poren eines jeden Paares eine gerade Linie und verlängert diese bis zur Naht des Ambulacralfeldes, so wird man finden, dass diese Linien sich daselbst schneiden, in- dem die Richtung der Porenpaare in den beiden Ambulacren nach unten hin, d. h. nach dem ventralen Pole hin convergirt. Untersucht man nun darauf hin das gemeinsame Ambulacrum, so zeigt es sich, dass zwei Systeme von Porenpaaren darin ent- halten sind, die reihenweis neben einander herlaufen und durch ihre Richtung ihre innige Beziehung zu dem unmittelbar ihnen 1) Ich gebrauche hier Agassiz’ Terminologie, da sie die jetzt all- gemein gebräuchliche ist. | 408 W. Dönitz: anliegenden Ambulacralfeld kennzeichnen, ein Verhalten, das ein Blick auf Fig. 2 besser als die Beschreibung veranschauli- chen wird. Ferner zeigt die Fig. 2, dass die dem ausgefallenen Inter- ambulacralfeld entsprechende Genitalplatte nur etwa halb so hoch ist als ihre Nachbaren, und dass ihr der Porus fehlt. Dagegen sind die Ocellarplatten, welche ihr zu beiden Seiten anliegen sollten, ungemein breit und haben sich, begünstigt durch die geringe Höhe der Genitalplatte, in der Art vor die- selb2 vorgeschoben, dass sie sich gegenseitig berühren. Der Einfluss des Defectes auf die Vertheilung der Strahlen des Echinoderms ist ein verhältnissmässig geringer gewesen, denn die linken und rechten Ambulacralfelder haben ziemlich genau ihre relative Stellung zu einander und zur Madreporen- platte gewahrt, indem allein das vordere, unpaare Ambulacral- feld aus seiner Lage, und zwar nach links hin abgewichen ist. Legt man Meridiane durch die Ambulacralfelder und betrachtet dabei die beiden an einander gerückten Felder als nur eines, so schneiden sich diese vier Linien unter nahezu rechten Winkeln. Aus alle dem ersieht man, dass die sogenannten paarigen Strahlen auch hier, wie gewöhnlich beim Genus Echinus, gleiche Winkel mit einander bilden, dass aber gerade derjenige Strahl aus seiner Lage gewichen ist, durch welchen Louis Agassiz die Medianebene legte, welche das Echinoderm in zwei bilateral symmetrische Hälften theilen sollte. Bestimmend für diese Ebene war die Madreporenplatte und der ihr gegen- über liegende Strahl, der als vorderer und unpaarer betrachtet wurde. Da aber im oben beschriebenen Monstrum der Madre- porenplatte ein Interambulacralfeld gegenüber liest, während der unpaare Strahl sich nach links hinübergeschoben hat, so ergiebt sich, dass durch diesen Strahl eine Ebene, welche für die bilaterale Symmetrie bestimmend ist, nicht gelegt werden darf. Bei Wirbelthieren wenigstens, die in dieser Beziehung besser gekannt sind, als die Wirbellosen, giebt es keine Hem- mungsbildung, die zur Folge hätte, dass nicht allein gewisse Theile von der einen Seite nach der anderen hinübergedrängt Ueber den typischen Bau der Echinodermen. 409 werden, sondern dass auch der ganze Habitus des Thieres sich ändert. Beides aber ist hier der Fall. Erstens nämlich liegt die Hälfte des rechten vorderen Interambulacralfeldes ganz auf der linken Seite; dann aber hat sich als unmittelbare Folge der Hemmungsbildung der Habitus des Thieres insofern verändert, als sämmtliche Winkel, welche die Strahlen unter einander bil- den, bei Weitem grösser geworden sind, indem sich anschei- nend vier Strahlen in vier Rechte theilen, während bei nor- malen Exemplaren fünf Strahlen dies thun. Zu demselben Resultate führt auch die Untersuchung ge- wisser Echiniden mit elliptischem Umrisse, z. B. der Echino- metren und Acrocladien. Bei diesen macht, wie schon Phi- lippi') bemerkt, eine durch die Madreporenplatte und den un- paaren Strahl gelegte Ebene einen Winkel sowohl mit der lan- gen wie mit der kurzen Achse, während sie, wenn sie das Thier in zwei symmetrische Hälften theilen sollte, mit einer von diesen Achsen zusammenfallen müsste. Und damit fällt die Bedeutung dieser Ebene hinsichtlich der bilateralen Sym- metrie. Nun könnte man aber, um die bilaterale Symmetrie zu halten, daran denken, eine andere Richtungsebene aufzustellen. Einen beliebigen Strahl wird man nicht herausgreifen können, um durch ihn diese Ebene zu legen; denn ganz abgesehen da- von, dass man bei der augenscheinlichen Gleichwerthigkeit der übrigen vier Strahlen keinen .erdenklichen Grund dazu hat, den einen zu bevorzugen, und dass man keinen Anhaltspunkt haben würde, um im gegebenen Falle diesen Strahl unter den ande- ren wieder herauszuerkennen, so würden auch ähnliche Monstra, wie das eben beschriebene, einen Strahl nach dem anderen als unbrauchbar herausstellen. Dass es nach der gebräuchlichen Terminologie der linke vordere Strahl nicht sein kann, beweist z. B. der von Philippi?) beschriebene Echinus Melo, der in- 1) Philippi, Beschreibung zweier missgebildeter Seeigel, nebst Bemerkungen über die Echiniden überhaupt. Wigmann’s Archiv f. Naturgeschichte III. 1. 1837. S. 241. Dza:'a. 0: 410 W, Dönitz: sofern mit unserem Fchinus sphaera vergleichbar ist, als auch bei ihm ein Theil eines Interambulacralfeldes fehlt. Fernerhin würde sich eine durch das Centrum des apicalen Poles und durch den meist. subcentralen After gelegte Ebene empfehlen. Doch auch hier kommt man in Verlegenheit. Man findet nämlich, wenn man diese Richtungsebene annimmt, dass bei derselben Species die Madreporenplatte bald einem vorde- ren, bald einem hinteren Interambulacralfeld entspricht. Dies kann zwei Ursachen haben. Entweder die Lage des Afters, oder die der Madreporenplatte ist veränderlich. Zieht man die Seesterne zum Vergleiche heran, so ergiebt sich ohne Weiteres die grosse Veränderlichkeit in der Lage der Madreporenplatte. Wie häufig sieht man z. B. bei Ophidiaster multiforis zwei, drei und vier Madreporenplatten, mitunter sogar deren zwei in einem Brachialraum. Diese Mannigfaltigkeit nach Zahl und Lage beweist hinlänglich, dass das wechselnde Verhältniss zwi- schen After und Madreporenplatte zum Theile wenigstens von der letzteren abhängig ist. So bliebe noch die Frage zu lösen übrig, ob der After con- stant seine Lage bewahre, gegenüber dem Centrum der apicalen Platten, oder ob auch er veränderlich ist. Hierüber giebt die Entwickelungsgeschichte den befriedigendsten Aufschluss. Sie lehrt, dass der After der Echinodermenlarve in späterer Zeit zum After des ausgebildeten Echinoderms wird. (Die Ent- wickelungsgeschichte der Seesterne ohne After ist noch nicht genügend aufgeklärt, um sie hier berücksichtigen zu können.) Bedenkt man nun, dass einerseits der After der Larve‘, sobald er sich zu bilden anfängt, genau an dem einen Pole der Larve gelegen ist, und dass andererseits das Echinoderm durch Kno- spung an der Larve entsteht und sich dabei um den After her- umlegt, so wird man nicht umhin können, den After selbst als das Unbewegliche aufzufassen. Und somit bildet der After ge- netisch das Centrum des dorsalen Poles. Wie steht es nun nach diesen Erörterungen mit der bilate- ralen Symmetrie? Liegt es in der Natur des Echinoderms, eine Ebene anzunehmen, die das Thier in eine rechte und eine linke symmetrische Hälfte theilt? Diese Frage kann jetzt mit Ueber den typischen Bau der Echinodermen. 411 einem entschiedenen Nein beantwortet werden. Zur Bestimmung einer Ebene gehören bekanntlich drei fixe Punkte. Bei der uns beschäftigenden Klasse des Thierreiches findet sich aber . nur ein, höchstens zwei solcher fixen Punkte, nämlich der After, und vielleicht noch der Mund. Die Madreporenplatte ist, wie wir gesehen haben, höchst variabel in ihrer Lage, der soge- nannte unpaare Strahl, welcher als Linie die beiden gesuchten Punkte vertreten könnte, ıst aus den oben entwickelten Grün- den nicht zu gebrauchen, und alle übrigen Theile, an welche man zur Bestimmung eines dritten festen Punktes denken könnte, sind in der Mehrzahl vorhanden und können deshalb nicht ver- werthet werden. So bleibt also Nichts weiter übrig, als die bi- laterale Symmetrie aufzugeben und wieder auf den radiären Typus zurückzukommen, der schon von den älteren Anatomen, z. B. von J. F. Meckel, richtig erkannt war. Die grösste Schwierigkeit hatte in der hauptsächlich von J. Müller betonten bilateralen Symmetrie der Larven gelegen. indessen ist es den Bemühungen von Alex. Agassıiz') gelun- gen, an ganz jungen Echinodermenlarven den Beweis zu führen, dass sie, weit entfernt davon, bilateral symmetrisch gebaut zu sein, genau in ihrem Bauplan mit denjenigen Larven überein- stimmen, welche zu evident radiär gebauten Thieren gehören, mit einem Worte, dass die ganz jungen Echinodermenlarven den radiären Typus an sich tragen, und dass die spätere an- scheinend bilaterale Symmetrie nur secundär hinzukommt. Wie . angesichts dieser Thatsachen Huxley dazu kommt, die Echi- nodermen gar mit gegliederten Thieren, z. B. mit Bandwürmern zusammenzustellen, ist mir unverständlich geblieben. Das Echinoderm bildet sich nun, wie bekannt, durch Kno- spenwachsthum an der Larve und zeigt gleich bei seinem ersten Auftreten den radiären Bau. Man bemerkt keine Spur von dem Vorgange, durch welchen bei den Wirbelthieren die aus dem Bildungsdotter hervorgehenden ersten Anlagen wie mit einem Schlage in eine rechte und eine linke symmetrische Hälfte ge- 1) A. Agassiz, Embryology of the starfisch. Cambridge, Massa- chusets, Dec. 1864. 412 W. Dönitz: schieden werden. Dort sieht man als erstes Zeichen der be- ginnenden Entwickelung die primitive Rinne auftreten, und so- mit ist von vornherein die bilaterale Symmetrie gegeben. Des- gleichen sind alle Primitivorgane, die sich demnächst entwickeln, von Anfang an bilateral symmetrisch angelegt. Bei den Echi- nodermen hingegen ist der Vorgang ein ganz anderer. Sobald sich die ersten Differenzirungen an dem aus dem Ei geschlüpf- ten Embryo kennzeichnen, tragen dieselben schon den Charak- ter des radiären an sich. Die später hinzukommenden Wim- persäume können allerdings den radiären Bau verdecken, ver- mögen aber nicht, ihn aufzuheben. Wird es doch Niemand einfallen, einer Pflanze, wie Veronica Chamaedrys, deshalb bi- laterale Symmetrie zuzuschreiben, weil ihr Stengel zweizeilig behaart ist. | ‘Wenn nun später das zur Geschlechtsreife bestimmte Echi- noderm an der Larve sich entwickelt, so geschieht dies durch einen Knospenwachsthumsprocess, der sogleich, wie Jedermann weiss, nach radiärem Typus vor sich geht. Daher kommt es denn, dass jeder Strahl eine gewisse Selbständigkeit bewahrt, die sich in den mannigfaltigsten Abweichungen von der Norm zu erkennen giebt. So rücken z. B., wie ich dies bei Echino- ‚ cidaris nigra, Echinometra acufera und Astropyga (Echinortrix) calamaria gesehen habe, eine oder mehrere, selbst alle Ocellar- platten abnormer Weise bis an die Afterplatten heran, indem sie die Genitalplatten aus einander und sich zwischen dieselben drängen; oder es tauschen bei Echiniden mit elliptischem Um- risse die längeren und die kürzeren Strahlen ihre Rolle, was sich aus der relativen Stellung des Afters zu diesen Strahlen nachweisen lässt, ein Verhalten, das v. Martens!) an Toxoci- daris Mexicana bemerkte; oder es zeigen sich Unregelmässig- keiten im Auftreten der Madreporenplatte, wie sie schon oben erwähnt wurden. Genug, grössere und kleinere Unregelmässig- keiten weisen auf die grosse Selbständigkeit der einzelnen Strah- len hin, die sich eben nur mit dem radiären Bau des Echino- 1) v. Martens in den Sitzungsberichten der Gesellschaft natur- forschender Freunde zu Berlin, am 20. Juni 1865. Ueber den typischen Bau der Echinodermen. 413 derms, nimmermehr aber mit bilateraler Symmetrie vereinbaren lässt. Demnach führen sowohl embryologische wie ana- tomische Untersuchungen zu dem Schlussresultate, dass die Echinodermen nach dem radiären Typus ge- baut sind, und dass diehäufig anihnen wahrzuneh- mende bilaterale Symmetrie nur eine scheinbare ist, wie sie in jeden, selbst regelmässig sternförmigen Körper hineingelegt werden kann. ;„ Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Totalansicht des beschriebenen monströsen Seeigels. Fig. 2. Rückenseite desselben, etwa 3 mal vergrössert. Fig. 3. Dasselbe, schematisch dargestellt. «a Genitalplatten, a, Madreporenplatte, a,, verkümmerte linke vordere Genitalplatte ohne Genitalporus, d Ocellarplatten, d, vordere unpaare ÖOcellarplatte, 5, vordere linke Ocellarplatte, e Porengänge (Ambulacra), d Ambulacral- felder, d, vorderes unpaares Ambulacralfeld, von der Mittellinie hin- weg nach links verschoben, d,, linkes vorderes Ambulacralfeld, e Inter- ambulacralfelder, e, rudimentäres linkes vorderes Interambulacralfeld, f Afteröffnung. 414 J. Reinhardt: Ueber den Hautpanzer der megathoroiden Thiere. Ueber den Hautpanzer der megatheroiden Thiere. (Briefliche Mittheilung an ©. B Reichert.) Von J. REINHA Dr. Copenhagen, 2. Juni 1866. Im vorigen Jahrgange dieses Archives, Heft III., S. 334, hat Herr Dr. H. Burmeister „die interessante Entdeckuug“ mitgetheilt, dass Mylodon und wahrscheinlich auch die übrigen megatheroiden Thiere im Leben mit einem Hautpanzer bekleidet gewesen sind. Dieselbe Anzeige findet sich ferner auch in den von ihm heraygsgegegebenen Anales del Museo publico de Buenos Aires (Entrega primera, Buenos Aires 1864, p. 8).') Ich kann nicht umhin, die Priorität dieser Entdeckung für einen anderen zu reclamiren. Die Beobachtung des Hrn. Burmeister ist gewiss eine sehr interessante, aber eine Entdeckung von der Trag- weite, die er beansprucht, ist sie wahrlich nicht; sie bestätigt nur und erweitert eine schon längst festgestellte Thatsache. Mein Freund und Landsmann, der hochverdiente Forscher der vorweltlichen brasi- lianischen Fauna, Dr. P.W. Lund hat nämlich schon vor 20 Jahren gezeigt, dass wenigstens zwei megatheroide Genera, Scelidotherium und Coelodon, mit einer Art von Hautpanzer versehen gewesen sind, und schon er zog aus dem Umstande, dass diese beiden Gattungen zwei verschiedenen Gruppen dieser ausgestorbenen Familie angehörten, den gewiss berechtigten Schluss, dass auch die übrigen Glieder der Fa- milie eine ähnliche Hautbedeckung gehabt hatten.?) Bei Scelidorherium und Coelodon bildeten die in der Haut eingela- gerten Knochenstückchen jedoch nicht, wie bei Mylodon, eine Art von 1) Da diese Zeitschrift wahrscheinlich nur wenigen Lesern dieses Archivs zugänglich sein wird, erlaube ich mir die betreffende Stelle hier zu citiren: „Hoy, debido & mi descubrimiento, se sabe que la segunda opinion“ (die namlich, dass die megatheroiden Thiere einen Hautpanzer trugen) „es la mas 'probable, pues el cutis del Mylodon, come sin duda tambien el del Megatherium, es duro y cubierto con escudos lisos y corneos sobre los huesos chicos subplantados en el mismo cütis.“ 2) Det K. D. Videnskab. Selskabs naturvidensk. og mathem. Af- handlinger, 12. Deel. Kjöbenhavn 1846. 8. 77, J. Dogiel: Nachtrag zu der Abhandlung u. Ss. w. 415 Mosaik; sie scheinen im Gegentheil isolirt, ohne sich gegenseitig zu berühren, in der Haut eingelagert gewesen zu sein. und hatten des- halb auch nicht, wie bei der letztgenannten Gattung, die Form kleiner polygonaler Tafeln, sondern bildeten kleine kugelige oder vielmehr linsenförmige Körper, die grössten etwa von der Grösse einer Hasel- nuss, die kleinsten nur von Erbsengrösse. Ks zeigt sich also nun, dass der Hautpanzer der Megatheroiden bald ein bischen mehr, bald ein bischen weniger ausgebildet gewesen ist. Es geht aus anderen Aufsätzen und Werken des Herrn Burmei- ster vielfach hervor, dass er die ausgezeichneten Arbeiten meines hochverdienten Freundes über die ausgestorbene brasilianische Säuge- thierfauna kennt und oft benutzt hat; er hätte also wissen können, dass die Entdeckung, welche er für sich selbst in Anspruch nimmt, sehon von Lund gemacht sei Ich bezweifle aber dennoch noch nicht im mindesten, dass Burmeister die bezügliche Stelle in der Ab- handlung von Lund wirklich nicht bemerkt hat, und eine solche Un- achtsamkeit ist denn auch bei einer weniger vollkommenen Kenntniss der dänischen Sprache sehr erklärlich und leicht zu entschuldigen. Aber es wird darum nicht weniger Pflicht gegen Dr. Lund, ihm die Entdeckung eines mehr oder weniger ausgebildeten Hautpanzer bei den megatheroiden Thieren zu sichern. Nachtrag zu der Abhandlung: „Ueber die Wirkung des Chloroforms au? den Organismus der Thiere. Von J. DociEu. Der Abhandlung „Ueber die Wirkung des Chloroforms u. s. w.“ lasse ich einige weitere Beobachtungen folgen, welche ich im physio- logischen Laboratorium (Professor Ludwig) in Leipzig bei der Chlo- roformirung von Kaninchen gemacht habe. I. Ein Kaninchen, bei welchem auf beiden Seiten der N. laryngeus super. und infer. dnrchschnitten war, wurde sofort nach der Operation chloroformirt. Im ersten Stadium der Chloroformirung zeigte sich Verlangsamung und sogar Stillstand des Herzschlages, was auch bei Integrität der N. laryngei super. und infer. zu bemerken ist. ll. Dieselbe Erscheinung wird beobachtet, wenn man einen klei- nen Theil des Hirnschädels, welcher der Lage der N. olfactorii ent- 416 J. Dogiel: Nachtrag zu der Abhandlung u. s. w. spricht, mittelst eines kleinen Trepans entfernt, und diese Nerven durchschneidet. Um bei diesem Versuche einen bedeutenden Blut verlust zu vermeiden, unterband ich die beiden Carotiden. III. Wenn die N. trigemini auf beiden Seiten durchschnitten wurden, bemerkte ich bei Chloroformirung des Thieres gleichfalls Ver- langsamung und Stillstand des Herzschlages. IV. Endlich liess ich das Kaninchen nicht durch die Nase, sondern direct durch die Trachea athmen. Ich verfuhr (nach Pr. Ludwig’s Rath) folgendermaassen: In die Trachea wurde das gewöhnlich zur künstlichen Athmung benutzte Tförmige Rohr eingeführt, das zugleich mit einer Oefinung für die Exspiration versehen war. Das nach aus- sen stehende freie Ende desselben wurde mittelst eines Kautschuk- röhrchens mit einem weiteren Glascylinder verbunden, der etwas Chloroform enthielt. Eine luftgefüllte Blase, die mit diesem Cylinder communieirte, diente dazu, die Chloroformdämpfe aus dem Cylinder heraus in die Trachea zu treiben. Aus diesen und den früher von mir angestellten Beobachtungen schliesse ich, dass der Stillstand des Herzschlages im ersten Stadium der Wirkung des Chloroforms auf den Organismus der Thiere refle- etorisch, nicht durch die Reizung der N. olfactorius, trigeminus, la- ryn. super. und infer. auf das Herz, sondern durch die Lunge be- wirkt wird. C. B. Reichert: Ueber die Saftströmune u. s. w. 417 Ueber die Saftströmung (Rotation, Oireulation) der Pflanzenzellen mit Rücksicht auf die Contractilitäts- frage. (Gelesen in der Sitzung der Akademie am 3. Mai 1866.) Von C. B. REICHERT. — Die Saftströmung in den Pfanzenzellen ist seit Un ger’s Vorgange von Botanikern, von Zoologen und Physiologen den Bewegungserscheinungen contractiler Substanzen bei den Rhizo- poden völlig gleichgestellt und im Sinne der Protoplasmatheorie gedeutet worden. Die grosse Aehnlichkeit der betreffenden Er- scheinungen im mikroskopischen Bilde; das jede wissenschaftliche Kritik abweisende, wohl räthselhafte Vertrauen, welches der Sar- code und Protoplasmatheorie von vielen Forschern entgegenge- bracht wird; die gegenwärtig sehr verbreiteten Bemühungen, jede Form- und Ortsveränderung in organischen Bestandtheilen zu Gunsten jener Theorie in das Gebiet der Contractilitätsbewegun- gen hineinzuziehen; das von mehreren Physiologen offen ausge- sprochene theoretische Bedürfniss nach contractiler Substanz im tropfbar-Hüssigen Cohäsionszustande; endlich der Mangel eines hinreichenden Erklärungsgrundes für die Saftströmung in den Pflanzenzellen selbst: — dies Alles hat auf die bezeichnete Rich- tung, in welcher die Erscheinungen der Saftströmung in den Pflan- zenzellen während der letzten Jahre aufgenommen, verfolgt und beurtheilt wurden, eingewirkt; es hatte schliesslich die Beden- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 27 418 C. B. Reichert: ken, welche dagegen erhoben werden konnten, nach und nach fast völlig in den Hintergrund gedrängt. Erst neuerdings, im Jahre 1865, sind namhafte Botaniker, zuerst Hofmeister (Flora 1865, Nr. 1: Ueber die Mechanik der Bewegungen des Protoplasma), dann J. Sachs (Handbuch der physiologischen Botanik u. s. w. von W. Hofmeister, Bd. IV., S. 453) und P. Reinsch (Morphologische, anatomische und physiologische Fragmente: Bull. d. 1. soc. imp. d. nat. de Moscou, Tom. XXXVIII. 1865) offen gegen die Gleichstellung der Saftströmung in den Pflanzenzellen mit den Contractions- ‚bewegungen niederer Thiere aufgetreten; sie haben auf einzelne Erscheinungen hingewiesen, die mit dieser Ansicht im Wider- spruche stehen; sie haben auch, und zwar nicht ohne Grund, darauf aufmerksam gemacht, dass die bisherige Darstellung der Contractilitätsvorgänge zu unklar und unbestimmt sei, als dass durch eine solche Gleichstellung ein Gewinn für die Wissen- schaft erwachsen könne. Auf eine genaue Analyse des Ver- gleiches beider Bewegungserscheinungen sind die genannten Forscher gleichwohl nicht eingegangen; es war dieses auch bei der herrschenden thatsächlichen Auffassung der Saftströmung und bei den mangelhaften Kenntnissen von den Bewegungser- scheinungen contractiler Gebilde bei niederen Thieren nicht möglich. | Die seit mehreren Jahren von mir fortgesetzten Untersu- chungen über contractile Körperbestandtheile niederer Thiere lenkten meine Aufmerksamkeit auch auf die Saftströmung in den Pflanzenzellen, nachdem namentlich E. Brücke auf Er- scheinungen hingewiesen hatte, welche das Vorhandensein und die Mitwirkung einer contractilen Substanz bei der Saftströmung überhaupt erst denkbar und verständlich machten. Von diesem Gesichtspunkte aus wurden meine Beobachtungen angestellt; es kam darauf an, durch eine genaue Prüfung der betreitenden Fr- scheinungen die Frage zur Entscheidung zu bringen, ob die Saftströmungen in den Pflanzenzellen') mit den: Bewegungen 1) Die Bewegungserscheinungen bei den Myxomyceten kenne ich zu wenig aus eigener Beobachtung: ich muss es einstweilen unent- * Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 419 contractiler Gebilde verglichen werden dürfen oder nicht; dies war die Aufgabe meiner Untersuchungen, und hierin finden die nachfolgenden Mittheilungen ihr eigenes Bewegungsgebiet. Untersucht wurden: Chara fragilis, Nitella capitata und opaca, Vallisneria spiralis, Hydrocharis morsus ranae, Härchen der Urtica urens, Tradescantia albiflora und virginica, ferner die Elodea cannadensis und die Haare von Oenothera muricata. Es befinden sich darunter Pflanzen mit Saftströmungen von scheinbar sehr abweichendem Verhalten, was auch bekanntlich zu der Unterscheidung einer Rotation und Circulation, ja sogar einer rotirend-eirceulirenden Saftströmung (Reinsch a. a. O.) Veranlassung gegeben hat. Bei Chara fragilis, Nitella capitata und opaca, auch bei Vallisneria spiralis und ‚Elodea cannadensis dürfte der unbefan- gene Beobachter an Bewegungserscheinungen der contractilen Substanz, auch selbst der Polythalamien nicht erinnert werden; — man überzeugt sich vielmehr ohne Schwierigkeit, dass man es mit einer in „Rotation“, d. h. in kreisförmiger Strömung be- griffenen leicht flüssigen Substanz und darin suspendirten, pas- siv mitbewegten Körperchen oder Bläschen zu thun hat. Diesen Saftströmungen gegenüber stehen diejenigen mit so- genannter „Circulation“ , wie bei Oenothera muricata, bei der Brennnessel, bei den Tradescantien, ja bei allen denjenigen Pilanzenzellen, in welchen fliessende Bewegungserscheinungen von allen Beobachtern, E. Brücke ausgenommen, an einem zähflüssigen, verästelt und netzförmig configurirten Bestand- theile (Protoplasma) des Zellinhalts aufgefasst und verfolgt wor- den sind. Hier giebt es allerdings Erscheinungen, welche das täuschende Bild einer in Thätigkeit begriffenen contractilen Substanz niederer Thiere darbieten. Bei Hydrocharis morsus ranae endlich können beide Fälle vorkommen, obschon gewöhnlich nicht in so entschiedener Aus- prägung. Am häufigsten wird man an die Saftströmungen der schieden lassen, ob man es hier mit der gewöhnlichen „Saftströmung“ in den Pflanzenzellen oder mit einer anderen Lebenserscheinung zu thun habe. 420 C. B. Reichert: Charen erinnert, doch finden sich unter den in der strömenden Flüssigkeit suspendirten,, passiv bewegten Körperchen auch Nlockige, aus zähflüssiger, eiweisshaltiger Substanz bestehende Massen von unbestimmter, seltener sphäroidischer,, vielmehr membranartiger Form vor. In anderen Fällen treten die frei beweglichen Körperchen in den Hintergrund, und die Saftströ- mung, scheint durch eine zähflüssige, eiweisshaltige Substanz in mehr oder weniger verästelter Form regulirt zu sein; ja an einer und derselben Zelle kann zu verschiedenen Zeiten bald das eine, bald das andere mikroskopische Bild in den Vorder- grund treten. Dieser Umstand, sowie die durchsichtige, durch anliegende Chlorophylikörperchen in keiner Weise getrübte Be- schaffenheit der Cellulosekapsel macht die Wurzelhärchen der IIydrocharis morsus ranae zu dem besten mir bekannten Un- tersuchungs-Objecte für Saftströmungen in den Pflanzenzellen; mit der Prüfung der hier wahrnehmbaren Erscheinungen kann ich meine Untersuchungen am zweckmässigsten einleiten. Die Saftströmung (Rotation, unter Umständen auch Cireulation) bei Hydrocharis morsusranae. Bestandtheile des Zellinhaltes der Wurzelhaare und ihre Beschaffenheit. Am Zellinhalte des im Allgemeinen cylindrisch geformten Zellenkörpers der Wurzelhaare von Hydrocharis morsus ranae müssen mit Rücksicht auf die Saftströmungen zwei Theile un- terschieden werden: der ruhende, bewegungslose und der vor- übergehend oder dauernd in Bewegung begriffene. Der ruhende Bestandtheil, die Zellflüssigkeit oder der „Zellsaft“ der Botaniker, nimmt den der Achse zunächst gelegenen Raum der Zellenkapsel ein; er ist hier farblos, voll- kommen durchsichtig und körnchenfrei; ein Eiweissgehalt ist in ihm nicht nachzuweisen. Der in Bewegung begriffene Bestandtheil, die „Mantelschicht“ ist in der Mantelregion des Zellinhaltes ausgebreitet und berührt, scheinbar wenigstens, Ueber die Saftströomunge der Pflanzenzellen u. s. w. 42] unmittelbar die Innenfläche der Kapselwand. Eine continuirlich fortziehende Grenzlinie zwischen der sich bewegenden Mantel- schicht und der ruhenden Achsensubstanz ist bei diesen Zellen nicht wahrzunehmen; sie ist aber dadurch genauer abzugrenzen, dass die beweglichen Bestandtheile des Zellinhaltes sich stets nur in der bezeichneten „Mantelschicht* vorfinden. Nach den sichtbar sich bewegenden Substanzen zu urtheilen, ist die Dicke der Mantelschicht gewöhnlich nicht überall gleich und in fort- laufender Veränderung begriffen. Die Dicke der sichtbar sich bewegenden oder zeitweise auch ruhenden Substanzen verän- dert sich räumlich und zeitlich während der Saftströmung, und zwar in den meisten Fällen nachweislich durch Adhäsionsein- flüsse. Eine Erscheinung, die darauf hinwiese, dass die Man- telschieht und dem entsprechend der ruhende Achsenbestand- theil, wenigstens während einer Beobachtung von 5—6 Stun- den, der Quantität nach zu- oder abnehme, ist mir nicht vorge- kommen. Dies tritt namentlich auch bei der Tradescantia virgi- nica, deren Zellflüssigkeit blau gefärbt ist, ganz deutlich heraus. Die vorübergehend auftretenden Schwankungen in der Dicke der Mantelschicht können nicht auf eine örtlich oder zeitlich eintretende Zu- oder Abnahme der ganzen Mantelmasse zurück- geführt werden; es sind vielmehr vorübergehende, wahrschein- lich überall nur durch Adhäsionseinflüsse veranlasste örtliche Veränderungen in der Dicke der Schicht. Zur Erläuterung des Verhaltens der beiden Bestandtheile des Zellinhaltes zu einan- der muss ich noch anführen, dass ungeachtet Wasserlösungen in beiden vorkommen, eine Vermischung derselben auch unter den günstigsten Bedingungen nicht stattfindet. Da uns die chemische Beschaffenheit des Zellsaftes sowohl, als auch des tropfbar flüs- sigen Theiles in der Mantelschicht nicht genügend bekannt ist, so lässt sich über die Bedingungen dieses Verhaltens auch Nichts aussagen. Die bei der Saftströmung zunächst betheiligte Mantel- schicht des Zellinhaltes grenzt, wie es scheint, unmittelbar an die Innenfläche der Cellulosekapsel. Auch bei den stärksten Vergrösserungen wird eine etwa vorhandene messbare ruhende Zwischenschicht, der von H. v. Mohl angenommene Primordial- a Rene schlauch, an frischen Zellen nicht wahrgenommen. Zufällig ad- härirende Körnchen der strömenden Mantelschicht scheinen un- mittelbar an der Kapselwand zu haften. Die Erscheinungen, welche für die Anwesenheit des Primordialschlauches sprechen, sind gleichwohl so auffällig, dass ich mich nicht für berechtigt halte, das Vorhandensein einer eiweisshaltigen, un- messbar feinen, festeren Schicht an der Innenfläche der Kapsel- wand bei allen von mir auf die Saftströmungen untersuchten Zellen in Abrede zu stellen. Wenn aber der Primordialschlauch vorhanden ist, so muss wenigstens mit Entschiedenheit ausge- sprochen werden, dass derselbe nicht zu der unmittelbar bei der Saftströmung betheiligten Inhaltsmasse der Gellulosekapsel gehöre, dass er vielmehr eine eiweisshaltige, festere und bewe- gungslose Grenzschicht an der Oberfläche der beweglichen Man- telschicht bilde. An der letzteren müssen dann wiederum, zu- folge meiner Untersuchung, zwei Substanzen unterschieden wer- den: die wahrscheinlich eiweisshaltige, farblose „Mantelflüs- sigkeit“, und die darin suspendirten und von derselben um- flossenen festen und zähflüssigen Bestandtheile. Die Mantelflüssigkeit wurde von Nägeli (Beiträge zur wissenschaftlichen Botanik, Bd. Il., S. 62 f.) bei den Charen richtig erkannt und wässerige Flüssigkeit genannt, in welcher die sogenannten schwimmenden Protoplasma-Gebilde und Chlo- rophylikörper suspendirt seien. E. Brücke hat später bei der Brennnessel auf dieselbe aufmerksam gemacht. Nach mei- nen Beobachtungen muss bei allen Pflanzenzellen, die eine Saftströmung, Rotation oder Circulation, zeigen, auf die An- wesenheit einer solchen Mantelflüssigkeit als eines Hauptbe- standtheiles der strömenden Masse hingewiesen werden. Sie nimmt bei der Hydrocharis, wie bei den übrigen von mir ge- nannten Pflanzen überall den zwischen den sichtbaren festeren und zähflüssigen Bestandtheilen gelegenen Raum ein. Sie hat die Eigenschaft einer tropfbar-füüssigen Substanz, da, wie schon E. Brücke bei der Brennnessel hervorhebt, kleine in ihr sus- pendirte Körperchen unter geeigneten Umständen in moleculare Bewegung gerathen. Bei der Hydrocharis zeigen sich ausser- Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 423 dem Adhäsionserscheinungen an den in ihr suspendirten Substan- zen, die nur in einem tropfbar-Hüssigen Vehikel ausführbar sind, Die „Mantelflüssigkeit“ lässt sich in Betreff ihrer chemischen Eigenschaften nicht genau untersuchen und bestimmen. Sie ist, nach einzelnen unter dem Mikroskope wahrnehmbaren Erschei- nungen zu urtheilen, eine Lösung von zum Theil unbekannten Substanzen in Wasser, deren Beschaffenheit und Menge bei verschiedenen Pflanzen veränderlich ist, auch wohl bei einer und derselben Pflanze zeitlichen Veränderungen unterliegen mag. Sie enthält, wie es scheint, constant Eiweiss in grösserer oder geringerer Menge. Bei Anwendung wasserentziehender und Eiweiss niederschlagender Mittel zeigt sich regelmässig ein körniger, in der ganzen Mantelregion continuirlich ausge- breiteter Niederschlag von Eiweiss, der unabhängig von der in der Mantelflüssigkeit suspendirten, eiweisshaltigen, zähflüssi- gen Substanz auftritt. Wer die Anwesenheit des Primordial- schlauches leugnet, müsste den ganzen körnigen Niederschlag auf Rechnung der Mantelllüssigkeit bringen. Aber auch bei Annahme desselben ist die Ausbreitung des körnigen Nieder- schlages gegen das Centrum oder gegen die Achse des Zellen- körpers so beträchtlich und oft von so flockiger Beschaffenheit, dass er in seiner ganzen Dicke und Ausbreitung auf den un- messbar feinen, an der Oberfläche gelegenen Primordialschlauch nicht bezogen werden kann. Unsere Kenntnisse über die chemischen Eigenschaften der Mantelflüssigkeit lassen sich dadurch erweitern, dass man den in derselben suspendirten Substanzen die Aufmerksamkeit zu- wendet. Die angeführten verschiedenen Bestandtheile des Zell- inhaltes haben sich unter der Mitwirkung äusserer Agentien all- mählich aus einer Mischung und Lösung organischer und un- organischer Substanzen gesondert, die einige Forscher „Proto- plasma“ zu nennen belieben. Die physikalischen und chemi- schen Bedingungen, unter welchen die Sonderung zu Stande kam, kennen wir nicht; ich wüsste auch nicht, dass die Pro- toplasma-Theorie hier, wie anderswo, irgend eine Thatsache zu Tage gefördert oder mit Hülfe von Molecular - Constructionen irgend etwas zur Erläuterung uuklar gebliebener Vorgänge bei- 424 ©. B. Reichert: getragen hätte. Chemische und physikalische Veränderungen des Zellinhaltes finden auch noch während der Saftströmung statt und führen zu Stockungen’ in derselben und schliesslich zum Stillstande. Dass hierbei zunächst die Substanzen der Mantelschicht in Anspruch zu nehmen sind, und dass demge- mäss die Mantelflüssigkeit selbst in einer und derselben Pflanze als eine nach Beschaffenheit und Menge veränderliche Substanz aufgefasst werden müsse, ist eine Forderung, welche wohl auf keinen Widerspruch stossen wird. Bei Hydrocharis m. r. sieht man öfters, dass in der Mantelflüssigkeit suspendirte dünne, vorwaltend aus zähflüssiger Eiweisssubstanz bestehende Häut- chen sich allmählich ausbreiten, flockig werden und schliesslich ganz dem Auge sich entziehen, während die darin eingelesten molecularen Körperchen (Chlorophylikörperchen?) frei sich fort- bewegen. Ich habe diese Erscheinung nur als eine Lösung des vorwaltend aus zähflüssigem Eiweiss bestehenden Häutchens in der Mantelflüssigkeit deuten können, so dass hiernach auch der Eiweissgehalt der Mantelflüssigkeit vielfachen Schwankungen unterliegen mag. In der Mantelflüssigkeit finden sich nicht selten krystalli- nische Bildungen von ausserordentlicher Kleinheit suspendirt vor, die unter günstigen Umständen in moleculare Bewegung gerathen. Bei Yydrocharis m. r. zeigten sie unbestimmte stern- förmige Configuration; bei der Brennnessel liess sich ganz deut- lich die Krystallform des oxalsauren Kalkes erkennen. Man darf dieselben jedenfalls als aus der Mantelflüssigkeit ausge- schieden betrachten. Bei allen Saftströmungen der Pflanzenzellen ist die „Mantel- flüssigkeit“ ein, sogar der einzige, primär in Bewegung begriffene Bestandtheil der „Mantelschicht“. Bei den Charen und bei den Hydrocharideen, bei welchen viele frei sich bewegende Körperchen vorkommen, kann die Bewegung der Mantelflüssigkeit kaum Gegenstand einer Controverse sein; man spricht gewöhnlich schlechtweg von den in dieser Flüssig- keit suspendirten Körperchen als solchen, die nur passiv darin mitbewegt werden. Dass aber die Mantelflüssigkeit bei allen Saftströmungen sich wirklich in Bewegung befindet, muss aus Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 425 dem Verhalten der darin suspendirten Bestandtheile bei ihrer Bewegung gefolgert werden. Dieselben bewegen sich nämlich, sofern sie nicht durch Adhäsionskräfte bei Annäherung anein- ander oder an die Cellulosekapsel alterirt werden, vollkommen ruhig, sie rotiren und schwanken nicht. Ein solches Verhalten der frei schwimmenden DBestandtheile wäre jedenfalls nicht möglich, wenn die Mantelflüssigkeit in Ruhe sich befände; es ist überhaupt nur unter der Bedingung zu begreifen, dass die Bewegung der bezeichneten Bestandtheile nur passiv in der ursprünglich rotirenden Mantelflüssigkeit erfolge. In der Mantelflüssigkeit suspendirt, oder unter Umständen von derselben umflossen, befindet sich der zweite Bestandtheil der Mantelschicht: die festen und zähflüssigen Substanzen. Bei Hydrocharis m. r. lassen sich unterscheiden: kleine runde Körperchen, krystallinische Bildungen und die zähflüssige Substanz; ein Kern war nicht sichtbar zu machen. Die run- den Körperchen und die krystallinischen Bildungen schwimmen gewöhnlich in grösserer Zahl frei in der Mantel- flüssigkeit; sie adhäriren aber auch, entweder schnell vorüber- gehend oder längere Zeit, an der zähflüssigen Substanz und er- scheinen in letzterer eingebettet. Der Durchmesser der runden Körperchen übersteigt nicht !/goo P. L. Viele derselben sind kleiner, auch bei den stärksten Vergrösserungen punktförmig und nicht zu messen. Chemische Eigenschaften liessen sich nicht feststellen, und es bleibt daher unbestimmt, ob sie alle von gleicher Beschaffenheit sind. Die grösseren unter ihnen besitzen eine kräftige dunkele Randzeichnung und eine schwach gelbliche Färbung; es sind wahrscheinlich Chlorophyllkörper- chen. Von den krystallinischen Körperchen habe ich schon gesprochen; in einigen Fällen waren sie unter den frei beweg- lichen Körperchen nicht wahrzunehmen, auch an den der Un- tersuchung mehr zugänglichen zähen Substanzen nicht zu ent- decken. Die bezeichnete unregelmässig sternförmige Gestalt ist nicht immer an den Krystallbildungen deutlich ausgesprochen, doch sind dieselben von so ausserordentlicher Kleinheit, dass ich mich enthalten muss, irgend etwas Genaueres über die Be- schaffenheit der vorkommenden Krystalldrusen auszusprechen 426 C. B. Reichert: und so zur Entscheidung der Frage beizutragen, ob die vor- kommenden Krystallbildungen von gleicher oder verschiedener Beschaffenheit seien, und ob sie für sogenannte „Sternkörper* (Asteridien u. a.) gehalten werden dürfen, Die zähflüssige Substanz der Mantelschicht ist nach ihrem chemischen Verhalten und in Betreff ihrer physikalischen Eigenschaft als eine eiweisshaltige zähflüssige Substanz zu be- trachten; sie enthält aber zum Theil adhärent, zum Theil ein- gelagert die vorhin beschriebenen festeren Substanzen der Man- telschicht und erscheint daher mehr oder weniger körnig und granulirt. Aus ihrem Verhalten bei der Rotation, namentlich mit Rücksicht auf die Erscheinung, die ich als Lösung derselben in der Mantelschicht beschrieben habe, muss man folgern, dass sie hinsichtlich ihres Cohäsionszustandes dem tropfbar-füssigen Zustande nahe steht und bei selbst leichten Anstössen in ihrem Cohäsionszustande wie in der Form veränderlich ist; sie ıst diejenige Substanz der Mantelschicht, welche H. v. Mohl bei Pflanzenzellen mit circulirendem Saftstrome „Protoplasma* genannt hat. Ich enthalte mich der Anwendung dieses Ausdruckes nicht allein, weil man denselben neuerdings in einem anderen, meist erweiterten Sinne, sogar für den ganzen Zellenkörper in ver- schiedener Auffassung gebraucht hat, sondern weil der Wissen- schaft durch den Gebrauch dieses Wortes nicht der geringste Vortheil, wohl aber grosse Nachtheile erwachsen sind. In vie- len Fällen mag der Gebrauch des Wortes „Protoplasma“ ganz unschuldiger Art sein; jüngere Forscher wollen eben nur be- merkbar machen, dass ihnen die neuesten Stichworte der Lite- ratur bekannt sind. Unschuldig willich es ferner nennen, wenn Jemand seine Freude daran hat, der Abwechselung wegen die Cylinderachsen der Nervenfasern Protoplasmafäden, das Knor- pelkörperchen Protoplasmakörperchen u: s. f. zu nennen. Von geringem Belange würde es noch sein, wenn solche Forscher hierbei sich einbilden, etwas Neues gefunden zu haben, und des Glaubens sind, dass unsere Kenntniss z. B. von den Bindesub- stanzgebilden erst dadurch die rechte Klarheit gewonnen hätte, dass man die Bindesubstanzkörperchen Protoplasmakörperchen Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 427 u. s. w. nenne. — Verfänglicher dagegen wird die Angelegen- heit, wenn man sich auf unsichtbare Molecular-Constructionen einlässt und ein Wohlgefallen daran findet, das Protoplasma aus undurchdringlichen Eiweisskrystallen mit Wasser-Atmo- sphären bestehend sich vorzustellen, weil bei einem Anscheine von Tiefe uns zugemuthet wird, den kleinen Krystallen und Wasser-Atmosphären zu Liebe unsere alltäglichen Erfahrungen in Betreff der Imbibitionsfähigkeit des festen Eiweissstoffes zu vergessen, um schliesslich nicht die geringste Aufklärung über uns vielleicht räthselhafte Eigenschaften der festen Cohäsions- zustände der Eiweisskörper zu gewinnen. Ein vollends trauri- ges Schauspiel gewährt es endlich, wenn das Wort Protoplasma — für die Zwecke der früheren Sarcode-, der Cytoblastem- oder irgend einer anderen Theorie — dazu verwendet wird, unbe- kannte Lebensvorgänge am Zellenkörper, wie ehedem mittelst des Wortes „Lebenskraft“, in einen dunkeln, alle weiteren Nachfragen beseitigenden griechischen Schleier zu hüllen, weil man dadurch das Fortschreiten wissenschaftlicher Forschung, das allein durch offene Einsicht in das, was wir nicht wissen, gefördert werden kann, zu Gunsten unreifer und sogar gehalt- loser Hypothesen zum Opfer bringt. Es ist unvermeidlich, dass meine Worte vielseitigen Anstoss erregen, denn der Gebrauch des Wortes „Protoplasma“ hat sich in der Literatur, so zu sagen, sehr schnell vollzogen; auch scheint bei vielen Forschern das Schicksal ihrer Wissenschaft davon abzuhängen. Wer aber nicht mit Worten spielt, der wird zugeben müssen, dass durch den Gebrauch des Wortes „Protoplasma* nicht ein einziger neuer Begriff in die Wissen- schaft eingeführt, nicht eine einzige bisher unerklärliche Er- scheinung erklärt, nicht eine erwiesene neue Thatsache zu Tage gefördert worden ist. Wenn man sich dahin vereinigen wollte, den noch bildungsfähigen eiweisshaltigen Bestand- theil des Zellinhaltes mit oder ohne Kern etwa im Sinne des alten „Urschleims“ und zum Unterschiede von einem Zell- inhalte, der nicht zellenbildungsfähig ist, „Protoplasma* zu nen- nen und alle anderweitigen Nebengedanken und Hypothesen so lange bei Seite liegen zu lassen, bis dieselben wissenschaft- 428 C. B. Reichert: lich begründet sind, so würde sich gegen ein solches Verfahren wenigstens nichts Erhebliches einwenden lassen. Die Wissen- schaft verlangt dann ‚aber auch, dass das Wort nicht gemiss- braucht werde und nur da Anwendung finde, wo es hingehört. Je gewissenhafter diese Forderung erfüllt wird, um so schwie- riger wird die Anwendung des Wortes „Protoplasma“ werden; man wird dieselbe Erfahrung machen, wie bei dem Worte „Cy- toblastem“, welches eine gleiche Bedeutung hat, wenn man die unerwiesenen Hinter- und Nebengedanken weglässt. Es kann schon in Frage gestellt werden, ob das Wort „Protoplasma“* bei den Zellen mit Saftströmung, also gerade da, wo dasselbe von H. v. Mohl zuerst eingeführt wurde, fernerhin noch angewen- det werden dürfe. Für das Verständniss der nachfolgenden Mittheilungen ist es jedenfalls vortheilhaft, das Wort „Protoplasma“ mit Allem, was drum und dran hängt, zu vergessen; unter keinen Umstän- den kann etwas sachlich dabei verloren gehen. Wir haben es mit der so eben beschriebenen, zähflüssigen, eiweisshal- tigen Substanz der Mantelschicht des Zellinhaltes zu thun, und diese kann bei A/ydrocharis m. r. zunächst in zwiefacher Anordnung vorkommen. Am häufigsten sieht man dieselbe in einer grösseren Anzahl frei schwimmender Stücke in der Mantelflüssigkeit ausgebreitet neben mehr ruhenden Massen, die gewöhnlich an den abgerundeten Enden, seltener auch noch im Zuge des Mantels der Cellulosekapsel angetroffen werden. In anderen, selteneren Fällen treten die frei schwimmenden Stücke mehr oder weniger, fast gänzlich zurück, und von den mehr ruhenden Massen an den Enden der Kapsel gehen in der Rich- tung des Stromes Fortsätze aus, welche gewöhnlich unter all- mählicher Verdünnung entweder nach dem entgegengesetzten Ende sich verlieren oder auch in der Mantelregion der Cellu- losekapsel sich fixiren; zuweilen zeigen sich Anastomosen zwi- schen benachbarten Fäden. Die Configuration der eiweisshal- tigen Substanz gleicht alsdann derjenigen, welche bei den Pflan- zenzellen mit sogenannter circulirender Saftströmung beobachtet wird. An einer und derselben Zelle kann die zähflüssige Substanz zu verschiedenen Zeiten in den beschriebenen beiden Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 429 Weisen angeordnet sein. Die Form und auch die Grösse der einzelnen gesonderten Stücke und Massen dieser Substanz sind, vorläufig noch abgesehen von den Veränderungen, die während des Strömens der Mantelschicht auftreten, so wechselnd und gemeinhin so regellos, dass von einer Beschreibung nicht die Rede sein kann. Neben schärfer abgegrenzten kugeligen Mas- sen schwimmen feine häutige Lamellen mit unbestimmter Be- grenzung oder langgestreckte, in Zacken und Fortsätzen aus- laufende Stücke und unförmliche flockige Partieen. Fortsätze verschiedener Länge und Dicke, verzweigt und unverästelt, finden sich öfters an den mehr ruhenden Massen vor. Erscheinungen an der Mantelschicht des Zellinhaltes, welche mit dem Saftstrome in mittelbarer oderunmittel- barer Beziehung stehen. Alle auf den Saftstrom bezüglichen und der Beobachtung zugänglichen Erscheinungen werden an den in der Mantelflüs- sigkeit suspendirten oder von derselben umflossenen Bestand- .theilen wahrgenommen; sie stellen sich mit der sogenannten Saftströmung ein und hören mit derselben auf. Entsagt man allen vorgefassten Meinungen, so wird man sich mit mir zu- nächst in dem Ausspruche vereinigen können, dass alle (Strö- mungs-) Erscheinungen an den mehr festen Bestandtheilen durch Ortsveränderungen, an den zähflüssigen durch Orts- und gewöhnlich auch durch Gestalts- oder Formverände- rungen sich zu erkennen geben. Die Ortsveränderungen im einfachsten Laufe werden bei Hydrocharis m. r. am häufigsten unter den Umständen be- obachtet, wenn die zähflüssige, eiweisshaltige Substanz in mög- lichst viele kleinere Stücke gesondert in der Mantelschicht auf- tritt; sie zeigen alsdann, von unvermeidlichen Störungen abge- sehen, jenes eigenthümliche Verhalten, durch welches man ver- anlasst wurde, die vorliegende Saftströmung mit dem Namen „Rotation“ zu bezeichnen. Die in der Mantelflüssigkeit suspen- dirten festeren Körperchen, sowie die gesonderten Stücke zäh- flüssiger Substanz bewegen sich in der einen Hälfte der Man- 430 C. B. Reichert: telschicht von einem Pole auf dem möglichst kurzen Wege, demnach parallel zur Längsachse, zum anderen Pole der eylin- drischen Cellulosekapsel, biegen daselbst um, und kehren in der zweiten Hälfte der Mantelschicht auf dieselbe Weise wieder zurück, um nach abermaliger Umbiegung diese Bewegung zu wiederholen. Die in Bewegung befindlichen Bestandtheile der Mantelflüssigkeit verhalten sich hierbei völlig ruhig; sie selbst rotiren gewöhnlich nicht, auch wenn sie kugelrund sind; sie verrathen nicht das geringste Zeichen einer Schwankung oder Drehung, die sich auf ein in der Mantelflüssigkeit ihnen ent- gegenstehendes Hinderniss zurückführen liesse; sie müssen, wie schon darauf hingewiesen ist, als Substanzen angesehen werden, welche in der ursprünglich und eigentlich rotirenden Mantel- Nüssigkeit schwimmen und durch dieselbe und mit ihr passiv in Bewegung gesetzt werden. Die regelmässige rotirende Bewegung der in der Mantel- flüssigkeit suspendirten Bestandtheile zeigt Unterschiede in der Bewegungsgeschwindigkeit; grössere Stücke werden natürlich langsamer als kleinere mitbewegt. In der Nähe der Cellulosekapsel und der Zellflüssigkeit, die beide bewegungslos sind, nimmt die Bewegungsgeschwindigkeit der rotirenden Man- telflüssigkeit ab, und dies zeigt sich sofort durch Verlangsamung der Bewegung aller in ihr suspendirten Bestandtheile.. Auch anderweitige Veränderungen und Störungen in der re- gelmässigen Bewegung fehlen niemals, sie werden aber . am auffälligsten, wenn grössere gesonderte Stücke der zähflüs- sigen Masse vorliegen; sie geben sich zu erkennen: durch Ab- weichung von der regelmässigen rotirenden Bahn, durch Ver- langsamung der Bewegung und durch den Uebergang in den Ruhezustand, endlich im letzteren Falle bei den kleineren feste- ren Körperchen durch das Auftreten der Molecularbewegung. Alle diese Veränderungen und Störungen lassen sich ungezwun- gen auf zwei Ursachen zurückführen: auf Unregelmässigkeiten in der Bewegung der Mantelflüssigkeit selbst und auf Adhä- sionseinflüsse, welche die Cellulosekapsel und die ruhende Zellflüssigkeit auf die in der Mantelflüssigkeit schwimmenden Bestandtheile, sowie diese auf einander, ausüben. Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 431 Was zunächst die durch die rotirende Mantelflüssig- keit bedingten Veränderungen oder Störungen betrifft, so beobachtet man nicht selten, dass namentlich die in den un- mittelbar neben einander und in entgegengesetzter Richtung sich bewegenden Strömen der Mantelflüssigkeit suspendirten kleine- ren festeren Bestandtheile aus einem Strome in den anderen übertreten und demgemäss an einem beliebigen anderen Orte, als an den Polen, in eine entgegengesetzte Bewegung übergehen. In anderen Fällen kann die reguläre Bewegung der Mantelflüs- siekeit durch ruhende Stücke der zähflüssigen Substanz gestört und abgeändert sein, und dies zeigt sich denn selbstverständ- lich auch an den in derselben schwimmenden Bestandtheilen. So salı ich, dass das Lumen der Cellulosekapsel etwa in der Mitte des Hohleylinders durch zähflüssige Substanz vollständig verstopft;wurde, und dass in Folge dessen der einfache Rota- tionsstrom in zwei sonst regulär sich verhaltende Ströme ge- theilt wurde. In einem anderen Falle lag eine solche ruhende Masse in einiger Entfernung von dem einen Pole, doch so, dass die Verstopfung nicht vollständig erfolet war, sondern auf der einen Seite den Zutritt der Mantelflüssigkeit zu dem abgeson- derten Ende der Cellulosekapsel gestattete. Die heranziehende Mantelflüssigkeit wurde hier in zwei Ströme getheilt. Der eine machte diesseits (nach dem mittleren Querschnitte der Cellu- losekapsel zu) die gewöhnliche Umbiegung und ging in die rückläufige Bahn über. Der zweite trat durch den Spalt in den Blindsack hinein, wurde dann von der entgegenstehenden Wand zurückgeworfen und gerieth entweder in diesem Blind- sacke in Rotationsbewegung, oder gelangte durch den Spalt in die Bewegung des ersten Stromes wieder hinein. Die be- schriebenen Bewegungen waren an allen in der Mantelflüssig- keit suspendirten Bestandtheilen, auch an der zähflüssigen Sub- stanz, ganz unzweideutig ausgesprochen. Die durch Adhäsion bedingten Störungen werden am auffälligsten an den gesonderten Stücken der zähflüs- sigen Substanz, namentlich wenn dieselben ein grösseres Volumen besitzen. Ihre Bewegung wird langsamer: die Stücke schwanken und drehen sich; sind sie von kugeliger Form, so 432 C. B. Reichert: gerathen sie in Rotationsbewegung; an jeder beliebigen Stelle der Cellulosekapsel kann schnell vorübergehend oder andauern- der ein Stillstand in ihrer Bewegung auftreten. Die günstigsten Stellen für die Stockung liegen an den Polen der Cellulose- kapsel, an der Umbiegungsstelle des Saftstromes. Hier häuft sich gewöhnlich die zähe Substanz an und bildet eine Ver- schlammung, eine Art Barrikade für die Bewegung des Saft- stromes. Ist hier’die zähe Masse in grösserem Umfange ange- häuft, so lassen sich die Störungen, welche die strömende Man- tellüssigkeit und die darin frei schwimmenden Bestandtheile in ihrer Bewegung erleiden, nur in seltenen Fällen genauer verfolgen. Unter günstigeren Umständen sieht man einzelne heranschwimmende Stücke der zähen Substanz an der freien Seite der Barrikade zugleich mit der Mantelflüssigkeit sich um- biegen und ungestört die Rotationsbewegung vollführen. Die meisten Stücke gerathen in die angehäufte Masse hinein , ver- einigen sich mit derselben oder bewegen sich durch etwa vor- handene Lücken hindurch und erreichen auf Umwegen noch den regulären Strom. Unter den aus der aufgehäuften Masse in den Saftstrom wieder eintretenden Stücken zäher Substanz befinden sich gewöhnlich auch solche, die unter den Augen des Beobachters durch die strömende Mantelflüssigkeit abgerissen und dadurch flott gemacht werden. Die Adhäsionsstörungen inder Bewegungderklei- nen festen Körperchen und Krystalle sind zwar schwie- riger zu beobachten, aber nicht minder häufig als die der zäh- flüssigen Substanzstücke. Gerathen dieselben in die Nähe der Cellulosekapsel, so wird auch ihre Bewegung langsamer, sie zeigen Schwankungen, scheinen an der Cellulosekapsel fortzu- hüpfen und setzen sich entweder fest oder werden wieder flott. Mehrere Male beobachtete ich, dass die Körperchen während der Wechselwirkung, welche die Adhäsion der Cellulosekapsel und die strömende Flüssigkeit auf sie ausübten, in Ueberein- stimmung mit den Untersuchungen Hagen’s (Monatsberichte der Preuss, Akademie der Wissensch. zu Berlin; Juni 1865) in eine dicht an der Cellulosekapsel hinziehende, rückläufige Bewegung geriethen. Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 433 [2 Ueber die Art und Weise, wie die ruhende Zellflüssig- keit auf die Bewegung der in der strömenden Mantelflüssig- keit schwimmenden Bestandtheile influirt, weiss ich Genaueres nicht anzugeben; Verlangsamung der Bewegung, oder wie man zu sagen pflegt, Abnahme der Bewegungsgeschwindigkeit der „Protoplasmaströmne* macht sich deutlich bemerkbar; niemals habe ich die kleineren festen Körperchen in die Zellflüssigkeit selbst eintreten sehen. Selbstverständlich aber können die Adhäsionswirkungen zwischen der zähflüssigen Substanz undden festeren kleinen Körperchen nicht ausbleiben; sie sind in der That bei einiger Aufmerksamkeit leicht zu verfolgen. Es sind hier in der Nähe der zähflüssigen Substanzstücke wesentlich diesel- ben Bewegungserscheinungen der kleinen festen Körperchen und Krystalle wahrzunehmen, wie an der Wand der Cellulose- kapsel; nur haften die Körper leichter und ausdauernder an der zähflüssigen Masse. Verwickelter, doch gewöhnlich in den Einzelnheiten nicht genau zu verfolgen, sind die durch Adhäsion bewirkten Störungen in der Bewegung der festen kleinen Körperchen an den Umbiegungsstellen, wenn daselbst zähflüssige Sub- stanz in grösserer Masse angehäuft liegt; es kommen hier gleich- zeitig die Adhäsionskräfte der Cellulosekapsel und der zähflüs- sigen Substanz zur Geltung, und ausserdem kann die reguläre Strömung der Mantelflüssigkeit in verschiedener Weise abge- ändert sein. In Betreff der Bewegungserscheinungen fester kleiner Körperchen glaube ich nur auf eine aufmerksam ma- chen zu müssen, nämlich auf die hier auftretende Molecular- bewegung derselben. Bewegungen mit dem Charakter der Molecularbewegung fehlen auch anderen Stellen der Mantel- schicht nicht. Oefters bemerkt man, dass die kleinen festen Körperchen in der Nähe der Cellulosekapsel oder der zähflüs- sigen Substanz einige Bewegungen mit dem Charakter der Mo- lecularbewegung vollführen, bevor sie entweder sich festsetzen, oder mit der strömenden Mantelflüssigkeit fortziehen. Man darf wohl annehmen, dass in solchen Fällen die genannten Kör- perchen in die ruhende Schicht der Mantelflüssigkeit hineinge- Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv. 1866. 28 434 C. B. Reichert: rathen waren, und dass in Folge dessen die Molecularbewegung sich geltend gemacht habe. Solche Stellen nun, an welchen die strömende Mantelflüssigkeit zur Ruhe gelangt, finden sich am häufigsten in jenen Aushöhlungen und Lücken vor, welche durch die Anhäufung der zähen Substanz an den Polen sehr häufig entstehen. Die Molecularbewegungen der festen klei- nen Körperchen und Krystalle sind daher am häufigsten in der Umgebung und zwischen den aufgehäuften Massen an den Polen der -zähen Substanz ‚zu beobachten. Der rotirende Saftstrom bei Hydrocharis m. r. kann sich, wie schon angedeutet, in einen eirculirenden verwandeln und umgekehrt. Man bemerkt dann regelmässig, dass beim eirculirenden Saftstrome die zähflüssige eiweisshaltige Substanz an Cohäsionskraft gewonnen hat und zäher geworden ist. Un- ter solchen Umständen tritt am häufigsten die Anhäufung zäh- flüssiger Substanz an den Polen auf, und es erfolgt dann auch sehr leicht ein Uebergang in die von mir beschriebene ver- ästelte Anordnung und Form. Ist diese Anordnung der zäh- flüssigen Substanz vorherrschend ausgesprochen und sind die frei schwimmenden Stücke entweder auf eine geringe Zahl oder gänzlich eliminirt, so hat der Saftstrom den Charakter der Cir- culation angenommen, dann bietet er auch mikroskopische Bil- der dar, die uns lebhaft an die Contractilitätsbewegungen der Rhizopoden, an deren sogenannte Körnchenbewegung u. s. w. erinnern. Diese Aehnlichkeit wird noch durch das auffällige Auftreten von Fortsätzen und Knötchen oder Wülsten an der zahen Substanz vermehrt. Ueber diese Formveränderungen werde ich mich später aussprechen; die zunächst liegende Auf- gabe ist die, die Erscheinungen an den in der Mantelflüssigkeit suspendirten Bestandtheilen hervorzuheben, unter welchen die Rotation sich in Circulation verwandelt oder umgekehrt. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist sogar sehr leicht, da sich stets die Gelegenheit darbietet, die allmähliche Umwandlung an den zahlreichen Uebergangsstadien zu studiren. Es ergiebt sich bei dieser Untersuchung sehr bald als Resultat, dass bei der Umwandlung der Rotation in die Circulation die frei in der Mantelflüssigkeit schwimmenden Bestandtheile mehr und mehr Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 435 abnehmen, indem die gesonderten Stücke zähflüssiger Substanz zum Aufbaue der verästelten Form verwendet werden; die klei- nen festen Körperchen dagegen sind jetzt durch die divergirenden und zum Theil anastomosirenden Aeste in ihrer rotirenden Be- wegung gestört und durch Adhäsion an die zähflüssige Substanz herangezogen. Je vollständiger dies geschieht, um so mehr tritt der Charakter der Cireulation auf; letztere kann wieder allmählich theilweise oder ganz schwinden und in Rotation sich verwandeln, sobald die zähflüssige Substanz in einzelne geson- derte, frei schwimmende Stücke sich auflöst, und ein rascherer Strom der Mantelflüssigkeit grössere Gewalt über die festeren kleinen Körperchen gewinnt und die bisherigen Adhäsionsstörun- gen überwindet. Ist die zähflüssige Substanz im Sinne des sogenannten $Saft- stromes mit Circulation angeordnet, so fehlt es auch nicht an Strängen und Abschnitten der Verästelung, die mit ihrer Längs- achse schräg oder selbst quer zur Stromesrichtung der Mantel- flüssigkeit gestellt sind. Zu den Bewegungserscheinungen, die als nothwendige Folgen dieser Anordnungen hervortreten, rechne ich das öfter bemerkbare Schwanken einzelner Fäden und Stränge, sowie die schon häufig beobachtete Verschiebung ein- zelner Theile oder selbst der ganzen verästelten Masse, so dass dieselbe aus der gerade vorliegenden mittleren Region der Cel- lulosekapsel gegen den Rand hinbewegt wird. Während des Saftstromes zeigen sich Gestalt- oder Form- veränderungen und Verschiebungen an und in der Masse der eiweisshaltigen, zähflüssigen Substanz. Sie gehören zu den Erscheinungen, welche die Aufmerksamkeit des Beobachters besonders in den Fällen in Anspruch nehmen, wenn die zähflüssige Substanz an der Cellulosekapsel adhärirt, in verästelten Strängen angeordnet ist und von dem lebhaften Spiel der adhärirenden kleinen, festen Körperchen begleitet wird; durch sie ist man zu der Vorstellung von einer Strom- bewegung — Circulation, Protoplasmastrom — der zähflüssi- gen Substanz und zu dem Vergleiche mit den amöboiden Be- wegungen und den Contractilitäts-Erscheinungen bei Rhizopo- den gelangt. Ich habe bisher absichtlich auf diese Erscheinun- 287 436 C. B. Reichert: gen keine Rücksicht genommen, damit die Grundlage, auf wel- cher dieselben unbefangen verfolgt und geprüft werden müssen, sich rein erhalte. Die thatsächliche Grundlage für diese Prü- fung besteht aber darin, dass bei Yydrocharis m. r. zweifellos eine tropfbar-flüssige Mantelflüssigkeit in rotirender Strömung vorliegt, und dass in derselben passiv und unter mancherlei Adhäsionsstörungen neben festeren kleineren Körperchen die fragliche zähflüssige Substanz mitbewegt wird. Dass unter sol- chen Umständen Formveränderungen und Verschiebungen in der Masse der zähflüssigen Substanz vorkommen müssen, ist so selbstverständlich und so einfach, dass vielleicht die ganze An- gelegenheit mit dieser kurzen Hinweisung sich abschliessen liesse. Prüfung der Ansichten über die Saftströmung in den Pflanzenzellen. Bei dem gegenwärtigen Stande der Saftströmungslehre ist indess unabweislich, noch den möglichen Fall in’s Auge zu fassen, dass neben den Einwirkungen, welche die zähflüssige Substanz durch die strömende Mantelflüssigkeit und durch die Adhäsion erleidet, auch noch andere vorhanden sein können, die zugleich mit den beschriebenen Formveränderungen und Verschiebungen sich geltend machen. - Die besprochenen Be- wegungserscheinungen in der Mantelschicht machen es, wie mir scheint, unmöglich, hierbei an anderweitige äussere mitwir- kende Ursachen zu denken; man würde also in der zähflüssigen Substanz selbst wirksame ‚chemische oder physikalische Kräfte oder Contractilitätsbewegungen in Anspruch nehmen müssen. Für die Contractilitätsbewegungen ist in neuerer Zeit E. Brücke aufgetreten; seine Erläuterungen sind um so beachtenswerther, als sie sich auf Erscheinungen stützen, die von anderen For- schern nicht beachtet sind, und weil er der einzige Forscher ist, der die wissenschaftlich begründeten Erfahrungsgesetze der Contractilitätslehre in Anwendung bringt. Die neuesten Ar- beiten der Botaniker haben sich fast sämmtlich gegen die An- Ueber die Saftstromung der Pflanzenzellen u. s. w. 437 sicht, dass in der Saftströmung der Pflanzenzellen eine Con- tractilitätsbewegung verborgen liege, ausgesprochen; sie sind bemüht gewesen, durch eine speculative Molecularconstruction der zähflüssigen Substanz, durch Veränderlichkeit des Imbibi- tionsvermögens derselben (Hofmeister, Flora 1865, S. 10), durch Annahme chemischer Vorgänge, durch Auslösung von zwar hypothetischen, aber doch dem Saftstrome entsprechend sedachten Spannkräften (J. Sachs, Handbuch der physiolo- gischen Botanik, Bd. 4, S. 448 ff.) nicht etwa die eigentliche Aufgabe zu lösen, sondern nur auf die Möglichkeit einer Eir- klärung der in Rede stehenden Erscheinung hinzudeuten. Bei Prüfung der Erscheinungen des Saftstromes mit Rücksicht dieser beiden Ansichten muss man, wie schon bemerkt, von der thatsächlichen Grundlage ausgehen, dass bei Hydrocharis m. r. die zähflüssige Substauz neben an- deren kleineren festen Körperchen in der rotirenden Mantel- flüssigkeit schwimme und den Einflüssen derselben, sowie den Adhäsionsstörungen nothwendig unterliege. Daraus folgt selbst- verständlich für jede wissenschaftliche Forschung, dass man für Förmveränderungen und Verschiebungen an und in der zäh- flüssigen Substanz nicht andere Bewegungsursachen suchen dürfe, sofern dieselben in der gegebenen thatsächlichen Grund- lage ihre Erklärung finden und demgemäss daraus abgeleitet werden müssen. Neuere Ansichten der Botaniker über die Saftströmung in den Pflanzenzellen. In den neuesten Arbeiten der Botaniker finde ich nur eine Angabe, die unter solchen Umständen Beachtung ver- dient. J. Sachs behauptet (a. a. O. S. 451): „Die bewegen- den Kräfte (der Strömung des Protoplasmas) sind nicht eine Massenwirkung des protoplasmatischen Körpers, sondern sie gehen von den kleinsten Theilen desselben aus.“ Hiernach würden alle besprochenen Bewegungserscheinungen, sowie die Formveränderungen und Verschiebungen in und an der zäh- flüssigen Substanz auf Rechnung irgendwie wirksamer chemi- 458 C. B. Reichert: scher oder physikalischer molecularer Bewegungen gebracht werden müssen und nicht als einfache Massenbewegungen von der rotirenden Mantelflüssigkeit und den Adhäsionsstörungen abhängen. Bei den Erscheinungen aber, welche der Verfasser für diese Behauptung anführt, nimmt derselbe auf die gegebene thatsächliche Grundlage keine Rücksicht; ja es scheint ihm, wie den meisten Botanikern, unbekannt zu sein, dass man zwi- schen der rotirenden Mantelflüssigkeit und der darin schwim- menden zähflüssigen Substanz (Protoplasma) zu unterscheiden habe. Bei Zellen mit sogenanntem circulirendem Saftstrom wird vorausgesetzt, dass die rotirende Mantelflüssigkeit nicht vorhan- den sei; man spricht nur von Protoplasmaströmen, von Strom- fäden der zähflüssigen Substanz u. s. w. Bei den Charen, bei den Hydrocharen wird dann angenommen, dass die ganze roti- rende Mantelschicht an Stelle der Protoplasmaströme und Strom- fäden trete. Sobald man den angeführten Beispielen die that- sächliche Grundlage entgegenhält und zwischen rotirender Man- telflüssigkeit und den darin etwa schwimmenden Stücken oder Strängen der zähflüssigen Substanz unterscheidet, so verlieren dieselbe jegliche Beweiskraft und sind entweder auf Rechnung der rotirenden Mantelflüssigkeit zu bringen oder ergeben sich als Adhäsionsstörungen. Nach J. Sachs soll ferner die Gesammtheit der Erschei- nungen der „Protoplasmabewegungen“ deutlich zeigen, dass die letzteren nicht durch blosse Uebertragung von Kräften zu Stande komme, sondern dass durch irgend welche an sich unbedeutende Anstösse im Protoplasma gebundene Kräfte ausgelöst werden, „so dass eine auffallende Disproportionalität der sichtbaren (auch selbst nicht einmal nachweisbaren) Anstösse und der factischen Kraftwirkungen stattfindet“; u. s. f. Ich habe diesen Satz nur deshalb angeführt, weil er von Neuem den Beweis liefert, dass auch der Verf. zwischen der rotirenden Mantelflüssigkeit und der darin schwimmenden zähflüssigen Masse nicht unterscheidet und hiernach von beiden Etwas behauptet, was vielleicht für die rotirende Mantelflüssigkeit, wenn uns die bewegenden Kräfte bekannt sein werden, seine Richtigkeit haben könnte. Auf der gewonnenen thatsächlichen Grundlage für die Erläuterung des Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 439 Saftstromes in den Pflanzenzellen finde ich in solchen Behaup- tungen keinen Anhaltspunkt zu weiteren Discussionen über die angeregte Frage. Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass ein grosser Theil, sogar sämmtliche sichtbare Bewe- gungserscheinungen im Saftstrome der Pflanzenzellen, von den Molecularbewegungen freier Körnchen abgesehen, nur durch „blosse Uebertragung von Kräften“ zu Stande kommen und als reine, durch die rotirende Mantelflüssigkeit bewirkte und unter Adhäsionsströmungen ablaufende Massenbewegungen anzusehen seien; als einzige in Betreff der Bewegungsursachen unbekannte Bewegungserscheinung hat sich die Rotation der „Mantelflüssig- keit“ herausgestellt. Auf diesem Standpunkte wäre es die nächste Aufgabe der physiologischen Botanik, welche die Contractilitätsfrage nicht anerkennt, die physikalischen und chemischen Ursachen zu ermitteln, durch welche die Rotationsbewegungen der „Mantelflüssigkeit“ herbeigeführt werden. Daraus würde sich ergeben, inwie- fern dieselben als moleculare Thätigkeit oder als Massenbewegung aufzufassen seien. Ein gehalt- und fruchtloses Bemühen aber wäre es, auf Erörterungen gegenüber Behauptungen sich einzu- lassen, welche die thatsächliche Grundlage nicht anerkennen, auch nicht einmal kennen und ausserdem keine Beobachtungen aufzuweisen haben, welche durch ihren Widerspruch zu Dis- cussionen Veranlassung geben könnten. Der Saftstromin den Brennhaaren von Urtica urens und Prüfung der Ansicht E.Brücke’s über dieselben mit Rück- sicht auf die Contractilitätsfrage. Ich wende mich nun zur Prüfung derjenigen Erscheinun- gen im Saftstrome der Pflanzenzellen, welche als Contrac- tionsbewegungen gedeutet worden sind. E. Brücke war der Erste, welcher den bisherigen Angaben über das thatsächliche Verhalten der Zellsafteirculation entgegentrat (Die Elementarorganismen, Wien 1861; S. 403, Anmerkung). Seine Untersuchungen sind an den Brennhaa- ren der Nesseln angestellt. In einer präciseren Fassung 440 C. B. Reichert: hat derselbe seine Ergebnisse und Ansichten in der zweiten Mittheilung (Das Verhalten der sogenannten Protoplasmaströme in den Brennhaaren von Urtica urens: Sitzungsbericht d. Kais. Akad. d. Wiss. zu Wien; Bd. XLVI, 20. Juni 1862) nieder- gelegt. Der Verf. unterscheidet in der circulirenden Mantel- schicht dieselben drei Bestandtheile, die bei Hydrocharis m. r. so deutlich hervortreten: die rotirende Mantelflüssigkeit, die darin schwimmenden festeren kleineren Kügelchen und Körper- chen und die zähflüssige, eiweisshaltige Substanz, das angeblich contractile „Protoplasma“. Der Verf. nennt jedoch die ganze Mantelschicht des Zellinhaltes den „Zellenleib“ und stellt sich vor, dass die rotirende Mantelflüssigkeit mit den Körnchen die zähflüssige Substanz so durchströme, wie etwa das Blut den Thierleib; an der Basis der Zelle sei dieselbe in eine vermöge der leisten- und wulstartigen Vorsprünge unregelmässige Höhle des contractilen „Protoplasmas“ eingeschlossen. An der zäh- flüssigen Substanz, an deren Strängen und Fäden, ist nach .E. Brücke eine fliessende Bewegung nicht vorhanden; soge- nannte Protoplasmaströme existiren nicht; der Schein einer fliessenden Bewegung werde vielmehr durch Contractionsbewe- gungen, Contractionswellen der zähflüssigen Substanz und durch die adhärirenden Körnchen hervorgerufen. „Man wird sich“, sagt der Verfasser (a. a. O. S. 2), „durch das Fort- rücken der Wülste nicht täuschen lassen, zu glauben, dass das sogenannte Protoplasma fliesse; denn man weiss, dass eine Con- tractionswelle der Länge nach über eine ganze Muskelfaser ab- läuft und schliesslich alle Theile derselben doch wieder am alten Orte sind. Selbst wenn ein singulär gebildeter Theil des Zellenleibes durch das ganze Sehfeld fortrückt, darf man sich - dadurch nicht verführen lassen, in den alten Irrthum zurück- zufallen. Ich habe solche Theile verfolgt und gefunden, dass sie endlich still stehen und dann langsam wieder gegen ihren früheren Ort hin zurückkehren.* Für seine Ansicht, dass die zähflüssige Substanz contractil sei, sollen namentlich die wulst- artigen Hervorragungen und Fortsätze sprechen, welche am Ba- saltheile der Zelle aus der zähflüssigen Substanz langsamer oder schneller hervorgetrieben werden und plötzlich oder nach eini- Ueber die Saftstromung der Pflanzenzellen u. s. w. 441 ger Zeit wieder verschwinden. Durch Einwirkung des Magnet- elektromotors werden die Bewegungen unregelmässiger, heftiger und bei längerer Dauer und erhöhter Stärke gänzlich aufgeho- ‘ben, worauf daun das Absterben des Zellenleibes erfolge. Die Brennhaare der Urtica urens gehören nach meinen Er- fahrungen zu den ungünstigsten Untersuchungsobjecten in Be- treff der Saftströmung, nicht allein wegen der Beschaffenheit der Cellulosekapsel, sondern auch wegen der grossen Menge und Schwerflüssigkeit oder der Schwerbeweglichkeit der zähen eiweisshaltigen Substanz. Es ist hier viel schwieriger als bei Hydrocharis m. r., die drei Bestandtheile der Mantelschicht genau zu scheiden und ihr Lagerungsverhältniss zu einander, sowie die Art der Betheiligung bei der Saftströmung zu über- sehen. Die zähflüssige Substanz ist in grösserer Menge an der Basis der kegelförmigen Cellulosekapsel um den Kern daselbst, sodann an der Spitze und in seltneren Fällen auch an irgend einer Stelle der Mantelregion des Hohlkegels angehäuft und an der Wand adhärent. Die aufgehäuften Massen werden durch schmälere oder breitere Lamellen, Bänder und durch mehr cy- lindrische Stränge oder Fäden, denen auch Anastomosen nicht fehlen, in Verbindung gesetzt; sie können an der Wand adhä- riren oder auch ganz oder nur zum Theil frei flottiren. Aus- serdem zeigen oder entwickeln sich unter den Augen des Be- obachters jene frei endigenden Fortsätze und Vorsprünge von verschiedenen und in der Zeit wechselnden Formen. Aber auch die übrige Masse der zähflüssigen Substanz‘ unterliegt einem fortdauernden Wechsel in ihrer Anordnung, namentlich wenn der Saftstrom im lebhaften Gange ist. Die an den Enden auf- sehäuften Massen nehmen an Menge zu und ab und verändern ihre äussere Form; in der Mantelregion zeigen sich Anhäufun- gen mehr ruhender Substanz ; die Verbindungsbänder und Stränge verändern ihre Zahl, auch ihre Form; ein dicker Ver- bindungsfaden wird unter den Augen des Beobachters dünner, endlich reisst er, und die frei gewordenen Stücke ziehen sich entweder auf die mehr ruhenden Massen zurück oder legen sich an die Öellulosekapsel oder an einen nahen Verbindungs- strom an. 442 C. B. Reichert: Die zähflüssige Substanz erscheint feinkörnig, granulirt, und diese Zeichnung ist durch eingelagerte kleine Körnchen, mehr noch durch adhärirende und in ihrer schwimmenden Bewegung durch Adhäsion gestörte kleine Kügelchen und mikroskopi- sche Krystalle (oxalsaurer Kalk) bedingt. Es ist, wie schon angeführt, das besondere Verdienst Brücke’s auf diese frei, in einer gesonderten Flüssigkeit, der Mantelflüssigkeit, schwimmenden Körnchen hingewiesen zu haben. Bei flüch- tiger Beobachtung kann es leicht scheinen, als ob man es ge- rade bei den Brennhaaren der Urtica urens nur mit einer als continuirliches Ganzes in der Mantelregion des Zellinhaltes sich ausbreitenden, körnchenreichen zähflüssigen Substanz (Proto- plasma) zu thun hätte. Sehr täuschend ist in dieser Beziehung — aus nahe liegenden Gründen — das Bild des optischen Querschnittes der Seitenwände der kegelförmigen Cellulose- kapsel; es war vielleicht die Veranlassung, dass Brücke über das räumliche Verhalten der rotirenden Mantelflüssigkeit zu der zähflüssigen Substanz nicht genügend klar sich ausgesprochen hat. An der Basis der Zelle ist die Mantelflüssigkeit mit den darin suspendirten Körnchen in den Lücken zwischen den da- selbst aufgehäuften Massen der zähflüssigen Substanz auch im optischen Querschnitte unverkennbar; sie zeigt sich hier sowohl nach innen von der zähflüssigen Substanz als nach aussen, d.h. zwischen der Wand der Cellulosekapsel und zwischen der zäh- flüssigen Substanz. Dass die zähflüssige Substanz auch in der Mantelregion keine continuirliche Masse bildet, sondern zwischen den Verbindungslamellen und Strängen, sowie zwi- schen den etwa fein endigenden Fortsätzen Lücken lässt, in welchen die rotirende Mantelflüssigkeit nach innen und aussen vorbeiströmt, davon überzeugt man sich leicht bei Einstellung des Focus des Mikroskops auf die Fläche der Mantelschicht und bei Beachtung des Verhaltens der in der rotirenden Man- telflüssigkeit frei schwimmenden Körnchen, sowie der etwa vor- handenen Krystalle. Die zähflüssige Substanz wird daher von der rotirenden Mantelflüssigkeit, wie bei Hydrocharis m. r. all- seitig umflossen, so weit es die Adhäsionsverhältnisse gestatten, und diese sind sowohl an ihrer Aussenfläche als an der Innen- Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 443 fläche (Zellflüssigkeit) vorhanden; man kann nicht sagen, dass sie darin schwimmen, weil frei schwimmende Stücke nicbt vor- kommen und die Adhäsionen an der Cellulosekapsel zu um- fangreich sind. Dem thatsächlichen Verhalten nach würde man sich dahin aussprechen müssen, dass die zähflüssige Substanz bei Urtica urens gewöhnlich an der Basis und Spitze der Cel- lulosekapsel adhärire und mittelst verbindender Stränge und Lamellen oder auch mittelst frei endigender Fortsätze in die rotirende Mantelflüssigkeit hineinrage. Dass auf diese Anord- nung der zähflüssigen Substanz die strömende Mantelflüssigkeit eingewirkt hat, ist im hohen Grade wahrscheinlich, dass sie gegenwärtig ihre Einwirkung auf dieselbe ausüben muss, ist selbstverständlich. Hieran schliesst sich nun die Frage, ob die an der zäh- flüssigen Substanz der Brennhaare von Urtica urens sichtbaren Formveränderungen und Bewegungen ein- fach von der Einwirkung der strömenden Mantelflüssigkeit ab- geleitet werden können und dann, wie mir scheint, auch abge- leitet werden müssen, oder ob dieselben so eigenthümlicher Art sind, dass man sie nach E. Brücke als Contractilitätserschei- nung anzusehen habe. Bei Lösung dieser Aufgabe sind selbst- verständlich nur die primären Contractionsbewegungen, nur die Verschiebung der Theilchen für den activen und Ruhezustand mit den entsprechenden Form- und Lageveränderungen in und an der contractilen Substanz selbst, zur Vergleichung in Be- tracht zu ziehen; alle erst secundär, d. h. in Folge der mecha- nischen Wechselwirkung der primären mit der Umgebung ein- tretenden Bewegungserscheinungen müssen ausgeschlossen blei- ben. (Vergl. meine Abhandlungen: „Ueber die neueren Refor- men in der Zellenlehre*, dieses Archiv 1865, Nachtrag 2 —; und „Ueber die contractile Substanz niederer Thiere u. s. w.“, a. a. 0. $. 749 ff.) | In Betreff der angeführten thatsächlichen Grundlagen für die Beantwortung der aufgestellten Frage muss ich zunächst vorausschicken, dass rotirende Bewegungen in den Strängen der zähflüssigen Substanz wirklich vor- kommen. Brücke hat allerdings darin Recht, dass im All- 44 GB. Reichert: gemeinen eine sogenannte Protoplasmaströmung nicht vorhan- den sei, wenigstens nicht immer sicher nachgewiesen werden könne, und dass sich die Beobachter durch die in der rotiren- den Mantelflüssigkeit suspendirten und in der Nähe der Stränge zähflüssiger Substanz hinziehenden Körperchen haben täuschen lassen. Es giebt in der That Verbindungsfäden und -Stränge, die nach Abzug der gelegentlich adhärirenden beweglichen Körperchen auch nicht die geringste Spur einer rotirenden Be- wegung verrathen. Die feineren Fäden erscheinen gewöhnlich ganz hyalin, die stärkeren dagegen führen ein- oder angela- gerte Körperchen, die längere Zeit vollkommen still stehen; da sie überdies zwischen mehr ruhenden Massen der zähflüssigen Substanz ausgespannt sind, so muss zugegeben werden, dass die Substanz in ihnen. weder eine eigene Strombewegung be- sitzt, noch an der Rotationsbewegung der Mantelflüssigkeit be- theiligt ist. Gegen Brücke muss ich indess hervorheben, dass unter Umständen die Substanz in den Verbindungssträngen wirklich rotirend oder eirculirend ihren Ort verändert, d.h. wie die Mantelflüssigkeit von dem einen Pole der Cellulose- kapsel, von der Basis, zum anderen Pole, zur Spitze hin, sich fortbewegt und entweder von der Spitze oder durch Vermitte- lung eines Seitenstranges in die rückläufge Bahn eingeht und zur Basis zurückkehrt. Die Bewegung ist an den stärkeren Strängen langsamer als an den feineren, doch niemals schneller als die Bewegung der in der Mantelflüssigkeit frei schwimmen- den Körperchen. Man mag diese Bewegung ein Strömen oder Fliessen nennen; man darf aber nicht vergessen, dass die eiweisshaltige Substanz gerade bei Urtica urens zu den schwer beweglichen zähflüssigen Substanzen gehört. Ich beziehe mich bei Begründung dieser Rotationsbewegungen der zähflüssigen Substanz in den Brennhaaren weniger darauf, dass in die Fä- den scheinbar eingelagerte Körperchen die entsprechende Be- wegung vor unseren Augen ausführen, da das wirkliche Ein- gelagertsein der Körperchen kaum mit genügender Schärfe durch Beobachtung festgestellt werden kann. Man sieht aber öfters, dass Stücke der ruhenden Substanz an der Basıs oder der Spitze der Cellulosekapsel in der Richtung des Stromes Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 445 der Mantelflüssigkeit auf die Verbindungsstränge vorrücken und als knotige Anschwellungen sammt allen an- oder eingelagerten Körperchen und Krystallen nach dem entgegengesetzten Pole fortbewegt werden, um daselbst, wenn nicht Adhäsionsstörungen eintreten, in die rückläufige Bahn einzugehen. Es sind also unter die sichtbaren Bewegungen der zähflüssigen Substanz bei Urtica urens auch die mehr oder weniger ausgebreiteten Rotations- oder Circulationsbewe- gungen aufzunehmen. Ausserdem wäre die von E. Brücke hervorgehobene Bildung frei hervortretender oder an den Ver- bindungssträngen fortziehender Wülste und Fortsätze in Be- tracht zu ziehen. Die Formveränderungen stehen entweder mit diesen Bewegungen in Verbindung, oder sie geben sich durch Abänderungen zu erkennen, welche die gesammte Anordnung der zähflüssigen Substanz während der Beobachtung unmerklich erleidet. Zu Beweisen, dass in dem Saftstrome Contractilitätsbewe- gung zu suchen sei, haben bei Unger und mehreren Zoologen die Rotations- und Circulationsbewegung der zäh- flüssigen Substanz („Protoplasmaströme*), bei E. Brücke das Hervor- und Zurücktreten der Wülste und Fort- sätze gedient. Nur diese letzteren Bewegungserscheinungen können bei der angeregten Frage heutzutage Gegenstand einer wissenschaftlichen Controverse sein. Rotations- oder Circula- tionsbewegungen der zähflüssigen Substanz könnten möglicher- weise secundär durch eine andere thätige contractile Substanz im Zellinhalte zu Stande gebracht werden; allein als flies- sende oder Strombewegungen sind sie nach physiologi- schen Grundsätzen in keiner Weise zu primären Contractions- bewegungen zu verarbeiten und daher auch nicht zur Begrün- dung des Vorhandenseins contractiler Substanzen zu verwenden. Schon E. Brücke hat die von den Anhängern der Protoplasma- theorie leider wenig beachteten Worte ausgesprochen: „Die Bewegung war kein Fliessen, sie war eine Folge der Contracti- lität“ (a. a. O. S. 2). Man vergleiche hierüber auch die von demselben Verf. citirte Stelle S. 24. Die sogenannte „Körnchen- bewegung“ der Rhizopoden hatte allerdings die dunkle Vorstel- 446 C. B. Reichert: lung einer fliessenden Contractionsbewegung und bald darauf die contractilen „Protoplasmaströme* hervorgerufen. Dem Physio- logen musste diese Contractionsbewegung unverständlich bleiben. Die Contractionsbewegungen anerkannter contractiler Gebilde ge- ben sich durch den Wechsel bestimmter Formen für den activen und Ruhezustand zu erkennen ; — sie fordern demgemäss, dass die Theilchen in einer Richtung verschiebbar und beweglich seien, die gerade diesen Formen entspricht; — sie verlangen endlich, dass die Theilchen beim Uebergange aus dem activen in den Ruhe- zustand und umgekehrt genau wieder in die alte Stellung zu- rückkehren, dass also das Orts- und Lageverhältniss derselben im contractilen Gebilde, von der bezeichneten Verschiebung ab- gesehen, in keiner Weise gestört werde. Wie sollen diese ge- setzlichen Forderungen von einer fliessen den Substanz erfüllt werden? Die „Körnchenbewegung“ der Rhizopoden war zu allen Zeiten eine räthselhafte Erscheinung; die darauf gegrün- dete Hypothese fliessender Contractionsbewegungen war voreilig und unverständlich; nachdem vollends durch neuerdings festge- stellte Thatsachen der nebelhafte Fluss der „Körnchenbewe- gung“ beseitigt ist, da gehören die fliessenden Contractionsbe- wegungen und die angeblich contractilen „Protoplasmaströme“ nur noch zu den geschichtlichen Notizen. Anders verhält es sich mit den Formveränderungen und Bewegungserscheinungen, auf welche E. Brücke zur Be- gründung der contractilen Eigenschaft der zähflüssigen Substanz aufmerksam gemacht hat. Die Uebereinstimmung derselben mit den Contractionsformen und -Bewegungen anerkannter con- tractiler Gebilde namentlich mit den sogenannten amöbenartigen Bewegungen niederer Thiere, ist so gross, dass man dem Ver- suche, die zähe Substanz für contractil zu halten, kaum wider- stehen möchte. Die Brücke’sche Ansicht lässt sich gleich- wohl nicht halten. Was zunächst die Erscheinungen betrifft, unter welchen die in Rede stehenden Bewegungen vor sich gehen, so lehrt eine unbefangene Prüfung, dass dieselben mit denjenigen, die man bei Contractionsbewegungen beobachtet, nicht genau übereinstimmen, ihnen sogar widersprechen. Der Verfasser weist auf das Fortrücken von Wülsten hin, Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 447 welche, von den ruhenden Massen ausgehend, an den Verbin- dungssträngen zum anderen Pole hinziehen, dort still stehen und dann langsam wieder zum früheren Ort zurückkehren; — sie werden ohne Weiteres für Contractionswellen gehalten. Wer anhaltend Brennhaare beobachtet, wird auch solche fort- rückenden Wülste zu sehen Gelegenheit haben. Niemals sah ich sie auf derselben Bahn zurückkehren ; bewegen sich die Wülste über die ruhende Masse des entgegengesetzten Poles hinweg und weiter fort, so geschieht dieses allerdings in rück- läufiger Bahn, aber an einem anderen Verbindungsstrange, und zwar an einem solchen, der zur Region der zurückkehrenden rotirenden Mantelflüssigkeit gehört. Dieser Umstand würde die Deutung der Wülste als Contractionswellen nicht beeinträchti- gen, wenn die sonstigen Erscheinungen es zuliessen. Die Wülste enthalten aber nicht selten mikroskopische Krystalle oder ein genau zu verfolgendes Körperchen, und dann beobach- tet man, dass dieselben, wie schon erwähnt, zugleich mit dem Wulst fortbewegt werden; man hat es also mit einem in ganzer Masse seinen Ort beliebig verändernden sogar fliessenden Körper zu thun, der schliesslich zu einer wirklichen und ausdauernden Verschiebung und Ortsveränderung der Substanztheile in der zähflüssigen Masse führen kann und wirklich führt, — und die- ses steht mit jeglicher Contractionsbewegung im Widerspruche. Fehlen aber auch alle Abzeichen an den Wülsten, so ver- halten sich die letzteren in der Form der Bewegung we- sentlich anders, als wirkliche Contractionswellen. Man kennt die Contractionswellen an der gestreiften Muskelfaser und bei der sogenannten „Körnchenbewegung*. Sie sind mit Rücksicht auf die Fortpflanzung der Bewegung in der contractilen Masse und auch hinsichtlich der Erscheinung am besten mit den Was- serwellen zu vergleichen. An einem Ende oder an irgend einer beliebigen Stelle des contractilen Gebildes beginnt der Ueber- gang aus dem ruhenden in den activen Zustand, und während der letztere allmählich in den ruhenden Zustand wieder zurück- tritt, geht der angrenzende Abschnitt im continuirlichen An- schlusse in den activen Zustand über und so fort. Da an sol- chen Wülsten der langsam eintretende active Zustand als all- 448 ©. B. Reichert: mählich ansteigende Erhebung, der passive unter gleichen Um- ständen als allmählich abfallende Vertiefung sich zu erkennen giebt, so erscheint die Contractionswelle an einer gestreiften Muskelfaser, wenn man von den Veränderungen in den Distan- zen der Querstreifen absieht, genau so, wie wenn eine Wasser- welle von einem Ende zum anderen an der contractilen Sub- stanz der Muskelfaser sich fortbewegt. Sehr eigenthümlich und charakteristisch für diese Bewegungsform ist die Erscheinung, dass die an der Oberfläche fortziehende Erhebung oder Welle (Bergwelle) eine gewisse Unruhe und ganz bestimmt wahrnehm- bare Schwankungen zeigt, was in der Art, wie die Welle sich bildet und fortschreitet, seine Erklärung findet. Am auffallend- sten ist dieses Phänomen in der Körnchenbewegung, bei wel- cher die steil ansteigende und ebenso abfallende Contractions- welle unter dem mikroskopischen Bilde eines Körnchens an dem Wurzelfaden förmlich fortzuhüpfen scheint. Von diesen Schwankungen nun ist an den scheinbar auf den Verbindungs- strängen fortziehenden Wülsten auch nicht die geringste Spur zu bemerken; das Fortrücken derselben erfolgt, von zufälligen Adhäsions- oder Cohäsionsstörungen abgesehen, in so gleich- mässiger, ruhiger Haltung, dass man auf die Abwesenheit jeg- licher auf die Bildung von Contractionswellen berechneter Ver- schiebung der Theilchen in ihnen schliessen muss. Es giebt allerdings bei den häutigen contractilen Ge- bilden Bewegungsformen, welche dem äusseren Verhalten nach ausserordentlich den an den Strängen der zähen Substanz fort- rückenden Wülsten gleichen, an denen auch namentlich das Schwankende und Unruhige in der Bewegung nicht zu erken- nen ist. Ich weiss nicht, ob E. Brücke diese Erscheinung vor Augen gehabt hat, als er die fortrückenden Wülste der zäh- flüssigen Substanz mit Contractionswellen verglich. An Fort- sätzen des häutigen contractilen .Gebildes bei den Polythala- mien zeigen sich knotige Anschwellungen, die entweder längere Zeit an Ort und Stelle stehen bleiben oder auch lang- sam fortrücken; dieses Fortrücken geschieht gewöhnlich ohne sichtbare Schwankungen der Masse. Solche Wülste bilden sich hier nicht allein durch Contractionsbewegung der Theilchen in Ueber die Saftstromung der Pflanzenzellen u. s, w. 449 einem grösseren Umfange oder auch in verstärktem Maasse an einer bestimmten Stelle des contractilen Gebildes, sondern auch dadurch, dass zu einer schon activ gewordenen und in diesem Zustande verharrenden Masse aus der nächsten Umgebung neue in Action versetzte Elemente hinzutreten. Die Wülste sind da- her stets durch ihre Grösse vor den Knötchen einfacher Con- tractionswellen ausgezeichnet. Man weiss nun, dass die Verschiebung der Theilchen m einem contractilen Gebilde niemals mit einer bleibenden Orts- und Lageveränderung verbunden ist, und dass dagegen bei den fortrückenden Wülsten unserer zähflüssigen Substanz solche bleibenden Ortsveränderungen und ein Fliessen der Masse wirk- lich vorkommen. Daraus folgt, dass aus ihnen Oontractionsbe- wegungen nicht abgeleitet werden können. Das Fortrücken der Wülste bei den. Polythalamien u. s. w. muss mit Rücksicht auf die Gesetzlichkeit in der Bewegung contractiler Häute und der von ihnen gebildeten Fortsätze ge- deutet werden, welche jede reine, durch äussere Ursachen be- wirkte Massenbewegung ausschliessen. Das Fortrücken der Wülste ist dann entweder nur scheinbar und bezieht sich nicht auf eine Contractionsbewegung der Theilchen in der Wulst selbst, indem vielmehr der Fortsatz, an welchem der Knoten sich gebildet hat, vor oder hinter demselben an Länge zu- oder abgenommen; oder es ist wirklich vorhanden und dann kann es allerdings nur, wie bei Contractionswellen, durch eine am Fortsatze in der Richtung der Bewegung sich mehr ausbrei- tende Contractionsthätigkeit zur Wulstbildung kommen, wäh- rend zugleich in der entgegengesetzten Richtung Theilchen in Ruhe treten. Wenn aber bei den einfachen Contractions- wellen alle in die Verdiekung eingehenden Theilchen sich in Bewegung befinden, so darf bei den in Rede stehenden Wül- -sten mit Rücksicht auf die angegebene Bildung vorausgesetzt ‚werden, dass dies nicht der Fall ist, dass wahrscheinlich eine ‚mittlere Masse auf ihrem Contractionszustande verharrt, und dass deshalb auch sichtbare Schwankungen der fortrückenden -Wulst nicht zu Stande kommen. Da solche Wülste während ‚des Fortrückens sehr häuäg ihr Volumen verändern, sich ver- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 29 450 C. B. Reichert: srössern oder verkleinern, so ergiebt sich, dass die Verhältniss- zahl der in die fortrückende Wulst ein- oder austretenden Theil- chen variabel ist. In Betreff der amöbenartigen Formveränderungen und frei hervortretenden Fortsätze der zähflüssigen Substanz hat es die mikroskopische Untersuchung mit grösseren, ja oft unüberwindlichen Schwierigkeiten zu thun. Verwirrungen ‘auf diesem Gebiete sind gar zu leicht und gehören zu den Tages- erscheinungen. Die amöboiden Bewegungen zeigen sich an con- tractilen Substanzen, deren morphologische Beschaffenheit noch völlig unbekannt ist, und die mit beliebiger festweicher oder zähflüssiger organischer Masse, sofern dieselbe nur eiweisshaltig ist, verwechselt werden können; sie sind ausserdem sehr unbe- stimmt und ungeregelt.e. Nicht contractile eiweisshaltige und zähflüssige Substanzen, genau mit denselben unbestimmten mi- kroskopischen Eigenschaften, welche an contractilen Gebilden niederer Thiere zu erkennen sind, kommen in den Organismen allerorts vor und sind sogar sehr leicht künstlich herzustellen. Man weiss auch, dass solche zähflüssige Substanzen unter dem unvermeidlichen Einflusse chemischer und physikalischer Kräfte — in Folge von chemischen Veränderungen im Inneren oder in der Umgebung, ferner durch die Schwere, durch Erschütte- rungen, durch Adhäsion und Cohäsion, durch die Verdunstung, überhaupt unter Bedingungen, durch welche eine Bewegung entweder in den kleinsten Theilchen der Substanz selbst ‘oder in der Umgebung und dadurch in der ganzen Masse derselben hervorgerufen wird, — gar leicht Formveränderungen eintreten, und dass diese häufig, wo nicht in den meisten Fällen, von den unbestimmten und ungeregelten Formveränderungen nicht un- terschieden werden können, welche die amöbenartigen Contra- ctionsbewegungen begleiten. In einem so schlüpfrigen Boden finden sich allerdings reich- haltige Quellen für zeitweilige Entdeckungen und Hypothesen. Will man die Wissenschaft vor Ausschweifungen sicher stellen, dann muss zunächst in wirklich zweifelhaften und nicht zu ent- scheidenden Fällen das „non liquet* offen ausgesprochen wer- den. Zu den zweifelhaften Fällen würde ich auch diejenigen Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 451 rechnen, bei denen es nicht möglich sein sollte, die Mitwirkung chemischer oder physikalischer Kräfte, durch welche amöben- artige Formveränderungen der vorliegenden Substanz veranlasst werden können, vollkommen auszuschliessen. Wo sich aber beobachten lässt, dass bei den amöbenartigen Formveränderun- gen einer zähflüssigen, eiweisshaltigen Substanz reine Massen- bewegungen im Spiel sind, oder wenn zweifellos nachgewiesen werden kann, dass die fragliche Substanz unter physikalischen oder chemischen Bedingungen steht, welche derartige Form- veränderungen an ihr hervorrufen müssen; dann darf von einer Contractionserscheinung oder von einer Contractionsbewegung und also auch von contractiler Substanz nicht die Rede sein. In Betreff unseres Gegenstandes kann ich zunächst die That- sache angeben, dass bei Bildung der Fortsätze, bei deren all- mählicher Vergrösserung und kolbigem Anschwellen die Mas- senbewegung öfters ganz deutlich zu beobachten ist. In die zähflüssige Substanz eingebettete oder auch nur derselben ad- härirende Körperchen und kleine Krystalle leisten auch hier gute Dienste bei der Beobachtung. Man sieht aus der Tiefe der ruhenden Massen eine Wulst frei hervortreten, sich zum Fortsatze umbilden, auch kolbig anschwellen und beim Rück- tritt an einer anderen Stelle und an einem anderen Bestand- ‚theile der ruhenden Massen Platz nehmen und auch da ver- bleiben. Ich habe auch gesehen, dass eine auf einem Verbin- dungsstrange heranziehende Wulst in einen Fortsatz überging, diesen vergrösserte, kolbig anschwellen machte und daselbst lie- gen blieb. In vielen Fällen ist es nicht möglich, eine solche Massenbewegung zu unterscheiden. Allein diesem gegenüber steht die völlig sicher gestellte Thatsache, dass die eiweisshal- tige, zähflüssige Substanz von der rotirenden Mantelflüssigkeit umspült wird und den mechanischen Einwirkungen derselben auch an der Stelle, wo sie in grösseren Massen der Cellulose- ‚kapsel adhärirt, fortdauernd ausgesetzt ist. Dieser Umstand klärt die Erscheinung der sogenannten amöboiden Bewegungen an der adhärenten zähflüssigen Substanz vollständig auf; unter der Einwirkung der rotirenden Mantelflüssigkeit müssen Wülste, Fortsätze und Fäden hervortreten, und unter günstigeren Co- 29° 452 C. B. Reichert: häsionsverhältnissen findet dann wieder die Rückbildung, statt; man hat es hier mit einer durch äussere mechanische Ursachen unmittelbar herbeigeführten und ganz unvermeidlichen Massen- bewegung der zähen Substanz zu thun, aus welcher contractile Eigenschaften nicht abgeleitet werden dürfen. Es ist auffallend, dass E. Brücke den Einfluss der rotiren- den Mantelflüssigkeit auf die adhärente, zähflüssige Substanz gar nicht in Berechnung gezogen hat. In der erwähnten Ab- handlung findet sich der Satz: „Ich kann nicht sagen, ob diese Contractionen die einzige Ursache der Bewegung der kör- nerreichen Flüssigkeit im Zellenleibe sind, aber dass sie auf dieselbe einen wesentlichen Einfluss üben müssen, versteht sich wohl von selbst.* Mit diesen Worten ist die Frage in Betreff der mechanischen Wechselwirkung zwischen der zähflüssigen Substanz und der rotirenden Mantelflüssigkeit berührt. In der festen Ueberzeugung, dass über die Contractionsbewegungen der zähflüssigen Substanz nicht die geringsten Zweifel obwalten können, wird nur der allerdings denkbare Fall in Erwägung gezogen, ob dieselben auch die rotirende Bewegung der Mantel- flüssigkeit zu bewirken im Stande seien. Obschon das Unzu- lässige eingestanden wird und in der Sache selbst dadurch sich Nichts ändert, dass die amöbenartigen Formveränderungen der zähflüssigen Masse je nach den dargebotenen Umständen ihren Einfluss auch auf die Rotationsbewegungen der Mantelflüssigkeit geltend machen; so hat E. Brücke dennoch ohne irgend welche Begründung es unterlassen, die in allen Fällen unabweislichen mechanischen Einwirkungen der rotirenden Mantelflüssigkeit auf die darin schwimmende, an einzelnen Stellen der Zellwand adhärirende zähflüssige Substanz in Erwägung zu ziehen. Nach diesen Erläuterungen darf die von mir angeregte Frage, ob die an der zähflüssigen Substanz der Brennhaare von Ur- tica urens sichtbaren Formveränderungen und Bewegungen ein- fach von der mechanischen Einwirkung der strömenden Mantel- Hüssigkeit abzuleiten seien, oder ob dieselben so eigenthümlicher Art sind, dass man sie als Contractilitätserscheinungen zu be- trachten habe, kurz dahin beantwortet werden: dass alle uns bekannten Formveränderungen und Bewegungen der zähflüssi- Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 453 gen Substanz durch reine Massenbewegung zu Stande kommen, und dass diese Massenbewegung in einfacher und völlig unge- zwungener Weise als eine unabweisliche Wirkung der Rota- tionsbewegungen der Mantelflüssigkeit auf die zähe Substanz anzusehen sei.') Prüfung des Saftstromes in den Zellen anderer von mir untersuchter Pflanzen mit Rücksicht auf die Contracti- litätsfrage. Meine Aufgabe, durch einen genauen Vergleich des Saft- stromes in den Pflanzenzellen mit den gesetzlich festgestellten Bewegungsformen contractiler Gebilde zur Entscheidung zu bringen, ob der Saftstrom als eine contractile Bewegungser- scheinung zu betrachten sei; — diese Aufgabe ist durch die vorausgeschickten vergleichenden Untersuchungen über den Saft- strom in den Wurzelhaaren von Aydrocharis morsus ranae und in den Brennhaaren von Urtiea urens in so weit gelöst, dass ich, in Betreff der von mir selbst und auch von anderen For- schern beobachteten Pflanzen, nur noch eine Nachlese zu halten habe. Chara fragilis, Nitella capitata, Nitella opaca und auch Val- lisneria spiralis und Elodea cannadensis gehören zu den Pflan- zen mit sogenanntem rotirenden Saftstrome; sie unterscheiden sich von Hydrocharis morsus ranae dadurch, dass bei ihnen in der rotirenden Mantelflüssigkeit neben den etwa vorhandenen -» Chlorophyll- und anderen festeren Körperchen die zähflüssige 1) Brücke hat in seiner zweiten Abhandlung, wie schon angege- ben, auch das Verhalten des Zellinhaltes der Brennhaare bei magneto- elektrischen Einwirkungen geprüft. Die dabei sichtbaren Erscheinun- gen verrathen deutlich genug die den Zellinhalt zersetzende und zerstörende Wirkung dieses Agens. Für die angeregte Frage ist ein solcher Versuch ohne Beweiskraft; es fehlt auch an irgend einer Er- scheinung, aus welcher contractile Eigenschaften der zähflüssigen Sub- stanz sich ableiten lassen. E. Brücke würde wohl sicherlich keinen Werth auf diesen Versuch gelegt haben, wenn sich nicht bei ihm von vornherein die Ansicht festgestellt hätte, dass die zähflüssige Suhstanz der Brennhaare contractil sei, 454 C. B. Reichert: eiweisshaltige Substanz (Protoplasma, Hugo Mohl) entweder gar nicht wahrzunehmen ist, oder wie bei den Charen in ge- ‚sonderten kugeligen Massen mitbewegt wird. Eine Erscheinung, die zu einem Vergleiche mit den Bewegungen contractiler Ge- bilde auch nur in entfernter Weise auffordern könnte, liegt gar nicht vor; auf die irrige Vorstellung der sogenannten „Proto- plasmaströme“ einzugehen, scheint mir überflüssig. Von Inter- esse ist nur das Auftreten der zähflüssigen eiweisshaltigen Sub- stanz in Form von kugeligen Tropfen bei den Charen; es weist darauf hin, dass hier diese Substanz einen nahezu tropfbar- flüssigen Cohäsionszustand und sehr geringe Adhäsion zur Mantelflüssigkeit besitzen müsse. Bei beiden Eigenschaften lässt sich die Umwandlung der eiweisshaltigen Substanz in einzelne Tropfen durch die hier sehr kräftige Rotation der Mantelflüssigkeit erklären. Nach Nägeli Beiträge zur wis- senschaftlichen- Botanik, I. S. 62 ff.) zeigt sich der Saft- strom der Characeen in jungen Zellen als eine continuirliche an der Wand hinfliessende Masse, welche in der ganzen Dicke mit gleicher Geschwindigkeit strömt. Erst später zerfällt die- selbe in Klumpen und körnige Gebilde, die in einer wässrigen Flüssigkeit frei schwimmen. Ich deute diese Beobachtung in dem von mir angegebenen Sinne; es ist die rotirende Mantel- flüssigkeit, welche in Folge einer starken Vermehrung und des kräftigeren Strömens das Zerfallen der continuirlichen Masse herbeigeführt und sich selbst der Beobachtung leichter zugäng- lich gemacht hat. Bei Tradescantia albiflora und virginica, desgleichen bei Oenothera muricate tritt der Saftstrom, wie bei den Brennhaaren von Urtica urens, in Form der Circulation auf. Das Verhalten der Saftströmung bei diesen Pflanzen ist im Wesentlichen das- selbe wie bei den Brennhaaren. Man unterscheidet auch hier im Zellinhalte den bewegungslosen centralen Bestandtheil, den Zellsaft oder die Zellflüssigkeit, und die Mantelschicht mit den in Bewegung begriffenen Substanzen. Bei der durch die blaue Färbung des Zellsaftes ausgezeichneten Tradescantia virginica ist die Trennung der beiden Haupttheile des Zellinhaltes am leichtesten und genauesten zu verfolgen. Die gegenseitige Ab- Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 455 grenzung tritt im optischen Querschnitte überall deutlich her- aus; keine Erscheinung verräth, dass die beiden Haupttheile des Zellinhaltes eine Neigung hätten, ihre Stoffe auszutauschen; nimmt die Dicke der Mantelschicht wegen Stockungen im Saft- strome irgendwo zu, so weicht der blaue Zellsaft zurück; man bemerkt niemals, dass die beweglichen Bestandtheile der Man- telschicht zufällig in den Zellsaft hineingerathen. In der Mantelschicht unterscheide ich, wie bei Hydrocharis morsus ranae und bei den Brennhaaren, die farblose wasser- reiche rotirende Mantelflüssigkeit und die in derselben suspen- dirten und von ihr umspülten Bestandtheile: die eiweisshaltige zähflüssige Substanz (Protoplasma), der Kern, sehr kleine runde Körperchen, wahrscheinlich Chlorophylikörperchen, die nament- lich bei Tradescantia albiflora durch eine etwas bedeutendere Grösse als bei Hydrocharis und den Brennhaaren sich auszeich- nen; mikroskopische Krystalle habe ich noch nicht wahrgenom- men. Die rotirende Mantelflüssigkeit ist bisher bei diesen Pflanzen gänzlich unbeachtet geblieben, und diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass nur die in ihr suspendirten und pas- siv mitbewegten Bestandtheile zur Auffassung und beliebigen Beurtheilung des Saftstromes verwendet worden sind. Die Anwesenheit der rotirenden Mantelflüssigkeit kann aber auf demselben Wege, wie bei Hydrocharis und den Brennhaaren, vollkommen sicher festgestellt werden. Man hat seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die frei schwimmenden kleinen Körnchen zu richten. Auf den ersten Blick scheint es allerdings, als ob dieselben nur an der zähflüssigen eiweisshal- tigen Substanz, wie darin eingebettet, vorkämen. Bei Anwen- dung starker Vergrösserung kann man sich bei Tradescantia albiflora leicht überzeugen, dass sie in den meisten Fällen an den Fäden der zähflüssigen Substanz nur adhäriren, an densel- ben herumhüpfen oder auch von einem Faden zu einem ande- ren nahe gelegenen hinüberspringen. Wenn man anhaltend die Gegend zwischen den Fäden fixirt und dabei den Focus des Mikroskopes möglichst nahe der Zellenkapsel einstellt, so wird man, bei einigem Ausharren in der Beobachtung auch die frei schwimmenden Körnchen gewahren, die dann bald vereinzelt 456 'C. B. Reichert: oder in Schaaren vorüberziehen, hin und wieder sich an die Zellwand festsetzen, dann sich wieder ablösen, gelegentlich in moleculare Bewegung gerathen, und zuweilen selbst eine Strecke weit rückläufige Bahnen verfolgen; Alles genau so, wie ich es bei Hydrocharis beschrieben habe. Ist die Rotation der Man- telflüssigkeit andauernd in lebhaftem Gange gewesen, und die zähflüssige Substanz zu einem dichteren Netze ausgebildet, so kann es leicht geschehen, dass die meisten Körnchen sich an diese Fäden halten und das mikroskopische Bild der Körnchen- bewegung sehr täuschend vorspiegeln. Es empfiehlt sich daher für die Untersuchung die Zeit zu wählen, in welcher der Saft- strom sich in Bewegung setzt oder noch nicht lange begonnen hat. Auf die Lebhaftigkeit des Saftstromes ist die Temperatur von dem wichtigsten Einflusse; ein oft noch sehr mangelhaft ausgebildetes Netz der zähflüssigen Substanz und zahlreiche noch frei umhertreibende oder in langsamer Rotationsbewegung begriffene Körnchen finden sich in den Zellen der Härchen, die aus den Blüthenknospen der Tradescantien entnommen werden. Ist durch das Verhalten der Körnchen die Anwesenheit der rotirenden Mantelflüssigkeit auch bei diesen Pflanzenzellen mit eirculirendem Saftstrome festgestellt, so bietet die Deutung und das Verständniss der Orts- und Gestaltsveränderungen aller in derselben suspendirten und von ihr umspülten Bestandtheile der Mantelschicht keine Schwierigkeit mehr dar. Wie bei Hydrocharis morsus ranae und bei den Brenn- haaren lassen sich alle diese Erscheinungen von den mechani- schen Einwirkungen der rotirenden Mantelflüssigkeit von den gelegentlich eintretenden Adhäsionsstörungen und bei der zäh- flüssigen Substanz auch von den Cohäsionszuständen ableiten, abgesehen von den unter geeigneten Umständen an den Körn- chen auftretenden molecularen Bewegungen. Irgend eine neue Erscheinung, aus der ich Veranlassung nehmen könnte, auf einen Vergleich mit den Bewegungen contractiler Gebilde zu- rückzukommen, liegt auch hier nicht vor. Nur in Betreff der verästelten oder netzförmigen Configuration der zähflüssigen Substanz (Protoplasma) Ueber die Saftströmung der Pflanzenzellen u. s. w. 457 will ich noch einige Worte hinzufügen. Dass diese Configura- tion der zähflüssigen Substanz bei einem gewissen Anscheine von Stabilität grossen Schwankungen unterliegt, lehrt jede an- dauernde Beobachtung »circulirender Saftströme; dass sie unter den Augen des Beobachters durch die’ mechanische Einwirkung der rotirenden Mantelflüssigkeit auf die an den Zellenkernen oder an einer anderen günstigen Stelle der Zellenkapsel adhä- rirende zähe Masse sich bildet, darauf habe ich bereits bei 4y- drocharis morsus ranae aufmerksam gemacht. Wenn man Här- chen aus den Blüthenknospen der Tradescantien untersucht, so überzeugt man sich leicht, dass die verästelte Anordnung der zähen eiweisshaltigen Substanz entweder gänzlich fehlt, oder, sofern die Rotation der Mantelflüssigkeit begonnen hat, noch sehr mangelhaft ausgebildet ist und bei lebhafterer Strombewe- gung verwickelter wird. Hiernach darf es keinem Zweifel un- terliegen, dass die Configuration der zähen Substanz zunächst von der rotirenden Mantelflüssigkeit abhängt. Neben dieser Ursache muss bei der Configuration der zähflüssigen Masse die Adhäsionsstelle derselben und ihr Cohäsionszustand in Rech- nung gebracht werden. Je zäher die eiweisshaltige Substanz ist, um so einfacher und ausdauernder wird sich die Anordnung derselben verhalten, umgekehrt bei einem leichter flüssigen Co- häsionszustande. In Betreff der Adhäsionsstelle der zähen Sub- stanz wird selbstverständlich auf die Lage der Rotationsachse zu achten sein. Auch die Form der Zellenkapsel kann auf die Form der Configuration von Einfluss werden. Jedenfalls geht aus der Untersuchung hervor, dass die Gestaltung der zähen Substanz für die in Rede stehende Saftströmung der Pflan- zenzellen als eine zufällige Mitgabe zu betrachten ist. Gerade das, was bisher gänzlich unbeachtet geblieben, oder doch in den Hintergrund gedrängt wurde, die rotirende Mantelflüssig- keit, sie muss in den Vordergrund gestellt werden; in Bezie- hung auf diese Bewegung verhalten sich die rotirenden circu- lirenden, rotirend-eireulirenden Saftströme vollkommen gleich. Die Unterschiede im äusseren Verhalten werden durch die in der rotirenden Mantelfüssigkeit suspendirten und nur passiv mitbewegten Bestandtheile herbeigeführt. In wie weit diese 458 C. B. Reichert: Bestandtheile, desgleichen der etwa vorhandene Primordial- schlauch , möglicher Weise auch der Zellsaft unter Mitwirkung äusserer Agentien bei dem Zustandekommen der Rotationsbe- wegungen der Mantelflüssigkeit betheiligt sind, die Beantwor- tung dieser Frage ist bei dem gegenwärtigen Stande unserer Erfahrungen nicht zu lösen. Die bisher auf mangelhafte Ein- sicht in die Saftströme begründeten Hypothesen erheben selbst nicht den Anspruch, Aufklärung gegeben zu haben; sie sind auch nicht der Art, dass sie bei meiner Aufgabe zu berücksich- tigen wären. Ergebnisse. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen lassen sıch ‚sehliess- lich in folgenden Sätzen zusammenfassen. 1. Bei allen Pflanzenzellen mit rotirendem, cireulirendem oder rotirend-cireulirendem Saftstrome sind im Inhalte der Cel- lulosekapsel zwei Theile zu unterscheiden: der centrale oder in der Achse gelegene „Zellsaft* oder die „Zellflüssigkeit“, und die zwischen dieser und der Cellulosekapsel ausgebreitete „Man- telschicht“. 2. Die „Zellllüssigkeit“ ist farblos oder gefärbt wie bei Tra- descantia virginica, wenig zähflüssig, ohne Eiweissgehalt, nach ihren sonstigen chemischen Eigenschaften micht bekannt; sie ist mit Beziehung auf die Saftströmung der bewegungslose, ru- hende Theil des Zellinhaltes. 3. Zur „Mantelschicht* gehören folgende Bestandtheile: die von mir bezeichnete „Mantelflüssigkeit“, die zähflüssige Sub- stanz, welche Hugo Mohl „Proteplasma“ genannt hat, Chlo- rophylikörperchen und andere sehr kleine feste Körperchen, de- ren chemische Natur nicht festzustellen ist, der Zellenkern, mi- kroskopische Krystalle und der etwa vorhandene Primordial- schlauch, welcher die Abgrenzung der Mantelschicht gegen die Cellulosekapsel hin bilden würde. 4. Die „Mantelflüssigkeit“ ist bei den Characeen nicht zu übersehen; sie wurde aber irrthümlich der zähflüssigen Sub- Ueber die Saftströomung der Pflanzenzellen u. s, w. 459 stanz. circulirender Saftströme, den sogenannten Protoplasma- strömen, gleichgestellt und nur von Nägeli richtig unterschie- den. Bei den Pflanzenzellen mit circulirendem Saftstrome ist sie zuerst von E. Brücke in den Brennhaaren der Urtica urens nachgewiesen; sie ist bei allen von mir untersuchten Pflanzen- zellen mit rotirendem oder eirculirendem Saftstrome beobachtet. Sie breitet sich zwischen der Cellulosekapsel oder dem etwa vorhandenen Primordialschlauch und dem Zellsafte aus, ist tropfbar-flüssig, wasserreich, zeigt nur einen geringen Gehalt an Eiweiss und mischt sich nicht mit dem Zellsafte. Ihr Salz- gehalt sowie die Anwesenheit anderer in ihr gelöster organi- scher Stoffe ist nicht genau zu ermitteln, doch darf vorausge- setzt werden, dass sie in chemischer Wechselwirkung mit den übrigen Bestandtheilen der Mantelschicht stehe. d. Die übrigen Bestandtheile der Mantelschicht werden von der Mantelflüssigkeit umspült, oder sind in derselben suspendirt. Zu den constanten gehören, von dem fraglichen Primordial- schlauch abgesehen: die zähflüssige Substanz, sowie die Chloro- phyll- und andere kleine Körperchen. Die „zähflüssige Sub- stanz“ ist stark eiweisshaltig, mit Rücksicht auf den Cohäsions- zustand bald leichter, bald schwerer zähflüssig, und zeigt sich in verschiedener und zeitlich wechselnder Anordnung und Ge- staltung vor und während der Saftströmung. Der Kern, sowie die mikroskopischen Krystalle sind nicht immer aufzufinden. Unter den Krystallen wurden beobachtet: unregelmässig stern- förmig gestaltete von unbekannter chemischer Beschaffenheit (Hydrocharis morsus ranae) und in den Brennhaaren oxalsaurer Kalk. | 6. Bei der Saitströmung der Pflanzenzellen sind nur die Bestandtheile der Mantelschicht, von dem Primordialschlauch abgesehen, betheiligt. Welches aber auch die Ursachen oder Kräfte sein mögen, durch welche die Strömungserscheinungen in den Bestandtheilen der Mantelschicht hervorgerufen werden, ihre Wirkung äussert sich nachweislich zunächst und ausschliesslich. in der bisher völlig unbeachtet gebliebenen Mantelflüssigkeit; diese wird dadurch in rotirende Strombewegung versetzt. Die während der Saftströmung sichtbaren Bewegungen der übrigen 460 0. B. Reichert: Bestandtheile der Mantelschicht (der zähflüssigen Substanz, des Kerns, der Chlorophyll- und anderer kleinen Körperchen, der mikroskopischen Krystalle) werden durch die mechanische Ein- wirkung der rotirenden Mantelflüssigkeit auf sie unter der Mit- wirkung der Adhäsion, und bei der zähflüssigen Substanz auch der Cohäsion herbeigeführt. Ausgenommen bleiben davon die unter günstigen Umständen sichtbaren molecularen Bewegungen sehr kleiner Chlorophyli- und anderer Körperchen. 7. Die rotirende Strombewegung der Mantelflüssigkeit, so- wie auch ihre Richtung wird zunächst an den frei in ihr schwimmenden und durch sie in Bewegung gesetzten Bestand- theilen der Mantelschicht, — und zwar sowohl bei den Pflan- zenzellen mit Rotation, als auch bei denen mit sogenannter Circulation, — an den frei sich bewegenden Chlorophyll- und anderen festen Körperchen erkannt. Bei den Charen und bei Hydrocharis morsus ranae wird auch die zähflüssige Substanz in gesonderten Stücken, bei den Charen in kugeliger Form, in freie Bewegung gesetzt, und der Saftstrom wird dann „Rota- tion* genannt. 8. Die Bewegungsgeschwindigkeit der frei schwimmenden und rotirenden Substanzen ist unter sonst gleichen Umständen secundär abhängig von der Masse derselben, sowie von den Einwirkungen der Adhäsion, die an der Grenze des Zellsaftes, noch auffallender an der Cellulosekapsel und bei der gegensei- tigen Berührung der frei schwimmenden Bestandtheile unter- einander sich geltend machen. In Folge der Wirkungen der Adhäsion kann es auch geschehen, dass die passiv mitbewegten Bestandtheile schnell vorübergehend oder auch andauernder zur Ruhe gelangen und sogar rückläufige Bewegungen annehmen. 9, Die mechanische Einwirkung der rotirenden Mantelflüs- sigkeit äussert sich auch durch die Gestalt- und Formverände- rung der zähflüssigen Substanz („Protoplasma“), sowohl in ihrem frei schwimmenden Zustande (Hydrocharis), als auch namentlich bei gelegentlich eingetretener oder andauernd vorhandener Ad- härenz an der Cellulosekapsel in der Umgebung des Kerns, oder an einer anderen günstigen Stelle (Hydrocharis, Urtica urens, Tradescantia u. A.). Diese Gestaltveränderungen gleichen Ueber die Saftstromung der Pflanzenzellen u. s. w. 461 der äusseren Erscheinung nach den Bewegungsformen contracti- ler Gebilde, namentlich den sogenannten amöboiden Bewegun- gen; sie werden aber durch die ganz unvermeidlichen Wirkun- gen der rotirenden Mantelflüssigkeit auf die zähflüssige Substanz zu Stande gebracht, sind häufig nachweislich mit einer bleiben- den Ortsveränderung der Masse verbunden, und können nicht als Wirkung molecularer Bewegungen der Theilchen in der Substanz selbst angesehen werden. 10. Es liegt in der Natur der Sache und wird auch durch unmittelbare Beobachtungen festgestellt, dass die in der Um- gebung des Kerns oder an einer anderen Stelle der Cellulose- kapsel ausgebreitete und adhärirende zähflüssige Substanz durch die mechanische Einwirkung der rotirenden Mantelflüssigkeit, bei einem günstigen zähen Cohäsionszustande, in längere frei endigende oder kreisförmig oder elliptisch sich schliessende einfache oder verästelte Fäden und Stränge ausgezogen und unter der Mitwirkung der Adhäsion in ein zwischen der Cel- lulosekapsel und dem Zellsaft sich ausbreitendes mehr oder weniger complieirtes Netz verwandelt wird. Dies ist die An- ordnung und Configuration der zähflüssigen Substanz bei den Pflanzenzellen mit sogenanntem ceirculirenden, oder cireulirend- rotirendem Saftstrom; dies die Grundlage der vielbesprochenen sogenannten „Protoplasmaströme*. Bei dieser Anordnung der zähflüssigen Substanz gerathen die frei schwimmenden Körn- chen sehr leicht in den Bereich ihrer Fäden und Stränge, kön- nen selbst ganz aus dem freien Bezirke der Mantelflüssigkeit verschwinden und vollführen unter dem Kampfe der Einwirkun- gen der rotirenden Mantelflüssigkeit und der Adhäsion solche schwankende und hüpfende Bewegungen, dass man an die so- genannte „Körnchenbewegung“ contractiler Substanzen erinnert wird. Bei dieser Anordnung endlich kann immerhin die zäh- flüssige Substanz selbst im Bereiche der Fäden und Stränge in Bewegung gerathen, was durch das Fortrücken von Wülsten mit adhärirenden oder eingebetteten Körnchen oder Krystallen an den Fäden bewiesen wird; es kann aber auch die Zähigkeit der Substanz so bedeutend und das Kraftmaass der rotirenden Flüssigkeit so gering sein, dass eine solche Bewegung entweder 462 C. B. Reichert: gar nicht oder doch nicht in der ganzen Ausbreitung des Netzes zu Stande kommt (E. Brücke). 11. Die Gestaltung der verästelten und netzförmigen Con- figuration der zähflüssigen Substanz ist hauptsächlich abhängig von dem Kraftmaasse der rotirenden Mantelflüssigkeit, von der Form der Cellulosekapsel, von der Anheftungsstelle der zäh- flüssigen Masse an der Oellulosekapsel und ihrem Lageverhält- niss zur Rotationsachse der Mantelflüssigkeit, endlich auch von ihrem Cohäsionszustande. 12. Zwischen den rotirenden, circulirenden und rotirend- circulirenden Saftströmen der Zellen ist kein wesentlicher Un- terschied; bei allen ist die rotirende Mantelflüssigkeit in den Vordergrund zu stellen; an ihr ausschliesslich giebt sich die unmittelbare Wirkung der uns unbekannten Ursachen der Saft- ströme zu erkennen, und diese verhält sich überall gleich. 13. Die übrigen der mechanischen Einwirkung der rotiren- den Mantelflüssigkeit ausgesetzten Bestandtheile der „Mantel- schicht* bewirken es, dass der Saftstrom der Pflanzenzellen der äusseren Erscheinung nach varıirt; sie werden auch selbst- verständlich je nach den Umständen wechselnde Hindernisse demselben entgegenstellen. Von den hierher gehörigen Erschei- nungen möchte ich nur hervorheben, dass in den zwischen den ruhenden Massen der zähflüssigen Substanz gebildeten Hohl- räumen die rotirende Mantelflüssigkeit vollkommen zur Ruhe ge- langen kann, und dass alsdann in einem solchen Hohlraume Molecularbewegungen freier Körnchen wahrgenommen werden; dass ferner bei Aydrocharis m. r., durch ein abgesondertes, den Hohlraum der Cellulosekapsel durchsetzendes Stück derselben, die rotirende Mantelflüssigkeit in zwei gesondert von einander ablaufende regelmässige Rotationsströme abgetheilt wurde; dass endlich durch solche Hemmungen an den abgerundeten Polen der Gellulosekapsel Reflexionsbewegungen des Stromes der ver- schiedensten Art auftreten können. 14. Bewegungserscheinungen, aus welchen das Vorhanden- ‚sein einer contractilen Thätigkeit in der zähflüssigen Substanz, oder an den übrigen Bestandtheilen des Zellinhaltes abgeleitet Ueber die Saftstromung der Pflanzenzellen u. s. w. 463 werden könnte, fehlen bei den von mir untersuchten Pflanzen- zellen mit Saftströmung gänzlich. 15. Bei den Saftströmungsbewegungen in den Pflanzenzellen kommt es zunächst darauf an, die Ursachen aufzufinden, durch welche die rotirenden Strömungsbewegungen der „Mantelflüssig- keit“ bewirkt werden. Physikalische und chemische Vorgänge, durch welche diese rotirende Bewegung zu Stande gebracht werden könnte, sind jedoch bisher an den Pflanzenzellen nicht nachgewiesen. 464 : HM. Meyer: Das Ellenbogengelenk. (Achter Beitrag zur Mechanik des menschlichen Knochengerüstes. — Vgl. dieses Archiv 1865, S. 719.) Von Prof. HERMANN MEYER in Zürich. (Hierzu Taf. XII.) — Das Ellenbogengelenk ist in seiner einfachen schematischen Gestalt ohne viele Schwierigkeiten aufzufassen, und ich habe dieselbe deshalb auch bereits in meinem Lehrbuche der Ana- tomie (1. Aufl. S. 46 u. 96; 2. Aufl. S. 52 u. 102) dargelegt. Nach der dort gegebenen Darstellung bildet die Ulna mit der Trochlea humeri die Grundlage des Ellenbogengelenkes als eines Ginglymus; der Radius artikulirt mit dem Cha- rakter einer gehemmten Arthrodie auf der kugelförmigen Eminentia capitata, so dass es ihm möglich ist, einerseits die Bewegungen der Ulna gegen den Humerus zu theilen, anderer- seits aber in jeder Stellung des Gelenkes eine Drehbewegung auszuführen, bei welcher oben die Circumferentia articularis sich in der Incisura semilunaris minor ulnae bewegt und unten die Incisura semilunaris radii um das Capitulum ulnae. Die Achse dieser Drehbewegung ist eine Linie, welche aus dem Mittelpunkte der Eminentia capitata humeri in den Mit- telpunkt des Capitulum ulnae gelegt werden kann; sie ist ein Theil der aus dem Mittelpunkte des Caput humeri in den Mit- telpunkt des Capitulum ulnae gehenden Constructionsachse des Das Ellenbogengelenk. 465 Armes. -— Dieser Darstellung hat Meissner (Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschrift, IIL Reihe, I. Bd., S. 514) die Ergänzung beigefügt, dass die Führungslinie der Trochlea nicht in einer auf die Achse senkrechten Ebene liest, sondern eine Schrau- benspirale ist von 3—4 Mm. Höhe des Schraubenganges; — und Henke (Handbuch der Anatomie und Mechanik der Ge- lenke, S. 151—152) hat noch darauf aufmerksam gemacht, dass das Capitulum radii nicht nur mit der Eminentia capitata ar- ticulire, sondern durch den zwischen der Cavitas glenoides und der Circumferentia articularis liegenden abgerundeten Rand auch mit dem äusseren Rande der Trochlea. Trotz dieser Ergänzungen zu meiner früheren Darstelluns konnte ich doch die Frage über die Gestaltung des Ellenbagen- gelenkes noch keineswegs als befriedigend erledigt ansehen, da so manche Eigenthümlichkeiten, welche dieses Gelenk auszeich- nen, immer noch unaufgeklärt blieben. Ich habe dasselbe des- halb einer neuen Untersuchung unterworfen, deren Ergebnisse ich in dem Folgenden darzulegen habe. Die Eigenthümlichkeiten, welche das Ellenbogengelenk auszeichnen, sind namentlich folgende: für’s Erste ist es eine auffallende Erscheinung, dass in allen Stellungen des Gelenkes so viele seitliche Theile der Ge- lenkflächen, namentlich zwischen Ulna und Humerus, voll- ständig frei liegen, während man doch in querer (der Achse paralleler) Richtung eine beständige Berührung der beiden Flächen voraussetzen sollte, sodann ist es auffallend, dass namentlich in der mittleren Stellung die Mitte der Incisura semilunaris ulnae vollstän- dig hohl zu liegen scheint, ferner ist die sonderbare Zweitheilung des Gelenkes eigen- thümlich, in welcher das Olekranon und der Processus co- ronoides nicht nur eine räumliche Trennung durch eine quer gehende Rinne zeigen, sondern auch ganz verschiedene Gestaltung ihrer Gelenkfläche; und zuletzt zeigt sich auch diesem entsprecherd eine Thei- lung der Trochlea in zwei Theile, welche nicht nur ganz Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. s0 466 H. Meyer: verschiedene Gestaltung ihrer Flächen haben, sondern auch noch der Art angeordnet sind, dass in dem vorderen, dem Processus coronoides entsprechenden Theile, die Flexions- ebene senkrecht zur Achse zu stehen scheint, während sie in dem hinteren, dem Olekranon entsprechenden Theile, einem sehr steil gestellten Schraubengange ähnlich sieht, so dass man nicht verstehen kann, wie in diesen beiden Flächen eine einheitliche Bewegung zu Stande kommen kann. Untersucht man zur Lösung dieser Schwierigkeiten zuerst die Gestalt des Processus cubitalis humeri, so findet man , dass an demselben die Eminentia capitata von der Trochlea durch eine Rinne abgegrenzt wird, welche sowohl vorn als hinten in einem leichten Bogen sich nach aussen wendet und die beiden Einden (vorderes und hinteres) der Eminentia eapitata umgreif, Diese Rinne ist noch Gelenk- fläche für den Radius, so dass die mehr oder weniger scharf ausgesprochene Leiste, welche den äusseren Rand der Trochlea gegen diese Rinne bezeichnet, die Grenze zwischen der Gelenk- fläche für den Radius und derjenigen für die Ulna ist. — Der Abfall dieser Leiste gegen die Rinne ist die von Henke be- zeichnete seitliche Berührungsstelle des Capitulum radii mit der Trochlea. Das Ulna-Humerus-Gelenk. — Die Verschiedenheit zwischen den beiden Theilen der Incisura semilunaris major ulnae und ebenso zwischen den beiden Theilen der Trochlea tritt am deutlichsten hervor, wenn man das Olekranon und den Processus coronoides in der beide scheidenden Rinne von ein- ander trennt und dann mit einem jeden dieser Theile für sich versucht, den Weg um die Trochlea zu durchlaufen. Man findet dann, dass das Olekranon von hinten bis vorn und wie- der zurück um die Trochlea geführt werden kann, ohne zu schwanken oder in seiner Bahn abzuweichen. Der Processus coronoides kann dagegen nur bis zu einer solchen Stellung nach rückwärts geführt werden, welche seiner Stellung in der Streckung des Gelenkes entspricht. Als Grund dafür erkennt wan leicht die grössere Breite und Flachheit seiner Gelenk- Das Ellenbogengelenk. 467 fläche, welche ihm nicht gestattet, in die hintere engere und tiefere Abtheilung der Trochlea einzudringen. — Diese That- sache scheint zwar auf eine wesentliche Verschiedenheit zwi- schen Olekranon und Processus coronoides, und nicht minder zwischen den beiden Theilen der Trochlea, hinzuweisen, indes- sen zeigt genauere Untersuchung, dass man eine solche Auf- fassung nicht gewinnen darf. Schneidet man nämlich den mitt- leren in der Rinne der Trochlea laufenden Theil des Processus coronoides heraus, so findet man, dass dieser in beständiger Berührung, ohne Schwanken und ohne Ablenkung, auf der Trochlea bis in die Fovea cubitalis posterior geführt werden kann. — Schneidet man nun auch einen entsprechenden mitt- leren Theil aus dem Olekranon heraus, so findet man, dass auch dieser beim Durchlaufen der Bahn um die Trochlea mit derselben in beständiger Berührung ist. — Schneidet man nun ferner auch noch aus einer ungetheilten Incisura semilu- naris major der Ulna den mittleren, durch die einspringende Mittelrippe bezeichneten Theil heraus, so findet man, dass auch dieser seiner ganzen Ausdehnung nach in beständiger vollstän- diger Berührung mit der Trochlea bleibt, in welche Stellung er auch auf dieser gebracht werden mag. Ausnahme bildet nur die rinnenförmige Scheidestelle zwischen Olekranon und Pro- cessus coronoides. Mit diesen Versuchen ist die Grundlage für die richtige Auffassung des Ulna-Humerus-Gelenkes gewonnen. Wir erken- nen nämlich durch dieselben, dass die Mittelrippe der Ulnagelenkfläche nebst den ihr zunächst anliegen- den Theilen mit der Rinne der Trochlea zusammen einen allen Anforderungen entsprechenden Gingly- mus bildet. — Wenn dieses so ist, so muss auch der die Er- zeugungslinie zeigende Querschnitt in dem mittleren Theile des Olekranon und des Processus coronoides dieselbe Gestalt be- sitzen. Dass dieses in Wirklichkeit der Fall ist, davon über- zeugt man sich leicht durch einen einfachen Versuch. Man nimmt nämlich einen Absuss in Gips von dem mittleren Theile des Pracessus coronoides und giebt diesem in der Rich- tung in der Peripherie eine Länge von etwa 5 Mm.; einen 30* 468 H. Meyer: solchen Abguss findet man sodann vollständig passend auf den mittleren Theil des Olekranon und kann ihn auf diesem ohne Störung vollständiger Berührung hin und her führen. Derselbe Versuch gelingt mit einem ähnlichen Abgusse des mittleren Theiles des Olekranon auf dem Processus coronoides. — In gleicher Weise lässt sich auch der überall gleichmässige Quer- schnitt des mittleren Theiles der Trochlea dadurch nachwei- sen, dass man einen Gipsabguss eines beliebigen Abschnittes desselben gewinnt und denselben dann auf jeden anderen Ab- schnitt vollständig passend findet. — Gewinnt man einen län- geren Abguss dieser Art z. B. von c. 180°, so kann man die- sen ohne Hinderniss und ohne Störung der Berührung über die ganze Rolle hingleiten lassen. Ein Abguss: der letzteren Art ist nun auch geeignet, die Richtung der durch die Rinne der Trochlea gegebenen Füh- rungslinie zu bestimmen. Man schneidet nämlich den übrigen Theil des Humerus so von der Trochlea wes, dass von deren oO) Peripherie nur so viel übrig bleibt, als wirklich brauchbare Ge- lenkfläche ist. Man ist nun im Stande, jenen Gipsabguss so weit zu verschieben, dass er die Gelenkfläche der Trochlea eine Strecke weit überragt, und man kann dann nach Maassgabe dieses überragenden Theiles die Gelenkfläche der Trochlea fort- setzen, indem man den Raum zwischen ihrer Schnittfläche und dem überragenden Theile des Abgusses mit Gips ausfüllt. In- dem man dieses Verfahren mehrmals wiederholt, kann man die Trochlea bis zu einer Peripherie von 360° ergänzen, so dass man den ganzen Umgang der Rinne vor sich hat. Hat man dieses ausgeführt und vergleicht man dann die gegenseitige Lage der beiden Endpunkte der Rinne, so findet man, dass die Rinne nicht in sich selbst zurückkehrt, sondern dass die beiden ndpunkte in der Richtung der Achse um c. 3 Mm. von ein- ander abstehen. Damit ist also der, allerdings früher schon vou Meissner gewonnene Satz hingestellt, dass die Führungs- linie der Trochlea ein um c. 3 Mm. aufsteigender Schrauben- gang ist.!) 1) Es sei mir gestattet hier in Kürze zu bemerken, dass ich, wenn Das Ellenbogengelenk. . 469 Der mittlere durch die Rinne der Trochlea und die Mit- telrippe an der Gelenkfläche der Ulna bezeichnete Theil des Ulna- Humerus-Gelenkes ist demnach ein in allen seinen Theilen gleichmässig gebildeter Gingslymus mit einem wenig aufsteigenden Schraubengange. Von diesem mittleren Theile sind dann die Seitentheile sowohl der Trochlea als der Ineisura semilunaris major ulnae zu trennen, und auf deren Gestaltung beruhen die Eigenthüm- lichkeiten des Ellenbogengelenkes vorzugsweise. Ich habe, um diese Verhältnisse übersichtlich zu machen, in Fig. 1 die Gelenkoberfläche der Trochlea (und der Emi- nentia capitata) abgewickelt dargestellt und ebenso in Fig. 2 die Gelenkoberfläche der Ulna. Durch beide Zeichnungen ge- hen senkrechte Linien hindurch, welche die einzelnen Theile der genannten Gelenkflächen von einander scheiden. — Der mit 7 bezeichnete zwischen den Linien B und 5 gelegene Theil beider Figuren stellt den in dem Früheren beschriebenen Mit- teltheil vor; — zwischen d und D liegt der mit 2 bezeichnete innere Seitentheil und zwischen A und D der mit 3 und 4 bezeichnete äussere Seitentheil. — Da bei dieser Art der Dar- stellung Alles auf eine abgewickelt gedachte Cylinderfläche pro- jieirt sein muss, so geht dabei die Gestalt des Querschnittes (der Erzeugungslinie) verloren; um diesen wichtigen Nachtheil unschädlich zu machen, habe ich an gewissen in Fig. 1 und Fig. 2 bezeichneten Stellen Querschnitte genommen und diese mit leicht verständlicher Hinweisung daneben gestellt. auch Meissner seinen Satz durch Benutzung von Spurlinien gewon- nen hat, im Allgemeinen die mehrfach zur Bestimmung der Gelenk- flächen gebrauchten Spurlinien für viel zu unsicher halten muss, als dass ich ihnen viel Werth beilegen könnte. Ich habe ihre Benutzung deshalb auch schon lange Zeit vor ihrer allgemeineren Anwendung wieder aufgegeben und bediene mich lieber der oben angedeute- ten Methode. Die Unsicherheit beruht einerseits auf der Unsicherheit der Bewegung in dem durch die Hände geführten und durch die ritzende Nadel gestörten Gelenkmechanismus, und andererseits na- mentlich in der Kleinheit des Bogens, welche nicht genügt, die Lage einer Fläche so scharf zu zeichnen, wie es für den auszuführenden Durchschnitt mit Sage wünschenswerth und nothwendig ist. 470 H. Meyer: Der Vergleich der Fig. 1 und 2 zeigt nun in Bezug auf den inneren Seitentheil 2, dass dieser in dem ganzen hin- teren Drittel der Trochlea fehlt, in den vorderen zwei Dritteln dagegen in der Weise vorhanden ist, dass er in der Mitte sei- ner Länge am breitesten ist und von da sowohl nach hinten als auch nach vorn so abnimmt, dass er ganz in der inneren Grenzlinie 5 des Mitteltheiles verschwindet. — An der Gelenk- fläche der Ulna finden wir dagegen diesen Seitentheil sowohl an dem Olekranon als auch an dem Processus coronoides ver- treten. — Ich habe in Fig. 1 zwei querliegende Curven ge- zeichnet; die obere (nach oben convexe) bezeichnet die hintere Grenze des Olekranon in der Beugung, — die untere (nach unten convexe) bezeichnet die vordere Grenze des Processus coronoides in der Streckung. — Mit Benutzung der hiermit ge- gebenen Andeutungen ist nun zu erkennen, dass in der Strek- kung die Seitenfläche 2 des Olekranon ohne eine Berührung mit der Trochlea sein muss, dass dagegen in der Beugestellung dieselbe vollständig mit der Seitenfläche 2 der Trochlea in Be- rührung ist; ferner erkennt man, dass die Seitenfläche 2 des Processus coronoides beständig mit der Seitenfläche 2 der Trochlea in Berührung ist, jedoch so, dass in äusserster Beu- gung und in äusserster Streckung ein kleiner Theil der Seiten- fläche 2 des Processus coronoides an dieser Berührung nicht Theil nimmt. Was den äusseren, zwischen A und B liegenden Seiten- 'theil angeht, so sehen wir in diesem an der Trochlea merk- würdige Gestaltungen. Der hinterste Theil nämlich, in Fig. 1 mit 3 bezeichnet, ist eine sehr tief ausgehöhlte Fläche oder vielmehr ein sehr hoch aufsteigender Rand, welcher eine etwas vertiefte Gelenkfläche trägt (vgl. Querschnitt Za); der vordere, mit 4 bezeichnete Theil ist dagegen eine niedrige und breite Fläche (vgl. Querschnitt /c und /d); beide Flächen sehen nicht in einander über, sondern grenzen sich in einer in der Zeichnung angedeuteten schrägen Linie gegen einander ab; der nach aussen von dieser Linie liegende mit * bezeich- nete Theil von £ erhebt sich schmaler werdend allmählich auf die Höhe des äusseren Randes von 3 (vgl. Querschnitt I b). — Das Ellenbogengelenk. 471 Es sind demnach in dem äusseren Seitentheile der Trochlea drei Flächen von ganz verschiedenem Charakter zu erkennen. Welches deren Bedeutung sei, ist aus dem Verhalten der ent- sprechenden Flächen an der Ulna zu erkennen. — Untersuchen wir zuerst das Olekranon , so finden wir, dass der äussere Seitentheil desselben (Fig. 2,3) eine sehr breite in querer Rich- tung gewölbte Fläche ist, welche in den entsprechenden äusse- ren Seitentheilen der Trochlea passt (vgl. Querschnitt a); — da der vordere äussere Seitentheil (Fig. 1,2) der Trochlea sehr flach ist, so kann in der Beugungsstellung des Olekranon die- ser äussere Seitentheil 3 desselben nicht mit der Trochlea in Berührung sein. — Der äussere Seitentheil des Processus coronoides besitzt mehrere Theile; für’s Erste nämlich besitzt er eine grössere in Fig. 2 mit £ bezeichnete Fläche, welche auf die Seitenfläche (Fig. 14) der Trochlea passt; und dann besitzt er an seinem hinteren Theile zwei Abschnitte, von welchen der der Mitte nähere (Fig. 2,3) in der Krümmung der Ineisura se- milunaris major gelegene eine Fortsetzung der Fläche 3 des Olekranon ist, während der mehr nach aussen gelegene (Fig. 2°) sich in tangentialer Richtung zu der Krümmung der Incisura semilunaris major nach hinten zieht; dieser letztere Theil ist nur in der Streckungsstellung mit der Fläche * der Trochlea (Fig. 1) in Berührung; er stösst nämlich in der Vollendung der Streckung an diese Fläche an und diese Berührung beider wird Hemmung für weitere Streckung. Zur Erläuterung für diese Verhältnisse füge ich die Zeich- nungen Fig. 3 und Fig. 4 bei nebst den zugehörigen Quer- schnitten /IIa, II/b, IVa und IV. Fig. 5 giebt die aus Fig. 1 bekannte Projection der Trochlea und auf dieselbe hingelegt, die aus Fig. 2 bekannte Projection des Olekranon ; letzteres ist in zwei Stellungen dargestellt, welche ungefähr der Beugungsstellung und der Streckungsstel- lung entsprechen. Die Gelenkfläche des Olekranon ist quer schraffirt und diejenigen Theile derselben, welche in der be- treffenden Stellung nicht mit der Trochlea in Berührung sind, haben ausserdem noch eine schräge Schraffirung. — J/Ia und JIIb stellen diese verschiedenen Berührungsverhältnisse an 472 H. Meyer: Durchschnitten dar, welche an den durch « und durch 5 in Fig. 3 bezeichneten Stellen durch die Trochlea und das Ole- kranon gelegt sind; welche der früher gegebenen Durchschnitte für diese Darstellungen benutzt sind, ist durch die jeder Curve beigefügte Bezeichnung zu erkennen. — Denkt man zwischen die beiden in Fig. 3 gegebenen Lagen des Olekranon eine Mit- tellage, so findet man, dass die Ablösung des äusseren Seiten- theiles des Olekranon durch den inneren in der Berührung mit der Trochlea nicht plötzlich geschieht, sondern allmählich, und dass in dem gleichen Verhältnisse, wie an der äusseren Seite die Berührungsfläche kleiner wird, an der inneren Seite eine grössere Berührungsfläche auftritt. Fig. 4 stellt in gleicher Weise den Processus coronoides in seinen beiden extremen Lagerungen auf der Trochlea dar; von den Durchschnitten /Va und IVd gilt dasselbe, was vorher von den Durchschnitten ///a und IIIb gesagt wurde. Diese Dar_ stellung zeigt zugleich, wie ein Abschnitt des inneren Seiten- theiles des Processus coronoides in den beiden Stellungen die Trochlea überragt Die in Fig. 2 mit * bezeichnete Stelle des Processus coronoides ist in der Streckungsstellung mit der ent- sprechenden Stelle der Trochlea in Berührung, in der Beugungs- stellung dagegen liest sie von der Trochlea weit abgehoben. Anmerkung. Um die Fig. 3 und 4 darstellen zu können, und um die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Trochlea und der Gelenkfläche der Ulna in Fig. 1 und 2 übersichtlich hinlegen zu können, ist die Gelenkfläche der Ulna so dargestellt, wie sie erscheinen würde, wenn man sie. nicht direct, sondern durch den Knochen der Ulna hindurch sehen würde, oder so, wie die gleiche Fläche der anderen Körperseite in directem Ansehen erscheinen würde. Nachdem ich in der angegebenen Weise die Richtung der Ganglinien in der Trochlea gefunden, war es mir auch mög- lich, durch Hülfe zweier in den Linien D und C geführten Durchschnitte die Lage der Achse der Trochlea zu be- stimmen. Dieselbe ist in allen Durchschnitts- Zeichnungen als gerade Linie unter die Curven gelegt. Ihr Abstand von der grössten Tiefe der Mittelrinne der Trochlea beträgt an Das Ellenbogengelenk. 475 dem dieser Beschreibung zu Grunde liegenden Exemplare 9 Mm., — ihr Abstand von der grössten Höhe des inneren Randes der Trochlea 15 Mm., — und ihr Abstand von der grössten Höhe des äusseren Randes der Trochlea 17 Mm. — Sie erscheint, wie dieses in der beigefügten Skizze Fig. 5 angegeben ist, beiderseits an der vorderen Fläche des un- teren Theiles der Condylen. Die Ursprünge sämmtlicher vom Humerus zur Hand und dem Radius gehenden Muskeln, also sämmtlicher die oberflächlichen Schichten am ÜUnterarme bildenden Muskeln sind demnach höher als die Achse des El- lenbogengelenkes, und es geht daraus hervor, dass ihnen allen ein Antheil an den auf das Ellenbogengelenk gerichteten Beuge- und Streckwirkungen zukommt, soweit sie nicht durch ihre Verbindung mit dem Ligamentum laterale an der Entfaltung dieser Wirkung gehindert sind. Von dem beschriebenen Gange der Ulna auf der Trochlea findet sich übrigens noch eine kleine Abweichung, welche nicht übersehen werden darf. Wie bei vielen anderen Gelenken, so stellt sich nämlich auch bei dem Ellenbogengelenke im Augen- blicke des Eintrittes in eine der beiden extremen Stellungen eine Schlussrotation ein. Dieselbe ist zwar unbedeutend, ‚aber doch merklich genug. Es bekommt nämlich am Schlusse der Beugung .der Processus coronoides und am Schlusse der Streckung das Olekranon eine kleine ruckartige Verschiebung nach aussen. Die Berührungsverhältnisse zwischen Ulna und Trochlea werden damit zwar im Wesentlichen nicht verändert, jedoch dahin modificirt, dass in der Incisura semilunaris ulnae eine kleine Drehung eintritt, durch welche in der Streckung der äussere Theil des Olekranon und der innere des Processus coronoides etwas härter an die entsprechenden Stellen der Trochlea angedrückt werden, während sich der innere Theil des Olekranon und der äussere des Processus coronoides etwas von der Trochlea abheben; ebenso drückt sich in der Beugung der äussere Theil des Processus coronoides und der innere des Olekranon etwas stärker auf die Trochlea, während der innere Theil des Processus coronoides und der äussere des Olekranon sich etwas abheben. — Ursache für diese Bewegungen ist wohl 474 H. Meyer: für die Streckung die Wirkung des M. anconaeus quartus und für die Beugung der von dem Radius der Ulna mitgetheilte Zug des M. biceps. Das obere Radiusgelenk. — Das Capitulum radii arti- culirt bekanntlich einerseits durch seine Circumferentia articu- laris mit der Incisura semilunaris minor ulnae und dem Lig. annulare andererseits durch seine Fovea glenoides mit der Emi- nentia capitata humeri. Die Circumferentia articularis besteht aus zwei Thei- len, einem gegen die Ulna gerichteten höheren Theile und einem diesem diametral entgegengesetzten niedrigeren; in der Richtung der Drehachse durchschnitten zeigt der erstere Theil eine annähernd gerade Linie, welche in ihrer Mitte eine leichte Convexität gegen die Achse hin besirzt, — der zweite Theil dagegen zeigt sich sehr stark ausgebaucht, so dass die Linie des Durchschnittes etwa !/, Kreisumfang ist; die Concavität der Bauchung ist gegen die Achse gerichtet (vgl. Fig. 55). Der Charakter beider Flächen geht allmählich in einander über. Ein Schnitt durch die Circumferentia articularis parallel der Fovea glenoides zeigt, dass die Circumferentia articularis nicht drehrund ist, sondern oval. Ich finde an dem der Be- schreibung zu Grunde liegenden Exemplare den grössten Durch- messer, welcher parallel der Ellenbogenachse liegt, 25 Mm., den kürzesten, senkrecht auf diesen gestellten dagegen nur 23!/, Mm.; der vordere und hintere Theil der Circumferentia artieularis besitzen demnach einen grösseren Krümmungshalbmesser als der innere und der äussere. | | Die Fovea glenoides ist dagegen kreisrund. Wie sich dieses mit der ovalen Peripherie der Circumferentia articularis verträgt, ist aus Fig. 5 zu ersehen, wo die obere Ansicht («) und der Durchschnitt (5) des Capitulum radii auf einander be- zogen dargestellt sind. Der grössere um den Mittelpunkt 2 ge- zogene Kreis ist der Umfang der Fovea glenoides und die ovale Gestalt der Circumferentia articularis kommt dadurch zu Stande, dass die an der äusseren Seite zu bemerkende Ausbauchung noch besonders aufgetragen ist, wie in Fig d5@ durch die un- terbrochene Curve angezeigt ist. — Bei genauerer Untersuchung Das Ellenbogengelenk. 475 zerfällt die Fovea glenoides in zwei Theile, welche geschieden werden können in die einer Kugelfläche angehörige kreisrunde Fläche A und die mehr ebene halbmondförmige Fläche B, welche letztere, da der Kreis A, excentrisch gelegen, die Pe- ripherie der ganzen Fovea glenoides an der äusseren Seite be- rührt, an dieser Stelle in eine scharfe Kante übergeht. Von diesen beiden Theilen dient die Fläche A allein den Drehbe- wegungen des Radius auf der Eminentia capitata; jedoch findet die Drehung um den Mittelpunkt Z statt; und die Fläche D dient allein der Ginglymusbewegung. Das Radius-Ulna-Gelenk. — Ehe die Ginglymusbe we- sung des Radius und die Beziehungen der Eminentia capitata zu derselben untersucht werden, muss ich vorher noch auf einige Punkte in Bezug auf die Articulation der Circumferentia articularis mit der Incisura semilunaris minor ulnae aufmerk- sam machen. . Für’s Erste nämlich sind die oben gebrauchten Ausdrücke für gewisse Theile der Circumferentia articularis un- genau, weil der grösste Durchmesser, in welchem auch die bei- den Mittelpunkte Z und 2 gelegen sind, in ‘der mittleren Lage nicht senkrecht auf die Flexionsebene steht, sondern unter einem Winkel von c. 45°, wie aus Fig. 2 zu ersehen; die vorher als innere Fläche bezeichnete ist deshalb eigentlich eine hintere innere Fläche u. s. w.; indessen sind die gewählten einfacheren Bezeichnungen doch verständlich, da die Lagenbeziehung des Radius zur Ulna ihnen zu Grunde liegt. — Zweitens ist zu bemerken, dass der Krümmungshalbmesser der Incisura semi- lunaris minor der Ulna merklich grösser ist, als derjenige der anliegenden inneren Seite der Circumferentia articularis; ich fand an dem von mir vorzugsweise untersuchten Exemplare den Krümmungshalbmesser der bezeichneten Stelle der Circumfe- rentia articularis 12 Mm., und denjenigen der Incisura semilu- naris minor der Ulna 15 Mm. — die letztere wird daher auch in der mittleren Lage nicht ganz durch das Capitulum radii ausgefüllt; dagegen schliessen in der Pronationslage und in der Supinationslage die längeren Seiten des durch die Circumferentia articularis gebildeten Ovals genau an ihr an. — Drittens ist zu beachten, dass der Winkel zwischen der inneren Fläche der 476 H. Meyer: Circumferentia artieularis und der Fovea glenoides etwas kleiner ist, als der Winkel zwischen der Incisura semilunaris minor der Ulna und der Oberfläche der Eminentia capitata, so dass, wenn das Capitulum radii genau in der Ulna liegt, es etwas von der Eminentia capitata abgehoben erscheint, und umgekehrt er- scheint es von der Ulna etwas abgehoben, wenn es möglichst genau an die Eminentia capitata sich anschliesst. Für das Fol- gende ist letztere Stellung als maassgebend angesehen. Die Eminentia capitata. — Die Eminentia capitata grenzt sich in der geläufigen Auffassung gegen die Trochlea durch eine zwischen beiden befindliche Rinne ab; sofern man aber unter dem Namen Eminentia capitata den mit dem Ra- dius articulirenden Theil des Processus cubitalis verstehen soll, gehört diese Rinne noch mit zu derselben und die Grenze der Trochlea ist in der Leiste, welche auf der Seite der Trochlea diese Rinne begrenzt. Um die Eintheilung der Oberfläche der Eminentia capitata übersichtlich geben zu können, habe ich in Fig. 1 eine ähnliche entfaltete Skizze von ihr, wie früher in derselben Figur von der Trochlea gegeben und durch die Senk- rechten 7, II und IV die Beziehungen der Eintheilung zu den Theilen der in Fig. 2 eingezeichneten Fovea glenoides darge- stellt. Die Oberfläche der Eminentia capitata zerfällt in vier Zonen, welche in der Zeichuung mit a, db, c und d bezeichnet sind. Von diesen Zonen ist die Zone a, die Rinne mit den angrenzenden Streifen umfassend, nur eine Rutschbahn im Sinne der Ginglymusbewegung für den halbmondförmigen Theil B der Fovea glenoides. — Die Doppelzone be ist mit der Hohlkugelfläche A der Fovea glenoides in Berührung und er- laubt dieser sowohl die Ganglymusbewegung als auch die Dreh- bewegung; ihre Krümmung ist in querer Richtung dieselbe wie ın der Längenrichtung, so dass sie als Theil einer Kugelfläche angesehen werden darf, vorbehalten jedoch einer Modification dieser Auffassung, welche später zu geben ist. Die Linie IT, welche diese Zone in die zwei Theile 5 und c theilt, ist der Weg, auf welchem in der Ginglymusbewegung der Mittelpunkt 1 der Fovea glenoides geht, welcher zugleich Endpunkt der Drehachse in dem Capitulum radıı ist. — Die Zone d ist eine Das Ellenbogengelenk. ATT breite Randkrümmung der Eminentia capitata, welche mit der Fovea artieularis nicht in Berührung tritt. Dieselbe ist, je nachdem der Radius sich mehr an die Ulna oder an den Hu- merus anschmiegt, breiter oder schmaler. — Da nun der äus- ‚sere Rand des Capitulum radıi die Eminentia capitata bis zur Linie IV überragt, so ist immer ein sehr grosser Theil der Fovea glenoides, namentlich ihres Theiles A, ausser Berührung mit der Eminentia capitata. Was nun die Drehbewegungen des Radius angeht, so nımmt an diesen allein die Hohlkugelfläche Antheil; der halb- mondförmige Theil B kann, wie Fig. 55 zeigt, weil er flacher gestaltet ist, nicht auf derselben Kugelfläche aufliegen; man findet deshalb auch immer den ganzen Theil B frei liegend ohne Berührung mit der Eminentia capitata mit Ausnahme allein der im Schema linienförmigen Berührung, welche in der Rinne (Zone a, Fig. 1) in querer Richtung stattfindet; dieselbe findet sich deshalb auch in dem Querschnitte /V a wiedergege- ben. Die Berührung der halbmondförmigen Fläche B mit der Eminentia capitata ist deshalb stets nur eine in der Zone a quergehende Linie. — Dagegen ist die Berührung der Fläche A stets eine flächenhafte in der Doppelzone bc und greift wegen der excentrischen Drehung um den Mittelpunkt 1 bei Pronation und Supination auch etwas in die Zone a über; ın der Streckstellung ist aber diese Berührung eine sehr unbe- deutende, da in derselben der Mittelpunkt Z ungefähr nach y (Fig. 1) zu stehen kommt. — Die Drehachse, um welche sich der Radius bewegt, muss immer. ein Halbmesser derjenigen Kugel sein, welcher die Doppelzone be angehört, und zwar ein solcher, zu welchem die Linie IT als Peripherie gehört; es muss demnach ein Halbmesser sein, welcher nicht den Mittel- punkt 2 der Hohlkugelfläche A trifft, sondern den excentrisch liegenden Punkt 1; ein solcher Halbmesser muss aber eine aus dem Mittelpunkte nach innen gehende schiefe Richtung gegen die Flexionsebene besitzen (vgl. hierzu die Linie x in Fig. 55 und den Durchschnitt ZVa). — Ich habe die Schieflage in der Construction zu 6° bestimmt, und die in dem Präparate durch Ausprobiren gefundene Drehachse zeigt ungefähr dieselbe Nei- gung. 478 H. Meyer: Das soeben gewonnene Bild von der Gestalt der Eminentia capitata bedarf indessen noch einiger Modification, indem sich von der gegebenen Darstellung zwei Abweichungen zeigen. Diese sind folgende: 1) In Fig. 1 sind zwei Stellen der Eminentia capitata mit* ce und £ bezeichnet; zieht man von diesen Punkten aus Quer- linien, so scheidet man die Fläche der Eminentia capitata in drei Theile, welche sich in der Art von einander unterscheiden, dass die hintere und die vordere Abtheilung in der Richtung der Flexionsebene einen Durchschnitt von etwas geringerem Krümmungshalbmesser besitzen als die mittlere Abthei- lung, ohne dass indessen das Hauptverhältniss dadurch wesent- lich gestört würde. Ursache für diese kleine Modification ist ohne Zweifel die hemmende Spannung des Ligamentum laterale externum, welche sich in den beiden extremen Stellungen ein- stellt und das Capitulum radii stärker an den Humerus an- drücken muss. 2) Die Flexionsebene der Trochlea besitzt, wie in dem Frü- heren gezeigt wurde, einen schraubenförmigen Gang, wenn auch mit nur geringer Steigung. Der mit der Ulna eng verbundene Radius muss in seinen Ginglymusbewegungen nothwendig die- selbe Richtung seines Ganges haben, wie dieses auch schon da- durch angedeutet wird, dass die Rinne, in welcher die halb- mondförmige Abtheilung ‘seiner Fovea glenoides läuft, mit der Rinne der Trochlea parallel ist; und in Wirklichkeit findet man, wenn man in früher angegebener Weise den mittleren Theil (zwischen « und £ in Fig. 1) der Eminentia capitata ergänzt, dass diese letztere ebenfalls eine Schraubengestalt besitzt und zwar mit derselben Steigung des Schraubenganges, welche bei der Trochlea gefunden wurde, nämlich um c. 5 Mm. — Die in Fig. 1 zwischen / und Z/I liegende Doppelzone be ist da- her, genau genommen, nicht eine Kugelzone, sondern ein Schraubengang, dessen Erzeugungslinie ein Kreis- bogen ist, dessen Mittelpunkt in der Achse des EI- lenbogenglenkes gelegen ist. — Daher erklärt sich auch die Thatsache, dass ein Durchschnitt durch die Hohlkugelfläche der Fovea glenoides in querer Richtung und in der Richtung Das Ellenbogengelenk. » 479 der Linie // genau auf die Eminentia capitata passt, nicht ganz genau aber in den beiden schrägen Richtungen. — Indessen kann doch ohne einen grossen Fehler die jedesmal von dem Radius bedeckte Stelle der Zone be als Theil einer Kugelfläche angesehen werden. Die Ligamenta lateralia. — Die Ligamenta lateralia des Ellenbogens, von welchen das äussere den Radius mit zwei Schenkeln umgreift und mit dem sogenannten Ligamentum an- nulare radii verschmolzen ist, sind zwar hinlänglich bekannt und auch einfach in ihrer Anordnung. Jedoch ist noch auf ein besonderes Verhältniss ihres Ursprunges zu den Endpunk- ten der Achse des Ellenbogengelenkes aufmerksam zu macher, welcher sie befähigt, zugleich als Hemmungsbänder für die Beugung und für die Streckung aufzutreten. Dieser Ursprung ist nämlich eine durch den Endpunkt der Gelenkachse gehende Linie, welche horizontal liest, wenn man den Humerus auf der senkrecht gestellten Ulna in mittlere Lage bringt; bringt man den Humerus auf der ruhenden Ulna in Strecklage, so hebt sich der vordere Theil dieser Linie und damit wird der vor- dere Theil des Ligamentumulaterale bis zur hemmenden Wir- kung gespannt; bringt man ihn dann in Beugelage, so geschieht das Gleiche an dem hinteren Ende der Ursprungslinie, diese Einrichtung ist für die Beugung sowohl als für die Streckung das wichtigste Hemmungsmittel; für die Streckung tritt dann nur noch das Ligamentum accessorium cubiti noch unterstützend auf. — Die beschriebene Anordnung des Ursprunges der beiden Ligamenta lateralia wird dadurch etwas unkenntlich gemacht, dass der mittlere an dem Endpunkte der Drehachse entsprin- gende Theil des Bandes eine oberflächliche, etwas höher ent- springende, ziemlich mächtige Schichte zur Verstärkung hat, welche in der mittleren Lage gespannt erscheint. Am deut- lichsten findet man diese Verhältnisse an dem Ligamentum la- terale internum ausgesprochen, indem bei diesem das eben er- wähnte Verstärkungsbündel am bedeutendsten ist, und indem die Ursprungslinie über die hintere und die vordere Fläche des Condylus internus hingeht, so dass in der Streckung von der vorderen Fläche des Condylus eine breite hemmende Bandplatte 480 HI. Meyer: Das Ellenbogengelenk. zur Ulna hinabgeht, und in der Beugung eine gleiche von der hinteren Fläche des Condylus. Anmerkung. Die oben gegebene Beschreibung der Gelenkflächen des Ellenbogengelenkes ist nach Präparaten von einen kräftigen männlichen Individuum gegeben, bei welchem alle Formen sehr ausgesprochen waren. Bei zarteren oder weiblichen Individuen findet man die Formen nicht immer so charakteristisch‘ ausge- sprochen. Namentlich finde ich häufig, dass die in Fig. 1 mit 4 bezeichnete äussere Seitenfläche des Processus eubitalis fehlt und dagegen die Rinne, in welcher die halbmondförmige Fläche des Capitulum radii läuft, sehr breit und tief ist und dem entspre- chend auch die Gestalt des Radius modifieirt gefunden wird, Zürich, im Mai 1866. W.Sklarek: Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. 481] Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. Von Dr. W. SKLAREK in Berlin. So vielfach auch die arsenige Säure als Gift und als Medi- cament mit dem thierischen Organismus in Wechselwirkung gebracht worden, so zahlreich die Gelegenheiten waren und sind, die Wirkung dieses Körpers auf Mensch und Thier zu beobachten, ebenso spärlich und ungenau sind die über diese Wirkung gemachten Angaben, so dunkel und geheimnissvoll sind die vielen Symptome, welche die Aufnahme der arsenigen Säure in den lebenden Körper begleiten. Sicher festgestellt und von allen Autoren übereinstimmend angegeben ist nur die Erregung von Entzündungen in den ersten Wegen mit allen secundären Folgezuständen, und nach den Untersuchungen von Saikowsky und Anderen die fettige Degeneration der inne- ren Organe nach dem Gebrauche des Arseniks. Die Reihe .der anderen Erscheinungen, deren Existenz den einzelnen Beobach- tern nicht entgangen ist, werden unter der Bezeichnung der Cerebrospinalerscheinungen und Asphyxie zusammengefasst und enthalten eine bunte Reihe von Convulsionen, Lähmungen, Schmerzen und Anästhesien u. s. w. So wird die Wirkung der arsenigen Säure noch in den neuesten Handbüchern der Toxicologie geschildert, und ähnlichen Beschreibungen begegnet man überall, wo man sich über die Wirkung dieses Mittels, so weit sie nicht eine rein anatomische und örtliche ist, zu unter- richten sucht, a _ Wir haben es nun versucht, durch eine Reihe von Experi- Beichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. H 34 482 W. Sklarek: menten an Fröschen, Kaninchen und Katzen, die Frage nach den physiologischen Wirkungen der arsenigen Säure zu beant- worten, und haben, von allen anderen ebenso interessanten als wichtigen Momenten absehend, unsere Aufmerksamkeit aus- schliesslich concentrirt auf die Erscheinungen, welche die mit arseniger Säure vergifteten Thiere von Seiten ihres Herzens und Nervensystems darbieten. Die arsenige Säure wurde in einer zweiprocentigen Lösung in verschiedenen Dosen dem Versuchsthiere subcutan injieirt. Weil jedoch die Lösung keine constante ist und sehr leicht etwas arsenige Säure fallen lässt, kann die Bestimmung der Dosen, die im Allgemeinen zwischen !/, und 2 Cc. der Lösung schwank- ten, keinen Anspruch auf Genauigkeit machen und soll daher hier unberücksichtigt bleiben. Mit der Bezeichnung grosser und kleiner Dosen soll nur das allgemeine Verhältniss der ange- wandten Quantitäten zu einander approximativ angedeutet wer- den. In einer späteren Versuchsreihe konnte die Lösung der arsenigen Säure durch Auflösungen von arsenigsaurem Kali und arsenigsaurem Natron ersetzt werden. Die Wirkung war die- selbe und muss demnach der arsenigen Säure als solcher zuge- schrieben werden. Auch die Kalı und Natronsalze der arseni- gen Säure wurden in derselben Weise dem Versuchsthiere sub- eutan injieirt und nicht genau dosirt, weil sich bei grösseren und kleineren Dosen kein Unterschied in der Wirkung heraus- stellte, was ganz mit dem Verhalten der arsenigen Säure selbst übereinstimmt. A. Wirkungen auf das Herz. Vers. I. 9./5. Ein Frosch wird auf ein Brettchen gebunden und das Herz um 3° 30’ blosgelegt. Es zeigen sich . . . . 14 Contr. in Ya’. - 33’ Injection von AsO®lösung in die offene SR dee De DR ee - 45° Ventrikel nimmt an Umfang zu, wird bei der Systole nur wenig heller als in der Diastale; 2.0.0 2 u en ld gie - 0. SE BD: 0 ee N ee ee LO ee - 55‘ keine spontane Contr. des Herzens, die aber durch Rei- zung noch ausgelöst werden. 4° 15° Herz durch elektrische Reize nicht erregbar. Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. 483 Vers. II. 13./6. 5° 3° einem Frosche wird eine grosse Menge AsO3lösung injieirt. 5° 15' das Herz wird blosgelegt, ist stark mit Blut angefüllt, macht 11 Contr. in !/a'. Zwischen Vorhof- und Ventrikelcontraction ist eine grosse Pause. - 35‘ Herz steht still, ist stark mit Blut angefüllt. Mechanische Reizung desselben erzeugt schwache Zuckungen. - 45' Locale mechanische Reizung des Herzens hat eine auf die ge- reizte Stelle beschränkte Uontraction des Herzmuskels zur Folge. Diese Stelle bleibt contrahirt und bildet einen weissen Fleck auf dem dunkelrothen Grunde. Dieselbe Wirkung localer mechanischer Reizung zeigt sich an allen anderen Stellen des Ventrikels. An den Vorhöfen ist mechanische Reizung ohne Wirkung. - 55° der Ventrikel ist in Folge der überall an ihm angestellten Versuche localer Reizung vollständig contrahirt, die Vorhöfe erweitert. Am ausgeschnittenen Herzen bleibt das Verhalten dasselbe. Vers. III. 4./7. 5° 38’ das freigelegte Herz des Frosches contr. sich 15 mal in !/«'. - 43’ 4 Tropfen AsO?lösung unter die Haut injeirt 15 - DE SR Ne a re nd = 2 EI SR EAN Tone ei BER RR RN REES ERRE DINERE DO SE ET I ern N a LE TEN RES TG DE A RE EN a ee NR ER ARE SONS HE FIENAER | DER alla. 2 Re re EA ER Bl ee Dir linke obere Theil des Ventrikels sich nicht vollständig bei der Systole. SE Se ER ES ene ce > - 14' EL Der N bleibt bei Be SE HSR roth, ist im Ganzen mehr ausgedehnt. N sn a END. rn > Me er BE BET NETT N ne Ka Ber - 35° das Herz enteohirt Sch ah AN DE Der Umfang und die Röthe des Yontnkals haben allmäh- lich zugenommen. =:30. vu" a ER E D e Die Eolsartohlen des Herzen rühren jetzt nur von den 31” 484 - 16' 22° 30' 33 - 38' 40' 45' 50 - W. Sklarek: Contractionen der Vorhöfe her; der pralle Ventrikel wird passiv gehoben. e ä 10 mal in !/«‘. Dia Yorhöfe oral Sins oh inkl Blute gefüllt. der mechanisch gereizte Ventrikel wird blass und steht still, nur die Bulbi venosi contrahiren sich jetz 9... Di Sal = das ausgeschnittene Heiz is weh a Vers. IV, Einem Frosche werden etwa 5 Tropfen AsO°lösung unter die Haut injiecirt. das Herz wird freigelegt, wobei eine starke Blutung, eintritba . 50. 23.02 . 2922 Bulsein!/a”. ana Wire Hal saualor oe ae A TOR ARTEN Pole ON ORT Der Ventrikel ist vergrössert, wird bei der Contraction nicht ganz blass. RR RR UN RR REN OH OE e z elle Es ln ale neine, An des Körpers auf, wäh- rend welcher der Ventrikel sich kräftiger Buhl, mehr Blut entsendet. a Venksikel anseedehn!, ande wenig seine Farbe. Be Es erden 12 Tropfen de Nous a das Herz ge- träufelt, ohne irgend welche Erscheinung hervorzurufen. lee 2 A en. Der Vena uni seine nis gar kai mehr. le abe: u 1 inne ern Wentukel bleibt als weisser Klumpen contrahirt, lässt kein Blut mehr eindringen. Die Vorhöfe sind prall ausgedehnt, contrahiren sich nur sehr schwach . . . . ee kaum sichtbare lb onn an den patlhrem Vor- höfen. das Herz contrahirt sich gar nicht mehr. 17 /8. 82/9. Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure, 485 Vers. V. 30' das freigelegte Herz des Frosches zeigt 18 u. 19 Pulse in !/«'. 35' 44' 45' - BRIHTISTTSEERL IS} -" 2 .- - 40' Spontane heftige Muskelanstrengnng 20 - 21 - - - RE Re a I DONNT WER S- Injection von !/s Ce. AsO?lösung, sehr heftige Muskel- contractionen. 50’ der Frosch ist sehr unruhig . . .24-25 - -- 52° 54' 57' 58’ 59' 2 13' desgl. in BD 23 u .g una lan ra HI EUR EI 20 =. = 'n= Ventrikel entleert sich nicht vollständig 13 - - - Die Herzpausen sind ungleich lang. Pausen. ungleich, IH. Sm ine 3 E09Y 9 72.7) - TOEIBERAOTT RE DIR = 1 145 ER eh N aa RR 1 Puls in !e!. Herz ist prall mit Blut gefüllt, contrahirt sich gar nicht. Trotz öfter auftretender Bewegungen des Frosches zeigen sich keine Contractionen des Herzens. mechanische Reizung des Herzens, dessen Vorhöfe stär- ker gefüllt sind, als der Ventrikel, hat keine Zuckung, sondern locale Contraction zur Folge. auch das ausgeschnittene, von seinem Blute befreite Herz eontrahirt sich mechanisch gewiss nicht. Vers. VI. Injection von etwa 1 Ce. AsO®lösung unter die Rücken- ‚haut. Trennung des Rückenmarks. Herz wird freigelegt, Ventrikel dilatirt, entleert bei der Systole sein Blut nicht vollständig . 15 Pulse in !/a’. unregelmässige Herzpausen . . . . 13 - - - a na kr ae aa are Salnzi och Zerstörung der Medulla oblongata. ee a ee nn Ei ee Die Vorhöfe grösser, erweitert. Vorhöfe und Ventrikel contrahiren sich gleichmässig, ohne ihr Blut zuentleeren 7 - - - Er a Nee ae 2 2 = en Die Vorhöfe contr. sich in derselben Zeit 4 - - - Ventrikel sehr erweitert, Blut dunkel. Herz steht still; angeschnitten und von seinem Inhalte befreit, contrahirt es sich auch nicht, 486 W. Sklarek: Vers. VII. 16./11. 1°40° Einem Frosche wird 1 Ce. AsO?NaO lösung injieirt. - 52' am freigelegten Herzen sieht man . 11 Pulse in !/s' ZEODIN ee DE UNNA HU RHL -SARTIOA® "Ve nn RR N NS TE ae Sn Der Ventrikel contrahirt sich vollständig. DEREN N oe Ye ES CEO LTR) 0 2 a Der Ventrikel bleibt, bei der Systole roth. LOBEN N IR A RB a De N) Zr Ventrikel in der Systole ganz gefüllt, die mit der Pin- cette gefasste Herzspitze bleibt weiss. 201.0 0 SE Oli BIBLIO er Ventrikel prall mit Blut gefüllt. - 25° Herzcontractionen unregelmässig . . 6 - - - ten regelmässige 0... na ulnn, - 45' Herz steht still, ist prall mit Blut angefüllt, contrahirt sich gereizt einmal und macht, ausgeschnitten, noch mehrere rhythmische Contractionen. Vers. VII. 21/11. 12040‘ Einem Frosche werden 2 Cc. As03KOlösung injicirt. - 52° Herz freigelegt, Ventrikel stark dilatirt 12 Pulsein!/«'. 1° 18° Herz steht still u. bietet alle bekannten Erscheinungen. Vorstehende 8 Versuche, welche aus einer grossen Anzahl ähnlicher entnommen sind, beweisen, dass das Herz eines Fro- sches, dem eıne Lösung, von arseniger Säure, oder das arsenig- saure Natron und Kali eingespritzt worden, nach einiger Zeit bei seiner Zusammenziehung das enthaltende Blut nicht mehr in die Arterie entleeren kann, dass später auch die Frequenz seiner Contractionen abnimmt und schliesslich bleibt das Herz - ganz still stehen, indem es nur für sehr kurze Zeit die Fähig- keit, auf einen äusseren Reiz durch eine Zusammenziehung zu reagiren, behält. Bezeichnen wir diese Wirkung als Abnahme der Leistungsfähigkeit des Herzens, so kann dieselbe zweierlei Ursachen haben. Sie kann herrühren von einer Vermehrung der Widerstände, oder von einer Abnahme der bewegenden Kraft. Die Vermehrung der Widerstände kann ihrerseits eine mechanische, von Arteriensysteme ausgehende, oder eine ner- "Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. 487 vöse, vom Hemmungsnervensysteme herrührende sein. Diese beiden Möglichkeiten lassen sich aber leicht ausschliessen, denn weder das An- und Ausschneiden des Herzens, wodurch alle mechanischen Widerstände der Blutentleerung aus dem Herzen entfernt werden, giebt dem Herzen seine Contractionsfähigkeit wieder; noch wird bei Zerstörung der Medulla ein anderer Verlauf der Erscheinungen seitens des Herzens beobachtet. Die verminderte Leistungsfähigkeit des Herzens beruht dem- nach nur in einer Abnahme der bewegenden Kraft. Auch diese kann zwei Ursachen haben. Sie kann bedingt sein in vermin- derter Leistungsfähigkeit der Muskeln, oder der nervösen Ap- parate des Herzens. Die angestellten Versuche zeigen jedoch, dass die Contractionsfähigkeit der Muskeln unverändert fortbe- steht, nachdem das Herz zu pulsiren aufgehört hat. Locale Reizungen bringen immer und an jeder Stelle des Ventrikels locale Contractionen hervor. Es folgt daher aus den angegebe- nen Versuchen, dass nach der Aufnahme der arsenigen Säure oder eines arsenigsauren Alkalisalzes die motorischen Herzgan- glien schwächer und bald vollständig leistungsunfähig werden. - Die Zeit, in welcher diese Wirkung auf das Herz eintritt, ist verschieden. Nach Injection grosser Dosen tritt die Läh- mung des Herzens schneller, bei kleinen Dosen langsamer ein. Doch war die Lähmung des Herzens selbst nach Anwendung verhältnissmässig sehr grosser Dosen nie eine momentane; sie trat vielmehr immer erst nach 5—10 Minuten ein. Die Wir- kung selbst ist aber immer dieselbe. In keinem Falle ist vor der Lähmung der Herzganglien eine Reizung derselben und gesteigerte Herzthätigkeit beobachtet. Wo die Pulsfrequenz nach der Einwirkung der arsenigen Säure zugenommen, war dies stets die Folge anderer Momente, besonders starker Mus- kelanstrengungen. Ebensowenig blieb das Herz mit einem Male stehen. Stets gingen dem Aufhören der Pulsationen eine ganze Reihe von Herzcontractionen vorher, durch welche nur ein Theil des Blutes entleert wurde. Der bei der Systole zu- rückbleibende Theil des Blutes wurde nur allmählich immer grösser, bis endlich der Ventrikel auch bei seiner Contraction ganz prall angefüllt blieb. 488 W, Sklarek: Die allmähliche Abnahme der Leistungsfähigkeit der moto- ' rischen Herzganglien bis zum völligen Erlöschen sich steigernd, und in Folge dessen Ansammlung des Blutes im Herzen ist die Wırkung der arsenigen Säure in den verschiedensten Dosen auf das Froschherz. Bei den Säugethieren ist die Wirkung auf das Herz die- selbe. Die Erscheinungen lassen sich hier jedoch nicht so di- rect beobachten und ‘werden durch Veränderungen in der Re- spiration complieirt. Folgender Versuch wird gleichwohl zeigen, dass die Lähmung des Herzens in derselben Weise bei den Säugethieren wie bei den Fröschen auftritt, Vers. IX. 233./11. 2° 10‘. Kleine graue Katze. Temperatur im Rectum 38,4% C. 24 Pulse und 6 Resp. in 5’. 15° Injection von 2 Cc. AsO°KOlösung unter die Haut. 17° 20 Pulse und’ 5 Resp. in 5’. 20' 18 = a - 30° Temperatur 37,7% C., sinkt während des Messens auf 37,4° GC. 24 Pulse und 4 Resp. in 5‘. 40' 18 Pulse und 5 Resp. in 5‘. 45' Temp. 37,1°C., Pulse 16—18, Resp. 4 in 5’. ö8 - 369° --» -schwachi6, - 3u.4 - Bag malen) IR de, un - 30 na SB le N 3 ‚42° ABl rue, a Abends 7 Uhr erfolgte der Tod, nachdem Erbrechen unmittel- bar vorher gegangen. . Das Sinken der Temperatur von 2,5% C. in einem geheizten Raume, begleitet von einem Schwächerwerden der Herztöne, ist hier ein sicherer Beweis dafür, dass auch bei den Säuge- thieren derselbe Nachlass der. Leistungsfähigkeit des Herzens nach der Aufnahme der arsenigen Säure in das Blut eintritt, wie er bei den Fröschen direct gesehen werden kann. Als Folge dieser verminderten Leistungsfähigkeit des Herzens wird ferner bei Säugethieren, die bis zum Eintritte des Todes beob- achtet werden, eine sich allmählich steigernde Dyspno& gesehen, welche die nächste Todesursache zu bilden scheint. Bei, Ka- Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. 489 ninchen, deren Respiration eine vorwiegend abdominale ist, be- theiligen sich bald die Thorax-, dann die Hals- und Gesichts- muskeln am Inspirationsact. Die Frequenz der Athemzüge wird kleiner und es tritt der Tod unter Cyanose nach kurzen schwa- chen Convulsionen ein. Eine Aenderung der Frequenz und des Typus der Respiration bei Thieren, denen keine tödtliche Dosis von arseniger Säure beigebracht worden, wird nicht beobachtet. Das allmähliche Sinken der Temperatur, die merkliche Ab- nahme der hörbaren Herztöne, und das schliessliche Eintreten der Dyspno& als Vorläufer des Todes lassen schon an sich, mehr aber noch im Hinblicke auf diean den Froschherzen con- statirten Thatsachen keine andere Erklärung zu, als dass auch bei Säugethieren, eine Abnahme und ein völliges Aufhören der Leistungsfähigkeit des Herzens als Folge der arsenigen Säure eintritt. Es charakterisirt sich somit die arsenige Säure und ihr Natron- und Kalisalz als ein Gift, welches durch Lähmung der motorischen Herznerven den Tod zur Folge hat. Ob es gelingen könnte, durch sehr kleine Dosen ein blosses Herabsetzen der Leistungsfähigkeit des Herzens ohne Ausgang in Lähmung desselben zu erzielen; ob also der Organismus die aufgenommene arsenige Säure wieder ausscheiden kann, bevor die Herzwirkung bis zur völligen Lähmung desselben vorge- schritten ist, bedarf noch einer besonderen Untersuchung. Es wird aber a priori einleuchten, dass, wenn erst eine solche Menge dieses Körpers aufgenommen ist, um eine Wirkung auf das Herz zu erzeugen, die verminderte Leistungsfähigkeit des Herzens dem schnellen Eliminiren dieses Giftes aus dem Körper entgegentreten wird. B. Wirkungen auf das Nervensystem. Die Erscheinungen, welche ein mit arseniger Säure, arsenig- saurem Kali oder Natron vergiftetes Thier am Nervensystem darbietet, sind wie das Organ selbst viel complicirter als das bisher beobachtete Verhalten des Herzens. Es können daher hier nicht die vielen einzelnen Experimente, welche zur Erui- rung des einfachen Sachverhaltes angestellt werden mussten 490 W, Sklarek: aufgezählt werden. Eine Schilderung der Resultate, wie sie sich im Verlaufe der Untersuchung herausstellten, wird ihre Stelle zweckmässiger ersetzen. Wird ein Frosch durch Injection einer Lösung von arseniger Säure vergiftet, so zeigt sich die Wirkung nach etwa 5 Minuten darin, dass der Frosch an einer Stelle mit eingezogenen Extre- mitäten platt aufliegendem Kopfe ohne Respiration da liegt, und diese Stellung bis zum Tode beibehält. Es ruhen somit alle spontanen Muskelthätigkeiten. Wird der Frosch aber aus seiner Lage durch Stossen, Abziehen der Beine oder Umlegen auf den Rücken gestört, se macht er sehr lebhafte Bewegungen, bis er nach einiger Zeit wieder seine Bauchlage mit angezoge- nen Extremitäten und platt aufliegendem Kopfe eingenommen hat. In dieser verharrt er nun weiter, wenn er nicht gestört wird, bis zum Tode. Spricht schon die Erscheinung an sich gegen das Vorhandensein einer Lähmung der Muskeln oder der motorischen Nerven, so wurde die Abwesenheit dieser Lähmung auch noch durch directe Versuche erwiesen. Die Muskeln und motorischen Nerven eines vergifteten Frosches waren nicht min- der functionsfähig als die eines unvergifteten. Auch an ein und demselben Thiere wurde nach Unterbindung der Blutgefässe einer Extremität vor der Vergiftung ein Unterschied zwischen den vergifteten und nicht vergifteten Muskeln und motorischen Nerven nicht beobachtet. Gleichzeitig beweisen dıe angeführten Thatsachen, dass das Muskelgefühl intact geblieben. Der vergiftete Frosch reagirt gegen jede Lageveränderung bis unmittelbar vor dem Tode. Noch lange nachdem das Herz zu pulsiren aufgehört hat, sucht er beim Umlegen auf den Rücken durch alle möglichen Kör- peranstrengungen die Bauchlage wieder zu gewinnen. Bleiben somit ausser den motorischen Nerven auch die Orts- gefühlsnerven intact, so zeigen die rein sensiblen Nerven eine bedeutende Veränderung. Nach eingetretener Wirkung bei kleinen Dosen, sogar noch bevor eine merkliche Wirkung am Herzen zu constatiren ist, werden sensible Reize, kaustische und thermische, selbst rein mechanische, wenn dieselben mit der nöthigen Vorsicht, dass nicht gleichzeitig die geprüfte Stelle Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. 491 eine Ortsveränderung erleide, angewendet werden, nicht beantwor- tet. Bestreichen mit Säuren, tiefes Brennen mit einem glühenden Drathe, starkes Kneipen scheint der Frosch nicht zu empfinden. Diese Reize lösen keine Bewegung aus, an welcher Stelle des Körpers sie auch applieirt werden. Der Erfolg ist derselbe, wenn das Centralnervensystem unverletzt, oder wenn durch Decapi- tation das reflexhemmende Organ entfernt ist. Die Ursache dieser Erscheinung kann nun entweder eine Lähmung der peripherischen sensiblen Nerven oder der die sensiblen Empfindungen leitenden und auf die unversehrten mo- torischen Nerven übertragenden Theile des Rückenmarks sein. Es müssen also entweder die sensiblen Nerven oder das Rük- kenmark von der arsenigen Säure afficirt werden. Das Gehirn kann hier deshalb ausser Frage gelassen werden, weil die Ent- fernung desselben in dem Verlaufe der Erscheinung keine Aen- derung hervorbringt. Die sensiblen Endapparate und die peripherischen Nerven werden durch die arsenige Säure nicht angegriffen. Unterbin- det man einem Frosche die lliaca einer Seite und vergiftet ihn dann, so werden die thermischen und chemischen Reize des vergifteten Beines ebensowenig beantwortet als vom vergifteten. Die durch das Gift erzeugte Lähmung kann daher weder in den Endapparaten noch in den peripherischen sensiblen Nerven ihren Sitz haben. Vielmehr folgt aus den Versuchen der Schluss, dass das Rückenmark entweder als Leiter oder als Uebertrager der sensiblen Eindrücke auf die motorischen Nerven gestört ist. Hierbei muss es jedoch auffallend bleiben, dass die Muskelge- fühle, die Empfindung der Lage, auch im vergifteten Rücken- marke fortgeleitet und von diesem auf die entsprechenden mo- torischen Apparate übertragen werden. Während also hier von dem das Muskelgefühl aufnehmenden Nervenende bis zum End- organe des motorischen Nerven, das die Muskelfaser zur Con- traction veranlasst, eine unverletzte, durch das vergiftete Rük- kenmark gehende Nervenbahn vorhanden ist, tritt uns für die thermische und chemische Empfindung eine Lücke in dieser Bahn vom sensiblen zum motorischen Endapparate entgegen. Diese Lücke muss im Rückenmarkstheile dieser Bahn gesucht werden. | | 492 W. Sklarek: Es wird also nicht das ganze Rückenmark, sondern nur der Theil gelähmt, welcher die thermisch-chemischen Reize leitet. Die Leitung der Lageempfindung ist unverletzt. Eine Erklä- rung dieses Unterschiedes giebt nur die Auffassung von Schiff, welche die Leitung des Muskelgefühls und die der Schmerz- empfindung auch anatomisch geschieden, erstere den hinteren weissen Rückenmarkssträngen , letztere der hinteren grauen ' Substanz überträgt. Wir müssen hiernach annehmen, dass durch die arsenige Säure nur die hintere graue Substanz des Rückenmarks gelähmt wird. Die Versuche an Fröschen haben aber auch eine Beein- trächtigung im motorischen Nervenapparate ergeben; es waren die spontanen Bewegungen der vergifteten Thiere verschwunden. Die motorischen Nerven und die Muskeln sind intact. Die Störung und Unterbrechung der Bahn für die willkürlichen Muskelbewegungen muss höher oben unterbrochen sein. Könnte man annehmen, dass der vordere Theil der grauen Substanz des Rückenmarks die Leitung dieser motorischen Erregung ver- mittelt, so würde es auch möglich sein, die Gesammterschei- nungen von Seiten des Nervensystems nach Vergiftung mit ar- seniger Säure als Lähmung der ganzen grauen Substanz des Rückenmarks zu bezeichnen. Diese Annahme jedoch, dass die vordere graue Substanz nur die willkürlichen motorischen Er- regungen leite, während die reflectorisch von den hinteren Strängen des Rückenmarks ausgelösten motorischen Erregungen andere Bahnen verfolgen, die graue Substanz gar nicht berüh- ren, ist nicht erwiesen. Den hier ausführlich beschriebenen Lähmungserscheinungen im Gebiete des Rückenmarks gehen in keinem Falle Reizungs- erscheinungen vorher. Niemals war eine erhöhte Reflexerreg- barkeit für thermische oder chemische Reize vorhergegangen. Ebensowenig wurde das Aufhören jeder willkürlichen Bewegung durch Krämpfe eingeleitet. In dieser Beziehung verliefen die Erscheinungen am Nervensystem ganz analog dem des Herzens. Versuche an Säugethieren, Kaninchen und Katzen geben im Allgemeinen dieselben Resultate, doch nicht so prägnant. Ther- mische und chemische Reize der Haut wurden von den Kanin- Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Säure. 493 chen fast gar nicht, von den Katzen viel schwächer als im Nor- malen durch Bewegungen beantwortet. Das Aufhören der will- kürlichen Bewegungen trat bei ihnen viel später ein, und war erst kurz vor dem Tode zu beobachten. Bei dem bedeutenden Eingriffe aber, den die gleichzeitige Störung der Herzfunction bei den Säugethieren veranlasst, lassen sich die Erscheinungen vom Nervensysteme hier nur schwer beobachten. Grosse und kleine Dosen hatten’ auf die Art der durch sie veranlassten Erscheinungen keinen Einfluss. Der Unterschied der Wirkung betraf nur ihre Zeit. Bei kleinen Dosen trat die Unempfindlichkeit viel später ein wie bei grossen. Das Auf- hören der willkürlichen Bewegungen schien im Allgemeinen mit dem Aufhören der Empfindlichkeit gleichzeitig‘ einzutreten, und war meist früher vorhanden , als eine sichtbare Verände- rung in der Thätigkeit des blosgelegten Herzens. Das arsenigsaure Natron und Kali unterscheiden sich auch in Bezug ihrer Wirkung auf das Nervensystem gar nicht von .der arsenigen Säure. Die naheliegenden Schlüsse, die aus diesen Thatsachen auf die Wirkung der Sol. Fowleri (AsO°KO) bei Chorea und anderen Nervenkrankheiten zu ziehen wären, die Deutungen, die aus der constatirten Wirkung auf das Herz für die Fettbildung nach Arsenikgebrauch abzuleiten wären, sollen hier nur angedeutet werden und bedürfen noch weiterer Untersuchungen. Schliesslich erlaube ich mir, Herrn Prof. du Bois-Rey- mond, der mir bereitwilligst gestattete, einen grossen Theil meiner Versuche im hiesigen physiologischen Laboratorium anzu- stellen, meinen besten Dank hierdurch öffentlich auszusprechen. Berlin, April 1866. 494 | P. Guttmann: Bemerkungen über die physiologische Wirkung des Veratrin. Von Dr. PAuL GUTTmaAnnN in Berlin. In einer Reihe von Versuchen, die ich im hiesigen physio- logischen Laboratorium über die Wirkung des Veratrin an Frö- schen, Tauben und Kaninchen angestellt habe, richtete ich meine Aufmerksamkeit besonders auf eine specielle Wirkung dieses Alkaloides, offenbar die physiologisch interessanteste, die Wirkung auf die quergestreifte Musculatur. ‘Während die anderen Erscheinungen der Veratrinwirkung, welche durch die Affection des Rückenmarks bedingt werden, je nach der Menge des Giftes und selbst bei gleichen Mengen eine sehr wechselnde Form zeigen, während die vielfach her- vorgehobenen Convulsionen mitunter bei Säugethieren ganz feh- len, ist die Wirkung auf die quergestreiften Muskeln durch alle Thierklassen constant. Um so auffallender ist es daher, dass diese Wirkung von früheren Autoren fast gar nicht gewürdigt worden ist; soweit deren Untersuchungen in der Arbeit von van Praag!) resümirt sind, wird unter dem Symptomencom- plexe der Veratrinvergiftung nur gelegentlich einer Muskel- schwäche erwähnt, ohne dass auf die Ursache derselben einge- gangen wird; erst Kölliker?) hat das Veratrin als Muskelgift bezeichnet, weil die Muskeln des Frosches schon in der ersten 1) Virchow's Archiv, Bd. VII. p. 252—298. 2) Virchow’s Archiv, Bd. X. p. 257—272. Bemerkungen über die physiologische Wirkung des Veratrin. 495 Stunde nach der Vergiftung weniger erregbar sind, nach 3—4 Stunden ihre Erregbarkeit vollständig verlieren und todtenstarr werden. — Die gleiche intensive Wirkung hat das Veratrin auch auf die Muskeln der warmblütigen Thiere und die na- mentlich bei nicht rasch tödtlichen Dosen immer stärker wer- dende Bewegungslähmung ist bedingt durch die Lähmung, von welcher die verschiedensten Muskelgruppen der Reihe nach be- fallen werden. Der Schluss, dass die Bewegungslähmung in der Wirkung auf die Muskeln zu suchen ist, lässt sich aus der Analogie der vollkommen gleichen Erscheinungen an den kalt- blütigen Thieren und ferner daraus ziehen, dass die Nerven- centra und Nervenstämme nicht gelähmt werden. Die Erscheinungen der Veratrinvergiftung sind zunächst bei den Fröschen folgende. Sehr bald nach der Application selbst nur eines einzigen Tropfens einer lOprocentigen alkoholischen oder essigsauren Veratrinlösung, gleichviel ob das Gift auf die Haut subeutan oder in den Magen gebracht wird, tritt ein Zu- stand der erhöhten Reflexerregbarkeit ein; sowohl spontan, na- mentlich bei den Sprungversuchen, als auch auf Erregung sen- sibler Nerven werden die Bewegungen tetanisch.. Bald aber leidet in hohem Grade die Bewegungsfähigkeit unter einem Complexe von Erscheinungen, der, bevor man noch eine ein- gehendere Untersuchung angestellt hat, schon darauf hinweist, dass der Wille für die Bewegungen vollständig vorhanden ist, das Gehirn also durch dieses Gift nicht affieirt wird. Die Lähmung der willkürlichen Bewegungen ist aber äuch keine Folge einer etwaigen Muskelerschöpfung durch den Reflexteta- nus, denn einmal erreicht derselbe nie den hohen Grad wie bei der Strychninvergiftung, und Paroxysmen von Tetanus kom- men gar nicht vor, anderentheils tritt die Muskellähmung auch ein, wenn durch die Durchschneidung beider Plexus ischiadici der Reflextetanus in den hinteren Extremitäten verhindert wird. Der Tetanus hat ferner nicht einmal einen erheblichen Einfluss auf die frühere Vernichtung der Muskelerregbarkeit, denn bei einseitiger Durchschneidung des Femoralnerven geht die Mus- kelreizbarkeit in dieser Extremität fast eben so rasch verloren als in der anderen, deren Nerv erhalten ist. Andererseits bleibt 496 P. Guttmann: bei Abschneidung der Blutzufuhr zu den hinteren Extremitäten durch Unterbindung der Abdominalaorta trotz des Eintrittes te- tanischer Zuckungen in denselben die Muskelreizbarkeit lange Zeit erhalten. Ganz unbetheiligt an der Vergiftung bleiben die motorischen Nerven, denn so lange überhaupt die Muskeln auf elektrischen Reiz erregbar bleiben, so lange contrahiren sie sich auch gewöhnlich auf den Reiz der sie beherrschenden Nerven. Die Bewegungslähmung hat also ihren Grund in einer Wirkung des Veratrin auf den Muskel selbst. Sehr bald nach der Ver- giftung, namentlich grösserer Dosen, nimmt die Kraft der Ex- tremitätenmuskeln so ab, dass sie für die Fortbewegung fast nichts mehr leisten können und das Thier seine Rumpfmuskeln in Anspruch nimmt, bis auch diese von der Lähmung ergriffen werden. Nach kurzer Zeit ist die Lähmung vollkommen; prüft man jetzt die Muskelreizbarkeit auf den elektrischen Reiz, so ist sie in hohem Grade herabgesetzt und man bedarf schon eines starken Stromes, um den Muskel überhaupt zur Zuckung zu bringen. Es knüpft sich hieran unmittelbar die Frage, ob die Muskelfaser selbst oder die intramusculären Nervenendi- sungen von dem Gifte affıcirt werden. Besässen wir ein Mittel, welches die allerletzten Nervenendigungen mit Sicherheit lähmt und würde trotzdem ein durch Veratrin vergifteter Muskel un- erregbar werden, so wäre der Nachweis einer directen Einwir- ‚kung auf die contractile Substanz hiermit geliefert; ein solches Mittel aber kennen wir nicht und es kann darum auch die Vernichtung der Muskelerregbarkeit durch Veratrin bei einem vorher curarisirten Frosche keinen directen Beweis liefern, dass das Veratrin die Muskelfaser selbst affhicirt, weil, wie wir wissen, die ällerletzten Endigungen vom Pfeilgifte nicht gelähmt werden. Dennoch giebt es eine Reihe von Wahrscheinlichkeitsgründen, dass das Veratrin die Muskelfaser selbst lähmt. Die Nerven- stämme bleiben, soweit wir sie verfolgen können, an der Ver- giftung unbetheiligt; schon darum also hat die Annahme, dass die letzten intramusculären Endigungen vom Veratrin afficirt werden sollten, etwas sehr Unwahrscheinliches. Alle uns be- kannten Nervengifte wirken in grossen Dosen, — also bei voll- ständiger Vergiftung und um solche handelt es sich auch beim Bemerkungen über die physiologische Wirkung des Veratrin. 497 Veratrin — entweder centripetal oder centrifugal, so dass also entweder, wie beim Curare oder Coniin, zuerst die Endigungen und dann fortschreitend die Stämme, oder’ wie beim Cyanka- lium und der Blausäure zuerst die Stämme und dann die En- digungen der motorischen Nerven ergriffen werden; eine sich ausschliesslich auf einen Endpunkt der Nervenbahn beschrän- kende Wirkung ist nicht bekannt. Nun tritt aber, wie schon Kölliker hervorgehoben, und ich bei Wiederholung der Ver- suche bestätigt fand, die gleiche Muskelwirkung des Veratrin auch bei vorher durch Pfeilsift gelähmten Thieren ein; es müssten also vom Veratrin noch die allerletzten Nervenendi- gungen getroffen werden, die selbst das Pfeilgift intact lässt. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, dann dürfte auf elek- trische Reizung der Nervenstämme keine Muskelzuckung erfol- gen, so wenig wie beim Curare; so lange aber die Muskeln, wie schon vorhin erwähnt, auf directen Reiz erregbar sind, so lange reagiren sie auch auf Nervenreiz, die intramusculären Endigungen bleiben also vollkommen leitungsfähig. Eine zweite zu Gunsten einer direct deletären Wirkung des Veratrin auf die Muskelfaser sprechende Thatsache ist die rasch eintretende Todtenstarre. Gewöhnlich 2—3 Stunden nach der Vergiftung, zuweilen aber schon nach einer Stunde fand ich die meisten Muskeln sauer reagirend, sich trübend; nie ist dies bei Nervengiften der Fall, und selbst bei starker Curare- und Coniinvergiftung tritt die Muskelstarre mindestens nicht früher als unter normalen Verhältnissen, ja eher noch später ein. Immer fand ich nach Veratrinvergiftung die Muskelstarre desto früher beginnen, je früher und rascher während des Le- bens die Muskelreizbarkeit abnahm; der Muskeltod ist also stets die Folge eines Giftes, welches nachweisbar die Contractions- fähigkeit der Muskeln rasch herabsetzt. Eine andere Beobachtung, die mir für die Annahme, dass das Veratrin die Muskelfaser selbst affıcirt, in’s Gewicht zu fallen scheint, ist die, dass bei der Vergiftung mit dieser Sub- ‚stanz in einer nur irgend beträchtlichen Menge niemals voll- kommene Erholung eintritt. Das Leben kann zwar mehrere Tage bestehen, und ich habe bei Fröschen mitunter noch nach Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 33 498 P. Guttmann: 72 Stunden auf sensible Reize Reflextetanus beobachtet, aber immer erfolst zuletzt der Tod. Nun ist allerdings das Veratrin ein Herzgift und es.kann schon aus diesem Grunde, wenn das Herz erlahmt und endlich still steht, eine Restitution nicht mehr erfolgen, aber sie erfolgt auch nicht, selbst wenn das Herz bei kleineren Dosen Stunden lang fortschlägt. Die Ner- vengifte zeigen in dieser Beziehung bekanntlich ein entgegen- gesetztes Verhalten und nicht blos beim Curare und Coniin, sondern auch beim Nicotin und Strychnin tritt nach kleinen Dosen selbst bei hochgradigen Vergiftungserscheinungen stets vollkommene Erholung ein. Bei Säugethieren habe ich aller- dings auch nach kleinen Veratrindosen trotz einer erheblichen Muskelwirkung Restitution eintreten sehen, aber ungleich lang- samer, als dies bei den reinen Nervengiften der Fall ist; wäh- rend z. B. durch Coniin gelähmte Tauben schon nach einer halben Stunde vollkommen ihre Bewegungsfähigkeit wieder er- langen können, vergehen nach sehr kleinen Gaben Veratrin, durch die man nur eine geringe Bewegungslähmung erzielen kann, bis zur Restitution 6—12 Stunden und selbst mehr. Ein Fundamentalunterschied endlich zwischen Muskel- und Nerven- giften ist der, dass erstere auch stets deletär auf die Herz- function wirken, während letztere das Herz entweder unbethei- list lassen oder nur vorübergehend dessen Thätigkeit durch eine Einwirkung auf seine Nervengeflechte verändern. Diese Thatsache berechtigt uns, Muskel- und Nervengifte wesentlich. von einander zu unterscheiden, auch selbst wenn die Wirkung auf Muskeln und Nerven bei einem Gifte combinirt vorkommt; sie allein berechtigt uns auch in dem speciellen Falle zu dem Ausspruche, dass das Veratrin, ohne auf die Muskelnerven zu wirken, lediglich die Function der Muskelfaser vernichtet. Die Intensität dieser Wirkung ist oft eine ganz eminente; wenige Tropfen einer lOprocentigen Lösung vernichten, wie ich mehrmals gesehen, schon in 1—1!/, Stunden die Muskel- reizbarkeit vollkommen und alsbald tritt auch die Todtenstärre ein, bei etwas kleineren Dosen erhält sich die Muskelreizbar- keit länger, doch selten mehr als 3—4 Stunden. Bei allmäh- licher Resorption einer sehr verdünnten, z. B. nur !/,, Procent Bemerkungen über die physiologische Wirkung des Veratrin. 499 haltenden Veratrinlösung durch die Haut tritt unter den glei- chen Vergiftungserscheinungen auch die gleiche Wirkung auf die Musculatur ein. Wenn das Veratrin, selbst ın so kleinen Mengen im Blute eirculirend, so rasch die Lebensfähigkeit der Muskeln vernich- tet, so ist von vornherein einzusehen, dass der Muskel noch viel intensiver bei directer Einwirkung einer selbst verdünnten Veratrinlösung affhieirt wird. Der Muskel wird in solchen Lö- sungen oft schon nach einer halben Stunde todtenstarr. In einer Reihe von Versuchen kam es mir aber vorzüglich darauf an, zu eruiren, ob, wie Kölliker angegeben, der Nerv in. sol- chen Lösungen nicht affıcirt wird; es sind dazu sehr verdünnte Lösungen nothwendig, und zwar habe ich stets Lösungen des essigsauren Veratrin benutzt, denn der Zusatz selbst nur eines einzigen Tropfens einer alkoholischen Veratrinlösung zu einer !/„procentigen Kochsalzflüssigkeit erzeugt sofort einen Nieder- schlag, der sich zwar 'theilweise wieder auflöst, aber der den Procentgehalt der Flüssigkeit an Veratrin nicht mehr bestimmen lässt. Bei diesen Versuchen fand ich nun entgegen der Angabe von Kölliker, dass die Nervenerregbarkeit eben so rasch ver- niehtet wurde, wie die Reizbarkeit der Muskeln. Eine Veränderung der histologischen Structur lässt sich eben so wenig an vergifteten Muskeln nachweisen, so lange sie noch nicht todtenstarr sind, als an Muskelfasern, auf welche selbst coneentrirte Veratrinlösungen direct eingewirkt haben. Die gleiche Wirkung hat das Veratrin auch auf die Muskeln der warmblütigen Thiere und zwar ist sie auch hier die her- vortretendste, während die tetanischen Reflexkrämpfe wenigstens in kleineren Dosen fast gar nicht zur Beobachtung kommen. Tauben können sich nach 1—2 Tropfen einer 10 procentigen alkoholischen Lösung schon nach wenigen Minuten nicht mehr auf den Füssen halten; zuerst im Gange schwankend, stürzen sie bald darauf hin und schleppen sich auf Insulte nur noch durch Flügelbewegungen schwach fort. War die Dosis sehr klein, so beschränkt sich die Wirkung auf die Extremitäten- muskeln allein und nach spätestens 24 Stunden haben sich die Thiere wieder vollkommen erholt. Ist die Dosis etwas grösser, 32" 500 P. Guttmann: so leiden auch alle übrigen Muskeln, die Respiration wird dys- pnoetisch und es tritt durch Herzlähmung oder unter asphyk- tischen Erscheinungen der Tod ein. Das Gleiche gilt von Ka- ninchen, bei denen, wenn die Dosis nicht zu gross war, die Bewegungslähmung allmählich ganz vollständig wird, so dass die Thiere Stunden ‘lang unter mühsamer Respiration auf der Seite liegen, bis sie endlich asphyktisch zu Grunde gehen. Die Erscheinungen dieser immer mehr zunehmenden Bewegungsläh- mung sind, wenn man die Wirkung des Veratrin auf die Mus- culatur der Frösche kennt, so vollkommen harmonisch, dass man auch hier jede Nervenwirkung ausschliessen kann. Ueber eine zweite Wirkung des Veratrin, welche in den letzten Jahren therapeutisch benutzt worden ist, die auf das Herz, habe ich noch kurz eine Beobachtung hinzuzufügen. Im Gegensatze zu der intensiven Muskelwirkung fiel mir stets die verhältnissmässig geringere Wirkung des Veratrin auf das Herz der Frösche auf. Die Herzkraft wird zwar geschwächt, die Herzthätigkeit verlangsamt, aber es vergehen Stunden, ehe das Herz still steht, und selbst durch grosse Dosen gelingt es nicht, raschen Herzstillstand zu erzeugen. In vielen Fällen schlug _ das Herz so lange fort, als überhaupt die Muskeln auf elek- trischen Reiz noch contractionsfähig waren, ja einigemal habe ich die auffallende Beobachtung gemacht, dass das Herz sich noch eine Stunde lang, schwach contrahirte, während die Mus- keln meistens schon auf den stärksten elektrischen Strom un- erregbar waren und sauer reagirten. Einige Muskeln nahmen schon die Trübung der Todtenstarre an, als das Herz auf me- chanische Reize sich noch zusammenzog. Auch die Muskeln der Säugethiere werden entschieden viel intensiver afficirt, als das Herz und selbst bei rasch tödtlichen Dosen habe ich bei sofortiger Eröffnung des Thorax alle Theile des Herzens noch eine Zeit lang pulsiren sehen. Ob der Tod durch Herzlähmung allein bedingt, ist deshalb schwer zu eruiren, weil die Sym- ptome derselben, die Convulsionen, auch durch die Wirkung auf die Oentralorgane, und die dyspnoötische Respiration auch durch die Lähmung der Respirationsmuskeln bedingt sein kön- nen. Bei Tauben habe ich den Tod mehrmals ohne Spur von Bemerkungen über die physiologische Wirkung des Veratrin. 50] Convulsionen lediglich unter asphyktischen Erscheinungen ein- treten sehen. Auch bei kleinen nicht tödtlicnen Dosen wird das Herz der Säugethiere viel weniger als die willkürlichen Muskeln affieirt, das Veratrin ist also ein viel schwächeres Herzgift, als eine Reihe anderer Gifte. Wir haben in dieser Beobachtung wiederum ein Beispiel, dass sich das Herz gegen Gifte anders wie der quergestreifte Muskel verhält; während wir bereits mehrere Gifte kennen, welche bei Fröschen Herzstillstand erzeugen, die quergestreifte Musculatur aber vollkommen intact lassen, so dass bei stillstehendem Herzen die willkürlichen Be- wegungen erhalten bleiben, — sogenannte reine Herzgifte — afficirt das Veratrin viel intensiver die Muskeln als das Herz. Auch in der Thätigkeit der einzelnen Theile des Herzens zei- gen sich Abweichungen von der Wirkung der reinen Herzgifte. Gewöhnlich ist die Herabsetzung der Vorhöfe und des Ventri- kels eine rhythmische, und nur verhältnissmässig selten kommen jene Einschaltungen von Vorhofssystolen bis zur nächsten Ven- trikelcontraction vor, wie sie für andere Herzgifte beschrieben sind und wie ich sie fast constant beim Chlorkalium beobachtet habe. Berlin, den 4. Mai 1866. 502 H. Hirschmann: Ein Beitrag zur Frage über den Ort der Kohlen- säurebildung im Organismus. Von Hemrıch Hirschmann, Stud. med. in Charkow. Bekanntlich wird der grösste Theil des eingeathmeten Sauer- stoffes als Kohlensäure ausgeschieden; wo aber im Organismus das Verbrennen, durch welches diese Kohlensäure gebildet wird, stattfindet, darauf können wir bis zur jetzigen Zeit keine be- stimmte Antwort geben. Viele Umstände sprechen dafür, dass die Hauptquelle der Kohlensäure ausserhalb des Blutgefässsystems, nämlich in den Geweben zu suchen sei; jedoch nach den Untersuchungen von Sachs und Nawrocky ist die Möglichkeit der Kohlensäure- bildung im Blute selbst nicht in Abrede zu stellen. Im letztvergangenen Jahre haben Estor und Saintpierre in einer Abhandlung!) eine Ansicht über diese Frage ausgespro- chen, die in vielen Stücken von der allgemein angenommenen abweicht. | Indem sie den Geweben den Antheil an der Kohlensäure- bildung absprechen, behaupten sie, dass dieser Process im Blute selbst, an allen Orten des Blutgefässsystems vor sich gehe, ihrer Ansicht nach giebt es, so zu sagen, weder arterielles, noch ve- nöses, sondern blos ein einziges Blut, in welchem der Entfer- nung vom Herzen gemäss der Sauerstoffgehalt geringer, aber dafür der Kohlensäuregehalt grösser wird. I) Du siege des combustions respiratoires. Recherches experimen- tales. Journal de l’anatomie et de la physiologie etc., 1865, Mai, p. 302. Gl ee ee RTETE Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. s. w. 503 Diese Idee verfolgend behaupten sie weiter, dass die Ver- änderungen (hinsichtlich des Sauerstoffgehalts nämlich), die das Blut in den Capillaren erleidet, nicht von solcher Wichtigkeit sind, wie gewöhnlich behauptet wird, und nicht von der enge- ren Berührung des Blutes mit Geweben, sondern einzig und allein von der relativ verminderten Stromgeschwindigkeit des Blutes in diesem Theile des Blutgefässsystems abhängen. Ihre Behauptungen stützen sie theils auf eigene, theils aber auf Claude Bernard entnommene Untersuchungen des Sauer- stoffgehalts des Blutes in verschiedener Entfernung vom Herzen liegender Arterien. Diese Untersuchungen zeigten, dass der Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes, je nach der Entfernung des Ortes des Arterien- systems, davon das Blut entnommen ist, vom Herzen, bedeutende Differenzen darbietet. Bis zu welcher Grösse diese Differenzen steigen, kann man aus den folgenden Zahlen, welche den mittleren Procentgehalt des Sauerstoffes im Blute einiger Arterien des Hundes, nach Estor und Saintpierre, angeben, ersehen, Arteria carotis 21,06, - renalis 18,22, - splenica 14,38, - eruralis 7,62, Vena cruralis 3,96. Aus den soeben angeführten Zahlen ist in der That zu fol- gern: 1) dass das arterielle Blut, je nach der Entfernung vom Herzen, sehr schnell seinen Sauerstoff verliere, und 2) dass der capilläre Abschnitt des Blutgefässsystems in diesem Processe gar keine so grosse Rolle spiele, wie ihm gewöhnlich zuge- schrieben wird, da das Blut während seines Laufes vom Her- zen zur Arteria cruralis mehr Sauerstoff verliert, als auf dem Wege von der Arteria eruralis bis zur Vena cruralis. Man muss jedoch gestehen, dass eben diese Zahlen, die uns zu derartigen Schlüssen führen, sehr geeignet sind, Zweifel über ihre Richtigkeit zu erregen. Allerdings unterliegt es keinem Zweifel, dass das ın den Anfang des Arteriensystems eintretende Blut ursprünglich ein 504 H. Hirschmann: und denselben Gasgehalt habe, da alle Arterien (des grossen Kreislaufes) ihr Blut aus ein und derselben Quelle erhalten. Wenn aber Differenzen im Gasgehalte eines gewissen Be- standtheiles, in unserem Falle des Sauerstoffes, im Blute ver- schiedener Arterien vorkommen, so können sie blos von den Veränderungen, die das Blut auf dem Wege vom Herzen bis zur untersuchten Arterie erleidet, herrühren. Diese Verände- rungen müssen folglich vor sich gehen während des Zeitab- schnittes, der zwischen dem Momente, da das aus dem Herzen fliessende Blut bis zur Stelle der dem Herzen am nächsten ge- legenen Arterie, davon es genommen ist, und bis zur entspre- chenden Stelle der weiter vom Herzen gelegenen Arterie ge- langt, verstreicht. — Dieser Zeitabschnitt kann annähernd be- stimmt werden. Nehmen wir die A. carotis und die A. femo- ralis, in welchen nach Estor und Saintpierre die Differenz des Sauerstoffgehalts am grössten ist, als Beispiel: Aus Vier- ordt’s Untersuchungen ist es bekannt, dass die mittlere Strom- geschwindigkeit des Blutes beim Hunde in der A. carotis 261, und in der A. femoralis 162 Mm. beträgt. — Die Differenz des Weges, den das Blut durchströmen muss, kann ohne grosse Schwierigkeiten gcmessen werden, so z. B. betrug beim Hunde, an dem wir unseren Versuch UI. (siehe weiter unten) angestellt haben, die Entfernung von der Regio cordis bis zur Stelle der A. carotis, von wo das Blut entnommen war, 17 Cm. und bis zur entsprechenden Stelle des A. femoralis 27 Cm. Folglich ist der Weg zur Femoralis etwa um 10 Cm. länger, als der zur Carotis. — Ohne einen grossen Fehler zu begehen, können wir annehmen, dass in gleicher Entfernung vom Herzen die Stromgeschwindigkeit des Blutes sich stets gleich bleibe, sowohl auf dem Wege zur Carotis, als auch auf dem zur Femoralis. Es bleibt uns folglich nur noch übrig, die Zeit zu bestim- men, welche das Blut brauchen wird, um die übrigen 10 Cm. . des Weges zur A. femoralis zu durchströmen. — Wenn wir nun annehmen wollen, dass dieser ganze Weg mit derselben Geschwindigkeit durchströmt wird, welche das Blut in der A, femoralis besitzt, so wird auch in diesem Falle diese Zeit blos 0,6. Sec. gleich sein. Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. s. w. 405 Betrachten wir diese Berechnung genauer, so werden wir uns nicht schwer überzeugen können, dass die von uns soeben berechnete Zeit, aller Wahrscheinlichkeit nach, zu gross ist; wenn aber die Differenz auch um das Doppelte, ja um das Dreifache grösser wäre, so würde sie auch dann ganz entschie- den gegen Estor und Saintpierre sprechen; es ist vollkom- men unzulässig, dass während eines so kurzen Zeitraums solche grosse Veränderungen im Sauerstoffgehalte des Blutes, als die- jenigen, welche aus den Zahlen von Estor und Saintpierre zu ersehen sind, stattfinden könnten. (Die Differenz im Sauer- stoffgehalte des Blutes der A. carotis und der A. femoralis ist 13,44°%/,; es macht folglich beinahe !*/,, des ganzen Sauerstoff- gehaltes des Blutes der A. carotis aus.) In der Absicht, die Richtigkeit der Behauptungen der Her- ren Estor und Saintpierre auf experimentellem Wege zu prüfen, machte mir der Herr Prof. Sezelkow das für mich schmeichelhafte Anerbieten, mich mit ihm gemeinschaftlich mit dieser Frage zu beschäftigen, was ich auch natürlich mit Dank annahm. In Folge dessen unternahmen wir im physiologischen Laboratorium der Universität zu Charkow eine Reihe von Ex- perimenten, deren Beschreibung und Resultate Gegenstand der vorliegenden Mittheilung sein werden. Der Plan, den wir bei unseren Versuchen im Auge hatten, war der, den Gasgehalt des Blutes, welches gleichzeitig aus zwei Arterien eines und desselben Thieres (eines Hundes) ent- nommen war, zu untersuchen. Zu diesem Behufe wurden die zwei zum Versuche erwählten Arterien blosgelegt, und in eine jede von ihnen wurde eine unter rechtem Winkel gebogene Glasröhre eingebunden, diese wurde vermittelst einer kurzen Kautschukröhre mit einer langen, zweckmässig gebogenen, und zum Durchleiten des Blutes in den schon vorher mit Queck- silber gefüllten Blutreeipienten bestimmten Glasröhre verbunden. Da wir aber das Blutsammeln gleichzeitig vorzunehmen nicht im Stande waren, so geschah es der Reihe nach: erst aus der einen und dann aus der anderen Arterie, in möglichst 506 H. Hirschmann: schneller Folge. Die Gase wurden aus den aufgesammelten Blutportionen vermittelst des bekannten Ludwig’schen Appa- rates ausgepumpt. --- Beim Versuche I. wurden die Gase aus beiden Blutportionen am selben Tage ausgepumpt; bei den übrigen Versuchen aber wurde am Experimenttage die Gasaus- pumpung blos aus der einen (aus der vom Herzen weiter ent- fernten Arterie genommenen), und den folgenden Tag erst auch aus der anderen Blutportion vorgenommen, welche bis dahin im Wasser bei 0° C. (bei welcher Temperatur, wie die Untersu- chungen von Sachs und Nawrocky bewiesen haben, der Sauerstoffgehalt des Blutes während 24 Stunden gänzlich un- verändert bleibt) aufbewahrt. — Die Gasanalyse wurde nach den bekannten Bunsen’schen Methoden ausgeführt; alle Gas- volumina sind auf den Druck von 1 Meter Quecksilber und auf die Temperatur von 0° C, reducirt. Vers. 1. Das Blut ist aus der A. carotis (49,1 Cem.) und aus der A. femo- ralis (58,2 Cem.) aufgesammelt worden. — Die Gasauspumpung ge- schah aus beiden Blutportionen am selben Tage. — Beim Aufsam- meln geriethen in beide Blutportionen einige Luftbläschen, wodurch der im Vergleiche zum normalen etwas vergrösserte Gehalt an Stick- stoff erklärt wird. 1. A. carotis (49,1 Ccm.). 002 | 9,050 0) 10,213 N 1,353 Gesammtmenge 20,616 Auf 100 Theile Blut kommt folglich: Co? 18,432 10) 20,800 N 2,756 Gesammtmenge 41,988 2. A. femoralis (58,2 Ccm.). co? 8,600: 0 11,386 N 2,637 Gesammtmenge 22,623 Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. s. w. 507 Auf 100 Theile: co? 14,777 0 19,563 N 4,531 Gesammtmenge 38,871 Vers. II. Das Blut ist aus der A. carotis (42,5 Cem.) und aus der A, femo- ralis (46,3 Cem.) genommen werden, 1. A. carotis (42,5 Cem.). co? 13,140 0 5,466 N ' 0,839 Gesammtmenge 19,445 Auf 100 Theile: co? 30,918 0 12,866. N 1,974 Gesammtmenge 45,758 2. A. femoralis (46,3 Ccm.). 60? 15,044 1) 5,953 N 0,876 Gesammtmenge 21,873 Auf 100 Theile: co? 32,492 ) 12,857 N 1,892 Gesammtmenge 47,241 Vers. III. Das Blut wurde aus der A. carotis (42,0 Cem.) und aus der A. fe- moralis (44,0 Ccm.) genommen. — Die Entfernung von der Regio cordis bis zur eröffneten Stelle der A. femoralis betrug 27 Cm., vom Herzen bis zur eröffneten Stelle der A. carotis 19 Cm. — Die Gase, welche bei der ersten Auspumpung gewonnen wurden, sind getrennt von den übrigen aufgesammelt worden. 508 H. Hirschmann: 1. A. earotis (42,0 Cem.). A. Bei der ersten Auspumpung: 0? 7,243 ) 2,400 N 0,498 Gesammtmenge 10,141 Auf 100 Theile Blut kommt folglich: Co? 17,245 (0) 5,714 N 1,186 Gesammtmenge 24,145 B. Bei der zweiten und dritten Auspumpung wurde erhalten: co? 4,613 ) 1,919 N 0,220 Gesammtmenge 6,752 Auf 100 Theile Blut: 00? 10,983 0) 4,569 N 0,524 Gesammtmenge 16,076 Die Gesammtmenge der Gase im Blute der lich (auf 100 Theile): 002 28,228 0 10,283 N 1,710 Gesammtmenge 40,221 2. A. femoralis (44,0 Ccm A. carotis betrug folg- ): A. Bei der ersten Auspumpung: 002 8,468 ) 3,781 N 0,451 Gesammtmenge 12,700 Auf 100 Theile Blut: 0? 19,245 Ö 8,593 N 1,025 Gesammtmenge 23,863 Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. s. w. 509 B. Bei der zweiten und dritten Auspumpung: C0?2 3,820 0) 1,300 N 0,234 Gesammtmenge 5,354 Auf 100 'Theile Blut: co? 8,682 ) 2,954 N 0,532 Gesammtmenge 12,168 Gesammtmenge der Gase im Blute der A. femoralis (auf 100 Theile): 60? 27,927 0 11,547 N 1,557 Gesammtmenge 41,031 Vers. IV, Das Blut ist aus der A. carotis (39,1 Cem.) und aus der A. lienalis (43,4 Ccm.) genommen worden. 1. A, earotis (39,1 Cem‘). 60? 11,401 0 4,819 N 0,960 Gesammtmenge 17,180 Auf 100 Theile Blut: co? 29,158 ) 12,325 N 2,455 Gesammtmenge 43,938 2. A. lienalis (43,4 Ccm.). co? 11,841 ) 6,025 N 1,042 Gesammtmenge 18,908 Auf 100 Theile Blut: co? 27,283 6) 13,882 N 2,401 Gesammtmenge 43,566 510 H. Hirschmann: Vers. V. Das Blut wurde aus der A. carotis (50,0 Cem.) und aus der A. lienalis (41,9 Cem) genommen. — Die bei der ersten Auspumpung gewonnenen Gase sind getrennt von den anderen aufgesammelt worden. 1. A. carotis (50,0 Ccm.). A. Bei der ersten Auspumpung: co: 8,851 (0) 4,334 N 0,467 Auf 100 Theile Blut: c02 17,702 ©) 8,668 N 0,934 Gesammtmenge 27,304 B. Bei der zweiten und dritten Auspumpung: co? 3,906 0) 1,158 N 0,133 Gesammtmenge 5,197 Auf 100 Theile Blut: co? 7,812 ) 2,316 N 0,266 Gesammtmenge 10,394 Gesammtmenge der Gase im Blute der A. carotis (auf 100 Theile): Co? 25,514 0 10,983 N 1,200 Gesammtmenge 37,698 2. A. lienalis (41,9 Ccm.). A. Bei der ersten Auspumpung: 00? 7,070 ) 3,301 N 0,345 Gesammtmenge 10,716 Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. w. s. 511 Auf 100 Theile Blut: co? 16,874 ) 7,878 N 0,823 Gesammtmenge 25,575 B. Die bei der zweiten und dritten Auspumpung gewonnenen Gase gingen verloren. Zur leichteren Uebersicht der Resultate der soeben beschrie- benen Versuche diene folgende Tabelle, die den Gasgehalt in 100 Volumina angiebt: | | co? “ 0 | N | Gesammt- menge ee: A. carotis 18,432 | 20,800 | 2,756 41,988 a A femoralis | 14,777 | 19,568 | 4,531 38,871 Vers, 17,J)A- earotis 30,918 | 12,861 1,974 45,758 ar A. femoralis | 32,492 | 12,857 1,892 47,241 Vers. Ip, J,A- earotis 28,228 | 10.283 \ 1,210 40,221 is A. femoralis | 27,927 | 11,547 | 1,557 41,031 Vers. IV IA. carotis 29,158 | 12,325 | 2,455 43,938 A. lienalis 27,283 | 13,882 | 2,401 43,566 Vers, v, JA: carotis 17,702 8,668: | 0,934 27,304 (bei der 1,1/A- lienalis 16,874 7,878 0,823 25,575 Auspump.) Diese Zahlen zeigen, dass ım Sauerstoffgehalte des Blutes in verschiedener Entfernung vom Herzen sich befindender Arte- rien auch keine Spur von so grossen Differenzen zu finden sei, wie diejenigen, welche von Estor und Saintpierre aufgefun- den wurden. Die Differenzen, welche wir auffanden, überstie- gen nie. 1,5°/, und fanden auch nicht immer in gleichem "Sinne statt; so z. B. fanden wir in unserem Vers. I., dass das Blut der A. femoralis ärmer an Sauerstoff sei, als das der A. carotis; im Vers. III. war jedoch das Gegentheil zu be- merken. — Ebenso enthielt im Vers. IV. das Blut der A. lie- nalis, welche weiter vom Herzen entfernt liegt, mehr Sauerstoff, 312 H. Hirschmann: als das der näher zum Herzen gelegenen A. caroti. — Wir haben daher das volle Recht, auf die Resultate unserer Unter- suchungen uns stützend, zu behaupten, dass der Sauerstoff- gehalt des Blutes, vollständig unabhängig von seiner Entfernung vom Herzen in allen Arterien sich gleich bleibt. — Was aber die kleinen Differenzen, welche aus un- seren Untersuchungen hervorgehen, anbetrifft, so ist ihre Er- klärung nicht schwer: Der Gasgehalt des Blutes ist keine con- stante, sondern eine ununterbrochen, je nach dem Zustande der Athmung sich ändernde Grösse. — Da wir nun, wie schon oben erwähnt wurde, nicht die Möglichkeit hatten, das Blut aus bei- den Arterien gleichzeitig zu sammeln , sondern zwischen dem Blutaufsammeln aus der ersten und zweiten Arterie immer ein gewisser Zeitraum verfloss, so können wir schon a priori nicht erwarten, dass der Sauerstoffgehalt in beiden Blutportionen ab- solut gleich bleibe. — Die Richtigkeit dieser Erklärung lässt sich dadurch beweisen, dass der grössere Sauerstoffgehalt, wie aus der oben angeführten Tabelle ersichtlich, bald im Blute der vom Herzen weiter, bald in dem der vom Herzen weniger entfernten Arterie vorkommt. Jetzt entsteht die Frage, wodurch denn eigentlich der Wi- derspruch zwischen den Resultaten unserer Untersuchungen und derer von Estor und Saintpierre, bedingt wird? Unserer Meinung nach ist der Grund dieses Widerspruches in folgenden Umständen zu finden. In ihrer Schrift erwähnen Estor und Saintpierre gar nicht, ob sie das Blut verschiedener Arterien bei einem und demselben oder bei verschiedenen Thieren untersucht haben; ferner geben sie auch darüber keinen Aufschluss, wie sie das Blut aus den Arterien gesammelt haben: ob dies aus beiden Arterien gleichzeitig geschah, oder ob zwischen dem Aufsam- meln ein gewisser Zeitraum verfloss. — Diese Umstände sind jedoch von grosser Wichtigkeit, da, wie man auch aus unserer Tabelle leicht ersehen kann, bei verschiedenen Individuen der Sauerstoffgehalt sehr verschieden sein und sogar bei ein und Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. s. w. 513 demselben Thiere selbstverständlicher Weise sich schnell än- dern kann. Der zweite und, wie man glauben muss, der Hauptgrund der fehlerhaften Resultate, welche Estor und Saintpierre bei ihren Untersuchungen erhielten, mag wohl in ihrer Methode die Gase aus dem Blute zu entfernen, liegen. — Sie bestimm- ten den Sauerstoffgehalt im Blute vermittelst ‘der Claude Bernard’scher Methode, welche bekanntlich auf der Eigen- schaft des Kohlenoxydes, den Sauerstoff aus dem Blute zu ver- drängen, basirt. Um noch die Ausführung der Untersuchungen nach dieser Methode möglichst zu erleichtern und zu beschleunigen, con- struirten Estor und Saintpierre einen besonderen Apparat, welcher folgende Einrichtung hatte: Eine Glasröhre von etwa 40 Ccm. Inhalt ist in Form eines umgekehrten U gebogen; eine jede von ihren Hälften von etwa 20 Cem. Inhalt ist in 100 Theile getheilt, wobei der Null- punkt der Theilung sich in der Mitte des gebogenen Theiles der Röhre befindet. — Um den Gasgehalt des Blutes zu untersu- chen, verfährt man folgendermaassen: Nachdem man den Ap- parat mit Quecksilber angefüllt hat, stülpt man ihn in einer Quecksilberwanne behutsam um; dann wird durch einen der Röhrenarme soviel Kohlenoxydgas hinein gelassen, bis es unge- fähr 10—11 Cem. einnimmt. Nachdem man die in beiden Ar- men mit Kohlenoxydgas eingenommenen Theilungen gezählt hat, lässt man das Blut, welches vermittelst einer Spritze aus der Arterie genommen ist, in den Apparat hineinfliessen. »So- dann, nachdem das Blutvolumen bestimmt worden ist, bringt man ein mässiges Schaukeln des ganzen Apparates in der Quecksilberwanne hervor, welches 7—8 Minuten fortgesetzt wird, nach deren Verlauf man den Apparat während einer hal- ben Stunde bei einer Temperatur von 25—30° C. ruhig stehen lässt; der Meinung der Autoren nach ist diese Zeit zur vollen Verdrängung des Sauerstoffes vermittelst des Kohlenoxydgases vollkommen genügend. — Es bleibt nach alledem nur noch übrig, das Gas zu analysiren, was auch keine Schwierigkeiten darbietet, da durch den Arm der Röhre, der kein Blut enthält, Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 33 514 H. Hirschmann: alle zur Absorption des Sauerstoffes, der Kohlensäure u.'s. w. nothwendigen Reagentien ungehindert eingeführt werden können. Man muss den Autoren zugestehen, dass ihre Methode be- deutende Bequemlichkeiten darbietet, indem ein und derselbe Apparat der Reihe nach, wie zu den Volummessungen: des an- gewandten Kohlenoxydes und des Blutes, so auch zur Verdrän- gung der Gase aus demselben und zu deren Messungen gleich dienlich ist; ausserdem wird durch dasselbe das Ueberführen der Gase aus einem Gefässe in’s andere, was bekanntlich. grosse Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten darbietet, überflüssig; endlich wird durch diesen Apparat auch die Nothwendigkeit vieler zerbrechlicher und kostspieliger Glasapparate, die bei den übrigen Methoden gebraucht werden, völlig. erspart. Aller dieser Vorgänge ungeachtet könnten wir den Apparat von Estor und Saintpierre nur in dem Falle für vollkom- men seinem Zwecke gemäss construirt erklären, wenn wir auch die Sicherheit hätten, dass er im Stande sei, vollkommen sichere Resultate hinsichtlich des Sauerstoffgehaltes im Blute zu geben. Leider haben Estor und Saintpierre nicht nur keinen Be- weis dafür geliefert, sondern vielmehr wir haben das volle Recht, aus unten angegebenen Gründen zu bezweifeln, dass man ver- mittelst dieses Apparates den ganzen Sauerstoff im Blute zu entfernen im Stande sei. Vor Kurzem hat Navrocky!') die Claude Bernard’sche Methode geprüft, indem er die vermittelst derselben erhaltenen Resultate mit denen verglich, die er durch Bearbeitung des Blutes in einem nach dem Ludwig’schen Principe construirten Apparate erhielt. — Er kam dabei zur: Ueberzeugung, dass die Claude Bernard’sche Methode an und für sich ganz richtige Resultate zu liefern im Stande sei, dass aber dazu nothwendig eine enge Berührung des Kohlenoxydgases mit dem Blute, wel- ches blos durch heftiges Schütteln zu bewerkstelligen ist, erfor- derlich sei, bei weniger heftigem Schütteln des Blutes, wie es in einem in der Quecksilberwanne sich befindenden Gefässe allein 1). Studien des physiologischen Instituts zu Breslau. 2. Heft, 1863. S. 144, Ein Beitrag zur Frage über den Ort u. s. w. 515 möglich war, ist ihm manchmal blos !/, oder '/, des im Blute enthaltenen Sauerstoffs, und das auch nur mit grosser Mühe zu entfernen gelungen. Da im Apparate von Estor und Saint- pierre blos ein relativ schwaches Schütteln des Blutes möglich war, so haben wir, auf Navrocky’s Untersuchungen uns stützend, das volle Recht anzunehmen, dass Estor und Saint- pierre nicht den ganzen Sauerstoff, sondern blos einen grösse- ren oder kleineren Theil desselben aus dem Blute zu entfernen im Stande waren. Als Bestätigung dieser unserer Behauptun- gen könnte ein Vergleich des von Estor und Saintpierre im Blute bestimmten procentigen Sauerstoffgehaltes mit dem, den wir gefunden haben, dienen, leider kann dieser Vergleich nicht vorgenommen werden, da die Autoren nirgends angegeben haben, für welche Temperatur und für welchen Druck sie ihre Gasvolumina berechnet haben. Einige Zeit glaubten wir sogar in der unvollständigen Aus- scheidung des Sauerstoffes aus dem Blute die Erklärung der Resultate von Estor und Saintpierre finden zu können. — Aus der Voraussetzung, dass die chemische Verbindung des Sauerstoffes mit dem Blute nicht plötzlich ihre ganze Stärke erreicht, sondern dass dazu immer eine gewisse Zeit erfor- derlich sei, müsste nothwendiger Weise folgen, dass diese Verbindung desto fester wird, je weiter die Arterie, aus der wir das Blut genommen, vom Herzen entfernt legt. Wenn man nun zur Entfernung des Sauerstoffes einen Apparat ge- braucht, der nicht allen Sauerstoff, sondern blos einen Theil desselben ausscheidet, so wird es klar, dass um desto mehr Sauerstoff entfernt werden kann, je schwächer seine Verbindung mit dem Blute ist, d. h. je näher diese Arterie zum Herzen liegt. — Diese Hypothese könnte die Resultate von Estor und Saintpierre’s Untersuchungen genügend erklären; es frägt sich aber, ob sie auch annehmbar sei. Wir glauben, nein, und zwar aus folgenden Gründen: Wenn der Sauerstoff mit dem Blute in verschiedener Ent- fernung vom Herzen liegender Arterien nicht gleich fest ver- bunden wäre, so müsste die nothwendige Folge davon sein, dass, wenn die bei der ersten, zweiten u. s. w. Auspumpung 33” 516 H. Hirschmann: ausgeschiedenen Gase einzeln aufgesammelt würden, wir bei der ersten Auspumpung um so viel mehr Sauerstoff erhal- ten müssten, je schwächer er mit dem Blute verbunden ist. — So kann man leicht erfahren, in welcher der beiden Blut- portionen der Sauerstoff in einer festeren Verbindung sei. — Wir unternahmen zu diesem Behufe ein paar Versuche, deren Resultate in folgender Tabelle, in welcher alle Zahlen für 100 Vol. Blut berechnet werden, zusammengestellt sind. EIKEE Gesammt- menge Bei der 1.JA. carotis| 17,245 5,714 1,186 24,145 Auspump.|-femoralis| 19,245 8,593 1,025 28,863 Bei d.2.u.JA. carotis| 10,983 | 4,569 0,524 16,076 3. Ausp. \-femoralis] 8,682 2,954 0,532 12,168 Bei der 1.[A. carotis| 17,702 8,668 0,934 27,304 Auspump.|A.lienalis| 16,874 | 7,878 0,823 25,575 Vers. III. _Vers.V. Aus den Zahlen dieser Tabelle ist zu ersehen (sofern man überhaupt nach der von uns erwählten Methode zu urtheilen im Stande ist), dass die Festigkeit der Verbindung des Sauer- stoffes mit dem Blute in verschiedenen Arterien nicht so ver- schieden ist, als es die obige Voraussetzung verlangt. Die letzten Versuche haben noch eine andere Bedeutung: sie geben uns einen Begriff über die relative Festigkeit der Verbindung, in der sich die einzelnen Gase im -Blute befinden, denn die Gasmengen, die bei den gleichen übrigen Umständen in das Vacuum übergehen, müssen im umgekehrten Verhält- nisse zur Festigkeit der Verbindung des Gases mit dem Blute stehen. — Versuche solcher Art sind schon von Navrocky (a. a. ©. 8. 164) ausgeführt worden und führten ihn zum Schlusse, dass der Sauerstoff und Stickstoff aus dem Blute (frischen Kalbsblute) leichter als .die Kohlensäure ausgeschieden werden. — Unsere Untersuchungen bestätigen dieses nicht, wie es leicht aus folgender Tabelle, welche die relativen Mengen einzelner Gase, die bei der ersten Auspumpung in das Vacuum übergegangen waren, angiebt, zu ersehen. Die Gesammtmenge jedes Gases ist hier als 1 genommen. Ein Beitrag zur Frage über den Ort u, s. w. 517 a co? Nr. 1. A. carotis Nr. 2. A. femoralis Nr. 3. A. cearotis 0,61 0,69 0,69 0,55 0,74 0,79 Vers. II. Vers. V. Von diesen drei Versuchen stimmt nur einer (Nr. 3) mit der Behauptung von Navrocky überein; die zwei anderen weichen von ihm ab und sind auch unter sich verschieden: in Nr. 1 wurde am wenigsten Sauerstoff ausgeschieden, ihm folgt Kohlensäure und endlich Stickstoff; in Nr. 2 ist die Reihenfolge eine entgegengesetzte. — Wodurch diese Abweichungen verur- sacht werden, können wir aus unseren Untersuchungen nicht erklären. Charkow, im März 1866. 518 Dr. W. Dönitz: Beschreibung und Erläuterung von Doppelmiss- | geburten. Von Dr. W. DoenItz. Dritte Abhandlung. (Hierzu Taf. XIII. und XIV.) Den aus einer Längsspaltung des Keimes hervorgehen- den Doppelmissgeburten stehen diejenigen gegenüber, welche auf eine Querspaltung des Keimes zurückgeführt werden müssen. Da aber eine solche Querspaltung des Keimes noch nicht hinlänglich durch Thatsachen festgestellt ist und von man- cher Seite geradezu bestritten wird, so wende ich mich sogleich zur Beschreibung eines Hühnerembryos, der das Vorkommen von Querspaltungen geradezu beweist. Vierter Fall. Im Frühjahr 1865 fand Herr stud. med. Bartels bei den Brütversuchen, die er im Berliner Anatomischen Institut behufs embryologischer Untersuchungen anstellte, in einem Ei vom Zwerghuhn einen Doppelembryo, den er die Güte hatte, mir zur Untersuchung zu überlassen. Das Ei war drei Tage lang einer Brütwärme ausgesetzt gewesen, in welcher die zu gleicher Zeit eingelegten, von demselben Huhn stammenden anderen Eier sich normal entwickelten. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 519 Nach dem Oeffnen der Eischale fanden wir die Längsachse der mit den Kopfenden einander zugekehrten Körper quer zur Längsachse des Eies gerichtet. Blutpunkte waren in der beiden Embryonen gemeinsamen Area vasculosa noch nicht zu sehen. Letztere hat nicht die normale Kreis- form, sondern ist unregelmässig elliptisch begrenzt. Es nimmt nehmlich der dem einen Embryo (ich will ihn den rechten nen- nen) entsprechende Theil des Gefässhofes einen etwas grösseren Flächenraum ein als der zu dem anderen, dem linken Embryo gehörige Antheil. Die Blutgefässe treten noch nicht recht klar heraus; sie scheinen eben in der Bildungs begriffen zu sein. Die Area pellucida hat im ganzen und grossen die Gestalt eines Kreuzes, dessen lange Schenkel schmal, dessen kurze Schenkel aber ausserordentlich breit sind. Der Fruchthof nimmt die Anlagen eines Doppelembryos in der Art auf, dass die beiden Körper in der Richtung der langen Arme des Kreuzes gelagert sind, so zwar, dass die Schwanz- enden einander diametral gegenüberstehen, während die Kopf- enden ungefähr die Mitte des Embryonalfeldes einnehmen. Wie gewöhnlich ist auch hier das Öentralnervensystem am meisten in der Entwickelung vorgerückt. Der Abschluss zur Röhrenform ist zum grössten Theil schon vollendet; nur gegen die Schwanzenden hin erscheinen die Anlagen desselben noch rinnenförmig. Die Kopfenden desselben sind keineswegs von einander getrennt, vielmehr gehen sie ununterbrochen in ein- ander über. Betrachtet man das Präparat von der Rückenseite her, so sieht man das Centralnervensystem, da wo der Rumpftheil in den Kopftheil übergeht, ziemlich steil in die Höhe steigen und dann plötzlich eine starke winklige Kniekung nach unten machen. Die Oeffnung des so gebildeten Winkels sieht nach der Dotter- seite (Bauchseite), so dass ein Theil der dritten und die zwei- ten Gehirnbläschen sich in einer tiefer gelegenen Ebene be- finden als das Rückenmarksrohr. Die unter einander zusam- menhängenden ersten Hirnbläschen kommen dann wieder unter erneuter, fast rechtwinkliger Umbiegung aus der Tiefe heraus. Dabei’ ist das erste Hirnbläschen des rechten Embryos höher 590 Dr. W. Dönitz: ‚gelegen als das des linken, so dass es dieses, von der Rücken- seite her gesehen, zum grössten Theil deckt. Ob auch die Hohlräume der beiden Bläschen mit einander in Verbindung stehen, liess sich eher vermuthen als entscheiden. Jedenfalls gehen die Wandungen des einen direct in die des anderen über. Das Wirbelsystem charakterisirtt sich am Rumpftheil hauptsächlich durch die Wirbelabtheilungen, deren am linken Embryo neun, am rechten zwölf sich erkennen lassen. Die Wirbelabtheilungen des rechten Körpers sind gleichmässiger ausgebildet und nehmen einen verhältnissmässig grösseren Raum ein als die des linken. Ueberhaupt ist der rechte Körper nicht unbeträchtlich länger als der linke. Dagegen erscheint der linke Körper geradlinig, während der rechte einen schwachen Bogen beschreibt, dem sich auch der entsprechende Theil des Fruchthofes anpasst. Ueber das Verhalten des Wirbelsystems und des Hautsystems am Kopfende liess sich bei der Rücken- ansicht nichts genaueres ermitteln. Beide Kopfenden sind nem- lich wallförmig von einem Faltenkranz eingeschlossen, der es verhindert, Wirbel- und Hautsystem mit Genauigkeit in dieser Gegend zu verfolgen. Doch scheint es, als ob sich beide an der Bildung dieser, die Gehirnanlagen in weitem Bogen umge- benden Falten betheiligen. Das Amnios ist noch nicht in der Bildung begriffen. Die Umhüllungshaut hat sich von dem gemeinsamen Kopftheil abgehoben und zieht wie eine locker aufliegende Decke über denselben hinweg. | Betrachtet man den Embryo von der Bauchseite her, so erkennt man an jedem Körper eine von den Visceralplatten ge- bildete seichte Rinne, in deren Grunde je eine Chorda dor- sualis verläuft. Letztere lassen sich bis in den Bereich des zweiten Hirnbläschens verfolgen und machen während ihres Verlaufes am Kopfende die Knickung mit, welche das dem Cen- tralnervensystem sich anschmiegende Wirbelsystem erleidet. Diese Knickungen der Chordae sind indessen nicht so scharf ausgeprägt, wie am Centralnervensystem, so dass diese unpaari- gen Organe an diesen Stellen etwas weiter von letzterem ab- stehen als während ihres übrigen Verlaufes. Ueber das vordere Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 591 Ende der Wirbelsaiten habe ich nichts ermitteln können. Sie entziehen sich eben noch am zweiten Hirnbläschen der Beob- achtung. An der Uebergangsstelle des Rumpfes in den Kopf sieht man das Wirbelsystem seitwärts nach den Faltungen aus- strahlen, welche von beiden Seiten des Doppelembryos her sich unter die gemeinsame Kopfanlage herunterschieben und diese aus der Ebene der Keimhaut herausheben. In dem dadurch entstehenden vertieften Raum (gemeinschaftliche Fovea cardiaca) erkennt man durch eine fein gefaltete, zarte Membran (die An- lage des Darmepithels) hindurch die Figur der Hirnbläschen und - die besprochenen vorderen Abschnitte der Wirbelsaiten. r Die Darmrinne ist noch sehr seicht. Von den Herzen sind nur’Spuren zu entdecken. Es müs- sen nemlich zwei weissliche Körper, die seitwärts von den Embryonen in den mehrfach erwähnten Falten am Kopfende liegen, als solche aufgefasst werden, wogegen allerdings die ganz ungewöhnliche Lage zu sprechen scheint. Eine nähere Untersuchung unterblieb, da sie nicht ohne bedeutende Zer- störung dieses seltenen Präparates hätte ausgeführt werden können. Nur so viel liess sich feststellen, dass diese Körper zwischen denjenigen Theilen der Keimanlagen sich finden, welche sich nach der Dotterseite herabgekrümmt und eine ge- meinsame Fovea cardiaca gebildet haben. Das Hinderniss, wel- ches sich der regelrechten Bildung zweier Foveae cardiacae ent- gegenstellte, mag auch Schuld an der nur rudimentären Bildung der Herzen tragen. Damit in Zusammenhang mag es stehen, dass die Gefässe in den peripherischen Abschnitten der Area . vasculosa weiter in der Bildung vorgeschritten sind als in der Nähe der Herzen. Stämme der Dottervenen und Arterien sind nicht deutlich nachzuweisen. Epikrise. Es liegt auf der Hand, dass der eben beschriebene Doppel- Embryo vom Hühnchen aus einem Keim hervorgegangen ist und nicht aus zwei sich entgegenwachsenden Embryonalanlagen entstanden sein kann. Hierauf näher einzugehen halte ich für 522 Dr. W. Dönitz: überflüssig, nachdem K. E. v. Baer und Reichert!) für ganz analoge Fälle den Beweis geführt haben. Es bleibt mir nur übrig, nachzuweisen, dass hier in der That die Richtung der Spaltungslinie quer zur Längsachse des Keimes, resp. des Em- bryos verläuft. Wie erwähnt, stimmte die Lage der Embryonen _ im Ei genau mit der Lage einfacher Embryonen überein; das heisst, die Längsachse der beiden Körper stand quer zur Längs- achse des Eies. Also war die Spaltung in der Richtung der Längsachse des Eies, und somit in der Querachse des Keimes erfolgt. Diese Beobachtung füllt mithin die Lücke aus, welche die Reichert’schen Fälle noch gelassen hatten, da bei ihnen über dieses Verhältniss nichts näheres be- kannt wurde; und sie ist um so mehr von Bedeutung, als noch in neuester Zeit Förster?) sich gegen die Quertheilung aus- gesprochen hat. Förster kennt nur eine Längsspaltung und nimmt an, dass die Fälle, wo die beiden Körper nur am Kopf- oder Beckenende zusammenhängen, nichts als höhere Grade der Längsspaltung darstellen. Nun giebt es allerdings eine ganze Reihe hierhergehöriger Missgeburten, deren Entstehung auf diese Weise gedacht werden könnte, diejenigen nemlich, welche aus zwei unter einem Winkel gegeneinander geneigten Individuen bestehen, wie z. B. die auch von Förster citirten Fälle von Büchner (Förster, Taf. I. Fig. 13), Barkow (Taf. II. 15) und v. Baer (Taf. III. 14). Dagegen lassen sich die Fälle, in wel- chen die Längsachsen beider Körper zusammen genau eine gerade Linie bilden, doch nur sehr gezwungen aus dieser Theorie erklären. Ich erinnere nur an das berühmte Home- sche Monstrum, wo durch die anatomische Untersuchung fest- gestellt wurde, dass die beiden Köpfe genau an den Scheiteln mit einander verbunden waren. Der Beweis aber dafür, dass es neben der Längsspaltung auch eine Querspaltung giebt, kann nur an sehr jungen Embryonen geführt werden, und der mit- getheilte Fall ist ein solcher. Nun drängt sich aber die Frage nach der Bedeutung der 1) Reichert a. a. O. 8. 758. 2) Förster. Die Missbildungen des Menschen. $. 22 u. 29. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 523 transversellen Keimspaltung auf, eine Frage, die um so berech- tigter. erscheinen muss, als ja die Längsspaltung einen erwei- terten Einblick in den Bau des Wirbelthierorganismus gestattet hat. Die Analyse mit Längsspaltung behafteter Früchte führte zu interessanten Ergebnissen über die Bedeutung der bilateralen Symmetrie und über ihr Verhältniss zur paarigen Symmetrie. Sie zeigte, dass trotz der unpaaren Chorda!) die Grundidee im Bauplane des Wirbelthierkörpers die bilaterale Symmetrie ist, die sich auch beim normalen Individuum schon in der ersten embryonalen Entwickelung so auffällig charakterisirt, dass man von vorn herein geneigt sein könnte, anzunehmen, dass jede excessive Bildung in den ersten Keimanlagen sich der bilatera- len Symmetrie unterordnen müsste. Geht man indessen näher auf die Vorgänge ein, welche der Keimspaltung und dem Auftreten der bilateralen Symmetrie zu Grunde liegen, so ergiebt sich als wesentlicher Unterschied, 1) Der Umstand, dass sowohl die Chorda wie auch die erste schlauchförmige Anlage des Herzens und der Aorta unpaarig auf- treten, haben bisher der allgemeinen Durchführung der Idee vom bi- lateral symmetrischen Bau des Wirbelthierkörpers im Wege gestan- den. In Betreff des Herzens und der Aorta scheint mir diese Schwierigkeit ohne weiteres fortzufallen. Schon das symmetrische Auftreten der Aortenbögen deutet darauf hin, dass auch das Organ, aus dem sie entspringen, bilateral symmetrisch gebaut sei. Ausser- dem kann jedes cylinderische oder spindelförmige Rohr, und als sol- ches stellt sich ja zuerst das Herz dar, als bilateral symmetrisch auf- gefasst werden, auch wenn man nicht, wie beim Centralnervensystem, die Bildung aus zwei seitlichen Hälften direct beobachten kann. Aber auch in Betreff der Chorda fallen jetzt die Schwierigkeiten fort. Nach Reichert’s Ausführung (a. a. 0. S. 753) ist sie eben nur ein unpaares Zwischenglied der bilateral-symmetrischen Hälften des Wir- belsystems. Ja, bedenkt man, dass sie sich nach vorn oder hinten gabelförmig theilen kann, wie dies K. E. v. Baer von doppelleibigen Barschembryonen beschrieb, so könnte man, aus diesem Verhalten zurückschliessend, sie selbst als bilateral-symmetrischen Körper sich vorstellen. Im Reichert’schen Sinne sprach sich auch schon K.E. v. Baer über die Chorda aus, „die nur da zu sein scheint, um, wie ein lebendiges Maass, der doppelt symmetrischen Entwickelung der Wirbelthiere als Anhaltspunkt zu dienen.“ (Siehe unten a. a. 0. S. 104). 524 Dr. W. Dönitz: dass die bilaterale Symmetrie erst dann zur Erscheinung kommt, wenn schon der Bildungsdotter in die ersten embryonalen An- lagen (Umhüllungshaut, Centralnervensystem, Stratum interme- dium, Darmepithel) zerfallen ist, während die Keimspaltung nothwendigerweise dieser Differenzirung voraufgehen muss und wahrscheinlich in die Zeit unmittelbar nach dem Auftreten der Umhüllungshaut fällt. Somit behaftet die Keimspaltung das noch indifferente Keimmaterial, den Bildungsdotter; die bilate- rale Symmetrie hingegen tritt an schon differenzirten Keiman- lagen auf. Bei der Keimspaltung stellt sich aber ein auffälliger Unter- schied heraus, je nachdem die Spaltungsrichtung längs oder quer verläuft. Da nun, wie früher gezeigt wurde, die Längs- spaltung in inniger Beziehung zur bilateralen Symmetrie steht, so wird man auf den Gedanken geführt, bei der Entwickelung des normalen Körpers nach einem Vorgang zu suchen, der sich zur Querspaltung des Keimes verhielte wie die bilaterale Sym- metrie zur Längsspaltung, und man könnte diesen Vorgang in dem in gewisser Beziehung antagonistischen Verhalten des Kopfes und des Rumpfes zu finden vermeinen. Diese Annahme lässt sich sehr plausibel machen, muss aber trotzdem von der Hand gewiesen werden; und dies lehrt eine Vergleichung zwi- schen den Producten der beiden Arten von Keimspaltung. Durch die Querspaltung nemlich werden immer zwei ganze Indivi- duen angelegt (wenn sich auch nicht beide immer gleichmässig und vollständig ausbilden); bei der Längsspaltung hingegen tre- ten zu den beiden normalen symmetrischen Hälften des einen Körpers noch zwei untereinander symmetrische Hälften hinzu, die zusammen keineswegs immer ein zweites vollständiges In- dividuum ausmachen; vielmehr sind die accessorischen Hälften in den meisten Fällen stark defect. Wollte man nach Analogie der bilateralen Symmetrie einen Parallelismus zwischen Kopf und Rumpf statuiren, so müsste es aus Quertheilung hervorge- gangene Monstra geben, an welchen diejenigen Theile, durch welche die beiden Körper zusammenhängen, defect auftreten. Sind also z. B. zwei Individuen an den Kopfenden mit einander Beschreibung und Erläuteräng von Doppelmissgeburten. 525 verbunden, so müsste es vorkommen, dass beiden in gleicher Ausdehnung ein Theil des Kopfes, ja selbst der ganze Kopf bis zum Rumpf hin mangelte, nach Art der accessorischen Hälften, wie sie bei der Längsspaltung vorkommen. Da aber derartige Monstra etwas ganz unerhörtes sind, so muss man den Schluss daraus ziehen, dass der Kopf, resp. das Kopfende nicht etwa als eine Wiederholung des Rumpfes resp. Beckenendes be- trachtet werden kann, während für die rechte und linke Kör- perhälfte diese Wiederholung in der That zutrifft. Eine mon- ströse Wiederholung in der Richtung der Längsachse ist bei Wirbelthieren nur im Bereiche derjenigen Primitivorgane mög- lich, welche bei normalem Verhalten eine Längsgliederung zei- gen. Dies ist z. B. im Wirbelsystem der Fall. Daher kann einmal ein Rumpfwirbel mehr als gewöhnlich vorkommen. Das- selbe lässt sich vielleicht auch vom Centralnervensystem aus- sagen, bei dem die Reihe der Nervenwurzeln am Rückenmark auch auf eine Längsgliederung hindeutet. Der Körper des Wir- belthieres in toto ist aber keineswegs längsgegliedert, deshalb giebt es auch keine Missgeburten, welche das Analogon solcher Monstrositäten längsgegliederter wirbelloser Thiere darstellen, bei denen die normale Anzahl der Segmente sich vermehrt oder vermindert. Bei diesen Thieren sind die einzelnen Segmente . gleichwerthig, homonom; das eine kann unter Umständen das andere vertreten. Es können bei ihnen sogar höhere Sinnes- organe auf ein beliebiges Segment versetzt werden. Ja, von den Naiden ist es bekannt, dass ein beliebiges Segment sich einmal zum Kopf eines sich weiterhin abschnürenden neuen In- dividuums (resp. Individuenstocks) ausbilden kann. Da aber dem Wirbelthierorganismus eine solche Segmentation abgeht, so kann er auch keine Monstrositäten erzeugen, welche auf diesen gegliederten Typus zurückzuführen sein würden. Dahingegen sind von Wirbellosen einzelne Monstra bekannt geworden, welche mit den uns beschäftigenden Missgeburten in eine Kategorie gehören. Sie haben eben das mit ihnen ge- mein, dass sie durch eine Spaltung entstehen, die an dem noch nicht differenzirten Keimmaterial vor sich geht. Ein eclatantes 526 Dr. W. Dönitz: Beispiel hierfür sind die von Reichert!) beschriebenen, an den hinteren Körperenden miteinander zusammenhängenden Krebse an einem Ei. Dass man es in diesem Fall mit einer Keimspaltung zu thun habe, geht schon daraus hervor, dass die Köpfe der beiden Individuen nach entgegengesetzten Richtungen sehen. Läge hingegen eine übermässige Segmentation vor, mit Ausbildung einiger überzähliger Segmente zum Kopf, so wür- den die beiden Körper nach Art der sich theilenden Naiden aneinander geheftet sein, das heisst, der Kopf des einen Indi- viduums würde das Schwanzende des anderen berühren, und man würde somit die ursprüngliche Einheit, aus der sie her- vorgegangen sind, nemlich den Krebs als einheitliches Indivi- duum betrachtet, auch noch am Monstrum erkennen. Ich wende mich nun zu einer Eigenthümlichkeit des Em- bryos, welche mir die ersten Anfänge gewisser Formen der Doppelmissgeburten darzustellen scheint. Der eine Rumpf ist, wie erwähnt, viel weniger weit in der Entwickelung vorge- schritten als der andere. Auch die ihm entsprechende Hälfte des Gefässhofes nimmt einen geringeren Flächenraum ein als die andere Hälfte. Dass dieses einmal bestehende Verhältniss sich würde geändert haben, wenn man den Embryo in seiner Entwickelung nicht gestört hätte, das anzunehmen liegt kein Grund vor. Im Gegentheil darf man voraussetzen, dass das kräftigere Individuum sehr bald ein bei weitem noch grösseres Uebergewicht über seinen Gefährten würde erlangt haben, da es eine allgemeine Erscheinung ist, dass von zwei Organismen, die scheinbar unter denselben äusseren Verhältnissen sich be- finden und in einer gewissen Abhängiskeit von einander stehen, der eine den anderen immer mehr und mehr überflügelt, sobald er einmal zu einem wenn auch nur geringen Vorsprung in der Entwickelung gekommen ist. In der Pflanzenwelt ist es eine alltägliche Erscheinung, dass zwei junge Triebe zu gleicher Zeit nebeneinander an demselben Stamm erscheinen und anfänglich durchaus gleichmässig wachsen; allmählich tritt ein geringer 1) Bericht über die Sitzung der Gesellschaft naturf. Freunde in Berlin, am 22. Juni 1842. Vossische Zeitung v. 10. Juli 1842. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 527 Unterschied in ihrer Grösse auf, und plötzlich treibt der eine mächtig weiter, während er den andern weit hinter sich zurück- lässt, indem er, und dies anzunehmen sind wir wohl berech- tigt, fast alles Nahrungsmäterial an sich reisst. Dieses Miss- verhältniss führt nicht selten bis zur völligen Verkümmerung, bis zum Untergang des schwächeren Triebes. Es ist das ein Vergleich, den man wohl ohne weiteres auf den vorliegenden Fall anwenden kann, da in Bezug auf Ernährung thierische Em- bryonen und Pflanzentriebe sich unter ganz ähnlichen Verhält- nissen befinden. Doch auch bei der Entwickelung thierischer Organismen hat man häufig genug Gelegenheit, dergleichen Erscheinungen zu beobachten. So sah ich öfter in Eiern mit doppeltem Dotter einen äusserst ungleichmässigen Erfolg der Bebrütung. Einmal fand sich nach zweitägiger Bebrütung an dem einen Dotter ein durchaus normaler Embryo, während der andere Dotter in einem nierenförmig begrenzten Fruchthofe nur ein verkrüppeltes Ge- bilde aufzuweisen hatte, an dem sich mit Sicherheit nur die Anlage des Centralnervensystems unterscheiden liess. Ein sol- cher Befund muss im höchsten Grade überraschen, denn wenn irgend zwei Organismen während ihrer embryonalen Entwicke- lung unter gleichen Verhältnissen vegetiren, so sind es zwei Dotter in einer Eischale. Und trotzdem kommen bei ihnen die auffälligsten Unterschiede in der Entwickelung der Embryonen vor. Angesıchts solclier Thatsachen wird man es gerechtfer- tigt finden, wenn oben die Vermuthung aufgestellt wurde, dass bei weiterem Fortschreiten der Entwickelung der schwächere Embryo noch weit mehr verkümmert sein würde. Dieser Fall von ungleichmässiger Ausbilduäg sehr junger Doppelembryonen steht nicht vereinzelt da. K. E. v. Baer!) beobachtete dieses Verhalten einmal an einem nach vorn ga- belig getheilten Doppelembryo vom Barsch. „Der linke Kopf 1) K. E. v. Baer. Ueber doppelleibige Missgeburten oder orga- nische Verdoppelungen in Wirbelthieren. Gelesen d. 8. März 1844. Mem. de l’Acad. imp. des seiene. de St. Petersbourg, Vlieme serie, Scienc. nat. T. IV. 1845. Zool. et Physiol. p. 97. 528 Dr. W. Dönitz: war weniger breit und liess keine Augen erkennen, die doch am rechten deutlich waren.“ Der Verfasser bemerkt dazu: „so möchte ich denn glauben, dass dieser linke Vorderleib über- haupt schwächer gebildet war und schwächer vegetirte als der rechte.“ Nach alledem ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass unser Embryo ein sehr frühes Entwickelungsstadium der soge- nannten Parasiten, Monstres doubles parasitaires Is. Geoffroy St. Hilaire darstellt. Welche Form er angenommen haben würde, das lässt sich allerdings nicht berechnen. Möglich, dass die Vereinigung auf den Kopf beschränkt geblieben wäre. Doch lässt sich auch denken, dass eine heterotypische Janus- bildung daraus hervorgegangen wäre, wie siez. B. von Klein!) beschrieben wurde. Man darf sich nur vorstellen, dass durch den Abschnürungsprocess des Wirbelsystems die beiden Indivi- duen in einem Winkel zu einander gestellt werden, so wird je die rechte Seite des einen der linken Seite des anderen Indi- viduums gegenüber zu stehen kommen. Entwickelt dann jeder Kopf seine Visceralbögen, so werden selbstverständlich die rech- ten Visceralbögen des einen Individuums mit den linken des andern verschmelzen, und das Resultat wird ein Janus sein. Auch die Vorstellung ist nicht von der Hand zu weisen, dass die durch den Abschnürungsprocess bedingte Annäherung der beiden Individuen so weit geht, dass es schliesslich zur Bil- dung nur eines Nabels kommt. Dagegen werden zwei Nabel sich bilden, wenn der Abschnürungsprocess beide Körper in ihrer gegenseitigen Lage belässt. Es steht zu erwarten, dass mit der Zeit noch mehr analoge Missbildungen in verschiedenen Entwickelungszuständen werden aufgefunden werden, welche über diese Verhältnisse hinreichendes Licht verbreiten müssen.. 1) Klein. Janusmissgeburten in Meckels deutschem Ar- chiy. Bd. IV. S. 551557. - 1818. (Schluss folgt im nächsten Hefte.) Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 529 Beschreibung und Erläuterung von Doppelmiss- geburten. Von Dr. W. DoEnITZz. Dritte Abhandlung. (Hierzu Taf. XIII. und XIV.) (Schluss.) Ein Umstand ist es, welcher mit ziemlicher Sicherheit darauf hinweist, dass die beiden Körper in späterer Zeit nicht ihre jetzige Stellung zu einander behalten, sondern sich im Winkel zu einander gestellt haben würden. Ich meine das eigenthüm- liche Verhalten der Anlage des Darmepithels am gemeinsamen Kopfabschnitt. Diese Anlage geht, wie erwähnt, von einem Embryo direct auf den anderen über, indem sie unter den übri- gen embryonalen Anlagen hinwegzieht. Daraus ist zu entneh- men, dass auch nach dem später zu erwartenden Abschluss des Darmrohrs beide Tractus intestinales mit einander communiciren müssen. Eine solche Communication kann aber nimmermehr bestehen, wenn die beiden Individuen nur an den Scheiteln, resp. Stirnen oder Hinterköpfen mit einander verbunden sind. Unter allen Doppelmissgeburten, deren Ursprung auf eine Quer- spaltung des Keimes zurückgeführt werden muss, sind es allein die Janusbildungen, bei denen eine Communication der beiden Speisekanäle im Bereiche des Kopfes stattfinden kann. Dem- nach haben wir es hier wahrscheinlich mit einem sehr frühen Stadium einer Janusbildung zu thun. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 34 530 Dr. W. Dönitz: Ich kann an diesem Orte gleich bemerken, weshalb ich den grösseren Körper den rechten genannt habe. Die Hirnab- schnitte der beiden. Centralnervensysteme liegen, wie aus der Zeichnung ersichtlich, nicht genau in einer geraden Linie, son- dern sie sind von der gemeinschaftlichen Längsachse der bei- den Körper ein wenig seitwärts abgewichen, und es steht zu erwarten, dass auch die beiden Rumpfstücke ihre gegenseitige Lage aufgeben und sich in einen Winkel zu einander stellen werden. Dies erhebt die oben geäusserte Vermuthung, dass ein Janus das Resultat der Bildung sein würde, zur Wahr- scheinlichkeit. Und da nun nach einer Bemerkung Klein’s!) „bei zusammengewachsenen oder ineinandergeschobenen Kin- dern (Janus) das linke im Durchschnitt das missgestaltetere ist,“ so habe ich den weniger entwickelten Rumpf den linken, den gut entwickelten dagegen den rechten genannt. Wenn in die- ser Bezeichnung etwas Willkürliches liegt, so mag dies darin seine Entschuldigung finden, dass wir nach den bisherigen Er- fahrungen noch nicht im Stande sind, für die rechte und linke Seite der Missbildungen mit Querspaltung ebenso sichere Kri- terien aufzustellen, wie für die Monstra mit Längstheilung. Nach der oben gegebenen Auseinandersetzung möchte man so- gar nicht ein rechtes und ein linkes, sondern vielmehr ein oberes und ein unteres Individuum unterscheiden. Die erwähnte Lageabweichung der Gehirne ist selbstver- ständlich dem Wachsthum derselben seit ihrem ersten Auftreten zuzuschreiben. Es spricht dies deutlich gegen d’Alton?), welcher behauptet, dass nach einmal eingetretener frühzeitiger Verwachsung sich an der Vereinigungsstelle nicht allein keine neuen Theile bilden können, sondern dass auch die schon vor- handenen sich nicht weiter entwickeln. Hier sind nun die bei- den Gehirne vorhanden und mit einander verbunden (ob ver- wachsen oder von vorn herein vereinigt, ist für diese Frage ganz gleichgültig). Trotzdem absorbiren sie sich nicht gegen- Dr Klein a. ar0r Noten: 2) d’Alton. De monstrorum duplieium origine atque evolutione commentatio. Halis Saxon. 1849. p. 20, 21. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 531 seitig, indem sie sich weiter zu entwickeln streben, sondern sie bringen sich nur wegen Raumbeschränkung aus ihrer gegensei- tigen Lage. Fehlt aber+einem Doppelorgan dennoch der eine ‚oder der andere Theil, so war dieser überhaupt nicht in der Anlage gegeben, wie dies z. B. der Reichert’sche Gänseem- bryo gegen alle theoretischen Deductionen beweist. Natürlich muss sich die Ausbildung der vorhandenen . (accessorischen) 'Theile den Verhältnissen, und vor allen Dingen dem gegebenen Raum anpassen, wofür das von mir beschriebene Gehirn und Rückenmark vom Kalbe ein interessantes Belegstück lieferte. Noch ein Umstand erregt bei unserem Doppelembryo die Aufmerksamkeit, der nämlich, dass die Entwickelung des Dop- pelmonstrums viel langsamer vor sich gegangen ist, als es bei einfachen Individuen zu geschehen pflegt. Während nämlich die Bebrütung drei Tage gedauert hat, befindet er sich doch noch in einem viel früheren Stadium, welches sich nicht leicht mit einer Entwickelungsstufe eines einfachen Embryos verglei- chen lässt. Zu der Zeit, wo die Anlage des Centralnerven- systems sich schon fast vollständig zum Rohre geschlossen hat, wo die Abgrenzung der drei Hirnbläschen untereinander und gegen das Rückenmark so deutlich ausgesprochen ist, zu der Zeit endlich, wo das Wirbelsystem schon so viele Abtheilungen ‚ausgesondert hat, ist man berechtigt, auch die Augenbläschen und den Herzschlauch zu erwarten. Von ersteren zeigt sich in- dessen noch keine Spur an diesem Embryo, der sich in Bezug auf retardirte Entwickelung genau den Beobachtungen von Rei- chert anschliesst. Doch unterlasse ich es, aus diesem Um- stande allgemeine Folgerungen abzuleiten, da eine nicht unbe- trächtliche Anzahl von Doppelmissgeburten auf frühen Entwicke- lungsstufen in der Literatur verzeichnet ist, bei denen eine Retardation nicht bemerkt wurde. Auch muss an die Möglich- keit gedacht werden, dass der Embryo schon abgestorben war, als das Ei geöffnet wurde; wenigstens kann nicht mit Sicher- heit behauptet werden, dass er noch vegetirte, da das sichere Zeichen des Lebens, der Blutkreislauf, eben nicht vorhanden war. Doch ist es wahrscheinlich, dass der Embryo bis zum Oeffnen des Eies lebte, da die übrigen Eier desselben Huhnes 34* 32 Dr. W. Dönitz: zur selben Zeit sich normal entwickelten. Man könnte aller- dings die von v. Baer beobachteten, gabelig getheilten Barsch- embryonen hier heranziehen, welche unter der einige Tage dauernden Beobachtung sich auffallend langsam entwickelten. Allein man muss bedenken, dass sie während der Beobachtungs- zeit keineswegs unter normalen Verhältnissen sich befanden, und dass v. Baer sogar sehr frühzeitig die Zeichen des begin- nenden Absterbens an ihnen bemerkte. Diese Umstände machen es unstatthaft, sie nach dieser Richtung hin mit dem vorliegen- den Doppelembryo zu vergleichen, welcher sich während seines Lebens unter normalen Verhältnissen befunden hatte und den- noch in der Entwickelung zurückgeblieben war. Dagegen hat derselbe Beobachter einen Doppelembryo vom Hühnchen beschrieben, welcher mit dem meinigen so Vieles gemein hat, dass ich eine Vergleichung derselben nicht um- gehen kann. v. Baer beobachtete seinen Fall schon im Jahre 1827 und gab darüber in Meckel’s Archiv eine Notiz. Die genaue Beschreibung erfolgte erst in seiner 1845 erschienenen Abhandlung über doppelleibige Missgeburten. Leider war un- terdessen die Originalzeichnung verloren gegangen, so dass von diesem seltenen Monstrum nur eine sehr mangelhafte Copie in Umrissen existirt. Der Fruchthof hat die Form eines Kreuzes, welches aber in der Zeichnung viel regelmässiger erscheint als in meinem Fall. Die Lage des Doppelembryos im Fruchthof, seine Stel- lung quer zur Längsachse des Eies, der Zusammenhang der Kopfenden beider Individuen, dies alles stimmt in beiden Fällen überein, und somit hat v. Baer die erste für eine Quertheilung : des Keimes beweiskräftige Beobachtung gemacht. Er hat sie indessen noch nicht nach dieser Richtung hin verarbeitet, da er zur damaligen Zeit (es sind erst 20 Jahre her!) vor allen Dingen gezwungen war nachzuweisen, dass überhaupt ein Thei- lungsvorgang, nicht eine Verwachsung vorläge. Bei dem da- mals immer noch nicht beendigten Streit über die Grundlagen der Lehre von den organischen Verdoppelungen musste die Frage nach dem Modus der Spaltung eben noch von unterge- ordnetem Werth erscheinen. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 533 Obgleich nun der Baer’sche Embryo nur 50—52 Stunden bebrütet war, ist er in seiner Entwickelung doch weiter ge- diehen, als der meinige nach dreitägiger Bebrütung. Die Gross- hirnbläschen hatten sich schon zu entwickeln begonnen; wenig- stens wird der beiden Gehirnen gemeinschaftliche Theil für die grossen Hemisphaeren in Anspruch genommen. Von den Au- genbläschen, deren Bildung doch sonst den Grosshirnbläschen voraufgeht,- wird Nichts erwähnt. Sie werden eben, wie hier, nicht vorhanden gewesen sein. Das Wachsthum des gemein- samen Kopfes musste im Ganzen schon weiter gediehen sein, denn der Zeichnung und der ausdrücklichen Bemerkung nach ist derselbe viel weiter aus der Ebene der Keimhaut erhoben und wohl auch seitlich mehr von der Längsachse abgewichen als in meinem Fall. v. Baer fand schon zwei Herzen vor (von denen das eine weiter ausgebildet war, als das andere), während ich mit Sicher- heit ein solches Organ nicht nachweisen konnte. Auch in der Area vasculosa hatte sich schon das Gefässsystem ausgebildet, so dass dieser Embryo bei der anderweitigen Uebereinstim- mung geradezu als die Ergänzung des meinigen hätte dienen können; leider aber sind mit der Originalzeichnung auch die Notizen über den Gefässverlauf sowohl wie über die Form der Herzen verloren gegangen. — Eine fernere Uebereinstimmung liegt in dem Fehlen des Amnios. v. Baer sieht darin eine Bestätigung der Ansicht, dass die Bildung der Amniosfalten mit der Herabkrümmung zusammenhängt, und eine Herabkrüm- mung könne natürlich in einem solchen Doppelembryo nicht vorkommen, weil sie eine Zerreissung der an den Stirnen ver- bundenen beiden Wirbelsysteme zur Folge haben müsste. Bei fortschreitendem Wachsthum müssten sich daher die Köpfe aus der Ebene der Keimhaut erheben, anstatt wie sonst sich unter dieselbe herabzusenken. | Inwiefern v. Baer’s Ansicht von der Ursache des Auftre- tens der Schafhaut berechtigt ist, will ich dahingestellt sein lassen. Doch muss ich bemerken, dass man nicht gar selten Embryonen beobachten kann, welche die normale Krümmung vollzogen haben, ohne eines Amnios theilhaftig geworden zu 534 Dr. W. Dönitz: sein. Einen solchen Fall hat Reichert!) beschrieben und ab- gebildet. Auch die nach sechstägiger Bebrütung in einem Fruchthof gefundenen, völlig getrennten zwei Hühnchen, welche GC. F. Wolff?) beschrieb, hatten kein Amnios, obgleich ihrer Krümmung nach unten durchaus Nichts im Wege gestanden ha- ben kann. Die Analyse des beschriebenen Doppelembryos vom Huhn hat also folgende Resultate ergeben: 1) Es giebt eine Querspaltung des Keims. 2) Die auf Querspaltung beruhenden Doppelmissgeburten mit Verbindung der Köpfe untereinander können sich nach zwei Richtungen hin weiter entwickeln. Entweder bleibt ihre Ver- bindung auf die Schädelkapsel beschränkt, oder sie nehmen die unter dem Namen der Janusbildungen bekannte Form an. 3) Zu dieser Klasse der Doppelmissgeburten gehören Mon- stra mit zwei oder auch nur einem Nabel. 4) Die Entwickelung der Doppelmissgeburten schreitet häufig langsamer vor, als die der einfachen Embryonen. Fünfter Fall. Den von Förster?) citirten 2 oder 3 Fällen von mensch- lichen Kraniopagen, bei denen das eine Individuum so man- gelhaft entwickelt ist, dass es wie ein Parasit erscheint, kann 1) Reichert. Ueber einen bei gänzlicher oder theilweiser Ab- wesenheit des Amnios beständig vorkommenden Anhang der Cutis am Nabel der Vogelembryonen. Reichert’s u. du Bois.Reymond’s Archiv, 1861, S. 278—280, 2) C. F. Wolff. Ovum simplex gemellifercum. Novi commen- tarii Acad. scient. imper. Petropolitanae. T. XIV. 1770. (Exhibit. d. 22. Febr. 1770). p. 468. Wolff giebt ausdrücklich an, dass die Embryonen zwar ein Amnium spurium, aber kein Amnium verum besassen. Ich mache hierauf aufmerksam, weil sich in einer für die Lehre von den Missbildungen sehr wichtigen Arbeit (Bischoff, Art. Entwickelungsgeschichte in Wagner’s Handwörterbuch der Phys. I. p. 912) die Angabe findet, diese Embryonen wären von einem Amnion umhüllt gewesen. 3) A. Förster. Die Missbildungen des Menschen. Jena 1865. S. 34. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 535 ich einen vierten Fall hinzufügen. Es wird dieses Monstrum im hiesigen anatomischen Museum unter Nr. 21,562 aufbewahrt, ist männlichen Geschlechts und stammt etwa aus dem fünften Schwangerschaftsmonate. Das eine Individuum ist normal ge- bildet, das andere hingegen stark defect, in der Art, dass am Beckenende desselben der Mangel am schärfsten ausgeprägt ist. Der kürzeren Bezeichnung wegen mag dieses mangelhaft gebil- dete Individuum der Parasit heissen. Die beiden Individuen sind an den Scheiteln mit einander vereinigt und haben sich in der Art um ihre Längsachse ge- dreht, dass man das eine en face sieht, während das andere im Profil erscheint. Diese Drehung ist nach links erfolgt, indem das rechte Stirnbein des Parasiten an das rechte Stirnbein des ausgebildeten Körpers stösst, während das linke Stirnbein des Parasiten dem rechten Scheitelbein des normalen Individuums gegenüber liegt. Weiterhin stossen die linken Scheitelbeine auf einander, und das rechte Scheitelbein des Parasiten entspricht dem linken Stirnbein des normalen Embryos. (Die Hinterhaupts- beine reichen nicht bis zur Grenzebene, die man zwischen bei- den Individuen ziehen muss, und kommen daher hier nicht in Betracht.) Bei Untersuchung dieser Verhältnisse fiel es auf, dass das linke normale Scheitelbein 2—3''' weit, etwa dem fünften Theil seiner eigenen Höhe entsprechend, von dem lin- ken parasitischen Scheitelbein bedeckt wurde, ohne dazwischen gelegene Schicht von Periost oder Dura mater, so dass Knochen auf Knochen lag. Das enge Anliegen des von dem einen Knochen auf den andern hinüberziehenden inneren und äusse- ren Periostes bewies, dass diese Eigenthümlichkeit schon wäh- rend des Lebens des Fötus bestanden hatte, und nicht auf nachträglicher, künstlicher Verschiebung des betheiligten Kno- chens beruhen konnte. Diese Verschiebung der Knochen be- dingt die auch in der Abbildung wiedergegebene Winkelstellung der Embryonen. Ueber die Verhältnisse des von den beiderseitigen Schädel- knochen umschlossenen Hohlraumes konnte nichts Genaueres ermittelt werden. Doch liess sich so viel feststellen, dass die Dura mater Septa hineinschickt, welche die beiden Gehirne 536 Dr. W. Dönitz: wenigstens theilweise von einander trennen. Trotzdem scheinen die grossen Hemisphären unter einander in Zusammenhang ge- standen zu haben. Von allen Körperabschnitten des Parasiten ist der Kopf am besten entwickelt. Er ist etwas kleiner als der des normalen Individuums. An der Stelle des rechten Auges hat er eine Vertiefung, welche von zwei schlecht gebildeten Augenlidern eingeschlossen wird. Im Grunde derselben kommt man nur auf embryonales Bindegewebe, welches die vorhandene Augenhöhle ausfüllt. Der Rumpf, welcher gegen das Beckenende ‘hin zugespitzt endigt, trägt nur eine Extremität. Diese, der rechte Arm, ist normal gebildet. An der Stelle, wo man die Insertion des lin- ken Armes erwarten sollte, zeigt sich eine Hervortreibung, welche von dem linken Schlüsselbein und dem rudimentären linken Schulterblatt gebildet wird. Weitere Spuren einer lin- ken Oberextremität finden sich nicht vor. Eine starke, spitzige Hervorwölbung auf der linken Thoraxseite wird durch eine winklige Knickung der Rippen bedingt. Die Unterextremitäten fehlen gänzlich, und von den Beckenknochen sind nur kümmer- liche Rudimente vorhanden. Es fehlen die Genitalien und die Afteröffnung. Bei Eröffnung der Brusthöhle gelangt man in einen ver- hältnissmässig engen Hohlraum, in dem sich Nichts weiter als der Centralapparat des Gefässsystems vorfindet. Dieses Organ hat cylindrische Gestalt und ist quergelagert, die Basis des Gylinders nach rechts gekehrt. In die Basis treten von der Seite des Zwerchfells und von der Hinterwand der Brusthöhle her Gefässe ein, welche für Venen gehalten werden müssen. Nach links hin ist das Organ in eine lange Spitze ausgezogen, welche die Aorta darstellt. ‘Diese giebt zuerst einen Trun- cus anonymus ab, der sich in die Subclavia und Carotis dextra spaltet, und weiterhin die Carotis sinistra. Ein Querschnitt in das Herz, zunächst dem verdickten Ende geführt, lehrt, dass nur ein einziger Hohlraum vorhanden ist, in welchen eine kleine Anzahl Trabeculae carneae vorspringen. Die Epiglottis fehlt. Die Knorpel des Kehlkopfs sind Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 537 vorhanden, aber der Kehlkopf selbst ist unten geschlossen. Eine Trachea lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Zwei rundliche Körper, unmittelbar oberhalb des Hohlraumes des Thorax gelegen, scheinen die Lungenanlagen darzustellen. Auch die Glandula thyreoidea und Thymus scheinen in Rudimenten vorhanden zu sein. Doch lassen alle diese Körper eine positive Deutung nicht zu, da sie zu unvollkommen ent- wickelt sind; nur ihre Lage am Halse spricht dafür, dass man es mit den fraglichen Gebilden zu thun habe. Am Halse lassen sich ferner die Nervi vagi und phrenici mit einiger Mühe frei legen. Der Traetus alimentarius ist nicht zur vollen Ausbil- dung gelangt. Der Oesophagus ist vorhanden; doch schon der Magen setzt sich nicht deutlich vom übrigen Darmkanale ab. Nur wenige Darmschlingen sind gut entwickelt. Diese Schlingen wechseln mit schwachen, theilweise kaum wahrnehm- baren Fäden ab, welche das Mesenterium an diesen Stellen begrenzen und zu Grunde gegangene oder in der Entwickelung zurückgebliebene Darmschlingen darstellen. Die Leber, die Bauchspeicheldrüse und die Milz fehlen. Unter dem Peritoneum liegen zu beiden Seiten der Wirbel- säule ein Paar grosse, drüsige Organe, die Nieren. Hoden wurden nicht aufgefunden. Der Nabelstrang ist kurz, verschmälert sich sehr schnell und endet fadenförmig. Auf dem Querschnitt sieht man keine Gefässe. Auch an der vorderen Bauchwand finden sich keine Gefässe, die nach dem Nabel hinziehen. Nur vom Herzen aus geht ein dünner Strang nach dem Winkel, den das Zwerchfell mit der vorderen Thoraxwand bildet. Dieser Strang, wahrschein- lich eine Vene, verliert sich aber in den Bauchdecken und lässt sich nicht bis zum Nabel verfolgen, so dass es unentschieden bleibt, ob er eine Vena umbilicalıs mit abnormem Verlauf darstellt. Epikrise. Der oben beschriebene Kraniopagus parasiticus bietet des Bemerkenswerthen so viel, dass er wohl verdient, genauer 538 Dr. W. Dönitz: analysirt zu werden. Man sieht ohne Weiteres, dass er den Uebergang von den gewöhnlichen Kraniopagen zu dem Home’- schen Monstrum bildet, welches in einem normal gebildeten Körper bestand, der auf seinem Scheitel einen zweiten Kopf trug. Auch dieses Monstrum war, wie das vorliegende, männ- lichen Geschlechts. Die Drehung um die Längsachse ist hier, wie dort, nach links erfolgt. Ueber die Bedeutung dieser Dre- hung, die bei fast allen Kraniopagen vorkommt, weiss man bis jetzt noch gar Nichts. Sie scheint schon in der Anlage begrün- det oder wenigstens durch die ersten Entwickelungsvorgänge bedinst zu sein. Für letzteren Fall spricht der von mir eben beschriebene Hühnerembryo, bei dem die Kopfenden der Anla- gen der Öentralnervensysteme gegen einander verschoben sind, wie mich dünkt, in Folge des schnellen Wachsthums dieser An- lagen, mit dem die Entwickelung der in der Umgebung gele- genen Theile nicht Schritt halten konnte. Lässt man diese Annahme gelten, so mussten sich die beiden Primitivorgane, da sie einander entgegenwuchsen, entweder gegenseitig im Wachsthum behindern, oder sich aus ihrer Lage bringen, und: das Letztere hat hier stattgefunden. Das Wirbelsystem muss natürlich diese Lageveränderung mitmachen, denn für dieses Primitivorgan greift dasselbe Raisonnement Platz. Dass nun diese Lageveränderung, welche zu einer Winkelstellung der Em- bryonen zu einander führt, sich leicht mit einer Achsendrehung combiniren kann, liest auf der Hand. Wie bei den meisten, vielleicht allen Kraniopagen, so findet auch in diesem Falle hier Beides statt. — Verfolgt man diesen Gedankengang weiter, so ergiebt sich, dass die Embryonen an den Scheiteln vereinigt sein werden, sobald die Kraft, mit der sie auf einander zu wachsen und sich aus ihrer Lage zu drängen versuchen, so ge- ring ist, dass sie nur eine stumpfwinklige Stellung der Längs- achsen zu Stande bringt. Ist:die Kraft grösser, so wird es zu einer spitzwinkligen Stellung kommen, und die Vereinigung wird, je nach Umständen, an der Stirn oder am Hinterhaupt statt finden. Dass aber die zugleich sich einstellende Drehung um die Längsachse nach links stattfindet, ist wohl in der Nei- Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 539 gung. der Embryonen begründet, sich vorzugsweise auf die linke Seite zu lagern. Diese Bemerkungen dürften für die Kraniopagen im Allge- meinen Geltung haben. Das vorliegende Monstrum besitzt aber noch individuelle Eigenheiten, welche eine besondere Deutung erfordern. Es fragt sich hauptsächlich, wie die vielfachen De- fecte des Parasiten aufzufassen sind. Beruhen sie auf Bildungs- hemmung oder auf Rückbildung früher vorhandener Theile? Diese Frage lässt sich unter Heranziehung der acephalischen Miss- geburten sehr wohl lösen. Mit den Acephalen hat unser Parasit vor allen Dingen die Behinderung der normalen Bluteireulation gemein. Dem Acephalus "wird venöses Blut durch den Nabel- strang unter mehr oder weniger ausgesprochener Vermittelung der Placenta von seinem normalen Gefährten zugeführt, und er verkümmert, da dieses Blut nicht geeignet ist, ihn zu ernähren. Unser Parasit nun befand sich in Bezug auf Ernährung in der- selben Lage. Mit der Placenta scheint er in letzter Zeit über- haupt nicht mehr in Verbindung gestanden zu haben, wie man aus dem fadenförmigen Aufhören des Nabelstranges schliessen kann. Vorausgesetzt aber, dass dieser Faden erst während oder nach erfolgtem Abort gerissen ist, so bleibt doch die Thatsache bestehen, dass der Nabelstrang unwegsam war, ja gar nicht ein- mal Gefässe enthielt. Daher musste der Parasit sein ganzes Nahrungsmaterial von seinem Gefährten beziehen. Der Weg, den dieses Blut nahm, konnte nur durch den Kopf gehen. Freilich war ich nicht im Stande, grössere Gefässe aufzufinden, welche diese Function hätten verrichten können. Indessen kann hier der Home’sche Fall aushelfen, in welchem viele Gefässe in der Dura mater gefunden wurden, die vom normalen Kinde aus den parasitischen Kopf ernährten. Ein ähnliches, nur we- gen der Zartheit der embryonalen Gefässe nicht zu eruirendes Verhalten muss auch hier vorausgesetzt werden, wenn nicht etwa, was auf dasselbe herauskommen würde, die Verbindung durch die Hirngefässe vermittelt wurde. Jedenfalls muss man annehmen, dass gewisse Kopfarterien des normalen Kindes mit entsprechenden Kopfarterien des Parasiten in Verbindung stan- den. Dasselbe gilt für die Venen. Erfolgte nun die Ernährung 540 Dr. W. Dönitz: des Parasiten vom normalen Körper aus, so musste das Blut in den Kopfgefässen des ersten in umgekehrter Richtung fliessen, das heisst, in den Kopfarterien zum Herzen hin, also centripe- tal, in den entsprechenden Venen aber centrifugal. In das Herz selbst brauchte es gar nicht einzudringen, da es, einmal in der Aorta angelangt, von hier aus, in normaler Richtung fliessend, den übrigen Körper versorgen konnte. Diese Annahme einer theilweisen Umkehrung des Blutkreislaufs findet ihre thatsäch- liche Begründung in dem Verhalten der Acephalen, bei denen ja auch in einem Theile des Gefässsystems das Blut nothwen- digerweise in umgekehrter Richtung kreis. Wie nun bei den Acephalen diese Abnormitäten des Kreislaufs eine Rückbildung schon vorhandener Theile bedingen, so mussten sie auch im vorliegenden Parasiten einen Rückbildungsprocess einleiten. Der Umstand aber, dass einzelne Organe hier bei Weitem nicht so stark verkümmert sind, als dies bei den herzlosen Missgeburten der Fall zu sein pflegt, scheint sich daraus zu erklären, dass hier arterielles, also zur Ernährung geeignetes Blut in das Ge- fässnetz des Parasiten gelangte; während die Acephalen venöses, unbrauchbares Blut erhalten. Bedenkt man ferner, dass das Blut, bevor es in die grösseren Gefässe und schliesslich in die Aorta des Parasiten gelangen konnte, erst durch eine vielleicht nicht unbeträchtliche Anzahl kleiner und selbst kleinster Arte- rien hindurchwandern musste, so wird es begreiflich, wie die Blutwelle sich proportional der Entfernung vom Kopfe ab- schwächte. Die Folge davon war, dass die unteren Partien des parasitischen Rumpfes wegen mangelhafter Blutzufuhr noch stär- ker verkümmern mussten als die dem normalen Kopf zunächst gelegenen. Aus diesem Grunde sind z. B. die oberen Theile des Speisekanals, nämlich der Mund, der Pharynx und der Oesophagus wohlgebildet; dagegen fehlt schon der Magen, und viele Darmschlingen sind ganz geschwunden. Auch die Leber scheint zu Grunde gegangen zu sein; denn da eine Anzahl Darmschlingen sich gut entwickelt hat, so wird man annehmen müssen, dass die Rückbildung erst zu einer Zeit eingeleitet worden ist, als schon die Anlagen der Leber sich gebildet hatten. Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 541 Somit haben wir es zum grossen Theil mit Rückbildungs- processen zu thun. Dass aber auch eine Bildungshem- mung hier Platz gegriffen hat, lässt sich mit Sicherheit be- stimmen, wenn auch nicht in voller Ausdehnung nachweisen. Jedenfalls sind die Lungen auf einem frühen Stadium der Entwickelung stehen geblieben, denn sie sind noch nicht ein- mal in den Thorax hinabgestiegen, und es hat sich noch keine Pleurahöhle für dieselben ausgebildet. Und dass im Herzen sich nur ein einziger Hohlraum findet, ist als Hemmungsbildung zu deuten. Interessant ist es, dass trotzdem sich Trabeculae carneae gebildet haben. Ueber den Zustand der Nieren und ihrer Ausführungsgänge liess sich Nichts mehr ermitteln, nachdem das Präparat Jahre lang in Weingeist gelegen hatte. Das Fehlen der Harnblase und der keimbereitenden Organe scheint auf Bildungs- hemmung zu beruhen, da allem Anschein nach die Störung in der Entwickelung des Parasiten zu einer Zeit eingetreten ist, wo diese Organe als solche noch nicht bestanden. Als Resultat geht aus dieser Untersuchung hervor, dass sämmtliche Defecte des Parasiten durch mangelhafte Ernährung hervorgerufen wurden. Als ursächliches Moment der mangel- haften Blutzufuhr ist eine Behinderung des Blutkreislaufs im Nabelstrang resp. der Placenta zu betrachten. Welcher Art dieses Hinderniss gewesen sei, lässt sich nicht mehr ermitteln. Die Zeit, in der es zuerst seine Wirkung geltend machte, fällt, wie die vorhandenen Hemmungsbildungen lehren, in die ersten Wochen des embryonalen Lebens, doch nicht, bevor der Nabel- strang sich gebildet hatte. Hiergegen könnte man die Ansicht aufstellen, dass der Em- bryo von vorn herein mangelhaft angelegt worden wäre oder sich (aus unbekannten Gründen) schlecht entwickelt hätte und dass der Nabelstrang erst secundär atrophirt wäre. Zu Gunsten dieser Ansicht liesse sich sogar der von mir beschriebene Hühnerembryo heranziehen. Dennoch glaube ich die zuerst ausgesprochene Ansicht festhalten zu müssen, weil sie aus einem Punkte heraus Alles erklärt. 542 Dr. W. Dönitz: Zum Schluss fasse ich die Resultate, zu denen die gegebe- nen Beschreibungen und Erläuterungen von Doppelmissgeburten geführt haben, in wenige Sätze zusammen. Manches davon ist neuerdings allgemein angenommen, Manches wird noch hin und wieder bestritten, Einiges auch beruht auf neuen Anschauungen. 1) Es ist noch kein Ei beobachtet worden, dem man ange- sehen hätte, dass eine Doppelmissgeburt daraus entstehen würde. Aber alle Beobachtungen sehr junger Doppelembryonen führen zu der Annahme, dass die Doppelmissgeburten aus Eiern her- vorgehen, welche nicht wesentlich von der Norm abweichen und in gewöhnlicher Weise den Furchungsprocess durchmachen. Andere Hypothesen, wie die Annahme zweier Keimbläschen in einem Ei u. s. w., laufen den Thatsachen der normalen und pathologischen Embryologie zuwider. 2) Die Bildung der Doppelmonstra beruht auf Keimspaltung, welche wahrscheinlich in allen Fällen erst nach dem Erscheinen der Umhüllungshaut auftritt. 3) Die Richtung der Keimspaltung kann longitudinal und transversell verlaufen. (Diese Achsen im Keim sind mit Rück- sicht auf das sich daraus entwickelnde Individuum angenommen, denn am Keim an und für sich kann man keine nn und Querachse unterscheiden.) 4) Die Bedeutung der Längsspaltung ist folgende: a) Einer jeden Hälfte des Keimes eines Wirbelthieres wohnt die Fähigkeit inne, sich zu einem ganzen Individuum zu ent- wickeln. Der Vorgang, der unter normalen Verhältnissen die Bildung zweier symmetrischer Hälften veranlasst, führt in die- sem Falle zum Auftreten zweier Individuen. An jeder dieser beiden ein ganzes Individuum repräsentirenden Hälften des Keimmaterials wiederholt sich darauf der Vorgang, der das Er- scheinen der bilateralen Symmetrie einleitet. b) Aus den weiteren Veränderungen ergiebt sich, dass nicht alle die vier, auf diesem Wege entstandenen Hälften gleichen Werth haben. Man hat vielmehr zwei normale und zwei accessorische Hälften zu unterscheiden. Die accessorischen Hälften schieben sich zwischen die normalen ein. 5) Das Verhalten der accessorischen zu den normalen Hälf- Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. 543 ten und zu einander kann ein verschiedenes sein. Entweder treten je die accessorischen und die normalen Hälften zur Bil- dung von accessorischen und normalen bilateral-symmetrischen Organen zusammen, oder es hält sich jede accessorische Hälfte zu der zugehörigen normalen und bildet im Verein mit dieser die betreffenden Organe. Den Uebergang zwischen beiden Ex- treımen bildet der Fall, wo alle vier Hälften zu gleichen Thei- len zur Bildung eines einzigen Organes zusammentreten. Dieses Verhalten wurde mit dem Namen der paarigen Symmetrie be- legt. 6) Es lässt sich eine Stufenfolge von Missgeburten aufstellen, welche aus Längsspaltung des Keimes hervorgegangen sind. Auf der niedrigsten Stufe stehen diejenigen Doppelmonstra, bei de- nen die accessorischen Hälften eben nur angedeutet sind, sei es im Bereiche eines oder mehrerer Primitivorgane. Das andere Extrem bilden zwei aus einem Keim hervorgegangene, vollkom- men getrennte Individuen, sogenannte Paarlinge. 7) Durch die Querspaltung werden, im Gegensatz zur Längs- spaltung, immer zwei vollständige Individuen angelegt. Sämmt- liche Primitivorgane sind in doppelter Anzahl vorhanden. 3) Die aus einem Keim durch Querspaltung sich bildenden beiden Individuen sind entweder vollständig getrennt oder mit einander verbunden. Der Zusammenhang kann sowohl am Kopf- wie am Beckenende statt haben. 9) Ueber das Auftreten von einem oder zwei Nabeln lässt sich Folgendes sagen: Längsspaltung bedingt immer einen Na- bel. Nach Querspaltung kommen sowohl einer wie zwei Nabel vor. Bildet sich hier nur ein Nabel, so ist zugleich Janusbil- dung gegeben. (Dass auch bei längsgespaltenem Keim eine Ja- nusbildung eintreten kann, ist nicht unwahrscheinlich.) 10) Durch Verkümmerung des einen Individuums, sei es durch Bildungshemmung, sei es durch Rückbildung, werden die parasitischen Formen erzeugt. 11) Mit Unrecht hat man bisher Monstra mit Ueberzahl einzelner Extremitäten unter die Doppelmonstra eingereiht. Charakteristisch für die Doppelmonstra ist die Keimspaltung, also ein Sonderungsprocess in dem normal zu einem Organis- 544 Dr. W. Dönitz: Beschreibung und Erläuterung u. s. w. mus bestimmten Keim. Die überzähligen Extremitäten dagegen entstehen durch organologisches Wachsthum (organologischer Knospenzeugungs-, Fortbildungsprocess). Somit hat man zwei Klassen von Missgeburten mit excessiver Bildung zu unter- scheiden: a) Doppelmonstra, deren Ursprung auf Keimspaltung zurück- zuführen ist: Abnorme Sonderung des normal zu einem Organismus bestimmten Keimmaterials. b) Monstra mit Uebermaass der Bildung im Bereiche irgend eines der schon differenzirten Primitivorgane: Abnormes or- sanologisches Wachsthum. Erklärung der Kupfertafeln. Tafel XIII. Doppelembryo vom Huhn, nach dreitägiger Bebrü- tung, aus Querspaltung des Keimes hervorgegangen. Die Vereinigung der beiden Individuen hat am Kopfende statt und ist besonders deut- lich am Centralnervensystem (N) ausgesprochen. Vergr. c. 20mal. Ap. Area pellucida. Av. Area vasculosa. D, Area vitellina. N. Ge- meinschaftlicher Kopftheil des Centralnervensystems, an dem die Hirn- bläscheu sich deutlich markiren. J. Starke Knickung der röhrenför- migen Anlage des Centralnervensystems, an welchem der Kopftheil in den Rumpftheil M. übergeht. V. Abtheilungen des Wirbelsystems. Ch. Chorda dorsualis, welche an den Stellen hindurchschimmert, wo die Anlage des Centralnervensystems noch nicht die Röhrenform ange- nommen hat. ©. Hindurchschimmernde wahrscheinliche Anlagen der Herzen, durch Hautfalten verdeckt, welche den Doppelkopf in einem Kreise wallförmig umgeben. Tafel XIV. A. Derselbe Embryo, von der Dotterseite gesehen. A. Anlage des Oylinderepithels des Darmkanals, hier, im Bereiche der Kopfenden, stark gefaltet. B. Bauchplatten des Wirbel- und Haut- systems. C. Durchschimmernde Anlagen der Herzen. F. Eingang in die Foveae cardiacae. Üh. Chorda dorsualis. Ch‘. Chorda dorsualis im Bereich der Kopfenden. M. Seitliche Begrenzung des durchschim- mernden Medullarrohrs. V. Abtheilungen des Wirbelsystems, Tafel XIV. B. Der im Text als 5. Fall beschriebene, aus Querspal- tung des Keimes hervorgegangene Doppelembryo vom Menschen, etwa 5 Monate alt, männlichen Geschlechts. Das eine Individuum ist viel- fach defect und erscheint deshalb als Parasit. Die Sagittalebenen beider Körper schneiden sich unter einem Winkel von etwa 90°. Dr. L. N. Simonoff: Die Hemmungsmechanismen u. s. w. 545 Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere experimentell bewiesen. Von Dr. L. N. SIMONOFF, Docent der Pathologie und Therapie in Kasan. (Hierzu Taf. XV.) Seit Setschenoff’s Entdeckung der Hemmungsmechanis- men ın dem Gehirn des Frosches war die Gegenwart dieser Mechanismen in dem Gehirn der Säugethiere fast von allen Physiologen apriori angenommen. Die physiologische Bedeutung und die Specialität dieser Mechanismen in dem Gehirn sind aber vorzüglich in der letzteren Zeit vielfach bestritten worden. Nach den „Neuen Versuchen“ (1865) Setschenoff’s und Paschutin’s aber glaube ich, dass die gegen sie gemachten Einwendungen keine grosse Bedeutung haben können. Gesetzt, dass alle Physiologen nun von der Richtigkeit der Setschenoff’schen Resultate überzeugt sind, so kann doch immer diese allgemeine Ueberzeugung nur für den Frosch gel- ten. Die Annahme der Existenz von Hemmungsmechanismen in dem Gehirn der Säugethiere bleibt bis jetzt ohne allen factischen Grund. Die Schwierigkeit, fast Unmöglichkeit, an Säugethieren die Versuche Setschenoff’s zu wiederholen, war meiner Meinung nach die alleinige Ursache dieses Mangels an Experimenten. Während des letzten Winters beschäftigte ich mich mit Versuchen an dem centralen Nervensystem des Hundes (Ver- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 35 546 Dr. L. N. Simonoff: suchen, welche ich übrigens mit einer ganz anderen Absicht an- stellte); unter anderen Experimenten führte ich durch den tre- panirten Schädel in das Gehirn des Hundes gewöhnliche stäh- lerne Nähnadeln ein. War die Operation vorsichtig gemacht, so blieben die Thiere während der Einführung der Nadeln ganz ruhig (einige Fälle von Verletzung gewisser Theile des Gehirns ausgenommen) und genasen nach der Operation sehr schnell: der trepanirte Knochen füllte sich aus, die Wunde der Haut heilte, und das Thier schien, trotz der in dem Gehirn geblie- benen Nadel, im Allgemeinen vollkommen gesund. Alles dies war ohne Zweifel sehr interessant (und wird ausführlicher in einer anderen Abhandlung mitgetheilt werden), hatte aber keine augenscheinliche Beziehung zu meiner jetzigen Arbeit. Nichts- destoweniger waren die Erscheinungen, welche die Operation begleiteten und ihr folgten, die nächste Ursache, durch welche ich auf die Idee kam, die Gegenwart oder die Abwesen- heit „der Hemmungscentra“* in dem Gehirn der Säuge- thiere experimentell nachzuweisen: eine nicht unbedeutende Schwächung der Empfindlichkeit der Thiere beim Kneipen, Drücken u. s. w. (d. h. die Hemmung der Re- flexe) wies ich unter den ersten Folgen der Einführung der Nadeln in’s Gehirn nach. Die alleinige Nachweisung dieser Thatsache war schon eine hinreichende Anregung zur Anstellung systematischer Experi- mente. Bis jetzt habe ich 30 Versuche angestellt. Bei jedem Ver- suche wurden zuerst zwei gewöhnliche Nadeln, eine nach der anderen, in das Gehirn des Hundes so eingeführt, dass die oberen Enden der Nadeln ausserhalb des Schädels blieben. Die Reflexe wurden gleich nach der Einführung jeder Nadel und einige Zeit nachher untersucht. Dann wurden die äusseren En- den der Nadeln mit den Elektroden des constanten oder in- ducirten Stromes verbunden und die Reflexe während und nach der Wirkung des Stromes wieder untersucht. Jeder Versuch kann und muss also in zwei verschiedene Theile und alle Versuche in drei Kategorieen eingetheilt werden: Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 547 A) Die Experimente mit der Einführung der Na- deln. B) Die Experimente mit dem constanten Strome. C) Die Experimente mit dem inducirten Strome. Ich habe ausserdem noch einige Versuche mit der Reizung der Hemmungsmechanismen (resp. des Gehirns) durch die pe- ripherischen Enden der Haut-Empfindungs-Nerven (D) und mittelst chemischer Agentien (E) angestellt; die Zahl derselben war aber zu gering. Wenn man bedenkt, dass bei allen Versuchen zwei Na- deln, eine nach der anderen, eingeführt, dass an einem und demselben Thiere das Schliessen und Unterbrechen des Stromes mehrfach ausgeführt war, und die Reflexe bei Einführung jeder Nadel, jedem Schliessen oder Unterbrechen des Stromes von Neuem untersucht wurden, dann sieht man, dass man für die Bestätigung meiner Schlüsse statt 30 Experimente mehr als 100 im Auge haben muss. Alle meine Versuche stellte ich an sehr jungen Hunden (die meisten waren nicht älter als 1 Monat) an, deren Schädelkno- chen dünn und zart sind, so dass die Einführung der Nadeln in’s Gehirn bei allen Experimenten ohne vorläufige Trepanation ausgeführt werden konnte. Die eingeführten Nadeln waren ge- wöhnliche Nähnadeln; die Einführung derselben geschah ver- mittelst eines Stieles, ganz ähnlich denen, welche für die Nadeln in der mikroskopischen Technik gebraucht werden. In den meisten Fällen rief die Einführung der Nadeln in’s Gehirn keine besonderen Erscheinungen von Seiten der operirten Thiere hervor; es schrieen nur sehr wenige, mehr als die Hälfte blieben fast vollkommen ruhig. Ruhe war unmittelbar nach der Opera- tion die Regel. Die Nadeln waren in den Schädelknochen so gut eingeklemmt, dass sie in den meisten Fällen während der ganzen Dauer des Versuches unbeweglich blieben. Dieselben Thiere dienten zu den Experimenten mit der Einführung der Nadeln und mit den elektrischen Strömen. Die Drähte der Elektroden waren immer vor der Operation der Einführung der Nadeln an den letzteren befestigt, und die Schliessung oder Oeffnung des Stromes geschah vermittelst des Schlüssels. Zur 35* 548 Dr. L. N. Simonoff: elektrischen Reizung des Gehirns mittelst des constanten Stro- mes wandte ich die kleineren Grove’schen Elemente (4 bis 6) und zur Regulirung der Stärke des Stromes den du Bois- Reymond’schen Rheochord an. Der indueirte Strom wurde durch den Schlitten- Apparat du Bois-Reymond’s gewon- nen, dessen Scala zur Messung der Stärke des Stromes diente. Eine der hinteren Extremitäten des Hundes ward zur Erweckung der Reflexe angewandt, auch geschah die Reizung der Extremität vermittelst des du Bois-Reymond’schen Appa- rates durch den inducirten Strom. An dem Ende einer der Elektroden war eine feine Nadel befestigt und für die ganze Dauer des Experimentes in die (nicht behaarte) Haut der Ferse des Hundes eingesenkt; die andere Elektrode war mit einem feinen Pinsel aus Messing versehen und diente zur Schliessung des Stromes, immer an einer und derselben Zehe des Fusses. Zur Messung der Stärke der Reizung diente auch hier die Scala des Apparates; die Dauer der Reizung wurde mittelst des Me- tronoms (100 auf 1‘) bestimmt. Vor dem Beginne des Versuches war das Thier (vorzüglich der Kopf und Vordertheil des Körpers) immer gut am Ope- rationsbrette befestigt. Nach Beendigung des Versuches diente die Obduction des getödteten Thieres zur Controlirung der vermutheten Verwundung des Gehirns. Die Einführung der Nadeln selbst tödtete die Thiere gewöhnlich nicht, sie leb- ten noch lange nach der Operation, und die meisten von denen, welche nicht getödtet wurden, genasen gänzlich. Bevor ich die eigentlichen Versuche der Reizung des Gehirns . auf mechanischem oder elektrischem Wege mittheile, führe ich zwei graphisch dargestellte controlirende Experimente an nicht operirten gesunden Thieren an (S. Fig. Iu. II). Jeder der beiden Versuche dauerte etwa 4 Stunden. A. Versuche mit der Einführung der Nadeln. Die Einführung der Nadeln durch den zarten und dünnen Schädel der jungen Hunde geschah gewöhnlich sehr rasch: in !/,‘ bis 1' für jede Nadel. Diese Reihe von Versuchen hat mich zu folgenden Schlüssen geführt: Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 549 1) Die Einführung der Nadeln in’s Gehirn des Hundes bewirkt eine unmittelbare Depression der Reflexe. 2) Die Dauer dieser Depression scheint von der Grösse der eingeführten Nadel, der Tiefe der Einführung derselben und dem Grade der Verwundung des Gehirns directabzuhängen. Rasche und vorsichtige Einführung von Nadeln einer und der- selben Grösse ruft bei allen Thieren die Hemmung der Reflexe von einer und derselben Dauer hervor: 2'—3'},!. 3) Nach dem Verlaufe dieser Zeit folgt gewöhnlich die Wie- dererhebung des Reflexvermögens zur Norm oder ein wenig darüber. Wenn die Operation lege artis gemacht wurde, sah ich keine bedeutenden Ausnahmen von diesen drei Schlüssen. Zur Erläuterung dieser Schlüsse führe ich nun vier graphisch dargestellte Versuche (5. Fig. II, IV, V, VI) und einen dersel- ben wörtlich an. Versuch ®8. Vor der Einführung der Nadeln giebt 180 (an der Scala du Bois-Reymond’schen Apparates) constante und deutliche Reflexe. Die rechte Nadel eingeführt (während !/,'): das Thier Anfangs (ungefähr 1') etwas unruhig, schlummert dann ein. 180 bis 130 = 0 120 deutlich Während der folgenden 8'/,' erheben sich die Reflexe all- mählich; 12' nach der Operation 180 deutlich. Anmerkung. In diesem wie in allen jenen Versuchen, wo keine Rede von Ruhe ist, wurde die Reizung der Zehe des Thieres während der ganzen Dauer der Untersuchung, mit bestimmten kurzen Intervallen (von !/s'—1') zwischen je zwei Applicationen des Reizes, ununterbrochen fortgesetzt. Ruhe 18‘, Schütteln der eingeführten Nadel. a h N, 115 deutlich j Pauer der Untersuchung 2'/». 20' nach dem Schütteln 190 deutlich. | Daner der Untersuchung 3!/,'. 550 | Dr. L. N. Simonoff: Die linke Nadel eingeführt (während !/,‘). 190 bis 155 = 0 150 deutlich. (Siehe Fig. IV). Aus den angeführten, wie aus anderen ähnlichen Versuchen kann man ersehen, dass nicht nur Einführung, sondern auch Erschütterung der schon eingeführten Nadel dieselbe De- pression der Reflexe hervorruft. Den Einfluss der fort- gesetzten Erschütterung der eingeführten Nadel auf die Dauer und Stärke der Depression sieht man in Fig. V; die Ab- hängigkeit der Dauer der Depression von der Grösse der Nadel und dem Grade der Verwundung des Gehirns in Fig, VI, wo statt der gewöhnlichen Nadel eine Schuhmacher-Ahle ge- braucht wurde. Die Einführung der Nadel in’s Gehirn zieht eine unmittel- bare mechanische Reizung desselben nach sich: Hemmung der Reflexe ist somit eine unmittelbare Folge der Reizung des Gehirns; das darauf folgende Verschwinden der Depression (resp. Erhebung der Reflexe zur Norm oder ein wenig darüber) der Ausdruck der Schwächung und endlich gänzlichen Vernichtung dieser Reizung. Um aber den hemmenden Einfluss der directen Reizung des Gehirns auf das Reflexvermögen ganz festzustellen, muss man beweisen, dass der Schmerz bei der Einführung der Nadeln von keiner Bedeutung für die Hemmung der Re- flexe ist. Dieser Einwand ist um so wichtiger, als (wie wir später sehen werden) der anhaltende und starke Schmerz gerade die ähnliche Depression des Reflexvermögens zur Folge hat. Dass die Einführung der Nadeln in’s Gehirn selbst schmerzlos ist (einige Theile dieses Organes ausgenommen), braucht nicht bewiesen zu werden, dies ist schon früher durch Versuche Anderer (unsere .auch — siehe Einleitung) festge- stellt. Hier müssen wir also nur von dem Einflusse des Schmer- zes, welcher das Durchstossen!) der Nadeln durch Haut, 1) Der grösste Theil unserer Experimente wurde, wie schon ge- sagt, ohne vorläufige Trepanation ausgeführt. Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 551 Knochen und Membranen des Schädels begleitet, reden. Die innerhalb des Schädels gelegenen Nerven konnten wir bei un- seren Experimenten auf anatomischem Wege eliminiren. Gegen den Einfluss dieses Schmerzes sprechen aber folgende Facta: 1) Bei einigen Versuchen ging der Einführung der Nadeln die Trepanation voraus; die Hemmung der Reflexe war nicht minder bemerklich. 2) Schütteln der schon eingeführten Nadel rief auch die Reflexdepression hervor. 3) Das Benehmen des Thieres bei den meisten Versuchen sprach nicht für den starken Schmerz (nur der anhaltende und starke Schmerz wirkt aber, unseren späteren Experimenten zufolge, deprimirend auf das Reflexvermögen. Manche Thiere blieben ganz oder fast ganz ruhig während der Operation. 4) Einige (etwa 10) Versuche misslangen nur daher, dass die Nadel, dringend durch die Haut, Perieranium und die obere Lamelle der Schädelknochen, plötzlich zerbrach, oder mit um- gekrümmter Spitze in der Diplo& des Knochens blieb. 5) Endlich sprechen die folgenden Versuche mit den elek- trischen Strömen positiv für den Einfluss der directen Rei- zung des Gehirns auf die Hemmung der Reflexe. B. Versuche mit der Reizung des Gehirns mittelst des indueirten Stromes. Alle diese Versuche constatiren in genere nur die aus den Experimenten A. angeführten Folgerungen, d. h. dass die Rei- zung des Gehirns das Reflexvermögen hemmt; aber sie beweisen diesen Satz in noch mehr positiver Weise. Sie machen das Factum der Anwesenheit der reflexhemmen- den Mechanismen im Gehirn des Hundes ganz festgestellt. 1) Sie machen es möglich, den Einfluss des Schmerzes auf die Reflexdepression auf experimentellem Wege zu eliminiren: beim Schliessen und Oeffnen des nicht zu starken Stromes blie- ben die meisten Thiere ganz ruhig, ja einige derselben schlie- fen während der ganzen Dauer des Versuches, die Hemmung der Reflexe hatte nichtsdestoweniger statt. 2) Sie zeigen, dass der Grad der Reflexdepression 932 Dr. L. N. Simonoff: direct von dem Grade der Reizung abhängt. Je stär- ker der gehirnreizende Strom war, desto tiefer fielen im Allge- meinen die Reflexe. Viele anscheinende Ausnahmen (siehe die Tafel) von dieser Regel stellen sich als solche nur auf den ersten Blick dar. Wenn man bedenkt, dass alle Ausnahmen nur da zu bemerken waren, wo der stärkere Strom nach der mehr oder weniger kräftigen vorläufigen Wirkung des anderen Stromes einwirkte, dass die quantitative Differenz zwischen diesen bei- den nach einander wirkenden Strömen gering war, dann begreift man, dass diese Ausnahmen keine wahren Ausnahmen sind: sie sind die nöthigen Folgen der vorläufigen Ermüdung des Gehirns für die Reizung. Wenn die Differenz zwischen der Stärke der beiden nach einander folgenden Ströme gross genug war, um dieser Ermüdung entgegenzuwirken, folgte der stärkeren Reizung immer die tiefere Reflexdepression. 3) Durch die Versuche mit den inducirten Strömen konnte man die Effecte der Reizung des Gehirns an einem und demselben Thiere vielfach prüfen. Hinsichtlich der specifischen Wirkung des inducirten Stromes auf die reflexhemmenden Me- chanismen müssen wir bemerken: 1) Das Maximum der Depression und die Wiederkehr der früheren Höhe der Reflexe treten bei den nicht star- ken inducirten Strömen langsamer als bei mechanischer Rei- zung des Gehirns mittelst Nadeln ein. Und dies ist ganz verständlich Denen, welche die Differenz zwischen der Wirkung der mechanischen und (nicht starken) elektrischen Reize kennen. In dieser Beziehung stimmen meine Versuche auch ganz mit denen Setschenoff’s und Paschutin’s am Frosche überein (Vergl. „Neue Versuche am Hirn u. s. w. Von Setschenoff ‘ und Paschutin. Berlin 1865.) Die starken Ströme hem- men das Reflexvermögen eben so schnell, wie die Reizung des Gehirns mit den Nadeln; die. Erhebung der Reflexe geschieht hier im Allgemeinen auch verhältnissmässig schneller als bei der Wirkung der schwachen Ströme. 2) Das Unterbrechen (Oeffnen) des Stromes erzeugt eben so die Depression des Reflexvermögens mit darauf folgender Erhebung ‚desselben, wirkt also in ganz analoger. Weise wie Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 553 das Schliessen. Bei dem Unterbrechen geschieht die De- pression und die Wiederhebung der Reflexe auch langsamer und allmählicher als in Folge der mechanischen Reize. Von meinen Versuchen mit dem inducirten Strom führe ich auch einen Versuch wörtlich und fünf graphisch dargestellt (Fig. VII, VII, IX, X und XD) an. Versuch. Vor dem Schliessen der Kette 120 deutlich. Die Kette auf 200 geschlossen: Unruhe nur einige Zeit nach dem Schliessen (etwa!/s’—1'). Unmittelbar nach dem Schliessen der Kette 120 =0 2a’ 5 115 deutlich 11/2‘ x 115 =0 2» u 110=0 3 R 110 deutlich 4' a 115 deutlich 5' x > 120 deutlich 24 ie 120 deutlich Strom unkärhrochen- keine Veränderung in dem Benehmen des Thieres. Unmittelbar nach dem Unterbrechen 120 deutlich r’ ß a 120 =0 g’ i e 115=0 3 5 2 110 deutlich 4!/a' & A 115 deutlich 5lja' & © 120 deutlich Ruhe 10’ 120 deutlich; 125 =0 Die Kette auf 170 geschlossen: Anfangs Nichts, dann leichte Un- ruhe _des Thieres. Unmittelbar nach dem Schliessen 120 deutlich RK “ E 125 =0 1!/a’ s 5 120=0 2’ S a 115=0 31/'—4' u 5 idem 5° . B 110=0 61/2' B ; 105 deutlich bis 10!/a’ a ” 105 deutlich, 110=0 111/2' Rt B 110 deutlich 121/2' N = 115 deutlich 14!/2' n R 120 deutlich bis 19' 120 deutlich Strom unterbrochen: Nichts von Seiten des Tieres. 554 Dr. L. N. Simonoff: / Unmittelbar nach dem Unterbrechen 120 =0 1/g! h : 115=0 1’ 3% 5 110 deutlich g' & & 110=0 3 " X 105 deutlich 4' 5 5 105 schwach 5' x A 105 deutlich 6' & x 110 deutlich 7' a h 115=0 8 & R 115 deutlich 9 x el 120 deutlich bis 13’ 5 In 120 deutlich Die zweite Hälfte desselben Experimentes. Vor dem Schliessen der Kette 120 deutlich. Die Kette auf 130 geschlossen. Nichts von Seiten des Thieres. Unmittelbar nach dem Schliessen 120= 0 Ua 5 a 110 deutlich 1!/a' Ä 3 110 deutlich 2 u n 115 deutlich al" E 2 120 =0 31/a' . h 120 deutlich bis 51/a' s & 120 deutlich Der Strom bis 110 verstärkt: keine Veränderung in dem Beneh- men des Thieres. Unmittelbar nach der Verstärkung 110=0 Un! E x 100 deutlich 1‘ > > 110 deutlich bis 4° N 110 deutlich, 115 = 0 61/2’ nt 5 115 deutlich er B 120 deutlich Strom unterbrochen. Unmittelbar nach dem Unterbrechen 120 deutlich 1 > 5 120 =0 2, 5 2 115 deutlich g' 5 5 115=0 4' ® 2 110 deutlich 5' “ s 115 deutlich 6 ai Rn 120 deutlich 72 R a 120 deutlich Ruhe 10‘. 115 deutlich, 120 unbeständig. Die Kette auf 110 geschlossen: keine Veränderung in dem Be- nehmen des Thieres. Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 555 Unmittelbar nach dem Schliessen 116=0 2/2 £ R 1! > > bis 2’ n a 21/2‘ » » 31/2‘ - R bis 5’ B N 6’ b>] br] 704 105 deutlich 110 deutlich 110 deutlich, 115=0 115 schwach 115 deutlich 115 deutlich, 120=0 120 deutlich 120 deutlich Strom bis 100 verstärkt: Köins Veränderung in dem Benehmen des Thieres. Unmittelbar nach der Verstärkung 105=0, 100 deutlich yiL 11/2’ % 105 deutlich 110=0 110 deutlich 1150 115 deutlich 120=0 115 deutlich 120 deutlich 120 deutlich | Strom unterbrochen: Nichts von Seiten des Thieres. Unmittelbar nach dem Unterbrechen und 1‘ darauf 120 deutlich 9. BL 4' 5’ 6’ R bis 20’ ” ” ” n b] 120=0 115 =0 110 deutlich 115 =0 115 deutlich 115 deutlich, 120 unbeständig Die Kette auf 100 Belchlossen. convulsivische Zuckungen in der vorderen Hälfte des Körpers, vorzüglich in dem Gesicht. Unmittelbar nach dem Schliessen een Während der 'h' „ » 1’ b.) » 1! » » 2" A 21/2’ ; 31/2‘ s » bis 71/2’ Strom rarkt bis 90. 100 deutlich Convulsionen 110.0: Keine 105 = bi Convulsionen mehr 110 deutlich 115 deutlich 120 deutlich 115 deutlich, 120 unbeständig Convulsionen wie bei 100. Unmittelbar nach der Verstärkung 110 bis 95 N Während der fa‘ » I: 5 gI b] 90 deutlich Convulsionen 100=0 Keine 100 schwach| Convulsionen 556 Dr. L. N. Simonoff: 2'/' nach der Verstärkung 105 =0 bis 5’ ; \ 105 = 0 6' ai 5 105 deutlich f 7’ 5 R 110 deutlich? g' 5 I 115 'deutlichl, Toren bis 10’ 2 5 115 dentich| 120 =0 Das Thier schrie bis 10° und war unruhig, nach 10’ verfiel es plötzlich in eine vollständige Ruhe. 11’ nach der Verstärkung des Stromes 110 =0 11'/2' 5 $ 105 = 0 1212‘ N, a 100=0 134 A 5 95 schwach 14‘ & & 90 deutlich 15‘ 5 E 95 deutlich 16‘ & 5 100 deutlich 17' 5 & 105 deutlich 18° x N 110=0 19' N 5 105 deutlich bis 23’ N S 105 deutlich, 110 unbeständig. (Siehe Figur X). Der angeführte Versuch ist sehr bemerkenswerth: 1) Er zeigt, dass die Convulsionen (wie der Schmerz), welche die starken Ströme bei Thieren hervorrufen, von keiner Bedeu- tung für die Reflexdepression sind. Siehe die Tabelle: 100 mit und ohne Convulsionen rief die Hemmung der Reflexe von derselben Stärke hervor. 2) Aus diesem Versuche ersieht man auch, dass durch allmähliche Verstärkung des schon wirkenden Stromes man solche Ströme ohne Convulsionen einführen kann, welche sonst von Convulsionen begleitet sind. (S. an dieser Tabelle die Wirkung des Stromes 100.) C. Versuche mit der Reizung des Gehirns mittelst des constanten Stromes. Die Experimente mit dem constanten Strome sind nicht so beweisend wie die mit dem inducirten; im Ganzen aber sind die Schlüsse aus den ersteren wie aus den letzteren die- selben: 1) Die erste Periode der Wirkung des Stromes zeichnet sich durch die Depression des Reflexvermögens, die zweite durch Wiedererhebung desselben aus. Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 557 2) Diese Perioden sind auch bei dem Unterbrechen (Oeffnen) des Stromes zu bemerken. Nur treten, meinen Beobachtungen zufolge, die beiden Pe- rioden (nach dem Schliessen wie nach dem Unterbrechen) bei dem constanten Strome viel langsamer und allmählicher als bei den inducirten ein. Einige Ausnahmen von den Folgerungen (1 und 2), welche in manchen Experimenten mit dem constanten Strome in’s Auge fallen (siehe Fig. XIV bei Widerstand 142+3+4+5; Fig. XV bei 1; bei 142+344 und bei 142+3+4+5; Fig. XIV bei 142+3+4) sind hier leicht erklärbar durch die vorhergehende Ermüdung des Gehirns in Folge des schon gewirkt habenden Stromes. Plötzliche, unerwartete Hemmung des Reflexver- mögens (bei den Experimenten mit dem inducirten wie dem constanten Strome) während begonnener oder schon zur Norm gediehener Erhebung desselben, ohne dass der Strom von Neuem verstärkt, unterbrochen oder eingeführt wäre, erklärt sich durch die Erschütterung des Stromes in Folge der Bewegung des Thieres (S. Fig. XIII), die Veränderung der Dichtigkeit in den Hammerschlägen bei dem inducirten Strome, oder durch die spontanen Blutflüsse im Gehirn; oder endlich durch die will- kürliche Hemmung der Reflexe. Allerdings sprechen diese unerwarteten und plötzlichen Hemmungen mehr für als gegen die Existenz der Hemmungsmechanismen im Gehirn. Von meinen Versuchen mit dem constanten Strome führe ich auch einen wörtlich und fünf in graphischer Darstellung an (8. Fig. ROTH RIV, RVX VI). | Versuch 8. Vor dem Schliessen 150 deutlich. Die Kette geschlossen bei 0 Widerstand; unvorsichtiges Schüt- teln der einen Nadel; Unruhe des Thieres. Unmittelbar nach dem Schliessen 150=0 (Unruhe) 3 . 2 140 =0 31a! 5 R 120 deutlich Das 4' 5 “ 130=0 | Thier ö' ° a 125-0 ruhig. 51a" 2 120 =0 558 Dr. L. N. Simonoff: 6’ nach dem Schliessen 115 deutlich g' x ö 115 =0 gie‘ N, 110=0 10‘ E R 105=0 | ‚eo 101%' ö h 100 deutlich E 13° 5 5 140 deutlich 5 bis 18’ ; R 140 deutlichf 3 145 =0 Er 181/2' & S 150 um Ss 19; 5 2 160 deutlich bis 28'}) > 160 deutlich! 165=0 ) Ruhe 15‘. 170 deutlich 180 deutlich | Dauer der Untersuchung ?'. 190=0 Strom unterbrochen, Ruhe 10'. 0 bis 150= 180 bis 150=0 Dauer der Untersuchung 5’. 140 deutlich ‘Die Kette bei O geschlossen; das Thier ruhig. !/' nach dem Schliessen 140 =0 11/2! . ü 135=0 2 5 130 deutlich. Widerstand Nr. 1 eingeführt. 21/2‘ nach dem Schliessen der Kette 130 schwach (oder unmittelbar nach der Ein- führung des Widerstandes Nr. 1.) 3' nach dem Schliessen der Kette 150=0 mn mn” Vorübergehende Unruhe 31/e' n 5 120 deutlich 4 „ L 125 deutlich bis 7' R h 140 deutlich 145 =0 Bedeutende Unruhe des Thieres während 1!/‘, dann plötzlich Ruhe. 81/2" nach dem Schliessen der Kette 140=0 9 5 2 130 deutlich| «0 101/e' A R 135 =0 FE 111/' f s 130=0 < 12’ \ B 125=0 = 121/2° N z 120 deutlich] bis 131! , ! 120 deutlich 125 =0 Ruhe 4‘. 171/e' nach dem Schliessen der Kette 125 | Das Thier 18‘ A 5 140 deutlich ruhig. 1) Siehe Anmerkung S. 549. Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 559 181%’ nach dem Schliessen der Kette 150 deutlich) .&% 19° s B 155 na) = 20' N A 160 deutlich| 5 21 4 5 170 deutlich = bis 25‘ - - 170 deutlich] „ 175=0 Ss Strom unterbrochen; das Thier bleibt ruhig. Unmittelbar nach dem Unterbrechen 170 deutlich fe‘ 5 5 170=0 1’ f . 165=0 11k' ” 3 160 deutlich > z a 170 deutlich ap" 5 y 180=0 Ruhe 4‘. 170 deutlich, 180=0 — Dauer der Untersuchung 1’. Die Kette bei 142 Widerstand geschlossen; das Thier ruhig. Unmittelbar nach dem Schliessen 170 deutlich. Widerstand Nr. 3 zugesetzt (ergo 1+2-+3): Unruhe des Thieres wäh- rend 1!/r’. 2' nach der Einführung des 3. Widerstandes 170 = 0 2ır' & a 4 160= 0 3. 2 & £ 150=0 31a‘ a ® A 130=0 4' i k h 110=0 Alfa! A e R 100=0 5' a A R 90 deutlich bis 61/e' = 5 Ki 90 deutlich 100 =0 il 3 e ä 100 deutlich Ta a h 5 110 deutlich bis 111/a' S 2 8 110 deutlich 120=0 Ruhe 8!/‘. Nur in der letzten Minute der Ruhe ist das Thier ruhig. 20' nach der Einführung des 3. Widerstandes 120 deutlich 201/a' 3 2 A 125=0 21l/a’ 5 A 5 125 deutlich Neue Hemmung, so dass bis 26!/2' nach der Einführung des 3. Widerstandes 100 = 0 27: 5 x h 95 deutlich bis 34' 5 A 5 95 deutlich 100=0 35' » 5 3 110 deutlich 351/g' a 3 & 115 deutlich 960 bis 40' 40/2’ 41’ bis 44' 47' ol! 57° 571/a 58" bis 60’ 601/3' 61’ 61!/a’ 62' 63' 6317." 64!/e' 65' 65l/e' 66' 661/2' 67° 671! bis 75' Dr. L. N. Simonoff: nach der Einführung des 3. Widerstandes 120 deutlich nach der Einführu Starke Bewegung mit dem Kopfe. nach der Einführung des 3. Widerstandes Neue 135 deutlich 140 unbeständig Strom unterbrochen; das Unmittelbar nach dem Unterbrechen » 33 3 Ruhe 6'. ng des 3. Widerstandes n » » b>) b] ” b) n b>] » n» 125 deutlich 130 deutlich 140 deutiich 150 deutlich idem 155 =0 150 deutlich 155 deutlich 155 deutlich 155 =0 150=0 140 deutlich 145 =0 140 =0 135 deutlich 140 deutlich starke Bewegung mit dem Kopfe. nach der Einführung des 3. Widerstandes 140 schwach 1a! 1’ 2 „ 22: 5 3. y 4' 5 bis 7’ 3 10° „ 101/2‘ 2 bis 12!/2' S Ruhe 6‘. Dauer der 140 =0 130 =0 120 deutlich 130 deutlich 135 deutlich 135 deutlich 140 =0 Untersuchung 5’. Thier ruhig. 135 =0 130 deutlich 130=0 125 deutlich 130=0 125 deutlich 125 =0 120 deutlich 120 deutlich 25=0 125 deutlich 130 deutlich 130 deutlich 135 schwach Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 561 Ruhe 7. 19' nach der Unterbrechung 135 deutlich 20' 5 R 140 deutlich bis 21’ \; a 140 deutlich 145 =0 Ruhe 6‘. 27‘ nach der Unterbrechung 145 =0 24a, = E 140 deutlich 28' n et 145 deutlich 28172" h h 150=0 29‘ A 5 150 deutlich 30' - » 150 deutlich 301/' 5 2 160 deutlich all P - 170 deutlich 311/2° R R 180=0 (Siehe Fig. XI. Bei dem Beurtheilen der Erscheinungen, welche die Wirkung des constanten Stromes begleiten, mnss man noch den Einfluss der Elektrolyse in Betracht ziehen. Der Elektrolyse schreibe ich den weniger reinen Gang der Reflexe bei der Wirkung des constanten in Vergleich zu dem bei der Wirkung des inducirten Stromes zu. Die Elektrolyse muss auch ihren Theil an der Lang- samkeit und, bei vielen Experimenten, an der Unvollständigkeit der Wiedererhebung der Reflexe haben. D. Versuche mit der Reizung des Gehirns durch die sensiblen Nerven. Ich habe nur zwei Versuche dieser Art gemacht, aber beide mit positiven Resultaten. Die graphische Darstellung derselben findet sich in Fig. XVII und XVII; ausserdem lasse ich hier das Protocoll des ersteren folgen. Versuch 1. 155 deutlich. Starkes Quetschen des einen Ohres: heftige Unruhe des Thieres während der Operation, dann Ruhe. Unmittelbar nach der Operation 155 =0 U! ” L 145 deutlich 1' 5 5 150 =0 11% N J 145 =0 Das Thier 2' » » 140 = 0 ganz ruhig. 21/2’ 2 135 =0 | g' EN 10=0 ) Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 36 562 Dr. L. N. Simonoff: 3!/' nach der Operation 125 = 0 ) 4 h » 120 deutlich von 5’allmähliche Erhebung.des Reflexvermögens I ale 6!/2‘ nach der Operation 150 deutlich Zu s y 155 =0 Ruhe 3. 155 deutlich. Starkes Quetschen des Schwanzes des Thieres: dasselbe Verhalten des Thieres wie bei der ersten Operation. Unmittelbar nach der Operation 155 =0 1! A R 140 deutlich y’ ; N 140 = 0 25 n » 1380=0 | Ola! Bl an) al on, 1500} 31/a‘ » » 110 deutlich ( Das Thier ruhig. 4' s t 120 deutlich bis 7' i n 120 deutlich 125=0 g' ; 5 125 deutlich 81/g! R £ 130=0 bis 91/a' R h 130 schwach Ruhe 4‘. 130 schwach. Ruhe 4‘. 130 deutlich 140 deutlich‘Dauer der Untersuchung 3. 145 =0 (Siehe Fig. XVIN. | Nur durch starken und anhaltenden Schmerz konnte ich in meinen Versuchen die Reflexdepression hervorrufen. E. Der einzige Versuch mit der chemischen Rei- zung des Gehirns. Nach der Einführung der feinen Canüle durch den nicht trepanirten Schädel in die Höhle der Ventriculi laterales des Gehirns (wie die Obduction gezeigt hat) und Erholung des Thieres 95 deutlich. Schwache Lösung von CuO,SO, durch die Canüle eingespritzt. ‘ Unmittelbar darauf en } Dauer der Untersuchung 4‘. Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere u. s. w. 563 Dann allmähliche Erhebung der Reflexe; 9' nach der Ein- spritzung 95 deutlich. 1‘ später war das Thier todt. (Siehe Fig. XIX). Nach allen angeführten Experimenten glaube ich die Anwesenheit von Mechanismen in dem Gehirn des Hundes, ganz analog denen, welche Setschenoff in dem Gehirn des Frosches entdeckt hat, bewiesen zu haben. Was den Sitz dieser Mechanismen in dem Gehirn des Hundes betrifft, so halte ich die Zahl meiner Experimente noch nicht für genügend, um diese wichtige Frage zu entscheiden. Eines kann ich aber positiv sagen, und dies widerspricht zum Theil den Untersuchungen Setschenoff’s am Frosche: dass die vorderen Lobi der Hemisphären des Hundes bei ihrer alleinigen (mechanischen oder elektrischen) Reizung gewöhnlich auch eine bedeutende Hemmung des Re- flexvermögens hervorrufen. Bei den meisten meiner an- geführten und nicht angeführten Experimente hatte die Einfüh- rung der Nadeln (also auch die Reizung) durch die vorderen Lobi der Hemisphären statt; ja bei einigen Versuchen war schon die Reizung der ganz oberflächlichen Theile derselben (resp. der substantia grisea) genug, um die augenscheinliche Re- flexdepression zur Folge zu haben. Im Allgemeinen aber war, je tiefer durch die vorderen (und mittleren) Lobi der Hemisphä- ren die Nadeln eingeführt waren, desto grösser die Depression. Ob dies von der grösseren Quantität der gereizten Substanz des Gehirns oder von dem mehr hemmenden Einfluss der tie- fer gelegenen Theile desselben (z. B. corpora striata) abhing, bin ich nicht im Stande zu entscheiden. Bei manchen Experi- menten reizte ich auch die hinteren Theile des Gehirns (hin- tere Lobi des grossen Hirns und Cerebellum) ; alle Versuche die- ser Art gaben mir nur unbeständige Resultate; in der Mehr- zahl derselben bemerkte ich aber als die nächste Folge der Reizung viel mehr Hebung als Hemmung des Reflexvermögens. Am Schlusse meiner Abhandlung glaube ich meine Pflicht zu erfüllen, wenn ich meinem Collegen Herrn Prof. N. 0. Ko- 36* 564 Dr. L. N. Simonoff: Die Hemmungsmechanismen u. s. w. walewsky meine Dankbarkeit öffentlich ausspreche für die Gefälligkeit, mit welcher er mir alles Nöthige für meine Ver- suche gegeben und in vielen derselben assistirt hat. Anhang. Meine Methode der Einführung der Nadeln in das Gehirn der Säugethiere ohne vorläufige Blosslegung derselben gestattet, viele Theile des Gehirns des Thieres zu zerstören, ohne dass das Thier unmittelbar darauf stürbe. (Bei vielen meiner noch nicht publieirten Experimente genasen die Thiere ganz, oder starben erst einige Wochen nach der Operation.) Dies ist ein grosser Vortheil für die künftigen Experimen- tatoren, aber die Combination der Einführung der Nadeln durch den nicht verletzten Schädel mit der Wirkung des con- stanten Stromes macht den Vortheil noch grösser. Die Elektrolyse, welche die Wirkung des constanten Stromes be- gleitet, gestattet beliebige Theile des Gehirns ohne Blutfluss und grosse Erschütterung des Thieres zu vernichten. Erfah- rung lehrt der Nadel die richtige Richtung ertheilen, welche immer durch Obduction bewiesen werden kann; die Isolirung gewisser Theile der Nadel (durch Firniss, geschmolzenes Glas u. Ss. w.) macht die Wirkung der Elektrolyse mehr oder weni- ger beschränkt. In einigen meiner Experimente habe ich in dieser Weise ein Mal den grössten Theil des rechten Corpus striatum, ein anderes Mal den vorderen Lobus der linken Gross- hirn-Hemisphäre zerstört. Die Erfahrung lehrt auch, wie lange anhaltend und von welcher Stärke der Strom sein muss, damit die Zerstörung die verlangte Ausdehnung habe. St. Petersburg, 15./27. Juni 1866. Dr. W. Gruber: Ueber die secundären Handwurzelknochen u.s.w. 565 Ueber die secundären Handwurzelknochen des Menschen. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XVI.) Ph. Fr. Blandin') hat an der Fusswurzel des Menschen die Hälften des Os cuboideum, und ich?) habe das Tubereulum laterale der hinteren Fläche des Talus, sowie die Hälften des Os cuneiforme I, als selbstständige Knochen auftreten gesehen, welche ich secundäreFusswurzelknochen (Ossa tarsi secun- daria) nenne. Durch Zerfallen der angegebenen Knochen in zwei, nicht durch Hinzukommen von neuen Knochen zu den normalen, kann die Zahl der Fusswurzelknochen, nach bis jetzt vorliegenden Beobachtungen, möglicher Weise bis auf 10 steigen. An der Handwurzel können ebenfalls Theile oder Hälf- ten gewisser Knochen, d. i. vielleicht des Os multargulum minus nach J. Saltzmann und sicher des Os naviculare nach mei- ner Beobachtung, als selbstständige Knochen vorkom- men, die ıch secundäre Handwurzelknochen (Ossa carpi secundaria) heisse. Es kann durch Zerfallen der angegebe- 1) Traite d’anat. topogr, 2. edit. Par. 1834. p. 661. 2) Vorläufige Mittheilungen über die secundären Fusswurzel- knochen des Menschen. Dieses Arch. 1864. $. 286. — Ferner Aus- führliches in der darüber zu seiner Zeit erscheinenden Monographie, 566 Dr. Wenzel Gruber: nen Knochen in zwei, nicht durch Hinzukommen neuer Knochen zu den normalen, die Zahl der Handwurzelknochen nach bis jetzt gemachten Beobachtungen, sicher auf 9 steigen. Ueber das Vorkommen von 9 Handwurzelknochen beim Menschen habe ich in der mir zugänglichen Literatur nur zwei angeblich beobachtete Fälle auffinden können, wovon der eine von J. Saltzmann, der andere von E. Sandifort mit- getheilt worden war. J. Saltzmann!') sagt darüber vor 140 Jahren: „Nuperrime rarıus quoddam in ossium carpi numero, inter trapezium et maximum ita dietum os, ubi phalangi primae et secundae me- tacarpı jungitur et tendo extensoris communis inseritur depre- hendi, et adhuc in naturali situ conservo.“ Saltzmann hat wohl nach M. Lyser’) die Handwurzelknochen benannt und unter Trapezium und Maximum das Multangulum minus und Capitatum verstanden wissen wollen, und scheint den ersten Mittelhandknochen zu den Fingerphalangen gezählt zu haben. J. Fr. Meckel?) interpretirte daher diese Stelle so: „Zwischen dem Kopfbeine und dem kleinen vieleckigen Beine findet sich (bisweilen (?)) ein neunter Handwurzelknochen*. Andere haben Saltzmann ignorirt und seinen Fund unrichtig Meckel zugeschrieben, der nirgends angiebt, eine solche Beobachtung selbst gemacht zu haben. Ed. Sandifort‘) meldete ebenfalls die eigenen Funde von 9 und 7 Handwurzelknochen in folgen- der Stelle: „Carpi ossicula novem adfuisse vidi; in alio septem tantum observavi, lunato atque triquetro, nonnisi unicum os constituentibus“. — Allein aus der kurzen Angabe von Saltz- mann ist nur über die Lage des vermeintlichen neunten Hand- 1) Decas observ. anat. — Obs. Ill. Argentorati 1725. (Diss. ab H. A. Nicolas). — Alb. Allan, Disp. anat. select. Vol. VI. Goet- tingae 1751. p. 691. 2) Culter anat. (1653) a Thom. Bartholino edit. II. Hafniae 1665. 8°. Lib. V. Cap. II. p. 128. 3) Handb. d. menschl. Anat. Bd. 2. Halle u. Berlin 1816. S. 220. STIL. 4) Observ. anat.-pathol. Lib. 111. Lugd. Batav. 1779. Cap. X. pag. 136. Ueber die secundären Handwurzelknochen u. s. w, 567 wurzelknochens eine Vermuthung zulässig, nicht aber sicher, dass der beobachtete Knochen kein Sesambein und wirklich ein Handwurzelknochen war; aus der noch kürzeren Angabe von Sandifort lässt sich gar nichts Sicheres bestimmen. Diese beiden angeblich gemachten Beobachtungen bleiben fraglich. Das sichere Vorkommen der Ueberzahl von Hand- wurzelknochen war somit noch zu finden. Seit ich mich vom Vorkommen der Ueberzahl der Fuss- wurzelknochen durch Zerfallen derselben, also vom Auftreten secundärer Fusswurzelknochen überzeugt hatte, lag die Vermu- thung auf Vorkommen ähnlich entstandener supernumerärer Kno- chen an der Handwurzel, d. i. secundärer Handwurzelknochen, sehr nahe. Suchen und Suchenlassen blieb lange ohne Erfolg. Im September 1865 wurde endlich bei der Durchmusterung der Skelette aus der Maceration vom Jahre 1864/65 an der rech- ten Hand eines weiblichen Skeletts die Handwurzel aus 9 Knochen bestehend angetroffen. Es ergab sich, dass diese Ueberzahl in der oberen Reihe der Handwurzelknochen auf- getreten war, und zwar durch zwei Knochen, welche den beiden Hälften des normalen Naviculare identisch, wie durch Partition des letzteren entstanden, also secundäre Knochen sind, und Os naviculare secundarium late- rale s. radiale und Os naviculare secundarium mediale s. ulnare genannt werden können. Ich werde diesen Fall, den ich in meiner Sammlung aufbe- wahre, im Nachstehenden beschreiben, weil er, meines Wissens, der einzige bis jetzt beachtete sichere Fall vom Vorkommen von 9 Handwurzelknochen beim Menschen überhaupt, be- stimmt aber der bis jetzt beobachtete einzige Fall von Ver- mehrung derHandwurzelknochen in Folge Substitution des Naviculare durch zwei, dessen Hälften identische secundäre Knochen ist. Die Knochen des Skeletts, abgesehen von jenen der Wurzel der rechten Hand, sind normal. Selbst unter den Knochen der rechten Handwurzel zeigt ausser dem in zwei secundäre Kno- chen getheilten Naviculare nur das Multangulum minus geringe Abweichungen von der Norm. Das Multangu» 568 Dr. Wenzel Gruber: lum minus (Fig. 2, 3, 4, Nr. 7) ist nämlich ungewöhnlich gross. Es erhebt sich von der oberen Ecke der Rückenfläche, entsprechend dem hinteren Ende der Kante, zwischen der obe- ren und Daumenfläche ein ungewöhälicher, beträchtlich hoher und breiter, von einer Seite zur anderen comprimirter sichel- förmiger Fortsatz (t). Dieser ist an seinem dicken Dorsal- rande sehr convex, an seinem zugeschärften Volarrande etwas ausgeschnitten, an seiner lateralen und medialen Fläche gruben- artig vertieft und rauh. Seine Basis ist von der Daumenfläche und der oberen Fläche des Knochens durch rauhe Rinnen ab- gesetzt, wovon namentlich die laterale sehr ausgesprochen ist. Derselbe ist 2—2!/, Lin. hoch, von vorn nach hinten 3 Lin. breit, am Dorsalrande 1 Lin. dick, vorn ganz dünn. Die obere Fläche des Knochens (Fig. 4.) zeigt ausser dem gewöhnlichen vierseitigen Gelenkielde (9), welches mit der oberen Gelenk- fläche des Multangulum majus zur Aufnahme der unteren late- ralen Gelenkfläche des Naviculare bestimmt ist, noch ein su- pernumeräres zweites hinteres und grösseres (9‘). Letzte- res liest quer und nur mit seinem lateralen Drittel seiner que- ren Länge hinter dem vorderen Gelenkfelde, davon durch eine quere, überknorpelt gewesene Kante geschieden. Dasselbe ist oval oder elliptisch, concav, in transversaler Richtung 6 Lin. lang und in sagittaler Richtung 3 Lin. breit. Am vorderen vierseitigen Felde articulirt der mediale Theil der unteren Ge- lenkfläche des Naviculare secundarium laterale, an dem hinte- ren ovalen Felde aber artieulirt die hintere untere Hälfte des oberen Feldes der lateralen Gelenkfläche des Naviculare secun- darium mediale. OÖssa navıcularia secundaria. Das Naviculare ist durch zwei untereinander gelenkig ver- bundene Knochenstücke, welche den Hälften eines norma- len Naviculare identisch sind, substituirt. Sie sind offenbar vrie durch Partition des Naviculare in zwei selbstständige Kno- chen, also secundäre Knochen aufgetreten. Man denke sich an der eingeschnürten Stelle das Naviculare, welche an der Ueber die seeundären Handwurzelknochen u. s. w. 569 oberen und vorderen Fläche des Knochens durch eine Rinne, eine Art Hals, am hinteren Rande durch einen mehr oder we- niger tiefen und weiten Ausschnitt hervorgebracht wird, so durchsägt, dass die Schnittlinie knapp neben der lateralen Ecke der oberen Gelenkfläche beginnt und an dem tiefsten Punkte des Ausschnittes am hinteren Rande endigt; so hat man eine Vorstellung, wie im vorliegenden Falle die Ossa na- vieularia secundaria entstanden sind. In dem gesetzten Falle wird die Schnittlinie eine schräge, die von oben und lateral- wärts nach unten und medianwärts verläuft, sein müssen. Sie wird rückwärts und abwärts die in Gestalt einer rauhen Rinne vorkommende Rückenfläche schief kreuzen und über den late- ralen Theil der unteren lateralen Gelenkfläche gehen; vorwärts und abwärts aber schräg über die vordere rauhe Fläche des Knochens und über den lateralen Theil der unteren medialen Gelenkfläche ziehen müssen. Dadurch wird der Knochen fast in der Mitte in zwei Hälften getheilt worden sein, und zwar in eine obere mediale, welche das Radiocarpalgelenk bilden hilft, und in eine untere laterale, welche die Tuberositas des Kno- chens oder die Eminentia carpi lateralis superior trägt. Erstere wird als eine dicke Platte von dreiseitiger, vierseitiger oder polygonaler Gestalt, letztere aber als eine dreiseitige Pyramide erscheinen. Erstere wird die ganze obere Gelenkfläche, die mediale Gelenkfläche, den grössten Theil der unteren medialen und den kleineren Theil der unteren lateralen Gelenkfläche; letztere den kleineren Theil der unteren medialen und den grösseren Theil der unteren lateralen Gelenkfläche des Kno- chens tragen müssen. 1. Os naviculare secundarium laterale s. radiale. (Biel, .3.:5. 6, Ne...1>.Fig.:7.) Lage: Der Knochen liest in der ersten Reihe zwischen dem Naviculare mediale, dem Capitatum und den Multangula, und zwar unter dem ersteren und lateralwärts davon, lateral- wärts von dem zweiten, und über den beiden letzteren. Er ist von oben, vorn und lateralwärts, nach unten, hinten und me- 570 Dr. Wenzel Gruber: dianwärts wie ein Keil zwischen die zwei Knochen der oberen und die zwei Knochen der unteren Reihe hineingetrieben. Gestalt: Er hat die Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, welche ihre Basis nach auf- und lateralwärts, ihre abgerundete Spitze nach ab- und medianwärts, eine Seite vorwärts, die an- dere medianwärts und die dritte abwärts kehrt. Von den vier dreiseitigen Flächen sind die obere Fläche und die vordere oder Volarfläche rauh und höckerig. Die obere Fläche («) trägt an ihrem medialen Rande eine tiefe und be- trächtlich weite Rinne, welche offenbar die Portion der als rauhe Rinne sich präsentirenden Dorsalfläche des gewöhnlichen Naviculare ist, die sich auf den lateralen rauhen Theil der obe- ren Fläche fortsetzt. Die mediale Fläche (Fig 5, 7, d d') ist eine Gelenkfläche, welche in zwei Felder geschieden ist: in ein oberes sehr grosses und ein unteres kleines. Das obere Feld (4) ist dreiseitig mit einem abgerundeten vorderen Win- kel, median- und aufwärts gekehrt. Dasselbe ist von oben nach unten rinnenförmig concav, an der unteren kleinen Abtheilung zugleich von vorn nach hinten convex, sattelförmig. Das un- tere Feld (0') ist verschoben vierseitig oder rhomboidal, etwas concav, gerade medianwärts und rückwärts gerichtet. Es hilft die untere Gelenkfläche des Naviculare mediale vervollständi- gen. Das obere und untere Feld gehen an zwei gemeinsamen Kanten in einander über. Die untere Fläche (Fig. 6, y.) zeigt neben ihrem hinteren lateralen Winkel eine grössere und neben ihrem vorderen lateralen Winkel eine kleine dreieckige rauhe Abtheilung, übrigens aber eine grosse länglich runde Gelenk- fläche, welche in transversaler und sagittaler Richtung schwach convex ist. Von den Rändern des Knochens ist der dor- sale Sförmig gekrümmt, zugeschärft, an der kleinen lateralen Hälfte rauh, an der grösseren medialen Hälfte glatt überknor- pelt und die gemeinsame Kante für das obere Feld der me- dialen Gelenkfläche und die mediale Hälfte der unteren Gelenk- fläche des Knochens (Fig. 6). An der Ecke, an welcher die obere, die volare und die untere Fläche zusammenstossen, sitzt die der Tuberositas o. navicularis gewöhnlicher Fälle entspre- chende Eminentia carpi lateralis superior (*). Ueber die secundären Handwurzelknochen u. s. w. 571 Grösse: Der Knochen ist von der Basis zur Spitze 8 Lin. lang, an der Basis von der Volarseite zum dorsalen Rande 6'/, Lin. und am volaren Rande der Basis von der lateralen zur medialen Ecke 5!/, Lin. dick. Artieulation: Der Knochen artieulirt: an dem grossen oberen Felde der medialen Gelenkfläche mit der vorderen oberen Hälfte der lateralen Gelenkfläche des Naviculare me- diale, an dem kleinen unteren Felde derselben mit dem un- teren und vorderen Theile der lateralen Portion der Gelenk- fläche: des Kopfes des Capitatum unter dem Naviculare mediale; an der unteren Gelenkfläche aber mit dem vorderen vierseitigen Felde der oberen Gelenkfläche des Multangulum minus median- wärts und mit der oberen Gelenkfläche des Multangulum majus lateralwärts. An den lateralen rauhen Theil des Dorsal- randes stösst der vordere Rand des anomalen sichelförmigen Fortsatzes des Multangulum minus. 2. Os naviculare secundarium mediale s. ulnare. (Kap. l.,,2,,3,:9,56,,;Nr.12; Eig. ‚8). Lage: Der Knochen liegt zwischen dem Naviculare laterale, Lunatum, Multangulum minus und Capitatum, unter dem late- ralen Felde der Endfläche des Radius schräg lateralwärts und rückwärts abhängig. Er hat lateralwärts neben und unter sich das Naviculare laterale, medianwärts neben sich das Lunatum, unter sich den lateralen Theil des Kopfes des Capitatum und den hinteren Theil des Multangulum minus. Gestalt: Er hat die Gestalt einer dreiseitigen, oder besser polygonalen Knochenplatte, welche von der Volarseite zur Dorsalseite an Breite zunimmt, von oben nach abwärts beträcht- lich, aber nicht an allen Stellen gleich dick ist. Man unter- scheidet an dem Knochen eine obere und untere, eine mediale und laterale, eine volare und dorsale Fläche. Die obere Flä- che (Fig. 2, 3) ist eine grosse dreiseitige convexe, nach hinten und lateralwärts abhängige Gelenkfläche, welche an der vorde- ren medialen Ecke von dem oberen Rande der Volarfläche und dem vorderen Theile des oberen Randes der medialen Fläche, hinten von einem aufgeworfenen rauhen Rande, der sich in der 572 Dr. Wenzel Gruber: Mitte zu einem Höcker(“*) erhebt, und medianwärts von einem breiten streifenartigen, medianwärts abhängigen rauhen Rande eingesäumt wird (Fig. 2). Die untere Fläche (Fig. 5 n) ist eine halbeiförmige, sehr concave Gelenkfläche, welche me- dianwärts und abwärts gekehrt ist. Der grösste vordere Theil des medialen, oberen convexen Randes bildet mit dem unteren Rande der medialen Gelenkfläche eine gemeinsame, überknor- pelt gewesene Kante. Ihr unterer, lateraler, gerader Rand ist identisch mit der lateralen Kante des unteren Feldes der late- ralen Gelenkfläche des Knochens. Die laterale Fläche (Fig. 5, 9, 8, €.) ist eine grosse halbmondförmige Gelenkfläche, deren vorderes Ende schräg abgestutzt ist, daselbst unter einer ge- meinsamen scharfen Kante rechtwinklig in die mediale Gelenk- fläche, am medialen Rande unter einer stumpfen Kante in die untere Gelenkfläche übergeht. Durch eine stumpfe bogenför- mige Kante, die vom oberen Winkel des vorderen abgestutzten Endes zur Spitze des hinteren Endes verläuft, ist sie in zwei Felder geschieden, in ein oberes, langes, breites, band- förmiges und in ein unteres, kürzeres und halbmondförmiges. Das obere Feld (.) ist hornförmig von vorn nach hinten und unten und medianwärts sehr gekrümmt, in dieser Richtung sehr convex, namentlich nach hinten und unten, und an der mittle- ren Portion von oben nach unten auch schwach concav; das untere Feld (:') aber ist vorn sattelförmig, hinten concav in sa- gittaler Richtung. Die vordere Hälfte des oberen Feldes und das ganze untere Feld sehen lateralwärts, die hin- tere Hälfte des oberen Feldes aber sieht abwärts und könnte auch als untere laterale Gelenkfläche des Knochens ge- nommen werden (Fig. 6 &). Die mediale Fläche (Fig. 5 d) zeigt am oberen Rande einen bogenförmig gekrümmten rauhen Streifen, übrigens eine kalbmondförmige Gelenkfläche, welche am vorderen Ende abgestutzt erscheint, und daselbst unter einer gemeinsamen Kante in die laterale Gelenkfläche recht- winklig übergeht, am hinteren Ende aber zugespitzt ist. Die volare Fläche ist auf ein kleines, länglich vierseitiges, median- wärts schmäleres, convexes, rauhes Feld reducirt. Die beträcht- lich grosse dorsale Fläche hat eine rhomboidale Gestalt, ist Ueber die secundären Handwurzelknochen u. s. w. 973 convex, sehr rauh, zeigt einen lateralen und medialen, oberen und unteren Winkel. Von dem oberen Winkel erhebt sich ein beträchtlicher, schon oben angegebener Höcker (**). Grösse: Der Knochen ist in sagittaler Richtung 9—10 Lin. lang, in transversaler bis 8 Lin. breit und in verticaler bis 5 Lin. dick. Articulation: Der Knochen artieulirt: an der oberen dreiseitigen Gelenkfläche mit dem dreiseitigen lateralen Felde der Gelenkfläche am unteren überknorpelten Ende des Radius; mit der unteren Gelenkfläche am lateralen Theile des Kopfes des Capitatum über der Spitze des Naviculare laterale; an der vorderen Hälfte des oberen Feldes und an dem unteren Felde der lateralen Fläche mit dem oberen Felde der me- dialen Fläche des Naviculare laterale; an der hinteren Hälfte des oberen Feldes der lateralen Gelenkfläche mit dem hin- teren, ovalen Felde der oberen Gelenkfläche des Multangulum minus, endlich an der medialen Gelenkfläche mit dem Lunatum. Im beschriebenen Falle ist das Naviculare durch zwei mit einander gelenkig verbundene secundäre Knochen vertreten. Diese Knochen sind den Hälften eines gewöhnlichen Naviculare, das man auf die von mir angegebene Art durchsägt hat, ganz ähnlich. Nur der mediale Knochen (Naviculare secundarium mediale) hilft den Kopf des Carpus zur Articulation mit dem Unterarme bilden. Der laterale Knochen (Naviculare secunda- rıum laterale) trägt aber die Eminentia carpi lateralis superior . wie die laterale Portion des gewöhnlichen Naviculare, und dient denselben Theilen, wie diese, zum Ansatze. Das Naviculare secundarium laterale ist zwar zwischen das Naviculare secun- darıum mediale aus der ersten oder oberen Reihe und die drei lateralen Knochen der zweiten oder unteren Reihe der Hand- wurzelknochen keilförmig hineingetrieben, aber doch nicht aus der ersten Reihe ganz unter das Naviculare secundarium me- diale, d. i. nicht zwischen beide Reihen gerückt worden, sondern in der ersten Reihe verblieben. Unser Fall weiset somit eine Handwurzel mit 9 Knochen auf, wovon d in der ersten Reihe und 4 in der zweiten liegen. 7 574 Dr. Wenzel Gruber: 3 Bedeutung. Es giebt Säugethiere mit 9 Handwurzelknochen. wovon 8 den Handwurzelknochen des Menschen analog sind; es giebt andere Säugethiere mit $ Handwurzelknochen, wovon 1 das mit einander verwachsene Naviculare und Lunatum des Menschen repräsentirt, 6 andere gleiche Bedeutung haben, wie die noch übrigen des Menschen'). Der supernumeräre Knochen jener Thiere, welchen Dacrotay de Blainville?) „Os intermediaire,* C. Gegenbaur?) „Os centrale* nennt, hat beim Menschen kein Analogon, ist aber, wie letzterer Anatom bewiesen hat, „ein aus einem früheren Zustande stammendes echtes Carpus- element,“ weil es schon bei Amphibien und Reptilien verbrei tet ist. In dem oben beschriebenen Falle aus meiner Beob- achtung, so wie in den Fällen von Saltzmann und Sandi- fort kamen auch beim Menschen 9 Handwurzelknochen ganz ausnahmsweise vor. Es ist nun noch auszumitteln, ob der supernumeräre Knochen dieser Fälle des Menschen an dem Os intermedium der Thiere (im Sinne Blainville’s) ein Analogon habe oder nicht; und, im verneinenden Falle, doch darzuthun, wie in diesen Fällen beim Menschen Ueber- zahl der Handwurzelknochen möglicher Weise aufgetreten sein konnte. Unter den Simiae haben: der Gorilla (Pithecus Gorilla), wie Rich. Owen‘) angiebt und abbildet, und der Schimpanse 1) Es ist dabei von den eigenthümlichen Knochen, welche bei gewissen Thieren an der Radialseite oder an der Ulnarseite liegen, und von den Sesambeinen, welche an diesen Seiten und auf der Rücken- seite oder Hohlhandseite vorkommen können, abgesehen, wodurch die Zahl der Knochen der Handwurzel auf 10—11 und mehr steigen kann. 2) Osteogr. des mammiferes.: Paris 1839—64. 4°. Atlas Fol. — Osteogr. des primates. Fasc. I. p. 16. 3) Untersuch. z. vergl. Anat. d. Wirbelthiere. H.1. — Carpus u. Tarsus. — Leipzig 1864. 4%. 8.6 u. F. 4) Osteological contributions to the natural history of the anthro- poid apes. Nr. VII. — Transact. of the zool. soc. of London. Vol. V. P. 1. London 1862. p. 9. Pl.X. Fig. 1. Ueber die secundaären Handwurzelknochen u. s. w. 575 (P. troglodytes), wie Owen!) und W. Vrolik ?) mittheilen, 8 Handwurzelknochen wie der Mensch. Unter den Prosimiae besitzen: Lichanotus Indri und Lemur laniger (Pithecus lani- ger) nach Blainville®) ebenfalls nur 8 Handwurzelknochen. Dem Orang-Utang (P. satyrus) gestanden P. Camper‘), C. A. Temminck’) und Blainville®) auch nur 8 Handwurzelkno- chen zu. Vrolik’) aber wies zuerst nach, dass dieser Affe einen Zusatzknochen, also 9 Handwurzelknochen besitze, wie die anderen Quadrumana, was aus den Beobachtungen von Barth.Eustachius°), J.Riolanus°), Daubenton '), P.Cam- per'), W. Josephi'?), F. Vicq d’Azyr'?), G. Fischer!%), 1) On the osteology of the Chimpanzee and Orang-Utan — Transact. of the zool. soc. of London. Vol. I. London 1835. p. 353. 2) Recherch. d’anatom. comp. sur le Chimpanse. Amsterdam 1841. Fol. p.12. 3) Op. eit. Fasc. III. p. 21, 23. Atlas Tom. I. Pl. X. 4) Naturgesch. d. Orang-Utang u. n. a. Affenarten, des afr. Nas- horns u. des Rennthieres. Deutsch v. Herbell, Düsseldorf 1791. 4°. Die Hand d. Orang-Utang u. n. a. Affen. Hauptst. X. S. 593. 8. 6. 5) Monogr. de mammalogie. Tom. II. Leiden 1835—1841. 4, p- 133. 6) Op. eit. Fasc. I. p. 30, 35. 7) Op. eit. p. 13-—14. Tab. VI. Fig. 2. h. — The cyclopaed. of anat. a. physiol. Vol. IV. London 1852. p. 203. Fig. 124. 8) Opuscula anat. Venet. 1564. 4°. p. 177 ete. — Tab. anat. a I. M. Laneisio. Amstelod. 1722. Fol. Tab. 47. Fig. 34, 35, 36 (). 9) Opera anat. Paris 1649. Fol. Art. „Simiae osteologia* Cap. IV. p. 529. 10) Buffon. Hist. nat. gener. et partic. avec la deser. du cabinet du roi. Tom. XIII. Paris 1765. 4°. p. 195, 220; Tom. XIV. 1766. p. 105, 127, 151, 167, 203, 221, 255, 259, 297; Tom. XV. 1767. p. 34, 48, 78, 107. 11) Op. eit. 12) Anat. d. Säugethiere. Bd. 1. Göttingen 1787. S. 328. 13) Eneyclop. method. Syst. anat. Quadrupedes. Tom, II. Paris 1792. 4°. p. 14, 42, 49, 58, 80, 87, 93, 106, 111, 121, 134, 140, 156, 164, 187, 191. (Meistens v. Daubenton entlehnt.) 14) Anat. d. Maki. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1804. 4°, S. 142, 143. Val VoBig aa BlarlV IN 8 576 Dr. Wenzel Gruber: G. Cuvier‘), Pander und d’Alton?), J. F. Meckel?), J. Andr. Wagner*), Blanville®), Vrolik®), H. Burmeister’) u. A., namentlich aus den zahlreichen Untersuchungen von Daubenton und Blainville hervorzugehen scheint. Ich habe 9 Handwurzelknochen an Skeletten und Körpern mit Weich- theilen folgender Quadrumana gesehen: Pithecus satyrus (2); Hylobates lar (2); Cercopithecus fulginosus (1), C. nasicus (1), C. äthiops (1), C. sabaeus (1); Inuus sylvanus (1), I. nemestri- nus (5), I. silenus (1), I. cynomolgus (1); Cynocephalus mai- mon (1), ©. sphinx (1), ©. porcarius (1); Mycetes ursinus (1); Ateles paniscus (Coaita) (1); Cebus apella (1), ©. capucinus (1), C. hypoleucus (1); Callithrix seiurea (2). Unter den Insectivora haben 9 Handwurzelknochen: Talpa, abgesehen von dem Os falciforme, welches auf einer convexen Platte der Palmarseite des mit dem Radius nicht gelenkig ver- einigten Theiles des Naviculare frei articulirt und an der Ra- dialseite der Hand liegt, und abgesehen von dem, meines Wissens, zuerst von Meckel beschriebenen Ossiculum sesamoi- deum, welches an der Radialseite des Multangulum majus ge- lagert und mit diesem und dem Metacarpale I. articulirt, nach 1) Recherch. sur les ossem. foss. Tom. V. P.1. Paris 1825. p. 47. Vorlesung. z. vergl. Anat. v. L. H. Froriep u. J. F. Meckel. Th.1. Leipzig 1809. S. 271. — Lec. d’anat. comp. 2. edit. Tom. I. Paris 1835. p. 425. 2) Die Skelette d. Vierhänder. Bonn 1824. 8. 9. 3) Syst. d. vergl. Anat. Th. 2. Abth. 2. Halle 1825. S. 396. 4) Beitr. z. Kenntniss d. warmblüt. Wirbelthiere Amerika’s. — Abhandl. d. math.-physic. Cl. d. Akad. d. Wiss. i. München. Bd. 2. 1837. S. 430. 464. 5) Op. eit. Fase. I, II, III. Atlas. Tom. L., Pl. IX, X. 6) Recherch. d’anat. comp. sur le Chimpanze p. 14. — The cy- clop. of anat. a. physiol. Vol. IV. p. 203, 213, 217.— Schröder van der Kolk et W. Vrolik, Recherch. d’anat. comp. sur le genre ste- nops d’Illiger Bidragen tot de Dierkunde. Natura artis magistra. Deel.1. Amsterdam 1849—1854. p. 42. 7) Beitr. z. näheren Kenntniss d. Gattung Tarsius. Berlin 1846. Se2onRat: 2. Big! 5,6. y Ueber die secundären Handwurzelknochen u. s. w. 577 Cuvier!), Meckel?), Blainville°) u. A; und beide Species von Myogale, wie ich sehe. Nach Blainville*) sollen Tupaia (Cladobates, Glisorex) und Erinaceus nebst drei Knochen in der ersten, und 4 Knochen in der zweiten Reihe, noch ein Inter- medium, welches bei Tupaia zwischen Naviculare und Multangu- lum minus liegen soll und hier sogar 9. Handwurzelknochen (!) genannt wird, bestimmt besitzen. Diese Angabe ist für Erina- ceus bestimmt, für Cladobates höchst wahrscheinlich un- richtig. Erinaceus besitzt nämlich in Folge der Verwachsung des Naviculare mit dem Lunatum, und abgesehen von dem klei- nen, wohl dem Ulnaris externus angehörigen, am Triquetrum und Metacarpale V., wie ich sehe, articulirenden, von Meckel nicht richtig als Handwurzelknochen (Pisiforme Il.) gezählten Sesam- beine, 3 Knochen in der ersten und 4 in der zweiten Reihe, kein Intermedium, also 7 Handwurzelknochen. Bei Cladobates kommen auch wohl nur 7 Handwurzelknochen vor. Da von ‚diesem Thiere in St. Petersburg weder ein Skelett noch ein Exemplar in Spiritus existirt, so musste ich mich mit der Un- tersuchung eines aus einem Balge genommenen Vorderfusses begnügen, der auch theilweise zerbrochen war. Ich sah in der ersten Reihe, in Folge Verwachsung des Naviculare mit dem Lunatum, 3 Knochen. Von der zweiten Reihe waren nur zwei unverletzt; sie lagen unter dem Naviculo-lunatum nebeneinan- der. Diese können als das Multangulum majus und minus oder als das M. minus und Capitatum genommen werden. Hätte das Thier ein Intermedium, so müsste dieses über beiden Kno- chen oder doch einem derselben in beiden Fällen liegen; allein ein solcher Knochen fehlt. Wäre aber der ulnarwärts gelagerte Knochen das Intermedium selbst, so müsste es doch theilweise auf dem anderen Knochen ruhen, was jedoch nicht der Fall ist. * 1) G. Ouvier’s Vorlesung. ü. vergl. Anat. Th. I. Leipzig 1809. S. 272. — Leg. d’anat. comp. 2. edit. Tom. I. Paris 1835. p. 426. 2) Syst. d. vergl. Anat. Th, 2. Abth. 2. Halle 1825. -S. 394. 3) Osteogr. des Secundatis, Tom. II. des mammif. insectivores p: 11. : Atlassı Pom.-I8. -Pl5 I; VIII. 4) Op. eit. p. 34, 40. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866, 37 578 Dr. Wenzel Gruber: Somit scheint Cladobates kein Intermedium und nur 7 Hand- wurzelknochen zu besitzen. Unter den Glires weiset Lepus 9 Handwurzelknochen auf, wie Cuvier'!), Pander und d’Alton°), Meckel?), Rymer Jones?) u. A. längst angegeben haben. Daubenton?°) hat bei Lepus das Intermedium übersehen und C. G. Giebel‘) hat unbegreiflicher Weise noch in der neuesten Zeit diesem Thiere 8 Handwurzelknochen zugeschrieben. Auch Chiromys madagascariensis (Aye-Aye), welches Thier Einige zu den Prosimiae, Andere zu den Glires zählen, hat nach Blainville”) und Owen°) 9 Handwurzelknochen. Der neunte Handwurzelknochen der genannten Thiere — Intermedium — hat zwischen den Knochen, die jenen bei dem Menschen vorkommenden analog sind und hier, des leichteren Verständnisses wegen, mit gleichen Namen wie beim Menschen benannt werden, bei den verschiedenen Species nicht immer dieselbe Lage. Die verschiedenen Anatomen und Zoologen va- viren in ihren Angaben darüber, theils aus angegebenem Grunde, theils bei einer und derselben Species wohl auch des- halb, weil sie nicht immer gut beschaffene Skelette vor sich hatten, oder diese selbst bei gutem Zustande nicht genügend untersuchen konnten. f Bei den Simiae liegt das Intermedium zwischen 2 Kno- chen (Naviculare und Multangulum minus) nach Pander und 1) G. Cuvier’s Vorles. ü. vergl. Anat. Thl. 1. Leipzig 1809. S. 273. — Recherch. sur les oss. foss. Tom. V. P. 1. Paris 18325. p. 48. — Les. d’anat. comp. 2. edit. Tom. I. Paris 1835. p. 427. 2) Die Skelette d. Nagethiere. Bonn 1824. 8. 9. 3) Op. eit. 1825. S. 388, 390. 4) The cyclop. of anat. a. physiol. Vol. IV. London 1852. Art. „Rodentia®* p. 379. _ 5) Hist. nat. et partie. etc. Tom. VI. Paris 1759. p. 292. 6) Die Säugethiere. Leipzig 1859. p. 445. 7) Osteogr. des primateös. Fasc. III. p. 25, 26. Atlas. Tom. 1. Pl. 5. 8) Monogr. on the Aye-Aye (Chiromys madagascariensis Cuy.). London 1863. 4°. p. 21. Pl. VII, IX. Fig. 17 u. 18. Ueber die secundären Handwurzelknochen u. s. w. 579 d’Alton, zwischen 3 Knochen (Näviculare, Multangulum majus und Capitatum) nach Cuvier, oder (Naviculare, Multangulum minus und Capitatum) nach Meckel und bei Nyetipithecus nach Wagner; zwischen 4 Knochen (Naviculare, Lunatum, Multangulum minus und Capitatum) nach Daubenton und beim ÖOrang-Utang u. a. Affen nach Vrolik; zwischen 5 Knochen (Navieulare, Lunatum, Multangulum majus, M. minus und Ca- pitatum) bei Hapale Jacchus nach Blainville. Ich habe es an Skeletten bald zwischen 3 Knochen (Navieulare, Multangulum minus und Capitatum), bald zwischen 4 Knochen (Naviculare, Lunatum, Multangulum minus und Capitatum), bald endlich zwischen 5 Knochen (Naviculare, Lunatum, Multangulum ma- jus, M. minus und Capitatum) bei je einem Exemplare mit Weich- theilen von Cercopithecus sabaeus, Inuus nemestrinus, J. cyno- molgus, Cynocephalus porcarius und Cebus hypoleucus bestimmt angetroffen. Unter den Prosimiae liegt das Intermedium bei Lemur eatta zwischen Naviculare, Multangulum minus, Capitatum und Hamatum nach Daubenton und Vicq d’Azyr, oder zwischen Naviculare, Lunatum (?), Multangulum minus und Capitatum nach Fischer; bei Lemur albifrons zwischen Naviculare, Multangu- lum minus, Capitatum und Hamatum nach Blainville; bei Tarsius zwischen Naviculare, Lunatum, Multangulum minus und Cäpitatum nach Burmeister. Unter den Insectivora liegt das Intermedium bei Talpa zwischen Naviculare, Multangulum minus und Capitätum nach Meckel und Gegenbaur, zwischen Naviculare und Multangu- lum majus nach Blainville. Es liegt, wie ich bei T. euro- paea sehe, zwischen Naviculare, Multangulum minus, Capitatum und, ähnlich wie bei Lepus, mit dem dorsalen Theile seiner unteren Kante zwischen letztere beiden Knochen geschoben, auch auf dem ulnaren Kamme der Gelenkfläche der Basis des Metacarpale II., wie übrigens Blainville') und Gegenbaur?) richtig abgebildet haben. Bei Myogale moschata und pyre- 1) Osteogr. des mammif. insectivores. Pl. I; VII. 3).0p. at. Dar II. SEig..6. 37° 580 Dr. Wenzel Gruber: naica sehe ich das Intermedium zwischen Naviculare, Luna- tum, Multangsulum majus, M. minus und Capitatum so gescho- ben, dass es mit einer Hälfte unter dem Naviculare, mit der anderen Hälfte unter dem Lunatum seine Lage hat. Bei Lepus liegt das Intermedium zwischen 3 Knochen, Na- viculare, Multangulum minus und Capitatum nach Meckel, oder Naviculare, Multangulum majus und Capitatum nach Jo- nes; sogar zwischen 7 Knochen (allen mit Ausnahme des Pisi- forme) nach ©. Gegenbaur!) beim Fötus v. L. cunieulus, nicht aber bei erwachsenen Thieren. Ich sehe es nämlich bei Lepus timidus und cuniculus bestimmt zwischen Naviculare, Lunatum, Multangulum minus, Capitatum und Metacarpale II. gelagert. Mit seiner oberen Fläche articulirt es in einer tiefen, von den unteren concaven Flächen des Naviculare, des Lunatum und deren Junctur gebildeten Grube mit diesen; an seiner unteren Fläche durch eine ulnare Facette mit dem Capitatum, durch eine radiale Facette und zwar durch deren kleinen volaren Theil mit dem Multangulum minus, durch deren grossen dorsa- len Theil mit der oberen Seite des ulnaren Kammes der trochlea- artigen Gelenkfläche an der Basis des Metacarpale II; an sei- nem radialen Rande dorsalwärts mit dem unteren Ulnarrande des Multangulum minus. Zur Grube in der ersten Handwur- zelreihe trägt ein kleinerer Theil des Naviculare und ein grosser Theil des Lunatum bei. Das Multangulum minus berührt nur an seinem volaren Ende das Oapitatum, ist übrigens von letz- terem durch eine lange und schmale Lücke geschieden. In dieser Lücke kommen das Intermedium und die obere Seite des ulnaren Kammes des Metacarpale II. mit einander in Be- rührung und articuliren aneinander, während an die radiale Seite des radialen Kammes der Basis des letzteren Knochens das Multangulur: majus, an die ulnare Seite des ulnaren Kam- mes das Capitatum und in die Rinne zwischen beiden Kämmen das Multangulum minus sich legen. Bei Chiromys liegt das Intermedium sogar zwischen 7 Kno- 1) Op. eit.;, S: 50. Taf. II.. Fig. 5. c. Ueber die secundären Handwurzelknochen un. s. w. 581 chen (allen mit Ausnahme des Pisiforme) nach Blainville und Owen. Man hat das Intermedium als einen durch Zerstückelung (demembrement) des Naviculare oder Multangulum minus oder dieser beiden zugleich oder des Capitatum entstandenen Knochen gedeutet (Cuvier, Meckel, Vrolik, Jones), was durch die Untersuchungen von Gegenbaur!) in der neuesten Zeit gründ- lich widerlegt wurde; und bald zur ersten Reihe der Hand- wurzelknochen (Blainville, Vrolik), bald zur zweiten Reihe (Meckel, Wagner) gezählt, bald, wie sein Name bezeichnet, zwischen beide Reihen gesetzt. — Der Knochen sieht in der That wie ein secundärer Knochen in unserem Sinne aus, wel- cher bei den verschiedenen Quadrumana bald dem einen, bald dem anderen, bald dem dritten der angegebenen Knochen, bei Lepus aber mehr dem Lunatum, als einem der übrigen ihn um- lagernden Knochen anzugehören scheint, trotzdem er bei diesem Thiere theilweise zwischen die Knochen der zweiten Reihe ge- schoben ist. Allein er ist nach Gegenbaur’s?) Beweisen denn doch kein solcher. Bei Cebus haben Josephi°) 6 Knochen und Vicq d’Azyr*) d Knochen, darunter das Intermedium, in der zweiten oder vor- deren Reihe der Handwurzelknochen liegen, somit auch das Intermedium mit dem Mittelhandknochen articuliren lassen; was Blainville mit Recht für einen Irrthum erklärt hatte. Nur bei Talpa europaea und Lepus articulirt das Intermedium mit einem Metacarpale, wie ich schon oben angegeben habe. Alle stimmen aber darin überein, dass das Intermedium immer unter dem Naviculare oder doch unter diesem und un- ter dem Lunatum sitze und meistens diesen Knochen ge- näherter liege, als denen der zweiten Handwurzelreihe. Nie haben Andere und ich das Intermedium, bei Vorkommen von 9 Handwurzelknochen, so zwischen die Knochen der ersten 1) Op. eit. 2) L.ce: 3) Op. eit. p. 140. 4) Östeogr. des primates, Fasc. II. p. 8. Note, 582 Dr. Wenzel Gruber: Handwurzelreihe geschoben gesehen, dass es zur Bildung des Latus antibrachiale der Handwurzel etwas beigetragen hätte; und nur bei Talpa und Lepus habe ich dasselbe theil- weise zwischen den Knochen der zweiten Reihe bis zum La- tus metacarpale reichen gesehen. Nie ist es daher wirklich als Knochen der ersten Reihe, kaum, oder doch nur aus- nahmsweise, als Knochen der zweiten Reihe gesehen worden, wenn man es auch bald dorthin, bald dahin gerechnet hatte. Es blieb eben bei den Säugethieren mit 9 Handwur- zelknochen fast immer ganz zwischen beiden Reihen. Aus diesem über das Intermedium der Thiere Gesagten er- hellt, dass in unserem Falle mit 9 Handwuzelknochen beim Menschen (5 in der ersten Reihe und 4 in der zwei- ten), Falls eines der Navicularia desselben dem Intermedium der Thiere analog wäre, dieses nur das Naviculare laterale sein könnte. Allen gegen die Annahme des Naviculare laterale als Analogon des Intermedium der Säugethiere mit9 Hand- wurzelknochen sprechen: 1) sein Dasein bei Vorkommen eines Naviculare mediale, welchem ein mit dem Radius nicht gelenkig verbundener Radialtheil völlig mangelt, der doch am Naviculare normale des Menschen und sogar am Naviculare ge- nannter Säugethiere, trotz des Vorkommens des Intermedium, existirt; 2) sein Verbleiben in der ersten Handwurzelreihe, während das Intermedium genannter Säugethiere völlig zwi- schen beide Reihen eingeschaltet ist. Auch von dem Interme- dium, welches gewisse Glires bei Verwachsung des Navi- culare mit dem Lunatum zu einem Knochen (Naviculo-lunatum), also bei Vorhandensein von 8 Handwurzelknochen nach Cuvier, Meckel, Jones u. A. besitzen, kann unser Navi- culare laterale aus denselben Gründen kein Analogon sein. Allerdings kann nach den Angaben Gegenbaur’s!) das dem Intermedium der Säugethiere analoge Handwurzelstück: bei gewissen Amphibien (sein Centrale) aus dem Centrum der Handwurzel herausrücken und, wie das Naviculare laterale in unserem Falle beim Menschen, entweder in die erste Reihe sich 1) Op. eit. 8. 9, 12, 14, 16. Taf I. Fig. 6, 8, 9, 10, 11. Ueber die secundären Handwurzelknochen u. s. w. 583 stellen, oder doch an der Radialseite zwischen Naviculare und Multangulum majus erscheinen; — aber im ersten Falle stösst das Centrale, bald radialwärts bald ulnarwärts vom Naviculare gelagert, zugleich mit diesem an den Radius, was beim Men- schen mit dem Naviculare laterale nicht geschieht, und im letzteren Falle wird das Lunatum vermisst, welches beim Men- schen zugegen ist. Es dürfte somit auch in der Handwurzel der Amphibien kein Stück existiren, welches dem Navi- culare laterale in unserem Falle beim Menschen ana- log wäre. In dem von Saltzmann angeblich beobachteten Falle von 9 Handwurzelknochen beim Menschen (4 in der ersten Reihe und 5 in der zweiten) kann eine Analogie des supernumerären Knochens in der zweiten Reihe mit dem Intermedium der Thiere, welche Meckel!) annahm, um so weniger existiren, wenigstens aus Saltzmann’s Angaben, selbst vorausgesetzt, dass der supernumeräre Knochen wirklich ein Handwurzelknochen war, gar nicht bewiesen werden. Der supernumeräre Knochen lag vielleicht zwischen dem Oapitatum, Multangulum minus und dem Metacarpale II, oder diesem und dem Metacarpale III zugleich, in der zweiten Reihe der Hand- wurzel. Wie der Knochen sich aber zur ersten Reihe verhal- ten habe, ist nicht angegeben. Diese Nichtangabe lässt die Existenz einer Verbindung mit der ersten Reihe eher bezwei- feln, als vermuthen. Wäre eine Verbindung des Knochens zu- gleich mit der ersten Reihe wirklich dagewesen, nur dann wäre vielleicht seine Analogie mit dem Intermedium bei Talpa und Lepus denkbar. Wenn auch die Ueberzahl der Handwurzelknochen in meinem Falle und in Saltzmann’s unsicherem Falle, die wesentlich von einander sich unterscheiden, aus dem Hin- zukommen eines aus dem früheren Zustande herrührenden echten Handwurzelstückes zu dem normalen sich nicht erklären lässt, so kann dieselbe doch aus dem Zerfallen einzelner 1) Handb, d. menschl, Anat. Bd. 2. Halle u, Berlin 1816. $. 220, $. 711, 584 Dr. Wenzel Gruber: Knochen der Handwurzel in zwei secundäre, welches in Folge von Bildungshemmung oder eines Bildungsfehlers eintrat, mit grösster Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, wie aus Nachstehendem ersichtlich wird. Nach J. F. Meckel'), J.M. Bourgery?) u. A. finden sich im Capitatum und Hamatum schon beim reifen Fötus je ein Knochenkern; nach A. Beclard°), J. Cruveilhier‘) Quain- Sharpey°), G. M. Humphry°), Rambaud et Renault”)u. A. aber sind sämmtliche künftige Ossa carpi nach der Geburt noch knorplig. Im Naviculare tritt die Verknöcherung ein: nach Meckel mehrere Jahre nach der Geburt, nach Rambaud und Renault im vierten Jahre, nach Quain-Sharpey, Humphry u. A. gegen das sechste Jahr, nach Beclard, Cruveilhier u. A. im achten bis neunten Jahre. Während die Meisten die Verknöcherung aller Oartilagines carpı von einem Knochenkerne ausgehen lassen, haben Rambaud und Renault imNaviculare zwei Knochenkerne, die sich sehr genähert liegen, gesehen und abgebildet und im Processus des Hamatum, unabhängig von dessen im dritten Jahre auftretenden Centralkerne, noch zwei Knochenkörner angetroffen. Wie diese citiren, sollen nach Serres im Naviculare sogar 3 Knochenkerne und auch im Lu- natum 2 vorkommen. Keiner der Handwurzelknochen hat eine Epiphyse nach Beclard, Rambaud und Renault. Das Auf- treten von zwei Knochenkernen im knorpligen Navi- culare nach Rambaud und Renault, wenn es auch nur die Ausnahme von der Regel sein sollte, ist wichtig für die Deu- 1) Op. eit. 8. 219, $. 709. 8. 221, $. 714. 2) Traite de l’anat. de ’homme. Tom. I. Par. 1832. Fol. p. 116. 3) Mem. sur l’osteose (suite). Nouv. journ. de med., chir., pharm. etc. Tom. IV. Fevrier 1819 p. 115. 4) Traite d’anat. deser. 3. edit. Tom. I. Paris 1851. p. 271. 5) Elements of anat. 6. edit. By W. Sharpey a.G. V. Ellis. Vol. I. London 1856. 8°. p. 133. Fig. 57. 6) A treatise on the human skeleton. Cambridge 1858. 8°. p: 396. 7) Orig. et developpem. des os. Paris 1864, 8%. p. 212—213. Atlas. Fol. Pl. XXI, Fig. 2, b. b. i Ueber die seeundären Handwurzelknochen u. s. w. 585 tung der zwei, die Stelle des Naviculare einnehmenden Knochenstücke in meinem Falle. Es lässt die Annahme zu: In meinem Falle sei die Verknöcherung des knorplig präformirten, einfachen Naviculare in jeder Hälfte desselben von einem eigenen Knochenkerne ausgegangen, es seien die verknöcherten Hälften knöchern nicht verschmolzen, sondern durch Synchondrose längere Zeit verbunden geblieben, in der Synchondrose habe sich aber mit der Zeit ein abnormes Gelenk gebildet, wodurch die Hälften des primitiv einfachen Naviculare selbstständige secundäre Knochen (ÖOssa navicularia secun- daria) wurden. Diese Annahme, welche im Vorkommen ge- wisser Epiphysen an anderen Stellen des Skeletts als selbst- ständige Knochen in Folge von Gelenkbildung in Synchondrosen bereits eine Stütze findet, schliesst eine zweite, auf einen nicht unmöglichen primitiven Bildungsfehler gegründete An- nahme zur Erklärung der Substitution des einfachen Navicu- lare durch zwei nicht aus, nämlich die, „das Naviculare sei schon durch zwei isolirte Handwurzelknochen präformirt ge- wesen. Im Knorpel des Multangulum minus tritt die Verknöcherung, abgesehen vom Pisiforme, später als in allen übrigen Handwur- zelknorpeln ein, und zwar zu Ende des vierten oder bisweilen im Anfange des fünften Jahres nach Rambaud und Renault; nach dem sechsten Jahre nach Meckel, im achten und neunten Jahre nach Beclard, Cruveilhier, Quain-Shar- pey, Humphry u. A. Dieselbe geht ferner nur von einem Knochenkerne aus, soweit bis jetzt bekannt ist. Die Erklärung seines Zerfallens in zwei Multangala minora secundaria im Falle von Saltzmann ist nach der aufgestellten ersten An- nahme noch schwieriger als in meinem Falle, weil das abnorme Auftreten von zwei Knochenkernen, das erst nachzuweisen ist, vorausgesetzt werden muss. Allein trotzdem scheint auch zur Erklärung des Auftretens zweier Multangula minora statt des einfachen in Saltzmann’s Falle nur eine der zwei angegebe- nen Annahmen obwalten zu können. 586 Dr. W. Gruber: Ueber die seecundären Handwurzelknochen u.s. w. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Handwurzel von der Volarseite. Fig. 2. 5 » » Dorsalseite. Fig. 3. 5 » » Oberen Seite. Fig. 4. A 5» » oberen und dorsalen Seite (bei Entfer- | nung der Ossa navicularia secundaria und des O. lunatum). Fig. 5. Die Ossa navicularia secundaria in Verbindung (von der vor- deren, medialen und unteren Seite). Fig. 6. Dieselben in Verbindung (von der unteren Seite). Fig. 7. Das Os naviculare secundarium laterale (von der oberen und medialen Seite). Fig. 8. Das Os naviculare secundarium mediale (von der lateralen Seite). Nr. 1. 0. naviculare secundarium laterale. Nr. 2. , 5 a mediale. Nr. 3. ., : lunatırme Nr. 4. ,„ triquetrum. Nr. 5. „ pisiforme. Nr. 6. „ multangulum majus. Nee, & minus. Nr. 8. „ capitatum. Nr. 9. „ hamatum. e. Obere Fläche 8. Vordere „ y. Untere „ des O. naviculare secundarium d. Oberes Feld der medialen laterale. d’. Unteres „ ' Gelenkfläche *. Tuberculum & Oberes N der lateralen Es Dub 3 Geloukflache des O. naviculare secundarium C. Mediale Fläche : n. Untere Gelenkfläche | mediale. *“, Tuberculum Voorderes Feld] der oberen #. Hinteres „ | Glenkäch | des 0. multangulum minus, ı. Sichelförmiger Fortsatz St.-Petersburg, im December 1865. N. Melnikow: Ueber die Verbreitungsweise der Gefässe u.s. w. 587 Ueber die Verbreitungsweise der Gefässe in den | Häuten des Darmcanals der Lota vulgaris Cuv. Von NıcoLAUS MELNIKOW, Privatdocent an der Universität zu Kasan. ——— (Hierzu Taf. XVII. A.) Der Darmkanal der Fische ist, was seine feineren Verhält- nisse anbelangt, bis jetzt noch sehr wenig und mangelhaft un- tersucht worden. In den anatomischen und zoologischen Zeit- schriften, die ich unter der Hand habe, konnte ich Nichts über die Histologie des Darmkanals der Fische finden. Leydig’s specielle Werke über Fische!) wie auch seine Histologie ent- halten zwar einige Thatsachen über die histologischen Eigen- schaften des Fischdarmcanals, dieselben betreffen aber eine verhältnissmässig geringe Zahl von Arten und handeln bloss über einige Elemente des Fischdarmkanals. Ueber die Verhält- nisse der einzelnen Bestandtheile zu einander, die nur an in- jieirten Objecten studirt werden können, existiren auch bei Leydig keine Thatsachen; wenn man sich aber an den Stand- punkt des Injeetionsverfahrens zu der Zeit, als Leydig den Fischdarmkanal bearbeitete, erinnert, so wird die Abwesenheit der genannten Thatsachen in dessen Werken ganz erklärlich. Denn nur in den letzten Jahren ist das Injectionsverfahren so 1) Anatomisch - histologische Untersuchungen über Fische und Reptilien. Beiträge. zur mikroskopischen Anatomie und. Entwickelungsge- schichte der Rochen. und Haie. 588 N. Melnikow: verbessert worden, dass man jetzt im Stande ist, die Unter- suchung der Gefässe und Lymphbahnen des Darmkanals der Fische vorzunehmen. Aus der Zahl der von mir in angezeig- tem Gebiete gemachten Beobachtungen, entschliesse ich mich, einige, nämlich diejenigen, welche sich auf die Verbreitung der Gefässe im Darmcanale der Lota vulgaris beziehen, als vorläu- fige Mittheilung zu veröffentlichen. Was das quantitative Verhalten der Gefässe in den Darm- häuten der Lota anbetrifft, so ist die Serosa am ärmsten, die Schleimhaut aber am reichsten damit versorgt. Die Arterien und Venen durchbohren die Serosabekleidung des Darmkanals nahe nebeneinander und zwar so, dass meistens jeder Arterienstamm von einem Venenstamme von fast gleichem Durchmesser begleitet wird. Ersterer zerfällt gewöhnlich gleich nach seinem Eintritt in zwei Aeste, welche, nachdem sie eine Strecke weit die Serosa selbst durchlaufen und ihr einige Zweige abgegeben haben, sich in andere Darmhäute begeben. Die Arterien der Serosa gehen, nachdem sie sich allmählich in die feinsten Gefässchen getheilt, in ein weitmaschiges, unre- gelmässiges Capillarnetz über, welches mit dem Capillarnetze der längsverlaufenden Muskelfasern der Muscularis intestinae im Zusammenhange steht. Die Wurzeln der Serosavenen, die in besagtem Capillarnetze ihren Ursprung nehmen, vereinigen sich, nach der Art der Verzweigung der Arterien, in Venen- stämme, die den Arterienstämmen folgen. ER Die Blutgefässe der Tunica muscularis verbreiten sich in dem bindegewebigen, die contractilen Elemente umfassenden Gerüste. Das Capillarnetz, in welches die Zweige der genann- ten Gefässe sich auflösen, behält denselben Charakter wie das- jenige der Darmmuskelhaut der höheren Wirbelthiere; es stellt sich nämlich in Form von rechteckigen oder parallelogramm- artigen Maschen dar, deren längste Seiten der Fasernaxe meist parallel sind. Das Verhalten der Gefässe in der Schleimhaut der einzel- nen Hauptabschnitte des Darmrohrs der Lota stellt sich mehr oder weniger verschieden und zuweilen characteristisch dar. Die Arterien der Magenschleimhaut richten‘ sich aus der Ueber die Verbreitungsweise der Gefässe in den Häuten u.s.w. 589 tiefsten Lage der Submucosa, wo sie meistens einen longitudi- nalen Verlauf haben, etwas schief nach den Plieis, theilen sich da mehrmals und gelangen endlich mit ihren feinsten Zweigen zur Basis der Magendrüsengruppen, wo sie, anstatt senkrecht zwischen den Drüsen aufzusteigen und sich allmählich in Ca- pillaren aufzulösen, wie es bei den höheren Thieren geschieht, !) sogleich in ein die einzelnen Magendrüsen umspinnendes Netz übergehen. Die Bildung der Mucosavenen des Magens ist eben- falls von derjenigen der höheren Wirbelthiere verschieden. Wäh- rend bei den letzten die verhältnissmässig weiten Venen mit mehreren Wurzeln nur aus dem oberflächlichen, von stärkeren Capillaren gebildeten Netze entspringen und in grösseren Ent- fernungen als die Arterien, ohne noch weiter Blut aufzunehmen, die Drüsenlage durchsetzen,°) werden bei der Lota die Venen- stämmchen an der Basis der Magendrüsengruppen aus dem feinen, die einzelnen Magendrüsen umspinnenden Capillarnetze gebildet. Die so entstandenen Venenwurzeln sammeln sich so- gleich in sehr ansehnliche, nach der Submucosa sich richtende Stämme. Die horizontal verlaufenden Arterienstämme der Dünndarm- schleimhaut theilen sich schon in der Submucosa in eine An- zahl von Aesten, welche quer und etwas gebogen zwischen die Darmdrüsen steigen. Sie werden, je mehr sie sich von ihrem Abgange entfernen, unter Abgabe von Zweigen, welche sich so- gleich in ein die ganze Mucosa sammt Drüsen durchziehendes weitmaschiges Capillarnetz auflösen, immer feiner, und gelan- gen endlich zu den um die Drüsenmündungen herum sich er- hebenden kammartigen (Zottenanaloga) Auswüchsen der Schleim- haut. Nachdem die feinsten Arterienäste die genannten Aus- wüchse erlangt haben, gehen sie in ein aus engen, meist polygonalen Maschen bestehendes, die ganze Fläche der Aus- wüchse deckendes Capillarnetz über. Die Venen der kamm- artigen Auswüchse folgen gewöhnlich dem Verlaufe der Arterien, durch Zusammenfluss deren Capillaren sie gebildet werden. 1) Kölliker, Mikroskopische Anatomie, Bd. I S. 151. 2) Kölliker, l. c. S. 151. 590 N. Melniköw: Alles, was bis jetzt von den Gefässen der Schleimhaut des Dünndarmes auseinandergesetzt war, bezieht sich auch auf die Schleimhaut der Pylorusanhänge, die, was die Drüsen, die kammartigen Auswüchse und Gefässe betrifft, eine vollkommene Identität mit derjenigen des Dünndarmes darstellt. Die Schleimhaut des Dickdarmes hat keine analogen Aus- wüchse und zeigt deswegen eine besondere Eigenthümlichkeit im Verhalten ihres Gefässsystems. Die feinsten Arterienzweige der Dickdarmschleimhaut steigen, Aestchen abgebend, zwischen den Drüsen bis zu der Epitelienschicht hinauf, und, nachdem sie da mehrfache, die Drüsenmündungen umfassende schlingen- förmige Umbiegungen gebildet, verästeln sie sich nochmals, um sich dann in ein die Drüsen umspinnendes Capillarnetz auf- zulösen. h Nachdem ich nun hiermit die Resultate meiner Untersu- chung über die Gefässe des Darmkanals der Lota mitgetheilt, will ich endlich nicht unerwähnt lassen, dass alle Injectionen unter constantem Drucke nach der Ludwig’schen Methode im Laboratorium des Herrn Professor N. Kowalewsky gemacht worden. Die Arterien wurden durch die Coelico-mesenterica, die Venen durch den Portastamm angefüllt. Da die Fische, wie es schon Hyrtl!) bemerkt hat, keine grosse Wärme er- tragen können, so war ich genöthigt, blos Glycerinmasse an- zuwenden. Zum Färben der Injectionsmasse bediente ich mich des bekannten im Wasser löslichen Berlinerblaus und der analogen ebenfalls im Wasser löslichen Kupfer - Verbin: dung. Kasan, den 1./13. Juli 1866. 1) Hyrtl, Das arterielle Gefäss-System der Rochen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Senkrechter Durchschnitt durch eine Plica der Magenschleim- haut. a Magendrüsengruppe. Ueber die Verbreitungsweise der Gefässe in den Häuten u.s. w. 59] Fig. 2. Etwas schief geführter Querschnitt durch den oberen Theil des Dünndarms. a Darmdrüsen. 5 kammartige Auswüchse der Schleimhaut. Fig. 3. Längsschnitt durch den Dünndarm. «a Darmdrüsen, 5 kamm- artige Auswüchse. Fig. 4 Ein Stück der Schleimhaut von der Muscularis abpräparirt und in die Fläche ausgebreitet, um die kammartigen Auswüchse 5 zur Anschauung zu bringen. a die Drüsenmündungen. Fig. 5. Querschnitt durch den Pylorusanhang. a Drüsen. 5 Aus- wüchse. Fig. 6. Querschnitt durch den Dickdarm. « Drüsen. In allen Figuren sind die Arterien blau und die Venen roth gefärbt. 5923 El. Metschnikow: Ueber eine Larve von Balanoglossus. Von EL. METSCHNIKOWw. (Hierzu Tafel XVI]. B.) Im September vorigen Jahres fischte ich mit dem Müller- schen Netze bei Neapel eine kleine Wurmlarve, welche ich mit Sicherheit für die Larve des eigenthümlichen, von Delle Chiaje entdeckten Thieres Balanoglossus in Anspruch nehme. Ich habe bereits meinen Befund zur Kenntniss ge- bracht, indem ich in einem Sendschreiben an Prof. Keferstein in Göttingen eine kurze Beschreibung der Larve mittheilte. Diese Beschreibung wurde dann von Herrn Keferstein bei Gelegenheit der Naturforscherversammlung in Hannover vorge- tragen und in seinem letzten Jahresberichte (für das Jahr en abgedruckt. Jetzt halte ich für um so passender, eine genauere, mit einer Abbildung begleitete Beschreibung der Larve zu liefern, als wir erst vor Kurzem in den Besitz einer vollständigen ana- tomischen Untersuchung des Balanoglossus durch meinen Landsmann und Freund Kowalewsky') gekommen sind. Die 1 Mm. lange Larve besteht aus zwei scharf von ein- ander getrennten Körperabschnitten, von denen der erstere den Kopf, der letztere aber den eigentlichen Rumpf darstellt. Der 0,4 Mm. lange Kopf zeigt eine ovale Form und entspricht dem- 1) Anatom. d. Balanoglossus Delle Chiaje. Memoires de l’Acad. d. Sc. de St. Petersbourg. VII. ser. Tom. X. Nr. 3. Ueber eine Larve von Balanoglossus. 593 jenigen Theile, welchen Keferstein ') und Kowalewsky’) als Rüssel bezeichnen. Er setzt sich in der Weise mit dem Rumpf in Verbindung, dass um den Basaltheil des Kopfes eine ringförmige Falte entsteht, welche den von Kowalewsky als „Kragen“ bezeichneten Abschnitt repräsentirt. Dieser Theil er- scheint vom übrigen Körper deutlich abgetrennt, wie es auch beim reifen Thiere der Fall ist. Der hintere Theil des Rumpfes ist walzenförmig, wobei er am Hinterende eine rundliche Form annimmt. Eine Trennung in einzelne Abschnitte, wie es beim erwachsenen Thiere beobachtet wurde, ist am Rumpfe unserer Larve noch nicht vorhanden. Die ganze Oberfläche unserer Larve ist mit Flimmerhaaren bedeckt, welche zum Schwimmen dienen und ebenfalls beim er- wachsenen Thiere vorkommen. Wenn aber diese Flimmerhaare sehr kurz und fein erscheinen, zeichnet sich ein Gürtel länge- ‚rer und stärkerer Wimperhaare aus, welcher sich beinahe in der Mitte des Rumpfes befindet. Die Flimmerhaare sitzen un- mittelbar auf einer ziemlich dicken Schicht, welche aus undeut- lichen Zellen besteht (s. Fig. e) und welche sich am Hinter- ende des Körpers bedeutend verjüngt. Eine Cuticula ist nicht vorhanden. In der Haut fehlen auch sonst verschiedene Ge- bilde, wie Drüsen, Körnchen u. a. m.; blos unter dem Wimper- gürtel findet man eine Reihe in der Hautschicht liegender car- minrother Pigmentflecke. Von Muskeln sind die des rüsselartigen Kopfes besonders deutlich. Sie erscheinen in Form längsverlaufender spindelför- miger Bänder, ohne eine fibrilläre Structur zu zeigen. Ausser- dem zeichnet sich der Muskel besonders aus, welcher den Kopf mit der Basis des Kragens verbindet (s. Fig. m). Es ist schwer zu beweisen, dass ein im Kopfe liegender Körper das centrale Nervensystem repräsentirt. Der fragliche Körper (s. Fig. n) zeigt eine rundliche Form und besteht aus einer sehr zarten Substanz mit in ihr eingebetteten Zellenker- 1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XII. (1863.) Heft 1. A. 02922 Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 38 594 N. Melnikow: nen. Ein ganz ähnliches Gebilde konnte ich auch beim ent- wickelten Balanoglossus vorfinden. Von differenzirten Sinnesorganen nahm ich bei unserer Larve nur ein Paar einfacher Augen wahr. Diese, dem entwickelten Thiere fehlenden Organe bestehen aus nierenförmigen carmin- rothen Pigmentflecken, ohne eine Spur jeglicher Linsen zu zei- gen. Sie liegen, wie es in beigegebener, bei Tömaliger Ver- grösserung entworfener Figur dargestellt ist, an der vorderen Spitze des Kopfes. Wenn wir jetzt zu den Verdauungsorganen übergehen, so müssen wir zuerst bemerken, dass der sich in die Kragenhöhle öffnende Mund die Form einer Querspalte besitzt (Fig. o'). Mit starken Wimperhaaren besetzt, geht er in ein schlundför- miges Organ über, welches nun zum eigentlichen Darmkanal führt. Dieser zeigt eine schlauchartige Form und zeichnet sich durch den Absatz seines Hinterendes aus, welches sich wohl später in den sogenannten Lebertheil verwandelt. Die Structur des mit einem After ausmündenden Darmes betreffend, muss bemerkt werden, dass dessen dünne Wandungen so ausseror- dentlich fettreich erscheinen, dass ich keine Zellen an ihm wahr- zunehmen vermochte. Von den übrigen, dem entwickelten Balanoglossus zukommen- den Organen: Kiemen, Lebern und Geschlechtsorganen konnte ich bei unserer Larve noch keine Spur wahrnehmen, was übrigens nicht zu bewundern ist, da die genannten Organe sich auch sonst erst am spätesten bilden. Des Beobachteten scheint aber genug, um die Natur der beschriebenen Larve als die einer Balanoglossuslarve mit aller Wahrscheinlichkeit annehmen zu dürfen. Natürlich wird der unzweifelhafte Beweis dafür nur durch unmittelbare Beobach- tung der Balanoglossusentwickelung geliefert, wenngleich auch Alles jetzt dafür spricht. Es geht aus den mitgetheilten Thatsachen hervor, dass die 1) Auf der Figur ist der Mund etwas weit nach unten gerückt, welche Lage offenbar in Folge des Druckes vom Deckgläschen ent- standen ist. Ueber eine Larve von Balanoglossus. ® 595 provisorischen Organe unserer Larve durch den Wimpergürtel und die Augen vertreten werden, was auch mit der Lebens- weise in Uebereinstimmung ist, da die beschriebene Larve sich durch das entwickelte Schwimmvermögen vom erwachsenen Ba- lanoglossus unterscheidet. Was die fragliche systematische Stellung von Balano- glossus betrifft, so sind darüber die Ansichten der Forscher verschieden. Keferstein hält es für ein den Nemertinen ähnliches Thier, während es Kowalewsky „eher zu den Anneliden“ (a. a. O. p. 15) zählt. Mir scheint es, dass die Eigenthümlichkeiten des genannten Wurmes so bedeutend sind, dass man ihn am besten als Repräsentanten einer besonderen kleinen Gruppe ansehen muss, welche ihre nächsten Verwand- ten in der Annelidenabtheilung findet. Der stark entwickelte Kopf von Balanoglossus, den man nur fälschlich mit dem Nemertinenrüssel vergleicht, ist jedenfalls mit dem Kopflappen einiger Anneliden, wie z. B. mit dem von Lumbriconerei oder Clymene so ausserordentlich ähnlich, dass man die Gleich- werthigkeit dieser Gebilde nicht verkennen kann.!) Ebenso zeigt die von Kowalewsky beschriebene paarige Anordnung verschiedener Organe (Gefässverzweigungen, Lebern, Lungen, Genitalien) eine Annäherung zum Annelidentypus. — Die be- schriebene muthmassliche Larve von Balanoglossus ist auch mit einigen Annelidenlarven zu vergleichen, und namentlich mit der Mesotrocha mit einem Wimpergürtel, welche nach meinen Beobachtungen die Larve von Spiochaetopterus ist. 1) Die Existenz der Oeffnungen am Kopfe von Balanoglossus kann nicht als Einwand dienen, da nach Leydig’s Beobachtungen die Kopfspitze der Oligochaeten ebenfalls mit einer terminalen Oeff- nung versehen ist. 38* 596 Dr. J. Bernstein: Untersuchungen über die Natur des elektrotoni- schen Zustandes und der negatıven Schwankung des Nervenstroms. Von Dr. J. BERNSTEIN in Heidelberg. Erster Artikel. ‚Ueber die negative Schwankung im elektrotonischen Zustande. Die Veränderungen, welche ein constanter elektrischer Strom in dem Zustande eines Nerven erzeugt, sind bis jetzt nach zwei Seiten hin untersucht worden. Einmal hat man gefunden, dass die elektromotorischen Eigenschaften des Nerven sich wesentlich ändern, sobald ein Stück desselben von einem constanten Strome durchflossen wird, und zweitens hat sich herausgestellt, dass die Erregbarkeit des Nerven für jedweden Reiz hierbei gleichzeitig ganz gesetzmässige Abweichungen von der des normalen Zu- standes zeigt. Die erste Erscheinung ist von ihrem Entdecker E. du Bois- Reymond mit dem Namen des elektrotonischen Zustandes be- legt worden!). Derselbe besteht bekanntlich darin, dass von den Polen des polarisirenden Stromes aus sich nach beiden Sei- ten im Nerven eine Stromentwicklung ausbreitet, welche mit der Richtung des polarisirenden Stromes im Nerven übereinstimmt, und die mit der Entfernung von den Polen sehr schnell ab- nimmt. Diese künstlich erzeugte Stromentwicklung zu dem 1) Untersuchungen. Bd. II. $S. 289. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 597 natürlichen Nervenstrome addirt, giebt dann die schliessliche Stromstärke für jede Stelle des Nerven, wenn man von zwei Punkten desselben von kleiner Spannweite zum Multiplicator ableitet.!) Die Veränderungen der Erregbarkeit, welche ein Nerv unter der Einwirkung eines constanten Stromes erleidet, sind von Ed. Pflüger untersucht worden.?) Das von ihm aufgestellte Gesetz lautet im Wesentlichen folgendermassen: Wenn ein Nerv von einem constanten Strome durchflossen wird, so steigt dessen Erregbarkeit in der Gegend des negativen Poles (Katelektroto- nus) und sie sinkt in der Gegend des positiven Poles (Ane- lektrotonus) sowohl innerhalb als ausserhalb der Pole. Auch diese Wirkung nimmt mit der Entfernung von den Polen ziemlich schnell ab. Wir kennen ferner noch eine dritte Erscheinung, die neben der Muskelzuckung mit der Reizung des Nerven verbunden ist, die negative Schwankung des Nervenstroms. Man hat da- her angenommen, dass der Vorgang, der dieselbe erzeugt, iden- tisch sei mit dem Zuckung und Empfindung erregenden Vor- gange im Nerven. Um in den Zusammenhang dieser Erscheinungen einzudrin- gen, schien es mir am geeignetsten, zunächst von folgender Frage auszugehen. Es seien in Fig. 1 an einen Nerven die Pole p p‘ einer constanten Kette angelegt, und in r r' befinden sich die Elek- troden der secundären Spirale eines Magnetelektromotors, die dazu bestimmt sind, den Nerven an dieser Stelle zu reizen und Zuckungen in einem bei g befindlichen Muskel zu erzeugen. Ist nun der Strom absteigend, d. h. ist p' der — Pol, so wird die Erregbarkeit in r r‘ bei Schliessung des Stromes erhöht, und wenn wir daselbst mit Strömen von gleicher Stärke den Nerven reizen, so werden die Zuckungen nach dey, Schliessung des Stromes pp' stärker ausfallen als vorher. Nun denke man sich den Muskel fort und statt dessen an 1) Untersuch. Bd. II. Taf. III. Fig. 105. 2) Untersuch. üb, d. Physiologie d. Elektrotonus, 1859, 598 Dr. J. Bernstein: EL Querschnitt und Längsschnitt daselbst den ableitenden Bogen eines Galvanometers g angelegt, welches uns den ruhenden ® anzeigt. Jetzt wird man während der Reizung in r r‘ statt der Zuckung die negative Schwankung des Ner- venstroms beobachten, welche stets den Erregungszustand des Nerven begleitet. Nun frägt es sich: Welche Veränderung er- leidet die negative Schwankung, nachdem der Strom pp‘ ent- Nervenstrom Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 599 weder in auf- oder absteigender Richtung geschlossen ist? Gleichzeitig knüpft sich hieran die weitere Frage, wie sich die negative Schwankung verhält, wenn die Reizung des Nerven oberhalb der Pole des constanten Stromes angebracht wird und wenn die intrapolare Strecke gereizt wird. Um diese Fragen auf experimentellem Wege zu lösen, be- diente ich mich derjenigen Vorrichtungen, welche von du Bois- Reymond zum Zwecke elektrophysiologischer Versuche ange- geben sind. Der Nervenstrom wurde abgeleitet mit Hülfe der amalga- mirten Zinkgefässe, in denen sich die mit Zinkvitriollösung ge- tränkten Bäusche befanden, die mit Thonschildern versehen waren. Später benutzte ich hierzu die bequemere Form unpo- larisirbarer Elektroden, nämlich die sog. Thonstiefel-Elektroden. - Den Nervenstrom beobachtete ich mit Hülfe eines Spiegel- galvanometers, das sich im hiesigen physiologischen Laborato- rium befindet. Dasselbe ist ein Meyerstein’sches, hat sich aber in seiner ursprünglichen Form zu messenden Versuchen als unbrauchbar erwiesen, weil es nicht möglich ist, den Mag- net auch mur für einen Augenblick in Ruhe zu bringen. Die kurze Aufhängung des Magnetes, und der Messingbügel, an welchem der Magnet sitzt, veranlassen bei den geringsten Er- schütterungen von der Strasse her ein ewiges Tanzen und Schwingen des Spiegels, so dass es nicht möglich ist, kleine Ablenkungen mit Sicherheit zu beobachten. Ich entfernte daher die zum Astasiren bestimmten Magnete gänzlich und gab dem Magneten des Galvanometers eine hohe Aufhängung von 1!/, Me- ter Länge. In dieser Entfernung über dem Galvanometer wurde ein eiserner Pflock in die Wand eingeschlagen und an diesem die Aufhängeschraube befestigt. Von hier herab hing an einem ungetheilten Coconfaden der Spiegel nebst Magnet des Galvano- meters. Auf diese Weise war die Einwirkung von Erschütte- rungen fast gänzlich vermieden, und der Faden des Fernrohrs stand ohne Schwanken fest auf dem Nullpunkte der Scala ein. Die beiden letzteren befanden sich vom Galvanometer in einer Entfernung von 2!/, Meter. In den ersten Versuchen bediente ich mich eines astatischen 600 Dr. J. Bernstein: Magnetpaars, späterhin benutzte ich nur einen einfachen Mag- net und zwar aus dem Grunde, weil es bei den nachfolgenden Versuchen darauf ankam, dass der Magnet nach jedesmaliger Ab- lenkung schnell wieder zur Ruhe kam, um die Versuche schnell hintereinander machen zu können. Er durfte also keine lange Schwingungsdauer haben, was beim Astasiren immer eintritt. Allerdings büsst hierdurch das Instrument an Empfindlichkeit ein, dafür können aber die minimalsten Ablenkungen mit grosser Sicherheit beobachtet werden. Bei dieser Einrichtung giebt der Nervenstrom von Längsschnitt und Querschnitt bei ö Mm. ab- geleiteter Nervenlänge ca. 20 Scalentheile Ablenkung. Ist da- gegen das astatische Magnetpaar eingehängt, so erhalte ich un- gefähr 150° Ablenkung. In dem oben angegebenen Versuche handelt es sich darum, zwei aufeinander folgende negative Schwankungen ihrer Stärke nach mit einander zu vergleichen. Dies ist nur dann ausführ- bar, wenn in beiden Beobachtungen der Magnet vorher dieselbe Lage einnimmt. Denn erstens nimmt seine Empfindlichkeit mit der Entfernung vom Nullpunkte ab (was bei den kleinen Ab- lenkungen eines Spiegelgalvanometers wenig ausmacht), zweitens aber hängt die Stärke des Rückschwunges, der bei der nega- tiven Schwankung eintritt, wesentlich von der Entfernung vom Nullpunkte ab. Wenn man also die Grösse zweier Ausschläge vergleichen will, so müssen dieselben von ein und demselben Punkte ausgehen und dies geschieht am Besten, wenn man den Magnet durch einen entgegengesetzten Strom vorher auf den Nullpunkt zurückbringt. In allen folgenden Versuchen bediente ich mich daher der von du Bois-Reymond angegebenen Methode der Compen- sation nach dem Princip der Nebenschliessung. Zu diesem Zwecke benutzte ich als Rheochord einen 5 Fuss langen und 2 Mm. dicken Kupferdraht, der in Fig. 1 durch X K' angedeu- tet ist. Seine Enden X und Ä' sind mit den Polen eines Da- niells d verbunden, X ist ferner mit dem Bausch verbunden, der dem Querschnitt g anliegt, und ausserdem geht ein Drathgs vom Galvanometer zum Compensationsrheochord, an welchem derselbe verschiebbar angebracht ist. Die Strömungrichtung ist. derart, Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 601 dass, wenn der vom Nerven ausgehende Strom die Richtung des Pfeiles « hat, der vom Rheochord abgeleitete Stromzweig in der entgegengesetzten Richtung des Pfeiles 5 in das Galva- nometer eintritt. Man sieht, dass wenn s bei X steht, der Comp.-Strom Null ist und dass dieser nahezu proportional der Länge Ks wächst; man kann daher die relative Stärke des Nervenstroms und der elektrotonischen Zuwächse desselben an der Länge Ks ablesen, wenn man den Punkt s so weit ver- schiebt, bis der Faden des Fernrohrs wieder auf dem Nullpunkt der Scala einsteht. Durch den Stromwender w ist man im Stande, dem compensirenden Strome die eine oder andere Rich- tung zu geben. Das Quecksilbernäpfchen & dient zum Schlies- sen und Oeffnen des ganzen Kreises. Den constanten Strom leitete ich stets durch unpolarisirbare Elektroden dem Nerven zu. Dieselben bestanden aus den von du Bois-Reymond beschriebenen mit Thonspitzen versehenen Röhrchen, die mit Zinkvitriollösung gefüllt sind, in welche ein amalgamirter Zinkstreif eintaucht. Als constante Kette benutzte ich kleine Grove’sche Ele- mente, wenn ich starke Ströme anwenden wollte, und für schwä- chere Ströme Daniells. Um die Stromstärken gehörig abstufen zu können, schaltete ich ein Rheochord dazwischen, für stärkere Ströme ein Sauerwald’sches, für ganz schwache Ströme da- gegen ein Rheochord aus Eisendrath von °/, Mm. Dicke und 5' Länge, das in derselben Weise hergerichtet war, wie das vorhin beschriebene Compensationsrheochord. Die Anordnung aller dieser Vorrichtungen führe ich nicht weiter in der Fig. 1 aus, da dieselbe aus den Untersuchungen von Pflüger, v. Be- zold u. a. genugsam bekannt sind. In der Figur stellen p p' die Pole des polarisirenden Stromes dar und ich nenne die Rich- tung dieses Stromes von p nach p' den Bäuschen zugewandt absteigend und von p’ nach p den Bäuschen abgewandt auf- steigend. Die Reizung des Nerven wurde hervorgebracht durch die abwechselnd gerichteten Inductionsströme eines Magnetelektro- motors. Hierbei hat man darauf zu achten, dass durch die Einwirkung der Ströme auf den Nerven sich neben der negati- 602 Dr. J. Bernstein: ven Schwankung keinerlei elektrotonische Erscheinungen ein- schleichen. Man hat demnach die Anwendung sehr starker Ströme von vorn herein zu vermeiden. Dies allein aber genügt nicht, man muss auch die Intensität und den Verlauf der In- duetionsströme annähernd gleich machen, damit ihre elektroto- nisirende Wirkung sich gegenseitig aufhebe. Man erreicht dies bekanntlich annähernd durch die Helmholtz’sche Modification des Wagner’schen Hammers. Da sich aber hier der sog. Extrastrom der primären Spirale einmal beim Schliessen durch das Element abgleicht, beim Oeffnen dagegen zum grössten Theil durch die weit besser leitende Nebenschliessung, so hat dieser Widerstandsunterschied auch wiederum einen verschiede- nen Verlauf der Inductionsströme in der secundären Spirale zur Folge. Fig. 2. Ich wandte in den nach- stehenden Versuchen folgendes Verfahren an. Zunächst wur- den die Eisenkerne aus der primären Spirale entfernt, um die sehr starken Ströme ganz auszuschliessen. Alsdann wurde in den Kreis der primären Spi- rale eine Nebenschliessung ein- geschaltet, wie dies in Fig. 2 angegeben ist. Von den End- punkten sp der primären Spi- rale, welche mit der Batterie 5 verbunden sind, führen 2 Dräh- te, die in Platinplatten endi- gen, in ein mit angesäuertem Wasser gefülltes Gefäss. In I! befindet sich die Unterbre- chungsvorrichtung des gewöhn- lichen Wagner’schen Ham- mers. Wird nun daselbst der Strom geschlossen, so gleicht sich der Extrastrom theilweise durch das Gefäss, theilweise durch die Batterie ab, wird der Strom geöffnet, so gleicht Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 603 er sich nur durch das Gefäss ab. Im ersteren Falle ist die Leitung eine bessere, und absolut gleiches An- und Ab- steigen des primären Stromes erreicht man von vorn herein damit noch nicht. Aber man sieht, dass man dem gewünsch- ten Ziele immer näher kommt, je mehr man den Wider- stand der Batterie vermehrt. Verschwindet endlich der Wi- derstand der Nebenschliessung sg p gegenüber dem der Batte- rie, so haben Oeffnungs- und Schliessungsextrastrom denselben Leitungswiderstand. Der Strom steigt und fällt dann in der- selben Curve an und ab- Das Letztere würde man leicht er- reichen, wenn man eine vielgliedrige Säule kleiner Grove’- scher Elemente zur Batterie nähme, Man könnte auch noch mit der Vermehrung der Elemente gleichzeitig Widerstände in den Batteriekreis einschalten. Für unsern Zweck indessen ge- nügt schon ein Daniell’sches Element. Ich habe mich in der Folge durch Versuche überzeugt, dass bei der Reizung des Ner- ven keinerlei elektrotonische Erscheinungen auftreten, selbst wenn man bei der angegebenen Einrichtung die Inductionsrollen über einander schiebt. Man erkennt bekanntlich solche elektro- tonischen Wirkungen abwechselnd gerichteter Inductionsschläge leicht, wenn man die Pole der secundären Rolle wechselt. Ist der Ausschlag, den die negative Sehwankung giebt, in beiden Fällen derselbe, so hat man eine Einmischung des Elektrotonus nicht zu befürchten. Ich habe es daher nicht unterlassen, bei den folgenden Versuchen diese Controlle anzustellen. Noch zwei Vortheile bietet die oben angegebene Einrichtung; erstens vermeidet sie die Entstehung des Funkens an der Unterbre- chungsstelle des Hammers, dann werden die Ströme durch die Nebenschliessung ausserdem ziemlich bedeutend abgeschwächt, so dass von übermässig starken Inductionsströmen selbst beim Uebereinanderschieben der Rollen nicht die Rede ist. Es kommt nun schliesslich bei den folgenden Versuchen dar- auf an, dass während der Dauer einer Reihe von Beobachtun- gen die Reizung des Nerven mit ein und derselben Stromstärke geschehe. Der Abstand der Inductionsrollen muss hierzu nicht allein sich gleich bleiben, sondern es muss auch die Zahl der Unterbrechungen in einer gewissen Zeit constant sein. Man 604 Dr. J! Bernstein: hat also darauf zu achten, dass die Feder des Magnetelektro- motors während der zu vergleichenden Beobachtungen gleich- mässig schwingt. Hierbei zeigt sich die Vermeidung des Fun- kens von grossem Nutzen. “Hat man die Feder gut eingestellt, so schwingt sie lange Zeit ganz regelmässig, und man erkennt eine eintretende Veränderung sehr leicht an einem Wechsel des Tones. Ich habe aus zahlreichen Versuchen ersehen, dass _ die Stärke der negativen Schwankung bei gleichbleibender Stel- lung der secundären Rolle innerhalb der Zeit, auf die es hier ankommt, constant bleibt. Man bemerkt nur ein allmähliches Sinken derselben durch die Abnahme der Erregbarkeit des Nerven. Bekanntlich ist die Wirkung der negativen Schwankung auf die Magnetnadel gleich der eines constanten Stromes, dessen Richtung dem Nervenstrom entgegengesetzt ist. Um nun die Grösse der negativen Schwankung zu messen, wäre es demnach eigentlich nothwendig, die constante Ablenkung abzulesen, die der Spiegel erleidet. Das hat aber den Uebelstand, dass man die Reizung so lange fortsetzen muss, bis der Spiegel in Ruhe ist, und man würde hierdurch die Erregbarkeit des Nerven dermassen schwächen , dass an eine Vergleichung zweier auf einander folgender Beobachtungen nicht mehr zu denken ist. Eine zweite Methode wäre, Reizungen von kurzer und con- stanter Dauer anzuwenden. Die negative Schwankung würde dann als ein Strom von kurzer Dauer erscheinen, und der er- folgende Ausschlag würde der Stromstärke proportional sein. Dabei stösst man aber auf die Schwierigkeit, dass die Ablen- kungen viel zu klein werden, und wenn man selbst die empfind- lichsten Instrumente zur Verfügung hätte, würden sich wohl noch andere Schwierigkeiten dabei herausstellen. Es bleibt nur noch ein drittes Verfahren übrig, das unseren Anforderungen genügt, nämlich den ersten Ausschlag zu messen, der bei der Reizung eintritt, und wenn dieser erfolgt ist, die Reizung zu unterbrechen. Der erste Ausschlag würde der Stromstärke pro- portional sein, wenn, abgesehen von der Torsion des Fadens, keine Dämpfung stattfände. Trotzdem habe ich es in den fol- Untersuch. über die Natur des elektroton, Zustandes u. s. w. 605 genden Versuchen unterlassen, die betreffende Correction anzu- bringen, weil der Einfluss derselben bei den kleinen Ablenkun- gen zu unbedeutend ist. Im Allgemeinen giebt der erste Aus- schlag ein richtiges Bild von dem Sinken und Steigen der ne- gativen Schwankung unter den angegebenen Umständen, und darauf kommt es ja hauptsächlich an. Die Enden der secundären Spirale sind mit dem „Schlüssel zum Tetanisiren“ verbunden. Von da führen zwei Drähte zu den Elektroden r r’ Fig. 1, welche in einer gegenseitigen Ent- fernung von 2 Mm. auf einer Glasplatte aufgekittet sind. Diese sitzt isolirt auf einem beweglichen Gestell aus Kork und Glas- stäben, so dass man ihr jede beliebige Lage geben kann. Nach- dem der Nerv an zwei Punkten mit den Bäuschen in Berüh- rung gebracht ist, wird das übrige Stück desselben auf die Glasplatte über r r' gelegt und die Thonspitzen p p' oberhalb oder unterhalb r r' auf den Nerven aufgesetzt. Alle diese Vor- richtungen, mit denen der Nerv in Berührung kommt, befin- den sich auf einem Brett, das auf drei Füssen steht und durch dessen Boden die Drähte hindurchgehen. Darüber wird ein Glaskasten gesetzt, dessen Wände mit feuchtem Fliess- papier bedeckt sind, um den Nerven vor Austrocknung zu schützen. Bei Anstellung der Versuche wird nun im Allgemeinen fol- gendermassen verfahren. Nachdem der Nervenstrom vollstän- dig compensirt ist, wird durch Oeffnung des Schlüssels z. T. die erste Reizung begonnen und sobald der Ausschlag sein Maximum erreicht hat, der Schlüssel geschlossen. Sofort wird die polarisirende Kette geschlossen und ein dabei eintretender elektrotonischer Zuwachs schnell compensirt, so dass die Scala wieder auf dem Nullpunkte steht. Nun wird die zweite Ab- lenkung durch nochmalige Reizung in derselben Weise beob- achtet und gleich darauf die polarisirende Kette geöffnet, um den Nerven nicht zu lange der Einwirkung des Stromes auszu- setzen. In den Vorversuchen, von denen ich einige Beispiele an- führe, ist die Anordnung so wie es Fig. 1 darstellt. Die erste Rubrik giebt die negativen Schwankungen ohne polarisirenden 606 Dr. J. Bernstein: Strom, die zweite die mit auf- oder absteigendem Strom, die dritte unter PR enthält die Stärke des polarisirenden Stromes ausgedrückt in Rheochordlängen oder die Zahl der Elemente ohne Rheochord. Die arabischen Ziffern dieser Rubrik sind Centimeter des Platindraht-Rheochords, die römischen bedeuten ganze Rheo- chordlängen gleich 100 Centimeter. D. heisst Daniell, Gr. = Grove. Die vierte Reihe unter R bedeutet die Entfernung der In- ductionsrollen in Centim. Ich bediente mich hierbei des astatischen Magnetpaares. IE Constante Kette 2 D. Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R 24? 7% 50 31 pp’ Fig. 1)=1% Cm. 6% 6% R R p’l=1% Cm. | 6 5 4 30 Die erregenden Elektroden 3 4 100 »„.... sind wie in allen folgenden 2 3 ä 29 Versuchen der Art ungefähr 1 1% n 28 2 Mm. von p’ entfernt. 1% 2% 2 27 2% 3 2 26 3 —_ 8 25 2 > i 24 9% 8% a 18 8 8 1.50 5 10% 10% HD. 17 14 12% IIl. 16 16 16% V 4 20 17% VI 15 I. Polarisirende Kette 3 D. Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R 6% 1 VI. 233 pp'’=1% Cm. 4 — 5 = op. 110m. 5% 3 R 22 lg (abgeleitete Strecke) =7 Mm. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 607 Ohne Abst. Str. PR R EL v1. 20 7% 4 : 18 6% = x 16 5 5 = 15 II. Polarisirende Kette 3 D. Ohne Abst. Str. PR R 4% BR 0 27 pp'=1'Cn. 1 Bu 50 R p'1=2% Cm. 3 0 . 25 lgq=3 Mm 16% 11% { 17 14% Te, » n 15% 7, » » 16 8 I. N 12 7 ; Y 11% 5% n ” 7 3% 1. 16 5% 3 » » 7% 4% i 15 11 10 R 12 8% a) II. 5 9% 8 IV. R 9 8% £ . Wenn man die Grössen der negativen Schwankung während und ohne den Einfluss des absteigenden Stromes vergleicht, so erscheint das Resultat zunächst etwas verworren. Wohl sieht man bedeutende Veränderungen jener Grösse in Folge der Stromeseinwirkung auftreten, aber sie sind nicht constant. Eine Verstärkung der negativen Schwankung, die man von vorn herein erwarten sollte, zeigte sich zwar in vielen Fällen, in den mei- sten Fällen jedoch stellte sich gerade das Gegentheil heraus. Dieses letztere Ereigniss war mir so unerwartet, dass ich in den ersten Versuchen gar nicht aufhören konnte nachzusehen, ob ich nicht durch einen Irrthum in der Anordnung den auf- steigenden Strom statt des absteigenden gewählt hatte. Wenn man sich die Versuche näher ansieht, so bemerkt man, dass eine Verstärkuug der negativen Schwankung nur vorkommt, so lange der polarisirende Strom eine gewisse Grenze nicht 608 Dr. J. Bernstein: überschritten hat. Bei starkem polarisirenden Strom ist die Verminderung ein constantes Ergebniss, und es gelingt fast nie das Gegentheil zu sehen. Schwache Ströme dagegen geben am häufigsten eine Verstärkung der negativen Schwankung, und bei mittelstarken Strömen ist das Resultat sehr schwankend. Es wäre ein grosser Irrthum gewesen, dieses Ergebniss als das Gesetz anzusehen, nach welchem die negative Schwankung unter den gegebenen Verhältnissen sich verändert. Vielmehr ist es nichts weiter als der Ausdruck von Thatsachen, die erst durch weitere Versuche einer gesetzmässigen Erklärung harren. Wenn nämlich die Stärke des polarisirenden Stromes von Ein- fluss auf das Vorzeichen der Veränderung ist, welche die ne- gative Schwankung erleidet, so ist es möglich, dass dieselbe nicht eine Function dieser Stromstärke allein ist, sondern auch noch Function einer andern Grösse, die in entgegengesetztem Sinne wächst. Ueberwiegt zu Anfang die erste Function, so wird das Resultat positiv endlich, überwiegt aber allmählich die zweite, so wird es bald Null und negativ werden. In der That kennen wir bisher zwei Veränderungen, die der constante Strom im Nerven erzeugt, die Veränderung der Erregbarkeit und der elektromotorischen Kräfte. Wirken beide in entgegengesetztem Sinne auf die Grösse der negativen Schwankung ein, so können sie möglicherweise jenes sonderbare Resultat erzeugen. In der Folge hat sich diese Voraussetzung vollständig be- stätigt. Der elektrotonische Zuwachs, der sich von den Polen bis zur abgeleiteten Stelle ausbreitet, ist von wesentlichem Ein- fluss auf die Stärke der negativen Schwankung, und verursacht jenes widersprechende Resultat, das sich natürlich bei stärkeren Strömen um so deutlicher zeigt. In dem zweiten Theil dieses Artikels wollen wir diesen Einfluss für sich betrachten, und zu- nächst wieder an unsere Aufgabe gehen, aber mit der Vorsicht, jeden merklichen elektrotonischen Zuwachs an der abgeleiteten Stelle zu vermeiden. Dies erreicht man am einfachsten da- durch, dass man sich nur sehr schwacher Ströme bedient und dass man die polarisirenden Pole weit von der abgeleiteten Stelle entfernt. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u s. w. 609 I. Die Veränderung der negativen Schwankung durch den polarisirenden Strom ohne elektrotonischen Zu- wachs an der abgeleiteten Stelle. Die Versuchsmethode, deren ich mich nun bediente, blieb im Ganzen dieselbe. Um aber den polarisirenden Strom besser abschwächen zu können, vertauschte ich das Platindraht- rheochord in den meisten Fällen mit dem Eisendrahtrheo- chord. Ausserdem benutzte ich von nun ab ausschliesslich den einfachen nicht astatisch gemachten Magnet, weil derselbe schneller zur Ruhe kommt und dadurch die Zeitdauer des Ver- suches bedeutend abkürzt. Ferner zeigte es sich für das Ge- lingen der Versuche am günstigsten, die schwächsten Reizungen anzuwenden, welche eben noch deutliche negative Schwankung seben. Waren die Inductionsrollen so eingestellt für den un- polarisirten Nerven, so verschwand die negative Schwankung ent- weder nach Schluss des polarisirenden Stromes oder sie trat noch stärker hervor. Auf diese Weise konnte man zwei zu vergleichende Beobachtungen mit grosser Schnelligkeit nach ein- ander ausführen. Die nun folgenden Versuche zerfallen ihrer Anordnung nach in drei Klassen. Entweder befinden sich die erregenden Elek- troden unterhalb der polarisirenden, in der infrapolaren Strecke zwischen Bausch und Pol, oder oberhalb derselben in der suprapolaren Strecke, oder sie fallen mit den polarisi- renden zusammen und nehmen die intrapolare Strecke ein. Die Rubrik ER bedeutet die polarisirende Stromstärke aus- gedrückt in Eisendrahtlängen. a) Reizung der infrapolaren Strecke. IN. Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. ER R 0 % 105 32 Polarisirende Kette I D. Minimum % 5 31,5 0) % 146 5 Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1366. 39 610 Dr. J. Bernstein: Ohne Abst. Str. ER R 0 4 146 31,5 pp’=%Cm. Min. 1 DEN 31 p'1=3% Om. Ri 3 R ” lq=6 Mm. % 1 ii 30 % 1 b)] » Min. 1 N al Aufst. Ohne Str. 0 % > 29 0) i 1 5 s ) 1 x 28 ul a 3 1% s E Aufst. Abst. Str. » 1% = 2 » 1% » ” 3 3% L 23 W. Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R Polarisirende Kette 4 Gr. () 1% 0 27 pp'’=10Mm. % 2 i & piL 2,2. 0m » 1h » » 1 q=7 Mm. a 2 50 = nn 1 100 5 1 1 25 = 0 2 N 29 0 Y \ 28 0 m h 27 B 1 a 26 Aufst. Ohne Str. 1 1% ; 23 1%) 2 N s R 1 » » In diesen Versuchen zeigt sich deutlich, dass die negative Schwankung von der infrapolaren Strecke aus nach Schluss der Kette grösser ausfällt, wenn der Strom absteigend ist, und klei- ner wird, wenn der Strom aufsteigend ist. Reizung am nega- tiven Pol vermehrt, Reizung am positiven Pol vermindert dem- nach die Grösse der negativen Schwankung. In diesen Versu- Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 611 chen war der elektrotonische Zustand so schwach, dass er an der abgeleiteten Stelle nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Sobald aber die polarisirenden Ströme etwas stärker wurden, wurden auch die Resultate schwankend und schlugen endlich in’s Gegentheil um, wie sich dies in späteren Versuchen deut- lich zeigen wird. b) Reizung der suprapolaren Strecke. Diese Versuche sind noch zarterer Natur als die vorherge- henden, weil die Stromstärken sehr fein abgestuft werden müssen, und zwar aus doppeltem Grunde. Einmal kann bei Anwen- dung solcher Ströme, die bereits eine Spur von Elektrotonus geben, das gewünschte Resultat vorgetäuscht werden, beson- ders wenn man etwas stärkere Reize einwirken lässt. Wen- det man aber sehr schwache Reize an, so kann unter diesen Umständen auch das Gegentheil erfolgen; wesshalb, wird aus dem Folgenden erhellen. Es gilt also die Regel, sich bei die- sen Versuchen sehr schwacher polarisirender und erregender Ströme zu bedienen. Noch eine Schwierigkeit ist zu überwinden. Da die Pole der Kette von den Bäuschen weit entfernt sein müssen, so kommen die Reizelektroden an das centrale Ende des Nerven. Dies ist zwar im frischen Zustande sehr stark erregbar, aber stirbt auch sehr schnell ab, und es kommt oft vor, dass der Versuch, bis man die passenden Stromstärken gefunden hat, verdorben ist. Der Versuch kann daher meistens nicht lange fortgesetzt werden. VI. Negative Schwankung. Ohne Aufst. Str. ER R Min. % 21 35 Polarisirende Kette 2 D. 0 0 B 3 pp'=1Cm. 1 » 146 25 pP, 1= 2 Cm. lqa=5Mm. ca» Do * 612 Dr. J. Bernstein: VII. Ohne Aufst. Str. ER R min. % 11 16% Polarisirende Kette 1 D., sonst min. „A 5 » ebenso. min % 30 a 5 62 D 16 Ohne Abst. Str. % % » ”» B B 75 » 4 3 146 12% 4 3 „ 5 Man erkennt im Allgemeinen die Wirkung des polarisirenden Stromes auf die suprapolare Strecke. Der aufsteigende Strom vergrössert, der absteigende verkleinert die negative Schwan- kung, so lange man sich in den Grenzen sehr schwacher Ströme bewegt. Ist dies nicht der Fall, so treten Abweichungen ein, die sich auch schon in den angegebenen Versuchen zeigen und deren Bedeutung erst aus dem zweiten Theile dieser Unter- suchung klar werden wird. c) Reizung der intrapolaren Strecke. Die Anordnung, deren ich mich bediente, ist der Pflüger’- schen gleich. Die polarisirenden Elektroden pp’ sind gleich- zeitig die erregenden, indem das Rheochord in den Kreis der secundären Spirale eingeschaltet ist. Auch hier hat man sich zunächst in den Grenzen sehr schwacher Ströme zu halten, da man sonst argen Täuschungen ausgesetzt ist. NE. Negative Schwankung. Ohne Aufst. St. ER R min. 2 120 27% Polarisirende Kette 2 D. ) 1 76 = " Pp/ 2 Mm! 0 2 145 27 p'l=2Cm. () %, 115 26 lq=5Nm. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 613 IX. Ohne Abst. Str. ER R min. % 146 32 Polarisirende Kette 1 D. 0 1 5 e pp/=1 Cm. 0 2 5 5 p'l= 2% Cm. min % - > lg — 5. Mm: Ar Ohne Abst. Str ER R 0 1 146 Sl Polarisirende Kette 1 D. min. l 4 Sl PP 70m: % l Pr 5 p t=2.,3Ch: min. % 5 32 lq=5 Mm. 3 a 60 31,5 In diesen Versuchen besteht die Wirkung des schwachen polarisirenden Stromes unverkennbar in einer Verstärkung der negativen Schwankung, mag derselbe nun auf- oder absteigend gerichtet sein. Vergleicht man nun die aus den drei Versuchsreihen erhal- tenen Resultate mit den Erscheinungen des Pflüger’schen Kat- und Anelektrotonus, so erscheint die Analogie beider Zu- stände in die Augen springend. In der That vertritt in den angeführten Versuchen das Galvanometer nur die Stelle des Muskels, und was an diesem die Zuckung bedeutet, das be- deutet an jenem die negative Schwankung. In der infrapolaren Strecke (myopolar) erzeugt der absteigende Strom Verstärkung der negativen Schwankung — absteigender extrapolarer Katelektrotonus, der aufsteigende dagegen Schwächung der- selben — absteigender extrapolarer Anelektrotonus. In der suprapolaren Strecke (centropolar) bringt der aufstei- sende Strom Verstärkung der negativen Schwankung hervor — aufsteigender extrapolarer Katelektrotonus, der ab- steigende dagegen wiederum Schwächung derselben — auf- steigender extrapolarer Anelektrotonus. Auch die intrapolare Strecke zeigt dieselbe Analogie. Be- kanntlich erhöhen schwache Ströme die Erregbarkeit derselben und versetzen sie in den Zustand des Katelektrotonus. In Uebereinstimmung damit erscheint auch die negative Schwan- kung in diesem Falle verstärkt. 614 Dr. J. Bernstein: Die Wirkung starker Ströme bleibt vor der Hand noch un- aufgeklärt) so lange der Einfluss des dabei erscheinenden elek- trotonischen Zuwachses nicht festgestellt ist. Nur das Eine will ich an diesem Orte vorwegnehmen, dass es nämlich bei der Reizung der supra- und intrapolaren Strecke polarisirende Stromstärken giebt, welche die negative Schwankung ganz ver- nichten. Diese Thatsache entspricht demjenigen Fall der Pflüger’schen Versuche, in welchem der Zuckung erregende Vorgang sich durch eine stark polarisirte Nervenstrecke nicht mehr fortpflanzt. Wir sehen mithin in diesen Versuchen die vollkommenste Uebereinstimmung der negativen Schwankung mit dem Zuckung erregenden Vorgange, was das Verhalten bei- der gegen die Einwirkung des constanten Stromes anbetrifft. Wenn man daher glaubte annehmen zü dürfen, dass beide Pro- zesse in der innigsten Beziehung stehen, so sind die gefunde- nen Thatsachen eine wesentliche Stütze dieser Ansicht; ja man wird vielleicht geneigt sein, sich der Vermuthung hinzugeben, dass beide Prozesse am Ende identisch sind. 1. Der Einfluss des elektrotonischen Zuwachses auf die negative Schwankung des Nervenstroms. Wir wenden uns nun der Frage zu, wie sich die negative Schwankung verhält, während die abgeleitete Nervenstrecke sich in der einen oder anderen Phase des elektrotonischen Zustan- des befindet, und stellen diese Frage, ohne uns zuvor auf theo- retische Erörterungen einzulassen, der experimentellen Ent- scheidung anheim. Zu diesem Zwecke ist es nothwendig, sich stärkerer Ströme als bisher zu bedienen, und mit den polarisirenden Elektroden der abgeleiteten Stelle näher zu rücken. Auch die erregenden Ströme sind meistens stärker gewählt als in den früheren Ver- suchen. Dies ist um deshalb nothwendig, damit der Einfluss der grösseren oder geringeren Erregbarkeit des Nerven, die der polarisirende Strom erzeugt, möglichst verschwinde, was nicht immer erreicht werden kann. Dieser Einfluss ıst um so stärker, Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 615 je näher die erregenden Elektroden den polarisirenden sind. Es kommt daher in den folgenden Versuchen nicht darauf an, die Erregung in der Nähe der Pole anzubringen, andererseits muss man sich auch hüten, die Reizelektroden der abgeleiteten Stelle zu sehr zu nähern, um nicht Stromschleifen zu erzeugen. Betrachten wir nun zunächst den Fall, in welchem sich die er- regenden Elektroden in der infrapolaren Strecke befinden. A. Reizung in der infrapolaren Strecke. a. Ableitung von Längsschnitt und Querschnitt. XI, Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R % % 0 24 pp‘=12 Mm. min. 1 10 a p’l1= 12 Mm min. y/ 25 % lq=6 Mm. 0 » 50 » In der Rubrik PR bedeutet 0 73 100 ” 1 Gr. Strom eines Grove ohne 0 % I. D) Rheochord. 0 1 JUNE 5 7) 2 - 23,5 1 % IV: 2 % > V. » 1, 1, vI. B Polarisirende Kette 4 Gr, “ % VLE » Das Verfahren ist ganz so, % % IX. » wie in den früheren Versuchen. % min. X. » Der elektrotonische Zuwachs, % % IE n der bei den stärkeren Strömen 2) min. » » eintrat, wurde auf die früher 2 0 XII. » angegebene Weise jedesmal 1% B » 17 compensitt. 5% 5 . 7,9 5% 4% XII ii 5 4% XIV x 5 4% XV, 2 b) 4h xXVlI s 5 4 XVi. x 4% 3% X. N 41 4 1Gr 5 4 3 4 Gr N Ohne Aufst.Str. . V 3» 4 2 » 616 Dr. J. Bernstein: Dieser Versuch zeigt hauptsächlich die Wirkung des abstei- genden Stromes. Bei'PR 50 fing die negative Phase an, sich bemerklich zu machen; trotzdem verdeckte sie die in dem vor- angegangenen Versuche gefundene Verstärkung der negativen Schwankung, welche eine Folge der erhöhten Erregbarkeit an der gereizten Stelle ist, nicht; dies war sogar der Fall bis zur Stromstärke PR V. Der Grund ist ein doppelter. Erstens be- diente ich mich der schwächsten erregenden Ströme, die eben deutliche Schwankung gaben, und es ist klar, dass bei diesen der Einfluss der Erregbarkeit sich am deutlichsten zeigen wird. Zweitens wachsen während der Dauer eines Versuchs die elek- trotonischen Wirkungen nicht mit der polarisirenden Stromstärke, wenn die einzelnen Beobachtungen so häufig aufeinander folgen wie hier. Vielmehr nimmt unter solchen Verhältnissen die Er- regbarkeit des Nerven für die elektrotonischen Wirkungen schnell ab, und man wird oft bemerken, dass gegen Ende eines solchen Versuches 4 Grove’s nicht mehr leisten, als kurz vorher ein Zweigstrom aus dem Rheochord. Um stärkere elektrotonische Wirkungen zu erzielen, ist es daher gut, gleich mit starken Strömen zu beginnen. Von der Stromstärke PR VI. ab schlug nun aber das Resultat in’s Gegentheil um. Die negative Schwankung fiel constant kleiner aus bei polarisirtem Nerven als bei nicht polarisirtem, und dies zeigte sich noch deutlicher bei Anwendung stärkerer Reize R. 17 und 7!],. RAT. Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R —5% — 3) 4 Gr. 15 Polarisirende Kette 4 Gr. a —3 RR „ pp'=12Mm. —); —2% X j pP, 11 Mm! u ee ig Mm, —2% — V Y ==2 AI: 1% 9 » —1% FEN 1% » » nn _ u —1% —M 80 b) u iR » » —1h —ı! 25 Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 617 XII. Negative Schwankung. Ohne : Abst. Str. »PR u R —2U —% 4 Gr. 15 Polarisirende Kette 4 Gr. Bw —U KEX; n pp’=12 Mm. y — U DL & p'l1=10Mm. Bi) —, IH R lq=4Mm. —1 —+ 0 = Fe 3 —E N » XIV. Ohne Aufst. Str PR R En Aal 0) 9 Polarisirende Kette 4 Gr. —6% TI I x pp‘’=1% Cm. on — 10% II. 4 p’1=10Mm. — 740-114 7 I. 5 lq=4Mm. —1% —11% IM; n —T% —14 VII. RR —T% —14 DNV.TE 2 — —14 XIX. ä 2 ro" Gr. R —7 —11 4 Gr. 4 XV. Negative Schwankung. Ohne Aufst. Str. PR R —3% —7 4 Gr. 9 Polarisirende Kette 4 Gr. 3% —6% XX. 9 pp’=17 Mm. —4 N X. 5 p1l=13Mm. —% —7 II. A lq=4Mm. —4 —6 II --3% 5% I 3 n BR 5); 50 f N 25 , an 10 a —3% — 33 0 „ Diese Versuche zeigen klar, welchen Einfluss die positive und negative Phase des elektrotonischen Zustandes auf die (Grösse der negativen Schwankung hat. Dieselbe wächst in der positiven Phase, welche der aufsteigende Strom erzeugt und sie nimmt ab in der negativen Phase, die durch den absteigenden Strom hervorgerufen wird. Gleichzeitig erkennt man schon hier 618 Dr. J. Bernstein: die Abhängigkeit dieser Veränderung der negativen Schwankung von der Stärke des polarisirenden Stromes. Im Allgemeinen, nicht in jedem einzelnen Falle, nehmen beide mit einander zu und zwar richtet sich dieses Verhältniss wesentlich nach der Stärke des Elektrotonus. Da dieser mit zunehmender Strom- stärke während der Dauer eines Versuches wegen der Abnahme der Leistungsfähigkeit des Nerven nicht immer wächst, so wird man durch stärkere Ströme nicht immer stärkere Wirkungen in dem erwarteten Sinne erzielen. Wir werden bald das Ver- hältniss zwischen Elektrotonus und negativer Schwankung näher kennen lernen. Zunächst führt uns nun die Ueberlegung auf eine wei- tere Frage. Wenn die negative Schwankung in der negati- ven Phase abnimmt und desto mehr je stärker diese ist, giebt es einen Punkt, in welchem sie Null wird und kann sie schliesslich auch nach der entgegengesetzten Seite hin erfolgen, sobald man mit der polarisirenden Stromstärke noch weiter vorgeht? Die folgenden Versuche geben hierauf eine bejahende Antwort. Die bei der Reizung eintretenden Schwankungen haben ein negatives Vorzeichen so lange sie dem unveränderten Nervenstrom entgegengesetzt sind, die mit ihm gleichgerichteten Schwankungen sind mit einem positiven Vorzeichen versehen. XV Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R Polarisirende Kette 4 Gr. —3 — 25 0 15 pp‘=13 Mn. us —_9Us 5 5 p'l=11 Mm. —3 —ı% XX, “ —2% —1 n B —ı1% 1 Gr & 1% RR b) » —ı1% 0 4Gr. a Zu! TER br) ) —1 -+ min. Bode nn E SL ae ne easg SO © Sn MN Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 619 XVIl Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R —1 +3 4 Gr. 0 pp’=18 Mm. ı +24 4 M p'l=11 Mu. m. +2 FOL, 5 lq=4Mm. 4 19 x > —ı +1% V. 5 DT % +14 I. » Zr % hr % 50 » ar % +0 $) ” Es gelingt also wirklich, die negative Schwankung durch den Nullpunkt in die positive Richtung überzuführen, wenn . man durch Verstärkung des polarisirenden Stroms die negative Phase immer mehr und mehr wachsen lässt. Es kommt nun noch darauf an, festzustellen, dass das Wachsen und Fallen der negativen Schwankung direct abhängig ist von der Stärke der eintretenden positiven oder negativen Phase. Bekanntlich hat man sich vorzustellen, dass die durch den elektrotonischen Zu- stand erzeugte Stromentwicklung sich an jeder abgeleiteten Stelle des Nerven zum ursprünglichen Nervenstrom hinzuaddire. Der in der positiven Phase abgeleitete Strom ist demnach die Summe, der in der negativen Phase abgeleitete die Differenz beider. Für die Grösse dieser Differenzen und Summen giebt uns nun die Stellung des Compensationsrheochord X _K' (Fig. 1.) ein richtiges Maass. Ist z. B. nach Schluss des absteigenden Stromes pp‘ durch den Eintritt negativer Phase eine Vermin- derung des Nervenstromes erfolgt, so muss man den Punkt s nach K hin verschieben, um die Scala wieder auf den Null- punkt zu führen, und die neue Entfernung Ks ist nun ein Maass für die eingetretene Differenz. Ueberwiegt endlich die negative Phase den Nervenstrom, so muss der Compensations- strom umgekehrt werden, sind sie beide gleich, so steht das Compensationsrheochord auf Null. Umgekehrt ist natürlich die Verschiebung nach X’, sobald positive Phase vorhanden ist. Unter der Rubrik Cprh. ist nun in den folgenden Versuchen der Stand des Compensationsrheochords, d. h. die Entfernung 620 Dr. J. Bernstein: Ks in Om. angegeben, vor und nach Schliessung der polarisi- renden Kette. Die Zahlen entsprechen also der Stromstärke des vom Nerven abgeleiteten Stromes, sie haben ein positives Vorzeichen, so lange dieser Strom dem ursprünglichen Nerven- strome gleichgerichtet ist, und ein negatives, wenn das Umge- kehrte der Fall ist. Dem entsprechend sind die bei der Rei- zung eintretenden Schwankungen, die dem ursprünglichen Ner- venstrom entgegen sind, mit —, die ihm gleichgerichteten mit + versehen. XVIH. Ohne Strom Abst. Strom ‘Schwank. Oprh. Schwank. Gprh. PR R —2+ +27 —1 +11 ı XX. 15. - Pol. Kette 4°Gr. —2$ +22 —1% + 85% ab pp'=12Mm. —2% +16 —1% +7 DA p’l=12 Mm. —2 +10 —1% + 5% Nas lq=5Mm. a +7% A air 5% 1% Ohne Strom Aufst. Strom 1% +2 U a A —1% +% —3% EI RER a Ar 4 3% +13 X. b) b. Ableitung von zwei Punkten des Längsschnittes. Leichter als bei der Ableitung von Querschnitt und Längs- schnitt erhält man die Umkehr des Stroms in der negativen Phase, wenn man von zwei Punkten des Längsschnittes einen schwächeren Strom ableitet. Da der elektrotonische Zuwachs hierbei an Stärke nicht abnimmt, so braucht man in diesem Falle nicht so starke Ströme anzuwenden. XIX. Negative Schwankung. | Okne Absty Str. ı DR R —2 —h 4 Gr. 15 pp'’=10 Mm. 1%, — N % p’1=9 Mm. —1% —h 5 A 12=5Mm. —1% —K ii R .q=12Mm. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 621 Ohne Aufst.Str. PR R —1% —7 4 Gr. 15 —1% —6% 5 2 1 —8% £.) D) Abst, Str. Aufst. Str. —1 —ı% a au —1 —8% ” » XX. Negative Schwankung. Ohne Abst. Str. PR R 21% N 4.Gr. 15 29 au & A in ar 5 X. » —1% ii %h V. » —1 +% II. ; Ta TE y E ” — IA 50 n —ı +0 10 2 ze Kar % B) b) PP — Lem. p’l1=12 Mm. 1}=4Mm. .q=15Mm. In den nächsten Versuchen ist die jedesmalige Stärke des vom Nerven abgeleiteten Stromes in Compensatorgraden ange- geben. Ohne Strom ———-— Schwank. Cprh. —2 3 +2 +2 Ohne Strom XXI Abst. Strom no ——n Schwank. Cprh. +10 —123 1% 41 XXI. Abst. Strom BRIR 4Gr. 15 0 10 m mn mn mn en Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PR R -4 124 =. 402% —5% +22% 3% +19 ar +17% on +4 0 I. II. 15 $)) b2) Pol. Kette 4 Gr. pp’=2Cm. p'— rr’=6 Mm. ır—1=6Mm. 22:8 Mnı. .q=7Mn. pp’=1% Cm. p’—-ır' =4Mm. rr'—1=6Mm. 12=5 Mm. q=7 Mm. 622 Dr. J. Bernstein: XXIII. Ohne Strom Abst. Strom (rn un ae nn m nn, mm mn nn mn mn Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PR R —1 +24% 0 0 4Gr 15 pp’=17Mm. 4 +21 — => — -— p'-ır=4Mm. Bl oa 0 0 „14 mw-1=7Nm. —1% +24 —h +% ee az. .q=5Nm. Die vorangegangenen Versuche zeigen demnach eine sehr deutliche Abhängigkeit der negativen Schwankung von der Stärke und Richtung der eintretenden elektrotonischen Phase. Verstärkt dieselbe den Nervenstrom, so wächst auch die nega- tive Schwankung, schwächt sie ihn, so nimmt diese ab, und die negative Schwankung wird Null, sobald in der negativen Phase der abgeleitete Strom ganz verschwindet. Die bei der Reizung eintretende Schwankung ist also stets negativ gegen das Vor- zeichen des abgeleiteten Nervenstromes. Man könnte hier bei dieser Gelegenheit gleich die Frage anknüpfen, wie sich die Erscheinungen gestalten werden, wenn man die abgeleitete Stelle 7A weiter nach dem Aequator hin verschiebt, bis der Nervenstrom Null wird und schliesslich dar- über hinaus sein Zeichen umkehrt. Es hat aber einige Schwie- rigkeiten alle sechs Elektroden auf eine Seite des Nerven so anzubringen, dass keine Stromschleifen entstehen, obgleich es mir in einigen Versuchen ganz gut gelungen ist. Ich will da- her die Antwort auf diese Frage auf einen der nächstfolgenden Abschnitte verschieben, wo wir eine bequemere Anordnung zu diesem Behufe kennen lernen werden. Wenn man sich die bisher erhaltenen Resultate zurechtlegt, so würde man dieselben einfach aus der Annahme ableiten kön- nen, dass der im elektrotonischen Zustande vom Nerven abgelei- tete Strom sich verhalte wie ein gewöhnlicher Nervenstrom. Je schwächer er wird, desto schwächer seine negative Schwankung, und umgekehrt. Gleichzeitig verschwindet sie mit ihm ebenso, wie die negative Schwankung verschwindet, wenn man von zwei symmetrischen Punkten eines nicht polarisirten Nerven ableitet, Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u.#. w. 693 und sie nimmt mit der Umkehr des Stromes auch das umge- kehrte Vorzeichen an. Hiergegen dürfen wir einen gegründeten Einwand nicht übersehen. Da nämlich die direct gereizte Stelle zwischen der polarisirten und abgeleiteten liegt, so wäre es möglich, die Er- gebnisse zu erklären, wenn der elektrotonische Zustand sich durch die direct gereizte Stelle schlechter fortpflanze. Dieser Verdacht liegt nahe, wenn man an ein von du Bois-Reymond angestelltes Experiment denkt, in welchem ein Nerv von zwei hintereinander liegenden Stellen polarisirt wurde.!) Hierbei zeigte sich, dass, wenn der den Bäuschen nähere polarisirende Strom stärker war als der entferntere, die durch letzteren erzeugten Phasen nicht mehr wahrgenommen werden konn- ten. Möglicherweise findet nun eine solche Schwächung der Leitungsfähigkeit für den elektrotonischen Zustand auch an der gereizten Stelle statt. In diesem Falle würde in der positiven Phase bei der Reizung der positive Zuwachs schwächer werden und dadurch eine Verstärkung der negativen Schwankung vor- täuschen, und in der negativen Phase würde der negative Zu- wachs kleiner werden und dadurch die negative Schwankung scheinbar schwächen. Man sieht, dass im Allgemeinen sich die Erscheinungen nach dieser Annahme erklären lassen, aber unerklärt würde bleiben, woher in der negativen Phase, wenn der abgeleitete Strom auf Null gebracht ist, die negative Schwankung jedesmal verschwin- det; man müsste geradezu annehmen, dass die Schwächung des elektrotonischen Zustandes, die an der gereizten Stelle statt- findet, der erfolgenden negativen Schwankung des ursprünglichen Nervenstroms immer in der Weise das Gleichgewicht halte, dass die durch beide Vorgänge erzeugten entgegengesetzten Ausschläge des Galvanometers sich aufheben. Dies ist nun in sich so unwahrscheinlich, dass man schon deshalb den ausge- sprochenen Verdacht fallen lassen wird. Vollends aber wird er durch die nun folgenden Versuche beseitigt. 1) Unters. II. p. 350. 624 Dr. J. Bernstein: B. Reizung der suprapolaren Strecke. Fig. 3. Bei der Anordnung, wie sie vorstehende Figur andeutet, findet die Reizung oberhalb der polarisirenden Elektroden statt. Hier gelangt der elektrotonische Zustand zur abgeleiteten Stelle ohne die direct gereizte zu passiren. Es kann also durch die Reizung keine Veränderung in der Leitung dieses Zustandes in dem oben erwähnten Sinne eintreten. Man wird nun wohl von vorn herein erwarten, dass die Er- scheinungen in diesem Falle dieselben sein werden, wie im vo- rigen. Dies ist nun auch im Allgemeinen der Fall; zugleich tritt aber eine neue Erscheinung hinzu, welche wiederum Licht wirft auf einige im ersten Theile dieses Aufsatzes aufgeworfene noch nicht erledigte Fragen. XXIV. Ohne Strom Abst. Strom nn (m mn Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PRR —4 +65% —3% +62 0 15 Pol. Kette 4 Gr. —3% +64 — 4 +37 28. 0: rr’— p=12 Mm. —) +66 —1 +40 AO pp'=12 Mu. a) +64% 0 +23 Les p'’1=8 Mm. —3% +67 0 +0 Run lq=5Mm. XXV. Ohne Strom Abst. Strom (ausm am mans Vom mn mn, samen nn en mn Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PR R an 1 un 0 15 Pol. Kette 4 Gr. AU ol ob 0 Boa 10. 0 Arrlk sp Amine 4 +24 il 1194,.4295 2 0 pple= 10m. —3% +21 —% +21 02% p'1—-2.C0m. —3k +23 0 +22 IRSHNE- lgq=4Cm. U 1m 0 a Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 625 Is XXVl. Ohne Strom "Abst. Strom DE m nn Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PR -R —2 +15 0 2146... 4Gr. 15. Pol. Kette 4 Gr. —1 +14 0 —109 RNEIN Anord. XXI. XXVLU. Ohne, Strom Aufst. Strom 5 ‘Schwank.. Cprh. Schwank. Oprb. PR R 6 Au RE +95 0 15 Pol. Kette 4 Gr. —-6 +95 —-8 +105 108 047 #7°,..p.— 6.Mm —5% +93 +8s% +106 15: 02 pp 1.Cm. ® +90 74, 1109. 20, up 10m. =; +89 or or lg 5. Mm: —5U -+90 44 LIDL 300%, u 90 9 A118. 4:50. 8 190 El #21198 Ba a 90 og 1317,19 ui . 4 197 ) Se ar a ee ) FILE Be, Auch in diesen Versuchen sieht man Anfangs die bereits bekannten Erscheinungen. Wenn man von schwachen Strömen ausgeht, so nimmt in der negativen Phase zunächst die nega- tive Schwankung an Grösse ab, und nimmt in der positiven Phase zu. Zu dieser Wirkung addirt sich aber hierbei noch jene, welche die Veränderung der Erregbarkeit hervorruft, da dieselbe hier in umgekehrtem Sinne wirkt als bei Reizung der infrapolaren Strecke; denn der absteigende Strom macht nega- tive Phase und vermindert die Erregbarkeit der gereizten Stelle, der aufsteigende dagegen macht positive Phase und erhöht ausser- dem noch die Erregbarkeit der gereizten Stelle. Man muss daher beide Wirkungen wohl von einander unterscheiden, und man würde einen grossen Irrthum begehen, wenn man die Er- gebnisse nur aus der veränderten Erregbarkeit ableiten wollte. Dazu würden wir leicht verführt worden sein, wenn wir in dem ersten Theil dieser Untersuchung die Reizung der suprapolaren Strecke zuerst wahrgenommen hätten. ') 1) 8. 8.615. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 40 626 Dr. J. Bernstein: Versuch XXIV. und XXV. zeigen den Unterschied beider Wirkungen, um die es sich handelt. In dem ersteren ist die gereizte Stelle der polarisirten entfernter, die abgeleitete ihr näher, im letzteren umgekehrt. Dieser lässt demnach bei schwä- cheren Strömen hauptsächlich die Veränderung der Erregbarkeit sehen, jener hauptsächlich die Wirkung der negativen Phase. Wenn nun aber die polarisirenden Ströme stärker wer- den, so kommt noch eine andere Erscheinung zu Tage, die man nach allem Vorangegangenen wohl erwarten musste. Die ne- gative Schwankung nimmt nämlich hierbei ab und bleibt schliesslich ganz aus bei einer gewissen Stromstärke, gleichgül- tig welche Richtung der polarisirende Strom habe, und sie er- scheint nicht wieder, wenn man die Ströme weiter verstärkt. Is gelingt demnach in diesem Falle nicht, bei Umkehr des vom Nerven abgeleiteten Stromes in der negativen Phase die negative Schwankung durch Null hindurchgehen und die ent- gegengesetzte Richtung annehmen zu sehen. Die Erklärung dieser Erscheinung liegt auf der Hand. Aus demselben Grunde, weshalb in den Pflüger’schen Versuchen die Reizung der centropolaren Strecke bei starkem auf- oder absteigendem Strom keine Zuckung erzeugt, bleibt auch hier die negative Schwankung aus. Ihre Fortleitung ist eben beein- trächtigt durch die Strecke herabgesetzter Erregbarkeit, welche sie durchlaufen muss, um zur abgeleiteten Stelle zu gelangen. C. Reizung der intrapolaren Strecke. Es war nun vorauszusehen, dass die Reizung der intrapo- laren Strecke nichts Neues mehr bieten würde. Der folgende Versuch, in dem die Anordnung ganz so war wie oben S. 612, überzeugt hiervon. XXVI. Ohne Aufst. Str. Abst. Str. PR R Pol. Kette. = 2 —2% on 0 24 2D. pp’ =12 Mm. ei —2% —h a 2 p’1=12 Mm. = | —Y RhN 1... lqa=5 Mm. —ı1% -8 0 29 020 2 ER 3 3 —h 80 b>) » N 2 —2% — b) b} B) —h a) —h 100 21% 5 Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 627 D. Reizung der contrapolaren Strecke. Die bisher erlangten Resultate liessen sich, wie bereits oben erwähnt, alle erklären unter der Annahme, dass der im elek- trotonischen Zustande vom Nerven abgeleitete Strom sich in Bezug auf die negative Schwankung wie ein ursprünglicher Nervenstrom verhalte. Dieser Erklärung entgegen betrachteten wir die Möglichkeit, dass durch eine Beeinträchtigung in der Leitung des elektrotonischen Zustandes durch die gereizte Stelle ein ähnliches Resultat vorgetäuscht werden könnte, und suchten dieselbe zu widerlegen durch Anbringung des Reizes in die suprapolare Strecke. Dies ist nun zum Theil gelungen, aber einer vollständigen Beweisführung tritt der Umstand hindernd entgegen, dass bei starken Strömen die Erregung sich durch die polarisirte Strecke nicht fortpflanzt. Glücklicherweise besitzen wir nun noch schliesslich eine vierte Anordnung, die alles Gewünschte leistet. Dieselbe .be- steht darin, die polarisirenden und erregenden Elektroden ein- ander gegenüber zu den beiden verschiedenen Seiten der abge- leiteten Stelle des Nerven anzubringen, wie es nachstehende Figur zeigt. Bei dieser Anordnung braucht erstens weder der Fig. 4. elektrotonische Zustand die gereizte Stelle, noch die negative Schwankung die polarisirte Stelle zu passiren, um den ableiten- den Bogen zu erreichen. Zweitens liest die gereizte Stelle so weit von der polarisirten ab, dass der Einfluss der veränderten Erregbarkeit so gut wie ganz verschwindet. Wir werden also den Einfluss des elektrotonischen Zuwachses auf die negative Schwankung hier ganz rein beobachten können. Hierbei haben wir den Vortheil, dass die schwachen Ströme des Länssschnitts, deren wir uns nur bedienen können, schon durch schwache po- larisirende Ströme leicht umgekehrt werden. Die jenseits der 40* 628 Dr. J. Bernstein: Bäusche den Polen gegenüberliegende Nervenstrecke können wir die contrapolare Strecke nennen. a) Der Aequator liegt zwischen der abgeleiteten und polarisirten Stelle. XXIX. Ohne Strom Abst. Strom nn Schwank; Cprh. Schwank. Cprh. Dr R —4 +% +1 —h 25 15 Pol. Kette 4 Gr. en —, +% Lj —h 1T.! „s2 pıl=-10Mm: | 14=4Mm. +— ı =12 Mm. XXX. Ohne Strom Abst. Strom Schwank. Cprh. Schwank. Cor. PRR —ı% +3% —1 —10 25 15 Pol. Kette 4 Gr. —, +1% +% —10 50.1508: PP 10m. ar +1% +% 1 1.00% p'l=5 Mm. = +1% +2% —37 V. :„ -141=3Mm. .— ır! =8Mm. In diesen Versuchen erzeugte der absteigende Strom nega- tive, der aufsteigende positive Phase. Dem entsprechend nahm im ersten Falle die negative Schwankung ab, ging durch Null hindurch, sobald der abgeleitete Strom verschwand, und nahm mit der Umkehr dieses Stromes auch das umgekehrte Vorzei- chen an. Im zweiten Falle nahm die negative Schwankung mit wechselndem elektrotonischen Zuwachse zu. b) Der Aequator liegt zwischen der abgeleiteten und gereizten Stelle. Bei dieser Anordnung ruft der absteigende Strom positive und der aufsteigende negative Phase hervor. Wir werden also dieselben Erscheinungen erwarten wie im vorigen Falle, mit dem Unterschiede, dass die polarisirenden Ströme in umgekehr- tem Sinne wirken, “ Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 629 XXXI. Ohne Strom Aufst. Strom a ‘Schwank. Crph. Schwank. Uprh. PRR —h +7 +3% —14% II. 15 Pol. Kette 4 Gr. Abst. Str. pp'=1Cm. Y +2% —, +6 er A pel 6me n N Aufst. Str. 11=4Mm. Y +3 +34 92,18: ]Ven , el Car Lid Min. — +% 12% ERS Abst. Str. —! +% —1 or alGre, c) Ableitung von zwei symmetrischen Punkten des Nerven. Ist die Anordnung so getroffen, dass der Nervenstrom Null ist, so ist bekanntlich auch die negative Schwankung Null. Bei Einwirkung polarisirender Ströme zeigt sich hierbei der elek- trotonische Zuwachs allein ohne Einmischung eines ursprüng- lichen Nervenstroms. Es ist daher dieser Fall von besonderem Interesse, da es sich dabei herausstellen muss, ob der elektro- tonische Strom für sich allein die Eigenschaft hat, bei der Rei- zung negative Schwankung zu zeigen. XXXI. Der durch den absteigenden Strom erzeugte Zuwachs ist +, der umgekehrte — bezeichnet. Ohne Strom Aufst. Strom Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PRR 0 0 4% —12 50 15 Pol. Kette 4 Gr. 0 0 +6 —15% 1.28 pp‘ = 10 Mm. 0 0 +7 —20 Be p'1=10 Mm. 0 0 TEN E95 v. „ 12=4Mn. 0 0 +7 — 27 BE —ır' =12Mm. Abst. Str. 0 ) 1% +3 2 Aufst. Str. 0 0 +7 =B8 ANı, Abst. Str. (6) 0) —2% +1% E) » Aufst. Str. 0 0 +84 7, Abe, Abst. Str. Ö ) —1% +3%. v0 = 630 Dr. J. Bernstein: Dieser Versuch lässt sich auch am du Bois-Reymond’- sehen Nervenmultiplicator recht gut demonstriren; die Einrich- tungen sind dieselben wie bisher. Die Compensation ist nicht nothwendig, wenn es sich nicht um Messung der Ausschläge und Stromstärken handelt. Nachdem man sich überzeugt hat, dass die symmetrische Anordnung des Nerven keinen Strom giebt und dass bei der Reizung die Nadel unbeweglich auf dem Nullpunkte bleibt, schliesst man den polarisirenden Strom und sucht durch geeignetes Oeffnen und Schliessen des Multiplica- tor-Kreises die Nadel schnell in ihrer abgelenkten Lage zur Ruhe zu bringen. Reizt man nun den Nerven, so erfolst sofort ein hückschwung der Nadel nach dem Nullpunkte und bei star- ker Reizung darüber hinaus. Jetzt schliesse man den polarisi- renden Strom nach der anderen Richtung; der elektrotonische Zuwachs ertheilt jetzt der Nadel die entgegengesetzte Ablen- kung als vorher. Reizt man nun wiederum, so kehrt sie eben- falls nach dem Nullpunkte zurück. In beiden Fällen geht die Nadel wieder nach ihrer abgelenkten Stellung zurück, wenn man mit der Reizung aufhört. Schliesst man den Multiplicator- kreis während der Reizung, so erfolgt ein geringerer Ausschlag in demselben Sinne als ohne Reizung. Wir sehen also, dass in denjenigen Fällen, in welchen der elektrotonische Strom allein zum Vorschein kommt, ebenfalls bei der Reizung ein Sinken dieses Stromes eintritt, ganz in derselben Weise wie bei einem abgeleiteten Strom eines nicht polarisirten Nerven. | Wir haben uns bisher stets der elektrischen Reizung bedient, nachdem wir alle Bedenken hinweggeräumt haben, nach denen man elektrotonische Wirkungen dieser Reizung zu befürchten hätte. Um hierin ganz sicher zu gehen, habe ich den letzten Versuch auch mit Anwendung mechanischer Reizung vorgenom- men. Dieselbe wurde erzielt mit Hülfe des mechanischen Te- tanomotors, während alle übrigen Einrichtungen und Anordnun- gen dieselben blieben. Während nun bei symmetrischer Lage des Nerven die Reizung keine Ablenkung im Spiegelgalvano- meter hervorbrachte, erzeugte sie bei aufsteigend polarisirtem Nerven einen Ausschlag von 2°, bei absteigend polarisirtem . Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 631 Nerven einen von °/,°, beidemal in negativem Sinne zur Rich- tung des elektrotonischen Stromes. Es unterliegt nunmehr keinem Zweifel, dass die durch den elektrotonischen Zustand im Nerven hervorgerufene Stroment- wicklung sich bei der Reizung ebenso verhalte wie ein gewöhn- licher Nervenstrom; sie-zeigt hierbei das Phänomen der nega- tiven Schwankung. Die Grösse derselben wächst mit der Grösse des elektrotonischen Zustandes bei gleichbleibender Reizung, wenn die polarisirenden Ströme ein gewisses Maximum, das die Erregkarkeit des Nerven vernichtet, nicht überschreiten. Theoretische Betrachtung der Versuche. Wenn wir nun die Ergebnisse der vorangegangenen Versuche in’s Auge fassen, so müssen wir zwei Wirkungen des elektro- tonischen Zustandes auf die negative Schwankung. von einan- der wohl unterscheiden. Die eine besteht in der Veränderung der Erregbarkeit an der gereizten Stelle, die andere wird her- vorgerufen durch den elektrotonischen Zuwachs än der abgelei- teten Stelle des Nerven. Die erste dieser Wirkungen suchten wir isolirt von der an- deren zu erhalten, indem wir die abgeleitete Stelle von der polarisirten weit entfernten und uns nur schwacher Ströme be- dienten. Denken wir uns nun den Fall, dass uns ein Nerv . von der Länge zu Gebote stände, dass selbst sehr starke pola- risirende Ströme keinen merklichen Elektrotonus an der abge- leiteten Stelle geben, so würden sich die Erscheinungen der veränderten Erregbarkeit in den erfolgenden negativen Schwan- kungen rein aussprechen. Betrachten wir den einfachsten Fall, in welchem die Anord- nung von Fig. 1. stattfindet, und stellen wir uns den Vorgang, der bei der Polarisation eintritt, graphisch dar. In umstehender Figur stellen die Abseissen pp‘ die Stärke des polarisirenden Stromes vor, der in O0 Null ist, nach p gerichtet positive, nach p' negative Phase macht. Die positive Ordinate On sei die Höhe des Nervenstroms im unpolarisirten Zustande. .Ist nun die abgeleitete Stelle weit genug entfernt von der polarisirten, so bleibt die Curve des Nervenstroms eine mit pp' Parallele 632 Dr. J. Bernstein: ER Fig. 2. + n'nn'' sowohl bei auf- als absteigendem Strome. Ferner sei die negative Ordinate o s gleich der Grösse der negativen Schwankung bei unpolarisirtem Nerven, so wird dieselbe mit wachsendem aufsteigenden Strome abnehmen und bei einer ge- wissen Stromstärke Null werden, mit absteigendem Strome aber wachsen. Diese Veränderungen stellt nun die Ourve s'ss‘‘ dar, welche in s’ die Abseisse erreicht und in s'’‘ einem Maximum sich asymptotisch anschliessen muss. Den zweiten derjenigen Einflüsse, welche die Polarisation des Nerven auf die negative Schwankung ausübt, suchten wir nun umgekehrt von dem ersten zu isoliren, indem wir die polarisirte Stelle in die Nähe der abgeleiteten brachten, die erregenden Ströme stärker wählten und schliesslich die gereizte Stelle so- weit als möglich von der polarisirten entfernten. Der idealste Fall würde der sein, in welchem wir an einem hinreichend langen Nerven die Anordnung von Fig. 4 auf 5. 627 anbrächten. Es sei nun wiederum in nachfolgender Figur p op’ die Ab- scisse der polarisirenden Stromstärken, deren Nullpunkt in o ist, on der ursprüngliche Nervenstrom, os die dazu gehörige ne- gative Schwankung. Erzeugt nun der polarisirende Strom po- sitive Phase, so wächst der abgeleitete Strom in einer Curve nn, und ebenso die negative Schwankung in einer entsprechenden Curve ss,. Tritt dagegen negative Phase ein, so sinkt der ab- geleitete Strom und wird in n, Null und nach n, hin negativ. Dem entsprechend sinkt die negative Schwankung in einer Curve snys., die in n, die Abscisse schneidet und nach s, hin positiv wird. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 699 an -- = Q N & S +2 ı ge) on .-_ Eu „I N N Tr N R nn Hiernach lässt sich nun das Gesetz, nach welchem die ne- gative Schwankung sich durch den Elektrotonus der abgelei- teten Stelle ändert, folgendermassen aussprechen: „Die bei der Reizung entstehende Schwankung des von einem polarisirten Nerven abgeleiteten Stro- mes ist stets eine negative Function desselben.“ 634 Dr. J. Bernstein: Hieraus lassen sich nun alle Erscheinungen, die wir in den angeführten Versuchen beobachtet haben, einfach ableiten. . Die negative Schwankung muss wachsen in der positiven, sinken in der negativen Phase, sie muss Null werden, wenn der abgelei- tete Strom verschwindet, und positiv werden, wenn er sich um- kehrt. Endlich ist die negative Schwankung des elektrotonischen Zuwachses für sich bei Ableitung von zwei symmetrischen Punk- ten des Nerven nur ein specieller Fall des allgemeinen Gesetzes. Derselbe wird durch Fig. 6 auf Seite 633 wiedergegeben, wenn wir den Punkt O nach n, hin verlegen. Diese Erscheinungen können nun auf zweierlei Weise zu Stande kommen. Betrachtet man den von einem polarisirten Nerven abgeleiteten Strom als entstanden aus zwei elektromo- torischen Kräften, von denen die eine den ursprünglichen Ner- venstrom, die andere den elektrotonischen Zuwachs erzeust, so muss man auch die negative Schwankung beider getrennt von einander betrachten. Dieselben summiren sich nun in der positiven Phase, und subtrahiren sich in der negativen Phase. Da sie ferner einander jedesmal aufheben, sobald die beiden elektromotorischen Kräfte gleich und entgegengesetzt wirken, so geht daraus hervor, dass die negative Schwankung eines elek- trotonischen Zuwachses von beliebiger Höhe gleich ist der ne- gativen Schwankung eines ursprünglichen Nervenstroms von der- selben Höhe. Das heisst, die negative Schwankung des elek- trotonischen Zuwachses wird durch dieselbe Function ausge- drückt wie die des natürlichen Nervenstroms. It s=—- f(n), so ist ss, =- f(*n) wenn n Nervenstrom, s seine negative Schwankung, #n den elektrotonischen Zuwachs und s, seine negative Schwankung bedeutet. Wenn nun auch diese Anschauungsweise geeignet ist, um die elektrotonischen Veränderungen des Nervenstroms zu erläu- tern, so wird man doch in Wirklichkeit nicht zwei verschiedene elektromotorische Kräfte ım polarisirten Nerven annehmen wollen. Vielmehr ergiebt sich aus der von du Bois-Reymond auf- gestellten Molecularhypothese, dass die elektrotonischen Erschei- nungen sich erklären aus einer veränderten Anordnung der Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 635 kleinsten elektromotorischen Elemente des Nerven. Demge- mäss ist der von einem polarisirten Nerven abgeleitete Strom immer nur ein grösserer ‚oder geringerer Zweigstrom aus dem Kreise jener elektromotorischen Elemente, und die erfolgende negative Schwankung ist dann auch als eine negative Schwan- kung dieses Zweigstroms anzusehen. Nun haben wir in unsern Versuchen beobachtet, dass die Ströme sich in Bezug auf die negative Schwankung gerade so verhalten wie Nervenströme eines unpolarisirten Nerven. Es ist daher mit grosser Wahr- scheinlichkeit anzunehmen, dass die negative Schwankung s, eines polarisirten Nerven auch dieselbe Function des abgeleite- ten Stromes ist, wie beim unpolarisirten Nerven. Das heisst, es ist 8=—/(n*n). Wir kommen hiermit auf einen anderen Ausdruck des vorhin aufgestellten Satzes, den wir bereits auf S. 622 vorweggenommen haben, und der lautet: Jeder von einem polarisirten Nerven abgeleitete Strom ist in Bezug auf seine negative Schwankung anzusehen wie ein natürlicher Nerven- strom von derselben Höhe und Richtung. So verhalten sich nun die Dinge, so lange wir beiderlei Ein- wirkungen des BElektrotonus auf die negative Schwankung ge- trennt beobachten. Complieirter dagegen werden die Erschei- nungen, sobald sich beide Einflüsse mit einander mengen. Ent- steht Katelektrotonus an der gereizten Stelle und positive Phase an der abgeleiteten, so werden beide Wirkungen einander verstärken, ebenso wenn Anelektrotonus mit negativer Phase zusammenfällt. Fällt aber Katelektrotonus mit negativer und Anelektrotonus mit positiver Phase zusammen, so schwächen sich die Wirkungen gegenseitig. Es ist klar, dass nun die negative Schwankung eine neue Function zweier Veränderlichen ist, nämlich der Erregbarkeit & an der gereizten Stelle und des abgeleiteten Stromes n#n. Von dieser Function wissen wir nun durch die Beobachtung, dass wenn eine der beiden Ver- änderlichen Null wird, die ganze Function ebenfalls Null wird. Ihre allgemeine Form ist also _ S=-Eemntn).g (eon&n) Das heisst: Ist der abgeleitete Strom des polarisirten Nerven Null, so verschwindet die negative Schwankung, mag die Er- - 7 636 . Dr. J. Bernstein: regbarkeit noch so gross sein, und umgekehrt verschwindet sie auch wenn die Erregbarkeit Null wird, gleichgültig wie gross auch der elektrotonische Zuwachs ist. Die Curve, welche die- ser Function entspricht, kann sehr complicirt sein, und bedeu- tend abweichen von der, welche in Fig. 6 Seite 633 angegeben ist. Wir haben im Verlauf der vorangegangenen Versuche schon Gelegenheit gehabt, solche Abweichungen kennen zu lernen. !) Sie waren auch die Ursache, weshalb die Resultate in meinen ersten Versuchen so verworren erschienen, da beide genannten Einflüsse durch einander wirkten. Am deutlichsten erkennt man sie in dem Falle, in welchem die infrapolare Strecke mit nicht zu starken Strömen gereizt wird, während man die pola- risirte Stelle in eine mittlere Entfernung von der abgeleiteten anbringt, wie folgendes Beispiel zeigt. Ableitung von zwei Punkten des Längsschnitts. Ohne Strom Aufst. Strom m Schwank. Cprh. Schwank. Cprh. PR R —2% -+46 2% +71 4Gr. 15 Pol. Kette 4 Gr. —24 +39% —2% +58% XX. „ pp=14Mm. —2 437% -2% +58 X. „ - pP -rr=5Mm. 2 +41 —3 +53% Ver„.. 1 1-5 Mm —2 +40 —3 +49 Im ev 140 2% 149 I. „ %q=3Mm. _2 a N 144 0 a) 136 100% +39% 50x , Bi) 136 24 +38% 5, —2 +41 2 +41 10.55 Die Curve der negativen Schwankung auf die polarisirende Stromstärke bezogen, würde in diesem Falle zuerst der Abseisse beinahe parallel sein, sich dann bis zur Stromstärke V erheben und dann wieder sinken. Es hat kein grosses Interesse, diese Complicationen noch weiter zu verfolgen, nur sei noch erwähnt, dass bei Reizung der suprapolaren Strecke noch eine dritte Variable hinzukommt, nämlich die Leitungsfähigkeit der polarisirten Strecke. 1) 5. Versuch XI. Untersuch. über die Natur des elektroton. Zustandes u. s. w. 637 Der erste Theil unserer Untersuchung führte uns zu dem Resultat, dass die negative Schwankung sich gegen den elek- trotonischen Zustand gerade so verhalte, wie der Zuckung er- regende Vorgang. Hiermit stehen nun die im zweiten Theile erhaltenen Resultate keineswegs im Widerspruch, wie es zuerst erscheinen möchte. Zwar erhält man in gewissen Fällen eine stärkere negative Schwankung, in welchen man schwächere Zuckungen sehen würde und umgekehrt, auch verschwindet erstere in Fällen, wo sich starke Zuckungen zeigen würden. Allein der Grund dieses nur scheinbaren Widerspruches liegt darin, dass der Vorgang, welcher negative Schwankung erzeugt, an einer Stelle im Nerven vorhanden sein kann, ohne nach aussen hin auf den Multiplicator zu wirken. Aus demselben Grunde ist es nicht möglich, von zwei symmetrischen Punkten eines Nerven negative Schwankung zu erhalten, trotzdem sich dieser Vorgang durch dieselbe Stelle hindurch fortpflanzt. Schliesslich will ich noch bemerken, dass die gefundenen Thatsachen der physiologischen Bedeutung des elektrotonischen Zustandes einen grösseren Werth beilegen. Unter der Voraus- setzung, dass die elektrotonischen Erscheinungen sich erklären liessen durch verschiedene Leitungsfähigkeit differenter Substan- zen im Nerven, würde man es mit einfachen Zweigströmen des polarisirenden Stroms zu thun haben. Auch wäre es möglich, dass sich diese über eine Durchschnittsstelle nicht fortpflanzten. Daran kann aber jetzt nicht mehr gedacht werden, denn nim- mermehr könnten solche Ströme bei der Reizung des Nerven negative Schwankung zeigen. 638 0, B. Reichert: Ueber die contractile Substanz und den feineren Bau der Campanularien, Sertularien und Hydriden. [ (Gelesen in der Sitzung der Akademie am 23. Juli 1866.) Von GC. B. REICHERT. Ergebnisse. 1. An den Campanularien und Sertularien sind, wie auch bei andern Zoophyten, mit Allman zwei Theile zu unterschei- den: die eigentlichen Polypen oder die Polypenköpfe im unge- schlechtlichen oder geschlechtlichen Entwickelungszustande, und der Träger dieser Polypenköpfe, nach Allman Üoenosare, nach van Beneden substance commune, das Coenenchym späterer Autoren. Der 'Träger der Polypen ist ein jugendlicher Zustand dieser Thiere, aus welchem durch Knospenbildung die sogenann- ten Polypen oder Polypenköpfe hervorgehen; man kann ihn passender den „Polypenstamm” (Polypophylon) nennen. 2. Bei den von mir untersuchten Campanularien und Sertu- larien zerfällt der Polypenstamm stets in einen Abschnitt, der, zur Befestigung des Polypenstockes dienend, die Wurzeln Sto- lonen oder den „Wurzelstock” darstellt, — und den einfachen oder verzweigten „Stengel”, welcher endständig oder wandstän- dig die Polypen unmittelbar trägt. 3. Am Polypenkopfe treten als schon anerkannte unterscheid- bare Abtheilungen hervor: das Mundstück (trompe buccale van Beneden) und der Magen (l’estomac v. B.; post buccale cavity Ueber die contractile Substanz u. s. w. 639 All.; cavitE post buccale Miln. Edw.) mit dem Fühlerapparat. Bei den ungeschlechtlichen Polypenköpfen der Campanularien und Sertularien muss noch das „Uebergangsstück” des „Magens’”’ zum „Stengel”, besonders hervorgehoben werden. Dasselbe liest bei den Campanularien und Sertularien im Grunde der Glocke oder der Zelle des Polyparium. Es pflegt dieser Ab- schnitt der Glocke oder der Zelle zuweilen äusserlich, häufiger an der Innenfläche durch einen ring- oder halbringförmigen Vor- sprung von dem übrigen Theile sich abzusondern, so dass das Uebergangsstück in einer mehr oder weniger abgekammerten Höhle der Zelle seine Lage hat. Lister hat den ringförmigen Vorsprung bei den Campanularien das Diaphragma oder Septum genannt. Ausserdem machen sich noch zwei zwischen den drei - Abtheilungen gelegene verengte Stellen bemerkbar, von welchen die zwischen Mundstück und Magen eingeschobene die „Schlund- enge” und die zwischen dem Magen und Uebergangsstück in der Oefinung des sogenannten Diaphragma gelegene die „Pfört- nerenge’” heissen mag. — Bei vielen hierher gehörigen Gattun- sen trägt der Stengel die durch ihre Nesselorgane besonders ausgezeichneten Nebenköpfe, am häufigsten in der Umgebung der Polypenköpie als scheinbare Anhänge derselben. 4. Bei den Hydriden geht der Magen ohne deutlich abge- grenztes Uebergangsstück in den Polypenstamm oder Fuss über; auch die Pförtnerenge ist äusserlich nicht markirt, giebt sich aber bei Abschliessung der Magenhöhle von dem Hohlraum des Fusses zu erkennen. Die Hydriden einerseits und die Cam- panularien und Sertularien andererseits unterscheiden sich ferner dadurch, dass die ersteren nackt sind und kein Polyparium be- sitzen, endlich noch besonders durch den Bau der Fühler. 5. Die Campanularien, Sertularien und Hydriden bestehen, wie allseitig anerkannt wird, in allen Abschnitten, von den Armen zunächst abgesehen, aus zwei Hauptbestandtheilen oder Schichten, dem von Allman sogenannten Ectoderm und dem Endoderm. Zwischen diesen beiden Hauptschichten ist überall noch ein dritter accessorischer Bestandtheil, die von mir ge- nannte „Stützlamelle” oder „Stützmembran”, eine Art inneres Skelet, eingeschoben. Derselbe ist bereits von Leydis und 640 ©. B. Reichert: Kölliker (Dasement membrane) vermuthungsweise aufgestellt. Allman hat wohl die Stützlamelle zur Muskelfaserschicht ge- macht. 6. Das Ectodern besteht im entwickelten Zustande nicht aus Zellen; es ist kein Epithel, wie allgemein angenommen wird, es ist die eigentliche und einzige contractile Substanz der Polypen, vergleichbar derjenigen der Polythalamien, enthält ein- sebettet die Nesselorgane, zuweilen auch Pigmentkörnchen, sonst aber auch nicht die geringste Spur von Kernen oder von irgend einem Zellenbestandtheil. Die contractile Substanz selbst ist völlig durchsichtig und von völlig gleichartiger homogener Beschaffenheit, wie bei den Polythalamien. Den Anschein eines zelligen Baues gewinnt sie nur bei gewissen Contractionszustän- den, namentlich bei dem papillaren. 7. Bei dem Uebergange der Rindenschicht aus dem Zustande der Ruhe in den sogenannten activen Contractionszustand nimmt dieselbe an Dicke zu, es erscheinen ferner auf der äusseren Fläche Knötchen, Wärzchen, papillenartige Vorsprünge, Wülste an beliebiger Stelle, in beliebiger Zahl und in beliebiger Grösse. Die Wülste sind regelmässig quer gerichtet, mehr weniger vollständig den Hohlkörper umfassend. Solche ringförmige Wülste bilden sich aber nur an den sehr beweglichen Abthei- lungen des Körpers, bei den Hydriden also überall. Bei der Hydra können Kopf und Fuss auf diese Weise ein sehr regel- mässig geringeltes Ansehen annehmen. Auch die Contractions- papillen erscheinen zuweilen sehr regelmässig vertheilt und be- dingen dadurch die polyedrische Epithelzeichnung, als deren Kerne zerstreut und versteckt liegende Nesselorgane gedeutet worden sind. 8. Die papillenartigen Vorsprünge können sich bis zu wirk- lichen Wurzelfüsschen verlängern, die in den meisten Fällen zur Befestigung des Körpers benutzt werden. Bei der Hydra wurden solche Wurzelfüsschen am Rande der Fusscheibe beob- achtet; bei den Campanularien und Sertularien kommen sie mehr vereinzelt am Stamm, häufiger und oft in grösserer Zahl an dem „Uebergangsstück’” vor. Die Wurzelfüsschen setzen sich hier mittelst, einer scheibenförmigen Erweiterung an das Poly- Ueber die contractile Substanz u. s. w. 641 parium fest und sind als angeblich stabile Befestigungsbänder in den Zeichnungen früherer Schriftsteller mehr weniger deut- lich angedeutet. Bei den Hydriden entwickeln sich solche Wurzelfüsschen von faserähnlicher Form in grösserer Zahl auch an der Innenfläche der contractilen Schicht und setzen sich an die Stützlamelle fest. Es sind dies die von Kölliker erwähn- ten Muskelfasern der Hydriden. Fadenförmige Pseudopodien mit der sogenannten Körnchenbewegung wurden nicht beob- achtet. 9. Der zweite Hauptbestandtheil der Hohlkörperwand, das Endoderm, besteht überall aus einer einfachen Zellenschicht, die epitheliumartig ausgebreitet und meistentheils mit Cilien ver- sehen ist. Die Form der Zellen ist veränderlich je nach den Contractionszuständen der eigentlichen contractilen Schicht. Im ausgedehnten Contractionszustande sind die Zellen mehr platt gedrückt, bei der Hydra sogar entsprechend der Längsachse oft sehr lang ausgezogen; in gleichem Schritt mit der Verkür- zung nimmt ihre Dicke zu, und die Zellenschicht gewinnt schliesslich das Ansehen eines Cylinderepitels. Es ist nicht er- wiesen, auch nicht bei der Hydra, dass diese Zellen durch eigene Contraction ihre Form zu verändern vermögen; es ist dieses sogar in hohem Grade unwahrscheinlich. Die Innen- fläche dieser Zellenschicht ist vollkommen frei gegen die mit körnerhaltiger Nahrungsflüssigkeit erfüllte Höhle gewendet. Etwa vorhandene Pigmentkörnchen liegen innerhalb der Zellen und bilden niemals eine abgesonderte Schicht (Agassiz). 10. Die Stützlamelle besteht aus einer glashellen, textur- losen, weichen, elastischen Substanz, welche bei gewöhnlicher Temperatur in Kalilösung und selbst in chemisch reiner Schwe- felsäure nur wenig aufquillt und sich nicht, wenigstens nicht bei halbstündiger Behandlung mit den genannten Reagentien, auflöst. Die Stützlamelle muss als ein Excret der contractilen Substanz betrachtet werden, da sie bei der Hydra auch in dem frei endigenden Abschnitte der Fühler vorkommt, wo die innere Zellenschicht fehlt. Die contractile Schicht bildet demnach, zum eigenen Schutz und zur Stütze, allmählig fest werdende Excrete sowohl an der äusseren als an der inneren Fläche. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. Al 642 C.B. Reichert: Ueber die contractile Substanz u. s. w. Bei den Campanularien und Sertularien wird durch ihr Exeret nach aussen das Polyparium, nach innen die Stützlamelle ge- bildet; bei den Hydriden bildet sich nur die Stützlamelle; in anderen Fällen (Gromia u. s. w.) erscheint nur ein äusseres Skelet. 11. Die Fühler der Hydriden sind einfache Schläuche, deren Hohlraum in offener Verbindung mit der Magenhöhle steht; die körnchenhaltige Nahrungsflüssigkeit bewegt sich ebenso durch die Fühler, wie durch die Höhle des Kopfes und des Fusses. Nach der morphologischen Beschaffenheit der Wandung des Schlauches müssen der Länge nach zwei Abschnitte, der be- festigte und der frei endigende, unterschieden werden. An dem ersteren ist die Wand aus denselben Bestandtheilen zusammen- gesetzt wie am Polypenkopf und besonders am Fusse; an dem frei endigenden Abschnitte fehlt die innere Zellenschicht. Auch bei den Fühlern der Sertularien und Campanularien fehlt die innere Zellenschicht und zwar der ganzen Länge nach. Von der Stützlamelle gehen aber in regelmässigen Abständen Schei- dewände aus, welche den Hohlraum des Fühlers in Kammern abtheilen, die wahrscheinlicher Weise durch eine centrale Oeff- nung in der Scheidewand untereinander communiciren. Diese Kammern enthalten im ausgebildeten Zustande der Thiere keine Zellen, weder Knorpelzellen noch Epithelzellen. In jeder Kam- mer hat die von mir bezeichnete contractile Achsensubstanz ihre Lage, die genau von derselben Beschaffenheit ist, wie die äussere contractile Schicht, und nur der Nesselorgane entbehrt. Im verkürzten Zustande füllt die contractile Achsensubstanz mit ihren einzelnen Stücken jede Kammer fast vollständig aus; im mehr weniger ausgedehnten Zustande füllen sich die Kammern von der Magenhöhle aus mit einer Flüssigkeit, die niemals Körnchen führt und vielmehr reines Meerwasser zu sein scheint. Die contractile Achsensubstanz nimmt dann die Achse jeder Kammer ein, von einem Septum zum andern sich hinziehend; ihre Form ist verschieden je nach dem Üontractionszustande; an den Septa breitet sie sich scheibenförmig, vielleicht auch mittelst einiger Fortsätze aus; sie bietet öfters das Bild einer verästelten Zelle dar. Wie in der äusseren contractilen Schicht, Dr.P. J. Hollman.n: Ueber das Pepsin und seinen Gebrauch u.s.w. 643 so findet sich auch in dieser Achsensubstanz keine Spur von einem Zellenkern. Knotige Anschwellungen oder ein, vor oder dahinter in der äusseren contractilen Schicht gelegenes, Nes- selorgan können das Bild eines Zellenkerns vorspiegeln. 12. Die Bewegung der Nahrungsflüssiskeit erfolgt hier, ganz unabhängig von den etwa vorhandenen Cilien der inneren Zel- schicht, nur durch Vermittelung der Contractionen in der äusse- ren contractilen Schicht. 13. Der von Huxley und später von Kölliker unternom- mene Vergleich des Hohlkörpers der Hydrozoen mit den ersten Anlagen oder den ersten Entwickelungszuständen des Organis- mus der höheren Wirbelthiere hat keine thatsächliche Grund- lage; er geht sogar von irrthümlichen Voraussetzungen aus, so- wohl in Betreff der Beschaffenheit und der Bedeutung der er- sten Anlagen des Wirbelthieres, als auch hinsichtlich der Structur des Hydrozoenkörpers. 14. Da sowohl das äussere Skelett (Polyparium) als das in- nere Skelett oder die Stützlamelle der Sertularien, Campanu- larien und Hydriden als erhärtete Exerete der contractilen Schicht des Hydrozoenkörpers angesehen werden müssen, so ist ein Vergleich derselben mit Bindesubstanzgebilden unstatthaft, (Kölliker). Ueber das Pepsin und seinen Gebrauch in der Medicin. Von Dr. P. J. HoLLMANN in Edam (Holland). Der Unterzeichnete hat den Plan entworfen zu einer Mono- graphie über das Pepsin und seinen Gebrauch in der Medicin. Da es aber eine grosse Verschiedenheit von Meinungen giebt über den Nutzen dieser Arznei, so nimmt er sich die Freiheit, an seine Öollegen in der Fremde sich zu wenden und sie auf’s 41* 644 Dr. P. J. Hollmann;: Freundlichste zn bitten, ihm mit ihrer Erfahrung Hülfe zu lei- sten. Wenn man die Sache gründlich darstellen will, so soll das Pro und Contra kritisch erwogen werden. Dankbar wird er daher auch sogar den geringsten Beitrag für seine Mono- graphie empfangen, indem er der Redaction, welche zur Be- förderung der Sache die Güte hatte, dies in ihre Zeitschrift aufzunehmen, seinen grossen Dank abstattet. Es sei ihm er- laubt einen Augenblick zu verweilen bei den verschiedenen Arten von Pepsin, welche im Handel vorkommen und danach dieselben mit derjenigen zu vergleichen, die er selbst anzuwen- den pflest. Will man die Frage: „Was ist Pepsin’” beant- worten, so sind sogleich eine Menge Schwierigkeiten da, und was uns betrifft, so glauben wir, dass die Chemie sie noch nicht genügend beantwortet hat. Soviel jedoch ist gewiss, dass die Verdauung — die Umsetzung der Speisen im Magen — auf den Eigenschaften des Pepsins beruht, welches bis jetzt nur durch eine richtige Behandlung des Magens der Thiere gefunden wurde, worin es als solches zu finden ist. Mehrere Schriftsteller haben verschiedene Methoden angegeben, um das Pepsin darzustellen ; so nehmen einige den vierten Magen der wiederkäuenden Thiere, reinigen ihn und waschen ihn mit kaltem Wasser ab. Die Schleimhaut wird danach abgeschabt, in eine breiartige Masse verwandelt und während zwölf Stunden in destillirtem Wasser macerirt. Jetzt kommt die Masse auf das Filter, und man präcipi- tirt die klare Flüssigkeit mit Acetas Plumbi, der Niederschlag enthält dann das Pepsin, man braucht es nur durch einen Strom von Schwefelwasserstoffgas vom Bleisalz zu trennen, wo- nach man auf’s Neue filtrirt und bei 40° C. abdampft. Andere dagegen legen bei 38° die Schleimhaut des Schwein- magens in verdünnte Phosphorsäure und sättigen die filtrirte Flüssigkeit mit Kalkwasser; der phosphorsaure Kalk, womit das Pepsin sich verbindet, wird mit verdünnter Salzsäure bearbeitet, und endlich die klare Flüssigkeit mit einer Lösung von Cho- lesterin in Alkohol und Aether vermischt. Das Pepsin schwimmt mit dem Cholesterin verbunden auf der Flüssigkeit; man reinigt nun das Präcipitat durch wiederholte Waschung und trennt es vom Cholesterin durch Aether, der letzteres auflöst. Nach der Ueber das Pepsin und seinen Gebrauch in der Mediein. 645 Trennung vom Aether hat man eine Flüssigkeit, welche nur Pepsin enthält; die Abdampfung beendigt auch diese Behandlung. Man ist, wie wir sagten, nicht einig über die Frage: Was ist Pepsin? Ja, auch über die Form, worunter diese Arznei vorkommt, herrscht Verschiedenheit der Meinungen. Einige sprechen von Extract, andere von Pulver. Die Letzteren ver- stehen meistens unter Pepsin das Extract gemischt mit so vie- lem Amylum, dass es die Form von Pulver erhält. Da nun viele, wenn nicht die meisten Arten von Pepsin, welche im Han- del vorkommen, ganz und gar unwirksam bleiben, so müssen wir angeben, was man mit Recht vom Pepsin erwarten kann. Das wichtigste Kennzeichen, worauf hier Alles ankommt, ist, dass das Pepsin in Wasser aufgelöst und mit Salzsäure versetzt bei einer Temperatur von 40? bis höchstens 45° C. geronnenes Eiweiss, Fibrin und Fleischfaser auflöst. Das Pep- sin, welches wir hier haben, enthält kein Amylum, ist ein fast farbloses, geschmackloses und fast geruchloses Pulver; seine Auflösung im Wasser hat eine neutrale Reaction und macht die Milch gerinnen. Wenn man einen Theil dieses Pepsins in 250 Theilen Wasser auflöst, dieser Flüssigkeit so viel Salzsäure hinzufügt, als 1,9 Theilen wasserfreier kohlensaurer Soda ent- spricht, und dann auf einem Wasserbade bis 40° oder höchstens 45° C. erwärmt, so kann diese Flüssigkeit innerhalb zwei Stun- den 250 Theile Fibrin auflösen. — Das Fibrin, womit wir die Probe gemacht haben, war auf die bekannte Art aus dem Blute abgeschieden und trocken ausgepresst; wurde es bei 100° C. getrocknet, so blieben 22°;, festen Stoffes übrig. — Wenn man statt des Fibrins ein gleiches Gewicht geronnenes Eiweiss oder Fleisch nimmt, so geschieht die Auflösung innerhalb 12 Stunden. Das Pepsin, welches diese Eigenschaft gar nicht oder nur in geringerem Maasse besitzt, ist natürlich zu verwerfen. Was die Form betrifft, in der man das Pepsin reichen kann, so ist die Pulverform gewiss am meisten vorzuziehen, z. B. Pepsini puri gran. xij., Sacchari lactis drachm. j., div. in pulveres n. vj. Vor, nach oder unter dem Gebrauch von stickstoffhaltiger — thierischer — Nahrung ein einziges zu nehmen, entweder mit ein wenig Milch oder mit einem Löffel 646 Dr.P.J.Hollmann: UeberdasPepsin und seinen Gebrauch u. s. w. süssen Weines. Das Pepsin muss mit der thierischen Nahrung zugleich in den Magen kommen, um sie aufzulösen. In den seltenen Fällen, worin der Magensaft durch Krankheit alkalisch reagirt, kann man einen Löffel Julapium acidum nehmen, worin höchstens zwei Tropfen Acidum hydrochloricum sind, z.B. Syr. rub. Idaei unc. j.,— aq. distill. unc. vj.,— acid. muriat, dilut. drachm.ß,. Diese Zeilen waren schon geschrieben, als wir die Gelegen- heit hatten, die Documente zu sehen über den Prozess zu Pa- ris gegen Grimault (Moniteur scientifique und 'le Droit, Jour- nal des Tribunaux) und den Rapport über das Pepsin an die Societe de Pharmacie de Paris von einer Commission, beste- hend aus den Herren Guibourt, Baudet, Boudault, Reg- nault, Bussy und L. Corvisart, dem Manne, der einer der Ersten war, das Pepsin in die Medicin einzuführen. Durch diese Documente wird unsere Meinung bestätigt, dass die mei- sten Pepsin-Arten aus dem Handel wirkungslos sind, dass es also ganz nöthig sei, durch den oben angegebenen Weg sich von der Tauglichkeit des Stoffes zu überzeugen. Zweitens zeigte jener Rapport, dass auch die besten Arten von Pepsin keinesweges bewirken, was diejenige thut, welche ich gewöhn- lich bei meinen Kranken gebrauche. Wenn ich vierzig Theile Amylum mit einem Theil meines Pepsins mische, so führt die- ses Gemisch noch mehr aus als das beste Pepsin, welches im Handel vorkommt; es löst eine grössere Quantität Fibrin auf und wirkt auf geronnenes Eiweiss und Fleisch, was die anderen Arten nicht oder beinahe nicht thun. Ich bitte daher diejenigen meiner Öollegen, welche ihren Patienten gutes Pepsin geben wollen und davon überhoben zu sein wünschen, jedesmal diese Arznei auf ihre Eigenschaften zu prüfen, sich geraden Weges an mich zu wenden. Sie brauchen in diesem Falle nur ihre Adresse zu melden nebst dem Wege, auf welchem sie das Pep- sin zu erlangen wünschen. Für den Betrag, der mir entweder in Papier oder in einem Schein auf einen Banquier im post- freien Briefe geschickt wird, schicke ich unmittelbar die be- gehrte Quantität, wofür ich nur bitte, mich mit dem Erfolge ihrer Prüfung bekannt zu machen. Das Pepsin, welches hier vorkommt, kostet 10 Centen holländischer Münze (175 hollän- Dr. I. Rosenthal: Notiz über Herzgifte. 647 dische Centen=1 preussischen Thaler) der medizinische Gran; aber es übertrifft an Tauglichkeit gewiss vierzigmal die besten Pepsin-Arten aus dem Handel, woraus erhellt, dass es nicht theurer ist als jede andere Art. Notiz über Herzgifte. Von Dr. I. RosEntHaL in Berlin. Bei der Untersuchung einiger mir von Herrn Dr. Fedor Ja- gor übergebenen Gifte war mir die sonderbare Thatsache aufge- stossen, dass jene sich als reine Herzgifte erwiesen, während Proben derselben Gifte, welche Herr Jagor früher dem hiesi- gen physiologischen Laboratorium eingesandt hatte, neben der irkung auf's Herz noch ausserdem, ähnlich wie Strychnin, Reflexkrämpfe erregten.!) Zur Erklärung dieser Thatsache hat Herr Professor Hermann Meyer auf die von ihm früher ge- fundenen Verschiedenheiten in der Wirkung der Blausäure auf- merksam gemacht, welche in grossen Dosen herzlähmend wirkt, während sie in kleinen Dosen strychninähnlich wirkt und Re- flexkrämpfe erzeugt (Arch. f. physiol. Heilk. II. 249). Er ver- muthet, dass die älteren Präparate, zum Theil zersetzt, schwä- cher waren daher bei ohngefähr gleichen Dosen schwächer wirkten und deshalb die eigentliche tetanisirende Giftwirkung zum Vorschein brachten, während die neueren kräftigen Prä- parate die örtlichen Herzerscheinungen in tödtendem Grade hervorriefen. ?) Diese geistreiche Erklärung findet eine Stütze in den beim Strychnin gemachten Erfahrungen, indem bekanntlich auch grosse Dosen dieses Giftes ohne alle Krämpfe tödten kön- nen. Um nun die von Herrn Meyer ausgesprochene Vermu- thung zu prüfen, unternahm ich eine neue Reihe von Versuchen. Die älteren Giftproben hatte ich seit dem Juni d. J. in Lösung aufbewahrt. In der Lösung hatten sich Pilze entwickelt. Diese Lösung wirkte ganz so, wie bei der ersten Untersuchung. !/; Cm. derselben bewirkte die heftigsten, sich mehrmals wie- derholenden Krämpfe, welche ganz den Strychninkrämpfen gli- 1) Dieses Archiv. Jahrg. 1865. 8. 601. 2) Dieses Archiv. Jahrg. 1866. S. 284. 648 Dr. I. Rosenthal: Notiz über Herzgifte. chen. Die Wirkung auf’s Herz war dabei äusserst schwach und trat erst viel später ein, als die Krämpfe. Als ich nun grosse Dosen derselben Lösung (3 Cm. auf ein Mal) gab, trat die Herzlähmung sehr schnell ein, die Krämpfe aber waren sehr schwach. Soweit sind diese Erfahrungen ganz in Ueberein- stimmung mit der Meyer’schen Vermuthung und den ähnlichen Erfahrungen beim Strychnin. Dagegen gelang es mir nicht, mit der anderen Giftprobe, welche ich in diesem Jahre von Herrn Jagor erhalten, und von der ich gleichfalls eine Lösung seit dem Juni aufbewahrt 'hatte, Krämpfe zu erzeugen, so gering ich auch die Dosen nahm. Bei '/;, Cm. der Lösung trat die Herzlähmung erst sehr spät ein, bei noch kleineren Dosen er- folgte sie gar nicht, Krämpfe aber sah ich niemals. Diese klei- nen Dosen ergaben noch das bemerkenswerthe Ergebniss, dass die Herzlähmung wieder schwinden kann und das Herz wieder zu schlagen beginnt. Doch habe ich niemals gesehen, dass das Thier sich wieder erholt hätte, indem die Contractionen des Herzens immer schwach blieben. Bei meinem letzten Aufenthalt in Wien, im September d. J., hatte Herr Dr. Ludwig, Assistent am chemischen Laboratorium daselbst, die Güte, mir eine kleine Menge reinen, von ihm dar- gestellten Antiarin’s zu übergeben. Die Versuche, welche ich mit diesem anstellte, zeigen, dass wir es hier mit einem reinen Herzgifte zu thun haben. Die Wirkungen desselben stimmen in allen Stücken mit den von mir früher an den Jagor’schen Giften, sowie mit den von Anderen für das Upasgift angegebenen über- ein. Es scheint mir kaum zweifelhaft, dass der wirksame Be- standtheil dieser Gifte in der That das Antiarin ist. Dieses bewirkt aber niemals Krämpfe, selbst nicht in den kleinsten Dosen, bei Fröschen, und die bei Warmblütern auftretenden Krämpfe sind jedenfalls nur Folge der Herzlähmung. Der früher von mir gegebenen Schilderung weiss ich in der That nichts zuzufügen, als dass bei Hunden vor dem Beginn der Herzläh- mung regelmässig Erbrechen eintritt. Nach alle dem müssen wir doch bei der von mir früher ausgesprochenen Ansicht stehen bleiben, dass die strychninähn- lichen Wirkungen der älteren Proben des Giftes der Mintras von einer Beimengung herrühren, welche diesem Gifte nicht wesentlich zukommt. Ob aber diese Beimengung durch Ab- weichungen bei der Bereitung hineingerathen, oder erst im fer- tigen Gift durch Zersetzung sich gebildet habe, müssen wir freilich dahingestellt sein lassen. Berlin, im December 1866. Berichtigungen zu Heft IV. Seite 485 Zeile 23 v. o. statt „gewiss” muss es heissen „gereizt”. Seite 491 Zeile 21 v. o. statt „als vom vergifteten” muss es heissen „als vom unvergifteten”. A.W. Volkmann: Weitere Untersuchungen über die Frage u.s.w. 649 Weitere Untersuchungen über die Frage, ob die Zapfen der Netzhaut als Raumelemente beim Sehen fungiren. Von A. W. VOoLKMANN. — Ich habe in meinen physiologischen Untersuchungen auf dem Gebiete der Optik Erfahrungen vorgelegt, welche mir zu beweisen schienen, dass Weber’s Fundamentallehre von den Empfindungskreisen und die Auffassung der Zapfen als Ele- mentartheile der Netzhaut sich nicht vereinigen lassen. Indess zeigten Helmholtz, Aubert und Funke, dass meine Be- rechnung der kleinsten erkennbaren Distanzen von einer Vor- aussetzung ausgehe, die nicht blos unerwiesen sondern unwahr- scheinlich sei. Allerdings traf dieser Einwurf nur einen Theil meiner Beobachtungen, gleichwohl war die Wichtigkeit dessel- ben unverkennbar, und so habe ich im vorigen Bande dieses Archivs, S. 395, weitere Versuche über die kleinsten erkenn- baren Distanzen mitgetheilt, welche trotz der sorgfältigsten Be- rücksichtigung der gegen mich erhobenen Einwürfe, meine früher gewonnenen Resultate bestätigten. Indess hat auch diese zweite Arbeit Widerspruch erfahren. Hensen hat in Virchow’s Archiv (B. XXXIV. S. 401) die Vereinbarkeit der Weber’schen Lehre mit der Auffassung der Zapfen als Netzhautelemente zu erweisen versucht und mein ver- ehrter Freund M. Schultze hat ihm beigestimmt (Kleinere Mittheilungen S. 170.). Was mich anlangt, so halte ich Hensen’s Erklärung mei- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 42 650 A W. Volkmann: ner Versuche nicht für ausreichend, und bei der unverkennba- ren Wichtigkeit der von mir angeregten Streitfrage wird man es gerechtfertigt finden, wenn ich meine Zweifel in Nachstehen- dem zur Sprache bringe. Hensen nimmt an, dass nicht die Zapfenkörper, sondern die peripherischen Enden der Zapfenstäbchen die Lichtempfin- dung vermitteln. Da nach M. Schultze der Durchmesser der Stäbchen: fünfmal kleiner ist, als der Durchmesser der Körper, so werden mit dieser Voraussetzung überaus viel feinere Ele- mentartheile gewonnen. Zwar würden nun die sensibeln Ner- venenden keine continuirliche Fläche darstellen können, indem jeder empfindliche Punkt der Netzhaut, entsprechend dem Quer- schnitte eines Zapfenstäbchens, von einem 25mal grösseren un- empfindlichen Kreise, entsprechend dem @Querschnitte eines Zapfenkörpers, umgeben sein müsste, indess würde eine solche Einrichtung insofern nichts Widersinniges haben, als die Con- tinuität der Empfindung im Sehfelde mit der Discontinuität der sie bedingenden anatomischen Elemente vereinbar ist. Gesetzt, die Retina wäre auf die Weise organisirt, wie Hensen an- nimmt, so würde das Netzhautbild einer geraden Linie eine Anzahl sensibler Punkte und sehr viele nicht sensible Kreise schneiden. Indem nun letztere überhaupt keine Empfindung, also auch keine Wahrnehmung der vorhandenen Lücken ver- mitteln, ist anzunehmen, dass die empfundenen Punkte sich unter dem Bilde einer continuirlichen Linie darstellen. So könnte es scheinen, dass die von Hensen angenommene Organisation der Retina gewisse Vortheile biete, wenn es sich um das Erkennen eines Systems sehr enger Parallellinien han- delt. Um weitläufige Erörterungen zu vermeiden, verweise ich auf umstehende schematische Zeichnung (Fig. 1.), in welcher die Kreise den Querschnitten der Zapfenkörper entsprechen, und die in der Mitte der Kreise befindlichen schwarzen Punkte den Querschnitten der Zapfenstäbchen. Die eine Hälfte der Figur bezieht sich auf die Annahme, dass die Zapfenkörper im ‚Ganzen empfinden, die andere auf die Hypothese, dass nür die Zapfenstäbchen der Empfindung dienen. Sollen auf der ersten Hälfte die schwarzen Linien ac, geschieden durch den weissen Weitere Untersuchungen über die Frage, ED die Zapfen u.s.w. 65] Zwischenraum 5b, unter- Kig,.t. scheidbar sein, so müs- sen dieselben doppelt so weit auseinander liegen, als die schwarzen Linien a' c', getrennt durch den weissen Zwischenraum b‘ in der zweiten Hälfte. In meiner schemati- schen Figur sind die Zapfen nach dem Prin- zipe der grössten Raum- ersparniss in geraden Reihen geordnet, indess scheint sich die Natur an dieses Prinzip nicht gebunden zu haben, und Hensen behauptet, dass eine Anordnung der sen- siblen Elementartheile in Kreisbögen für die Unterscheidung enger Parallellinien noch günstiger sein würde. der Kürze wegen auch dies durch eine sche- matische Abbildung (Fig. 2.). Die Grösse der Zapfen ist dieselbe geblieben wie vorher, aber die schwarzen Linien a’ c’, getrennt durch den weissen Zwischenraum b', konnten sich, ohne ihre Berührungen mit sensiblen Punkten zu verlieren, gegenseitig noch mehr nähern. Um nun auf den Versuch zurückzukommen, auf welchen ich in meiner letzten Abhandlung das Hauptgewicht gelegt habe, so ist er mit einem System enger Parallellinien angestellt wor- den. Er darf als entscheidend gelten, wenn die Lichtempfindung durch die Zapfenkörper zu Stande kommt, aber er ist unzureichend, wenn, wie Hensen annimmt, die Zapfenstäbchen der Empfindung dienen. Auf die Prüfung dieser Annahme wird es also jetzt ankommen. Meine Einwürfe sind folgende: Ich erläutere Fig. 2. 1) Je kleiner die empfindlichen Punkte im Verhältnisse zu 42” 652 A. W. Volkmann: den sie umgebenden unempfindlichen Kreisen sind, um so un- wahrscheinlicher wird es, dass das Netzhautbild einer geraden Linie, welches sich über einen nur kleinen Theil der Netzhaut erstreckt, mit so viel sensibeln Punkten in Berührung komme, - als unerlässlich nöthig sind, um den Eindruck einer Linie her- vorzurufen. Man darf voraussetzen, dass die Erregung nur zweier sensiblen Punkte zur Begründung eines Linienbildes nicht ausreiche, und Versuche, welche ich so anstellte, dass die Bilder zweier schwarzer Punkte an die entgegengesetzten Rän- der des blinden Flecks zu liegen kamen, entsprachen dieser Voraussetzung. Aber sei dem wie ihm wolle, so ist eine Linie als solche jeden Falls nicht wahrnehmbar, wenn ihr Netzhaut- bild mit nur einem sensibeln Punkte oder gar mit keinem ein- zigen in Berührung kommt. Solche Fälle würden aber bei dem in Aussicht gestellten Baue der Netzhaut sehr häufig vorkom- men müssen. Hensen hat seiner Abhandlung eine schematische Abbil- bildung der Fovea centralis beigegeben, in welcher die Netz- hautelemente so geordnet sind, dass 3 gerade Parallellinien be- zeichnet mit bed, in dem Durchmesser eines einzigen Zapfen- kreises Platz finden, während jede derselben und jeder der bei- den linearen Zwischenräume so viele sensible Punkte schneidet, als seiner Ansicht nach zur Vermittelung linearer Bilder aus- reichen. Seine Linien haben die Länge von 34 d, wo d den Durchmesser eines Zapfens bedeutet. Indem die Linie db 8, die Linie ce 14, die Linie d 5 sensible Punkte schneidet, liesse sich wohl denken, dass solche Linien erkeunbar wären. Eine genaue Betrachtung der Figur lehrt aber, dass man in dem Schema gerade Linien ziehen kann, welche in der Länge von 10 d nicht einen einzigen sensibeln Punkt schneiden, woraus folgt, dass Linien von 10 d Länge und weniger bei gewissen Lagen ganz unsichtbar bleiben, und in noch mehreren, wo sie nur einen sensiblen Punkt schneiden würden, eben als Punkte erscheinen müssten. Ich habe nun unter Mitwirkung des Herrn Dr. ©. Nasse folgenden Versuch gemacht: Auf einer Drehscheibe war ein rechter Winkel verzeichnet, Weitere Untersuchungen über die Frage, ob die Zapfen u.s.w. 653 Die Dicke der Linien betrug 0,5 Mm., die Länge der einen 5, die der anderen 6 Mm. Die Figur wurde mit Benutzung des Makroskops bei 378facher Verkleinerung von Nasse mit Sicher- heit erkannt, denn wenn ich ohne sein Vorwissen die Scheibe beliebig drehte, so gab er ohne Ausnahme die Lage des Win- kels richtig an. Bei keiner Drehung verschwand der Winkel, oder auch nur der eine seiner beiden Schenkel, und eben so wenig änderte sich die relative Grösse der letzteren, indem beide immer gleich lang erschienen. Das Resultat dieses Versuchs ist mit der Hypothese Hen- sen’s nicht vereinbar. Die Länge eines Schenkels im Netz- hautbilde beträgt bei 378facher Verkleinerung 0,0145 Mm. = 6 .d. Es ist einleuchtend, dass beim Drehen der Scheibe bald der eine bald der andere Schenkel hätte kleiner erscheinen, ja bis- weilen ganz verschwinden müssen. 2) Unvereinbar mit der in Frage gestellten Hypothese scheint ferner die Constanz eines Sternbildes bei umherirrenden, nur nicht zu weit abschweifenden Augenbewegungen. Das Bild des Sternes ist im normalen Auge kaum grösser als ein Punkt, und wenn die Summe der sensiblen Punkte unserer Netzhaut sich zur Summe der nicht sensiblen Stellen wie 1:25 verhielte, so hätte ein Sternbild ausserordentlich wenig Chancen, gesehen zu werden. Man kann aber, wenn man ein helles Gestirn betrach- tet, recht ansehnliche Augenbewegungen nach jeder beliebigen Seite ausführen, ohne es auch nur einen Augenblick aus dem Gesichte zu verlieren. Um diese Thatsche mit der Hensen’schen Vorstellung zu vereinigen, müsste man eine zweite Hypothese zu Hülfe neh- men, also beispielsweise voraussetzen, dass das Netzhautbild- chen des Sternes nicht von unmessbarer Kleinheit, sondern in Folge der Irradiation von merklicher Grösse sei. Gesetzt näm- lich, die Vereinigung des Lichtes im Auge wäre so unvollkom- men, dass das Sternbildchen, welches ohne Lichtzerstreuung kleiner als der Querschnitt eines Zapfenstäbchens sein müsste, unter dem Einflusse der Irradiation dem Querschnitt eines Zapfen- körpers gleichkäme, so würde jenes Bildchen bei jeder Stellung des Auges auf einen sensiblen Punkt fallen und dann constant 654 A. W. Volkmann: wahrnehmbar bleiben. Dergleichen ist möglich, nur ist mit dem blossen Nachweise von Möglichkeiten für die Lösung unseres Problems sehr wenig gewonnen. 3) Die auffälligste Schwierigkeit aber, welche der Hensen’- schen Hypothese entgegentritt, ist die, dass sie die Unterscheid- barkeit nahe an einander liegender Parallellinien, welche sie verständlich zu machen sucht, geradezu unmöglich macht. Als Grundsatz wird angenommen, dass zerstreute Nerven- punkte Raumempfindungen erregen, welche durch eine Art von Contraction zu einem continuirlichen Ganzen verschmelzen. Dabei wird die Grösse der unempfindlichen Zwischenräume, welche die sensiblen Punkte trennen, als unrichtig betrachtet, denn Hensen trägt kein Bedenken, die Zapfen in Kreisbögen derartig zu ordnen, dass die Netzhautbilder gerader Linien bis- weilen nur durch ein Ueberspringen von 8 Zapfenkörpern die von den Zapfenstäbchen abhängigen sensiblen Punkte erreichen können. Gesetzt, diese Annahmen wären richtig, so verstände sich von selbst, dass jenes Ueberspringen der unempfindlichen Zwi- schenräume, durch welches die Empfindungen gesonderter Ner- venpunkte zusammenfliessen, nicht blos in einer sondern in jeder möglichen Richtung vor sich gehen müsste, also bei Be- trachtung senkrechter Parallellinien auch in transversaler Rich- tung, in welchem Falle also Punkte verschmelzen, die nicht einer und derselben Linie angehören, sondern verschiedenen. Man betrachte Fig. 1, so wird angenommen, dass in die Linie @' der erste, dritte und fünfte sensible Punkt, von oben nach unten gerechnet, zu einer senkrechten Linie verschmelzen, und genau dasselbe wird von der Linie c’ behauptet. Ist dies richtig, so kann kein Zweifel sein, dass die in der ersten, drit- ten und fünften Horizontalreihe gelegenen Punkte der neben- einander befindlichen Linien ‘a’ und c' auch verschmelzen. In der That ist diese letztere Verschmelzung viel wahrscheinlicher als jene erste, insofern die sensiblen Punkte, welche zusammen- fliessen sollen, in horizontaler Richtung sich weit näher liegen als in verticaler. Gleicherweise müsste aber ein Verschmel- zungsprocess, wie der angenommene, auch schieflinige Trug-: Weitere Untersuchungen über die Frage, ob die Zapfen u.s.w. 655 bilder hervorrufen, d.h. Linien, die anscheinend von links oben nach rechts unten und von rechts oben nach links unten ver- liefen. Man müsste also bei Betrachtung eines Systemes sehr enger Parallellinien ein feinmaschiges sehr unregelmässiges Netz se- hen, eben weil die lineare Verschmelzung der in Erregung ver- setzten sensiblen Punkte nicht blos in der Richtung der objectiv vorliegenden Linien sondern nach allen möglichen Richtungen hin erfolgen würde. Unter solchen Umständen wäre eine dem Objecte entsprechende Empfindung um so weniger möglich, als - die zwischen den schwarzen Parallellinien befindlichen linearen, aber lichten Intervalle wiederum allseitige Verschmelzungen bedingen und dadurch die Confusion und Verwirrung im Seh- felde noch vermehren würden. Aus allem Vorstehenden ergiebt sich, dass Hensen’s Hy- pothese nicht zulässig ist, und so muss ich meine Behauptung, dass die Weber’sche Lehre von den Empfindungskreisen mit der Auffassung der Zapfen als Elementartheile unvereinbar sei, vorläufig noch festhalten. Nach meiner Ansicht ist die Auflösung des unerwarteten Widerspruchs nicht im Gebiete der Physiologie, sondern in dem der Histologie zu suchen. Vielleicht, dass mit den neuesten mikroskopischen Untersuchungen von M. Schultze der erste Anfang zu besserer Erkenntniss bereits gegeben ist. Schultze entdeckte, dass von jedem Stäbehen und jedem Zapfen eine verhältnissmässig dicke, äusserst hinfällige Faser nach innen verläuft, welche in jeder Beziehung den aus breiten Markfasern isolirten Axencylindern gleich erscheint. Sie zeigt, wie die Axencylinder wenigstens bisweilen, eine parallele Län- genstrichelung, welche den Schluss auf eine Zusammensetzung aus feineren Fasern gestattet. Dieser Schluss ist aber um so berechtigter, als die dicke Faser, nachdem sie die äussere Kör- nerschicht durchsetzt, wirklich in mehr oder weniger feinste Fäserchen zerfällt, welche nun in der Zwischenkörnerschicht einen flächenhaften Verlauf nehmen, dessen weitere Verfolgung bisher nicht gelingen wollte. Die physiologischen Betrachtungen, welche ich an diese mi- 656 A.W. Volkmann: Weitere Untersuchungen über die Frageu.s. w. kroskopischen Ergebnisse anknüpfen möchte, sind folgende: Da die Stäbchen und Zapfen, vorausgesetzt dass sie die lichtempfin- denden Organe sind, durch leitende Fasern mit dem Gehirn in Verbindung stehen müssen, und da, bei der peripherischen Lage beider, die verbindenden Fasern ihren Verlauf nur nach innen hin nehmen können, so hat man guten Grund anzunehmen, dass die von Schultze beschriebenen Fasern eben dazu dienen, jene unerlässliche Verbindung herzustellen. Sie würden dem- nach bei der Nervenleitung als Conductoren dienen. Das von Schultze erwiesene Zerfallen der Fasern in feinere Fäser- chen würde sich hiermit als eine Vervielfältigung der Leiter darstellen, und da im hohen Grade unwahrscheinlich ist, dass das Sensorium durch eine Vielheit von Leitern mit einfachen sensiblen Endorganen verbunden sein sollte, so erhält die Ver- muthung, dass die Zapfen und Stäbchen noch zusammengesetzte Gebilde sind, eine beachtungswerthe anatomische Stütze. Nachschrift. Vorstehende Abhandlung ist im August ge- schrieben und im October zum Druck eingesandt worden. Erst Mitte November erhielt ich das 2. und 3. Heft des Archivs für mikroskopische Anatomie, in welchem M. Schultze seine Un- tersuchungen „zur Anatomie und Physiologie der Retina* mit- theilt. Dies zur Entschuldigung, dass ich die wichtige Arbeit meines verehrten Freundes unberücksichtigt gelassen habe. H, Meyer: Das Handgelenk. 657 Das Handgelenk. (Neunter Beitrag zur Mechanik des menschlichen Knochengerüstes.) Von Prof. HERMANN MEYER in Zürich. (Hierzu Taf. XVII. B.) In dem vorläufigen Abschlusse, welchen ich in meinem Lehr- buche der Anatomie der Darstellung des Handgelenkes zu ge- ben genöthigt war, konnte ich (I. Aufl. S. 109. I. Aufl. 5. 116.) folgende Analyse desselben geben: In dem: Handgelenke sind 3 Elemente zu unterscheiden, nämlich 1) der Unterarm d. h. Radius und cartilago triangu- laris, 2) die Hand (im engeren Sinne) gebildet durch die Ver- einigung der vier vorderen Handwurzelknochen unter einander und mit den die Phalangen tragenden Metacarpusknochen, 3) der zwischenliegende Meniscus, gebildet durch die drei hinteren Handwurzelknochen. ') Diese drei Elemente bilden zwei Gelenke, ein vorderes und ein hinteres. — Das vordere hat Ginglymuscharacter, für wel- chen eine Axe gilt, die aus der Tuberositas des Naviculare in den ulnaren Rand des Hamatum geht (I. Aufl. S. 97, 98. II. Aufl. S. 103, 104. — Das hintere hat einen Arthrodiecharacter. 1) Das os pisiforme nimmt an dem Mechanismus des Handgelen- kes keinen Antheil, da es nur ein Sehnenknochen des m, flexor carpi ulnaris ist. 658 H. Meyer: Typisch für beide Articulation steht das Lunatum da; die beiden anderen Theile des Meniscus zeigen gegen das Lunatum kleinere Beweglichkeiten, die sich namentlich bei Ulnarflexion und bei Radialflexion geltend machen. Henke (Handbuch der Anatomie und Mechanik der Ge- lenke S. 160 ff.) hat die Zerlegung in die drei Elemente und die angegebene Axe des vorderen Handgelenkes beibehalten; glaubte aber durch Aufstellung einer Ginglymusaxe auch für das hintere Gelenk die Characteristik dieses Gelenkes besser zu geben, und aus den gegenseitigen Lagenverhältnissen beider Axen auch die seitlichen Bewegungen in dem Handgelenke ge- nügend erklären zu können. Er legt diese Axe des hinteren Gelenkes durch die Spitze des Processus styloides radii und des Os pisiforme. Erneuete Untersuchungen, welche namentlich auf die Ge- staltung der Gelenkflächen gerichtet wurden, lassen mich im Wesentlichen an meiner früheren Auffassung der gegenseitigen Beweglichkeit der drei Elemente festhalten, jedoch mit einigen Ergänzungen und Modificationen, welche ich in dem Folgenden mittheilen will. Gelenk zwischen Hand und Meniscus. Die Hand articulirt bekanntlich mit dem Meniseus durch eine Gelenkfläche, welche gebildet wird durch Nebeneinander- reihung von Gelenkflächen des Hamatum, des Capitatum und der beiden Multangula. Die Verbindung dieser vier Knochen unter einander ist, wenn auch nicht eine unverrückbare, doch eine so feste, dass die bezeichnete zusammengesetzte Gelenk- fläche der Hand ohne Fehler als ein unveränderliches Ganze angesehen werden kann. Diese ganze Gelenkfläche zerfällt in mechanischer Beziehung in drei Theile, deren jeder seine besondere Bedeutung gewinnt. Diese drei Theile sind: 1)der mittlere Theil; dieser wird gebildet durch die Rinne zwischen Hamatum und Capitatum und wird auf der radialen Seite begränzt durch die freiliegende Leiste an dem Kopfe des Capitatum; auf der ulnaren Seite überschreitet er die Das Handgelenk. 659 Leiste des Hamatum um ein dreieekiges Stück, dessen eine Seite diese Leiste ist und dessen Basis in der volaren Seite des Hamatum gelegen ist. In Fig. 1 ist diese Fläche hori- zontal schraffirt. 2)der radiale Seitentheil; dieser wird gebildet durch die radial gelegene Oberfläche des Kopfes des Capitatum und durch die Gelenkflächen der beiden Multangula. In Fig. 1 ist dieser Theil vertikal schraffirt. 3)der ulnare Seitentheil; dieser wird gebildet durch den von dem mittleren Theile nicht in Anspruch genommenen ulnaren und dorsalen Theil der Gelenkfläche des Hamatum. In Fig. 1 ist dieser Theil schräg schraffirt. Mit dieser Fläche artieulirt die entsprechende Gelenkfläche des Meniseus. Dieser wird bekanntlich aus den drei Theilen: Triquetrum, Lunatum und Naviculare zusammengesetzt. Von diesen sind die beiden Elemente Triquetrum und Lunatum so genau unter einander verbunden, dass sie ohne grossen Fehler als ein Ganzes angesehen werden können; das Naviculare aber ist so lose mit dem Lunatum vereinigt, dass es als ein beson- deres Element mit eigenen Bewegungsgesetzen neben der CGom- bination: Triquetrum—Lunatum dasteht. Die Berührungsweise der drei Theile des Meniscus mit der Gelenkfläche der Hand wird durch die Leiste des Capitatum und die Leiste des Ha- matum in der Art bezeichnet, dass der zwischen beiden Leisten liegende Raum in der mittleren Stellung von dem Lunatum be- rührt wird, dessen Leiste in der Rinne zwischen Hamatum und Capitatum liegt. Welche Theile der Gelenkfläche der Hand dann mit dem Triquetrum und dem Lunatum in Berührung tre- ten, ist hieraus von selbst deutlich. Vergleicht man mun die vorher angegebenen drei Theile der Gelenkfläche der Hand in Bezug auf ihre Berührung durch Theile des Meniscus, so findet man, dass der mittlere Theil mit dem Lunatum und einem kleinen Theile des Triquetrum articulirt, — der ulnare Seitentheil mit dem grösseren Theile des Triquetrum, — und der radiale Seitentheil mit dem Navi- culare. Es zerfällt demnach das Gelenk zwischen Hand und Meniseus in drei einzelne Gelenke, deren Eintheilung ungefähr 660 H. Meyer: der Theilung des Meniskus in seine drei Elemente entspricht, und diese drei Gelenke haben eine sehr verschiedene Bedeutung für den Mechanismus des ganzen Gelenkes.' Dasjenige dieser Gelenke, dessen Mechanismus als der Mit- telpunkt der Bewegungen des Gesammtgelenkes angesehen wer- den muss, ist das mittlere Gelenk zwischen dem mittleren‘ Theile der Handgelenkfläche und dem Lunatum unter Ergän- zung durch das Triquetrum. Dieses Gelenk ist ein scharfge- zeichneter Ginglymus mit Schraubencharacter. Die tief und scharf eingeschnittene Rinne zwischen Hamatum und Capitatum und die in derselben liegende scharf vorspringende Leiste in der hohlen Seite des Lunatum bezeichnen schon hinlänglich den Ginglymuscharacter. Ergänzende Fortsetzung der rinnenförmi- gen Führungslinie zeigt, dass diese Linie Theil eines Schrau- benganges ist, welcher gegen den Handrücken in radialer Rich- tung aufsteigt. Die Höhe des einzelnen Umganges ist c. 3 Mm. und die Dicke der Schraubenspindel in der Rinne gemessen c. 135 Mm. Die Axe geht aus der grössten Höhe der radial gelegenen Gelenkfläche an dem Kopfe des Oapitatum in die Mitte der auf dem Hamatum liegenden Grenze zwischen mitt- lerem und ulnarem Theile der Gelenkfläche der Hand (Fig. 1 a.b.). Das radiale Seitengelenk ist ebenfalls ein Ginglymus mit Schraubencharacter. Die Axe (Fig. 1 c. d.) desselben geht aus der Tuberositas ossis navicularis in die grösste Höhe der radial gelegenen Gelenkfläche an dem Kopfe des Capitatum und dann durch diesen hindurch in die Mitte des dorsalen Randes der dem Lunatum zugewendeten Fläche des Capitatum. Das Naviculare trägt demnach für einen Theil des Gelenkes die convexe, für den anderen Theil die concave Fläche. Die Axe steht unter einem Winkel von c. 120° gegen die Axe des vor- her beschriebenen mittleren Gelenkes. Das ulnare Seitengelenk ist eine Rutschfläche ohne einen genauer bestimmbaren Character, deren Bedeutung im Späteren erst angegeben werden kann. . Es ist höchst bemerkenswerth und begründet einen wesent- lichen Theil der Eigenthümlichkeiten in den Bewegungen des Das Handgelenk. 661 fraglichen Gelenkes, dass die beiden Haupttheile des Meniscus, nämlich Lunatum und Triquetrum einerseits und Naviculare andererseits, bei derselben Hauptbewegung (Beugung oder Strek- kung) um zwei Axen zu gehen haben, welche in einem Win- kel gegen einander gestellt sind. Die nothwendige Folge dieses Verhältnisses ist nämlich, dass dadurch die einander zugewen- deten Seiten des Lunatum und des Naviculare, deren Lage im Allgemeinen durch die Leiste auf dem Kopfe des Capitatum bestimmt wird, je nach der Stellung des Gelenkes in verschie- dene gegenseitige Lagen kommen können. Bewegen sich näm- lich die genannten beiden Theile des Meniscus volarwärts (wie in der Beugung des Handgelenkes), so müssen die einander zu- gewendeten Seitenflächen beider Knochen einander bis zur Be- rührung genähert werden; die Berührungslinie fällt dann genau mit der Leiste auf dem Kopfe des Capitatum zusammen. Be- wegen sich dagegen Lunatum und Naviculare dorsalwärts (wie in der Streckung oder Dorsalflexion des Handgelenkes), so müssen sich die einander zugewendeten Seitenflächen derselben von einander entfernen, und zwar mehr mit ihrer dem Radius zugewendeten Kante als mit der dem Köpfchen des Capitatum zugewendeten, weil erstere mehr von der Axe des Naviculare entfernt ist, als letztere. Mittlere Stellung. In der mittleren Stellung der Hand gegen den Unterarm liest das Lunatum auf der entsprechen- den Fläche an dem Kopfe des Capitatum und auf der schmalen Fläche des Hamatum, welche an die Fläche des Capitatum, mit dieser gemeinschaftlich eine Rinne bildend, angrenzt. In dieser Rinne liegt die in der hohlen Seite des Lunatum vorspringende Leiste. Das Triquetrum berührt den zu der mittleren Ge- lenkabtheilung gehörigen Theil der Gelenkfläche des Hamatum mit einem Theile seiner Gelenkfläche, der grössere Theil seiner Gelenkfläche liegt indessen dem grösseren Theile der Gelenk- fläche des Hamatum (welcher die ulnare Seitenabtheilung des ganzen Gelenkes bildet) weit klaffend gegenüber. Das Navi- culare liegt mit der entsprechenden hohlen Gelenkfläche dem Kopfe ‚des Capitatum genau an; die Gelenkflächen der beiden 6. H. Meyer: Multangula dagegen berührt es nur mit der volaren Kante seiner entsprechenden Gelenkfläche. Dorsalflexion. Lässt man in der eben beschriebenen mittleren Stellung auf die Hand bei ruhendem Meniscus einen Zug im Sinne der Dorsalflexion einwirken, oder verschiebt man, was bequemere Uebersicht gestattet, bei ruhender Hand den Meniscus in dem gleichen Sinne, so beobachtet man folgende Bewegungen: a)Zuerst bewegt sich das Lunatum mit dem angrenzenden Theile des Triquetrum auf der mittleren Gelenkabtheilung dorsal- wärts, wobei ihm die Lage seiner Leiste in der mehrbespro- chenen Rinne zwischen Capitatum und Hamatum massgebend wird; diese Bewegung erreicht ihr Ende dadurch, dass die klaffenden Flächen des Triquetrum und des Hamatum in Be- rührung treten; wegen der Gestalt dieser Gelenkflächen ist nach deren Berührung ein weiteres Fortschreiten in dorsaler Richtung nicht mehr möglich. b)Für das Naviculare zerlegt sich wegen der schiefen Lage sei- ner Axe dieser Zug in zwei Componenten, deren eine das Naviculare an den Kopf des Capitatum andrückt, während die andere rotirend wirkt; indem das Naviculare der letzte- ren Bewegung folgt, bewegt sich seine dem Radius zugewen- dete Fläche dorsalwärts; die den Multangula anliegende Flä- che dagegen, als auf der entgegengesetzten Seite der Axe gelegen, bewegt sich volarwärts und kommt in genauere Be- rührung mit den Multangula. Nach dem früher Besprochenen muss sich dabei die dem Lunatum zugewendete Fläche des Naviculare von dem Lunatum entfernen, und dieses wird so lange geschehen können, bis die Bänder zwischen beiden Knochen in Spannung gekommen sind; dann wird jede wei- tere Entfernung derselben und somit auch die dieselbe be- dingende Rotation des Naviculare um seine Axe für den Augenblick gehemmt sein. c)Die beiden Haupttheile des Meniscus sind demnach in ihren Bewegungen zu einem momentanen Stillstand gebracht, wel- cher in dem Lunatum-Triquetrum durch die Gestaltung der Gelenkflächen bedingt ist, in dem Naviculare dagegen nur Das Handgelenk. 1663 durch die eingetretene Bänderspannung; nach der Gestalt und Verbindung seiner Gelenkflächen kann das Naviculare seine begonnene Bewegung fortsetzen und wird dieses bei fortwirkendem Zuge auch ausführen, wenn jene Hemmung durch das Lunatum und Triquetrum unwirksam gemacht wer- den kann. Hier finden wir nun die Erklärung für die Be- deutung der ulnaren Seitenabtheilung des ganzen Gelenkes. Diese Abtheilung wird nämlich von Seiten des Hamatum ge- bildet durch eine querliegende seichte Rinne, welche jedoch so gelegt ist, dass ihre Richtung aus dem ulnaren Rande der Hand gegen die Mitte derselben zugleich etwas dorsalwärts geht (vgl. Fig. 1). Diese Rinne trat uns vorher als Hem- mungsfläche entgegen für die in dorsaler Richtung gesche- hende Ginglymusbewegung des Lunatum und Triquetrum; sie gewinnt jetzt noch eine weitere wichtigere Bedeutung, indem sie nämlich in der von ihr vorgezeichneten Richtung eine seitliche Verschiebung des Triquetrum auf dem Hama- tum gestattet. Setzt man nämlich, nachdem die in « und 5 bezeichneten Stillstände eingetreten sind, die Bewegung der Dorsalflexion fort, so findet man, dass die Rotation des Na- viculare um seine Axe weiter geht und dass dasselbe dabei das Lunatum und Triquetum so nachschleift, dass dieselben dadurch eine Verschiebung in radialer Richtung erfahren, für welche die Rinne des Hamatum (ulnarer Seitentheil des gan- zen Gelenkes) massgebend wird; das Lunatum rutscht dabei in gleichem Sinne auf dem Kopfe des Capitatum und entfernt sich mit seiner Leiste in radialer Richtung um 2—3 Mm. aus der Rinne zwischen Hamatum und Capitatum, so dass nach vollendeter Dorsalflexion an der Stelle dieser Rinne eine voll- ständig durchgehende Lücke zu sehen ist. Fassen wir diese Bewegungen kurz zusammen, so finden wir, dass für den ersten Theil der Dorsalflexion das Lunatum mass- gebend ist, für den zweiten aber das Naviculare, mit welchem letzteren Theile der Bewegung dann eine radiale Verschiebung des Lunatum und Triquetrum gegen die Hand, oder eine ul- nare Verschiebung der Hand gegen diese beiden Knochen ge- geben ist. 664 H. Meyer: Volarflexion. Man kehre nun zu der mittleren Stellung, von welcher man ausgegangen ist, zurück und untersuche das Zustandekommen der Volarflexion in dem Gelenke zwischen Hand und Meniscus, indem man bei feststehendem Meniscus auf die Hand einen Zug anbringt, oder besser, indem man an der feststehenden Hand den Meniscus im Sinne der Volarflexion verschiebt. Man wird dann folgende Bewegungen wahrneh- men ing: a)das Lunatum mit dem Triquetrum bewegt sich volarwärts um seine Axe, geführt von der Rinne zwischen Hamatum und Capitatum; b)das Naviculare bewegt sich mit seiner dem Radius zugewen- deten Fläche in dem gleichen Sinne; seine den Multangula zugewendete Fläche muss dagegen, da sie auf der anderen Seite der Axe gelegen ist, dorsalwärts verschoben werden; c)durch beide Bewegungen tritt sehr bald die früher besprochene engere Berührung des Lunatum mit dem Naviculare ein und damit eine gegenseitige Hemmung der Bewegungen bei- der Knochen. Die Hemmung wird dadurch erzielt, dass die dem Lunatum zugewendete Fläche des Naviculare, weil sie schief zu der Naviculare-Axe liegt, an das Lunatum ange- drückt wird. Würde nun das Lunatum, dem Drucke nach- gebend, ulnarwärts ausweichen können, so würde ein ähnli- ches Verhältniss stattfinden, wie bei der Dorsalflexion; es würde nämlich das Naviculare seine Bewegung fortsetzen und dabei das Lunatum und Triquetrum ulnarwärts zur Seite drängen. Da aber die Einfügung des Lunatum mit seiner Leiste in die Rinne zwischen Hamatum und Capitatum eine solche Verschiebung nicht gestattet, so muss das Naviculare gehemmt bleiben, und das Lunatum kann allein noch seinen Weg um ein Unbedeutendes weiter fortsetzen, bis durch die Verschiebung, die es dadurch gegen das Naviculare erfährt, die durch die Annäherung erschlafften Bänder zwischen bei- den Knochen wieder gespannt sind. Es stellt sich demnach heraus, dass in dem Gelenke zwi- schen Hand uud Meniscus die Volarflexion höchst unbe- deutend ist, während die Dorsalflexion sich sehr aus- Das Handgelenk. 665 giebig erweist. Zugleich ist aber auch zu erkennen, dass eine Ulnar- und Radialflexion in diesem Gelenke nicht möglich ist, obgleich sich dasselbe, wie später gezeigt werden wird, bei diesen Bewegungen secundär betheiligt. Ausser der Dorsal- und Volarflexion scheint übrigens in die-. sem Gelenke noch eine kleine Rotation gestattet zu sein, für welche die Axe in der Längenrichtung des Capitatum zu suchen ist. Da die Möglichkeit derselben indessen nur auf der Nach- giebigkeit der Verbindung zwischen den betheiligten Knochen beruht, so kann sie natürlich nur eine sehr unbedeutende sein. Gelenk zwischen Meniscus und Radius. Das Gelenk zwischen Unterarm und Meniscus wird von Seiten des ersteren nur gebildet durch den Radius, von Seiten des letzteren nur durch das Lunatum und das Naviculare. — Allerdings nehmen an der Bildung desselben auch noch Theil die den Radius ergänzende Cartilago triangularis und das Tri- quetrum; indessen ist erstere zu nachgiebig und letzteres in seiner dabei betheilisten Fläche zu characterlos, als dass sie für den Mechanismus des Gelenkes massgebend werden könn- ten, Untersucht man nun die betreffende Gelenkfläche des Radius, so findet man in derselben zwei durch eine Leiste getrennte Hohlflächen, welche man als die der Articulation des Lunatum und des Naviculare bestimmten Flächen leicht erkennt. Jede der beiden Hohlflächen hat einen annähernd hohlkugeli- gen Character; sie gestattet wenigstens allseitige Bewegung des sie berührenden Meniscusstückes. Dagegen ist deutlich, dass für eine gemeinschaftliche Bewe- gung des Naviculare und des Lunatum unter fortdauernder Be- rührung mit dem Radius die zwischen beiden Flächen liegende Leiste massgebend werden muss. Durch Ergänzung der Radiusfläche nach Massgabe dieser Leiste findet man nun, dass der durch dieselbe vorgezeichnete Weg Theil eines Schraubenganges ist, welcher nach der dorsalen Seite hin in ulnarer Richtung aufsteigt. Die Steigung des einzelnen Schraubenganges beträgt c. 20 Mm. bei einer Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1866. 43 666 H. Meyer: Dicke der Schraubenspindel (auf der Höhe der Leiste gemessen) von c. 80 Mm. — Die Axe der Schraube liegt so, dass sie in ruhiger mittlerer Stellung des Handgelenkes und der Unterarm- knochen ungefähr aus der Spitze des Processus styloides ulnae an das dorsale Ende der kleinen Leiste führt, welche auf dem Naviculare die Grenze zwischen den beiden Multangula an- deutet. Diese. Axe liegt mit der Axe des Lunatum annähernd in derselben Ebene, convergirt jedoch mit derselben nach der ra- dialen Seite hin. Da die Axe durch das in dem ulnaren Rande der Hand ‚liegende Triquetrum geht, und an der Rückseite des Naviculare, dessen Tuberositas den radialen Rand der Hand bezeichnet, wieder austritt, so liegt ein Punkt des ulnaren Handrandes in - der Axe, der radiale Handrand dagegen liegt in einiger Ent- fernung von der Axe. Daher muss denn auch in den Dorsal- und Volarflexionen der radiale Handrand viel grössere Excur- sionen machen, als der ulnare. Die Schieflage der Axe der Art, dass sie auf der ulnaren Seite näher einer die Axe des Unterarmes in gleicher Ebene senkrecht durchschneidenden Linie liest, als auf der radialen Seite, bedingt ferner, dass bei Dorsal- und Volarflexion der ul- nare Rand der Hand mehr der Mitte des Unterarmes genähert wird, als dieses in der mittleren Lage der Fall ist. Der Schraubengang der Radiusfläche muss ausserdem Ur- sache dafür werden, dass bei einer Dorsalflexion der Meniscus und mit ihm die ganze Hand gegen den Unterarm radialwärts verschoben wird, bei der Volarflexion dagegen ulnarwärts. Beide Bewegungen, Dorsal- und Volarflexion sind im Uebri- gen in ausgiebiger Weise in diesem Gelenke möglich, und es ergiebt sich hieraus in Verbindung mit dem früher über das Gelenk zwischen Hand und Meniscus Gesagten, dass in der Dorsalflexion die beiden Gelenke, welche mit Hülfe des Me- niscus gebildet werden, gleichmässig Theil nehmen können, dass dagegen in der Volarflexion vorzugsweise das Gelenk zwischen Unterarm und Meniscus betheiligt ist. Radial- und Ulnarflexion. Auf das Gelenk zwischen Das Handgelenk. 667 dem Unterarme und dem Meniscus ist auch allein die Ausfüh- rung der Radial- und Ulnarflexion der Hand angewiesen, weil in demselben allein sich die Bedingungen für das Zustande- . kommen dieser Bewegungen in der Gestaltung der Gelenkflä- chen verwirklicht finden. Von der reinen Radial- oder Ul- narflexion muss verlangt werden, dass sie in einer Ebene zu Stande komme, welche bezeichnet wird durch die Mittellinie (Axe) des Unterarmes und durch die Verbindungslinie des Pro- cessus styloides ulnae mit dem Processus styloides radii in der mittleren Lage beider Knochen gegen einander. Untersuchen wir nun, in welcher Weise eine reine Radial- flexion in diesem Sinne in dem besprochenen Gelenke zu Stande kommen kann, so finden wir, dass eine solche ange- wiesen ist auf das Rutschen des Naviculare auf dem ihm ent- sprechenden Gelenkflächenantheil des Radius. Das Naviculare muss dabei die Leiste der Radiusfläche überschreiten, und der ganze ulnare Theil des Meniscus muss gehoben werden. Sehr ausgiebig kann diese Bewegung nicht sein, denn es stemmt sich bald die Tuberositas des Naviculare an den Processus styloides des Radius an, und das vor dem Processus styloides ulnae zum Triquetrum gehende Ligamentum carpi ulnare hemmt im Verein mit dem Luftdruck die Hebung des Meniscus. Wirkt nun aber der Zug auf die Hand weiter ein, so wird eine secundäre Wirkung desselben auf das vordere Handgelenk sich geltend machen. Die Axe des Naviculare in dem vorderen Handge- lenke hat ja eine so schiefe Richtung, dass sie mit der der Hauptsache nach radial-ulnaren Richtung eine volar-dorsale ver- bindet (vgl Fig. 1... Ein rein radial-flectorischer Zug muss demnach auf der dorsalen Seite dieser Axe dieselbe überschrei- ten und demnach als eine dorsal-rotirende Kraft um dieselbe wirken. Ein rein radial-flectorischer Zug wird demnach in dem hinteren Handgelenke eine rein radial-flectorische Bewegung erzeugen, in dem vorderen dagegen gleichzeitig eine dorsal- flectorische. Ist letzteres geschehen, so ist damit zugleich die Tuberositas des Naviculare aus ihrer Berührung mit dem Pro- cessus styloides radii gelöst, und es kann dann eine rein ra- dial-fectorische Bewegung noch in geringem Grade weiter ge- 45* 668 H. Meyer: führt werden; zugleich wird aber die dorsal-flectorische Bewe- gung des vorderen Handgelenkes sich auch dem hinteren Hand- gelenke mittheilen müssen. Aus diesen Umständen erklärt es sich, warum eine Radial- flexion der Hand nur in ihrer Modification als Radial - Dorsal- flexion einige Ausgiebigkeit erlangen kann. Mit der gegebenen Darstellung der Wirkung eines radialen Zuges auf die Hand könnte es im Widerspruch erscheinen, dass ° ein solcher Zug nur durch vereinte Thätigkeit des M. flexor carpi radialis und der beiden M. extensores carpi radiales zu Stande kommen kann, so dass also die Zugwirkung auf beiden Seiten der Axe des Naviculare sich geltend macht. Dieser Widerspruch ist indessen nur ein scheinbarer, weil die Resul- tirende beider Zugwirkungen als einzelne Kraft in Rechnung zu bringen ist und diese an der hinteren Seite der Axe zu suchen ist, theils wegen der Lage der Sehnen der genannten Muskeln, theils aber auch deswegen, weil die beiden Extensoren an Masse und somit an Zugkraft ein entschiedenes Uebergewicht über den Flexor haben. Was die reine Ulnarflexion der Hand angeht, so findet diese ähnliche Widerstände nicht. Sie ist angewiesen auf die Rutschbewegung des Lunatum in dem ihm zukommenden Ge- lenkflächentheil des Radius. Das Lunatum überschreitet dabei die Leiste in der Gelenkfläche des Radius und zieht das Tri- quetrum über die Oartilago triangularıs nach. Das mit der Verschiebung verbundene Abheben des Naviculare von dem Ra- dius ist sehr unbedeutend, weil die Geulenkfläche des Radius ihre tiefste Stelle an der Berührung mit dem Lunatum hat und gegen den Processus styloides radii hin aufsteigt, so dass die dem Naviculare mitgetheilte Bewegung in ihrer Richtung von der Ourve ihrer Berührungsfläche nicht so sehr verschieden ist. Die Ulnar-Flexion der Hand kann daher auch in ausgiebiger Weise und dabei in vollkommener Reinheit ausgeführt werden. Wird sie übertrieben, so verbindet sie sich je nach dem Ueber- gewichte des M. flexor oder extensor carpi ulnarıs mit einer Volar- oder einer Dorsalflexion. Für eine Verbindung mit letz- terer sind die Verhältnisse günstiger 1) weil die Dorsalflexion Das Handgelenk. 669 wegen gleichmässiger Betheiligung beider Handgelenke über- haupt leichter zu Stande kommt, als die Volarflexion, und 2) wegen der eigenthümlichen mit der Dorsalflexion verbunde- nen Verhältnisse; der Zug der beiden ulnaren Handwurzelmus- keln muss nämlich nothwendig auf eine radiale Verschiebung der ganzen Hand wirken; zwischen Meniscus und Unterarm be- wirkt diese, verbunden mit dem Zug der Muskeln, die Ulnar- flexion; in dem Gelenke zwischen Hand und Meniscus muss sie dagegen das Zustandekommen einer Dorsalflexion unterstützen, da sie, wie oben gezeigt, eine Theilerscheinung von dieser ist. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Ansicht der Gelenkfläche, welche die Hand dem Menis- cus zuwendet. 1. Hamatum. 2. Capitatum. 3. Multangulum minus. 4. Multangulum majus. Horizontal schraffirt: mittlerer Gelenktheil. Vertical schraffirt: radialer Seitentheil. Schräg schraffirt: ulnarer Sei- tentheil. ad Axe des mittleren Theiles zunächst für die Bewegung des Lunatum auf dem Capitatum und dem Hamatum. cd Axe des radialen Seitentheiles für die Bewegungen des Naviculare gegen das” Capitatum und gegen die Multangula. Fig. 2. Dorsale Ansicht des Handgelenkes, Radius und Ulna, in mittlerer Stellung. a5 und cd die beiden Axen des vorderen Gelen- kes, wie in Fig. 1. ef Flexionsaxe des hinteren Gelenkes. 670 H. Meyer: Einige Worte über Beugung, Streckung, Supination und Pronation. (Nachtrag zu vorstehendem Aufsatze.) Von Prof. HERMANN MEYER in Zürich. Es ist bekannt, wie sehr die Begriffe der Beugung und Streckung verwirrt geworden sind, weil man schwankte zwischen der traditionellen populären Auffassung dieser Bezeichnungen und der vermeintlich wissenschaftlicheren Auffassung, welche sich an die Wirkungsäusserung physiologisch benannter Muskeln hält. Am deutlichsten ist dieses beim Fusse zu sehen, indem Senkung der Fusspitze nach der ersteren Auffassung Streckung ist, nach der letzteren dagegen Beugung, weil M. flexores und solche Muskeln, die den M. flexores carpi analog sind, sie ver- anlassen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Begriffen der Supina- tion und der Pronation, deren Unklarheit, wenn auch nicht so weit gehend, wie diejenige der Begriffe Beugung und Streckung, doch dahin hat führen können, dass dem M. supinator longus die in seinem Namen angedeutete Wirkung hat bestritten wer- den dürfen. Diese Unklarheiten und Verwirrungen haben ihren Grund nur in mangelhafter Unterscheidung zwischen Bewegung und Stellung und lösen sich durch scharfe Unterscheidung dieser beiden Begriffe. Einige Worte über Beugung, Streckung, Supination u. Pronation. 671 Versuchen wir, zuerst nur von der Stellung ausgehend, zunächst die Begriffe von Beugung und Streckung zu ordnen, so finden wir, dass zwischen zwei Gliedtheilen, z. B. Hand und Unterarm, eine Stellung möglich ist, in welcher die Gesammt- heit beider am längsten ist, es ist das diejenige, in welcher die Mittellinien (oder Axen) beider Theile, so weit möglich, in Continuität steher. Die populäre Auffassung nennt diese Stel- lung, die erlangte grösste Längenausdehnung dabei in’s Auge fassend, gestreckt; man sagt: „der Arm ist ausgestreckt,* wenn alle seine Theile, vom Schulterblatte anfangend, möglichst in einer geraden Linie liegen. Dieser Stellung widersprechend ist diejenige, in welcher die Axen der beiden Gliedtheile in einen Winkel gegen einander gestellt sind; die populäre Auf- fassung nennt diese Stellung, die Neigung der Axen gegen einander vorzugsweise berücksichtigend, gebeugt. Bleiben wir bei dieser Auffassung, welche, wenn auch eine ursprünglich populäre, doch in genauer mathematischer Formu- lirung wiederzugeben ist, so können wir in dem gegenseitigen räumlichen Verhältnisse zweier verbundener Gliedtheile, zweier- lei Stellungen unterscheiden, nämlich eine Streckstellung und eine Beugestellung. Wo nur eine einzige Beugestellung möglich ist wie im Ellenbogengelenk, da wird über die Anwendungsweise dieser Bezeichnungen ein Zweifel nicht sein. Wo dagegen, wie im Handgelenke, mehrere Beugestellungen möglich sind, da wird es nothwendig, dieselben genauer zu bezeichnen, und so stehen bei der Hand der einen Streckstellüng entgegen vier Beuge- stellungen: die volare, dorsale, ulnare und radiale. Von dem vermeintlich wissenschaftlicheren Standpunkte aus will man indessen die dorsale Beugestellung nicht als solche gelten lassen, sondern nennt sie: Ueberstreckung, Hyperextension. Untersuchen wir nun die Bewegungen, durch welche diese Stellungen hervorgebracht werden, so finden wir die Sache höchst einfach da, wo nur eine einzige Beugestellung einer Streckstellung gegenübersteht; wir finden eine Bewegung, welche aus der Streckstellung in die Beugestellung führt, und 672 H. Meyer: eine andere, welche aus der Beugestellung in die Streckstellung führt. Die Richtung beider Bewegungen ist eine einander di- rect entgegengesetzte, und wir können beide als Beugebewe- gung und Streckbewegung unterscheiden, und wir können auch die Muskeln, welche diese Bewegungen ausführen, als Flexores und Extensores benennen, weil hier Ama oder Unklarheiten nicht möglich sind. Ein anderes ist es aber in solchen Fällen, in welchen meh- rere Beugestellungen einer Streckstellung gegenüberstehen, von welchen wir indessen hier nur zwei in derselben Ebene einan- der gegenüberliegende Beugestellungen berücksichtigen wollen. Es ist deutlich, dass in einem solchen Falle zweierlei Beugebe- wegungen und zweierlei Streckbewegungen möglich sind, welche sich indessen in der Weise zu einander verhalten, dass immer je eine Streckbewegung und eine Beugebewegung in derselben Richtung ausgeführt werden, so dass für diese vier verschie- denen Bewegungen doch nur zwei einander entgegengesetzte Bewegungsrichtungen vorhanden sind. Wir wollen dieses Verhältniss an einem Beispiel untersuchen, in welchem jede dieser beiden Bewegungsrichtungen nur durch einen einzigen Muskel vertreten ist und in welchem wir noch dazu den Vor- theil haben, den Ausdrücken: Beugung und Streckung nicht zu begegnen. Bekanntlich besitzt der Mittelfinger zwei M. interossei von dem Character derjenigen, welche an anderen Fingern Ab- ductoren sind, weil sie diese von dem die Mitte der Hand be- zeichnenden Mittelfinger abduciren. Um diese beiden Muskeln auf das allgemeine Schema der M. interossei externi (mit ab- ductorischem Character) zurückzuführen, ist es nothwendig, nicht sowohl den Mittelfinger selbst als vielmehr dessen in Streckstellung feststehend gedachte Axe als massgebend in der Weise anzusehen, dass man .den Mittelfinger von dieser fest- stehenden Axe selbst nach beiden Seiten hin abducirt werden lässt (vgl. mein Lehrbuch der Anatomie I. Aufl. S. 207, II. Aufl. S. 222... Wir können nun an dem Mittelfinger in der angege- benen Beziehung drei Stellungen unterscheiden, nämlich Einige Worte über Beugung, Streekung, Supination u. Pronation. 673 _ eine ulnare und eine radiale Abductionsstellung und eine Mit- telstellung. Zu diesen drei Stellungen treten einzig jene bei- den M. interossei in erzeugende Beziehung; indem die Wir- kung des radialen derselben den Mittelfinger aus der ulnaren Abductionsstellung durch die Mittelstellung hindurch in die ra- diale Abductionsstellung führt, während der ulnare in gleicher Weise aus der radialen in die ulnare Abductionsstellung führt und zwar ebenfalls durch die Mittelstellung hindurch. Wir haben somit für Erzeugung der drei Stellungen nur zwei durch die bezeichneten Muskeln bedingte Bewegungsrichtungen, eine radiale (radıalwärts führende) und eine ulnare (ulnarwärts führende); und eine jede derselben führt den Finger zuerst aus einer Abductionsstellung in die Mittelstellung (addueirt ihn), und dann aus der Mittelstellung in die entgegengesetzte Ab- ductionsstellung (abducirt ihn). Die beiden Bewegungsrichtun- gen erzeugen demnach zwei verschiedene Abductionsstellungen und zwei im Resultate identische, in ihrer Genese aber ver- schiedene Mittelstellungen. Ganz dasselbe findet auch bei der ganzen Hand statt, wenn auch die Muskelverhältnisse hier nicht so überaus einfach sind. Lassen wir die radiale und ulnare Beugung bei Seite, so haben wir hier eine dorsale und eine volare Beugestellung und eine Streckstellung, und zu diesen treten in directerer oder indirecterer Weise in erzeugende Beziehung zwei Muskelgrup- pen, eine dorsale und eine volare, welche zwei entsprechende Bewegungsrichtungen vertreten. Jede dieser beiden Muskel- gruppen führt die Hand aus der entgegengesetzten Beugestel- lung durch die Streckstellung hindurch in die ihr zukommende Beugestellung .Wir haben also hier zwei verschiedene Beuge- bewegungen und zwei verschiedene (wenn auch in ihrem Er- folge übereinstimmende) Streckbewegungen; und diese werden in zwei Bewegungsrichtungen erzeugt. Die Parallele dieses Verhältnisses an der Hand mit dem vorher besprochenen an dem Mittelfinger wird noch vollständi- ger, wenn man die Abductionsstellungen des Mittelfingers als seitliche Beugungen desselben gegen seinen Metacarpusknochen 674 H. Meyer: auffasst, und die Mittelstellung desselben als die zwischenlie- gende Streckstellung. Wie sonderbar würde es erscheinen, wenn man die beiden M. interossei des Mittelfingers, damit Analogie mit den anderen Fingern hergestellt sei, als Abductor und Adductor unterscheiden und dann die eine Seitenstellung Abduction und die andere Hyperadduction nennen wollte? Und doch verfährt man sehr häufig in dieser Weise bei den dorsalen und volaren Bewegun- gen der Hand. Um nämlich den Parallelismus mit solchen be- _ nachbarten Gelenken herzustellen, welche nur eine einseitige Streckbewegung erlauben, nennt man die dorsale Gruppe Exten- sores des Handgelenkes und die volare Gruppe Flexores dessel- ben; weitergehend nennt man dann die Wirkung der Extenso- res, auch wenn sie bis in die dorsale Beugung geht, Extension, Streckung, und die Wirkung der Flexores, auch soweit dieselbe eine Streckung erzeugt, Flexion, Beugung. Dieses ist nun die vermeintlich wissenschaftlichere Auffassung von Beugung und Streckung, welche aber in Wirklichkeit nur eine Fülle von Un- klarheiten enthält, weil sie 1) es übersieht, dass die Streckstellung aus zwei Beugestellun- gen durch zwei entgegengesetzte Bewegungen erzeugt wer- den kann, demnach keine der beiden Muskelgruppen (dor- sale und volare) vorzugsweise Streckmuskeln in Bezug auf die Hand (in dem gewählten Beispiele) genannt werden kann, — weil sie 2) es übersieht, dass jede der beiden Muskelgruppen nach ihrer Seite hin eine Beugestellung erzeugen kann, und daher keine derselben vorzugsweise Beugemuskeln genannt werden kann, weil sie 3) deswegen, weil eine mehr oder weniger gerechtfertigte Analogie dennoch die eine Gruppe Extensores und die an- dere Flexores nannte, glaubte, die Extensores könnten nur extendiren und die Flexores nur flectiren, — und weil sie 4) darin so weit ging, dass sie sogar die eine Art der Erzeu- gung der Streckstellung deswegen Flexion nannte, weil sie durch die sogenannten Flexores hervorgebracht wurde, Einige Worte über Beugung, Streckung, Supination u. Pronation. 675 und dass sie in gleicher Weise die durch Wirkung der sogenannten Extensores hervorgebrachte dorsale Beugebewe- gung Extension nannte. Die ganze Verwirrung wird vermieden, wenn man als Ru- hepunkte der Bewegung eine dorsale und eine volare Beuge- stellung und eine dazwischen liegende Streckstellung aufstellt, und für deren Erzeugung zwei einander entgegengesetzte Be- wegungen anerkennt, eine dorsale und eine volare, deren jede die in ihrem Namen bezeichnete Beugestellung hervorbringt, in- dem sie bei der entgegengesetzten Beugestellung anfangend durch die Streckstellung hindurchgeht, so dass eine jede der beiden Gruppen in der ersten Hälfte ihrer Wirkung extendi- rend und in der zweiten flectirend erscheint. Ganz in ähnlicher Weise, wie mit der Beugung und der Streckung, verhält es sich mit den Begriffen der Supination und Pronation. Man hat auch hier wohl zu unterscheiden einerseits eine Supinationsstellung und Pronationsstellung und andererseits eine Supinationsbewegung und Pronations- bewegung, wie man am Ellenbogengelenk eine Streck- und Beugestellung zu unterscheiden hat, und auch eine Streck- und Beugebewegung. Jeder dieser beiden Bewegungen ge- hört als Weg der ganze Halbkreis zwischen Supinationsstellung und Pronationsstellung an; und jede derselben ist characterisirt nicht durch die Stellung, welche sie hervorbringt, sondern durch die Richtung ihrer Wirkung. Eine Supinationsbewegung ist nicht nur in der zweiten Hälfte ihrer Wirkung, durch welche sie wirklich Supinationsstellung macht, eine supinatorische, son- dern auch schon in der ersten Hälfte ihrer Wirkung, durch welche aus der Pronationsstellung eine Mittelstellung erzeugt wird; so ist ja auch eine Streckbewegung nicht minder eine Streckbewegung, wenn auch ihre Wirkung auf 45° von der ge- radlinigen Streckstellung entfernt stehen bleibt. Nur durch Uebersehen dieses Verhältnisses war es möglich, dem M. supi- nator longus seine supinirende Wirkung abzusprechen, weil die- selbe nur aus Pronationsstellung in Mittelstellung führt und nicht noch vollends eine Supinationsstellung erzeugt. Die Ver- 676 H. Meyer: Einige Worte über Beugung, Streckung u. s. w. wirrung entsteht hier nur dadurch, dass mit den Ausdrücken Supination und Pronation bestimmte Stellungen bezeichnet wer- den, welche erst nach vollendeter Bewegung erreicht sind, wäh- rend eine Beugung schon durch die geringste Aufhebung der Streckstellung gegeben ist, und weil man aus diesem Grunde unter supinirender Wirkung sich nicht eine in der Rich- tung nach der Supinationsstellung hin ausgeführte Wir- kung dachte, sondern eine die Supinationsstellung erzeu- gende. A. Danilewsky: Untersuchungen zur Physiologie u. s. w. 677 Untersuchungen zur Physiologie des Uentral- nervensystems. Von Prof. A. DanıLEwsKY in Kasan. — Im Jahre 1865 unternahm ich eine Reihe von Experimen- ten an Fröschen und zum kleineren Theil an höheren Thieren und Menschen über die Functionen verschiedener Abschnitte des Nervensystems. Im Januar 1866 hahe ich in russischer Sprache einen Theil meiner Untersuchungen niedergeschrieben und an die Redaction eines russischen Journals versandt. Seit- dem sind aber viele Erscheinungen weiter verfolgt worden, neue Resultate gefunden, und da die Uebertragung der ganzen Arbeit in’s Deutsche viel Zeit in Anspruch nehmen wird, so halte ich es für nothwendig, hier in allermöglichster Kürze die Hauptresultate meiner Untersuchungen niederzulegen. Zuerst muss hervorgehoben werden, dass man sich bei Un- tersuchungen am ÜCentralnervensystem eines grossen Princips streng bewusst ist, welches in allgemeinen Zügen darin besteht, dass jedes Nervenelement nur auf physiologischem Wege in Thätigkeit versetzt wird, d. h, es wird durch das Erregungs- product eines anderen Elementes, welches ihm in physiologi- scher Ordnung vorhergeht, erregt. Der normale Erreger für Empfindungsnervenzellen der grauen Masse des reflectorischen Centralapparats besteht aus dem eigen- thümlichen Anstoss, welcher in den peripherischen empfindlichen Nervenfasern bereitet wird. Der Process in der thätigen Empfindungszelle ist qualitativ 678 A. Danilewsky: verschieden von dem der thätigen Nervenfaser. Der Erregungs- zustand pflanzt sich aus der Empfindungszelle fort a) in’s Gehirn, durch die hinteren weissen Stränge, b) in die nächste oder nächsten Bewegungszellen und ce) in eine dritte Bahn, welche weiter unten bezeichnet wer- den wird. Mittelst der Bahn sub a) bekommt das Thier Nachricht über leichtemechanische, chemische und thermische Erregungen, welche in dem Gehirn in entsprechende, gut localisirbare Empfindungen verwandelt werden. Die Art der Reizung. wird bei diesem Me- chanismus ganz gut von dem Thiere bestimmt. Der qualitative Charakter der Erregung, welche sich durch die hinteren Stränge hin bewegt, ist verschieden von dem der peripherischen Em- pfindungsnervenfaser; es scheint aber, dass die hinteren Stränge als passive Uebergeber des Thätigkeitsproducts der Empfindungs- nervenzelle ins Gehirn anzusehen sind. Aus dem Gesagten geht hervor, dass keine einzige Empfin- dungsnervenfaser, von der Haut oder von einem andern em- pfindlichen Körpertheil anfangend, bis zum Gehirn verfolgt werden kann, ohne dass irgendwo ihr Lauf durch eine Em- pfindungszelle unterbrochen werde. Für die meisten Fasern der Nervenstämme liegen diese Empfindungszellen in der grauen Masse des Rückenmarks, für den kleinsten Theil im Ganglion intervertebrale. Nur die Fasern, welche aus dem Ganglion her- auskommen, können, ohne in die graue Masse sich hineinzu- biegen, gerade durch die hinteren Stränge zum Gehirn gelan- gen. Die Bahn sub b) dient zum Hervorbringen von Reflexbewegun- gen, welche in unmittelbarer Beziehung zu dem gereizten Orte stehen. Diese Bewegungen werden durch schwache Reize und aus Bewegungszellen, welche am nächsten zu den erregten Em- pfindungszellen ihren Sitz haben, hervorgerufen. Diese Bewe- gungen werden wir der Kürze wegen „tactile* nennen, obwohl sie auf schwache mechanische, so wie auch auf schwache che- mwische und thermische Reize in derselben Weise als Antwort erscheinen. Die Bewegungszelle kann durch das Thätigkeitsproduet der Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensystems. 679 Empfindungszelle in Erregung gesetzt werden, und die Processe in den beiden Formelementen sind qualitativ verschieden. Das Thätigkeitsproduct der Bewegungszelle dient als Reiz für die peripherische Bewegungsfaser, deren Thätigkeitsprocess qualitativ verschieden von den Processen in allen Nervenzellen ist. Diese Bewegungsfaser kann als Ausführungsgang für das Product der Bewegungszellen angesehen werden.!) Die Ein- führungswege für dieselbe sind: a) Der schon früher bezeichnete Weg aus der oder den nächsten Empfindungszellen derselben Seite. Diese Bahn wird gebildet mittelst der Anastomosen zwischen den Zellenfortsätzen, welche von vielen Forschern gesehen wurden. b) Die Fasern der vorderen Stränge, welche den Bewegungs- zellen Reizanstösse aus dem Gehirne bringen (willkürliche Be- wegungsimpulse). Die Art des Nervenprocesses, welcher auf diesem Wege den Bewegungszellen zugeführt wird, ist qualita- tiv verschieden von dem der Bewegungszelle selbst. Jede Nervenfaser, welche aus der Quelle der willkürlichen Bewegungsimpulse die Letzteren in irgend ein Muskelbündel hineinführt, muss in ihrem Laufe eine Unterbrechung in der Form einer sogenannten Bewegungszelle besitzen. Da aber, - wie es scheint, keine solche Zellen in den vorderen Strängen und in dem Ganglion intervertebrale vorhanden sind, so ist man genöthigt anzunehmen, dass jede Faser der Vorderstränge (und des vorderen Theiles der Seitenstränge), welche für die will- kürlichen Bewegungen dienen kann, bevor sie in eine Faser der peripherischen Bewegungsnervenstämme verwandelt wird, in die Zellen der grauen Masse des reflectorischen Apparates einmünden muss. c) Der dritte Weg wird weiter unten beschrieben werden. Also sind die Empfindungs- und Bewegungszellen keine blossen Punkte, wo der Nervenprocess eine andere oder sogar auf 1) Damit soll nur gesagt sein, dass durch diesen oder jenen Theil der Thätigkeitszustand eines Nervenelements den benachbarten, ana- tomisch und physiologisch mit ihm zusammenhängenden Nervenele- menten übergeben wird. Ä 680 A. Danilewsky: mehrere Richtungen sich vertheilt, keine passiven Uebergeber eines fremden Thätigkeitsproducts, sondern sie stellen selbst- ständige Organe vor, welche durch einen ganz bestimmten und für jede Art der Zellen besonderen Anstoss erregt werden, und vermittelst eines specifischen Processes ein eigenthümliches Pro- duct liefern. Das ist das zweite wichtige Princip. Ohne diese specifische Zellenthätigkeit ist keine Reflexbe- wegung, keine Empfindung und keine willkürliche Bewegung denkbar. Die Reflexbewegungen sind, hinsichtlich der Erforschung der Centralvorgänge, einzutheilen ihrer Ausdehnung nach in tactile (s. oben) und pathische oder allgemeine, welche als Ant- wort auf schmerzhafte Erregung erscheinen. Die Grenzen für die Minimal- und Maximalbewegungen bei diesen Reflexen sind sehr eng. Dieselben Grenzen bei den pathischen Reflexbe- wegungen sind ausserordentlich weit aus einander gesetzt. Ge- mäss dieser Verschiedenheit in den objeetiven Erscheinungen des Reflexprocesses ist auch der centrale Vorgang bei den er- sten Reflexen auf einen kleinen Raum beschränkt, während bei . den letzten Bewegungen er einen kleinen, sowie auch den gan- zen reflectorischen Apparat in Anspruch nehmen kann. Das Gehirn ist im Stande, in einigen Fällen in bestimmter Weise die Form des pathischen Reflexes zu ändern; ohne Ge- hirneinfluss hat derselbe in allen Fällen dieselbe Form. Ich bestätige die Angaben von Setschenow, dass im Froschgehirn Mechanismen existiren (Setschenow’sche Cen- tren), welche bei ihrer Erregung die „Reflexbewegungen hemmen“. Sie liegen bei diesem Thiere in der Stelle des Gehirns, welche von hinten aus als Lobi optici zu sehen sind. Dem hemmenden Einflusse der Setschenow’schen Centren unterliegen ausschliesslich die pathischen Reflexe. Im Ge- gentheil erscheinen die tactilen Reflexe (aller drei Arten) desto höher, je kräftiger die hemmende Wirkung der Setsche- now’schen Mechanismen durch die pathischen Reflexe sich aussert. Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensystems. 681 _ Aus diesen Thatsachen und sehr vielen ganz anderer Artı wird geschlossen, dass die Mechanismen, durch welche die tactilen und pathischen Reflexe im reflectorischen Apparat gebildet werden, von einander verschieden sind. Der Unter- schied ist aber durchaus nicht auf alle Theile dieser Mechanis- men zu beziehen. Sie bedienen sich mehrerer Elemente gemein- schaftlich, so z. B. der Empfindungs- und Bewegungszellen. Aber zur Herstellung von pathischen Reflexen existirt im Central- apparate ein neues System von Nerventheilchen, welche, vertheilt zwischen den beiden Arten von Zellen, für die Em- pfindungszellen die dritte Ausführungs-, für die Bewegungszellen die oben bezeichnete dritte Einführungsbahn darstellen. Die Setschenow’schen Centren üben ihre hemmende Wir- kung ausschliesslich auf dieses zweite System von Nerven- theilchen, welches wir der Kürze wegen pathisches System des reflectorischen Apparates nennen wollen. Dieses System muss nicht als ein passiver Ueberträger der Erregungsart der Empfindungszelle in die Bewegungszelle an- gesehen werden, sondern stellt eine Masse vor, die einen ihr eigenthümlichen Process entwickelt, welcher durch nichts Ande- res angeregt werden kann, als durch das Thätigkeitspro- duct der Empfindungszelle. Dieser Process verbreitet sich von einer zuerst angeregten Stelle je nach der Reizdauer über mehr oder weniger lange Strecken des in Sprache stehenden Systems längs des Rückenmarks und giebt, entsprechend dieser Verbreitung, einen Reiz zur Erregung einer grösseren oder klei- neren Zahl von Bewegungszellen ab. Nach meiner Ueberzeugung ist dieses pathische System im reflectorischen Apparate durch die graue, einartige „poröse, schwammige“ Masse vertreten, welche den Haupttheil der grauen Masse ausmacht und von vielen For- schern als zum Bindegewebe angehörig angesehen wird. Ich bezeichne diese Masse als einen Complex von Nervenele- menten des reflectorischen Apparates. Darum ist der Ausdruck „graue Masse“ sehr vorsichtig zu gebrauchen; sie stellt einen Complex von ganz verschiedenen Elementen in anatomischer und physiologischer Hinsicht dar, Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 44 682 A. Danilewsky: die in derselben Hinsicht nur am innigsten mit einander in Beziehung stehen. !) In allen Fällen, wo das pathische System allein im Spiel und unterdrückt (gehemmt) ist, wo also eine der Ausführungsbahnen der Empfindungszellen so zu sagen verschlossen ist, muss man einen grösseren Effect in den Sphären der beiden anderen Ausfüh- rungswege, also höhere (auf Zeit oder Intensität bezogen) tactile Reflexe und höhere tactile Empfindungen (tactile Hyperästhesie) beobachten. Das bekommen wir in der That zu sehen bei der hemmenden Wirkung der Setschenow’schen Mechanismen und bei unmittelbarer Unterdrückung des Systems durch einige Gifte. Die Empfindungs- und Bewegungszellen sind also im Rücken- marke selbst durch zwei Systeme in Verbindung gesetzt, einmal durch nicht zahlreiche Fortsatzanastomosen - Weg der tactilen Re- flexe (im oben beschriebenen Sinne gedacht) und zweitens durch das pathische System, welches selbst ganz weit von einander liegende Nervenzellen verschiedener Art leitend verbindet. Beide Systeme sind gründlich von einander verschieden. Ich bestätige ferner die Resultate früherer Experimente von Schiff, nach welchen die Hinterstränge des Rückenmarks zum Fortführen in’s Gehirn nur tactiler (es werden darunter in die- sem Aufsatz nach alledem stets drei Arten von Reizungen ver- standen) Erregungen bestimmt sind, welche dort in entspre- chende Empfindungen umgewandelt werden; ferner, dass durch die sogenannte „graue Masse“ nur schmerzhafte Erregungen oder, ich möchte lieber allgemeiner sagen, pathische Erregun- gen zum Gehirn fortgepflanzt werden, die dort zu entsprechen- den Empfindungen sich umgestalten. Die hemmende Wirkung der Setschenow’schen Centren des Frosches auf die Bildung der pathischen Reflexe besteht in einer Verminderung der Fähigkeit des pathischen Systems, sich 1) Es freut mich ausserordentlich, in der ausgezeichneten Arbeit von Deiters sehr vieles Anatomische gefunden zu haben, was so vollständig, über meine Erwartungen, meine Hypothesen über den anatomischen und physiologischen Zusammenhang der beschriebenen Nervenelemente des Rückenmarks unterstützt. Untersuchungen zur Physiologie des Oentralnervensystems. 683 in Erregung zu setzen durch den Reiz, welchen ihm die Em- pfindungszelle verschafft. Derselbe Reiz ist auch nothwendig zur Bildung einer pathischen Empfindung. Es wirken also die Setschenow’schen Centren, wenn wir sie für sich betrach- ten, im thätigen Zustande schmerztilgend. In dem Gehirn des Menschen giebt es eine Function, welche dasselbe leistet, was bei Fröschen die sogenannten Setschenow’- schen Mechanismen thun, — sie hemmt die Bildung von pathi- schen Reflexen. und ebensolchen Empfindungen. Aus diesen und vielen anderen Thatsachen geht hervor, dass dasselbe pathische System, welches zur Entstehung von pathischen Reflexen sich als nöthig bewiesen hat, auch. dazu dient, um dem Gehirn das Material zur Bildung pathischer Em- päindungen zu liefern. In dem reflectorischen Apparat, wo das betreffende System zu liegen kommt, bereitet dasselbe in allen Fällen nur eine Art von sinnlicher Erregung, die als rohes Material zu den Be- wegungszellen gelangt, ihnen einen Bewegungstrieb abgiebt, und, dem Gehirne zugeführt, in pathische Empfindungen umgestaltet wird. Der Weg, auf dem dieses Rohmaterial zu dem Gehirne aus dem Rückenmarke gelangt, wird durch das pathische Sy- stem selbst gebildet, und keineswegs durch die Empfindungs- zellen, geschweige durch die Bewegungszellen. Wenn eine sogenannte „Irradiation* zwischen den Empfin- dungszellen vorkommt, so ist sie beschränkt auf die Zellen, welche am nächsten zu der aus der Peripherie erregten sitzen. Eine gleiche beschränkte Irradiation der Bewegungserregung kann zwischen Bewegungszellen existiren, gleichviel ob die eine von ihnen den Anstoss von einer Empfindungszelle oder vom Gehirn erhalten hat. Die beiden Arten von Zellen schei- nen in verschiedenen Abschnitten des reflectorischen Apparates verschieden grosse Gruppen zu bilden, in welchen die ein- namigen Zellen physiologisch leitend verbunden sind. Die Lagen dieser Gruppen sind nicht bekannt. Ihre Be- deutung aber besteht wahrscheinlich zum Theil darin, dass sie einerseits Mitempfindungen und die nicht scharfe Bestimmung 44* 684 A. Danilewsky: des Reizortes in manchen Fällen bedingen und andererseits als Ursache von Mitbewegungen in nahe liegenden Muskeln oder Muskelbündeln anzusehen sind. Die pathischen Empfindungen werden nur so weit gut localisirt, als bei ihrer Entstehung im reflectorischen Appa- rate zugleich tactile Erregungen in’s Gehirn gelangen kön- nen. Die patbische Erregung kann sich aus den tactilen herausbilden, nur müssen die letzteren lange genug un- unterbrochen (wenigstens nicht auf eine lange Dauer) fort- gebildet werden. Diese letzten Erregungen werden aus der Empfindungszelle durch die Protoplasmafortsätze (Deiters) des patbischen Systems zugeführt, und da dies letzte der Fortpflanzung der Erregung viel mehr Widerstand leistet als Zellen und Nervenfasern, so wächst in ihm die Erregung durch Summirung der Effecte nur langsam, und ebenso langsam wird der erregte Zustand des von der Quelle schöpfenden Be- zirkes des Systems auf benachbarte und weit liegende Theil- chen fortgepflanzt. Wenn die Intensität der Erregung in irgend welcher Stelle des Systems eine gewisse Höhe erreicht hat, so ergiesst sich, wenn es erlaubt wäre sich so auszudrücken, die Erregung durch alle in dem System frei liegenden Protoplasma- fortsätze der Bewegungszellen (Deiters) in dieselben. Das pathische System ist nicht allenthalben gleich reiz- bar. (In allgemeinen Zügen ist dieser Satz für die soge- nannte „graue Masse“ schon mehrmals ausgesprochen wor- den, so z. B. von Pflüger). Seine Reizbarkeit vergrössert sich im Laufe des reflectorischen Apparats des Rückenmarks und des Theiles desselben, welcher in der Schädelhöhle liegt, nur ganz allmählich in der Richtung zur Medulla oblon- gata, in welcher das oben genannte System im normalen Zu- stande am reizbarsten sein muss. Jeder Zustand des pathischen Systems einer Hälfte des Rückenmarks kann derselben Nervenmasse der anderen Seite mitgetheilt werden, aber diese Art von Mittheilung hat einen Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensystems. 685 viel grösseren Widerstand zu überwinden, als es bei der Fort- pflanzung eines Zustandes über das System derselben Seite ge- schehen muss. Dieser grössere Widerstand wird durch die Na- tur der Commissuren, welehe die Systeme beider Seiten ver- binden, bedingt. Die Reizbarkeit des pathischen Systems kann durch eine einmalige Erregung, während eines kleinen Zeitraums, erhöht erhalten werden. Da dasselbe System die Bewegungszellen so wie auch das Gehirn im normalen Zustande, und noch sichtbarer in einigen anderen Fällen, nur durch Summirung der Effecte seiner Rei- zung aus der Empfindungzelle in den Stand gesetzt wird zu er- regen, so stellt es bei schwachen, aber ununterbrochen wirkenden Reizen auf die peripherischen Nervenfasern einen Prototyp eines reflectorisch-rhythmisch thätigen Centralnervenapparates dar. Es sind Thatsachen vorhanden, welche anzunehmen berech- tigen, dass in der oberen Partie der Medulla oblongata die Commissuren den beschriebenen Charakter, wenn nicht ganz, so doch zum grössten Theil verlieren, und die Uebertragung eines Zustandes des pathischen Systems der einen auf das System der anderen Seite viel leichter als unten geschieht. Der pathische Erregungszustand des aufnehmenden Systems kann nicht die Empfindungszellen in Thätigkeit versetzen und auf diese Weise eine tactile Erregung (resp. Empfindung) ver- ursachen. Das pathische System bildet eines der Hauptmittel, durch welches verschiedene Theile des Centralnervensystems der hö- heren Thiere so innig mit einander physiologisch verbunden sind. Je unabhängiger diese Theile in ihrer Function bei ver- schiedenen Thieren erscheinen, desto weniger stehen sie in Verbindung durch eine ununterbrochene Fortsetzung der so- genannten „grauen Masse“. Alle sogenannten „Centraltheile* der höheren Thiere, welche mit dem Gehirn-Rückenmarksystem nuridurch Nervenfasern verbunden sind, können kein Stück- 686 A. Danilewsky: chen des pathischen Systems enthalten, und es gehen diesen Theilen alle Functionen dieses Systemes ab. Und wenn es erlaubt ist, die Lebensgesetze der höheren Thiere, wenn auch nur als Winke, für die Erforschung der übrigen Thiere zu gebrauchen, so möchte ich noch hinzufügen, dass, wenn. bei einem Thiere mehrere, nur durch Nervenfasern verbundene Centralgebilde, welche ausser Zellen auch noch eine Masse, die dem ‚pathischen System höherer Thiere ähnlich ist, ein- schliessen, vorhanden sind, ein jedes solches Centralgebilde als ein Analogon des Gehirn-Rückenmarkssystems anzusehen ist. Die Eigenschaft des Rückenmarks, unterbrochene Rei- zungen in beständige Muskelzusammenziehungen zu verwan- deln (Harless), ist dem pathischen System zuzuschreiben. Das pathische System besitzt die Fähigkeit, nach einer Erregung schnell genug fast in den normalen Erregbarkeits- zustand überzugehen, wenn seine Erregung sich als Empfin- dung (in’s Gehirn) oder Reflexbewegung (in die Bewegungs- zellen) aus dem Systeme, so zu sagen, ergossen hat. Im an- deren Fall bleibt es einen längeren Zeitraum reizbar. Diese Fähigkeit bildet zum Theil den Grund der rhythmischen, oben bezeichneten Reflexbewegungen, der Harless’schen Erschei- nungen und für noch andere Thatsachen. | Die Regel von Schiff über den Einfluss der Masse auf die Intensität der Reflexbewegungen ist nur auf das pathische System zu beziehen. Auf dieses System wirken hemmend die Setschenow’schen Centren. Jede Hälfte dieser Mechanismen kann unabhängig von der anderen auf das Rückenmark einwirken und dabei nur auf die aufnehmende Hälfte derselben. Der Schädeltheil des pathischen Systems steht‘ in einer sehr innigen, möglicherweise in einer unmittelbaren Verbin- Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensystems. 687 dung mit den Setschenow’schen Centren, und die hem- mende Wirkung der letzteren pflanzt sich über dieses System von oben nach unten im Rückenmarke. Nach der Entfernung der hemmenden Centren bleibt in dem System ein langsam ver- schwindender Unterdrückungszustand der Reizbarkeit, dessen Intensität und Dauer proportional der Mechanismenwirkung ist. Die tactilen Erregungen gelangen beim Frosch aus den Em- pfindungszellen des reflectorischen Apparates in die sogenann- ten Hemisphären des Gehirns, welche als Centren für tactile Empfindungen angesehen werden können. Das Centrum für pathische Empfindungen liest zum Theil noch unter der unte- ren!) Grenze der Hemisphären. Die Bahnen für tactile Erregungen ins Gehirn kreuzen sich oberhalb des Ueberganges des Rückenmarks in die Medulla obl. Jede Hemisphäre sammelt die tactilen Erregungen der entgegengesetzten Körperseite. Die Bahnen für die pathischen Erregungen zum Gehirne gelangen in das betreffende Centrum derselben Seite. Die Setschenow’schen Mechanismen können von der Pe- ripherie des Körpers aus mittelst wiederholter mechanischer oder chemischer (und ohne Zweifel auch mittelst thermischer) Reizungen erregt werden. Nun aber ist zu dem Zweck die normale Verbindung der Empfindungscentren mit den Setsche- now’schen Mechanismen am allernothwendigsten. Bei vollkommener Integrität des Gehirns können die Set- schenow’schen Mechanismen nicht erregt werden (auf ihre hemmende Wirkung bezogen) blos durch tactile oder blos durch pathische Erregungen, welche in dem reflectorischen Apparate gebildet werden. Es ist unumgänglich nöthig, dass beide Arten von sinnlichen Erregungen aus der Bildungs- stelle derselben dem Gehirne geliefert werden, selbst wenn auch jede Art aus verschiedenen Körperstellen hinzukommt. In 1) Der Frosch wird im Laufe des ganzen Aufsatzes als hängend gedacht. 688 A. Danilewsky: solcher Weise werden die Setschenow’schen Centren auf physiologischem Wege in Thätigkeit versetzt. Es scheint, dass eine grosse Erregung des pathischen Em- pfindungscentrums den hemmenden Einfluss der Setsche- now’schen Mechanismen in manchen Fällen zu vermindern im Stande ist. Dagegen die Thätigkeit des tactilen Empfindungs- centrums dasselbe nicht zu thun vermag. Der willkürliche Bewegungsimpuls wird in jeder Hälfte des Gehirns hauptsächlich für die entgegengesetzte Körperseite ausgebildet. Es scheint, dass dieser Bewegungsimpuls beim Frosch in den unter den Hemisphären liegenden Theilen seine Entstehung hat. Die Kreuzung der Bahnen für willkürliche Bewegungen erfolgt zum Theil in den vorderen Theilen des ganzen Rückenmarks. Die Reflexbewegungen können unterdrückt werden, wenn die Medulla obl. oder ein Theil des Rückenmarks oberhalb der zur Untersuchung dienenden Stelle ausserordentlich reizbar ge- worden ist. Aber der Typus der unterdrückten tactilen und pathischen Reflexe ist ganz verschieden von dem während der hemmenden Wirkung der Setschenow’schen Centren. Die Nervenfasern verbinden keineswegs zwei oder mehrere Empfindungszellen, welche auf verschiedener Höhe des Rücken- marks zu liegen kommen, sondern einmal von einer Zelle ent- standen, ziehen sie sich ununterbrochen bis zum tactilen Em- pfindungscentrum. Die Setschenow’schen Centren wirken im normalen Zu- stande selbst während der scheinbaren Ruhe des Thieres to- nisch-unterdrückend auf die .Reizbarkeit des pathischen Sy- stems des reflectorischen Apparates. Deshalb hat eine Durch- schneidung der „grauen Masse* für die unterhalb des Schnittes gelegenen Theile desselben Systems dieselbe Bedeu- tung, wie eine vollständige Entfernung des Gehirns. Wir müssen daher, wenn dieser Schnitt nur auf einer Seite geführt Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensystems. 689 ist, auf derselben eine Hyperästhesie in der Bildung von pa- thischem Erregungszustand für ebensolche Reflexe, aber eine An- ästhesie ebensolcher Empfindungen beobachten. Auf der Ope- rations-Seite kann in günstigen Fällen noch eine Herabsetzung der tactilen Reflexe und Empfindungen bemerkt werden. Die beiden Folgen des Schnittes haben ihren Grund darin, dass das pathische System unterhalb des Schnittes von dem hem- menden Einflusse der Setschenow’schen Mechanismen befreit, also reizbarer geworden ist. Auf der anderen Seite des Schnit- tes muss dagegen eine Unterdrückung in der Bildung der pathischen Erregung stattfinden, in Folge 1) viel grösserer Erregung der Setschenow’schen Oentren (dies gilt aber nur für die erste Zeit nach der Operation) und 2) einer Verkleine- rung der Nervenmasse, welche dem hemmenden Einflusse der tonisch wirkenden Setschenow’schen Centren unterliegt. Die Folgen dieser verminderten Reizbarkeit des pathischen Systems dieser normalen Seite sind: Erhöhung der tactilen Reflexe und ebensolcher Empfindungen und eine Herabsetzung der pathischen Reflexe und Empfindungen. Bei der Zerschneidung nur der hinteren Stränge z. B. einer Seite, entwickelt sich unterhalb des Schnittes auf derselben Seite Anäesthesie der tactilen Empfindungen und Hyperästhesie in der Bildung von Erregungen für tactile Reflexe. Der Grund davon liegt auf der Hand. Die dabei stattfindenden Veränderungen in dem pathischen System sind nicht bedeutend und wechselnd. In diesen Thatsachen bestehen hauptsächlich die Erscheinungen der sogenannten „Brown-Sequard’schen Hyperästhesie* bei verschiedenen Durchschneidungen des Rückenmarks. Der sogenannte Brondgeest’sche Muskeltonus ist von Vie- len ganz richtig als Reflextonus (Reflexbewegung) aufgefasst worden, denn Alles, was die tactilen Reflexe verstärkt, be- dingt zugleich eine schärfere Aeusserung des Reflextonus, und Alles, was die tactilen Reflexe niederdrückt, setzt zugleich auch den Reflextonus herab. Es ist sehr wahrscheinlich, dass verschiedene Nervenfasern 690 A. Danilewsky: und Empfindungszellen zur Aufnahme und Fortführung mecha- nischer, chemischer und thermischer Reize existiren, aber das Verhältniss dieser Zellen zu deu Bewegungszellen und zu dem pathischen System des reflectorischen Apparates ist bei Allen ganz gleich. Alle drei Reizungsarten können in gleicher Weise tactile und pathische Reflexe und Empfindungen erzeugen. Der Unterschied wird aber darin bestehen, dass die tactilen Em- pfindungen qualitativ verschieden sein werden, während die pathischen nach jeder Reizart nicht qualitativ verschieden sein können, denn eine und dieselbe Nervenmasse (pathisches Sy- stem) liefert ein und dasselbe Product in allen Fällen. Auf Grund mehrerer Thatsachen und der oben beschriebenen Prin- cipien lässt sich vermuthen, dass die zu verschiedenen taetilen Empfindungen dienenden Nervenfasern und Empfindungszellen hinsichts ihrer Erregungsprocesse nur in quantitativer Hin- sicht sich von einander unterscheiden. Dasselbe kann auch für Empfindungsnerven anderer Sinnesorgane, deren Fasern zur Unterscheidung von mehr oder weniger Reizungsarten dienen, Geltung haben. Die Herabsetzung der Erregbarkeit irgend eines Nerventhei- les kann als eine Verminderung der Beweglichkeit der Mole- culartheilchen, die Erhöhung der Erregbarkeit als eine Ver- grösserung defsakhäh angesehen werden. Mit der Verminderung der Beweglichkeit der Moleculartheil- chen des pathischen Systems (bis zu einer gewissen Grenze) wird die summirende Eigenschaft, die Fähigkeit, unterbrochene Reizungen in beständige Muskelzusammenziehungen zu verwan- deln, vergrössert; dagegen wird dabei die Eigenschaft des Sy- stems, sich auf eine starke Schwankung des Reizes schnell und in grosser Ausdehnung zu erregen, vernichtet. Mit Vergrösserung der Molecularbeweglichkeit desselben Sy- stems bis zu einer gewissen Grenze, verliert das System all- mählich die beiden ersten Eigenschaften, aber es wächst die dritte, so dass selbst kleine Reizschwankungen allgemeine Re- flexbewegungen und die furchtbarsten pathischen Empfindun- gen hervorrufen. Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensystems. 691 Bei normaler Beweglichkeit derselben Theile ist, wenn das Gehirn fehlt, die Reflexbewegung proportional der Reizstärke oder der Reizdauer. Mit der Veränderung dieser Beweglichkeit nach beiden Richtungen wird diese Proportionalität aufgehoben, aber in verschiedener Weise für beide Richtungen. Bei allzustarker Beweglichkeit in dem pathischen System gehen alle oben bezeichneten Eigenschaften desselben verlo- ren, ausser der, nach welcher sich das System auf den klein- sten Reiz in seiner ganzen Ausdehnung erregt, und wenn der Reiz ziemlich beständig ist, so sieht man während seiner (oft sehr langen) Wirkung keine objectiven Zeichen (Ruhe der Mus- keln) einer Erregung. Nichtsdestoweniger ist aus diesem Ver- ‚halten durchaus nicht zu schliessen, dass das System in Ruhe gerathen ist. Kasan, 7. October 1866. 692 W, Gruber: Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer | Aeste. Von Dr. WENZEL ‚GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. A. Fremde Beobachtungen. Jac. Sylvius!) oder Cananus (Cannanus)?) waren die ersten, welche über das Vorkommen von Valvulae der Azyga an deren Mündung in die Cava superior berichteten. Ob sie aber wirklich Valvulae beobachtet hatten oder nicht, ist nicht gewiss, Cananus stellte nämlich eine Häufigkeit des Vor- kommens der Valvulae an der angegebenen Stelle auf, die als unrichtig sich erwies; und Beide liessen den Zweck der Val- vulae in der Verschliessung der Azyga gegen die Cava superior bestehen, welche, wenn möglich, eine von dieser abgewendete und zur Azyga gekehrte Stellung der Sinus der Valvulae vor- aussetzen würde. Wenn sie den Sitz und die Stellung der Valvulae genau gekannt hätten, so würden sie letzteren Aus- 1) In Hypocratis et Galeni physiologiae partem anatomicam Isa- goge. Parisiis 1561 (1. edit. 1555.) 8°. — Op. posth. Lib. I. Cap. 4. p. 22. b. „Membranae quoque epiphysis est in ore venae azygi vaso- rumque aliorum magnorum saepe, ut brachialium, cruralium trunco cavae ex hepate prosilientis, usus ejusdem cum membranis ora vaso- rum cordis claudentibus“. 2) Bei Amatus (Lusitanus). Curat. medic. centuria I. schol. 51. (92?). — Steht mir nicht zu Gebote, aber eitirt bei Fallopia, Bauhin, Conringius u. A.; dann bei Andr. Vesal. — Siehe unten. Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste. 693 spruch nicht gethan haben, wie schon H. Conringius!) be- merkte. Sie scheinen somit wenigstens nicht genau beobachtet zu haben; sie konnten die Valvulae, von welchen sie berichte- ten, gesehen haben, aber sie mussten sie nicht gesehen haben. Auch ist es ungewiss, welcher von Beiden die Valvulae zuerst beobachtet hatte. Senac,?) Sabatier?) u. A. schreiben die Entdeckung Sylvius zu, der 1555 starb und das angegebene, erst nach seinem Tode erschienene Werk hinterliess. Andere und die Meisten nennen Cananus als Entdecker, welcher die Valvulae 1547 Amatus (Lusitanus), wie dieser bezeugt, gezeigt haben soll und davon auch Andr. Vesal!) sicher er- zählt hatte. A. Haller’) lässt die Möglichkeit zu, dass Sylvius, als er von diesen Valvulae schrieb, bereits von Cananus, Entdeckung gehört haben konnte. Beide, welche, falls sie die Valvulae wirklich gesehen hatten, die Entdeckung der Valvulae der Venen überhaupt Hieron. Fabricius ab Aquapendente (1574) streitig machen würden, wurden vielleicht verlacht, Träumer genannt, namentlich wurde der nicht in gutem Rufe stehende Amatus, der nach Cananus die Valvulae gesehen haben wollte, sehr angegriffen.*) 1) De sanguinis generatione et motu naturali. Lugd. Batav. et Amstelodami 1646. 8°. Cap. 27. p. 240. 2) Traite de la structure du coeur. Tom. II. Paris 1749. 4°. p. 675. 3) Traite complet d’anatomie. Tom. III. Paris 1778. 8°, p. 288. 4) Andr. Vesalii anatomicarum Gabr. Fallopii observationum exa- men. Venetiis 1564. 4°. min. p. 83. „Ratisbonnae enim, quum do- minum Franciscum Estensem aegrum cum ipso (Canano) viserem, is mihi retulit, se in venae conjuge carentis initio et itemin ve- ‘narum renes adeuntium, et in sectionum venae juxta elatiorem sacri ossis sedem occurentium orificiis, membranas ejusmodi observare, . quales in venae arterialis et magnae arteriae occurrunt prineipiis, hasque sanguinis refluxui obstare asseruit.“ 5) Elementa physiologiae Tom. I Lausannae 1757. 4°. p. 137. 6) Et sane explodenda est infrunita Amati fides, qui ut alibi passim ita et hie non dubitavit, orbi erudito fumos vendere.“ Herm. Conringius, De sanguinis generatione et motu naturali. Lugd. Batav. et Amstelod. 1646. 8°. Cap. XX VI. p. 235. — „Amatus 694 W. Gruber: Zu den vielen Anatomen, welche sich über die Existenz oder Nichtexistenz der Valvulae der Vena azyga jeder An- gabe überhaupt oder doch dieser aus eigener Untersuchung enthalten, gehören sogar mehrere, welche über die Venen oder deren Valvulae speciell geschrieben hatten, wie Hieron. Fabricius ab Aquapendente‘), Heinrich Meibom?), (J. G. Schmidt), G. Breschet?), C. W. Stark®). Unter den Anatomen, welche das Vorkommen von Valvulae in der Vena azyga überhaupt läugnen, befinden sich: Andr. Vesal°’), Gabr. Falloppia°), Andr. du Laurens’), Casp. Bauhin ®), B. Eustachi°), J. Cruveilhier '%), J. Hyrtl!!). Lusitanus avoit parle en meme tems des valvules de l’azygos, mais on refusa de le croire plutöt que de consulter la nature; il fut un su- jet de risee pour Fallope qui le traita de plagiaire; il etoit juif, sa reputation n’etait pas sans tache; cependant son sgavoir meritoit des egards qu’on n’eut pas pour lui.“ — Senac. Loc, eit. 1) De venarum ostiolis. Patavii 1603. Fol. (Steht mir nicht zu Gebote). Opera omnia anat. et physiol. (ce. praef. Albini. Lugd. Batav. 1737. Fol., c. praef. J. Bohnii. Lipsiae 1687. Fol. p. 150. 2) Exercitatio anat.-med. de valvulis s. membranulis vasorum earumque structura. Helmstadii 1682. — A. Halleri disp. anat. select. Vol. II. 4%. 1748. p. 49. 3) Recherches anat. physiol. et pathol. sur le systeme veineux. Paris 1829. Fol. 4) Commentatio anat.-physiol. de venae azygos natura, vi et mu- nere. Lipsiae 1835. 4°, 5) L. e. et: De corp. hum. fabrica. Basileae 1555. Fol. p. 443. 6) Observ. anat. Venetiis 1561. 8°. p. 118.b. 7) Hist. anat. corp. hum. etc. Francoforti 1600. Fol. Lib. IV. Cap. 7. p. 103. 8) Theatr. anat. Francoforti a. M. 1605. 8°. p. 395. 9) Opusc. anat. 3. edit. Delphis 1726. 8°. „De vena sine pari“. Antigr. XI. p. 267 „.... non venae cavae, sed alterius sine pari orificio membranulbs ceu janitrices, eidem praefectas, cum magno omnium risu attribuerunt.“ 10) Traite d’anat. deser. 3. edit. Tom. III. Par. 1852. p. 105. „Des grandes discussions ont eu lieu relativement & la question de savoir s’il existe ou non des valvules dans la veine azygos. Cette question me parait resolue negativement. 11) Lehrb. d. Anat. d. M. 7. Aufl. Wien 1862. p. 880. Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste.e 695 Nach Thom. Bartholin'), A. Haller?), Ph. ©. Sappey°) fehlen die Valvulae an der Mündung der Azyga in die Cava superior, nach Blandin*) mangeln sie entweder überhaupt oder es sind deren doch nur sehr wenige zugegen, nach C. Langer’) ist die Azyga fast ohne Valvulae. J. Riolan®) nennt sich als denjenigen, welcher nach Ama- tus zuerst Valvulae in der Azyga an allen Leichen entdeckt habe. Er spricht bald von 2—3, bald von 2—4. Er lässt eine an der Mündung der Azyga, die anderen zwei in der Mitte des Stammes sich gegenüber sitzen, oder abwechselnd gestellt sein. Eine Valvula allein hat er nur ein Mal gesehen. Nach W. Rol- fink?) kommen in der Azyga kleine Valvulae vor (wo?). Th. Kemper (J. E. Richelmann)°) hat sowohl einige Paare in der Azyga selbst (wo?), als auch 1 an der Mündung in die Cayva superior gefunden (wie oft?). Thom. Bartholin°), wel- cher die Existenz der Valvulae am Ende der Azyga leugnet, lässt übrigens 2>—3—4 abwechselnd stehende (wo?) wie Riolan u. A. zu. J. M. Lancisi!°) lässt die Azyga, wie andere Ve- nen mit Valvulae versehen, aufsteigen. Senac'!) hat welche sehr lange Valvulae neben der Mündung der Azyga beobachtet. 1) Anatome quartum renovata. Lugdani 1684. 8° p. 637. 2) De part corp. hum. praecip. fabrica et functionibus. Tom. 1. Bernae et Lausannae 1778. 8°. Lib. II. $. 21. p. 275. 3) Manuel d’anat. deser. Tom. I. Paris 1850. p. 582. 4) Nouy. elem. d’anat. Tom. II. 1838. p. 506. 5) Lehrb d. Anat. d. M. Wien 1865. p. 360. 6) Anthropogr. Paris 1626. 4°. Libr. III. p. 344, 345; — Encheiri- dium anat. Paris 1648. 12°, Lib. III. Cap. 9. p. 308. 7) Dissertationes anat. Noribergae, 1656. 4°. Lib. V. Cap. 14. p- 864. ’ 8) Diss. anat.-medica de valvularum in corporibus humanis et brutorum natura, fabrica et usu mechanico. Jenae 1683. — A. Halleri disp. anat. select. Vol. II, Göttingae 1747. 4°. p. 112. 9). I. ce. 10) Epist. ad. Morgagnum. Romae III. Kalend. Januarii 1717. — Diss. de vena sine pari. — J. B. Morgagni. Advehs. anat, V. Lug dani Batav. 1723. 4”. p. 81. Venetiis 1762. Fol. p. 173. 11) Op. eit. p. 679. 696 W. Gruber: J. B. Morgagni!) hat unter 14 der Reihe nach untersuchten Cadavern 9 Mal an der Mündung der Azyga, übrigens in ver- schiedener Entfernung davon bis dort, wo die Vena intercosta- lis superior mündet, (also an den verschiedenen Stellen des Bogens der Azyga) sitzen gesehen. A. Haller?), welcher an der Mündung der Azyga in die Oava superior niemals Valvulae gesehen hatte, traf hier und da einige in der an der Wirbel- säule gelagerten Portion an. Fr. Hildebrandt?) nennt unter den Venen mit Valvulae auch die Azyga. S. Th. Sömmer- ring?) glaubt an eine einfache oder vielleicht doppelte Valvula an der Mündung und lässt die Azyga längs der Wirbelsäule mit Valvulae unterbrochen aufsteigen. Nach A. Portal) sitzt bisweilen eine Art Valvulae an der Mündung der Azyga oder in dieser selbst, von der Mündung mehr oder weniger entfernt, mit gegenüberstehenden und an einander stossenden oder ab- wechselnd stehenden Segmenten der oft doppelten Valvula. Nach E. H. Weber‘) soll die Azyga an ihrer Mündung meist mit einer Valvula versehen sein. Nach R. Harrison’) befin- det sich an der Verbindung der Azyga mit der Cava superior eine rudimentäre Valvula, welche bisweilen gut entwickelt ist und auch doppelt vorkommt. Aehnliche Valvulae werden hier und da auch abwärts in der Azyga gefunden. Gewöhnlich aber mangeln Valvulae. Nach Alex. Lauth°) finden sich in der Azyga wenige; nach Fr. W. Theile°), C. Fr. Th. Krause), 1) Epist. anat. Bassani 1764. Fol. Pars II. Epist. XV. Nr. 35. p. 297. D)Al.E. 3) Lehrb. d. Anat. d. M. B. IV. Braunschw. 1800. S. 43. $. 2411. 4) V.Baue d. menschl. Körpers. 2. Aufl. Th.4. 1801. S. 468, 469. 5) Cours d’anat. med. Tom. III. Paris an XII. (1804) 4°. p. 368. 6) Fr. Hildebrandt’s Handb. d Anat. d. M. Bd. 3. Braunschweig 1831. S. 263. 7) The cyclop. of anat. a. physiol. Vol. I. London 1836. „Azy- gos“ pP. 360. 8) Neues Handb. d. pract. Anat. Bd. 2. Stuttgart, Leipzig und Wien 1836. S. 203. 9) Lehre v. d. Muskeln d. menschl. Körpers. Leipz. 1841. S. 305. 10) Handb. d. menschl. Anat. Hannover 1842. S. 927. Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste. 697 Fr. Arnold), Quain-Sharpey?) am Stamm nur wenige und unvollständige (alle oder zum Theil) Valvulae vor. Nach Ph. ©. Sappey°), nach dem an der Oeffnung der Azyga in die Cava superior nie eine Valvula existirt, kommt gewöhn- lich eine beträchtliche unter dieser Mündung über der des Stammes der Venae intercostales dextrae (wohl — Stamme der V. intercostales superiores?) vor. Ueber die Valvulae, welche in der Vena hemiazyga sich vorfänden, habe ich nirgends Angaben auffinden können. Die Venae intercostales besitzen nach A. Haller‘), E. H. Weber’) keine, nach ©. Langer‘) beinahe keine Val- vulae; J. Riolan’), H. Conringius?), H. A. Nicolai°), C. Chr. Schmidel'®), Fr. W. Theile!), C.Fr. Th. Krause'?), M’Dowel'®), Quain-Sharpey'*) aber haben an der Einmün- dung derselben in die Azyga oft (Riolan), oder bisweilen (Conrigius), oder überhaupt (die übrigen) Valvulae gesehen. Die gelieferte Geschichte der Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste beweist, dass darüber bis jetzt die sich widersprechendsten Ansichten herrschten. Man konnte 1) Handb. d. Anat. d. M. Bd. 2. Abth. 1. Freiburg i. B. 1847. S. 592. 2) Elements of anatomy. 6. edit. By W. Sharpey a. V. Ellis. Vol. II. London 1856. p. 388. a), Le 4) Op. eit. p. 276. 5) Op. eit. S. 85. Re 7) Anthropogr. Par. 1626. 4°. Lib. III. p. 344. 8) Op. eit. p. 237. 9) De directione vasorum. Argentorati 1725. — A. Halleri disp. anat. select. Vol. II. Bernae et Lausannae 1748, p. 540, 10) Bei A. Haller. De part. corp. hum. praecip. fabrica et functio- nibus. Tom. I. Bernae et Lausannae 1778. 8°. p. 275. 11.17 12, L.c. 13) The cyclop. of anat. a. physiol. Vol. IV. London 1852. Ve- nous-System. p. 1409. 14) L. c. Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 45 698 W. Gruber: nach den darin aufgestellten Angaben der verschiedenen Anato- men: nie Valvulae oder immer welche, eine oder viele, nur an einem bestimmten Platze, oder überall, an einer und derselben Stelle nie oder immer, gegenüber oder abwechselnd stehende, vollkommene oder nur unvoll- ständige unterscheiden; d. i. annehmen, was Einem eben einfällt, ohne befürchten zu müssen, für die beliebige An- nahme keine anatomische Autorität als Stütze zu haben. Der Grund dieser Widersprüche liegt nur theilweise in dem wirklich varürenden Verhalten der Valvulae, grösstentheils aber im Glau- ben an die Richtigkeit von Resultaten aus einer geringen An- zahl von Untersuchungen. Ausser Morgagni scheint in der That Keiner über die Valvulae geflissentlich Untersuchungen in ge- nügender Anzahl vorgenommen zu haben. M. selbst hatte aber darauf nur 14 Leichen hintereinander untersucht. Wer Recht und Unrecht hat, weiss man nicht. Wäre es gleichgültig zu wissen, wann, wo und wie die Valvulae vorkommen, so hätte man darüber füglich ganz schweigen können. Massenunter- suchungen über die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste waren daher angezeigt. Sie können allein über das möglichst wahre Verhalten derselben Aufschluss geben. Ich habe dar- über an 100 Leichen, wovon 83 männlichen und 12 weib- lichen Individuen angehörten, Untersuchungen angestellt. Die Resultate dieser Untersuchungen theile ich in Nachstehendem mit: B. Eigene Beobachtungen. I. Valvulae der Vena azyga. Vorkommen. A. Ueberhaupt. Ohne Rücksicht auf das Geschlecht der (vorhanden -78 Mal, Be, =22 Mal; vorhanden =7I1 Mal, nee =17 Mal; vorhanden =7 Mal, ns =5 Mal; Individuen beı Männern bei Frauen . Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste. 699 Vorkommen zum Mangel ohne Rücksicht auf das Geschlecht der Individuen verhielt sich wie 78:22 =3,545:1; bei Män- nern wie: 71:17=4107:1; bei Weibern wie: 7:5=1,4:1. Die Azyga wies somit ohne Rücksicht auf das Geschlecht der Individuen in —*/, d. F., bei Männern in +*/, d. F. und bei Weibern in ’/, d. F. Valvulae auf. B. An bestimmten Stellen. D En Bogen der Azygaıı . 2... .. = 64 Mal (58 Männer, 6 Weiber), und zwar a) neben der Mündung in die Caya su- Elorior 2. DH te 122Mal (11 Männer, 1 Weib), b) 2—4 Lin. von der Mündung . . . = 9 Mal DE (7 Männer, 2 Weiber), e) 5-9 Lin. von der Mündung . . .. = 27 Mal (25 Männer, 2 Weiber), -d)- 12 Lin. von der Mündung . . . . = 5 Mal (Männer), e) nahe dem hinteren Ende oder an die- sem, 12—21 Lin. von der Mündung viaY. 29% 11 Mal (10 Männer, 1 Weib). 2) In der Flexur (Biegung in den Bogen entfernt N unter der Einmündung des Stammes der Venae intercostales superiores dextrae [Vena intercostalis superior dextra]). ö) In der an der. Wirbelsäule aufstei- genden Portion und zwar nur an 8 Mal N ‚ihrem oberen unter der Umbiegung in den Bogen gelagerten bis 13 Lin. lan- gen Abschnitbe>siti. nwmallding mel. >= 6: Mal (5 Männer, 1 Weib). Das Vorkommen im Bogen verhielt sich zum Vorkommen an anderen Stellen des Stammes der Vene wie: 64:14=4,571:1; das Vorkommen an der Mündung in die Cava superior oder nahe dieser zum Vorkommen am hinteren Ende des Bogens 45” 700 | W. Gruber: oder nahe diesem wie 21:11=fast 2:1; das Vorkommen an beiden Enden des Bogens zum Vorkommen in seinem mitt- leren Theile wie: 32:32=1:1. Die Valvulae sassen somit etwa in ?/,, d. F. im Bogen der Azyga und nur in ?/,, d. F. im übrigen Stamme; unter den Fällen im Bogen etwa in ı/; d. F. an oder nahe seinem hinteren Ende, in !/, neben oder nahe der Mündung in die Caya superior und in !/, d. F. im mittleren Theile. | Zahl: 1—4. BineWalvulakamwor 2: 2.02% 3. 4282.2.02=,8. Mal (Männer), 1).Im Bogen ... . il Mal und zwar a) neben der Made in de Cara su- perior . Sr 1 Mal b) im hinteren inde ne — 1 Mal c) im mittleren Theile, 3—15 in von / der Mündung in die Cava superior entfernt. wir sa. >69, Mal 2) Inder Klexur . . = 1 Mal 3) Inder aufsteigenden Born R Mal anihrem Ende, 1 Mal 12 Lin. darunter) = 2 Mal. Eine doppelte Valvula mit gegenüberstehenden und aneinanderstossenden Segmenten kam vor = 59 Mal | (54 Männer, 5 Weiber), 1).Im Bogen: :.h Srbun: ae 91 Mal a7 Männer, 4 Weiber), und zwar a) neben der Mündung in die Caya su- perior ns... Sadlde= 6.Mal ( Männer, 1 Weib), b) im hinteren Ende. . . 2 2.2.2 = 9 Mal (Männer), c) im mittleren Theile si... 2.42. 0... = 36 Mal (33 Männer, 3 Weiber), 2) In der Flexur. . . Stay ==601 Mal 3) In der aufsteigenden Fortion ureh2 Mal (1 Mann, 1 Weib). Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste. 701 Eine dreifache Valvula mit nebeneinanderstehen- den undaneinanderstossenden Segmenten kam vor 1) Im Bogen 2 und zwar a) neben der Monduneih in die Cash su- perior . : \ i b) im mittleren Theile, 4-6 ieas von der Mündung in die Cava superior . 2) In der Flexur. 3) In der Kt ne den Poition 2 Stammes, 3 Lin. unter der Flexur in ‚dem Bogen . Sin Eine vierfache Valvula kam vor: A) Mit nebeneinanderstehenden und anein- anderstossenden Segmenten neben der Mündung des Bogens in die Cava superior . B) Als zwei untereinanderliegende Paare, deren Segmente aneinanderstossen und gegenüber- stehen ROT (3 Männer, 1) Im Bogen IILON RUN (2 Männer, und zwar a) neben der Mündung in die Cava su- perior das eine Paar, 10 — 12 Lin. davon entfernt das andere . b) im mittleren Theile, 3—4 Lin. von der Mündung in die Cava superior das eine Paar, von diesem 5-- 6 Lin. entfernt das andere 2) Inder aufsteigenden Portion, 12— 15 Lin. unter der Flexur das eine Paar, gleich unter diesem das andere . Eine doppelte Valvula kam somit in + ?/,d. F., =5 Mal (Männer), = 5 Mal 2 Mal. = 1 Mal = 1 Mal 1 Mal. j) = 1 Mal (Männer), = 5 Mal 2 Weiber), — 4 Mal 2 Weiber), = 2 Mal (Männer), = 2 Mal (Weiber), — 1 Mal (Mann). eine ein- 702 W. Gruber: fache in !/s—!Jıo d. F., eine dreifache und eine zweipaa- rige etwa in 2/,,—!/, d. F., eine vierfache mit nebeneinan- derstehenden Segmenten in '/,s d. F. vor. Mehrfache Valvulae standen sich gegenüber. Nie standen die Valyulae alternirend. Sitz: Die einfache Valvula sass meistens an der media- len Wand und darüber verschieden weit hinaus, selten an der lateralen Wand, oder im Bogen an der unteren Wand des Ve- nenrohres. .Bei der paarigen Valvula sass gewöhnlich ein Segment an der medialen, dass andere an der lateralen Wand weniger oft anders. In dem Falle mit Vorkommen einer vier- fachen Valvula neben der Mündung in die Caya superior lag das grösste Segment medianwärts, die übrigen lateral- auf- und abwärts. Gestalt: Die Valvulae hatten eine der in anderen Venen ähnliche und variirende Gestalt. Grösse: Die Valvulae variirten in Ansehung ihrer Breite und Höhe, bildeten mit der Wand des Venenrohres verschieden weite und tiefe Sinus. Ihre Anheftung erstreckte sich nämlich von '/, bis auf ®/, des Umfanges des Venenrohres; ihre Höhe variirte an der. breitesten Stelle, vom angehefteten convexen bis zum concaven, freien, gegen die Cava superior gekehrten Rand bei einfachem Vorkommen. von 2'/,—9 Lin., bei paarigem Vorkommen von 1—6 Lin., bei dreifachem und vierfachem "Vorkommen an dem grössten Segmente bis 6 Lin., Valvulae von 1 Lin. Höhe kamen selten vor. Eine wirklich rudimentäre Valvula wurde nur 1 Mal bei einfachem Vorkommen an der _ unteren Wand des Bogens, 15 Lin. von der Mündung in die Cava superior entfernt, beobachtet. Die Segmente der paarigen Valvulae waren bald gleich, bald verschieden gross. Das Vor- dringen von Flüssigkeiten, die von der Cava superior aus inji- cirt wurden, verhinderten sie nur in der Minderzahl der Fälle völlig; sie schlossen daher in der Minderzahl der Fälle complet, in der Mehrzahl incomplet. I. Valvulae der Hemiazyga. Valvulae kamen in dieser Vene in 3 Fällen (Männern) vor. Ein Mal sass eine an der Mündung der Hemiazyga inferior in Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste.e 703 die Azyga am 8. Brustwirbel; ein anderes Mal sassen zwei (eine vordere und eine sehr grosse hintere) an der Mündung der Hemiazyga inferior, welche die Intercostalis X., XI. auf- nahm, in die Azyga am 10. Brustwirbel; ein drittes Mal be- sass die Hemiazyga, welche an ihrem absteigenden Aste die Intercostalis L.—VI. empfing, an ihrem aufsteigenden Aste die übrigen Intercostales aufnahm und am 8. Brustwirbel in die Azyga mündete, an ihrem aufsteigenden Aste unter der Ein- mündung der Intercostalis IX. zwei (vordere laterale und hin- tere). Es kamen somit in der Hemiazyga nur in !/, d. F. 1—2 Valvulae vor. II. Valvulae der Vena azyga sinistra. Unter den 3 Fällen (Männern) aus 100 Leichen, in welchen alle Intercostales sinistrae in einen in die Anonyma sinistra mündenden, an Weite nach oben allmählich zunehmenden Venen- stamm — d.i. in eine Azyga sinistra — sich öffneten, wa- ren an zwei Fällen Valvulae vorhanden. In dem einen Falle, in welchem die Azyga dextra eine doppelte Valvula in ihrem Bogen aufwies, hatte die Azyga sinistra über der hin- teren Flexur, mit der sie sich von der Wirbelsäule nach vorwärts biegt, eine (vordere untere, 2—3 Lin. hohe) Valvula; in dem anderen Falle, in welchem die Azyga dextra 2 Paare Valvulae aufwies, besass auch die Azyga sinistra 2 Paare. Das eine untere Paar sass an der hinteren Flexur der Vene am 5. Brustwirbel, das andere obere Paar 16 Lin. weiter vor- und aufwärts an der vorderen oberen Flexur, über der rechten Lungenwurzel, mit der sie sich zur Anonyma sinistra nach aufwärts umbiegt. Die Segmente des unteren Paares waren 2'/, Lin., die des oberen Paares 2 Lin. hoch. Die Azyga sinistra hatte somit in ?/, d. F. Valvulae. IV. Valvulae der unconstanten medialen Wurzeln der Vena azyga und Vena hemiazyga. An der durch den Hiatus aorticus oder durch die ım Dia- phragma zwischen dem Crus internum und Cr. medium seiner Pars lumbalis befindlichen Lücke tretenden und von der 704 W. Gruber: Cava inferior kommenden Wurzel der Azyga sah ich an der Mündung in die Cava inferior in 4 Fällen (Männern) 3 Mal 2 Valvulae und 1 Mal eine Valvula. An derselben aber für die Azyga und Hemiazyga gemeinschaftlichen Wurzel von der Cava inferior sah ich an deren Mündung in diese Cava 1 Mal gleichfalls 1—2 Valvulae. In einigen der Fälle, wo dieselbe Wurzel der Azyga oder Hemiazyga von der Lumbalis III. oder II. kam, sah ich in der Mündung in diese gleichfalls 1—2 Valvulae. In einem der Fälle, in welchem die mediale Wurzel der Hemiazyga von der Renalis sinistra entsprang, sah ich an der Mündung in letztere eben- falls eine Valvula. In allen diesen Fällen hatten die Valvulae und deren Sinus eine verkehrte Stellung von denen der Val- vulae im Stamme der Azyga oder Hemiazyga. Sie hatten ihren freien Rand gegen die Venen, von wo die mediale Wurzel kam, gerichtet, ihre Sinus dahin offen, wodurch der unmittelbare oder mittelbare Eintritt des Blutes aus den Azygae in die Cava inferior gestattet, aber aus der Cava inferior u. s. w. in die Azyga complet oder incomplet gehindert wurde. V. Valvulae der Venae Intercostales. Die Intercostalis superior sinistra, welche eine ver- schiedene Zahl Intercostales superiores aufnimmt und in die Anonyma sinistra sich öffnet, hatte nur in 2 Fällen (Männern), und zwar 1 Mal an der Oeffaung in die Anonyma sinistra eine hintere Valvula und 1 Mal im Anfange des Stammes eine Valvula. Die Intercostalis superior dextra, welche mehrere In- tercostales superiores aufnimmt, hatte an ihrer Oeffnung in die Azyga meistens 1—2 oft durch ihre Grösse ausgezeichnete Val- vulae. Die Intercostales mediae dextrae hatten an ihrer Mündung in die Azyga und die I. m. sinistrae an ihrer Mün- dung in die Hemiazyga oder Azyga öfterer 1—2 Valvulae als keine. Die I. inferiores beider Seiten, besonders anschei- nend die der linken Seite, hatten an ihren Oeffnungen öfter keine Valvulae, als welche; namentlich war es die Intercosta- lis ultima beider Seiten, welche fast immer einer Valvula entbehrte, Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste. 705 VI. Balken im Lumen des Rohres der Azyga und Hemiazyga. In einem Falle (Mann) hatte die am 9. Brustwirbel in die Azyga mündende Hemiazyga 4 Lin. von ihrer Mündung einen bandförmigen und die Azyga am 7.—8. Brustwirbel einen fa- denförmigen von einer Wand zur anderen durch das Lumen des Rohres setzenden Balken. C. Folgerungen. 1. In der Vena azyga kommen bestimmt und in der Regel Valvulae vor. — Jene Anatomen, welche dieselben als constant vorkommend bezeichnen), irren, und jene, welche ihr Vorkom- men überhaupt läugnen, behaupten ganz Falsches. 2. Die Valvulae der Vena azyga sitzen in der Regel in deren Bogen, nur in der Minderzahl der Fälle in der Flexur und in der aufsteigenden Portion ihres Stammes. Im Bogen erheben sich vom Rande seiner Oeffnung in die Cava superior selbst keine Valvulae, sie können aber übrigens an allen ande- ren Stellen seiner Länge sitzen. In dessen mittlerem Theile sitzen sie noch einmal so oft als an seinen Enden und neben der Mündung in die Cava superior an seinem vorderen Ende noch einmal so oft, als in seinem hinteren Ende vor der Flexur der Vene. In der an der Wirbelsäule aufsteigenden Portion sitzen sie nur im oberen Abschnitte, nie oder gewiss nur ganz ausnahmsweise im unteren Abschnitte, weil hier selbst unter 100 Fällen nie Valvulae angetroffen worden waren. Die Anatomen, welche nur im Bogen der Vena azyga, oder Andere, welche nur in.der an der Wirbelsäule aufsteigenden Portion, hier an- scheinend constant und an allen Stellen, Valvulae zulassen, irren. Die Anatomen, welche anscheinend an den Sitz der Valvulae am Rande der Oeffnung der Vena azyga in die Cava superior glauben, haben völlig unrichtig beobachtet; Andere, nach weichen neben dieser Mündung meistens, oder noch An- dere, nach welchen daselbst nie Valvulae vorkommen, sind gleichfalls im Irrthum. 3. Die Vena hemiazyga weiset nur sehr selten an ihrer Mündung in die Vena azyga oder in ihrem Stamme Valvulae 706 W.Gruber: Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Aeste. auf. Tritt aber eine sogenannte Azyga sinistra auf, so scheint diese in der Mehrzahl der Fälle mit Valvulae versehen zu sein. Das Vorkommen von Valvulae in diesen Venen war bis jetzt unbekannt. 4. Die in die Vena anonyma sich öffnende Vena inter- costalis superior sinistra hat an ihrer Mündung oder in ihrem Stamme nur sehr selten Valvulae; die Venae intercostales ulti- mae scheinen nie oder nur ganz ausnahmsweise an der Mün- dung in die Vena azyga oder hemiazyga Valvulae zu besitzen; und die übrigen Venae intercostales sind an ihren Oeffnungen in die Vena azyga und hemiazyga bald mit Valvulae versehen, bald nicht. Ersteres scheint im Ganzen öfter der Fall zu sein, als Letzteres. 5. Die Valvulae, welche bisweilen am Ursprunge der me- dialen Wurzel der Vena azyga und: hemiazyga vorkommen, haben ihren freien Rand und Sinus gegen die Cava inferior u. s. w. gerichtet, also eine von den Valvulae in den Stämmen der er- steren Venen verkehrte Stellung. 6. Die Vena azyga scheint nie oder gewiss nur höchst ausnahmsweise mehr als 4 Valvulae zu besitzen, weil unter 78 Fällen nie mehr als 4 gefunden wurden. Zwei Valvulae treten meistens, eine nicht oft, eine dreifache oder zweipaarige selten, eine vierfache ganz ausnahmsweise auf. Sind mehrere Valvulae da, so stehen sie sich gegenüber, nie oder doch an- scheinend nur ausnahmsweise alternirend (entgegen den Behaup- tungen Anderer), weil unter 70 Fällen des Vorkommens mehr- facher Valvulae nie alternirende Stellung gesehen wurde. 7. Die Valvulae der Vena azyga sind verschieden ent- wickelt, schliessen in der Mehrzahl der Fälle nicht complet. — Die nicht complet schliessenden Valvulae oder überhaupt alle Valvulae der Vena azyga nur als unvollständige zu bezeichnen, wie es manche Anatomen thun, ist unrichtig. 8. Ganz ausnahmsweise kommt in der Vena azyga und V. hemiazyga ein Balken vor, welcher von einer Wand zur gegenüberstehenden hinübersetzt. A, Danilewsky: Untersuchungen über die Wirkungen u. s. w. 707 Untersuchungen über die Wirkungsart einiger Alkaloide auf das Centralnervensystem. (Vorläufige Mittheilung.) Von Prof. A. DAnILEwSKY in Kasan. Die Wirkung des Morphiums auf das Nervensystem ist sehr verschieden je nach der Grösse der Gabe. Kleinere Gaben bedingen eine Erregung der Empfindungs- centren und hauptsächlich des tactilen Empfindungscentrums. Mittlere Gaben wirken in derselben Weise auf die Setsche- now’schen Centren. Grosse Gaben unterdrücken die Reizbarkeit zuerst des pa- thischen Systems des reflectorischen Apparates!) und zuletzt ‚auch die Empfindungs- und Bewegungszellen. Morphium ist an und für sich kein Reiz für die Empfin- dungs- und Setschenow’schen Centren; es erhöht nur ihre Erregbarkeit, und damit werden Bedingungen gegeben, dass diese Oentren sehr leicht auf physiologischem Wege errest werden. Morphium kann die Setschenow’schen Centren nicht zur Thätigkeit auffordern, wenn das Thier seine tactilen Empfin- dungscentren entbehrt. Mittlere Gaben bringen miiktelst der Setschenow’schen Centren schmerztilgende Wirkung hervor, und können Träume, aber keinen Schlaf verursachen. 1) S. meine erste Mittheilung, oben $. 677, 7108 A. Danilewsky: Die Bedingungen des Schlafes in Verbindung mit allen frü- heren Wirkungen, können nur grosse Dosen hervorrufen. Grosse Morphiumdosen setzen durch unmittelbare Wirkung die Erregbarkeit des Vaguscentrums herab. Strychnin vergrössert ungemein stark die Beweglichkeit der Moleculartheilchen nur des pathischen Systems des reflectori- schen Apparates. Die Empfindungs- und Bewegungszellen blei- ben ausser seiner Wirkung. Eine mittlere Morphiumdose kann dem Strychnin sehr ent- gegenwirken durch die Hervorrufung der hemmenden Wirkung der Setschenow’schen Centren. Grosse Morphiumdosen vernichten die Strychninwirkung durch ihren unmittelbaren Einfluss auf dasselbe System. Strychnin ist auch kein Reiz für das pathische System. Meconin ist kein physiologisch indifferenter Stoff. Es vermindert allmählich die Beweglichkeit der Molecular- theilchen des pathischen Systems und ganz zuletzt auch die der Empfindungszellen. Es wirkt auch dem Strychnin erfolg- reich entgegen. Meconin ruft im reflectorischen Apparate die Bedingungen eines ruhigen Schlafes hervor. | Coniin erhöht zuerst die Erregbarkeit der Hemisphären und der Empfindungs- und Bewegungszellen des reflectorischen Appa- rates; in der zweiten Periode unterdrückt es die Erregbarkeit zuerst des pathischen Systems, dann die der Empfindungszellen und zuletzt die der Bewegungszellen. Ausser diesen Wirkungen setzt Coniin die Erregbarkeit der Muskelsubstanz der willkürlichen Muskeln herab. Der Winterschlaf oder niedrige Temperatur (für Frösche 4—6°R.) vermindern die Erregbarkeit des pathischen Sy- stems des reflectorischen Apparates und auch die der Hemi- sphären und Setschenow’schen Centren. Ein verhältniss- mässig kurzer Aufenthalt solcher Thiere in einer höheren Tem- Untersuchungen über die Wirkungsart einiger Alkaloide u. s. w. 709 peratur (15—16° R.) erhöht sehr bemerkbar die Reizbarkeit aller dieser Theile. Eine verminderte Beweglichkeit in dem pathischen System setzt der physiologischen Erregung so wie auch dem hemmen- den Einflusse der Setschenow’schen Centren einen grösseren Widerstand entgegen als im normalen Zustande. Die übrigen Resultate, welche sich bei der weiteren Verfol- gung der Wirkung der hier beschriebenen Stoffe herausstellen, werden, so wie auch Studien über Wirkungsart anderer Stoffe von mir von Zeit zu Zeit mitgetheilt werden. Kasan, den 7. October 1866. 710 B. Naunyn: Ueber eine eigenthümliche Geschwulstform der Leber (Uystosarcoma hepatis). Von Dr. B. Naunyn, erstem Assistenzarzte der medizinischen Universitätsklinik zu Berlin. (Hierzu Taf. XVIU. A.) Das Material zur nachfolgenden Arbeit stammt aus der Leiche einer Frau von 62 Jahren, welche längere Zeit auf der unter Leitung des Herrn Geheimrath Frerichs stehenden medizini- schen Klinik hierselbst behandelt und unter den Symptomen des Marasmus gestorben war. Bei der durch Herrn Dr. Cohn- heim vollzogenen Section wurden ausser den zu beschreiben- den Geschwülsten der Leber Abnormitäten bemerkenswerther Art in der Leiche nirgends gefunden. Die Leber zeigte im Ganzen normale Grösse und, mit Ausnahme einer quer über den rechten Lappen verlaufenden flachen Schnürfurche, normale Gestalt. Auf der Oberfläche des Organs erkannte man zahlreiche mit unbe- waffnetem Auge noch eben wahrnehmbare bis gut Hirsekorn- grösse graue etwas prominirende Flecke. Dieselben Flecken fand man auch auf Schnitten, die durch das Organ geführt wurden. Man erkannte hier, dass dieselben bedingt wurden durch fast genau kugelrunde, zahlreich und gleichmässig durch das Organ zerstreute Geschwülste von der erwähnten Grösse. Auf dem Querschnitt der grösseren dieser Geschwülste quoll, auch ohne dass mit unbewaffnetem Auge das Lumen eines Ka- nales zu bemerken war, spontan, noch reichlicher bei Druck Ueber eine eigenthümliche Geschwulstform der Leber u. s. w. 711 eine gelbe zähe, vollkommen gewöhnlicher Galle gleichende Flüssigkeit hervor. Häufig bemerkte man schon mit unbewaff- netem Auge, noch besser mit der Lupe, neben der kleinen Ge- schwulst den Querschnitt eines feinen Pfortaderzweiges; bei den kleinsten der Geschwülste war es häufig schwer zu ent- scheiden, ob man noch eine solche oder den Querschnitt der die Pfortaderverzweigungen begleitenden verdickten capsula Glissonii vor sich habe. Eine solche Verdickung der capsula Glissonii sieht man übrigens häufig an für das unbewaffnete Auge normal erschei- nenden Stellen der Leber, wenn man Schnitte des ÖOrganes nach Erhärtung desselben in Alkohol bei einer Vergrösserung von 19% —?%/, untersucht. | Es finden sich solche Verdickungen meist an den feineren Ver- zweigungen der capsula Glissonii, wo der begleitende Pfortader- ast bereits nur noch ein äusserst geringes Lumen besitzt. Das Bin- degewebe, welches diese Verdickungen der capsula Glissonii bildet, zeigt den Habitus des unreifen Bindegewebes, es ist nicht faserig und enthält ziemlich viel Bindegewebskörper. In dieser bindegewebigen Substanz sieht man Lücken, welche an Durchmesser den zugehörigen Pfortaderast, falls ein solcher auf dem Schnitte sichtbar ist, erheblich übertreffen. Dieselben sind selten genau kreisförmig oder oval, meist zeigen sie eine sehr unregelmässige buchtige Form, indem die bindegewebige Grundsubstanz häufig in Gestalt papillenförmiger Fortsätze in dieselben vorspringt; nicht selten finden sich auch brückenför- mige Fortsätze der Bindesubstanz, welche sich von einer Wand der Lücke zur gegenüberstehenden erstrecken. Sind mehrere solche Lücken vorhanden, so sind dieselben meist nur durch ganz dünne Scheidewände von einander getrennt, und nament- lich auf diekeren Schnitten gelingt es leicht, nachzuweisen, dass dieselben meist an der einen oder anderen Stelle durchbrochen sind, und die Hohlräume, deren Querschnitte diese Lücken dar- stellen, vielfach unter einander communiciren. Diese Hohlräume sind häufig mit einer gelben amorphen, wie Galle aussehenden Masse gefüllt. Sind sie leer, so sieht man, dass die Wand der- selben von einem continuirlichen Pflasterepithelium überzogen 712 B. Naunyn: ist, einem Epithelium, welches auf’s Genaueste dem der feine- ven Gallengänge gleicht. Die einzelnen Zellen desselben sind niedrig, wenig granulirt, nicht immer deutlich von einander zu unterscheiden; die ovalen Kerne sind relativ gross und deutlich granulirt. Im Ganzen gelingt es nicht häufig Schnitte zu erhalten, deren Untersuchung den Zusammenhang dieser Hohlräume mit Gallengängen zeigt. Hin und wieder indessen bekommt man von Stellen, wo schon die sehr erheblich verdickte capsula Glissonii die beginnende Geschwulstbildung zeigt, Schnitte, welche es erlauben, einen in derselben verlaufenden feineren Gallengang auf grössere Strecken seines Verlaufes zu verfolgen. Man sieht dann in einzelnen Fällen das Lumen desselben sich plötzlich zu einem ziemlich umfangreichen Hohlraume er- weitern, während das „Epithel des Gallenganges in das die Wand des Hohlraums auskleidende continuirlich übergeht. Der betreffende Gallengang scheint mit dieser Erweiterung stets zu enden, wenigstens war der Zusammenhang letzterer mit einem zweiten Gallengange niemals nachzuweisen. Die erwähnte Erweiterung zeigt meist die Gestalt eines an- nähernd regelmässigen Ellipsoids. Es gelingt nun leicht an einer grösseren Anzahl von Prä- paraten zu erkennen, wie aus diesen einfachen auf Erweiterung feiner Gallengänge beruhenden Hohlräumen die complieirteren Formen hervorgehen. Man findet solche Hohlräume, welche noch in deutlichem Zusammenhange mit feineren Gallengängen stehen, und zahlreiche flache, gleichsam sinuöse Ausbuchtungen ihrer Wand zeigen. Diese Ausbuchtungen werden tiefer, ihre Anfangs weite Kommunikation mit dem ursprünglichen Hohl- raume wird, durch die fortschreitende Wucherung der binde- gewebigen Grundsubstanz in letzteren hinein, mehr und mehr eingeengt. Der ursprüngliche Hohlraum wird in eben derselben ‘Weise verengt zu einer nur stellenweise weiteren Spalte, und so entsteht allmählich ein System höchst unregelmässiger bald spalt- artiger, bald gangartiger unter einander vielfach communieciren- der Hohlräume. Auf der Wand -derselben ist überall ein con- tinuirlicher Epithelialbelag von der beschriebenen Beschaffenheit Ueber eine eigenthümliche Geschwulstform der Leber u. s. w. 713 nachweislich. Indem die einzelnen so entstandenen Hohlräume der kleinen Geschwulst sich, wie es scheint, wohl rein passiv unter dem Drucke aufgestauter Galle an einzelnen Stellen er- weitern, die entstandenen Erweiterungen dann wieder durch das hineinwuchernde Bindegewebe in der beschriebenen Weise gleich- sam zerklüftet werden, wächst die Geschwulst, bis sie dem un- bewaffneten Auge als grauer Fleck von etwa Mohnkorngrösse erscheint. Haben die Geschwülste die erwähnte Grösse erreicht, bald auch früher, bald später, so geht die Vergrösserung des Hohl- raums derselben und mit diesem der Geschwulst selbst in an- derer Weise vor sich. Es bilden sich von dem die Wand des Hohlraums ausklei- denden Epithelium aus gleichsam knospenartig in die binde- gewebige Grundsubstanz hineinragende mit Epithelzellen völlig angefüllte Fortsätze. Das Bindegewebe selbst verhält sich hier- bei, wie es scheint, passiv, nirgends weisen grössere Anhäufungen der kernartigen Körperchen in demselben auf eine etwaige Ent- wicklung dieser Zellenhaufen aus letzteren hin. Diese Knospen können zu relativ langen mit denselben Zellen vollkommen ausgefüllten Gängen auswachsen, ehe, was schliess- lich fast immer der Fall ist, sich in ihnen ein centraler Hohl- raum ausbildet, welcher mit dem ursprünglichen Hohlraume der Geschwulst in Communication tritt. Die Anfangs den ganzen Fortsatz ausfüllenden Zellen überziehen dann als Epithelium, welches dem der grösseren Hohlräume ganz gleich ist, die In- nenfläche des neugebildeten Ganges. In der Peripherie der Geschwulst, welche bis jetzt das Ge- biet der Capsula Glissonii noch nicht überschritten, sieht man jetzt von letzterer aus ziemlich dicke bindegewebige Septa in die benachbarten Leberacini hineinwachsen, so dass die Leber- zellen deutlich in einzelne zum Theil unter einander in Ver- bindung stehende Gruppen geschieden werden. Viele von die- sen Zellengruppen gehen dann unter dem Drucke des fort- wachsenden Bindegewebes zu Grunde, in derselben Weise wie man dies bei der chronischen interstitiellen Hepatitis so häufig wahrnimmt. Wenn nun die beschriebenen, aus Epithelknospen hervorgehenden gangartigen Fortsätze des Hohlraums der Ge- Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1866* 46 714 B. Naunyn: schwulst an die Grenze der Leberacini gelangt sind, sieht man nicht selten die die Gänge ausfüllenden oder als Epithel aus- kleidenden Zellen in: die von Leberzellen ausgefüllten Hohl- räume hineinwuchern. Anfangs werden die früher von letzteren ausgefüllten Hohl- räume von den hineingewucherten Epithelzellen vollständig er- füllt, später bildet sich auch hier ein centraler Hohlraum, wel- cher mit dem Lumen des Ganges zusammenhängt und dann oft mit gallig gefärbter Masse erfüllt erscheint. Auch die so ent- stehenden Hohlräume können sich erheblich erweitern und weiterhin durch die fortschreitende Wucherung des Bindege- webes die schon mehrfach beschriebene Umgestaltung erfahren. Es beschränkte sich die Betheiligung der Leberzellenräume an der Geschwulstbildung im vorliegenden Falle stets auf die pe- ripherischen Bezirke der Acini, eine Erscheinung, die wohl mit dem wahrscheinlich sehr geringen Alter der Geschwülste im Zusammenhange stand. Es ıst klar, dass die Entwickelung der beschriebenen Leber- geschwülste vollkommen der des Cystosarcoma mammae analog ist, wie dieselbe von Reinhardt), Meckel?), Harpeck?), und Baur?) beschrieben ist. Hier wie dort handelt es sich um die Bildung eines complicirten Hohlraumsystems, welches aus den Ausführungsgängen der Drüse, dort den Milchgängen, hier den Gallengängen durch Erweiterung derselben und durch Wucherung des dieselben umgebenden bindegewebigen Sub- strates hervorgehen. Was die weitere Fortbildung der Hohlräume in den vor- liegenden Lebergeschwülsten, durch Knospenbildung seitens 1) Pathologisch-anatomische Untersuchungen, herausgeg. v. Leu- buscher. 2) Patholog. Anatomie der Brustdrüse. Illustr. medizin. Zeitung. 1852. | 3) Beiträge zur patholog. Anatomie des Oystosarcoma mammae. Studien des physiolog. Instit. zu Breslau, hrsggb. v. Reichert. 4) Patholog. anatomische Skizzen etc. Reichert’s u. du Bois- Reymond’s Archiv. 1862. Ueber eine eigenthümliche Geschwulstform der Leber u. s. w. 715 der Gallengangsepithelien und Betheiligung der Leberzellenräume anbelangt, so findet dieselbe in der Entwicklung des Cystosar- coma mammae nur eine unvollkommene Analogie; wenigstens wird von den meisten der erwähnten Forscher, welche die Ent- wicklung des Cystosarcoma mammae schilderten, eine gleiche Betheiligung der Drüsenacini an der Bildung der Geschwülste in Abrede gestellt. Es ist übrigens nicht zu verkennen, dass die im Vorliegenden beschriebenen Geschwülste in ihrer Entwicklung, was das Hineinwuchern der Gallengangsepithelien in die Leber- zellenräume anbelangt, Aehnlichkeit mit Krebsgeschwülsten dar- bieten (vergl. den folgenden Aufsatz). Sehr eigenthümlich ist jedenfalls das mültiple gleichzeitige Auftreten der Lebergeschwülste in dem hier beschriebenen Falle. Die beigegebenen Figuren verdanke ich zum Theil der Güte des Herrn Dr. Obermeier. Berlin, im September 1866. Erklärung der Abbildungen. Fig. I. stellt den Querschnitt einer der grösseren der beschriebe- nen Geschwülste dar, bei auffallendem Lichte gezeichnet. Die Ge- schwulst hat hier bereits das Gebiet der Capsula Glissonii überschrit- ten. Die weissen Flecke wie bei a a stellen die von Pflasterepithe- lium ausgekleideten Hohlräume der Geschwnlst dar (vergl. Fig. III, a). Bei 55 sieht man die Capsula Glissonii in die Geschwulst hinein ziehen; bei cc Querschnitte von Lebervenen in normalem Leberpa- renchym. Vergrösserung !?/ı. Fig. I. stellt eine der kleinsten beschriebenen Geschwülste dar, an welcher noch deutlich die Entwickelung des Hohlraumes aus Gallen- gangserweiterung erkenntlich ist. Vergrösserung ?0%/ı, Bei « ein Gallengang, welcher sich bei 5 plötzlich bedeutend er- weitert; das Epithelium des Gallenganges geht in das der Erweiterung 46* 716 B. Naunyn: Ueber eine eigenthümliche Geschwulstform u. s. w. continuirlich über. Bei cc zeigt der Hohlraum bereits ziemlich tiefe Ausbuchtungen. dd die verdickte Capsula Glissonii. e Leberzellen. Fig. III. Theil einer grösseren Geschwulst. Vergrösserung ?%%ı. aa der aus der ursprünglichen Gallengangserweiterung hervorgegan- gene Hohlraum der Geschwulst (cfr. Fig. I,a.). 55 scheinbar isolirte Theile desselben in der Tiefe des Schnittes. cc den Hohlraum aus- kleidendes Pflasterepithelium. d Bindegewebe der verdickten Capsula Glissonii. e Leberzellen. | Fig. IV. Von der Peripherie einer grösseren Geschwulst, wo die- selbe auf das eigentliche Leberparenchym übergreift. Vergrösserung ?%ı. Von dem Epithel des centralen Hohlraumes der Geschwulst ausgegan- gener Epithelialfortsatz, welcher bei @ Erweiterung und centrales Lu- men zeigt, bei 55 vollständig mit Epithelialzellen angefüllt ist. Bei cc wuchern die Epithelialzellen in die zum Theil noch von verfette- ten Leberzellen ausgefüllten Leberzellenhohlräume hinein. dd Leber- zellen, zum Theil verfettet. ee Bindegewebe. B. Naunyn: Ueber die Entwicklung der Leberkrebsee. 717 Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. Von Dr. B. Naunyn, erstem Assistenzarzte der medizinischen Universitätsklinik zu Berlin. (Hierzu Taf. XIX. und XX.A.) Die Geschichte der anatomischen Erforschung der malignen Neubildungen, namentlich der Epithelialcareinome der Haut, ist vor Kurzem von Thiersch') so ausführlich behandelt, dass eine weitläufige Darstellung derselben hier unnöthig erscheint. Nachdem es erkannt war, dass Neubildungen, und zwar auch solche, welche man als krebsiger Natur bezeichnen muss, häufig in ihrem feineren Bau eine grosse Aehnlichkeit mit der Structur von Drüsen zeigen, wurde namentlich durch die Untersuchun- gen von Meckel?), Reinhardt’), Hannover‘), E. H. We- ber’), Remak®), Lotzbeck?), Förster®) in seinen früheren 1) Der Epithelialkrebs, namentlich der Haut. Leipz. 1865. 2) Pathologische Anatomie der Brustdrüse Illustrirte medizin. Zeitung. 1852. 3) Patholog. anatom. Untersuehungen, herausg. v. Leubuscher. 1854. 4) Das Epithelioma. 1852. 5) Ueber die Oberhaut u. s. w. Meckel’s Archiv. 1827. 6) Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte u.s. w. Deutsche Kli- nik. 1854. 7) Fall von Schweissdrüsengeschwulst, Virchow’s Archiv, Bd. XVl. 8) lllustr. mediz. Zeitung. 1853, 718 | B. Naunyn: Arbeiten, Kessel!) und vielen anderen und neuerdings von Thiersch gezeigt, dass solche Geschwülste und besonders die der äusseren Haut und der Schleimhäute häufig auf hypertro- phischer Wucherung dieser selbst und namentlich der ihnen eingelagerten drüsigen Gebilde beruhen. Nach ihrer Ansicht nimmt das bindegewebige Substrat des Neoplasmas, seinen Ursprung von der normal an der betreffen- den Stelle vorfindlichen Bindesubstanz, während die dem Sub- strate nesterweis eingelagerten Zellen, die sogenannten Krebs- zellen, aus einer Wucherung der Epithel- oder Drüsenzellen her- vorgehen. Für die Epithelialcareinome der Haut war dies schon früher von Gluge?), Rokitansky°), Lebert®), v. Bären- sprung’) und namentlich von Frerichs‘), freilich mit gleich- zeitiger Annahme der Zellenerzeugung aus freiem Cytoblastem behauptet worden. Der Ansicht dieser Forscher traten entgegen Virchow’) und mit ihm Rokitansky°), Förster‘) in seinen späteren Arbeiten, Billroth'!®), C, O. Weber!!) und die meisten neue- ren Forscher. Dieselben leugnen zwar die auffallende Bir Wehner keit vieler offenbar maligner Geschwülste mit Drüsen keines- wegs. Auch wurden namentlich von Billroth 2), Virchow), 1) Studien des physiologischen Instituts in Breslau, herausg. von C. B. Reichert. 2) Pathologische Anatomie. 3) Lehrbuch der pathol. Anatomie. 1. Aufl. 4) Gazette medicale 1850. 5) Beiträge zur Anatomie etc. 1848. 6) Jenaische Annalen. 1849. 7) Ueber Cancroide etc. Verhandlungen der physik. Gesellschaft zu Würzburg I. Gesammelte Abhandlungen. 8) Abhandlungen der Wiener Akademie. 9) Beiträge zur patholog. Anatomie etc. Virchow’s Archiv. Bd. XIV. etc. 10) Ueber den feineren Bau etc. Virchow’s Archiv. Bd. XVII. ete. 11) Chirurg. Erfahrungen etc. 1859 u. Vircho w’s Archiv. Bd. XVI. 12) Zur Entwicklungsgeschichte ete. Virchow’s Archiv. Bd. VII. 13) Ueber Perlgeschwülste etc. Virchow’s Archiv. Bd. VIU. Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. 719 und neuerdings von Wyss.!) Beobachtungen bekannt ‚gemacht, welche beweisen, dass sich zu ursprünglich auf einfacher Hyper- trophie drüsiger Organe (Hoden, Prostata) beruhenden Geschwül- sten secundäre Neubildungen entschieden carcınomatöser Natur in inneren Organen hinzugesellen können. Sie erkannten demnach zwar an, dass die krebsige Entar- tung eines Organes häufig als einfache Hypertrophie beginne. Erst dann, aber, wenn im bindegewebigen Substrat des betref- fenden ‚Organes, durch Wucherung und Metamorphosirung der Bindegewebskörper bedingte Neubildung epithelialen Gewebes aufträte, erst dann nähme die Geschwulst den Character des Krebses an, d. h. erst dann wohne ihr die Fähigkeit zur Me- ° tastasenbildung inne. In den metastatischen secundären Geschwülsten selber näh- men die neugebildeten Zellenmassen ihren Ursprung von den Zellen des Bindegewebes im betreffenden Organ, welche durch von der primären Geschwulst in die Blutbahn hineingelangende Irritamente (ganze Geschwulstpartikel oder Flüssigkeit) zu „he- teroplastischer* Wucherung angeregt würden. Die Schwierigkeiten, welche für den Nachweis der Neubil- dung epithelialer oder Krebszellen aus Bindegewebskörpern durch die mikroskopische Forschung bestehen, sowie die theo- retischen, namentlich aus feststehenden Thatsachen der Ent- wicklungsgeschichte herzuleitenden Bedenken gegen eine solche Annahme sind von Thiersch neuerdings auf’s Ausführlichste erörtert. Andererseits schienen sich der ersterwähnten Ansicht, nach welcher eine Entstehung epithelialer Zellen aus Bindegewebs- zellen nicht statthat, Schwierigkeiten entgegenzustellen bei der Entwicklung secundärer Krebsgeschwülste in inneren Organen. Hier war es bis jetzt noch keinem der Forscher, welche der obenerwähnten Ansicht huldigen, nachzuweisen gelungen, dass und resp. aus welchen normalen Gebilden epithelialer Natur sich hier die epithelialen Zellen der Neubildung, (Krebszellen) entwickeln. | 1) Ueber die bösartigen etc. Virchow’s Archiv. Bd. XXXY. 720 B. Naunyn: Thiersch, der auch diesen Punkt ausführlich bespricht, sieht sich daher genöthist anzunehmen, dass überall da, wo sich Neubildungen epithelialen Characters in inneren Organen entwickeln, dieselben ihren Ausgang nähmen von Partikeln der primären Geschwulst, welche entweder durch den Venenstrom oder den Lymphstrom in das betreffende Organ eingeschleppt seien. Indessen gesteht der erwähnte Forscher, nachdem er alle für und wider diese Ansicht sprechenden Beobachtungen und aus Experimenten gewonnenen Erfahrungen gegen einander ab- gewogen, selbst zu, dass dieselbe eines ausreichenden Beweises durchaus ermangele. Für die Erforschung der Entwicklung der Carcinome bietet die Leber das reichste Feld. Es ist dies Organ häufig der Sitz secundärer Geschwulstbildungen bei primärem Krebse im Ge- biete der Pfortader und des Uterus. In diesen Fällen ebenso wie in denjenigen, wo sie der Sitz primärer Krebsbildungen wird, finden sich die Neoplasmen in ihr meist in der Mehrzahl, oft in sehr grosser Menge. Die verschiedenen Geschwülste sind dann meist von verschiedener Grösse; neben grösseren offenbar älteren Neubildungen findet man oft ganz kleine offen- bar jüngere. Sie zeigen in Bezug auf Härte und Saftreichthum in den verschiedenen, oft auch in derselben Leber die Unter- schiede, welche man früher namentlich zur Unterscheidung der verschiedenen Krebsarten vom Markschwamm bis zum Seirrhus benutzte. Dieselben beruhen auf der mehr minder reichlichen und der mehr oder minder weit vorgeschrittenen Entwicklung des bindegewebigen Substrates der Geschwülste und stehen zum Theil mit der in den Geschwülsten vor sich gehenden soge- nannten Rückbildung (Narbenbildung) im Zusammenhang. Durch- schneidet man solche Geschwülste, so sieht man leicht, dass sich sowohl die verschiedenen Tumoren, als auch derselbe Tu- mor an verschiedenen Stellen der Peripherie, in Bezug auf die Abgrenzung gegen das normale Leberparenchym hin sehr ver- schieden verhalten. An einzelnen Stellen sieht man die Sub- stanz der Geschwulst scharf gegen das umgebende Leberparen- chym abgegrenzt; das nächstbenachbarte relativ normale Leber- Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. Ä 721 gewebe selbst zeigt kleine, wie abgeplattete, comprimirt erschei- nende, meist hyperämische Acini. Die mikroskopische Untersuchung solcher Uebergangsstellen nach Erhärtung des Organes in Alkohol lässt hier die nämlichen Veränderungen erkennen, welche man überall da wahrnimmt, wo Neoplasmen unter einfacher Verdrängung der umgebenden Gewebe sich vergrössern. Dieselben sind später noch mehrfach zu erörtern. An anderen Stellen fehlt eine derartige scharfe Grenze. Man sieht hier das oft glänzend weisse oder hellgelbe Gewebe der Geschwulst zunächst übergehen in eine grauliche etwas durch- scheinende Substanz, welche ihrerseits zackige knospenartige Fortsätze in das benachbarte anscheinend normale Lebergewebe hineinerstreckt. Diese Fortsätze führen häufig zu kleinen kaum stecknadelknopfgrossen, oft auch nur noch eben dem unbewaff- neten Auge wahrnehmbaren Knötchen graulicher ebenso durch- seheinender Substanz, in deren Centrum man hier und da einen oder mehrere hervorstechend weisse Punkte wahrnimmt. Von solchen Punkten ausgehend bemerkt man hin und wieder feine ebenfalls durch ihre helle Farbe hervorspringende Linien, welche mit den erwähnten Zügen graulicher durchscheinender Substanz entweder gegen die Geschwulst hin oder weiter in das normale Leberparenchym hinein sich erstrecken. Ebensolche wie die erwähnten Flecken mit centralem weissem Punkte, die Durchschnitte kleiner Knötchen sieht man oft durch die ganze Leber zerstreut und ohne nachweisbaren Zusammen- hang mit den grösseren Krebsgeschwülsten. Es findet sich das geschilderte Verhalten in ähnlicher Weise bei primär wie bei secundär sich in der Leber entwickelnden Carcinomen. Bei dem letzteren d. h. dem secundären Leber- krebse erkennt man häufig schon bei der Untersuchung mit blossem Auge, noch besser mittelst der Lupe, dass die erwähn- ten hervorstechend weissen Linien, welche von den grösseren Geschwülsten aus in das normale Parenchym hineinziehen, so- wie die weissen Flecke im Centrum der kleinsten Knötchen bedingt werden durch Längs- respective Querschnitte thrombo- sirter Pfortaderzweige. Es gelingt häufig, sie mittelst einfacher 122 B. Naunyn: Präparation zu grösseren unzweifelhaften Pfortaderzweigen zu verfolgen; in Fällen, wo eine Injection von der Pfortader aus vorgenommen, ist eine solche Erkenntniss durch die eingedrun- gene betreffende Injectionsmasse noch mehr sichergestellt. Diese Thromben sind meist carcinomatöser Natur; sie be- stehen zum Theil nur aus dicht gedrängten Zellen, welche de- nen des betreffenden Carcinoms gleichen; häufig aber zeigen sie vollständig, krebsige Struktur. Sie bestehen dann aus einem bindegewebigen Gerüste, welches ein Netz- oder Balkenwerk darstellt, in dessen Maschen oder Kammern Krebszellen nester- weis eingelagert sind. Meist, namentlich da, wo der 'Thrombus im Zusammenhange mit einer grösseren Krebsgeschwulst ist, steht der Annahme, dass derselbe durch das Hineinwuchern des Krebses in den betreffenden Pfortaderast bedingt sei, Nichts entgegen. In anderen Fällen indessen scheint der krebsige Thrombus der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Krebs- geschwulst zu sein. Besonders deutlich zeigte sich dies in einem Falle, wo sich im Gefolge eines sehr grossen Fungus haematodes der linken Niere zahlreiche Neubildungen derselben Art in der Leber entwickelt hatten.) Hier fanden sich sowohl auf der Oberfläche wie auf dem Schnitte des Organes zahlreiche, für das unbewaffnete Auge eben noch wahrnehmbare bis hirsekorngrosse Flecke, welche vollkommen blutigen Suffusionen glichen, wie man sie wohl bei Capillarembolieen anderer Organe, z. B. der Milz, der Niere nicht selten sieht. In der Mitte dieser Flecke, welche die Querschnitte kleiner Geschwülste darstellten, bemerkte man fast überall den Quer- oder Längsschnitt eines thrombosirten Pfort- aderzweiges. Bei der mikroskopischen Untersuchung eines dieser kleinen Tumoren nach der Erhärtung des Organes in Alkohol, gelang es, den Längsschnitt eines kleinen Pfortaderzweiges an einer 1) Die 1. Niere war hier in eine überkindskopfgrosse Geschwulst verwandelt, über welche die Flexura colica sinistra fortzog, die Venen des zugehörigen Theiles des Mesocolon waren zum Theil von carcino- matösen 'Thromben erfüllt. Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. 7123 Theilungsstelle zu erhalten. Auf der; Theilung reitend findet sich ein Embolus, welcher zum Theil aus älterem Fibringerinn- sel, in dem hier und da völlig entfärbte Blutkörperchen zu bemerken sind, zum Theil aus einem Haufen dichtgedrängter Zellen besteht, die den in der primären Nierengeschwulst und in den carcımomatösen Thromben der Venen des Mesocolon vor- findlichen vollkommen gleichen. Der erheblich erweiterte Pfort- aderast vor der Theilung sowohl als auch die beiden sich hin- ter dem Embolus plötzlich erheblich verengernden Zweige sind mit frischeren Blutgerinnseln erfüllt, in welchen die Blutkörper- chen noch deutlich zu erkennen sind. Meist kam der im Centrum der kleinen Geschwülste nach- weisbare Pfortaderzweig im Querschnitte zur Beobachtung. Dann zeigt sich das Lumen desselben entweder von den erwähnten Krebszellen vollkommen erfüllt, oder der betreffende Thrombus besteht aus älterem oder frischerem Gerinnsel, in welchem Hau- fen jener Zellen eingelagert sind. Die benachbarten Leberacini zeigen überall eine Hyperämie des höchsten Grades, im Uebri- gen verhalten sie sich ebenso wie das den thrombosirten Pfort- aderzweig umgebende Bindegewebe an vielen Stellen vollkom- men normal. An anderen Stellen ist dies nicht der Fall. Man sieht hier an der einen oder anderen Stelle die Wandung der Pfortader zerstört, und Massen der erwähnten Zellen in das Binde- gewebe der Capsula Glissonii oder auch weiter in die peri- pherischen Bezirke der benachbarten Leberacini sich hinein- drängen. Nirgends fanden sich in dieser Leber Veränderungen, welche auf die Entwicklung eines Neoplasma zu beziehen waren, ohne dass es bei sorgfältiger Untersuchung gelang, den Zusammen- hang derselben mit einem der beschriebenen Pfortaderthromben nachzuweisen. Es ist demnach wohl zweifellos, dass hier die Entwicklung der secundären Krebsgeschwülste in der Leber ihren Ausgangspunkt nahm von in dies Organ eingeschleppten Partikeln der primären Nierengeschwulst. Aehnliche wie die eben beschriebenen Erscheinungen wurden auch in anderen Fällen, wo sich in der Leber Carcinome im 724 B. Naunyn: Gefolge gleichartiger Erkrankung anderer Organe entwickelt hatten, häufig beobachtet. Wenn es nun auch in diesen Fällen nicht gelang, mit der gleichen Sicherheit die Entwicklung der secundären Geschwülste aus embolisch eingeschleppten Partikeln. der primären Geschwulst nachzuweisen, so ist doch wohl die Annahme, dass eine derartige embolische Entwicklung beim se- cundären Leberkrebse häufig stattfände berechtigt.') Was die weitere Entwicklung der in die Leber eingeschlepp- ten Krebspartikelchen auf ihrem neuen Standorte anbelangt, so war es in dem beschriebenen Falle von multiplen secundä- ren Leberkrebsen bei primärem Nierencarcinom leicht, sich da- von zu überzeugen, dass dieselbe ganz übereinstimmt mit der Art und Weise, wie ältere Krebsgeschwülste in den verschiede- nen Organen wachsen. Die, wie es scheint, durch Wucherung der bereits vorhandenen Krebszellen neugebildeten Zellenmassen drängen sich in das benachbarte Gewebe des Organs hinein. Am schnellsten dringen die wuchernden Massen natürlich in der Richtung vor, wo ihnen der wenigste Widerstand entge- gensteht. So verdrängen sie in der Leber zunächst die Leber- zellen, welche man verfettend zu Grunde gehen sieht, und füllen die früher von diesen eingenommenen Hohlräume an, während die häufig verdiekten Bindegewebssepta Anfangs den andrän- genden Zellenmassen Stand halten. Es verhält sich das Binde- gewebe des umgebenden Organs hierbei im Wesentlichen so, wie man es bei der Gegenwart eines jeden chemisch oder durch Druck reizend auf dasselbe wirkenden Fremdkörpers sich ver- halten sieht, z. B. bei der Gegenwart von Entozoen, und na- mentlich ist das Verhalten des bindegewebigen Substrates in der Peripherie einer multilocularen Echinococcusgeschwulst in hohem Grade gleichartig. Während dasselbe hier und da unter 1) Weber ist es, wie ich aus einem mir nach Vollendung dieser Arbeit zu Gesicht kommenden Aufsatze (Zur Geschichte des Enchon- drom’s etc. Virchow’s Archiv. Bd. XXXV.) ersehe, gelungen, an secundären Enchondromen der Lunge nachzuweisen, dass die Bildung dieser Geschwülste ihren Ausgangspunkt nahm von embolisch einge- schleppten Partikeln des primären Enchondroms der Beckenknochen, Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. 725 dem Drucke des Fremdkörpers atrophirt, wuchert es an ande- ren benachbarten Stellen, hier zeigt es dann die Charactere des jungen Bindegewebes („Schleimgewebes*) mit massenhaft ein- gelagerten kernartigen Körperchen. Die Entstehung der Krebszellen aus diesen oder aus den Kernen der Capillaren mit Sicherheit nachzuweisen gelang nie. Die Schwierigkeiten, welche einem solchen Nachweise da, wo es sich um das Wachsen bereits vorhandener Geschwülste handelt, ‘ entgegenstehen, sind bereits oft erwähnt. Wir finden sie in den Fällen, wo die Entwicklung der Geschwülste aus carcino- matösen Emboli statthat, auch bei den allerjüngsten Geschwulst- formen. Es empfiehlt sich demnach für die Entscheidung dieser Frage die Untersuchung der jüngsten Formen primärer Krebs- geschwülste. In der Leber und der Wand der Gallenblase einer Frau von 45 J., welche nach Bestehen eines mehrmonatlichen Icterus auf der hiesigen Universitätsklinik gestorben war, fanden sich zahl- reiche Krebsknoten von Wallnuss- bis Stecknadelknopfgrösse. Ausserdem wurden bei der durch Herrn Prof. Klebs, damals Assistent am hiesigen patholog.-anatom. Institut, vollzogenen Section keine Neoplasmen in irgend einem Organe gefunden. Das ganze Parenchym der Leber war in Folge des gleich- zeitig bestehenden vollständigen Verschlusses des Ductus chole- dochus durch einen Gallenstein intensiv ieterisch gefärbt. Das makroskopische Aussehen der Geschwülste war vollkommen das, wie es oben von den Krebsknoten im Allgemeinen beschrieben wurde. Auch hier waren die von grösseren wie von kleineren und auch von den kleinsten Geschwülsten ausgehenden, dem Zuge der Capsula Glissonii folgenden hellen Linien zu er- kennen. Die mikroskopische Untersuchung des in Alkohol erhärteten Organes indessen erweist, dass diese Linien hier nicht bedingt werden durch thrombosirte Pfortaderzweige, sondern dass hier erweiterte Gallengänge vorliegen; dieselben waren an allen cha- racteristischen Eigenschaften sowie auch an von grösseren Gal- 726 B. Naunyn: lengangsästen aus eingespritzter Injeetionsmasse als solche zu erkennen. !) . Diese Gallengänge sind im Verhältniss zum begleitenden Pfortaderzweige ausserordentlich weit, während im Allgemeinen eine Erweiterung der feineren Gallengänge in dieser Leber nicht zu constatiren ist. \ Die Zellen des ihre Wandung bekleidenden Epitheliums sind im Vergleich zum normalen, wie es auch in dieser Leber meist wahrnehmbar ist, um das Mehrfache vergrössert, mit mächtigen Kernen versehen. Sie stellen meist saftreiche Pflaster- oder auch niedrige Cylinderzellen dar, an Stellen, wo sich in der Norm längst ein ganz flaches Pflasterepithelium findet. Unter den im Ganzen gleichmässig vergrösserten Zellen finden sich Stellen, wo einzelne oder mehrere benachbarte Zellen eine viel bedeutendere Grösse als die umliegenden zei- gen; dieselben pflegen dann auch im Verhältniss ungewöhnlich grosse Kerne zu enthalten. Das Lumen dieser Gallengänge ist häufig leer, häufig auch mit einer gelblichen, wie Galle aussehen- den Masse gefüllt. Der begleitende Pfortaderast verhält sich ebenso wie das Bindegewebe der Capsula Glissonii vollkommen normal. Gelingt es, einen solchen Gallengang auf weitere Strecken seines Verlaufes zu verfolgen, so gelangt man häufig an die Grenze einer der kleineren Geschwülste. Man findet dann hier das Bindegewebe der Capsula Glissonii erheblich verdickt. Das- selbe zeigt bald das Aussehen gewöhnlichen reifen Bindegewe- © 1) Als Injectionsmasse wurde fast stets die bekannte Lösung von Berlinerblau angewendet. Bei mit dieser Masse ausgeführter Injection der Gallengänge ereignete es sich nicht selten, dass dieselbe zwischen die einzelnen Zellen des Gallengangsepitheliums eindrang. Es fanden sich dann die einzelnen Epithelialzellen zum Theil von Schalen er- härteter Injectionsmasse umgeben. In einzelnen Fällen bildete die zwischen die Zellen ergossene Injectionsmasse ein Netzwerk sehr fei- ner blauer Linien, welches in auffallender‘ Weise an das von Mac- Gillavry, Frey etc. injieirte Netz „feinster Gallenkanäle“ erinnerte, nur waren die Maschen dieses Netzwerkes, in denen hier je eine Epithelialzelle mit Kern liegt, weit kleiner als dort. Fig. VII. Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. TaT bes, bald ist es ohne deutliche Faserung und zeigt einen grossen Reichthum kernartiger Körperchen. Von der Capsula Glissonii aus sieht man dicke Bindegewebszüge in den Leberacinus hin- einziehen; auf diekeren Schnitten bemerkt man, dass diese Bindegewebszüge im Innern des Acinus Scheidewände bilden, welche den Acinus in ein System von Hohlräumen theilen. Diese Hohlräume communiciren vielfach untereinander, zeigen ; bald nach allen Richtungen hin gleichen Durchmesser, bald überwiegt ein Durchmesser erheblich, und sie stellen dann-ein dem entsprechendes Netzwerk dar. Es ist dies dasselbe Bild, wie man es auch in frühen Sta- dien der diffusen chronischen Hepatitis nicht selten sieht; nur sind im vorliegenden Falle die Hohlräume erheblich grösser, und während dieselben dort von Leberzellen erfüllt sind, ist hier in der Mitte der Hohlräume ein Lumen bemerklich, wäh- rend die Höhlenfläche derselben bekleidet wird von einem Epi- thelium. Dasselbe gleicht in jeder Beziehung dem des Gallen- ganges, dessen Verfolgung hierher führte. Das Lumen der Hohlräume ist entweder leer oder erfüllt von einer gelblichen amorphen Masse, welche vollkommen der in den feineren Gal- lengängen aufgestauten Galle gleicht. Der betreffende Gallengang selbst zieht oft, dem Verlaufe der verdickten Capsula Glissonii folgend, in die Geschwulst bis gegen die Mitte derselben hinein. Hier wendet er sich gegen die Grenze des das beschriebene Hohlraumsystem darstellenden Acinus und endet unter einer plötzlichen Wendung nach oben oder unten abgeschnitten. Nur selten gelingt es, den Ueber- gang desselben in den Acinus deutlich zu beobachten. Man sieht dann, wie das Epithelium des Gallenganges in das jene Hohlräume auskleidende continuirlich übergeht, während sich andererseits das Lumen des Gallenganges zu dem der letzteren erweitert. Gegen die Peripherie der Geschwulst hin werden die er- wähnten Hohlräume kleiner, die sie trennenden Septa dünner und zarter. In den Hohlräumen ist ein centrales Lumen. nur noch hier und da als schmaler Spalt sichtbar, meist sind sie ganz von den beschriebenen grossen (Epithel-)Zellen ausgefüllt, 728 B. Naunyn: Der Uebergang der Geschwulst in das normale Leberparen- chym ist schwer zu beobachten. Es ist, wohl wegen der grös- seren Weichheit und Ungleichartigkeit des Gewebes an dieser Stelle, schwer von demselben einen genügend feinen Schnitt zu erhalten. An solchem sieht man, dass sich gegen die Peripherie der Geschwulst hin die neugebildeten Zellen in bald scheinbar durch einander verlaufende bald netzartig verflochtene kurze Reihen anordnen, wie sie meist die Leberzellen an diesen Stellen auch bilden. Häufig schieben sich diese Reihen zwischen die Leber- zellenhaufen ein; an anderen Stellen aber sieht man, wie eine Reihe neugebildeter Zellen in eine Leberzellenreihe übergeht. Hier ist die Grenze des Neoplasmas, d. h. was Leberzelle, was neugebildete Zelle ist, schwer zu bestimmen. Es scheint, als ob die Leberzellen unter Vergrösserung ihres Kernes und Auf- hellung des hier stets stark körnig getrübten Zellinhalts zu Zel- len des Neoplasmas werden. Das beschriebene Verhalten der Geschwulst und der Zu- sammenhang derselben mit den Gallengängen ist übrigens fast nur an den kleinsten Geschwülsten und auch da nicht häufig in der geschilderten Uebersichtlichkeit wahrzunehmen. In den centralen Partieen grösserer Geschwülste, auch in kleineren Ge- schwülsten gewinnt nicht selten das Bindegewebe die Oberhand, und die Hohlräume werden, unter Verdickung der sie trennen- den Septen, mehr und mehr eingeengt. Die in den Hohlräumen enthaltenen Zellen verfetten und gehen zu Grunde. An ande- ren Stellen bleibt die Wucherung der Bindesubstanz hinter der Zellenwucherung zurück; es verliert dann das Gewebe der Ge- schwulst die beschriebene regelmässige Struktur vollständig und zeigt die der gewöhnlichen Krebse: grosse Haufen oft zu be- deutender Grösse auswachsender Zellen, durchzogen von mehr oder minder starken Bindegewebsbalken. Man sieht dann nicht selten auch in solche Haufen von Krebszellen Gallengänge übergehen und kann den Zusammenhang des Epithels des Gal- lenganges mit den die Hohlräume der Geschwulst ausfüllenden Zellenmassen in vollkommener Deutlichkeit wahrnehmen. Nicht selten kann man den Uebergang der einen Struktur Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. 7129 in die andere wahrnehmen. Es ist demnach anzunehmen, dass diese verschiedenen Structurformen, welche die verschiedenen Geschwülste und oft auch dieselbe Geschwulst an verschiedenen Stellen zeigen, verschiedene Entwicklungsarten eines Neoplas- mas darstellen, welches man als Careinom bezeichnen muss, — Man beobachtet übrigens eine sehr ähnliche Art der Entwick- lung auch an secundär sich zu primären Krebsen anderer Or- gane hinzugesellenden Geschwülsten der Leber, deren carcino- matöse Natur also ausser durch ihre Structur auch durch dieses Verhältniss festgestellt ist. Allerdings wird die Beobachtung in solchen Fällen durch die oft gleichzeitig statthabende Ent- wicklung secundärer Geschwülste aus in die Pfortader embolisch eingeschleppten Partikeln der primären Geschwulst erheblich erschwert. Auch bei der Untersuchung secundärer Leberkrebse fällt häufig die genaue Uebereinstimmung der Zellen jüngerer Car- cinome mit den dann allerdings meist abnorm vergrösserten Epithelialzellen der in der Umgegend verlaufenden Gallengänge auf. Man findet Stellen, wo, auch ohne dass die Zeichen früher bestandener Gallenstauung nachgewiesen werden können, die Gallengänge stark erweitert und mit den vergrösserten Epithe- lialzellen vollgepfropft sind. Man beobachtet solche Verände- rungen oft an Gallengängen, welche, wie eine genauere Unter- suchung erweist, mit Krebsgeschwülsten in keinem continuir- iichen Zusammenhange stehen; man sieht aber auch nicht sel- ten derartige Gallengänge gegen ältere oder jüngere Krebsge- schwülste hinziehen und eine Strecke weit in dieselben hinein- ziehen. Man beobachtet dann auch hier oft mit Deutlichkeit, wie ein solcher Gallengang in einen mit, den Epithelzellen desselben völlig gleichenden Zellen ausgefüllten Hohlraum übergeht. Häu- fig auch bemerkt man, wie von dem Gallengang selbst, wäh- rend seines Zuges durch makroskopisch normal. erscheinendes Leberparenchym, seitlich knospenartige, mit Epithelzellen dicht- gedrängt erfüllte Fortsätze in die Leberacini hineinwuchern. In letzteren sind dann die Bindegewebssepta verdickt, die zwi- schen ihnen bleibenden Hohlräume sind zum Theil noch mit Reichert’s u. du Bois-Reymond’g Archiv. 1866. 47 130 B. Naunyn: verfetteten Leberzellen angefüllt, zum Theil sind sie erweitert und vollgepfropft mit Epithelial-(Krebs-)Zellen. Nicht selten sieht man die knospenartigen Fortsätze des Gallengangsepithelium dann in diese Zellenhaufen übergehen. In anderen Fällen secundären Leberkrebses findet man so- wohl in der Peripherie einer grösseren Geschwulst, als auch an Stellen der Leber, wo eine Neubildung makroskopisch noch nicht erkennbar ist, die einen feinen Pfortaderast begleitende Capsula Glissonii ansehnlich verdickt. Am Rande der .Leber- acini sieht man feine Gallengänge mit vollkommen normalen oder etwas vergrösserten Epithelzellen in ungewöhnlicher Reich- lichkeit. An anderen Stellen sieht man, wie dieselben in die Acini hineinwachsen. Man sieht die Leberzellenräume, welche wieder vielfach untereinander communicirende Hohlräume oder kurze Gänge darstellen, mit Zellen gefüllt, welche denen des Gallengangsepithelium genau gleichen, und häufig beobachtet man das Uebergehen derselben in Räume, welche mit normalen oder verfetteten Leberzellen angefüllt sind. Häufig zeigen übrigens auch hier mit neugebildeten Zellen erfüllte Hohlräume in ihrer Mitte ein centrales Lumen mit galliger Masse gefüllt, während die Zellen als epitheliale Schicht die Wand derselben bekleiden. Wenn man solche Gallengangswucherungen in der Periphe- rie grösserer Geschwülste findet, ist es leicht zu erkennen, wie aus den mit Epithelialzellen erfüllten Leberzellenräumen unter fortdauernder Erweiterung letzterer, welche durch die Vermeh- rung und Vergrösserung der neugebildeten Zellen bedingt ist, eigentliche sogenannte Krebszellennester hervorgehen. Es geht aus Vorliegendem. hervor, dass sich die Epithelial- zellen der Gallengänge durch Wucherung an der Bildung von Geschwülsten betheiligen, welche zweifellos als Careinome an- zusehen sind. Die Zellen der Neubildung von epithelialem Character, die sogenannten Krebszellen, gehen jedenfalls nicht selten aus einer Wucherung der Gailengangsepithelien hervor. Ob auch die Leberzellen selbst sich an dieser Wucherung be- theiligen, gelang nicht mit Sicherheit zu entscheiden; die Beob- Ueber die Entwicklung der Leberkrebse. 731 achtung des Ueberganges des Neoplasmas in das normale Le- berparenchym in dem beschriebenen Falle von primärem Leber- krebs schien für eine solche Annahme zu sprechen. Die Betheiligung der Gallengangsepithelien an der Bildung der Neoplasmen findet sich nicht nur beim primären, sondern auch, wenn auch nicht constant, beim secundären Leberkrebse, wie schon erwähnt, nicht selten neben gleichzeitig zu beobach- tender Entwicklung desselben aus eingeschleppten Krebsparti- keln. Es scheint sogar, als könnten sich auch secundäre Leber- krebse allein in der erwähnten autochthonen Weise entwickeln, wie ja andererseits dieselben lediglich embolischer Natur sein können. Der Standort des primären Krebses scheint in dieser Beziehung ohne Einfluss. Ferner ergiebt sich aus den beschriebenen Beobachtungen, dass Krebse der Leber nicht selten eine vollkommen drüsen- artige Structur zeigen, und dass diese Structur in engem Zu- sammenhange mit dem normalen Bau des Organes steht. Es ist also ungerechtfertigt, Geschwülste, bei welchen eine derar- tige Structur in grösserem Umfange als gewöhnlich vorkommt, als eine besondere Art, als sogenannte Adenoide oder Adenome von den übrigen Neubildungen zu trennen, wie dies von Ro- kitansky und Rindfleisch, Billroth und anderen For- schern geschehen. Aus einer mir in Folge der mannigfachen Störungen dieses Sommers erst jetzt zu Gesicht kommenden Arbeit Billroth’s (Langenbeck’s Archiv, VII. Bd., 3. Heft) ersehe ich, dass dieser Forscher die früher von ihm aufgestellte scharfe Tren- nung der Carcinome von den sogenannten Adenomen als unge- rechtfertigt anerkennt; er konnte bei Untersuchung neuer, sowie wiederholter Durchforschung älterer, früher in anderem Sinne gedeuteter Geschwülste, der Speicheldrüse und namentlich der Brustdrüse sich davon überzeugen, dass sehr häufig Geschwülste entschieden carcinomatöser Natur nach Art der früher soge- nannten Adenome aus dem Drüsengewebe sich entwickeln, und, dass namentlich „die so häufig sich findenden, von ihm als 47” 132 B. Naunyn: pseudoacinöse Zellenceylinder geschilderten Bildungen in der That aus den Drüsenzellen hervorgehen.“ Bei Gelegenheit der Untersuchung eines nach primärem Brustkrebse aufgetretenen Leberkrebses gelangte Billroth zu dem Schlusse, dass es sich bei der Entwicklung desselben „nicht um Embolie und Wucherung transplantirter Zellen, sondern um Erkrankung der Leberzellen handele.“ Das hier einschlägige Material der hiesigen Universitätskli- nik wurde mir von Herrn Geh. Rath Frerichs mit grösster Liberalität zur Benutzung überlassen. Die mikroskopischen Untersuchungen sind zum Theil in der neuen Anatomie hierselbst, deren schöne Räume Herr Geh. Rath Reichert mir mit grösster Freundlichkeit zur Benutzung eröffnete, ausgeführt. Die beigegebenen Zeichnungen verdanke ich zum weitaus grössten Theile der Güte des Herrn Dr. Dönitz. Berlin, September 1866. Erklärung der Abbildungen. Fig. I. Längsschnitt der Vena portarum an einer Theilungsstelle, bei zahlreichen jungen Krebsgeschwülsten der Leber nach primärem Krebs der linken Niere. Auf der Theilung der Leber reitet ein Em- bolus, der zum Theil aus älterem Fibringerinnsel (aa), zum Theil aus grossen Zellen mit grossen Kernen (55) besteht. Letztere waren denen des primären Krebses völlig gleich. cc frische Blutgerinnsel. dd Leberzellen. Vergrösserung *%ı. Fig. II. Aus einem ganz jungen Lebercareinome (primär, (Ade- nom). aa verdickte Capsula Glissonii. 5 Gallengang mit vergrösser- ten Epithelien. Die Leberzellenhohlräume, welche bei cc noch mit fast vollständig normalen Leberzellen erfüllt sind, sind an der Gränze der Capsula Glissonii erweitert; grosse Zellen mit grossen Kernen, denen des Gallengangsepithels sehr ähnlich, füllen sie hier ganz aus (ddd) oder bekleiden die Wand des Hohlraums, welcher dann ein cen- trales Lumen zeigt, epithelartig (ee). Bei f geht der Gallengang in einen dieser Hohlräume über. Der Uebergang ist im vorliegenden Falle nicht völlig deutlich. g bindegewebige Septa. Vergrösserung °/ı. - Ueber die Entwicklung der Leberkrebse, 733 Fig. III. Aus einem jungen Krebsknoten derselben Leber. aa dicke Bindegewebssepta mit zahlreichen Kernen. Die vergrösserten Leber- zellenhohlräume (Fig. II, dd, ee) stellen hier vielfach communicirende Gänge dar. Die neugebildeten Zellen bekleiden die Wand der Hohl- räume als Epithel, das centrale Lumen der Gänge ist mit Galle er- füllt. Vergrösserung *°°)ı. Fig. IV. Von der Grenze eines jungen Krebsknotens gegen das normale Leberparenchym; aus derselben Leber. Die aus den Leberzellenräumen entstandenen Gänge zeigen bei aaa wiederum epithelartige Anordnung der neugebildeten Zellen und ein centrales, zum Theil mit Galle erfülltes Lumen (Fig. III). Bei bb sind sie mit den neugebildeten Zellen vollkommen angefüllt. cc Reihen normaler Leberzellen, in welche die neugebildeten Zellen bei dd übergehen. Vergrösserung ?°%)ı. Fig. V. Aus der Peripherie eines grösseren Krebsknotens der Leber bei primärem Uterus-Krebs. aa verdickte Capsula Glissonii, von wel- cher aus sehr verdickte Bindegewebssepta in den Leberacinus hinein- ziehen. Die Leberzellenhohlräume sind zum Theil mit normalen Le- berzellen (55), zum Theil mit neugebildeten Zellen (cc) erfüllt; an einzelnen Stellen (gg) zeigen letztere auch hier epitheliale Anord- nung. Letztere gleichen vollständig den Epithelzellen des bei d quer- durchschnittenen Gallenganges. Bei e Uebergang eines Gallenganges in die mit neugebildeten Zellen erfüllten Hohlräume. / Uebergang der letzteren in die normalen Leberzellenhohlräume. Vergrösserung ?0%/ı. Fig. VI. Secundärer Leberkrebs bei primärem Krebse des Omen- tum; aus einem ganz jungen kaum linsengrossen Knötchen. Bei aaa erweiterter Gallengang (in der Zeichnung ist die obere Begränzung desselben fortgelassen. Die Epithelialzellen desselben sind sehr vergrössert. Von dem Gallengange aus ziehen mit eben- solchen Epithelialzellen vollgepfropfte knospenartige Fortsätze in den Leberacinus hin (555). cc Haufen ebensolcher Zellen, deren Zusam- menhang mit solchen Fortsätzen im Schnitte nicht, oder nicht deut- lich zu erkennen ist. dd Haufen zum Theil verfetteter Leberzellen. Fig. VII. Gallengang, injieirt mit löslichem Berlinerblau (cfr. Text pag. 726.) 734 C. B. Reichert: Ueber die netzförmigen,. intercellulär verlaufenden capillaren Gallengänge. Von C. B. REICHERT, (Hierzu Taf. XX.A, Fig. 7.) Das zuerst von Gerlach (Handb. d. allg. u. spec. Gewebl. Mainz 1848. S. 281), später von Budge (Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv 1859) und Andrejevie (Sitzungsb. .d. K. Akad. d. Wiss. zu Wien 1851) durch Injection interlobu- lärer Gallengänge dargestellte Gallencapillarnetz ist neuerdings durch Mac-Gillavry (Sitzungsb. d. K. Akad. d. Wiss. zu Wien 1864) als sicher festgestellte anatomische Thatsache für den feineren Bau des Leberparenchyms verarbeitet. Die In- jeetionsmasse dringt aus dem bisher bekannten feinsten Gallen- gange in die sogenannten Leberläppchen und bildet „ein zier- liches Netz farbiger Streifen, das in seinen polygonalen Maschen die (einzelnen) Leberzellen aufnimmt und sich bis zur Vena centralis erstreckt“. Statt des engmaschigen polygonalen Netzes kann unter ge- wissen Umständen (bei grossem Injectionsdruck, bei Zersetzung des Leberparenchyms, nach voraufgegangener Injection der Blut- gefässe mittelst wässriger Flüssigkeit) ein zweites mit grösseren Maschen auftreten; auch dieses war bereits von Gerlach be- schrieben. Die bezeichneten Netze, welche durch die in die Leberläppchen eindringende Injeetionsmasse gebildet werden, sind unter den von dem Verfasser angegebenen Cautelen nicht Ueber die netzförmigen u. s. w. Gallengänge. 735 schwierig herzustellen und gegenwärtig auch so allgemein be- kannt, dass ich auf eine genauere Beschreibung nicht einzugehen brauche. Einen gesicherten anatomischen Werth für den feine- ren Bau des Leberparenchyms, insbesondere der sogenannten Leberläppchen, haben diese netzförmigen Injectionsmassen erst dann, wenn nachgewiesen ist, dass die Letztere an der bezeich- neten Stelle nicht in künstlich gebahnte Wege, sondern in mit Wandungen versehene netzförmige Kanäle oder in Hohlräume sich ergossen habe, welche zwar eigener Wandungen entbehren, aber doch als ein präformirtes Lückensystem zu betrachten sind. Mac-Gillavry ist auch bemüht gewesen, diese Aufgabe zu erfüllen. Der Verfasser ist zunächst der Ansicht, dass das weitmaschige Netz von Injectionsmasse für Wurzeln des Lymphgefässsystems der Leber gehalten werden müsse, weil die Darstellung desselben am leichtesten durch Injection der Lymph- gefässe gelinge. Die Frage, ob nicht auch ein aus den Lymph- gefässen in die Leberzellenmasse eindringendes Extravasat ohne Anwesenheit eines präformirten Lückensystems in dendritischer oder netzförmiger Bahn sich fortbewegen könne, sie wird gar nicht in Betracht gezogen. Das engmaschige Capillarnetz der Gallengänge soll wirkliche Wandungen besitzen. Als wich- tigster Grund für diese Annahme wird nun die Anwesenheit der angeblichen Wurzeln des Lymphsystems hingestellt; denn es sei eine Forderung, dass die „Gallen-Capillaren“ durch eigene Häute abgeschlossen seien, weil man aus einer Leber Galle und Lymphe unvermischt hervortreten sehe. Für das Vorhan- densein eigener Wandungen soll ferner der Umstand sprechen, dass durch Zerzupfen feinerer Schnittchen sich stabförmige Ab- schnitte der netzförmigen Injectionsmasse isoliren lassen, die von einem glashellen ungefärbten Saume begrenzt sind, und dass der letztere an gerissenen Rändern zuweilen scheinbar in kleine Fetzchen auslaufe. Endlich wird auch darauf hingewiesen, dass das engmaschige Netz der Injectionsmasse nicht auf Blutca- pillaren bezogen werden könne. Auf volle Beweiskraft haben diese Gründe um so weniger Anspruch, als es in Berücksichti- gung der Erfahrungen an injicirten Blutcapillaren im hohen Grade unwahrscheinlich ist, dass die etwa vorhandene, sehr 136 C. B. Reichert: dünne Wand sich als Saum zu erkennen geben und durch Fetzchen an gerissenen Rändern verrathen werde. Auf den Fall, dass das zierliche Gallen-Capillarnetz möglicherweise ein Kunstproduct sein könne, ist Mac-Gillavry hier gleichfalls und zwar, wie es scheint, aus dem Grunde nicht näher einge- gangen, weil die so zierliche Form einen solchen Gedanken vollends abweise. Die Technik feinerer Injectionen hat in neuerer Zeit ausser- ordentliche Fortschritte gemacht: sowohl in Betreff leichtflüssi- ger Injectionsmassen, als auch rücksichtlich der Regulirung der Druckkräfte. Das Vertrauen zu den Ergebnissen feinerer In- jectionen ist daher sehr gross; unter Umständen geht es sogar über die natürlichen Grenzen hinaus. Auch im normalen Kreis- lauf der Säfte fehlt es an fortdauernden Extravasaten nicht; bei jedem Injectionsversuch giebt es reichliche Gelegenheit, die Er- fahrung zu machen, dass auch die beste Injectionsmasse bei den günstigsten Druckverhältnissen sich über die natürlichen Ka- näle und Hohlräume hinaus die Bahn bricht. Wie aber in solchen Fällen die Injectionsmasse bei geringerem Zufluss und leichterem Druck weiter vordringt und sich ausbreitet, das hängt wesentlich von den Hindernissen ab, welche der feinere Bau des Parenchyms darbietet. Aus der Form der Extravasate lässt sich daher häufig zurück auf den Bau des Parenchyms und um- gekehrt aus dem feineren Bau des Parenchyms auf die, ich möchte sagen, natürlichste Form des Extravasates schliessen. Es würde aber eine heillose Verwirrung entstehen, wenn man die auf solchem Wege erzeusten Formen der Injectionsmasse oder irgend einer aus normalen Hohlräumen und Kanälen herausge- tretenen Flüssigkeit, mag es auch sehr verführerisch sein, als morphologische Elemente für sich in den feineren Bau der Organe aufnehmen und wissenschaftlich verarbeiten wollte. Man weiss, des Beispiels wegen, dass die Bindesubstanzen fast überall im geschichteten Bau auftreten; geräth die extra- vasirte Injeetionsmasse zwischen die Blätter, so wird sie bei geringem Druck und unter den gewöhnlich vorhandenen Adhä- sionsverhältnissen in verästelter und netzförmiger Form vordrin- gen; dasselbe würde auch ein flüssiger Zellinhalt (vulgo: Pro- Ueber die netzförmigen u. s. w. Gallengänge. 737 toplasma) leisten, wenn er in Folge veränderter mechanischer Druckverhältnisse genöthigt wäre, aus seiner Begrenzung her- aus zwischen die Schichten der Umgebung, wie z. B. bei der Cornea, sich zu ergiessen. Bei verstärktem Druck wird das Extravasat als Continuum zwischen den Schichten sich die Bahn brechen können und bei etwa vorhandener concentrischer Schich- tung in entsprechender Form auftreten. Aus solchen sehr ver- führerischen Formen würde man nur einen Beitrag für die Thatsache liefern können, dass die Bindesubstanzen an Ort und Stelle geschichtet seien, man würde in einen groben Irrthum verfallen, wollte man daraus bei den Extravasaten auf die An- wesenheit entsprechend verlaufender, selbst wandungsloser Hohl- räume des Parenchyms oder bei den Zellen auf eine Sternform oder gar auf Contractilitäts-Erscheinungen schliessen. In Be- treff der Extravasate lässt sich behaupten, dass die verbesserte Technik der Injectionen zur Erzeugung solcher künstlichen For- men sich ganz besonders eignet; man kann hier nicht selten in die Lage versetzt sein, den stricten Beweis zu liefern, dass an Ort und Stelle von derartigen Kunstprodueten nicht die Rede sein könne. Es lag mir zunächst daran, an einem Beispiel zu zeigen, in welcher verführerischen Weise der feinere Bau des Paren- chyms der Organe auf die Form der Extravasate einwirken könne. Die Leber, insbesondere der hier zu berücksichtigende Bestandtheil, die sogenannten Leberläppchen oder Leberinseln, bieten ein anderes zweites Beispiel dar. Ueber die Structur des leberzellenhaltigen Bestandtheiles der Leber haben sich in neuerer Zeit zwei Ansichten zur Geltung gebracht. Nach der einen werden die durch gegenseitigen Druck polyedrisch sich abplattenden Leberzellen nur von den nackten Blutcapillaren zwischen den Endästen der Pfortader und den Wurzeln der Lebervenen durchsetzt und dem entsprechend angeordnet. Die Endäste des Gallenganges, die Gallenkanälchen, endigten an dieser Leberzellenmasse auf eine nicht völlig aufgeklärte Weise. Nach der zweiten Ansicht sind die bezeichneten Blutcapillaren durch Lamellen von Bindesubstanz gestützt. Leydig, Henle und ich selbst, wir haben bestimmte anatomische Thatsachen 138 ©. B. Reichert: beigebracht, aus welchen gefolgert werden musste, dass diese Lamellen in Form eines cavernösen Höhlensystems angeordnet sind. Die Präparate, durch welche ich zu dieser Ansicht förm- lich gedrängt wurde, waren nicht allein von eirrhotischen, son- dern, wie ich ausdrücklich gegen Henle’s Angabe hinzufügen muss, und auch früher hervorgehoben habe, von nicht cirr- hotischen Fettlebern gewonnen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen an injieirten und nicht injieirten Lebern musste angenommen werden, dass die unter einander communicirenden Cavernen von den Leberzellen voll- ständig erfüllt seien. Aus den neueren Untersuchungen He- ring’s (Sitzungsb. d. K. Akad. d. Wiss. z. Wien 1866) darf wohl geschlossen werden, dass dies wenigstens nicht immer der Fall ist, dass vielmehr in der Mitte der Cavernen Hohlräume von den Leberzellen übrig gelassen werden, welche, von In- jecetionsmasse erfüllt, als ein netzförmiges Lückensystem darge- stellt werden können. Es wäre ein Irrthum, wollte man aus der injieirten Netzform dieses Lückensystems auf ein in den Leberinseln netzförmig endigendes Kanalsystem schliessen und demgemäss den cavernösen Bau in Abrede stellen. Auch die Leberzellenmasse einer Insel lässt sich bekanntlich unter glück- lichen Umständen in Netzform aus dem sie stützenden und die Blutcapillaren führenden, bindegewebigen Gerüste herausdrücken. Der durch sichere anatomische Thatsachen festgestellte caver- nöse Bau des letzteren, auf welchen bei der Structur des Le- berläppchens zunächst zu achten ist, wird dadurch ebenso wenig alterirt, als der Bau des cavernösen Blutgefässgewebes durch den Hinweis darauf, dass die Blutbahn daselbst, so wie jenes die Wände des schwammigen Gerüstes auskleidende Epi- thel in Form eines Netzes sich auffassen und darstellen lassen. Auf der andern Seite leuchtet es ein, dass die Form der inji- eirten Hohlräume des Cavernensystems der Leberinseln zur ge- naueren Bestimmung der Form der Cavernen, der Communi- cationsweise unter einander und vielleicht auch der Ausbrei- tungsweise der Leberzellen an ihren Wänden sich verwerthen lässt. | | Zwischen der Henle’schen Ansicht und der meinigen ist Ueber die netzförmigen u. s. w. Gallengänge. 139 ein nicht unwesentlicher Unterschied vorhanden, der das jetzt zu besprechende Verhältniss der interlobulären Gallengänge zu dem Cavernensystem der Leberläppchen betrifft. Nach Henle soll das bindegewebige Substrat der Septa und Wandungen der Cavernen in continuirlicher Verbindung mit dem die Verästelungen der Pfortader, der Arteria hepatica, des Ductus hepaticus ver- einigenden Bindegewebe (sogenannte Fortsetzung der Glisson’- schen Kapsel) sich befinden, also, wie man zu sagen pflegt, als Fortsätze desselben zu betrachten sein. Nach meiner Ansicht sind die Wandungen des Cavernensystems mit den Wandungen der interlobulären Gallenkanälchen in unmittelbare Verbindung zu bringen, sie sind der die Blutcapillaren stützenden Tunica propria in den terminalen Abtheilungen anderer Drüsenhöhlen- systeme gleichzusetzen. Da ich hiernach das ganze Drüsen- höhlensystem der Leber der Form nach mit dem cavernösen Blutgefässsystem vergleiche, so sind jene die Galle abführenden Kanäle genau so mit den Cavernen des Leberläppchens in Ver- bindung zu bringen, wie die das Blut abführenden Venen mit den Oavernen des schwammigen Blutgefässgewebes. Ich kann die Möglichkeit nicht abweisen, dass einzelne Stränge des adventitiellen Bindegewebes aus der Umgebung der interlobulären Gallengänge in die Wandungen der Cavernen des Leberläppchens hinübertreten; auch bei dem schwammigen Blut- gefässgewebe finden sich in den Septa nicht selten Bestand- theile, welche wenigstens nur schwierig als Bestandtheile der Gefässwandung selbst zu betrachten sein möchten. Aber hier wie dort wird der Nachdruck nach meinem Dafürhalten darauf zu legen sein, dass in den Wandungen des schwammigen Ge- rüstes eine Fortsetzung der Wandungen der abführenden Ka- näle enthalten sein müsse. Im Cavernensystem der Leberläpp- chen scheint mir indess die Beimischung anderweitiger Binde- gewebsstränge deshalb höchst unwahrscheinlich, weil die Septa äusserst fein sind und im Wesentlichen wie die Tunica propria bei anderen Drüsenhöhlen sich verhalten. Wie verschieden aber auch die Ansichten über den feineren Bau der sogenannten Leberinseln sein mögen, darüber war man in Grundlage früherer Injectionsversuche einig, dass die End- 740 C. B. Reichert: äste des Ductus hepaticus, die interlobulären Gallenkanälchen, bis an die Leberzellen herantreten, und dass diese unter gegen- seitiger polyedrischer Abplattung in den Leberinseln beisammen liegen. Wenn nun eine leichtflüssige, namentlich wässrige Injectionsmasse unter günstigen Druckverhältnissen in eine solche Zellenmasse vordringt und das beschriebene Gallenca- pillarnetz bildet, so lagen für die Deutung und wissenschaft- liche Verarbeitung dieses Netzes zwei mögliche Fälle vor: man hatte es entweder mit einem Kunstproduct, mit einem Extravasat, zu thun, dessen zierliche Form durch die Anordnung der Leberzellen bedingt wird, oder mit einer neuen, bisher un- bekannt gebliebenen morphologischen Thatsache, welche durch die Injection zu Tage gefördert war. | Mac-Gillavry ist von dem zuletzt bezeichneten Gesichts- punkt ausgegangen, ohne auch nur den ersten möglichen Fall in Erwägung zu ziehen; ihm sind die späteren Bearbeiter des- selben Gegenstandes gefolgt, und zwar, wie gewöhnlich, noch rücksichtsloser. Für Alle gab es eine Lücke in Betreff der Aufnahme und Abfuhr der von den Leberzellen ausgeschiedenen Galle zu füllen. Man trug keine Bedenken, über die mangel- haften anatomischen Beweise, die für das Vorhandensein eigener Wandungen der sogenannten Gallencapillaren beigebracht wer- den konnten, leicht hinwegzugehen. Man übersah auch, dass die angenommene neue Vorrichtung für die Abfuhr der Galle aus der Leberzellenmasse nicht gerade sehr zweckmässig ange- legt sei; denn wo genaue physikalische und chemische Unter- suchungen nicht gut anzustellen sind, da pflegt sich selbst für das Ungewöhnlichste eine mögliche Erklärungsweise einzufinden- Dass man endlich durch die Gallencapillaren zu einem Drüsen- bau gelangte, der von Allem abwich, was bisher bekannt war, dies hat mitunter etwas Anregendes und erringt leicht unsern vollen Beifall. Unter solchen Umständen haben die sogenannten Gallenca- pillaren weder auf mich selbst, noch auf meine nächste Umge- bung jenen sehr allgemein verbreiteten, fast bezaubernden Ein- druck auszuüben vermocht. Wie man auch über den fei- neren Bau der Leberläppchen denken mag, darüber kann doch Ueber die netzförmigen u. s. w. Gallengänge. 741 nicht der geringste Zweifel sein, dass Leberzellen darin mehr- fach nebeneinander in unmittelbarer Berührung und ohne ir- gend eine Spur eingeschobener, festerer Bestandtheile sich vor- finden. Wie war es also denkbar, dass jede einzelne Leber- zelle in der Masche eines mit eigenen festen Wandungen ver- sehenen netzförmigen Kanalsystems liege? Die nächste Frage also, die zu beantworten war, musste sich auf den zuerst be- zeichneten Fall beziehen, man musste erwägen, ob nicht eine an Ort und Stelle leicht fliessende Injectionsmasse, mag dieselbe auf regulärem Wege durch die interlobulären Gallenkanälchen oder in Folge einer Berstung anderer Kanäle in die Cavernen vordringen, unter günstigen Druckverhältnissen so zwischen die Leberzellen sich fortbewegen könne, dass dadurch das Gallen- capillarnetz gebildet wurde. Die Antwort ist ebenso leicht, als die Frage nothwendig war. Wo Zellen in unmittelbarer Berührung und mit polye- drischer Abplattung neben einander liegen, da giebt es für die zwischen sie vordringende Injeetionsmasse in Berücksichtigung der dargebotenen Hindernisse einen leichteren und einen schwie- rigeren Weg. An den Berührungsflächen der Zellenkörper un- tereinander oder mit der Wand, an welcher das Zellenlager sich ausbreitet, sind die grössten Hindernisse zu überwinden; wo aber im Gefüge des Zellenlagers die Kanten mehrerer Zel- lenkörper unter einander oder auch nur zweier mit einer ebenen Wand zusammenstossen, da sind die Hindernisse am geringsten; die Bewegung der Flüssigkeiten — wie der abziehenden Galle, so der hineindringenden Injectionsmasse — ist hier am leich- testen gestattet. Bei schwachem Druck wird daher die In- jectionsmasse den letzteren Weg verfolgen, und die natürlichste Form, welche dadurch gebildet wird, ist ein zierliches Netz, in dessen Maschen die einzelnen Leberzellen liegen, genau so, wie beim Gallencapillarnetz. Werden die Druckkräfte verstärkt, so werden die Leberzellen auch an den Berührungsflächen von einander getrennt und können in die Injectionsmasse förmlich eingebettet werden. Es wird wohl selten eine Injection ge- macht werden, bei welcher nicht Beides zugleich eintritt. Auf solche irreguläre Formen der Injectionsmasse, die durch zu 142 | 0. B. Reichert: schwachen oder zu starken Druck, durch voraufgegangene Ber- stung des Zellenlagers entstehen können, will ich nicht weiter eingehen. Nur darauf glaube ich aufmerksam machen zu müssen, dass man sich durch die scheinbar eylindrische Form der durch die Injectionsmasse gebildeten Fäden des Netzes nicht täuschen lassen dürfe. Es ist wohl unwahrscheinlich, dass die Injectionsmasse bei der Bewegung an den bezeichneten Stellen des Zellenlagers eine eylindrische Form annehmen werde; es ist vielmehr höchst wahrscheinlich, dass die cylindrische Form, wie in anderen ähnlichen Fällen, nur ein optischer Betrug sei. Um der soeben vorgetragenen Deutung der Gallencapillaren noch einen anderweitigen Halt zu geben, schien es zweckmäs- sig, dieselbe leichtfliessende Injectionsmasse unter geeignetem Druck in das Zellenlager anderer drüsiger Gebilde zu treiben, um eine gleiche Netzbildung zu erzeugen. Es war mir auch erinnerlich, feine Injectionspräparate des Nierenparenchyms. ge- sehen zu haben, bei welchen an den Harnkanälchen ein so fei- nes zierliches Netz dargestellt war, wie ich es bisher noch nie gesehen hatte. Die Drüsenzellen waren nicht deutlich sichtbar, doch die Maschen des Netzes waren so klein, dass nur eine einzige Zelle darin Platz haben konnte. Dr. L. Riess unter- nahm diese Versuche bei verschiedenen Drüsen, ohne, was bei der leichten Zerstörbarkeit der Drüsenzellen nicht befremden kann, von einem günstigen Erfolge gekrönt zu werden. Durch Zufall ist Dr. B. Naunyn zu einem Präparate gelangt, welches dasselbe und fast noch mehr leistet, und das auf Taf. XX.A., Fig. 7. abgebildet ist. Naunyn injicirte eine carcinomatöse Leber. Die Injectionsmasse war nicht in die Cavernen, son- dern nur in die Verzweigungen des Gallenganges eingedrungen; sie hat letztere gefüllt und ist von hier aus zwischen die Epi- thelzellen des Gallenganges eingetreten. An einzelnen Stellen des Präparats sind die Zellen ganz von der Injectionsmasse umgeben, an anderen hat dieselbe nur jene Bahnen verfolgt, die den geringsten Widerstand darbieten, und auf diese Weise ein Netz gebildet, das den Gallencapillaren in jeder Hinsicht gleicht. Auf Grundlage dieser Thatsache und der gegebenen Erläu- Ueber die netzförmigen u. s. w. Gallengänge, 743 terungen halte ich mich zu dem Ausspruche folgender Schluss- sätze berechtigt: 1)Dass eine leicht fliessende Injeetionsmasse, welche auf regu- lärem Wege, durch die interlobulären Gallenkanälchen, oder in Folge der Berstung anderer injieirter Kanäle in die Ca- vernen des Leberparenchyms und daselbst weiter zwischen die Leberzellen vordringt, nach einfacher physikalischer Be- rechnung unter günstigen Druckverhältnissen genau in Form eines solchen Netzes fortbewegt werden müsse, welches durch das sogenannte Gallencapillarnetz dargestellt worden ist; 2) Dass selbstverständlich auf demselben Wege, auf welchem die leicht fliessende Injectionsmasse eindringt, auch die Galle aus dem Zellenlager der Cavernen in die interlobulären Gallen- kanälchen oder in die etwa vorhandenen centralen Hohl- räume der Cavernen (Hering) abfliessen werde; 3)Dass das Vorhandensein der sogenannten Gallencapillaren, so wie anderer selbst wandungsloser präformirter Hohlräume (Wurzeln der Lymphgefässe) zwischen den Leberzellen inner- halb der Cavernen weder erwiesen noch überhaupt wahr- scheinlich ist. 744 Dr. Bochdalek jun.: Anatomische Beiträge. Von Dr. BOCHDALEK jun., Prosector an der Universität zu Prag. (Hierzu Tafel XX.B.) ——— Ueber einen neuen, bisher nicht beschriebenen kleinen Zungenmuskel. Am hinteren Viertel der Zunge, in deren Mittellinie, an der Stelle, wo die mittleren Fasern der Musculi genioglossi nicht mehr von einander zu sondern sind, springt in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen, der untere Rand des Septum lin- guae etwas vor, und ist dieser Vorsprung stets etwas härter an- zufühlen, als dies an anderen Orten des Septum linguae der Fall ist; auch erscheint das Septum linguae am senkrechten Querdurchschnitt der Zunge gerade an diesem Punkte einmal mehr, ein andermal weniger knotig angeschwollen, während es am entgegengesetzten Ende in der Substanz der Zunge zuge- schärft zuläuft und daher keilförmig mit nach abwärts gerich- teter Basis und nach aufwärts gerichteter Spitze, oder vielmehr Schneide; sich ausnimmt. Diese etwas vorspringende Stelle des Septum linguae ist es nun, welche einem bisher ganz übersehenen, oder wenigstens uicht beschriebenen kleinen Muskel zum Ursprung dient, der, über dem besonders nach rückwärts zu zwischen den beiden Kinnzungenmuskeln befindlichen, fetthaltigen Bindegewebe ge- legen und durch dieses von unten her ganz gedeckt, zwischen Anatomische Beiträge. 745 den beiden Musculi genioglossi mit deutlichen Längenfa- sern nach vorn verlaufend und dann meist sich etwas zu- spitzend, zwischen diesen genannten Muskeln sich verliert. Dieser Muskel, den ich fast nie vermisste, und den ich, wenn auch hier und da nur sehr rudimentär und nur aus sehr wenigen mit Fett untermischten Längenfasern bestehend, doch stets vorfand, ist in nicht seltenen Fällen stärker entwickelt und dann 4, 5, 6, selbst 7 Linien lang, 1 bis °/, und wohl auch 1!/,“' breit und bis 1''' dick, und liegt entweder hart am un- teren Rande des Septum linguae an, wenn nämlich die Bündel der M. genioglossi nur an den Seitenflächen des Septums sich befestigend, den unteren Rand desselben frei lassen, und nicht (was freilich wohl häufiger in den vorderen Partien der Zunge vorkommt, doch auch nach rückwärts zu der Fall ist) unter dem Septum lingnce hinweg zwischen die Bündel der M. ge- nioglossi der anderen Seite sägeförmig eingreifen, oder aber selbst unmittelbar von einer Seite in die andere übergehen, wo dann der in Rede stehende Muskel unter diesen Fasern seine Lage einnimmt. Dieser Muskel hängt meist mit dem schon vorerwähnten, etwas vorspringenden Theile des Septum linguae zusammen, und nehmen mehrere seiner Längsfasern daselbst ihren Ursprung, wovon man an einem senkrecht durch diesen Punkt geführten Querschnitt der Zunge Ueberzeugung sich verschaffen kann, und zu welchen beiden Seiten dieses vorspringenden Theils des Septums die, unmittelbar vor den, nicht mehr von einander sich trennen lassenden und horizontal gegen das Zungenbein hin verlaufenden Fasern der beiden M. genioglossi, gelegenen, und von einer Seite zur anderen in querer Richtung sich ausbrei- tenden Fasern der erwähnten Muskeln (Genioglossi) sich befesti- gen. Dicht hinter diesem vorspringenden Theile des Septum linguae sieht man sehr oft die Fasern der M. genioglossi ent- weder quer unmittelbar in einander übergehen, oder aber sich kreuzen, indem die Muskelfasern der rechten Seite schief zur linken, die der linken zur rechten Seite herüberziehen, um dann weiter der Länge nach ihre Richtung nach rückwärts gegen das Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 48 746 Dr. Bochdalek jun.: Zungenbein hin zu nehmen und in eine elastische Membran sich zu verlieren. Auch will mir scheinen, als wenn während des Verlaufes des kleinen Muskels nach vorn jederseits zwischen den am Septum linguae sich befestigenden Fasern der M. genioglossi (vielleicht auch zwischen den Fasern des M. transversus linguae) noch Verstärkungsfasern hervorträten und sich dem Muskel bei- gesellten, . sowie ich einige Male deutlich Umbeugungen von Fasern der M. genioglossi selbst beobachtete, welche an den kleinen Muskel sich anlegend, und so von unten her dessen oberflächlichste Schichte bildend, mit demselben nach vorn zu- rück verliefen. Auch entsinne ich mich, mehrmals bei den eben erwähnten sich nach vorn zu umbeugenden und den kleinen Muskel begleitenden und verstärkenden Fasern der M. genio- glossi, Kreuzung dieser Fasern am hinteren Theil des kleinen Muskels gesehen zu haben, indem die sich umbeugenden Fa- sern des M. genioglossus der rechten Seite von hinten nach links und vorn und umgekehrt verliefen, um dann weiter nach vorn den Längenfasern des Muskels sich anzuschliessen. Ebenso glaube ich mich nicht zu täuschen, wenn ich gegen das nach vorn zu in der Mittellinie zwischen den M. genioglossi. sich verlierende Ende des kleinen Muskels von den quer an den Seitenflächen des Septum linguae sich anheftenden Bündeln der M. genioglossi Fasern abtreten und auf die Oberfläche des klei- nen Muskels nach. hinten zusteuernd: (daher den, schon erwähn- ten, nach vorn sich umbeugenden Fasern der M. genioglossi entgegenlaufend) gesehen habe, welche vielleicht auch theilweise am, vorspringenden Theile des Septum. sich befestigen. Auch der Fall kam mir vor, wo. das kleine Muskelchen, vielleicht aus nur sehr wenigen selbstständigen Längsfasern betehend, fast ganz durch nach vorn sich umbeugende Fasern der M. genio- glossi ersetzt: war, indem sich von den untersten, horizontal verlaufenden und am meisten nach innen gelegenen Fasern des linken M. genioglossus ein Bündel ablöste, schief herüber zum gleichnamigen Muskel der rechten Seite, theilweise mit dessen Fasern sich kreuzend, trat, um dann die Richtung nach rück- wärts gegen das Zungenbein einzuschlagen, ein Theil der Fa- Anatomische Beiträge. 747 sern dieses Bündels aber nach vorn umbog, sodann in der Me- dianlinie der unteren Fläche der Zunge zwischen den beiden M. genioglossi eine Strecke von 5‘'' nach vorn verlief, um end- lich zwischen den am Septum linguae sich befestigenden Bün- deln der genannten Muskeln, vielleicht auch mit einigen Fasern in das zwischen denselben befindliche Fett, sich zu verlieren. Hat man den eben beschriebenen kleinen Muskel vorsichtig abgetragen, so sieht man erst den unteren Rand des Septum linguae entweder frei daliegen, oder aber man kann in man- chen Fällen das schon angegebene Verhalten der Fasern der M. genioglossi beobachten, wo dieselben unter dem unteren Rande des Septum linguae hinwegtreten u. s. w. Es nimmt mich Wunder, dass dieses Muskelchen, bei dem man schon mit freiem Auge, noch besser mit der Lupe, die zwar feinen, aber deutlich der Länge nach von hinten nach vorn verlaufenden Fasern beobachten kann, bisher nicht beach- tet und nicht beschrieben wurde, trotzdem es in Fällen stär- kerer Entwickelung und nach vorsichtiger Präparation und Hin- wegnahme des die Kluft zwischen den beiden M. genioglossi er- füllenden Fettes einen länglichen, nach rückwärts zu dickeren, nach vorn sich zuspitzenden, manchmal sich abplattenden, deut- lich in die Augen springenden Wulst bildet, und möchte ich nur glauben, dass man die Fasern dieses Muskels nicht näher untersucht und für die M. genioglossi angehörende Querfasern gehalten habe, es aber denn doch Beachtung verdient, dass eben auch an dieser Stelle der Medianlinie der Zunge Längsfasern sich finden. Dieser kleine Muskel, bei dem, wenn er auch accessorische sich nach vorn umbeugende und ebenso nach rück- wärts zu verlaufende Fasern der M. genioglossi aufnimmt, bei genauerer Untersuchung es sich nicht leugnen lässt, dass er auch selbstständige Längenfasern besitze und der seiner Ge- stalt und Form nach viele Aehnlichkeit mit dem M. azygos uvulae bietet, verliert sich nach vorn, meist sich verschmälernd und zuspitzend, hier und da jedoch sich abplattend, wenn näm- lich seine Fasern, wie manchmal der Fall, pinselförmig ausein- anderfahren, zwischen den beiden M. genioglossi, und ist hier 48” 748 Dr. Bochdalek jun.: sein ferneres Verhalten sehr schwer zu eruiren, was wohl über- haupt für die Endigungen aller Zungenmuskeln gilt. („Ehrlich gestanden, weiss man von allen in die Zunge ein- dringenden Muskeln nicht, wie sie endigen“. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Seite 607.) Ich fand in der, diesen Muskel von unten und von den Sei- ten her einhüllenden, die beiden M. genioglossi nach rückwärts zu in der. Tiefe trennenden Fettlage mit dem Mikroskope zahl- reiche, theils quer verlaufende, wahrscheinlich den M. genio- glossi angehörende, so wie schiefe, weit prävalirend jedoch der Länge 'nach verlaufende Primitivbündel, welche letz- teren besonders schön an diesem ganzen kleinen Muskel selbst sich finden, weshalb ich ihn auch den Längsmuskeln der Zunge zuzählen mäss und ihm zum Unterschiede von dem unteren Längsmuskel der Zunge (M. longitudinalis inferior seu M. lin- gualis) den Namen: unterer mittlerer Längsmuskel der Zunge (M. longitudinalis linguae inferior medius) ge- ben, oder in Anbetracht dessen, dass er der einzige unpaare Zungenmuskel ist), da der M. transversus linguae mit Ausnahme des hintersten Theiles der Zunge, wo das Septum linguae fehlt und daher die Fasern beider Seiten ohne Unterbrechung un- mittelbar in einander übergehen, doch als ein besonderer Mus- kel für jede Zungenhälfte zu betrachten ist) als Musculus azygos linguae benennen möchte. Klein wie der Muskel ist, wird jedenfalls auch seine Wir- kung keine bedeutende sein, doch wird er immerhin, durch die Museculi linguales unterstützt, etwas zur Verkürzung der Zunge beitragen, wenn er seinen fixen Punkt am vorspringenden Theile des Septum linguae nimmt, so wie er im anderen Falle die . Membrana hyoglossa etwas zu spannen im Stande sein wird. In Henle’s Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen (2. Bd. S. 99) lese ich einen Fall, wo derselbe bei einem Embryo zwischen den beiden Musculi genioglossi einen unpaaren keilförmigen Muskel eingeschoben fand, welcher breit von der Spina mentalis entsprang und sich zugespitzt in der Gegend der Zungenwurzel zwischen den convergirenden M, ge- nioglossi verlor. Anatomische Beiträge. 749 Dass dieser Muskel eine äusserst seltene Erscheinung sein müsse, dafür spricht mir der Umstand, dass ich denselben unter mehr als hundert Zungen, die ich zu obigem Behufe untersuchte (denn der von mir beschriebene Muskel ist mir schon seit län- gerer Zeit bekannt), niemals sah, so wie auch aus meiner Be- schreibung einleuchtend sein wird, dass der von mir gefundene untere mittlere Längsmuskel der Zunge durchaus nicht identisch mit jener von Henle beobachteten Varietät sein könne, da ein- mal die Insertionspunkte dieser beiden Muskeln nicht nur ganz verschieden, sondern sogar ganz entgegengesetzt sind, und dann dieselben auch in der Form differiren, indem der von Henle ein einziges Mal gesehene Muskel nach rückwärts zu, der von mir beschriebene nach vorn zu spitz zuläuft. Prag, im October 1366. Erklärung der Abbildung. Die Abbildung zeigt die Zunge von der unteren Fläche aus ge- sehen; der Kehlkopf ist quer durchschnitten, so dass nur ein kleiner Theil mit dem oberen Rande des Schildknorpels und die Membrana hyotbyreoidea zu sehen ist. Die MM. geniohyoidei sind an ihrer Be- festigung am Körper des Zungenbeins gänzlich abgetragen und die MM. genioglossi seitlich ganz zurückgeschlagen. AA oberer Rand des Schildknorpels. — B Membrana hyothyreoi- dea. — Ü Körper des Zungenbeins. — DD. Mm. basioglossi. — EE Mm. genioglossi. — F theilweise unmittelbar in einander übergehende, theilweise sich kreuzende Fasern der Mm. genioglossi. — @ Musculus longitudinalis (linguae) inferior medius. 750 J. Sander: Ueber Faserverlauf und Bedeutung der Commis- sura cerebri anterior bei den Säugethieren. Von Dr. JULIUS SANDER. Die Commissura cerebri anterior, die fast von dem Aussehen eines peripherischen Nerven als weisses, leicht abzugrenzendes Bündel die Corpora striata durchsetzt, musste schon frühzeitig die Aufmerksamkeit der Untersucher auf sich lenken. Es kann hier nicht meine Absicht sein, die ganze Litteratur durchzu- gehen und die Ansicht eines jeden einzelnen Forschers über diesen Hirntheil anzugeben. Es genügt, die wichtigsten bis jetzt bekannten Thatsachen hervorzuheben, bevor ich an die Darstellung meiner eigenen Beobachtungen komme. Man hat bis jetzt die Commissura anterior der übrigen Säu- gethiere mit der der Affen und des Menschen eigentlich gar nicht vergleichen können; beide mussten als ganz verschiedene Gebilde erscheinen. Bei letzteren, denen man keinen eigent- lichen Lobus olfactorius zuschrieb, ka man die Commissur aus- strahlen in den Schläfenlappen und zwar besonders in dessen mediale Wand. So ist das Verhalten fast einstimmig geschil- dert von allen Autoren. (Vergl. besonders: Valentin in Sö- merring, Hirn- und Nervenlehre, Leipz. 1841, pag. 186; Todd, Anatomy of the brain ete. Lond. 1845, pag. 156; Arnold, Tabulae anat. Fasc. I., Tab. IV. Fig. 4.; Reichert, Der Bau des menschlichen Gehirns, Leipz. 1861, Tom. II. p. 73; J. Luys Recherches sur le systeme nerveux, Par. 1865. p. 238.) Ab- weichend davon nennt Gratiolet dieselbe une commissure des Ueber Faserverlauf und Bedeutung der Commissura cerebri u.s. w. 75] h&mispheres, et plus particulierement de leurs lobes posterieurs (Anat. comparee du systeme nerveux etc. par Leuret et Gra- tiolet, Par. 1859—57. Tom. I. par Gratiolet, p. 127), was gewiss ungenau ist. Endlich findet sich bei Leidesdorf (Lehrbuch der psychischen Krankheiten, Erlangen 1865, p. 59.) eine: von Meynert angefertigte Abbildung des Riechnerven und seines Wurzelgebiets, aus der ersichtlich ist, dass dem Verfasser bekannt ist, dass Bündel der vorderen Commissur in das Riech- feld zu verfolgen sind. Dass dies in der That richtig ist, werde ich weiter hin zu zeigen haben. Bei allen anderen Säugethieren, deren Gehirn grössere Riech- lappen zeigt, geht die Commissura anterior, wie man früher glaubte, mit allen ihren Fasern — wie ich beweisen werde, nur mit dem grösseren Theil derselben, in die Riechlappen, so dass sie hier recht eigentlich als eine Commissur der Lobi ol- factorii erscheint. (Vergl. Longet, Anat. et phys. du systeme nerveux, Par. 1842. Tom. II. p. 21, und besonders Grätiolet l. ec. p. 127 und 194)."). Huschke (Schädel, Gehirn und Seele, Jena 1854, p. 148) vergleicht sie sogar direet mit dem Chiasma nervorum opticorum, obschon er den Beweiss für seine Behauptung. durchaus nicht beibringen konnte, wie Longet und Gratiolet, denen eine ähnliche Idee vorschwebte, schon ganz richtig (1. ec.) ausgeführt haben. Auf alle Fälle musste es höchst auffällig erscheinen, dass ein Gebilde, das durchweg aus derselben Anlage hervorgeht, in den verschiedenen Ordnungen einer Thierklasse eine so ganz ver- schiedene Bedeutung haben sollte, nämlich in den niederen Ordnungen die. Riechlappen mit einander verbinden, in den höheren die Schläfenlappen. Reichert (in seinem klassischen Werk über den Bau des menschlichen Gehirns, das allein eine 1) Ferner Luys 1. c. p. 27, der diese Fasern aber von der Com- missura anterior geschieden wissen will und glaubt, dass sie sich im Corpus striatum der anderen Seite verbreiten. Aus seinen Abbildun- gen, Tab. 25 und 26, vom Menschen ist nicht recht zu ersehen, ob er den wahren Sachverhalt erkannt hat. Etwas Aehnliches muss er jedenfalls gesehen baben. 7152 J. Sander: richtige Anschauung dieses complicirten Organs angebahnt hat) ermittelte, dass die vordere Grosshirnkommissur hervorgeht aus dem sich verdickenden oberen Ende der vorderen Endplatte des Hirnstocks zugleich mit der Commissur der Stiele des Sep- tum pellucidum und der Commissur der Säulchen des Fornix auf ihrem Uebergange zum Körper desselben (l. c. p. 73.). Da nun die übrigen Quercommissuren des Grosshirns bei allen Säugethieren im Grossen und Ganzen gleichwerthig erscheinen, so forderte der bisherige Standpunkt unserer Kenntnisse über die vordere Commissur gewiss zu einer nochmaligen genauen Prü- fung des Sachverhaltes auf. Bei allen von mir untersuchten Säugethieren (Hund, Katze, Kaninchen, Pferd, Reh) stellt sich die vordere Commissur in folgender Weise dar: sie erscheint als weisser Strang an der vorderen oberen Seite der Lamina terminalis, ungefähr an der Spitze des vom Septum pellucidum gebildeten Dreiecks und geht zunächst in horizontaler Richtung nach beiden Seiten la- teralwärts fort, um dann nach kurzem Verlauf durch die am meisten nach der Mittellinie zu gelegenen Theile des Corpus striatum mit ihrer Hauptmasse in einem nach oben stark con- caven Bogen nach der Grundfläche zu abzubiegen. Dort wei- chen die Fasern allmählich mehr aus einander, gelangen aber sämmtlich, ohne sonst irgendwohin Communicationen einzu- gehen, in den Riechlappen, dessen Wände sie auskleiden. Schon vorher jedoch , so lange noch die Commissur als rund- liches Bündel in den Corpora striata verläuft (beim mittel- grossen Hunde etwa 2 Linien entfernt von der medialen Wand der Grosshirnhalbkugel), zweigt sich ein feiner, ebenfalls rund- licher Arm von der Hauptmasse der Commissur ab, der als isolirtes Bündel zu verfolgen ist durch den Theil des Corpus striatum, der unterhalb einer mächtigeu weissen Fasermasse, die der Stammstrahlung angehört, liegt (Linsenkern). Dieses Bündel zieht dann, sich etwas nach hinten und oben erhebend, fort in der Richtung gegen den Schläfenlappen, in den es von oben und vorn her eintritt; hier scheint es sich jenen grossen Fasermassen anzuschliessen, die die laterale, vordere und hin- tere Wand des absteigenden Horns des Seitenventrikels bilden Ueber Faserverlauf und Bedeutung der Commissura cerebri u.s.w. 753 und dem System der Balkenstrahlung angehören. Weiter ver- mochte ich -das Bündel nicht zu verfolgen. Anders ist die Sache beim Menschen und bei den Affen. Während hier der Haupttheil der Commissur in der längst hinreichend bekannten Weise den Schläfenlappen gewinnt, wendet sich bei einem von mir untersuchten Oercopithecus ein rundlicher Faden (beim Menschen scheinen es mehrere zu sein) während des Verlaufs durch den Linsenkern direct und steil absteigend nach unten und medianwärts und senkt sich in der Gegend der Substantia perforata antica in den Olfactorius ein, da, wo er sich in die bekannten drei Wurzeln spaltet, fast ge- nau in der Mitte der mittleren Wurzel. Was dann weiter aus diesen Fasern wird, habe ich bis jetzt nicht ermitteln können; jedenfalls werden sie hier eine ähnliche Rolle spielen, wie bei allen übrigen Säugethieren, nämlich im Bulbus olfactorius sich ausbreiten. Der Tractus olfactorius entsteht bei allen Säuge- thieren in gleicher Weise, aus einem hohlen Vorsprung, der sich da bildet, wo der abgerundete Rand des Mantels der Gross- hirnblase in die Basis übergeht (Reichert, I. c. p. 20); er ist also auch bei allen Säugethieren morphologisch von gleicher Bedeutung. Alle Unterschiede, die sich hier zeigen, kommen auf eine Verschiedenheit in der Grösse hinaus. Es zeigt sich demnach, dass die vordere Commissur bei allen Säugethieren folgendes Verhalten darbietet: sie ist überall einmal Commissur für die Schläfenlappen und zweitens für die Riechlappen. Bei den niederen Ordnungen ist der in die Riechlappen gehende Theil stärker, bei den Affen und beim Menschen der die Schläfenlappen verbindende. Die Commissura anterior ist demnach nicht blos ihrer Entstehung, sondern auch ihrem Faserverlauf nach in allen Ordnungen gleichbedeutend, und die hier vorkommenden Unterschiede sind nicht grösser, als die in dem Verhalten der Tractus optiei sich zeigenden. Auch für diese wird, je höher wir in der Stufenfolge der Säu- gethiere hinaufsteigen, der zum vorderen Vierhügelpaar gehende Theil der Faserung immer kleiner, lässt sich aber gleichfalls stets noch nachweisen. Je höher ein Säugethier steht, desto mehr überwiegt das Grosshirn an Grösse über die Theile des 754 J. Sander: Hirnstocks. So verhält sich die Sache für’ die ‚Vierhügel, die beim Menschen ım Verhältniss am kleinsten sind — so ist es aber auch bei den Riechlappen, obschon diese ihrer Entwick- lung nach eigentlich dem Grosshirn angehören. Schon Gra- tiolet (l. c. p. 128) giebt an, dass ein Wechselverhältniss zwischen der Grösse der Lobi olfactorii und der der Lobi occi- pitales obwalte. Letztere erreichen ihre volle Ausbildung erst bei den höheren Affen und beim Menschen, damit schwinden auch die ersteren auf ihr kleinstes Mass, Je kleiner die vor- deren Vierhügel werden, desto geringer werden die Fasermassen der Tractus optici, die zu ihnen sich wenden, und je kleiner die Riechlappen werden, desto weniger geht von der vorderen Com- missur in sie hinein. Aber noch zu weiteren Betrachtungen giebt dies Verhalten Anlass. Von den drei sogenannten Wurzeln des Tractus ol- factorius zieht die äussere stärkste in der Richtung auf die Spitze des Schläfenlappens. Dies lässt sich am besten bei Thieren beobachten, bei denen sie eine viel stärkere Ausbil- dung, als beim Menschen zeigt. Nun will Luys gesehen haben (l. e. p. 27, tab. XV und XXV), dass die äussere Wurzel in eine an der Spitze des Schläfenlappens gelegene Anhäufung grauer Substanz sich einsenkt.") Er vergleicht diesen grauen Kern, der übrigens sicher vorhanden ist und auch Reichert bekannt war, mit dem Corpus geniculatum und glaubt, dass er 1) Ich setze seine eigenen, nicht ganz leicht verständlichen Worte her: Le 3. groupe de fibres convergentes olfaetives, qui sont des lüibres directes non entrecroisees et en m&me temps le plus externe. Elles se separent des precedentes (innere und mittlere Wurzel) sous un angle plus ou moins aigu, s’appliquent dans une partie de leur par- cours ä la partie inferieure du corps strie, gagnent, en suivant une direction legerement oblique l’extremite la plus anterieure du lobe sphenoidal, plongent sans s’y distribuer au sein de la substance grise corticale, qu’elles rencontrent devant elles, la traversent dans toute son epaisseur et vont, sous l’aspect d’un filament blanchätre excessivement grele, souvent diffieile a suivre dans l’espece humaine, se perdre en definitive, dans un noyau de substance nerveuse, special, parfaitement delimite, qui joue vis-A-vis d’elles le röle d’un veritable ganglion. Ueber Faserverlauf und Bedeutung der Commissura cerebri u.s.w. 755 hier dieselbe Rolle für den Traetus olfactorius spiele, wie jenes für: den Tractus opticus. Wenn ich nun auch diese Verglei- chung keineswegs für völlig zutreffend halte, so steht doch so viel fest, dass die äussere Wurzel des Tractus olfactorius nach der Spitze des Schläfenlappens geht und daselbst wahr- scheinlich in denselben sich einsenkt. Ein Eintreten der Fa- sern dieser Wurzel in den erwähnten grauen Kern habe ich freilich direct noch nicht beobachten können; sie lassen sich eben, sobald sie die Rinde des Schläfenlappens erreicht haben, nicht mehr gut isolirt verfolgen. Wenn es nun auch bis jetzt nieht möglich war, eine directe Verbindung zwischen den hier eintretenden Wurzelfäden des Tractus olfactorius und den Fa- sern der vorderen Commissur aufzufinden, so liegt doch gewiss die Vermuthung nahe, dass eine gewisse Verbindung zwischen beiden vorhanden ist, wenn auch vielleicht nur in der Weise, dass einmal die Fasern der äusseren Wurzel direct die Ein- drücke von dem Olfactorius derselben Seite nach dem Schlä- fenlappen leiten und dass zweitens mit den Fasern der Com- missura anterior Eindrücke von dem Olfactorius der anderen Seite dahin gelangen. Es wäre freilich die vordere Commissur dann keine Commissur mehr im eigentlichen Sinne, sondern eine Decussation; sie verbände dann nicht mehr symmetrische Hirntheile untereinander, also beide Schläfenlappen oder beide Riechlappen, sondern asymmetrische, nämlich den Schläfenlap- pen der einen Seite mit dem Riechlappen der anderen Seite und umgekehrt, und sie würde ein dem Chiasma nervorum op- ticorum analoges Verhalten zeigen. Weitere Untersuchungen werden hier den Sachverhalt vielleicht aufklären können. — Ob nun der Schläfenlappen schon letztes Centrum für die von den Riechnerven her zugeleiteten Eindrücke ist, ober ob von hier aus noch weitere Leitungen zu den Centralganglien hin- führen, vermag ich nicht zu sagen. Luys (l. c. p. 42, Tab. XV., Fig. 1, Tab. XXXIV., auch auf seiner schematischen Tab. II., 18 und 19) behauptet das letztere, indem er angiebt: Les autres (fibres ganglio-cerebrales) emergeant des regions les plus posterieures de cet amas ganglionnaire sous forme de fila- ments radiculaires, se condensent en un fascicule unique a di 756 J. Sander: Ueber Faserverlauf und Bedeutung u. s. w. rection curviligne, dont l’extremite la plus anterieure s’epanouit dans les regions anterieures de la couche optique. Jedenfalls bedarf diese Angabe noch sehr einer sorgfältigen Nachuntersu- chung; so viel ich bis jetzt gesehen habe, ist ein Bündel von der beschriebenen Form allerdings vorhanden, gehört aber zum System der Balkenstrahlung und lässt sich keineswegs bis zum Sehhügel, wohl aber bis zum Splenium des Balkens verfolgen. Es hat um so weniger mit der äusseren Wurzel des Tractus olfactorius zu thun, als es nur bis zu dem mehr erwähnten srauen Kern heranzieht, ohne mit ihm zusammenzuhängen. Ich bin mir wohl bewusst ,‚ dass. die auf den letzten Seiten aufgestellte Hypothese über die Bedeutung der Commissura an- terior noch in einigen Punkten der gehörigen Begründung ent- behrt; ich halte es jedoch bei der Wichtigkeit der Sache für meine Pflicht, sie schon jetzt zu publiciren, ehe Alles, was die anatomische Untersuchung leisten kann, erschöpft ist. Es kann nur erwünscht sein, wenn möglichst Viele sich der Sache an- nehmen; namentlich möchte ich die Pathologen auf diesen Punkt aufmerksam machen. Gute pathologische Beobachtungen werden hier am ehesten weitere Aufklärung bringen können, da das physiologische Experiment am lebenden Thiere unaus- führbar ist. Berlin, den 8. December 1866. W. Dönitz: Ueber die Darmzotten. 757 Ueber die Darmzotten. Von Dr. W. Dönttz. en So viel auch der Ansichten über den. Bau der Zotten von Lieberkühn an bis heut zu Tage aufgestellt wurden, so lassen sich dieselben doch alle auf zwei Prineipien zurückführen. Von dem physiologischen Bedürfniss ausgehend, zu erklären, wie bei der Verdauung das Fett eine wasserhaltige Membran passi- ren könne, untersuchte man den anatomischen Bau der Darm- schleimhaut, insbesondere die Zotten, und fand entweder offen- stehende Kanäle, die vom Darmlumen aus in das Zottenparen- chym hineinführten; oder man leugnete die Anwesenheit sol- cher Kanäle und liess die Chylusgefässe mit blindem Ende im Zottenparenchym ihren Anfang nehmen. Je nachdem man zu der einen oder anderen Ansicht gekommen war, gestaltete sich die Theorie der Fettverdauung verschieden. Wer an offen stehende Wege glaubte, dem bot die Fettverdauung keine Schwierigkeiten dar. Wer dagegen diese vorgebahnten Wege verwarf, der brachte die Verdauung der Fette mit der feinen Emulsion derselben im Darmkanale in Zusammenhang und be- hauptete, dass die unmessbar feinen Partikelchen der Emulsion sowohl in die Epithelialzellen wie in das bindegewebige Sub- strat derselben eindringen, um endlich, am Chylusraum ange- Jangt, auch in diesen einzuwandern. Es liegt in der Natur der Sache, dass gerade die erste An- sicht auf die verschiedenartigste Weise modificirt wurde, und es gewährt ein eigenes Interesse, zu verfolgen, wie mit der Ver- 158 W. Dönitz: besserung der Mikroskope sich die Ansichten über die Art und den Verlauf dieser offenen Kanäle änderten. Gleichen Schritt haltend mit der Anwendung brauchbarer stärkerer Vergrösse- rungen, schrumpfte in den Ansichten der Histologen auffällig das Lumen der Absorptionswege, sie wurden enger und enger, bis sie sich zuletzt auf blosse kaum sichtbare Poren reducir- ten. Lieberkühn, der mit schwachen Vergrösserungen arbei- tete, glaubte-nur eine Oeffnung in den Darmzotten zu erken- nen. In seltenen Fällen sollten mehrere Oeffnungen vorhanden sein. Cruikshank und G. Hunter wollen 15 — 20 solcher Orificien der Chylusgefässe gefunden haben. Nachdem diese Angaben durch Rudolphi, Meckel u. A. widerlegt waren, kam man doch wieder auf die freien Oeffnun- gen zurück, nur suchte man sie jetzt in den Epithelzellen selbst. Zuerst sollten alle Epithelzellen offenstehen, und als dieses keinen Anklang fand, wurden Poren im Basalsaum an- genommen. Doch da man auch von diesen Poren zurückge- kommen ist, so sollen wenigstens einige Zellen offen stehen, oder vielmehr, um mich correet auszudrücken, es sollen zwi- schen den Epithelzellen sogenannte Vacuolen vorkommen, welche in ein Kanalsystem im Parenchym der Zotten münden.') Diese Kanäle sollen nun wieder mit dem Chylusraum communieciren, und so ist wieder einmal der Weg vom Darmlumen zum Chy- lusgefäss freigelegt. Diese letzten Angaben verdienen um so mehr eine Prüfung, als sie nicht allein von anatomischem, sondern in hohem Masse auch von physiologischem Interesse sind. Sollten sie sich be- wahrheiten, so würden sie die jetzt gangbare, wenn auch nicht ganz allgemein angenommene Theorie der Resorption umstossen und die Aufstellung einer neuen Theorie erheischen, .wie dies von Letzerich in der That schon versucht ist.?) 1) L. Letzerich, Ueber die Resorption der verdauten Nährstoffe (Eiweisskörper und Fette) im Dünndarm. Virchow’s Archiv 1866. S. 232—252. \ 2) Meine Arbeit über die Schleimhaut des Darmkanals (d. Arch. 1864) ist von Frey in Oanstatt’s Jahresberichten für 1864 I. S. 49. Ueber die Darmzotten, 759 Die Fragen, welche eine solche Prüfung zu beantworten hat, sind folgende: 1) sind die von Letzerich Bon Vacuolen ein nor- males Vorkommniss oder ein Erzeugniss der Präparations- methode ? 2) giebt es neben dem Blutgefässnetz im Zottenparenehym noch ein zweites Kanalsystem, welches einerseits in den Chylus- raum mündet, andererseits mit obigen Vacuolen in Verbin- dung tritt? 1. Ein Blick auf Letzerich’s Figuren, so wie die Un- tersuchung der nach seiner Methode angefertigten Präparate zeigt, dass die als Vacuolen beschriebenen Gebilde dem mit \ recensirt worden. In dieser Recension befindet sich der Passus: „Hier bemüht sich Dönitz sehr überflüssig, die bereits widerlegten Heidenhain’schen Beobachtungen auf’s Neue zu widerlegen.“ Ueberflüssig war diese meine Widerlegung wahrscheinlich deshalb, weil Frey selbst in der ersten, damals in unseren Händen befindlichen Auflage seines für Aerzte und Studirende bestimmten Lehrbuches der Histologie und Histochemie S. 216 erklärt, es könne keinem Zwei- fel unterliegen, dass Heidenhain’s Beobachtungen, wenigstens was den Frosch betrifft, richtig seien. Ueberflüssig, weil man sogar jetzt noch an vielen Hochschulen die Heidenhain’schen Ansichten als zu Recht bestehend vortragen hört. Ueberflüssig, weil noch die neuesten Werke über physiologische Chemie gar keine anderen als die Heidenhain’schen Ansichten kennen. Uebrigens scheint es Frey entgangen zu sein, dass sich meine Arbeit von den früheren Widerlegungen Heidenhain’s dadurch unterscheidet, dass ich nicht allein meine entgegenstehenden Ansichten durch Beibringung von Thatsachen zu stützen suche, sondern dass ich mir auch Mühe gebe, nachzuweisen, auf welche Weise Heidenhain zu seinen Ansichten gelangt ist und worin der Fehler liegt. Nur auf diesem oft sehr mühsamen Wege ist es möglich, mit Erfolg Irrthümer aus der Wis- senschaft zu beseitigen. Wenn Frey ferner angiebt, dass ich über den Basalsaum neben Richtigem manches Irrige anführe, so hätte ich wohl erwarten dürfen, zu erfahren, worin denn dieses Irrige bestehe. Herr Frey aber findet es bequemer, darüber zu schweigen, und mich so ganz im Allgemeinen auf sein Handbuch wie auf einen Canon zu verweisen. Ich bin demnach in der Lage, Alles, was ich über den Basalsaum gesagt habe, Wort für Wort aufrecht erhalten zu müssen, trotz der unmotivirten Behauptungen meines kritiklosen Kritikers. 160 W. Dönitz: dem Gegenstande Vertrauten nichts Neues sind. Schon viel- fach sind die bei Flächenansichten des Zottenepithels leicht er- kennbaren Lücken zwischen den Zellen beschrieben und abge- bildet worden. Auch die isolirten Vacuolen kennt man seit langer Zeit, nur dass man gewöhnlich eine etwas anders aus- sehende Form dieser vielgestaltigen Gebilde beschrieb. Es sind die Brücke’schen Zellmäntel und die Henle’schen be- cherförmigen Körperchen. Die von Henle gemachte Beob- achtung, dass man bei Flächenansichten des frischen Zellenepi- thels in regelmässiger Zerstreuung Lücken vorfinde, welche becherförmigen Körpern entsprechen, muss aber dahin ergänzt werden, dass man in nicht gar seltenen Fällen diese Lücken auf weite Strecken hin, ja sogar an ganzen Zotten durchaus vermisst. Nach Letzerich’s Theorie würden in diesen Fällen die Vacuolen nicht geöffnet sein, weil sie im Augenblick nicht funcetioniren. Auf Schnitten von Chromsäurepräparaten erschei- nen die Vacuolen meistens in der Form, welche Letzerich in Fig. 1. abbildet. Wendet man schwache Salzlösungen an, z. B. eine 5—6procentige Lösung von phosphorsaurem Natron, von Brettauer und Steinach empfohlen, so maceriren die Darmstückehen gewöhnlich und die Epithelzellen pflegen ihre Gestalt in der Art zu verändern, dass der unterhalb des Kerns gelegene Theil etwas in die Länge gezogen wird. Zugleich pflegen die Zellen am Basalende zu bersten und einen Theil ihres Inhaltes austreten zu lassen. Diesen Veränderungen ent- gehen in schwachen Lösungen von Mittelsalzen gewöhnlich nur wenige Zellen. Wenn dabei, was sehr häufig geschieht, der Zellkern mit heraustritt, so erhält man Gebilde, welche durchaus das Anse- sehen der Letzerich’schen Vacuolen haben, nur sind sie mei- stens etwas stärker in die Länge gezogen. In anderen Fällen, und zwar häufig bei der Silberbehandlung, reisst das untere Ende der Zellen dicht am Kern ab, und man bekommt Henle’- sche becherförmige Körper respective Brücke’sche Zellmäntel, je nachdem der Kern zurückbleibt oder nicht. Da es nun, wie ich das in einer früheren Arbeit schon betont habe, im Belie- ben des Beobachters steht, durch Einwirkung von Reagentien, welche die Zellen bersten machen, die gewöhnlichen Epithel- zellen in Gebilde umzuwandeln, welche mit Brücke’s, Henle’s und Letzerich’s Körpern übereinstimmen, so wird man die in Ueber die Darmzotten. 161 jedem normalen Darm vorkommenden Hohlkörper zwischen den Epithelien auch für geborstene Zellen halten müssen, um so mehr, als man bei Flächenansichten von abgestreiftem frischen Epithel sehr häufig in der Tiefe der Vacuolen noch den Kern sieht, dessen häufige Anwesenheit Letzerich allerdings ent- gangen zu sein scheint. Die Versilberungsmethode kann gar Nichts zu Gunsten der Vacuolen als resorbirender Gebilde beweisen, da es von vorn herein klar ist, dass der Inhaltsrest geborstener Zellen sich unter Umständen leichter mit dem Silbersalz verbinden kann, als der Inhalt normaler, noch mit ihrer Membran und dem Ba- salsaum versehener Zellen. Nachdem der Höllenstein schon so lange und so vielfach von Histologen in Anwendung gezogen ist, sollte man wissen, dass das Silber sich vorzüglich gern in alle, auch die kleinsten Vertiefungen hineinlegt. Deshalb färbt sich die Oberfläche des Darmepithels nicht gleichmässig braun, sondern es erscheint ein polygonales Netzwerk, dessen Fäden den aneinander stossenden Grenzen der Epithelzellen entspre- chen. Um so mehr muss sich das Silbersalz in die grösseren Hohlräume, in die gebörstenen Zellen hineinziehen. Sind letz- tere ganz leer, so wird es nur die Wände derselben, die sc. Zell- membran diffus färben. Enthalten sie noch viel Inhalt, so färbt dieser sich natürlich sehr intensiv. Weitere Schlüsse über die Bedeutung dieser Gebilde für die Resorption lassen sich daraus nicht ziehen. Die Färbung tritt übrigens in allen Fällen, wo die Einwirkung der Silberlösung lange genug dauerte, ganz sicher ein, gleichgültig, ob man, wie Letzerich, vorher Ei- weiss mit Kochsalz verfütterte oder nicht; und die sogenannten Vacuolen finden sich immer, gleichgültig, ob das Thier gefastet oder gefressen hat. Bedenkt man schliesslich, dass man im Darmschleim die besprochenen Körper regelmässig in ziemlich zahlreicher Menge findet, so wird man nothgedrungen zu der Ansicht geführt, dass die sogenannten Vacuolen, die constant unter normalen Verhältnissen im Darm vorkommen, Nichts wei- ter sind als abgeplattete Epithelzellen, die behufs der Regene- ration der Schleimhaut ausgestossen und mit dem Darmschleim aus dem Körper entfernt werden. 2. Die zweite Frage, welche wir uns zur Beantwortung vorgelegt hatten, ging dahin, ob neben dem Blutgefässnetz im Zottenparenchym noch ein anderes Kanalsystem vorkommt, welches die Schleimhautoberfläche mit dem Chylusraum ver- bindet. Diese Frage muss mit einem entschiedenen Nein be- antwortet werden. An injieirten Zotten ist es durchaus unmög- lich, noch ein zweites Kanalsystem aufzufinden, obgleich die Maschen der Capillaren an nicht contrahirten Zotten hinläng- lich weit sind, um die zwischen und unter ihnen gelegenen Gebilde durch sie hindurch mit Deutlichkeit erkennen zu lassen. Wäre ein solches Kanalnetz da, so müsste man es wenigstens hin und wieder einmal sehen, was nicht der Fall ist. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1866. 49 162 W. Dönitz: Ueber die Darmzotten, Letzerich giebt auch gar nicht an, wie er sich vor Ver wechselung mit Capillaren geschützt habe, und das Netzwerk, von dem einige Maschen in Fig. 4d. dargestellt sind, sieht dem bekannten Capillarnetz täuschend ähnlich. Ferner zeigen die Figuren 3 und 5 dieses Kanalsystem unmittelbar unter dem Cylinderepithel, also gerade an der Stelle, wo die Hauptmasse der Capillaren gelegen. Dieser Umstand allein sollte schon darauf aufmerksam machen, dass man es mit Capillaren zu thun haben könnte. In Fig. 1, welche einen Querschnitt darstellt, ziehen allerdings einige Stämmchen dieses Netzes nach einem central gelegenen Raum hin, der als Chylusraum aufgefasst wird. Gegen diese Deutung muss aber eingewendet werden, dass nicht jeder spalitförmige Raum im Innern einer erhärteten Zotte für den Chylusraum gehalten werden kann; sonst würde man auf manchem Querschnitt gar viele Chylusräume finden, während vielleicht die geringe Breite der Zotte nur auf einen einzigen, als die Regel, schliessen lässt. Ueberhaupt ist es auf Querschnitten fast immer unmöglich, den Chylusraum mit Sicherheit zu erkennen. Das einzige characteristische Kennzei- chen des Chylusraumes, der Inhalt, wird bei der Erhärtung des Präparates ausgepresst und lässt uns daher im Stich. Eine Membran hat sich an diesem Kanal immer noch nicht in über- zeugender Weise darstellen lassen. Somit kann auf Querschnit- ten ein jeder Spalt als Chylusraum imponiren. Ausserdem wäre es nicht unmöglich, dass in der erwähnten Figur das fragliche Gebilde den Querschnitt eines Gefässes, vielleicht einer Vene darstellt, da diese nicht selten in der Nähe der Achse, anstatt wie gewöhnlich, an einer der schmalen Kanten der Zotten ver- laufen. Diese Deutung dürfte um so annehmbarer sein, als man in der Figur sonst alle nicht capillaren Gefässe vermisst. Oder sollen etwa zwei wie Zellen mit Kern gezeichnete Körper Querschnitte der kleinen Arterie und Vene darstellen? _ Was endlich die Verbindung der sogenannten Vacuolen mit den eben besprochenen Kanälen betrifft, so kann ich mich der Annahme nicht verschliessen, dass Letzerich sich in dersel- ben Weise durch seine Präparate hat täuschen oder seine Ein- bildungskraft in ebenso hohem Grade hat walten lassen wie Heidenhain, als er seine Trichterzellen mit Bindegewebs- körperchen in Zusammenhang brachte. Zum Schluss kann ich nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, dass man alle Tage hören und lesen kann, es hätte Heidenhain den Zusammenhang der Chylusbahnen bewie- sen, während doch Heidenhain selbst zugesteht, dass er diesen Zusammenhang, so sehr er ihn auch vermuthet, nicht gesehen habe. Erst Letzerich ist diesem physiologischen Postulat gerecht geworden. Berlin, Druck von Gebr. Unger (C. Unger), Königl. Hofbuchdrucker. L arfoAp DIBL STUT WUF SZ NN u S NINO N NN 50 INN \ Rn N Z AZ u De R Tantra a } a wr ELSET SE I al. 4] . / SR DPUN , IL year DR Gt nn Archiv f Anat. u. Phus. 16 vb. => A EN yrT? FUND —— | nn Bw Bı>amaaam> —— En num \ \ K x ee 4° Ba FE Wasener del MWasenschioker 2 a ı Rn, ) . An ' Dr I Archiv . dnat. u E Phys. /800. E.Magener det ar WW. ÜMnrgenschteber se. 5 Initier , Inat 4 / hu: 1806 u Er. 7, N Taf.-VT. (rchio f Anat. u. Phys. 1866. Wagener det, 4 Ei "nat. u. Fhurs /$66 iM b trchtv 7 Anat_u. Phys. 1806. DEN Taf UH. Magenschiber 2. S Io ve) (ee) \ SaR {2} EZ man s ; ; \ i ad 2 \ o . Ce Dr o 2 5 € 9) N N En ß \ Hagenschicher Y 4 Br Taf X. zo 7 Anat.w.Plars. A860. in nn mann nahe a A 7 Vay: - 1/8060. Archiv 1: Inat u. Shurs D N “= Ärde F * Inat. u. Phurs. 1860. a » »D Waxenschieber sc PN Hagenschieber sc - Taf FIR Taf KV. Archiv £ Anat. u. Phys A860: Doniz del Wagenschreber so. Arie f Arad. ve Phars ISbb u un | bedeutet, dass die Reisang der ehe des Thieres, nm die Reflexe hervorsirenfen., mit bestimmten Summe nn Ruhe des Thies, d I Unterbrechung der Reizung der Zeh. "die Einführung der Nadel, pp die. der zwei N kurzen Ontörbredisrugen-, daserned stattfindet. Yadeln, Pdir der Alte, S Nehütteln der einyefichren Nadel ». «dass der Stem ernwwirkt . zer » r rl en N) dr Archiv 7. Anat. u. Phys. 18660. - Far AV! LAS. . Wiurenscherber se r j {2 ae ee 213 / f Xyll EN =, SIR B IR ( 1 er Arco f. Anal. u. Phurs. 7800. A N SE N ee) x b \ %) N Arte hB IE NE____z a Übermaer et Donste del j ö of a a? % d ee - 8 Wagenschreber sc RE? kr er vos IS Anhıo Anat. u. /’hys. 1800: Wagenschieber SC. ’+ B Archıo £ Anal. u. Phus. 1806. ee / Pr eale sumn. 35 7 Me RE I ! x Magenschieder 30. BEE An | a FÜR De | "ANATOMIE, PHYSIOLOGIE | UND | a I) I WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. E01: HERAUSGEGEBEN VON D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN | - ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, : UND D®. EMIL DU BOIS-REYMOND | PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- = TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN “ ; ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'S, REIL'S UND AUTENRIETH'S, - J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1866. Bogen 1—9. Tafel I—V. HEFT LI. VERLAG vos VEIT ET COMP. iv rin B | Inhalt des ersten Heftes. Seite Zur näheren Kenntniss des Froschherzens und seiner Nerven. Yon F. Bidder: in Dorpat‘ (Hierzu Tat), u. 2. 1 Ueber die Wirkungsweise einer Gruppe von Giften. Von Dr. Lu- dimar Hermann ıu.berln su... 2.0.02 27 Der Stigmenverschluss bei den Lepidopteren. Von Dr. H. Lan- dos: .(0Hherzu.- Tat 1A) 2 22.22. Be 41 Die Entwickelung der büschelförmigen Spermatozoen bei den Le- pidopteren. Von Dr. H. Landois. (Hierzu Taf. .B.). ... 50 Ueber das Wesen der Kohlenoxydvergiftung. Beitrag zur Physio- logie der Herzinnervation. Von Dr. W. Pokrowsky aus St. Petersburg. 2. ar... oe an 59 Ueber Beroe (ovatus?) und Cydippe pileus von Helgoland. Von Dr.:G. BR. Warener. , (Hierzu Bar IL IV.V) 2, 22.2.5 116 Ueber die Unempfindlichkeit des Gehirns und Rückenmarks für mechanische, chemische und elektrische Reize. Von Dr. Paul Gutimann m: Berlin ae au. ee 134 Zur Geschichte der Lehre von der Entwickelung der Nematoden. (Schreiben an Hrn. Prof. E. du Bois-Reymond). Von Elias Megznikow.... une a nt ee 144 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. ; Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. UND WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN voNn D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT ya PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN | || N | ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN PHEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN Er AKADENIE DER WISSENSCHAFTEN, UND i Fr : N = D®. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. ZU BERLIN, FORTSRTZUNG VON REIL’S, REIL’S UND AUTENRIETEH’S, 0.5. F. MECKEL’S UND JOB. MÜLLER’S ARCHIV. | “ JAHRGANG 1866. Ren 10— 18. ‚Tafel VI— VII. HEFT II. a: des zweiten Heftes. Seite Ueber Redien und Sporocysten ne: Von G. R. Wagener. (Hierzu Taf. VI.) . 145 Zur Lehre von. der thierischen Wärme. VonDr. J: Tscheschichin aus Russland . . . 151 Ueber den Austritt von Nervenfasern in das Epithel der Hornhaut. Von Prof. H.Hoyer in Warschau . . 180 Ueber die toxischen Wirkungen der Baryt- und Oxalsäureverbin- dungen. Von Dr. M.Cyon aus Russland . . 196 Die Veränderungen in der Form des. weiblichen Beckens durch zu frühzeitige Geschlechtsfunction bedingt. Von Dr. Leonard Landois, Privatdocenten der Universität Greifswald. (Hierzu Taf. VII) . . 204 Ueber die giftigen Eigenschaften des Nitrobenzin. Von Dr. Paul Guttmann in Berlin. . . 214 Weitere Fälle von Einmündung der Vena hemiazyga i in das Atrium dextrum cordis beim Menschen. (Bildungshemmung und Thier- bildung.) Von, Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg, . . 224 Ueber die Wirkung des Chloroforms 'auf den Organismus der Thiere im Allgemeinen und besonders auf die Bewegung der Iris. Von Dr. Johann Dogiel. . ; . 231 Ueber einen sehr seltenen Fall von Insuffcienz der Valvula tri- cuspidalis, bedingt durch eine angeborene hochgradige Miss- bildung derselben. Von Dr. Wilhelm Ebstein, Assistenz- ‚arzt und Prosector am Allerheiligen Hospitale i in Breslau. (Hierzu Tat. VI) . . : 238° ‚Untersuchungen über die toxieologischen Eigenschaften des Aco- nitin. Von D. Achscharumow. . 255: Ueber das neue, von Herrn Dr. Jagor aus Malacca mitgebrachte ; Gift. (Brigfliche Mittheilung an Prof. du Bois-Reymond.) Von Prof. Hermann Meyer er 284 Bemerkungen zu M. Schultze'’s Journal-Artikel: Reich ert und die Gromien. „Von C.B. Reichert. . . 286 Geschichtliche Bemerkungen zu Dr. H. Landois’ Aufsatz: „Ueber die Entwickelung . der büschelförmigen Spermatozoen: bei den _ Bepidopieren . Von H. wir Zurich 2 0 00 a Beiträge können an jeden der beiden Heranlscurs oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen. auf von dem u getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter Ben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- . ‚ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. f 4 » BE, R | ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN ® voN Dr. CART, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR.DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- $ SEORIDNR, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'’S, REIL’'S UND AUTENRIETH'S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. . JAHRGANG 1866. Bogen 19—26. Tafel IX.A.u.B., X.A.u.B., XLA.u.B. HEFT III. | EERTPZIEE. VERLAG vos VEITETCOMP. K Inhalt des dritten Heftes. Mikroskopische Untersuchungen über die Textur, Entwickelung, Rückbildung und Lebensfähigkeit des Fettgewebes. Von Dr. . F. Czajewicz in Warschau. (Hierzu Taf. IX.A.) Experimentelle und anatomische Untersuchungen über die Nerven der Glandula submaxillaris. Von F. Bidder in u (Hierzu Taf. X.A.). 5 Ueber die Ablagerung de oh Po in 2 Lumen und dem Lungenfell. Von Dr. med.C. Mettenheimer. (Hier- zu Taf. IX.B.). - BR, Untersuchungen zur allgemeinen. Ne suphysiolosie Von Dr. Hermann Munk. »......% re 5 Der Tracheenverschluss bei 7. Sehr) alas (Mehlwurn). Von Dr. H. Landois und W. Thelen. (Hierzu Taf. X.B.) 391 Die Spiralfasern im Sympathicus des Frosches. Von Dr. J. San- der. (Hierzu Taf. XI. A.) 998° Ueber den typischen Bau der Bchinodermen. Von Dr. w. Da (Hierzu Taf. XIL.B.). . 406 Ueber den Hautpanzer der Meran Thiore. (Briefliche Mit- “ theilung an C. B. Reichert.) Von J. Reinhardt. en Al Nachtrag zu der Abhandlung: „Ueber die Wirkung des Chloro- forms auf den Organismus der Thiere.*© Von J. Dogiel'. . 415 Seite . 289 . 321 . 360 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. ‚Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuseripte za nun einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren: Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit es die Verlagshandlung zugehen werden. ME RUE UEERRE N NETT ST ANETSTRERS ERDE CHE 1 E | ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND _ WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN VON 'D®. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIR, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- "TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL’'S UND AUTENRIETH’S, J.. -F. ‚MECKEL’S UND. JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG: 1866. Bogen 27—33. Tafel XI, XI. u. XIV. EHIBZLO: VERLAG von VEIT ET coMP. Ausgegeben irn October 1866. Inhalt des vierten Heftes. Seite Ueber die Saftströmung (Rotation, Circulation) der Pflanzenzellen mit Rücksicht auf die Oontractilitätsfrage. Von 0. B. Reichert 433 Das Ellenbogengelenk. Achter Beitrag zur Mechanik des mensch- lichen Knochengerüstes. Von Prof. Hermann Meyer in Aarich-. ‚(blierzu Tan AU ye ne ie! Zur physiologischen Wirkung der arsenigen Von Dr. W. Sklarek in Berlin . . . . 481 Bemerkungen über die aa en > Veratrin. Von Dr. Paul Guttmann in Berlin . . . . . 494 Ein Beitrag zur Frage über den Ort der Kohlensäuseildung im Organismus. Von Heinrich Hirschmann, Stud. med. Charkow. . . . ee 2 Beschreibung und Erläuterung von Done Von Dr. W.Dönitz. Dritte Abhandlung. (Hierzu Taf. XIIL.u.XIV.) 518 Beiträge können an ie der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen . 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. h ; ARCHI V | ANATOMIE, PHYSIOLOGIE | WISSENSCHAFTLICHR MEDICIN. HERAUSGEGEBEN VON D*. CARL, BOGISLAUS. REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE ‚DER WISSENSCHAFTEN, D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- STOBAHRIS: MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'S, REILU’S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL'S UND JOH. MÜLLER'’S ARCHIV. JAHRGANG 1866. Bogen a -41. Tafel XV., XVL, a u. Bl HEFT V. BEIPZIG. ee VERLAG vox VEIT ET COMP. ‚Ausgegeben iın Januar 1867. Inhalt des fünften Heftes. Seite Beschreibung und Erläuterung von Doppelmissgeburten. Von Dr. W.Dönitz. Dritte Abhandlung. (Schluss). . . . . .529 Die Hemmungsmechanismen der Säugethiere experimentell bewie- sen. Von Dr. L. N. Simonoff, Docent der Pathologie und Therapie in Kasan. (Hierzu TALRV) e Ar Ueber die secundären Handwurzelknochen des Menschen. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Peters- burg... (Hierzu lat SVl.yoı.e . 565 Ueber die Verbreitungsweise der Getässe | in den Hanteh des Dan canals der Lota vulgaris Cuv. Von Nicolaus Melnikow, Privatdocent an der Universität zu Kasan. (Hierzu Taf. XVII.A.) 587 Ueber eine Larve von Balanoglossus. Von El. Metschnikow. (Hierzu: Tat. AVILB.)v. !- ... .. . 592 Untersuchungen über die Natur m. Blektentonischen Zustandes und der negativen Schwankung des Nervenstroms. Von Dr. J. Bernstein in Heidelberg . - . 596 Ueber die contractile Substanz und feineren Baı ar Cape nularien, Sertularien und Hydriden. (Gelesen in der Sitzung der Klademie in 23. Juli 1866.) Von C.B. Reichert. . . 638 Ueber das Pepsin und seinen Gebrauch in der Mediein. Von Dr. Pd. Hollmanne 2.22 ma voan.e wa eo Notiz über Herzgifte. Von Dr. J. Rosenthal iin Berlin . . . 647 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter. haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. re A u 7 9 u he 15 N N We Er A eg “ * Pe EN 1866. B No.6 3. ARCHIV FÜR | LANATOMIE. PHYSIOLOGIE UND "WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN VON D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D®. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- ' TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'S, REIL’S UND AUTENRIETE'S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. - JAHRGANG 1866. Bogen 42—48. Tafel XVIIIA. u. B., XIX, XXA. u. B. HEFT VI. LEIEZLE, | VERLAG vos VEIT ET COMP. 7 Ausgegeben im Januar 1567. TEL EEE DELL WEL NEL WE LEE LEE EEE EEE EEE LEIDER ER LE DE ehe ni - Inhalt des sechsten Heftes. | Seite / "Weitere lerkurkouneen über die Frage, ob is Zapfen der Netz- haut als Raumelemente beim Sehen nee Von A. W. ‚Volk- Mann 2.0". le . 649 „Das Handgelenk. . na: ee zur Mechanik des menschen Knochengerüstes. . Von Prof.. en er in Zürich. (Hierzu Taf. XVII. By . 657 Einige Worte über Beugung, ie. Supmalion a Prouke tion. (Nachtrag zu vorstelendem ke Von Prof. Her- "> mann Meyer-in Zurich... ..... 0640. Untersuchungen zur Physiologie des Centralnervensyaioms, Yon Prof. A. Danilewsky in Kasan. :. . OR » Ueber die Valvulae der Vena azyga und ihrer Mae Yon Di Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg . 692 - Untersuchungen über die Wirkungsart einiger Alkaloide auf das. Oentralnervensystem. (Vorläufige Von Prof. A.Da- nilewsky in Kasan . . 10T Ueber eine eigenthümliche Geschyulsiform der eher re coma hepatis). Von Dr. B. Naunyn, erstem Assistenzarzt der medizinischen Universitätsklinik zu Berlin. (Hierzu: Taf. RN AD... 22%, ee ee ee "Ueber. die Entwicklung der Behakkseher, cn Dr. B.-Naunyn, erstem Assistenzarzt der medizinischen Universitätsklinik zu Berlin. “(Hierzu Tat. XIX. und XX.A), ... .. 2002 0 Ueber die netzförmigen, intercellulär verlaufenden capillaren Gal- _ .lengänge. Von C. B. Reichert. (Hierzu Taf. XX.A. Fig. 7.) 734 “Anatomische Beiträge. Von Dr.Bochdalek jun., Prosector an der Universität‘ zu. Prag, (Hierzu Taf, X%.B). ... „2. 2.724 Ueber Faserverlauf und Bedeutung der Commissura cerebri anterior bei den Säugethieren. Von Dr. Julius Sander. ....70 Ueber die Darmzotten.. Von Dr. W. Dönitz . . . 2... .757 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuseripte a: an einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter neben, von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit eh. \ asehandiuns en werden. un 3 2044 093 344 786